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HARVARD MEDICAL LIBRARY

RÖNTGEN

THE LLOYD E. HAWES

COLLECTION IN THE

HISTORY OF RADIOLOGY

«^Harvard Medical Library in the Francis A. Countway Library of Medicine -Boston

VERITATEM PERMEDicrjsTAM QSJMRÄMUS

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ELEKTKIZITATSLEHEE

FÜR MEDIZINER

UND

ELEKTROTHEMPIE

VON

De. J. ROSENTHAL und Dr. M. BERNHARDT,

Professoren an den Universitäten Erlangen und Berlin.

Dritte Auflage

von J. Rosenthal's Elektrizitätslehre für Mediziner.

Mit 105 in den Text einscedruckten Holzschnitteu.

Berlin 1884. Verlag von August Hirschwald

NW., Unter den Linden No. CS.

Alle Rechte vorbehalten.

Vorwort.

D

as Buch, welches wir hiermit der Oeffeutlichkeit übergeben, ist nur zum Teil ein neues. Der erste Abschnitt ist vielmehr eine üeber- arbeitung der schon in zwei Auflagen vorliegenden „Elektrizitätslehre für Mediziner* von J. Rosenthal und als dessen dritte Auflage anzusehen. Bei der Vorbereitung dieser neuen Auflage war der Ver- fasser wiederum bemüht, dieselbe nach Kräften zu verbessern. Wäh- rend die Anordnung des Stoffs im Wesentlichen auch diesmal bei- behalten werden konnte, wurde der Inhalt durch Zusätze vermehrt, und dahin gestrebt, diesen Teil zu einem kurzen Handbuch zu ge- stalten, welches einerseits den angehenden Elektrothcrapeuten mit allem bekannt macht, was er zum Verständniss der von ihm benutzten Apparate und ihrer Anwendungs weise braucht, andrerseits die physika- lische Grundlage für die Elektrophysiologie und die mannichfachen Anwendungen der Elektrizität bei wissenschaftlichen Untersuchungen in der Medizin zur Darstellung bringt.

War der Verf. dieses ersten Teiles in den früheren Auflagen bemüht, Alles auszuschliessen, was Gegenstand der Elektrotherapie sein konnte, so ist in dieser Auflage gerade die Bearbeitung der Elektrodiagnostik und ' Elektrotherapie zu einem zweiten, umfang- reichen Teil geworden. Der Plan zu dieser Umarbeitung bezw. Ver- vollständigung der vorangegangenen Auflagen wurde der Zeit nach schon so früh aufgestellt und zu verwirklichen angefangen, dass ihr durch mannichfache Hindernisse verzögerter Abschluss trotz des Er- scheinens einiger dasselbe Thema behandelnder Lehrbücher notwendig geworden war. Ein besonderer Nachdruck wurde auf eine vollständige Klarlegung der elektrodiagnostischen Verhältnisse gelegt: bei der Bearbeitung der Elektrotherapie ist das empirisch von den besten

IV Vorwort.

Autoren Festgestellte streng von dem nur Hypothetischen getrennt und auf die vielfachen Lücken in unserm Wissen und Können auf- nierksam gemacht worden. Krankengeschichten wurden in einem Anhang mit Absicht nur in beschränkter Anzahl mitgeteilt: sie dienen vorwiegend zur Illustration des im elektrodiagnostischen Teil Auseinandergesetzten. Sollte der Umfang des Werkes nicht ein zu grosser werden, so musste man hier eine Schranke setzen, zumal im Text selbst die Behandlung der verschiedensten Affektionen stets genau angegeben wurde: eine Häufung von Krankengeschichten erschien daher nutzlos.

Obgleich die beiden Teile des Werkes von den beiden Verfassern ganz selbständig bearbeitet worden sind, und jeder von ihnen für seinen Anteil die volle Verantwortung übernimmt, so ist doch die Ausarbeitung auf Grund vielfacher Besprechungen und nach einem gemeinsam festgesetzten Plane geschehen, so dass dem Buche der Charakter eines einheitlichen Ganzen nicht wird abgesprochen werden können. Andrerseits aber bot die Teilung der Arbeit den Vorteil, dass jeder .Verfasser sich auf einem Gebiet bewegte, welches ihm durch eigene Erfahrung und Uebung genauer bekannt war. Und so hoffen wir, dass es uns gelungen sein wird, eine praktisch brauchbare und nützliche Arbeit zu liefern.

Erlangen und Berlin, Juli 1883.

Die Verfasser.

Inhalts - Verzeichniss.

Erster Teil.

Seite

Kapitel I. Von den elektrischen Flüssigkeiten und ihren gegenseitigen An- ziehungen und Abstossuiigen 1

IL Von der Verteilung der Elektrizität und einigen auf derselben

beruhenden Instrumenten 11

III. Von den elektrischen Strömen und ihren Wirkungen .... 21

IV. Von der Elektrizitätserregung durch Kontakt und den kontinuir-

lichen elektrischen Strömen 28

V. Von der Elektrolyse, der galvanischen Polarisation und den

konstanten Ketten 37

VI. Von der Stromstärke, dem Ohm'schen Gesetz und dem Widerstände 5 1

Anhang zu Kapitel VI. Einige Bemerkungen über die Wahl

und Behandlung der galvanischen Batterien 68

VII. Von der Stromdichte, den Zweigströmen und der Verteilung des

Stromes in nicht prismatischen Leitern 75

VIII. Vom Elektromagnetismus und der Erregung elektrischer Ströme

durch Induktion 94

IX. Von der Einrichtung und dem Gebrauch der Galvanometer . . 119

X. Von dem Nachweis und der Messung elektromotorischer Kräfte, der Messung kurzdauernder Ströme und der elektrischen Zeit- messung , . . ' 136

XL Von den Thermoströmen und der elektrischen Temperatur- bestimmung 159

XII. Physikalische und physiologische Vorbemerkungen über die An- wendung der Elektrizität zu Heilzwecken 172

Zweiter Teil.

., XIIL Von den für die Elektrodiagnostik und Elektrotherapie not- wendigen Apparaten und Hilfsmitteln 203

XIV. Von den motorischen Punkten und der Untersuchungsmethode der motorischen Nerven und der Muskeln mittelst des fara- dischen Stroms 240

XV. Von der Untersuchungsmethode der motorischen Nerven und der

Muskeln mittelst des galvanischen Stromes 265

VI Inhalts-Verzeichniss.

Seite

Kapitel XVI. Von den pathologischen elektrodiagnostischen Befunden an

den motorischen Nerven und den Muskeln 282

XVII. Von den normalen und pathologischen elektrodiagnostischen Befunden an den Nerven der Sinnesorgane und den sensiblen Nerven überhaupt 303

XVIII. Von den normalen und pathologischen elektrodiagnostischen Befunden an den Organen des Centralnervensystems und den mit muskulösen Wandungen versehenen Eingeweiden . 324

XIX. Von der elektrotherapeutischen Verwertung des unter- brochenen (faradischen) Stromes im Allgemeinen 341

XX. Von der therapeutischen Verwertung des galvanischen (kon- stanten) Stromes im Allgemeinen 354

XXI. Spezielle Elektrotherapie. Von der Elektrotherapie

der Gehirukrankheiten 374

XXII. Von der Elektrotherapie der Rückenmarkskrankheiten . . 383

XXIII. Von der Elektrotherapie der Krankheiten des peripherischen Nervensystems 307

XXIV. Von der Elektrotherapie allgemeiner neuralgischer Zustände, visceraler Neuralgien, vasomotorischer, trophischer und functioneller Neurosen 414

XXV. Von der Elektrotherapie der Krankheiten der Sinnesorgane 428 XXVI. Von der Elektrotherapie der Gelenk- und Muskelkrankheiten sowie der erkrankten Organe des Atmungs- und Verdauungs- apparates 439

XXVII. Von der Elektrotherapie der Krankheiten der Harnblase und der Geschlechtsorgane nebst einem Anhange: die An- wendung der Elektrizität in der Geburtshilfe und bei der Erkrankung der Milch-, Schweiss- und Lymphdrüsen ... 449 XXVIII. Metalloskopie, Metallotherapie, Statische Elektrizität . . . 459 Anhang. Einige elektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie elek- trodiagnostischc und elektrotherapeutische Beobachtungen an

Kranken 467

Literatur- Verzeichniss '. - . . 491

Namen- und Sachregister 503

Erster Teil.

Kapitel I.

Von den elektrischen Flüssigkeiten nnd ihren gegen- seitigen Anziehungen und Abstossungen.

§ 1. i\_ls Grund der Erscheinungen, welche wir elektrische nennen, nehmen die Physiker zwei hypothetische Flüssigkeiten an, die positive und die negative Elektrizität, welche, selbst un- wägbar, an der wägbaren Materie haftend, diese in Bewegung zu setzen oder sich selbst in jener zu bewegen vermögen, nach Gesetzen, welche wir bald näher betrachten wollen. Die Eigenschaften, welche diesen Flüssigkeiten zugeschrieben werden, sind folgende: Jede der- selben stösst die ihr gleichnamige ab und zieht die ent- gegengesetzte an, und diese Abstossung und Anziehung geschieht in umgekehrtem Verhältniss der Quadrate ihrer Entfernungen.

Denken wir uns nun einen Körper erfüllt mit gleichen Mengen entgegengesetzter Elektrizitäten, welche wir mit -f-E und E be- zeichnen wollen, so kann dieser auf einen anderen Körper, welcher ebenfalls gleiche Mengen beider Elektrizitäten, etwa -\-e und e, enthält, keinerlei Wirkung ausüben (ganz abgesehen natürlich von den Wirkungen der Schwere und anderer nicht elektrischer Kräfte). Denn es wird ja die Abstossung zwischen -|- E und -{- e, E und -e aufgehoben durch die genau gleiche Anziehung zwisclien -|-E und c, E und -|-e. Diesen Zustand der Körper, in Avelchem dieselben gleiche Mengen entgegengesetzter Elektrizitäten enthalten, in welchem sie also keiner elektrischen Wirkung fähig sind, nennt man daher den unelektrischen oder neutral elektrischen Zustand.

Wenn jedoch durcli irgend einen Umstand die Verteilung der Elektrizitäten in einem Körper so geändert worden ist, dass er von der einen Elektrizität eine grössere Menge enthält, als von der ent- gegengesetzten, so wird er auf andere Körper anziehend oder abstossend

Uoseiitlial II. B eri\ li ;ii(lt. ICli-ktri/itätslohre. lU. Aiill. i

2 Elektrische Flüssiglceiten. Kap. I.

wirken müssen, je nachdem die eine oder die andere Wirkung über- wiegt. Man sagt dann, der Körper besitze freie Elektrizität oder sei mit freier Elektrizität geladen, im Gegensatz zu den natür- lichen Elektrizitäten, die alle Körper im natürlichen Zustande be- sitzen, und zwar sagt man, der Körper sei mit freier positiver oder negativer Elektrizität geladen, je nachdem er einen Ueberschuss von der einen oder anderen besitzt.

§ 2. Unter den Mitteln, durch welche eine Aenderung in der Verteilung der Elektrizitäten hervorgerufen werden kann, steht obenan die Reibung. Fast stets, wenn zwei Körper an einander gerieben werden, tauschen sie einen Teil ihrer Elektrizitäten mit einander aus, so dass der eine einen Ueberschuss von positiver, der andere einen Ueberschuss von negativer Elektrizität erlangt.

Wir sehen also, dass die elektrischen Flüssigkeiten nicht unbe- dingt an die Körper gebunden sind, denen sie einmal anhaften, sondern dass sie von einem Körper auf den andern übergehen können, und dies giebt uns ein Mittel an die Hand, die Wirkungen zu studiren, welche die Elektrizitäten ausüben, wenn sie nicht in gleichen Mengen angehäuft sind und ihre Wirkung gegenseitig aufheben.

Reiben wir z. B. eine Glasstange mit einem Stücke seidnen oder wollenen Zeuges und berühren dann mit dieser Stange ein leichtes Kügelchen von HoUundermark , welches an einem Seidenfaden auf- gehängt ist, so nimmt das Kügelchen einen Teil der freien Elektrizität der Glasstange an. Wir werden dann bei Annäherung der Glasstange bemerken, dass sie schon aus bedeutender Entfernung abstossend auf das Kügelchen wirkt. Diese Abstossung ist, Avie aus dem Vorher- gehenden ersichtlich, die Wirkung der gleichnamigen Elektrizitäten, welche in dem Glasstabe sowohl, als im Hollundermarkkügelchen im Ueberschuss vorhanden sind.

Machen wir nun denselben Versuch mit einer Siegellackstange, so führt er zu dem nämlichen Ergebniss. Auch diese wird durch Reiben mit Wolle elektrisch, auch sie giebt bei der Berührung einen Teil ihrer freien Elektrizität an ein Hollundermarkkügelchen ab und stösst dasselbe dann ab. Nähern wir aber die Siegellackstange dem Kügelchen, welches mit der Glasstange in Berührung war, so erfolgt keine Abstossung, sondern eine Anziehung, und dasselbe erfolgt, wenn wir die Glasstange dem Kügelchen nähern, welches mit der Siegellack- stange in Berührung gewesen ist. Daraus folgt, dass die Glasstange und die Siegellackstange durch das Reiben mit Wolle zwar beide freie

§ 2, 3. Elelvtrosl<op. 8

Elektrizität erlangt haben, dass aber diese in der einen die entgegen- gesetzte sein muss, als in der anderen. Man bezeichnet nun diejenige Elektrizität, welche das Glas durch Reiben mit Wolle annimmt, als die positive, und demgemäss die, welche das Siegellack annimmt, als die negative.

Welche von beiden Elektrizitäten ein Körper beim Reiben annimmt, hängt hauptsächlich von seiner Natur, aber auch von der des Reibzeuges und anderen Umständen al3. So wird Glas beim Reiben mit fast allen Körpern positiv elektrisch, Harz fast stets negativ elektrisch, weshalb man auch die positive Elektrizität Glas- elektrizität, die negative Harzelektrizität genannt hat. Aber Glas mit Katzenfell gerieben wird negativ elektrisch, und ebenso wird mattgeschliifenes Glas beim Reiben mit anderen Körpern fast stets negativ elektrisch Auch glattes Glas erlangt durch Erhitzen auf 100" C. und darüber die Eigenschaft, beim Reiben mit Wolle negativ elektrisch zu werden. Die Rückenhaare des Gemsbockes (der sog. Gemsbart) werden positiv elektrisch, wenn sie von der Wurzel nach der Spitze, dagegen negativ elektrisch, wenn sie von der Spitze nach der AVurzel hin ge- strichen werden.

Auch flüssige Körper können durch Reibung elektrisch werden und den an ihnen geriebenen Körper elektrisch machen. So wird durch Reiben von Quecksilber an Glas Elektrizität frei, und durch Reibung von Wasser an festen Körpern erhält man sehr beträchtliche Mengen freier Elektrizität, worauf die Arm streng' sehe Hydroclektrisirmaschine beruht.

§ o. Ein Hol] undermarkkü gelchen an einem Seidenfaden auf- gehängt, wie wir es zu unseren obigen Versuchen benutzten, ist wegen seiner grossen Beweglichkeit ein sehr geeignetes Mittel, um die Existenz anziehender oder abstossender Kräfte anzuzeigen. Und wenn es mit einer bekannten, beispielsweise positiven Elektrizität geladen ist, so zeigt es auch an, welcher Art die in einem Körper durch Reiben frei gewordene Elektrizität ist. Denn stösst dieser Körper das Kügelchen ab, so muss er selbst positiv elektrisch sein, negativ dagegen, wenn er das Kügelchen anzieht. Bei einem mit negativer Elektrizität ge- ladenen Kügelchen würde es natürlich gerade umgekehrt sein. Ein solches Instrument nennt man ein Elektroskop, oder insofern man aus der Kraft, mit welclier die Abstossung erfolgt, auch auf die Menge der freien Elektrizität schliessen kann, ein Elektrometer.

Auf diesem Wege kann man beweisen, dass beim Reiben nie- mals eine einzelne Elektrizität allein frei wird, sondern dass die beiden an einander geriebenen Körper stets die entgegengesetzten Elektrizitäten annehmen, und zwar der eine genau so viel positive, als der andere negative. Durch die Reibung wird also keine Elektrizität erzeugt, es wird nur die Ver- teilung derselben in den an einander geriebenen ICörpern geäiulert,

1*

4 Leiter und Nichtleiter. Kap. I.

dergestalt, dass der eine einen Ueberschuss von positiver, der andere einen Ueberscliuss von negativer Elektrizität erhält.

Auch die oben erwähnte Eigenschaft des Gemsbartes kann zur Konstruktion eines Elektroskopes verwertet werden, indem ein solches Haar, je nachdem es gestrichen worden, von positiv oder negativ ge- ladenen Körpern abgestossen oder angezogen wird. Am bequemsten aber zur Erkennung des Vorhandenseins freier Elelc- trizität ist das in Fig. 1 abgebildete Goldblattelek- troskop. Es besteht aus zwei schmalen Streifen sehr dünnen Blattgoldes, welche an einem Metallstabe be- festigt und mittelst desselben im Inneren eines Glases aufgehängt sind. Berührt man den Metallstab mit einem durch Reibung elektrisirten Körper, so geht ein Teil der freien Elektrizität auf die Goldblättchen über.

Fig. 1.

welche also beide mit der gleichen Elektrizität geladen

b-*

werden und sich daher abstossen. Bei dem geringen Gewichte der Blättchen genügen schon geringe Kräfte, um eine merkliche Diver- genz hervorzubringen.

§ 4. Fasst man eine Messingstange mit der Hand und reibt sie mit einem Stücke wollenen Zeuges, so wird sie sich bei der Prüfung durch das Elektroskop unelektrisch zeigen, d. h. sie wird das Kügel- chen des oben beschriebenen Elektroskops nicht abstossen, mMg dies nun positiv oder negativ geladen sein, noch wird sie bei dem in Fig. 1 abgebildeten Goldblattelektroskop eine Divergenz der Gold- blättchen hervorbringen. Befestigt man dagegen die Metallstange an einer Handhabe von Glas,. Siegellack oder Hartkautschuk und reibt sie jetzt mit der Vorsicht, sie niemals direkt mit der Hand zu be- rühren, so wird sie sich elektrisch verhalten und zwar positiv. Die geringste Berührung mit der Hand reicht aus, ihr die freie Elektrizität vollständig zu rauben, sie sogleich wieder unelektrisch zu machen. Das Gleiche erfolgt, wenn man sie mit einem Draht von irgend einem Metall, mit Baumwolle, Papier und dergleichen berührt. Dagegen scheint sie nichts von ihren Eigenschaften einzubüssen, wenn man sie mit Glas, Harz, Seide berührt.

Diese Tatsachen führen zu der Ansicht, dass die Körper sich in Bezug auf die Elektrizität verschieden verhalten, indem die einen nicht im Stande sind, die in ihnen erregte Elektrizität zurückzuhalten, es sei denn, dass sie nur mit Körpern der andern Art in Berührung sind. Man erklärt sich diese Erscheinung so, dass man sagt, die

§ 4, 5. Mitteilung der Eieldrizität. 5

cr.stc Klasse \'on Körpern, wozu also die Metalle, die Leinen- und Baumwollenfaser, der menschliche Körper u. A. gehören, hat die Eigenschaft, dass die Elektrizität leicht von einem Teilchen zmii anderen übergeht, während dies bei der zweiten Klasse nur schwer der Fall ist. Die Körper der ersten Klasse nennt man daher Leiter der Elektrizität, die der anderen Nichtleiter oder Isolatoren. Wird ein Leiter gerieben, indem man ihn in der Hand hält, so kann er natürlich nicht elektrisch werden, denn jede Spur von freier Elek- trizität, welche in ihm erregt wird, wird auch sofort von Teilchen zu Teilchen des Metalles bis zur Hand und durch den menschlichen Körper zur Erde fortgeleitet*). Anders natürlich bei einem Nichtleiter, wo die an einer Stelle durch Reiben erzeugte Elektrizität auf dieser Stelle bleibt, gieichgiltig ob man denselben an einer anderen Stelle mit der Hand hält oder nicht. Ebenso erklärt sich hieraus, wie ein Leiter durch Reibung elektrisch gemacht werden kann, wenn man ihn nur mittelst nichtleitender Handhaben anfasst, warum ein elektrisch ge- machter Leiter sogleich unelektrisch wird, wenn man ihn mittelst eines anderen Leiters berührt u. s. w.

Die Einteilung der Körper in Leiter und Nichtleiter ist keine absolute, in- sofern es hier, wie überall in der Natur, allmähliche Uebergänge giebt. Alle Me- talle, Kohle, Wasser und alle wässrigen Lösungen, die meisten Gesteine und Erden, die tierischen und pflanzlichen Teile u. A. sind Leiter; Siegellack, Glas, alle Harze, Schwefel, Wachs, vulkanisirter Kautschuk und viele andere Nichtleiter. Die Luft gehört natürlich unter die Nichtleiter, da sonst die in ihr befindlichen Körper sogleich unelektrisch werden müssten, doch leitet auch die Luft, wenn sie nicht ganz trocken ist. Auch Glas leitet etwas , besonders wenn sich an seiner Oberfläche Wasserdampf niedergeschlagen hat. Man pflegt daher die zum Isoliren dienenden Glassäulen noch mit Schellack zu überziehen, welcher weniger hygro- scopisch ist als Glas. In neuerer Zeit wendet man zum Isoliren hauptsächlich Hartkautschuk (Ebonit) an, welcher leicht bearbeitet werden kann.

§ 5. Isolirt man eine metallische Kugel gut, indem man sie an einer trockenen seidenen Schnur aufhängt oder auf einem Glasfusse aufstellt, so kann man derselben mit Hilfe einer Elektrisirmaschine, d. h. einer Scheibe von Glas, welche zwischen zwei fest gegen sie gepressten Kissen mittelst einer Kurbel in Umdrehung versetzt wird, grosse Mengen freier Elektrizität mitteilen und so die Eigenschaften derselben genauer studiren. Nähert man zunächst dieser Kugel eine andre isolirte bis zur Berührung, so wird man finden, dass die zweite Kugel ebenfalls elektrisch geworden und zwar mit der nämlichen Elek-

*) Vgl. hierüber § G. S. 9.

6 Couloiiib's Drehwage. Kap. I.

trizitäl geladou ist. Älaii kann sich hiervon sehr leicht überzeugen^ wenn man an der Kugel zwei leichte Kügelchen von Hollundermark mittelst eines leinenen Fadens befestigt. Indem diese sich ebenfalls mit der Elektrizität der ersten Kugel laden, stossen sie sich gegen- seitig ab, und wenn man sie mittelst eines isolirenden Handgriffes abhebt und ihnen eine geriebene Glasstange nähert, so wird man finden, dass sie die nämliche Eleiitrizität besitzen, als die erste Kugel hatte.

Wenn bei diesem Versuche auch an der ersten Kugel zwei Hollundermark kügelchen befestigt sind, so bemerkt man, dass die- selben auch nach der Berührung noch divergiren, aber nicht mehr so stark als vorher. Es ist also während der Berührung ein Teil der freien Elektrizität von der ersten Kugel auf die zweite übergegangen. Um jedoch die Menge zu bestimmen, welche von der ersten auf die zweite übergegangen ist, müssen wir ein Mittel haben, Elektrizitäts- mengen mit Genauigkeit zu messen. Ein solches Mittel besitzen wir in dem kleinen Hollundermarkkügelchen, das uns schon mehrfach ge- dient hat. Zu diesem Zweck befestigen wir das Kügelchen, um es zu isoliren, an einem dünnen Schellackstäbchen und hängen dieses an einem feinen Metalldraht oder Kokonfaden auf, so dass es sich in einer horizontalen Ebene drehen kann. Das Kügelchen nimmt bald einen festen Stand an, aus dem es nicht gebracht werden kann, ohne dass der Draht torquirt wird. Stellt man nun neben das Kügelchen ein anderes, gleichfalls isolirtes und mit Elektrizität geladenes, so geht ein Teil der Elektrizität von dem festen auf das bewegliche Kügelchen über, und dieses wird jetzt, da es mit derselben Elektrizität geladen ist, abgestossen. Da nun aber durch diese Abstossung die Entfernung der beiden Kügelchen, also auch die Kraft, mit welcher sie auf einander wirken, sich ändert, so kann man aus der Ablenkung keine direkten Schlüsse auf die Elektrizitätsmengen machen. Dreht man aber den Knopf, an welchem der Metalldraht befestigt ist, zu- rück, bis die beiden Kügelchen sich eben wieder berühren, so ist klar, dass jetzt zwei Kräfte in entgegengesetzter Richtung auf das beweg- liche Kügelchen einwirken, nämlich erstens die abstossende Kraft der Elektrizität, welche das bewegliche Kügelchen von dem festen zu ent- fernen strebt, zweitens die Torsion des Drahtes, welche es trotz jener abstossenden Kraft gerade in Berührung mit dem festen Kügelchen hält. Diese letztere Kraft muss also der ersteren genau gleich sein. Nun ist aber die durch die Torsion ausgeübte Kraft proportional dem Winkel, um welchen der Draht torquirt ist. Folglich giebt der Winkel,

§ 5, 6. Dichte der Elektrizität. 7

um welchen mau den Knopf zurückdrehen musste, ein Maass für die dem Kügelchen mitgeteilte Elektrizitätsraenge. Ein solches Instrument nennt man nach seinem Erfinder eine Coulomb'sche Dreh wage oder ein Coulomb'sches Elektrometer.

Berührt man nun die mit Elektrizität geladene Kugel A mit einem solchen isolirten Kügelchen, stellt dieses neben das beweglicke Kügelchen der Dreh wage und notirt den Winkel, um welchen man den Knopf zurückdrehen muss, bis die Kügelchen sich wieder berühren, berührt dann die Kugel A mit einer ihr ganz gleichen B und prüft jetzt abermals an der Drehwage, indem man beide Kügelchen erst ableitend berührt, um ihnen die vom früheren Versuch noch vor- handene Elektrizität zu nehmen, das feste Kügelchen an die Kugel A anlegt und wieder neben das bewegliche stellt, so findet man, dass dieses jetzt weniger abgelenkt wird, und dass man den Knopf nur um die Hälfte des früheren Winkels zurückzudrehen braucht, um die Kügelchen wieder an einander zu bringen. Die Kugel A muss also bei der Berührung an B die Hälfte ihrer freien Elektrizität abgegeben haben. In der Tat, prüft man B ganz auf die nämliche Weise, so wird man finden, dass sich auf beiden Kugeln genau gleiche Elek- trizitätsmengen befinden müssen; denn wenn man das feste Kügelchen an B anlegt, so lenkt es das bewegliche um denselben Winkel ab, als vorher, und man muss abermals den Knopf um den gleichen Winkel zurückdrehen, wenn die Kügelchen wieder zusammenkommen sollen.

Auf diese Weise messen wir die Ladung irgend eines Körpers, indem wir einen Teil seiner Elektrizität auf das feste Kügelchen der Drehwage übertragen und dann die Wirkung desselben bestimmen. Wir wollen daher dieses Kügelchen fortan als Probekügelchen be- zeichnen.

§ 6. Da die Elektrizität in einem Leiter sich frei bewegen kann, und da die Teilchen einer und derselben Elektrizität sich gegenseitig abstossen, so folgt daraus, dass die in einem isolirten Leiter vor- handene freie Elektrizität ganz und gar auf seiner Oberfläche ange- häuft sein muss. Denn die einzelnen Elektrizitätsteiichen werden einander so lange abstossen, bis sie an der Oberfläche des Leiters angelangt sind, wo sie natürlich bleiben müssen, da sie nicht in die nichtleitende Luft übergehen können. Man kann sich hiervon durch den Versuch überzeugen, indem man irgend einen Leiter, etwa eine Metallkugel, ladet und dann über dieselbe zwei genau anschliessende

8 Dichte und Spannung der Elolitriziiät. Kap. I.

Halbkiigelschalon von Blech scliiebt, die man an isolirendcn Griffen hält. Beim Zurückziehen derselben wird man finden, dass die Kugel vollkommen un elektrisch ist, und dass sämtliche Elektrizität derselben auf die Kugelschalen übergegangen ist. Dasselbe würde auch mit einem Leiter von irgend einer anderen Gestalt der Fall sein. Die gesamte Elektrizität also, welche einem Leiter mitgeteilt wird, sammelt sich in Gestalt einer dünnen Schicht an dessen Ober- fläche an. Hat man nun zwei Leiter von ähnlicher Gestalt, aber verschiedener Oberfläche, etwa zwei Kugeln von verschiedenem Durch- messer, und teilt beiden die gleiche Elektrizitätsmenge mit, so wird diese auf verschieden grosse Oberflächen verteilt sein. Auf dem gleichen Flächenraum, etwa 1 Qu.-Ctm., wird also bei der Ideineren Kugel mehr Elektrizität vorhanden sein, als bei der grösseren. Man nennt nun diejenige Elektrizitätsmenge, welche auf der Einheit des Flächenraums vorhanden ist, die Dichte der Elektrizität, und man kann daher sagen, dass wenn Kugeln von verschiedenen Oberflächen mit gleichen Elektrizitätsmengen geladen sind, die Dichten sich um- gekehrt verhalten wie die Oberflächen oder, was dasselbe ist, umge- kehrt wie die Quadrate der Radien.

Man kann sich die Sache auch so vorstellen, dass die gesammtc dem Körper mitgeteilte Elektrizität den Körper gleichsam als eine Schicht von geringer Dicke umgibt oder einhüllt. Die Dicke dieser Schicht wird dann abhängen von der Grösse der Oberfläche und der Menge der auf ihr angesammelten Elektrizität. Es ist also diese Dicke eigentlich nichts Anderes, als ein anderer Ausdruck für das, was wir soeben als die Dichte der freien Elektrizität an der Ober- fläche der Körper definirt haben. Da nun diese freie Elektrizität auf der Oberfläche des Leiters nur zurückgehalten wird durch die Unmög- lichkeit in die nichtleitende Umgebung überzugehen, so steht sie unter einem von Innen nach Aussen wirkenden Druck, welcher der Menge der im Körper vorhandenen freien Elektrizität direct proportional ist. Man bezeichnet diesen Druck als die Spannung der freien Elek- trizität, und wenn diese Spannung sehr beträchtlich wird, so vermag sie den Wiederstand der isolirenden Luft zu überwinden, und der Leiter verliert einen Teil seiner Elektrizität. Es ist daher unmöglich einem Körper freie Elektrizität in unbegrenzter Menge zuzuführen, vielmehr wenn die Spannung der Elektrizität an seiner Oberfläche so gross geworden ist, dass sie den Widerstand des umgebenden Mediums überwindet, so wird alle Elektrizität, die man ihm noch zuführt, ent- weichen. Dies Maximum hängt ab von der Gestalt und Grösse der

§ 6. Ableitung zur Erde. 0

Oberfläche und von der Beschaffenheit des umgebenden Mediums. Bei feuchter Luft z. B. ist der A¥iderstand geringer, welcher sich dem Entweichen der Elelitrizität entgegensetzt. Man kann dann die Körper nicht starli laden. Setzt man einen mit freier Elektrizität geladenen Körper durch einen Leiter mit dem Erdboden in Verbindung, so geht die freie Elektrizität auf den Erdboden über. Da aber dieser eine so ungeheure Oberfläche hat, so wird die Dichte und somit die Spannung auf ihm sofort unmerklich, und es geht daher sehr schnell alle freie Elektrizität von dem Körper nach dem Erdboden, und der Körper wird ganz unelektrisch. Man nennt dies einen Körper entladen.

Von diesen Tatsachen kann man sich mittels der Drehwage über- zeugen; denn wenn man verschiedene Kugeln mit denselben Elek- trizitätsmengen ladet und sie mit dem Pr ob ekü gelchen berührt, so rauss man, um die Kügelchen wieder zur Berührung zu bringen, den Knopf des Elektrometers um Winkel drehen, welche den Quadraten der Radien proportional sind. Dabei ist es ganz gleichgiltig, an welcher Stelle einer Kugel man das Probekügelchen anlegt, man würde stets dieselbe Ablenkung erhalten. Prüft man jedoch einen mit freier Elektrizität geladenen Leiter von anderer Gestalt, etwa einen Zylinder mit abgerundeten Endflächen, so wird man finden, dass das Probe- kügelchen eine viel grössere Elektrizitätsmenge aufnimmt, also das bewegliche Kügelchen viel stärker abgelenkt wird und nur durch eine stärkere Drehung des Knopfes in seine Lage zurückgebracht werden kann, wenn man es an die Enden des Zylinders anlegt, als wenn man ihn in seiner Mitte berührt. Während also bei der Kugel die Dichte der Elektrizität überall auf ihrer Oberfläche dieselbe ist, ist sie an den verschiedenen Stellen des Zylinders verschieden, und das letztere findet auch bei allen Körpern von irgend welcher anderen Gestalt statt. Sind die Körper lang im Verhältniss zu ihrer Dicke, so sammelt sich die Elektrizität hauptsächlich an ihren Enden an. A^orzugsweise aber sind es die convexen Partien der Oberflächen und noch mehr die vorspringenden Kanten und Spitzen, wo die Elektrizität sich anhäuft, und sie kann hier sogar eine solche Spannung erlangen, dass sie den Widerstand der Luft überwindet und ausströmt, bis der Leiter ganz unelektrisch geworden ist. Man muss daher allen Körpern, welche zu elektrischen Versuchen dienen sollen, möglichst abgerundete Ecken geben, wenn die freie Elektrizität sich in ihnen erhalten soll.

Zur genaueren Messung elektrischer Spannungen hat man noch andre Elektrometer construirt, von denen wir nur Thomson's Qua- drantclektrometer beschreiben wollen, weil es zu physiologischen

10 Qii.irlrantelektrometoi-. Kiip. I.

Versuchen xViiwendung gefuiideii luit. Eine liohlc runde Metallscheibe ist durch zwei auf einander senkrechte Schnitte in 4 gleiche, symme- trisch angeordnete Quadranten zerlegt. Im Innern der so gebildeten Höhlung ist eine leichte Lamelle von Aluminiumblech so aufgehängt, dass sie symmetrisch zu den Quadranten steht. Von diesen Quadranten sind je zwei übers Kreuz mit einander leitend verbunden, und die so entstehenden Quadrantenpaare werden dauernd auf gleichen, aber ent- gegengesetzten Spannungen erhalten. So lange die Aluminiumlamelle unelektrisch ist, wird sie von den Quadranten auf ganz gleiche Weise beeinflusst, bleibt also unbewegt. Sobald aber der Laraelle eine positive oder negative Spannung mitgeteilt wird, weicht sie nach der einen oder der andern Seite ab und zeigt die Art ihrer Spannung und durch den Winkel, um welchen sie abgelenkt wird, die Stärke ihrer Ladung an.

Die Aluminiumlamelle ist bifilar aufgehängt, d. h. mittels zweier paralleler Drähte. In solchen Fällen ist die Ablenkung den ablenkenden Kräften proportional, so lange die Ablenkungswinkel nur klein sind. Um solche kleine Winkel genau messen zu können, be- dient man sich der Lichtreflexion, von der wir ähnliche Anwendungen später noch öfter kennen lernen werden. Mit der Aluminiuralamelle ist nämlich ein leichtes ebenes Spiegelchen fest verbunden; ein schmales Lichtbündel fällt durch einen Spalt senkrecht auf den Spiegel und wird von diesem auf eine oberhalb des Spalts aufgestellte hori- zontale Scala reflectirt. Wird die Lamelle und damit der Spiegel abgelenkt, so bewegt sich das reflectirte Bild auf der Scala und sein Ausschlag ist, wie man leicht sieht, gleich der Tangente des doppelten Ablenkungswinkels, welche man aber bei den sehr kleinen Winkeln als diesen proportional ansehen kann.

Man kann auch der Aluminiumlamelle eine constante Spannung mitteilen und die zu messende Spannung auf das eine Quadrantenpaar übertragen.

Kapitel II.

Von der Verteilung der Elektrizität und einigen auf derselben beruhenden Instrumenten.

§ 7. Nähert man einen isolirten mit freier Elektrizität geladenen Leiter A einem anderen ebenfalls isolirten Leiter B, an welchem an verschiedenen Stellen kleine HoUundermarkkügelchen aufgehängt sind,

bis zu einer gewissen Entfernung, so wird man finden, dass dieser zweite Leiter ebenfalls elektrische Eigenschaften annimmt , indem die an ihm befestigten HoUunder- markkügelchen divergiren. Je- doch findet dies nicht auf allen Punkten des zweiten Leiters gleich stark statt, sondern am

+

B.

Fig. 2.

meisten an den Punkten, welche dem elektrischen Körper A am nächsten, und an denen, welche am entferntesten sind, näher der Mitte ist die Abstossung schwächer, die gerade in der Mitte aufge- hängten Kügelchen endlich bleiben ganz unbewegt. Sowie man den Leiter A entfernt, ist B wieder vollkommen unelektrisch, und so kann man den Versuch öfter hintereinander wiederholen, vorausgesetzt, dass man sich hütet, die beiden Leiter jemals in Berührung zu bringen. Um nun zu erfahren, von welcher Art die Elektrizität sei, welche in dem Leiter B durch die Annäherung des Leiters A erregt wird, prüfen wir dieselbe mittelst des Elektroskops. Wir berühren den Leiter B, während der mit freier Elektrizität geladene Leiter A in seiner Nähe steht, mit dem Probekügelchen und nähern dieses dem beweglichen Markkügelchen der Drehwage, welches wir vorher mit einer bestimmten Elektrizität, etwa positiver, geladen haben. Je nachdem dann das Kügelchen abgestosscn oder angezogen wird,

12 Verteilung. Kap. II.

ivjiiss die zu prüfciulo l*]lcl\iri/ität cbonfalls positiv oder negativ sein. So ausgeführt zeigt der Versuch, dass die an den beiden Enden von B angeliäufte Elektrizität von entgegengesetzter Art ist, und zwar findet sich stets in dem Ende von B, welches A zugewandt ist, die entgegengesetzte Elektrizität, als in A selbst, in dem von A abge- wandten Ende des Leiters B dagegen ist die gleiche Elektrizität ent- halten als in A.

Aus diesem Befunde können wir uns über den Vorgang, welcher bei Annäherung des Leiters A an den Leiter B Statt hat, folgende Vorstellung machen. Die in A angehäufte freie Elektrizität wirkt aut die beiden in gleichen Mengen vorhandenen natürlichen Elektrizitäten in B, sie zieht die ungleichnamige an und stösst die gleich- namige ab. Diese müssen sich also vorzugsweise in den Enden von B anhäufen, die gleichnamige in dem von A abgewandten, die un- gleichnamige in dem A zugewandten Ende. Li der Mitte wird gar keine freie Elektrizität sein können. Entferjit man A, so vereinigen sich die getrennten Elektrizitäten in B wieder, der Körper ist wieder neutral oder unelektrisch.

§ 8. Mit dieser Vorstellung ausgerüstet, wollen wir versuchen, die Erscheinungen weiter zu verfolgen. Wir vertauschen zunächst den Leiter B mit einem anderen, ihm ganz ähnlichen, welcher jedoch aus zwei trennbaren Teilen besteht. Wir stellen jetzt den beispielsweise mit positiver Elektrizität geladenen Körper A so neben dem teilbaren Leiter auf, dass seine Teile B^ und B^ mit A in einer geraden Linie liegen und zwar sei Bj der A zugewandte-^eil. .Es wird sich dann die freie negative Elektrizität in Bi , die positive in B^ ansammeln. Wenn wir nun, während A an seinem Platze bleibt, Bi und B^ von einander trennen, und jetzt A entfernen, so können die durch die Einwirkung von A von einander geschiedenen Elektrizitäten in Bt und Bj, obgleich der Einwirkung von A entzogen, sich dennoch nicht ver- einigen; Bi und B^ bleiben geladen und zwar mit verschiedenen Elek- trizitäten. Wir haben also durch die Wirkung der freien Elektrizität in A zwei andere Körper elektrisch gemacht, ohne dass A dabei eine Spur seiner Elektrizität eingebüsst hätte. Man nennt dies Elek- trizitätserregung durch Verteilung oder Influenz, und die Wirkung, Avelche ein elektrischer Körper auf die in seiner Nähe be- findlichen Leiter ausübt, die verteilende oder influenzirende Wir- kung der freien Elektrizität, weil die neutral -elektrische, d. h. in gleichen Mengen vorhandene positive und negative Elektrizität in dem

§8.

Freie und gebundene Elektrizität.

13

influenzirten Körper anders verteilt worden ist, so dass jetzt jede einzeln als freie Elektrizität zur Wirkung kommt. Auch folgt aus dieser Vorstellung, dass wenn man die Leiter Bj und B^ auch nur für einen Augenblick in Berührung bringt, sie wieder vollkommen un- elektrisch werden müssen, was die Erfahrung auch bestätigt.

Denken wir uns nun wieder, wie in unserem ersten Versuch, den mit positiver Elektrizität geladenen Leiter A neben dem unelek- trischen Leiter B aufgestellt. Es wird dann die in B vorhandene natürliche Elektrizität zum Teil zerlegt, es sammelt sich die positive Elektrizität an dem von A entfernten, die negative an dem A zuge- wandten Ende von B an. Berühren wir nun B ableitend, so ent-

weicht die positive Elektrizität desselben nach dem Erdboden. Dagegen bleibt die negative Elek- trizität, welche in dem A zuge- wandten Ende von B angehäuft ist, da sie von der positiven Elek- trizität in A angezogen wird, an ihrer Stelle. Die positive Elek- trizität in A und die negative

+

Fig.

Elektrizität in B verhalten sich also, obgleich sie in getrennten Körpern sich befinden, gewissermaassen ähnlich, wie die beiden natürlichen Elektrizitäten in einem und demselben Körper. Sie binden sich gegenseitig und zwar natürlicher Weise um so inniger, je näher die beiden Körper einander sind. Hebt man nun die Verbindung von B mit der Erde auf, und entfernt dann A, so verbreitet sich die bisher in dem A zugewandten Ende von B angehäufte Elektrizitätsmenge über den ganzen Körper B und verteilt sich auf demselben in Gemäss- heit seiner Gestalt. Es ist dies also eine zweite Art, wie man durch Verteilung oder Influenz eines elektrischen Körpers A einen anderen B elektrisch machen kann, ohne dass A dadurch das Ge- ringste von seiner Elektrizität einbüsst.

Aus dieser Wirkung der Elektrizität erklärt sich auch eine Er- scheinung, welche bei elektrischen Körpern meist zuerst in die Augen fällt, nämlich die Anziehung unelektrischer Körper. Nähert man einem leichtbeweglich aufgehängten unelektrischen Körper A einen anderen mit freier, beispielsweise positiver Elektrizität geladenen Körper B, so werden die natürlichen Elektrizitäten in A verteilt. In dem B zugewandten Teile von A häuft sich die negative, in dem abgCAvandten Teile die positive Elektrizität an. Da nun die erstere

14 Anziehung unelel(trischer Körper. Einsauger. Kap. II.

dem positiven Körper B näher ist, als die letztere, so überwiegt die Anziehung jener über die Abstossung dieser, und der ganze Körper A wird von B angezogen. Kommen beide zur Berührung, so neu- tralisiren sich die negative Elektrizität von A und ein Teil der posi- tiven von B gegenseitig, A bleibt positiv geladen und B hat einen Teil seiner positiven Elektrizität eingebüsst. Es ist dies die genauere Zergliederung des Vorganges, welchen wir im vorigen Kapitel als Mit- teilung der Elektrizität kennen gelernt haben.

Auf der verteilenden Wirkung der freien Elektrizität beruhen verschiedene Einrichtungen und Apparate, mit denen wir uns jetzt bekannt machen wollen:

§ 9. Zunächst die sogenannten Einsauger an den Elektrisir- maschinen. Eine Elektrisirmaschine besteht notwendiger Weise aus drei Teilen: 1) Dem durch Reibung elektrisch zu machenden Körper (eine Glasscheibe oder Glascylinder oder auch eine Platte von Hartkautschuk); 2) dem Reibzeug, meist bestehend aus einem mit Zinkamalgam *) bestrichenen Lederkissen. Gewöhnlich bringt man zwei solche Kissen an, welche die Scheibe zwischen sich fassen und mittelst Federn und Schrauben gegen dieselbe gepresst werden; 3) dem Konduktor, d. h. einem durch Glasfüsse wohl isolirten Leiter (Kugel oder Zylinder mit abgerundeten Enden, von Metallblech oder auch von Holz und mit Stanniol beklebt), welcher die in der Glas-

*) Bunsen (Gasometrische Methoden 51) empfiehlt folgendes Verfahren zur Bereitung des sog. Kienmayer 'sehen Amalgams: Man erhitze 2 Teile Queck- silber in einem gewöhnlichen Probirgläschen und löse darin unter stetem Umrühren ein Teil klein zerteiltes dünnes Zinkblech und ein Teil Stanniol auf. Das er- haltene Amalgam schmelze man noch 6—8 Mal unter stetem Umrühren um, damit es recht geschmeidig werde, und streiche es auf ein Stück dickes Seidenzeug. Reibt man damit eine 2 Fuss lange und l'/j Zoll dicke Porzellanröhre, so erhält man binnen wenigen Secunden eine genügende Menge Elektrizität, um eine kleine Kleist- sche Flasche (Siehe § 11) stark zu laden. Beim Reiben lege man das Seidenzeug so um die Röhre, dass die reibende Fläche nur halb mit Amalgam bedeckt ist. Dies ist besonders nützlich zur Entzündung des Knallgases bei der Gasanalyse. (Vgl. § 16.) Neuerdings verwendet man jedoch hierzu statt der Kleist 'sehen Flasche die Entladungen eines Inductoriums (S. § 56 ff.).

Böttger (Journ. f. prakt. Chemie. 1869. S. 47) empfiehlt als wirksamstes Amalgam 2 Gewichtsteile chemisch reines Zink und 1 Teil Quecksilber. Das Zink wird in einem eisernen Löffel bis zum Fluss erhitzt und dann das Quecksilber vor- sichtig unter Umrühren mit einem irdenen Pfeifenstiel zugesetzt. Die erkaltete Masse wird in verschlossenen Gläsern aufbewahrt und vor dem Gebrauch im Por- zellanmörser zerkleinert und mit etwas Talg angerieben.

§10.

Kondensator.

15

Scheibe erzeugte Elektrizität aufnehmen soll. Dieser Konduktor ist mit einer Anzahl von Spitzen versehen, welche nahe an der Glas- scheibe stehen, da wo diese das Reibzeug verlässt. Ist nun das Reib- zeug zur Erde abgeleitet, und dreht man die Glasscheibe mittelst der Kurbel, so wird sie positiv elektrisch. Diese positive Elektrizität zieht in den ihr gegenüber stehenden Spitzen die negative Elektrizität aus dem Konduktor an und stösst die positive ab. Die negative Elek- trizität aber erlangt in den Spitzen nach den oben besprochenen Ge- setzen eine solche Dichte, dass sie den Widerstand der Luft über- windet, die dünne Luftschicht zwischen Spitze und Glas durchbricht, sich mit der positiven Elektrizität der Glasscheibe verbindet und diese neutralisirt. So wird die Glasscheibe immer wieder unelektrisch, um später durch die Reibung von Neuem elektrisch zu werden, während der Konduktor sich mit positiver Elektrizität ladet.

§ 10. Ein zweites wichtiges Instrument, das sich auf Verteilung gründet, ist der Kondensator, erfunden von Volta. Er dient dazu, kleine Mengen freier Elektrizität erkennbar zu machen, was bei vielen wichtigen Versuchen von grosser Bedeutung ist. Zu diesem Behuf verbindet man ihn mit dem oben beschriebenen Goldblattelektroskop. Berührt man den Knopf des letzteren mit einem Körper, welcher freie Elektrizität entliält, so nehmen die Goldblättchen eine bestimmte Elektrizitätsmenge auf, stossen einander ab und nehmen daher eine mehr oder weniger divergirende Stellung an. Berührt man den Knopf ableitend, so fallen sie wieder zusammen. Der Anteil von Elek- trizität, welchen die Goldblättchen aufnehmen, hängt ab von der Spannung der Elektrizität auf dem berührenden Körper und dem Ver- hältniss seiner Oberfläche zu der der Goldblättchen. Ist nun dieser Anteil sehr gering, so reicht er nicht aus, der Schwere entgegen die Goldblättchen zu einer merklichen Divergenz zu bringen. Nun wollen wir den Knopf des Elektroskops mit dem Kondensator (Fig. 4) verbinden. Dieser besteht aus zwei Platten von Metall, der unteren, auf einer isolirenden Glas- stange aufgestellten, welche auf ihrer oberen Fläche mit einer dünnen Schicht eines gut isolirenden Fir- nisses überzogen ist, und der oberen, welche auf ihrer oberen Fläche mit einem isolirenden Handgrifl' versehen ist. Setzt man die obere Platte auf die untere auf, berührt diese untere mit einem positiv ^''<.'/ -i-

16 Kondensator. Goldblatteleldrosliop. Kap. IL

elektrischen Körper, während man die obere in leitende Verbindung mit der Erde bringt, so nimmt die mitere Platte einen Ideinen Teil positiver Elektrizität auf. Diese zieht in der oberen Platte die negative Elektrizität an und stösst die positive Elektrizität ab, welche nach dem Erdboden entweicht. Die in der oberen Platte angezogene negative Elektrizität wirkt nun aber ihrerseits wieder anziehend auf die positive Elektrizität der unteren Platte und bindet sie, so dass diese keine freie Spannung erlangt. In Folge dessen kann die untere Platte noch mehr freie positive Elektrizität aus dem Leiter aufnehmen, diese zieht wieder die negative Elektrizität der oberen Platte an und stösst die positive ab, welche nach dem Erdboden entweicht u. s. f. Man sieht, dass auf diese Weise die untere Platte weit mehr Elek- trizität aus dem Leiter aufnimmt, als sie sonst tun würde, und dass in der oberen Platte eine entsprechende Menge Elektrizität von ent- gegengesetztem Vorzeichen gebunden sein wird. Hebt man nun die Verbindung der oberen Platte mit dem Erdboden auf und entfernt dieselbe mittelst des isolirendcn Handgriffes, so wird die ganze Elek- trizitätsmenge in der unteren Kondensatorplatte frei, und Avenn man diese mit dem Knopf des Goldblattelektroskopes in Berührung bringt, so weichen dessen Blättchen sehr beträchtlich auseinander.

Man kann auch die untere Kondensatorplatte unmittelbar auf der Metallstange des Goldblattelektroskopes festschrauben und erhält dami nach Ladung derselben ganz auf die oben beschriebene Weise und nach Ab- hebung der oberen Platte den verstärkten Ausschlag der Goldblättchen.

Mit Hülfe der verteilenden Wirkung der freien Elektrizität kann man auch sehr leicht entscheiden, von welcher Art eine irgendwie erzeugte Elektrizität ist. Wir berühren mit dem elektrischen Körper den Knopf des Elektroskops und die Goldblättchen divergiren. Wir nähern nun eine geriebene Glasstange dem Knopfe des Elektroskops langsam aus der Ferne und sehen die Divergenz der Goldblättchen entweder grösser oder kleiner werden. Im ersteren Falle muss die zu prüfende Elektrizität positiv, im letzteren negativ sein. Ist näm- lich das Elektroskop mit positiver Elektrizität geladen, so wird diese bei Annäherung des Glasstabes, welcher ja ebenfalls freie positive Elektrizität enthält, aus dem Knopf nach den Goldblättchen getrieben, hier wird also die Spannung vermehrt, und die Divergenz wächst. Ist jedoch das Elektroskop mit negativer Elektrizität geladen, so wird diese durch die positive Elektrizität des Glasstabes nach dem Knopfe hingezogen, in den Goldblättchen wird die Spannung ver- mindert, und die Divergenz nimmt ab.

§ 11. Kleist'sche Flasche. 17

§ 11. Auf demselben Princip wie der Kondensator beruht die Leydener oder Kleist'sche Flasche, mit Hülfe deren man be- trächtliche Elektrizitätsmengen ansammeln kann, um dann deren Wir- kung zu studiren. Sie besteht aus einer Flasche oder einem Glase, welches aussen und innen mit einer leitenden Substanz, etwa Stanniol, bis zu einer gewissen Höhe belegt ist. Der Rand ist ausserdem noch zur besseren Isolation mit Schellak überzogen und die innere Belegung läuft in einen in der Mitte des Glases stehenden und etwas über dessen Rand hervorragenden metallenen Knopf aus. Setzt man die äussere Belegung in Verbindung mit der Erde und legt den Knopf an den Konduktor der Elektrisirmaschine, so geht die positive Elektrizität auf die innere Belegung über, verteilt die natürliche Elektrizität der äusseren Belegung, zieht die negative an und stösst die positive ab, welche nach der Erde entweicht. Man ist somit im Stande auf der inneren Belegung grosse Mengen positiver und auf der äusseren eine entsprechende Menge negativer Elektrizität anzusammeln. Verbindet man dann die äussere und innere Belegung durch einen Leiter, so vereinigen sich die entgegengesetzten Elektrizitäten wieder in der Form des elektrischen Stromes, von welchem im folgenden Kapitel die Rede sein soll.

Um zu berechnen, wie stark die Ladung sein kann, die eine Leydener Flasche annimmt, nennen wir die der inneren Belegung zugeführte Elektrizitätsmenge + A. Diese hindet auf der äusseren Belegung eine Elektrizitätsmenge B. Da die beiden Belegungen um die Dicke der isolirenden Glasschicht von einander getrennt sind, so muss notwendig B absolut genommen etwas kleiner sein als +A. Wir wollen annehmen es sei = ^^/loo A. Dann bindet jedenfalls B auf der inneren Belegung eine positive Elektrizitätsmenge, welche absolut genommen gleich ist 'Vioo B' Es ist also auf der inneren Belegung an gebundener Elektrizität vor- handen ^Vino- "ViooA- = ^^"ViooooAj und an freier Elektrizität A ^^"'/lonooo -A- = ^'Vinoo -^) was nahezu '/30 A ist. Diese freie Elektrizität von A bindet nun wieder eine entsprechende Menge auf B und wird zum Teil von ihr gebunden u. s. f. Von der ganzen der inneren Belegung zugeführten Elektrizität wird also nur ein Teil frei sein, das Meiste gebunden. Die innere Belegung wird also viel mehr Elektrizität aufnehmen können, als ihr sonst vermöge ihrer Oberfläche möglich gewesen wäre. Das Verhältniss von B zu A, welches wir Beispiels halber gleich '^/loo annahmen, wird natürlich, alles andere gleichgesetzt, von der Dicke der isolirenden Substanz abhängen und sich um so mehr der Einheit nähern, je dünner diese ist. Die ganze Betrachtung ist natürlich auch für die Kondensatoren giltig.

Um sehr bedeutende Elektrizitätsmengen anzusammeln, muss man die Ober- flächen der Belegungen möglichst vergrössern. Da sehr grosse Flaschen ausser- ordentlich unbequem wären, so verbindet man die äusseren und inneren Belegungen mehrer Flaschen unter einander. Eine solche Anordnung nennt man eine elek- trische Batterie.

Kosentital u. Bernliiirdt, Hlektrizitiilslelirc. Ilf. AiiH 2

Holtz'sche Maschine.

Kap. IL

§ 12. Mit Hilfe der Verteilung kann man auch grosse Elek- trizität^mengen von bedeutender Spannung erzeugen. Hierzu dient am besten die von Holtz und unabhängig von ihm auch von Töpler fast gleichzeitig (1864) erfundene Influenz- oder Verteilungs- maschine, welche in Fig. 5 dargestellt ist. Sie besteht aus zwei parallel und möglichst nahe an einander aufgestellten Glasscheiben. Die eine von beiden ist fest und mit zwei diametral gegenüber stehen- den Ausschnitten versehen, an welchen gezahnte Papierstücke, die so-

genannten Belegungen, der Glasplatte angeklebt sind. Die zweite Glas- platte kann in schnelle Rotation um eine senkrecht zu beiden Platten stehende Axe versetzt werden. Den Belegungen der festen Scheibe gerade gegenüber stehen vor der beweglichen Scheibe zwei Einsauger e und f, ganz wie die bei den Elektrisirmaschinen üblichen einge- richtet. Die den Einsaugern gegenüber befindlichen Belegungen wollen wir mit e' und f bezeichnen. Teilen wir nun der einen Belegung, etwa e' eine geringe Menge positiver Elektrizität mit, so wirkt diese verteilend auf die bewegliche Glasscheibe und auf den Einsauger e. Auf den letzteren geht positive Elektrizität über, auf der beweglichen Glasscheibe aber sammelt sich negative an. Setzen wir nun diese in Drehung und kommt der betreffende Teil derselben vor die Belegung f, so geht' die negative Elektrizität zum Teil auf den Einsauger f, zum Teil auf die Belegung f' über. Dadurch ist also die Belegung

§ 12, 13. Elektrophor. 19

f negativ geladen worden. Diese negative Elelttrizität von f wirkt nun ihrerseits wieder auf die Glasscheibe und den Einsauger f, sie teilt diesem negative, der Glasscheibe aber positive Elektrizität mit, welche letztere nach einer halben Umdrehung wieder zum Teil auf die Belegung e', zum Teil auf den Einsauger e übergeht. A¥ie man sieht, verstärken also die beiden Belegungen ihre Spannung gegen- seitig, und dies hat nicht eher ein Ende, als bis das Maxiraum der Spannung erreicht ist, welches bei dem Isolationszustand der einzelnen Teile der Maschine möglich ist. Man kann dieses Maximum noch besonders erhöhen, indem man die Einsauger mit Leydener Flaschen verbindet.

Wie die auf die Einsauger e und f übergehenden Elektrizitäts- mengen sich ferner verhalten, wollen wir im nächsten Kapitel weiter untersuchen. (Vgl. § 15.)

§ 13. Das letzte Instrument, welches wir hier noch zu betrachten haben, ist der Elektrophor, mit dessen Hilfe man sich in Er- mangelung einer Elektrisirmaschine auf verhältnissmässig bequeme Weise grössere Elektrizitätsmengen verschaffen kann. Der Elektrophor besteht aus einer Platte von Harz, dem sogenannten Kuchen*), wel- cher in einer Metallbüchse, der Form, enthalten ist, und einer Metail- scheibe mit isolirendem Handgriff, dem Deckel, welcher jedoch einen geringeren Durchmesser haben muss, als der Kuchen. Man reibt diesen letzteren, welcher möglichst dünn sein muss, mit einem recht trockenen Katzenfell oder Fuchsschwanz, wodurch der Kuchen negativ elektrisch wird. Setzt man den Deckel auf den Kuchen, so dass er nirgends die Form berührt, so zersetzt die negative Elektrizität des Kuchens die natürlichen Elektrizitäten in Form und Deckel. In der Form häuft sich die positive Elektrizität an der oberen, dem Kuchen zuge- kehrten Seite an, die negative an der unteren, im Deckel ist es natürlich umgekehrt. Berührt man nun die Form ableitend, so ent- weicht deren negative Elektrizität nach dem Erdboden. Stellt man jetzt eine leitende Verbindung zwischen Form und Deckel her, so ver- bindet sich die negative Elektrizität des letzteren mit der positiven der ersteren, und der Deckel behält nur die durch den Kuchen ge-

*) Nach Berzelius besteht eine gute Kuchenmasse aus 10 Teilen Gummi- lack, 3 Teilen Harz, 2 Teilen venetianischem Terpentin, 2 Teilen Wachs und 72 Teil Pech. In neuerer Zeit wendet man wohl auch statt der Harzkuchen Platten von Hartkautschuk an. Die Form wird dann durch einen metallenen Teller ge- bildet, in welchem die Platte lient, kann aber auch ganz onlbohrt werden.

<.) *

•20 Elektrophor. Kap. IL

bundene positive Elektrizität. Sobald man nun den Deckel an seinem isolirenden Handgriff vom Kuchen abhebt, wird diese positive Elek- trizitcät frei und kann auf eine Leydener Flasche oder wohin man sonst will, übertragen werden. Indem man dieses Verfahren öfter wiederholt, kann man ganz beträchtliche Mengen positiver Elektrizität erhalten, ohne dass der Kuchen merklich von seiner Wirksamkeit verliert.

Man kann noch verschiedene Modificationen in dem beschriebenen Verfahren anbringen, so z. B. Form und Deckel einzeln ableiten, oder auch die Form ganz isoliren und nur den Deckel ableiten. Die Vorgänge hierbei ergeben sich einfach aus den Gesetzen der Verteilung. Beim Gebrauch des Elektrophors hat man be- sonders darauf zu achten, dass der Deckel niemals mit der Kante allein den Kuchen berührt, weil sonst an dieser Stelle die Dichte der positiven Elektrizität so gross werden würde, dass sie zum Kuchen übergehen und sich mit der negativen Elek- trizität desselben neutralisiren würde.

Bei den hier beschriebenen Apparaten kann man durch eine an- fänglich sehr kleine Elektrizitätsmenge eine sehr beträchtliche-hervor- bringen. Es leuchtet aber ein, dass diese letztere nicht aus Nichts hervorgebracht sein kann. Vielmehr sind alle diese Maschinen nur auf dem Princip der Erzeugung der Elektrizität durch mechanische Arbeit begründet. Beim Drehen der rotirenden Scheibe der Influenz- maschine, beim Heben des Deckels des Elektrophors muss man die anziehende Wirkung der entgegengesetzten Elektrizitäten überwinden, und die hierauf verwendete mechanische Arbeit wird in freie Elek- trizität verwandelt. In der Tat bedarf man zum Drehen der Scheibe bei der Influenzmaschine eine grössere Kraft, wenn dieselbe erregt ist, als wenn man sie in unerregtem Zustande dreht. Man kann aber auch umgekehrt mit dieser Maschine die elektrische Spannung in Arbeit verwandeln. Wenn man nämlich die Einsauger zweier solcher Maschinen durch Drähte verbindet und die eine durch Drehen in Tätigkeit setzt, so gerät die Scheibe der zweiten in Rotation.

In viel grossartigerem Massstabe treten dieselben Erscheinungen bei den dynamoelektrischen Maschinen auf, von welchen im achten Kapitel die Rede sein wird.

Kapitel III . Von den elektrischen Strömen und ihren Wirkungen.

§ 14. Wir haben bisher die Elektrizität nur im Zustande der Ruhe betrachtet, wo sämmtliche auf sie wirkende Kräfte sich im Gleichgewicht befanden. Jetzt wollen wir auf die Vorgänge eingehen, welche Statt haben, wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, und die elektrischen Teilchen sich in Bewegung setzen, um die neue, durch die veränderten Bedingungen ihnen zukommende Gleichgewichtslage aufzusuchen.

Setzt man einen mit positiver Elektrizität geladenen und isolirten Konduktor durch einen Leiter, beispielsweise einen Metalldraht in Ver- bindung mit der Erde, so wird der Konduktor unelektrisch, indem seine ganze Elektrizitätsmenge nach der Erde entweicht, wo sie wegen der unendlich grossen Oberfläche eine so geringe Dichte erlangt, dass sie unmerklich wird. Was ist nun in dem Leiter vorgegangen, wäh- rend sich die Elektrizität des Konduktors durch ihn hindurch nach der Erde hin bewegte ?

Um hierüber zu einer klaren Vorstellung zu gelangen, wollen wir uns den leitenden Draht denken als zusammengesetzt aus lauter pa- rallelen Scheiben oder Querschnitten, welche sämmtlich senkrecht auf der Längsaxe des Drahtes stehen, und welche wir der Reihe nach mit 1, 2, 3 u. s. f., vom Konduktor aus nach der Erde hin gezählt, bezeichnen wollen.

Im ersten Moment der Berührung wird die freie Elektrizität des Konduktors die natürlichen Elektrizitäten im Querschnitt 1 zer- setzen , die negative anziehen und die positive abstossen. Die ange- zogene negative Elektrizität wird sich mit einem Bruchteil der positiven Elektrizität des Konduktors verbinden und diesen neutralisiren ; der Konduktor hat also einen Teil seiner freien Elektrizität eingebüsst und

22 Ableitung zur Erde. Kap. III.

dafür ist der Querschnitt 1 mit einer gleiciien Menge positiver Elek- trizität geladen.

Im zweiten Zeitmoment wird nun die freie Elektrizität des Quer- schnittes 1 wieder verteilend wirken auf die natürlichen Elektrizitäten des Querschnittes 2, sie wird dessen negative Elektrizität anziehen und sich mit ihr neutralisiren, während der Querschnitt 2 mit positiver Elektrizität geladen bleibt.

Im dritten Zeitmoment wird sich zwischen dem Konduktor und dem Querschnitt 1, welcher ja jetzt wieder unelektrisch geworden ist, derselbe Vorgang wiederholen wie im ersten, und gleichzeitig wird zwischen dem Querschnitt 2 imd dem Querschnitt 3 dasselbe Statt finden, was im zweiten Zeitmoment zwischen den Querschnitten 1 und 2 Statt fand. Und so wird der Process immer weiter fortgehen und sich in jedem Zeitmoment auf einen Querschnitt mehr fortpflanzen, bis er an der Erde anlangt. Aus dieser wird der letzte Querschnitt negative Elektrizität aufnehmen, um sich mit ihr zu neutralisiren, die dadurch frei gewordene positive Elektrizität der Erde wird natürlich unmerklich sein. Da nun aber der letzte Querschnitt von dem vor- letzten wieder positive Elektrizität empßingt, dieser wieder vom dritt- letzten u. s. f., so wird der ganze Vorgang nicht eher ein Ende haben können, als bis sämmtliche freie Elektrizität vom Konduktor und dem Draht verschwunden und beide wieder unelektrisch geworden sind.

Wenn man sich imn die Querschnitte, in welche wir den Draht zerlegt haben, unendlich dünn und die einzelnen Zeitmomente unend- lich kurz denkt, so sieht man, dass der ganze Vorgang darin besteht, dass continuirlich freie positive Elektrizität in der Richtung vom Kon- duktor zur Erde, freie negative Elektrizität dagegen in der Richtung von der Erde zum Konduktor sich fortpflanzt. Dabei ist es ganz gleich- giltig, ob man sich vorstellt, wie wir getan haben, dass die in einem Querschnitt auftretende freie Elektrizität in diesem durch Verteilung von dem vorhergehenden Querschnitt entstanden ist, oder direkt von dem vorhergehenden auf diesen übergegangen, denn das " schliessliche Resultat bleibt dadurch ungeändert.

Denken wir mis aber den Konduktor statt mit positiver mit nega- tiver Elektrizität geladen, so wird der Vorgang ganz der nämliche sein, nur dass jetzt die negative Elektrizität in der Richtung vom Konduktor zur Erde, die positive dagegen von der Erde zum Kon- duktor sich fortpflanzt. Einen solchen Vorgang nun, in welchem sich die beiden Elektrizitäten mit gleichen Geschwindigkeiten in entgegen- gesetzter Richtung durch denselben Leiter bewegen, nennt man einen

§ 15. Eleldrischer Strom. Richtung desselben. 23

elektrischen Strom, imcl man nennt Riclitung des elektrischen Stromes diejenige, in welcher sich die positive Elektrizität fortpflanzt, indem es sich von selbst versteht, dass die negative sich dann in entgegengesetzter Richtung bewegen muss.

§ 15. Wenn wir nmi zwei Konduktoren nehmen, von denen der eine mit positiver, der andere mit einer gleichen Menge negativer Elektrizität geladen ist, und diese durch einen leitenden Draht in Verbindung setzen, so Avird in dem Draht wesentlich derselbe Vorgang stattfinden, als hätten wir jeden der Konduktoren einzeln mit der Erde in Verbindung gesetzt. Von der Seite des positiven Konduktors her wird durch die Verteilung von Querschnitt zu Querschnitt eine Bewe- gung der positiven Elektrizität vom Konduktor nach der Mitte des Drahtes zu und eine Bewegung der negativen Elektrizität von der Mitte nach dem Konduktor zu stattfinden; umgekehrt wird sich auf der Seite des negativen Konduktors die negative Elektrizität nach der Mitte zu, die positive dagegen von der Mitte nach dem Konduktor hin bewegen. In der Mitte selbst werden die von beiden Seiten kommen- den entgegengesetzten Elektrizitäten sich gegenseitig neutralisiren. Man sieht also, dass der elektrische Strom in beiden Hälften des Drahtes ein und dieselbe Richtung hat, nämlich von dem positiven nach dem negativen Konduktor hin.

Statt zweier einzelner mit positiver und negativer Elektrizität geladener Konduktoren kann man sich bei diesem letzten Versuche natürlich mit Vorteil einer Kleist'schen Flasche oder einer Batterie bedienen, da die beiden Belegungen einer solchen ja nur zwei Kon- duktoren vorstellen, welche ausserordentlich stark mit positiver und negativer Elektrizität geladen sind. In der Tat, wenn wir diese durch einen Leiter mit einander verbinden, so erhalten wir einen Strom von der positiven zur negativen Belegung und eines so erzeugten Stromes bedient man sich daher vorzugsweise zu den Versuchen über den elek- trischen Strom.

Am besten jedoch eignet sich zum Studium der elektrischen Ströme und ihrer Wirkungen die in § 12 beschriebene Holtz'sche .Maschine. Verbindet man die Einsauger e und f durch einen Draht und setzt die Maschine in Gang, so vereinigen sich die positive Elek- trizität von e und die negative von f sofort wieder miteinander und der Draht ist von einem stetigen elektrischen Strome, durchflössen. Wenn man aber die Drähte, die von e und f ausgehen, in zwei Knöpfen ausgehen lässt, und diese Knöpfe, nachdem die Maschine in

24 Elektrischer Funke. Kap. III.

Gang gesetzt worden, allmählich von einander entfernt, so kann die Elektrizität erst übergehen, wenn die Dichte auf den Knöpfen hin- reichend gross geworden ist, um den Widerstand der Luft zwischen den Knöpfen zu durchbrechen, und man erhält dann eine Reihe von einzelnen Entladungen oder Strömen, welche um so seltner auf ein- ander folgen, aber auch um so heftiger sind, je grösser die Entfernung der Knöpfe ist.

Man kann auch die Holtz'sche Maschine mit der Klei st 'sehen Flasche verbinden, und so noch heftigere Entladungen erzielen. Ver- bindet man nämlich die Einsauger e und f mit den beiden inneren Belegungen zweier Kl eist 'scher Flaschen, deren äussere Belegungen untereinander verbunden sind, während die Knöpfe der Einsauger in einer bestimmten Entfernung von einander stehen, so wird jede der beiden inneren Belegungen von der ihr zuströmenden Elektrizität des betreffenden Einsaugers geladen; die abgestossenen Elektrizitäten der äussern Belegungen neutralisiren sich dabei gegenseitig. Sobald die Ladung stark genug geworden ist, um den Widerstand der Luft zwischen den Elektroden zu überwinden, erfolgt die Entladung mit starkem Knall und Funken, während die auf den äusseren Belegungen frei gewordenen Elektrizitäten sich wiederum gegenseitig binden. Die Flaschen sind also entladen und der ganze Vorgang beginnt von neuem in derselben Weise. Je weiter die Knöpfe von einander entfernt sind, desto länger dauert die Ladung, desto heftiger ist aber auch die Ent- ladung der Flaschen.

§ 16. Die Wirkungen der elektrischen Ströme sind sehr mannichfaltige. Wir wollen hier eine kurze Uebersicht derselben geben, indem wir diejenigen, welche für unsere Zwecke ein besonderes Interesse haben, später noch ausführlich werden zu besprechen haben.

Wenn man eine Kleist 'sehe Flasche mit einem sog. Auslader, d. h. einem Bogen von Metall, welcher mit einem isolirenden Hand- griff versehen ist, entladet, indem man das eine Ende des Ausladers an die äussere Belegung bringt, und das andere der inneren Belegung allmählich nähert, so bemerkt man, dass wenn der Auslader dem Knopf der inneren Belegung bis auf eine bestimmte Entfernung sich genähert hat, plötzlich ein Funke überspringt, der je nach der Stärke der Ladung mehr oder weniger hell leuchtet und zugleich von einem Schall begleitet ist. Indem nämlich durch die Verteilung schon wäh- rend der Annäherung des Ausladers auf diesem sich die entgegen- gesetzte Elektrizität ansammelt, als auf dem Knopf der Flasche, er-

§ 16, Maassflasche. 25

langt die Elektrizität eine solche Dichte, dass sie endlich den Wider- stand der Luft überwindet, und diese unter Lichtentwickelung und Schallerregung durchbricht. Die Entfernung, bei der dies geschieht, nennt man die Schlagweite. Sie hängt natürlich von der Dichte der Elektrizitäten an den betreffenden Stellen ab.

Am besten bedient man sich zur Ladung und Entladung der Kl ei st 'sehen Flasche der im vorigen Paragraphen beschriebenen Ver- bindung der Flasche mit der Holtz'schen Maschine, indem die dort beschriebenen Knöpfe gleich die Rolle des Ausladers spielen. Man kann auf diese Weise eine Schlagweite von 10 20 Cm. mit verhält- nissmässig kleinen Apparaten erreichen.

Giebt man dem Auslader eine solche Einrichtung, dass man das eine seiner Enden in beliebiger Entfernung von dem Knopf der inneren Belegung feststellen kann, und führt dieser fortwährend Elektrizität zu (indem man sie mit dem Kon- duktor einer in Bewegung gesetzten Elektrisirmasehine verbindet), so erhält man natürlich jedesmal einen Funken und also auch einen Strom, sobald die Ladung diejenige Stärke erlaugt hat, welche der gewählten Entfernung entspricht. Auf diese Weise ist man im Stande, eine Anzahl Ströme von stets derselben Stärke nach einander zu erhalten. Eine solche Flasche nennt man eine L an e' sehe Maassflasche. Verbindet man die äussere Belegung einer isolirten Flasche oder Batterie mit der inneren Belegung einer Maassflasche, deren äussere Belegung zur Erde abgeleitet ist, so werden beide gleichzeitig geladen, sobald man der inneren Belegung der ersten Flasche oder Batterie Elektrizität zuführt. Die auf der äusseren Belegung dieser ersten abgestossene gleichnamige Elektrizität begiebt sich nämlich zur inneren Belegung der Maassflasche. Hat die Ladung in dieser eine bestimmte Stärke erreicht, so springt ein Funke über und die Maassflasche ent- ladet sich. Die Anzahl der überspringenden Funken ist also ein directes Maass für die Stärke der Ladung, welche man der ersten Flasche oder Batterie mitgeteilt hat.

Bringt man in der Leitung, welche die innere und äussere Be- legung verbindet, noch eine Unterbrechungsstelle an, so kann auch hier die Elektrizität mit Funkenbildung überspringen, wenn die Ent- fernung nicht zu gross ist. Schiebt man statt der Luftschicht irgend einen anderen Isolator ein, so wird dieser durchbrochen, falls die Ladung stark genug ist. Bringt man in die Unterbrechungsstelle einen leicht entzündbaren Körper, wie Aether, Schiesspulver u. s. w., so wird er entzündet. Knallgas verbindet sich, wenn der Funke durch- schlägt, sogleich zu Wasser.

Man benutzt dies bei der Gasanalyse zur Bestimmung des Sauer- stoffes oder Wasserstoffes. Um nämlich in einem Gasgeraenge deu 0-gehalt zu bestimmen, fängt man es über Quecksilber in einem graduirten Glasrohr auf, in welchem oben zwei Platindrähte einge- schmolzen sind, welche eine kleine Luftstreckc zwischen sich frei-

26 Wirldingen des Slroiiies. Kaj). III.

lassen. Ein .solches Glasrolir nennt man ein Eudiometer. Man fügt dann eine abgemessene Menge H zu und lässt einen elektrischen Funlvcn durchschlagen. 0 und H verbinden sich zu Wasser, und da dieses einen im Vergleich zu dem Knallgase, aus welchem es ent- standen ist, unendlich kleinen Raum einnimmt, so erfährt man aus der Volumensverminderung, welche das Gasgemenge erfahren hat (natürlich unter Berücksichtigung des Druckes, der Temperatur etc.), wieviel 0 in dem Gemenge enthalten war. Umgekehrt muss man, um den H-gehalt eines Gemenges zu bestimmen, 0 zufügen und dann verpuffen.

Wenn man die beiden Enden des Leiters nicht genau einander gegenüber- stellt und ein Kartenblatt dazwischen schiebt, so wird dieses an der Stelle durch- bohrt, wo die negative Elektrizität herkommt. Es ist dies also ein Mittel, um die Richtung eines Stromes zu bestimmen, wenn sie sonst unbekannt ist.

Schaltet man in die Leitung Glasröhren ein, in welchen die Luft sehr verdünnt ist, und leitet den Strom durch eingeschmolzene Metall- drähte ins Innere der Röhren, so geht er durch die verdünnte Luft und diese wird dabei glühend und leuchtet im Dunkeln, Man kann diese nach ihrem Erfinder als „Geissler'sche Röhren« bezeichneten Röhren mit verschiedenen Gasen füllen und man findet dann, dass jedes Gas mit einer Farbe leuchtet, welche bei der Zerlegung durch das Prisma für jedes Gas charakteristische Spektra giebt. Auch die Natur der eingeschmolzenen Metalldrähte hat jedoch auf das Spectrum Einfluss, indem sich unter der Einwirkung des Stromes etwas von dem Drahte verflüchtigt und ins Glühen geräth. Desshalb sind diese Geissler'schen Röhren sehr geeignet, um die charakteristischen Spektra der Substanzen zu untersuchen. Eigentümliche Formen der Geissler- schen Röhren hat Crookes bei seinen Versuchen über die sogenannte strahlende Materie benutzt.

Flüssigkeiten, welche den Strom leiten, wie Wasser, Säuren und Basen, Salzlösungen, werden durch den elektrischen Strom in ihre Bestandteile zerlegt. Die Gesetze dieser chemischen Wirkung des Stromes werden wir später genauer betrachten.

Leitet man den Strom durch feine Drähte, so werden diese er- wärmt und wenn der Strom stark ist, verbogen und zersplittert.

Leitet man den Strom durch Spiralen von Draht, in deren Inneren sich Nähnadeln befinden, so werden diese magnetisirt. Die Richtung der Magnetisirung ist nicht constant. Man kann daher dieses Mittel nicht zur Bestimmung der Stromesrichtung benutzen.

Leitet man den Strom bei einer Magnetnadel vorbei, so wird

§ 16. Wirklingen des Stromes. 27

diese abgelenkt, so dass sie sich senkrecht zur Richtung des Stromes zu stellen sucht. Von dieser Wirkung wird später ausführlich die Hede sein.

Leitet man den Strom durch den menschlichen Körper, so fühlt man einen erschütternden Schlag, welcher je nach der Stärke des Stromes mehr oder minder heftig ist. Ein in den Strom einge- schalteter Muskel gerät in Zuckung. Leitet man den Strom so durch den Körper, dass er in der Nähe des Auges ein- oder austritt, so sieht man einen Blitz. Von diesen und anderen physiologischen Wirkungen wird im zweiten Teil ausführlicher gehandelt werden.*)

*) Von einer Form des elektrischen Stromes muss hier noch besonders die Rede sein, weil sie zur Entdeckung der tierischen Elektrizität und der Elektrizitäts- erregang durch Kontakt Veranlassung gegeben hat. Nähert man nämlich einem mit der Erde in leitender Verbindung stehenden Konduktor A, einen anderen mit freier Elektrizität geladenen B , so wird in A die ungleichnamige Elektrizität an- gezogen, die gleichnamige abgestossen, welche nach der Erde entweicht. Entzieht man nun plötzlich dem Konduktor B seine Elektrizität, so wird die Elektrizität in A sich, da sie jetzt nicht mehr gebunden ist, mit der der Erde ausgleiclien, der Leiter also von einem Strom durchflössen werden. Diese Erscheinung wurde zuerst beim Gewitter beobachtet und mit dem Namen des Rückschlages bezeichnet. Denken wir uns nun den Leiter A durch einen Muskel ersetzt, so wird dieser jedesmal zucken, sobald B durch Berührung unelektrisch wird. Galvani, welcher diesen Vorgang zuerst beobachtete, glaubte die Ursache in einer den tierischen Teilen selbst innewohnenden Elektrizität suchen zu müssen. Durch seine und Volta's fernere Untersuchungen wurde diese Beobachtung die Quelle zweier grosser Wissenschaften, nämlich des in den folgenden Kapiteln zu besprechenden Galva- nismus und der Elektrophysiologie.

Kapitel IV.

Von der Elektrizitätserregung: durch Kontakt und den kontinuirlichen elektrischen Strömen.

§ 17. Wir haben bisher unter den Mitteln, die elektrischen Flüssigkeiten von einander zu trennen, nur die Reibung betrachtet. Indem wir einige andere als für unsere Zwecke weniger wichtig über- gehen, wenden wir uns jetzt zur Betrachtung der Elektrizitätserre- gung durch Kontakt. In der Tat genügt es, dass zwei Leiter, welche nicht homogen sind, einander berühren, um die natürlichen Elektrizitäten in ihnen zu zersetzen und den einen positiv, den anderen negativ elektrisch zu machen.

Man nehme eine Kupfer- und eine Zinkplatte, beide mit isoliren- den Handgriifen versehen und auf einer Seite glatt polirt, lege sie mit diesen Seiten auf einander und berühre die äusseren Flächen beider ableitend. Trennt man sie jetzt mittelst der isolirenden Hand- griffe und prüft sie einzeln am Elektroskop mit Hilfe des Konden- sators, so wird man die Zinkplatte positiv, die Kupferplatte negativ elektrisch finden. Es versteht sich von selbst, dass bei diesem Ver- suche die eine Kondensatorplatte von demselben Metalle sein muss, wie das, womit sie berührt wird, weil sonst schon durch diese Be- rührung Elektrizität frei würde.

Durch die Berührung beider Platten in diesem Versuch ist an der Berührungsfläche eine Scheidung der Elektrizitäten in beiden Platten vor sich gegangen. Man hat sich zu denken, dass die posi- tive Elektrizität der Zink- und die negative Elektrizität der Kupfer- platte nach der Berührungsfläche hingezogen worden sind und sich dort gegenseitig gebunden haben. Durch die ableitende Berührung wurden die frei gewordene positive Elektrizität der Kupfer- und die negative der Zinkplatte entfernt. Bei der Trennung der Platten wer-

§ 17, 18, Volta's Fundamentalversuch. Spannungsreihe. 29

den dann die früher an der Berührungsfläche sich bindenden Elek- trizitäten frei und können am Kondensator nachgewiesen werden.

Statt mit Zink und Kupfer kann man denselben Versuch auch mit anderen Leitern anstellen, immer wird der eine positiv, der andere negativ elektrisch werden. Nach Volta wird in der folgenden Reihe jeder Körper positiv, wenn er mit einem ihm in der Reihe folgenden berührt wird, und dieser selbst negativ, und zwar um so stärker, je weiter die beiden Körper in der Reihe auseinander stehen. Diese Reihe, welche man mit dem Namen der Spannungsreihe bezeichnet, lautet: Zink, Blei, Zinn, Eisen, Wismuth, Kupfer, Platin, Gold, Silber, Kohle, Reissblei, verschiedene Kohlenarten und krystallisirter Braunstein.

§ 18. Auch die Berührung fester Körper mit Flüssigkeiten be- wirkt eine Verteilung der Elektrizität; so werden alle Metalle, wenn sie in destillirtes Wasser oder verdünnte Säuren getaucht werden, negativ elektrisch, während die Flüssigkeit positiv elektrisch wird. Die Stärke dieser Wirkung ist bei verschiedenen Metallen und ver- schiedenen Flüssigkeiten verschieden. So wird Zink in verdünnter Schwefelsäure viel stärker negativ, als Kupfer. Stellt man nun ein Stück Zink und ein Stück Kupfer gleichzeitig in ein Glas mit ver- dünnter SchAvefelsäure, so überwiegt die positive Elektrizität, welche die Flüssigkeit in Berührung mit dem Zink annimmt, so über die negative Elektrizität, welche das Kupfer, wenn es allein in der Flüssig- keit wäre, annehmen würde, dass auch das Kupfer freie positive Elek- trizität annimmt. Diese wird aber vermindert um den Betrag der negativen Spannung, welche das Kupfer durch die Berührung mit der Schwefelsäure angenommen hat. Andererseits wird auch die negative Spannung des Zinks verringert durch die positive Spannung, welche die Schwefelsäure durch die Berührung mit dem Kupfer angenommen hat und welche sich von der Schwefelsäure auf das Zink ausbreitet. Es sei z. B. die negative Spannung, welche Zink in verdünnter Schwefel- säure annimmt, gleich 100, also die der Schwefelsäure gleich +100, ferner die Spannung des Kupfers in Schwefelsäure gleich 10, also die der Schwefelsäure -{-10, so wird also, wenn Zink und Kupfer zu- gleich in Schwefelsäure stehen, die Spannung des Kupfers sein müssen gleich 10-f 100 = -|-90, und ebenso die des Zinks gleich —100 -f 10 gleich —90.

Man nennt nun die Differenz der Spannungen, welche zwei Körper erlangen, wenn sie in einer und derselben Flüssigkeit stehen, die

30 Elel(tromotorische Kraft. Offene und geschlossene Kette. Kap. IV.

elektromotorische Kraft dieser Kombination. Man kann die Me- talle in eine Reilie ordnen, in welcher jedes mit einem ihm in der Reihe folgenden combinirt negativ elektrisch wird. Es versteht si(5h von selbst, dass eine solche Reihe nur für eine bestimmte Flüssigkeit Geltung hat. Kombinirt man die Metalle in einer andern Flüssigkeit, so ändern sich die Spannungen. Doch sind die Abweichungen in der Reihenfolge der Metalle nur unwesentlich. Für verdünnte Schwefel- säure ist nach Poggendorff s Versuchen die Spannungsreihe folgende: Zink, Zinn, Blei, Eisen, Kupfer, Silber, Platin, Kohle. Diese Reihe lehrt aber nicht blos die Art der Elektrizität kennen, welche an jedem der combinirten Metalle aultritt, sondern bezieht sich auch auf die Grösse der elektromotorischen Kraft einer solchen Korabination. Denn nach Poggendorff's Versuchen ist die elek- tromotorische Kraft zwischen zwei Gliedern der Reihe stets die Summe der elektromotorischen Kräfte aller zwischen ihnen in der Reihe befindlichen Glieder.

Die elektromotorische Kraft zwischen Zink und Kupfer ist, wie wir oben sahen, gleich 90. Die Spannung, welche Eisen in verdünnter Schwefelsäure an- nimmt, ist gleich 40. Mithin ist die elektromotorische Kraft zwischen Zink und Eisen gleich 100 40 = 60; und die zwischen Eisen und Kupfer gleich 40 10 = 30. Also ist die elektromotorische Kraft zwischen Zink und Eisen plus der elektromotorischen Kraft zwischen Eisen und Kupfer gleich der elektromotorischen Kraft zwischen Zink und Kupfer. Und dies gilt auch für alle ührigen Glieder der Spannungsreihe.

Eine solche Kombination von zwei Metallen in einer Flüssigkeit nennt man eine offene Kette. Verbindet man die beiden Metalle ausserhalb der Flüssigkeit durch einen Draht, so heisst die Kette ge- schlossen. Den die Metalle verbindenden Draht nennt man den Schliessungsbogen. In diesem Falle vereinigen sich die beiden entgegengesetzten Elektrizitäten durch den Draht hindurch mit ein- ander, dieser wird also von einem elektrischen Strom durchflössen. Während aber die durch Reibungselektrizität hervorgebrachten Ströme nur so lange andauern, bis die vorher auf den Konduktoren ange- sammelten Elektrizitäten sich neutralisirt haben, dauert bei den durch Kontakt verursachten Strömen die Ursache der verschiedenen Spannung der Metalle immer fort, wir erhalten also in dem sie verbindenden Leiter einen dauernden Strom, welcher nicht eher ein Ende hat, als bis die letzte Spur des einen Metalls von der Flüssigkeit aufge- löst ist. Man kann aber diese Ströme beliebig unterbrechen und wieder herstellen, wenn man die leitende Verbindung zwischen den Metallen unterbricht oder wieder herstellt. AVenngleich also die

§ 18. Richtung des Stromes. Pole der Kette. 31

Spannung, welche die Metalle in der Flüssigkeit erlangen, nur äusserst geringfügig gegen diejenige ist, welche man durch Reibung herstellen kann, wenn also auch in derselben Zeit sich sehr viel geringere Elek- trizitätsmengen durch den Schliessungsbogen bewegen, so sind doch viele Wirkungen der elektrischen Ströme mit Hilfe der Kontaktströme deutlicher und stärker zu erzielen, eben wegen ihres gleichmässigen Anhaltens. Uebrigens werden wir bald Mittel kennen lernen, die Wirkungen dieser Ströme wesentlich zu verstärken.

lieber die Richtung, welche der Strom im Schliessungsbogen hat, kann man nicht zweifelhaft sein, da er stets von dem in der Span- nungsreihe später stehenden Metall zu dem früher stehenden gerichtet sein muss. In der in Fig. 6 abgebildeten Kette sind Kupfer und Zink als die beiden Metalle gedacht; der Strom geht hier im Schliessungsbogen vom Kupfer zum Zink. Da nun aber durch die Wirkung des Kontakts fortwährend negative Elektrizität aus der Flüssigkeit zum Zink und positive Elektrizität vom Zink zur Flüssigkeit und von dieser zum Kupfer sich bewegt, so circulirt also auch in der Flüssigkeit ein Strom und zwar vom Zink zum Kupfer, also in entgegengesetzter Richtung als im Schliessungsbogen. Es ist dieser Umstand ein wichtiges Unterschei- dungsmerkmal zwischen den Kontakt- oder galvanischen Strömen und den durch Reibungselektrizität erzeugten, da die ersteren nur bestehen können in einem vollständig zum Kreise geschlossenen System von Leitern, während bei den durch Reibungselektrizität erzeugten Strömen die Leitung immer an einer Stelle durch einen Nichtleiter unter- brochen ist.

Um zu bezeichnen, dass der Strom im Schliessungsbogen die Richtung vom Kupfer zum Zink habe, nennt man das hervorragende Ende des Kupfers den posi- tiven, das des Zinks den negativen Pol. Da aber bekanntlich Zink in Be- rührung mit Kupfer positiv elektrisch wird, so nennt man das Zink das posi- tive und das Kupfer das negative Metall. Man darf sich hierdurch nicht irre führen lassen, sondern merke sich ein für alle Mal die Regel, dass in der Flüssig- keit der Strom stets vom positiven zum negativen Metall gerichtet ist, im Schliessungsbogen also umgekehrt, dass also das negative Metall stets den positiven Pol bildet.

Eine Kombination zweier Metalle in einer und derselben Flüssig- keit, wie sie Fig. 6 darstellt, nennt man eine einfache Kette. Man kann die Wirkung derselben aber wesentlich verstärken, wenn man eine Anzahl solcher Ketten zu einer zusammengesetzten Kette vereinigt, indem man immer den positiven Pol der einen Kette mit

32 Spannung im Schliessungsbogen. Kap. IV.

dem negativen der folgenden verbindet. Der negative Pol der ersten und der positive Pol der letzten bleiben dann frei. In diesem Zu- stande heisst die zusammengesetzte Kette offen. Es summiren sich dann die Spannungen, vv^elclic in jedem Element das Zink und das Kupfer erlangen, indem die Spannung eines jeden Elementes durch Leitung auch den benachbarten mitgeteilt wird, so dass die Pole der Kette eine viel grössere Spannung erlangen, als in einem Element allein. Verbindet man die freien Pole durch einen Schliessungsbogen, so kann man also in diesem einen stärkeren Strom erhalten.*)

§ 19. In einer offenen Kette, sei dieselbe nun eine einfache oder zusammengesetzte, hat jeder Pol freie Elektrizitcät von einer gewissen Spannung, und zwar ist diese, wie sich aus dem vorhergehenden er- gibt, an jedem Pol absolut genommen gleich, aber von entgegen- gesetzten Vorzeichen an beiden Polen. Verbindet man die Pole durch einen Schliessungsbogen, so gleichen sich die Spannungen durch den- selben ganz in derselben Weise ab, wie wir dies im dritten Kapitel bei den durch Reibungselektrizität erzeugten Strömen entwickelt haben, nur mit dem einzigen Unterschiede, dass die durch Abgieichung ver- loren gegangene elektrische Spannung durch die elektromotorische Kraft stets wieder erneuert wird. Es herrscht also an den beiden Polen stets eine bestimmte Spannung, wie sie der elektromotorischen Kraft der Kette entspricht, und die wir für den positiven Pol -f a, für den negativen Pol a nennen wollen. Die Spannung -f-a am positiven Pol wird in dem ihr zunächst gelegenen Querschnitte die natürlichen Elektrizitäten verteilen, sich mit der negativen vereinigen, die positive frei machen. Dadurch erhält also dieser Querschnitt ebenfalls freie positive Elektrizität. Diese freie Elektrizität des ersten Querschnittes wirkt nun wieder auf den zweiten verteilend, und dieser erhält wieder freie Elektrizität, und so fort in jedem folgenden Quer- schnitte. Ganz dasselbe findet natürlich auch mit der negativen Elek- trizität auf der Seite des negativen Poles statt. Der elektrische Strom kommt also hier ganz auf dieselbe Weise zu Stande, wie wir dies bei der Verbindung zweier mit entgegengesetzten Elektrizitäten geladenen Konduktoren gesehen haben und die beiden Elektrizitäten bewegen sich gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung durch den Schliessungs- bogen. Nun kann aber nicht auf allen Teilen des Schliessungsbogens

*) Ueber den Begriff der Stromstärke und über die Bedingungen, von denen sie abhängt, wird ausführlich im G. Kapitel gehandelt werden.

§19.

Spannung im Schliessungsbogen.

33

die gleiche Spannung herrschen. Viehiiehr wird der dem positiven Pole zunächst gelegene Querschnitt auf der einen Seite stets freie positive Elektrizität von der Spannung -\-'d empfangen, auf der anderen Seite stets einen Teil derselben an seinen Nachbarquerschnitt abgeben. Deshalb wird die Spannung in diesem Querschnitt also um einen ge- wissen Wert geringer sein als -f-a. Auf dieselbe Weise empfängt der zweite Querschnitt des Schliessungsbogens fortwährend freie posi- tive Elektrizität von dem ersten und gibt fortwährend wieder solche an den dritten Querschnitt ab, in ihm ist also die Spannung wieder geringer, als im ersten Querschnitt. Ganz dasselbe findet aber auch am negativen Pole mit der negativen Elektrizität statt. Wir kommen so zu dem Schlüsse, dass von den beiden Polen her auf dem Schliessungsbogen eine allmähliche Abnahme der freien Spannung stattfinden muss, auf der einen Seite der positiven, auf der anderen Seite der negativen Elektrizität und dass in der Mitte des Schliessungs- bogens die Spannung Null sein muss. Diese Folgerung kann auch experimentell bestätigt werden, wenn man mit genügend empfindlichen Elektrometern die einzelnen Punkte des Schliessungsbogens prüft.

Denken wir uns den Schliessungsbogen der Kette geradlmig aus- gespannt, so dass a, Fig. 7, den mit dem Kupferpol, b den mit dem

Fig. 7.

Zinkpol verbundenen Endpunkt des Schliessungsbogens vorstellt. AVir können dann die in den einzelnen Punkten des Schliessungsbogens vorhandenen Spannungen graphisch darstellen durch Linien, welche an diesen Punkten senkrecht auf ab gezogen werden und deren Längen

KosfiiitUal u. Hurn hardt. lili-ktriziliitslclin

34 Elektrisches Gefälle. Kap. IV.

den Spannungen entsprechen. Die positive Spannung im Punkte a wird also dargestellt durch die Linie ac. Am Punkte b herrscht die gleiche Spannung, aber in entgegengesetztem Sinne, sie ist negativ. Um dies anzudeuten, machen wir die Linie bd = ac, geben ihr aber die entgegengesetzte Richtung, d. h. wir zeichnen sie nach abwärts, während wir ac nach aufwärts gezeichnet haben. An einem andern Punkte des Schliessungsbogens, in e, herrscht eine positive Spannung, welche kleiner ist als die in a; sie wird dargestellt durch die Linie ef. Im Punkte g herrscht eine gewisse negative Spannung gh, die kleiner ist als bd. Verbinden wir die Endpunkte aller dieser die Spannungen ausdrückenden Linien, so erhalten wir die schräge Linie cfohd.

Wenn der Schliessungsbogen in seiner ganzen Länge vollkommen gleichmässig beschaffen ist, so nehmen die Spannungen von a nach b hin vollkommen gleichmässig ab; die Linie cd wird dann eine gerade Linie sein und wird ab genau in der Mitte schneiden. In diesem Punkte ist die Spannung = Null.

Diese allmähliche Abnahme der Spannungen im Schliessungsbogen können wir auch als die eigentliche Ursache der Bewegung der Elek- trizität ansehen. Denn an jeder Stelle des Schliessungsbogens stossen Teile aneinander, in denen die Spannung rechts immer weniger positiv ist als links, und so wird die positive Elektrizität veranlasst, nach rechts hin zu strömen. Ebenso ist in jedem Punkte des Schliessungs- bogens die negative Spannung links immer geringer als rechts, und so wird die negative Elektrizität veranlasst, nach links hin zu strömen. Und diese gleichzeitige Bewegung der beiden Elektrizitäten in ent- gegengesetzten Richtungen macht ja das aus, was wir als elektrischen Strom bezeichnet haben.

Die hier eingeführte Darstellung der Spannungen im Schliessungs- bogen erinnert an die Verhältnisse, welche beim Strömen einer Flüssig- keit in einer Röhre stattfinden, wo der hydrostatische Druck gleich- falls allmählich von einem Ende der Röhre zum andern hin abnimmt. Wegen dieser Aehnlichkeit können wir auch für die elektrische Strö- mung einen Ausdruck benutzen, welcher von der Hydrodynamik ent- lehnt ist, indem wir die allmähliche Abnahme der Spannungen im Schliessungsbogen als das elektrische Gefälle bezeichnen.

§ 20. Hat man eine Kette zusammengestellt und schliesst und öffnet dieselbe, indem man den Schliessungsbogen aus zwei Teilen macht, die man mit einander in Berührung bringt und wieder von einander trennt, so sieht man bei der Trennung einen Funken, aller-

§ 20. Wirkung des Stromes auf die Magnetnadel. 35

dings von viel geringerer Intensität, als bei den dureli Reibungselek- trizität entstehenden. Am hellsten noch wird der Funke, Avenn die Schliessung und Oeffnnng in Quecksilber geschielit, indem man den einen Leitungsdraht des Schliessungsbogens in Quecksilber leitet, und den andern abwechselnd in dasselbe eintaucht und heraushebt. Das Quecksilber verbrennt dabei und bedeckt sich an der Stelle, wo der Draht öfter herausgehoben wird, mit einer Oxydschicht. Dass bei der Annäherung der Leitungsdrähte aneinander kein Funke auftritt, hat seinen Grund in der zu geringen Spannung. Zusammengesetzte Ketten von tausend und mehr Elementen geben auch starke Schliessungs- funken.

Leitet man den Strom mittelst eines gerad ausgespannten Drahtes parallel unter oder über einer Magnetnadel fort, so sieht man, dass diese abgelenkt \nvä., und zwar je nach der Stärke der Wirkung um einen geringeren oder grösseren Winkel, bis sie zuletzt senkrecht auf der Richtung des Stromes steht.

Die Richtung der Ablenkung ist aber gerade die entgegengesetzte, wenn man den Strom über, als wenn man ihn unter der Nadel fort- leitet und ebenso kehrt sich die Richtung der Ablenkung um, wenn man bei unveränderter Lage des Stromes zur Nadel, die Richtung des Stromes in dem Drahte umkehrt, indem man das Ende, welches mit dem positiven Pole in Verbindung war, mit dem negativen verbindet und umgekehrt. Um nun für jede Riclitung des Stromes und jede Stellung der Nadel zu demselben leicht die Richtung der Ablenkung zu finden, ist die Ampere' sehe Regel sehr bequem. Danach soll man sich denken, es sei eine menschliche Figur in den Strom einge- schaltet und zwar so, dass dieser zu den Füssen ein und zum Kopf wieder austritt, und es habe diese Figur ihr Gesicht der Nadel zuge- wandt, dann wird stets der Nordpol der Nadel nach der Linken der Figur hingedreht. Es ergibt sich aus dieser Regel, dass die einzelnen Teile eines Stromes, welcher im Kreise um eine Nadel herumgeleitet wird, alle in gleichem Sinne ablenkend auf die Nadel wirken, sich also in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Ist nun der Strom an sich zu schwach, um eine merkliche Ablenkung hervorzubringen, so muss die Wirkung wesentlich verstärkt werden, wenn man denselben in mehrfachen Windungen wiederholt um die Nadel herumführt. Man hat nur dafür zu sorgen, dass der Strom alle Windungen nacli einander durchfliesst, und nicht von einer auf die andere überspringt, indem man den leitenden Draht mit einer nicht leitenden Hülle

36 Multiplikator. Kap. IV.

umgibt. *) Ein solches Instrument, welches zur Erkennung schwacher Ströme und zur Bestimmung ihrer Richtung dient, nennt man dann einen Multiplikator, weil die Wirkung des Stromes auf die Nadel durch die vielen Windungen vervielfältigt wird. Um die Nadel recht beweglich zu machen, hängt man sie an einem Kokonfaden auf. Bei einer späteren Gelegenheit wird über den Bau dieses Instrumentes noch ausführlicher die Rede sein.

*) Man wendet zu diesem Zwecke mit Seide besponnene Drähte an, welche ausserdem noch mit einem gut isolirenden Firniss überzogen werden. Für ge- wöhnliche Versuche reicht es aus, wenn die Leitungsdrähte mit in Wachs getränkter Baumwolle besponnen sind. Für sehr starke Ströme, wo die Isolirung sehr gut sein muss, umkleidet man die Drähte mit einer Hülle von Guttapertscha oder steckt sie in Kautschukschläuche.

Kapitel V.

Von der Elektrolyse, der galvanischen Polarisation und den konstanten Ketten.

§ 21. Lässt man die Leituiigscirälite des Scliliessuiigsbogens in Platinbleclie enden und taucht diese in ein Glas mit Wasser, so geht der Strom durch das Wasser, da dieses ein Leiter ist. Man sielit dann an den Platinblechen Gasblasen aufsteigen, welche man in um- gestülpten mit Wasser gefüllten Glocken auffangen kann. Ihre Unter- suchung lehrt, dass am positiven Pol Sauerstoff, am negativen Pol Wasserstoff entwickelt wird, und beide in dem Verhältniss, in welchem sie im Wasser enthalten sind, nämlich zwei Volume Wasser- stoff auf ein Volum Sauerstoff.

Während also der elektrische Strom durch das Wasser hindurch- geht, zerlegt er dasselbe in seine Bestandteile und diese treten im freien Zustande da auf, wo der Strom in das Wasser ein- oder aus demselben austritt.

Wie das Wasser verhalten sich auch andere zusammengesetzte Flüssigkeiten, welche den Strom leiten, wie Lösungen von Salzen und dergleichen. Leitet man den Strom durch eine Salzlösung, so scheidet sich das Metall am negativen, die Säure am positiven Pol aus. Ersteres lagert sich am negativen Pol ab, während der positive Pol, wenn er durch Säure angreifbar ist, aufgelöst wird. Leitet man den Strom durch Jodkalium, so wird Jod am positiven Pole ausgeschieden. Hat man das Jodkalium mit Stärkekleister versetzt, so entsteht am posi- tiven Pole ein intensiv blauer Fleck, was man zur Erkennung elek- trischer Ströme und ihrer Richtung benutzen kann.*)

*) Zu diesem Zweck tränkt man Fliesspapierstreifcn mit dünnem Stärkekleister, welchem man etwas Jodkalium zugesetzt hat, und trocknet sie. Zum Gebrauch befeuchtet man einen solchen Streifen, legt ihn auf eine Glasplatte und setzt die Drähte, welche den Strom zuleiten, nahe nebeneinander auf das Papier,

38 Elektrolyse. Theorie von Grotlhuss. Kap. V.

Um Ulis nun fernerhin verständlicli zu machen, müssen wir hier die Namen angeben, welche Faraday in diesem Zweige der Elelv- trizitätslehre eingeführt hat, und deren wir uns fortan bedienen wollen. Die Körper, welche durch den Strom zersetzt werden, nennt man Elektrolyt e, die metallischen Enden des Leitungsdrahtes, durch welche der Strom in den Elektrolyten ein- und aus demselben aus- tritt, die Elektroden (gleichsam Wege oder Tore der Elektrizität), und zwar heisst die Elektrode, von welcher der Strom in den Elek- trolyten übertritt, die Anode, die andere dagegen die Kathode. Die Bestandteile des Elektrolyten nennt man Ionen, und zwar Anion denjenigen, welcher an der Anode, Kation denjenigen, welcher an der Kathode auftritt.

Um sich nun eine Vorstellung von der Ursache der Elektrolyse zu machen, kann man sich nach Grotthuss im Zusammenhang mit der elektrochemischen Theorie vonBerzelius denken, dass in einem zusammengesetzten Körper stets der eine Bestandteil positiv, der andere negativ elektrisch sei. Wird nun ein Strom durch den Elek- trolyten geleitet, so ist seine erste Wirkung die, dass er die Bestand- teile desselben so richtet, dass alle positiven nach der Kathode, alle negativen nach der Anode hinsehen. In Figur 8 stellt A die Anode,

K die Kathode vor, der Pfeil deutet die Richtung des Stromes an. Von den Bestandteilen des Elektrolyten nun, als welcher hier Wasser ge- dacht ist, sind alle Sauerstoflfteil- chen negativ, alle Wasserstoflfteil- chen hingegen positiv elektrisch. r,. o Der Strom richtet sie daher so,

th(J. o.

dass die Wasserstoffteilchen nach der Kathode, die Sauerstoffteilchen nach der Anode hinsehen. Nun •zieht die Anode das negative Sauerstoffteilchen des Wassermoleküls 1 an und dieses wird frei. Das erste Wasserstoffteilchen reisst nun das zweite Sauerstoff'teilchen an sich, das zweite Wasserstoffteilchen das dritte Sauerstoffteilchen und so fort, bis das letzte Wasserstoffteilchen endlich von der Kathode angezogen wird. Es ist also an der Anode ein Atom Sauerstoff und an der Kathode ein Atom Wasserstoff frei geworden, zugleich aber sind jetzt die positiven Wasserstoffmoleküle der Anode und die negativen Sauerstoffmoleküle der Kathode zuge- wandt. Diese Anordnung kann aber nicht bestehen, sondern die Teilchen drehen sich wieder so, dass alle Sauerstoffteilchen nach der

§ 22, 23.

Voltanietor.

39

Aliode und alle Wasserstoffteilclien nach der Kathode hin gerichtet sind, worauf die nämliche Zerlegung und Wiedervereinigung beginnt, wie vorlier, und so fort bis alles Wasser zersetzt ist.

§ 22. Aus je mehr Elementen die Kette zusammengesetzt ist, deren Strom man durch den Elektrolyten sendet, um so lebhafter kann die Zersetzung sein. Sammelt man also die Zersetzungsprodukte, so kann man aus der Menge derselben, welche in einer bestimmten Zeit entwickelt werden, einen Schluss auf die durch die Flüssigkeit gegangene Elektrizitätsmenge machen. Ein solcher Zersetzungsapparat führt den Namen Voltameter. Figur 9 stellt ein solches dar. Das Glas b ist luftdicht mit einem Deckel verschlossen, durch welchen zwei gut isolirte Drähte gehen, an deren jedem im Inneren des Glases eine Platinplatte ange- lötet ist, und ausserdem das doppelt gebogene Rohr C. Das Glas wird mit Wasser gefüllt, welchem man, damit es besser leite, etv^as Schwefelsäure zusetzt. Leitet man einen Strom durch das angesäuerte Wasser, indem man die Drähte m und n mit den Polen der Kette verbindet, so wird das Wasser zersetzt, das ent- wickelte Knallgas geht durch das Rohr C, und kann in einer Glocke aufgefangen und gemessen werden.

Eine andere Art von Voltameter beruht darauf, dass man den Strom mittelst Kupferplatten durch eine gesättigte Lösung von schwefel- saurem Kupfer leitet. Es lagert sich dann auf der die Kathode bildenden Platte metallisches Kupfer ab, während ein entsprechender Teil der Anode durch die dort frei werdende Säure aufgelöst und so die Flüssigkeit stets concentrirt erhalten wird. Wägt man dann die Kathode, so erfährt man durch die Gewichtszunahme, wie viel Kupfer während der Versuchszeit niedergeschlagen, also auch, Avie viel Kupfer- vitriol zersetzt worden ist.

Fi

§ 23. Schaltet man zwei solche Voltameter hintereinander in den Schliessungsbogen einer und derselben Kette ein, wobei also ein und derselbe Strom durch beide Voltameter geht, so zeigt sich, dass die Menge des zersetzten Wassers und die Menge des in derselben Zeit

40 . Gesetz der festen elektroly tischen Aktion. Kap. V.

zersciztcn KupfeiTÜriols sich vorhalten, wie die Atomgewichte dieser Zahlen, oder mit anderen Worten, dass in der nämlichen Zeit für je ein Atom freigewordenen Wasserstoifes in dem einen Voltameter genau ein Atom Kupfer in dem anderen gefällt worden ist. Dieses soge- nannte Gesetz der festen elektrolytischen Aktion ist nach den Untersuchungen Faraday's für alle anderen Verbindungen ebenfalls giltig. Nun ergibt aber eine einfache Betrachtung, dass durch die verschiedenen Teile eines und desselben Kreises stets gleiche Elek- trizitätsmengen hindurchpassiren müssen, weil ja sonst an einzelnen Stellen eine Stauung oder Anhäufung freier Elektrizität stattfinden müsste, was doch nicht der Fall ist. Wir können daher jenes Gesetz auch so aussprechen: Gleiche Elektrizitätsmengen zersetzen, wenn sie durch einen Elektrolyten gehen, eine gleiche Anzahl Atome desselben, oder was dasselbe ist, die zersetzten Mengen eines Elektrolyten sind den durch denselben hindurchgegangenen Elektrizitätsmengen direkt proportional.

Auf diese Weise sind wir also in den Stand gesetzt, mit Hilfe des Voltameters die Elektrizitätsmengen, welche eine Kette in einer bestimmten Zeit durch einen Schliessungsbogen sendet, zu messen. Wir können diese direkt mit einander vergleichen, indem wir irgend eine beliebige Einheit festsetzen, und so wollen wir vorläufig die Ein- heit der Elektrizitätsmenge diejenige nennen, welche in einer Minute ein Cubikcentimeter Knallgas entwickelt.

§ 24. Wenn wir nun den Strom einer Kette durch das in Figur 9 abgebildete Voltameter leiten und die Gasentwicklung beob- achten, so werden wir finden, dass dieselbe schnell abnimmt und zu- weilen bald ganz aufhört. Auch wird, wenn der Strom gleichzeitig durch einen Multiplikator geleitet wird, die Ablenkung der Magnet- nadel schnell geringer und kann zuletzt ganz Null werden. Es sind also die in gleichen Zeiten durch den Schliessungsbogen geschickten Elektrizitätsmengen immer kleiner geworden, je länger die Kette ge- schlossen blieb. Oeflfnen wir jetzt die Kette und lassen sie längere Zeit offen stehen, so werden wir ganz denselben Vorgang erfolgen sehen, wenn sie wieder geschlossen wird, d. h. unmittelbar nach der Schliessung wird die entwickelte Gasmenge wieder bedeutend und die Ablenkung der Magnetnadel wieder gross sein, und beide werden allmählich wieder abnehmen, wenn die Kette dauernd geschlossen bleibt.

Welches ist die Ursache dieser Inkonstanz der Kette? Sie kann in der Kette selbst, oder im Voltameter oder in beiden zugleich

§ 24, 25. Galvanische Polarisation. Akl(umulatoren. 41

iliren Sitz haben. Prüfen wir zunächst das Voltameter. Wir lassen den Strom einige Zeit hindurchgehen und verbinden dann schnell die Drähte des Voltameters mit einem Multiplikator. Wir werden finden, dass die Nadel desselben abgelenkt wird und einen Strom anzeigt, welclier im Voltameter gerade die entgegengesetzte Richtung hat, als der ursprüngliche Strom der Kette. Da dieser Strom vor der Ver- bindung des Voltameters mit der Kette nicht vorhanden war, so muss er erst durch die Wirkung des Stromes hervorgerufen worden sein. Die Ursache kann nun füglich in nichts Anderem liegen, als in der elektrolytischen Wirkung des Stromes. In Folge dieser ist nämlich die eine Platinplatte des Voltameters, welche als Anode gedient hat, mit Sauerstoif, die andere, welche als Kathode gedient hat, mit Wasser- stoff bedeckt. Nun lässt sich aber nachweisen, dass eine Platinplatte mit Sauerstoff und eine Platinplatte mit Wasserstoff bedeckt, wenn sie in demselben Wasser stehen, entgegengesetzte elektrische Spannun- gen annehmen und zwar so, dass die mit Sauerstoff bedeckte zum negativen Metall wird , dass also der Strom in der Flüssigkeit von der mit Wasserstoff bedeckten zu der mit Sauerstoff bedeckten hin gerichtet ist. Es ist also gerechtfertigt, den im Voltameter auftreten- den Strom auf diesen Umstand zu schieben, und es ist auch durch vielfache Versuche von verschiedenen Forschern bewiesen worden, dass die Gase wirklich die Ursache dieser Ströme sind.

§ 25. Man nennt die solcher Gestalt durch die Wirkung des Stromes auftretenden Ströme sekundäre oder Polarisationsströme, weil die ursprünglich ganz gleichartigen Elektroden des Voltameters durch den Strom polarisirt, d. h. in den Stand gesetzt sind, selbst die Pole einer Kette zu bilden und einen Strom zu erzeugen.

Man kann auf diese Weise sogar sehr starke sekundäre Ströme erzeugen und hat dies benutzt, um sogenannte Sekundärbatterien oder Akkumulatoren herzustellen, in denen man die elektrische Wirkung einer Stromquelle ansammeln und dann an einem andern Ort und zu andrer Zeit benutzen kann. Taucht man zwei Bleiplatteh in verdünnte Schwefelsäure und leitet durch dieselbe einen kräftigen Strom, so entwickelt sich an der einen Platte Sauerstoff und dieser verbindet sich mit dem Blei und bildet Bleisuperoxyd, welches die Platte in Gestalt eines braunen Ueberzuges bedeckt. Verbindet man dann die beiden Platten durch einen äusseren Schliessungsbogen, so entsteht ein Strom, welcher in dem Element die entgegengesetzte Richtung hat als der zur Ladung benutzte; dabei wird das Bleisuper-

42 Sekundäre Ströme. Konstante Ketten. K.ip. V.

oxyd wieder zu Blei reducirt, das Element entladet sich und kann durch einen neuen Strom von neuem geladen werden. Eine noch bessere Wirkung erzielt man dadurch, dass man die Bleiplatten mit einer Schicht von Mennige überzieht, welches durch die Ladung in Bleisuperoxyd verwandelt wird. Solche Ladungs- oder Sekundär- elemente können von Nutzen sein, wenn man einen starken Strom für kurze Zeit gebraucht, z. B. um einen Draht glühend zu machen (zur Galvanokaustik). Man kann das geladene Element an den Operationsort mitnehmen, was bequemer ist als eine starke Batterie dort aufzustellen.

Ein solcher sekundärer Strom entsteht auch im Voltameter, wenn man Wasser in ihm zersetzt, wobei sich das Wasserstoflfgas an der negativen, das Sauerstoifgas an der positiven Elektrode ausscheidet. Da dieser sekundäre Strom dem primären entgegengesetzt gerichtet ist, so muss er diesen natürlich schwächen oder ganz aufheben.

Die Bedingungen zur Polarisation sind aber in der Kette selbst ebensogut gegeben als im Voltameter. Denn da die Flüssigkeit der Kette ebenfalls ein Elektrolyt ist, so wird auch sie zersetzt und die Metalle der Kette werden polarisirt. In der Tat, wenn man die Kette ohne Voltameter nur durch den Multiplikator schliesst, sieht man die Ablenkung der Nadel ebenfalls, wenn auch etwas langsamer, abnehmen und zuletzt Null werden.

§ 26. Es entsteht also zunächst die Aufgabe, sich Ketten zu verschaffen, welche von diesem Fehler frei sind, welche ihre Wirkung lange Zeit hindurch in gleichem Maasse behalten. Diese Aufgabe löste zuerst Daniell. Später wurden noch andere konstante Ketten konstruirt, von denen wir die wichtigsten hier beschreiben wollen.

In der Daniell' sehen Kette sind Zink und Kupfer die erregen- den Metalle. Um nun die Polarisation zu vermeiden, sind diese beiden Metalle in zwei verschiedene Flüssigkeiten gesetzt, deren Vermischung durch eine poröse Scheidewand verhindert wird, wälirend die Leitung der Elektrizität durch sie nicht gehemmt wird.

Die Flüssigkeiten sind auf Seiten des Zinks verdünnte Schwefel- säure und auf Seiten des Kupfers eine gesättigte Lösung von schwefel- saurem Kupfer. Da nun in dieser Kombination der Strom in den Flüssigkeiten vom Zink zum Kupfer geht, so wird am Zink Sauerstoff frei , welcher das Zink oxydirt , das Zinkoxyd verbindet sich mit der Schwefelsäure, und das so entstehende Zinksalz löst sich in der Flüssig-

§26.

Daniell'sche Kette. Grove'sche Kette.

43

koit auf. Am Kupfer wird Wasserstoff abgeschieden und Kupferoxyd aus der Zersetzung des Kupfersalzes. Der Wasserstoff reducirt sogleich das Kupferoxyd, verbindet sich mit dem Sauerstoff desselben zu Wasser, und das metallische Kupfer lagert sich auf der Kupferplatte ab, Avelche so stets mit einer Schicht frischen Kupfers überzogen bleibt. Um die Kupfervitriollösung stets concentrirt zu erhalten, legt man in die Flüssigkeit einige Kry stalle dieses Salzes oder, was besser ist, man hängt in dieselbe ein mit pulverisirtem Kup- fervitriol gefülltes Florbeutelchen.

Fig. 10 zeigt die Anordnung einer Daniell'schen Kette, wie sie jetzt gebräuchlich ist, im Durchschnitte. Das Glas A enthält die Lösung des schwe- felsauren Kupfers und das zylinder- förmig zusammengerollte Kupferblech K. Im Inneren des Glases steht ein unten geschlossener Zylinder von po- röser Tonmasse, welcher mit verdünnter Schwefelsäure gefüllt ist und den Zink- zylinder Z aufnimmt. Die an dem Kupfer und dem Zink angelöteten Drähte dienen zur Ableitung des Stromes.

Die konstante Kette von Grove ist in Fig. 11 abgebildet. In ihr sind Zink und Platin die erregenden Metalle , das Zink steht wiederum in verdünnter Schwefelsäure, das Platin in rauchender

Fig. 10.

Fig. 11.

Fig. 12.

44 Bimsen sehe Kette. Leclanche'sclie Kette. Kap. V.

Salpetersäure. Die letztere ist im Ton/yünder enthalten, und dieser mit einem möglichst luftdicht schliessenden Deckel versehen, an wel- chem das Platinblech befestigt ist. Letzteres pflegt zur Vergrösserung der Oberfläche S-lörmig gekrümmt zu sein, wie Fig. 12 (s. vor. S.) zeigt. Die Konstanz der Kette kommt hier dadurch zu Stande, dass der galvanisch ausgeschiedene Wasserstoff die Salpetersäure zu salper triger Säure reducirt, und sich mit dem Sauerstoff zu Wasser ver- bindet. Am Zink ist der Vorgang genau derselbe, wie bei der D an ieir sehen Kette.

Die B uns en'sche Kette unterscheidet sich von der Grove'schen nur dadurch, dass statt des Platins eine feste Kohle angewandt wird, welche man aus der in den Gasretorten zurückbleibenden Coake bereitet.

In neuerer Zeit sind mehrere Modifikationen der genannten Ketten und andere Kombinationen angegeben worden, deren Zweck haupt- sächlich ist, das jedesmalige Auseinandernehmen der Ketten nach dem Gebrauch unnötig zu machen. Dahin gehören z. ß. die von Mei- dinger und die von Siemens und Halske angegebenen Modifikationen der D an ieir sehen Kette. In letzterer, welche für den medizinischen Gebrauch Anwendung gefunden hat, ist die Tonzelle durch eine dicke Scheidewand von vegetabilischem Pergament ersetzt, welche nur eine sehr langsame Diffusion gestattet, so dass ein Ueberwandern der Kupfervitriollösung zum Zink unmöglich ist. Man kann diese Kette viele Wochen gebrauchen, wenn man nur das verdunstende Wasser ersetzt und von Zeit zu Zeit neue Krystalle von Kupfervitriol zufügt.

§ 27. Die Kette von Leclanche besteht gleichfalls aus Zink und Kohle wie die von Bunsen. Die Kohle steht innerhalb einer Tonzelle und ist mit einer Mischung von kleinen Stückchen Retorten- kohle und Braunstein umgeben; die Tonzelle ist "oben bis auf ein kleines Loch durch Pech verschlossen. Das Zink umgibt entweder die Tonzelle in Form eines Zylinders oder besteht nur aus einem zylindrischen Stab, der in einer Ecke des quadratischen Glasgefässes steht. In das Glasgefäss giesst man bis etwa zur halben Höhe der porösen Zelle eine konzentrirte Lösung von Salmiak (Chlorammonium, NH4CI), welche in die Zelle und das Kohlen -Braunsteingemisch ein- dringt.

In neueren Formen dieses Elements wird auch die Tonzelle ganz fortgelassen. Die Mischung von Kohle und Braunstein ist dann in Form von Platten gepresst, welche die Kohlenplatten zwischen sich

§28.

Bunsen'sches Chromsäureelement.

45

Fig. 13.

fassen und mit dem durch einen Holzstab getrennten Zinli durch Kautscluikringe zusammengehalten werden. Ein solches Element ist in Fig. 13 dargestellt.

Die Vorteile dieses Elements bestehen hauptscächlich in dem Mangel von Säuren und lästigen Dämpfen und seiner langen Dauer. So lange der Strom ungeschlossen bleibt, wird das Zink nicht ange- griifen. Sorgt man für Ersatz des ver- dunsteten Wassers, so kann man diese Ele- mente sehr lange benutzen, ohne sie aus- einandernehmen zu müssen. Sie eignen sich daher für die Benutzung zu therapeutischen Anwendungen des konstanten Stroms.

Die Theorie des Leclanche-Elements ist noch nicht vollkommen klar, da in ihm sehr verwickelte Umsetzungen stattfinden; doch ist soviel leicht ersichtlich, dass der Braunstein durch Abgabe von Sauerstoff depolarisirend wirkt, also die Rolle der Salpetersäure im Grove- bezw, Bunsen-

Element oder des Kupfersulfats im Dani eil- Element spielt. Indem also nur eine Flüssigkeit angewendet wird, kann man, wie in der zu- letzt beschriebenen Form, die poröse Zelle entbehren.

Dieses Element bildet also den Uebergang zu den konstanten Elementen ohne poröse Scheidewand und mit einer einzigen Flüssig- keit. Wir erwähnen unter diesen die praktisch wichtigsten:

Das Bunsen'sche Chromsäureelement, auch in der Form des Grenet'schen Flaschen-Elements (Fig. 14) bekannt. In einer weithalsigen Flasche befinden sich zwei lange, bis an den Boden reichende pa- rallele Kohlenplatten; sie sind oben an dem Hartkautschukdeckel der Flasche befestigt und stehen mit einer auf diesem Deckel befindlichen Klemmschraube in Verbindung. Zwischen ihnen ist ein Messingstab in einer Hülse verschiebbar, welcher unten eine zwischen den Kohlenplatten stehende Zinkplatte trägt; die Hülse und durch sie die Zinkplatte sind mit einer zweiten Klemme verbunden. Man füllt die Flasche bis zur halben Höhe mit einer Lösung von füj. 14.

46

lieiniö'er's Winkelzelleiibalterie.

Kap. V.

doppelt chromsaurem Kalium, welcher etwa ^3 Schwefelsäure zuge- setzt ist*).

Um das Element in Gang zu setzen, senkt man die Zinkplatte, welche während der Ruhe oberhalb der Flüssigkeit steht, in diese ein.

Ganz ähnlich ist auch die Chrombatterie von Bunsen einge- richtet. Auf einem Brett sind grosse Gefässe neben einander auf- gestellt. Die zu ihnen gehörigen Zink- und Kohlenplatten sind pa- rallel zu einander an einem Rahmen befestigt, mittelst dessen sie ge- hoben und .gesenkt werden können. Zur Füllung dient eine Mischung von 1 Teil Kaliumbichromat, 2 Teilen Schwefelsäure, 12 Teilen Wasser. Die Bunsen 'sehe Batterie findet besonders Anwendung in der Galvano- kaustik. Dadurch, dass die Zinkplatten während des Nichtgebrauchs der Elemente aus der sauren Mischung herausgehoben werden, wird ein unnützer Verbrauch des Zinks vermieden.

Vollständig konstant wie die Elemente von Daniell, Grove oder Bunsen sind diese Elemente durchaus nicht; doch eignen sie sich für viele Fälle, wo es eben auf absolute Konstanz nicht ankommt, z. B. zum Betrieb der Induktorien. Auch für die therapeutische An- wendung des konstanten Stroms sind sie mit Vorteil zu verwenden, besonders in der Form, welche ihnen Reiniger in seiner portativen Winkelzellenbatterie gegeben hat (S. Fig. 15). Die Zellen dieser Batterie sind, wie man aus der Figur sieht, so gestaltet, dass bei der einen Lage der Zinkstab in die Flüssigkeit eintaucht, während er dieselbe nicht berührt, wenn man die Zellen um 90^ dreht. Es ist

Fig. 15.

also nur nötig, den Kasten, in welchem die Zellen enthalten sind, umzulegen, um die Batterie zum Gebrauch bereit zu stellen, während bei der aufrechten Stellung des Kastens die Batterie unwirksam ist und leicht transportirt werden kann.

*) Eine passende Mischung für diese Elemente besteht aus: chiroms. Kalinni 8,0; Wasser 100,0; konzentrirte Schwefelsäure 10,0; schwefelsaures Quecksilber 1,0. Der letztere Zusatz bewirkt, dass die Zinkplatte stets amalgarairt bleibt. Die Schwefelsäure muss aus bekannten Gründen sehr langsam zugesetzt werden.

§27.

Ketten ohne Scheidewände.

47

Gleichfalls ohne alle Scheidewand ist die fast gleichzeitig von Warren de la Rue und H. Müller und von Pincus angegebene Kette. Dieselbe ist in der Form, welche ihr die ersteren gegeben haben, in Fig. 16 abgebildet. Ein Zinkstab n und ein Silberdraht m bilden die beiden Metalle. Der Silberdraht ist von einem Zylinder geschmolzenen Chlorsilbers umgeben, und beide tauchen in verdünnte Schwefelsäure oder auch in eine Lösung von Kochsalz. Der Strom geht vom Zink zum Silber durch die Flüssigkeit und der am Silber ausgeschiedene Wasserstoff reduzirt das Chlorsilber, es wird Silber ab- geschieden und der Wasserstoff ver- bindet sich mit dem Chlor, wodurch die Polarisation aufgehoben wird. Die Figur zeigt, wie mehrere Ele- mente zu einer zusammengesetzten Kette vereinigt werden, indem man den einen Silberdraht durch einen starken Kautschukring an den fol- genden Zinkstab anklemmt. Um die Kette bequem in und ausser Tätigkeit setzen zu können, sind die Zink- und Silberdrähte an einem horizontalen Brette a befestigt, welches an einem Stative auf und nieder geschoben werden kann, während die Gläser mit der Schwefel- säure auf dem Grundbrette des Stativs stehen.

Ausser diesen sind noch eine Menge anderer Kombinationen angegeben worden, welche mehr oder weniger vollkommen dem Zwecke entsprechen, die wir aber hier übergehen, da für wissenschaftliche sowohl als speziell für physiologische und praktisch medizinische Zwecke die hier beschriebenen einfachen Kombinationen immer die zweckmässigsten bleiben. Die Dan i eil' sehe Kette hat vor den anderen besonders den Vorzug der Billigkeit und Bequemlichkeit. Die Grove'sche und Bunsen'sche Kette sind nicht nur teurer in der Anschaffung, sondern auch im Betriebe wegen des starken Verbrauches an Salpetersäure; sie sind ausserdem lästig durch die starke Entwickelung salpetrigsaurer Dämpfe, für deren Fortführung daher besondere Vorkehrungen getroffen werden müssen. Sie haben aber den Vor- zug grösserer Stärke. An einer späteren Stelle werden wir die Frage behandeln, in welchen Fällen die eine oder andere Kombination den Vorzug verdient.

Das käufliche Zink ist stets stark mit anderen Metallen verunreinigt und an seiner Oberfläche niemals homogen. Dadurch bilden sich zwischen den einzelnen Teilchen des Zinkes, wenn es in die Säure eingetaucht wird, kleine galvanisclie

Fig. 16.

48 Konstante Ketten, Kap. V.

Ketten, welche zu einer schnellen Zerstörung des Zinkes führen. Um dies zu ver- hindern, amalgamirt man das Zinlc, d. h. man überzieht es an seiner Oberfläche mit einer Schicht von Zinkamalgam, welche die Ungieichartigkeiten zudeckt und überdies noch bewirkt, dass das Zink eine noch grössere positive Spannung an- nimmt als in seinem gewöhnlichen Zustande. Das Amalgamiren geschieht am besten, indem man die Oberfläche durch verdünnte Schwefelsäure reinigt und dann eine Auflösung von Quecksilber in Königswasser mittelst einer Kratzbürste auf- trägt.*) Nach dem Gebrauch der Dani eil' sehen, Grove' sehen oder Bun sen- schen Ketten muss man die Zinkkolbcn reinigen und trocknen, die Tonzylinder gut ausspülen und unter Wasser aufbewahren, welches öfters erneuert werden muss. Die Stärke der anzuwendenden Schwefelsäure ist am passendsten zwischen 5 bis höchstens 10 Gewichtsprozenten des ersten Schwefelsäurehydrates zu wählen. Eine sehr störende Erscheinung bei Dani eil 'sehen Ketten ist die Zersetzung des in die Poren der Tonzellen -eingedrungenen Kupfervitriols, wodurch mannichfache Uebelstände entstehen und zuletzt die Zellen gesprengt werden. Um es zu ver- meiden, hat man darauf zu achten, dass die Zinkzylinder stets gut amalgamirt seien, dass sie nirgends die Wand der Tonzelle berühren, und dass der Boden der letzteren, wo die Berührung unvermeidlich ist, undurchgängig gemacht wird. Letzteres erreicht man nach F. Place am einfachsten, indem man den Boden mit geschmolzenem Wachs überzieht. Die oben erwähnten Modifilfationen der Dani ell- schen Kette und die Batterien mit nur einer Flüssigkeit sind leichter zu be- handeln und deshalb für den praktischen Gebrauch vorzuziehen.

§ 28. Wie in der Kette selbst, so ist natürlich auch im Schliessungsbogen Veranlassung zur Polarisation gegeben, wenn der- selbe nicht ganz und gar metallisch ist, sondern aus einer Abwechse- lung von Metallen und Elektrolyten besteht. Dieser Fall, welchen wir schon bei dem Knallgasvoltameter kennen gelernt haben, ist aber bei der. Anwendung der Elektrizität in der Physiologie die Regel. Soll man z. B. einen Strom durch einen Nerven leiten, so würde beim Anlegen zweier Drähte an den Nerven, da der Nerv aus elektroly- tischen Substanzen besteht, offenbar eine Ausscheidung der Anionen an dem einen, der Kationen an dem anderen Drahte eintreten. Hier- durch würden jene Drähte nicht nur polarisirt werden, sondern es könnten überdies noch die ausgeschiedenen Ionen irgend welche nicht beabsichtigte Einwirkungen auf den Nerven äussern. Darum ist es für genauere physiologische Versuche von der grössten Wichtigkeit, die Polarisation ganz zu vermeiden. Man erreicht dies durch Kom- binationen, welche geeignet -sind, die ausgeschiedenen Ionen sogleich

*) Man bereitet diese Auflösung, indem man 4 Teile Quecksilber in 5 Teilen Salpetersäure und 15 Teilen Salzsäure unter gelindem Erwärmen auflöst und dann noch 20 Teile Salzsäure zusetzt.

§ 28. Unpolarisirbare Elektroden. 49

fortzaschaifen. Solche Kombinationen bezeichnet man als n n polar i- sirbare Elektroden.

Von allen den Kombinationen, welche zu diesem Behuf empfohlen worden sind, erfüllt nur eine nach den sorgfältigen Untersuchungen du Bois-Reymond's ihren Zweck wirklich. Es ist die von J. Reg- naul d empfohlene, amalgarairtes Zink in einer Auflösung von schwefel- saurem Zink. Setzt man zwei Platten von amalgamirtem Zink in Zinkvitriollösung, verbindet sie mit den Polen einer Kette, lässt den Strom einige Zeit hindurchgehen uud. verbindet dann durch eine geeignete Vorrichtung die Platten schnell mit den Enden eines empfind- lichen Multiplikators, so erhält man keinen Anssclilag der Nadel, was bei Anwendung anderer Metalle und anderer Flüssigkeiten stets der Fall ist. Um nun mit Hilfe jener Kombination einen Strom durch tierische Teile, z. B. einen Nerven, zu leiten, bedient man sich der von du Bois-Keymond angegebenen Vorrichtung, welche in Fig. 17 dargestellt ist. Zwei Glasröhrclien sind unten durch Stopfen von plastischem Ton geschlossen, denen man leicht jede für den besonderen Fall bequeme Form geben kann. Die so geschaffenen kleinen Ge- fässe füllt man mit concentrirter Lö- sung von reinem Zinkvitriol und taucht in dieselbe amalgamirte Zinkbleche. Letztere sind oben an einem Messing- arme festgeklemmt, von welcliem aus Drähte die Verbindung mit der Kette vermitteln. Den Ton rührt man mit einer einprocentigen Kochsalzlösung an, welche den Nerven nicht beschädigt. /.v,/. n ,

Er gestattet der Zinkvitriollösung so

wenig den Durchtritt, dass man solche Elektroden viele Stunden ge- brauchen kann, ohne dass der Nerv darunter leidet. Die Glasröhr- chen sind an einem Stative so befestigt, dass man ihnen leicht jede Lage geben kann, wie Figur 17 zeigt, wo nur die eine der beiden Elektroden vollständig dargestellt ist. Damit man nötigenfalls die Röhrchen einander sehr nahe aneinander bringen kann, sind dieselben auf dem Querschnitt nicht rund, sondern plattgedrückt.

Abänderungen dieser Vorrichtung, welche jedoch nui- die Form, nicht das Prinzip betreffen, sind von verschiedenen Experimentatoren angegeben worden. Auch für die Anwendung der galvanischen Ströme in der Elektrotherapie hat man unpolarisirbare Elektroden konsirnirt, welche im zweiten Teil Erwähnung linden werden.

KdSiMi 1 Iwi I II. l!<Tnli;ir<ll. Kli-ktri/,iliilsli-liri'. III, Aiill. a

50 Innere Polarisation. Kap. V.

Wie du Bois-Reymond nachgewiesen hat, entsteht auch an der Berührungsstelle zweier ungleichartiger Elektrolyte Polarisation. Diese lässt sich bei den Versuchen au tierischen Gebilden, welche in ihrem natürlichen Zusammenhang der Einwirkung elektrischer Ströme aus- gesetzt werden sollen, nicht ausschliessen; eben so wenig die an der Grenze des Tons und der tierischen Teile. Sie ist aber im Vergleich- zu der Polarisation, welche an metallischen Elektroden auftritt, sehr schwach. Stärker schon ist die Polarisation, welche im Inneren poröser mit Elektrolyten getränkter Leiter (zu welchen auch der Nerv gehört) auftritt. Um diese innere Polarisation zu ver- stehen, müssen Avir uns den porösen Körper als ein Gerüst fester Teilchen vorstellen, zwischen denen ein verzweigtes Kanalnetz frei bleibt, welches von dem flüssigen Leiter erfüllt wird. Der Strom geht nun einerseits durch das feste Gerüst, andererseits durch den flüssigen Leiter, endlich drittens abwechselnd von den festen Teilen zu den flüssigen und umgekehrt. Bei diesem Uebergange nun ent- steht an den festen Teilchen Polarisation, welche zwar an uud für sich schwach ist, aber durch die häufige Sumraation recht beträcht- liche Werte erreichen kann.

Kapitel VI.

Von der Stromstärke, dem Ohm'schen Gesetz und dem Widerstände.

§ 29. Nachdem wir uns jetzt in den Besitz konstanter Ketten gesetzt haben, sind wir im Stande, genauere Untersuchungen über die Wirkung der Ströme zu machen.

Die Wirkung einer Kette hängt oifenbar, alles andere gleich ge- setzt, ab von der Spannungsdifferenz, welche ihre Pole im unge- schlossenen Zustande haben, da diese Differenz die Ursache ist, welche die Bewegung der Elektrizitäten im Schliessungsbogen veranlasst. Diese Spannungsdifferenz hängt aber ab von der Art der die Kette zusammensetzenden Metalle und Flüssigkeiten, und der Anzahl der Elemente. Wir wollen sie die elektromotorische Kraft der Kette nennen.

Schliessen wir nun die Kette durch einen Schliessungsbogen, so wird, wenn alle andern Bedingungen gleich sind, die durch den Schliessungsbogen fliessende Elektrizitätsmenge um so grösser sein, je grösser die elektromotorische Kraft ist. Wir haben früher gesehen, dass die in einer bestimmten Zeit durch einen Querschnitt des Kreises strömende Elektrizitätsmenge an jeder Stelle des Kreises gleich sein rauss, und da wir von unseren jetzigen Ketten voraussetzen, dass sie konstant sind, d. h., dass die in Bewegung gesetzten Elektrizitäts- mengen während der Dauer des Stroms unverändert bleiben, so können wir bei Vergleichung verschiedener Ströme als Einheit diejenige Elektrizitätsmenge zu Grunde legen, welche in der Zeitein- heit durch den Querschnitt des Kreises fliesst. Wir wollen diese Elektrizitätsmenge die Stärke oder die Intensität des Stromes nennen und fortan mit J bezeichnen. Diese Stromstärke muss also unseren obigen Bemerkungen gemäss der elektromotorischen Kraft der Kette direkt proportional sein:

J = K . 1^]

4*

52 Stromstärlie. Kap. VT.

wo E die elektromotorische Krait und K eine Konstante bedeutet, deren Sinn uns gleich näher beschäftigen soll.

Zur Messung der Strorastärlvo können wir uns des Voltameters bedienen, da, wie wir gesehen haben, die in diesem ausgeschiedenen Knallgasmengen den durchgegangenen Elektrizitätsraengen, also der Stromstärke direkt proportional sind. Zwar wird durch die im Volta- meter auftretende Polarisation der ursprüngliche Strom geschwächt, allein diese Schwächung erreicht sehr bald einen konstanten Wert und könnte daher in Rechnung gezogen werden. Auch können wir uns des Kupfervoltameters bedienen, wo die Polarisation sehr gering ist. Alle diese Instrumente haben aber den Nachteil, dass sie den Wert der Stromstärke erst nach längerer Zeit angeben, und ausser- dem werden die Wägungen der Kupferplatten, wenn sie oft gemacht werden sollen, sehr beschwerlich. Wir wollen uns daher nach einem bequemeren Maass für die Stromstärke umsehen. Als solches bietet sich uns die Ablenkung der Magnetnadel dar.

§ 30. Wird eine Magnetnadel durch die Wirkung eines Stromes aus dem magnetischen Meridian abgelenkt, so steht sie unter dem Einfluss zweier Kräfte, des Erdmagnetismus, der sie wieder in den magnetischen Meridian zurückzuführen strebt, und des Stromes, wel- cher sie senkrecht darauf zu stellen sucht. Sei nun in Fig. 18 NS die Richtung des magnetischen Meridians, ab die Grösse und Richtung der erdmagnetischen Kraft T, ac die Grösse und Richtung der auf den Meridian senkrechten Kraft des Stromes, dessen Intensität = J ist, ad die Richtung, welche die Nadel unter dem vereinten Einfluss beider annimmt und « und ß die Winkel, welche die Nadel mit den beiden Kräften macht, so sind, wenn man diese beiden Kräfte zerlegt, in solche, welche parallel und solche, die senkrecht zur Nadel stehen, die letzteren, welche allein zur Wirkung kommen beziehlich gleich T . sin a und gleich J . sin ß. *) Da nun die Nadel im Gleichgewicht ist, so müssen diese beiden Kräfte gleich sein. Man ^'9- ^^^- hat also

*) Ausserdem kommen für die Ablenkung noch in Betracht die Konstanten der Nadel (ihre Länge, magnetisches Moment u. s. w.)- Da diese aber für ein gegebenes Instrument unveränderlich sind, ist auf sie keine Rücksicht bei der Rechnnng genommen worden.

§ 30, 31. Messung der Stromstärke. Tangentenbussole. 53

T . sin « = J . sin ß und da ß = R « also sin ß = cos «:

T . sin a = J . cos «

, T rp sin « n^

oder J = T . = T . tane- a

cos «

d. h.: die Intensität des Stromes ist gleich der Intensität des Erdmagnetismus mal der Tangente des Winkels, um welchen die Nadel aus dem Meridian abgelenkt wird. Man braucht jedoch die Intensität des Erdmagnetismus gar nicht zu kennen. Denn lässt man einen anderen Strom von der Iiitensität J, auf die Nadel wirken, und ist «i der Winkel, um welchen dieser Strom die Nadel ablenkt, so hat man

Jj = T . tang «, also J : J j = tang a : tang ot,

d. h.: die Stromstärken verhalten sich genau wie die Tan- genten der AblenkungSAvinkol. Man hat daher nur nötig, in den Kreis des Stromes gleichzeitig ein Voltameter einzuschalten und die Kette so einzurichten, dass genau in einer Minute ein Kubikzentimeter Knallgas entwickelt wird. Die Intensität dieses Stromes wollen wir vorläufig als Einheit der Stromstärke annehmen. Ist also der Winkel, um welchen die Nadel von diesem Strom abgelenkt wird, gleich «q, so verhält sich die Intensität irgend eines zu messenden Stromes Jx zur Intensität 1, wie die Tangente des 'vVinkels, um welchen er die Nadel ablenkt, zur Tangente von a^.

Jx : 1 =^ tang «x : tang «,, oder - j^_tang«x^

tang «u

Diese Formel, wonach die Intensität des Stromes den Tangenten der Ablenkungswinkel direkt proportional ist, behält jedoch nur so lange ihre Gültigkeit, als die Wirkung des Stromes durch die Ab- lenkung selbst sich nicht ändert. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn die Entfernung des Stromes von der Nadel sehr gross gegen die Länge der Nadel ist. Man gibt daher dem Instrumente, welclies den Namen Tangentenbussole führt, die Einrichtung, welche Fig. 19 (s. folg. S.) darstellt. Der Strom wird hier durch einen kreisförmig gebogenen Kupferstreifen geleitet, in dessen Mittelpunkt eine im Verhältniss zum Kreisdurchmesser kleine Magnetnadel angebraclit ist, welclie über einer Teilung spielt.

§ 31. So mit einem Mittel ausgerüstet, die Stromstärke schnell und mit Schärfe zu messen, wollen wir z\x unserer Aufgabe zurück-

54

Widersland. (')hin"s Gesetz.

Kap. VI.

kehren, den Einfluss verschiedener Umstände auf dieselbe zu be- stimmen. Wir schliessen zunächst die Kette direkt durch die Tan- gentenbussolc und schalten dann der Reihe nach noch verschiedene Leiter von verschiedener Gestalt und Substanz in den Schliessungs-

bogen ein. Das allgemeine Ergebniss dieser Versuche ist, dass die Stromstärke hierdurch stets vermindert wird. Wir schliessen daraus, dass die Leiter der Bewegung der Elektrizität in ihrer Sub- stanz einen gewissen Widerstand ent- gegensetzen, in Folge dessen in einer be- stimmten Zeit um so weniger Elektrizität durch den Querschnitt strömt, je grösser dieser Widerstand ist. Bezeichnen wir daher den Widerstand eines Kreises mit W, so wird die Stromstärke ausgedrückt werden durch die Formel

Fiy. 19.

d. h.: die Stromstärke ist direkt jjroportional der elek- tromotorischen Kraft und umgekehrt proportional dem Widerstände des Kreises. Dies wichtige Gesetz, welches die Grund- lage der ganzen Theorie der elektrischen Ströme ist, führt nach seinem Entdecker den Namen des Ohm 'sehen Gesetzes.

§■32. Da alle Leiter ohne Unterschied dem elektrischen Strom einen Widerstand bieten, so ist klar, dass der Ausdruck W in unserer Formel keine andere Bedeutung haben kann, als den der Summe aller Widerstände im Kreise der geschlossenen Kette. Denn nehmen wir an, wie es in der Tat der Fall ist, der Widerstand wäre nicht in allen Teilen des Kreises gleich, sondern in der Kette ein anderer als in der Tangentenbussole, und in dieser wieder ein anderer als in den sonst noch in den Schliessungsbogen eingeschalteten Leitern, so wird doch der Widerstand eines jeden Teils je nach seiner Grösse verzögernd auf die Bewegung der Elektrizität in allen Teilen des Kreises einwirken, da in derselben Zeit die gleichen Elektrizitätsmengen in allen Teilen des Kreises sich bewegen müssen. Um daher den Einfluss richtig aufzulassen, welchen die Einschaltung von Leitern mit verschiedenen Widerständen auf die Stromstärke hat, muss man fest- halten, dass ein Teil des Widerstandes, nämlich der der Kette und (in den hier besprochenen Versuchen) der Tangentenbussole, stets derselbe

§ 32, 33. Bestimmung des Widerstandes. 55

bleibt. Bezeiclincn wir den unvci'äiicleriicheii Widerstanrl mit W, da- gegen den Widerstand irgend eines anderen Leiters mit w, so haben wir also, wenn Kette und Bussole für sich zum Kreise geschlossen sind, für die Stromstärke den Ausdruck

Wird dagegen der andere Leiter noch dazu eingeschaltet, so ist die Stromstärke

w 4- w

Aus diesen beiden Gleichungen ergibt sich: W = ^ und W 4- w = |-

E E ,. Jo Ji also w = = Ji --

Schalten wir jetzt einen anderen Leiter ein, dessen Widerstand wir TO nennen wollen, so ergibt sich ganz auf dieselbe Weise, wenn 3 2 die Intensität bei Einschaltung des neuen Leiters ist,

E

E -p Jo J2 J "" "J J

Es ist mithin

w Jo Ji

"0 J2 ^n Ji

Jo

tu Ji

"Jq ^2 "^Ü "^2

J.

Man sieht hieraus, dass man durch drei Beobachtungen das Verhält- niss der Widerstände zweier Leiter genau bestimmen kann*).

§ 33. Vergleichen wir nun auf diese Weise die Widerstände ver- schiedener Leiter mit einander, so kommen wir zu dem Resultat, dass diese abhängen von der Gestalt und der Substanz der Leiter.

Was zunächst die Gestalt betrifft, so wollen wir uns der Ein- fachheit wegen denken, die Leiter hätten sämtlich eine zylindrische oder prismatische Gestalt. Es zeigt sich dann, dass der Widerstand direkt proportional ist der Länge und umgekehrt propor- tional dem Querschnitt des Leiters.

W=- Q

wo L die Länge und Q den Querschnitt des Leiters bedeutet.

*) Genauere Methoden zur Bestimmung der Widerstände werden wir später 44) kennen lernen,

56 Spezifischer Wirlersiand. Kap. VI.

Der Einfluss der Substanz lä«si sich nicht, in so allgemeinen Regeln ausdrücken. Im Allgemeinen kann man sagen, dass unter allen Substanzen die Metalle den geringsten Widerstand besitzen. Die Flüssigkeiten bieten bei gleichen Dimensionen einen vielmals grösseren Widerstand. Vergleicht man Leiter von denselben Dimen- sionen, aber von verschiedener Substanz mit einander, so bekommt man Zahlen, welche den spezifischen Widerstand der Substanz ausdrücken, wobei man den Widerstand irgend einer bestimmten Sub- stanz, etwa des Quecksilbers, zu Grunde legt. Je grösser der spezi- fische Widerstand einer Substanz ist. desto schlechter leitet sie die Elektrizität, desto geringer ist ihr Leitungsvermögen. Das Lei- tungsvermögen ist also stets der reziproke Wert des Widerstandes.

§ 34, Die Wahl dieser Vergleichssubstanz, deren spezifischen Widerstand man den Angaben zu Grunde legt, ist natürlich ganz un- beschränkt. So haben einige das Kupfer gewählt, weil es das am meisten zu elektrischen Leitungen gebrauchte Metall ist, andre das Silber, weil es am besten leitet. Aber alle diese Angaben sind un- sicher, weil geringe Verunreinigungen der Metalle, der Zustand ihrer Härte, die Temperatur und andre Umstände grossen Einfluss auf das Leitungsvermögen haben. Am meisten eignet sich deshalb das Queck- silber als Normalsubstanz für das Leitungsvermögen gewählt zu wer- den, weil es durch sorgfältige Destillation in einen Zustand hoher Reinheit gebracht werden kann. AVir werden daher in der Regel den spezifischen Widerstand oder das spezifische Leitungsvermögen der Substanzen im Vergleich zum Quecksilber angeben, und nur da Aus- nahmen von dieser Regel machen, wo Gründe der Bequemlichkeit oder andrer Art dazu veranlassen.

Diese Zahlenangaben nun sind aber, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, immer nur relative, vergleichende. Wenn wir daher sagen, das spezifische Leitungsvermögen des Silbers (auf Quecksilber bezogen) sei 50, so bedeutet dies, dass ein Silberdraht von bestimmter Länge und Dicke 50 mal besser leitet als ein ebenso langer und ebenso dicker Quecksilberfaden. Dasselbe können wir auch so ausdrücken, dass wir sagen, der spezifische Widerstand des Silbers (auf Quecksilber bezogen) sei ^äo oder 0,02, was offenbar bedeutet, dass ein Silberdraht von bestimmter Länge und Dicke nur den fünfzigsten Teil des Widerstands bietet wie ein Quecksilberfaden von gleicher Länge und gleicher Dicke. Ferner ist klar, dass, wenn wir einen Quecksilberfaden von gegebner Länge und Dicke ersetzen wollen durch einen Silberdraht, welcher

§ 34. Elektrische Masseiiibeiten. 57

denselben Widerstand bieten soll, letzterer bei gleicher Dicke 50 mal so lang sein, oder bei gleicher Länge nur Voo des Querschnitts haben müsste.

Wenn wir aber einen bestimmten Leiter vor uns haben, z. B. einen auf einer Rolle aufgewickelten Kupferdraht, so könnten wir, Avenn die Länge und der Querschnitt des Drahts und der spezifische Widerstand der Kupfersorte, aus welcher der Draht gefertigt ist, be- kannt Avären, leicht berechnen, wie lang und dick eine Queksilber- säule sein müsste, die denselben Widerstand hat. Wählen wir diese Quecksilbersäule von dem Querschnitt I Qu.-mm., so gibt uns die Länge der Säule sofort eine bestimmte Vorstellung von dem Widerstände der Drahtrolle.

Indem wir nun alle Widerstände, die Avir bestimmen wollen, der- art mit dem AViderstand einer Quecksilbersäule von 1 Qu.-mm. Quer- schnitt vergleichen, gelangen wir auch leicht zu einer bequemen Ein- heit für den Widerstand, welche für diesen Begriff dieselbe Bedeutung hat, wie etwa das Meter für den Begriff der Länge oder das Gramm für den Begriff des Gewichts. Als solche Einheit des Wider- stands hatte Siemens vorgeschlagen den Widerstand einer Queck- silbersäule von 1 Qu.-mm. Querschnitt und 1 Meter Länge bei 0". Diese für die Praxis sehr bequeme Einheit wurde von vielen Gelehrten und Praktikern angenommen und mit den Buchstaben S.E. (Siemens- Einheit) bezeichnet. In England war jedoch eine andre Einheit in Aufnahme gekommen, welche sich auf gewisse Untersuchungen Wilhelm Weber 's stützte, die wir hier nicht weiter auseinandersetzen wollen, und einen etwas abweichenden Wert hatte. Der internationale elektrische Kongress von 1881 hat nun festgestellt, dass diese letztere Einheit allgemein angenommen werden, aber auf die Siemens'sche Weise durch Quecksilber ausgedrückt Averden solle. Diese letztere Einheit, Avelcher man den Namen Ohm gegeben hat, ist etwas grösser als die S.E., so dass ein Ohm den Widerstand einer Quecksilbersäule von 1 Qu.-mm. Querschnitt und nahezu lOG Cm. Länge bei 0^ bedeutet. (Nach der neuesten Bestimmung von Siemens).

Ebenso wie für den Widerstand hat man auch für die elek- tromotorische Kraft eine Einheit festgesetzt und ihr den Namen Volt beigelegt. Diese Einheit ^velche gleichfalls auf den Unter- suchungen AV ob er 's beruht) ist nahezu gleich •'. i,, von der eines guten, mit reinen Elüssigkeiten zusammengestellten DanielLschen Elements. Der Unterschied ist in der Tat so gering, dass er innerhalb der Grenzeil der \'ersuchsfehler fällt. Genauer ist 1 Daniell = 1,124 Volt.

58 Widerstand der Metalle. Kap. VI.

Aus der Korabination der Widorstandsoinheit mit der Einlieit der elektromotorischen Kraft ergibt sich mm sogleich die Einheit der Stromstärke, nämlich die Stärke des Stroms, welchen die elek- tromotorische Kraft 1 Volt in einem Stromkreise vom Wider- stand 1 Ohm hervorbringt. Man bezeichnet diese Einheit mit

dem Namen Ampere. Ein Ampere ist also = -— ^^^ .

1 ühm

Ein Strom von dieser Stärke zerlegt in einer Sekunde 0,0937 Mg.

Wasser und entwickelt in einer Minute 10,54 Gern. Knallgas.

§ 35. Die folgende Tabelle enthält numerische Angaben über das spezifische Leitungsvermögen der wichtigsten Metalle in runden Zahlen, wobei das Leitungsvermögen des reinen Quecksilbers = 1 angesetzt ist.

Quecksilber .... 1

Neusilber 4

Platin 5

Eisen 7,5

Messing 12,5

Zink 13,5

Gold 27,5

Kupfer 40

Silber 50

Diese Zahlen zeigen, wie gross die Unterschiede bei den Metallen sind. Das Quecksilber leitet 50 mal schlechter (hat einen 50 mal grösseren Widerstand) als das Silber, d. h. , wenn man in den Kreis einer Kette eine Tangentenbussole und einen Silberdraht von bestimmten Dimensionen, z. B. von 100 Meter Länge und 1 Qu.-mm. Querschnitt aufnimmt, und die Magnetnadel wird um einen Winkel « abgelenkt, ersetzt dann den Silberdraht durch eine Quecksilbersäule von eben- falls 1 Qu.-mm. Querschnitt, so darf diese Säule nur 2 Meter lang sein, damit die Magnetnadel wieder um den Winkel a abgelenkt werde. Der Widerstand der Flüssigkeiten ist sehr viel mal grösser als der der Metalle. Setzt man das Leitungsvermögen des Quecksilbers gleich 1,000,000, so sind die Leitungsvermögen von:

Konzentrirte Lösung von schwefelsaurem Kupfer . . . 2,75

Konzentrirte Kochsalzlösung 15,75

Konzentrirte Lösung von schwefelsaurem Zink ... 2,9

Käufliche Salpetersäure 47,9

220 Com. Wasser mit 20 Gem. Schwefelsäurehydrat . 44,35

§ 35. \Yiderstand der Flüssigkeiten. 59

Wie man sieht, ist der Widerstand der Salpetersäure, welche am besten leitet, immer noch mehr als 200000 mal grösser als der des Quecksilbers. Interessant ist, dass ein Gemenge von Schwefelsäure und Wasser bei einem gewissen Verhältniss der Mischung ein Minimum des Widerstandes hat. Es ist nämlich, wenn man den Widerstand des Quecksilbers gleich 1 setzt, der Widerstand nach Paalzow bei

HSO, . . . . = 96950

HSO4 + 14H,0= 14157

HSO, + 13H20= 13310

HSO, +489H,0 = 184773 Bei 10^0 Schwefelsäure leitet das Gemenge noch einmal so schlecht als bei 45%. Dennoch ist es nicht geraten, bei den galvanischen Elementen eine stärkere Konzentration als 10", 'q anzuwenden, da sonst das Zink zu sehr angegriffen wird.

Ganz ähnliche Verhältnisse zeigen sich bei der Lösung einiger Salze, z. B. des schwefelsauren Zink. Die reine Schwefelsäure und das reine Wasser leiten fast gar nicht. Verdünnte Salzlösungen leiten ausserordentlich schlecht, ebenso alle tierischen und pflanzlichen Stoffe. Näheres über diese wird an einer späteren Stelle mitgeteilt werden.

Bei physiologischen Versuchen und in der ElektrotheraiDie kommt es häufig vor, dass man sehr grosse Widerstände in den Kreis der Kette einschalten muss. Man hedient sich dann mit Vorteil der flüssigen Leiter, welche man in Röhren eingeschlossen auf passende Weise in den Kreis bringt. Je nach der Grösse des gebrauchten Widerstandes nimmt man dazu Salzlösungen oder verdünnte Schwefel- säure oder Wasser, welchem man, wenn es noch schlechter leiten soll, Alkohol zu- setzt. In allen diesen Fällen ist jedoch auf die Polarisation Rücksicht zu nehmen. Um sie zu vermeiden, wendet man am besten Lösungen von Zinkvitriol an, und bewirkt die Zu- und Ableitung durch amalgamirtes Zink. Wegen der Wichtigkeit dieser Flüssigkeit für physiologische Versuche sollen daher noch die Bestimmungen von Beetz hier Platz finden. Nach diesem ist bei 14,4" C. die Leitungsfähigkeit von Zinkvitriollösung, die des Quecksilbers gleich 1 gesetzt, bei einem Gehalt von 49,7 Grm. ZnSO, auf 100 Grm. Wasser = 0,000003133 24,3 ., = 0,000003905

14,0 ., ,. =0,000003047:

auch hier zeigt sich die beste Leitung bei dem mittleren Salzgehalt.

Der Widerstand der Metalle sowohl, als der übrigen Leiter ändert sich mit der Temperatur; aber während der Widerstand der Metalle mit Temperaturerhöhung zunimmt, wird das Leitungsvermögen der Elektrolyte durch Temperaturerhöhung verbessert. Auf diese Aende- rung ist bei Widerstandsmessungen Rücksicht zu nehmen, besonders da die Temperatur der Metalldrähte, welche den Strom leiten, durch

60 Rheostat. Rlieocliord. Kap. VI.

diesen selbst, erhöhti wird. Von der Verbesserung des Leitungsver- mögens der Elektrolyte durch Temperaturerhöhung macht man mit Vorteil Gebrauch in physiologischen und elektrotherapeutischen Fällen, indem man die Epidermis, um ihren Widerstand zu verkleinern, mit warmen Salzlösungen durchtrcänkt. Hiervon wird an einer späteren Stelle mehr die Rede sein.

§ 36. Um verschiedene Widerstände mit einander zu vergleichen und je nach Bedüi'fniss mehr oder minder grosse Widerstände in den Kreis einschalten zu können, hat man verschiedene Apparate ange- geben, welche den Namen Rheostaten führen. Der Rheostat von Wheatstone besteht aus zwei dicht nebeneinander liegenden Zylindern von ganz gleichen Dimensionen, welche mittelst einer Kurbel gleich- zeitig in gleicher Richtung und mit gleicher Geschwindigkeit gedreht werden können. Der eine dieser Zylinder ist aus liartem Holz, Ser- pentin oder sonst einer gut isolirenden Masse gefertigt und mit einem feinen Schraubengang versehen, der andere ist von Messing. Ein langer feiner Platin- oder Neusilberdraht ist an dem einen Ende des isolirenden Zylinders an einem dort befestigten Messingring festge- schraubt, auf welchem eine Feder schleift, das andere Ende ist, nach- dem man den Draht durch Drehung des Zylinders fest in die Schrauben- gänge eingelegt hat, an dem Messingzylinder befestigt, auf welchem ebenfalls eine Feder schleift. Verbindet man die beiden Federn mit den Polen der Kette, so muss der Strom durch die ganze Länge des feinen Drahtes gehen, um dann in den Messingzylinder und von diesem zur Kette zurück zu kehren. Dreht man aber jetzt die beiden Zylinder, so wickelt sich ein Teil des Drahtes von dem Holzzylinder ab und auf dem Messingzylinder auf. Es wird also jetzt der Strom schon nach Durchlaufung einer geringeren Drahtlänge zu dem Messing- zylinder und von diesem weiter gehen, wird also einen geringeren Widerstand zu überwinden haben.

Handelt es sich nur um kleine Widerstände, welche aber genauer abgestuft w^erden sollen, so kann man sich des in Fig. 20 (s. f. S.) abgebildeten Apparates bedienen, welcher den Namen Rheochord führt, weil hier die den Strom leitenden Drähte wie Saiten ausge- spannt sind. Die beiden gerad ausgespannten Drähte a und b sind an ihren Enden in Messingklötzen festgeschraubt und durchbohren den Messingklütz K, welcher sich selbst parallel auf der Unterlage hin und her geschoben werden kann. Auf der Teilung hi kann man ab- lesen, wie lang die in den Kreis eingeschalteten Drahtteile sind.

§ 36, 37. Wesentlicher und ausserwesentlicher Widerstand. 61

Um sehr grosse Widerstände in einen Kreis einzuschalten, bedient man sich mit Vorteil übersponnener Neusilberdrähte von grosser Länge und sehr geringem Durchmesser, welche man auf Rollen aufwickelt. Man stellt meist mehre solcher Rollen in einem Kasten auf und

Fig. 20.

richtet sie so ein, dass man auf bequeme Weise den Strom durch eine oder mehre dieser Rollen leiten kann, deren Widerstand in passender Weise abgestuft ist. In dieser Weise sind die Rheostaten eingerichtet, welche Siemens und Halske in ihrer Anstalt fertigen lassen, und welche in den physiologischen Laboratorien und in der Elektrotherapie Anwendung finden. Die zu Grunde gelegte Einheit ist die von Siemens eingeführte, sie umfassen meist einen Widerstand von 1 bis zu 10000 Siemens' sehen Einheiten.

§ 37. Bei dem ungeheuren Unterschied in der Leitungsfähigkeit der Metalle, und der Elektrolyte ist schon von vornherein anzanehmen, dass der Widerstand der galvanischen Kette nicht gering sein kann, da sie ja flüssige Leiter enthalten. Dies ist auch in der Tat so, und der Widerstand der Ketten darf nicht ausser Acht gelassen werden, wenn man die Wirksamkeit der Elemente bestimmen will. Der Widerstand einer Kette hängt ab von der Natur der sie zusammen- setzenden Flüssigkeiten und ihren Dimensionen. So hat z. ß. ein Grove'sches Element nur etwa die Hälfte des Widerstandes von einem Daniel!" sehen gleicher Grösse, weil die Salpetersäure so sehr viel besser leitet, als die Lösung des schwefelsauren Kapferoxyds. Will man nun die Wirksamkeit einer Kette richtig beurteilen, so muss man unterscheiden zwischen dem Widerstände der Kette selbst und dem Widerstände des Schliessungsbogens. Da der erstere bei einer gegebenen Kette unveränderlich ist, so nennt man ihn den wesent- lichen Widerstand, den Widerstand des Schliessungsbogens aber, wel- cher wechseln kann, den ausserwcsentlicheu. Ist der ausserwesent- iiche Widerstand sehr klein im Verhältniss zum wesentlichen, ein Yer- hältniss, welches z. B. eintritt, wenn der Schliessungsbogen mir aus

62 Wesentlicher und ausserwesentlicher Widerstanfl. Kap. VI.

kurzen dicken Drähten und der Tangentenbussole besteht, so wird die Stromstärke fast nur von dem Widerstand und der elektromotorischen Kraft der Kette abhängen. Nennen wir den Widerstand eines Danieli- schen Elementes W, den des Schliessungsbogens w, die elektromoto- rische Kraft des Elementes E, so ist die Stromstärke

-^ w H- w

wo nach unserer Annahme w sehr klein im Verhältniss zu W ist. Nehmen wir nun statt des einen Elementes eine zusammengesetzte Kette von 2 Elementen, so wird diese Kette die doppelte elektromo- torische Kraft, aber auch den doppelten Widerstand haben. Die Strom- stärke wird also sein

_ 2_E_^ ' ~~ 2W"+ w Nun können wir aber, ohne einen merklichen Fehler zu begehen, setzen

2W-|-w = 2(W-]-w) Also auch

2E E

^' 2(W-f^"~ W-f w mithin ist J^ = J

d. h. also die Stromstärke ist bei Anwendung zweier Elemente nicht merklich grösser, als bei Anwendung eines einzigen, und dasselbe würde auch bei der Anwendung von 3 und mehr Elementen der Fall sein. Nun wollen wir aber mit demselben Schliessungsbogen ein Ele- ment verbinden, in welchem der Zink- und der Kupferzylinder die doppelte Oberfläche haben. Hier wird die vom Zink durch die Flüssig- keiten zum Kupfer strömende Elektrizität offenbar nur den halben W^iderstand zu überwinden haben, da der Querschnitt der Strombahn der doppelte ist. Die Stromstärke muss also sein

E

J., =

W ,

W wofür wir, da w sehr klein ist, also ^ + ^^ sich äusserst wenig unter-

W -I- w scheidet von ^ , setzen können

z

E W -j- w d. h. durch Verdoppelung der Grösse des Elementes wird die Strom- stärke verdoppelt.

§ 37, 38. Wesentlicher und ausserwesentlicher Widerstand. 63

Ganz das Gegenteil findet statt, wenn wir annehmen, es sei im Schliessungsbogen ein so beträchtlicher Widerstand eingeschaltet, dass der Widerstand der Rette dagegen als sehr klein angeselien werden kann. Wir haben dann bei Anwendung eines Elementes

-" W + w Bei Anwendung zweier Elemente

_ 2E

2W 4- w

und da W sehr klein ist gegen w, so können wir dafür setzen

2E

T . O T

^ W -f- w d. h. die Stromstärke ist durch Hinzufügen des zweiten Elementes auf das doppelte gestiegen. Dagegen würde es in diesem Falle gar nichts nützen, wenn wir ein grösseres Element anwendeten. Denn bei An- wendung des Elementes von doppeltem Querschnitt wäre wieder

was, da W sehr klein gegen w, fast gar nicht von dem Wert

J-— ^—

-" W + w

unterschieden wäre.

Aus diesen Betrachtungen folgt die für die praktische Anwendung wichtige Regel: Ist der ausserwesentliche Widerstand sehr klein, so hat man sich weniger aber möglichst grosser Ele- mente zu bedienen, ist der ausserwesentliche Widerstand aber gross, so hat man mehr Elemente zu nehmen, welche dann von geringeren Dimensionen sein können.

§ 38. Da Elemente von sehr grossen Dimensionen unbequem wären, so kann man eine Anzahl kleinerer Elemente dadurch zu einem von grösserem Querschnitt, also geringerem Widerstand kombiniren, dass man alle positiven und alle negativen Pole in je einen Draht zusammenlaufen lässt, und zwischen diesen dann den Schliessungsbogen einschaltet. Man bezeichnet dies als Verbindung von Elementen neben einander, zum Unterschied von der Verbindung hinter einander, wo der positive Pol des ersten, mit dem negativen Pol des zweiten u, s. f verbunden werden. Je nach dem Widerstand des Schliessungs- bogens wird man zu beurteilen haben, wie viele Elemente man zu

64 Kombination der Elemente. Kap. VT.

einem zusamiiienknppelt. Hat man z.B. vier DanieH'sehe Elemente zur \'erfiigimg , deren jedes die elektromotorische Kraft E und den Widerstand W hat, so sind folgende Kombinationen möglich:

1) Man verbindet sämmtliche Kupferzylinder unter sich, und ebenso sämmtliche Zinkzylinder: man hat dann vier Elemente neben einander oder ein Element mit der elektromotorischen Kraft E und dem Widerstand \'^ W.

2) Man verbindet je zwei Kupfer- und je zwei Zinkzylinder unter sich, und dann das erste Kupferpaar mit dem zweiten Zinkpaar: man hat eine Kette von zwei Elementen hinter einander, von denen jedes aus zwei neben einander ver- bundenen besteht; die elektromotorische Kraft ist = 2E, der

' Widerstand = '..W + '/,_W = W.

3) Man verbindet alle vier Elemente hinter einander; die elektromotorische Kraft ist = 4E, der Widerstand = 4W.

Sind noch mehr Elemente gegeben, so sind die möglichen Kombinationen natürlich noch mannichfaltiger,

Nach denselben Prinzipien Jiat man auch zu beurteilen, welche Ketten am zweckmässigsten zu verwenden sind. Ist der ausserwesent- liche Widerstand sehr klein, so geben die Grove 'sehen Elemente stets stärkere Ströme, da sie sowohl grössere elektromotorische Kraft als auch geringeren Widerstand haben als die Daniell'schen. Ist aber der ausserwesentliche Widerstand sehr gross, so werden zwei Daniell's etwa dasselbe leisten, wie ein Grove von denselben Dimen- sionen, da die elektromotorische Kraft eines Grove etwa die doppelte ist, wie die eines Daniell, und es auf den Widerstand der Kette dann gar nicht ankommt. Dieser Fall ist bei der physiologischen und therapeutischen Anwendung der Ketten das häufigste, da die tierischen Gewebe so beträchtliche Widerstände bieten. Hier wendet man daher meist DanielTsche Elemente an, welche in der An- schaifung und im Betriebe billiger sind, und nicht die so sehr lästigen Dämpfe aushauchen. Die oben besprochene von Siemens und Halske angegebene Modifikation der DanieU'schen Kette hat gleichfalls einen sehr grossen Widerstand, ebenso die Zink -Silberkette von Warren de la Rue. Alle diese sind daher für die elektrotherapeutische und die physiologische Anwendung brauchbar. Dagegen ist der Wider- stand der Grenefschen Kette ein sehr geringer und sie steht daher in einer Linie mit der Grove'sclien oder Bunsen" sehen Kette, d. h. ihre Anwendung wird nur dort vorteilhaft sein, wo der Widerstand im Schliessungsbogen ein geringer ist. Braucht man aber sehr starke

§ 38, 39.

Leitunsrsdrähte und Klemmen.

G5

Ströme, so würde eine sehr grosse Anzahl Danieirscher Elemente nötig sein, deren Handhabung sehr unbequem wäre. Man bedient sich dann mit Vorteil Grove' scher Elemente, welche aber, wenn es auf den Widerstand nicht ankommt, sehr klein sein können. Nach dem Vorgange du Bois-Reymond"s sind für diese Zwecke meist eine ganz kleine Art Grove" scher Elemente in Gebrauch, deren Kosten eben ihrer Kleinheit wegen nur gering sind.

Dieselben Beziehungen, wie zwischen dem wesentlichen und ausser- wesentlichen Widerstand haben auch Geltung zwischen den einzelnen Teilen des Schliessungsbogens selbst. Ist der Gesammtwiderstand des Schliessungsbogens sehr gross und ein einzelner, verhältnissraässig ge- ringer Teil desselben ändert seinen Widerstand, so wird dies auf die Stromstärke nur von geringem Einfluss sein. Man kann daher, wenn tierische Teile im Schi iessuhgs bogen enthalten sind, von dem Wider- stände der metallischen Drähte, welche zur Zu- und Ableitung dienen, meist ganz absehen, und es ist für den Effekt ganz gleichgiltig, ob man sich dazu dicker oder dünner Drähte bedient und von welchem Metall sie sind. Ganz anders aber, wenn der ganze Schliessungsbogen überhaupt nur einen geringen Widerstand hat. In diesem Falle ist die Aenderung eines Teiles schon von grossem Einfluss. Man hat daher auf die richtige Wahl jedes Teiles sorgfältige Aufmerlvsamkeit zu richten. Da Silber zu teuer wäre, bedient man sich meist kupferner Drähte, die man in verschiedenen Dicken, je nach dem Zwecke, ver- wendet. Die Verbindung einzelner Drähte unter einander bewerk- stelligt man durch sogenannte K 1 e m m schrauben, welche von Kupfer, oder da es bei diesen kurzen dicken Verbindungsstücken nicht so sehr auf das Leitungsvermögen an- kommt, aus dem dauerhafteren Messing gefertigt werden. Zwei sehr gebräuchliche Formen solclier Klem- men sind in Fig. 21 und 22 dargestellt. Aus der Fig. 22 ist ohne Weiteres ersichtlich, wie die \^erbindung der Drähte gesckielit. Fig. 21 stellt eine Klemme dar, welche zur Verbindung eines Drahtes mit einem Bleche dient. Letzteres wird in den Schlitz einge- schoben und durch die Schraube festgeklemmt. Zur Verbindung dünner Drähte ist die in Fig. 2.3

M er II h ;i i.l I. KIrUtii/Hiilsl.-li

66

Pohl'sche Wippe.

Kap. VI.

dargestellte Klemme zu empfehlen, da die Schrauben der oben dar- gestellten Klemmen solche dünne Drähte leicht durchkneifen.

§ 39. Wir wollen hieran gleich die Beschreibung eines anderen. Hilfsapparates knüpfen, welcher bei der physiologischen und thera- peutischen Anwendung der Elektrizität sehr vielfache Anwendung findet, nämlich des Stromwenders oder Gyrotropen. Dieser Apparat hat den Zweck, in einer Leitung die Richtung des Stromes beliebig ändern zu können. Von allen Vorrichtungen dieser Art hat sich für physiologische Zwecke am meisten eingebürgert die in Fig. 24 abgebildete Pohl'sche Wippe. Sie besteht aus einem Klotz von Mahagoniholz, in welchem 6 Löcher angebracht sind, die mit Queck-

silber gefüllt werden. Die 6 Klemmen 1 , 2 u. s. w. stehen mit diesem Quecksilber in leitender Verbindung. Die Verlängerung der Klemmen 1 und 2 innerhalb der Löcher bilden die Axe für die Wippe. Diese besteht aus zwei durch Glas und Siegellack vollkommen von einander isolirten Teilen, jeder dieser Teile aus einem dreigabligen Stücke starken Kupferdrahtes. Bei der in unserer Figur dargestellten Lage der Wippe bilden diese Drähte eine leitende Verbindimg zwischen

§39.

Stromwender.

67

den Klemmen 1 und 3 einerseits und 2 und 4 andererseits. Setzt man daher Klemme 1 mit dem positiven, Klemme 2 mit dem negativen Pol einer Kette in Verbindung, so geht der Strom durch einen zwischen 3 und 4 angebrachten Bogen in der Richtung des Pfeiles. Legt man die AVippe um, so verlassen die Kupferdrähte die Quecksilbernäpfe 3 und 4, und dafür entsteht eine Leitung zwischen 1 und 5 einerseits,

2 und 6 andererseits. Da zwischen 5 und 6 keine leitende Verbindung besteht, so kann der Strom nicht unmittelbar zwischen beiden über- gehen. Nun ist aber 5 mit 4 und 6 mit 3 durch Kupferdrähte leitend verbunden. Da wo diese Verbindungen einander kreuzen, ist letztere der Isolirung wegen mit einer Krümmung über erstere weg- geführt. Nun geht also der Strom von 1 über 5 nach 4, durchläuft den Verbindungsbogen nach 3 in umgekehrter Richtung wie der Pfeil und kehrt von 3 über 6 nach 2 und zur Kette zurück.

Entfernt man die Kreuzverbindung zwischen 3 und 6, 4 und 5, und bringt noch eine Leitung zwischen 5 und 6 an, so kann man denselben Strom nach Belieben durch die Leitung zwischen 3 und 4 oder die zwischen 5 und 6 kreisen lassen. Umgekehrt, wenn man

3 und 4 mit einer, 5 und 6 mit einer anderen Kette verbindet und zwischen 1 und 2 eine Leitung anbringt, kann man durch diese nach Belieben den Strom der einen oder den der anderen Kette gehen lassen. Noch andere Modifikationen der Anwendung, wenn nur eine der beiden gekreuzten Verbindungen entfernt wird u. dergl., lassen sich aus dem Anblicke der Figur leicht ableiten, weshalb wir sie hier übergehen. v

Bei den therapeutischen Anwendungen der Elektrizität sind Appa- rate mit Quecksilber nicht eben bequem. Man bedient sich daher gewöhnlich eines andern Stromwenders, z. B. des in Fig. 25 abge-

Fig. 25 n.

bildeten. Der Strom, welcher von dem positiven Pol der Kette kommt, tritt (s. Fig. 25 a) durch die Messingfeder a und den Bügel B in die Feder b, durchläuft nun den Experimentirkreis eCf, in welchem bei C z. B.

68 Wahl und Beliandlnng der galvanischen Batterien. Kap. \^I.

ein Teil des menschlichen Körpers eingeschaltet ist, in der Richtung der Pfeile nach D, d und kehrt durch den Bügel Bj über c zur Kette zurück. Die Bügel B und B, sind an einer isolirenden Hartkaut- schukscheibe angebracht. Dreht man diese mittels eines Handgriffs in die Lage, welche Fig. 25b darstellt, so geht der Strom von a über B nach d, verläuft, wie die Pfeile zeigen, in umgekehrter Rich- tung als vorher durch fce und kehrt über b, B, und C zur Kette zurück.

Anhang zu Kapitel VI.

Einige Bemerkungen über die Wahl und Behandlung der galvanischen Batterien.

Wer ein galvanisches Element oder eine Batterie von mehreren Elementen anzuschaffen beabsichtigt, hat vor allen Dingen zu be- achten, zu welchem Zweck dieselben dienen sollen. Denn ein jedes Element hat gewisse Eigenschaften, welche es zu dem einen Zweck /besser, zu einem andern weniger geeignet machen. Universal-Elemente, die zu allen möglichen Zwecken gleich gut geeignet wären, gibt es nicht. Wol aber gibt es für bestimmte Zwecke bei der grossen Zahl von Elementen, welche konstruirt worden sind u]id noch immer neu angegeben werden, meistens mehrere Arten, welclie diesen Zweck gleich gut erfüllen können. In solchen Fällen werden der Anschaffungspreis, die Dauerliaftigkeit, die Betriebskosten, die Bequemlichkeit der Unter- haltung u. dergl. für die Wahl entscheidend sein.

Jedes Element hat eine begrenzte Dauer. Denn der galvanische Prozess, welcher sich in der geschlossenen Kette in Gestalt der elek- trischen Strömung vollzieht, kommt nur auf Kosten chemischer Vor- gänge zu Stande. Das positive Metall in den gebräuchlichen Formen der Elemente stets Zink wird oxydirt und das gebildete Oxyd gelöst. Das Zink wird also verbraucht und muss von Zeit zu Zeit ersetzt werden. Es ist aber von Wichtigkeit, diesen Zink ver- brauch so zu regeln, dass er nur auf die Zeit. der Stromerzeugung be- schränkt bleibe. Steht das Zink in einer Flüssigkeit, welche es auch dann angreifen kann, wenn der Strom nicht geschlossen ist, z. B. in verdünnter Schwefelsäure, wie bei den Ketten von Daniell, Grove u. s. w. , so muss man diesen Angriff durch Amalgamiren des Zinks

(Anh.) Wahl und Behandlung der galvanischen Batterien. 69

vermindern. Auf gute Amalgarairiing und sürgialiige Unterhaltung derselben ist aber auch bei den meisten andern Ketten Wert zu legen. Trotzdem ist es ratsam, diese Elemente nach jedesmaligem Gebrauch auseinander zu nehmen und das Zink trocken aufzubewahren, was eine erhebliche Mühe verursacht. Wo es daher nicht auf absolute Kon- stanz ankommt, wird man gern solche Elemente vorziehen, die im zusammengesetzten Zustande Monate lang stehen bleiben können. Hierzu gehören die Elemente von Siemens, Leclanche und seine Modilikationen, sowie die Elemente mit Kaliumbichromat und Schwefel- säure (Bunsen, Grenet, Spam er, Reiniger); doch muss bei diesen das Zink während des Nichtgebrauchs aus der Flüssigkeit entfernt werden, was entweder durch Heben desselben (Bunsen, Grenet) oder durch Senken der Flüssigkeit oder durch Umlegen des Gefässes (Rein ig er 's Winkelzellen) geschieht.

Der zur Oxydation des Zinks erforderliche Sauerstoff stammt bei allen Elementen aus der Zersetzung des Wassers, mit welchem das Zijik in Berührung ist. Der freiwerdende Wasserstoif, welcher an dem andern Pol (Kupfer, Platin, Kohle) polarisirend wirken würde, muss daher oxydirt werden, und so bedarf jedes Element, wenn es ganz oder nahezu konstant sein soll, eines gewissen Sauerstoffvorrats. Die einzelnen Elemente unterscheiden sicli von einander durch die Substanzen, welche diesen Sauerstoff enthalten. Beim Daniell ist dies Kupfersulfat, beim Grove Salpetersäure, beim Bunsen und den analogen Kaliumbichromat, beim Leclanche Manganhyperoxyd oder Braunstein. Das Kupfersulfat kann seinen Sauerstoflfv errat zu diesem Zweck vollständig hergeben; wenn aber die Lösung nicht gesättigt ist, wirkt sie nicht so gut depolarisirend; deshalb muss man sie durch Zufügung von überschüssigen Krystallen stets in gesättigtem Zustand er- halten. Die Salpetersäure im Grove- und Bunsen-Elemont gibt nur einen Teil ihres Sauerstoffs her und wird schon unwirksam, ehe sie ganz erschöpft ist. Ebenso geht es mit dem Kaliumbichromat und dem Manganhyperoxyd der beiden andern Ketten, Bei dem Leclanche- Element bleibt dann nichts übrig als die Mischung von Kohle und Braunstein ganz zu erneuern. Bei den jetzt üblichen Formen dieses EJements, wo diese Mischung zu einem Block zusammengepresst ist, muss man sicli daher solche Blöcke in Vorrat halten, um die abge- nutzten zu ersetzen. Bei den Bichromatelementen hat man nur nötig, die Flüssigkeitsmischung zu erneuern, sobald das Element in seiner Wirkung nachlässt.

Der Physiologe braucht galvanische Elemente hauptsächlich zum

70 Wahl und Behandlung der galvanischen Batterien. Kap. VI.

Betrieb von Iiiduktorleii, zu Untersuchungen über die Wirkung auf Nerven und Muskeln, zu Widerstandsmessungen und zur Messung elek- tromotorischer Kräfte. Der Arzt braucht Elemente gleichfalls zum Betrieb von Induktorien, zur therapeutischen Anwendung des konstanten Stroms in der eigentlichen Elektrotherapie, zu chirurgischen Zwecken als da sind: Galvanokaustik, Galvanopunktur u. s. w. , endlich zu Beleuchtungszwecken bei der Endoskopie.

Für einige dieser Zwecke kommt es auf vollkommene Konstanz des Elements an. In diesem Falle sind nur Daniell'sche oder Grove'sche Elemente zu gebrauchen. Wo aber eine solche absolute Konstanz nicht erfordert wird, kann man diese mit Vorteil durch Chromsäure-*) oder Leclanche-Elemente in einer der oben be- schriebenen Formen ersetzen. Besonders für den Betrieb der Induk- torien in der elektrotherapeutischen Praxis sind beide sehr geeignet. Das Leclanche-Element, welches man in verschiedenen Grössen haben kann, ist billig und sein Betrieb ist sehr bequem, wenn es sich um die Hauspraxis handelt, wo das Element ruhig an seinem Platz stehen bleiben kann. Man hat zwar auch transportable Le- clanche-Elemente konstruirt, sie sind aber für Induktorien nicht so gut als die für diesen Zweck adaptirten Chromsäure -Elemente. In diesem Fall nämlich hat man zu beachten, dass der Widerstand der primären Spirale des Induktoriums nur gering ist. Man braucht daher keine grosse elektromotorische Kraft, ein oder höchstens zwei Ele- mente reichen wol selbst für die hartnäckigsten pathologischen Fälle aus. Aber der Widerstand des Elements selbst (der wesentliche Wider- stand, vgl. § 37) muss auch klein sein. Nun hängt der Widerstand des Elements von seiner Grösse ab. Es wird also gut sein, Elemente von grossen Dimensionen zu wählen, gleichgiltig, welcher Art sie sind. Bei stationären Apparaten ist dies jedenfalls zu empfehlen, bei porta- tiven aber soll das Element auch möglichst klein sein. In diesem Falle hat das Grenet'sche Element einen Vorzug, da es eine grössere elektromotorische Kraft und bei gleicher Grösse einen ge- ringeren Widerstand hat als das Leclanche-Element.

In der Tat haben nun auch die meisten Konstrukteure für por- tative Induktorien das Chromsäure-Element in modifizirter Form ein- geführt. Ursprünglich von Bunsen in grosser Form ausgeführt, hat

*) Unter dieser abgekürzten Bezeichnung soll hier das Element aus Zink und Kohle mit der Mischung von Schwefelsäure und doppeltchromsaurem Kalium ver- standen sein.

(Anh.) Wahl und Behandlung der galvanischen Batterien, 71

ihm dann Grenet, wie wir gesehen haben, die kleinere und bequemere Form des Flaschenelements gegeben; dann hat Spam er gezeigt, dass man das Zink nur ganz wenig in die Schwefelsäuremischung einzu- tauchen braucht und dass (offenbar wegen des guten Leitungsvermögens dieser Flüssigkeit) der Strom immer noch stark genug bleibt. Auch hat diese Form des Elements den Vorteil, dass die Polarisation an der Kohle, wegen ihrer grösseren Oberfläche, leichter beseitigt werden kann. In sehr zweckmässiger Form führt Hirsch mann dieses Ele- ment aus, indem er das Zink in ein oben geschlossenes Rohr von Hartkautschuk einschliesst, in welches die Flüssigkeit von unten her nur bis zu einer geringen Höhe eindringen kann. Auch das Winkel- zellenelement von Reiniger eignet sich für transportable Induktorien.

Es darf aber nicht übersehen werden, dass solche kleine Elemente auch nur geringe Mengen Flüssigkeit fassen und dass der zur Depo- larisation verwandte Sauerstoffvorrat sich deshalb schnell erschöpft. Je kleiner das Element ist, desto öfter muss also die Füllung erneuert werden.

Bei der therapeutischen Anwendung des konstanten Stroms ist dagegen der ausserAvesentliche Widerstand immer sehr gross, so dass der Widerstand der Elemente dagegen als vollkommen verschwindend angesehen werden kann. Hier muss man daher, Avenn man starke Ströme braucht, stets viele Elemente anwenden, jedenfalls muss man, um auf alle Fälle vorbereitet zu sein, eine grössere Zahl vorrätig haben. Für stationäre Apparate eignen sich die Elemente von Siemens (modifizirte Daniell), die Chromsäure -Elemente und die von Leclanche, letztere besonders in einer der neueren Formen mit gepressten Kohlen-Braunsteinkörpern, wie sie z. B. Dr. Lessing in Nürnberg liefert. Eine Batterie solcher Elemente, etwa 50, von etwa 15 Cm. Höhe, reicht für alle Fälle aus. Sie ist sehr leicht zu behandeln. Man hat nur nötig, die Gläser bis zur halben Höhe mit gesättigter Salmiaklösung zu füllen und von Zeit zu Zeit das verdunstete Wasser zu ersetzen. Ist nach einigen Monaten das Zink sehr verunreinigt, so nehme man die Elemente auseinander, putze die ZinkstäKe und fülle mit neuer Salmiaklösung. Ewig kann eine solche Batterie allerdings auch nicht halten, da sich allmählich der Braunstein erschöpft.

Man hat auch diesen Elementen eine sehr geringe Grösse gegeben, um sie portativ zu machen. Besonders die Form von Beetz ist sehr zweckmässig. In der Tat kann man ja, Aveil es auf den wesentlichen Widerstand bei der therapeutischen Verwendung des konstanten Stroms

72 Wahl und Boliaiidhiiig der galvanischen Bailerien. Kap. VI.

iiichi \ icl aiikumiiil;, die Gi'ös.so tief Elemente sehr recliizireii. Doch sind diese kleinen Elemente nicht sehr lange haltbar.

Dagegen eignen sich für portative Batterien zu elektrotlierapeii- lischen Zwecken die Chromsäureelemente in kleinster Form besonders die Winkelzellenbatterie von Reiniger. Vierzig solcher Elemente reichen für alle Fälle aus. Da sich die Flüssigkeitsmischmig wegen ihrer geringen Menge schnell erschöpft, so hat Reiniger die sehr zweckmässige Einrichtung getroffen, dass die Elemente zu je fünfen in einem Troge vereinigt sind, deren Flüssigkeiten beim Nichtgebrauch mit einander kommuniciren und sich mischen. Da ferner nicht immer alle Elemente zugleich gebraucht werden, so tut man gut, die Lage der Tröge im Kasten nach jedesmaligem Gebrauch zu wechseln, so dass die Abnutzung sich gleichmässig auf alle verteilt. Die Neu- füllung der Zellen mit Flüssigkeit ist nicht schwer und orfordert wenig Zeit. Ist nach längerem Gebrauch ein Teil der Zinkstäbe ab- genutzt, so kann man sie gleichfalls leicht durch neue ersetzen.

Bei der Galvano punktur liegen die Verhältnisse ähnlich, der Widerstand der in den Kreis des Stroms eingeschalteten Körperteile wird dabei zwar geringer sein als bei den eigentlichen elektrotherapeutischen Anwendungen, aber immer doch noch sehr gross im Vergleich zum Widerstand einiger weniger Elemente. Man wird daher zu dieser An- wendung des galvanischen Stroms dieselben Elemente benutzen wie auch sonst in der Elektrotherapie, also Siemens-, Leclanche- oder Ohromsäure-Eleraente und wird mit wenigen derselben (höchstens 5) ausreichen.

Granz anders bei der Galvanokaustik und der Anwendung des Stroms zur Beleuchtung (Endoskopie). Hier handelt es sich darum, den Strom durch einen kurzen Platindraht zu leiten, um denselben glühend zu machen: bei der Galvanokaustik, um mit diesem glühen- den Draht zu schneiden oder zu brennen: bei der Endoskopie, um mit ihm zu leuchten. Der Widerstand , eines solchen Drahts ist immer sehr klein im Vergleich zu dem der Elemente. Um also einen ge- nügend starken Strom zu erhalten, muss man wenige Elemente von grosser elektromotorischer Kraft und geringem Widerstand verwenden. Hierzu eignen sich am besten recht grosse Chromsäure -Elemente in der Form, wie sie Bunsen zuerst angegeben hatte oder auch mit runden Kohlen und zylindrisch dieselben umhüllenden Zinkplatten, wie sie von St Öhr er u. A. gebaut Averden. Eine solche Batterie für galvanokaustische oder endoskopische Zwecke ist in Fig. 26 (s. folg. S.) dargestellt.

(Anh.)

Wahl und Behandlung- der rralvanischeu Batterien.

73

1)1 chinii'a-isclien Kliniken würde es übrigens zu empfehlen sein, statt der Batterien dynaraoeJektrische Maschinen zu verwenden, von denen im achten Kapitel die Rede sein wird. Auch die in § 25 be-

Ficj. 2G.

schriebenen Sekundärbatterien lassen sich zu diesen Zwecken ver- wenden, besonders wenn man Gelegenheit hat, sie durch eine starke dynamoelektrische Maschine laden zu lassen. Sie werden vielleicht in Zukunft, wenn ihre Konstruktion noch verbessert wird, vielfache An- wendung finden können.

Zum Schluss stelle ich Jiier die Zahlenangaben über die elek- tromotorischen Krcäfte der wichtigsten Elemente zusammen. Die Wider- stände derselben lassen sich nicht genau angeben, da sie von der Grösse, der Entfernung der beiden Metallflächen von einander u. s. w. abhängen, also auch bei Elementen gleicher Art schwankend sind.

74

Wahl und Behandlung der galvanischen Batterien.

Kap. VI.

Daniell:

Amalgamirtes Zink

Schwefelsäure

Kupfersulfat

Kupfer

1

Elektromotorische Kräfte ;

Grove:

Amalgamirtes Zink

Schwefelsäure

Salpetersäure

Platin

1,956

Bunsen:

Amalgamirtes Zink

Schwefelsäure

Salpetersäure

Kohle

1,734

Chromsäure: Amalgamirtes Zink j Schwefelsäure 1 1 Kaliumbichromat j

Kohle

2,028

Leclanche: Amalgamirtes Zink

Salmiaklösung

j Braunstein

l Kohle j

1,481

üeber die innern Widerstände dieser Elemente sei, um wenigstens einen gewissen Anhalt für die Beurteilung zu geben, bemerkt, dass unter Voraussetzung gleicher Grösse der Elemente der Widerstand eines Daniell etwa doppelt so gross ist als der eines Bunsen oder Grove und etwa halb so gross als der eines Leclanche.

Kapitel VII.

Von der Stromdichte, den Zweigströmen und der Ver- teilung des Stromes in nicht prismatischen Leitern.

§ 40. Es seien Kj und K, zwei konstante und ganz gleiche Ketten, Lj und L2 zwei Leiter aus derselben Substanz, jedoch sei Lj nocli ein Mal so dick und noch ein Mal so lang, als L^. Dann ist der Widerstand beider Leiter genau gleich, und wenn wir die Kette Kl durch den Leiter Lj und die Kette K, durch den Leiter L., schliessen, so muss die Stromstärke in beiden ganz gleich sein:

Fassen wir nun einen Querschnitt des Leiters Lj und einen Querschnitt des Leiters L^ ins Auge, so strömen durch beide in gleichen Zeiten gleiche Elektrizitätsmengen. Aber diese Elektrizitätsmengen sind in L.2 auf einen doppelt so grossen Querschnitt verteilt, als in Ly, durch die Flächeneinheit des Querschnitts fliesst also in Li noch ein Mal so viel Elektrizität als in derselben Zeit in L2. Nennen wir nun die- jenige Elektrizitätsmenge, welche in der Zeiteinheit durch die Quer- schnittseinheit fliesst, die Strom dichte, so folgt daraus, dass bei gleicher Stromstärke die Stromdichte umgekehrt proportional ist dem Querschnitt :

Der Begriff der Stromdichte ist für alle Wirkungen des Stromes, welche in dem Leiter selbst vorgehen (und hierzu gehören alle pliysio- logischen und therapeutischen Wirkungen des Stromes), ungemein wichtig; denn es ist klar, dass es bei diesen Wirkungen nicht gleich- giltig sein kann, ob eine und dieselbe Elektrizitätsmenge auf einen grösseren oder kleineren Querschnitt verteilt ist. Im Gegenteil wird die W^irkung des Stromes natürlich um so beträchtlicher sein müssen,

76 Stromdichte. Kap. V[I.

je geriiij^er der QucrschiiiU ist, durch welulicn eine bestimiriic Elck- triziiätsmenge fliesst, je grösser also die Stromdichte ist.

Um nun zu beurteilen, welchen Einfluss die Veränderung des Querschnitts auf die Stromdichte hat, muss man besonders festhalten, was wir im vorigen Kapitel über den relativen Widerstand eines Teiles des Kreises gesagt haben. Denken wir uns z. B. an einen Nerven einen Zink-Platinbogen angelegt; wir haben dann eine einfache Kette, in welcher der Nerv selbst den feuchten Leiter vorstellt; der Nerv Avird also von einem Strom in der Richtung vom Zink zum Platin durch- üossen. Der Widerstand des Zinkplatinbogens kann im Vergleich zu dem Widerstand des Nervenstückes gleich Null gesetzt Averden, der

Widerstand des Nervenstückes ist aber gleich -j^, wo L die Länge

und Q den Querschnitt bedeutet. Es ist also die Stromstärke

und die Stromdichte

E^_E^_Q W L

D==i-=1 Q L

Verschieben wir nun den Platinzinkbogen so, dass eine andere Stelle des Nerven im Kreise ist, deren Länge ebenfalls gleich L, deren Quer- schnitt aber gleich 2 Q ist, so haben wir

, 2.E.Q ,„ i.E.Q E

Die Stromdichte ist also in beiden Fällen ganz die nämliche, wie sehr auch die Querschnitte verschieden sein mögen.

Umgekehrt, wenn in den Kreis so grosse Widerstände einge- schaltet werden, dass der Widerstand des Nerven gegen sie als un- endlich klein angesehen werden kann, dann bleibt die Stromstärke ungeändert, gleichviel, ob die dicke oder die dünne Stelle des Nerven im Kreise ist. Denn nennen wir den Widerstand der dünneren Nerven-

W

strecke W, den der dickeren also -, den ausserdem eingeschalteten

Widerstand aber w, so können wir ohne erheblichen Fehler setzen

W

W -|- w == -j- w

weil nach unserer Voraussetzung der Widerstand W unendlich klein im Verhältniss zu w ist. Dann ist aber auch

J, = J und folglich

§ 40, 41.

Stromyerteiluna,-.

77

Q ' "~ 2 Q In diesem Falle wäre also dieStromdichte umgekehrt proportional dem Querschnitt der im Kreise befindlichen Strecke.

§ 41. Bei unseren bisherigen Betrachtungen haben wir die Leiter immer von prismatischer oder zylindrischer Gestalt vorausgesetzt, d. h. so, dass ein senkrecht auf die Längsaxe gemachter Querschnitt überall dieselbe Gestalt hat. Man kann sich dann den ganzen Strom, der sich in einem solchen Leiter bewegt, bestehend denken aus einer Anzahl paralleler Stromesfäden, die gleichsam zu einem Bündel vereinigt, den ganzen Strom ausmachen. Je mehr solcher Fäden in einem Leiter von gegebenem Querschnitt zusammengedrängt sind, desto grösser ist die Stromdichte. Immer aber werden die Fäden gleichmässig über den ganzen Querschnitt verteilt, die Dichte wird in allen Teilen eines und desselben Querschnitts die nämliche sein müssen. Denken wir uns nun den Leiter der Länge nach in zwei gleich dicke Teile gespalten, so werden auf jeden dieser Teile die Hälfte der Stromfäden kommen, der Strom wird sich gleichmässig zwischen den beiden Hälften des Leiters teilen, und da beide Hälften ganz gleich sind, so wird die Stromstärke sowol als die Stromdichte in den beiden Teilen ganz gleich sein.

Denken wir uns nun den Leiter in irgend einem anderen Ver- hältniss gespalten, so dass die Dicke des einen Teiles die des anderen um das n-fache übertrifft, so werden in dem ersteren auch n mal so viel Stromfäden liegen, als in dem zweiten, die Stromstärke wird also im ersteren die n-fache von der im zweiten sein, die Strom- dichte aber wird in beiden Teilen gleich sein.

Diese Betrachtung führt uns zu dem -Problem der Stromverteilung in verzweigten Leitungen. Sei, Fig. 27, ABFDC ein Kreis, in wel- chem bei A der Sitz der elektromotorischen Kraft sein mag, welche einen Strom in der Richtung der Pfeile veranlasst, und sei dieser Kreis zwischen D und F in die beiden Zweige DEF und DGF gespalten. Nehmen Avir zunächst an, die beiden Zweige wären einander genau gleich, so wird sich der Strom in die beiden Zweige ganz gleich- mässig teilen. Haben die beiden Zweige a))or ungleiche Widerstände, so küimoii die /.'/,/.

78 Kirchhoff'sche Formeln. Kap. VII.

Elektrizitätsraengeii, welche durch die beiden Zweige in gleichen Zeiten strömen, nach den obigen Betrachtungen nicht mehr gleich sein. Um nun zu untersuchen, in welcher Weise der Strom sich in die beiden Leitungen teilt, wollen wir annehmen, der Widerstand des Zweiges DEF sei gleich W^ und der des Zweiges DGF sei gleich nW, Wir können dann, welches auch die Beschaffenheit der beiden Zweige sei, für den Zweig DEF eines anderen eingeführt denken von derselben Länge und demselben Material wie DGF, aber vom n fachen Querschnitt. Die oben angestellte Betrachtung zeigt dann, dass die Stromstärke im Zweige DEF n mal so gross sein muss, als die im Zweige DGF.

Diese Betrachtung behält aber auch ihre Giltigkeit, wenn der Kreis sich statt in zwei, in drei oder mehr Zweige spaltet. Wir können daher ganz allgemein den Satz aussprechen:

Wenn ein Kreis sich in eine Anzahl von Zweigen spaltet, welche sich alle wieder zu einer Leitung ver- einigen, so verhalten sich die Stromstärken in den einzelnen Zweigen umgekehrt wie ihre Widerstände. Kirchhoff (Poggend. Ann. Bd. 64. S. 497) hat für ein System von Drähten, welche auf ganz beliebige Weise mit einander verbunden und von galvanischen Strömen durchflössen sind, folgende Gleichungen abgeleitet, nach denen man die Stromstärke in jedem Zweige leicht berechnen kann:

1) Wenn die Drähte 1 , 2, 3, . . . . /z in einem Punkte zusamraenstossen, wenn ferner Ji, Jj, J3 . . . . J ß die Intensität der Ströme bezeichnet, welche in den entsprechenden Drähten fliessen, wobei J als positiv angenommen wird, wenn der Strom nach dem Knotenpunkte hin, als negativ, wenn er von dem Punkte fort gerichtet ist, so ist stets:

Ji + J. + J3 + + J/^- = 0

2) Wenn die Drähte 1, 2, 3, .... v eine in sich geschlossene Figur bilden, und ZE bedeutet die Summen aller elektromotorischen Kräfte, welche sich auf dem Wege 1, 2, 3, .... v, befinden, w,, w.^, Wg, ; . . . wv die Widerstände und Ji) J2, J3> J^ <lic Intensitäten in den bezüglichen Drähten, so ist:

JiW, + J2W.2 + J3W3 + + Jv wv = 2'E.

Der erste Satz sagt nur aus, dass die dem Punkte von der einen Seite zugeführte Elektrizitätsmenge gleich sein muss der von ihm nach der anderen Seite hin in derselben Zeit abgegebenen, was sich von selbst versteht. Wegen des Beweises für den zweiten Satz müssen wir auf die Abhandlung selbst verweisen. Wir wollen hier nur einige Folgerungen aus demselben ziehen, welche für uns von grossem Interesse sind. Nennen wir in Figur 27 GAB 1, DGF 2 und DEF 3, so ist

J,Wi+J2W2=-E (1)

JiW, +J3W3 = E (2)

-J2W2 + J3W3-O*) (3)

*) J2 muss negativ genommen werden, weil es in dem Umgange FE DGF die entgegengesetzte Richtung hat, wie J3.

§41.

und für den Punkt D

Nach (2) ist Nach (4) ist also ist oder Nach (3) ist

Kirchhoff'sche Formeln.

- Ji + J, + J3 = 0

J[ = J.j -7- J3

J3 W3 = R J2 Wi J3 w,

J3 Wi + J3 W3 = E J, Wi

J., w, = J., w.

79

(+)

(5)

J,=

'3 "3

also

Dies in (5) eingesetzt gibt

J3Wi+J3W3 = E

oder

oder J3

Ganz ebenso ergibt sich:

J,

J3 ^3 Wi

J3 w, W2 + J3 W2 W3 + J3 Wi W3 = E W2

ii: w,

Wi W.2 + W., W3 -f- W, W3

E . Wo

W, Wj + W.^ W3 + Wi W3

Und da nach (4) J, = J2 + J3, so ist

E . (w., 4- W3)

Ji =

0)

(8)

WjW.j + -WjWa + WiWs Die beiden Gleichungen (6) und (7) zeigen, dass sich die Stromstärken in den beiden Zweigen 2 und 3 umgekehrt verhalten, wie ihre Widerstände, denn es ist

J2 : J3 = W3 : W2 ein Resultat, welches wir schon aus unseren obigen allgemeinen Betrachtungen ab- geleitet hatten.

Sei ferner in Figur 28 AB CD ein verzweigtes von Strömen durchflossenes System. Es heisse Ac 1, CB 2, AD 3, BD 4, und C ED 5.

Fig. 28.

Es sei in diesem System selbst keine elektromotorische Kraft vorhanden*), und

ferner wollen wir voraussetzen, dass J5 = 0 ist, d. h. dass in dem Zweige CED kein Strom existire. Man hat dann:

Für den Punkt C: J, J, =. 0 (1)

Für den Punkt D: J3 J4 = 0 (2)

Für den Umgang A C E D : Ji Wi J3 w.j =0 (3)

Für den Umgang B D E C : J, w.^ - J, w^ = 0 (4) Aus der Division von (3) und (4) folgt:

Ji^i ^ J3W3 /5\

J2 W.2 Jj Wi

*) Diese muss also in dem zwischen A und B noch befindlichen Bogen irgend- wo ihren Sitz haben.

80

Rheocliord.

Kap. VIT.

Da nun nach (1) .1, = .T., und nach (2) J., = J4, so ist

J,,

und dies in (5) eingesetzt ergibt

1 und -Y- ''4

W, \V4

d. h. wenn ein Strom sich in zwei Arme teilt, welche durch einen Zwischendraht verbunden sind, und in diesem Zwischendraht ist die Stromstärke Null, so verhalten sich die Widerstände der beiden Teile des einen Armes wie die Widerstände der beiden Teile des anderen Armes.

§ 42. Die Gesetze der Stromverzweiguiig finden ungemein häufige Anwendung in der Muskel- und Nervenphysiologie. Sie geben auch den Schlüssel zum Verständniss der Art und Weise, wie die elek- trischen Ströme bei der Durchleitung durch Teile des menschlichen Körpers sich verhalten. Hiervon soll später gehandelt werden. Hier wollen wir zunächst nur einige jener Anwendungen besprechen.

Es ist eine sehr häufige Aufgabe, durch einen Muskel oder Nerven einen Strom von bestimmter Stärke zu senden, und diese Stärke schnell nach Belieben ändern zu können. Zu diesem Zweck bedient man sich des schon im § 36 beschriebenen Rheochords, Figur 29, indem man den Strom sich zwischen Rheochord und Nerv teilen

Fig. 29.

lässt, oder wie man sich ausdrückt, das Rheochord als jNeben- schliessung zum Nerven einschaltet. Verbindet man nämlich die beiden Klemmen mit den Polen der Kette und führt ausserdem von denselben Klemmen je einen Leitungsdraht zum Nerven, so teilt sich der Strom; ein Zweig geht durch das Rheochord, ein anderer durcli den Nerven. Die Stromstärke im Nerven hängt nun ab von dem Verhältniss des Widerstandes der eingeschalteten Saitenstücke des Rheochords zu dem Widerstände der den Nerven enthaltenden Leitung. Je näher also der Schieber K den Zuleitungsdrähten steht, desto schwächer ist der den Nerven durchfl.iessende Strom, und je weiter man den Schieber von jenem entfernt, desto stärker wird der Strom

42.

Rheochord von du Bois-Reymond.

;l

im Nerven. Steht der Schieber ganz dicht an den Klemmen, so ist der Widerstand in diesem Zweige (da der Schieber aus einem gut leitenden Metali besteht und einen beträchtlichen Querschnitt hat) gegen den Widerstand im Nervenkreise unendlich klein, es geht dann also so gut wie gar kein Strom durch den Nerven.

Um alle möglichen Abstufungen der Stromstärke erzielen zu können, muss das Rheochord so beschaffen sein, dass man auch über ziemlich beträchtliche Widerstände zu gebieten hat. Du Bois-Rey- mond hat zu diesem Zweck dem Apparat folgende Einrichtung gegeben (Figur 30): Auf einem Brett sind zwei feine Platindrähte parallel ausgespannt, deren jeder etwas über 1 Meter lang ist. Unter diesen bewegt sich in einer passenden Bahn ein Schlitten von Messing, auf

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ililllliilll Illllllllllllil Iillllllllllilllllllliilllllliillilil!l!ililllllllliilllii

Fig. 30.-

welchem parallel neben einander zwei hohle Stahlzylinder befestigt sind. Diese sind hinten offen, vorn jedoch bis auf eine feine Oeffnung, deren Durchmesser den des Platindrahts nur wenig übertrifft, ge- schlossen. Die Platindrähte sind durch die Oeffnungen der Stahlzylinder gezogen, diese mit Quecksilber gefüllt und hinten mit Korken ver- schlossen, durch welche die Platindrähte ebenfalls durchgehen. Wegen der Unbenetzbarkeit des Platins und Stahls durch Quecksilber fliesst dieses aus dem kapillaren Raum zwischen dem Platindraht und der Oeffnung des Stahlzylinders nicht aus.

Die Platindrähte gelien an dem vorderen Ende des Apparates über zwei Messingbacken a und b, welche sorgfältig von einander isolirt sind. Die eine dieser Backen, a, ist mit einer Doppclklemme zur Aufnahme zweier Leitungsdrähte versehen. Ausserdem sind auf

Uosentlial u. Bernhardt, Elektri/.itiitsleliro. lU. Aiill. r

82

Rheochord von du Bois-Reymond.

Kap. Vil.

dem Brette noch fünf Messingklötze, c, d, e, f, g, befestigt, jeder von seinem Nachbar durch einen kleinen Zwischenraum getrennt und isolirt. Die einander zugekehrten Seiten dieser Klötze sowie die eine Seite der Backe b sind mit Einschnitten versehen, die zusammen einen zylindrischen Kanal zur Aufnahme von metallischen Stöpseln bilden, Avelche, wenn sie in den Kanälen stecken, eine metallische Verbindung zwischen je zwei benachbarten Metallklötzen herstellen. Der letzte Klotz g trägt wieder eine Doppelklemme.

Sind nun alle Stöpsel in die Kanäle gesteckt und steht der Schlitten ganz vorn, so dass die Stahlzylinder hart an den Backen a und b anliegen, so ist zwischen den Klötzen a und g eine Leitung von verschwindend kleinem Widerstand hergestellt. Werden daher

Fig. 31.

die Klemmen dieser Klötze einerseits mit den Polen der Ketten, andererseits mit den Nerven verbunden, so geht so gut wie gar kein Strom durch den Nerven. Wird jedoch der Schlitten fortgeschoben, so wächst mit der Länge der eingeschalteten Platindrähte auch die Stärke des den Nerven durchfliessenden Stromes. Um nun noch grössere Widerstände einschalten zu können, als die beiden Platin- drähtc darbieten, ist folgende Einrichtung getroffen: In einem unter- lialb der Platindrähte befindlichen Kasten sind 5 Drähte von Neusilber ausgespannt. Der erste ist mit seinem einen Ende an der Backe b, mit dem anderen an dem Klotz c befestigt, der zweite an c und d, der dritte an d und e, und so fort. Ihre Länge ist so abgepasst, dass sie, den Widerstand der beiden Platindrähte zusammen als Ein- heit angenommen, der Reihe nach folgende Widerstände repräsentiren:

§42.

Einsaitiges Rheochord,

83

1, 1, 2, 5, 10. Zieht man einen Stöpsel zwischen zwei benachbarten Messingklötzen heraus, so miiss der Strom durch den entsprechenden Neusilberdraht gehen, und man kann also nach Belieben den Wider- stand des Rheochords verändern, indem man durch Korabination der Neusilberdrähte bis zu 19 Einheiten und durch Verschieben des Schlittens beliebige Bruchteile einschalten kann.

Soll das Rheochord vollständig seinen Zweck erfüllen, so muss bei Ein- schaltung seiner ganzen Länge die Stromstärke im Nerven so gross sein, als wäre gar kein Rheochord vorhanden, sondern als ginge der Strom der Kette ungeteilt durch den Nerven. Diese Forderung ist erfüllt, wenn der Widerstand der Kette als unendlich klein gegen den Widerstand der ganzen Rheochordlänge angesehen werden kann. Nennen wir den Widerstand der Kette samt der Leitung bis zum Rheochord Wj , den Widerstand des Rheochords Wj und den Widerstand der vom Rheochord abgezweigten Leitung, welche den Nerven enthält, Wj, so ist nach § 41 Gleichung (6) die Stromstärke im Nerven, wenn wir noch mit E die elektromoto- rische Kraft der Kette bezeichnen,

-j- Ew^ ^ Ew2

^ Wi W2 + Wj W3 + Wi W3 W, W2 + (Wi -f- wJ W3

Ist nun unserer Voraussetzung gemäss Wj unendlich klein gegen w.2, so geht dieser Ausdruck über in

_ Ewj _ Ew2 _ E

* Wi W2 + W2 W3 W2 (Wi + W3) Wj -f W3

Dies heisst aber Nichts Anderes, als dass die Stromstärke im Nerven dieselbe ist, als ob die Kette mit dem Nerven direkt zum Kreise geschlossen wäre.

Will man sehr schwache Ströme durch den Nerven leiten, welche aber sehr genau abgestuft werden sollen, so gibt man dem Rheochord die Einrichtung Figur 32. AB ist ein dicker Draht aus irgend einem gut leitenden Metall, etwa von Messing. Derselbe trägt bei B eine einfache, bei A eine Doppelklemme. Auf dem Drahte ist der Schieber

Ficj. ,32.

G*

84 Kreisrheochord. Kap. VII.

S beweglich. Verbindet man die Pole der Kette, mit A und B, und den Nerven mit A und S, so geht ein Stromzweig durch den Nerven, welcher um so stärker ist, je weiter S von A entfernt wird.

Nennen wir wiederum E die elelctro motorische Kraft der Kette, Wj den Wider- stand von SBZPA, Wi den des eingeschalteten Dralitstücks SB, und w.^ den der Nervenleitung AnS, so ist abermals

j ^ Kwj

^ WjWj -f W1W3 + W2W3

Ist nun AB ein dicker gut leitender Metalldraht, wie wir vorausgesetzt haben, so kann Wj als unendlich klein angesehen werden, sowohl gegen Wj als gegen Wj. Dann geht der Ausdruck über in

_ Ew,

W1W3

d. h. in diesem Falle ist die Stromstärke im Nerven direkt propor- tional dem Widerstände Wj, d. h. der Entfernung des Schiebers S von der Klemme A.

Will man diesen Fall mit dem Rheochord Fig. 31 herstellen, so muss man sich auf die Benutzung der Platindrähte als Rheochord beschränken und kann die Neusilberwiderstände in den Kreis der Kette -einschalten. Man erreicht dies, indem man alle Stöpsel zwischen b und g entfernt und zwischen b und c einen Stöpsel einfügt, welcher mit einer Klemme versehen ist. Man verbindet nun die beiden Klemmen von a mit der Kette und dem Nerven, die eine Klemme von g mit dem andern Pol der Kette und die Stöpselklemme zwischen b und c mit dem Nerven. Die Widerstände der drei Stromzweige sind dann: w, = dem Widerstand der Kette + den 19 Neusilbereinheiten; Wj =^ dem sehr kleinen Widerstand der eingeschalteten Platindrahtstücke; Wj = dem grossen Widerstand des Nerven.

Du Bois-Reymond hat dem einsaitigen Rheochord eine Form ge- geben, welche eigentlich für andere Zwecke bestimmt, aber auch für den vorliegenden Fall brauchbar ist. Dasselbe ist in Figur 33 (s. folg. S.) dargestellt. Der dicke Rheochorddraht (an diesem Apparate von Platin) ist um den Rand einer kreisförmigen Scheibe von Hartgummi heruragelegt. Seine Enden stehen mit den Klemmen I und II am Fussgestell des Apparates in Verbindung, mittels deren also ein Strom durch die ganze Länge des Drahtes geleitet werden kann. Um von diesem Drahte einen Stromzweig abzuleiten, ist einerseits der Draht nahe seinem einen Ende über einen scharfen Metallsteg geführt, wel- cher mit der Klemme IV verbunden ist; andererseits wird ein kleines Platinröllchen r durch eine Metallfeder gegen den Draht gedrückt, welches Röllchen mit der Klemme III in Verbindung steht. Wir haben also nur die Klemmen III und IV mit dem Nerven zu verbinden, dann geht ein Zweig des Stromes durch denselben. Die Stärke dieses Zweiges hängt ab von der Länge des Drahtes zwischen dem Steg und der Rolle r. Um diese Entfernung zu ändern., ist die isolirende

§ 42, 43.

Der Schlüssel.

85

A

0 0 0

Fig. 33.

Scheibe mitsammt dem Drahte um ihre vertikale Axe drehbar, und der oberhalb der Scheibe angebrachte Zeiger gestattet an einer auf der Oberfläche angebrachten Teilung die Ent- fernung des Ableitungspunktes r vom An- fange des Drahtes abzulesen. Die unter- halb der Scheibe angebrachten Stifte dienen zur bequemen Drehung derselben. Die Schraube f bewirkt eine feinere Einstellung, wenn durch Anziehen der Schraube g die grobe Drehung unmöglich gemacht worden.

§ 43. Ein noch häufiger gebrauchtes Instrument ist der Schlüssel, welcher in Figur 34 abgebildet ist. Auf der isoliren- den aus schwarzer Kautschukmasse gefertig- ten Unterlage a sind die beiden Messing- klötze b und c befestigt. An c ist der Messinghebel d drehbar befestigt. Drückt man ihn an seinem knöchernen Handgriff nieder, so legt er sich an den Klotz b an Fig. 34.

86 Messung von Widerständen. Kap. VII.

und setzt ihn in gut leitende Verbindung mit c. Schaltet man diesen Schlüssel in den Kreis einer Kette ein, indem man einen Leitungs- draht in c, den anderen in b einschraubt, so dient er einfach zum Schliessen und Oeffnen der Kette und ersetzt so das in § 20 erwähnte Quecksilbernäpfchen.*) Verbindet man aber die Klötze b und c einer- seits mit den beiden Polen einer Kette, andererseits mit den zum Nerven gehenden Leitungsdrähten und ist der Schlüssel, wie ihn die Figur zeigt, geöifnet, so geht der Strom der Kette durch den Nerven. Drückt man aber den Schlüssel nieder, so bildet er eine Neben- schli essung zum Nerven von so geringem Widerstand, dass gar kein Strom durch den Nerven gehen kann. Diese Anordnung ist für manche Fälle sehr vorteilhaft, wie wir noch sehen werden.

§ 44. Eine dritte, äusserst wichtige Anwendung der Stromver- teilung in verzweigten Leitern ist die zur Bestimmung von Wider- ständen. Ist in Figur 35 der Strom in dem Zweige 5 gleich 0, so ist, wie wir im § 41 bewiesen haben,

W, : W, = W3 : W,. Schalten wir nun in den Zweig AD einen Rheostaten ein, in den Zweig BD einen Körper, dessen Widerstand bestimmt werden soll,

Fig. 35.

ist ferner das Verhältniss der Widerstände A C und B 0 bekannt, und ändern wir den Rheostaten so lange, bis ein im Zweige CED befind- licher Multiplikator gar keinen Strom anzeigt, so muss der am Rheo- stat abgelesene Widerstand sich zu dem zu bestimmenden verhalten, wie Wj : W^. Sind z. B. diese beiden Widerstände einander gleich, so ist der zu bestimmende Widerstand direkt gleich dem am Rhe- ostaten abgelesenen. Ist aber der zu bestimmende Widerstand sehr gross, so gibt man den Zweigen AC und BC ein solches Verhältniss, dass z. B. W2 = 10 . Wj ist, dann hat man natürlich den am Rhe-

*) Du Bois-Reymond hat auch einen Queclcsilberschlüssel angegeben, wo der Messinghebel d durch einen gekrümmten Metallbügel ersetzt ist, dessen Si)itze beim Niederdrücken in Quecksilber eintaucht.

§44.

Messung von Widerständen.

87

ostaten abgelesenen Widerstand mit 10 zu multiplizircn, um den ge- suchten AViderstand zu erhalten. Man nennt die in Figur 35 dar- gestellte Kombination eine AVheatstone'sche Brücke.

Man kann auch so verfahren, dass man in den Zweig AD einen ganz bestimmten Widerstand, z. B. ein oder mehrere Ohm, und in den Zweig BD den zu bestimmenden Widerstand einschaltet, und nun den Punkt C auf AGB so lange hin und her verschiebt, bis im Zweige CD kein Strom mehr ist. Es muss dann offenbar der zu be- stimmende Widerstand x sich zu der Einheit verhalten,, wie der Wider- stand von BC zu dem Widerstand von AC. Gibt man nun dem Zweige AGB die Einrichtung des in Figur 32 dargestellten Rheochords, so wird die AViderstaudsbestimmung sehr einfach. Man braucht eben nur den Rheochordschieber so lange zu verschieben, bis die Multipli- katornadel auf 0 steht. Das Verhältniss, in welchem jetzt der Rheochorddraht durch den Schieber geteilt wird, ist dann gleich dem Verhältniss des gesuchten Widerstandes x zu dem in AD eingeschalteten Widerstand. Figur 36 stellt diese Anordnung dar. AGB oder der eine Zweig der Wh eatstone 'sehen Brücke ist hier durch das Rheochord dargestellt, der andere Zweig ADB enthält bei x den zu messenden

Widerstand, bei W den Vergleichswiderstand, dessen Grösse möglichst passend gewählt ist. In den Zweig GD ist der Multiplikator M eingeschaltet. Die Zweige deuten die Richtung der Ströme an, welche von der Kette PZ der Brücke zugeleitet werden, während in dieser selbst unserer Voraussetzung gemäss keine elektromotorische Kraft ihren Sitz hat.

Da in diesem Falle der Schieber den Rheochorddraht nur in

88 Messung von Widers täiKlea. J(ap. VII.

einem Punkte beriilircn darf, so gibt man dem Rheocliord zweck- mässig folgende Einrichtung: Mau spannt einen Platindraht scharf auf eine gut lackirte hölzerne Schiene, die mit einer Teilung versehen ist, so dass der Draht unmittelbar auf der Schiene aufliegt. Ein kleiner Klotz, welcher durch eingegossenes Blei beschwert ist, trägt an seinem einen Ende eine starke Kupferplatte, an welcher unten eine den Klotz etwas überragende scharfe Platinschneide angelötet ist. Diese Schneide setzt man auf den Platindraht auf. An der Kupfer- platte ist der zum Multiplikator gehende Draht befestigt.

Es versteht sich von selbst, dass die Widerstände der Hilfsdrähte, welche zur Einschaltung des zu untersuchenden Körpers und der zur Bestimmung benutzten Einheit dienen, in Rechnung gezogen werden müssen, wenn nicht, wie dies allerdings bei physiologischen Unter- suchungen meist der Fall sein wird, ihr Widerstand als unendlich klein angesehen werden kann.

Um solche Widerstandsbestiraraungen genau machen zu können, muss man mit guten Rheostaten versehen sein. Die besten derartigen Instrumente werden von den Werkstätten von Siemens und Halske geliefert. Sie bestehen aus einem Kasten, in welchem eine Anzahl Rollen von genau abgestuften Widerständen enthalten sind. Auf dem Deckel des Kastens ist eine Vorrichtung, durch welche man die Rollen in den Kreis einschalten kann, indem man durch Entfernung eines Stöpsels eine gute Nebenscliliessung zu der betreffenden Rolle unter- bricht. Figur 37 stellt einen solchen Widerstandskasten oder Rheo-

Fig. 37.

staten dar, der 10 Rollen mit verschiedenen Widerständen enthält, welche einzeln oder mit einander kombinirt eingeschaltet werden können. Man kann diese Rheostaten auch statt des früher beschriebenen Rheochords als Nebenschliessung benutzen, um durch passende Wahl der eingeschalteten Rollen die Stromstärke - abzustufen. In dieser Weise wird er in der Elektrotherapie benutzt, um den Strömen, welche man durch einen Körperteil leitet, die passende Stromstärke zu geben.

§ 44. Stromabstufung mittels Rheostaten. 89

Wenn wir z. B. den Strom von 15 Daniell' sehen Elementen direkt durch einen Körperteil leiten , so würden wir einen Strom haben , dessen Stärke sich folgendermassen berechnet: 1 Daniell hat nahezu eine elektromotorische Kraft von 1 Volt und eiiien Innern Widerstand von etwa 1,4 Ohm. Die 15 Elemente haben also einen Widerstand von 21 Ohm. Rechnen wir dazu den Widerstand der Leitung und des Körperteils zu 979 Ohm. Dann haben wir

Schalten wir aber 10 Ohm als Nebenschliessung ein, so wäre nach § 41 Gleichung (6): E.W, 15. 10 150

W1W2 + W2W3 +w,W3 21.104-979.10+21.979 210 + 9790+20559 = nahezu 5 Milliampere. Bei Kinschaltung von 20 Ohm als Nebenschliessung er- halten wir ebenso:

J3 = nahezu 7,0 Milliampere. Bei Einschaltung von 30' Ohm als Nebenschliessung ebenso:

J3 = nahezu 9 Milliampere und so weiter. Wir sehen also , . dass man im Stande ist , durch allmähliche Ver- mehrung der Widerstände der Nebenschliessung (da wir ja langsamer vorschreiten und nicht von 10 zu 10 Ohms, sondern allmählich die Widerstände vermehren können) den Strom ganz allmählich anschwellen zu lassen.

Statt dieser Rheostaten hat man auch Flüssigkeitsrheostaten an- gewandt. Ära besten nimmt man dazu enge Glasröhren, welche mit konzentrirter Lösung von Zinksulfat gefüllt sind. Die Röhre wird vertikal aufgestellt, unten mit einem Kork geschlossen, durchweichen ein amalgamirter Zinkdraht hindurchgeht. Von oben senkt man einen gleichfalls amalgamirten Zinkdraht ein. Indem man diesen verschiebt, kann man eine längere oder kürzere Flüssigkeitssäule einschalten, welche bei dem geringen Querschnitt, den man der Röhre geben kann, und dem grossen spezifischen Widerstand der Flüssigkeit einen sehr erheblichen Widerstand darstellt. Durch die Kombination von Zink- sulfat und amalgamirtera Zink wird Polarisation vermieden.

§ 45. Wir haben im Vorhergehenden gesehen, das ein elek- trischer Strom in einem System von verzweigten Leitern sich so ver- teilt, dass der durch jeden Zweig sich ergiessende Stromesanteil im umgekehrten Verhältniss zum Widerstand dieses Zweiges steht. Dabei ist es durchaus gleichgiltig, wie gross die Zahl der Zweige ist, in welche sich der Leiter teilt. Denken wir uns nun einen Leiter von irgend welcher Gestalt, etwa eine kreisförmige Scheibe von Metall, an deren Umfang an zwei diametral gegenüberliegenden Punkton der Strom ein- und au,stritt, so ist es offenbar gestattet, sich diese Sclieibe zusammengesetzt zu denken aus einer Anzahl leitender gleicli diclver Streifen, welche alle in dem einen Punkte anfangen und in dem

90 Sliöme in nicht prismalischen Leitern. Kap. VH.

anderen endigen. Der Strom wird sich dann durch alle diese Streifen ergiessen, aber da die Länge der Streifen von dem mittelsten, diametral die Scheibe durchschneidenden, nach beiden Seiten hin immer mehr

/

Fig. 38.

zunimmt, so muss die Stärke der Ströme in dem mittleren Streifen am grössten sein und nach beiden Seiten hin allmählich abnehmen. Denken wir uns nun die Streifen immer schmaler und immer näher an einander gerückt, so folgt, dass die ganze Scheibe durchflössen sein muss von einem System immer mehr von der geraden Linie ab- weichender, und der Halbkreisform sich anschliessender Stromeskurven,' welche alle von dem Punkte ausgehen, wo der Strom in die Scheibe eintritt, und in den Punkt zusammenlaufen, wo der Strom die Scheibe verlässt. Das Verhältniss wird aber das nämliche bleiben, wenn der Leiter irgend eine andere Gestalt hat, und die Zu- und Ableitung des Stromes an zwei beliebigen Punkten geschieht. Immer wird der Leiter von einem System von Strömen durchflössen sein, welche alle von dem Zuleitungs- nach dem Ableitungspunkte gehen, und den ganzen Leiter erfüllen, indem sich die letzten der Oberfläche des Leiters anschliessen. Figur 39 (s. folg. S.) stellt ein solches System von Strömen vor in einem viereckigen Leiter, wo die Zu- und Ableitung an zwei Punkten, die ungefähr gleichweit von der Mitte abstehen, geschieht.

§ 46. Denken wir uns den Leiter Figur 39 als eine Ebene, auf welche in A und B die Pole einer Kette aufgesetzt werden, \\\ A der positive, in B der negative Pol, so wirken die elektrischen Spannungen, welche die Pole besitzen, verteilend auf die natürlichen Elektrizitäten des ebenen Leiters und diese geraten in Bewegung, indem die positive Elektrizität von A abgestossen, von B angezogen wird, die negative Elektrizität dagegen von A angezogen und von B abgestossen wird. Wir haben im § 19 gesehen, wie sich aus diesen Anziehungen und

§46.

Strö-me in nicht prismatischen Leitern.

91

Abstossangcü der A^organg des elektrischen Stromes im Scliliessuiigs- bogeii ableiten lässt. In dem jetzt von uns betrachteten Falle ist aber das Verhältniss insofern bedeutend schwieriger, als der punkt-

Fig. 39.

förmige Poldraht nicht mit einem einfach linearen Leiter, sondern mit einem in der Ebene nach allen Richtungen sich ausdehnenden Leiter in Verbindung tritt. Die verteilende Wirkung des Poles ist daher auch nach allen Richtungen hin tätig, und es strömt von A aus nach allen Seiten hin positive Elektrizität, während von allen Seiten her negative Elektrizität nach A hinströmt. Um A herum bilden sich daher Schichten, auf denen die freie positive Spannung allmählich abnimmt. Dasselbe findet mit der negativen Spannung um B herum statt und diese Spannungen werden zuletzt auf einer irgend- wo zwischen A und B gelegenen Linie Null sein. Deswegen ist die Zahl der Bahnen, auf denen die Strömung der Elektrizität zwischen A und B stattfindet, unendlich, ihre Gestalt und Lage hängt von der Lage der Punkte A und B ab und von der Gestalt des Leiters, in welchem die Bewegung stattfindet. Bisher haben wir diesen Leiter als nur in der Ebene ausgedehnt uns vorgestellt, gleichsam unendlich dünn. Handelt es sich aber um einen Körper, in dessen Innern die beiden Punkte A und B sich befinden, so geschieht natürlich das Strömen der Elektrizität gleichfalls nach allen Richtungen. Die Ströraungsbahnen bilden dann in einander geschachtelte Flächen, welche alle durch die Punkte A und B gehen, und den ganzen Körper erfüllen. Legt man eine Ebene durch diese Punkte, so schneidet diese alle Strömungsbahnen in Kurven, wie die in der Figur 39 dargestellten.

Wenn man den Gang berücksichtigt, welchen die einzelnen Strom- fäden nehmen, so sieht man leicht, dass an den Punkten A und B

92

Ströme in nicht prismatischen Leitern.

Kap. YII.

die Stromdichtc am grösstcn ist und mit der Entfernung von diesen Punkten immer mehr abnimmt. Denn durch die Punkte A und B strömt die ganze Elektrizitätsmenge, Avelche durch den Leiter über- haupt hindurchgeführt wird, während sie sich an allen anderen Punkten

Fig. 40.

über einen grösseren Raum verteilt. Auch geschieht diese Verteilung nicht gleichmässig, da die Stromfäden an Stärke abnehmen, je mehr sie von der A und B verbindenden geraden Linie abweichen. Je näher die Punkte A und B einander liegen, desto schneller nehmen die Ströme, welche sich nicht direkt durch die gerade Verbindungslinie AB ergiessen, an Stärke ab, um so schneller vermindert sich daher auch die Stromdichte mit der Entfernung von den Punkten A und B. Es ist daher leicht einzusehen, dass diejenigen Wirkungen des elektrischen Stromes, welche von der Stromdichte abhängen, schon in einiger Ent- fernung, von den Punkten A und B ganz unmerklich werden können.

Diese Gesetze der Stromverteilung in unregelmässigen Leitern finden eine wichtige Anwendung in der Elektrotherapie. Setzt man die Pole einer Kette an zwei beliebige Punkte des menschlichen Körpers, so wird von diesen aus der Strom sich durch den ganzen Körper verbreiten in einer Unzahl von mehr oder weniger gekrümmten Stromfäden, welche alle in den Ansatzpunkten zusammenlaufen. Aus dem Vorhergehenden ist klar, dass die Wirkung dieser Ströme an den Ansatzpunkten selbst am mächtigsten, demnächst am stärksten auf der Verbindungslinie zwischen beiden sein, mit der Entfernung von diesen Punkten aber schnell abnehmen muss. Aus diesem Grunde ist es möglich, dass der Strom an den Ansatzpunkten starke Wirkungen ausübt, während er schon in geringer Entfernung ganz unmerklich wird. Je näher die Ansatzpunkte, desto leichter wird eine solche Lokalisation der Wirkung sein. Duchenne war es, der zuerst praktische Anwendung hiervon machte und lehrte, wie man einzelne Muskeln, ja Teile von Muskeln isolirt reizen könne. Liegen auf dem Wege der Stromeskurven Gebilde, welche sich durch eine grössere Empfindlichkeit gegen den elektrischen Strom auszeichnen, als ihre Um- gebung hat, so können an diesen Punkten aber selbst in grösserer Entfernung von

§ 4G. Ströme in einem ableitenden Bogen. 93

den Elektroden sich "Wirkungen geltend machen trotz der geringeren Stromdichte. Solche Fälle kommen auch in physiologischen Versuchen vor und können hier zu Täuschungen Anlass geben.

Legt man an einen Nerven Drähte und leitet durch diese elektrische Ströme zu, so ist dicht an den Drähten die Stromdichte am grössten. Enthält der Nerv Fasern von verschiedenen Funktionen (wie z. B. der Halsvagus), so kann der Effekt ver- schieden ausfallen, je nachdem die einen oder die andern Fasern stärker oder auch allein genügend stark durch die Ströme gereizt werden.

Denken wir uns an den von Strömen durchflossenen Leiter einen zweiten Leiter angelegt, durch dessen Berührung jedoch keine elek- tromotorischen Kräfte erregt werden sollen, so werden sich auch durch diesen die Ströme ergiessen, das Ganze wird ein neues System von anderer Gestalt darstellen. Hierin wird aber auch nichts geändert, wenn der angelegte Leiter, den wir uns von linearer Gestalt denken wollen, den körperlichen Leiter nur in zwei Punkten berührt. Es wird sich dann durch diesen Leiter ein Strom ergiessen, dessen Stärke von dem Widerstände des Leiters und der Art seiner Anlegung abhängt. Schaltet man in diesen Leiter ein strommessendes Werkzeug ein, und raisst die Stärke des durch ihn sich abzweigenden Stromes, bei ver- schiedenen Arten der Anlegung an den körperlichen Leiter, so kann man daraus die Verteilung der Ströme in letzterem kennen lernen. Hiervon wird im 10. Kapitel ausführlicher die Rede sein. Man nennt den solchergestalt an einen von Strömen durchflossenen Körper ange- legten linearen Leiter den ableitenden Bogen, die Anlagerungs- punkte heissen die Fusspunkte des Bogens, und die Entfernung der Fusspunkte von einander die Spannweite.

Ist der körperliche Leiter nicht, wie wir bisher stillschweigend angenommen haben, in sich homogen, sondern aus Leitern von verschiedenen Widerständen zu- sammengesetzt, so ändert sich natürlich dadurch der Gang der Stromeskurven. Denken wir uns den Leiter wiederum in eine Anzahl gleich dicker Streifen zerlegt, welche alle in dem Ein- und Austrittspunkt des Stromes zusammenlaufen, so wer- den diejenigen Streifen, welche Teile von geringerem Leitungsvermögen enthalten, natürlich einen grösseren Widerstand bieten. Da nun die durch die einzelnen Streifen gehenden Stromanteile in umgekehrtem Verhältniss zu ihrem Widerstände stehen, so ist klar, dass durch jene Streifen ein geringerer Stromanteil gehen muss. Eine genauere Verfolgung solcher Probleme ist jedoch äusserst schwierig. Diejenigen, welche sich mit dem Gegenstande eingehender bekannt zu machen wünschen , ver- weise ich auf die Arbeiten von Kirch ho ff (Pogg. Ann. Bd. 64, S. 497. Bd. 67. S. 344. Bd. 75. S. 169.), Helmholtz (Pogg. Ann. Bd. 89. S. 213 und 353.), Smaasen (Pogg. Ann. Bd. 69. S. 161.), Bosscha (Pogg. Ann. Bd. 104. S. 460.) und auf die ausführliche Darstellung in du Bois-Reyraond's Untersuchungen über tierische Elekirizität (Bd. 1. S. 561), wo die speziellen elektrophysiologischen Probleme behandelt sind.

Kapitel VIII.

Vom Elektromagnetismus und der Erregung elektrischer Ströme durch Induktion.

§ 47. Wir kehren jetzt zu der Betrachtung der Wirkungen elek- trischer Ströme zurück, welche für die Elektrophysiologie und Elektro- therapie von Wichtigkeit sind, und betrachten zunächst einige von den Wirkungen, welche ein von einem Strom durchflossener Leiter in die Ferne hin ausübt.

Leitet man um einen Zylinder von weichem Eisen einen Strom, indem man ihn mit einem mit Seide besponnenen Kupferdraht um- wickelt, welcher vom Strom durchflössen wird, so wird der Eisenstab magnetisch und erlangt alle Eigenschaften eines auf irgend eine andere Weise magnetisch gemachten Stahlstabes. Das eine Ende des Eisenstabes wirkt jetzt anziehend auf den Nordpol, abstossend auf den Südpol einer Magnetnadel, verhält sich also ebenfalls als Südpol, während das andere Ende den Südpol der Magnetnadel anzieht und den Nordpol abstösst, also ein Nordpol ist.

Welches Ende des Stabes ein Süd- und welches ein Nordpol wird, das hängt von der Richtung ab, in welcher der Strom den Stab um- kreist. Sieht man nämlich den Stab von der einen Endfläche her an, und kreist der Strom um ihn in der Richtung des Zeigers einer Uhr, so ist dieses Ende ein Südpol; liat der Strom die umgekehrte Rich- tung, so ist es ein Nordpol, wie Figur 41 veranschaulicht. Oeffnet

man den Strom, welcher den Zy- linder umkreist, so hört dessen Magne- tismus auf, er verhält sich wie ein anderer Eisenstab, wird jedoch wiede- rum magnetisch, sobald man den Strom schliesst. Fig^ 4t, Entfernt man den Eisenstab aus

§ 47, 48. Eleldromagnetismus. 95

der Spirale, so zeigt sich, dass die vom Strome durchflossene Spirale schon allein magnetische Eigenschaften hat, wenngleich in viel schwächerem Grade, als wenn der Eisenstab noch darin war. Das eine Ende der Spirale zieht den Nordpol einer Magnetnadel an und stösst den Südpol ab, das andere Ende verhält sich umgekehrt. Hängt man eine solche Spirale freischwebend auf, so dass sie in einer hori- zontalen Ebene sich drehen kann, dann stellt sie sich in den mag- netischen Meridian ein, ihr eines Ende zeigt nach Norden, das andere nach Süden, und wenn man letzteres betrachtet, so findet man, dass der Strom in derselben Richtung kreist, wie der Zeiger einer Uhr. Es folgt daraus, dass man jedes Element eines galvanischen Stromes er- setzt denken kann durch einen kleinen Magneten, welcher senkrecht auf das Stromelement gerichtet ist, und umgekehrt jedes magnetische Element ersetzt denl^en kann durch einen senkrecht darauf gestellten galvanischen Strom. Die Richtung des letzteren folgt einfach aus der oben gegebenen Regel. Daraus ist dann von selbst klar, wie alle Wirkungen, welche der elektrische Strom in die Ferne ausübt, auch hervorgebracht werden können durch Magnetstäbe, und dass diese Wirkungen sehr verstärkt werden, wenn man in die vom Strom durch- flossene Spirale einen weichen Eisenstab steckt. Denn indem dieser durch den Strom zum Magneten wird, unterstützt er die Wirkungen des Stromes.

§ 48. Seien A und B zwei parallele kreisförmige, von einander isolirte Leiter, und A von einem Strome durchflössen, so wird ein in B eingeschalteter Multiplikator natürlich keine Ablenkung zeigen. Bewegt man jedoch den einen dieser Leiter mit grosser Geschwindig- keit gegen den anderen, so wird die Nadel des Multiplikators abge- lenkt und zeigt hierdurch an, dass in B ein Strom zirkulirt, welcher jedoch nur so lange dauert, als die Bewegung. Die Richtung dieses Stromes ist verschieden je nach der Richtung der Bewegung. Wird nämlich die Entfernung der beiden Leiter vergrössert, so ist der in B entstehende Strom gleichgerichtet dem in A zirkulirenden, werden die Leiter aber einander genähert, so hat der in B entstehende Strom die entgegengesetzte Richtung, wie der in A zirkulirende.

Die Stärke der Ströme, welche solchergestalt bei der Bewegung durch die Wirkung des in A zirkulirenden Stromes in B entstehen und welche man Induktionsströme oder induzirte Ströme nennt, ist um so grösser, mit je grösserer Geschwindigkeit die Bewegung ge- schieht, immer aber äusserst schwach IMan kaim dieselben jedoch

96

Schliessuno;s- und OefTnunffSstrom.

Kap. Vlir.

erheblich verstärken, wenn man jedem der Leiter die Gestalt einer spiralig aufgewundenen Rolle gibt, weil dann jede Windung des einen Leiters auf jede Windung des anderen induzirend wirkt. Bewegt man zwei solche Rollen gegen einander, von denen die eine von einem Strom durchflössen ist, so kann man schon mit einem wenig empfind- lichen Multiplikator die in der zweiten Rolle entstehenden Ströme nachweisen.

§ 49. Stellt man die Rollen ruhig neben einander auf und schliesst und öffnet abwechselnd den Strom der Rolle A, so sieht man, dass bei jeder Schliessung und Oeflhung in ß ein Strom entsteht, welcher bei der Schliessung die entgegengesetzte Richtung hat, als der in A zirkulirende, bei der Oeffnung aber die gleiche Richtung. Diese Ströme dauern immer nur sehr kurze Zeit und verschwinden wieder.

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Flg. 42.

wenn der Strom in A geschlossen oder geöffnet bleibt. Ihre Stärke ist um so grösser, je stärker der in A zirkulirende Strom ist und je näher die beiden Rollen einander stehen, und wenn die Entfernung der Rollen sehr beträchtlich ist, so sind sie selbst mit den empfind- lichsten Multiplikatoren nicht mehr nachweisbar. Die Anzahl der Windungen vermehrt ebenfalls die Wirkung. . Man gibt daher, um möglichst starke Liduktionsströme zu erhalten, der Rolle B möglichst viele Windungen eines recht feinen Drahtes, während man an der Rolle A nur wenige Windungen eines dicken Drahtes gibt, damit ihr Widerstand den durch sie geleiteten Strom nicht zu selir schwäche.

§49.

Unipolare Induldionswirliungen.

97

Fig. 43.

Um die Entfernung der Windungen beider Rollen möglichst verringern zu können, macht man die eine Rolle weiter, so dass die eine in die andere gesteckt werden kann, wie Fig. 43 zeigt. Eine solche Zu- sammenstellung zweier Rollen nennt man ein Induktorium. Die Rolle B wird gewöhnlich die primäre Rolle genannt, weil in ihr der von der Kette direkt gelieferte Strom zirkuiirt, während man die Rolle A, in welcher der durch jenen ersten erzeugte oder sekundäre Strom kreist, die sekundäre Rolle zu nennen pflegt.

Verbindet man die Enden der sekundären Spirale mit einander durch einen beliebigen Leiter, so gehen beim Schliessen und Oeflfnen des primären Stromes die Induktions- ströme durch diesen Leiter. Ent- hält die Leitung einen Nerven oder einen Muskel, so wird dieser erregt, da Liduktionsströme zu den wirk- samsten Reizmitteln für diese Gebilde gehören. Bleibt die Rolle offen, so können die Ströme nicht zu Stande kommen. Indem aber bei dem jedesmaligen Schliessen und Oeffnen des primären Kreises die indu- zirende Wirkung stattfindet, wird die neutrale Elektrizität der Rolle zersetzt, die positive häuft sich an dem einen, die negative an dem anderen Ende der Rolle an. Lässt man die Enden der Rolle in Spitzen auslaufen, welche man einander gegenüberstellt, so können die freien Elektrizitäten an den Spitzen eine solche Spannung erlangen, dass sie den Widerstand der Luft überwinden und sich in Gestalt eines Funkens vereinigen. Setzt man aber das eine Ende der Rolle oder beide in leitende Verbindung mit dem Erdboden, so entweicht die freie Elektrizität nach der Erde, und wenn in diese Ableitung ein Nerv oder Muskel eingeschaltet ist, so wird derselbe erregt. Man bezeichnet dies als eine unipolare Indnktions Wirkung, weil der tierische Teil nur mit einem Pole der Induktionsrolle in Verbindung ist.

Solche unipolare Wirkungen treten auch auf, wenn ein Pol der Induktionsspirale zur Erde abgeleitet ist, während er mit dem anderen Pole durch einen Leiter von sehr grossem Widerstände verbunden ist. In diesem Falle geht ein Teil der freien Elektrizität, statt durch diesen schlechten Leiter, direkt zur Erde, und wenn auf diesem Wege tierische Teile vorhanden sind, welche vom Strom erregt werden

Uoseiitlial u. Bcriiliiii-dt, Eli-ktrizitiit.slelire. III. Aiill. 7

98 Unipolare Induktionswirkungen. Kap. VIII.

können, so geschieht dies. Man sagt dann, die Induktionsrolle sei im Zustande unvollkommener Schliessung, welcher den Ueber- gang bildet zu dem der ganz ungeschlossenen Spirale.

Aber es bedarf auch gar nicht der Ableitung zur Erde, um die Erscheinungen der unipolaren Induktions Wirkungen zu zeigen. Es ge- nügt vielmehr zu diesem Zwecke, wenn das eine Ende der offenen oder unvollkommen geschlossenen Spirale mit einem isolirten Leiter von grosser Oberfläche in leitender Verbindung steht. In diesem Falle strömt die freie Elektrizität nach dem Leiter, wo sie wegen der grossen Oberfläche ja nur eine geringe Dichte erlangt. Ist nun zwischen dem Ende der Spirale und dem Leiter ein Nerv eingeschaltet, so kann dieser erregt werden.

Dieser letztere Fall der unipolaren Induktion kommt häufig bei physiologischen Versuchen vor und kann dann zu Täuschungen Ver- anlassung geben. Leitet man z. B. einen Induktionsstrom durch einen Nerven, welcher an einem Ende mit dem tierischen Körper in Ver- bindung steht, wie dies ja bei Vivisektionen meist der Fall ist, so bildet das zwischen den Elektroden befindliche Nervenstück . wegen, seines beträchtlichen Widerstandes die unvollkommene Schliessung und das ganze Tier den Leiter von grosser Oberfläche. Auf diesen geht daher ein Teil der freien Elektrizität über, und wenn auf dem Wege dahin ein Nerv erregt wird, so kann der Effekt 'dieser Erregung leicht fälschlich für den gesuchten Effekt des unmittelbar erregten Nerven genommen werden. Noch viel grösser wird natürlich die Gefahr einer solchen Täuschung, wenn das Tier gar nicht isolirt ist.

Will man in physiologischen Versuchen von den unipolaren Wir- kungen nicht getäuscht werden, so ist es auch nötig, den zu reizenden Nerven vor der unzeitigen Erregung auf unipolarem Wege sicher zu stellen. Wollte man z. B. zwei Drähte an den Nerven legen, den einen direkt mit dem einen Pole der Induktionsspirale verbinden, den anderen aber durch einen Schlüssel oder ein Quecksilbernäpfchen unter- brechen, so würde der Nerv stets unipolarer Erregung ausgesetzt sein. Man verbindet daher die Pole der Induktionsspirale mit den beiden Klemmen des in § 43 beschriebenen Schlüssels, und führt von diesem dann zwei Drähte zum Nerven. So lange der Schlüssel geschlossen ist, bildet er eine sehr gut leitende Nebenschliessung zum Nerven, und es geht keine Spur der Induktionsströme durch den letzteren. Oeffnet man aber den Schlüssel, dann ist die Verbindung des Nerven mit den Polen der Induktionsspirale hergestellt, und die Erregung beginnt.

Schwieriger ist es, während der Reizung des Nerven selbst die

§ 49, 50.

Extrastrom.

99

gleichzeitige Wirkung unipolarer Abgleichung zu verhüten. Am besten ist es, zu diesem Zwecke eine gute Ableitung zur Erde von der oberen der beiden an den Nerven angelegten Elektroden ausgehen zu lassen. Indem man auf diese Weise die unipolare Abgleichung zur Erde be- günstigt, verhütet man, dass sie durch den Nerven selbst und die mit ihm in Zusammenhang stehenden Teile erfolge. Die Ableitung zur Erde geschieht am besten durch eine Verbindung mit den Gas- oder Wasserleitungsröhren des Gebäudes mittelst eines Drahtes von ge- ringem Widerstand.

Welche Vorsichtsmaassregeln man aber auch zur Verhütung der unipolaren Erregung anwenden möge, es ist immer anzuraten, dass man sich bei physiologischen Versuchen, wo die Reizung mit starken Indüktionsströmen geschieht, und daher die Gefahr unipolarer Erregung vorhanden ist, durch einen Kontroiversuch von der An- oder Abwesen- heit derselben überzeuge. Dieser Kontroiversuch beruht darauf, dass die Fortpflanzung der Erregung in einem Nerven durch Unterbindung oder Durchschneidung des Nerven aufgehoben wird, während die elek- trische Leitung durch die unterbundene Stelle oder die Schnittstelle der beiden aneinander gelegten Nervenstücke nach Avie vor möglich ist. Hat man daher bei der Reizung eines Nerven einen gewissen Erfolg beobachtet, durchschneidet dann den Nerven unterhalb der Elektroden und klebt die Schnittflächen aneinander, so muss bei Widerholung der Reizung jede Wirkung ausbleiben. Anderenfalls ist man sicher, dass dieselbe durch unipolare Wirkung zu Stande ge- kommen und daher nicht zu unzweideutigen Schlüssen zu verwerten ist.

§ 50. Wie die Windungen zweier Rollen, so wirken übrigens auch die Windungen einer und der- selben Rolle induzirend auf einander. Leitet man den Strom einer Kette durch eine Rolle mit vielen Win- dungen, bringt neben der Rolle Ab- zweigungen an, welche in kupferne Handhaben auslaufen, und fasst die Handhaben mit den Händen, so geht, weil der Widerstand des menschlichen Körpers den der Rolle bedeutend übertrifft, fast gar kein Strom durch den Körper. Wird jetzt der Kreis an der mit X be- Fi.<i. 44.

100

Nachweis des Extrastroms.

Kap. VIII.

zeichneten Stelle unterbrochen, so fühlt man einen Schlag, herrührend von dem bei der Oeffnung in der Rolle entstehenden Induktionsstrom, der sich, da sonst keine Leitung vorhanden ist, durch den Körper er- giesst. Man nennt diesen Strom den Extrastrom oder Extrakurren t. Ein solcher entsteht auch bei der Schliessung des Stromes, ist aber hier nicht leicht nachzuweisen. Die folgende, zuerst von Edlund be- nutzte Anordnung liefert diesen Nachweis: Der Strom der Kette a teilt sich bei b und c in zwei Zweige, welche in entgegengesetzter Richtung um eine Magnetnadel herumgeführt sind. In den einen Zweig cemtgb ist die Spirale S eingeschaltet, der andere Zweig cfpihb enthält einen Widerstand, welcher dem von S gleich, aber zickzackförmig ausge- spannt ist. Es gehen also um die Magnetnadel zwei gleich starke, aber entgegengesetzt gerichtete Ströme, wie die ungefiederten Pfeile zeigen, und es kann daher keine Ablenkung der Nadel erfolgen. Schliesst man nun den Strom, indem man den einen Pol der Kette, q, in ein bei b angebrachtes Quecksilbernäpfchen taucht, , so wird die Nadel abgelenkt im Sinne des Zweiges cfpihb, kehrt aber bald wieder auf den Nullpunkt zu- rück. Denn der im Zweige cStgb entstehende Strom wird anfänglich durch den in der Spirale S entstehen- den Extrastrom, welcher ja die entgegengesetzte Richtung hat als der Hauptstrom, geschwächt und so muss zeitweise der Strom im Zweige cfpihb das Uebergewicht haben. *) Oeffnet man aber die Kette, so hört der Haupt- strom ganz auf, in der Spirale S entsteht ein Extrastrom, welcher dem Hauptstrom gleichgerichtet ist, und dieser ergiesst sich durch beide Zweige in gleicher Richtung, wie die gefiederten Pfeile zeigen. Man erhält daher eine Ablenkung der Nadel in entgegengesetzter Richtung als bei der Schliessung.

Fig. 4:5.

*) In dem zickzackförmig ausgespannten Draht kann kein Induktionsstrom zu Stande kommen, weil die Wirkungen der einzelnen Biegungen, da die Ströme in ihnen abwechselnd entgegengesetzt gerichtet sind, sich gegenseitig aufheben. Wenn man grössere Widerstände braucht und es darauf ankommt, dass sich keine In- duktionswirkungen einmischen, kann man sich dieses Kunstgriffs bedienen. Oder man benutzt Rollen, auf denen zwei Drähte nebeneinander zusammen aufgewickelt sind, so dass der Strom erst durch den einen Draht und dann in entgegengesetzter Richtung durch den andern gehen muss; da hier gleichfalls zwei gleiche und ent- gegengesetzt gerichtete Ströme neben einander verlaufen, kann keine Induktions- wirkung auftreten.

i

§ 51, 52. Indnldion durch Magnetstäbe. 101

§ 51. Nähert man einer Rolle, welche mit dem Multiplikator in Verbindung steht, schnell einen Magnetstab, so wird ebenfalls in der Rolle ein Strom induzirt. Ebenso entsteht ein Strom in der Rolle, aber in entgegengesetzter Richtung als vorher, wenn man den Magneten schnell entfernt. Die Richtung dieser Ströme kann man leicht be- stimmen, wenn man sich statt des Magnetstabes einen Elektromagneten denkt und beachtet, in welcher Richtung der Strom um diesen zir- kuliren müsste, um in ihm dieselbe Verteilung des Magnetismus zu erzielen, als der Magnetstab hat. Bei der Annäherung ist dann der in der Rolle entstehende Strom entgegengesetzt, bei der Entfernung gleichgerichtet, wie jener hypothetische den Magnetstab umkreisende Strom.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die bei der Bewegung zweier Rollen gegeneinander entstehenden Induktionsströme, von welchen im § 48 die Rede war, ungemein verstärkt werden müssen, wenn man in die Rolle A, welche vom primären Strom durchflössen wird, einen weichen Eisenstab hineinsteckt. Denn indem dieser zum Elektro- magneten wird, Summiren sich die induzirenden Wirkungen der Rolle und des Magneten. Ebenso werden die in § 49 u. 50 besprochenen Ströme, welche bei der Schliessung und Oeffnuug eines Stromes entstehen, ungemein verstärkt, wenn man in die primäre Rolle einen weichen Eisenstab steckt. Denn indem dieser beim Schluss der Kette plötzlich zum Magnet wird, wirkt er gerade so, als ob ein Magnet aus unend- licher Entfernung (wo seine Wirkung Null ist) plötzlich ganz nahe herangebracht würde, und indem beim Oeffnen der Kette sein Magne- tismus plötzlich verschwindet, ist es, als ob der Magnet plötzlich in unendliche Ferne entrückt würde. In beiden Fällen müssen aber die induzirenden Wirkungen der Magnete dieselben sein, wie die der Rollen selbst, also jene wesentlich verstärken.

Die Induktionsströme sind sehr heftiger physiologischer Wirkungen fähig. Sie nähern sich in dieser Beziehung sehr den Strömen d^r Leydener Flaschen, denen sie ja auch in Bezug auf ihre kurze Dauer gleichen. Wir wollen hier nur andeuten, dass gerade in dieser kurzen Dauer die Ursache ihrer starken physiologischen Wirkung liegt, weil sich dadurch einige auffällige Erscheinungen erklären, welche für die Konstruktion der Induktorien von Wichtigkeit sind.

§ 52. Legt man nämlich in die Höhlung der inneren Rolle des in Fig. 43 dargestellten Induktoriums einen weichen Eisenstab, und vergleicht die physiologische Wirkung der Induktionsschläge mit und

102 Stärkere Wirkung der Drahtbündel. Kap. VIII.

ohne denselben (was sehr gut nach der Empfindung geschehen kann, welche sie z. B. in den Armen hervorrufen), so wird man finden, dass diese nicht so sehr verstärkt ist, als man nach der Zunahme der magnetischen Wirkung erwarten sollte. Ersetzt man nun den Eisen- stab durch ein Bündel weicher Eisendrähte, so erscheint die physio- logische Wirkung ungemein verstärkt. Der Grund dieser stärkeren Wirkung des Drahtbündels erhellt aus folgender Betrachtung: Stellt in Fig. 46 der mittlere Kreis die primäre Rolle, der äussere Kreis die sekundäre Rolle und der mittelste schraffirte //^^^^^\\ Kreis den massiven Eisenstab vor, so entsteht bei {\^0^'^iV\ ^^^ Schliessung des primären Stromes nicht nur in \^^^0Jj der sekundären Rolle ein Induktionsstrom, sondern

^^ ^ auch in der Masse des Eisenkernes, welcher ja auch

ein Leiter ist. Dieser letztere nun wirkt bei seinem Fig. 46. Entstehen wieder induzirend auf die sekundäre Spirale,

und zwar in entgegengesetzter Richtung als die primäre Spirale. Der Induktionsstrom der sekundären Spirale erleidet dadurch eine solche Verzögerung, dass seine physiologische Wirkung beträchtlich geschwächt wird. Derselbe Vorgang wiederholt sich bei der Oeffnung des Stromes. Besteht der Eisenkern jedoch aus einem Bündel dünner Drähte, welche durch einen Firnissüberzug oder auch nur durch die dünne Oxydschicht, welche sich beim Ausglühen gebildet hat, von einander isolirt sind, so kann der innere Induktionsstrom nicht entstehen, mithin fällt die physiologische Wirkung des in der sekundären Spirale entstehenden Stromes stärker aus.

Auf demselben Vorgange beruht auch die schwächende Wirkung, welche ein zwischen der primären und der sekundären Spirale einge- schobener Leiter ausübt. Denken wir uns zwischen den beiden Spiralen eine kupferne Röhre eingeschoben, so spielt diese dieselbe Rolle, wie vorher der massive Eisenkern. Zieht man die kupferne Röhre allmählich heraus, so wird ihre schwächende Wirkung immer geringer. Einer solchen Röhre bediente sich Duchenne bei seinen Induktorien, um die Wirkung derselben nach Belieben abzustufen.

Die verzögernde Wirkung, welche massive Eisenkerne oder die eben erwähnte Kupferröhre ausüben, bringt aber auch die primäre Spirale selbst schon hervor durch den in ihr selbst entstehenden Extrastrom. Schliesst man den Strom in der primären Spirale, so entsteht in ihr zugleich der Extrastrom und dadurch wird der in der sekundären Spirale induzirte Strom verzögert und seine Wirkung ge- schwächt. Bei der Oeffimng aber kann der Extrastrom in der primären

§ 52, 53. Unterschied des Schliessungs- und OeflFnungsinduktionsstromes. 103

Spirale nicht zur Erscheinung kommen, da eben durch die Oeffnung des Kreises ihm die Möglichkeit genommen ist, sich durch denselben zu ergiessen. Die Folge davon ist, dass die physiologische Wirkung des Oeifnungsinduktionsstromes die des Schliessungsinduktionsstromes bedeutend übertrifft. Will man, wie es zu manchen physiologischen Zwecken notwendig ist, die Wirkung beider Ströme gleich stark machen, so muss man auch dem Oeffnungsextrastrome Gelegenheit bieten, sich abgleichen zu können. Dies erreicht man auf folgende AVeise: Man verbindet die Enden der primären Rolle mit den beiden Klötzen des Schlüssels Fig. 34 und die Pole der Kette mit den anderen Schrauben derselben Klötze. Der Schlüssel bildet dann eine Nebenschliessung zur primären Rolle. Ist er geschlossen, so geht, da sein Widerstand bedeutend geringer ist, als der der Rolle, nur ein sehr geringer Bruchteil des Stromes durch die Rolle. Oeffnet man den Schlüssel, so wird der Strom in der Rolle plötzlich sehr stark, dadurch wird in der sekundären Spirale ein Strom induzirt und dieser wird durch den gleichzeitig in der primären Spirale entstehenden Extrastrom verzögert. Schliesst man den Schlüssel wieder, so wird der Strom der primären Spirale sehr schwach. Dies wirkt induzirend auf die sekundäre Spirale, ebenso als hätte man den Strom ganz ge- öffnet. Da sich jetzt aber der in der primären Spirale entstehende Oeffnungsextrastrom durch den Schlüssel abgleichen kann, so wirkt er ebenfalls verzögernd auf den Strom der sekundären Spirale, wel- cher daher jetzt nicht mehr stärker wirkt, als der Schliessungs- induktionsstrom.

Die richtige Erklärung der stärkeren Wirkung der Drahtbündel im Vergleich zu der der Eisenkerne gab zuerst Magnus, und Dove wies nach, dass die Schwächung der physiologischen Wirkung in einer Verzögerung der Induktions- ströme bestehe. Liess er nämlich in zwei ganz gleichen Rollen durch einen und denselben Strom Induktionsströme entstehen, welche in entgegengesetzter Richtung um eine Magnetnadel gingen, legte dann in die eine Rolle einen massiven Eisen- stab, in die andere ein Drahtbündel, welches durch den primären Strom schwächer magnetisch wurde, als der massive Kern, so niusste auch der in der letzteren Rolle erregte Induktionsstrom schwächer sein, als der in der ersteren erregte. Dennoch sah er, dass jedesmal die Nadel zuerst eine zuckende Bewegung im Sinne des Stromes machte, dessen Rolle das Drahtbündel enthielt, um dann erst durch den anderen Strom in entgegengesetzter Richtung und zwar viel stärker abgelenkt zu werden. Siehe Dove, Untersuchungen im Gebiete der Induktionselektrizität. Berlin 1843.

§ 53. Schliesst und öffnet man den Strom der primären Rolle oft hintereinander, so erhält man in der sekundären Rolle eine Reihe von abwechselnd gerichteten Strömen. Da diese in der Physiologie

104

Waffnor'scher Hammer.

Kap. VIII.

und Therapie sehr vielfach angewandt werden, so ist man bemüht gewesen, möglichst zweckmässige Apparate zu, konstruiren, welche solche Ströme liefern. Das Schliessen und Oeffnen der Kette ge- schieht sehr leicht durch ein sogenanntes Blitzrad. Dasselbe besteht aus einem gezahnten Messingrade, welches mit seiner Messingaxe in Messingpfeilern drehbar ist. Vor dem Rade ist ein federnder Draht befestigt, welcher auf den Zähnen des Rades schleift und beim Drehen des Rades von einem Zahn auf den andern überspringt. Leitet man den Strom durch Rad und Draht und dreht das Rad schnell um seine Axe, so wird der Strom schnell hintereinander geschlossen, so oft der Draht einen neuen Zahn berührt und unterbrochen, so oft der Draht den Zahn wieder verlässt.

Dieses Schliessen und Oeffnen des Stromes kann man aber noch zweckmässiger durch den Strom selbst verrichten lassen, indem man in den Strom einen selbsttätigen elektromagnetischen Hammer einschaltet. Dieser sinnreiche von einem Frankfurter Mechaniker Wagner erfundene Apparat ist in Fig. 47 abgebildet, und zwar in

Fig. 4:7.

der verbesserten Form, welche ihm von Halske erteilt worden ist. Der Strom der Kette tritt durch die Säule A in den Hebel hh^, wel- cher durch eine Spiralfeder gegen die Schraube s gedrückt wird. Von s gelangt der Strom zu den Windungen eines kleinen Elektromagneten, und nachdem er diese durchlaufen, durch die Säule B zur Kette zu- rück, üeber den Polen des Elektromagneten schwebt, am Hebel hhj befestigt, ein Anker von weichem Eisen. Indem dieser von dem Elektromagneten angezogen wird, reisst er den Hebel hhi von der Spitze der Schraube s und unterbricht den Strom. Dadurch aber

53, 54. Schlittenindul<torium von du Bois-Reymond. 105

verliert der Elektromagnet seinen Magnetismus, er lässt den Anker los, und der Hebel hhj wird durch die Wirkung der Spiralfeder wieder gegen die Schraube s angedrückt. Indem dadurch der Strom wieder geschlossen wird, erlangt der Elektromagnet wieder seine Kraft, zieht den Anker wieder an und unterbricht den Strom u. s. f. so lange die Kette zwischen den Säulen A und B eingeschaltet bleibt. Man kann diesen Hammer auch zu kleinen mechanischen Arbeiten verwenden, z. B. zum mechanischen Tetanisiren des Nerven, wie dies Heidenhain getan hat. Man befestigt dann die nötigen Vorrichtungen an dem Hebel h.\\. Damit der Hammer aber einen regelmässigen und kräftigen Gang habe, ist noch folgende Einrichtung getroffen: Auf der oberen Fläche des Hebels hhi ist eine kleine Feder von Neusilber angebracht und auf dieser ein Platinplättchen, welches an der Platinspitze der Schraube s anliegt. Indem nun der Anker an- gezogen wird und der Hebel sich in Bewegung setzt, wird der Strom noch nicht sogleich unterbrochen, sondern erst etwas später, wenn der Kopf des Schräubchens s^ die Neusilberfeder erfasst hat und von der Schraube s abreisst. Durch diesen längeren Schluss des Stromes hat der Elektromagnet Zeit, seinen vollen Magnetismus za erlangen und kräftig anziehend auf den Anker zu wirken. Der Platinkontakt hat den Zweck, die zerstörende Wirkung, welche der bei der Oeffnung ent- stehende Funke auf die Kontaktstelle ausübt, möglichst zu verringern.

§ 54. Soll dieser Hammer mit einem Induktorium verbunden Averden, so schaltet man die primäre Rolle zwischen der die Schraube s tragenden Säule und dem Elektromagneten ein. Indem dann durch das Spiel des Hammers der Strom in der primären Rolle fortwährend geschlossen und unterbrochen wird, entstehen in der sekundären Rolle die abwechselnd gerichteten Induktionsströme. Es sind eine grosse Zahl von Induktorien beschrieben worden. Da sie sich aber nur durch unwesentliche Einzelnheiten unterscheiden, so wird es genügen, eines derselben und zwar das vollkommenste zu beschreiben, näm- lich du Bois-Reymond's Schlitteninduktorium, so genannt, weil die sekundäre Spirale auf einem Schlitten beweglich ist, um durch die verschiedene Entfernung derselben von der primären die Stärke der induzirten Ströme abstufen zu können.

Der Apparat von du Bois ist in Fig. 48 (s. folg. S.) abgebildet. Der Strom der Kette tritt durch die Säule g in eine Neusilber feder, welche hier den Hebel hhy des Hammers Fig. 47 vertritt. Sie ist so gebogen, dass ein auf ihrer oberen Fläche aufgelötetes Platin-

106

Schlitteninduldorium von du Bois-Reymond.

Kap. VIII.

pLättchen an der Platinspiizc der Schraube f anliegt. Von f geht der

Strom durch den Messingklotz e und die Klemme d zur primären

Spirale c, durchläuft dieselbe, gelangt dann zu den Windungen des

kleinen Elektromagneten b, und von da durch die Klemme a zur

Fig. 48.

Kette zurück. Ueber dem Elektromagneten b schwebt der an der Neusilberfeder befestigte Anker h. Indem dieser von b angezogen wird, reisst er das Platinplättchen von der Schraube f ab, und öffnet den Strom ; und indem hierdurch b seinen Magnetismus verliert, kehrt die Feder in ihre Lage zurück und schliesst den Strom wieder. So kommt dasselbe Spiel zu Stande, wie bei dem oben beschriebenen Hammer, und in der sekundären Spirale i werden fortwährend Ströme induzirt, deren Stärke durch Verschieben der Rolle beliebig abgestuft werden kann.

Der Grad der physiologischen Wirkung, welche ein Induktions- strom ausübt, hängt von der absoluten Stärke desselben und von der Art seines Verlaufs ab. Dies gilt in gleicher Weise für die Anwen- dung dieser Ströme bei physiologischen Versuchen wie in der Elektro- therapie. Die absolute Stärke der Induktionsströrae hängt ab von der Stärke des Stroms, welcher in der primären Spirale geschlossen und geöffnet wird, von der Beschaffenheit des Apparats, d. h. von der Zahl und dem Widerstand der Windungen in der primären und sekun- dären Spirale, der Menge weichen Eisens, welche in erstere eingelegt ist u. dergl., endlich von der Entfernung der beiden Rollen von ein- ander. In einem fertigen Apparat kann man nur die Stromstärke ändern, indem man verschieden starke Ketten anwendet oder Wider- stände zwischen Kette und primäre Spirale einschaltet, oder den Ab-

J

§ 54. Abstufung der Induktionsströme. 107

stand der beiden Spiralen wechseln. Ist dieser Abstand = Null, was der Fall ist, wenn beide Rollen ganz übereinander geschoben sind (denn dann fallen ihre Mittelpunkte zusammen), so muss eine be- stimmte Beziehung zwischen der Stromstärke in der primären Spirale und dem durch sie in der sekundären Spirale entstehenden Induktions- strom bestehen, welche nur von dem Bau des Apparats abhängt. Wir wollen diese die Induktionskonstante des Apparats nennen und durch c bezeichnen. Es ist also

i = c . J worin i die Intensität oder Stärke des Induktionsstroms bedeutet, J die Stärke des primären Stroms und, c, die Induktionskonstante, einen echten Bruch. Entfernen wir nun die Rollen von einander, so wird c kleiner; für jede Entfernung e der Rollen von einander hat c einen bestimmten Wert; aber zwischen e und c besteht kein einfaches Verhältniss, sondern dieses hängt wiederum von der Bauart jedes ein- zelnen Apparats ab.

Es bleibt daher, wenn man die Intensitäten der Induktionsströme genauer bestimmen will, nichts übrig, als jeden Apparat empirisch zu kalibriren. Es geschieht dies, indem man, bei konstant erhaltenem Strom der primären Spirale, die Stärke der Induktionsströme bei ver- schiedenen Entfernungen der Spiralen misst oder umgekehrt den Strom in der primären Spirale so verändert, dass die Induktionsströme bei verschiedenen Stellungen der Spiralen zu einander gleich werden. Eine Methode zur absoluten Graduirung von Induktorien ist von Chri- stiani angegeben worden (Poggendorff's Annalen, Ergänzungsband VIll. S. 556).

Für praktische Zwecke in der Elektrotherapie und bei vielen physiologischen Anwendungen von Induktionsströmen wird es genügen, die Maasse und Beschaffenheit des Induktoriums anzugeben, zur Er- zeugung des primären Stroms stets eine Kette von bestimmter Be- schaffenheit (z. B. ein Daniell'sches Element oder die im elften Kapitel beschriebene Sternsäule) zu benutzen und die Stärke des In- duktionsstroras einfach durch die Entfernung der Spiralen von einander auszudrücken. Zu diesem Zwecke ist meistens auf der Schlittenbahn des Apparats eine Millimeterteilung angebracht.

Um eine grössere üebereinstimmung der Apparate unter einander zu erzielen, hat der Pariser Kongress der Elektriker empfohlen, die- selben alle nach einem bestimmten Modell zu bauen. Als solches wurde ein nach du Bois-Reyraond's Angaben von Krüger in Bering gefertigtes Instrument als passend erachtet,

108

Transportable Schlittenindul<torien.

Kap. V.III.

Es ist aber zweckmässiger, zwei verschiedene Modelle festzuhalten, ein kleineres mit langem Schlitten für physiologische Zwecke und ein grösseres, für die elektrotherapeutische Praxis bestimmtes, bei welchem die Schlittenbahn nur kurz zu sein braucht.*)

Für den letzteren Zweck ist es bequem, das Induktorium mit- samt der zu seinem Betrieb erforderlichen Kette und allen Neben- apparaten in einen Kasten einzuschliessen. Einen solchen vollständigen Apparat stellt Fig 49 vor. Da es hier erwünscht ist, den Apparat

^

^^

Fig. 4U.

so kurz als möglich zu machen, so hat man zur Abstufung der phy- siologischen Wirkung auch das oben schon erwähnte Mittel benutzt, zwischen primäre und sekundäre Spirale ein Metallrohr einzuschieben, oder den Kern von weichem Eisen innerhalb der primären Spirale

*) Die Dimensionen mehrerer solcher Apparate , welche alle aus der Werk- statt von Krüger in Berlin herrühren, weichen allerdings unter einander etwas ab, aber doch nur wenig. Es ist zu empfehlen, wie dies Krüger teilweise schon getan hat, die Zahl der Windungen, Dicke des verwandten Drahts, Widerstände u. s. w. auf den Apparaten anzugeben.

§ 55. Helmholtz'sche EinricMung. 109

verschiebbar zu machen. Alle diese Mittel sind brauchbar, gewähren aber nicht die Möglichkeit einer genaueren, ziffermässigen Angabe ihrer Wirkung.

§ 55. Neben der Stromstärke kommt auch der zeitliche Verlauf des Induktionsstroms für seine physiologische Wirkung in Betracht. Auf diesen Verlauf hat, wie wir gesehen haben, der Eisenkern einen grossen Einfluss; auch ist er bei dem Schliessungs- und Oeffnungs- induktionsstrom verschieden. Letzterer verläuft schneller und ist da- her, bei gleicher absoluter Stärke, physiologisch viel wirksamer. Da aber auch die Art, wie der primäre Strom geschlossen und unter- brochen wird, auf den zeitlichen Verlauf der Induktionsströme ein- wirkt, so sind die Schwierigkeiten, für genauere physiologische Ver- suche möglichst gleichbeschaffene Induktionsströme zu erhalten, sehr gross. Am zweckmässigsten scheint es zu sein, die Schliessung und Oeffnung des primären Stroms durch Eintauchen einer -Platinspitze in eine möglichst kleine Quecksilberkuppe zu bewirken und die Ober- fläche derselben durch fortwährende Spülung mit Alkohol rein zu er- halten.

Für elektrotherapeutische Zwecke kommt es auf solche absolute Genauigkeit nicht an. Dagegen ist es erwünscht, die Häufigkeit der Unterbrechungen des primären Stroms verändern zu können. Einiger- massen kann man dies durch Auf- und Niederschrauben der Schraube f an dem Apparat Fig. 48 erreichen. An manchen Apparaten ist aber zu diesem Zweck eine besondre Vorrichtung angebracht. Statt der Neusilberfeder ist dann ein Hebel wie in dem ursprünglichen Wagner' sehen Hammer vorhanden, dessen Schwingungsdauer durch ein Gewicht regulirt werden kann.

Um die bedeutende Ungleichheit in der Wirkung der Schliessungs- und Oeffnungsinduktionsströme zu vermeiden (s. § 52) hat Helm- hol tz eine sinnreiche Modifikation an dem Induktorium angebracht. Schraubt man nämlich die Schraube s an dem in Fig. 47 dargestellten Hammer so hoch, dass das Platinplättchen des Hebels hh^ ihr nicht mehr anliegt, und bringt zwischen der Säule A und dem Anfange der primären Spirale eine Verbindung durch einen Draht an, so geht der Strom durch die primäre Rolle und um den Elektromagneten; dieser zieht den Anker an und würde ihn dauernd angezogen halten. Schraubt man jedoch die Spitze i so in die Höhe, dass sie bei der Abwärts- bewegung des Hebels h\ ein an der unteren Seite desselben befind- liches Platinplättchen berührt, so ist jetzt eine Leitung hergestellt

110

Helmholtz'sche Einrichtung.

Kap. VIII.

vom positiven Pol der Kette durch die Säule A, den Hebel hhj, die Spitze i und die negative Säule B zum negativen Pol der Kette, und da diese Neben Schliessung einen sehr geringen Widerstand hat, so wird der Strom in der primären Spirale und um den Elektromagneten fast Null, der Elektromagnet lässt den Anker los, der Hebel wird durch die Spiralfeder gehoben und die Nebenschliessung unterbrochen. Dadurch erlangt der Strom in der primären Rolle wieder seine frühere Stärke, der Elektromagnet zieht den Anker wieder an u. s. f. Man sieht also, dass der Apparat ganz ebenso spielt, wie bei der früheren Anordnung. Da aber die primäre Spirale stets zum Kreise geschlossen bleibt, so kann sich in ihr der Extrastrom stets entwickeln, die beiden in der sekundären Spirale entstehenden Induktionsströme werden also beide verzögert und sind daher in ihren Wirkungen mehr gleich.

Fig. 50 stellt die Unterbrechungsvorrichtung des Induktoriums mit der Helmholtz'schen Anordnung und ihre Verbindung mit der Induktionsspirale dar, wie sie jetzt an den Du-ßois' sehen Schlitten-

Fig. i)0.

induktorien angebracht zu werden pflegen. Der Strom der Kette tritt in die die vibrirende Feder tragende Säule ein, geht dann durch den Draht g, und die Schraube f zur primären Spirale c, sodann durch die Windungen des Elektromagneten b und kehrt^über die Säule a zur Kette zurück. Wird nun der Anker h angezogen und kommt hier- durch die an seiner unteren Fläche angebraclile Platinplatte mit der

§55.

Zeitlicher Verlauf der induzirten Ströme.

111

Spitze der Schraube f, in Kontakt, so ist die kurze Leitung von g durch die Feder nach a geschlossen, der Strom wird in c und b sehr schwach und der Anker wird wieder nach oben geführt u. s. f.

Die solcher Gestalt in der sekundären Spirale i induzirten Ströme unterscheiden sich von der auf gewöhnliche Weise erzeugten durch zweierlei Umstände. Erstlich sind sie absolut schwächer, denn da auch bei dem Schluss der durch die Neusilberfeder gebildeten Neben- schliessung noch immer ein Rest von Strom in der primären Spirale zurückbleibt, so gehen die Schwankungen der Stromstärke in der primären Spirale zwischen engeren Grenzen vor sich; von diesen Grenzen aber hängt die absolute Stärke der in der sekundären Spirale induzirten Ströme ab. Zweitens aber können sowohl bei der Abnahme der Stromstärke, als bei ihrer Zunahme in der primären Spirale die Extraströme in dieser sich bilden, wodurch, wie wir gesehen haben, der Verlauf der in der sekundären Spirale induzirten Ströme verzögert wird. Das Genauere über dieses Verhältniss zeigt Fig. 51 nach einer Untersuchung du Bois-Reymond's. Wir sehen hier übereinander

Fig. 51.

die Vorgänge in den beiden Spiralen dargestellt, und zwar oben die in der primären, darunter die in der sekundären Spirale, links die bei der Schliessung (beziehlich Verstärkung) des primären Stromes, rechts

112

Zeitlicher Verlauf der induzirten Ströme.

Kap. Yiri.

die bei der Oeffnung (beziehlich Schwächung) desselben. Wenn der Strom in der primären Spirale geschlossen ist, so hat er eine Stärke, welche von der elektromotorischen Kraft der Kette und den im Kreise vorhandenen Widerständen abhängt, und welche durch die Länge der Linie OJ dargestellt wird. So lange der Strom geschlossen bleibt, ist diese Stärke konstant, was die gestrichelte Linie JJ andeutet. Wird aber der Strom unterbrochen, so fällt die Stromstärke von dem Werte J plötzlich auf 0, wie die Linie 1 zeigt. Diesem Abfall des Stromes entspricht in der sekundären Spirale ein Induktionsstrom, dessen zeitlichen Verlauf die Kurve 2 darstellt. Die Intensität dieses Induktionsstromes steigt plötzlich zu einer beträchtlichen Höhe an, um sofort wieder langsamer zu sinken. Bei der Schliessung des primären Stromes steigt dessen Intensität von 0 bis zu dem Werte J, aber nicht plötzlich, sondern des Extrastromes wegen, ganz allmäh-

Fig. 52.

lieh, wie die Kurve 3 darstellt. Diesem Vorgange entsprechend ent- steht in der sekundären Spirale ein langsam anwachsender und eben- so langsam abnehmender Induktionsstrom, dessen Verlauf in Kurve 4 dargestellt ist, deren nach abwärts gerichtete Ordinaten andeuten, dass dieser Strom die entgegengesetzte Richtung hat, wie der primäre. Wird der primäre Strom gar nicht unterbrochen, sondern statt

§ 55. Unipolare Wirkung der induzirten Ströme. 113

dessen die NebenscUiessung geöffnet und geschlossen, so gehen die Schwankungen der Stromstärke in der primären Rolle nicht mehr zwischen den Grenzen 0 und J, sondern zwischen J^ und J vor sich. Kurve 5 stellt das Anwachsen des primären Stromes bei Oeffnung der Nebenschliessung vor. Ihm entspricht in der sekundären Spirale ein Induktionsstrom, wie ihn Kurve 6 darstellt. Er ist von dem durch Kurve 4 dargestellten nur in der Intensität verschieden. Dahingegen unterscheidet sich der Vorgang bei Wiederherstellung der Nebenschliessung nicht blos der Stärke nach, sondern auch im Verlauf ganz wesentlich von demjenigen, welcher bei der Oeffnung des primären Kreises statt- fand. Im ersteren Falle nämlich, d. h. wenn die Nebenschliessung wiederhergestellt wird, fällt der Strom in der primären Spirale, da der Extrastrom sich bilden kann, ganz allmählich ab, wie Kurve 7 zeigt, und demgemäss ist der Verlauf des Induktionsstromes in der sekun- dären Spirale, wie es Kurve 8 zeigt, ein ganz allmählicher, und dieser erlangt niemals eine so grosse Intensität, als dies bei dem durch Oeffnung des primären Kreises erzeugten Induktionsstrom der Fall war. Er ist dem Induktionsstrom 6 fast ganz gleich.

Absolut gleich werden die beiden Induktionsströme nicht; da nämlich der Widerstand der Neusilberfeder sehr Idein ist im Vergleich zu dem der F^^ette, so wird der Extrastrom, welcher bei der Herstellung der Nebenschliessung, wenn die Feder die Spitze f berührt, entsteht, etwas stärker, also der in der sekundären Rolle entstehende Induktionsstrom etwas schwächer, als der andere. Nur wenn der Widerstand der primären Rolle sehr gross wäre, so dass der Widerstand der Kette und der Feder gegen ihn als unendlich klein angesehen werden könnten, würde man absolute Gleichheit erzielen.

Die Ungleichheit im Verlaufe des Schliessungs- und Oeffnungs- Induktionsstromes bringt es mit sich, dass der letztere weit eher An- lass zu unipolaren Erregungen gibt, als der erstere. Denn bei dem OeffnuDgsschlage erreicht die Intensität, und mit ihr naturgemäss auch die freie Spannungselektrizität, eben viel höhere Werte, als dies bei dem Schliessungsschlag möglich ist. Aus demselben Grunde wird auch die Möglichkeit unipolarer Erregung bei Anwendung der Helmholtz- schen Modifikation sehr viel geringer, da bei dieser, wie wir gesehen haben, beide Induktionsströme einen sehr allmählichen Verlauf nehmen, während dessen die Intensität nicht so hoch ansteigt, als bei dem gewöhnlichen Oeffnungs - Indulctionsschlag. Selbstverständlich aber können auch die Schliessungs -Induktionsschläge, sowie die bei An- wendung der Helmholtz'schen Modifikation entstehenden zu unipo- laren Erregungen Anlass geben, wenn der Strom der primären Spirale sehr stark, und die Bedingungen der unipolaren Abgleichung günstig sind.

Rosen thal u. Bernhardt, Elcktvizitälslelire. IH. Äiill. «

114

Saxton'sche Maschine,

Kap. VITI.

§ 56. Die durch Stahlmagnete induzirten Ströme wurden früher fast ausschliesslich zu therapeutischen Zwecken verwandt, sind aber durch das Schlitteninduktorium fast ganz verdrängt worden. Einen Apparat, der solche Ströme liefert, stellt Fig. 53 dar. Vor den Polen des starken Hufeisenmagneten NS werden zwei Zylinder von weichem

Eisen, die sogenannten Kerne, welche auf einer gemeinschaftlichen Platte von wei- chem Eisen festgeschroben sind, mit Hilfe einer Kurbel in schnelle'Rotation versetzt. Auf jeden Kern ist eine Induktionsrolle aufgeschoben. Indem man nun die Kurbel dreht, werden in beiden Rollen Ströme induzirt. Denn die Rollen nähern und entfernen sich abwechselnd von den be- treffenden Magnetpolen. Es ist aber die Richtung der induzirten Ströme in der einen Rolle stets entgegengesetzt, als in der anderen und in jeder einzelnen Rolle während der einen Hälfte der Umdrehung entgegengesetzt, als während der anderen. Denn bei der einen Hälfte der Umdrehung entfernt sich die eine Rolle von dem Nordpol und nähert sich dem Südpol, bei der anderen Hälfte der Umdrehung ist es gerade umgekehrt. Die andere Rolle aber befindet sich stets in entgegengesetzter Phase. In- dem man nun die beiden Rollen passend mit einander verbindet, kann man machen, dass die Ströme beider in gleicher Richtung durch einen zwischen ihnen eingeschalteten Leiter sich ergiessen. Indem man ferner diese Ableitung so anordnet, dass die Richtung der Ströme gerade in dem Moment umgekehrt wird, wo die Rollen vor den Polen vorbeigehen, bewirkt man, dass die Richtung der Ströme in dem zwischen den Rollen eingeschalteten Körper stets dieselbe bleibt. Solche Vorrichtungen nennt man Kommutatoren. Der gebräuch- lichste Kommutator, der St Öhr er 'sehe, hat folgende Einrichtung: Auf der Axe, um welche sich die Induktionsspiralen drehen, sind vier Kämme 1, 2, 3, 4, Fig. 54 (s. folg. S.), befestigt, von denen je zwei, nämlich 1 und 4, 2 und 3 mit einander in leitender Verbindung stehen, von den anderen jedoch isolirt sind. Es ist nämlich auf die Axe nn zuerst das Rohr oooo geschoben, welches die Kämme 1 und 4 trägt, und dann auf dieses, von ihm durch Siegellack gut isolirt,

Fig. 53.

§56.

Saxton'sche Maschine.

115

Fig. 54.

das Rohr mm mit den Kämmen 2 und 3. Mit jedem dieser Kamm- paare ist ein Ende der Induktionsspiralen leitend verbunden. Die Kämme sind etwas mehr als halbkreisförmig und abwechselnd gestellt, so dass sie mit ihren Enden ein wenig übereinander greifen. Zwei Federn S und T, welche vorn gespalten sind, schleifen auf den Kämmen. In der Figur sind sie etwas abgerückt. Denken wir uns die Federn angelegt, so schleift der Zahn c der Feder S auf dem Kamme 1, und der Zahn f der Feder T auf dem Kamme 3. Würde aber der Kommu- tator um 180" gedreht, so käme d auf 2, g auf 4 zu liegen. Es ist also beim Dre- hen der Axe während einer

halben Umdrehung das Ende K der Induktionsspiralen mit der Feder S und das Ende h mit der Feder T verbunden, während es bei der anderen halben Umdrehung gerade umgekehrt ist. Stellt man nun die Kämme so, dass diese Umkehr der Verbindungen in dem Augen- blick stattfindet, wo die Induktionsspiralen gerade vor den Polen des Magneten vorbeigehen, so bleibt die Stromesrichtung in einer zwischen S und T angebrachten Leitung stets dieselbe.

Die Stärke des Stromes, welchen ein solcher Apparat liefert, hängt ab von der Stärke des Stahlmagneten, der Beschaffenheit der Induktionsspiralen, der Geschwindigkeit ihrer Drehung und von der Entfernung, in welcher sie bei den Magnetpolen vorübergehen. Die Entfernung der Rollen von den Polen ist natürlich während der Dre- hung veränderlich, also auch die Stromstärke, welche am grössten ist in der Zeit, wo die Rollen gerade vor den Magnetpolen vorübergehen. Durch dieses allmähliche An- und Abschwellen der Ströme wird die physiologische Wirkung, wie wir gesehen haben, sehr verringert. Da nun die Kämme des Kommutators etwas übereinander greifen, so ist gerade im Moment der grössten Stromstärke eine Verbindung zwischen den Kämmen durch die Federn hergestellt und die Induktionsrollen sind also in sich metallisch geschlossen. Der in ihnen erzeugte In- duktionsstrom kann daher des geringen Widerstandes wegen eine sehr beträchtliche Stromstärke erreichen. Wenn nun unmittelbar darauf die metallische Schliessung unterbrochen, und die Verbindung mit dem Körper hergestellt wird, entsteht in den Rollen ein starker

8*

116 Siemens' dynamo-elektrische Maschine. Kap. VIII.

Exticastrom, welcher sich durch die zwischen den Federn eingeschaltete Leitung ergiesst und sehr kräftiger physiologischer Wirkungen fähig ist.

Der Vorteil dieser Apparate, welclie man Saxton'sclie Maschinen (da sich Saxton viel Verdienste um ihre Verbesserung erworben hat) oder auch magn cto- elektrische Rotationsapparate nennt, besteht darin, dass sie jeder Zeit zum Gebrauch bereit sind, während die Magnetelektromotoren immer erst eines galva- nischen Elementes bedürfen. Dieser Vorteil wird jedoch mehr als aufgewogen durch die Uebelstände, dass man erstens stets eines Gehilfen bedarf, um den Apparat in Gang zu setzen, und zweitens die Abstufung in der Stärke der Ströme nur mangel- haft ist. Sie geschieht dadurch, dass man die Rollen mehr oder weniger nahe den Magnetpolen rotiren lässt, oder die Pole des Magneten durch einen Anker verbindet, wodurch man seine induzirende "Wirkung bedeutend schwächt und zwar um so mehr, je näher den Enden man den Anker auflegt.

Wo man jedoch nur schwacher Induktionsströme bedarf, und das ist bei den meisten physiologischen Versuchen über Nervenreizung der Fall, da bieten die durch Bewegung von Magneten erzeugten Induktions- ströme den Vorteil, dass sie einen viel regelmässigeren und berechen- baren Verlauf haben, wenn man dafür sorgt, dass die Rotation gleich- massig vor sich geht. Für solche Fälle ist es aber zweckmässiger, die Induktionsrollen feststehen zu lassen und den Magneten zu be- wegen, sowie den Kommutator ganz fortzulassen. Man erhält dann eine Reihe abwechselnd gerichteter aber gleichförmiger Induktions- ströme, deren Verlauf von der Art der Bewegung der Magnete ab- hängt. Diese kann entweder durch ein Uhrwerk bewirkt werden, oder dadurch, dass man die Magnete in stehende Schwingungen versetzt. So kann man z. B. eine Reihe gleichförmiger Induktionsströme er- halten, wenn man einen Magnetstab in gleichmässiger Schwingung er- hält und neben das eine Ende derselben eine Drahtspirale stellt. Soll die Zahl der Schwingungen sehr gross sein, so benutzt man longitu- dinale Schwingungen eines Magnetstabs oder eines Elektromagneten, dessen einer Pol im Innern der Induktionsrolle steht.

In neuerer Zeit haben diese Apparate bedeutende Verbesserungen durch Siemens erfahren, welche sie lür technische, insbesondere telegraphische Zwecke sehr brauchbar macht, aber auch für die medi- zinische Anwendung vorteilhaft wäre. Sie zeichnen sich besonders durch eine vorteilhafte Konstruktion des mit Draht umwickelten Ankers und seine Anbringung zwischen den Polen des Hufeisenmag- neten aus. Besonders interessant sind aber die von Siemens er- fundenen sogenannten d y n a m o - e 1 e k t r i s c h e n M a s c h i n e n. In ihnen sind die Stahlmagnete ganz fortgelassen und durch Elektromagnete er- , setzt. Leitet man durch die Windungen der letzteren für kurze Zeit

i

§56.

Siemens' dynamo-elelvtrische Maschine.

117

einen Strom, so bleibt in dem weichen Eisen ein schwacher Magne- tismus zurück. Durch diesen wird in den Drahtwindungen des Ankers bei der Drehung des letzteren ein schwacher Strom induzirt. Indem man diesen durch einen Kommutator gleichrichtet und dann durch die Windungen des Elektromagneten leitet, wird der Magnetismus des letzteren verstärkt. Dadurch Wcächst aber wieder die Stcärke der in- duzirten Ströme und in Folge dessen wieder der Magnetismus u. s. f., bis zu einem durch den Bau des Apparats und die zur Drehung auf- gewandte Arbeit bedingten Maximum.

Diese Maschinen haben, bekanntlich jetzt eine sehr grosse tech- nische Bedeutung gewonnen und dienen zur Erzeugung elektrischen Lichts, zur Kraftübertragung u. s. w. Man hat aber auch kleinere Maschinen gebaut für Handbetrieb oder eine halbe bis ganze Pferde- kraft. Eine solche kleine . Maschine für Handbetrieb stellt Fig. 55

dar. Sie ist nach dem Prinzip von Gramme gebaut, welches hin- sichtlich der Wickelung der rotirenden Drahtspiralen von dem Siemens' sehen abweicht.

Man kann diese Maschine so einrichten, dass sie Ströme von

118

Siemens' dynanio-elelitrische Maschine.

Kap. Vin.

wecliselüder Richtung geben, oder durch geeignete Kommutatoren die Ströme in gleichgerichtete verwandeln. Bei der oben abgebildeten Maschine ist ferner die Einrichtung getroffen, dass man entweder den Strom, welcher in den dielten Drahtwindungen des feststehenden Elek- tromagneten kreist, oder den aus den feinen und zahlreichen Windungen des rotirenden Elektromagneten benutzen kann. Ersterer entspricht dem Strom einer Kette mit massiger elektromotorischer Kraft und ge- ringem innerem Widerstand bei der abgebildeten Maschine etwa dem Strom von 3 4 grossen Bunsen' sehen Elementen. Er eignet sich sehr gut für Galvanokaustik oder Beleuchtung bei der Endoskopie. Der letztere Strom würde als Ersatz einer Batterie für den konstanten Strom benutzt werden können. In Krankenhäusern, wo man über einen Mann oder gar einen mechanischen Motor verfügen kann, um die Maschine in Bewegung zu setzen, ist dieselbe in vielen Beziehungen den Batterien vorzuziehen, wenn es sich um Galvanokaustik oder Endoskopie handelt; für die elektrotherapeutische Anwendung kon- stanter Ströme würde sie jedoch den früher beschriebenen Batterien gegenüber kaum vorteilhaft sein. Das nähere hierüber wird im zwölften Kapitel auseinandergesetzt werden.

Kapitel IX. Von der Einrichtung und dem Gebrauch der Galvanometer.

§ 57. Will man sich von dem Vorhandensein eines elektrischen Stromes überzeugen, so benutzt man dazu eine der vielen Wirkungen, welche der Strom ausübt. Eine Vorrichtung, Avelche diesem Zwecke dient, heisst Rheoskop. So erkennen wir z. B. selbst schwache Ströme durch das physiologische Rheoskop, den Nerven, welcher besonders dann mit Vorteil als Rheoskop angewandt wird, wenn es sich um die Erkennung schnell in ihrer Intensität schwankender Ströme handelt. Die am häufigsten für diesen Zweck benutzte Wirkung des Stroms ist jedoch die Ablenkung der Magnetnadel. Apparate, welche hierzu eingerichtet sind, nennt man Galvanoskope, oder, wenn sie eine Messung der Stromstärke gestatten, Galvanometer.

Wir haben schon im § 20 ein derartiges Instrument unter dem Namen Multiplikator kennen gelernt, und in der Tangentenbussole ein Instrument, mit Hilfe dessen man die Stromstärke zu messen im Stande ist. Aber diese Instrumente hatten nur eine geringe Empfind- lichkeit und konnten daher nur zur Erkennung stärkerer Ströme dienen.

Die Empfindlichkeit eines Multiplikators kann sehr gesteigert werden durch Vermehrung seiner AVindungszahl, so lange nur die äussersten Windungen nicht allzuweit von der Nadel entfernt sind, damit sie noch eine merkliche Wirkung ausüben können. Man nimmt daher zu den empfindlicheren Multiplikatoren sehr dünnen Draht, um recht viele Windungen auf einen kleinen Raum bringen zu können. So hat man zu physiologischen Zwecken Multiplikatoren gebaut, welche 30000 Windungen und darüber haben. Solche Multiplikatoren bieten natürlich dem Strom einen beträchtlichen Widerstand und können nur da mit Vorteil gebraucht werden, wo durch diesen Widerstand der Strom nicht mehr geschwächt wird, als dem Nutzen entspricht, der durch die grosse Windungszahl erreicht werden soll.

120 Multiplikator. Astatisclies Tsadelpaar. Kap. IX.

Um jedoch, falls es nötig sein sollte, mit einem Drahte von ge- ringerem Widerstand arbeiten zu können, windet man nicht die ganze Länge des Drahtes hintereinander auf, sondern man legt den Draht doppelt und windet ihn dann auf, wodurch man also zwei genau neben einander herlaufende Drahtlängen erhält. Gesetzt, der Multiplikator hätte 15000 solcher Doppelwindungen. Die vier Enden dieser beiden Drähte wollen wir mit A, E, a, e bezeichnen. Schliesst man den Kreis zwischen A und E, so hat man also einen Multiplikator von 15000 Windungen. Der daneben laufende Draht mit den Enden a, e bleibt dann unbenutzt. Verbindet man E mit a, und schliesst den Kreis zwischen A und e, so muss der Strom beide Windungen nach einander durchlaufen, man hat also einen Multiplikator von 30000 Windungen. Verbindet man endlich A und a einerseits, E und e andererseits mit einander und schliesst den Kreis zwischen diesen, so teilt sich der Strom gleichmässig zwischen die beiden Windungen, man hat also jetzt einen Multiplikator von 15000 Windungen und dem doppelten Querschnitt des Drahtes, also halb so grossem Widerstand, als wenn man nur einen Draht anwendet, und viermal geringeren Widerstand, als wenn man die zweite Anordnung trifft. Endlich kann man noch zwei Ströme durch die beiden Windungen in entgegen- gesetzte Richtungen leiten, und hat dann ein sog. Differentialgalvano- meter, wie es z. B. in dem in Fig. 45 schematisch dargestellten Versuche von E dl und angewandt ist.

§ 58. Wenn ein Strom auf eine Magnetnadel wirkt, so nimmt die Nadel eine Stellung ein, welche die Resultirende ist aus der Wir- kung des Stromes und der Wirkung des Erdmagnetismus. Wäre es also möglich, die Wirkung des Erdmagnetismus aufzuheben, oder wenigtens bedeutend zu verringern, so müsste die Empfindlichkeit des Multiplikators in demselben Masse wachsen. Dies ist nun in der Tat möglich. Verbindet man nämlich zwei gleich starke Magnetnadeln] so mit einander, dass ihre gleichnamigen Pole nach entgegengesetzten Richtungen gekehrt sind, so kann der Erdmagnetismus gar keine Richtkraft auf dieselben ausüben. Eine solche Verbindung nennt man] ein astatisches Nadelpaar, weil es keine durch den Erdmagnetismus] bestimmte stabile Gleichgewichtslage hat. Hängt man ein solches Nadel-] paar so in ein Multiplikatorgewinde ein, dass die eine Nadel oberhalb, die andere innerhalb der Windungen hängt, so werden beide Nadeln durch den Strom in gleichem Sinne abgelenkt, wie dies nach derj Ampere' sehen Regel (s. § 20) leicht einzusehen ist. Ein solcher | Multiplikator muss also eine ganz ungemeine Empfindlichkeit haben.

§58.

Freiwillige Ablenlcung.

121

Es ist Nobili's Verdienst, diese bedeutende Verbesserung an den Multiplikatoren angebracht zu haben.

Es ist nicht leicht, zwei Nadeln so zu streichen, dass sie genau gleich magnetisch werden. Fügt man daher zwei Nadeln in der an- gegebenen Weise zusammen, so wird gewöhnlich die eine das üeber- gewicht haben; das System wird sich daher in dem Meridian ein- stellen und wird, wenn man es daraus ablenkt, nach mehr oder weniger zahlreichen Schwingungen in denselben zurückkehren. Je mehr die eine Nadel die andere überwiegt, um so stärker wird die Richt- kraft, welche das System noch hat, um so schneller wird es daher schwingen, wenn man es aus dem Meridian abgelenkt hat. Streicht man nun diejenige Nadel, welche sich als die stärkere erweist (welche die Richtung des ganzen Systems bestimmt) vorsichtig mit dem gleich- namigen Pol eines sehr schwachen Magneten, um sie zu schwächen, und so der anderen gleich zu machen, so wird die Schwingungsdauer immer grösser werden, je mehr man sich der wirklichen Astasie des Systems nähert. Man wird aber dann meist finden, dass die Nadeln jetzt nicht mehr im Meridian bleiben, und wenn man die Nadeln so gleich gemacht hat, als nur irgend möglich, so werden sie nicht in jeder beliebigen Lage im Gleichgewicht sein, sondern sie werden sich senkrecht auf den Meridian stellen. Der Grund dieser Erschei- nung, welche man die freiwillige Ablenkung astatischer Nadel- paare nennt, ist folgender:

Wenn man zwei Nadeln mittelst eines Stückes Metall, Schildpatt oder aus sonst einem Material zu einem astatischen System verbindet, so ist es sehr schwer, sie so zu stellen, dass ihre magnetischen Axen genau pa- rallel sind und sie dauernd in dieser Lage zu erhalten. Gesetzt nun, die vertikalen Ebenen, welche man durch die Axen der ^^^ beiden Nadeln legt, machten einen Winkel ■^- a miteinander, welcher natürlich sehr klein ist. Die Nadel NS, Fig. 56, sei gegen den Meridian um den Winkel (f ge- neigt, also die Nadel »s um den Winkel (f> «; ferner sei die Kraft, womit der Erdmagnetismus auf die Nadeln wirkt, gleich T, so wirkt auf den Nordpol ?t die Kraft T . sin (f/ a) und auf dem Südpol S die entgegengesetzt gerichtete

122 Ablenkung durch die Drahtniassen. Kap. IX.

Kraft T . sin (p. Das System Avird daher im Sinne dieser letzteren Kraft gedreht. Gelangt nun das System in eine Lage, wo die Halbirungs- linie des Winkels « auf dem Meridian senkrecht steht, so sind die beiden in entgegengesetzter Richtung auf dasselbe wirkenden Kräfte beziehlich

= T . sin (R |) und T . sin (R + ^)

und da diese beiden Werte einander gleich sind, so steht das System in stabilem Gleichgewicht. Da nun aber der Winkel a unmerkbar klein ist, so stehen scheinbar beide Nadeln senkrecht auf den Meridian. Ist die Stärke der Nadeln aber nicht absolut gleich, so werden sie sich natürlich unter irgend einem anderen Winkel zum Meridian ein- stellen, wo die auf dieselben vom Erdmagnetismus ausgeübten Kräfte sich das Gleichgewicht halten.

§ 59. Dieser Umstand würde nun dem Gebrauch astatischer Nadelpaare keinen Eintrag tan. Man brauchte ja nur die freiwillige Ablenkung des Systems zu bestimmen, dann dem Multiplikator eine solche Stellung zu geben, dass seine Windungen denselben Winkel mit dem Meridian machen und das Nadelpaar in den Multiplikator einzuhängen. Versucht man dies aber, so findet man, dass die Nadeln innerhalb des Multiplikators nicht mehr dieselbe Lage einnehmen, als ausserhalb desselben. Im Gegenteil zeigt sich, wenn die Multiplikator- windungen genau denselben Winkel mit dem Meridian machen, als die freiwillige Ablenkung beträgt, dass dann die Nadeln sich in dieser Richtung, wo sie parallel den Windungen sind, und die obere Nadel über dem Nullpunkt der am Multiplikator angebrachten Teilung schwebt, nicht einstellen lassen, sondern dass jederseits vom Null- punkt eine stabile Gleichgewichtslage existirt, welcher die Nadeln sogleich zueilen und auf welcher sie sich immer wieder einstellen, wenn sie auch aus derselben entfernt werden. Diese stabilen Gleich- gewichtslagen entsprechen mehr oder weniger genau den Diagonalen des rechteckigen Multiplikatorgewindes.

Die Ursache dieser Erscheinung, welche man die Ablenkung durch die Draht massen nennt, ist zu suchen in den magnetischen Wirkungen des Kupferdrahtes, aus welchem der Multiplikator ge- wunden ist. East alles Kupfer enthält ein wenig Eisen, und so feine Drähte, als man zu Multiplikatoren braucht, sind aus chemisch reinem Kupfer sehr schwer zu beschaffen.*) Wenn nun die Nadeln in den

*) Auch die Seide, mit welcher der Draht der Isolirung wegen besponnen- ist, enthält zuweilen etwas Eisen ; besonders die grüne Seide soll öfter solches enthalten,

§ 59, 60. Multiplikator. 123

Multiplikator eingehängt werden, so induziren sie in dem Kupferdraht Magnetismus. Da nun der Multiplikator aus zwei seitlichen Hälften besteht, welche durch einen mittleren Spalt getrennt sind (um die Nadeln einzuhängen), so ist der in den beiden Hälften induzirte Magne- tismus nahezu gleich, wenn die Nadeln in der Mitte stehen; sie be- finden sich hier in labilem Gleichgewicht. Werden die Nadeln aber abgelenkt, so ist der von jedem Pol auf der entsprechenden Seite induzirte Magnetismus stärker und die Nadeln begeben sich in die Richtung der Diagonale, wo sie über der grössten Länge der Kupfer- masse stehen und daher am stärksten angezogen werden.

Ein solcher Multiplikator würde natürlich völlig unbrauchbar sein, wenn man nicht ein Mittel besässe, die Ablenkung durch die Draht- massen zu kompensiren. Dieses geschieht dadurch, dass man in der Nähe des Nullpunktes einen kleinen ganz schwachen Magneten (die abgebrochene Spitze einer feinen magnetisirten Nähnadel) so aufstellt, dass er den zugewandten Pol der oberen Nadel anzieht. Man dreht daher das Multiplikatorgewinde so, dass man den Nullpunkt der Teilung den Nadeln nähert. Dann kommt zuletzt ein Punkt, wo die Richtkraft der Erde und die Ablenkung durch die Drahtmassen ein- ander gerade das Gleichgewicht halten und dann sind die Nadeln auf der Nulllinie in labilem Gleichgewicht. Bringt man nun den kleinen Kompensationsmagneten an, so kann man es so einrichten, dass er gerade genügt, um die Ablenkung durch die Drahtmassen aufzuheben und die Nadeln auf der Nulllinie in stabilem Gleichgewicht zu halten, ohne dass der Multiplikator merklich von seiner Empfindlichkeit einbüsst.

§ 60. Ein vollständiger, mit Berücksichtigung aller dieser Mo- mente gebauter Multiplikator, wie er zu physiologischen Zwecken ge- braucht wird, hat daher folgende Einrichtung: Eine starke Metallplatte a, Fig. 57 (a. f.S.), kann mittelst dreier Schrauben horizontal gestellt wer- den. Sie trägt auf ihrem oberen Rande eine Gradteilung. Auf ihr ist die Metallbüchse b drehbar mit Hilfe der Schraube ohne Ende g. Diese Büchse trägt den aus Buchsbaumholz geschnitzten Rahmen C, auf welchem der Draht aufgewunden ist. Der Draht ist sorgfältig mit Seide besponnen und jede Lage noch besonders durch Firnissung iso- lirt. Die vier Drahtenden sind mit Klemmen verbunden; zwei von ihnen (f, f in Fig. 57) dienen zur Verbindung mit der Stromquelle, die beiden andern sind unter sich verbunden (vgl. § 57). Oben auf dem -Rahmen ist eine Teilung befestigt, über Avelcher die obere Nadel schwebt; die Nulllinie der Teilung ist den Drahtwindungen parallel.

124

Multiplikator.

Kap. IX.

Das astatische Nadelpaar hängt mittels eines feinen Hälcchens an einem einfachen Seidenkokonfaden, welcher oben an einen Haken be- festigt ist. Dieser wird von dem Bügel hh getragen, und kann durch drei Schräubchen zentrirt, d. h. so gestellt werden, dass der die

Nadeln tragende Faden gerade durcli den Mittelpunkt der Teilung geht. An dem einen Nullpunkt der Teilung ist ein galgenförmiges Messinggestelle o angebracht, welches durch die Schrauben 1, m seitlich verrückt, so wie entfernt und genähert werden kann und wel- ches [an seinem Ende das Magnet- splitterchen zum Kompensiren der Ab- lenkung durch die Drahtmassen trägt. Endlich sind an den 90 "punkten noch kleine Knöpfe angebracht, welche kleine, vorspringende, sehr dünne Glimmerblättchen tragen, an welchen sich die obere Nadel fängt, sobald die Ablenkung 90" beträgt. Diese „Hemmung^^ ist notwendig, damit nicht bei starken Strömen eine Um- kehr der Nadeln erfolge. Um die Nadeln so viel als möglich vor Luft- strömungen und Staub zu schützen, sind die seitlichen Oeffnungen des Rahmens durch Glasstreifen geschlossen, und der ganze Multiplikator mit einer Glasglocke bedeckt, welche auf der Büchse aufruht.

Man stellt den Multiplikator, um ihn vor Erschütterung zu be- wahren, auf einem festen Konsol auf, welches ohne Eisen an der Wand befestigt ist. Die vier Klemmen, weiche die Enden des Multi- plikatordrahts vorstellen, verbindet mau ein für alle Mal mit in der Wand befestigten Klemmen, durch Drähte, welche lang genug sind, um die Drehung des Multiplikators zu gestatten. An jenen in der Wand befestigten Klemmen bringt man die Drähte an, welche den Strom zuleiten sollen, und an ihnen macht man die Manipulationen, welche nötig sind, wenn man die halbe oder ganze Multiplikatorlänge benutzen oder die Stromesrichtung umkehren will, damit am Multipli-

§ 60, 61. Vertikalgalvanoskop. 125

kator selbst gar nicht gezerrt werde. Man prüft sodann, in welcher Richtung die Nadeln durch den Strom einer kleinen Kette abgelenkt werden, um später aus der Ablenkung sogleich die Richtung eines zu prüfenden Stromes zu erkennen.

§ 61. Ein so empfindlicher Multiplikator wie der eben be- schriebene ist nur zur Erkennung ganz schwacher Ströme geeignet. Für stärkere Ströme hat man nach demselben Muster gebaute mit geringerer Windungszahl. Handelt es sich nur um die Erl-^ennung, ob ein Strom vorhanden ist, welche Richtung er hat und höchstens um eine rohe Schätzung seiner Stärke, so kann man sich häufig mit viel einfacheren Instrumenten begnügen. Unter diesen erwähnen wir zunächst das Vertikalgalvanoskop, ursprünglich für telegraphi- sche Zwecke gebaut, aber vielfach von Elektrotherapeuten benutzt. Ein Magnetstab ist um eine horizontale Axe drehbar, ein kleines Ueberge wicht an seinem untern Teil bewirkt, dass er vertikal steht; eine etwaige Abweichung aus dieser Lage (durch den Erdmagne- tismus bedingt) kann durch Drehung eines kleinen, oberhalb des Magnetstabs im Gehäuse angebrachten kleinen Magneten mittels eines oben angebrachten Knopfs ausgeglichen werden. Die Galvanometer- windungen, innerhalb deren der Magnetstab sich drehen kann, stehen gleiclifalls vertikal, die Ablenkungen des Magnetstabes werden durch einen vorn angebrachten Zeiger, der vor einer Kreisteilung spielt, sichtbar gemacht.

Ein solches Galvanoskop zeigt ebenso wie der Multiplikator an 1) ob überhaupt ein Strom vorhanden ist von einer Stärke, die aus- reicht, eine wenn auch nur kleine Ablenkung zu bewirken. Je empfindlicher das Instrument ist, desto kleiner kann diese geringste Stromstärke sein. Für gewisse Aufgaben, z. B. die in § 44 be- schriebene Methode der Widerstandsmessungen, muss die Empfindlich- keit eine genügend grosse sein, wenn die Messungen hinlänglich genau werden sollen; 2) die Richtung des Stroms, je nachdem der Aus- schlag nach rechts oder nach links erfolgt; es gestattet 3) eine ungefähre Schätzung der Stromstärke.

Bei jedem Multiplikator ist die Empfindlichkeit am grössten in der Nähe des Nullpunkts, nimmt aber, je weiter die Ablenkung nach 90° vorschreitet um so mehr ab. Diese Abnahme kann nicht be- rechnet werden, da sie von den individuellen Verhältnissen eines jeden Instruments abhängt. Es bleibt deshalb nichts übrig, als jedes In- strument empirisch zu graduiren. Speziell für elektrotherapeutischc

126

Absolutes Galvanometer.

Kap. IX.

Zwecke hat Edelmann ein solches Galvanometer mit Graduirung in absolutem Mass angefertigt, an welchem statt der Gradeinteilung die Stellungen des Magneten angegeben sind, welche den Stromstärken von 1, 2 u. s. w. Milliampere entsprechen. Um aber auch stärkere Ströme messen zu können, sind Nebenschliessungen angebracht, durch welche man nur V^q oder nur Vioo ^^s Stroms durch den Multipli- kator gehen lassen kann. Zeigt also die Nadel auf 0,3, so ist die wahre Stromstärke, wenn gar keine Nebenschliessung eingeschaltet ist = 0,3 Milliampere, wenn die erste Nebenschliessung eingeschaltet ist = 3, mit der zweiten 30 Milliampere oder = 0,03 Ampere u. s. f. Dieses absolute Galvanometer von Edelmann hat die Ge- stalt einer Dose von 11 cm. Durchmesser und 12 cm. Höhe. Der Magnet n ist ein sogenannter Glockenmagnet und hängt an einem kurzen Kokonfaden c innerhalb einer dicken Kupfermasse d. Dies

Fig. 58.

hat zur Folge, dass er bei Ablenkungen nicht lange hin und her schwingt, sondern sich sofort auf den richtigen Punkt einstellt. Den Grund dieser Erscheinung werden wir später genauer besprechen. Die Drahtwindungen sind auf die Holzrolle r aufgewickelt. Ein an dem Glockenmagnet befindlicher Zeiger z spielt auf der oben ange- brachten Teilung. Unten befinden sich an der Dose 2 Schrauben, mit Hilfe welcher man die Nebenschliessungen einschalten kann. Um das Instrument zu benutzen, hebt man den Stift s, wodurch der Magnet frei wird und sich in den magnetischen Meridian einstellt.. Man dreht das Instrument, bis die Nadel auf der Nulllinie der Tei- lung einsteht. Man verbindet die mit m und n bezeichneten Klemmen mit den Stromzuleitungsdrähten. Ist der Strom zu stark, so bringt man die Schrauben o oder p zum Kontakt mit den entsprechenden,

§61.

Absolutes Galvanometer.

127

unter ihnen gelegenen Plättchen, wodurch die betreffenden Neben- schliessungen eingeschaltet werden.

Ohne Nebenschliessungen kann man Stromstärken bis zu 2 Milli- ampere messen; die Teilung zeigt Zehntel Milliampere direkt an und gestattet Hundertstel durch Schätzung zu messen. Mit Zuhilfenahme der Nebenschliessungen kann man also Stromstärken von 0,00001 Ampere bis zu 0,2 Ampere messen. An den ersten, nach diesen Prinzipien angefertigten Instrumenten hatte Edelmann noch eine dritte Nebenschliessung angebracht, welche Viooo des Stroms durch das Galvanometer gehen Hess, so dass man Ströme bis zu 2 Ampere messen konnte.

Auf der Teilscheibe des Instruments sind die Widerstände des Galvanometers ohne und mit den beiden Schaltungen angegeben, so- dass man, unter Benutzung der Ohm' sehen Gesetze, Messungen von Widerständen und von elektromotorischen Kräften vornehmen kann.

Fig. Ö9.

Edelmann hat auch eine kleinere einfache Bussole konstruirt, welche die Stromstärke direkt von 0 bis 20 Milliampere abzulesen gestattet. Dieses einfachere Instrument ist in Fig. 59 dargestellt. Seine Konstruktion ist der des eben beschriebenen ähnlich, nur ein- facher. Der hufeisenförmige Magnet dreht sich auf einer Stahlspitze innerhalb des dickwandigen Kupferzylinders d. An ihm ist der Zeiger z befestigt, der über der Teilscheibe t schwingt. Auf der Holzrolle r sind die Drahtwindungen des Galvanometers aufgewunden. Durch Niederschrauben von w kann man bewirken, dass nur V,f, des zu messenden Stroms durch die Bussole geht. Beim Nichtgebrauch wird der Magnet in der Höhlung h des Deckels a untergebracht und der Deckel mittels der Schraube g, deren Höhlung auf die Schraube s

128 Spiegel-Tangentenbussole. Kap. IX,

passt, befestigt. Das Instrument eignet sich besonders für den Ge- brauch der Elektrotherapeuten.

Die Aichung der beiden eben beschriebenen Instrumente bewirkt Edelmann durch Vergleichung mit einem von ihm konstruirten abso- luten Galv^anometer. Es ist übrigens zu bemerken, dass die Angaben des Instruments, sofern sie auf der Benutzung der Nebenscliliessungen be- ruhen, nur dann ganz genau sein können, wenn der Widerstand in der Hauptleitung genau derselbe ist wie der bei der Aichung benutzte, oder wenn der Widerstand in dieser Hauptleitung, welche die Kette enthält, so gross ist, dass der Widerstand der Nebenschliessungen sowohl im Vergleich zu jenem als auch zu dem der Galvanometerdrahtwindungen als unend- lich klein angesehen werden kann (vgl. die Auseinandersetzungen über Stromverzweigung, § 41 ff). Bei physiologischen Versuchen wird diese Voraussetzung meist, bei therapeutischen wol immer zutreffen. Andern- falls aber wird mit Einschaltung der Nebenschliessung der Strom im Hauptkreis selbst stärker, weil eben der Gesammtwiderstand des Kreises kleiner geworden ist.

Nennen wir die elektromotorische Kraft der Kette E, den Widerstand der Kette nebst der Leitung bis zum Galvanometer w^, den des Galvanometers Wj, den der Nebenschliessung Wg, so ist der Strom, dessen Stärke wir messen wollen, ohne Nebenschliessung

Wi + W2

Fügen wir nun die Nebenschliessung ein, so verzweigt sich der Strom in der Weise wie in Fig. 27, wo DBF den Galvanometerdraht vorstellen soll. Der Strom im Hauptkreis findet nun zwei Wege, DGF und DBF, deren Widerstände Wj und Wg sind. Nach den Auseinandersetzungen des § 41 können wir uns den Neben- schliessungsdraht ersetzt denken durch einen andern von gleicher Länge und gleichem Material wie der Galvanometerdraht, aber nmal grösserem Querschnitt. Beide Drähte zusammen haben also den Querschnitt n -f- ') wenn wir den Quer- schnitt des Galvanometerdrahts = 1 setzen. Folglich haben wir, da sich die Widerstände von Drähten verhalten umgekehrt wie ihre Querschnitte:

Wj . 3 : Wj = 1 : n + 1

worin W2 . 3 den Widerstand der Kombination von Galvanometer und Nebenschliessung bedeutet. Also wird die Stärke des Hauptstroms jetzt sein

B

Nur wenn Wj sehr gross ist, können wir diesen Wert gleich setzen dem Wert

E

Dieser Fall ist bei der Anwendung in der Elektrotherapie vorhanden, weil die ein- geschalteten Körperteile stets einen sehr grossen Widerstand haben.

§62.

Spiegei-Tangentenbussole.

129

§ 62. Die § 30 beschriebene Tangentenbussole ist, wie schon gesagt, nur zur Messung ziemlich starker Ströme geeignet. Man hat dem Instrument aber verschiedene Gestalten gegeben, um es auch zur Messung schwacher Ströme geeignet zu machen, von denen wir die wichtigsten beschreiben wollen. Die am meisten verbreitete Form ist die von Wie de mann angegebne mit den Abänderungen, welche von du Bois-Reymond herrühren. Auf einem Brette, welches durch drei Schrauben horizontal gestellt werden kann, sind zwei Drahtrollen BB parallel mit sich selbst verschiebbar, die Entfernung von dem Punkte in der Mitte, wo die Rollen sich berühren, kann auf einer Teilung abgelesen werden. Gerade in dieser Mitte hängt an einem Kokonfaden die Magnetnadel, welche hier aber keine Nadel ist, sondern

Fig. 60.

ein kreisrunder Stahlspiegel, der so magnetisirt ist, dass seine magne- tische Axe nait seinem horizontalen Durchmesser zusammenfällt. Leitet man durch eine oder beide Rollen einen Strom, nachdem das ganze Instrument so aufgestellt ist, dass der Spiegel im magnetischen Meri- dian hängt, so wird der Spiegel abgelenkt. Wir haben nun aber in § 30 gesehen, dass die Stromstärke nur dann wirklich den Tangenten der Ablenkungen proportional ist, wenn die Grösse der Nadel gegen den Durchmesser des sie umgebenden kreisförmigen Stromes so klein ist, dass die Wirkung des Stromes auf die Nadel durch die Ablenkung selbst nicht geändert wird. Da diese Bedingung bei dem jetzt be- trachteten Instrumente nicht erfüllt ist, so darf man es nur als ge- naues Mess-Instrument gebrauchen, wenn die Ablenkungen sehr klein

Rosenthal u. Bernhardt, Elektrizitütslclire. HI. Aiitl. q

130 Spiegel-Tangentenbussole. Kap. IX.

sind; denn dann ändert sich die. Lage des Spiegels zu den Windungen ja nur unwesentlich. Um diese kleinen Ablenkungen zu messen, stellt man vor dem Instrument in einiger Entfernung eine Skala auf und beobachtet das Spiegelbild derselben im Stahlspiegel mit einem Fern- rohr. Im Okular dieses letzteren ist nämlich ein vertikaler Faden ausgespannt, welchen man an einem bestimmten Teilstrich der Skala sieht. Wird der Spiegel abgelenkt, so scheint sich die Skala an dem Faden zu verschieben, und diese Verschiebung ist, wie eine leichte Konstruktion ergibt, gleich der Tangente des doppelten Ablenkungs- winkels. Ist die Entfernung der Skala vom Spiegel etwas beträcht- lich, so ist diese Art der Ablesung ungemein empfindlich. Da nun bei den kleinen Winkeln, um welche es sich doch hier nur handelt, die Tangente des doppelten Winkels gleich gesetzt werden kann der doppelten Tangente des Ablenkungswinkels, so kann man die Strom- stärke direkt proportional setzen den abgelesenen Skalenteilen. Um ein absolutes Maass der Stromstärke durch das Instrument zu er- langen, muss man es entweder, wie oben § 30 bei der Tangenten- bussole angegeben worden ist, mit einem Voltameter vergleichen, oder mit einer schon geprüften gewöhnlichen Tangentenbussole. Da jedoch diese beiden Instrumente viel zu unempfindlich sind, um durch die- selben Ströme merklich beeinflusst zu werden, welche auf die Spiegel- bussole wirken, so bedient man sich auch hier des Prinzips der Stromverzweigung. Man leitet nämlich, ganz wie bei der Graduirung des Multiplikators im vorigen Paragraph angegeben worden, den Strom durch eine Tangentenbussole und einen Draht, dessen Widerstand ein bekannter Bruchteil des Widerstandes der Spiegel bussole ist. Schaltet man dann diese als Nebenschliessung zu jenem Drahte ein, so geht durch sie nur ein bekannter Bruchteil des Stromes. Wenn man also die Stärke des Stromes misst, und die Ablenkung, welche durch jenen Bruchteil an der Spiegelbussole hervorgebracht wird, so hat man die Konstante des Instruments bestimmt und kann dasselbe zu absoluten Messungen benutzen. Es versteht sich von selbst, dass diese Graduirung nur für die bestimmte Entfernung der Rollen vom Spiegel Geltung hat, bei welcher sie vorgenommen worden ist und dass für andre Stellungen der Rollen die absoluten Werte der Ab- lenkungen besonders bestimmt werden müssen.

Um Schwingungen des Spiegels durch Luftzug zu vermeiden, ist derselbe mit einer kupfernen Hülle A umgeben, welche vorn mit einem Planglase verschlossen ist. Die kupferne Hülle hat ausserdem noch den Vorteil, dass in ihr bei Bewegung des Spiegels Ströme indu-

§62,63. Spiegel-Tangentenbnssole. 131

zirt werden, welche den Spiegel in entgegengesetzter Richtung zu drehen streben, so dass selbst starke Schwingungen sehr bald zur Ruhe gebracht oder gedämpft werden, wovon später noch die Rede sein wird.

Gewöhnlich hat man zu diesem Instrumente mehre Paare von Rollen mit Draht von verschiedener Länge und Dicke, um je nach Umständen die vorteilhaftesten benutzen zu können. Auch lässt man die Rollen so wie die Multiplikatoren aus zwei parallel laufenden Drähten wickeln. Je nach der Stärke der Ströme wendet man nur eine Rolle oder beide zugleich an und bringt sie in verschiedenen Abstand vom Spiegel.

Man kann dem Instrumente auch eine etwas veränderte Gestalt geben, indem man statt des magnetischen Spiegels einen leichteren Magnetring anwendet, mit welchem ein gewöhnlicher Glasspiegel durch ein vertikales festes Messingstück verbunden ist, so dass der Spiegel über den Drahtrollen in einem kleinen, vorn mit einer Glasplatte ge- schlossenen Gehäuse hängt. Indem so der Magnet ein viel geringeres Gewicht haben kann, wird die Empfindlichkeit des Instrumentes er- höht, und das Trägheitsmoment des Magnets vermindert, was einen gleich zu erörternden Vorteil bietet. Auch kann man den Spiegel an dem Messingstück drehbar anbringen, um ihn bei jeder beliebigen Stellung des Instrumentes auf die Skala richten zu können.

Einen noch viel höheren Grad von Empfindlichkeit aber kann man diesem Instrumente erteilen, wenn man die Richtkraft der Erde auf den Magnetring oder magnetischen Spiegel verkleinert, indem man über, neben oder unter demselben im magnetischen Meridian einen starken Magnetstab anbringt, welcher den Magneten der Bussole in entgegengesetzter Richtung zu drehen strebt, als die Erde, oder auch, wenn man zur Seite des Magneten und gerade in seiner Verlängerung den starken Magnetstab, mit dem feindlichen Pole jenem zugewandt, aufstellt. Indem man diesen starken Magnetstab von oben, unten oder der Seite her allmählich annähert, kann man dem Magneten der Bussole jeden beliebigen Grad der Astasie erteilen und die Empfindlichkeit des Instrumentes entsprechend steigern.

§ 63. Wenn bei einem der hier beschriebenen Instrumente ein konstanter Strom durch die Drahtwindungen geleitet wird, so stellt sich der Magnet in einer neuen Lage ein, welche durch die Stärke des Stromes und die Richtkraft des Erdmagnetismus bedingt ist. Je stärker der Strom ist, desto grösser ist die ablenkende Kraft, welche

9*

132 Aperiodisch schwingende Magnete. Kap. IX.

den Magnet aus der Ruhelage im magnetischen Meridian in diese neue Lage überführt. In Folge der durch diese Kraft erlangten Geschwindig- keit gelangt aber beim Beginn des Stroms der Magnet niclit blos in die neue Lage, sondern geht vermöge der Trägheit mehr oder minder weit über dieselbe hinaus, kehrt dann wieder um und vollführt so eine Anzahl von Schwingungen, welche allmählich immer kleiner werden, bis er endlich in der neuen GleichgeAvichtslage zur Ruhe kommt. Dasselbe wiederholt sich, wenn der Strom geöffnet wird. Der Magnet kehrt dann nicht einfach zu seiner Ruhelage im Meridian zurück, sondern schwingt über dieselbe in der ursprünglichen Ab- lenkung entgegengesetzter Richtung hinaus, dann wieder zurück und so fort, bis er zur Ruhe kommt.

Solche Schwingungen erfolgen, wenn keine Dämpfung vorhanden ist, ganz in derselben Weise wie die Schwingungen eines Pendels. Sie würden, wie diese, in alle Ewigkeit fortdauern, wenn nicht die Geschwindigkeit des schwingenden Körpers in Folge der Reibung, des Widerstands der Luft und andrer hemmender Einwirkungen allmäh- lich abnehmen würde. Zu diesen hemmenden Einflüssen gehört aber in dem uns hier beschäftigenden Falle die durch magnetoelektrische Induktion bewirkte Dämpfung, deren wir schon kurz Erwähnung taten. Und bei einem richtigen Verhältniss zwischen dem Trägheits- moment des Magnets und der Dämpfung kann mau es dahin bringen, dass der Magnet ohne alle Nachschwingungen sofort auf seinen Ort sich einstellt. Man sagt dann, der Magnet schwinge aperiodisch.

Wenn ein Magnet in der Nähe eines Leiters schwingt, so indu- zirt er in demselben Ströme, welche ihrerseits wieder auf den Magneten zurückwirken und ihn in entgegengesetztem Sinne zu bewegen streben als er gerade sich bewegt. Diese Induktionsströme müssen also wie ein Widerstand wirken und die Geschwindigkeit verringern. Und die Aperiodizität muss eintreten, wenn diese Widerstände genau proportional den jedesmaligen Geschwindigkeiten zunehmen und ge- rade ausreichen, den GeschwindigkeitszuAvachs in jedem Moment auf- zuheben.

Lässt man einen Magneten innerhalb eines metallischen Gehäuses schwingen, so sind es eben vorzugsweise die in diesem induzirten Ströme, welche die Dämpfung bewirken. Es kommt dann nur darauf an, diesem Dämpfer eine genügend grosse Masse und günstige Lage zum Magneten zu geben, um vollkommene Aperiodizität zu erreichen. Nun hat aber du Bois-Reymond gezeigt, dass diese Bedingungen sich viel leichter erreichen lassen, wenn man die Richtkraft des Erd-

§ 63. Dämpfung der Schwingungen. 133

magnetismus durch den im vorigen Paragraph erwähnten über, unter oder neben dem Magneten aufgestellten sogenannten H au y' sehen Astasirungsstab möglichst verringert, wodurch man zugleich, wie wir gesehen haben, die Empfindlichkeit der Bussole wesentlich erhöht. Bei genügender Astasie wirkt dann schon der kupferne Dämpfer der in Fig. 60 abgebildeten Spiegeltangentenbussole hinlänglich, um die Schwingungen innerhalb der Grenzen der gewöhnlich benutzten Ab- lenkungen (welche ja wegen der Ablesung mit Spiegel und Fernrohr nur klein sind) vollkommen aperiodisch zu machen.

Es gibt aber noch günstigere Anordnungen für diesen Zweck und unter ihnen ist die wirksamste die von Siemens eingeführte mit so- genanntem Glockenmagnet und Kugeldämpfer, von welcher auch Edelmann bei seinem oben beschriebenen und in Fig. 58 abgebildeten Galvanometer Gebrauch gemacht hat. Der Magnet besteht hier aus einem oben geschlossenen, glocken- oder fingerhutförmigen Stahlzylinder, dessen Mantel durch zwei der Axe und unter einander parallele Schnitte teilweise entfernt ist. Es bleibt so ein hufeisenförmiger Magnet mit zylindrisch gekrümmten Schenkeln übrig. Dieser Magnet ist mittels eines an seiner Wölbung befindlichen Stifts an einem Kokonfaden aufgehängt in der zylindrischen Bohrung einer soliden Kupferkugel, über welche dann die Drahtwindimgen des Galvanometers geschehen werden.

Durch diese Anordnung wird erreicht, dass die Dämpfung bei jeder Lage des Magneten eine gleichmässige und- wegen der engen Umschliessung durch die dämpfende Kupfermasse sehr kräftige ist, während der Magnet selbst bei geringem Gewicht, also auch geringem Trägheitsmoment einen sehr kräftigen Magnetismus annehmen kann. Deswegen stellt sich der Magnet selbst bei Ablenkungen bis zu nahe an 90° sofort schwingungslos ein und kehrt, wenn der Strom unter- brochen wird, ebenso schwingungslos zum Nullpunkt zurück.

Man kann diese Glockenmagnete mit Kugeldämpfer auch mit einem Spiegel verbinden und sie dann ganz wie die andern Spiegei- tangentenbussolen mit verschiebbaren Rollen zu sehr empfindlichen Bussolen gestalten. Doch ist für solche Instrumente die früher be- schriebene Form der Tangentenbussole vorzuziehen, besonders da durch eine geringe, von Christiani angegebne Abänderung des Dämpfers dessen Wirksamkeit so erhöht werden kann, dass mit geringer Asta- sirung schon vollkommne Aperiodizität der Schwingungen erzielt wer- den kann.

Die Vorteile solcher aperiodischer Galvanometer oder Bussolen

1 34 Lippinann's Kapillarelektrometer, Kap. IX.

sind besonders dann sehr bedeutend, wenn man mit schnell veränder- lichen Stromstärken zu arbeiten hat, wo die gewöhnlich schwingenden Magnete gar nicht zur Ruhe kommen, so dass eine genaue Ablesung ganz unmöglich wird.

§ 64. Aus der Reihe der Rheoskope, welche nicht auf der Ab- lenkung von Magneten beruhen, wollen wir noch zweier Apparate ge- denken, welche für manche Zwecke sehr geeignet sind und sich durch ihre ausserordentliche Empfindlichkeit auszeichnen.

Das erste derselben ist Lippmann's Kapillarelektrometer. Zieht man ein Glasrohr zu einem möglichst schlanken, sich allmäh- lich konisch verengernden Kapillarrohr aus und füllt dasselbe mit Quecksilber, so fliesst dieses wegen der Kapillarwirkung des engen Rohrs selbst bei beträchtlichen Drucken nicht aus. Taucht man das Kapillarrohr in sehr verdünnte Schwefelsäure, bringt durch Verstärkung des Drucks einen Tropfen Quecksilber zum Ausfliessen und lässt dann wieder mit dem Drucke nach, so wird ein wenig Schwefelsäure in das Kapillarrohr eingesogen. Stellt man ein Mikroskop auf die Grenze zwischen Quecksilber und Schwefelsäure ein, so sieht man die Kuppe des ersteren mit einem scharfrandigen konvexen Meniskus gegen die Schwefelsäure begrenzt.

Wenn man nun einen elektrischen Strom in der Richtung von der Schwefelsäure zum Quecksilber hindurchleitet, so verändern sich die kapillaren Eigenschaften des Quecksilbers und damit sein Meniskus und dieser weicht von dem Ende des Kapillarrohrs zurück, nach dem weiteren Teil des Rohrs hin. Man kann entweder die Grösse dieses Ausschlags, wenn sie sich innerhalb enger Grenzen hält, mit Hilfe eines Mikrometers messen, oder man kann durch erhöhten Druck den Meniskus wieder auf die Stelle zurückbringen, auf der er sich vorher befand. In diesem Falle muss man einen um so grösseren Druck anwenden, je grösser die elektromotorische Kraft ist, welche die Ver- schiebung bewirkt hat, während es auf die Stromstärke dabei nicht ankommt.

Das Kapillarelektrometer ist vollkommen aperiodisch, da die dem Quecksilber erteilte Geschwindigkeit selbst bei den grössten vor- kommenden Verschiebungen immer nur eine sehr geringe und die Widerstände der Reibung im Vergleich zu dem Trägheitsmoment sehr gross sind. Dabei vollzieht sich die Verschiebung in ausserordentlich kurzer Zeit. Deshalb wird dieses Instrument besonders dann von Nutzen sein, wenn es sich um Beobachtung sehr schnell verlaufen-

§ 64. Telephon. 135

der elektrischer Vorgänge handelt, z. ß. zum Studium der elek- trischen Veränderungen, welche in Nerven und Muskeln bei ihrer Tätigkeit Platz greifen. Neußrdings hat es Burdon-Sanderson benutzt bei der Untersuchung der elektrischen Vorgänge, welche im Blatt der Dionaea muscipula durch Reizung des Blattes hervorgerufen werden.

Das zweite der hier zu erwähnenden Instrumente ist das so schnell allgemein bekannt gewordene und weitverbreitete Telephon. Dasselbe besteht bekanntlich aus einem Magneten, um dessen eines Ende eine Spirale von dünnem Draht gewickelt ist, während nahe dem Magnetpol eine dünne Eisenplatte oder Membran angebracht ist. Versetzt man letztere in Schwingungen, indem man gegen dieselbe spricht oder singt, so entstehen durch die Annäherung und Entfernung der Eisenplatte an den Magneten Schwankungen in der Intensität des Magnetismus und dadurch in der Drahtspirale Induktionsströme. Wer- den diese der Drahtspirale eines zweiten Telephons zugeleitet, so wirken sie verändernd auf die Intensität des Magnetismus und damit auf die Anziehung der Eisenplatte, so dass nun diese in Schwingungen gerät und ihrerseits einen Ton oder ein Geräusch erzeugt.

Dieses letztere findet aber auch dann statt, wenn wir nur ein einziges Telephon anwenden und durch dessen Rolle einen Strom leiten, dessen Intensität schwankt, gleichgiltig , wodurch dieser elektrische Strom erzeugt wird. Derselbe kann dabei äusserst schwach sein, da das Telephon sehr empfindlich ist. Findet nur eine einzelne Schwan- kung des Stroms statt, Avie beim Schliessen oder Unterbrechen eines sonst konstanten Stroms, so hört man im Telephon nur ein Knacken; folgen mehrere solche Stromschwankungen auf einander, so hört man ein Knistern, folgen sie noch schneller, so entsteht ein Geräusch oder Klang. Daraus folgt, dass man sich des Telephons mit Vorteil be- dienen kann, wenn es sich um den Nachweis schwacher, aber in ihrer Intensität schnell wechselnder Ströme handelt, eine Aufgabe, welche in der Physiologie öfter vorkommt, z. B. zur Untersuchung der elek- trischen Veränderungen bei der Muskelzusammenzieliung.

Das Telephon hat in seinen Leistungen viel Aehnlichkeit mit dem physiologischen Rheoskop und kann dieses in manchen Fällen ersetzen.

I

Kapitel X.

Von dem Nachweis und der Messung elektromotorischer Kräfte, der Messung kurzdauernder Ströme und der elek- trischen Zeitmessung.

§ 65. Das vorige Kapitel hat uns mit einer Reihe mehr oder minder empfindlicher Apparate zum Nachweis elektrischer Ströme be- kannt gemacht. Eine der wichtigsten Aufgaben, zu deren Lösung diese Apparate dienen, ist die Entscheidung der Frage, ob in einem gegebnen Körper (z. ß. in einem Muskel) oder in einer Kombination von Körpern elektromotorische Kräfte ihren Sitz haben. Aber hierbei kommt es vor allen Dingen darauf an, die Verbindung des Multipli- kators oder sonst benutzten Stromanzeigers*) mit dem zu prüfenden Körper auf eine Weise herzustellen, welche selbst keine Ursache zur Erzeugung elektrischer Ströme abgibt. Will man z. B. prüfen, ob in einem Stücke Muskel, Nerv oder sonstigen tierischen oder pflanzlichen Körper elektromotorische Kräfte existiren, so genügt es nicht, zwei Metalldrähte mit den Multiplikatorenden zu verbinden und diese an den zu prüfenden Körper anzulegen. Auf diese Weise würde man immer Ströme bekommen, denn zwei Metallstücke sind selten so gleichartig, selbst wenn sie aus einem und demselben Stück ge- schnitten wären, dass sie nicht in Berührung mit einer und derselben Flüssigkeit ungleich erregt würden und daher Ströme lieferten, welche mehr als genügen, die Nadeln empfindlicher Multiplikatoren an die Hemmung zu werfen. Ja sogar, wenn man zwei Metallstücke mit

*) Wenn im Folgenden vom Multiplikator die Rede ist, so verstellt es sich von selbst, dass statt seiner auch irgend ein andres geeignetes Werkzeug aus der Zahl der im vorigen Kapitel beschriebenen angewendet werden kann. In der Regel benutzt man jetzt fast nur noch die Spiegelbussole mit aperiodischem Magnet und gelegentlich, je nachdem dies für den besondern Zweck nützlich sein kann, eines der andern Instrumente,

§65.

Ableitungsgefässe von du Bois-Reymond.

137

vieler Mühe gleichartig gemacht hat, so genügt es, dass das eine nur um einen Bruchteil einer Sekunde früher an einen feuchten Leiter angelegt wird, um einen Strom zu erzeugen.

Diese Umstände machen es notwendig, hei der Prüfung tierischer Teile auf ihr elektromotorisches Verhalten gewisse Vorsichtsmaassregeln anzuwenden, um Täuschungen zu entgehen. Unter allen Kombinationen hat sich nach den Untersuchungen von duBois-Reymond diejenige, welche wir schon früher als unpolarisirbar kennen gelernt haben, amalgamirtes Zink mit Zinkvitriollösung, auch als diejenige bewährt, welche am leichtesten vollkommen gleichartig herzustellen ist. Die Prüfung eines tierischen (oder sonstigen) Körpers auf seine elektro- motorischen Eigenschaften geschieht daher auf folgende Weise:

Zwei kleine Gefässe, aus Zink gegossen, wie ein solches in Fig. 61 dargestellt ist, sind auf isolirenden Unterlagen befestigt, und in ihrem Innern wohl amalgamirt. Durch Klemmschrauben k werden

Füj. 61.

sie mit den Enden des Multiplikatordrahtes verbunden. Aus Fliess- papier gebildete Bäusche, welche mit konzentrirter Lösung von reinem schwefelsaurem Zinkvitriol getränkt sind, stecken in den Gefässen und ragen über deren Rand vor. Kleine Schilder aus einer isolirenden Substanz (vulkanisirtem Kautschuk) halten dieselben mit Hilfe von Kautschukringen in ihrer Lage fest. Die durch den Bausch nicht ganz ausgefüllte Höhlung der Zinkgefässe füllt man zur Verringerung des Widerstandes mit gesättigter Lösung von Zinkvitriol. Rückt man

138 Ableitungsgefässe von du Bois-Reymond. Kap. X.

die Gefässe bis zur Berührung der Bäusche an einander, oder über- brückt den Zwischenraum zwischen den Bäuschen mit einem dritten ebenfalls mit konzentrirter Zinkvitriollösung getränkten Bausch, so bleibt die Nadel des Multiplikators ganz unbewegt. In der Vorrich- tung hat also keine elektromotorische Kraft ihren Sitz. Bringt man jetzt an Stelle des dritten Bausches den zu untersuchenden Körper, und erhält eine Ablenkung der Nadel, so muss der hierdurch ange- zeigte Strom seine Ursache in jenem Körper haben. Statt dieser Ab- leitungsgefässe kann man auch~ die in Fig. 1 7 abgebildeten unpolarisir- baren Elektroden anwenden und zwar geschieht dies mit Vorteil da, wo es auf die Ableitung von möglichst punktförmigen Teilen ankommt. Wenn man auf diese Weise tierische Teile auf ihre elektromoto- rischen Eigenschaften prüft, so wird man je nach der Art des Auf- legens auf die Bäusche bald gar keine, bald eine geringere oder grössere Ablenkung erhalten, vorausgesetzt, dass die geprüften Teile überhaupt elektromotorische Eigenschaften 'besitzen. Um diese Er- scheinungen richtig zu verstehen, muss man sich dessen erinnern, was im § 46 über die Stromverteilung in nicht prismatischen Leitern ge- sagt worden ist. Es sei BCDE ein irgendwie gestalteter Leiter und in demselben habe bei A eine elektromotorische Kraft ihren Sitz. Dann wird der ganze Leiter von Stromkurven erfüllt sein, welche von A ausgehen und zu A zurückkehren. Die Richtung dieser Ströme wird bedingt sein von dem Sinne der elektromotorischen Kraft. Die Stärke der Ströme wird abnehmen mit der Länge der Wege, welche sie zurückzulegen haben, also mit der Entfernung von A. Legen wir nun an die Oberfläche dieses Körpers irgendwo einen gleich- artigen leitenden Bogen an, d. h. einen solchen^ dessen Berührung mit dem Körper BCDE nicht selbst Anlass zu einer Elektrizitäts- entwickelung gibt, so wird dieser Bogen jetzt ein Bestandteil des ganzen leitenden Systems und es wird sich durch denselben ein Strom- zweig ergiessen müssen, dessen Stärke von der Lage des Bogens und von seinem Widerstände abhängt. Die Punkte, in denen dieser gleich- artige Bogen den zu untersuchenden Körper berührt, nennen wir seine Fusspunkte, die Entfernung derselben von einander die Spann- weite des Bogens. Ist dieser Bogen der Multiplikator mit den eben beschriebenen Vorrichtungen, welche die Gkichartigkeit der Anlege- stellen sichern, so erhalten wir eine Ablenkung der Magnetnadel, deren Grösse im Allgemeinen variiren muss mit der Lage des Bogens an dem prüfenden Körper oder, was dasselbe ist, mit der Lage des Körpers auf den Bäuschen.

i

§66.

Strömungs- und Spannungs kurven.

139

§ 6Q. Wir haben sclion im § 45 u. 46 gesehen, dass man sich jeden, irgendwie gestalteten, von Strömen durchflossenen Leiter zer- legt denken kann in ein System von gekrümmten linearen Leitern, welche alle durch die Punkte gehen, in welchen die Ströme in den Körper ein- und aus demselben austreten. Dasselbe findet aber auch statt, wenn in dem Körper selbst eine elektromotorische Kraft ihren Sitz hat. In jedem dieser linearen Leiter bewegt sich dann ein Teil der durch die elektromotorische Kraft in Bewegung gesetzten Elek- trizitäten ganz nach den Gesetzen, welche wir für verzweigte Leitungen kennen gelernt haben. Denken wir uns diese linearen Leiter immer schmaler werdend, so gelangen wir zu dem System von Strömungs- kurven, von welchen § 46 die Rede war. Auf einer jeden solchen Kurve wird dann eine veränderliche Spannung herrschen (s. oben § 19), indem auf der einen Seite der elektromotorischen Kraft die grösste positive Spannung sein wird, die allmählich nach der Mitte der Kurven zu Null Avird, dann negativ und immer stärker wird, bis an der anderen Seite der elektromotorischen Kraft diese negative Spannung denselben Wert hat, als die positive auf der ersteren.

Es sei BCDE (Fig. 62) ein Durchschnitt durch einen Körper, in welchem bei A eine elektromotorische Kraft vorhanden ist. Der

Fig. 62.

Einfachheit wegen wollen wir annehmen, der Körper sei ein Zylinder und A sei in seiner Axe gelegen. Dann gilt alles, was für den hier gezeichneten Durchschnitt gesagt wird, auch für alle andern durch die Axe gelegten Durchschnitte, und wir gewinnen eine Vorstellung von den Vorgängen in dem ganzen Körper. Es gehen dann von A eine grosse Zahl von Strombahnen aus, welche dichtgedrängt den

140

Strömlings- und Spannuiigskuvven.

Kap. X.

ganzen Körper erfüllen. In dem Zylinder bilden diese Strombahnen gekrümmte FLächen, welche alle durch den Punkt A gehen und die einander zwiebelschalenartig umhüllen. In unserm Durchschnitt er- scheinen dieselben als Strömungskurven in den ausgezogenen Linien dargestellt. Die Pfeile an diesen Linien geben die Strömungsrichtung an, indem vorausgesetzt ist, dass die elektromotorische Kraft die posi- tive Elektrizität nach rechts und die negative nach links treibe. Be- trachten wir nun zwei dieser Strömungskurven, z. B. die innerste und die äusserste der in der Figur gezeichneten. Da sie ungleich lang sind, so wird durch die längere (welche eben deshalb einen grösseren Widerstand bietet) ein geringerer Stromanteil gehen als durch die kürzere. Um die Verteilung der Spannungen auf diesen beiden Kurven vergleichen zu können, konstruiren wir für beide das elektrische Gefälle (s. § 19). Es seien ab und cd (Fig. 63) die beiden Kurven,

Fig. 63

welche hier gerade gestreckt dargestellt sind. Da ihre Enden a, b bez. c, d zu beiden Seiten derselben elektromotorischen Kraft an- liegen, so sind die Spannungen an den Enden gleich und werden da- her durch die gleichen Linien ae, cg, bf, dh dargestellt, von denen ae und cg negativ, bf und dh positiv sind. Das Gefälle aber, wel- ches durch die Linien fe und hg dargestellt wird, ist bei der oberen Linie viel steiler als bei der unteren. Nun können wir auf jeder dieser Linien noch andre Punkte angeben, auf denen die Spannungen gleich sind, z. B. ik = Im, no = pq u. s. w. Was von den Ge- fällen dieser beiden Kurven gesagt ist, gilt aber auch von allen andern Strömungskurven. Auf jeder derselben ist die positive Span- nung rechts von der elektromotorischen Kraft A am grössten, nimmt

§ QG. Elektromotorische Oberfläche. 141

ab, wird dann Null, dann negativ und wächst mit negativem Vor- zeichen, bis sie Links von A ihren grössten Wert erreicht.

Verbinden wir nun die Punkte gleicher Spannung auf allen Strömungskurven mit einander, so erhalten wir ein zweites System von Kurven, welche auf den Strömungskurven senkrecht stehen, und welche wir Kurven gleicher Spannung oder isoelektrische Kurven nennen wollen. Sie sind in Fig. 62 durch die punktirten Linien angedeutet. Sämtliche Spannungskurven bilden in dem Leiter ein System von mehr oder weniger gekrümmten Flächen, welche alle durch den Sitz der elektromotorischen Kraft gehen, und auf deren jeder überall die gleiche Spannung herrscht. Diese Flächen gleicher Spannung oder isoelektrische Flächen schneiden die Oberfläche des Leiters in Kurven, auf deren jeder natürlich auch stets dieselbe Spannung herrscht. Die Gestalt und Lage dieser Spannungskurven hängt natürlich ab von der Gestalt des Leiters und dem Sitz der elektromotorischen Kraft im Innern des Leiters. Legt man nun einen gleichartigen Bogen an die Oberfläche des Leiters an, so hängt der durch denselben sich ergiessende Stromzweig ab von der Diff'erenz der Spannungen an den Fusspunkten des Bogens. Ist diese Diff'erenz Null, d. h. stehen die Fusspunkte des Bogens auf einer und derselben Spannungskurve, so fliesst gar kein Strom durch den Bogen. Stehen die Fusspunkte des gleichartigen Bogens aber auf zwei verschiedenen dieser Spannungskurven, so wird sich ein Strom durch denselben er- giessen, welcher stets gerichtet ist von dem Fusspunkte, welcher auf einer Kurve von grösserer positiver oder geringerer negativer Spannung aufsteht, zu dem anderen Fusspunkte des Bogens.

Verschiebt man den gleichartigen Bogen über den Leiter hin, so dass nach und nach alle Punkte der Oberfläche mit einander ver- glichen werden, und beobachtet die Ströme im Bogen, so kann man daraus die Gestalt und Lage der Spannungskurven auf der Oberfläche des Leiters bestimmen. Welches also auch die Gestalt und Lage der isoelektrischen Flächen sei, wo auch immer im Innern des Körpers die elektromotorische Kraft ihren Sitz habe, stets wird man eine Ver- teilung der Spannungen auf der Oberfläche angeben können, welche für den angelegten Bogen dasselbe leistet, d. h. in jeder Lage Ströme von gleicher Richtung und gleicher Stärke bestimmt, als die elek- tromotorische Kraft selbst. Man kann daher stets die elektromotorische Kraft ersetzt denken durch eine entsprechende Verteilung elektrischer Spannungen an der Oberfläche des Leiters. Man nennt dies das Prinzip der elektromotorischen Oberfläche.

142 Elektromotorische Oberfläche. Kap. X.

Denken wir uns in dem leitenden Körper ausser der elektromo- torischen Kraft bei A noch eine zweite enthalten, so wird diese eben- falls Ströme in dem Leiter erregen, welche denselben ganz erfüllen; es wird derselben ebenfalls ein System von isoelektrischen Flächen im Leiter und demgemäss von Spannungskurven auf der Oberfläche des Leiters entsprechen. Jeder Punkt auf der Oberfläche wird dann eine Spannung annehmen, welche die algebraische Summe der- jenigen Spannungen ist, welche ihm durch die Wirkung jeder ein- zelnen elektromotorischen Kraft allein zukommen würde, und dies ist stets 'der Fall, wie viele und wie geordnet auch die elektromotorischen Kräfte im Körper sein mögen.*) Welches daher auch die Zahl und die Anordnung der elektromotorischen Kräfte im Innern des Körpers sei, stets lässt sich statt derselben eine bestimmte Anordnung der Spannungskurven an der Oberfläche des Körpers angeben, welche die- selben Ströme im angelegten Bogen bewirkt. Das Prinzip der elek- tromotorischen Oberfläche behält also auch in diesem Falle seine Giltigkeit.

§ 67. Aus dem Vorhergehenden ist klar, dass wir mit Hilfe des Multiplikators mit der grössten Schärfe die Anordnung der Span- nungskurven auf der Oberfläche eines Leiters ermitteln können. In- dem wir nämlich den Körper nach und nach mit den verschiedensten Punkten auf die § 65 beschriebenen Bäusche auflegen, oder mit den Spitzen der Ableitungsröhren (Fig. 17) berühren, \velche die Fusspunkte unseres gleichartigen Bogens vorstellen, erkennen wir, welche Punkte gleiche Spannung haben (denn in diesem Falle dürfen die Nadeln nicht abgelenkt werden) und welche Punkte ungleiche Spannung haben und in diesem letzteren Falle, welchem Punkte die grössere positive Spannung zukommt. Denn von diesem letzteren Punkte her muss der Strom in den Multiplikator eintreten, worüber uns ja die Richtung der Ablenkung Aufschluss gibt. Es gehört aber zur vollständigen Lösung dieses Problemes noch die Bestimmung der Grösse der Span- nungsdifferenzen an den beiden berührten Punkten. Diese könnte man finden durch Messung der Stromstärke und des Widerstandes bei jeder einzelnen Lage des ableitenden Bogens. Es gibt aber ein noch einfacheres Mittel zur Bestimmung jener Differenzen, welches sich zu

*) Helmholtz hat diesen Satz, welchen man das Prinzip der Superposition elektromotorischer Kräfte nennt, so wie auch den vorhergehenden von der elek- tromotorischen Oberfläche mathematisch abgeleitet und experimentell bestätigt. S. P.ogg. Ann. Bd. S9. S. 211.

§67.

Bestimmung- der Spannungskur ven.

143

dem in Rede stehenden Zwecke sehr eignet, nämlich die Kompen- sation.

Es ist nämlich klar, dass wenn man durch den Multiplikator ausser dem Stromzweig, welchen der zu prüfende Körper durch ihn schickt, noch einen anderen in entgegengesetzter Richtung leitet, und die Nadel wird nicht abgelenkt, die Stärke beider Ströme genau gleich sein muss. Da aber beide Ströme denselben Kreis zu durchlaufen, also auch denselben Widerstand zu überwinden haben, so müssen auch die elektromotorischen Kräfte in beiden Fällen gleich sein. Trifft man nun die Anordnung Fig. 64, wo M den Multiplikator, K eine kon-

Fig. 64.

staute Kette, etwa ein Grove'sches oder Daniell'sches Element, RR, das Rheochord bedeutet, und verschiebt den Schieber des Rheo- chords so lange, bis die Nadel auf Null steht, so muss der durch die Spannungsdifferenz von a und b erzeugte Strom genau gleich sein demjenigen Stromteil, welcher von dem Strom des Elementes sich durch den Multiplikator abzweigt.*)

Denken wir uns für einen Augenblick die Berührung des Rheo- chords mit dem ableitenden Bogen an den Punkten R und S auf- gehoben. Die Rheochordseite RR stellt dann einfach einen Teil des

*) In der Figur ist vorausgesetzt, dass die Spannungsdifferenz von a grösser sei als die von b. Ist dies nicht der Fall, so müsste man die Verbindungen der Drähte vertauschen, was durch Einschaltung eines Stromwenders zwischen den Punkten R und S und ihren Verbindungen mit dem Multip] ilcator und dem Körper AB andrerseits geschehen muss. Der Stromwender darf nicht in dem Zweig RKTR, angebracht werden, weil bei seinen verschiedenen Lagen der Widerstand etwas ungleich sein könnte und dadurch die Konstanz des Stroms gefährdet würde. In dem Zweige RMabS schadet er nichts, weil in diesem der Strom Null wird.

144 Methode der Kompensation. Kap. X.

Schliessungsbogens der Kette K vor, und auf ihm herrscht eine von Punkt zu Punkt wechselnde Spannung (vgl. § 19). Da die Rheochord- saite ganz gleichmcässig ist, so ändert sich die Spannung auf ihr auch gleichmässig, d. h.: die Differenz der Spannungen zweier Punkte der Seite ist proportional ihrer Entfernung von einander. Andererseits herrscht an den Punkten a und b des Körpers AB Spannungsdifferenz in Folge der im Inneren von AB vorhandenen elektromotorischen Kräfte. Vereinigen wir nun den ableitenden Bogen wieder mit dem Rheochiord in den Punkten R und S, so wirken zwei elektromotorische Kräfte auf den Multiplikator M ein, die Spannungsdiflferenz der Rheo- chordpunkte und die der Punkte a und b, und diese müssen einander gleich und entgegengesetzt gerichtet sein, wenn die Multiplikatornadel unabgelenkt bleibt. In diesem Falle können wir also die letztere Spannungsdifferenz durch die erstere messen, und da diese, wie wir eben gesehen haben, der Länge RS direkt proportional ist, so ist es auch die zu messende Spannungsdifferenz.

Bezeichnen wir die elektromotorische Kraft der Kette K mit Ej , die durch die Spannungsdifferenz der Punkte a und b gegebene mit E.^ (wobei wir voraus- setzen, dass El > E2 ist), ferner

den Widerstand des Zweiges EKTRj mit W, den Widerstand von RS mit w, den Widerstand von SRi mit v, den Widerstand von RMabS mit u, den Widerstand von RR, mit C = w + v, so ist in Folge der elektromotorischen Kraft E, die Stromstärke im Zweige RMabS (nach § 41 Gleichung [6])

j Ei_^w

' (W + v) w + w . u 4- (W + v) . u und in Folge der elektromotorischen Kraft Ej die Stromstärke in demselben Zweige (nach § 41 Gleichung [8])

. _ ' E, (W + C)

^ u.w + (W + v)w + (W + v)u Steht die Nadel des Multiplikators auf Null, so sind diese beiden Werte einander gleich, also ist

E, . w = E, (W + C) F

d. h. die zu messende elektromotorische Kraft ist dem Widerstände der Strecke

El

RS, also auch ihrer Länge, direkt proportional, so lange der Bruch ^ , p,, d. h.

die Stromstärke im Kreise der Grove' sehen Kette konstant bleibt. Von dieser Konstanz kann man sich aber mit Hilfe der bei T eingeschalteten Tangenten- bussole jederzeit überzeugen.

Zu dieser Kompensation kann man sich sehr zweckmässiger^

§67.

Kreisrheochord als Kompensator.

145

Weise eines Rheochords mit geradlinig ausgespanntem Dralit, wie es in Fig. 32 S. 83 dargestellt ist, oder nocli besser des schon früher erwähnten kreisförmigen Rheochords von du Bois (Fig. 65) bedienen. Zu diesem Zwecke verbindet man die konstante Kette

0 0

1 JI M W

Fig. 6i

mit den Klemmen I und II, die Klemmen III und IV dagegen mit dem ableitenden Bogen, welcher den Multiplikator und den zu untersuchenden Körper enthält, dann geht der Strom der Mess- kette durch den ringförmigen Draht, ein Teil desselben zweigt sich durch die Leitung III und IV ab, begegnet hier dem von dem untersuchten Körper ausgesandten Strome, und indem man durch Drehung der Kompensatorscheibe den abgeleiteten Zweig ändert, bis die Multiplikatornadel auf Null bleibt, hat man in der dann einge- schalteten Länge des Kheochorddrahtes das Maass für die zu messende elektromotorische Kraft. Die ganze Anordnung wird noch klarer aus der schematischen Darstellung in Fig. 66 (a. f. S.). Der Strom der Kette tritt hier durch die Klemme II in den Kompensatordraht bei S ein, durchläuft den ringförmig gekrümmten Draht bis N und kehrt über Klemme I zur Kette zurück. Die Abzweigung des Stromes ge-

Rosen thai u. Bernhardt, Elektrizitäf.slehre. III. Aufl.

10

146

Kreisrheochord als Kompensator.

Kap. X.

schieht von den Punkten r und o. An letzterem geht der Kompen- satordraht über den festen Platinsteg, welcher mit der Klemme IV in Verbindung stellt, an ersterem geschieht die Ableitung durch die Rolle

r, welche gegen den Draht presst und mit der Klemme III verbunden ist. Der zwischen III und IV eingeschaltete Körper (ein Muskel zum Beispiel) entwickelt einen jenem Stromzweig entgegenge- setzt gerichteten und gleich star- ken Strom, so dass die Multi- plikatornadel nicht abgelenkt wird.*) Der Strom des Muskels ist daher der eingeschalteten Länge or des Korapensatordrahtes proportional.

Auf diesem Wege ist es also möglich, die Anordnung der Span- nungskurven auf der Oberfläche eines Körpers mit grosser Schärfe zu bestimmen, eine Schärfe, die nur von der Empfindlichkeit des Multiplikators und des Rheo- ^^^F^ I \ /fT\ J ^ chords abhängt. Je geringer

^^yT^ \Jl^ nämlich der Widerstand der Rheo-

chordsaite ist, um so grössere Verschiebungen sind natürlich nötig, um dieselbe Aenderung der Stromstärke im Multiplikator- kreise zu bewirken, desto genauer wird also auch die Messung.

Es ist klar, dass man auf diese Weise nicht die absolute Span- nung bestimmt, welche an jedem Punkte der Oberfläche herrscht, sondern nur die Differenzen der Spannungen an verschiedenen Punkten. Diese Differenzen der Spannungen entsprechen dem, was man bei einer galvanischen Kette die elektromotorische Kraft nennt. Das Maass, in welchem diese elektromotorische Kraft ausgedrückt wird, ist zunächst ein ganz willkürliches, z. B. es wird die Kraft als Ein- heit genommen, welcher gerade bei Entfernung des Schiebers S von

i

*) Zwischen den Klemmen III und IV einerseits, dem Multiplikator und Muskel andrerseits ist ein Stromwender einzuschalten. Vgl. die Anmerk. zu S. 143.

§ 67, 68. Messung elektromotorischer Kräfte. 147

der Klemme R um 1 Cm. das Gleichgewicht gehalten wird. Eine Reduktion dieser Einheit auf eine beliebige andere ist für den augen- blicklich vorliegenden Zweck, die Feststellung der elektromotorischen Oberfläche, unnötig.

Wenn man nun auf diese Weise die Anordnung der Spannungs- kurven auf der Oberfläche eines Leiters ermittelt hat, so kommt es darauf an, Rückschlüsse daraus zu machen auf die im Körper vor- handenen elektromotorischen Kräfte und ihre Verteilung. Es ist aber klar, dass einer und derselben Anordnung von Spannungskurven sehr viele mögliche Anordnungen elektromotorischer Kräfte entsprechen. Diese zu finden ist also stets Sache der Hj^pothese, indem man näm- lich unter den möglichen Anordnungen diejenige wählt, welche am Einfachsten und Vollständigsten allen Bedingungen entspricht, die durch den Versuch gefunden worden sind. Ein Beispiel dafür liefern die Muskeln und Nerven, wovon das Nähere hier jedoch nicht abge- handelt werden kann, da es Gegenstand der Physiologie ist.

§ 68. Bei dem beschriebenen Kompensationsverfahren wird die Spannungsdifferenz zwischen zwei Punkten des untersuchten Leiters gemessen durch den Bruchteil einer gegebnen elektromotorischen Kraft, z. B. der eines Daniell'schen Elements. Es bleibt aber unbekannt, wie gross dieser Bruch ist; um dies zu finden, müsste man die Kom- pensationskonstante des benutzten Instruments bestimmen, d. h. fest- stellen, der wievielte Teil des Daniell einem gewissen Abstand auf dem Kompensatordraht entspricht.

Man unterbreche in Fig. 64 den ableitenden Bogen bei R und S und messe die Stromstärke, welche in dem Kreise KR R,T durch die elektromotorische Kraft E der Kette K erzeugt wird. Der Widerstand dieses Kreises besteht aus 2 Teilen, dem der Leitung von R über K und T nach R, und dem des Kompensatordrahts RR,. Nennen wir ersteren w^, letzteren W2, so ist

' oder Wj -j- Wg

Wj -|- W2 ^ ' ^ ~ J

Man entferne nun den Kompensatordraht und verbinde R, unmittelbar mit R, dann erhält man

T E , E

J. = oder w. = -p-

, E E ^Ji

J

: j

10'

148 . Messung elektromotorischer Kräfte. Kap. X.

Ist der Draht RR, in 1000 gleiche Teile geteilt, und sei die Strecke

RS = n solcher Teile, dann ist ihr Widerstand gleich

n n J, J

w, = E '

1000 ' 1000 Ji . J * Wenn wir nun R und S wieder mit M und AB verbunden denken und wenn dann kein Strom im Multiplikator vorhanden ist, so muss die Spannungsdifferenz zwischen den Punkten a und b gleich sein der zwischen R und S. Letztere wird aber durch ihren Widerstand, also

durch den Bruch r . E , -^ =- ausgedrückt. Bezeichnen wir der

Kürze halber ^ ■.-^ . -4 ^r ^^^ 5 so ist also die Spannungsdifferenz 1000 Jf.J m r o

zwischen a und b = n : . E. E ist also die Kompensations-

m m ^

konstante unseres Apparats, d. h. sie gibt den Wert der Spannungs- differenz für je einen Teilstrich unseres Kompensators in Bruchteilen der elektromotorischen Kraft E an, so lange Wj ungeändert bleibt.

Der Wert = ^ ..^^ . -4 ^ kann durch passende Wahl von w, m 1000 Ji.J ^ ^

(wodurch bei konstantem E auch Ji geändert wird) auf eine runde

Zahl gebracht werden, was die Berechnung der Beobachtungsresultate

erleichtert. Wenn z. B. -4 7-= -rx, so wird = tkttt^- Dann ent-

Ji.J 10 m 10000

spricht also jeder Teilstrich des Kompensator der elektromoto-

rischen Kraft der benutzten Kette, z. B. eines Daniell.

Da ein Daniell nahezu gleich 1 Volt, so ist, wenn wir diese Kette zum Kompensiren wählen, die Angabe des Instruments zugleich in absolutem Maass gegeben.

Diese Methode ist nur zur Messung kleiner elektromotorischer Kräfte geeignet, wie sie etwa den Spannungsdifferenzen entsprechen, welche an tierischen Teilen aufzutreten pflegen. Bei dem Wert

z= -TT-r— r können wir z. B. elektromotorische Kräfte bis zu -p- m 10000 10

Daniell messen.

Haben wir es mit grösseren elektromotorischen Kräften zu tun, z. B. bei der Bestimmung der elektromotorischen Kraft einer Kette, welche der des Daniell (das wir als Normalelement betrachten) nahe- zu gleich ist, so muss W2 sehr viel grösser gewählt werden als in unserm obern Beispiel. Wir können dies erreichen, indem wir (Fig. 64)

§ 68. Messung elektromotorischer Kräfte. 149

die Doppelklemme bei R ablösen und zwischen ihr und dem Draht

RR, einen grösseren Widerstand einschalten.*) Wählen wir diesen so,

j j 9

dass J, = 10 und J= 1 wird, so würde -^ -- = -^ werden und wir

8 9

könnten jetzt mit unserem Rheochord Werte zwischen ^ und -7- ^ 10 10

Daniell messen mit einer Genauigkeit von -. Auf keinen Fall

aber können wir eine elektromotorische Kraft messen, welche gleich oder gar grösser wäre als die im Zweige RKTR, vorhandene. Han- delt es sich also um die Messung einer elektromotorischen Kraft, welche grösser ist als . 1 Daniell , so müssen wir bei K 2 oder mehr Daniell'sche Elemente einschalten.

Von andern Methoden zur Bestimmung elektromotorischer Kräfte erwähne ich hier nur kurz die mittels des Thomson'schen Elek- trometers (s. § 5), mittels dessen man die Spannungen an den Polen der offenen Kette direkt bestimmt, und die mittels des Lippmann- schen Quecksilberelektrometers. Hat man an einem oder dem andern dieser Apparate die Werte, welche einem Volt entsprechen, gefunden, so lassen sich die elektromotorischen Kräfte jedes beliebigen Elements sofort in absolutem Maass finden.

Ein Verfahren, die elektromotorische Kraft annähernd zu be- stimmen, haben wir bei Gelegenheit des absoluten Galvanometers von Edelmann (s. § 61) angegeben. Dasselbe wird für praktische Zwecke meistens genügen.

Um ein bestimmtes Element vollkommen zu kennen, müsste man neben der elektromotorischen Kraft auch noch den Widerstand des- selben bestimmen. Die Methode von Wheatstone 44) mittels des Rheochords ist dazu unbrauchbar, weil sie voraussetzt, dass in dem zu messenden Widerstand keine elektromotorische Kraft vor- handen sei. Man kann jedoch auf folgende Weise verfahren, wodurch man annähernd genaue Resultate erhält. Man verbindet das Element mit einer Tangentenbussole und misst die Stromstärke. Diese ist

J ^ . Man schaltet nun mittels eines Rheostaten Widerstände ein

AV

E

und erhält eine geringere Stromstärke J, = ; . Daraus folgt:

° ° W -j-Wj

*) Bei Anwendung des runden Kompensators müsste man den Widerstand zwischen der Kette und Klemme 1 einschalten,

150 Messung luir/dauernder Ströme. Kap. X.

J W -|-w, Ji w

Gibt man w, einen solchen Wert, dass 3^ = V2 J ist, so miiss w = Wj sein. Man kann dies als den Widerstand des Elements gelten lassen, indem man den Widerstand der Tangentenbussole und der kurzen Verbindungsdrähte als ausserordentlich klein im Vergleich zum Widerstand des Elements ansehen kann.

Hat man auf diese Weise den Widerstand des Elements be- stimmt, so kann man auch den so gefundenen Wert benutzen, um die Bestimmung der elektromotorischen Kraft nach der letzterwähnten Methode zu corrigiren. Wir haben z. B. gefunden, dass der Wider- stand eines bestimmten Elements = 40 Ohm sei (es ist dabei ein kleines Leclanche-Element von der Form, wie sie Beetz angegeben hat, vorausgesetzt). Der Widerstand des Edelmann 'sehen Galvano- meters ist auf der Teilscheibe des Instruments angegeben. Verbinden wir 10 solche Elemente mit dem Galvanometer, so ist der Gesammt- widerstand gleichfalls bekannt, sagen wir = 500 Ohm; wir beobachten dabei einen Strom von der Intensität 0,03 Ampere; also ist E =15 und die elektromotorische Kraft eines dieser Elemente wäre gleich 1,5 Volt.

§ 69. Die zweite Anwendung der empfindlichen stromprüfenden Apparate, welche wir hier besprechen wollen, ist die zur Messung kurzdauernder Ströme. Wenn man einen konstanten Strom durch die in § 62 beschriebene Spiegelbussole leitet, so nimmt der Magnet eine dauernde Ablenkung an, welche von der Stärke des Stroms und der Empfindlichkeit der Bussole abhängt. Wenn aber der Strom nur sehr kurze Zeit andauert, so wird der Magnet in Folge der durch die Aperiodizität bedingten langen Schwingungsdauer seine Schwingung erst vollenden, nachdem der Strom schon längst aufgehört hat. In diesem Falle ist die Tangente des Winkels, um welchen der Magnet abgelenkt wird, proportional der Stärke des Stromes und der Zeit, welche der Strom gedauert hat. Denn da während der sehr kurzen Dauer des Stromes der Magnet sich nicht merklich aus seiner Gleich- gewichtslage entfernen konnte, so wirkt der Strom in jedem einzelnen Zeitteilchen gleichmässig auf denselben. Da nun die Tangente des Ablenkungswinkels jedenfalls proportional sein muss der Menge der Elektrizität, welche auf den Magneten gewirkt hat, diese Elektrizitäts- menge aber bei einem konstanten Strome proportional sein muss der Zeit, welche er gedauert hat, so folgt daraus die behauptete Propor-

§ 69. Elektrische Zeitmessung. 151

tionalität zwischen der Zeitdauer des Stromes und der Tangente des Ablenkungswinkels.

Diese Proportionalität hört auf, ganz strenge zu gelten, wenn schon während der Dauer des Stromes der Magnet seine Lage merk- lich gegen die Windungen des Multiplikators ändert, also ebensowohl bei schnellerer Schwingung des Magneten, als bei längerer Dauer des Stromes. Da es sich aber bei den hier beschriebenen Instrumenten immer nur um sehr kleine Ablenkungen handelt, so kann man sich bei Strömen von sehr kurzer Dauer auch solcher Instrumente bedienen, bei denen die Magnete nicht sehr grosse Trägheitsmomente besitzen, ohne dass die Proportionalität gefährdet ist. AVie wir oben gesehen haben, kann man aber für die Tangenten der Ablenkungswinkel ge- radezu setzen die mit dem Fernrohr abgelesenen Skalenteile.

Es liegt nahe, diese Proportionalität der Ablenkung mit der Zeit- dauer des Stromes zur Messung kleiner Zeiten zu benutzen. In diesem Falle hat man dafür zu sorgen, dass genau gleichzeitig mit dem Be- ginne des zu messenden Vorganges der den Magneten ablenkende Strom geschlossen, und gleichzeitig mit dem Aufhören jenes Vorganges Avieder unterbrochen werde. Kennt man dann die Intensität des an- gewandten Stromes, so kann man aus der Ablenkung des Magneten die Zeitdauer des Stromes und also auch die Zeitdauer des mit jenem gleichzeitig begonnenen und unterbrochenen Vorganges berechnen.

Die Intensität des zur Zeitmessung angewandten Stromes findet man, wenn man denselben dauernd durch die Bussole leitet und die Ablenkung des Magneten misst. Da aber die Intensität des Stromes, wenn er bei sehr kurzer Dauer noch messbare Ablenkungen hervor- bringen soll, zu bedeutend wäre, um bei stetigem Diirchfliessen durch dieselbe Bussole gemessen zu werden, so wendet man dasselbe Ver- fahren an, welches in § 61 für die graduirten Galvanometer angegeben wurde. Man bringt eine Nebenschliessung zu der Bussole an, deren Widerstand ein bestimmter, durch besondere Versuche festgestellter Bruchteil des Widerstandes des Instruments ist. Durch die Bussole geht also jetzt nur ein kleiner Teil des ganzen Stromes.*) Die dadurch bewirkte Ablenkung des Magneten multiplizirt mit dem Verhältniss der Schwächung des Stromes durch die Nebenschliessung ist die In-

*) Bei der in § 62 beschriebenen Bussole kann man auch durch Entfernung der Rolle die Ablenkung durch den stetigen Strom abschwächen, oder den Strom durch die beiden Rollen in entgegengesetzter Richtung leiten und die Entfernung derselben vom Magneten verschieden machen, wodurch man jeden gewünschten Grad von Empfindlichkeit herzustellen im Stande ist.

152 Elektrische Zeitmessung. Kap. X.

tensität des Stromes, ausgedrückt durch die Ablenkung, welche der Magnet hcätte erfahren müssen, wenn der ganze Strom dauernd durch die Bussole gegangen wäre.

Ein Beispiel wird das hier Gesagte klar machen. Gesetzt wir hätten irgend einen kurzdauernden Vorgang zu messen, z. B. die Falizeit eines Körpers durch einen bestimmten Raum. Es sei eine Einrichtung gegeben, wodurch ein galvani- scher Strom geschlossen wird genau in dem Momente, wo der Körper zu fallen beginnt, und geöffnet wird genau in dem Momente, wo der Körper zu fallen auf- hört. Dieser Strom, dessen Zeitdauer also genau gleich ist der Fallzeit des Körpers, lenke den Magneten um einen bestimmten Winkel ab, aus dessen Grösse die Zeit berechnet werden soll. Leiten wir denselben Strom dauernd durch die Bussole, so ist die Ablenkung viel zu gross, um als ein Maass für die Intensität des Stromes gelten zu können, da ja die Messungen nur bei sehr kleinen Ablenkungen richtig sind. Wir bringen daher eine Nebenschliessung an, so dass der Strom sich in zwei Zweige spaltet, von welchen der eine durch die Bussole, der andere durch die Nebenschliessung geht. Das Verhältniss des Widerstandes der Nebenschliessung zu dem Widerstände der Bussole sei gleich 1 :99, dann geht nur der hunderste Teil des ganzen Stromes durch den Multiplikator. Dieser hundertste Teil lenke den Magneten um einen Winkel ab, welchem bei der Ablesung mit Spiegel und Fern- rohr 25 Skalentcile entsprechen mögen. Dann ist offenbar 25 : 100 = 2500 das Maass für die Intensität des Stromes, ausgedrückt in der nämlichen Einheit, in welcher auch bei der kurzen Dauer des Stromes die Messung geschieht.

Um nun aus diesen Grössen die Fallzeit zu berechnen, betrachten wir den kurzdauernden Strom als einen momentan wirkenden Stoss, welcher dem Magneten eine gewisse Geschwindigkeit erteilt. Nach den Pendelgesetzen, welche auch für frei schwingende Magnete gelten, wird diese Geschwindigkeit ausgedrückt durch die Gleichung

c=-|h

wo T die Schwingungsdauer des Magneten, und h den beobachteten Ausschlag be- zeichnet. Diese Geschwindigkeit muss aber auch sein

tJM

"^

wo t die Zeitdauer des Stromes, J seine Intensität, gemessen in der oben ange- gebenen Weise, M das magnetische und K das Trägheitsmoment des Magneten be- zeichnet. Es ist also

Nun ist aber

mithin

* = t:j-^- M"

K _ T^

M "" 2 TT^

T

Diese Gleichung gilt jedoch nur für den Fall, dass der Magnet vor der Einwirkung des Stromes ganz ruhig war, und dass die Dämpfung keine bedeutende ist. War jedoch der Magnet schon vorher in Schwingungen begriffen und macht sich die

§ 69, 70. Muskelunterbrecher. 153

Dämpfung in beträchtliclier "Weise geltend, so müssen diese Umstände noch in Rechnung gezogen werden, worauf wir jedoch hier nicht näher eingehen können. (Ueber Zeitbestimmung mit aperiodischen Magneten vgl. E duBois-Reymond, Monatsber. d. pr. Akad. 1869. S. 827. Gesammelte Abhandl. I. S. 301 und Ghri- stiani, Poggend. Annalen. Ergänzungsber. VIII. S. 556).

§ 70. Eine der schönsten Anwendungen der eben entwickelten Methode zur Messung kleiner Zeitteilchen hat Helmholtz gemacht, um den zeitlichen Verlauf der Muskelzusammenziehung und die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in den Nerven zu messen. Der zu diesem Zwecke angewandte Apparat ist in der abgeänderten Form, welche ihm duBois-Reymond gegeben hat, in Fig. 67 (a. f. S.) dargestellt. Auf einer festen Tischplatte erhebt sich eine Säule, an welcher eine starke Klemme zum Einspannen des einen Muskelendes verschiebbar ist. Das untere Ende des Muskels ist durch ein isoliren- des Zwischenstück ih mit einem Hebel verbunden, welcher um die horizontale Axe aa' drehbar ist. Nach unten verlängert sich der Hebel in eine kurze Stange, welche durch ein Loch in der Tischplatte geht und unten eine Waagschale zur Belastung des Muskels trägt. Der Hebel trägt an seinem vorderen Ende zwei Schrauben, p und q, von denen die erstere unten in eine Platinspitze endigt und mit dieser auf einer Platinplatte aufruht, während letztere in ejne amalgamirte Kupferspitze ausläuft und mit dieser in ein Quecksilbernäpfchen ein- taucht. Platinplatte und Quecksilbernäpfchen sind von der Tisch- platte und von einander isolirt, und letzteres mit der Klemme k, ersteres mit der Klemme k' in leitende Verbindung gebracht.

Schaltet man zwischen k und k' eine Kette und die Bussole ein, so geht der Strom so lange durch das Quecksilbernäpfchen, das zwischen q und p enthaltene Hebelstück, die Platinplatte u. s. f., als der Muskel sich nicht zusammenzieht. Sobald aber der Muskel sich verkürzt, unterbricht er den Strom zwischen p und der Platinplatte. Trifft man nun eine solche Anordnung, dass der Strom in dem Augen- blicke geschlossen wird, wo irgend ein Reiz den Muskel trifft, so wird dieser Strom so lange zirkuliren, bis der Muskel durch seine Ver- kürzung den Strom wieder unterbricht. Diese Zeit kann man nach der im vorigen Paragraph angegebenen Methode messen; sie entspricht genau der, welche verfliesst von dem Augenblicke, wo der Reiz den Muskel trifft, bis zu demjenigen, wo die Verkürzung beginnt. Diese Zeit ist abhängig von dem auf die Wagschale gesetzten Gewichte und der Art der Muskelreizung. Sie ist nämlich kürzer, wenn der Reiz dea Muskel selbst trifft (was man dadurch bewirken kann, dass man

154

MuskolunierlM'oclior.

Kap. x:

1 1

Fig. 67.

i

§70.

Mu sl( elu n terbr e ch er.

155

das eine Ende der reizenden Induktionsspirale in die Klemme a ein- schraubt, das andere Ende durch einen sehr dünnen und biegsamen Draht mit dem untern Ende des Muskels verbindet), länger, wenn der Reiz den (in der Figur fortgelassenen) Nerven trifft. Und in diesem letzteren Falle ist die Zeit um so länger, je weiter vom Muskel entfernt die gereizte Stelle des Nerven liegt. Indem man daher in zwei aufeinander folgenden Versuchen den Nerven das eine Mal sehr nahe, das andere Mal in grösserer Entfernung vom Muskel reizt, findet man aus der Differenz der in beiden Fällen gemessenen Zeiten die Zeit, welche nötig ist, damit die Erregung im Nerven sich von der oberen zur unteren Stelle fortpflanzen könne.

Noch ein Umstand ist jedoch zu berücksichtigen, um wirkliche Messungen möglich zu machen. Wenn der Muskel gereizt wird, so verkürzt er sich; aber diese Verkürzung dauert nur wenige Bruchteile eiiier Sekunde, dann hat der Muskel wieder seine frühere Länge an- genommen. Bei dem oben geschilderten Versuch zur Zeitmessung würde also der durch die Muskelverkürzung unterbrochene Strom wieder geschlossen werden, noch ehe der Magnet seine erste Schwin- gung vollendet hätte. Und die Ablesung dieses Ausschlages, würde natürlich durch die nun erfolgende dauernde Ablenkung gänzlich ver- hindert werden. Um dies zu vermeiden, hat Helmholtz einen Kunst- griff angewandt, dessen Sinn aus Fig. 68 ersichtlich wird. Diese Figur stellt, wie man sieht, das Ende des Hebels aus dem vorher beschriebenen Apparat mit den beiden Schrauben p und q, der Platinplatte und dem Quecksilber- näpfchen vor. k, k sind die Drähte zur Verbindung der letzteren mit den Klemmen. Das Quecksilber im Näpfchen Hg kann mittelst der Schraube s gehoben und gesenkt werden. Hebt man nun das Niveau des Quecksilbers, so dass die Spitze q eintaucht, und senkt es dann wieder, so bleibt dasselbe vermöge der Adhäsion an der amalgamirten Spitze hängen und zieht sich daher zu einem konisclien Faden aus, durch welchen die Leitung des Stromes vermittelt wird. Verkürzt sich nun aber der Muskel, so wird dieser Faden zerrissen, das Quecksilber nimmt seine konvexe Ober- fläche an, und wenn bei der Verlängerung des Muskels der Hebel wieder sinkt, so berührt zwar die Spitze p wieder die Platinplattej

Fig. 68.

156 Elelftrodynamometer. Kap. X.

die Spitze q bleibt aber durch eine Luftschicht von dem Quecksilber getrennt, der Strom bleibt also dauernd unterbrochen.

Der in Fig. 67 abgebildete Apparat kann auch noch zu anderen Untersuchungen im Gebiete der Muskelphysiologie dienen, so ins Be- sondere zur Entsclieidung, ob unter gewissen Umständen ein Muskel i überhaupt noch sich zu verkürzen vermag. Zum Beispiel wenn man die Klemme, welche den Muskel trägt, gerade so weit senkt, bis die Spitze p eben die Platinplatte berührt, und dann auf die Wagschale Gewichte aufsetzt, so findet man eine Grenze der Gewichte, welche der Muskel noch zu heben vermag. Diese ist also ein Maass für die Kraft, welche der Muskel bei der Zusammenziehung entwickelt. Um nun in diesem Falle mit Schärfe auch die kleinste Verkürzung des Muskels noch zu erkennen, leitet man durch die Spitzen p und q einen Strom, welcher natürlich selbst bei der geringsten Hebung der Spitze p sofort unterbrochen wird. Man erkennt dies leiclit, wenn man in den Stromkreis noch einen kleinen Elektromagneten einschaltet, dessen Anker bei der Oeffnung des Stromes durch eine Spiralfeder losgerissen wird und durch Anschlagen an eine Glocke ein Signal gibt.

§ 71. Es gibt noch eine andere Art der Zeitbestimmung kurz- dauernder Ströme, welche für viele Fälle vorteilhaft ist, nämlich die mit Hilfe des Web er 'sehen Dynamometers. Dieses Instrument besteht aus zwei Drahtrollen, deren Windungen senkrecht auf einander stehen, und von denen die eine, im Inneren der anderen aufgehängte, mit einem Spiegel zur Messung der Ablenkungen mit Skale und Fern- rohr versehen ist. Leitet man einen und denselben Strom durch beide Rollen, so sind die Tangenten der Ablenkungen den Quadraten der Stromstärken proportional. Leitet man nun einen kurzdauernden Strom durch dieses Instrument und ausserdem durch eine Bussole mit Spiegelablesung und liest die Ausschläge an den beiden Instrumenten ab, so kann man hieraus sowohl die Intensität, als auch die Dauer des Stromes berechnen. Denn ist die Ablenkung (in Skalenteilen ausgedrückt, welche ja direkt für die Tangenten gesetzt werden können) beim Dyna- mometer «, bei der Bussole ß, J die Intensität und t die Dauer, so ist

« = J2 . t . c

/5=J.t.Ci

also J = - . i-

ß c

und t = . - cc Ci ^

i

§ 71. Messung veränderlicher Ströme. 157

worin c und Ci die Konstanten der beiden Instrumente sind, welche bekannt sein müssen, um sowohl J als auch t in absoluten Maassen zu bestimmen.

Bei den vorhergehenden Betrachtungen ist stets vorausgesetzt worden, dass die Ströme, wenn auch sehr kurze Zeit dauernd, doch während dieser Zeit vollkommen konstant sind, insbesondere, dass bei der Schliessung die Intensität sogleich plötzlich von Null bis zu einer gewissen Grösse ansteige und bei der Oeffnung ebenso plötzlich von jener Grösse auf Null zurücksinke. Es kommt aber häufig vor, dass man die Intensität von Strömen zu bestimmen hat, bei welchen diese Bedingung nicht erfüllt ist, bei welchen die Intensität in irgend einer unbekannten Weise ansteigt, und dann wieder absinkt, wie dies z. B. bei den durch Induktion erzeugten Strömen der Fall ist. (Vgl. die Erörterung darüber in § 55.) Bei solchen Strömen kann natür- lich nur im uneigentlichen Sinne von Intensität die Rede sein, da diese ja in jedem Augenblick eine andere ist. Leitet man einen solchen Strom durch die Bussole Fig. 60 oder eines der anderen oben beschriebenen Instrumente, so erfolgt ein Ausschlag, welcher pro- portional ist der ganzen Elektrizitätsmenge, welche durch das In- strument ging.

Ist die Dauer solcher Ströme so gering, dass man sie für momentan ansehen kann, wie dies z. B. bei den durch Oeffnung eines primären Stromes erzeugten Induktionsströmen der Fall ist oder bei den Entladungen einer Leydener Flasche, so kann man jene Elek- trizitätsmenge geradezu statt der Intensität zur Messung des Stromes benutzen. Ist aber die Dauer der Ströme nicht unendlich klein, so lässt sich aus der Elektrizitäts menge weder die Dauer noch die Intensität bestimmen, da eine und dieselbe Elektrizitätsmenge in sehr ver- schiedener Weise sich abgleichen kann. Es können daher zwei Ströme von ganz verschiedener Dauer gleiche Elektrizitätsmengen haben, also an der Bussole gleiche Ablenkungen hervorrufen, während z. B. ihre physiologischen Wirkungen sehr verschieden sind, wie wir dies schon von den beiden bei der Schliessung und Oeffnung entstehenden In- duktionsströmen des Induktoriums gesehen haben. Die experimentelle Bestimmung des eigentlichen Verlaufes solcher Ströme ist dann äusserst schwierig. Man muss zu diesem Zwecke den veränderlichen Strom in viele möglichst kleine Zeitteilchen zerlegen, die man einzeln durch die Bussole leitet. Indem man annimmt, dass in diesen kleinen Zeit- teilchen die Intensität sich nicht merklich ändert, also als konstant angesehen werden kann, eriuilt man eine Kenntniss von dem zeitlichen

158 Messung veränderlicher Ströme. Kap. X.

Verlaufe des ganzen Stromes, welche um so genauer ist, je kleiner die einzelnen Zeitteilchen waren, in welche man den Strom zerlegt hat.

Die zu diesem Zweck angewandten Apparate nennt man Rheo- torae. Man denke sich z. B. ein mit gleichförmiger Geschwindig- keit rotirender Stab tauche mit einer an seinem Ende angebrachten Spitze während eines geringen Teils seiner Umdrehung in Quecksilber und schliesse dadurch die Verbindung zwischen der veränderlichen Stromquelle und dem Galvanometer. Man misst also die Elektrizitäts- menge, welche während dieser kurzen Dauer durch das Galvanometer geht. Bei einer bestimmten Stellung des Stabes erfolge der Prozess, welcher zur Entstehung der Stromschwankung Veranlassung gibt. Indem man nun das Qaecksilbernäpfchen in verschiedene Entfernungen von jener Anfangsstellung bringt, erfährt man nach und nach, welche Elektrizitätsmengen in jedem der kleinen, unter sich gleichen Zeit- teilchen entstehen und zerlegt so den ganzen Vorgang in eine Anzahl kleiner, einzeln gefundener Stücke, aus denen man ihn rekonstruiren kann.

Ist die Dauer der Ströme sehr gering, so kann man sie auch einfach für konstant ansehen, und durch gleichzeitige Beobachtung des Dynamometers und der Bussole ihre Dauer und Intensität bestimmen. Man erhält dann freilich für die Dauer nicht den wahren Wert, son- dern einen etwas zu geringen, doch ist dieser Fehler meist zu vernach- lässigen.

Kapitel XI.

Von den Thermoströmen und der elektrischen Temperaturbestimmun§:.

§ 72. Unter den vielen Quellen der Elektrizitäts-Entwickelung verdient nocli eine unsere Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, wegen der wichtigen Anwendung, welche sie für physiologische und klinische Zwecke gestattet. Es ist dies die Elektrizitätsentwickelung, welche in einem aus zwei Metallen gebildeten Kreis stattfindet, wenn die beiden Grenzen, in welchen die Metalle zusamraenstossen, ungleiche Temperatur haben.

Lötet man an einen Wismuthstab einen zweimal rechtwinklig gebogenen Bügel von Kupferblech, stellt in das so geformte Viereck eine auf einer Spitze drehbare Magnetnadel und bringt das Viereck in den magnetischen Meridian, so dass die Nadel sich gerade in dem Bügel befindet, erhitzt sodann eine der beiden Lötstellen, in welchen Kupfer und Wismuth zusammenstossen, so bemerkt man eine Ablenkung der Magnetnadel, welche so lange anhält, als die beiden Lötstellen ungleiche Temperatur haben. Diese Abweichung der Magnetnadel zeigt, dass in dem aus Wismuth und Kupfer gebildeten Kreise ein Strom zirkulirt, und aus der Richtung der Ablenkung erkennen wir, dass dieser Strom in der erwärmten Lötstelle vom Wismuth zum Kupfer fliesst.

Erkälten wir, nachdem die Nadel zur Ruhe gekommen, eine der beiden Lötstellen, so wird die Nadel abermals abgelenkt und zeigt jetzt einen Strom an, welcher in der erkälteten Lötstelle vom Kupfer zum Wismuth gerichtet ist.

Ebenso wie mit Wismuth und Kupfer gelingt dieser Versuch auch mit anderen Metallen, ja bei Anwendung des Antimons statt des Kupfers sind die Wirkungen sogar noch stärker.

160 Thermoelektrizität. Kap. XI.

Lötet man an einen Wismuthstab beiderseits starke Kupferdrähte und verbindet diese mit der Tangentenbussole Fig. 19, so erhält man eine Ablenkung im einen oder anderen Sinne, wenn man die eine der beiden Lötstellen erwärmt oder erkältet. Wenn man nun die eine der Lötstellen auf konstanter Temperatur erhält, indem man sie z. B. mit schmelzendem Eis umgibt, und der anderen nach und nach ver- schiedene Temperaturen erteilt, so kann man die Stärke der Ströme messen, welche diesen Temperaturen entsprechen. Auf diese Weise findet man, dass die elektromotorische Kraft, welche durch die ungleiche Temperatur der beiden Lötstellen entsteht, proportional ist der Temperaturdifferenz der beiden Löt- stellen.

Stellt man diesen Versuch mit anderen Metallen an, indem man z. B. den Wismuthstab durch einen Eisenstab ersetzt, so findet sich auch hier, dass die elektromotorische Kraft den Temperaturdifferenzen der Lötstellen proportional ist, aber die absoluten Werte der elek- tromotorischen Kräfte für eine und dieselbe Temperaturdifferenz sind nicht dieselben bei Anwendung des Eisenstabes wie bei Anwendung des Wismuthstabes. Ebenso würde man wieder andere Werte er- halten, wenn man einen Stab von Neusilber oder sonst einem anderen Metalle nähme.

In allen diesen Fällen ist das eine der beiden angewandten Metalle stets Kupfer. Man kann aber auch die elektromotorischen Kräfte anderer Metallkombinationen mit Hilfe der Tangentenbussole prüfen. Lötet man z. B, an einen Wismuthstab jederseits einen Antimonstab und verbindet die beiden Antimonstäbe mit der Tangenten- bussole mit Hilfe kupferner Drähte, so hat man einen Kreis aus drei Metallen: Wismuth, Antimon und Kupfer. Behalten die beiden Löt- stellen, in welchen Kupfer und Antimon zusammenstossen, in dem Versuche stets gleiche Temperatur, so kann durch sie kein Strom er- zeugt werden. Erwärmt oder erkältet man also eine der Lötstellen zwischen Wismuth und Antimon, so erhält man einen Strom ebenso als wenn der Kreis nur aus diesen beiden Metallen bestände.

§ 73. Auf diese Weise kann man die elektromotorischen Kräfte zwischen beliebigen Metallkombinationen für eine bestimmte Temperatur- differenz bestimmen. Die folgende Tabelle gibt einige solche nach den Versuchen von Wiedemann.

Es ist für 1 0 0. Temperaturdifferenz die elektromotorische Kraft zwischen :

§ 73. Thermoeleldrische Spannungsreihe. 161

Eisen und Silber .... 3,64 Eisen und Kupfer .... 2,81 Eisen und Neusilber . . . 7,67 Becquerel bestimmte die elektromotorische Kraft für 20 " Tem- peraturdifferenz, die zwischen Zink und Kupfer gleich 1 gesetzt, zu:

Eisen Zinn . . . 31,24

Kupfer Platin . . 8,55

Eisen Kupfer . . 27,96

Silber Kupfer . . 2

Eisen Silber- . . 26,20

Eisen Platin . . 36,07

Kupfer Zinn . . 3,50

Zink Kupfer . . 1

Silber Gold . . 0,50 Aus der Becquerel' sehen Tabelle lässt sich ein sehr wichtiges Gesetz ableiten. Nehmen wir nämlich die elektromotorische Kraft zwischen Kupfer und Zinn = 3,50 -\- der elektromotorischen Kraft zwischen Eisen und Kupfer = 27,96, so erhalten wir den Wert 32,46. Dieser ist aber sehr wenig verschieden von dem Wert für die Kom- bination Eisen Zinn (31,24). Ebenso ist Eisen Kupfer (27,96) ■j- Kupfer Platin (8,55) == 36,51 nur wenig verschieden von dem für Eisen Platin gefundenen Werte (36,07). Es ist also die elek- tromotorische Kraft zwischen Eisen und Kupfer -(- der elektromoto- rischen Kraft zwischen Kupfer und Platin gleich der elektromotorischen Kraft zwischen Eisen und Platin. Und dies gilt auch für die anderen Metalle. Bildet man daher einen Kreis aus drei Metallen, z. B. Eisen, Platin und Kupfer, und erwärmt die beiden Lötstellen, mit welchen das Platin einerseits an Eisen, andererseits an Kupfer stösst, gleich- massig, so erhält man denselben Strom, als wäre das Kupfer direkt an das Eisen gelötet und dort auf die nämliche Temperatur erwärmt worden.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass man die Körper muss in eine Reihe ordnen können, der Art, dass bei der Kombination je zweier Körper der Reihe die elektromotorische Kraft für eine bestimmte Spannungsdifferenz stets die Summe der elektromotorischen Kräfte der zwischenliegenden ist. Diese Reihe heisst die thermoelektrische Span- nungsreihe. Es ist folgende:

Rosen thal u. Bernhardt, ElektrizitUtslehre. lU. Aufl. M

Wismut

Neusilber

Kobalt

Quecksilber

Gold

Messing

Zinn

Aluminium

Zink

Silber

Antimon

+

162 Thermoolektrische Spannungsreihe. Kap. XI.

Nickel Platin Kupfer Blei Eisen

Die Zeichen und -|- am Anfang und Ende der Reihe zeigen an, dass der Strom in der erwärmten Lötstelle von dem in der Reihe später stehenden zu dem früher stehenden gerichtet ist.

Die eben mitgeteilte Spannungsreihe ist allerdings in ihrem Werte dadurch etwas beschränkt, dass schon geringfügige Umstände, wie ganz geringe Beimengungen zu einem Metall oder Unterschiede in der Härte u. dergl., die Stellung des Metalles in der Reihe ändern können. Auch die oben angeführte Proportionalität zwischen den Temperatur- difterenzen und den elektromotorischen Kräften erleidet bei höheren Temperaturen Ausnahmen. So ist z. B. nach den Versuchen von Wiedemann die elektromotorische Kraft für 1 " TemperaturdilFerenz : für Kupfer Eisen

zwischen 0 und 35*^

350

3,90

48«

3 80

-61»

3,73

760

3,61

82"

3,56

für Kupfer Neusilber

zwischen 0 und 32« 3,54 » » 73« 3,82

Wir sehen also, dass für Kupfer Eisen die elektromotorische Kraft mit Temperaturerhöhung, abnimmt, und dies ist bei den meisten Kombinationen die Regel. Für Kupfer Neusilber ist es dagegen gerade umgekehrt. Bei noch höheren Temperaturen tritt die Ab- weichung vom Proportionalitätsgesetz noch deutlicher hervor, ja es kann hier sogar eine Umkehrung der Stromesrichtung im Vergleich zu der bei niederen Temperaturen eintreten. Bei Kupfer Eisen z. B. ist bei niederen Temperaturen der Strom in der erwärmten Lötstelle vom Kupfer zum Eisen gerichtet. Erhält man die eine Lötstelle auf und erwärmt die andere, so nimmt der Strom bis 140 «an Stärke zu, dann wird er wieder schwächer und ist bei 300 Grad Null, um bei noch höherer Temperatur mit umgekehrter Richtung wieder zu erscheinen.

§ 74. . Die elektromotorischen Kräfte, welche durch ungleiche

§ 74. Thermosäulen. 163

Temperatur in zusammengelöteten Metallen entstehen, sind überaus klein und nur dem sehr geringen Widerstände, ^v eichen die nur aus Metallen ohne Dazwischenkunft feuchter Leiter gebildeten Kreise bieten, ist die verhältnissmässige Stärke der Ströme zu verdanken. So ist z. B. die elektromotorische Kraft eines Elementes Kupter Neusilber

bei 100 Grad Temperatur-Differenz nur ' der elektromotorischen

Kraft eines Daniell'schen Elementes. Man kann aber die elektro- motorischen Kräfte bedeutend steigern, wenn man viele Elemente zu einer zusammengesetzten Kette vereinigt. Solche „Thermosäulen** erhält man dadurch, dass man eine Anzahl gerader Stäbe, z. B. von Antimon und Wismuth, abwechselnd parallel neben einander legt, ohne dass sie sich berühren und nun die Enden derselben wechsel- weise mit einander verlötet. Der erste Antimon- v und der letzte Wis- muthstab bleiben an einem Ende frei und werden mit dem Multipli- kator verbunden. Indem man nun sämmtlichen auf derselben Seite liegenden Lötstellen die gleiche Temperatur gibt, erhält man in allen Elementen Ströme in derselben Richtung, welche sich also suramiren. Diese Art von Thermosäulen benutzte Melloni zu seinen berühmten Untersuchungen über strahlende Wärme.

Noch stärker wirksam als Antimon und Wismut sind manche Metalllegirungen, welche man daher zur Konstruktion von Thermo- säulen verwendet, wenn man besonders kräftige Ströme erzeugen will. Am meisten Verbreitung hat unter diesen die Thermosäule von Noe gefunden. Die Zusammensetzung der benutzten Legirungen wurde vom Erfinder geheim gehalten. Die eine derselben ist in Form von kurzen runden Stangen gegossen, die andre zu Drähten ausgezogen. Die Stangen der ersteren sind in einer horizontalen Eb«ne radial ange- ordnet, so dass ihre innern Enden in einem kleinen Kreise nahe bei einander, die äussern Enden in einem grössern Kreise liegen. Das innere Ende jedes dieser Stäbe ist mit dem äussern Ende des nächsten durch Drähte aus dem andern Metall verlötet; das äussere Ende des ersten Stabes und der letzte Draht sind mit Klemmen zur Ab- leitung des Stroms verbunden. Von den innern Enden der Stäbe gehen kurze angelötete Kupferdrähte radiär nach innen bis fast zum Mittelpunkt des Kreises, wo sie durch zwei runde Glimmerblättchen in ihrer Lage gehalten werden; die Teile der Kupferdrähte, welche ausserhalb der Glimmerblättchen liegen, sind von dünnen Kupterblech- hülsen locker umgeben. (Nach Chris tiani ersetzt man diese besser durch dünne Platinblechhülsen, welche nicht durchbrennen.) Eine

11"

164

Sternsäule.

Kap. XI.

central unter die Glimmerblättchen gesetzte Spiritus- oder Gasflamme erwärmt auf diese Weise die sämtlichen inncrn Enden der Elemente sehr gleichmässig. Um die äussern Enden derselben auf einer mög- lichst niedern Temperatur zu erhalten, ist an jedes dieser Enden ein zu einer zylindrischen Röhre zusammengerolltes dünnes Kupferblech, vertiiial nach abwärts gerichtet, angelötet. Zwischen diesen Röhren sowie im Innern derselben zirkulirt fortwährend Luft, welche sie und damit die Enden der Elemente abkühlt.

Bei sorgfältiger Behandlung ist der Strom einer solchen Stern- säule, wie man sie wegen der Anordnung ihrer Elemente genannt hat, sehr konstant. Sie eignen sich daher sehr gut da, wo man nicht sehr grosser elektromotorischer Kräfte bedarf, als Ersatz für galva- nische Elemente, vor denen sie durch die Bequemlichkeit ihrer Hand- habung sich auszeichnen. Da der innere Widerstand dieser Elemente sehr klein ist, so wird man sie überall da anwenden, wo dies von Vorteil ist. Ein solches Element genügt, um ein Schlitteninduktorium in Gang zu setzen; bedarf man stärkerer Ströme, so kann man zwei hinter einander einschalten. In Fig. 69 ist ei'n Induktorium mit Stern- säule in einem Kasten eingeschlossen dargestellt.

Fig. 69.

§ 75. Da der Widerstand der Thermo-Elemente, selbst wenn man mehrere derselben zu einer Säule vereinigt, doch immer nur ein sehr geringer ist, so darf man in den Schliessungsbogen keine grossen

§ 75. Thermomultiplikator. 165

Widerstände einschalteü , wenn man starke Wirkungen erhalten will. Da aber die Ablenkungen der Tangeutenbussole, Fig. 19, deren Wider- stand allerdings, da sie nur aus einem zum Kreise gebogenen Kupfer- streifen besteht, sehr gering ist, bei geringen Temperaturunterschieden zu klein ausfallen würden, so sieht man sich andererseits doch ge- nötigt, empfindlichere Messwerkzeuge anzuwenden. Man bedient sich zu dem Ende eigener Multiplikatoren mit astatischem Nadelpaar und sehr wenigen (50— 100) Windungen eines dicken Kupferdrahtes, dessen Widerstand eben nicht sehr gross ist, so dass der Strom der Thermo- säule nicht zu sehr geschwächt wird.

Sehr zweckmässig zu solchen Messungen ist aber auch die in Fig. 60 abgebildete Tangentenbussole mit Spiegelablesung, welche man zu diesem Zwecke mit besonderen Rollen von wenig Windungen eines dicken Drahtes versieht. Man kann auf diese Weise selbst mit einem einzigen Thermoelemente und sehr geringen Teraperaturdifferenzen noch deutlich messbare Wirkungen erhalten.

Auf diese Weise ist es möglich, sich der Thermoströme zu Tem- peraturbestimmungen zu bedienen, indem man aus der Stärke der Ströme auf den Temperaturunterschied der Lötstellen schliesst. Wenn dann die eine Lötstelle (beziehungsweise die eine Seite der Thermo- säule) auf bekannter konstanter Temperatur erhalten wird, z. B. durch Eintauchen in Eiswasser, so kann man aus der Stärke des Stromes direkt die Temperatur der andern Lötstelle berechnen. Bedient man sich hierbei des Thermomultiplikators, so muss man denselben vorher empirisch graduiren. Man bringt die eine Lötstelle nach und nach auf verschiedene Temperaturen, während die andere auf konstanter Temperatur erhalten wird, z. B. durch Eiswasser, und notirt die jedes- malige Ablenkung der Nadel. Man erhält so eine Tabelle, aus wel- cher hervorgeht, wie gross die einer bestimmten Temperaturdifferenz entsprechende Ablenkung ist. Bleiben die Versuche jedoch innerhalb der Grenzen, wo die ProportionalitJit der Stromstärken mit den Tem- peraturunterschieden giltig ist, so verfährt man folgender Maassen. Man hält beide Lötstellen auf konstanter Temperatur, indem man z. B. die eine in schmelzendes Eis, die andere in kochendes Wasser taucht. Nun leitet man, wie wir dies schon mehrmals zu ähnlichen Zwecken getan haben, von dem so erzeugten konstanten Strom einen Bruchteil durch den Multiplikator, indem man eine Nebenschliessung zu demselben anbringt, deren Widerstand ein bekannter Bruchteil des Multiplikatorwiderstandes ist. Die Stärke des durch den Multiplikator gehenden Stromes lässt sich leicht nach den Kirchhoff 'sehen Formeln

166 Graduirung des Thermomultiplikators. Kap. X[.

angeben (Vgl. § 41), Indem man so nach und nach immer andere Bruchteile des vollen Stromes durch den Multiplikator gehen lässt, und die betreffenden Ablenkungen notirt, kann man ihn schnell und sicher graduiren.

Bedient man sich zur Strommessung der Spiegel-Tangentenbussole, so kann man die Stromstärken bekanntlich den an der Skala abge- lesenen Ablenkungen direkt proportional setzen. Es genügt daher, für eine bestimmte Temperaturdifferenz die Ablenkung zu bestimmen, um aus jeder anderen Ablenkung die vorhandene Temperaturdifferenz zu finden, vorausgesetzt natürlich, dass die Ablenkungen sehr klein bleiben, und dass die Proportionalität zwischen Stromstärke und Teraperatur- differenz giltig bleibt. Ist nun das Instrument für die Messung sehr kleiner Temperaturdifferenzen eingerichtet, so wird es für grössere, z. B. von 100" eine zu grosse Empfindlichkeit haben, es wird durch diese zu stark abgelenkt werden, um eine Messung zu gestatten. Es ist dann wiederum nötig, nur einen kleinen Bruchteil des starken Stromes durch das Instrument zu leiten, indem man eine passende Nebenschliessung zu demselben anbringt, und die hierbei beobachtete Ablenkung mit der Verhältnisszahl der Schwächung zu multipliziren. Am einfachsten aber verfährt man so, dass man die beiden Lötstellen in zwei Gefässe mit Wasser oder Oel bringt, in diesen die Temperatur mit empfindlichen Thermometern möglichst sorgfältig bestimmt, und die dieser Temperaturdifferenz entsprechende Ablenkung misst, wodurch man natürlich auch jede andere Temperaturdifferenz aus der ihr ent- sprechenden Ablenkung berechnen kann.*)

*) Bei Gelegenheit solcher Messungen stiess ich auf eine Schwierigkeit. Die kurz hintereinander gemachten Beobachtungen stimmten gut untereinander überein, nicht aber Messungen, welche zu verschiedenen Tageszeiten gemacht waren. Ich habe dieVermutung ausgesprochen, dass dieses auf einer Aenderung in der Empfind- lichkeit der Bussole, bedingt durch die Schwankungen in der Intensität des Erd- magnetismus, beruhe. Nach Christi an i können solche Aenderungen bei voll- ständiger Sättigung des schwingenden und des astasirenden Magneten nicht vor- kommen. Wie dem auch sei, man kann ohne die Empfindlichkeit der Bussole zu kennen, stets genaue Temperaturbestimmungen auf folgende Weise machen. Es sei T die zu messende Temperatur der einen Lötstelle. Man bringe die andre Löt- stelle in Wasser oder Oel von der Temperatur tj und lese den Ausschlag an der Bussole ab, er sei m,. Nun bringe man die andre Lötstelle auf eine andre Tem- peratur t und finde den Ausschlag = mj. Dann ist:

T tj = c . mj

T tj = c . mj _ t, mj t, mi

I

§ 7G. Thermonarleln. 167

§ 76. Bei der Anwendung der elektrischen Temperaturbestimmung in der Physiologie und Pathologie hat man besonders darauf zu achten, dass die anzuwendenden Thermoelemente keine zu grosse Masse be- sitzen, damit sie schnell die Temperatur des zu messenden Teiles an- nehmen, und demselben keine ins Gewicht fallende AVärmemenge ent- ziehen. Andererseits darf ihr Widerstand nicht zu beträchtlich sein. Je nach dem speziellen Zwecke gibt man den Elementen verschiedene Formen.

Handelt es sich einfach darum, zu untersuchen, ob an zwei Orten gleiche oder verschiedene Temperatur herrscht, beziehlicli den vor- handenen Unterschied zu messen, so bedient man sich am besten nadeiförmiger Elemente, welche man so in die Gewebe einsticht, dass die beiden Lötstellen an die betreffenden Orte zu liegen kommen. Solche Nadeln von massiger Dicke kann man bekanntlich ohne Schaden in die Gewebe einführen. Macht man dieselben platt bandförmig, so lassen sie sich in üiserige Gewebe, wie Muskeln, noch leichter ohne Schaden einführen und bieten einen möglichst geringen Widerstand. Man fertigt dieselben am besten aus Eisen und Neusilber, welche in der thermoelektrischen Spannungsreihe sehr weit auseinander stehen, also kräftige Ströme geben. Die noch kräftiger wirkenden Metalle Antimon und Wismut empfehlen sich nicht zu diesem Zweck, da sie zu biiichig sind. Auch Nadeln von Eisen und Kupfer sind sehr zweck- mässig, da man es in diesem Falle, weil ja die Leitungsdrähte und der Draht des Galvanometers auch von Kupfer sind, wirklich nur mit einem Kreis aus zwei Metallen zu schafien hat. Man vermeidet da- durch unliebsame Störungen, welche sonst durch geringe Temperatur- differenzen der Stellen, wo verschiedene Metalle zusammenstossen, leicht entstehen. Bei der grossen Empfindlichkeit unserer Bussolen kann man schon mit einem Eisen-Kupferelement Temperaturdifferenzen von 0,01" C. messen. Doch kann man auch, wenn der Raum es gestattet, mehre Elemente kombiniren. Man verbindet die hervor- ragenden Enden der Nadeln mit dem Tlicrmomultiplikator oder der Spiegelbussolc und berechnet aus der Ablenkung den Temperatur- unterschied.

unter der Voraussetzung, dass c, d. h. die Empliiidlichkeitskoustante der BussoU während der sehr kurzen Zeit der Versuche uiigeändert geblieben isl.

Ks empfiehlt sich, für t, die Zimmertemperatur, für tj die Temperatur U' zu wählen, da beide leicht konstant zu erhalten sind. Für diesen Fall wird

T = t, . -^^^.

168 Tiiermonadelu. Kap. XI.

Nicht immer wird es jedoch möglich sein, eine Nadel, welche etwa aus einem Eisen- und zwei daran gelöteten Kupferdrähten besteht, so in die Gewebe einzufiihren, dass die beiden Lötstellen an die Stellen zu liegen kommen, deren Temperatur gemessen werden soll. So z. ß. wenn die Temperaturen in dem M. biceps bracchii jeder Seite mit einander verglichen werden sollten. Man zerlegt dann jedes Thermo- element in zwei Nadeln, von denen jede einfach aus zwei an einander gelöteten Drähten aus Eisen und Kupfer besteht. Senkt man in jeden Arm eine solche Nadel und verbindet die beiden Eisenenden mit ein- ander durch einen dünnen Eisendraht (am besten durch Verlöten), die beiden Kupferenden mit dem Multiplikator, so hat man offenbar ein zum Kreise geschlossenes Thermoelement, in welchem der Strom in der wärmeren Lötstelle vom Eisen zum Kupfer gerichtet ist. Will man mehre Elemente säulenartig verbunden anwenden, so stecltt man in jeden Arm eine gleiche Anzahl solcher Nadeln, verbindet immer die Eisenenden der gleichziffrigen mit einander, dagegen das eine Kupferende des ersten Nadelpaares mit dem einen Kupferende des zweiten u. s. f., während ein Kupferende der ersten und eines der letzten Nadel mit dem Multiplikator verbunden werden.

Zuweilen ist es nicht möglich, gerade Nadeln so durch das Ge- webe zu stecken, dass die Lötstelle an den Ort kommt, dessen Tem- peratur gemessen werden soll. Man gibt dann den Nadeln eine andere Gestalt, so dass die Lötstelle endständig wird. Ein Kupfer- und ein Eisendraht werden parallel neben einander gelegt, jedoch von einander isolirt bis auf die Enden der einen Seite, welche zusammengelötet und zugespitzt werden, um sie in das Gewebe einstechen zu können. Zwei solcher Nadeln bilden natürlich ein Thermoelement, dessen vier Enden passend mit einander und dem Multiplikartor verbunden werden. Die in das Gewebe einzuführenden Nadeln müssen stets stark gefirnisst sein, damit nicht durch die Berührung der beiden Metalle mit den feuchten Geweben Ströme entstehen, von denen ein Bruchteil durch den Multiplikator gehen und dort zu Täuschungen Veranlassung geben könnte.

Will man, wie es z. B. bei klinischen Beobachtungen der Fall sein könnte, die Thermonadeln nicht gern in den Körper einstechen, so kann man den Elementen die Form kleiner Plättchen geben, welche man mit ihren Lötstellen an die Haut andrückt, und mit schlechten Wärmeleitern bedeckt, damit sie vollkommen die Temperatur der Hautstelle annehmen. Man kann die Elemente zu dem Ende an passende Armbänder u. dgl. von Leder oder Wolle befestigen, so dass sie sich leicht unverschiebbar anlegen lassen.

§ 7fi, 77. Absolute Temperaturbestimmung-. 1^9

Zur Einführung in den Mastdarm oder in die Blutgeßisse benutzt man Thermosäulen aus dünnen und langen Drähten, welclie man in einen biegsamen Katheter einschliesst.

§ 77. Kommt es niclit darauf an, Unterschiede der Temperatur zweier Orte zu messen, sondern die absohite Temperatur eines Ortes, so muss man die eine Lötstelle an diesen Ort bringen, die andere aber auf konstanter und bekannter Temperatur erhalten. Am leichte- sten geschieht dies durch Eintauchen in schmelzendes Eis oder kochen- des Wasser. Bei physiologisclien Versuchen nun, wo die zu messende Temperatur um 40*^ herum liegt, würde die Temperaturdifferenz sein- gross sein, man erhielte sehr starke Ströme, aber die Empfindlichkeit für kleine Aenderungen, auf welche es doch ankommt, würde sehr gering sein. Man muss daher der anderen Lötstelle eine Temperatur geben, welche der zu messenden sehr nahe liegt. Am besten erreicht man dies durch Eintauchen in eine nicht zu kleine Wassermasse, Avelche die ihr mitgeteilte Temperatur nicht schnell ändert, so dass sie während der kurzen Zeit, welche zur Beobachtung besonders mit der Spiegelbussole nötig ist, als vollkommen konstant angesehen wer- den kann. Auch kann man durch sogenannte Wärmeregulatoren oder Thermostaten für Konstanz dieser Vergleichstemperatur sorgen. Man liest die Temperatur des Wassers an einem eingetauchten empfind- lichen Thermometer ab, und findet so durch Vergleichung die absolute Temperatur der anderen Lötstelle. Je weniger die beiden Temperaturen von einander verschieden sind, desto empfindlicher muss das Instrument sein, desto genauere Bestimmungen sind aber auch möglich. Natür- lich muss das Thermoelement gut gefirnisst sein. A ender t man die Vergleichstemperatur so lange, bis gar kein Strom in der Bussole vorhandeii ist, so ist die gesuchte Temperatur gleich der in der Ver- gleichssubstanz gemessenen.

Handelt es sich nicht darum, die absolute l'emperatur eines Ortes zu messen, sondern zu bestimmen, ob und um wie viel seine Temperatur sich in gewissen Zuständen ändert, z. B. ob in den Muskeln bei der Zusammenziehung Wärme entwickelt werde, so führt man die eine Lötstelle in das zu untersuchende Gewebe ein, die andere an einen Ort, welcher naiiezu oder ganz dieselbe Temperatur hat. Im letzteren Falle besteht gar kein Strom im Kreise. Lässt man nun die Muskeln sich zusammenziehen, und wird dabei Wärme entwickelt, so muss die Nadel abgelenkt werden. Ist aber die Temperatur an den Lötstellen nicht gleich, so tut man am besten, den vorhandenen

170 Verfahren bei der elel\trischen Temperattirbestinimung. Kap. X[.

Strom erst zu kompensiren, damit die Nadel auf Null stehe, wo sie jede Veränderung mit der grössteu Empfindlichkeit anzeigt. Dieses Kompensiren kann mit Hilfe des Rheochords und eines Daniell'schen Elementes oder der Sternsäule geschehen, wie wir dies in § 67 kennen gelernt haben. Man kann sich aber auch hierzu der Thermoströme bedienen. Zu dem Ende schaltet man in den Kreis eine Thermosäule mit Strahlungskegeln ein, wie sie Melloni benutzt hat, stellt vor das eine Ende derselben einen Metallschirm und dahinter einen mit warmem Wasser gefüllten Würfel Indem man den Metallschirm vor- sichtig fortschiebt, kann man die eine Seite der Thermosäule gerade so stark durch Bestrahlung erwärmen, dass die Nadel des Multipli- kators auf Null steht.

Für die Muskeln werden die Versuche noch einfacher, Avenn man die Lötstellen abwechselnd in zwei verschiedene Muskelgruppen ein- führt und dann die eine Gruppe zur Kontraktion bringt Eine solche Versuchsreihe machte Beequerel und nach ihm Helmholtz über die Wärmeentwickelung bei der Muskelkontraktion. Helmholtz führte sechs platte Nadeln aus Eisen und Neusilber quer durch die Ober- schenkelmuskeln von Fröschen, so dass die sechs einen Lötstellen in dem einen, die sechs anderen in dem anderen Schenkel steckten. Die Nadeln wurden so verbunden, dass der Strom bei Erwärmung des einen Schenkels durch alle Nadeln in gleicher Richtung gehen musste. Eine Kompensation wurde nicht angewandt, sondern man wartete ab, bis die Schenkel gleiche Temperatur hatten. Wurde nun der eine Schenkel von seinen Nerven aus in Tetanus versetzt, so zeigte der Thermomultiplikator eine Ablenkung, welche einer Temperaturerhöhung um 0,14 bis 0,18'' C. entsprach.

Heidenhain hat diese Versuche wieder aufgenommen, und indem er sich einer ganz kleinen Thermosäule von Antimon- und Wismuth- stäben bediente, an welche der Muskel seitlich angelegt wurde, gelang es ihm, selbst die Wärmebildung bei einer einzigen Muskelzuckung zu bestimmen. Dieselbe betrug 0,001 bis 0,005" C. Noch empfind- lichere Galvanometer wandte Fick an, so dass er die Wärmeentwicke- lung bei einzelnen Zuckungen und beim Tetanus mit kleinen Thermo- säulen aus dünnen Eisen- und Neusilber-Blechstreifen messen konnte. Er fand so Unterschiede je nach der Spannung des Muskels und andern Umständen, welche auf die Zuckung von Einfluss sind. Auch für andere physiologische und pathologische Untersuchungen, wo es nicht auf absolute Temperaturbestimmungen, sondern nur auf Unter- schiede in der Temperatur zweier verschiedener Orte ankommt, ist die

§ 77, 78. Al'sorption der Wärme. 171

Thermoelektrizität mit Vorteil angewandt worden. So z. ß. zur Ent- scheidung der Frage, ob das Blut im linken Herzen kälter sei, als im rechten; ob in den Geweben bei der Entzündung mehr Wärme gebildet werde, als in der Norm u. dgl. Zu diesem Belmfe genügt es, die Lötstellen einfach an die Orte zu bringen, deren Unterschied gemessen werden soll. Die gefundene Ablenkung gibt dann ein direktes Maass des gesuchten Unterschiedes.

§ 78. Eine andere wichtige Anwendung der Thermosäulen ist die zur Untersuchung der Wärmeabsorption, z B. in den Augenmedien. Stellt man auf die eine Seite einer Melloni'schen Thermosäule eine konstante Wärmequelle, z. B. einen Metallwürfel, in welchem Wasser im Kochen erhalten wird, so wird die Thermosäule durch Bestrahlung erwärmt, und gibt, wenn man die andere Seite der Säule auf kon- stanter Temperatur erhält, einen konstanten Strom. Je näher der Bestrahlmigswürfel der Säule steht, desto grösser ist die Erwärmung, welche bekanntlich im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernung geschieht. Schaltet man nun in den Gang der Wärme- strahlen die Augenmedien ein, so wird ein Teil der Wärmestrahlen absorbirt, und die Nadel zeigt eine andere Ablenkung als vorher. Aus dem Unterschied der beiden Ablenkungen lässt sich die Menge der absorbirten Wärme berechnen. Noch genauer geschieht dies, wenn man den beiden Seiten der Thermosäule zwei gleiche Wärmequellen in gleicher Entfernung gegenüber stellt, so dass kein Strom im Multi- plikator entstehen kann, oder auch, wenn man die Bestrahlung auf der einen Seite mit Hilfe eines Schirmes regelt und so den Strom kompensirt, wie im vorigen Paragraph angegeben wurde. Auf diese Weise kann man die Absorption mit vieler Schärfe messen.

Brücke und Jansen, welche derartige Versuche ausgeführt haben, fanden beide, dass die Absorption der strahlenden Wärme durch die Augenmedien eine sehr starke ist, und man kann dies als Erklärung benutzen für den Umstand, dass ein grosser Teil des Spektrums, nämlich der, welcher die Strahlen enthält, die weniger brechbar sind als Roth, von unserer Netzhaut nicht wahrgenommen wird. Denn unter gewöhnlichen Umständen wird in der Tat vermöge der starken Absorption von diesen Strahlen kaum ein merklicher Bruchteil bis zur Netzhaut gelangen können.

Kapitel XII.

Physikalische und physiologische Vorbemerkimgen über die Anweiidung der Elektrizität zu Heilzwecken.

§ 79. Die physiologischen Wirkungen der Elektrizität sind so bedeutende, dass ihre Anwendung als Heilmittel schon seit den ersten Zeiten, wo man ihre Wirkungen kannte, versucht worden ist. Aber erst in neuester Zeit hat dieser Zweig der Medizin durch das genauere Studium der physiologischen Wirkungen der Elektrizität und durch die Vervollkommnung der Apparate und Methoden eine sichere Grund- lage erhalten.

Die ruhende, statische Elektrizität ist keiner nachweisbaren physio- logischen Wirkungen fähig; nur die bewegte, in Form des elektrischen Stromes auftretende kann solche zeigen. Die trotzdem immer wieder von Aerzten angewandte und auch neuerdings wieder empfohlene so- genannte »Elektrisation« beruht deshalb nicht auf hinreichend ge- sicherter wissenschaftlicher Grundlage. Wir gehen daher gleich zu den elektrischen Strömen über. Diese werden vornehmlich wegen ihrer physiologischen Wirkungen auf Nerven und Muskeln angewandt. Doch entwickelt der elektrische Strom natürlich in allen Geweben auch noch seine physikalischen Wirkungen, Elektrolyse u. s. w. Sowohl die eigentlich physiologischen als die allgemein physikalischen Wirkungen können zu Heilzwecken benutzt werden. Endlich gibt es noch mittelbare Anwendungen der Elektrizität, wobei diese nur benutzt wird, um einen Körper zu erhitzen oder zum Leuchten zu bringen, wo es also gar nicht auf die Elektrizität selbst, sondern nur auf die von ihr erzeugte Wärme oder das Licht ankommt (Gal- vanokaustik und Endoskopie).

Die physiologischen Wirkungen der Elektrizität auf Muskeln und Nerven sind entweder erregende oder raodifizirende. Werden Muskeln und Nerven der Einwirkung gewisser Agentien ausgesetzt,

§ 79. Physiologische Wirkungen der Elektrizität. 173

SO geraten sie in den Zustand der Tätigkeit, welcher sich im Muskel als Zusammenziehung äussert, im Nerven eine äusserlich nicht sicht- bare innere Molekularbewegung darstellt, welche sich im Nerven fort- pflanzt und wenn sie im motorischen Nerven zum Muskel, im sen- siblen zum nervösen Central-Organ gelangt, diese Gebilde zur Tätigkeit anregt. Die Tätigkeit ist im Muskel wiederum Zusammenziehung, im Central-Organ des sensiblen Nerven Empfindung, und zwar je nach der Natur des Nerven entweder Schmerzempfindung oder spezifische Sinnesempfindung.

Nerven, welche mit Drüsen zusammenhängen, bewirken in diesen die spezifische Tätigkeit der Sekretion. Man nennt sie daher sekre- torische Nerven. Die Nerven, welche in der Muskulatur der Blut- gefässe endigen, bewirken Aenderungen in der Weite der Ge fasse und zwar unterscheidet man vasokonstriktorische Nerven, durch welche die Gefässe verengert, und vasodilatatorische, durch welche sie erweitert werden. Alle diese Nerven verhalten sich aber den elek- trischen Strömen gegenüber im Wesentlichen gleich.

Alle Agentien, welche, auf die Muskeln und Nerven wirkend, diese zur Tätigkeit veranlassen, nennt man Reize. Der elektrische Strom nimmt unter den Reizen eine hervorragende Stellung ein, wegen der Leichtigkeit seiner Anwendung und der Möglichkeit genauer Ab- stufung seiner Stärke. Aus denselben Gründen empfiehlt er sich auch zur Anwendung in der praktischen Medizin in allen Fällen, wo es darauf ankommt, reizend oder erregend auf Muskeln und Nerven zu wirken, sie zur Tätigkeit anzuregen.

Der elektrische Strom wirkt jedoch nicht in allen Fällen gleich erregend auf Nerven und Muskeln. Leitet man einen konstanten Strom durch dieselben, so geschieht nur eine schwache oder gar keine Erregung. Wenn aber der Strom eine plötzliche Veränderung seiner Stärke erfährt, so wirkt er stark erregend. Dies ist z. B. der Fall, wenn man den konstanten Strom schliesst und öffnet. Man sieht dann eine starke Zuckung der Muskeln und fühlt einen lebhaften Schmerz, während bei der gleichmässigen Dauer des Stromes der Schmerz weniger intensiv ist und oft gar keine Muskelkontraktionen auftreten.

Um daher mit Hilfe des elektrischen Stromes starke Erregung zu bewirken, muss man die elektrischen Ströme nicht in konstanter Stärke durch die Muskeln oder Nerven leiten, sondern ihre Stärke recht oft wechseln lassen. Noch besser aber tut man, wenn man nur den Zweck hat zu erregen, sich solcher Ströme zu bedienen, welche gar nicht konstant sind, sondern nur kurze Zeit dauern, wälirend

174 Physiologische Wirkungen der Elektrizität. Kap. XU.

(lieser Zeit zu einer gewissen Stärke anwachsen und dann sogleich wieder abnehmen. Leitet man einen solchen Strom durch Muskel oder Nerv, so erfolgt nur eine einzelne Erregung, deren Stärke von der Stärke und Dauer jenes Stromes abhängt; lässt man aber viele solche Ströme hintereinander durch den Nerven gehen, so erhält man eine dauernde Erregung.

Solche kurzdauernde Ströme sind die durch statische Elektrizität erzeugten Ströme der Leydener Flasche, die Ströme der in § 12 be- schriebenen Influenzmaschine und die durch Induktion erzeugten. Die Anwendung der ersteren ist umständlich und unbequem, auch ist es schwer, sie richtig abzustufen. Die Anwendung der Influenzmaschine in der Elektrotherapie ist noch nicht hinreichend erprobt, um ein Urteil zu gestatten, ob dieselbe erhebliche Vorteile bietet. Dagegen leisten die Induktionsströme im höchsten Maasse Alles, was hier verlangt wird, besonders, wenn der Apparat gestattet, nach Belieben schwache und starke Ströme anzuwenden, sie mit grösserer oder ge- ringerer Schnelligkeit sich folgen zu lassen u. s. f. Alles dieses leistet auf das Vollkommenste das Schlitteninduktorium von du Bois- Reymond, welches oben § 54 beschrieben und Fig. 48 abgebildet ist. Derselbe verdient daher auch vor allen anderen Apparaten ähn- licher Art den Vorzug für die Anwendung in der Praxis.

Die Stärke der Erregung, welche man mit diesem Apparat er- zielen kann, hängt ab von der Stärke der Induktionsströme, welche er liefert, und ihrer Dauer. In letzterer Beziehung haben wir schon gesehen, dass ein bedeutender Unterschied besteht zwischen dem Strom, welcher bei der Schliessung des primären Stromes in der sekundären Rolle entsteht, und demjenigen, welcher bei der Oeffnung erzeugt wird. Indem der letztere eine viel kürzere Dauer hat, wirkt er viel ener- gischer erregend, als der Schliessungsinduktionsstrom. Die absolute Stärke beider Ströme aber kann durch Verschiebung der sekundären Rolle beliebig abgestuft werden,*)

§ 80. Bei der praktischen Anwendung des Induktoriums hat man entweder den Zweck, auf die Muskeln zu wirken, oder auf die

*) Auch die schwächende Wirkung einer zwischen primäre und sekundären Spirale eingeschobenen ivupferröhre (s. § 52) kann zur Abstufung der Ströme be- nutzt werden; ebenso kann man das in die primäre Spirale eingelegte Eisendraht- bündel so einrichten, dass es aus derselben herausgezogen werden kann, wodurch man den Strom gleichfalls schwächt. Man kann auch alle diese Mittel kombiniren und dadurch eine lange Schlittenbahn ersparen, was bei portativen Apparaten von Vorteil ist.

§ 80. Faradisation localisee. 175

sensiblen Nerven. Es ist das grosse Verdienst Duchenne's, die Methoden ausgebildet zu haben, durch welche es möglich ist, diese Wirliungen getrennt vorzunehmen, ausserdem aber auch die Wirkung der Elektrizität auf einzelne Muskeln und Muskelgruppen zu be- schränken. Duchenne nannte dies faradisation localisee. (Der Name ist abgeleitet von Michel Faraday, dem berühmten Entdeclcer der Induktionsströme, und soll bedeuten Erregung durch Induktionsströme). Duchenne selbst waren die physikalischen Prinzipien seiner Methode nicht durchweg klar. Seine Angaben enthalten daher zum Teil Un- wesentliches, nur von den zufälligen Bedingungen seiner Apparate Abhängiges, welches man von dem wesentlichen Kern durchaus trennen muss.

Setzt man zwei mit den Enden der Induktionsspirale verbundene Leiter an zwei Punkten des Körpers auf, so nehmen die Ströme ihren Weg durch den Körper, nach den Gesetzen der Stromverteilung in unregelmässig gestalteten Leitern, wie wir sie in § 46 kennen gelernt haben. Es wird dann der ganze Körper von Stromeskurven erfüllt, welche alle in den beiden Punkten zusammenlaufen, wo die Leiter (Elektroden) auf der Körperoberfläche aufstehen. Die Stärke der Ströme ist nicht in allen diesen Bahnen die gleiche, sondern am grössten in der geraden Verbindungslinie der beiden Elektroden und dann immer abnehmend im umgekehrten Verhältniss der Länge der Kurven. Legt man irgendwo im Körper einen Querschnitt senkrecht auf die Stromkurven, so ist die durch denselben fliessende Elektrizitäts- menge überall dieselbe. Aber diese Elektrizitätsmenge fliesst in un- mittelbarer Nähe der Elektroden durch einen Querschnitt von viel geringerer Ausdehnung, als an irgend einer anderen Stelle. Denn in der Nähe der Elektroden sind sämmtliche Stromeskurven auf einen engen Raum zusammengedrängt. Hier also erlangt die Elektrizität ihre grösste Dichte, diese wird geringer zwischen den beiden Elek- troden, noch geringer in grösserer Entfernung von denselben, ausser- halb der sie verbindenden Geraden.

Nun ist es aber die Strom dichte, von welcher die Grösse der physiologischen Wirkung abhängt. Wenn also die Induktionsströme auf die bezeichnete Art durch den Körper geleitet werden, so wird ihre Wirkung nicht überall die gleiche sein können, sondern sie wird am grössten sein in unmittelbarer Nähe der beiden Elektroden kleiner zwischen denselben, am kleinsten ausserhalb der geraden Verbindungs- linie, und zwar mit der Entfernung von den Elektroden sehr schnell abnehmend. Leiten wir also auf die bezeichnete Art Induktionsströmo

17() Erregung der sensiblen Nerven. Kap. XII.

diivcli den Körper, welche so schwach sind, dass sie nirgends eine Wirkung ausüben, auch da nicht, wo ihre Dichte am grössten ist, und verstärken die Ströme allmählich durch Annähern der secundären Spirale an die primäre, so wird die Stromstärke und also auch die Stroradichte an allen Punkten des Körpers wachsen, am schnellsten aber an den Elektroden selbst. Es wird daher endlich ein Punkt erreicht werden, wo sie in der Nähe der Elektroden gerade die nötige Dichte erreicht hat, um die dort gelegenen erregbaren Gebilde zu er- regen, während alle anderen Gebilde noch unerregt bleiben. Steigert man die Stromstärke noch mehr, so wird man auch die zwischen den Elektroden befindlichen Gebilde erregen können; was aber ausserhalb derselben liegt, wird noch in Ruhe bleiben; und nur bei sehr starken Strömen würde es möglich sein, auch diese in grösserer oder ge- ringerer Ausdehnung, je nach der Nähe an den Elektroden mit in Erregung zu versetzen.

§ 81. Man sieht also, wie es möglich ist, die Wirkung der elektrischen Ströme zu lokalisiren, auf bestimmte einzelne Gebilde zu beschränken, trotzdem die Elektrizität alle Wege einschlägt, welche ihr offen stehen, stets den ganzen Körper mit Stromeskurven erfüllt. Nun aber liegen da, wo die Elektrizität die grösste Dichte hat, dicht unterhalb der Elektroden, zunächst die Endigungen sensibler Nerven in der Haut und dann je nach Umständen Muskeln oder motorische Nerven. Diese werden dann von der Erregung betroffen. Es ist aber höchst wünschenswert, die sehr schmerzhafte Erregung der sensibelen Nerven zu vermeiden, wenn es nur darauf ankommt, Muskeln zur Contraktion zu bringen; und umgekehrt die Muskeln in Ruhe zu lassen, wo man nur auf die sensiblen Nerven zu wirken beabsichtigt. Auch hierzu hat Duchenne die Wege gebahnt.

Setzt man nämlich als Elektroden zwei Drähte oder Metallplatten auf die Haut, so müssen die Ströme, um zu den darunter liegenden Muskeln oder Nerven zu gelangen, erst die Epidermis durchsetzen. Nun bietet aber diese einen ungeheuren Widerstand dar, ja es ist sogar wahrscheinlich, dass die trockene Epidermis an sich gar nicht leitet, sondern dass in diesem Falle die Elektrizität ihren Weg nur durch die Schweisskanälchen nimmt. Durch diesen ungeheuren Widerstand werden die Ströme bedeutend geschwächt, und es ist daher schwer, auf diese Weise die unter der Haut gelegenen Muskeln und Nerven zu erregen. Denn sobald die Ströme die Haut durchdrungen haben, breiten sie sich in den darunter gelegenen, verhältnissmässig gut

§ 81. Erregung der sensiblen Nerven. 177

leitenden Massen nach allen Richtungen aus, und erlangen bei ihrer Schwäche nirgends die zur Erregung nötige Dichte. In der Haut selbst dagegen sind die Ströme in sehr engen Bahnen zusammen- gedrängt, hier ist ihre Dichte am grössten. Sobald sie nun die Epidermis durchdrungen haben, treffen die Ströme gerade auf die sensiblen Nerven der Kutis. In diesen müssen sie natürlich am leichte- sten Erregung bewirken. Man erhält daher die lebhafteste Schmerz- erregung ohne Muskelzusammenziehung.

Besteht die eine Elektrode (an der anderen sind die Verhältnisse natürlich dieselben, weshalb wir nur eine einzige betrachten wollen) aus einem Drahte, so würden die Ströme auch nur in einem Punkte die Epidermis durchbrechen. Wir können das Schweisskanälchen oder was sonst den Weg durch die Epidermis für den elektrischen Strom darstellt, gleichsam als eine Verlängerung des angelegten Elektroden- drahtes ansehen, ähnlich als wäre dieser an seinem Ende nadeiförmig zugespitzt, und die Spitze durch die Epidermis durchgesteckt. Von dieser Spitze aus, d. h. von dem Punkte, wo der Strom eben in das Korium eintritt, breiten sich also die Stromeskurven nach allen Rich- tungen aus; an diesem Punkte wird daher die Stromdichte sehr gross sein und an diesem Punkte wird heftige Schmerzerregung stattfinden. Wenden wir aber statt des Drahtes eine Platte an, welche möglichst eng an die Oberfläche der Epidermis sich anschliesst, so wird der Durchgang der Ströme durch die Epidermis an vielen Punkten statt- finden. Nun ist aber der Widerstand der Epidermis so gross, dass wir den Widerstand der Induktionsrolle und des sonst im Kreise be- findlichen Teiles des Körpers dagegen als unendlich klein ansehen können. Die Stromstärke wird daher nur bedingt sein durch den Widerstand der Epidermis. An je mehr Punkten der Strom die Epidermis durchbricht, um so grösser ist die absolute Stärke des Stromes. Diese wird genau in demselben Maasse wachsen, als der Widerstand abnimmt, also ziemlich genau proportional dem Querschnitt der angelegten Platte. Da aber die Stromdichte gleich ist dem Quotienten aus dem Querschnitt in die Stromstärke 40), so bleibt, wie man sieht, die Stromdichte ganz ungeändert. An jedem ein- zelnen Punkte aber, an welchem der Strom die Epidermis durch- bricht, wird also die Stromdichte dieselbe Grösse erlangen, als vorher bei Anwendung eines Drahtes als Elektrode an diesem einen Punkte (vgl. § 40). Und an jedem dieser Punkte wird der Strom unmittelbar bei seinem Eintritt in das Korium eine sehr grosse Dichte haben, von da aber sich sofort nach allen Richtungen ausbreiten, derart, dass an

Koseil thal u. Bernhardt, Elektrizitätslelire. HI. Aufl. l >)

178 . Erregung der sensiblen Nerven. Kap. XII.

jenen Punkten eine starke Erregung sensibeler Nerven möglich ist, Avährend die Wirkung an anderen Stellen unmerklich ist. Handelt es sich daher um Erregung der sensibelen Nerven gewisser Haupt- partien, so wird man sich nicht eines einzelnen Drahtes als Elektrode bedienen, sondern besser einer metallenen Platte. Noch besser aber ist es, die Elektrode in einen Pinsel von feinen Metalldrähten aus- laufen zu lassen, wie dies Duchenne eingeführt hat. Denn ein solcher Pinsel berührt die Haut viel gleichmässiger, als eine starre Platte. Jeder der feinen Drähte gibt dann einen Eintrittspunkt für die Elektrizität ab, an welchem die Dichte bei passender Wahl des Stroms hinlänglich gross ist, um eine beträchtliche Erregung sämt- licher Gefühlsnerven im Bereiche des Pinsels zu bewirken.

Hierbei ist vorausgesetzt worden, dass beide Elektroden aus Drähten, Platten oder Pinseln bestehen. Dann findet die Erregung auch an beiden statt. Da aber der Widerstand der Epidermis dabei ausserordentlich gross ist, so bedarf es sehr starker Induktionsströme, um merkliche Wirkungen zu erzielen; und dabei liönnte es auch vor- kommen, dass bei nahe neben einander aufgesetzten Elektroden und sehr trockener Epidermis die entgegengesetzten Elektrizitäten sich der Oberfläche der Epidermis entlang mit einander verbinden, und so gar keine Erregung zu Stande kommt. Sind aber die Elektroden weiter von einander entfernt, und die Induktionsströme nicht hinreichend kräftig, so kann es vorkommen, dass durch den doppelten Widerstand der beiden Epidermisstellen die Stromstärke so sehr verringert wird, dass sie nicht ausreicht, überhaupt eine genügende Erregung zu be- wirken. Also kommt es darauf an, den Widerstand zu verringern. Dies erreicht man dadurch, dass man die eine Epidermisstelle gut durchfeuchtet und der auf sie aufzusetzenden Elektrode die Gestalt einer grossen mit einem feuchten Schwämme überzogenen Platte gibt. Der Schwamm hat den Vorteil, die Epidermis feucht zu erhalten und sich der Oberfläche gut anzuschmiegen. In Folge der Durchfeuchtung wird die Epidermis ein besserer Leiter der Elektrizität, besonders wenn man sich zum Durchfeuchten einer gut leitenden Flüssigkeit be- dient, z. B. schwach angesäuerten Wassers oder einer Kochsalzlösung, welche man noch erwärmen kann, um ihr Leitungsvermögen zu er- höhen (vgl. § 35). Da nun die trockene Epidermis so schlecht leitet, dass man den Widerstand des übrigen Teiles des Kreises als unendlich klein ansehen kann, so wird offenbar bei Anwendung einer solchen feuchten Elektrode der Widerstand des Kreises nur halb so gross sein, als bei Anwendung zweier Pinsel (vgl. § 37). Dadurch steigt

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§ 81, 82. Erregung der Muskeln. 179

also die Stromstärke und folglich auch die Dichte an dem Pinsel, auf das Doppelte, und die Erregung der sensiblen Nerven wird hier sehr ver- stärkt. An der feuchten Elektrode ist der Strom jetzt nicht auf ein- zelne fadenförmige Bahnen beschränkt, sondern durchsetzt die auf- geweichte Epidermis auf einer breiten Bahn. Auf dieser aber ist die Stromdichte wegen des grossen Querschnittes so gering, dass hier gar keine Erregung der sensiblen Nerven stattfindet.

§ 82. Ersetzt man nun aber auch die andere Elektrode durch eine mit einem Schwämme überzogene Platte, und durchfeuchtet den Schwamm und die Epidermis an der Aufsetzungsstelle, so wird der Widerstand noch kleiner, die Stromstärke wächst, und es gelingt nun, die tiefer gelegenen Muskeln und Nerven zu erregen, während in der Haut selbst die Stromdichte bei richtiger Wahl der Stromstärke so gering ist, dass sie keinen oder nur unbedeutenden Schmerz erregt. Die Erregung wird nach dem oben Gesagten am stärksten sein in unmittelbarer Nähe der Elektroden, Besteht nun die eine Elektrode aus einer grossen Platte, ist aber die andere kleiner, z. B. ein mit Schwamm überzogener Metallknopf, so wird an dieser letzteren die Stromdichte viel grösser sein, als an der ersteren, die Erregung wird an dieser stärker sein, und bei richtiger Wahl der Stromstärke an dieser allein stattfinden.

Nach diesen Auseinandersetzungen ist es leicht einzusehen, wie man zu verfahren hat, um je nach Belieben eine Erregung der sen- siblen Nerven der Haut, oder der Muskeln zu bewirken, und im letzteren Falle einen einzelnen Muskel isolirt zur Zusammenziehung zu bringen. Will man auf die Hautnerven wirken, so wird man der einen Elektrode die Gestalt einer grossen mit Schwamm überzogenen Platte geben und dieselbe irgendwo auf die wohldurchfeuchtete Haut aufsetzen. Als zweite Elektrode aber wird man einen Metallpinsel anwenden, welchen man auf die zu reizende trockene Hautpartie auf- setzt. Indem man diesen leicht über die Haut hinführt, kann man nach und nach beliebig grosse Hautstrecken einer heftigen Erregung aussetzen, ohne dass ein einziger Muskel sich zusammenzieht. Will man dagegen auf einen Muskel wirken, so wird man die eine Elek- trode wiederum eine grosse mit Schwamm überzogene Platte sein lassen, welche man auf die wohldurchfeuchtete Haut in der Gegend des zu erregenden Muskels aufsetzt. Als zweite Elektrode aber wird man einen kleineren Schwamm anwenden, welchen man auf die wohldurch-

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180 Remalt's motorische Punkte. Kap. XII.

feuchtete Haut über dem zu erregenden Muskel oder noch besser über dem zum Muskel gehörigen Nerven aufsetzt.

§ 83. Dieser letztere Umstand ist besonders beherzigenswert. Setzt man Ucämlich die Elektrode auf den Muskel selbst auf, so wer- den zwar die unmittelbar unter der Elektrode gelegenen Fasern des Muskels direkt von Strömen grösserer Dichte gereizt; in den übrigen Partien aber ist die Reizung schwächer und man erhält daher eine kräftige Zusammenziehung des ganzen Muskels nur bei Anwendung stärkerer Ströme. Setzt man dagegen die eine Elektrode auf den Nerven auf, so bringt die Erregung desselben sogleich eine kräftige Zusammenziehung des ganzen Muskels liervor. Ja die Stromdichte braucht dazu sogar im Nerven nur eine sehr viel geringere zu sein, als sie im Muskel selbst sein müsste, um ihn zu einer gleich starken Zusammenziehung zu bringen, weil die Erregbarkeit der Nervenstämme sehr viel grösser ist, als die der Muskeln selbst und der in ihnen verbreiteten intramuskulären Nerven.

Duchenne fand zuerst, dass gewisse Puukte am Körper besonders günstig seien für die Aufsetzung der einen Elektrode, wenn man einzelne Muskeln zur Zusammenziehung bringen wolle, und nannte diese „Wahlpunkte". Remak wies darauf hin, dass diese „motorischen Punkte", wie er sie nennt, Nichts seien, als die Eintrittsstellen der Nerven in die Muskeln. Ziemssen hat dies bestätigt und die Punkte genauer bezeichnet, an welchen man die eine Elektrode aufsetzen muss, um die einzelnen Muskeln zu erregen. Das Weitere über diesen Punkt ist im zweiten Teil nachzusehen.

Die Frage, wo man die zweite grössere Elektrode aufzusetzen habe, ist im Allgemeinen dahin zu beantworten, dass sie möglichst nahe der anderen anzubringen sei, damit der Widerstand der zwischen beiden enthaltenen Körperstrecke möglichst klein werde. Diese Rück- sicht ist bei Erregung der sensiblen Nerven mittels des Pinsels von geringerer Bedeutung, weil hier alle übrigen Widerstände gegen den ungeheuren der trockenen Epidermis gar nicht in Betracht kommen; bei der Erregung der Muskeln aber ist sie wichtig. Je geringer man hier den Widerstand macht, desto besser. Daher tut man gut, die grössere Elektrode auf den zu erregenden Muskelbauch selbst nahe der anderen Elektrode aufzusetzen. Je günstiger man die Verhältnisse wählt, desto schwächere Ströme wird man anwenden können, desto leichter ist es dann aber auch, kräftige Muskelzusammenziehungen zu erlangen, ohne Schmerzen zu erregen.

Nach dem Verberge lienden wird es leicht sein, das Verfahren abzuleiten, welches bei der Erregung grösserer Muskelgruppen zu be-

§ 83. Richtung der Ströme. 181

folgen ist. Man wird dann die Elektroden so aufsetzen müssen, dass die Ströme in dem jene Muslteln versorgenden Nervenstamme eine möglichst grosse Dichte erlangen und man wird dazu eine Stelle wählen, wo- der betreffende Nervenstamm möglichst günstig gelegen ist, womöglich nur von der Haut und der oberflächlichen Fascie be- deckt. Wo dies nicht der Fall ist, gelangt man oft zum Ziele, indem man die Elektrode fest andrückt und so den Ort der grössten Strom- dichte in die Tiefe in die Nähe des Nerven verlegt. So z. B. kann man den Phrenikus kräftig erregen, wenn man die eine (kleinere) Elektrode am hinteren Rande des M. sternokleidomastoideus etwas unter der Mitte . seines Verlaufes fest eindrückt. Die andere Elektrode setzt man dabei etwa in der Fossa supraklavikularis auf. Oder auch man bedient sich zweier kleinen Elektroden, welche man jederseits an der bezeichneten Stelle tief eindrückt, und erregt so beide Phrenici zu- gleich. Es versteht sich übrigens von selbst, dass wenn der solcher Gestalt erregte Nervenstamm ein gemischter ist, die gleichzeitige Schmerzerregung nicht umgangen werden kann, welche dann nach dem Gesetz der exzentrischen Empfindungen in den peripherischen End- ausbreitungen der erregten sensiblen Nervenfasern wahrgenommen wird. Schliesslich bleibt uns noch eine Bemerkung übrig in Betreff der Richtung der Ströme. Dass diese bei den induzirten Strömen der sekundären Spirale eine wechselnde ist, haben wir im § 55 gesehen. Da aber der Oeffnungsstrom als der schneller verlaufende stärker er- regend wirkt, so kommt seine Richtung hauptsächlich in Betracht. Die physiologischen Versuche haben nun gezeigt, dass unter sonst gleichen Umständen die Reizung durch die Induktionsströme an der negativen Elektrode, d. h. dort, wo der Strom aus dem Körper aus- tritt, stärker ist als an der positiven. Man tut daher gut, die kleinere Elektrode, an welcher ja hauptsächlich die Erregung stattfinden soll (beziehlich bei Erregung der sensiblen Nerven den Pinsel) mit dem Ende der Induktionsspirale zu verbinden, welches bei dem Oeffnungs- Induktionsstrom die negative Elektrode wird. Da es aber nicht leicht ist, an dem fertigen Magnetelektromotor zu sehen, wie die Ströme in demselben gerichtet sind, so muss man dies ein für alle Mal durch den Versuch feststellen. Man kann sich dazu der Jodkaliumelektrolyse bedienen. Man verbindet nämlich die Enden der sekundären Spirale mit zwei Platindrähten, welche man nahe neben einander auf ange- feuchtetes Fliesspapier aufsetzt, das mit Jodkaliurastärkekleister ge- tränkt ist. Dann leitet man den Oefthmigsstrom durch das Papier, indem man den schon vorher geschlossenen primären Strom öffnet.

182 Wahl der Kette. Kap. XII.

(Die Feder wird dabei festgestellt, damit sie nicht spiele.) Am posi- tiven Pole entsteht durch das ausgeschiedene Jod ein blauer Fleck. Beim Gebrauche des Apparates muss natürlich der primäre Strom stets dieselbe Richtung haben, wie in diesem Versuch. Man mache sich daher zur Regel, stets die Klemme a (Fig. 48) mit dem Zink, die Säule g mit der Kohle, dem Platin oder Kupfer zu verbinden.

Zum Ingangsetzen des Induktoriums kann man sich eines Daniell- schen Elementes bedienen, welches vollkommen genügt, hinreichend starke Induktionsströme zu erzeugen. Zwei Daniell'sche Elemente hintereinander anzuwenden, bietet gar keinen Vorteil, da bei dem ge- ringen Widerstände der primären Spirale dadurch gar keine Strom- verstärkung erzielt wird (Vgl. § 38). Im Gegenteil tut man vielmehr gut, dem Elemente etwas grössere Dimensionen zu geben, als diese gewöhnlich zu haben pflegen, damit sein Widerstand möglichst gering sei. Auch die Chromsäure-Elemente in ihren verschiedenen Formen, z. B. die Winkelzellen-Elemente (s. S. 27) sind zum Betrieb der In- duktorien bequem, ebenso die Noe'sche Sternsäule 74). Von diesen kann man, wenn es auf sehr starke Wirkung ankommt, zwei hinter- einander schalten, da ihr innerer Widerstand sehr klein ist. Sollte man in einzelnen Fällen mit den so erzeugten Strömen nicht aus- reichen, so würde man, da ein Grove'sches oder Bunsen'sches Ele- ment zu viel Unbequemlichkeiten bietet, am besten ein sogenanntes Flaschenelement von Grenet (s. S. 45) benutzen, oder auch mehrere derselben, die man wegen ilires geringen Widerstands hinter einander schalten kann, ohne dass daraus ein Verlust an Stromstärke erwächst.

§ 84. Duchenne empfahl, sich bei der Erregung der Muskeln lieber des in der primären Rolle erzeugten Extrastromes, bei der Erregung der sensiblen Nerven lieber der in der sekundären Spirale erzeugten Induktionsströme zu bedienen. Wenn Duchenne glaubte, dass eine Verschiedenheit zwischen beiden Arten von Induktionsströmen bestehe, vermöge deren der Extrastrom geeigneter sei, die Muskeln, die Ströme der sekundären Spirale geeigneter, die sensiblen Nerven zu erregen, so war dies ein Irrtum. Alle Ströme, sie mögen erzeugt sein, auf welche Weise immer, sind ihrer Natur nach stets gleich. Verschiedenheiten der physiologischen Wirkung können stets nur ver- anlasst sein durch Verschiedenheiten der Stärke und der Geschwindig- keit, mit der sich diese ändert. Der Grund der Verschiedenheit^ welche Duchenne beobachtete, ist aber nur in zufälligen Umständet zu suchen, welche in dem Bau seines Apparates begründet sind. Die

§ 84. Gebrauch des Extrastromes. 183

sekundäre Spirale des Duchenne' sehen Apparates bestand ncäralich aus sehr zahlreichen Windungen eines ausserordentlich dünnen Drahtes. Die primäre Rolle hatte gleichfalls viel mehr Windungen als bei den jetzt üblichen Induktorien und man musste daher eine ziemlich starke Kette anwenden. Mit der Zahl der Windungen wächst natürlich die elektromotorische Kraft des in ihr erzeugten Induktionsstromes, mit der Länge und Dünne des Drahtes wächst aber auch ihr Widerstand. Dieser war daher bei dem Duchenne 'sehen Apparate ein sehr be- trächtlicher. Benutzte man die sekundäre Rolle zur Erregung der sensiblen Nerven, so kam dieser Widerstand gegen den noch viel grösseren der trockenen Epidermis nicht so sehr in Betracht, man erhielt eine kräftige Erregung. Dahingegen war dieser Widerstand von sehr erheblichem Einfluss auf die Stromstärke, wenn es sich darum liandelte, Muskeln zu erregen. Denn indem man in diesem Falle durch die Anwendung der feuchten Elektroden den Widerstand im menschlichen Körper herabsetzte, blieb doch der Widerstand der In- duktionsspirale so gross, dass der Strom keine erhebliche Stärke er- reichen konnte. Die ungeheure Windungszahl der sekundären Spirale schadete in diesem Falle mehr, als durch die Vermehrung der indu- zirenden Wirkung gewonnen wurde. Benutzte man dagegen den Extra- strom zur Erregung der Muskeln, so bekam man kräftige Wirkungen, da jetzt bei dem geringeren Widerstände des eingeschalteten Körper- teiles selbst bei geringerer induzirender Wirkung die Ströme schon hinreichend stark wurden.

Alle diese Verhältnisse kommen bei dem zweckmässiger gebauten Apparate von du Bois-Reymond in viel geringerem Grade in Be- tracht, weil bei diesem die sekundäre Rolle gar nicht so viele Win- dungen hat, als bei dem Duchenne 'sehen. Ihr W^iderstand ist daher viel geringer, und sie schwächt die Ströme nicht in so hohem Grade. Noch grösser ist der Unterschied bei den primären Spiralen, welche bei den grössten der nach du Bois-Reymond"s Modell gebauten Apparate, wie sie in der Elektrotherapie Verwendung finden, gewöhn- lich nur etwa 250 Windungen eines Kupferdrahts von 1 mm. Durch- messer enthält. Bei diesem Apparate hat es daher gar keinen Sinn, sich des Extrastromes zu bedienen, welcher wegen der geringen AVin- dungszahl der primären Rolle überhaupt nur schwach ist. Ganz falsch aber ist es, dies dadurch gut machen zu wollen, dass man beide Rollen durch Drähte zu einer einzigen verbindet, wie Manche anraten. Denn dadurch schwächt man den primären Strom der Kette, von dessen Stärke doch wieder die Stärke des induzirten Extrastromes

184 Gebrauch des Rotationsapparates und der Influenzmaschine. Kap. XII.

abhängt. Man ist dann genötigt, eine stärkere Kette anzuwenden und erreicht nicht mehr, als man auch mit einem Daniell'schen Ele- mente und Benutzung der sekundären Ströme erreichen kann. Ja sogar man verzichtet auf die Möglichkeit der bequemen Abstufbarkeit dieser Ströme, welche durch die Verschiebung der Rollen gegen ein- ander gegeben ist.

Dahingegen wäre man genötigt, sich des Extrastromes zu be- dienen, wenn aus irgend einem Grunde die Anwendung abwechselad gerichteter Induktionsströme, wie sie die sekundäre Rolle liefert, kontraindizirt sein sollte. In diesem Falle entfernt man die sekundäre Spirale ganz und schaltet den Körper als Nebenschliessung zur pri- mären Spirale ein, zu welchem Zwecke an dem in Fig. 48 dargestellten Magnetelektromotor noch zwei mit der Spirale verbundene Klemmen angebracht sind, von denen die eine in der Figur bei d sichtbar ist.

Die Anwendung der magneto- elektrischen Rotationsapparate ist seit der Verbesserung der Induktorien fast ganz ausser Gebrauch ge- kommen, zumal seitdem die transportablen Induktionsapparate letzterer Art mehr vervollltommnet sind. Die von Siemens angegebenen Ver- besserungen an den Rotationsapparaten, von welchen oben S. 116 die Rede war, werden ihre Wiedereinführung in die Elektrotherapie viel- leicht zur Folge haben.

Es bleibt uns noch übrig, einige Worte über die Anwendung der durch Reibungselektrizität erzeugten Ströme für therapeutische Zwecke zu sagen. Seit der Einführung der Induktionsapparate fast ganz ver- drängt, sind dieselben in neuerer Zeit wieder empfohlen worden, seit- dem durch die Holtz'sche Influenzmaschine, welche wir in § 12 be- schrieben haben, die Aufmerksamkeit wieder auf die so erzeugten Ströme gelenkt, und die Erzeugung kräftiger Ströme leicht gemacht ist. Doch können wir diesem so sinnreichen Apparate für therapeu- tische Zwecke nur eine untergeordnete Bedeutung zuschreiben. Denn diese Ströme leisten nichts Anderes, als kräftige Induktionsapparate. Und nur, wo diese nicht stark genug wirken, würde in einzelnen Fällen, von hartnäckiger Anästhesie z. B., wie Schwanda will, die Anwendung der Influenzmaschine einen Wert haben.

§ 85. Diese Auseinandersetzungen werden genügen, um zu zeigen, wie man in jedem einzelnen Falle zu verfahren habe, um mit Hilfe der Induktionsströme Muskeln oder Nerven zu erregen. In welchen Fällen dies nötig oder nützlich sei, das wird im zweiten Teil des Weiteren erörtert werden. Es bleibt uns nur übrig, noch Einiges über

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§ 85. Gebrauch des lionstanten Stromes. 185

die Anwendung des konstanten Stromes zu sagen. Zur Erregung von Muskelzuckungen oder von Schmerzempfindungen diesen anzu- wenden, scheint unnötig, da zu diesem Zweck die Induktionsströme viel geeigneter sind. Doch gibt es Fälle von Lähmungen, in denen die Induktionsströme ganz unwirksam sind, während die Schliessung und OefFnung konstanter Ströme starke Zuckungen bewirken. Ausser- dem aber kann es aus anderen Gründen vorteilhaft sein, sich kon- stanter Ströme zu bedienen. Die physiologischen Versuche haben ausser der erregenden Wirkung noch andere Einwirkungen der Ströme auf Muskeln und Nerven nachgewiesen. Diese „raodifizirenden" Wir- kungen bestehen in Veränderungen der Erregbarkeit u. s. w., welche zum Teil während der Dauer des Stromes auftreten, zum Teil den- selben überdauern. Leider sind die physiologischen Erfahrungen noch so gut wie gar nicht für eine rationelle therapeutische Verwertung verwendbar. Und alle von den Elektrotherapeuten bisher angegebenen Indikationen für Anwendung des konstanten Stromes können nur als auf (zum Teil sehr vereinzelter) Erfahrung beruhend, angesehen werden.

Für die Anwendung der konstanten Ströme sind dieselben Grund- sätze maassgebend, wie für die Induktionsströme. Auch hier kommt es darauf an, die Bedingungen herzustellen, dass die grösste Strom- dichte an der Stelle oder in dem Gebilde sich finde, auf welches man zu wirken beabsichtigt. Ausserdem aber hat man hier noch darauf zu achten, welche Richtung der Strom hat, da diese auf die Wirkungen von grösstem Einfluss ist, was bei den Induktionsströmen nicht in demselben Maasse der Fall ist.

In der Physiologie ist es üblich, wenn man die Wirkungen elek- trischer Ströme auf die Nerven untersuchen will, die Elektroden an zwei Punkte des freipräparirten Nerven anzulegen und so die Ströme durch eine begrenzte Strecke des Nerven zu leiten. Es hat sich aber herausgestellt, dass die beiden Elektroden in ganz verschiedener Weise auf den Nerven wirken; die Anode oder positive Elektrode setzt die Erregbarkeit des Nerven herab, die Kathode oder negative Elektrode erhöht sie; die Anode wirkt nicht erregend bei der Schliessung des Stroms, wol aber bei der Oeffnung, die Kathode dagegen wirkt erre- gend bei der Schliessung, nicht aber bei der Oeffnung. Wenn man aber beim lebenden Menschen mit elektrischen Strömen auf einen Nerven einwirken will und so verfährt, dass man eine kleine knopf- förmige Elektrode auf diesen Nerven, da wo er möglichst nahe der Oberfläche liegt, aufsetzt, eine zweite grössere Elektrode an irgend

186 Polare Methode. Kap. XIT.

einer andern Stelle des Körpers, so hat man es, vom physiologischen Standpunkt aus betrachtet, mit viel einfacheren Verhältnissen zu tun.

Um dies an einem Beispiel zu erläutern, wollen wir annehmen, wir setzen eine kleine knopfförmige Elektrode auf die Haut unmittel- bar unter dem rechten Perus acusticus externus in dem dort vor- handenen Grübchen der Ohrmuschel mit kräftigem Druck auf, die andere, grössere Elektrode am Nacken unterhalb der Protuberantia occi- pitalis externa. Beide Elektroden seien mit angefeuchteten Schwämmen überzogen und die Hautstellen gleichfalls gut durchfeuchtet, um den Widerstand der Epidermis möglichst zu verringern und das Eindringen des Stroms in die tiefern Teile zu erleichtern. Nach dem, was in den Paragraphen 45 und 46 über die Verteilung der Ströme in un- regelmässigen Leitern und in den vorhergehenden Paragraphen über die Erregung der Muskeln durch Induktionsströme gesagt worden ist, wissen wir, dass der ganze Kopf, ja sogar der ganze Körper von Stromkurven erfüllt sein wird. Die Ströme werden in der rechten Kopfhälfte etwas stärker sein als in der linken, noch schwächer im Hals und Rumpf. Für die Wirkung auf die Nerven kommt aber nur die Stromdichte in Betracht. Diese wird am grössten sein dicht unter der kleinen Elektrode, viel geringer (und zwar im umgekehrten Verhältniss ihrer Oberflächen) an der andern Elektrode und noch kleiner an allen andern Stellen. Nun findet sich unmittelbar unter der kleinen Elektrode der N. facialis dexter. Wählen wir die Strom- stärke so, dass sie gerade ausreicht, um auf diesen eine Wirkung aus- zuüben, so wird an den Nerven, welche der andern Elektrode zunächst liegen, keine Wirkung auftreten, noch weniger an andern Stellen des Kopfes oder gar des Rumpfes. Wir müssten schon sehr viel stärkere Ströme anwenden, wenn* an einer dieser Stellen die Stromdichte hin- reichend gross werden sollte, um auf sie zu wirken. Auch der N. facialis wird nur an einer begrenzten Stelle von hinreichend dichten Strömen getroffen. Der Nerv steht also nur unter der Ein- wirkung einer einzigen Elektrode.

Man hat diese, durch die Verhältnisse notwendig bedingte Art der Einwirkung auf die Nerven die polare Methode genannt; noch bezeichnender wäre unipolare und die von den Physiologen gewöhn- lich am freipräparirten Nerven geübte müsste dann als bipolare bezeichnet werden. Doch kommt es nicht auf den Namen an, sondern nur auf die richtige Auffassung des Sachverhalts. Beachtet man diesen, so ergibt sich vollständige Uebereinstimmung in den Ergeb- nissen beider Methoden.

§ 85. Polare Methode. 187

Angenommen, die auf den N. facialis dexter aufgesetzte Elek- trode wäre die Kathode, so wird man bei Schliessung des Stroms Zuckung in den vom Facialis versorgten Gesichtsmuskeln sehen, nicht aber bei der Oeffnung. Umgekehrt wird es beim Aufsetzen der Anode sein. Nur wenn die Ströme übermässig starke wären, so dass auch an Stellen des Nerven, welche etwas entfernter von den Elektroden liegen, Stromfäden, welche von ihm in die benachbarten Gewebe über- gehen, eine hinreichende Dichte erlangten, um zu wirken, könnte man eine Mischung der Kathoden- und Anoden-Wirkung sehen. Die weitere Verfolgung dieses Gegenstands und die etwaigen Abweichungen, welche in krankhaften Zuständen auftreten können, wird im zweiten Teil ab- gehandelt werden.

Nur eine kleine Abänderung dieses Versuchs wollen wir hier noch erwähnen, weil sie die physikalischen Verhältnisse, die dabei obwalten, gut erläutert. Man setze zwei kleine knopfförmige Elek- troden auf den oben bezeichneten Punkt beiderseits auf. Der Strom wird jetzt im Ganzen schwächer, denn die Widerstände sind im Ganzen grösser als bei der früheren Anordnung. Aber beide Nn. faciales finden sich unter gleichen Bedingungen. Macht man nun den Strom hinreichend stark, damit er überhaupt eine Wirkung gibt, so erhält man eine Zuckung bei der Schliessung des Stroms nur an der Kathoden- seite, bei der Oeffnung nur an der Anodenseite. Macht man die gleichen Versuche mit einzelnen Induktionsschlägen, so ist die Wir- kung an der Kathodenseite stärker, als an der Anodenseite. Induktions- ströme verhalten sich also wie Schliessungen von konstanten Strömen.

Es ist deshalb notwendig, bei Anwendung des konstanten Stroms zwischen der Batterie und den Elektroden einen Stromwender (vergl. § 39) einzuschalten. In der Regel wird ein solcher gleich an den Kästen, in welchen die Batterieen enthalten sind, angebracht.

Ausserdem ist es wichtig, die Stärke des angewandten Stroms leicht und sicher abstufen zu können. Hierzu haben wir zwei Mittel: 1) die Zahl der benutzten Elemente zu ändern, 2) Widerstände ein- zuschalten.

Da der Widerstand des eingeschalteten Körperteils immer ausser- ordentlich gross ist, so können wir die Widerstände der Batterie- Elemente stets als sehr klein im Verhältniss zu jenem ansehen und daher annehmen, dass die Stromstärke proportional der Zahl der Elemente ist (vgl. § 37). Wenn wir also eine Batterie von 50 Ele- menten zur Verfügung haben, so können wir über 50 Stromstufen verfügen, welche der Zahl der benutzten Elemente proportional sind,

188 Elenienlenz.äliler. K;ip. Xl[.

Um eine beliebige Zahl von Elementen einzuschalten und diese schnell wechseln zu können, hat man die Enden der Elemente mit sogenannten Elementenzählern verbunden, an denen die nötigen Verbindungen durch Stöpsel (wie bei den Rheostaten vgl. § 44) oder durch Ein- stellung einer Kurbel hergestellt werden. Als bequemste und sicherste Einrichtung dieser Art kann die von Beetz an der von ihm modifi- zirten Leclanche-Batterie eingeführte gelten, welche mit geringen Modifikationen auch an andern Batterien häufig benutzt wird. Die Elemente sind alle so mit einander und mit oben angebrachten Stiften verbunden, dass man durch Aufsetzen eines Stöpsels auf diese Stifte die verlangte Zahl von Elementen einschalten kann. Um aber beim Uebergang von 20 zu 21 Elementen die Unterbrechung und Schliessung des Stroms zu vermeiden, benutzt man zwei Stöpsel und entfernt den von 20 erst, nachdem man den bei 21 schon eingesetzt hat. Auf diese Weise kann man also von Element zu Element fortschreitend, den Strom allmählich an Stärke zunehmen oder, wenn man rück- wärts geht, abnehmen lassen.

Immer aber ändert sich doch die Stromstärke sprungweise, da man nicht halbe oder viertel Elemente einschalten kann. Will man noch sanftere Uebergänge haben, so muss man Widerstände ein- schalten. Gesetzt, man habe 50 Elemente, jedes von der elektro- motorischen Kraft 2 und einem sehr kleinen innern Widerstand (Ohrom- säure- Elemente entsprechen ungefähr diesen Voraussetzungen). Der Widerstand eines Körperteils, den wir einschalten, sei gleich 5000 Ohm.

2 . 5

Bei Anwendung von 5 Elementen wäre dann die Stromstärke = ^ ' ^

^ 5000

= z= 2 Milliampere, bei 6 Elementen = 2,4 Milliampere u. s. f.

Schalten wir aber zwischen der Batterie und dem Körper einen Rheo- staten als Nebenschliessung ein, so können wir nach den in § 44 gegebnen Regeln der Stromstärke im Körperteil jeden beliebigen Wert geben. Als Rheostaten für diese Zwecke empfehlen sich Flüssigkeits- säulen in Röhren, in denen man einen Metalldraht verschiebt und so wechselnde Längen des Flüssigkeitsfadens einschaltet. Das Nähere hierüber siehe im zweiten Teil.

Um sich in jedem Falle von der Stärke des hergestellten Stroms eine Vorstellung zu verschaffen,- muss man ein Galvanometer ein- schalten. Ist dies ein absolutes, z. B. das Edel mann' sehe oder dessen Taschenbussole, so gibt sie die Stromstärke in richtigem Mass, sonst wenigstens einen ungefähren Anhalt zur Beurteilung. Aber wenn

§ 85. Polarisation. 189

man auch die Stromstärke kennt, so hat man nur das eine der Ele- mente, von denen die Wirkung abhängt. Das Entscheidende ist ja nicht die Stromstärke, sondern die Stromdichte, d. h. die Strom- stärke dividirt durch den Querschnitt. Bei Angaben über therapeu- tische Versuche sollte daher neben der Stromstärke immer auch die Grösse der wirksamen Elektrode notirt werden.

Wenn man auf diese Weise die Stromstärke beobachtet, so wird man finden, dass dieselbe nicht konstant bleibt. Dies kann von einer Inkonstanz der Kette herrühren, da ja vielfach Ketten angewandt werden, welche nicht absolut konstant sind. Viel grösseren Einfluss aber hat die Polarisation und die Veränderung in den Widerständen der tierischen Teile.

Die Polarisation hat ihren Sitz zum grössten Teil an den Elek- troden, da wo der Strom von metallischen Leitungsteilen zu flüssigen Leitern übergeht. Wie wir oben gesehen haben, bekleidet man die metallischen Enden der Elektroden mit angefeuchteten Schwämmen oder ähnlichen Stoffen, um ein inniges Anschmiegen an die Haut zu bewirken und diese feucht zu erhalten. Um diesen Teil der Polarisa- tion zu vermeiden, hat man unpolarisirbare Elektroden konstruirt, ganz nach dem Muster der in § 28 beschriebenen und abgebildeten. Man leitet den Strom durch amalgamirtes Zink in Zinksulfatlösung, welche in Röhren enthalten ist und in dem untern Teil der Röhren an Kochsalzlösung grenzt. Aber auch in der Epidermis und den andern Körperteilen, durch welche der Strom geht, entsteht die soge- nannte innere Polarisation, von welcher am Schlüsse des § 28 die Rede war, und diese kann durch keine Mittel vermieden werden. Auch wirkliche Veränderungen des Widerstands kommen als Folgen des Stromdurchgangs zu Stande. Häufig nimmt der Widerstand ab, und diese Abnahme kompensirt ganz oder teilweise die durch die Polarisation bedingte Stromschwächung.

Diese verwickelten Verhältnisse erschweren sehr die Bestimmung der Widerstände, welche bei der gewöhnlichen Anwendungsweise des konstanten Stroms in der Elektrotherapie etwa vorkommen, abgesehen davon, dass diese, wie wir schon gesehen haben, von der Grösse der Elektroden, dem Grad der Durchfeuchtung der Epidermis und, wenn auch in viel geringerem Grade, von der Entfernung der Elektroden von einander abhängen. Die älteren Angaben über den Widerstand des Körpers haben wegen Nichtbeachtung aller dieser Umstände gar keinen Wert. Ebensowenig kann man mit den Angaben über den spezifischen Widerstand der Gewebe etwas anfangen, da wir es immer

190 Widerstand des Körpers. Kap. XII.

mit Ausbreitung des Stroms in unregelmässigen Körpern zu tun haben, wo Länge und Querschnitt der Bahnen unbekannt sind. Auch sind diese Angaben (z. B. die von Eckhard) nur für tote Gewebe giltig. Für die Verhältnisse, wie sie uns hier beschäftigen, gibt Runge den Widerstand des Rumpfes zwischen Elektroden von 2 3 cm. Durch- messer bei unverletzter Haut zu 2000 5000 Siemens 'sehen Ein- heiten an. .

Bei dem Interesse, welches eine genauere Kenntniss der Wider- stände immerhin bietet, will ich deshalb einige selbst gewonnene Angaben einfügen. Die Widerstandsbestimmungen wurden an zwei Individuen mittels der Wheatstone'schen Brücke (vgl. § 41) ge- macht. Zur Vergleichung diente ein Rheostat aus der Fabrik von Siemens und Halske, der nach Siemens'schen Einheiten abge- teilt war.

Mit unpolarisirbaren Elektroden von 28 mm. Durchmesser erhielt ich Widerstände von 8000 bis 24000 S.E. Der grösste Widerstand ergab sich bei querer Durchleitung durch die Hand, wenn eine Elek- trode auf dem Handrücken, die andre gegenüber an der Vola manus anlag. Die Entfernung der Elektroden von einander hatte einen sehr geringen Einfluss, ein Beweis, dass der Hauptwiderstand in der Haut liegt und um so grösser ausfällt, je dicker die Haut ist, selbst wenn man dieselbe möglichst gut mit erwärmter Kochsalzlösung durchtränkt. Der Widerstand der Haut ist an verschiedenen Stellen sehr ungleich, je nach ihrer Dicke, an der Vola manus grösser als am Handrücken und an diesem etwas" geringer als am Vorderarm. Die Widerstände sind bei verschiedenen Individuen sehr ungleich.

Aus den angegebnen Zahlen geht hervor, dass wir es immer mit so grossen Widerständen zu tun haben, dass die Widerstände der Ele- mente dagegen als sehr klein gelten können. Es würde daher gar keinen Sinn haben, bei der Wahl der Elemente solche zu bevorzugen, welche geringen innern Widerstand haben. Vielmehr werden wir solche Elemente wählen müssen, die möglichst grosse elektromotorische Kraft haben, da wir dann mit einer geringen Zahl von Elementen aus- kommen können. Diesem Umstand haben die Chromsäure -Elemente ihre Beliebtheit zu verdanken. Die Elemente können, da es eben auf ihren Widerstand nicht ankommt, sehr klein sein, und werden dadurch portativ. Stationäre Batterien für konstanten Strom setzt man am zweckmässigsten aus Daniell-, Siemens- oder Leclanche-Ele- menten zusammen. Vergl. die Bemerkungen im Anhang zu Kap. 5.

Ebenso folgt hieraus, dass die Rheostaten, welche zur Abstufung

§85,86. Physikalische Wirkungen. 191

der Stromstärke dienen sollen, sehr grosse Widerstände haben müssen, weshalb sich eben Flüssigkeitsrheostaten am besten dazu eignen.

Als Elektroden wendet man dieselben an, welche bei Induktions- strömen dienen, mit Schwämmen überzogene Platten von verschiedener Grösse. Je grösser die Elektroden sind, desto stärker wird der Strom, desto geringer aber auch verhältnissmässig die Dichte an der Elek- trode selbst. Will man also auf tiefer gelegene Teile wirken, so be- dient man sich zweier recht grosser Elektroden. Soll aber die Wir- kung mehr auf eine bestimmte Stelle lokalisirt werden, so muss die eine Elektrode kleiner sein, um auf jene Stelle aufgesetzt zu werden, wo dann die Stromdichte am grössten wird.

Auf die Sinnesorgane wendet man die Ströme ganz in derselben Weise an. Man sucht den Elektroden stets eine Lage zu geben, bei welcher die Stromdichte in dem betreffenden Organe ein Maximum wird. Aber dies ist nicht immer leicht zu erreichen. Um auf die Retina z. B. oder den N. opticus zu wirken, könnte man die eine Elektrode etwa auf den inneren Augenwinkel, die andere auf die Schläfe aufsetzen. Dabei fällt aber die gerade Verbindungslinie beider Elektroden nur mit einem Teil der Retina zusammen und vor den Optikus. Aehnlich ist es bei anderen Sinnesnerven. Um auf den Akustikus zu wirken, füllt man den äusseren Gehörgang mit lau- warmem Wasser und taucht dahinein einen Draht; als andere Elek- trode setzt man auf die Schläfe oder in den Nacken eine grosse mit Schwamm überzogene Platte. Auf dieselbe Weise würde man auch den M. tensor tympani und den M. stapedius erregen. Die Central- organe des Nervensystems sind durch ihre knöchernen Hüllen hindurch den Strömen ebenso zugänglich wie andere in gleicher Tiefe gelegene Organe. Wegen des Näheren verweisen wir auf den zweiten Teil.

§ 86. Auch für die Anwendung der rein physikalischen Wir- kungen der Elektrizität auf die Gewebe muss man die Regeln über die Stromverteilung beachten. Stets wird man dafür zu sorgen haben, dass da, wo die Wirkung stattfinden soll, die Stromdichte am grössten sei, während man an den andern Stellen keine Wirkung, also geringe Stromdichte haben will. An den letztern Stellen hat man also für möglichst grossen Querschnitt zu sorgen. Da dies zugleich den Wider- stand möglichst verkleinert, so kann man dadurch mit schwächeren Ketten auskommen und dennoch eine genügende Stromstärke erlangen.

Was zunächst die elektrolytische Wirkung des Stromes betrifft, so hat man von derselben Anwendung zu machen versucht zur Zer-

192 Galvanopunktur. Kap. XII.

teilung von Geschwülsten und dergleichen. Doch sind die Erfahrungen über diesen Punkt noch sehr mangelhaft. Bei der Anwendung des Stromes für diesen Zweck wird man sich derselben Ketten bedienen, welche auch für die Anwendung auf Nerven und Muskeln passen, und als Elektroden einerseits eine grosse mit Schwamm überzogene Platte anwenden, während die andre Elektrode aus einer oder mehreren in die Geschwulst einzustechenden Nadeln bestehen müsste.

Von Bedeutung und schon durch günstige Erfahrung erprobt ist von den Anwendungen der Elektrolyse nur die zur Heilung der Aneurysmen. Man bezeichnet dieses Verfahren gewöhnlich mit dem Namen der Galvanopunktur. Es handelt sich dabei um einen Fall der sogenannten sekundären elektrolytischen Wirkung. Wird nämlich ein Strom durch eine Flüssigkeit geleitet, so können die an der einen oder anderen Elektrode durch die Elektrolyse ausgeschiedenen Jonen wieder ihrerseits chemische Wirkungen ausüben. Man nennt dann eben diese Wirkungen sekundär elektrolytische. Dergleichen Fälle haben wir schon bei der Besprechung der konstanten Ketten kennen gelernt, wo durch den ausgeschiedenen Wasserstoff das Kupfer- oxyd zu Kupfer reduzirt wird (in der Daniell'schen Kette) oder Salpetersäure zu salpetriger Säure (in der Grove'schen; Vgl. § 26). Leitet man den Strom durch Hühnereiweiss, Blutserum oder Blut, so werden die Salze dieser Flüssigkeiten zersetzt, am positiven Pole scheiden sich die Säuren aus und machen dort das Eiweiss gerinnen. Bringt man nun einen Strom so an, dass der positive Pol innerhalb einer Arterie oder eines Aneurysmasackes zu liegen kommt, so geschieht diese Gerinnung ebenfalls. An dem ausgeschiedenen Eiweiss setzt sich dann noch das Fibrin an, und man erhält so einen festen Verschluss des Aneurysmasackes. Um dies ins Werk zu setzen, verbindet man mit dem positiven Pole der Kette eine feine Nadel von Platin oder Silber, welche bis auf eine kurze Strecke an der Spitze gut gefirnisst ist. Diese Nadel sticht man durch die Haut und Gefässwand hindurch in das Lumen der zu verschliessenden Arterie, bezüglich 'des Aneurysmasackes ein, so dass die freie Spitze mitten in dem Blute steht. Mit dem negativen Pole verbindet man eine grosse mit Schwamm überzogene Platte, welclie man möglichst nahe dem Aneurysma auf die wohl durchfeuchtete. Haut aufsetzt. Auf diese Weise erhält man einen liräftigen Strom, ohne dass bei dem grossen Querschnitt der negativen Elektrode bedeutende Schmerzerregung statt- findet. Beide Pole mit Nadeln zu verbinden und in das Aneurysma einzuführen, ist nicht rätlich, da die Wirkung doch nur am positiven

§ 86. Galvanopunlvtur. 193

Pole stattfindet, und die etwas grössere Entfernung der Elektroden durch den grossen Querschnitt der negativen mehr als kompensirt wird. Für sorgfältige Isolirung der einzustechenden Nadel durch einen guten Firnissüberzug, welcher nur die Spitze frei lässt, muss man Sorge tragen, damit nicht ein Teil des Stromes seinen Weg durch die das Aneurysma bedeckenden Gewebe nehme und seine Wirkung verfehle. Auch ist es notwendig, die zuführende Arterie während der Operation zu komprimiren, damit nicht die entstehenden Gerinnsel durch den Blutstrom fortgeschwemmt werden und zu Embolien Veranlassung geben.

Die Dauer des Stromdurchganges ri eiltet sich natürlich nach der Grösse des Aneurysmasackes und der Stromstärke. Es lässt sich darüber keine allgemeine Angabe machen, sondern man wird in jedem einzelnen Falle zu entscheiden haben, wann der vollständige Verschluss erreicht ist. In Bezug auf die Stromstärke ist zu bemerken, dass man sich vor zu starken Strömen ebenso zu hüten habe, als vor zu schwachen. Bei den letzteren tritt die Wirkung zu langsam ein, bei zu grosser Stromstärke aber würde an der positiven Elektrode eine stürmische Sauerstoffentwickelung auftreten, und dadurch das aus- geschiedene Gerinnsel sehr aufgelockert werden und nicht die ge- nügende Festigkeit erlangen. Im Allgemeinen wird man mit einer Kette von 20 bis 25 Siemens'schen oder 10 bis 15 kleinen Chrom- säure-Elementen wohl stets ausreichen*).

Die Vorzüge dieser Methode vor den sonstigen Behandlungsarten der Aneurysmen liegen auf der Hand. Die Wirkung geschieht schnell, sicher und ohne die geringste Verletzung, da das Einstechen so feiner Nadeln ja bekanntlich ganz unschädlich ist. Die ungünstigen Erfolge in einzelnen Fällen sind wohl stets durch unzweckmässige Anwendung verschuldet gewesen und nicht der Methode selbst zuzuschreiben. Ihre Anwendbarkeit ist aber nur auf die Fälle beschränkt, wo das Aneu- rysma für die einzuführende Nadel zugänglich ist. Bei tiefer gelegenen wird zu dem Ende eine vorherige Bloslegung nicht zu umgehen sein. Die Galvanopunktur mit der Unterbindung zu verbinden, scheint nicht ratsam, da die letztere die Wirkung der ersteren nicht weiter zu för- dern vermag, und es sich ja gerade darum handelt, die üblen Folgen der Unterbindung zu umgehen. Eine öftere Widerholung der Galvano-

*) Die Anwendung inkonstanter Ströme oder gar solcher von wechselnder

Richtung, wie sie die Induktionsapparate liefern, ist selbstverständlich für die Galvanopunktur ganz zu verwerfen.

Roseiithal u. ßernhardt, Elektrizitätslehre. III. Aufl. 1Q

194 Auflösung der Blasensteine. Kap. XII.

punktiir wird, wenn die erste Anwendung riclitig voi-genomraen worden, wohl selten nötig werden.

Auch für Teleangiektasieen und ähnliclio Geschwülste ist die Galvanopunlvtur anwendbar. Doch sind liier wiederholte Sitzungen mit Wechsel des Einstichpunktes nicht zu entbehren.

Ebenfalls auf sekundärer Elektrolyse beruhend, aber bis jetzt noch nicht für die praktische Anwendung geeignet, ist die Auflösuiig der Blasensteine. Bence Jones hat sich überzeugt, dass eine elektrolytische Auflösung solcher Steine möglich ist. Die Anwendung zur Auflösung in der Blase selbst ist aber bis jetzt noch nicht ver- sucht worden. Es müsste zu diesem Zwecke ein Instrument konstruirt Averden nach Art des Perküteur von Heurteloup, dessen Arme jedoch von einander isolirt sind, um mit den Polen der Kette ver- bunden zu werden. Auch wäre es wohl nötig, die Produkte der Elek- trolyse schnell aus der Blase zu entfernen, da ihr Verweilen in der- selben vielleicht schädlich sein könnte. Zu diesem Behufe müsste das zu gebrauchende Instrument noch gestatten, während der Operation die Blase auszuspülen, etwa nach Art des geteilten Katheters von Cloquet (sende ä double courant). Ein solches Instrument liessc sich ohne grosse Schwierigkeit ersinnen, und es wäre daher wohl der Mühe wert, weitere Versuche über diesen Gegenstand anzustellen.

Mit der elektrolytischen Wirkung verwandt ist die fortführende Wirkung, welche der Strom entfaltet, wenn er Elektrolyte durch- strömt, die in kapillaren Räumen enthalten sind. Es werden dann die Flüssigkeiten im Sinne des Stromes vom positiven nach dem nega- tiven Pole hin in Bewegung versetzt. Man hat hiervon Anwendung zu machen versucht, um Medikamente in den Organismus einzuführen, damit sie auf tiefer gelegene Organe lokal einwirken könnten. Andere AvoUten wieder im Gegenteil im Körper befindliche Substanzen, wie Quecksilber, durch den Strom aus demselben entfernen. Die hierüber gemachten Angaben enthalten wohl sehr viel Falsches neben einigem Wahren. Es ist daher geraten, das Urteil darüber noch aufzuschieben. Praktische Erfolge sind auf diesem Wege noch nicht erzielt.

§ 87. Wir kommen endlich zu einer der wichtigsten Anwendungen des Stromes, welche in der Chirurgie von epochemachender Bedeutung geworden ist, zur Galvanokaustik. Es ist Middeldorpff's Ver- dienst, diesen Zweig der chirurgischen Technik zur höchsten Voll- kommenheit gebracht zu haben. Abweichend von den bisher be- sprochenen Anwendungen handelt es sich hierbei nicht um eine un-

§ 87. Galvanolcaustik. 195

mittelbare Wirkung des Stromes auf die Gewebe, sondern um die Be- nutzung der Wärme, welche der Strom in metallischen Leitern ent- wickelt.

Alle Leiter, metallische wie flüssige, welche von einem Strome durchflössen werden, erfahren dabei eine Erwärmung. Diese ist um so bedeutender, je grösser die Intensität des Stromes und je grösser der spezifische Widerstand des Leiters ist, und zwar ist die Erwärmung proportional dem Quadrat der Stromintensität und direkt proportional dem Widerstände des Leiters. Daraus folgt, dass ein Leiter, welcher in den Schliessungsbogen eingeschaltet ist, um so stärker erwärmt werden muss, je schlechter er, und je besser die übrigen Teile des Schliessungsbogens leiten. Hat man daher eine Kette von starker elektromotorischer Kraft und geringem Widerstände, z.B. ein Grove- schcs oder Bunsen'sches Element von recht grosser Oberfläche, und schlicsst dasselbe durch einen Draht von Platin, welches bekanntlich zu den schlecht leitenden Metallen gehört, so kann man denselben in das heftigste Glühen versetzen, ja sogar schmelzen. Je kürzer und dünner der Draht ist, desto leichter gelingt es, ihn zum Glühen zu bringen. Denn jeder einzelne Teil des Drahtes schwächt durch seinen Widerstand die Stromstärke in allen übrigen Teilen, vermindert also ihre Erwärmung; je dünner aber der Draht ist, um so leichter gerät er auch schon durch eine geringere Erwärmung ins Glühen.

Die Galvanokaustik nun besteht in der Benutzung solcher durch den Strom glühend gemachter Leiter zum Aetzen und zum Schneiden. Sie ersetzt also Glüheisen und glühende Messer. Vor diesen hat sie den grossen Vorzug, dass der Leiter kalt an die Stelle gebracht wer- den kann, wo die Wirkung erfordert wird, dass dann ein einfaches Schliessen des Stromes ihn zum Glühen bringt, und dass er nach voll- brachter Wirkung wieder kalt entfernt werden kann. Sie ermöglicht also die Anwendung des Kauteriums in Tiefen, welche sonst gar nicht zugänglich wären ohne Verletzung der höher gelegenen Teile. Dazu kommt noch, dass die Temperatur, welche man dem Galvanokauter zu erteilen vermag, eine sehr viel höhere ist, als die des glühenden Eisens, und dass diese Temperatur während der ganzen Operations- dauer konstant bleibt (vorausgesetzt natürlich, dass der Strom hin- länglich konstant ist). Endlich kann man noch mit dem durch den Strom glühend gemachten Draht in Tiefen, welche sonst unzugänglich wären, schneiden und zwar ohne Blutung. Diese Andeutungen mögen genügen, die Wichtigkeit der Galvanokaustik klar zu machen. Wir können hier nicht auf die Einzelnheiten der galvanokaustischen Technik

13*

196

Galvanokaustik.

Kap. XII.

—-ß

eingehen, sondern müssen uns, unserer Aufgabe gemäss, auf das Phy- sikalische beschränken. Wir schliessen der leichteren Anschaulichkeit wegen die nötigen Betrachtungen an einen konkreten Fall an.

Gesetzt, eine Geschwulst (Polyp oder dergleichen) in der Tiefe einer Höhle sei zu entfernen. Middeldorpff hat zu diesem Zweck seine galvanokaustische Schneideschlinge, Fig. 70, angegeben, einen glühenden Platindraht, welcher schlingen- förmig um die Basis der Geschwulst gelegt, dann glühend gemacht wird und nun durch langsames Zurückziehen der Schlinge die Ge- schwulst absehneidet und zugleich die Wunde kauterisirt. In Fig. 70 ist A der etwas platt- geschlagene Platiudraht; rm, rm sind die Zu- leitungsdrähte von Kupfer; der eine von ihnen ist bei da durchschnitten und das federnde Ende kann mittels des Knöpfchens h an d ange- drückt werden, wodurch der Strom geschlossen Avird. Diese Form dient zum einfachen Kaute- risiren. Soll, wie oben angegeben, durch Zu- schnüren der Schlinge geschnitten werden, dann führt man die Platindrähte durch Messingröhren, welche ihm den Strom zuführen und bringt am Handgriff einen Wirtel an, mittels dessen man die Drahtenden aufrollt und so die Schlinge zuschnürt.

Ein andrer, von Bruns angegebner Hand- griff, welcher das Ansetzen verschiedener Schlin- gen und Käufer isationsdrähte oder Knöpfe ge- stattet, ist in Fig. 71 (a. f . S ) dargestellt. Wir haben zunächst darauf zu achten, wie dick der Platindraht sei, welchen wir wählen. Je dicker der Draht ist, desto schwerer ist er glühend zu machen, bei zu grosser Dünne aber kann der Draht leicht beim Zuschnüren reissen. Ist der Draht gewählt und um die Geschwulst geführt, so handelt es sich darum, ihm den Strom auf zweckmässige Weise zuzuführen. Dabei muss eine solche Anordnung getroffen werden, dass die Leitung bis zu der Schlinge hin einen mög- lichst geringen Widerstand bietet. Denn dadurch bleibt diese Leitung selbst kalt, während die Schlinge möglichst stark erwärmt wird. Middeldorpff steckt daher die Drahtenden der Schlinge in zwei parallele, durch Elfenbein von einander isolirte Röhren von Messing

Fig. 70.

§ 87.

Galvanolu'iustik.

107

(Kupfer wäre noch besser), welche zugleich als Führung für das Zu- schnüren dienen. Diesen Röhren wird der Strom durch dicke, mit Guttapercha überzogene Kupferdrähte zugeleitet. Zweckmässig ist es, an dem Heft der Schneideschlinge eine Vorrichtung anzubringen, welche den Strom durch einfachen Fingerdruck zu schliessen und zu öffnen gestattet, wie oben bei Fig. 70 angegeben ist.

Nun handelt es sich um die zweckmässige AVahl der Kette. Wir haben schon oben gesehen, dass die Kette eine möglichst grosse elek- tromotorische Kraft und einen mög- lichst geringen Widerstand haben muss. Dies ist um so wichtigster, als selbst die längsten und dünn- sten Drähte, welche etwa zur Be- nutzung kommen könnten, immer doch im Vergleich zu der Kette noch recht gute Leiter sind. Die Daniell'sche Kette ist daher selbst- verständlich ganz ausgeschlossen. Möglichst grosse Grove'sche oder Bunsen'sche Elemente sind am zweckmässigsten, besonders die Form der Bunsen' sehen Elemente, wo die Kohle die Gestalt einer dünnen ziemlich grossen Tafel hat, welche in einer schmalen parallelipedischen Tonzelle steht, während das diese möglichst enge umschliessende Zink in einem ebenfalls parallelipedischen Porzellantroge enthalten ist. Man erhält so Elemente von sehr ge- ringem Widerstände, welche ver- hältnissmässig wenig Flüssigkeit zu ihrer Füllung bedürfen. Aber die schwierige Behandlung dieser Elemente und die mit Recht gerade im Operationsraume gefürchteten Ausdünstungen der Salpetersäure machen es vorteilhafter, von ihnen abzusehen und lieber zu den Chrorasäure- Elementen zu greifen. Aber auch diese müssen so gross wie mög- lich sein, da sie geringen Innern Widerstand haben sollen. Freilich

Ficj. 71.

198 Galvanokaustik. Kap. XII.

sind sie nicht vollkommen konstant, aber da ihre Benutzung gewöhn- lich nur für wenige Minuten nötig ist, so schadet dies nichts. Am vorteilhaftesten ist die Form dieser Elemente, welche in Fig. 26 S. 73 abgebildet ist. Auch die Sekundärbatterien (vgl. § 25) lassen sich vielleicht für kurze Operationen mit Vorteil verwenden.

Eine bedeutende Erleichterung für die praktische Anwendung der Galvanokaustik würde die Einführung der Siemens' sehen dynamo- elektrischen Maschine an Stelle der Batterien darbieten. Wir haben diese Maschine oben im 8. Kapitel bei den Induktionsapparaten auf- geführt. Wir haben aber gesehen, dass man die Ströme derselben so einrichten kann, dass sie wie konstante Ketten wirken. Man kaim mit ihnen Platindrähte in das heftigste Glühen versetzen. Es kommt dabei auch gar nicht darauf an, ob die einzelnen Ströme gleich- gerichtet sind oder nicht, da die Erwärmung des Drahts von der Stromrichtung unabhängig ist. Die Bequemlichkeit dieser Apparate, welche keiner durch ihre Dämpfe lästigen Batterie bedürfen und stets zum Gebrauch bereit sind, leuchtet ein, da es bei chirurgischer Ope- ration wohl selten an der zum Bewegen der Maschine nötigen Kraft fehlen wird.

Bei Anwendung von Batterien aber, gleichgiltig welche der oben erwähnten man benutzen möge, hat man in jedem einzelnen Falle zu entscheiden, wie viel Elemente und in welcher Art kombinirt zu ver- wenden seien, damit der Platindraht die richtige Temperatur erhalte. Ist der Draht lang und dünn, sein Widerstand also gross, so muss man mehr Elemente hintereinander anwenden, bei einem kürzeren und dickeren Draht kann es vorteilhaft sein, die Elemente neben- einander zu kombiniren (Vgl. § 38 S. 72). Zu dem Ende muss man wissen, wie das Verhältniss der Widerstände zwischen dem an- zuwendenden Drahte und den Elementen ist. Die zu wählende Kom- bination würde sich dann leicht berechnen lassen. In der Praxis wird es aber wol stets einfacher sein, die in jedem Falle zweckmässigste Kombination durch Probiren zu finden. Hierbei ist aber Folgendes zu beachten: Legt man die Schlinge um die Geschwulst und schliesst den Strom so wird ein sehr beträchtlicher Teil der im Draht er- zeugten Wärme durch die Gewebe abgeleitet und besonders durch die Verdunstung vern.ichtet. Hat man also vor dem Umlegen der Schlinge die Kombination gesucht, welche den Draht in der Luft gut weiss- glühend macht, so wird er nachher leicht zu kalt sein. Man muss dann den Strom noch etwas verstärken. Dann aber muss man sich hüten, den Strom zu schliessen, während der Draht in der Luft ist.

§ 87. Galvanol<austiIv. 199

er könnte sonst leicht schmelzen. Man niuss daher so verfahren, dass man das Probiren möglichst unter denselben Umständen vornimmt, unter denen die Operation geschehen soll. Man nehme also einen feuchten Körper von dem Umfange der Geschwulst, etwa ein Stück Rindfleisch, lege die Schlinge um, und probire die Kombination aus, bei Avelcher man das Fleisch gut schneiden kann, öffne den Strom, lege die Schlinge um die Geschwulst und operire. Auch ist es gut, eine Einrichtung zu haben, welche gestattet, während der Operation selbst die Stromstärke schnell und einfach zu ändern. Dies wird z. B. nötig, wenn die Geschwulst einen sehr grossen Umfang hat. Schnürt man die Schlinge allmählich zu, so wird sie kürzer, damit aber auch heisser. Ist aber die Schlinge zu heiss, so kann es kommen, dass sie nicht mehr styptisch wirkt. Es ereignet sich dann dasselbe, wie in dem bekannten Leydenfrost'schen Versuche. Die Schlinge um- gibt sich mit einer Hülle von AVasserdampf, welcher ihre Wirkung auf die Umgebung hindert, so dass das Blut nicht gerinnt.

Um nun alle Kombinationen, welche die vorhandenen Elemente gestatten, schnell herstellen und die zweckmässigste wählen zu können, ist es zweckmässig, eine Vorrichtung zu haben, in welcher die Pole der einzelnen Elemente mit Metallklötzen verbunden sind, die auf einem Brette befestigt und mit passenden Einschnitten versehen durch einfaches Einstecken und Ausziehen von Stöpseln in der verschiedensten Weise mit einander verbunden werden können. (Gerade wie dies bei dem in Figur 30 abgebildeten Rheochord geschieht.) Middeldorpff hat schon einen derartigen Apparat angegeben. Um dann auch ge- ringere Aenderungen der Stromstärke herstellen zu können, schaltet man noch in den Strom einen veränderlichen Widerstand ein, einen Rheostaten irgend einer Art. Da es sich dabei aber nur um geringe Widerstände handelt und eine genaue Kenntniss derselben nicht nötig ist, so bedarf es dazu nicht der grossen Stöpselrheostaten. Man kann sich vielnaehr einen solchen für den vorliegenden Fall zweckmässigen Rheostaten herstellen durch eine mit Quecksilber gefüllte Röhre, in welcher man einen starken mit Guttapercha überzogenen und nur an der Spitze freien dicken Kupferdraht hin und herschieben kann. Je tiefer der Draht in die Röhre hineingeschoben wird, desto stärker wird der Strom. Denselben Dienst würde ein kurzes Rheochord von zwei nicht allzudünnen Neusilberdrähten nach dem Muster des in Figur 20 abgebildeten leisten.

In ähnlicher Weise wie bei der Galvanokaustik die Wärme des durch Elektrizität glühend gemachten Platindrahts benutzt wird, kj^nn

200 Endoskopie. Kap. XII.

man denselben auch als Leuchtkraft benutzen. Leiter in Wien hat zu diesem Zweck Apparate konstruirt, welche den glühend gemachten Draht zu verschiedenen endoskopischen Zwecken zu benutzen ge- statten. Man muss jedoch, um die schädliche Wirkung der gleich- zeitigen Erwärmung auszuschliessen, den erwärmten Draht fortwährend mit Wasser umspülen, was die Apparate sehr komplizirt. Viel vor- teilhafter würde es übrigens sein, den Platindraht durch einen Kohlen- bügel in einem luftleeren Räume zu ersetzen, wie es jetzt bei der elektrischen Beleuchtung geschieht.

Eine Beschreibung der Apparate übergehen wir, da sie vom elektrischen Standpunkt nichts Neues bieten. Die Batterie, Leitung u. s. w. müssen ganz ebenso beschaffen sein, wie bei der Galvano- kaustik: grosse Elemente mit möglichst grosser elektromotorischer Kraft und möglichst geringem innern Widerstand, also am besten Chromsäure-Elemente und kurze, dicke Leitungen, soweit dies bei der notwendigen Beweglichkeit der Apparate angeht.

Zweiter Teil.

Kapitel XIII.

Von den für die Elektrodiagnostik und Elektrotherapie notwendigen Apparaten und Hilfsmitteln;

§ 88. üeberblickt man die geschichtlichen Data, welche uns in Bezug auf die Anwendung der Elektrizität als Heilmittel überliefert sind, so lassen sich unschwer bestimmte Zeitabschnitte und Perioden erkennen, die sich prägnant von dem etwas dunklen und verschwommenen Hintergrund abheben, auf dem im Laufe der Zeiten die Entwicklung therapeutischer Maassnahmen und Grundsätze über- haupt vor sich gegangen ist. Denn wie M. Meyer' richtig sagt: Die Geschichte der Elektrotherapie ist die Geschichte der Elektrizität; mit jedem Fortschritt, der unsere physikalischen Kenntnisse von dieser Naturkratt vermehrte, wurden auch den Aerzten die Wege gebahnt, welche sie in Bezug auf die Verwertung derselben für die Zwecke der Therapie zu beschreiten hatten. Mit üebergehung der ältesten, teil- weise wenigstens etwas mythenhaften Berichte von der Benutzung elektrischer Fische (Rochen) zur Heilang meist lähmungsartiger Zu- stände, wären die verschiedenen Versuche namentlich deutscher und französischer Aerzte zu erwähnen, die Wirkungen der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannter gewordenen Elektrisirmaschine für die Behandlung mannigfacher nervöser Leiden zu verwerten. (Kratzen- stein-, de Haen in Deutschland, Jallabert^ in der Schweiz, Mauduyt^ ganz besonders in Frankreich durch seine in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wiederholt an die socictc royale de Medec. zu Paris abgestatteten Berichte.)

Die Ausgangs des vergangenen Jahrhunderts gemachten Ent- deckungen eines Galvani und Volta von der Kontaktelektrizität drängten die zumeist auch ohne Methode angestellten Versuche mit der therapeutischen Anwendung der „statischen'* Elektrizität zunächst wieder in den Hintergrund, Namenilich in Deutschland beschäftigten

'204 Gescliicliiliclio Einleitung. J\;i|i. Xlll

sich Gelehrte und Aerzte mit der Verwertung der neuen Entdeckungen für die Heilkunde: Hufeland, Pfaff, Grapengiesser suchten die Kräfte der von Volta zusammengestellten Säule für die Behandlung der verschiedensten Leiden des Nervensystems und der Sinnesorgane nutzbar zu machen. Es würde offenbar zu weit fähren, näher auf die Versuche dieser Männer an dieser Stelle einzugehen. Doch können wir es uns nicht versagen, namentlich der Verdienste Grapengiesser's zu gedenken, in dessen 1801 zu Berlin erschienenen Buche (Versuche, den Galvanismus zur Heilung einiger Krankheiten anzuwenden) eine Fülle richtiger Beobachtnngen niedergelegt sind, welche erst die jüngste Zeit gleichsam wieder neu entdecken musste*).

Aber auch die epochemachenden Entdeckungen der beiden italieni- schen Forscher vermochten nicht, die Anwendung der Elektrizität dem Gros der Aerzte zugänglich und ihre Benutzung in dem Grade wünschenswert zu machen, wie dies heute der Fall ist: erst mit der fundamentalen Entdeckung der Induktionselektrizität durch Faraday Anfangs der dreissiger Jahre dieses Jahrhunderts und der nun folgen- den Konstruktion wirksamer und handlicher Apparate begann eine neue Aera für unsere Wissenschaft, als deren erster und grundlegen- der Vertreter Duchenne -"^ (de Boulogne) anzusehen ist. Er war es, der uns mit der Methode der lokalisirten Elektrisation (electrisation localisee) Ausgangs der vierziger Jahre beschenkte and als der erste mit Hilfe dieser Methode nicht nur den speziellen Zweig unserer Wissenschaft, die Elektrotherapie, bereicherte, sondern mit bewunderns- wertem Scharfblick und ungeheurem Fleiss unter Benutzung des reichen Materials der Pariser Krankenhäuser die Elektrizität im Dienste der Diagnostik der Nervenkrankheiten als ein unschätzbares Mittel kennen lehrte. Mit vollem Rechte kann man ihn für verschiedene Zweige der Nervenpathologie als einen „Pfadfinder^' bezeichnen, welcher uns Einblicke in viele bis dahin durchaus unerklärt gebliebene Erkran- kungen des Centralnervensystems verschafft hat. Die zahlreichen, mit Hilfe seiner Methode von ihm selbst und seinen Nachfolgern (Erdmann^, Baierlacher^, Schulz, M. Meyer, Althaus^,

I

*) Wir erwähnen hier nur der ve'rschie denen Wirkung der beiden Pole auf die Sinnesorgane, das Geher und das Auge, der Beobachtung, dass die Galvanisation durch den Schädel müde macht, dass der galvanische Strom durch den feuchten Schädel vermittelst der ihn durchbohrenden Blutgefässe dringen und seinen Weg durch das Gehirn und Rückenmark als seinen besten Leiter nehmen kann, dass man durch ganz bestimmte Polwirkung Ohrensausen zu be- seitigen vermöge etc. etc.

§ 88. Geschichtliche Einleitung. 205

Ziemssen^, Benedict '°, M. Rosenthal *i) gemachten Entdeckun- gen auf dem Gebiete der Elektrophysiologie der Muskeln, die Port- schritte, die durch die Benutzung seiner Apparate und Methoden in der Nervenpathologie gemacht wurden, drängten eine Zeit lang die Frage von dem Wert und der Bedeutung des galvanischen (sogenannten konstanten) Stroms ganz in den Hintergrund. Erst als mit dem Anfang der fünfziger Jahre durch die berühmten Arbeiten der Physio- logen (Du Bois-Reymond, Pflüger, Eckhard, J. Rosenthal und Anderer mehr) die Lehre von der tierischen Elektrizität begründet und die Gesetze der galvanischen Muskel- und Nervenerregung fest- gestellt wurden, erweiterte R. Remak'- durch die Wiedereinführung des galvanischen Stroms als eine ärztliche Untersuohungs- und Be- handlungsmethode unsere Kenntnisse von der Wirksamkeit der Elek- trizität in vorher nicht geahnter Weise; auf dem von ihm gelegten Fundamente suchten innerhalb der letzten 25 Jahre die verschieden- sten Forscher und nicht zum wenigsten solche deutschen Namens, das Gebäude der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie auf- und aus- zubauen.

Manche von den Hoffnungen Remak's, die der für seinen Gegen- stand begeisterte Forscher selber gehabt und bei anderen angeregt hatte, sind vor einer unparteiischen Kritik zu nichte geworden; aber vieles ist seitdem durch eminente Arbeiter auf diesem Gebiet (Brenner'^, Erb'^, Neumann, Hitzig, Eulenburg, Filehne, Seeligmüller, Bärwinkel, Rossbach'^, Berger, E. Remak [Sohn] ^*^, Fieber!^, Pierson'^ und Andere) neu hinzugekommen und fest begründet worden. Neben einer Reihe von Lehr- und Hand- büchern liegen aus den letzten 15 Jahren eine grosse Fülle kleinerer und grösserer Aufsätze vor, welche sich, teils rein physikalischer^^, teils nur elektrodiagnostischer oder elektrotherapeutischer Natur, mit unserem Gegenstande beschäftigen; fast alle Kulturländer -^ haben tüchtige Arbeiter auf diesem Gebiete gestellt; Alle werden, weit ent- fernt davon, zu glauben, einen Abschluss erreicht zu haben, von dem Gedanken und der Hoffnung beseelt, das mühevolle Werk zu fördern und in rastloser Arbeit die noch immer in grosser Zahl vorhandenen Schwierigkeiten zu überwinden. Wir werden weiterhin Gelegenheit haben, noch vieler deutscher und fremdländischer Forscher zu ge- denken, die durch ihre wertvollen Beiträge unsere Kenntnisse ver- mehren halfen; in dem am Ende gegebenen Literaturverzeichniss wird man hoffentlich keine wichtigere Arbeit vergebens suchen.

206 Ausübung der Elektrotherapie. Kap. XIII.

§ 89. Es liegt auf der Hand, dass, wer sich mit der praktischen Ausübung der Elektrotherapie beschäftigen will, vor Allem die Kennt- niss von der Elektrizität als eines Zweiges der Physik erwerben muss; dazu kommt für den Mediziner die Notwendigkeit, die speziell für ärztliche Zwecke konstruirten Apparate mit allen ihren Nebenutensilien kennen zu lernen. Ausgerüstet mit dem hierzu Wissenswerten wird er sich mit den Methoden vertraut machen müssen, die verschiedenen Affektionen des peripheren und zentralen Nervensystems mittelst der Elektrizität zu untersuchen und die verschiedenen Wirkungen kennen zu lernen, welche durch die Applikation der Elektrizität auf die ein- zelnen Gewebe und Organe ausgeübt werden; erst dann wird es er- möglicht, in klarer Weise Anleitungen zur Behandlung der ver- schiedenen Erkrankungen zu geben. Der Elektro therapcut, d. h. derjenige Arzt, welcher bestrebt ist, durch die Anwendung der Elek- trizität Krankheiten zu behandeln und zu heilen, nimmt in sofern in diesem Zweige seiner Tätigkeit eine ganz besondere Stellung ein, als er mit denselben x\pparaten sowohl untersuchen, als auch behandeln soll. Es mag dieser Ausspruch nicht so missverstanden werden, dass man glaubt, es sei für den Arzt, der Nervenkrankheiten be- handeln will, die alleinige Kenntniss elektrotherapeutischer Prozeduren ausreichend; im Gegenteil: der wissenschaftlich gebildete Arzt, speziell der Nervenpathologe muss sowohl in allen Zweigen der heute gang- baren Untersuchungsmethoden eingeweiht, als auch mit ausreichenden anatomischen sowie physiologischen Kenntnissen ausgestattet sein; steht aber einmal der Plan für ihn fest, irgend eine Affektion mittelst Elektrizität zu behandeln, so ist für ihn der elektrodiagnostische und der elektrotherapeutische Apparat im Grossen und Ganzen derselbe.

Es dürfte wohl kaum einem Widerspruch begegnen, wenn man sagt, dass in unseren Tagen die Anwendung der Induktionsströrae (der Faradisation) und der Gebrauch der konstanten Ströme (der Galvanisation) den Hauptinhalt dessen ausmachen, was gekannt und geübt werden muss. Ueber die Anwendung der statischen Elektrizität soll in einem Anhange das Nötige beigebracht werden.

Was nun zunächst die Lehre von der Induktionselektrizität be- trifft, so findet man im Kapitel VIII. (§§ 47 56) die nötige Auf- klärung. Ueber diejenigen Induktionsströme, welche durch Stahl- magnete erzeugt werden und früher für elektrotherapeutische Zwecke vielfach verwandt wurden, siehe § 56. Die hierher gehörigen Apparate sind neuerdings wegen ihrer meist einen Gehilfen erfordernden und dadurch erschwerten Handhabung ausser Gebrauch gekommen, zum

§ 89. Schlitteninduldorium. 207

Teil auch deswegen, weil sie die Möglichkeit einer zu elektrodiagnosti- schen Zwecken nötigen Abstufung der Stromstärke nur in unvoll- koramner Weise gewähren. Der vollkommenste der nach dem Neef- schen Muster gebauten Apparate zur Erzeugung von Induktionsströmen ist das von du Bois-Reymond konstruirte Schlitteninduktorium, dessen genaue Beschreibung in § 54 gegeben ist. Die von Helm- holtz eingeführte Einrichtung zur Vermeidung der grossen Ungleich- heit in der Wirkung der Schliessungs- und Oeffnungsinduktionsströme (der sekundären Spirale) hat für die elektrotherapeutische Praxis eine geringere Bedeutung wie für den Physiologen, kann daher an den für die Praxis bestimmten Apparaten ohne Schaden fehlen. (Vgl. § 55.)

§ 90. Das Schlitteninduktorium gestattet die Benutzung der von beiden Spiralen gelieferten Ströme. Was die Möglichkeit der Ab- stufung dieser Ströme in Bezug auf ihre Stärke angeht, so ist der Strom der sekundären Spirale am stärksten, wenn dieselbe ganz und gar über die primäre hinübergeschoben ist, wenn beide „Rollen^* sich decken und ihr Abstand gleich Null ist. Es empfiehlt sich, ent- weder an den Seiten oder in der Mitte der Schlittenbahn, auf welcher die sekundäre Spirale gleitet, eine Skala in Centimeter und Millimeter eingeteilt und am Schlitten selbst einen Zeiger anzubringen, um so den Rollenabstand mit Leichtigkeit ablesen zu können. Den Null- punkt setzt man dorthin, wo der Zeiger steht, wenn die Spiralen oder Rollen ganz übereinander geschoben sind, was, je nachdem die Skala an dem Seitenbrettchen oder in der Mitte des Schlittens angebracht ist, am vordersten oder hintersten Ende der sekundären Spirale statt- finden wird. Einige setzen auch den Nullpunkt dahin, wo eben die sekundäre Spirale mit ihren vordersten Windungen die^ hintersten der primären Spirale deckt; man hat dann beim Entfernen der sekun- dären Spirale von der primären einen positiven, beim weiteren Hinüber- führen aber über die primäre einen sogenannten negativen „Rollen- abstand" zu verzeichnen, was eine unnütze Komplikation abgibt. Ist der Eisenkern (aus einem Bündel dünner Drähte bestehend, vgl § 52) ganz in die Höhlung der primären Spirale hineingeschoben, und deckt die sekundäre Rolle die primäre vollständig, so hat der Strom der sekundären Spirale seine grösstmögliche Stärke erreiclit. Mit der Vergrösserung des Rollenabstands und der allmählichen Heraus- nahme des Eisenkerns (der seinerseits wieder eine Millimeterskala aufgeklebt tragen kann) wird die Stärke des Stromes der sekun- dären Spirale vermindert. An manchen Apparaten findet man nacli

208 Faradischer Strom. Kap. XIII.

Duchenne's Vorgang zur Abschwächung des Stroms der sekundären Spirale noch die Einrichtung (vgl. § 52), dass zwischen die beiden Spiralen eine metallne Röhre eingeschoben wird, durch deren allmäh- liches Herausziehen die abschwächende Wirkung immer geringer wird. Genaue Bestimmungen über die Wirksamkeit eines Induktorium zu machen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Elektrophysikers (vgl. hierüber § 54), da die Stromstärken nicht etwa einfach den Rollenabstän^en entsprechen, auch nicht einfach im umgekehrten Ver- hältniss zu ihnen ab- oder zunehmen.

Der primäre Strom (es ist dies der § 50 genauer besprochene Extrastrom oder Extrakurrent) kann, wie der sekundäre, durch Hinein- schieben oder Herausziehen des Eisenkerns verstärkt, resp. abgeschwächt werden. Schliesst man die sekundäre Spirale durch einen kurzen kupfernen Bügel, so wird dadurch die Stärke des primären Stroms wesentlich beeinflusst, gleichwie durch eine zwischen beide Spiralen eingeschobene kupferne Röhre (vgl. oben S. 102): beide Möglichkeiten der Abstufung sind in den von Stöhrer gelieferten grossen trans- portablen Induktionsapparaten gegeben.

Hiermit sind aber die Möglichkeiten, die Stärke der Induktions- ströme abzustufen, noch nicht erschöpft. Man kann, wie dies z. B. Duchenne und Mor. Meyer getan haben, den Strom vor seinem Eintritt in den Körper durch ein mit Wasser gefülltes Glasrohr (Mo- derator) gehen lassen; je nachdem der Strom eine grössere oder ge- ringere Strecke durch das Wasser hindurch zurückzulegen hat, erleidet seine Stärke eine bedeutende oder nur massige Abschwächung. Um die Applikation induzirter Ströme so milde wie möglich zu machen, hat Brenner-^ zugleich in der Absicht, eine noch feinere Abstufung der Stromstärke zu bewirken, als es durch ein blosses Annähern oder Abziehen der sekundären Spirale von der primären möglich ist, einen metallischen Rheostat (vgl. § 44) in Nebenschliessung eingeschaltet. Die gegen diese Abstufungsmethode von E. Remak^'^ erhobenen Ein- wände gelten nicht ^^, wenn es sich um den Gebrauch des primären Stromes handelt; ja es gelingt sogar, den Strom der primären Spirale durch Einschaltung des Rheostaten in den Hauptstrom in seiner Stärke abzustufen ; bei Einschaltung von 3000 S. E. empfindet man auch bei vollkommner Entfernung der sekundären Spirale und ganz in die primäre Rolle hineingeschobenem Eisenkern wenig: sehr langsam und allmählich steigt der Strom an, wenn man die Widerstände allmählich geringer werden lässt. Es begreifen sich diese Dinge leicht, wenn man bedenkt, dass bei einem gewöhn-

§ 90. Faradischer Strom. 209

liehen (z. B. von der Firma R. Krüger in Berlin gelieferten) Schlitten- apparate nach du Bois-Reymond die primäre Spirale etwa 280 Win- dungen eines dicken, 25 Meter langen Drahts von kaum ^/,o S.E. Widerstand hat, Avährend die sekundäre Spirale bei etwa 4733 Win- dungen eines sehr viel dünneren und etwa 900 Meter langen Drahts einen Widerstand von etwa 219 S.E. repräsentirt.

Wendet man nun den Extrakurrent zur Erregung von Muskel- kontraktionen an, wobei man ja den Widerstand der Haut durch alle möglichen Mittel abzuschwächen sucht (vgl. § 82), so kann man bei dem so geringen Widerstand der Windungen der primären Spirale durch die Einschaltung von Rheostateinheiten eine Stromstärkenabstufung in sehr milder Weise erzielen. Anders bei den Strömen der sekundären Spirale; deren Stärke hängt ab von der Stärke des primären Stroms, von der Anzahl ihrer eignen Windungen und endlich von ihrer grösseren oder geringeren Entfernung von der primären Spirale. Namentlich letzteres, durch einfache Rechnung nur schwer zu be- stimmende Moment und dazu der eigne ziemlich bedeutende Leitungs- widerstand in den dünnen Drähten der sekundären Spirale machen die Benutzung der Rheostateinschaltung, gleichviel ob in Haupt- oder Nebenschluss, fast ganz unwirksam.

Um die Schwingungen des Hammers schneller oder langsamer zu machen, bedient man sich des § 55 angegebenen Kunstgriffs. M. Meyer erreicht denselben Zweck, indem er eine Einrichtung ge- schaffen, welche es verstattet, den an seinem einen Ende durch eine Messingkugel beschwerten Hammer bis fast um das Doppelte zu ver- längern.

Da für die clektrotherapeutischen Maassnahmen die Oeffnungs- ströme der sekundären Spirale wegen ihres schnelleren Verlaufs und ihrer bedeutenderen physiologischen Wirkungen hauptsächlich in Betracht kommen, so gilt es, für diese Ströme die Pole und speziell wieder den physiologisch wirksameren negativen Pol sicher zu bestimmen. Man bedient sich dazu einmal des in § 83 angegebenen Verfahrens oder der sogleich zu beschreibenden praktischen, schnell ausführbaren Methode. Im Gegensatz zu der wechselnden Richtung der Ströme der sekundären Spirale, ist diejenige der sogenannten „primären** Ströme immer eine und dieselbe. Es nehmen aber bei den stets in derselben Richtung durch die primäre Rolle geleiteten Strömen die Eisenteile des Apparats leicht etwas dauernden Magnetismus an. Es genügt nun, hin und wieder einmal den Strom in entgegengesetzter Richtung durch den Apparat zu leiten, um dies zu verhindern. Man vergesse

Hosen thal ii. Bernhardt, Elektrizitätslelire. llf. Aufl. \a

210 Induktionsapparate. Kap. XIII.

dabei aber nicht, dass dann auch die Pole der sekundären Spirale sich ändern werden; praktisch kann man durch Reizung sensibler Teile des Körpers oder homologer Muskeln (z. B. im Gesicht) an der stärkeren Wirkung oder dem Eintritt derselben Wirkung bei grösserem Rollenabstand leicht den physiologisch stärker wirkenden negativen Pol erkennen.

§ 91. Für denjenigen, welcher möglichst genaue elektrodiagno- stische Untersuchungen anstellen will, wird der du Bois'sche fest aufgestellte Schlittenapparat mit der Millimeterskala, der eventuellen Verbindung mit einem Rheostaten und den übrigen oben beschriebenen Vorrichtungen immer die am meisten vorzuziehende Einrichtung des „faradischen oder Induktionsapparats" bleiben. Der Praktiker aber, welcher den Apparat nicht selten zu dem Kranken mitzunehmen hat, dem es ferner auf minutiöse Genauigkeit weniger ankommt, als auf eine zwar sichere, aber doch schnelle Konstatirung des Tatsächlichen, vor Allem aber auf Bequemlichkeit und Sicherheit im- Gebrauch zu Zwecken der Therapie, wird sich der in neuerer Zeit in reichlicher Anzahl konstruirten sogenannten transportablen Induktionsapparate bedienen, wie sie von den verschiedensten Firmen in einer allen Zwecken der Praxis genügenden Weise konstruirt worden sind und wie ein solcher von Hirschmann (übrigens auch von Krüger) in Berlin ausgeführter, schon § 54 beschrieben und abgebildet worden ist.

Diese Apparate, sowie die von St Öhr er angefertigten, können auf das Angelegentlichste als gut und brauchbar empfohlen werden.

Noch kompendiöser als die eben erwähnten Apparate und für den praktischen Arzt, soweit er gelegentlich sich des Induktionsstroms zu bedienen hat, vollkommen ausreichend, ist. der von Spamer'^* angegebene, von R. Krüger in Berlin angefertigte Induktionsapparat, der in Figur 72 (s. f. S.) dargestellt ist.

Es wäre eine nicht unbedeutende und andererseits keine lohnende Arbeit, alle diejenigen Induktionsapparate zu beschreiben, die sowohl in Deutschland wie in Frankreich, England, Amerika für den Gebrauch des Arztes fabrizirt werden. Gewiss gibt es unter ihnen recht brauch- bare und zweckentsprechende: indess begnügen wir uns mit der An- gabe der oben beschriebenen, da sie allen billigervv'eise an sie zu stellenden Anforderungen durchaus entsprechen.

§ 92. Zur Anwendung des konstanten, galvanischen Stromes bedient man sich einer aus einer Summe von konstanten Elementen

§ 92.

Batterie (konstanter) Strom.

211

zusammengesetzten galvanischen Batterie. Das in Norddeutschland wenigstens für die nicht transportablen Batterien vorwiegend ver- wendete Element ist das Daniell'sche in der ihm von Siemens gegebenen verbesserten Form. (Vgl. § 26).

Fig. 72.

Das Element (vgl. Fig. 73) befindet sich in einem Glase, an dessen Boden eine Tonzelle ruht, in welcher ein nach oben über den Glasrand hinausragender Glaszylinder eingekittet ist. Diese Tonzelle ist von einer Schicht papier mäche umgeben, die fest in das Glas hineingepresst ist. Innerhalb der Tonzelle liegt auf dem Boden des Glases ein mehrfach gewundenes Kupferblech , an welches ein nach oben aus dem Glaszylinder hinausragender Draht vom selben Metall angelötet ist. Auf der von einem Barchentlappen bedeckten Oberfläche der Papiermächemasse ruht ein Zink- zylinder: der Hohlraum des Glaszylinders wird mit Kupfervitriolstücken und Wasser gefüllt, das Zink einfach mit Wasser umgeben; die durch die Elektrolyse aus dem Kupfervitriol frei werdende Säure genügt, um das den Zinkzylinder um- spülende Wasser dauernd in angesäuertem Zustand zu erhalten.

50 60 derartige Elemente in einem eigens hierzu fabrizirten Schrank aufgestellt, bilden die Grundlage der hier in Berlin, sei es

14*

212

Stromwcähler.

Kap. XIII.

von Krüger oder von Hirsch mann gelieferten Batterie, welche des Vorteils der Trausportabilität zwar entbehrend, in sich mit den als- bald zu besprechenden Nebenapparaten Alles vereinigt, was der speziell sich mit der Elektrodiagnostik befassende Arzt oder der Klinil^er im Hospital von Nöten hat. Die im Schranke aufge- stellten Elemente sind hintereinander (Kupfer mit Zink, dieses wieder mit Kupfer und so fort) verbunden. Um nun beliebig viele Elemente zur Benutzung heranziehen zu können, bedient man sich der „Strom- wähler'' oder „Tableau" genannten Vor- richtung. Eine aufrecht stehende oder liegende Holzplatte trägt in zAvei Halb- kreisen angeordnet, je nachdem 12 oder 17 oder 22 durch schmale Einschnitte von einander getrennte Metallklötzchen, die links von der Mitte angefangen die Zahlen 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6—10, oderO, 2, 4, 6, 8, 10 und rechts 0, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 35, 40, 45, 50 oder 0, 10, 20, 30, 40, 50 tragen und die Zahl der mit ihnen durch Telegraphendrähte verbundenen Ele- mente anzeigen. In der Mitte beider Halb- kreise bennden sich zwei mit isolirenden (Elfenbein-) Griffen versehene metallne Kurbeln, durch welche man, je nachdem man sie mit den ein- zelnen metallnen Kontaktknöpfen in Verbindung setzt, beliebig eine ge- wisse Anzahl von Elementen zur Benutzung und Ableitung nach aussen hin (durch die in die Klemmschrauben K und Z [Kupfer- und Zinkpol] einzuklemmenden Leitungsdrähte) auswählen kann. Stehen beide Kurbeln sich gerade gegenüber auf 0 (rechts und links), so wird gar kein Strom abgeleitet: steht die linke auf 7, die rechte auf 0, so wird der Strom von 7 hinter einander verbundenen Elementen benutzt, steht die linke Kurbel auf 5, die rechte auf 20, so sind 25 Elemente in Gebrauch und so fort. Da die durch Zahlen unterschiedenen Metall- knöpfe nur durch ganz schmale Einschnitte von einander getrennt sind, so findet bei der Breite der Kontaktknöpfe an den Kurbeln niemals eine wirkliche Stromesunterbrechung statt.

Zu diesem Apparate gehören nun noch zwei Vorrichtungen, die auf der beigegebenen Figur mit den Buchstaben G und C bezeichnet sind, das Galvanoskop und der Kommutator (Strom Wechsler). Das

§92.

Sti'oiuwähler.

213

erstere wie die Figur zeigt in den Stromkreis eingeschaltet, gibt nach Entfernung des bei a gezeichneten Stöpsels durch den geringeren oder grösseren Ausschlag der Magnetnadel die Stromstärke an. Bleibt der Stöpsel a in der Oeffnung der beiden Messingblöcke stecken, so geht durch diese vortrefflich, jedenfalls aber besser als die die Magnetnadel

Ficj. 74.

umgebenden Drahtmassen leitende Verbindung der ganze Strom, ohne die Galvanoskopdrahtwindungen zu passiren (vgl. §§ 41, 42).

Der Wechsel der Stromrichtung wird durch die mit C bezeiclineie, unterhalb des Galvanoskops angebrachte Vorrichtung (vgl.S. 67) bewirkt.

214 Stromwender. Kap. XIIL

Steht die Kurbel auf N (Normalstellung), so ist K in der Tat der Kupfer- pol (oder der positive oder die Anode) und Z in der Tat der Zinkpol (oder der negative oder die Kathode) : wendet man dagegen die Kurbel von N auf W (Wendung), so ist aus K Z und aus Z K geworden.

Auf diese Weise gelingt es, den Strom im metallischen Teil zu. wenden, aber auch zu öffnen und zu schliessen. Um die Wendung gleichsam momentan zu machen und das nicht leitende Gummistück der Axenscheibe zu verkleinern, hat Brenner noch ein auf und ab- wärts zu verschiebendes Messingstück angebracht, durch welches die nicht leitende Partie (und damit die Zeit der Stromunterbrechung) auf ein Minimum gebracht wird. (Vgl. die unterstehende Figur.)

Fig. 75.

Die Klemmschrauben für die Leitungsdrähte sind vom Mechaniker mit den Buchstaben K und Z oder mit den Zeichen -|- und versehen, so dass man, wenn der Kommutator auf N (Normalstellung) steht, nicht erst zu untersuchen hat, was Anode, was Kathode ist. Die Erfahrung lehrt aber, dass dann und wann z. B. nach der Eeinigung des Apparats (siehe unten) durch einen Gehilfen oder auch von Beginn an aus Versehen die Verbindung der Drähte un- richtig angebracht sein kann. Man prüfe also jedesmal selbst nach, ob die Pole auch in der Tat ihre richtige Bezeichnung tragen. Dazu dient die Jodkaliumstärkelösung, die man durch 4 5 Elemente elek- troly tisch behandelt: am positiven Pol scheidet sich das selbst negativ elektrische Jod aus, hier tritt die Blaufärbung ein. In Ermangelung einer Jodkaliumsolution tauche man die Drähte des Apparats in Wasser: die starke und relativ grossblasige Gasentwicklung des selbst positiv elektrischen Wasserstoffs an dem negativen Pol (Kathode) sticht deutlich gegen die kaum wahrnehmbare Sauerstoff-

§ 92, 93. Polbestimmung. 215

entwicklung am positiven Pole ab. Führt man ferner die Drähte auf befeuchtetes rotes oder blaues Lackmuspapier, so tritt bei Benutzung z. B. des blauen Papiers am positiven Pol durch die ausgeschiedene Säure eine Rotfärbung, beim roten Lackmuspapier am negativen Pol durch die ausgeschiedenen Alkalien eine Blaufärbung ein.

Verbindet man schliesslich den einen Draht mit einer grösseren, wohl angefeuchteten Elektrode, den andern mit dem elektrischen (trocknen) Metallpinsel und setzt beide Elektroden irgend wo auf die Haut auf, so deutet schon bei Benutzung von etwa 10 Elementen die intensive Schmerzempfindung an der Stelle, wo der Pinsel aufruht, darauf hin, dass derselbe mit dem negativen Pole verbunden ist; der mit dem positiven Pol verbundene Pinsel macht kaum einen schmerzhaften Eindruck.

Die Konstanz des Stromes ist bei der Anwendung der Siemens- sclien Modifiliation der D an i eil' sehen Elemente durch das so beträcht- lich verdickte Diaphragma (papier mäche und Tonzelle) und die da- durch sehr verlangsamten und gemässigten elektrolytischen Prozesse eine ausserordentliche. Man hat nur nötig, alle 4 6 Wochen Wasser nachzufüllen und Kupfervitrioistücke in den inneren Glaszylinder hin- ein nachzugeben. Zweimal jährlich wird man gut tun, die Batterie reinigen zu lassen (Ersatz, resp. Neuamalgamirung der Zinkzyliuder, neue Barchentlagen unter den Zylindern, eventuell leichte Ansäuerung des die Zinkzylinder umgebenden Wassers durch sehr verdünnte Schwefelsäure); eine vom Fabrikanten auszuführende ürastopfung der Elemente (Erneuerung der Papier- Mächemasse) ist erst nach 2 bis 3 jährigem Gebrauch erforderlich.

§ 93. Dieser soeben beschriebene Apparat hat nun seit dem Ende der 60er Jahre speziell durch die Bemühungen Brenner* s wesentliche Verbesserungen, Umänderungen und Zusätze erfahren.

Als die bedeutendste Verbesserung ist es zunächst zu erachten, dass durch Brenner sämmtliche in der Praxis zu benutzenden elek- trischen Ströme (der konstante Strom, der Strom der sekundären Spirale, der Extrakurrent der primären) und die dazu nötigen Nebenvorrich- tungen auf einer Platte, welche den die Elemente enthaltenden Kasten deckt, vereinigt und in ungemein praktischer Weise so an- geordnet sind, dass man durch eine leicht handliche Kurbelverschiebung von denselben Klemmschrauben alle drei Stromesarten ab- leiten kann. (Man vergi. Fig. 76 a. S. 218.) Es wird durch diese Einrichtung dem untersuchenden wie dem behandelnden Arzt die Au-

216 Rheostateinschaltang. Kap. XIII.

Wendung der einzelnen Stromesarten und ihr schneller zur Erzielung einzelner therapeutischer Erfolge notwendiger Wechsel ungemein er- leichtert.

Weniger Gewicht muss andererseits auf einige von Brenner be- nutzte Einrichtungen gelegt werden, die teils durch andere, ebenso zweckdienliche zu ersetzen sind, welche sogar den Vorzug grösserer Handlichkeit für sich haben, teils in Anbetracht ihres hohen Preises und des relativ geringen Wertes für die Praxis überhaupt entbehrlich erscheinen. Zu den ersteren gehört die für das Tableau gewählte Stöpselvorrichtung, welche durch die neuerdings von Krüger sowohl wie von Hirsch mann gewählten breiten Kontaktflächen der Kurbeln und den schmalen Spalten zwischen den die Elementenzahl anzeigen- den Metallblöcken entbehrlich gemacht Averden. Letztere Vorrichtung (vgl. oben S. 212) ist entschieden bequemer zu handhaben als die Stöpselung und jedenfalls ebenso sicher: in Bezug auf die Abstufung der Stromstärke haben wir durch die Einschaltung gut gearbeiteter Rheostaten in Nebenschliessung eine Vorrichtung gewonnen, die an praktischer Brauchbarkeit und wissenschaftlicher Exaktheit zur Zeit allen Ansprüchen zu genügen im Stande ist.

Zwei andere an den spezifisch Brenner 'sehen Apparaten ange- brachte Vorrichtungen: das Rheotom und der selbsttätige Unterbrecher sind gleichfalls zu entbehren. Daher mag hier die Beschreibung der komplizirten Apparate unterbleiben.

Anders verhält sich die Sache mit einem ebenfalls zuerst von Brenner in die Elektrodiagnostik und Elektrotherapie eingeführten, den Physiologen wie den praktischen Elektrikern (Telegraphisten) längst bekannten Instrumente, dem Siemens 'sehen Widerstandsmesser oder dem Rheostaten. (Vgl. Teil I. S. 88.) Ebenso wie die Kurbelvor- richtung für das Tableau, so muss dieselbe Vorrichtung auch in Bezug auf den Rheostaten, was ihre leichtere Handhabung betrifft, den Vorzug erhalten vor der Stöpselvorrichtung. Schwankungen in der Strom- stärke, Oeffnungen und totale Unterbrechungen des Stromes kommen bei nicht ganz gesammelter Aufmerksamkeit des Experimentirenden durch die Benutzung der Stöpselvorrichtung viel leichter vor, als bei Benutzung von Kurbeln. Dabei ist es gleichgiltig, ob der Kurbel- rheostat in Nachahmung des Siemens' sehen Stöpselrheostaten aus drei oder vier auf einem Holzbehälter vereinigten Kurbeln besteht, welche Widerstände nach Einheiten, nach Zehnern, nach Hunderten etc. einzuschalten gestatten oder ob die Rheostaten in Kreisform ange- ordnet mit einer Kurbel die Einschaltung von Widerständen von

.§93. Stromlauf. 217

1 bis zu beliebiger Höhe (meist bis 3000 4000) gestatten. Letzteres ist für die praktische Anwendung noch bequemer, da durch sie die auf der Deckplatte des Apparates befindlichen Kurbeln um 2 3 ver- mindert und der freie Raum um ein nicht Unbedeutendes vergrössert wird.

Anmerkung. Neben den Stöpsel- oder Kurbelrheostaten aus Metall hat man (Runge, Stöhrer^^) einen freilich viel billigeren Flüssigkeitsrheostaten empfohlen, der im Wesentlichen aus einem mit einer Metallfassung am Boden ver- sehenen und concentrirter Zinkvitriollösung gefüllten Glasrohr besteht, in welches von oben her ein in einer Zinkkugel endigender beweglicher und gut isolirter Zinkdraht eintaucht. Vgl. übrigens Teil I. S. 89.

Diese Rheostate können nun in zweifacher Weise in den die Elemente, das Galvanoskop, die Leitungsschnüre und den Menschen enthaltenden Stromkreis eingeschaltet werden: in Hauptschluss oder in Nebenschluss. Beide Möglichkeiten der Verbindung sind an dem nicht transportablen Apparat von R. Krüger angebracht. Ehe wir weiter gehen und uns über den etwaigen Vorzug oder die Brauch- barkeit der einen oder der anderen Modifikation auslassen, soll ganz kurz der Apparat als solcher und speziell die Verbindung der ein- zelnen zu ihm gehörigen Teile beschrieben werden (Vgl. Fig. 76 u. 77). Die schematische Figur entspricht der Position der einzelnen Vor- richtungen auf der Deckplatte des Apparates:

Am meisten nach links und unten befindet sich die Einschaltungs- kurbel (a) für den Kurbelrheostaten (R), welcher auf der Platte hinten links, auf der schematischen Zeichnung links und oben angebracht ist Etwas nach rechts von dieser Kurbel a, welche auf dem Metallklötzchen A stehend den Rheostat überhaupt aus der Leitung ausschaltet, auf dem Klötzchen b stehend ihn in den Hauptschluss hineinzunehmen gestattet (wenn D gestöpselt ist), befindet sich der Stromwender (S) und noch weiter nach rechts in der Mitte der Zeichnung die Vor- richtung, welche es gestattet, durch Drehung der Kurbel L auf C oder S oder P entweder den konstanten Strom oder den Strom der sekundären oder den der primären Spirale von denselben Klemm- schrauben K' (Kupferpol, wenn S auf N steht (Normalstellung) und Z' (Zinkpol, wenn S auf N steht) abzuleiten. Ganz rechts befinden sich die beiden Induktionsspiralen, mit Millimeterskala und der oben schon beschriebenen Vorrichtung an der sekundären Spirale versehen, welche es gestattet, diese in sich zu schliessen und für die Dämpfung des Extrakurrentstroms zu verwerten. Zwei unten im Kasten stehende LecUnche'sche Elemente setzen diesen Apparat in Tätigkeit, sobald

218

Rheostatoinschaltung.

Kap. XI n.

die Lücke zwischen den links von den Indiiktionsspiralen angebrachten 2 Messingblöcken durch einen Stöpsel geschlossen wird (Q). Der positive Strom tritt bei K aus der linken Hälfte des Tableau's (Strom- Wcählers) heraus und bei Z in die rechte Hälfte desselben, zu dem

Fig. 70.

(negativen) Zinkpol der Batterie zurück. Hinter (über) dem Tableau befindet sich das Galvanoskop (G"), und zwischen dem Kommutator (S) und dem Rheostaten (R) sind durch Lücken getrennte Messing-

KoH«

Jiiduc Appan

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o- ' 1

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Fig. 77,

§ 93. Stromlauf. 219

block chen, durch deren Zustöpselung der Rheostat in Nebenschluss zur Leitung tritt (F) (N.B. nachdem vorher a auf A gestellt worden ist).

I. Ist der Rheostat gänzlich ausgeschlossen (d. h. Kurbel a steht auf A, und weder D noch F sind gestöpselt), steht die Kurbel L auf C (konstanter Strom) und die Kurbel S auf N (Normalstellung), so ist der Stromlauf folgender:

Vom K (Pol) links am Tableau geht der Strom zu C, von da über L nach Klotz 1 des Stromwenders (S), dann nach Klotz 2, ist G' gestöpselt nach a, dann nach A, von dort nach K', durch den ein- geschalteten menschlichen Körper nach Z', von dort nach Klotz 3 (des Stromwenders), dann nach Klotz 4, von dort zum Zinkpol (Z) zurück (N.B. ist G' offen, so geht der Strom von Klotz 2 des Stromwenders durch das Galvanoskop G'').

IL Befindet sich der Rheostat in der Hauptleitung, so ist die Einstellung der einzelnen Apparate hierbei folgende: (Vgl. Fig. 77 a. S. 218.) a steht auf b, D ist gestöpselt, F ist offen. Der Strom geht von K zu C, nach Klotz 1 und 2 des Wenders, durch G' über a nach b durch den Rheostaten (R) auf der Bahn xy zu D, durch D zu K' und dann wie vorher.

III. Der Rheostat befindet sich in Nebenschliessung: a steht auf A, D ist offen, F gestöpselt.

Der Strom hat jetzt zwei Wege, 1) den von I. (als wäre gar kein Rheostat in der Leitung), 2) der Strom geht (Nebenschluss) von K zu C, zu Klotz 1 und 2 des Stromwenders, durch die Leitung opq nach F, auf der Bahn ef zum Rheostaten R, auf der Bahn st zu F zurück, auf der Bahn vwh über die Klötze 3 und 4 des Strom- wenders zu Z (Pol) zurück.

Das Galvanoskop befindet sich bei dieser Anordnung, wie man sieht, immer in dem Stromzweig, welcher durch den menschlichen Körper geht; steht die Kurbel des Rheostaten (R) auf o, so geht fast der ganze Strom durch die Leitung des Rheostaten und nicht durch den zwischen K' und V eingeschalteten Körper. Sind im Rheostaten viel Widerstandseinheiten eingeschaltet, so verhalten sich nach dem Gesetz der Stromverteilung in verzweigten Leitern die Stromstärken in den einzelnen Zweigen umgekehrt wie ihre Widerstände, d. h. sie sind in dem den Menschen enthaltenden Stromanteil um so grösser, je bedeutendere Widerstände in dem im Nebenschluss befindlichen Rheostaten eingeschaltet sind. (Vgl. § 44.)

220 Rheostat im Haupt- und Kebenschluss. Kap. XIII.

§ 94. Nach dem eben Mitgeteilten ist also klar, dass man die Stromstärke durch die Einschaltung des Rheostaten modifiziren kann: es fragt sich nur, ob es dabei zweckdienlicher ist, denselben in Haupt- schluss oder in Nebenschluss zu haben. Wenn man sich vergegen- wärtigt, dass es der Arzt bei der Behandlung Kranker immer mit dem sehr grossen Leitungswiderstand der unversehrten menschlichen Haut (Epidermis besonders) zu tun hat, einem Widerstand, der im Durchschnitt gleich oder sogar mehr als 4000 5000 Siemens 'sehen Einheiten anzunehmen ist, so wird man leicht einsehen, dass die Modifikation der Stromstärke durch Einschaltung von einigen Zehnern oder auch Hunderten, ja sogar von 1000 2000 Einheiten nur sehr Avenig beeinflusst wird; man bedürfte geradezu ungeheurer Rheostate, 40000 und vielleicht noch mehr Einheiten repräsentirend, wenn man die Stromstärke durch dieselben wirksam modifiziren wollte. Denkt man sich z. B., man benutze 15 Daniell'sche Elemente (1 Daniell hat die elektromotorische Kraft von 1 Volt und einen inneren Wider- stand von 1,4 Ohm) und es sei der Widerstand in der Leitung und im Körperteil 979 Ohm, so hat man die Stromstärke:

T 15 Volt , ^ ,,.,,.

J =z -— -—^„^ ^ == lo Milliampere. 15 . 1,4 + 979 Ohm ^

Wollte man diese Stromstärke durch Einschaltung von noch

weiteren 10 Ohm in die Hauptleitung verringern, so bekäme man:

21 + OT9 +10 = "'85 Milliampere,

und bei weiterer Einschaltung von noch 10 Ohm:

n + m + w = "'' Mi"i^'«P^'-«'

also nur eine sehr massige Modifikation der Stromstärke.

Ganz anders verhalten sich die Dinge, wenn der Rheostat in Nebenschliessung eingeschaltet ist, wie aus dem Beispiel Teil L S. 89 deutlich zu ersehen ist.

Es ergibt sich hieraus, dass bei dem bedeutenden Widerstände des menschlichen Körpers eine Einschaltung des Rheostaten in Haupt- schluss in Bezug auf die Modifikation der Stromstärke kaum einen Nutzen gewährt; selbst bei Einschaltung von 2000 Widerstandseinheiten würde die Stromstärke noch nicht um die Hälfte kleiner geworden sein.

Aber auch die Methode, die Stromstärke durch Einschaltung eines Rheostaten in Nebenschluss langsam und allmählich anwachsen zu lassen, kann idealen Anforderungen noch nicht genügen. Das ein- fachste und ursprünglich in Anwendung gezogene Verfahren, die Strom-

§ 94. Modifikation der Stromstärke. 221

stärke durch allmähliche Vermehrung der Anzahl der Elemente zu steigern, würde, was die Proportionalität des jedesmaligen Zuwachses betrifft, entschieden das beste sein, wenn sich nicht ein gleich zu be- sprechendes Hinderniss in der Einrichtung unserer Apparate finden würde.

Nimmt man wieder die elektromotorische Kraft eines Daniell- schen Elementes zu 1, den wesentlichen Widerstand eines solchen zu 1,4 an, so wäre die Stromstärke (bei voUkommner Ausschaltung des Rheostats und supponirtem Widerstand von 4000 für den tierischen Körper) :

bei 2 Elementen = ^^ , , '} ,^r.n = 0,000499 2 . 1,4 -|- 4000

bei 4 Elementen = . , '."^ ,^^^ = 0,000998 4 . 1,4 -f 4000

bei 8 Elementen = - , ','^ ,^^^^ = 0,001996 8 . 1,4 -f- 4000 1 p 1 bei 16 Elementen = ^, ^ ', .^^^ = 0,003992 16 . 1,4 + 4000

d. h. die Stromstärken würden durchaus proportional der Zahl der Elemente anwachsen.

Man würde also durch allmähliches Hinzufügen von je einem Element am besten und gleichmässigsten die Stromstärke reguliren können. Das oben erwähnte Hinderniss ist aber die Einrichtung der Tableaus: zwar schreitet die Verbindung in den Einern von 1 zu 2 bis zu 10 vor, aber bei den Zehnern m«ss, will man anders das Tableau nicht übermässig gross anlegen und durch die zahlreichen Leitungen den Apparat verteuern, von 5 5, ja bei einigen von 10 10 vorgeschritten werden. Gerade hier erweist sich die Einrichtung, den Rheostat in Nebenschluss zu bringen und von vorn herein eine grössere Elementenzahl einzustellen (20—30) als sehr vorteilhaft. Zwar ist es wahr, wie E. Remak hervorgehoben, dass bei den oft bis zu be- trächtlicher Höhe einzuschaltenden Rheostatwiderständen und bei der Wahl einer grösseren Elementenanzahl die Stromstärke nicht ganz proportional mit den in Nebenschluss eingefügten Widerständen steigt; es ist aber auch zu bedenken, dass gerade die Einschaltung des Rheo- staten in Nebenschluss speziell bei der Behandlung der Affektionen der Sinnesorgane und des Gehirns in Anwendung kommt, wobei man über- haupt mit einer geringeren Stromstärke operirt; wird doch selbst von dem genannten Autor zugegeben, dass die Abstufung im neben- geschalteten Rheostaten „feiner und allmählicher« ist, als die durch

222 Nutzen des Rheostaten im Hauptschluss. Kap. XIII.

Veränderung der Elementenzahl am Stromwähler bedingte. Wir werden später noch Gelegenheit haben, zu sehen, wie die Stromesschwankung, welche durch Vermehrung resp. Verminderung auch nur eines Elementes hervorgebracht wird, für viele Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eine zu bedeutende ist. Schaltet man von Anfang an 10 20 Ele- mente ein, stellt den in Nebenschluss befindlichen Rheostaten auf 0, so kann man durch allmähliche Vermehrung der Rheostatwiderstände die Stromstärke in der allen Anforderungen genügenden Weise fein und allmählich abstufen.

§ 95. Nach dem eben Mitgeteilten könnte es nun scheinen, als ob die Vorrichtung einer Einschaltung des Rheostaten in den Haupt- schluss überhaupt nicht nötig wäre. In Betreff der Modifikation der Stärke des konstanten Stromes ist er, wie eben besprochen wurde, in der Tat wenig oder gar nicht verwertbar; abgesehen aber von der Nützlichkeit dieser Einrichtung für eine feinere Dosirung der Strom- stärke bei Anwendung von Extrakurrentströmen (wie oben S. 208 schon erörtert worden ist), kann man den in Hauptschluss des kon- stanten Stroms eingeschalteten Rheostaten auch zur Bestimmung der an den verschiedenen Stellen des Körpers durchaus verschiedenen Leitungswiderstände benutzen. Hat man z. B. zwei gut befeuchtete Elektroden von 5 6 Ctm. Durchmesser an 2 Stellen des mensch- lichen Körpers aufgesetzt, z. B. am Vorderarm (Volar- und Dorsal- fläche, etwa 2—3 Zoll oberhalb des linken Handgelenks), so ergibt sich am Galvanoskop bei Anwendung von z. B. 40 Elementen des oben beschriebenen, von dem einen von uns benutzten Apparate (Sie mens' sehe Elemente) ein Nadelausschlag von 9 *'. Verbindet man nun den Kupfer- und Zinkpol der Batterie gut metallisch durch einen kurzen Leitungsdraht resp. durch Herabdrücken des am Apparate angebrachten Knopfes M, wodurch K' und Z' leitend verbunden werden (siehe die Fig. 77) und nimmt ebenfalls 40 Elemente, so schlägt natürlich die Nadel des Galvanoskops bedeutend mehr aus; ist jetzt der Rheostat in Hauptschluss, so kann man durch allmähliches Drehen der Kurbel von 0 (worauf er ursprünglich eingestellt war) aufwärts schliesslich zu einer Zahl von Widerstandseinheiten kommen, bei der die Galvanoskopnadel denselben Ausschlag von 9" zeigt, wie vorhin bei Durchleitung des Stromes durch den Vorderarm; der dortige dem Strom entgegengesetzte Widerstand ist also gleich dem jetzt vom Rheostat angezeigten: nämlich 3800. So fand sich ferner bei Quer- durchleitung eines Stromes von 15 Elementen durch die Proc. mastoidei

§ 95, 96. Galvanoskop. 223

ein Nadelausschlag von 2'/2'^; dasselbe wurde erzielt, wenn bei 15 Ele- menten 4000 Einheiten im Hauptschluss eingeschaltet waren (vgl. § 85).

§ 96. Um die Stärke eines Stromes zu messen, kann man das Voltameter benutzen (vgl. § 22), welches anzeigt, wie viel Cctm. Wasser in der Zeiteinheit zersetzt werden, Werte, die je nach der Stärke der Elemente und ihrer Zahl verschieden ausfallen werden. Bequemer und namentlich für medizinische Zwecke gebräuchlicher ist die sogenannte Tangentenbussole (vgl. § 30); innerhalb bestimmter Grenzen ist, wie angegebenen Orts gezeigt wurde, die Stromstärke der Tangente des Ablenkungswinkels der Magnetnadel proportional. Das in der Elektrotherapie gebräuchliche Vertikalgalvanoskop ist schon im IX. Kapitel 61) beschrieben, so dass hier darauf zurückzu- kommen unnötig ist. Durch Erb hat dieses gewöhnlich benutzte

Fig. 78.

Galvanoskop dahin eine Abänderung erfahren (s. Fig. 78), dass durch die Möglichkeit einer durch Stöpsel ung zu bewirkenden Einschaltung von je 50, 100, 150 und endlich 200 Widerstands-Einheiten die Empfindlichkeit desselben sehr vermehrt wird; es ist dabei vorausgesetzt, dass der

224 Galvanometer. Kap. XIII.

übrige ausserwesentliche Widerstand ein so bedeutender ist (wie ja iramer bei Einschaltung des menschlichen Körpers), dass die Ver- mehrung der Galvanoskopwiderstände die Stromstärke kaum ändert. Das Galvanoskop ist so in den Stromkreis eingeschaltet, dass bei der Stellung des Stromwenders auf Normalstellung (N) die Nadel nach rechts hin, bei Stellung des Stromwenders auf W (Wendung) nach links hin ausschlägt. Dabei ist nun zu berücksichtigen, dass (wie schon von anderer Seite, z. B. auch von E. Remak hervorgehoben worden ist) sehr häufig der Nadelausschlag nach links hin nicht derselbe ist, wie nach rechts, d. h., dass bei denselben Stromstärken die Ausschläge der Galvanoskopnadel links und rechts verschiedene sind. Es dürfen also bei Benutzung derartiger Galvanoskope nur diejenigen Untersuchungsresultate direkt mit einander verglichen werden, bei denen der Nadelausschlag nach derselben Seite hin erfolgt ist. Durch die Stöpselung der Lücken zwischen den vorn am Galvano- meter angebrachten Messingblöcken (vgl. Fig. 77) können die die Nadel umgebenden Drahtwindungen aus dem Stromkreis ausgeschaltet werden, was an dem auf Fig. 77 schematisirten Apparat durch Stöpselung von G' bewirkt wird; durch eine rechts sichtbare Arre- tirungs Vorrichtung (y) werden die unnötigen Schwingungen der Nadel eher sistirt, ein Erfolg, den Hirschraann an seinen Galvanoskopen neuerdings dadurch erreicht, dass er die Nadel in einem mit Glycerin gefüllten Gefäss schwingen lässt. Bei der Verschiedenheit der die elektromotorischen Kräfte spendenden Elemente und der Ungleichheit der selbst denselben Fabriken entstammenden Galvanoskope ist es natürlich nicht leicht, aus den jedesmaligen Befunden der verschiedenen Autoren die absolute Stromstärke zu ersehen, welche sie zur Hervor- rufung einer bestimmten Reaktion, z. B. der KaSz am motorischen Nerven angewendet haben. Man besass bisher noch keine einheit- liche, leicht verständliche und leicht anwendbare Methode der Dosi- rung der Stromstärke. Zwar kann man sagen (wie dies wohl zuerst Zech'^, später E. Remak^- schon getan haben), dass sich Jeder im Besitze einer Batterie, eines Rheostaten und eines Galvanoskops befindende Arzt die jedes Mal von ihm zu einem bestimmten Zwecke benutzte Stromstärke allein berechnen kann, wenn er die elektromo- torische Kraft seiner Elemente und deren wesentlichen Widerstand kennt und sich bei Einschaltung einer bestimmten Körperstrecke den Nadelausschlag seines Galvanoskops merkt. Schaltet er, wie dies Seite 222 ausführlich auseinandergesetzt ist, durch den in der Haupt- leitung befindlichen Rheostaten soviel Widerstandseinheiten ein, dass

§ 96. Bestimmung der Stromstärke. 225

derselbe Nadelausschlag am Galvanoskop resultirt, so kann er unter Zugrundelegung der bekannten Formel

'^ - W die von ihm benutzte elektromotorische Kraft berechnen. Ein Beispiel möge dies erläutern: Steht die Anode auf dem Brustbein, die Kathode etwa 2 Zoll oberhalb des Handgelenks auf dem linken N. ulnaris, so braucht man 40 Elemente (Dauiell), um eine deutliche Kathoden- schliessungszuckung zu erzielen (vgl. später Kap. XV), dabei schlägt die Nadel 5 "^ nach rechts hinaus. Schaltet man den Körper aus, da- gegen den Rheostaten in Hauptschluss ein, so braucht man bei 40 Ele- menten 5500 Widerstandseinheiten, um denselben Nadelausschlag zu erzielen. Die zur Hervorbriugung der Kathodenschliessungszuckung angewandte Stromstärke betrug also (bei Vernachlässigung der 70 Ein- heiten des Galvanoskopwiderstandes)

40 40 ^,,^^, , ,

, ,-'£-^7^ = T^rzn =^ 0,0071 Ampere. 40 . 1,4 + 5o00 5556 ' ^

Teilt man nun Galvanoskope statt in Kreisgrade in Einheiten der Stromstärke, so können bei Benutzung solcher Instrumente die von verschiedenen Autoren mit den verschiedensten Apparaten ge- fundenen Resultate sofort verstanden werden. Die mit kurzen Worten gegebene Dosirung der Stromstärke erleichtert so den Vergleich der IJntersuchungsresultate ungemein.

A. deWatteville-ö war der erste, welcher derartige „absolute Galvanometer" (vgl. § 61) für die Zwecke der Elektrotherapie empfahl, eine Empfehlung, welche von v. Hesse ^^ und Bernhardt-^ in Deutschland aufgenommen und in weitere Kreise zu bringen versucht wurde. Müller-^ in Graz, der sich eines derartigen von Gaiffe zu Paris hergestellten Horizontalgalvanometers bediente, machte darauf aufmerksam, dass es eigentlich nur für den Ort richtig sei, wo es angefertigt wurde oder für solche Punkte der Erde, welche mit dem Fabrikationsort eine gleiche Intensität der liorizontalen Komponente des Erdmagnetismus haben. Neuerdings liefert auch die Firma St Öhr er und Sohn ein nach den Angaben von Böttcher-^ konstruirtes, nach Milliampere eingeteiltes Vertikal-Galvanometer, welches selbst zu prüfen wir bisher noch keine Gelegenheit gefunden haben. Da- gegen erfüllt das von v. Ziemssen^^ zuerst bekannt gemachte, von Edelmann in München gefertigte und in Teil I. S. 126 genauer beschriebene, in Milliampere geteilte Horizontalgalvanometer durchaus seinen Zweck; es muss indess, wie auch durch Remak^' hervor-

Rosenthal u. Bernhardt, Elektrizitätslelire. III. Anfl. jn

226 Nutzen des absoluten Galvanometers. Kap. XIII.

gehoben wurde, sehr subtil mit ihm umgegangen werden und der hohe Preis ist für seine weitere Verbreitung unter den praktischen Aerzten gewiss ein Hinderniss.

Eine Vergleichung unseres auf 100 S. E. gestöpselten Galvanoskops (Erb 'sehe Modifikation) mit dem Edel mann 'sehen Einheitsgalvano- raeter ergab bei:

1 M.'A. = 1 '^ Nadelablenkunff nach rechts.

2

»

=

9'/

3

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=

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4

»

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50

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>•>

=r

450

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48«

50

))

=

510

55

»

=

530

(Ströme

von 1-

-5M.A.

würd

-5 M.A. würden als schwache, von 6 10 M.A. als mittelstarke, von 10 15 M.A. als starke, von 15 M.A. ab als sehr starke zu bezeichnen sein.)

Ganz neuerdings hat N. Weiss^^ in Wien unter Zuhilfenahme des von Gaiffe konstruirten und nach Millimeter geteilten Galvano- meters das Zuckungsgesetz am motorischen Nerven des lebenden Menschen bestimmt, und dabei gefunden, dass die Nadel bei höheren Stromstärken 20 30 Secunden braucht, ehe sie zur Ruhe kommt, ein Uebelstand, der, wie wir gesehen haben (Teil I. § 61), durch die passend angebrachte Dämpfung beim Edelmann'schen Galvanometer auf das Vorteilhafteste vermieden ist. Auch das § 61 beschriebene Taschengalvanometer ist, seitdem es durch die Kupferdämpfung und die Beifügung einer Nebenschliessung, die bis zu 20 M.A. zu messen gestattet, erheblich verbessert worden ist, für den Praktiker sehr zu empfehlen, da es leicht transportabel, jeder beliebigen Batterie leicht einzufügen und im Preise um ein Drittel billiger ist, als das grosse Galvanometer (50 M. zu 150 M.)408,

97.

Rheostateinschaltung.

227

§ 97. Schliesslich ist noch eines ümstandes Erwähnung zu tun, welcher der Brauchbarkeit des sonst so vortrefflich von Brenner zu- sammengestellten Apparates Eintrag tut, d. i. die Einfügung des Galvanoskops in die Hauptschliessung, so dass bei Benutzung des Rheostaten in Nebenschluss durch das Galvanoskop nur die Stärke des im Körper und im Rheostaten fliessenden Stroms angezeigt wird, nicht aber desjenigen Stromanteils, welcher durch den menschlichen Körper allein geht. Dieser schon von Hitzig gerügte, von Runge 25 für die Einschaltung seines Flüssigkeitsrheostaten wohl in Betracht gezogene und verbesserte Fehler ist, wie Remak'-^^ zuerst für seinen Apparat gezeigt hat, durch besondere Vorrichtungen zu vermeiden (vgl. Fig. 77). Für alle diejenigen, welche im Besitze konstanter Batterien und eines Rheostaten sind, sei, wenn sie sich die neue Anordnung zu Nutze machen wollen, folgendes gesagt ^-'i Der Rheostat wird in Nebenschliessung nicht an den Klemmschrauben eingeschaltet, welche die Leitungsschnüre der zum menschlichen Körper gehenden Elektroden aufnehmen, sondern an den federnden Kurbeln, die am Tableau von Knopf zu Knopf bewegt werden und die dazu bestimmt sind, die Anzahl der Elemente auszuwählen (vgl. Fig. 74). Uebrigens kann man, wie die schematische Figur 79 zeigt, sich leicht von den

Fig. 79.

ly

228 Transportable Ifonstante Batterien. Kap. XIII.

Endpunkten der Kurbeln A und B zwei kurze Metallstreifen zu zwei Klemmschrauben a und b führen lassen, von denen aus zwei Drähte zu dem neben stehenden Rheostaten hingeführt werden können. Das Galvanoskop befindet sich dann nur in dem Stromkreise, in welchem sich zwischen K und Z der menschliche Körper eingeschaltet findet. Soll der Rheostat in der Hauptschliessung sein, so führe man von der Klemmschraube K einen Draht (0) nach der einen Klemmschraube des Rheostaten und befestige in der anderen Rheostatklemmschraube eine der zum Körper führenden Elektroden (die andere Elektrode wird durch einen Leitungsdraht mit z verbunden); durch die Vermehrung der Rheostatwiderstände wird der Gesammtstrom abgeschwächt und das Galvanoskop zeigt jetzt die durch die Einschaltung des Körpers 1- des Rheostatwiderstandes modifizirte Stromstärke an.

§ 98. Apparate, wie die eben beschriebenen sind natürlich nicht transportabel; sie eignen sich daher nur für Krankenhäuser resp. tür diejenigen Aerzte, die sich ganz speziell mit der Elektrotherapie be- schäftigen. Es hat sich demnach sehr schnell das Bedürfniss heraus- gestellt, neben den feststehenden auch transportable Apparate zu konstruiren, welche von dem Arzte auf seinen Wegen zu den Kranken mitgenommen werden können (vgl. § 39, Anhang).

Auf Veranlassung v. Ziemssen's haben Krüger und Hirsch- mann in Berlin Apparate konstruirt von 40 kleineren Siemens- schen Elementen, von denen jedes 9 Ctm. hoch ist; der Gesammt- apparat ist 20 Zoll hoch, 17 Zoll breit und etwa 60 Pfund schwer.

Neuerdings konstruiren Krüger sowohl wie Hirschmann hand- liche und brauchbare transportable Apparate aus 40 kleinen Grenet- schen Elementen bestehend. Das Gewicht des Apparates mit 40 Ele- menten inclusive Stromwender, Galvanoskop und Nebenapparaten beträgt 8 Kilo, der Preis 150 Mk. ; und ohne Stromwender und Galvanoskop, aber mit den Nebenapparaten, 6 Kilo schwer (Preis 120 Mk.)

Diese Batterie ist von Spamer^^ dahin modifizirt worden, dass er, wie bei seinem Induktionsapparat (vgl. S. 211) nur eine minimale, in die gut leitende Lösung eintauchende Zinkoberfläche benutzt und jede (je 10 Elemente tragende) Leiste beson.ders, d. h. für sich eintauchbar anbringt (s. Fig. 80).

Obgleich diese Batterie noch leichter transportabel ist, wie die ursprüngliche, ist sie wegen der mannigfachen Zeit raubenden Mani- pulationen des Hebens und Eintauchens der 3 Leisten und deren Ver-

§ 98.

Transportable konstante Batterien.

'229

bindimg kaum so praktisch, wie diese; will man sich aber immer nur relativ schwacher Ströme bedienen (bis zu 10 Elementen), so hat man bei der Auswahl der 3 zu benutzenden, je 10 Elemente tragen-

^~~'-*-**«iisiil^^

Fig. 80.

den. Leisten die Möglichkeit einer viel längeren Schonung der Batterie, als es bei dem ursprünglichen Apparat möglich wäre.

Neuerdings hat Hirschmann ^-^ eine transportable Batterie (Zink- Kohle -Elemente mit Tauchvorrichtung) mit Elementenzähler und Kurbelvorrichtung konstruirt, bei der durch eine besondere sinnreiche Vorrichtung eben nur immer die Spitzen der Zinke in die Säurelösung eintauchen und durch einen beigegebenen Schlüssel nach Bedarf tiefer geschraubt werden können. D. R.-Patent No. 4467. (S. f. S. Fig. 81.)

Neben diesen Apparaten sind die bewährten Stöhr er 'sehen (sowohl der grosse kombinirte elektrotherapeutische Apparat für Spezialisten und Heilanstalten, als auch die kleineren transportablen Handbatterien) Apparate und die von Reiniger^^ in Erlangen kon- struirten Winkelzellenbatterien zu empfehlen (vgl. S. 46).

J30

Transportable konstante Batterien.

Kap. XIII.

Fig. 81.

Zu den konstanten Elementen mit grossem Widerstand gehört ausser dem Dani eil 'sehen und den ähnlichen M ei ding er 'sehen und Siemens 'sehen Elementen noeh das Leelanche-Element. 24 dieser Elemente haben Keiser und Schmidt in Berlin zu einer trans- portablen Batterie zusammengestellt. Auf der oberen Platte des die Elemente enthaltenden Schrankes befindet sich ein Stromwähler, ein Vertikal-Galvanometer, ein Stromwender und die beiden für die Leitungs- schnüre bestimmten Klemmschrauben.

Eine transportable Batterie aus modifizirten Leclan che- Ele- menten hat Beetz in München angegeben. In den Boden eines Reagenzglases ist ein nach innen und aussen hervorragender Platin- draht eingelassen. Das untere Drittel des Glases wird mit grob ge- stossenem Braunstein und Kohle angefüllt, das zweite Drittel nimmt eine konzentrirte Salmiaklösung ein, in diese taucht ein Zinkstab ein, der in einem das Reagenzglas lose verschliessendem Pfropfen sitzt« Die elektromotorische Kraft eines solchen Elementes ist =1,4

§98.

Nebenapparate. Loiluiigsschnüre, Elektroden.

231

(Daniel! = 1,0), der Widerstand sehr bedeutend =45 Siemens- sche Einheiten. Die aus 24 Elementen bestehende Batterie [Fabrikant Edelmann in München; Preis der Batterie mit Nebenapparaten 60 fl.] kann nur bei grossem ausserwesentlichen Widerstand verwertet werden. Ebenfalls zur Herstellung einer transportablen Batterie verwendet ist das Seite 47 beschriebene Chlorsilber-Zink-Element nach Warren de la Rue und Pinkus. Letzterer hat durch den Königsberger Mechanikus Moewig eine Batterie herstellen lassen, die indessen durch ihren Mangel an Dauerhaftigkeit und die Kostspieligkeit der Unterhaltung (Chlorsilber) keine besondere Verbreitung hat gewinnen können. Wir unterlassen es, an dieser Stelle eine ausführliche Be- schreibung aller dieser Apparate zu geben; die von den einzelnen Firmen herausgegebenen Kataloge und die fast jedem Apparat bei- gelegten Zeichnungen und Erklärungen genügen durchaus, sich in kurzer Zeit mit den Eigenheiten der einzelnen Batterien vertraut zu machen. (Vgl. übrigens S. 68.)

§ 99. Durch Leitungsschnüre Avird der Strom des Induktions- apparats oder der konstanten Batterie zu den Elektroden hingeführt, die wir auf den Körper des zu Untersuchenden oder Behandelnden appliziren. Feine, zusammengedrehte, mit Seide übersponnene Kupfer- drähte, welche etwa 1 Meter lang an beiden Enden in einen 2—3 Ctm. langen angelöteten Kupfer- oder Messingdrahtstift auslaufen, sind die besten Leitungsschnüre. Um sie vollkommen zu isoliren, werden sie mit Gummischläuchen überzogen, welche noch über die Lötstellen hinausreichend dort durch umgewickelte Seide be- festigt sind. Das eine Ende des Leitungsdrahtes wird an den Klemmschrauben des Induktions- apparats oder der Batterie befestigt, das andere wird in den gleich zu beschreibenden Elektroden- h alter eingeschraubt. Dieser besteht aus einem festen, unten abgerundeten Holzgriff mit auf- gesetztem, festem, oben mit einem Schrauben- gang versehenen Messingstück, welches in der Mitte eine Durchbohrung trägt, in welche das mittelst einer Klemmschraube zu befestigende andere Drahtstiftende der Leitungsschnur be- festigt wird.

Auf die Elektrode werden nun die aus Messing bestehenden Platten, Knöpfe, Balken etc. Fig. 82.

232

Elektroden.

Kap. XIII.

aufgeschroben, welche auf die Haut des zu Behandelnden aufgesetzt werden. Diese Metallplatten von Vo 1 Ctm. (ganz kleine knopf- förmige). 2 3 Ctm. (kleine), 5 6 Ctm. (mittelgrosse), 6 9 Ctm. (sehr grosse) Durchmesser werden mit Flanell oder Badeschwamm oder Barchent und dann noch mit Leinwand überzogen. Ihre Oberfläche muss stets rein sein und alle 3 4 Wochen gereinigt werden; ebenso oft muss eine Erneuerung des Ueberzuges stattfinden, der sich mit den beim Gebrauch der Batterie auf der Metalloberfläche allmählich entstehenden Oxydschichten imprägnirt. Alle anderen weniger festen Elektroden sind als unpraktisch und unsicher zu verwerfen.

Statt der Platten aus Metall verwendet Stöhrer für seine Elek- troden Gaskohle, der beliebig die beschriebenen Knopf-, Balken- oder Plattenformen gegeben werden. Eine besondere Erwähnung verdient

die von M. Meyer zuerst ange- gebene Hebelelektrode. Neben- stehende Figur zeigt, wie durch einen leichten Druck des Zeige- fingers der Strom geöffnet und beim Nachlassen des Druckes wieder ge- schlossen werden kann; wer den oben beschriebenen Stromunter- brecher und -Wender nicht an meinem Apparat angebracht hat, kann mit dieser Elektrode sehr gut den Strom im metallischen Teile der Leitung öffnen und schliessen. Der Teil des Hebels, den der Zeige- finger berührt, wird durch eine kleine Elfenbeinplatte zweckent- sprechend isolirt, weil man sonst bei zufälliger Berührung des Patienten selbst in den Stromkreis mit eingeschlossen wird.

Nach Analogie der (S. 49) oben beschriebenen, für physiolo- gische Untersuchungen notwendigen unpolarisirbaren Elektroden, hat zuerst Hitzig^^ für den Elektrotherapeuten verwendbare Elek- troden konstruirt, durch welche die Ansammlung ätzender Flüssig- keiten an den beiden, auf der Haut des Patienten stehenden Polen (vgl. S. 148) verhindert und die Konstanz des Stromes gesichert wird (Fig. 84). Die Elektrode besteht aus einem hohlen, inwendig amalga- mirten, in einen Mantel von Hartkautschuk eingekittetenZinkzylinder, der mit konzentrirter Zinkvitriollösung gefüllt und an seinem oberen offnen

Fig. 83.

§ 99.

Unpolarisirbare Elektroden.

233

Ende mit einem Tonpfropfen oder mit Papier mäche verschlossen wird. Unterhalb und oberhalb dieses Verschlussstücks befinden sich Leinwand- läppchen, die durch einen in eine Ein- kerbung des Mantelteils passenden Gummiring befestigt werden.

Ein zweites, grösseres, oben trich- terförmig erweitertes, mit Papier mäche gefülltes Ansatzstück (ebenfalls aus Hartgummi gefertigt) kommt über dem ersten Zylinder, wird mit Leinwand überzogen und ebenfalls mit einem Gummiringe befestigt. Beide Pfropfe aus Papier mäche sind mit einer schwachen Kochsalzlösung durchtränkt. Eine am unteren Ende des Zylinders mit dem inneren Zinkeinsatz in Ver- bindung stehende Klemmschraube nimmt den Zuleitungsdraht aus der Batterie auf.

V. Ziemssen^ hat statt dieser ziemlich teuren Elektrode folgende, sehr viel billiger herzustellende Ein- richtung angegeben (Fig. 85). Zwei Glasröhren, 10 Ctra. lang, 1 Ctm. weit, sind oben mit einem gewöhnlichen Kork verschlossen. Durch diesen geht ein amalgamirter Zinkstab, der ausserhalb des Korkes mit dem Kupferleitungsdraht verlötet ist. Die Glasröhre wird unten durch Ton- oder Papiermachepfropfen (wie oben beschrieben) verschlossen und dann ganz mit konzen- trirter Zinkvitriollösung gefüllt. Stöhrer hat unpolari- sirbare Elektroden konstruirt, bestehend aus Glasbehälter für Zinkvitriollösung, Stromeinleitung durch einen Zink- stab und Einsatz von gebranntem Ton mit üeberzug von 6 Ctm. Durchmesser. (S. f. S. Fig. 86.)

Die Verwendbarkeit derartiger Elektroden unter- liegt keinem Zweifel; aber bei der heute üblichen Methode der Anwendung nur massig starker Ströme und dem öfteren Wechsel der Ansatzstelle (labile Methode) und bei der im Ganzen doch für eine jedesmalige, selbst stabile Anwendung, nur relativ kurzen Dauer der Sitzung ist die Notwendigkeit, derartige Elek- Fiy. S5.

234

Elektroden für Schlund- und Kehlkopf.

Kap. XIII.

Fig. 86.

Schlundes.

troden zu benutzen, kaum noch eine zwingende, um so mehr, als die Auswässerung der Ton- oder Papier- machepfropfen, die Erneuerung der Zinkvitriollösungen immer eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Die chemischen Wirkungen des Indiiktionsstroms sind über- dies so geringe, dass in Bezug auf ihn die Benutzung unpolarisirbarer Elektroden erst recht entbehrlich ist. Um den Strom auf einzelne Nervenzweige zu. lokalisiren, kann man die Kontaktfläche aus kleinen und kleinsten Knöpfen anfertigen lassen, wie sie z. B. für die elektrische Behandlung von Augenmuskellähraun- gen vorteilhaft verwendet werden. Immerhin müssen auch diese feinsten Elektroden mindestens einen Leine- wandüberzug haben (s. Fig. 87 a).

Um die Muskulatur des Gaumensegels, des des Kehlkopfs zu elektrisiren, kann man sich einfach je nach den vorliegenden Zwecken gebogener, mit einem isolirenden Stück Gummischlauch überzogener Kupferdrähte bedienen, die an die feste Elektrode angeschraubt werden, während die andere mit grösserer Platte versehen irgendwo am Körper angesetzt wird (s. Fig. 87 b). Für die Behandlung des Schlundes und Kehlkopfs empfiehlt v. Ziemssen

zu kräftiger Erregung der Muskulatur oder der Nerven die von ihm ange- gebene, von Heller (Nürnberg) kon- struirte Doppelelektrode (s. Fig. 88 a. f. S.). Die zwei starken Leitungs- drähte des Instruments endigen in kleine Knöpfe, die mit feinem Bade- schwamm armirt werden. Beide Knöpfe stehen für gewöhnlich in Berührung, so dass beim Einführen des Instru- me-ntes kein Strom die Weichteile des Mundes oder des Rachens trifft. Erst wenn die Knöpfe über dem Kehlkopf stehen, werden die Brauchen von ein- ander entfernt. - Dies geschieht durch den Druck des Zeigefingers auf einen Hebel, der mittelst eines Doppel- gelenkes die Rotation der einen Branche Fig. 87 a. Fig. 81h. bewirkt. Die Exkursion des Hebels

§99.

Elektroden für innere Organe.

235

(und dem entsprechend auch die Entfernung der Elektrodenspitzen von einander) wird durch eine Schraube bestimmt, die von unten gegen den Hebel vordringt und verstellbar ist. Bei der Energie der ge- reizten Muse, constrictores faucium, wodurch schwächer gebaute Elek- troden-Branchen zusammengedrückt werden können, muss man mit beiden Branchen einen starken Druck nach aussen ausüben können; dazu müssen sie fest und solide gearbeitet sein. Mit dem Nachlassen des Fingerdrucks auf den Hebel treten die Branchen resp. ihre Knöpfe wieder zusammen, sodass bei der Herausnahme des Instruments die Mund- und Rachenteile von einem Strom nicht mehr getroifen werden.

Gerade so wie man diese immerhin kostspieligen Doppelelektroden auch bei der elektrischen Behandlung des Kehl- kopfs durch einfach sondenförmig ge- staltete und dem jedesmaligen Zwecke entsprechend gebogene feste Drahtstifte ersetzen kann, kann man dies auch für diejenigen Elektroden, welche zur internen Applikation auf Blase, Uterus, Mastdarm verwertet werden. Für die Blase hat man eine aus englischem Sondengeflecht bestehende, unten mit einem kleinen Metallknopf endende, oben mit einer Schraubenvorrichtung für die Aufnahme des einen Leitungsdrahtes versehene Elektrode von der Dicke eines Katheters, für den Mastdarm eine ganz ähnlich konstruirte, nur dickere (fingerdicke) Elektrode. Für die intraventrikuläre Elektrisirung benutzt man Magen- sonden, die in ihrer Lichtung einen bis zum Boden reichenden Metall- draht haben, der mit einem olivenförmigen Knopf endet. Das andere, einige Centimeter über das obere Ende der Sonde hervorragende Ende des Metalldrahtes trägt eine Oese oder sonst eine Vorrichtung, durch welche es mit einem der Leitungsdrähte verbunden werden kann. Die andere gewöhnliche Platten-Elektrode wird dann je nachdem auf die Symphysis pubis, oder auf den Unterleib (meist links) oder in die Magengegend aufgesetzt.

Für das Ohr benutzt man die von Krüger wie von Hirschmann (s, f, S, Fig. 89) gelieferten Ohrelektroden, bestehend aus einem

Fig. 88.

236

Elektroden fürs Ohr.

Kap. XIII.

Satz von Ohrtrichtern aus Hartgummi, die mit dem Handgriff ver- bunden sind. Von dem metallischen Teil des letzteren gelit ein in die mit Wasser zu füllenden Trichter eintauchender Draht aus, der durch eine kleine Schraube je nach der Absicht etwas höher oder tiefer einzustellen ist. Der Leitungsdraht wird wie gewöhnlich durch eine am Handgriff befindliclie Schraube befestigt.

Da bei Anwendung einer derartigen Elek- trode die Patienten den Kopf horizontal hin- legen müssen, wodurch die Unbequemlichkeit der an sich nicht gerade angenehmen Prozedur erhöht wird, hat Lucae eine Elektrode für die intraaurikuläre Galvanisation an- gegeben, bei deren Benutzung der Patient wie ge- wöhnlich aufrecht sitzen kann (Fig. 90). In ein 3 4 Ctm. langes, etwa 3 4 Mm. weites Glasröhrchen mündet von oben her recht- winklig ein 2 2V2 Ctm. langes vertikales Röhrchen. Das Glasröhrchen a endet an der einen Seite in eine metallne Fassung, in welche ein Platindraht eingelötet ist und welches mittelst einer kleinen Klemmschraube mit einem der Leitungsdrähte ver- bunden werden kann, üeber das andere Ende ist ein Stückchen Gummischlauch gezogen, welches in den äusseren Gehörgang luft- dicht eingefügt wird; die Füllung mit lauem Wasser erfolgt durch das vertikale Röhrchen, die andere Elektrode ruht irgendwo am Körper.

Fig. 89.

Fig. 90.

Um die Mühseligkeit des Haltens der Elektroden beim Elek- trisiren speziell bei der Anwendung des stabilen konstanten Stroms zu ersparen, empfiehlt Penzoldt die Haftbarkeit der Elektrode durch eine Schröpfkopfvorrichtung herzustellen. Die Elektrode wird luft- dicht in den halbkugeligen Schröpfkopf aus Hörn eingelassen und dieser durch Ansaugen an die Haut befestigt (s. Fig. 91 u. 92).

§99.

Schröpfkopf-Elektroden.

237

Wieder andere Vorrichtungen, bei denen die Elektrodenplatten mit sehr langen Stielen verbunden sind, gestatten die Einführung der- selben unter die Kleider der Patienten (Vermeidung der Entblössung).

Fig. 91.

Fig. 92.

Ganz neuerdings beschrieb Seeligmüller^» eine Doppelelek- trode für die Galvanisation des Rückenmarks bei sehr mageren Personen, bei denen die Applikation auf die Proc. spin. selbst Schwierigkeiten bereitet. Die beiden massiv messingenen hammer- förmigen Strorageber, welche stark fingerdick und 10 Ctm. lang sind, müssen natürlich ge- hörig mit Filz und Leinwand umwickelt sein. Zwischen die- selben, die etwa 2 Ctm. von einander abstehen, kommt bei der Applikation auf das Rück- grat die Reihe der Dornfort- sätze zu liegen. Ausserdem fixirt sich diese Elektrode durch ihre Schwere noch besser, als die einfache hammerförmige , wenn man sie mit ihrer einen Hälfte zwischen Halskragen respective Hosengurt und Hemd einschiebt. Man kann dann ohne Assistenz mit der anderen bequem unter- suchen oder therapeutisch ein-

wirken (Fig. 93).

Fig. 9o.

238 Unterbrechungs-, Rheostat-Elektroden. Kap. Xllt.

Um scheibenförmige Elektroden von Metall bequem zq überziehen, bedient sich Seeligmüller ferner Gummikappen, die über die Metall- platten gezogen, fest anschliessen und eine runde Filzscheibe gegen die Metallplatte fest andrücken. Dieser Ueberzug, welcher sich natür- lich nur für stabil gehaltene Elektroden eignet, hat zwei Vorzüge vor der sonst üblichen Bekleidung: 1) verhindert die Gummikappe die leicht vorkommenden Verbrennungen durch die Randströme, 2) lassen sich Kappe und Filzscheibe behufs Reinigung sehr schnell abnehmen und wieder aufsetzen. Von Zeit zu Zeit müssen die durch die Deh- nung zu weit gewordenen Gummikappen durch neue ersetzt werden.

Gleichwie die von M. Meyer angegebene Hebelelektrode für die- jenigen, welche derartige Unterbrechungsvorrichtungen in ihrem Strom- wender nicht besitzen, einen Ersatz bilden soll, so haben Bischoff ^9, Brunner^o^ Mosengell**, Arnold Elektroden angegeben, weichein sich die Wendungsvorrichtungen enthalten und den Kommutator zu er- setzen bestimmt sind. Derartige meist sehr kostspielige Vorrichtungen sind zu entbehren, desgleichen wohl auch diejenigen Elektroden, welche als Rheostatelektroden (wie z. B. die neuerdings von Reiniger in Erlangen konstruirte) den Rheostaten ersetzen sollen. Hierher gehört auch die in allerneuster Zeit von Hughes Bennet*^ empfohlene Elektrode, in deren hohlem Griff sämratliche Nebenapparate Stromwender, Unterbrecher, Rheostat untergebracht sind; wir sind zur Zeit ausser Stande, über die Brauchbarkeit dieses Instruments ein eignes Urteil abzugeben.

Hat man die Absicht, gleichzeitig zwei Muskeln mit ganz der- selben Stromstärke zu erregen, so kann man einen Elektrodenhalter so herrichten lassen, dass in ihm, der z. B. den negativen Pol des Oeffnungsinduktionsstroras darstellt, 2 Kupferdrähte eingeklemmt wer- den können, deren Enden in oben beschriebener Weise mit Lein- wand etc. zu überziehen sind, während der andere Pol durch die ungeteilt bleibende Elektrode dargestellt wird, oder man erteilt, wie die unterstehende Figur zeigt, dem einen Leitungsdraht eine Y-Form, so dass sein eines Ende gespalten erscheint, an dem dann die beiden (dieselben Pole repräsentirenden) Elektroden befestigt werden.

Zur Reizung der sensiblen Hautnerven dient der von Duchenne

a" angegebene, auf die trockne Haut aufzusetzende, aus Metall- fäden bestehende Pinsel (s. Fig. 89, vgL S. 178.)

Was von den erwähnten Apparaten der Spezialist nötig hat, ist oben bei der Beschreibung der einzelnen, ein elektro-

§ 99. Praktische Bemerkungen. 239

therapeutisches Armamentariura ausmachenden Teile hinreichend her- vorgehoben worden.

Der praktische Arzt wird jedenfalls einen der transportablen Induktionsapparate nötig haben, welche in der Gestalt des Spam er- sehen oder der von Stöhrer, von Krüger, Hirschmann oder Reiniger gelieferten, allen Anforderungen an Handliclikeit und Billig- keit entsprechen. Die transportablen Batterien für den konstanten Strom, wie sie dieselben Fabrikanten liefern, genügen, wenn sie nicht zu lange hintereinander fortgebrauclit werden, durchaus, ob- gleich ihrer relativen, durch die Notwendigkeit der Transportabilität bedingten Kleinheit wegen die in ihrer Wichtigkeit von uns be- tonten Nebenapparate, wie Galvanoskop und Stromwender weniger genau gearbeitet sind. Uebrigens kann durch die oben schon be- tonte Möglichkeit, das Edelmann'sche Taschengalvanometer mit Leichtigkeit in den Stromkreis jeder beliebigen Batterie einschalten zu können, dieser Uebelstand " gut ausgeglichen werden. Für den Transport sind auch wohl für den Praktiker diejenigen Vorrichtungen recht zweckentsprechend, bei denen in einem festen Kasten Induktions- und Batteriestrom vereinigt sind, wie z. B. ein derartiger Apparat von Krüger sehr zweckentsprechend gebaut wird. Hauptsache ist, dass neben den Elementen oder den Induktionsrollen selbst auch die nebensächlichen Dinge, die Holzgestelle und Kästen, der Verschluss derselben, die Klemmen, Bügel, Drähte gut dauerhaft und sauber gearbeitet sind; es ist immer anzuraten, lieber bei anerkannten Firmen einige Mark mehr auszugeben, wenn man dafür die Garantie solider Arbeit eintauscht. Sehr zu empfehlen ist es, sich bei Empfangnahme der Apparate in die Art und Weise des Aufbaues und Zusammen- stellens der einzelnen Teile mündlich oder schriftlich einweihen zu lassen; ebenso zweckentsprechend auch sich mit den kleinen Handwerksarbeiten des Putzens und Reinigens der Kontaktflächen und Stöpsel mittelst Smirgelpapier bekannt zu machen; manche Reparaturkosten und vielZeit- versäumniss werden erspart, wenn sich der Besitzer des Apparats mit diesen kleinen, oft so unscheinbaren Handgriffen vertraut gemacht hat.

Unmöglich ist es ferner, mit einer Batterie Alles leisten zu wollen; die Ausübung der Galvanokaustik z. B. erfordert andere Elemente und eine ganz andere Zusammenstellung derselben, als die elektrotherapeutischen Massnahmen am Menschen mit unversehrter Haut; man vergl. darüber S. 72 und 191, wo Alles Hierhergehörige des Weiteren auseinandergesetzt ist.

Kapitel XIV.

Von den motorischen Punkten und der Untersuchungs- methode der motorischen Nerven und der Muskeln mittelst des faradischen Stroms.

§ 100. In welcher Weise die physiologischen Wirkungen der Elektrizität als Heilmittel angewendet werden, darüber ist im zwölften Kapitel schon im Allgemeinen gehandelt worden. Indem wir daher den Leser auf die dort gemachten Bemerlmngen verweisen, knüpfen wir an dieser Stelle an jenen Fund Duchenne's an (vgl. S. 180), dass von gewissen Punkten der Körperoberfläche aus einzelne Muskeln ganz besonders leicht und vollständig zur Zusammenziehung gebracht werden konnten. Diese von Duchenne „points d'election^* (Wahl- punkte) genannten Stellen wies R. Remak-*^ als die Eintrittsstellen der motorischen Nerven in die Muskeln nach. Der erstere Autor hatte eine direltte und eine indirekte Muskelreizung unterschieden, je nachdem die Elektrode auf den Muskel direkt oder auf den Nerven- stamm oder einen Ast desselben aufgesetzt wurde. Nach Rem ak ist es vorzuziehen, den Muskel überhaupt stets von seinem Nerven aus zu reizen, da hierdurch sehr viel leichter uud voUkommner Zusammen- ziehungen erzielt würden. Er nahm statt der direkten und indirekten Reizung Duchenne's eine intramuskuläre und extramuskuläre Nerven-' reizung an. Durch die eingehenden Arbeiten v. Ziemsse n's^ wurden teils durch Untersuchungen an Leichen, teils an Kranken, bei denen bald nach dem Tode die während des Lebens gefundenen Tatsachen (best erregbare Punkte etc.) kontroUirt werden Iconnten, die Eintritts- stellen der motorischen Nerven in die einzelnen Muskeln, ihre Lage zur Hautoberfläche, der intra- und extramuskuläre Verlauf der Nerven und deren Projektion auf die Oberfläche festgestellt. So ergab sich nun das die Angaben Remak's teils bestätigende, teils ergänzende

§ 100, 101. Kopf. Nervus facialis. 241

und berichtigende Resultat, dass einmal ganze Nervenstrecken oft von über Zolllänge mit der Elelitrode isolirt verfolgt werden, anderemal von der Tiefe her in dicke Muskelmasse eintretende Nerven überhaupt nicht gereizt werden konnten oder dass eine direkte Muskel- reizung dann vorzuziehen war, wenn mehrere Nerven sich an der Innervation eines Muskels beteiligten, sodass eine mühselige Teilung der Elektroden zur Erzielung eines GesammtefFekts bei indirekter Reizung nötig gewesen wäre.

Insofern selbst die neueste Zeit den Ergebnissen der mühevollen Studien v. Ziemssen's nur wenig hinzugefügt hat, wird im Folgen- den im Wesentlichen nach den Angaben des genannten Autors eine Anleitung gegeben, die motorischen Punkte am menschlichen Körper zu finden. Eine längere Beschäftigung mit dem Gegenstand wird dem Arzt sehr bald die Erlernung der hauptsächlichsten Daten er- möglichen ; für seltenere Einzelfälle bleibt meist Zeit, sich durch einen Einblick in Text und Zeichnung die nötige Sicherheit zu verschaffen. Am besten ist es, sich an willigen Versuchspersonen, eventuell am eignen Körper einzuüben. Man kann zu diesem Zweck die eine Elel^;- trode durch ein Gummiband an irgend einer Stelle (bei Selbstübung z. B. an oder über der Patella) befestigen, eventuell sich einer Pentzold' sehen Elelitrode bedienen; bei einer Versuchsperson lässt man die eine breitere Elektrode an einen sogenannten „indiffe- renten ^' Punkt (siehe später), z. B. das Brustbein andrücken, wäh- rend man selbst mit der anderen, kleineren (meist den negativen Pol repräsentirenden) die Versuche vornimmt. Gleich hier sei eine für die Praxis wichtige Bemerkung beigefügt: es ist zu empfehlen, diese Versuche auch am eigenen Körper vorzunehmen; der die Elektrizität als Heilmittel anwendende Arzt gewinnt dadurch eine durch nichts zu ersetzende Vertrautheit mit der Stärke und Leistungsfähigkeit seiner Apparate und ein Urteil über manche oft übertriebene Aeusse- rungen und Angaben der seiner Pflege anbefohlenen Kranken.

§ 101. Am Kopf ist es hauptsächlich der N. facialis, dessen Stamm und Aeste am häufigsten neben den dazu gehörigen Muskeln elektrisch gereizt werden sollen.

Die Reizung des Stammes vom Boden des äusseren Gehörgangs her (nach Duchenne) ist als sehr schmerzhaft zu vermeiden; auch die von v. Ziemssen empfohlene Erregung au dem unmittelbar unter dem Perus acusticus externus gelegenen Grübchen der Ohrmuschel ist schmerzhafter, als die Reizung unmittelbar unter der Ohr-

Rosenthal u. Bernhardt, Elektrizit'atslehre. HI. Aufl.

242

Nervus facialis. Ohrmusteln.

Kap. XIV.

muschel zwischen dem Proc. condyloideus mandibulae und dem Proc. mastoideus.

(Wirkung: Verzogen werden der gesammten Gesichtshälfte nach der gereizten Seite hin, Augenschluss, Stirnrunzeln, Schiefstellung von Nase und Mund, Faltung der Gesichtshaut.)

Von den Aesten findet man den Ramus auricularis posterior am Proc. mastoideus, unmittelbar hinter dem Ansatz der Ohrmuschel; er bewirkt Verziehung der Kopfhaut nach hinten (M. occipit.) und Bewegungen der Ohrmuschel (M. retrahens, attollens). Die Reizung der übrigen kleinen, in der Ohrmuschel gelegenen Muskeln gelingt

Stirn-Augen-Ast ..

M. retrahens et at-^^

tollen s aiiric.

M. occipitalis^^ N.faciaIls(Stamra)._^ ^ N. auricul. poster. ~"- profund.(N.facial.)"" - Klnn.Hals-Ast-~ M. splenius cap.~^ ' Naccessor.WillisU

(Ram. ext.) M. sternocleidora. Mlevat.angull scap-^

Muse, cucullaris^ Erb'scher Supra- ^ clavlcularpuuct ^-~ N. dorsal, scapulae Plexus brachialis

\^Mf?/i^ \ ^' frontalis'

M. corrugator su-

percil. M.orbicul.palpebr.

M. pyramid. nasi Nasen-Mund-Ast

M. zygomatic. (rai- I --■"•?,"' a ^-rr^-" V nor[a],major[b])

f" *— -^'■" i m--*"Y~ M. dilatat. narium

//'

A, I i«.„^^r -' ^^' orbicularis.

~ -" j ir^A'" ' N.prorausc. trian-

V 9-^^f- gul.etlevat. menti

^ ^' ^i M. trlangul. menti

*"SvS;^*'"~ enl •"''• Iß^ätor menti

^x^*S5^~- y~yjJJä^^ ^'" 1^^^^^^- menti

«r ~ ^^Z_l ~~ N. subcut. colli

^1 "v Mplatysma myoid.

M. sternohyoid. M. omohyoideus M. sternothyreoid.

N.thor. longus (M.' y serrat. magnus) N. axillaris

N. thorac. anterior. , (M. pector. mag- nus)

N. phrenicus.

XAv/Wir^t^"""'*-

Fig. 94.

§ 101. Nervus facialis. Gesichtsmuslieln. 243

bei vielen Menschen nicht, ist übrigens auch ohne besondere praktische Wichtigkeit (M. tragicus, antitragicus , helicis major und minor),

Vom Stamm aus (Foram. stylomast.) gelingt es zeitweilig die Mm. digastrici und stylohyoidei zu erregen (Zungenbein bewegt sich nach oben, aussen, hinten).

Durch Aufsetzen der diiferenten Elektrode vor das Ohr in die Parotisgegend bringt man durch Reizung des Pes anserinus die Stirn-, Augen-, Nasen- und Mundmuskeln zur Kontraktion.

Den Ast für den M. frontalis findet man oberhalb und auf dem Jochbogen vom Ohr ab. Die Stirnhaut wird gerunzelt, die Augen- brauen nach oben gezogen. Etwas unterhalb der für den Frontalis- ast angegebenen Linie findet man den Ast für den M. corrugator superc.

Die Augenbrauen werden nach abwärts und medial wärts gezogen: Vertikalfaltung der Haut an der Glabella bei doppelseitiger Reizung.

Der Ast für den M. orbic. palpebrarum liegt auf dem. Joch- bein: das Auge wird fest geschlossen, die Augenliderhaut in Falten gelegt. Am unteren äusseren Jochbeinrande findet man den Ast für den M. zygomaticus major; er zieht den Mundwinkel nach aussen und oben und legt die Wangenhaut in bogenförmige Falten.

Vom unteren Jochbeinrande her, unmittelbar an seiner Verbin- dung mit dem Oberkieferbein reizt man den M. zygomaticus minor: Die Oberlippe wird nach oben und aussen gezogen. (Schmerz durch Reizung des infraorbitalen Trigeminusastes ; überhaupt ist die Fara- disation am Gesicht wegen der reichlich verbreiteten sensiblen [Tri- geminus-] Aeste meist schmerzhaft, daher Vorsicht in der Dosirung der Stromstärke.)

Den M. levator labii superioris findet man, wenn überhaupt isolirt, 1 2 Ctm. unterhalb des inneren Drittels des unteren Augen- höhlenrandes ; die Wirkung besteht in der Hebung der entsprechenden Oberlippenhälfte.

Den M. levator labii superior. alaeque nasi reizt man an der entsprechenden Nasenseite oberhalb des Flügels. Sein Name be- zeichnet seine Tätigkeit.

Von einem Punlit etwas oberhalb des zuletzt erwähnten bewirkt man eine Kontraktion der Mm. compressor und pyramidalis nasi, wodurch die Nasenhaut geftiltet, die Glabellarhaut geglättet und det mediale Teil der Augenbraue nach unten und nasalwärts ge- zogen wird. Am Nasenflügel selbst reizt man die Dilatatores narium anterior et posterior: ihr Name besagt ihre Wirkung.

16*

244 Kau- und Schlundmuskeln. Kap. XIV.

Zum M. orbic. oris treten an jeder Seite oben und unten je ein Ast. Die Elektroden werden etwa 1 1 ' .^ t^tm. vom Mundwinkel angesetzt: vollständige Kontraktion wird nur durch Reizung aller vier Zweige erzielt. Die Lippen spitzen sich; durch Reizung eines Nerven wird nur die entsprechende Lippenhälfte verkürzt. Wie den M. buccinator, so kann man auch bei Benutzung eines dicken, mit einem Knopf endenden Metalldrahts die einzelnen Abteilungen des M. orbic. oris von der Mundhöhle aus zweckmässig erregen (intra- buccale Faradisation).

Vom inneren Rande des M, masseter her oder von der Mundhöhle aus bringt man den M. buccinator zur Kontraktion: Die Backe wird an die Zähne gepresst und ihre Haut gefaltet.

Den Ast für den M. triangularis menti findet man etwa in der Mitte des unteren Randes des horizontalen ünterkieferastes. Der Mundwinkel und der äussere Teil der Unterlippe wird nach abwärts und aussen hin verzogen.

Nach innen vom M. triangularis findet man den M. quadratus menti (direkte Reizung), welcher die Unterlippe an die Zähne andrückt und dabei nach unten (auch etwas lateralwärts) zieht.

Noch mehr medial wärts findet man (direkt) den M. levator menti: seine Reizung bringt die Kinnhaut in die Hölie und wölbt die Unterlippe (Lippensaum) nach aussen.

Die vom motorischen Ast des Trigeminus versorgten Kaumuskeln, der M. masseter und der temporalis können nur direkt gereizt werden. Die Elektrode wird in die Gegend der Incisura semilunaris des Unterkiefers aufgesetzt: durch die Reizung kommt eine energische Annäherung des Unterkiefers an den Oberkiefer zu Stande.

Die Zunge kann direkt von allen Seiten her gereizt werden, wobei sie sich verkürzt und nach der Reizungsseite hin neigt; schwieriger gelingt dies (wenn überhaupt) vom Nerven aus (N: hypo- glossus), welcher dicht oberhalb des grossen Zungen beinhorns auf- gesucht werden muss.

Die Gaumenmuskulatur (leichter die Uvula, als die Seiten- teile) sind direkt zu erreichen und werden (besonders das Zäpfchen) energisch verkürzt.

Die verschiedenen Mm. constrictores faucium sind durch direkte Reizung (lange, feine Elektrode) zu erreichen; die Rachen- wandschleimhaut wird nach der gereizten Seite hin verzogen. Die Augenmuskeln und -Nerven sind für direkte elektrische Reizung nicht erreichbar.

§ 101. Kehlkopf. Intralaryngeale Reizung. 245

Die Reizung der Kelilkopfsmuskeln von aussen (von der Vorderseite des Halses her) durch Faradisation des N. laryng. super, oder des N. recurrens wurde bis in die neueste Zeit hinein für ein nur schwer bezw. gar nicht ausführbares Experiment gehalten ; nament- lich hielt man den Recurrens durch die Schilddrüse und diverse Muskel- strata für so versteckt, dass es kaum gelänge, ihn mit der Elektrode zu isoliren. Einzig der M. cricothyreoideus, Spanner des Stimra- bandes, war durch die zur Seite des Lig. conoid. aufgesetzte Elek- trode in Erregung zu versetzen. (Perkutane Reizung.)

Die direkte Erregung der einzelnen Kehlkopfsmuskeln (intra- laryngeale Reizung) ist eine für den Arzt und Kranken höchst müh- selige Prozedur, welche grosse Ausdauer und Geduld von beiden Seiten erfordert. Oft vergehen Wochen, ehe der Patient sich an die eigen- tümlichen Empfindungen gewöhnt und den reflektorisch bedingten Hustenreiz und die Brechneigung überwindet. Die linke Hand des Arztes führt den Kehlkopfsspiegel, die rechte die Elektrode; diese ist entweder eine Doppelelektrode (s. S. 235) nach v. Ziemssen oder eine einfache katheterförmig gebogene Drahtelektrode an den Meyer "sehen Unterbrecher angeschraubt und . durch einen bis an die mit feinem Tuch oder Waschschwamm bedeckte Spitze reichen- den Gummirohrüberzug isolirt; es versteht sich, dass bei Anwendung der letzteren der Patient selbst die andere plattenförmige Elektrode in der Hand hat oder sich auf die Brust setzt, oder dass ein Assistent sie in den Nacken applizirt. Als Regel gelte die Anwendung schwacher Ströme.

Den M. arytaenoideus (transversus) erreicht man (am leichte- sten von allen Kehlkopfmuskeln) an der hinteren Fläche der Ary- taenoidknorpel. Die hintere Fläche der Knorpel wölbt sich, die Arytae- noidknorpel werden an einander gepresst.

Der M. crico-arytaenoideus lateralis ist in der Tiefe des Sinus pyriform. nach hinten zu (man geht meist zu weit nach vorn: daher nur massige Biegung der Elektrode) in der unmittelbaren Nähe des äusseren Randes der Ringknorpelplatte zu finden. Das Stimmband nähert sich der Mitte, ebenso der Proc vocalis.

Die Mm. thyreo-arytaenoid. externus et internus findet man vom Sin. pyrif aus bei Stellung der Elektrodenspitze nach unten, innen und vorn; die Giesskannenknorpel werden nach vorn und unten gezogen.

Der M. crico-arytaenoideus posticus wird unter den Ary- taenoidknorpeln auf der Hinterfläche des Ringknorpels erreicht (rechts

246 Kelilkopf. Perkutane Reizung. Halsmuskeln. Kap. XIV.

und links); er dreht den entsprechenden Giesskannenknorpel nach aussen, zieht ihn auch nach aussen und hinten und öffnet die Stimmritze.

Die Muskeln der Epiglottis (thyreo- und aryepiglotticus, beide vom N. laryng. sup. innervirt) erreicht man direkt an den Seiten- rändern der Kehldeckelbasis oder durch Reizung des Nerven im Sinus laryngo-pharyngeus.

Die, wie so eben erwähnt, nicht unbedeutenden Mühseligkeiten der intralaryngealen Reizung haben neuerdings ganz besonders Ross- bach-*-^ veranlasst, die Frage von der Möglichkeit perkutaner Reizung der Kehlkopfmuskeln einer neuen Prüfung zu unter- werfen. Seine Untersuchungen an einem für diese Zwecke sich ganz besonders gut eignenden Individuum führten ihn zu entschieden posi- tiven Resultaten; es ergab sich mit aller wünschenswerten Sicherheit, dass auch von der Haut aus mit beiden Stromesarten eine physiolo- gische und therapeutische Wirkung auf die Kehlkopfsnerven und -Muskeln ausgeübt werden kann und dass, um Rossbach's eigene Worte zu gebrauchen, eine intralaryngeale Reizung nicht notwendig ist und durch eine länger dauernde perkutane Elektrisirung vollauf ersetzt werden kann. (Ansatz einer oder beider Elektroden an die Schildknorpelplatten oder, um den N. recurrens zu reizen, Ansatz einer dünnen Elektrode einige Centimeter unter dem unteren Ring- knorpelrand am vorderen Rand des M. sternocleidom., tief nach hinten einzudrücken.)

Von den Halsmuskeln reizt man das Platysma myoides ein- mal von den vom PI. cervicalis herstammenden Aesten (innerer Rand des M. sternocl. in seiner Mitte) und sodann von den vom Facialis stam- menden Aesten (Unterkieferrand etwa am Winkel) aus : der kontrahirte Muskel stellt zwischen dem oberen Theil der Brustwand und dem Unterkieferrande eine Ebene her. Ausserdem können noch die Wir- kungen eintreten, wie sie als Folgen der Reizung des M. quadratus menti beschrieben worden sind.

Der N. accessorius Willisii (äusserer Ast) wird in der Mitte der oberen Hälfte des M. sternocl. auf dem Muskel selbst oder in der- selben Höhe hinten am Aussenrande des Muskels gefunden. Die Wir- kung ist eine gleichzeitige Kontraktion des Kopfnickers und des M. cucullaris.

Etwas unterhalb der oben bezeichneten Stelle findet man den Punkt für den Kopfnicker allein; der Effekt der Reizung besteht in der Drehung des Gesichts nach der entgegengesetzten Seite, An- näherung der Proc. mast. der gereizten Seite an das Sternalende des

§ 101, 102. Hals-Nacken muslceln. 247

Schlüsselbeines, Biegung der Halswirbelsäule nach vorn. Doppel- seitige Reizung des Kopfnickers verursacht eine Verschiebung des Ge- sichts nach vorn mit Erhebung des Kinns; die Halswirbelsäule wird gebeugt.

Der M. cucullaris kann durch den an seinem vorderen Rande oberflächlich verlaufenden Ast des Accessorius zur Verkürzung gebracht werden; je nach der Fixirung des Kopfes oder der Schulter hebt sich die Schulter nach hinten und oben und nähert sich das Schulterblatt der Wirbelsäule oder der Kopf wird nach hinten und aussen gezogen.

Die beiderseitige Reizung des Cucullaris-Astes hebt beide Schultern und nähert beide Schulterblätter der Wirbelsäule.

Nach abwärts und etwas nach aussen von dem Accessoriuspunkt findet man die Stelle für die indirekte Reizung des M. levator an- guli scap., welcher durch seine Thätigkeit den inneren Schulterblatt- winkel nach oben vorn und etwas nach innen hebt.

Ueber die Reizung des N. hypoglossus siehe oben; der für den M. omohyoideus bestimmte Ast wird am Innenrande des M. ster- nocl., etwas unterhalb der Mitte gefunden; der untere Bauch des Muskels kann von einer Stelle zwischen den sehnigen Endigungen des M. sternocl. her erregt werden. (Effekt: Herabziehung des Zungen- beines, Hervorspringen des gereizten Muskels.) Von letzterer Stelle her kann auch der M. sternohyoid. erreicht werden; die Mm. sternothyreoid. und hyothyreoid. sind (meist direkt) am inneren Kopfnickerrand zu finden und zu erregen.

Faradisation des N, vagus hat bisher noch keine praktische Verwertung gefunden. Man kann ihn am inneren Rande des Kopf- nickers in der Tiefe vorn auf der Halswirbelsäule finden (unmittelbar unterhalb des M. omohyoideus) und seinen Hauptast den N. recur- rens in der Furche zwischen Speise- und Luftröhre.

Den N. phrenicus findet man am äusseren Rande des M. ster- nocl., vor dem M. scalenus anticus und oberhalb des Omohyoideus (siehe oben). Die Elektroden sollen in schräger Richtung von aussen nach innen und kräftig eingedrückt werden. Das Zwerchfell kon- trahirt sich, die Luft stürzt mit eigentümlichem Geräusch durch die Glottis, der Bauch wölbt sich vor.

§ 102. Von den den kürzeren Nerven des Plexus brachialis (Henle) angehörigen Nerven findet man den N. dorsalis scapulae (für den M. rhomboideus und serratus posticus superior) unterhalb des Accessorius, zwischen dem äusseren Rand des Kopfnickers und

248

Obere Extremität.

Kap. XIV.

dem vorderen Kukullarrande; seine Reizung bewirkt die Adduktion des Schulterblattes an die Wirbelsäule, leichte Hebung des letzteren und der oberen Rippen.

Weiter abwärts, dicht oberhalb des Schlüsselbeines, in der Nähe des Randes des M. trapezius findet man (übrigens nicht immer leicht) den N. thor. lateralis, dicht oberhalb der Insertionen der Mm. scaleni ant. et med.; der von diesem Nerven innervirte M. serratus anti- cus maior schiebt bei seiner Zusammenziehung den Schulterblatt- winkel nach vorn und aussen, der Raum zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule wird verbreitert, der innere Scapularrand an den Brust-

Stirn-Augen-Ast -^ J

M.retrahens et at-

tollens auric. M. occipitalis N. facialis(Stamm) N. auricul. poster. profuiid.(N.facial.) Kinn-Hals-Ast M. splenius cap. N accessor. Willisii

(Ram. ext.) M. sternocleidom. Mlevat.aiiguli scap,

Muso. ciicullaris^ Erb"scher Siipra- claviciilarpiinct ^ N.dorsal. scapulae-, Plexus brachiali

N. thor. loiigiis (M.'

serrat. magnus) .

N. axillai-is'

N.tliorac. anterior./ (M. pector. mag- nus)

N. phrenicus.

M, frontalis.

M. corrugator su-

percil. M.orbicul.palpebr.

M. pyramid. nasi Nasen-Mnn (l-Ast

M. zygomatic. (rai-

iior[a],major[b])

M. dilatat. narium

M. orbicLilaris. N. pro musc. trian- gul.etlevat. menti M. triangul. menti M. levator menti M. quadrat. menti N. SU beut, colli Mplatysma myoid. M. sternohyoid. M. omohyoideus M. sternothyreoid.

x/.v/S'/i'ir/i^^'f "'■(*•

Fig. 95.

§ 102. Plexus brachialis. 249

kästen angepresst, das Akromion nach vorn und oben verschoben, die Schlüsselbeingruben vertieft; das Schulterblatt steht flügeiförmig vom Thorax ab. Oft gelingt es, den N. thor. later. in der Linea axillaris isolirt zu reizen: direkte Faradisation des zackigen M. serratus giebt nur geringe Resultate.

Der N. suprascapularis kann nach aussen vom M. omohyoideus aufgesucht werden; die von ihm versorgten Mm. supra- et in fr a- spinati (Aus war tsroller des Armes) werden auch direkt gereizt.

Schwierig ist die Reizung der Subscapularnerveu oberhalb der Clavicula; in der hinteren Achselgegend ist einer der Aeste öfter zu finden; auch kann der M. subscapularis direct gereizt werden.

Die Nn. thorac. anteriores (für die Mm. pectorales maior et minor) findet man dicht oberhalb und etwas hinter der Clavicula oder unterhalb derselben am oberen Rande des M. pector. maior; sie bewirken gereizt ebenso wie die direkte Erregung der genannten Muskeln (man schiebe die Elektrode vom unteren Rande her zwischen Brustwand und Muskel ein) eine Adduction des Oberarmes an den Brustkasten.

Die dem unteren Theil des Armgeflechtes angehörigen langen Nerven (Henle) können in der Regio supraclavicularis zwischen den Scalenis gefunden worden. Ihre Reizung bewirkt meistens die Kontraktion von Muskelgruppen (nicht einzelner Muskeln).

Von Wichtigkeit ist in neuerer Zeit der von Erb^^ zuerst be- schriebene, später von ten Gate Hoedemaker-'^ genauer präzisirte Punkt, von dem aus bei genügend starken faradischen Strömen gleich- zeitig Kontraktionen in den Mm. delt. , brachialis internus, bi- ceps, supin. longus und brevis (infraspin. und subscap.) erzielt und abnorme Sensationen an der Radialseite des entsprechen- den Vorderarmes und in den entsprechenden Daumen und Zeigefingern erregt werden. Dieser für die Pathologie wichtige Reizpunkt liegt in der Oberschlüsselbeingrube etwa in einer Linie , welche vom Sternoclavi- culargelenk zum Proc. spin. des siebenten Halswirbels gezogen wird, etwas nach vorn ca. 1,5 Ctm. vom Rande des M. cucullaris entfernt. (5. und 6. Cervicalnerv.)

Den für den M. deltoideus bestimmten N. axillaris findet man (durchaus nicht immer) oberhalb des Schlüsselbeines, etwas nach innen von dem für den N. respir. Bellii bestimmten Punkt, oder (gleichfalls schwer) in der hinteren oberen Achselregion.

Der N. musculocutaneus wird entweder zwischen beiden Bi- cepsköpfen , oder mehr nach innen zwischen M. coracobr. und

250

Nervus medianus.

Kap. XIV.

M. biceps angetroffen; der für den Biceps allein bestimmte Ast oft noch etwas unterhalb des schon zuerst erwähnten Punktes; der Vorderarm Avird kräftig gebeugt und etwas supinirt; den für den M. brachialis internus bestimmten Ast findet man etwas unter- halb der Halbirungslinie des Bicepsmuskels, von dessen innerem Rande her die Elektrode unter diesen Muskel kräftig nach auswärts ge- schoben werden muss. (N. B. Der vom N. radialis für den Muse, brachialis internus bestimmte Ast liegt etwas nach innen uad unten von der für den N. radialis charakteristischen Umschlagsstelle.)

M. brachialis internus

,-'M. biceps brachii "??5r.^S^^ ^^ N. musculo

Nv. me dianus

NT. ul naris

Fig. 96.

Der N. medianus ist längs der Innenwand des M. biceps in der ganzen Länge des Oberarms zu finden; der Vorderarm wird pronirt, die Hand nach der Radialseite zu gebeugt, der Daumen opponirt, die Finger gebeugt.

Oberhalb des Handgelenkes (zwischen den Mm. palm. longus und flexor carpi radialis) kann der N. medianus ebenfalls isolirt gereizt werden: der Daumen wird dadurch abducirt und opponirt und die Basalphalangen der 2 nächsten Finger (nur manchmal auch des vierten Fingers) leicht (durch die Wirkung der Mm, lumbricales) gebeugt.

§102.

Nervus medianus.

251

Von der Plica ciibiti aus ist der M. pronator teres indirekt gut zu erregen (meist gewaltsame und sehr schnelle Vorderarmpronation), während die beiden grossen Fingerbeugemuskeln (N. flexor dig. subl. et prof.) wegen Eintritts der Nerven von der Tiefe her nur direkt erregt werden können.

Die für den M. flexor carpi rad. und M. palm. longus be- stimmten Punkte findet man unterhalb des Cond. internus humeri an den ülnarrändern der entsprechenden Muskeln; der FJexor poUicis longus wird direkt gereizt am Radialrand der Beugeseite des Vorder- arms handbreit oberhalb des Handgelenks; übrigens wird in Bezug auf die genannten Verhältnisse hiermit auf die beigegebene Figur (97) verwiesen.

Was die für die Daumen muskulatur bestimmten Medianäste für den Abductor poll. brevis, den M. opponens, den M. flexor

Mm. lumbricales

M. opponens digit. min. M. flexor digit. min. M. abd. digit. min.--- M. palmaris brevis-"

N. lünaris (ram. vol. prof.) N. medianus

M. flexor digit. subl. (ind. und minim.)

M. flexor digit. subl (II u. III)

M. flexor digit. profund.

M. ulnaris interuus(flexor carp. ulii.)

M. palm. longus

M. Pronator teres

N. medianus

M. adductor poll.

M. flexor poll. brevis

M. opponens pollicis

M. abductor poll. brevis

M. rtexor pollicis longus

- M. flexor digit. subl.

M. rad. internus (flexor carp. rad.)

M. supin. longus

Fig. 97.

252 Nervus ulnaris. Kap. XIV.

brevis betrifft, so liegen die hier in Betracht kommenden Pmikte in einer von unten mid aussen bogenförmig nach innen und oben auf- steigenden Linie: die 3 von Medianusästen versorgten Mm. lumbri- cales findet man in der Hohlhand an der Radialseite der Muskeln (schmerzhafte Erregungen wegen der zahlreichen sensiblen Fingernerven, oft nur geringer Erfolg wegen der Dicke der Epidermis); die Wir- kung besteht in leichter Beugung und Radialwärtsdrehung der Basal- phalangen der entsprechenden Finger.

Wie der N. medianus so kann auch der N. ulnaris am inneren Bicepsrande, noch etwas mehr nach hinten, als der ersterwähnte Nerv längs des ganzen Oberarms gereizt werden, am besten und sichersten in und etwas oberhalb (vielleicht 2 Ctm.) der vom Condyl. internus humeri und dem Olecranon gebildeten Rinne: ausser- dem ist er (nach dem Abgang der Aeste für den Flexor carpi ulnaris und den Flexor digitor. prof.) in einer ziemlich bedeutenden Aus- dehnung oberhalb des Handgelenkes lateral wärts von der Sehne des M. flexor carpi ulnaris zu isoliren.

Der Ast für den M. flexor carpi ulnaris (den Beuger der Hand nach der Medianseite hin) findet man (oft kann man nur direkt den Muskelbauch treffen) am Ulnarrand des Vorderarms, etwa einen Zoll unterhalb des Cond. intern, humeri; geht man mit der Elektrode etwas weiter nach innen und unten, so wird der Ulnaris an t heil des M. flexor profundus erregt.

DieMuskeln des Kleinfingerballens werden an den auf der Figur bezeichneten Punkten meist direkt gereizt (M. abductor, flexor und opponens digiti minimi). In der Nähe dieser Stelle findet man wohl auch den Hautmuskel des Kleinfingerballens, den Palmaris brevis, und oft oberhalb des für Flexor pollicis brevis bestimmten Punktes die Stelle für den von einem Ulnarisast inner virten M. ad- ductor pollicis.

Die von Ulnarisästen versorgten Mm. interossei reizt man direkt vom Handrücken her: bei schwachen Strömen treten allein die M. externi in Wirksamkeit (Abductionen der Finger vom Mittelfinger oder des letzteren von der Medianlinie der Hand). Stärkerer Strom und festeres Andrücken der Elektroden lässt auch die M. interossei intern i mit in Thätigkeit treten: neben den Abductionen der Finger tritt dann eine Beugung der basalen und eine Streckung der Mittel- und Nagel phalangen ein.

Der N. radialis ist oft nur schwer am hinteren Achsclhöhlen- rande zu isoliren; leicht an der sogenannten ümschlagsstelle an

§ 102.

Nervus radialis.

253

einem Punkte, welcher zwischen dem Cond. extern, hum. und der An- satzstelie des Deltoid. in der Mitte und etwas nach aussen zu liegt. Die Reizung bewirkt Supination des Vorderarms, Dorsalflexion der Hand, Streckung der Finger inclusive des Daumens (man vergesse nicht, dass der N. radialis nur den Extensor digit. communis inner- virt, dessen Reizung meist nur die Streckung der basalen Phalangen bedingt; die Streckung der Mittel- und Nagel phalangen ressortirt vor- wiegend van den Mm. interossei, also dem N. ulnaris.).

Was die für einzelne Aeste des N. radialis bestimmten Punkte betrifft, so ist der dem M. brach ialis internus zugehörige, oft schwer etwas unterhalb und vorn von der Uraschlagsstelle zu finden.

N. radialis

M. brachialis internus

, M. supin. longus M.radial.ext long.

M. triceps M. triceps (caput longum)

Fig. 98.

In Bezug auf die Reizung des M. triceps ist zu bemerken, dass die- selbe direkt auszuführen ist, wobei die auf obenstehender Figur an- gegebenen Punkte als Leiter dienen.

Der M. supin ator longus wird von einem Punkte dicht ober- halb des Condyl. externus (direkte Reizung) in Kontraktion versetzt: er ist vorwiegend ßeugemuskel des Vorderarms. (Von dem oben er- wähnten Punkt an der Fossa supraclavicularis her wird dieser Muskel mit dem Brach, internus und Sup. brevis, dem Biceps und Deltoideus zusammen indirekt erregt.)

254

Nervus radialis.

Kap. XIV.

Unmittelbar unterhalb des Cond. externus wird der Radialis externus longus, weiter abwärts der Radialis externus brevis (beide direkt) gereizt. Durch Verschiebung dieses letzteren Muskels ist der M. supinator brevis (direkt) in Kontraktion zu bringen. Zwischen dem Extens. carp. rad. brevis (Rad. ext. brev.) und dem nach dem Ulnarrande des Vorderarms zu und etwas tiefer zu reizeiiden M. ext. carpi ulnaris (Uln. ext.) liegt der M. extens. digit. com- munis (direkt meist zu erregen): Streckung der Hand und der basalen Fmgerphalangen (dabei entfernen sich dieselben von einander.)

'M. inteross. dors. IV 'M. abd. digit. min.

M. ext. iiidicis propr. M. ulnaris extern.

M. rad. ext. brevis

.ext.pollicis longus M. ext. indicis propr.

M.ext. dig. niin.propr. M. ext. dig. communis

M. supin. brevis

M. rad. ext. longus M. supin. longus

Fig. 99.

Die Strecker der einzelnen Finger (vgl. die Figur) findet man meist in der Mitte resp. der unteren Hälfte der Streckseite des Vorderarms, teils mehr an der Radialseite M. extensor indicis propr., M. abductor pollicis longus, M. extensor pollicis brevis, teils mehr an der Ulnarseite M. extensor dig. minim. propr., M. extensor pollicis longus und ind. propr.

§ 103.

Untere Extremität. Nervus cruralis.

255

§ 103. Untere Extremitäten. Wegen der bedeutenderen Dicke des Fettpolsters und der Haut selbst, namentlich der Epidermis, müssen hier meist kräftigere Ströme, als an den oberen Extremitäten angewendet werden. Oft ist wegen des Eintritts der motorischen Nerven von der Tiefe her nur eine direkte Mukelreizung zu ermög- lichen: noch mehr wie ah den Oberextremitäten sind hier besonders am Unterschenkel die Reizungen der Nerven mit lebhaften Schmerz- erregungen der gleichzeitig mit erregten sensiblen Nerven verbunden.

Der N. cruralis kann in der Schenkelbeuge nach aussen von der Arter. femor. gefunden werden. (Wirkung: Streckung des Unterschenkels.)

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M. tensor fasciae latae (Ra- /_, X\

mus n. glut. super.) / ^:^ \ a

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M. tensor fasciae latae (Ra- _j mus c. cruralis)

M. sartorius

Ramus N. cruralis pro M. W-, j

quadric. "Vu ~j

M. rectus femoris A^r. ,

f \'

M. vastus externus< Vv- n^^^'

N. obturatorius

T- M. adductor longus

^t- M. cruralis

vastus internus

II

Fig. 100.

256 Nervus cruralis, obturatorius, ischiadicus. Kap. XIV.

Der M. rect. femor. wird vorn in der Mitte des Oberschenkels direkt oder bei Einschiebung der Elektrode vom inneren Rande her von seinem Nerven aus gereizt.

Der M. vastus externus kann am äusseren Rand des Rect. fem. von 2 Punkten aus (siehe Figur) 1—2 Hand breit oberhalb des Cond. externus fem. gereizt werden. Der M. vastus internus kann von seinem Aste aus zwischen dem M. sartor. und dem Muskel selbst oberhalb des Cond. intern, femoris im unteren Drittel des Oberschenkels zur Zusammenziehung gebracht werden.

Der M. cruralis wird (oft nur direkt) durch Aufsetzen der Elek- trode oberhalb und etwas nach innen von dem Punkt für den Vastus internus angetroffen.

Etwas nach innen und unten von der für Reizung des N. crur. angegebenen Stelle findet man den für die Reizung des M. sartorius geeigneten Punkt.

Der M. tensor fasciae lat. erhält sowohl vom Glutaeus superior (ziemlich dicht unterhalb der Spin. oss. iL ant. sup.), wie auch vom N. cruralis (IV25 1 2 Zoll nach abwärts von der eben angegebenen Stelle) je einen Ast.

Der N. obturat. wird bei senkrechtem Aufsetzen der Elektrode gegen den horizontalen Schambeinast bei kräftigem Eindrücken erreicht und seine Reizung (schmerzhaft) bewirkt eine kräftige Adduction des betreffenden Oberschenkels.

In geringerer (4 5 Ctm.) oder etwas weiterer Entfernung von dem horizontalen Ast des Os pubis können sodann der'Adductor brevis resp. longus, noch weiter abwärts der Ast für den M. gracilis ge- troffen werden: der M. adductor magnus wird direkt am Innen- rand des Oberschenkels hinten gereizt.

Die Gesässmuskeln werden wegen der tiefen Lage der Nerven direkt erregt: zeitweilig findet man am unteren Rande der Hinter- backe einen dem N. glutaeus infer. angehörigen Punkt.

Durch einen starken Strom und sehr festes Eindrücken der Elek- trode ist es manchmal möglich, den N. ischiadicus zwischen Trochanter maior und Tuber ischii am unteren Rande des grossen Gesässmuskels zu erregen und dadurch eine Beugung des Unterschenkels und eine Zusammenziehung der dort und am Fuss befindlichen Muskeln zu be- bewirken (schmerzhaft).

Die Beuger des Unterschenkels sind ebenfalls (meist nur durch starke Ströme) etwa 4 5 Ctm. unterhalb des unteren Randes des M. glutaeus maximus der Reihe nach von aussen nach innen ziem-

103.

''^ ti//' /

M. gliUaeus niaxi- miis

M. adductor magiuis

M. semitendinosus

M. semimembranosus

M. gastrociiemius (Caput intern.)

Fig. 101.

RosPDtlial n. Bernhardt, Elektriüitätslplivf. TTT. Aufl.

17

258

Nervus peroneus.

Kap. XIV.

lieh in gleicher Höhe direkt zw erregen: Cap. longum M. bicipitis, M. semitendin., M. semiraem branosus; das Cap. breve des M. biceps wird von einer etwas nach aussen und etwa 5 6 Ctm. nach abwärts vom oberen Punkt gelegenen Stelle aus gereizt.

Schon im unteren Drittel des Femur ist der N. peroneus am Innenrand flei- Bicepssehne zu erreichen: meist wählt man den etwas oberhalb und hinter dem Capit fibulae gelegenen Punkt für die Rei- zung dieses Nerven. (Die Wirkung erstreckt sich auf die Mm. peronei, tibialis anticus, extens. hall long., extens. digit commun. long et brevis )

Der von dem N. peron. superfic. innervirte M. peroneus longus

N. peroneus

M. gastroci\eniins

exterinis

If. pei'oneus long.

M. flexor halliici« longus

\ M. tibialis anticus

\

M. extens. disit. comnumis longus

B--, i M. pevonens livevi.s

I M. extensor halliieis longus

M. extensor digit. coramn- nis brevis

- M. iibdnctor dig. min.

ihn. interossci dor- sales pedis

Fig. 102.

§ 103, 104. Nervus tibialis. Rumpfmuskeb. 259

wird direkt 2 3 Ctm. unterhalb des Capit. fibulae, der M. peron. brevis fast 20 Ctm. abwärts, der M. tibialis anticus oben an der äusseren Schienbeinkante 10 12 Ctm. unterhalb des Capit. fib., der M. extens. dig. commun. in fast derselben Höhe, mehr aber nach aussen gereizt. Den M. extensor halluc. longus erreicht man am Anfang des unteren Drittels des Unterschenkels am Schienbeinrande direkt.

Der M. extensor digit. brevis kann manchmal indirekt aut dem Fussrücken zwischen den Sehnen des Extens. hallucis longus und Ext. digitor. communis oder weiter nach aussen und unterhalb des äusseren Knöchels direkt in Erregung versetzt werden.

Der N. tibialis ist nach innen vom N. perön. in der Kniekehle zu treffen. Die beiden Abteilungen der Mm. gastrocneraii können (der Ast für den inneren Teil tritt tiefer am Rande in den Muskel ein) unterhalb der Oberschenkelcondylen gereizt werden. Der M. soleus ist (nicht leicht) isolirt durch Aufsetzen der Elektrode unterhalb und noch mehr medianwärtsvon dem inneren Gastrocnemiusbauch isolirt zu erregen.

Weiter abwärts kann der N. tibialis oberhalb des Malleol. internus zwischen Achillessehne und medialem Tibiarande isolirt gereizt werden.

Etwas höher lässt sich der Ast des Flexor digitor. communis und an der Aussenseite in etwa derselben Höhe der Flexor hallucis longus (zugleich auch Stelle für den M. peron. tertius) isoliren, während der M. tibialis posticus durch seine tiefere Lage der Reizung kaum zugänglich ist.

Am Fuss trifft man am inneren Rande nach unten und etwas nach vorn vom Malleol. internus den M. abductor hallucis, nach unten (auf der Sohle) den Ast für den Flexor digit. brevis. Der Abductor digit. minimi wird am Aussenrande des Fusses, die Mm. int er OS sei direkt in den Intertarsalräumen gereizt: die Wirkung gleicht der der Zwischenknochenmuskeln an der Hand.

§ 104. A^on den Rumpfmuskeln kann man in den Inter- costalräumen durch Elektroden, welche am Ursprung der Serratus- zacken gegen den unteren Rand der zunächst oberen Rippen angedrückt werden, die Mm. intercostales externi, mit stärkeren Strömen in der Gegend der Zwischenräume zwischen den Rippenknorpeln die Mm. intercostales interni zur Kontraktion bringen: die nächst unteren Rippen werden nach oben (eventuell etwas nach aussen) gehoben.

Von den Bauchmuskeln kann man die für die einzelnen Ab- theilungen des Rectus abdom. bestimmten Aeste beiderseits in der Mitte etwa des Aussenrandes der einzelnen Abschnitte reizen: die

17*

260

Bauchmuskeln.

Kap. XIV.

oberen Partien ziehen die Bauchwand nach oben, die unteren nach abwärts, die Bauchwand tritt nach innen hinein.

Die Aeste für den M. oblic[uus abdorainis extern, findet man in den unteren Intercostalräumen (besonders wirksam ist die Reizung vom freien Ende der beiden letzten Rippen hei-) die Seitenwände des Bauches flachen sicli ab. Beim Ansatz der Elektroden oberhalb des Darmbeinkammes am vorderen Rande des Quadr. lumborum bringt man den M. transversus abdominis, noch weiter nach vorn ober- halb der Spin, ilei ant. sup. den M. obliquus abdom. internus in Kontraktion.

Von den tieferen Nackenrauskeln ](ann direkt vielleicht noch der Splenius capitis (hinten und aussen am oberen Drittel des M. ster- nocleid. m.) erreicht werden, die übrigen sind anzugänglich.

Die Mm. latissimus dorsi, teres maior und minor, serra-

_ M. rectiis abdo- minis

M. lecUis abdo- minis

M. rectus abdo- minis

M. rectus abdo- minis

Fig. 103.

§ 104, 105. Untersuchung- tuit dem fiiradisclieii Strom. 2G1

tus posticus inferior sind nur direkt (vielleicht der Lat. dorsi von der hinteren Wand der Achselhöhle sus zwischen ihm und Brustwand indirekt) zu erreichen: von den Rückenmuskeln kann der M. opistho- tenar direkt erregt und dadurch eine Biegung des Rumpfes nach der ^■erkürzten Seite hin erzielt werden.

§ 105. Hat man jetzt die Aufgabe, die elektrische Erreg- barkeit eines erkrankten Nerv-Muskelgebietes zu unter- suchen, so hat man sich zu vergegenwärtigen, dass die Untersuchung eine unvollkommene ist, wenn nicht sowohl mit dem faradischen, wie mit dem konstanten Strom geprüft wird, und zwar mit beiden Stromes- arten sowohl die direkte, wie die indirekte Erregbarkeit. Die Gründe für die Notwendigkeit dieses scheinbar umständlichen Verfahrens werden klar werden, sobald weiterhin von dem Verhalten der elektrischen Erregbarkeit z. ß. bei Lähmungszuständen peripherischer Nerven ge- handelt werden wird. Beschäftigen wir uns zunächst mit der llnter- suchungsmethode der Erregbarkeit der motorischen Nerven mittelst des faradischen Stroms, und nehmen wir des besseren Ver- ständnisses wegen an, es handle sich um abnorme Verhältnisse des einen z. ß des linken N. facialis, so stellen wir uns die Aufgabe, zu untersuchen, ob etwa und in welcher Weise sich die Erregbarkeit dieses Nerven füi' den faradischen Strom verändert hat.

Die eine mit einer grösseren Ansatzplatte versehene Elektrode wird an einem Punkt der Körperoberfläche applizirt, unter dem sich womöglich gar keine direkt in Kontraktion zu versetzende Muskel- massen befinden, also z. B. das Brustbein oder die Stelle oberhalb des Proc. spin. des 7. Halswirbels etc. Von diesen sogenannten „indif- ferenten Punkten" ist das Brustbein insofern der bequemste, als in zahlreichen Fällen der zu untersuchende Kranke selbst das Ansetzen und Festhalten der Elektrode besorgen kann. Die zweite^ mit einem kleinen knopfförmigen Ansatzstück versehene Elektrode wird nun zunächst auf den Punkt aufgesetzt, von dem aus die Erregung des zu untersuchenden Muskelgebietes erfahrungsgemäss am leichtesten bewerk- stelligt werden kann. Die indifferente Elektrode ist der positive Pol des Oeft'nuiigsinduktionsstroms der sekundären Spirale, der negative Pol wird von der differenten Elektrode gebildet. Zunächst entfernt man jetzt die sekundäre Spirale soweit \on der primären, dass der Strom garnicht oder kaum fühlbar ist und keine sichtbaren Muskel- zusammenziehungen auslöst, und nähert jetzt die sekundäre Rolle ganz allmählich der primären, bis die erste kleinste (oft nur durch Niveau-

262 Beaclitung' der Widerstände. Kap. XIV.

Veränderungen der die Muskelmassen bedeckenden Haut zu erkennende) Kontraktion bemerkt wird. Man notirt dann den Rollenabstand, um jetzt auch auf der gesunden Seite (in unserem Beispiele die rechte Ge- sichtshälfte) den Rollenabstand für diese erste »minimale Zuckung** zu finden.

Die erste Bedingung jeder derartigen Untersuchung ist, dass äusserlich zunächst bei der Exploration der beiden Seiten ganz die- selben Bedingungen obwalten. Der positive Pol (die indifferente Elek- trode) bleibt an seinem Platze; die differente Elektrode ist wieder der negative Pol in derselben äusseren Gestaltung; die Durchfeuchtung der Haut wird mit derselben (erwärmten und mit etwas Chlornatrium versetzten) Flüssigkeit von dem homologen Punkte aus vorgenommen.

Praktisch kann man in der Tat die auf diese Weise für beide Seiten erhaltenen Resultate direkt mit einander vergleichen und einen im Vergleich zur gesunden Seite vergrösserten RoUeuabstand (also die verringerte Stromstärke) mit einer .höheren Erregbarkeit, einen ver- minderten Rollenabstand (also eine vermehrte Stromstärke) mit einer Herabsetzung der Erregbarkeit des geprüften Nerven parallelisiren. Dies ist namentlich dann erlaubt, wenn es sich, wie in dem oben gewählten Beispiele, um einseitige Läsionen handelt, so dass die Untersuchungsergebnisse mit denen der gesunden Seite desselben Individuums direkt verglichen werden können.

Zu beachten ist indessen, dass auch in diesen Fällen Differenzen in dem Verhalten der äusseren Bedeckungen .die Ergebnisse nicht unerheblich raodifiziren können, so dass dieselben nicht ohne Weiteres für die Diagnose einer erhöhten resp. verringerten Erregbarkeit ver- wertet werden dürfen. Bekanntlich setzen die verschiedenen Gewebe des menschlichen Körpers dem elektrischen Strom einen im A^ergleich zu den Metallen ungemein grossen Widerstand entgegen, einen Wider- stand, der sich im Grossen und Ganzen nach dem Wassergehalt der einzelnen Gewebe richtet. Den grössten Widerstand (vergl. S. 190 Teil I) findet der Strom an der trocknen, wasserarmen Epidermis*),

*) In neuester Zeit von Gärtner''"- ausgeführte Untersuchungen ergaben, dass der Widerstand der wohldurchfeuchteten Epidermis für sehr schwache konstante Ströme ein ungemein grosser ist (bis zu 200000 S.E.), dass aber ein kräftiger Strom von nur 1 Minute Dauer diesen Widerstand auf ein Bruchteil der früheren Grösse (z. B. auf 10000 in obigem Beispiel) herabsetzt. Nach Ent- fernung der Epidermis (an der Leiche) lässt sich der (enorm verminderte) Wider- stand durch Stromwirkung nicht weiter verändern. Der Sitz der Widerstands- änderung ist also ausschliesslich in der Epidermis zu suchen. Dies

§ 105. Feststellung des Leilungswiderstandes. 263

deren Dicke an verschiedenen Stellen der Körperoberllächo auch lÜi- dieselbe Person, jedenfalls aber bei verschiedenen Individuen ver- schieden ist. Nun ist der Widerstand ausserdem noch abhängig \on der Temperatur, dem ßlutreichtum, der Durchfeuchtung der Haut, deren Epidermisschicht durch äussere Umstände (Arbeit, Geschlecht, Alter, Oedeme, Einwirkung von Senfteigen, ßlasenpflastern etc ) wesent- lich auf der einen Seite des Körpers von der der anderen eine \er- schiedene geworden sein kann.

Wenn nun auch vielleicht diese Besorgniss vor den möglichen Fehlerquellen bei einseitigen Äffektionen übertrieben erscheinen könnte, so ist das nicht mehr der Fall, wenn es sich wie bei doppel- seitiger Facialislähmung z B. oder bei paraplegischen Zuständen etc. um doppelseitige i\.(fektionen handelt. Hier ist der Vergleich der elektrischen üntersuchungsergebnisse mit den an gleichaltrigen, ge- sunden Menschen gewonnenen nur ein ganz strengen Anforderungen nicht ganz genügendes Auskunftsmittel; denn auch hier sind wir ja über die Leitungs- und ^Viderstands Verhältnisse in der Haut im Un- klaren, ganz zu schweigen davon, dass nicht immer entsprechende gesunde Individuen zur Hand sind. Bedenkt man, dass das Grund-

E

gesetz der Elektrizitätslehre lautet J = -r^-^-, so muss man sich tüg-

lich wundern, wie lange Zeit Aerzte und Elekirotherapeuten sich nicht gescheut haben, W, d. h. die Bestimmung der AViderstandsverhältnisse in der Leitung zu vernachlässigen. Erb^'' gebührt das Verdienst, auf diesen Mangel der üntersuchungsmethode zuerst hingewiesen und zugleich die Mittel und Wege angegeben zu haben, Irrtümer zu vei'- meiden. Man bedient sich zur Feststellung des Leitungswiderstandes des konstanten Stromes, dessen positiver Pol (Anode) auf das Brust- bein, dessen negativer Pol (Kathode) auf die entsprechende differente. zu reizende Stelle aufgesetzt und dort bei einer bestimmten Anzahl

beweist zum Ueberfluss noch das Experiment, dass der Widerstand der abge- lösten Epidermis nach Stromdurchleitung um mehr als die Hälfte des ursprüng- lichen Wertes abnahm. Da der galvanische Strom auch an Leichenteilen alles dies bewirkt, so ist es also nicht die Hyperämie, die vermehrte Zufuhr alkalischen, ^ut leitenden Blutes zur Haut und die Anfüllang der Schweissdrüsen mit Sekret, welche unter der Einwirkung des Stroms die Leitungsfälligkeit der Haut steigern. Es handelt sich vielmehr um kataphorische lu'scheinungen, also um die .\uf- r|uellung der Epidermis unter fler Anode durch das eingeführte Wasser; das Schliessen oder Ocffncn des Stromes hat an sich keinen Eintluss auf den Wider- stand; die Grösse seiner Abnahme ist aber abhängig von der Intensität und Schliessungsdauer des angewandten Stromes,

264 Verhältiiiss der Stromstärke zum Leituiigswid erstand. Kap. XIV.

von Elementen (10—15) einige Zeit stabil gehalten wird; sodann liest man am Galvanometer den Nadelausschlag ab, den man (bei genau derselben Versuchsanordnung und Zeitdauer des Versuchs) mit dem der andern Seite vergleicht.

Waren die Nadelausschläge gleich, so hat man ein Recht, den etwa verminderten bezw. vergrösserten Rollenabstand, bei dem auf der kranken Seite im Vergleich zur gesunden die erste Zuckung auf- tritt, direkt auf eine im Vergleich zur gesunden Seite herabgesetzte oder erhöhte Erregbarkeit des geprüften Nerven zu beziehen : eine vermehrte Stromstärke und ein grösserer Nadel ausschlag (Zeichen minderen Leitungswiderstandes) auf der kranken Seite sprechen erst recht für eine faktische Herabsetzung der Erregbarkeit, ein Schluss, der bei verminderten Rollenabstand und zugleich kleinerem Nadel- ausschlag nicht gerechtfertigt erscheint, insofern der grössere Leitungs- widerstand die Erklärung für die durch die Verminderang des. Rollen- abstandes vergrösserte Stromstärke abzugeben geeignet ist.

Um nun auch bei doppelseitigen Affektionen einen Mass- stab zu haben, an dem die gefundenen Resultate gemessen werden können, empfahl Erb die Prüfung der minimalen (faradischen) Erreg- barkeit folgender vier verschiedenen Regionen angehörigen Nerven (des Stirnastes des N. frontalis, des Astes für den M. cucullaris vom N. accessorius, des N. ulnaris oberhalb des Ellenbogengelenks und des N. peroneus oberhalb des Capit. fibulae) und die Bestimmung des Leitungswiderstandes nach der oben angegebenen Methode an eben jenen Hautstellen, an welchen mittelst des Induktionsstroms die Erreg- barkeitsprüfung vorgenommen wurde. Bei gesunden Männern zeigen beide Wertangaben (Nadelausschlag am Galvanometer, Rollenabstand am Schlitteninduktorium) bei aller absoluten Verschiedenheit doch regelmässig fast dieselben relativen Schwankungen, welche übrigens sich in Bezug auf die Rollenabstände in sehr geringen, kaum 2 Ctm. übersteigenden Diiferenzen bewegten. Mit Ausnahme des zu seiner Erregung einer (trotz geringeren Leitungswiderstandes der Hautstelle) grösseren Stromstärke bedürftigen N. frontalis zeigten die Rumpfnerven der einzelnen Individuen alle bei nahezu derselben Stromstärke, die natürlich je nach den benutzten Apparaten (absolut) eine verschiedene sein wird, die Minimalzuckung. Auf diese Weise- kann man nun auch bei einem doppelseitig, z. B. von einer Lähmung befallenen Indivi- duum durch die Prüfung dieser relativen Erregbarkeits- und Leitungs- widerstandsverhältnisse Abweichungen der zu untersuchenden Region von den normalen (relativen) Verhältnissen feststellen.

Kapitel XV.

Von der Untersiiclmngsmethode der motorischen Nerven nnd der Mnskeln mittels des galvanischen Stromes.

§ 106. Bevor wir jetzt an die Untersuchung der Erregbarkeit eines motorischen Nerven durch den galvanischen (sogenannten konstanten Strom) gehen, wird es gut sein, sich die Verhältnisse kurz ins Gedächtniss zurückzurufen, wie sie physiologisch an dem direkt den Elektroden eines konstanten Stromes überbrückten Nerven zur Beobachtung kommen. Liegt ein Nerv so über den Elektroden, dass sein peripherisches, dem Muskel zugewandtes Ende dem positiven Pol (der Anode) aufliegt und ein mehr centralwärts gelegenes Stück dem negativen Pol (der Kathode) , so nennt man bekanntlich den durch den Nerven fliessenden Strom einen aufsteigenden; ist das Um- gekehrte der Fall, so geht der Strom in absteigender Richtung dur/h den Nerven. An dem Orte, wo der Nerv der Anode oder der Kathode aufruht, tritt in demselben eine eigentümliche Veränderung seines Zustandes ein, der mit dem Namen des Anelektrotonus, beziehungs- weise Katelektrotonus belegt wird. Letzterer Zustand besteht im Wesentlichen in einer Erhöhung der Erregbarkeit der katelektrotoni- sirten Stelle (sodass z.' B. schon bei grösserem Rollenabstand der sekundären Spirale von dem unter dem Einfluss der Kathode stehen- den Punkte aus eine Muskelzuckung erzielt werden kann, als vorher von derselben Stelle aus, ehe dieselbe durch das Anlegen der Kathode katelektrotonisirt war), der Anelektrotonus dagegen in einer Herab- setzung der Erregbarkeit der unter dem Einfluss der Anode (des positiven Pols) stehenden Nervenstrecke.

Dazu kommt, dass bei einer gewissen Stromstärke die anelek- trotonisirte Stelle für Reize, die vom Centrum herkommen, schlechter leitend resp. leitungsunfähig, wird, während das Umgekehrte für die katelektrotonisirte Stelle Statt hat. Nun löst aber ein und derselbe

2(56

Zuckutiffso'esetz des motorischen Nerven.

Kap. XV.

Reiz um so stärkere Muskelzuckangen aus, je weiter vom Muskel entfernt die Stelle des Nerven ist, auf die er applizirt wird. Erregt wird aber eine gegebene Nervenstrecke nur durch das Entstehen des Katelektrotonus und nur durch das Vergehen desAnelek- trotonus, nicht aber durch das Verschwinden des Katelektrotonus und das Entstehen des Anelektrolonus. Es entsteht also bei der Schliessung des Stromes die Reizung im Nerven nur in der Gegend der Kathode, bei der Oeffnung der Kette aber nur in der Gegend der Anode. Dieser letztere, durch das Verschwind jn des Anelektrotonus ausgeübte Reiz ist ein schwächerer Reiz für den Nerven, als das Ent- stehen des Katelektrotonus. Bekanntlicli hat Pflüge r-**^ nachgewiesen, dass am frisch aus dem Tiere entnommenen Nerven das sogenannte „Zuckungsgesetz" nur eine Funktion der Stromstärke ist, und hat in folgendem Schema die üntersuchungsresultate veranschaulicht:

Stromstärke :

Aufsteio'cnder Strom :

Absteigender Strom :

Schwacher Strom

S. Zuckung Oe. Ruhe

S. Zuckung Oe. Ruhe

Mittelstarker Strom

S. Zu-ckuüg Oe. Zuckung

S. Zuckung Oe. Zuckung

Starker Strom

S. Ruhe Oe. Zuckung

Oe.

S. Zuckung Schwache Zuckung

Dass bei aufsteigendem Strom die Oeifnungszuckung später ein- tritt als die Schliessungszucknng, beruht nach dem oben Auseinander- gesetzten darauf, dass die durch das Verschwinden des Anelektrotonus gesetzte Nervenerregung von einer mehr peripheren Stelle des Nerven ausgeht, als der durch das Entstehen des Katelektrotonus gesetzte Reiz, und sodann darauf, dass das Aufhören des Anelektrotonus über- haupt ein schwächerer Reiz ist, als die Entstehung des Katelektro- tonus. Bei grosser Stromstärke wird (III. Stufe Pflüger 's) der Anelektrotonus so stark, dass die anelektrotonisirte Stelle leitungs- unfähig wird und so den von centralwärts her kommenden Reiz (Ent- stehen des Katelektrotonus) nicht mehr bis zum Muskel leitet. Die Schliessungszuckung bei absteigendem Strom erklärt sich leicht aus dem in der Nähe des Muskels entstehenden Katelektrotonus: da bei absteigendem Strom die katelektrotonisirte Stelle vom Zentrum des Nerven entfernter liegt, als beim aufsteigenden Strom, so erscheint

§ 106. 107. Brenner''sche TPolai-e) Untersuchungsmethode. '267

sie etwas später als die Schliessuiigszuckung des aufsteigenden Stroms. Dass endlich bei sehr bedeutender Stärke eines absteigenden Stromes der durch das Oeffnen der Kette entstehende starke Reiz (Verschwin- den des starken Anelektrotonus) nur eine „schwache Zuckung** auslöst, liegt daran, dass er, um bis zum Muskel zu gelangen, die stark katelektrotonisirt gewesene Nervenstrecke passiren muss, welche Nervenstrecke unmittelbar nach Oeffnung der Kette weniger erregbar und leitungsfähig wird, so dass der von zentral wärts her kommende Reiz eine starke Hemmung erfährt und nur ganz abgeschwächt bis zum Muskel gelangt.

§ 107. Offenbar sind die Verhältnisse, wie sie beim Tierexperi- ment des Physiologen obwalten und wie sie sich andererseits dem Arzt am lebenden Menschen darbieten, durchaus verschiedene. In letzterem Falle ist ja, ganz abgesehen von der für das Eindringen des Stromes in die Tiefe so wichtigen Hautbedeckung, der Nerv von mehr oder weniger gut leitendem Gewebe umgeben, und es drängte sich daher die Frage auf: kann man denn überhaupt einen elektrischen Strom am unversehrten Thierkörper in einer bestimmten Richtung durch einen Nerv oder Muskel leiten?

Nach Versuchen, Avie sie von Burckhardt-'^ und v. Zicmssen'** an menschlichen Leichen angestellt sind, muss diese Frage in der Tat bejaht werden: es gehen wirklich messbare Stromschleifen durch die in der Tiefe liegenden Nerven auch bei Einleitung solcher Ströme in den Körper, wie sie eleldrodiagnostisch und elektrotherapeutisch täglich angewendet werden. Diese Stromschleifen wechseln ferner ihre Richtung mit der des Hauptstroras und werden mit der Zunahme der Stärke des Hauptstroms selbst intensiver.

Trotzdem aber bezweifelte Brenner die Möglichkeit, hinreichend dichte Zweigströme durch die Nerven bei unversehrter Umgebung durch- zusenden; jedenfalls glaubte er, es durchaus vorziehen zu sollen, ohne irgend welche Rücksicht auf die Richtung des Stromes zu nehmen, zu untersuchen, wie sich die Nerven oder wenigstens einzelne in Folge ihrer Lagf^rung zur Oberfläche bequem für die Applikation der Elek- troden daliegende Strecken derselben gegen die Einwirkung des posi- tiven (Anode) ödes des negativen (Kathode) Pols eines Batteriestroms verhalten, Je nachdem man den Strom schliesst oder öffnet. Diese von Brenner in die Elektrodiagnostik eingeführte und mit dem Namen der ,>polaren« bezeichnete Untersuchungsmethode (vgl. übrigens, was das Historische betrifft später) hat jedenfalls den Vorzug

268 Polare Uiilersucliungsmethode. Kap, XV.

der praktischen Verwendbarkeit und crgicbt dem Untersucher sichere und bestimmt verwertbare Resultate, so dass sie als eine wesent- liche Bereicherung unserer elektrodiagnostischen Methoden zu betrach- ten ist, trotz- der mit Recht gegen sie von verschiedenen Seiten er- hobenen Bedenken. Wählen wir ein konkretes Beispiel: es soll untersucht werden, wie sich der N. ulnaris gegen die Reizung mit dem konstanten Strom verhält. Ruht beispielsweise die eine Elektrode, sagen wir die positive (Anode), auf dem Brustbein, die negative (Kathode) etwas oberhalb der Rinne zwischen dem rechten Condyl. int. des Oberarms und dem Olecranon, so erhält man bei, einer ge- wissen Stromstärke, sagen wir bei 12 Elementen, beim Schluss des Stromes eine kurze, schnelle Zuckung in dem vom Nerven abhängigen Muskelgebiet. Diese Zuckung, dadurch erzielt, dass der Strom ge- schlossen wurde, als die Kathode an dem diiferentcn Punkte (hier dem N. ulnaris) ruhte, nennt man Kathodenschliessungszuckung und schreibt in Abkürzung dafür KaSz.

Oeffnet man den Strom, so erfolgt keine Zuckung.

Beginnt man die Untersuchung in der Weise, dass die Kathode auf dem Brustbein ruht, die Anode aber an dem oben bezeichneten Punkt am Ellenbogen, so erzielt man bei 12 Elementen weder beim Schluss, noch bei der Oeffhung der Kette eine Kontraktion der Muskeln. Man ist genötigt, die Stromstärke zu erhöhen, um bei dieser Stellung der Elektroden eine Zuckung bei Stromschluss auszulösen; man wird vielleicht 15 16 Elemente nehmen müssen, um diesen Effekt, die Anodenschliessungszuckung (ASz), zu erzielen, d. h. eine Muskel- kontraktion bei Kettenschluss, wenn die Anode (der positive Pol) an dem differenten Punkte (dem N. ulnaris) ruhte. Oeffnet man, ohne die Elementenzahl zu verändern, bei derselben Stellung der Anode die Kette, nachdem der Strom einige Sekunden geschlossen gewesen war, so erfolgt meist ebenfalls eine Zuckung, welche man Anodenöffnungs- zuckuug benennt und abgekürzt mit AOz bezeichnet. Anoden- schliessungs- und Anodenöffnungszuckung liegen gewöhnlich sehr nahe bei einander: sie erfolgen entweder bei derselben, oder doch nur sehr wenig von einander verschiedenen Stromstärke. Mit dem Anwachsen der letzteren ist nun aber, wenn man jetzt wieder die Kathode am Nerven, die Anode am indifferenten Punkt ruhen lässt, die Kathoden- schliessungszuckung bedeutender und intensiver geworden: Ja es tritt z. B. bei 18 20 Elementen statt einer einfachen, starken, einmaligen Zuckung eine tonische Kontraktion, ein Muskeltetanus ein, abgekürzt mit KaSTe bezeichnet. Oeffnet man, während weiter die Kathode am

§ 107. Polare Untersuchungsmethode. 269

Nerven ruht, die Kette, so erfolgt schliesslich auch dann bei genügen- der Stromstärke eine Zuckung, welche mit dem Namen der Kathoden- öffnungszuckuug belegt und abgekürzt mit KaOz bezeichnet wird. Mit der allmählichen Erhöhung der Stromstärke sind nun auch, wie leicht zu denken, alle übrigen Zuckungen (ASz und AOz etc.) stärker geworden; sehr selten aber und nur bei sehr bedeutender Stromstärke erhält man schliesslich eine tetanische Kontraktion, wenn die Anode bei Stromesschluss am differenten Punkte ruht: der Anodenschliessungs- tetanus tritt als letztes und seltenstes üntersuchungsergebniss in die Erscheinung. In Kürze also kann man sagen, dass die Reizungserfolge bei allmählich wachsender Stromstärke*) in folgender Reihenfolge nach einander auftreten:

1. Die Kathodenschliessungszuckuug : KaSz,

2. die Anodenöffnungszuckung: AOz,

3. die Anodenschliessungszuckung: ASz,

4. der Kathodenschliessungstetanus: KaSTe,

5. die Kathodenöffnungszuckung: KaOz,

6. der Anodenschliessungstetanus: ASTe.

Die grössere oder geringere Intensität der Zuckung wird durch das grösser oder kleiner geschriebene z angedeutet. (Nur der Voll- ständigkeit wegen, sei hier in Kürze erwähnt, dass die Brenner 'sehe Abkürzung für Kathode: Ka, für Anode: A ist; Andere schreiben für Kathode nur den Buchstaben K, fügen aber dem A (Anode) noch ein n zu. Es ist das natürlich ganz irrelevant; doch scheint es viel- leicht richtig, der Bezeichnung den Vorzug zu geben, die von dem Begründer der polaren Methode gewählt worden ist.)

*) In neuester Zeit von N. Weiss'" in Wien (unter Benutzung eines Gaif fe- schen in Millimeter geteilten absoluten Galvanometers) angestellte Untersuchungen über das Zuckungsgesetz verschiedener motorischer Nerven am lebenden Menschen ergaben :

KaSz bei 1|— 3| M.W.

Asz 2^-4i M.W.

AOz 2i— 4| M.W.

KaSTe 5—7^ M.W.

KaOz 7 10 M.W.

ASTc 12—17 M.W, Resultate, die wir im Grossen und Ganzen bestätigen können. (Zur lirregung des N. peroneus bedurfte es stets etwas grösserer Stromstärken, als sie für den N. ulnaris, radialis, frontalis z. B. nötig waren.) Bei diesen Prüfungen stand die indifferente, 7 Ctm. im Durchmesser haltende Elektrode auf dem Brustbein, unter- sucht wurde mit der kleinen, 2 Ctm. im Durchmesser haltenden Elektrode.

270 ErMärung der polaren üntersuchungsresultate. Kap. XV.

§ 108. Diese durch die Brenner'sche" üntersuchungsmethode erzielten Resultate bleiben nun in der Tat immer dieselben, gleichviel, wo die zweite (indifferente) Elektrode steht: der Strom mag in auf- oder absteigender Richtung fliessen, der Erfolg der Reizung ist von dem an dem erregbarsten Punkt des Nerven ruhenden Pole abhängig. Vergleicht man nun die durch die Brenner'sche Methode am leben- den Menschen erzielten Resultate mit den am isolirten Tiernerven erhaltenen Ergebnissen der Physiologen, so ergiebt sich bis zu einem gewissen Punkte eine vollkommene Uebereinstimmung. Am isolirten Tiernerven tritt zuerst bei relativ geringster Stromesintensität die Schliessungszuckung des aufsteigenden Stromes auf, ihr schliesst sich an 2) die Schliessungszuckung des absteigenden Stromes, 3) die Oeff- nungszuckung des absteigenden Stromes, 4) endlich die Oeffnungs- zuckung des aufsteigenden Stromes. Erinnert man sich nun, wie an erster Stelle bei der polaren Reizmethode die Kathodenschliessungs- zuckung eintrat, an vierter oder fünfter aber erst die Kathodenöffnungs- zuckung, während Anodenschliessungs- und -öffnungszuckung die zweite und dritte Stellung einnahmen, so kommt man unschwer zu dem Resultat, dass die Reizerfolge des aufsteigenden Stromes denen der Kathodenreizung, die des absteigenden Stromes denen der Anoden- reizung entsprechen, Tatsachen, wie sie übrigens direkt durch die F ilehne 'sehen ^' Tierversuche (die Nerven von Fröschen und Kanin- chen wurden unipolar, d. h. durcli Anlegung nur einer Elektrode ge- reizt, während die andere auf dickeren Muskelmassen des Tieres irgendwo ruhte) bewahrheitet und bestätigt worden sind

Nur für die dritte der sogenannten P flüger'schen Stufen bei Anwendung maximaler Stromstärken findet sich im elektrotherapeu- tischen Experiment kein Analogen für das physiologische Reizungs- resultat, dass nämlich bei sehr starken aufsteigenden Strömen keine Schliessungs-, sondern nur eine Oeffnungszuckung, bei sehr starken ab- steigenden Strömen dagegen nur Schliessungs- und gar keine oder nur eine schwache Oeffnungszuckung zu erzielen ist. Am blossgelegten Nerven ätherisirter Tiere erzielte Fi lehne nun auch bei polarer Rei- zung und Anwendung höchster Stromstärken Resultate, wie sie durcli- aus den Experimenten der Physiologen entsprechen: beim Menschen würden so bedeutende Stromesintensitäten erforderlich sein, um das Gleiche an dem von gut leitendem Gewebe rings umgebenen Nerven zu erzielen, dass man schon wegen der enormen Schmerzhaftigkeit derartiger Versuche darauf zu verzichten hat.

Auffallender noch als dieser scheinbare Widerspruch muss es aber

§108.

Erklärung der polaren Untersuchungsresultate.

271

erscheinen, dass bei der Brenn er 'sehen Versuchsanordnung auch durch die Anode, den positiven Pol, eine Zuckung bei Stroraesschluss und andererseits durch die Kathode (den negatiyen Pol) eine Zuckung bei Stromesöffnung erzielt wird, denn die Physiologie lehrt ja, dass nur das Entstellen des Katelektrotonus und nicht sein Schwinden, andererseits nur das Vergehen des Anelektrotonus und nicht sein Werden ein Reiz für den Nerven ist. Diese Schwierigkeit ist natür- lich schon dem Autor der neuen Untersuchungsmethode nicht ent- gangen, und so erklärt denn Brenner diese Erscheinung dadurch, dass im Bereiche jeder einzelnen Elektrode die dieser zukommenden AVirkungen nicht ausschliesslich auftreten, sondern dass im Bereiche der differenten Elektrode in geringerem Grade auch die Wirkungen der anderen Elektrode Platz greifen. Bedenkt man, dass der Nerv im unversehrten Tierkörper von mehr oder weniger gut leitendem Gewebe umgeben ist, so wird zwar, wenn beispielsweise die Anode über einem Nerven ruht, der Strom nach seinem Durchgang durch die Epidermis und die darunter liegenden Teile in relativ bedeutender Dichtigkeit eine umschriebene Strecke des Nerven treffen, alsbald aber,

Fig. 104 (nach de Watteville).

physikalischen Gesetzen folgend, gemäss der besseren oder schlechteren Leitungsfähigkeit der umgebenden Gewebe aus dem Nerven austreten und an diesen Austrittsstellen Wirkungen erzeugen, wie sie eben dem negativen Pol (der Kathode) zukommen: je nach der grösseren oder geringeren Dichtigkeit des Stroms an den verschiedenen Stellen, wo derselbe in den Nerven ein- oder aus ihm austritt, wird nun eine Zuckung bei Schliessung oder Oelfnung des Stromes eintreten, oder

272 Untersuchung mit dem konstanten Strom. Kap. XV

bei beiden Manipulationen, Erscheinungen, Avelclie durcliaus nur von dem Verhältniss der relativen Stromdicbten an den entsprechenden Punkten zu den den Polen entsprechenden Reizwirkuiigen abhängen. Bedenkt man dabei, dass nur das Entstehen des Katelektrotetanus ein Reiz für den Nerv ist - und andererseits nur das Verschwinden des Anelektrotonus , und dass letzteres Reizmoment das schwächer wir- kende ist, so lassen sich jetzt alle faktisch am unversehrten Tier bei polarer Reizung des Nerven durch die Haut hindurch beobachteten Erscheinungen in befriedigender Weise erklären.

In augenfälliger und demonstrativer AVeise findet man eine Be- stätigung dieser wohl zuerst von Helmholtz"^- ausgesprochenen und später besonders durch Erb^^, Hitzig ^^ und neuerdings wieder durch de Watte ville"'^ betonten Grundanschauungen in dem Faktum, dass z. B. beim Ansatz der negativen Elektrode an der Umschlagsstelle des N. radialis am Oberarm bei einer gewissen Stromstärke einige oder alle diesem Gebiete angehörigen Muskeln zucken (KaSz), während die Anodenschliessungszuckung, wenn sie nicht durch An- wendung einer sehr grossen Stromstärke erzielt wird, nicht sowohl im Bereich der von dem N. radialis innervirten Muskeln am Vorderarm sichtbar wird, sondern in der unmittelbaren Nähe der Ansatzstelle am Brachialis internus, biceps oder triceps.

Wie dem nun aber auch sein mag, (wir verweisen in dem von der Therapie handeinden Abschnitt auf weitere Schlussfolgerungen), so viel steht fest, dass praktisch die Brenn er 'sehe, die sogenannte polare Untersuchungsmethode die klarsten und unzweideutigsten Resul- tate ergiebt.

§ 109. Hat man nun die Aufgabe, einen Nerven in Bezug auf seine Erregbarkeit mittelst des konstanten Stroms zu untersuchen, so wird man etwa so verfahren:

Die eine der Elektroden, sagen wir die Anode, ruht an einem indifferenten Punkt (Nacken , Brustbein) , die andere, kleinere, wird wohl, durchfeuchtet an die Stelle gesetzt, welche für die Erregung des zu untersuchenden Nerven die zweckentsprechendste ist. Man beginnt mit einer gewissen Anzahl von Elementen, schliesst die Kette, und beobachtet, indem man allmählich durch Vermehrung der Elementen- zahl die Stromstärke vergrössert, bei welcher Anzahl von Elementen die KaSz auftritt, bei welcher Stromstärke ASz oder AOz nachfolgt, wann KaSTe und schliesslich KaOz beobachtet wird. Die gefundenen und notirten Resultate werden nun bei einseitigen Läsionen mit denen

§ 109. Nutzen und Notwendigkeit des Galyanometers, 273

verglichen, die sicli bei ganz genau der gleichen Versuchsanordnimg bei der Prüfung des entsprechenden Gebietes der anderen (gesunden oder kranken Seite) ergeben. Mehr noch wie bei der Prüfung mittelst des Induktionsstroms ist es bei Erregbarkeitsuntersuchungen durch den (galvanischen) Batteriestrom notwendig, von den Widerstandsver- hältnissen an den entsprechenden untersuchten Punkten unterrichtet zu sein: der Gebrauch des Galvanometers ist zur Stellung einer wissenschaftlich begründeten Diagnose unentbehrlich. Der Nadelausschlag des Galvanometers ist abhängig von der Strom- stärke (Elementenzahl) und dem Gesammtwiderstande der Leitung, zu welcher der der elektrodiagnostischen oder -therapeutischen Prozedur ausgesetzte Mensch gehört. Stellt man sich einen ganz gesunden Mann vor, an dem man die Erregbarkeit beider Nn. ulnares durch galvanische Reizung in der Rinne zwischen Cond. internus und Olecranon feststellen will, und nimmt man an, dass auf der linken Seite zufällig an der betreffenden Hautstelle eine schwielige Verdickung der Epidermis be- steht, so kann es sein, dass wir folgendes Untersuchungsergebniss erhalten: Rechts erfolgt die KaSz bei Schliessung eines Stromes von 12 Elementen, links erfolgt dieselbe KaSz in derselben Stärke erst bei einem Strome von 16 Elementen. Darf man hieraus allein auf eine Erkrankung des linken N. ulnaris schliessen in dem Sinne, dass seine Erregbarkeit herabgesetzt sei? Keineswegs. Denn die Beob- achtung des Nadelausschlags zeigt (wie Avir annehmen wollen) beide mal, rechts bei Anwendung von 12 Elementen, links bei Anwendung von 16 Elementen denselben Nadelausschlag: ist links die Anzahl der Elemente (also in der Gleichung

das E) vermehrt, so ist auch, wie wir ja wissen, durch die Epidermis- schwiele das W vergrössert; die Verkleinerung des Wertes des

E

Bruches -ttj-, welche derselbe durch die Vergrösserung seines Nenners

erfahren, ist eben nur ausgeglichen worden durch die Vermehrung seines Zählers E und das Gesammtresultat, die Leistung, die Kathodenschliessungszuckung, ist dieselbe und der linke Nerv ist wie der rechte in gleicher Weise erregbar.

Tritt andererseits bei dem Vergleich der Erregbarkeit zweier Nerven (alle äusseren Bedingungen und Versuchsanordnungen gleich- gesetzt) eine bestimmte Reaktion (Zuckung) auf der einen Seite eher ein, als auf der anderen (bei geringerer Elementenzahl), oder fällt sie

Rosenthal u. Bernhardt, Elektrizitätslehre. IH. Aufl. Jg

274 Berüclcsiclitigüng der Stromdichte. Kap. XV.

bei gleicher Elementenzahl grösser und kräftiger aus, so kann man nur dann von grösserer Erregbarkeit des einen Nerven im Vergleich zum anderen reden, wenn das Galvanometer einen geringeren Nadel- ausschlag angibt, als auf der anderen Seite. Denn obgleich dann der Widerstand (W) ein grösserer ist (die Nadelausschläge verhalten sich ceteris paribus umgekehrt wie die Widerstände) und damit der Wert von J verkleinert wurde, erfolgte ja dennoch dieselbe oder gar eine stärkere Reaktion, als auf der Seite, wo der grössere Nadelausschlag vorhanden, also die Stromstärke auch die bedeu- tendere war.

Alles dies zugegeben, muss man sich indessen bei derartigen Untersuchungen immer vergegenwärtigen, dass es sich bei solcher Galvanometerbenutzung und Messung der Stromstärke ja .immer nur um den Nachweis der im „gesammten^' Stromkreise nachweisbaren Stärke handelt, wir aber über die Dichtigkeitsverhältnisse des Stroms an den zu untersuchenden Nervenstrecken eine ausreichende Bestimmung nicht erhalten; indess ist bei dem Vergleich meist sym- metrischer Körperstellen und bei den im Allgemeinen doch nicht sehr differenten Anordnungen der Teile auch bei verschiedenen Individuen dieser Mangel, obwohl wissenschaftlich ja vorhanden, praktisch nicht allzuhoch anzuschlagen, resp. zu vernachlässigen*).

Bevor wir weitergehen, ist noch auf folgende Tatsache aufmerk- sam zu machen. In sofern das Zuckungsgesetz des Nerven durch das Oeffnen oder Schliessen eines Stroms dargestellt Averden soll und die Reizerfolge am Nerven bekanntlich nicht sowohl von der absoluten Stromstärke (Dichte), sondern von der grösseren oder langsameren Schwankung derselben in der Zeiteinheit abhängt, haben wir praktisch diese Oeffnungen und Schliessungen des Stroms nicht am Körper des zu Untersuchenden selbst, sondern durchaus nur im metallischen Teil der Leitung vorzunehmen. Man öffnet oder schliesst den Strom

*) Man kann jedoch, wenn es sich nm Vergleichung symmetrischer Nerven handelt, von welchen der eine gesund der andere verändert ist, den Einfluss des Widerstandes eliminiren, indem man denselben Strom gleichzeitig auf beide Nerven wirken lässt. Zu diesem Zwecke setze man beide Elektroden (von gleicher Grösse) möglichst gleichmässig auf die symmetrischen Stellen auf, an denen die betreffenden Nerven gut gereizt werden können. Durch den Stromwender macht man abwechselnd die rechte und die linke Elektrode zur Kathode und versucht, bei welchen Elementenzahlen die Wirkungen rechts und links eintreten.

Wenn hier derselbe Strom bei möglichster Gleichheit aller Verhältnisse auf der einen Seite anders gewirkt hat als auf der andern, so muss die Erregbarkeit eine ungleiche sein.

§ 109, 110. Veränderung d. Widerstandes während d. Stromesschlusses. 275

am besten mit dem Brenn er 'sehen Stromwender oder mit Hilfe der Meyer'schen Unterbrechungselektrode: weniger bedeutende Schwan- kungen, als durch Oeffnen und Schliessen der Kette, erzielt man durch plötzliche Vermehrung resp. Verminderung der Elementenzahl oder durch die schnelle Einschaltung oder Ausschaltung grösserer oder ge- ringerer Widerstände mittelst des in der Haupt- oder in der Neben- leitung eingeschalteten Rheostaten.

§ 110. Bevor wir diesen Gegenstand verlassen, bleibt noch übrig, auf eine Tatsache die Aufmerksamkeit zu lenken, die, wenn vernach- lässigt, gar leicht zu Irrtümern Veranlassung geben kann. Hat man bei einer beliebigen Elementenzahl die Kette geschlossen und den Nadelausschlag am Galvanometer beobachtet, so sieht man alsbald die Nadel langsam aber stetig sich vorwärts bewegen und oft schon nach V2 1 Minute einen von dem ursprünglichen oft um mehrere Grade vermehrten und abweichenden Ausschlag anzeigen. Die anfänglichen Widerstände haben sich also vermindert: hierzu hat der Druck der Elektroden auf die Haut, besonders aber die allmählich vollkommener werdende Durchfeuchtung derselben und die durch die kataphorischen Wirkungen des Stroms sehr verbesserte Leitungsfähigkeit der Epidermis (vgl. S. 262, Anmerk.), beigetragen. Des Weiteren ist sodann schon von Remak^'^ gezeigt und von Anderen, so von Waller und de Watte - ville-^^ bestätigt worden, dass die durch den galvanischen Strom be- wirkte Widerstandsabnahme durch eine Strom Wendung noch weiter vermehrt werden kann, ohne dass man es indess zu hindern ver- möchte, dass die zuletzt erreichte Widerstandsverrainderung bald wieder einer Zunahme Platz macht. So kommt es denn, dass, wenn anfäng- lich 16 Elemente nötig waren, um KaSz von irgend einem Punkte aus an einem Nervenmuskelgebiet hervorzubringen, allmählich 15, 14, 13, ja vielleicht 12 oder schon 10 Elemente genügen, um denselben Effekt zu erzielen: ein Blick auf das Galvanometer belehrt uns, dass bei fortgesetzter Inanspruchnahme von 16 Elementen der anfängliche Nadelausschlag von 2' .^0 auf 3, 4 5^ steigt und erst bei allmäh- licher Verminderung der Elementen-Anzähl auf den ursprünglichen Wert von 2 '/-i ° zurückgeht.

Nach Brenner bezeichnete man früher die leichtere Anspruchsfähig- keit eines motorischen Nerven, der einige Zeit von einem konstanten Strom durchflössen war, mit dem Namen der „sekundären Erregbar- keit" dieses Nerven: fand man beim Beginn der Untersuchung z. B. 16 E = KaSz (d. h. trat bei einer Stromstärke von 16 Elementen

18*

276 i^achwirkungen des konstauten Stroms. Kap. XV".

zum ersten Male Kathodenschliessungszuckung ein), so änderte sich diese „primäre Erregbarkeit« nach längerer Einwirkung des Stromes dahin, dass allmählich immer weniger Elemente nötig wurden, um KaSz hervorzubringen. Die jetzt gefundene Grenze nach unten hin (sagen wir bei unserem Beispiel 12 Elemente) wird nach Brenner mit dem Namen der „sekundären Erregbarkeit« bezeichnet, 12 E = KaSz, welcher schliesslich, wenn man das mächtigste aller elektrischen Reizmittel, die Wendung des Stromes, anwendet (indem man der jedesmaligen Kathodenschliessung eine Anodenschliessung voranschickt), die dritte Stufe, die „tertiäre Erregbarkeit« des Nerven folgt, so dass eventuell schon bei 8 oder 7 Elementen Katho- denschliessungszuckung eintritt. Nach Brenner wird diese primäre, sekundäre, tertiäre Erregbarlceit mit den Zeichen E I, E II, E III be- legt. Sehr wohl war sich Brenner bei der Aufstellung dieser „Stufen« bewusst, wie sehr die Grösse eines elektrischen Reizeffektes von dem Leitungswiderstand der vom Strome zu durchfliessenden Gewebe ab- hängt. Diesem Verhalten ist nun auch in späteren Arbeiten über die Veränderung der Erregbarkeit motorischer Nerven des lebenden Men- schen durch den galvanischen Strom Rechnung getragen worden, am überzeugendsten zuerst von E. Remak^^, welcher durch seine Unter- suchungen, in denen er sein Augenmerk vorzüglich auf die Verände- rung der Erregbarkeit der Nerven nach elektrotherapeutischen Proze- duren richtete und bei denen er nicht wie seine Vorgänger auf diesem Gebiete (Eulenburg^^ Erb^^ Samt^o, Brückner", Cyon^o imd Runge ^^) den induzirten, sondern gleichfalls wieder den konstanten Strom zur Prüfung der etwa erzielten Erregbar Iceitsmodifikationen verwendete, zu folgenden Resultaten kam:

Durch Kathodendauer wird für Kathodenschliessungszuckung eine mit der längeren Dauer und der grösseren Stärke des polarisirenden Stroms zunehmende positive Modifikation hervorgebracht; auch Anoden- dauer erzeugt eine positive Modifikation der Kathodenschliessungs- zuckung, die aber kürzer ist, als die durch Kathodendauer hervor- gebrachte, desgleichen erzielt Anodendauer eine, wenn auch nur geringe positive Modifikation für Ano'denschliessungszuckung, eine Modifikation, die sich auch durch Kathodendauer erreichen lässt.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung stimmen im Wesentlichen mit denen überein, welche die Physiologie von den Nachwirkungen des konstanten Stroms verzeichnet. Danach geht bekanntlich der Zustand erhöhter Erregbarkeit im Bereich der Kathode nach der Oeffnung der Kette durch einen kurzdauernden Zustand negativer

§ 110. Elektrotonische Zustände am lebenden Menschen. 277

Modifikation hindurcli in eine anhaltende yjositive Modifikation über, deren absoluter Wert und deren Dauer der angewendeten Stromstärke proportional ist. Der anelektrotonische Zustand gebt nacb der Oeffuung des Stromes direkt in eine positive Modifikation über, welche sich in ihrer Grösse ebenfalls nach der Stromstärke und der Dauer des Stromes richtet. Näher auf diese Verhältnisse und namentlich auf die oft sich widersprechenden Versuche und Versuchsergebnisse der oben genannten Autoren einzugehen, welche meist mit Hilfe des Induktionsstroms die während des Fliessens des konstanten Stroms an den verschiedenen Polen etwa zu Stande gekommenen positiven und negativen Modifikationen am Nerven des lebenden Menschen untersuchten, scheint hier nicht der Ort.

Wohl aber glauben wir hier noch kurz die von Waller und de Watteville^^ in London „üeber den Einfluss des galvanischen Stroms auf die Erregbarkeit der motorischen Nerven des Menschen« neuerdings angestellten Versuche anführen zu müssen, da jene Autoren in ihren Experimenten ein genaues Zusammenfallen der Stellen für die Polarisation und derjenigen für die Reizung herbeiführten und zu diesem Zweck den polarisirenden und den prüfenden Strom in einen Kreis vereinigten. Sie gingen von den oben schon (S. 271) erörterten Gesichtspunkten aus, dass bei Applikation einer Elektrode auf die Haut über einem Nerven, sich unmittelbar unter der Elektrode im Nerven eine polare (Vorzeichen identisch mit der Elektrode) Zone entwickelt, während zu beiden Seiten dieser Stelle (peripolar, wie schon Filehne nachwies) sich eine Zone herstellt, welche die ent- gegengesetzten Vorzeichen trägt. Natürlich ist die Dichtigkeit in der polaren Zone -grösser, als in den peripolaren Zonen, Avelche unter dem Einfluss sogenannter ,jvirtueller « Elektroden stehen. Wenngleich die Erscheinungen während des Fliessens eines Stromes praktisch und therapeutisch relativ viel weniger interessant sind, als die nach der Applikation des Stromes zurückbleibenden Modifikationen der Erreg- barkeit, so wollen wir doch die Endergebnisse der Waller-Watte- vi 11 e' sehen Versuche hier kurz mitteilen: 1) Während des Fliessens des galvanischen Stromes ist die (polare oder peripolare) Kathoden- zone in einem Zustand gesteigerter Erregbarkeit, die (polare oder peripolare) Anodenzone in einem Zustand herabgesetzter Erregbarkeit. 2) Steigt die Stärke eines polarisirenden Stromes über ein gewisses Mass, so scheint die katelektrotonische Region (im physiologischen Sinne) sich über die anelektrotonische auszudehnen. 3) Nach Unter- brechung des Stromes macht in der katolektrotonischen Gegend die

278 Elelitrotonische Zustände am lebenden Menschen. Kap. XV.

vorhandene Erreg barkeitssteigerung einer deutlichen Herabsetzung der Erregbarl^eit Platz und diese geht dann allmählich über in eine oft recht lang andauernde Erregbarkeitssteigerung (von über 1 V2 Stunden), andererseits folgt der Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in der anelektrotonischen Zone unmittelbar eine Steigerung der Erregbar- keit, welche sehr deutlich und lang andauernd ist.

Entsprechende Resultate ergaben sich auch bei der Prüfung der „elektrotonischen Verhältnisse der sensiblen Nerven". Ohne noch weiter auf diese an sich hoch interessanten Untersuchungen hier ein- gehen zu wollen, scheint es uns doch erforderlich, hervorzuheben, dass zuerst Erb^'^ in seinen oben erwähnten Untersuchungen in Wahrheit Resultate erhalten hat, welche denen Eulenburg's diametral ent- gegenstehend, nachwiesen, dass am lebenden Menschen in der Nähe der Kathode anelektrotonische Zustände herrschten und katelektro- tonische in der Nähe der Anode. Es waren Helmholtz's Erklärungen (vgl. S. 272), welche dieses scheinbare paradoxe Faktum in licht- voller Weise a-ufhellten durch den Nachweis der Diffusion der elek- trischen Ströme, welche bei der verschiedenen Leitungsfähigkeit der tierischen Gewebe zwar in relativ grösster Dichte den Strom in die unmittelbar unter der Elektrode liegende Nervenpartie eintreten lässt, aber ihm eventuell nur wenige Millimeter weiter den „Austritt" aus diesem Nerven in die umgebenden Teile gestattet und so in der Um- gebung der „aktuellen" Anode oder Kathode „virtuelle" Kathoden bezw. Anoden schafft. Und in der Tat erhielt jetzt Erb bei einer Versuchsanordnung, welche es gestattete, die polarisirende und erre- gende Elektrode an denselben Punkt zu appliziren, durchaus mit den Ergebnissen der physiologischen Forschung übereinstimmende Resultate.

§ 111. Berücksichtigt man nun alle diese Verhältnisse, so liegt es auf der Hand, dass man bei der Untersuchung der Erregbarkeit motorischer Nerven durch den konstanten Strom nicht allein auf die Dauer der Untersuchung, auf die dadurch bedingte Veränderung der Leitungsverhältnisse der Bedeckungen, sondern auch auf die durch die Modifikationen der Nervenerregbarkeit abgeänderten Reizresultate Rück- sicht nimmt. Man hat also stets, will man ganz exakt vorgehen, eine gewisse Zeit verfliessen zu lassen, ehe man einen Nerven nach der Prüfung seines Verhaltens gegen den negativen Pol (Kathode) auf seine Reaktion gegen den positiven (Anode) untersucht und vice versa.

§ 111. Stromwendung. Volta'sche Alternative. 279

Abgesehen endlich von denjenigen Erregungen, welche an einem motorischen Nerven durch das Schliessen oder Oeffnen einer konstanten Kette hervorgerufen werden liönnen, ist auch für den Arzt und Elek- trotherapeuten die Kenntniss der besonders von J. Rosenthal ''o klar gelegten Tatsache von Wichtigkeit, dass der konstante Strom die Nervenerregbarheit für die Oeffnung des einwirkenden und die Schliessung des entgegengesetzt fliesseuden Stroms erhöht, sie aber für die Schliessung des einwirkenden und die Oeffnung des entgegengesetzten herabsetzt. Durch den Kommutator oder Stromwechsler lässt sich nun diese Veränderung der Stromesrichtüng ungemein prompt und schnell ausführen: es wird durch diese Prozedur der Stromwendung ^* (Volta'sche Alternative) eine bedeutende Erregung des Nerven bewirkt, weil sich zwei Erregungen im Nerven summiren (die durch die Oeffnung und die durch die Schliessung des Stroms bedingte) und weil die durch den Stromesschluss (bei Wendung vom positiven auf den negativen Pol) gesetzte Erregung in eine durch die vorangegangene Polarisation in ihrer Erregbarkeit beträchtlich gesteigerte Nervenregion fällt (de Watteville=59).

Es ist also die Wendung des Stromes das mächtigste Reizmittel für den Nerven; nur wenn der Nerv auch auf diesen Reiz nicht mehr reagirt, kann man von Erloschensein seiner galvanischen Erregbarkeit reden.

Schliesslich noch eine Bemerkung, welche bei der Feststellung eines Planes zur Untersuchung der elektrischen Erregbarkeit eines motorischen Nerven zu beachten ist: man vergesse nie bei der Unter- suchung alle erreichbaren Punkte eines Nerven dem Einfluss beider Stromesarten zu unterwerfen. Denn wie wir weiterhin bei der Besprechung der pathologischen Zustände an peripherischen Nerven sehen werden, kann es z. B. sein, dass unterhalb einer Läsionsstelle am Nerven von diesem aus sehr wohl das von ihm innervirte Muskel- gebiet in Kontraktion versetzt werden kann, von oberhalb der Läsions- stelle her aber nicht (viele Fälle sogenannter leichter peripherischer Lähmungen), oder es kann umgekehrt von einem über der Läsions- stelle gelegenen Punkte durch den elektrischen Reiz der Muskel zur Zusammenziehung gebracht werden, nicht aber von einer unterhalb der erkrankten Stelle gelegenen Strecke her (wie z. B. in späteren Stadien sogenannter schwerer peripherischer Lähmungen). Es werden diese Verhältnisse in dem Kapitel der Elektropathologie der Nerven und Muskeln noch ihre nähere Besprechung finden.

280 Verhalten der Musl<e.ln gegen den galvanischen Strom. Kap. XV,

§ 112. Hinsiclitlich der Reaktionen der quergestreiften Mus- kiihitur auf den elektrischen Reiz ist im Wesentlichen auf das im vorigen Abschnitt Gesagte zu verweisen. In keiner Weise lassen sich bei der Elektrisation der Muskeln die Einwirkungen auf die grösseren und kleineren bis kleinsten durch das Gewebe verteilten Nervenäste vermeiden. Und so findet man denn in der Tat die Reaktionen des unversehrten, mit seinem Nerven in ununterbrochenem Zusammen- hange stehenden Muskels im Wesentlichen gleich denen, welche man durch extramuskuläre Reizung des Nerven erzielt. Bestimmte, später bei der Besprechung pathologischer Verhältnisse noch mehr hervor- zuhebende Modifikationen in der Erregbarkeit der Muskeln scheinen dafür zu sprechen, dass vom Nerveneinfluss ganz und gar unabhängige resp. losgelöste Muskelsubstanz auf schnell sich in ihrer Intensität ändernde elektrische Reize nicht mehr reagirt, sondern nur mehr auf verlangsamte Reize (z. B. den galvanischen Strom, sofern er nicht von zu kurzer Dauer ist) mit eigentümlichen, von den normalen Kon- traktionen abweichenden Zuckungen antwortet.

In neuester Zeit von Jelly ^' in Strassburg angestellte Versuche (übrigens hatte auch Erb^^ schon bei direkter galvanischer Reizung gesunder Muskeln die KaSz im deutlichen Gegensatz zum Verhalten des normalen motorischen Nerven kaum bedeutender als die ASz ge- funden) ergaben, dass bei direkter Muskelreizung die ASz gleich stark, einigemal sogar kräftiger ausfiel als die KaSz. Er erklärt das so, dass der von der Anode aus in den Muskel eintretende Strom im breiteren Muskelgewebe eine Reihe „virtueller" Kathoden erzeuge, von denen (als den stärkeren Reizmomenten) die Zuckung abhänge. Ja, es sei sogar auffallend, dass sich die gewöhnliche Formel so oft nachweisen lasse. Höchst beachtenswert ist ferner folgender Aus- spruch desselben Autors, auf den wir weiter unten zurückkommen werden, dass bei der Muskelprüfung mittels des galvanischen Stromes ein Abweichen von der gewöhnlichen Formel fernerhin nicht mehr ohne Weiteres als Beweis für eine bestehende Entartungsreaktion anzusehen sei, sondern dass nur die übrigen Merkmale, insbesondere die Trägheit der Zuckung , als charakteristisches Moment zu be- trachten sei.

Hält man sich bei der Prüfung der direkten galvanischen Muskelerregbarkeit von dem in einen Muskel eintretenden motorischen Ner\'en fern genug, als dass bedeutendere Stromschleifen bis zu ihm hingelangen, so kann man Oeffnungszuckungen und ganz besonders Kathodenöifnungszuckungen nur sehr schwer auslösen: ein Verhalten,

§ 112. Untersuchung der Muskeln durch den galvanischen Strom. 281

in welchem der gesunde Muskel auffallend von dem erkrankten (degenerirten) abweicht, wie weiterhin gezeigt werden wird.

Die Methoden der Untersuchung mit dem Induktionsstrom oder dem galvanischen Strom bleiben, wie schon erwcähnt, dieselben:

Aufsuchen der Minimalzuckung bei Anwendung der Faradisation, Notirung des Rollenabstandes und der Widerstandsverhältnisse an den Prüfungsstellen; Herstellung der Normalformel Brenner 's mit steter Berücksichtigung des Nadelausschlags bei Prüfung der galva- nischen (sogenannten direkten Muskel-) Erregbarkeit, lieber das „Zuckungsgesetz der sensiblen Nerven« vergl. später.

Kapitel XVI.

Von den pathologischen elektrodiagnostischen Befunden an den motorischen Nerven und den Muskeln.

§ 113. Bei der Wichtigkeit der e]eld,rodiagaostischen Unter- suchuugsmethode der motorischen Nerven und der Muskeln für die Erkemiung einer grossen Zahl von Nervenkrankheiten gehen wir gleicli an dieser Stelle dazu über, das Wichtigste der hier zur Beobachtung kommenden pathologischen Verhältnisse im Zusam- menhange mitzuteilen.

Seit lange sclion ist die Wissenschaft über das Dogma hinweg- gegangen, dass im elektrischen Verhalten derjenigen gelähmten moto- risclien Gebilde, welche in Folge zentraler (vorwiegend cerebraler) Läsionen untätig gind, keine Veränderungen eintreten, dass dieses aber bei sogenannten peripherischen Lähmungen ausnahmslos der Fall sei. Nach beiden Richtungen hin haben die Untersuchungsresultate der neueren Zeit die Anschauungen umgeformt.

Was zunächst die peripherischen Lälimungen betrifft (d. h. Unterbrechungen dei- Willensleitung an einem motorischen oder ge- mischten Nerven nach seinem Austritt aus dem Hirn oder Rücken- mark), so gibt es nicht wenige und von den zuverlässigsten Beobach- tern konstatirte Beispiele, dass sich an diesen Nerven auch bei exak- tester nntersuclmng weder für die Reizung mit dem faradischen noch mit dem galvanischen Strom irgend welche Differenzen mit den Ergeb- nissen der Reizung an der gesunden Seite auffinden lassen, wohl ver- standen nur dann, wenn der elektrische Reiz unterhalb d. h. peri- phej'iewärts von der Läsionsstelle angreift. Meist nämlich ist auch bei derartigen, ihrem Verlauf und Ausgang nach als „leichte" zu bezeichnenden Lähmungen (vgl. später) der oberhalb der Läsions- stelle angebrachte elektrische Reiz ebenso wie der Willensreiz unfähig, die durch die Läsion gesetzte Hemmung der Leitung zu durchbrechen,

§ 113, 114. Herabsetzg. d. elektrisch. Erregbarkeit d. motor. Nerven etc. 283

obgleich theoretisch sehr wohl die Möglichkeit gedacht werden kann, dass ein starker elektrischer Reiz ein Hinderniss noch überwindet, wo der vom Willen verursachte, vom Zentralorgan bewirkte Reiz sich zu diesem Zwecke als unzureichend erweist. Neben derartigen „leichten« peripherischen Lähmungen sind es nun die Mehrzahl der in Folge von Hirnläsionen der verschiedensten Art gesetzten Hemiplegien, bei denen die dem Willen teilweise oder ganz entzogenen Muskeln und Nerven in der Tat lange Zeit in derselben Weise auf den elektrischen Reiz reagiren, wie die entsprechenden Teile der gesunden Seite. Dasselbe hat Statt bei vielen in Folge von Rückenmarksleiden entstandenen lähmungsartigen (oft nur ataktischen) Zuständen, bei denen die mehr oder weniger paretischen Muskeln (mit ihren Nerven) ihre normale Erregbarkeit bewahren, so lange die zentrale graue Substanz namentlich der sogenann- ten Vordersäulen nicht in Mitleidenschaft gezogen ist, oder der Pro- zess durch Jahre lange Dauer die Muskeln zu einer mehr oder weniger vollständig ausgeprägten Atrophie gebracht hat.

Abgesehen nun von diesen Prozessen, bei denen die elektrische Erregbarkeit normal bleibt, gibt es mannigfache pathologische Zu- stände, in denen die Erregbarkeit der erkrankten Nerven und Muskeln, sei es quantitativ, sei es qualitativ in Bezug auf den elektrischen Reiz geändert ist.

§ 114. Die quantitativen Veränderungen teilen sich natur- gemäss in solche, bei denen die Erregbarkeit entweder unter die Norm gesunken, oder in solche, bei denen sie über die Norm hinaus ge- steigert ist. Wenn wir im Folgenden die hier etwa zu findenden Zustände besprechen, so versteht es sich, ein für alle Mal sei dies hier erwähnt, dass nur solche Beobachtungen Geltung beanspruchen können, resp. für die hier vorgetragenen Anschauungen Verwertung gefunden haben, welche unter skrupulöser Beobachtung der oben an- gegebenen Kautelen angestellt worden sind.

1) Eine einfache Herabsetzung der elektrischen Erreg- barkeit bei direkter wie indirekter Reizung mit beiden Stromes- arten findet ihren klinischen Ausdruck darin, dass zur Erzielung von Minimalzuckungen resp. überhaupt von ausgiebigen Zusammenziehungen der Muskeln bedeutendere Stromstärken, als normal erforderlich sind: die Rollenabstände müssen bei den Induktionsspiralen vermindert, die Zahl der Elemente beim konstanten Strom vermehrt werden. Scliwer nur lassen sich bei Anwendung des letzteren die tetanisclicn, schwer auch die Oeffnungszuckungen erzielen, Kathodenschlicssungszuckungeu

284 Steigerung d. elektrischen Erregbarkeit d. motor. Nerven. Kap. XVI.

bleiben schliesslich allein noch übrig. Die mittelst des Induktions- stroms hervorgerufenen Zusammenziehungen verlieren ihre stetige, tetanische Form, sie erfolgen absatzweise, vibrirend und bewirken schliesslich kaum noch Lokomotionen. Diese Herabsetzung kann von den leichtesten Graden bis zu völligem Aufhören jeglicher Reaktion fortschreiten, wie z. B. das Verhalten der Nerven und Muskeln bei eben Verstorbenen, oder an amputirten Gliedmassen (vgl. übrigens später). In dieser Weise findet sich die Herabsetzung der Erreg- barkeit ferner als eine Teilerscheinung sogleich zu besprechen- der Reaktionen, wie sie z.B. bei sogenannten schweren peripherischen Lähmungen zur Beobachtung kommen. Für sich bestehend kann diese herabgesetzte Erregbarkeit beobachtet werden bei einzelnen, durch ihren Verlauf sich als relativ leichte dokumentirenden peri- pherischen, rheumatischen oder Drucklähmungen ^^, bei manchen Formen von durch Rückenmarksleiden bedingten Lähmungen (chronischer Mye- litis, Tabes in späterer Zeit), bei gewissen Formen von Muskelatrophien, die durch eine längere unfreiwillige Inaktivität der Muskeln bedingt waren (an Gliedern, welche nach Fralituren, Luxationen, Gelenk- entzündungen längere Zeit in festen Verbänden gerulit haben), ferner in späteren Stadien cerebraler Lähmung, oder bei denjenigen Muskel- atrophien, welche durch einen chronisch degenerativen Prozess in den Nervenkernen der grauen Substanz der Med. obl. oder des Rücken- marks bedingt werden (der progressiven Duchenne 'sehen Bulbär- paralyse, der progressiven Muskelatrophie), schliesslich bei derjenigen Form der Muskelerkrankung, welche mit dem Namen der Pseudo- hypertrophie belegt ist.

2. Eine einfache Steigerung der elektrischen Erregbar- keit gibt sich für die Prüfung mit dem Induktionsstrom dadurch kund, dass die Minimalkontraktion bei einem vergrösserten Rollenabstand zu Stande kommt, resp. dass die erzielte Reaktion bei demselben Rollen- abstand wie etwa auf der (zum Vergleich herangezogenen) gesunden Seite eine viel kräftigere ist; in Bezug auf den konstanten Strom findet man frühe, bei relativ niedrigen Stromstärken eintretende KaSz, die bald zum KaSTe wird, frühes Auftreten auch der Oeffnungs- zuckungen, eventuell sogar das Erscheinen des sonst nur sehr selten zu erzielenden AOTe (bei der Tetanie z. B.)

Diese Zustände finden sich sowohl selbstständig und von einer gewissen Dauer, als auch als Teilerscheinungen anderer Prozesse, vor- übergehend. — So ist nicht selten bei sogenannten schweren peripheri- schen Lähmungen innerhalb der ersten 24—36 Stunden nach dem Eintritt

§ 114; 115. Qualitative Veränderungen der Erregbarkeit. 285

der Läsion von einigen Beobachtern eine Steigerung der indirekten wie direkten Erregbarkeit des später total gelähmten Nervmuskel- gebiets beobachtet worden. Indessen kommt doch diese rein quanti- tative Steigerung der Erregbarkeit bei einer gewissen Anzahl „leichter« peripherischer Lähmungen über Tage und Wochen hinaus selbstständig vor, ohne dass diese Uebererregbarkeit in ünerregbarkeit oder irgend- wie bedeutender Abnahme derselben übergegangen wäre^-'.

Abgesehen von den genannten Affektionen kann man die einfache Steigerung der elektrischen Erregbarkeit bei manchen Fällen von cerebralen Hemiplegien, von halbseitiger Chorea, vielleicht auch in frühen Stadien mancher Fälle von progressiver Muskel atrophie ^^ finden, manchmal auch wohl bei Tabes dorsalis und wahrer Entzündung peri- pherischer Nerven. Immer gehen die Erscheinungen erhöhter Erregbarkeit für den Induktionsstrom wie für den konstanten parallel; dennoch gibt es einige wohl beobachtete Fälle in der Litteratur, in denen bei selbst herabgesetzter Erregbarkeit der Nerven für den Induktionsstrom dieselbe für den galvanischen erhalten war ^'5.

§ 115. Neben der eben besprochenen Erhöhung und der geschil- derten Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit von Nerv und Muskel gibt es nun aber Veränderungen, welche nicht konstant während der ganzen Dauer der Erkrankung eines Nerv-Muskelgebiets beobachtet werden, sondern nach eigentümlichen, im Ganzen und Grossen unveränderlichen Gesetzen ablaufen. Nerv und Muskel verhalten sich den uns zu Gebote stehenden elektrischen Reizen des Induktions- und des konstanten Stroms gegenüber zu verschie- denen Zeiten der Krankheit verschieden: nicht allein die Grösse und Ausgiebigkeit, sondern auch die Art und Weise, die Qualität der erzielten Reaktionen ist eine differente, von der Norm abweichende geworden.

Als Paradigma derartiger Erregbarkeitsanomalien kann man die Erscheinungen anführen, Avie sie bei schweren, durch gröbere Ver- letzung oder intensive rheumatische Prozesse bedingten Lähmungen peripherischer motorischer Nerven beobachtet werden. Nicht oft genug kann man gerade bei dem Studium der liier in Betracht kommenden Erregbarkeitsveränderungen betonen, dass der Nerv und die Muslceln jeder Teil für sich gesondert der Prüfung mit beiden Stromesarten zu unterwerfen ist, will man nicht die gröb- sten Irrtümer begehen.

AVas nun zunäclist die Erregbarkeitsverhältnisse des lädirten

286 Qualitative Erregbarkeitsveränderungen etc. Kap. XVI.

Nerven betrifft, so kann man, wie oben schon erwähnt, innerhalb der ersten zwei Tage eventuell eine massige Erhöhung der faradischen sowohl wie der galvanischen Erregbarkeit beobachten. Bald aber vermindert sich die Erregbarkeit des Nerven für beide Stromes- arten in gleichmässiger Weise, um mit dem Ablauf der ersten Woche, spätestens der ersten Hälfte der zweiten Woche, auf ein Minimum gesunken zu sein.

Kürzere oder längere Zeit, meist über Wochen hin (dauernd natür- lich nur in unheilbaren Fällen), bleibt dieser Zustand bestehen. Tritt dann eine Regeneration der degenerirten Nervenfasern ein, so kommen faradische und galvanische Erregbarkeit allmählich wieder zum Vor- schein. Hierbei sind nun noch folgende Eigentümlichkeiten zu beob- achten: es kann sein, dass oft schon von oberhalb der Läsionsstelle her elektrische Reize sich wieder wirksam erweisen, gerade so wie der Willensreiz, während unterhalb der Läsionsstelle entweder unver- hältnissmässig viel stärkere elektrische Reize zum Auslösen einer Reaktion von Nöten sind, oder auch die stärksten elektrischen Reize noch nicht beantwortet werden. Ist es bei einzelnen Lähmungsformen (z. B. der Mehrzahl der Lähmungen des Gesichtsnerven) nicht möglich, oberhalb der affizirten Strecke den elektrischen Reiz anzubringen, so bietet sich das namentlich den Anfänger so frappirende Faktum dar, dass der Kranke willkürlich und zu eigener Befriedigung schon alle Bewegungen wieder ausführt, während der unterhalb der Läsionsstelle angreifende elektrische Reiz noch ganz wirkungslos ist. Ohne an dieser Stelle näher auf die Erklärung dieses hoch interessanten Faktums eingehen zu wollen, bemerken wir nur, wie nach Schiff ö'', Erb"^ und Anderen zwischen der Fähigkeit des Nerven, einen Reiz aufzunehmen und ihn fortzuleiten ein Unterschied zu machen ist, und dass die erstere Eigenschaft des Nerven wesentlich an das Vorhandensein der Mark- scheiden, das letztere aber an das Vorhandensein der Axenzylinder gebunden zu sein scheint. Diese Axenzylinder können bei der Regene- ration schon wieder vorhanden sein und vom peripherischen, degenerirt gewesenen Nervenstücke aus durch die Läsionsstelle hindurch mit dem zentralen, intakt gebliebenen Nervenstück, ihre Vereinigung schon bewerkstelligt haben, bevor sie sich selbst (d. h. die neugebildeten, regenerirten Fasern) mit genügend dicken Markscheiden umgeben haben*).

*) Mit der Schiff-Erb'sclien An.sicht von diesen Dingen stimmten gewisse Experimente Grünhagen' s"^ an partiell durch Kohlensäure vergifteten periphc-

§ 115. Qualitative Erregbarkeitsveränderungen etc. 287

Die allmählich sich auch am peripherischen Ende wieder anfindende elektrische Erregbarkeit A^ermehrt sich ganz allmählich, bleibt aber selbst dann, wenn, wie oben gezeigt, schon scheinbar vollkommene Heilung eingetreten ist, als Zeichen noch immer nicht ganz vollendeter Restitution der Nerven gegen die Norm vermindert. Der früher als absolut vorhanden angenommene Parallelismus zwischen den Erreg- barkeitsverhältnissen des lädirten Nerven für den faradischen und kon- stanten Strom kann in dieser absoluten Weise nach den sich in neuerer und neuester Zeit mehrenden Beobachtungen nicht mehr aufrecht er- halten werden. Es gibt Fälle, wo der regenerirte Nerv noch nicht auf den faradischen, schon aber auf den galvanischen Strom reagirt, ja es können sogar in dem Sinne qualitative Aenderimgen eintreten, dass die AnSz grösser als KaSz und KaOz grösser als AOz werden kann. Die hier erwähnten Verhältnisse mögen als Ausnahmen angesehen werden, allein sie sind vorhanden und beruhen nicht auf Beobach- tungsfehlern, insofern diese vom Nerven aus erzeugten Zuckungen blitzartig und schnell ablaufen und schon bei geringeren Stromstärken zu erzielen sind, wie bei direkter Reizung der Muskelsubstanz, so dass

Tischen Nerven überein. Dieser Autor lagerte einen Proschcruralis verinöt;-e einer besonderen Vorrichtung so, dass ein bestimmtes Stück der Einwirkung eines Kohlen- säurestroms temporär ausgesetzt werden konnte. Dieses Stück des Nerven erfuhr alsdann eine nicht unerhebliche Abnahme seiner ursprünglichen, vorher genau fest- gestellten Erregbarkeit, während die Erregbarkeit einer mehr centralwärts gelegenen, vom Kohlensäurestrom nicht berührten Nervenpartie unverändert blieb, eben.so wie der Reizerfoig, obschon sich dieser Reiz durch die narkotisirte und selbst erregungs- unfähig gewordene Nervenstrecke fortsetzen musste. Nach den neuesten Versuchen von Luch Singer und Szpilman'" aber sind diese von Grünhagen gciündenen Tatsachen als blosse Uebergänge vom Verhalten eines normalen zu d(;m eines narkotisirten Nerven zu betrachten. Nach ihnen scheint es bewiesen, dass die Erregung eines Nerven querschnitts in den nächst folgenden eine stärkere Reizung auslöst, als wie jener selbst erfuhr (lawinenartiges Anschwellen der nervösen Erregung).

Nimmt aber die Erregbarkeit eines Nerven stark ab, so wird nun umgekehrt die Reizung nächstfolgender Querschnitte immer schwächer ausfallen: ein kräftiger Reiz wird nahe dem Muskel wohl noch eine "Wirkung hervorrufen können, aber nicht mehr im Stande sein, eine lange Kette matter Elemente zu durchschlagen. Die Erregung wird in der Narkose von Element zu Element abnehmen; eine Reizung tief unten wird auf dem kurzen Wege zum Muskel viel weniger an Intensität ein- büssen, während eine höher oben zugeführte Reizung auf dem langen Wege ge- ringerer Beweglichkeit schliesslich spurlos erlischt. Im Anfang der Narkose aber wird die von Grünhagen beobachtete Erscheinung auftreten, wenn die Erregbar- keit zwar schon sinkt, aber doch noch nicht so sehr, dass das lawinenartige Phä- nomen ganz schwände.

288 Qualität. Erregbarkeitsveränderuiigen. Verhaltend. Muskeln. Kap. XVI.

von übersehenen und vernachlässigten Stromschleifen nicht die Rede sein kann.

§ 116. Derartige Vorkommnisse von Differenz in den Reaktions- erscheinungen gegen elektrische Reize, welche bei degenerirten oder regenerirten Nerven bis jetzt als Ausnahmen zu betrachten sind, werden aber die Regel für den Ablauf der Erregbarkeitsver- hältnisse des gelähmten Muskels.

Gleichwie beim Nerven kann man auch innerhalb der ersten zwei Tage nach dem Eintritt der schweren Lähmung eine geringe, kurze Zeit andauernde Steigerung der Erregbarkeit der Muskeln beob- achten. Bald sinkt dieselbe aber bedeutend und ist für den fara- dischen Strom meist schon am Ende der ersten, sicher der zweiten Woche, vernichtet. (Dass der entblösste, direkt gereizte Muskel noch nach langer Zeit bündelweise Kontraktionen bei direkter Reizung zeigen kann, ist für den Arzt von keiner praktischen Wichtigkeit.) Erst mit der Wiederkehr der aktiven Beweglichkeit stellt sich auch die faradische Erregbarkeit wieder her: sie bleibt aber meist unter der Norm, welche sie, wenn überhaupt, erst sehr spät erreicht.

Auch die galvanische Erregbarkeit des Muskels kann innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Auftreten einer schweren Nervenläsion sich leicht erhöht zeigen, sehr bald aber sinkt sie be- deutend. Besonders gelingt es immer schwerer, Maximalzuckungen und damit wirkliche Bewegungen der Glieder hervorzurufen, während die Differenz in den Minimalzuckungen zwar auch meist vorhanden ist, indess weniger leicht zu Tage tritt. Etwa mit dem Ende der zweiten Woche fängt aber die gesunkene Erregbarkeit wieder an sich zu heben und zwar bald so bedeutend, dass jetzt nicht allein bei derselben Stromstärke, wie auf der gesunden Seite, sondern schon bei bedeutend geringerer sich deutlich sichtbare Kontraktionen erzielen lassen. Dabei tritt die Minimalzuckung überraschend früh ein und die stärkeren Zuckungen gehen leicht in tetanische Kontrak- tionen über. Wochenlang, ja- oft noch nach der Wiederkehr der aktiven Beweglichkeit bleibt diese „Uebererregbarkeit^* bestehen: dabei haben aber die Zuckungen auch ihre äussere Erscheinungs- form geändert: sie erfolgen nicht mehr schnell, prompt, blitzartig, sondern verlaufen träge und langsam. Ausserdem ändern sich nun auch einige Verhältnisse in der Art und Weise des früheren oder gleichzeitigen Auftretens einzelner Zuckungen bei Schliessung oder Oeffnung des Stromes, abweichend von der normalen Zuckungsformel.

§ 116. Qualitative Erregbarkeitsveränderungeil. 289

Die ASz tritt relativ früh ein, tritt der KaSz immer näher und wird in nicht wenigen Fällen bei derselben Stromstärke wie diese zur Er- scheinung gebracht: Umgekehrt tritt die am normalen Muskel erst spät hervorzurufende KaOz mehr in den Vordergrund, sie kann sogar eher auszulösen sein, als die AOz, ja es kann, wenn auch nicht so häufig, wie manche Schriftsteller annehmen, die sogenannte Normalformel Brenner's so umgeändert wei"den, dass ASz zuerst, dann erstKaSz (oder beide bei derselben Stromstärke), dannKaOz, schliesslich AOz eintreten. Die Möglichkeit des Verschwindens der Oeffnungszuckungen, wie sie einige Autoren behaupten, wird von Andern (Leegard^') bestritten: nach Letzterem ist gerade der Umstand, dass bei ausge- prägter Uebererregbarkeit der Muskeln kräftige Oeffnungszuckungen bei fast denselben Stromstärken auftreten, wie Schliessungszuckungen, als ein wesentliches Symptom dieser Uebererregbarkeit anzusehen.

Nur kurz wollen wir an dieser Stelle den Einwand Vulpian's" (dem sich Goldschmidt^^ in seiner 1877 zu Strassburg veröffentlich- ten Dissertation anschliesst) berühren, dass sich die Entartungsreaktion am entblössten Muskel und Nerven nicht nachweisen lasse: teils haben wir selbst schon im Jahre 1875''^ das Gegenteil bewiesen, teils ist in einer besonderen von Bastelberger'^ unternommenen Arbeit die Unhaltbarkeit dieser Ansicht klargelegt worden.

Allmählich sinkt nun diese Uebererregbarkeit wieder ab und zwar unter die der gesunden Seite: dabei kann die ZusammenziehuDg noch langgezogen und träge sein und die ASz noch ihre hervorragende Stel- lung behaupten; die KaOz tritt aber jetzt jedenfalls zurück, des- gleichen auch die AOz, erst später kehren diese bei der Oeffnung des Stromes zu erzielenden Reaktionen im Vergleich zu den Schliessungs- zuckungen wieder: ja in unheilbaren Fällen (bei schliesslich voll- kommen ausgebildeter Degeneration) ist die Möglichkeit der Hervor- rufung einer schwachen und trägen ASz das letzte Zeichen der Reak- tion des der bindegewebigen Transformation anheimfallenden Muskels. Während, wie wir oben (Seite 280) gezeigt haben, Jelly neuer- dings die Wichtigkeit des Unterschieds der ASz und KaSz bei direkter Muskelreizung leugnend das Hauptgewicht auf die „Trägheit« der Zuckungen legt und in dieser fast allein das Charakteristikum der Entartungsreaktion sieht, hat neuerdings Vigouroux"'^ in einigen Fällen von Spinal-Aftektionen mit degenerativer Atrophie den positiven Pol des Oeffnungsinduktionsstroms der sekundären Spirale noch wirk- sam gefunden, wo es der negative nicht mehr war. Er schliesst hieraus, dass der namentlich in Deutschland so oft hervorgehobene

Rosen tlial u. Bernhardt, Elektiizitiitslehrc. III. Aiill. 10

290 Differentes Verhalten der Muskeln etc. Kap. XVI.

unterschied zwischen den Wirkungen konstanter und induzirter Ströme auf degenerativ atrophische Muskeln nicht bestehe; beide Male wirke eben der positive Pol gegenüber dem sonst wirksameren negativen bei atrophischen Lähmungen stärker. Künftig sei also auch in Bezug auf den Induktionsstrom mit jedem Pol gesondert zu untersuchen: auch für ihn gelte wie für den konstanten das Ueberwiegen des positiven Pols bei derartigen Lähmungen. Dies ist nach Vigouroux der wesentliche und einzige Charakter der Entartungsreaktion am Muskel. Nach unserer Erfahrung können wir diese Behauptung ebenso wenig bestätigen wie dii, welche andere Autoren über die Diiferenz in den Wirkungen der sekundären und sogenannten primären Induktions- ströme gefunden haben wollen. Vigouroux vergisst, da er nur von den Strömen der sekundären Spirale spricht, den neben dem phy- siologisch in der Tat stärker wirkenden Oeffnungsstrom immer doch noch bestehenden Schliessungsinduktionsstrom : er hat die Reaktion mit Einzelschlägen nur des Oeffnungsinduktionsstroms nicht ange- stellt, sich über das Verhalten des Extrakurrenten nicht ausge- sprochen, nicht bedacht, dass eben in dem so schnellen Ablauf der Induktionsströme gegenüber dem viel langsameren der konstanten die wesentliche Differenz in der Wirkung beider liegt und dass die Trägheit der Kontraktion, nicht das Auftreten der Zuckungen über- haupt bei Eeizung mit verschiedenen Polen es ist, welche, wie es sich nach allen Untersuchungen bewährter Forscher herausstellt, das W^esent- liche dessen ausmacht, was man bisher mit dem Namen der Ent- artungsreaktion belegt hat.

In Bezug auf spezifische Differenzen in den Wirkungen primärer und sekundärer Indnktionsströme erwähnt Hitzig", dass er reichliche Beobachtungen besitze, welche bewiesen, dass Nerven oder Muskeln sich in ihrer Erregbarkeit gegen den Extraknrrentstrom oder den Strom der sekundären Spirale verschieden verhalten hätten: €S seien Fälle peripherischer und intracranieller Paralysen gewesen, wobei der Extrakurrent sich z. B. ähnlich dem Baiteriestrora verhalten habe. Ausführlichere Angaben von demselben Autor existiren bis heute noch nicht; dass eine ähnliche Beobachtung Kr afft-E hing' s''^ wahrschein- lich auf einen Beobachtungsfehler zurückzuführen sei, ist von einem von uns schon früher nachgewiesen worden". Neuerdings fand Hacker^** bei einem von einer Poliomyelitis antica genesenden Erwachsenen beim Wiedererscheinen der faradischen Kontraktilität (8 10 Wochen nach Beginn der Krankheit), dass die Muskeln nur auf den sekundären Strom des Induktionsapparats (Krüger-Hirschmann), nicht auf den pri-

§ 116, 117. Etwaige Differenzen in d. Wirkung d. Induktionsströme. 291

mären reagirten. (Dieser soll, wie durch Kontrollversuche an gesunden Individuen festgestellt wurde, durchaus kräftig gewesen sein.) Erst später, als auch die galvanische Kontraktilität der Muskeln allmählich (qualitativ) normal geworden war, stellten sich auch bei Reizung mit primären Strömen Zuckungen ein, die aber immer noch schwächer waren, als die durch den sekundären Strom ausgelösten. Hacker legt sich die Frage vor, ob diese Erscheinung bei jeder in Rückbildung be- griifenen Entartung vorkomme, oder ob die Erscheinung nur vom Apparat abhänge? Wir haben Aehnliches bisher noch nicht gesehen. Eher noch könnte man erwarten, dass entartete Muskeln auf die zu ihrem Zustandekommen und Verlauf etwas längere Zeit in Anspruch nehmenden primären Ströme ähnlich wie auf die galvanischen Ströme reagiren, da ja auch hier die Ströme von etwas längerer Dauer sind (Neumann a. f. S.): wir selbst haben, wie gesagt, Aehnliches noch nicht in ausgesprochener Weise beobachtet.

§ 117. Ohne auf histologische Details, für deren eingehendere Auseinandersetzung hier der Ort nicht sein kann, näher eingehen zu wollen, müssen wir doch auf das Hand in Hand gehen der patholo- gisch-anatomischen Veränderungen in den schwer gelähmten Nerven und Muskeln mit den Erreg barkeits Veränderungen bei der elektrischen Prüfung die Aufmerksamkeit lenken. Der in seinem peripherischen Verlauf in seiner Kontinuität getrennte motorische Nerv, dessen trophisches Zentrum mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der grauen Substanz des Rückenmarks, speziell den grossen Ganglien- zellen der Vordersäulen (bezw. in den Nervenkernen ^^ des Hirns) zu suchen ist, verfällt der Degeneration (Zerklüftung der Markscheiden und Axenzylinder, Schwund der letzteren, Umwandlung der Markscheide in Fett, Resorption des letzteren, Wucherung der Kerne der Schwan n- schen Scheiden): damit sinkt seine Erregbarkeit für beide Stromes- arten. Zur Zeit der Regeneration treten zuerst Verbindungen der neu- gebildeten Axenzylinder, welche entweder noch von gar keinen oder sehr schmalen Myelinscheiden umgeben sind, des degenerirt gewesenen peripherischen und des intakt gebliebenen zentralen Nervenstücks auf: so wird die Willensleitung und die Rückkehr der Reaktion auf elek- trische Reize, sobald sie oberhalb der Läsionsstelle angebracht werden, ermöglicht. Erst nach einiger Zeit sind die den elektrischen Reiz auf- nehmenden Markscheiden des degenerirt gewesenen Nervenstücks so stark (?) geworden, dass auch sie im Stande sind, den elektrischen Reiz aufzunehmen (Schiff-Erb'sche Hypothese). Da die Nerven-

19*

292 Die Entartungsroaktlon etc. der Nerven und Muskeln. Kap. XVI,

degeneratioii sich bis in die feinsten Muskelzweige fortsetzt, so ver- lieren die Muskeln bald die Fähigkeit schnellen Reizen (Induktions- strömen) zu gehorchen (vgl. S. 280). Nur Reize von einer gewissen Dauer bewirken noch an dem nervenlosen Muskel Kontraktionen; selbst starke konstante Ströme, sind sie von nur momentaner Dauer, vermögen nicht, den entnervten Muskel zur Kontraktion zu bringen, wie von Neumann ^' zuerst klar dargelegt wurde. Da nun in den Muskeln selbst eigentümliche, teils den atrophischen, teils den ent- zündlichen zuzurechnende Veränderungen eintreten (Verringerung der Faserdicke, Vermehrung der Muskelkerne, häufigeres Auftreten wachs- artig degenerirter Fasern, Zunahme der Masse des interstitiellen Bindegewebes etc.), so hat man wohl ein gewisses Recht, in diesen Veränderungen der histologischen Beschaffenheit der Muskelsubstanz den Grund für das Auftreten der für den konstanten Strom sich zeigenden üebererregbarkeit und für die abnorme Reaktionsformel zu sehen; bei schlicsslichem Rückgang der myitischen Veränderungen und ihrem möglichen Ausgang in bindegewebige Atrophie ist die spätere Abnahme, ja selbst das fast vollkommene Schwinden der galvanischen Erregbarkeit unschwer zu erklären.

Fügen wir noch hinzu, dass in nicht wenigen Fällen zugleich mit dem Auftreten der üebererregbarkeit der Muskeln für den galva- nischen Reiz sich noch eine gesteigerte Erregbarkeit für mechanische Reize (Beklopfen) einstellen kann, so ist die Hauptsache dessen be- sprochen, was im Laufe schwerer (rheumatischer oder traumatischer) peripherischer Lähmungen zu beobachten ist.

§ 118. Die ganze Summe der eigentümlichen elektrischen Reak- tionen eines so schwer geschädigten Nerv -Muskelgebiets hat Erb vorgeschlagen, mit dem Namen der „Entartungsreaktion'* (EaR) zu belegen, insofern alle die beschriebenen Erscheinungen, vornehm- lich die qualitativen Erregbarkeitsveränderungen der Muskeln, nur immer bei schwererer Schädigung und hochgradiger Veränderung ihrer histologischen Struktur sich zeigen. Zum Schluss sei noch die eine Bemerkung erlaubt, dass es einem Beobachter nicht gerade immer vergönnt sein wird, eine derartige schwere Lähmung und den normalen Ablauf aller Erscheinungen von Anfang an bis zum Ende an einem Falle zu beobachten; fügt es der Zufall, dass ein derartig Erkrankter zu einer Zeit in die Behandlung kommt, in der die Regeneration der Nerven schon begonnen hat, während die degenerativen Prozesse in der Muskulatur noch fortbestehen, so kann neben aktiver Beweglichkeit,

§ 118. Entartungsreaktion, Diagnose. Praktische Bemerkungen. 293

neben schon deutlich wahrnehmbarer Reaktion auf den indirekt (ober- halb der Läsionsstelle auf den Nerven) applizirten elektrischen Reiz, noch eine direkte Unerregbarkeit des gelähmt gewesenen Muskel- gebiets auf den faradischen Strom und Fortbestehen der qualitativen Erregbarkeitsänderungen für den galvanischen Reiz (also träger Ablauf der Zuckungen, fast gleiche Wirkung der ASz und der KaSz) vor- handen sein, ohne dass von einer (früher vorhanden gewesenen, jetzt aber geschwundenen) üebererregbarkeit noch etwas nachzuweisen wäre. So kann sich also jeder einzelne Fall praktisch in Bezug auf die Erregbarkeitsverhältnisse von Nerv und Muskel gegen die von uns angewendeten elektrischen Reize und in Bezug auf die aktive Beweg- lichkeit in ganz verschiedenen Kombinationen darstellen, je nach der Zeit, in welcher der Spezialfall dem Untersuchenden zur Beobachtung kommt; die daraus sich ergebenden scheinbar verwirrenden Bilder sind nur mit Berücksichtigung der von der Krankheitsdauer Kunde gebenden Anamnese und im Hinblick auf die durch die histologischen Veränderungen in Nerv und Muskel begründeten Reizungserfolge zu verstehen. Und so wird es jetzt wohl auch klar werden (worauf schon auf S. 261 u. 285 hingewiesen worden ist), wie notwendig es ist, für das Verständniss der Erscheinungen die Reizresultate vom Nerven und vom Muskel aus auseinander zu halten und zu trennen. Wollte man z. B. in der dritten Woche einer schweren traumatischen Lähmung des N. radialis einen Pol der konstanten Kette auf die Umschlagsstelle des Nerven am Oberarm, den andern direkt auf die Muskulatur setzen, so würde man durchaus falsche Vorstellungen von den faktisch vorhandenen Verhältnissen gewinnen, welche ja in dem Erloschensein der Erregbarkeit des Nerven und dem Zustand der Üebererregbarkeit der Muskeln ihren Ausdruck finden. Dieser Zustand der Üebererregbarkeit schwer gelähmter Muskelgebiete kann endlich noch zu falschen Auffassungen Veranlassung geben, wenn, wie z. B. bei den beiden Gesichtshälften, eventuell gesunde (gleichnamige) Muskeln und kranke räumlich nahe bei einander liegen. Nehmen wir an, es bestehe eine (schwere) linksseitige Facialislähmung, so kann es sein, dass beim Aufsetzen eines Pols z. B. in der Gegend des Kinnes rechts (an der gesunden Seite) beim Schluss oder bei der Oeffnung der Kette nicht an der direkt gereizten Seite, sondern an der gelähmten linken sich Kontraktionen zeigen, da selbst die schwachen Stromschleifen, welche die linken erkrankten und über- erregbaren Muskeln erreichten, dort Zusammenziehungen auslösten, während dieselbe Stromstärke noch nicht genügte, die gesunden

294 Mittelform der Lähmungen. Kap. XVI.

Muskeln zu erregen. Auch in solchen Fällen wird die Kenntniss der oben auseinander gesetzten Verhältnisse vor Irrtümern (Annahme von Reflexzuckungen etc.) schützen. Nicht wenige Angaben von Autoren, welche bei Reizung eines gelähmten Nerven mit dem faradischen Strom keine Reaktion eintreten sahen, wohl aber bei indirekter Reizung mit dem galvanischen Strom, lassen sich auf die Verkennung der durch Stromschleifen auf übererregbare Muskeln ausgeübten Reize zurückführen. Fehlen daher bei derartigen Mitteilungen galvano- raetrische Angaben sowie nähere Beschreibung der Art und Weise der Zusammenziehung (z. B. ob kurze blitzartige Kontraktionen, oder träge, langgezogene), so sind solche Mitteilungen ohne Weiteres nicht für weitergehende Schlussfolgerungen zu verwerten*).

§ 119. Das Faktum, dass zu gewissen Zeiten im Verlauf soge- nannter schwerer peripherischer Lähmungen Zustände vorkommen, wo der erkrankt gewesene und in der Restitution begriffene Muskel schon wieder auf indirekte Reizung vom Nerven aus mit, wenngleich schwacher, so doch schnell eintretender und ablaufender Zuckung reagirt, während der direkt (galvanisch) gereizte Muskel die langsam träge Zuckung mit qualitativer Veränderung der Formel darbietet, hatte schon gewissermassen darauf hingedeutet, dass ein erkranktes Muskelgebiet in dieser seiner Erkrankung eine gewisse Unabhängig- keit von dem Nerveneinfluss zu erlangen vermag. Erb^'* und Bern - hardt^^ stiessen nun bei ihren Untersuchungen auch auf Fälle, in denen die indirekte Erregbarkeit eines rheumatisch oder traumatisch gelähmten Nerv -Muskelgebietes erhalten, resp. nur Avenig gesunken

*) Der Wichtigkeit des Gegenstandes entsprechend, erlauben wir uns hier ganz kurz die Geschichte der Lehre von der Entartungsreaktion zu skizziren. Mag auch, wie Onimus^"" behauptet, schon Halle am Ende des vergangnen Jahr- hunderts die Differenz der Wirkung des elektrischen Funkens und der Volta- schen Säule in einem Fall von Gesichtsnervenlähmung gesehen haben, mögen auch Andeutungen dieser Verhältnisse in den Werken R. Remak's gefunden werden, jedenfalls hat Bai erlach er^- zuerst die Tatsache betont, dass gelähmte Gesichts- muskeln auf den galvanischen Strom reagirten (uiid zwar in erhöhtem Masse), während dies für den Induktionsstrom nicht der Fall war. Es folgten nicht lange nachher viele hierhergehörige Mitteilungen (M. Meyer, Neu mann, Brenner etc.): klar gelegt und experimentell erhärtet wurden alle oder doch die meisten der hierhergehörigen Tatsachen erst durch Erb 's"® oben schon erwähnte Arbeit, mit welcher fast gleichzeitig die Abhandlung von Ziemsse ti und Weiss^^ erschien. Ueber die übrigen Autoren, welche in diesem Gebiete noch wichtigere Erfahrungen mitgeteilt haben, siehe im Text.

§ 119. Partielle Entartuugsreaktion. 295

war und nie verschwand, wo aber bei direkter Reizung der gelähmten Muskeln mit dem konstanten Strom sich die Entartungsreaktion voll- kommen ausgeprägt zeigte und Alles dies zu einer Zeit, in welcher die Lähmung höchstens erst 2 4 Wochen bestanden hatte.

Von Erb ist diese Lähmungsform als zwischen der leichten (ohne nachweisbare elektrische Veränderungen mit relativ schneller Heilung) und der schweren (mit quantitativ- qualitativer Aenderung im Ablauf der Erregbarkeitserscheinungen und später Heilung) Form in der Mitte stehend mit dem Namen der Mittelform oder der partiellen Entartungsreaktion belegt worden. Die aktive Be- weglichkeit tritt bei derartigen Lähmungen relativ früh wieder auf (oft schon von der dritten Woche ab), ohne dass die eigentümliche Reaktion der Muskeln auf direkte galvanische Reizung zu verschwinden braucht. Die Erklärungsversuche für dieses eigentümliche Verhalten bewegen sich bis heute nur auf dem Boden mehr oder weniger ge- stützter Hypothesen: Erb vermutet, dass es vielleicht verschiedene trophische Zentralapparate und Bahnen für die Nerven und Muskeln gibt, Wernicke^^ glaubt für derartige Fälle nur auf eine partielle Entartung einzelner Nervenfasern und damit nur einzelner Muskel- bündel rekurriren zu können, Bernhardt^'' hatte die Ansicht auf- gestellt, dass die Muskeln unabhängig und isolirt von ihren Nerven (wenigstens den Stämmen und grösseren Aesten) erkranken und dann eben jene Erscheinungen darbieten können. Wie gesagt, es sind bis- her nur Vermutungen, welche über diese jedenfalls hochinteressante Tatsachen aufgestellt werden können; wir selbst haben uns bis heute vergeblich bemüht, in einzelnen reinen Muskelkrankheiten (z. B. bei Trichinose) den oben beschriebenen analoge Erscheinungen nachzuweisen; dass sie bei reinen Muskelatrophien nicht neurotischen Ursprungs, z. B. denjenigen, welche bei schwereren Gelenkläsionen an den umgebenden Muskeln beobachtet werden, nicht vorkommen, ist erst neuerdings wieder von Rumpf^^ und Charcot^^ ganz besonders hervorgehoben worden.

Ueber die Prognose und Therapie derartiger Fälle, sowie der peripherischen Lähmungen überhaupt wird später im therapeutischen Teil ausführlicher gehandelt werden.

Wie wir gesehen haben, bleibt die Reaktion der dem gelähmten Nervengebiet angehörigen Muskulatur auf den Reiz des Induktionsstroms bei den schweren Formen für lange Zeit erloschen, bei den Mittel- formen in dem Sinne erhalten, dass direkte oder indirekte faradische Reizung prompte blitzartige Zuckungen, direkte galvanische Reizung

296 Faradische Eniartungsreaktion. Kap. XVI

aber in beiden Formen der Lähmung, träge, langsam ablaufende Zuckungen auslöst. Nun ist aber einigemal von Erb ^9, Remak^"^, Kast^^ und Anderen^-, sowohl bei (schweren) peripherischen, als auch bei poliorayelitischen Lähmungen eine auch durch den faradischen Heiz zu erzielende langsame, längere Zeit bestehende Zuckung beob- achtet und als „faradische Entartungsreaktion« (Remak) be- zeichnet worden, welche sowohl bei direkter, wie indirekter Reizung in die Erscheinung treten kann. Nach Käst befindet sich der Muskel, wenn diese Reaktion zu Tage tritt, in einem Zustand, wo er in Folge seiner pathologisch veränderten Struktur auf kurz dauernde Ströme nicht aufgehört hat, oder schon wieder anfängt (im Stadium der Regeneration) zu reagiren, nur dass eben keine schnellen, sondern träge Zuckungen resultiren; die faradische Entartungsreaktion steht nach diesem Autor daher in der Mitte zwischen der vollkommenen und der von Erb und Bernhardt beschriebenen Mittelform der Ent- artungsreaktion. Vielleicht kann man an dieser Stelle auch derjenigen Modifikationen der Muskelreaktion auf den faradischen Reiz Erwähnung tun, welche SeeligmüUer^^ und Bernhardt^-* bei jener Krankheit beobachteten, welche von einem von uns unter dem Namen der „Muskelsteifigkeit und Muskelhypertrophie« als eine spezifische Er- krankung des Muskelgewebes beschrieben worden ist. Bernhardt erinnerte dabei an die analogen, von Ranvier^^ mitgeteilten Ver- hältnisse der ebenfalls gegenüber den weissen in träger Weise dem faradischen Reiz antwortenden roten Kaninchenmuskeln. Weiter beobachtete Bernhardt^'' jenes Verhalten der Muskeln gegen den faradischen Reiz in Zuständen sogenannter lokaler Asphyxie der Extremitäten: die kleinen mit arteriellem Blut nur mangelhaft ver- sorgten Handmuskeln reagirten in träger Weise auf den Liduktions- strom, ein Verhalten, wie es neuerdings bei demselben Leiden auch von M. Weiss ^^ in Prag konstatirt worden ist.

Noch seltener finden sich in der Litteratur Beobachtungen, aus denen hervorgeht, dass auch bei indirekter Reizung eines Nerven durch den galvanischen Strom der Muskel mit einer trägen, auch nach der Oeflfnung des Stroms noch eine kurze Zeit bestehen bleiben- den Zuckung antwortet (direkt gereizt konnte er nur durch AS, indirekt auch bei KaS zur Zusammenziehung gebracht werden); dies geht z. B. aus einer Beobachtung Vierordt's^'^ hervor, der ein solches Vorkommen bei einer Neuritis des rechten N. ulnaris beschrieb.

In jüngster Zeit hat Erb "" diese bisher so selten beobachtete Reaktion in einem Falle chronisch -atrophischer Spinallähmung bei

§119, 120. PartielleEntartungsreaktion m. indirekt. Zuckungsträgheit. 297

einem Kinde sowie in einem Falle von Lähmung des linken N. radialis und bei einer rheumatischen Facialislähmung (Mittelform) wenigstens im Bereich des Frontalastes beobachtet. Es ergab sich also bei direkter und indirekter Reizung mit beiden Stromesarten eine träge Zuckungsform; es liess sich KaSz und AOz vom Nerven aus erzielen und zwar war die KaSz > AOz, während z. B. im ersten Fall (Peroneusgebiet) bei direkter galvanischer Muskelreizung nur KaSz und ASz erzielt wurde, wobei ASz ;s- KaSz war.

Hiernach wäre nun, wie Erb meint, der von Remak eingeführte Name der „faradischen Entartungsreaktion" nicht mehr ausreichend und wird daher von ihm der Name „partielle Entartungsreak- tion mit indirekter Zuckungsträgheit" vorgeschlagen. Auch nach Erb ist es in Bezug auf die Erklärung dieser seltenen Er- scheinung am wahrscheinlichsten, dass die Veränderungen in der Muskelsubstanz selbst die eigentliche Ursache hierfür sind, und dass diese Zuckungsform diagnostisch und prognostisch in die Mitte zwischen die partielle und die komplete Form der Entartungsreaktion zu stellen sei. Schliesslich wird die Vermutung ausgesprochen, dass als erste Stufe der Veränderung diejenige zu bezeichnen sei, wo nur bei direkter faradischer Reizung die träge Zuckung eintritt, als zweite, wo sie bei direkter und indirekter faradischer Reizung und als dritte, wo sie bei direkter und indirekter Reizung mit beiden Stromesarten (dabei die Zuckungsträgheit bei direkter Reizung etwas grösser als bei indirekter) auftritt. Die Prognose wird im Allgemeinen eher eine günstige sein.

Einer von uns*^*^ hat schon vor Jahren bei einem Fall trauma- tischer ülnarislähmung eine Herabsetzung der faradischen und eine Erhöhung der galvanischen Erregbarkeit des Nerven beschrieben, welche Monate lang anhielt. Dabei überwog bei der indirekten Reizung (vom Nerven aus) die KaSz stets die ASz, während (was Bern- hardt den Einwendungen Erb's^® gegenüber zugeben muss) die direkte Reizung der Muskulatur in der Tat eine langsame träge Zuckung und ein Ueberwiegen der ASz über die KaSz, also Entartungsreaktion, ergab.

' § 120. Kommen nun diese qualitativ-quantitativen Veränderun- gen der elektrischen Erregbarkeit motorischer Nerven und der Muskeln nur bei Lähmungszuständen peripherischer Nerven zur Beobach- tung? Nicht wenige Beobachtungen weiss namentlich die Neuzeit zu verzeichnen, in denen vereinzelt Nervengebiete in Folge oder im Ver-

298 Vorkommen d. Entartungsreaktion bei spinalen Erkranlrtingen. Kap. XVI.

lauf akuter (meist Infektions-) Krankheiten in einen Zustand paren- chymatöser Entzündung geraten, welciie in ihrem weiteren Verlauf eine Destruktion der Nerven und Muskeln und damit Lähmungs- und atrophische Zustände herbeiführen und welche sich dann den elek- trischen Einwirkungen gegenüber ebenso wie gemeine, zweifellos trau- matische Lähmungen verhalten. So sind nach Typhus, Pocken, Diphtherie derartige Zustände wiederholt beobachtet worden. (Vergl. später.) Ein ganz besonderes Interesse bieten nun aber diese Zustände von Entartungsreaktion bei bestimmten Erkrankungen zentraler grauer Hirn- resp. Rückenmarkssubstanz dar. Schon oben wurde darauf hingewiesen, dass die motorischen Nerven ihre trophischen Zentren in der grauen Rückenmarkssubstanz, speziell den gangliösen Elementen der Vordersäulen haben. Von ihnen losgelöst fallen sie und mit ihnen die zugehörigen Muskeln der Degeneration anheim. Ist dies der Fall, so wird die Degeneration der Nerven und Muskeln sicher eintreten, wenn die Ursprungsstätten dieser Gebilde, wenn deren trophische Zentren selbst durch irgend welche pathologische Prozesse zerstört werden. Diese scheinbar aprioristische Ansicht wird nun durch die Erfahrungen der Klinik in vollem Maasse bestätigt. Als Typus derartiger Zustände kann die sogenannte spinale Kinderlähmung betrachtet werden, als deren pathologisch-anatomische Grundlage eine Myelitis der vorderen Abschnitte der grauen Substanz des Rückenmarks anzunehmen uns mehr als ein Obduktionsbefund berechtigt. Und in der Tat sehen wir denn auch hier die elektrischen Erscheinungen sich so ent- wickeln resp. verlaufen, wie dies bei schweren peripherischen Lähmun- gen der Fall ist. Bekanntlich ist es ja auch das Fehlen der faradi- schen Erregbarkeit und die schnelle Abmagerung der gelähmten Muskeln, welche neben anderen hier nicht weiter abzuhandelnden Erscheinungen das Charakteristische der in Rede stehenden Krankheit ausmacht. Freilich ist es schwer, die elektrischen Erscheinungen von Beginn an zu verfolgen: nur wenigen Beobachtern^ mag dies vergönnt sein, und schwer ist es überhaupt, bei Kindern (aus leicht begreiflichen Gründen) genau elektro- diagnostisch vorzugehen; trotzdem steht fest, dass der schnelle Schwund der indirekten Erregbarkeit für beide Stromesarten, die Herabsetzung der direkten faradischen Erregbarkeit und in einigen früh untersuch- ten Fällen die erhöhte Erregbarkeit der gelähmten und direkt mit dem konstanten Strom gereizten Muskeln, sowie die Trägheit der Zuckungen, ferner die Umkehr der Formel von mehr als einem zuverlässigen Beobachter gesehen und beschrieben worden ist. (Salomon^^.) Was für die spinale Kinderlähmung gilt, gilt auch für die als Polio-

§ 120, 121. Entartungsreaktion bei d. progressiven Muskelatrophie etc. 299

myelitis anterior acuta aufgefasste sogenannte akute atro- phische Spinallähraung Erwachsener: auch hier unterscheiden sich die eventuell zu beobachtenden und ebenfalls von den verschie- densten Autoren beschriebenen elektrischen Erscheinungen kaum von denen, wie sie während des Ablaufs schwerer peripherischer Lähmun- gen beobachtet werden '0°. Freilich muss zugegeben werden, dass für diese Erkrankungsform, sowie für die Unterabteilung derselben, der Poliomyelitis anterior chronica, noch nicht, wie es für die akute spinale Kinderlähmung der Fall ist, hinreichend beweisende Obduk- tionsberichte vorliegen, welche das Primärergriffensein der zentralen grauen Rückenmarkssubstanz unwiderleglich dartun. Ohne hier auf die Streitfragen von der rein zentralen oder der etwa peripherischen Natur der in Rede stehenden Erkrankungsforraen eingehen zu wollen, müssen wir doch darauf hinweisen, wie auch bei akuter Myelitis, bei der An- wesenheit von Neubildungen, durch welche zentrale graue Substanz zerstört ist, von zuverlässigen Autoren die besprochenen so eigentüm- lichen elektrischen Reaktionserscheinungen beobachtet worden sind.

§ 121. Wie über diese Fragen, so herrscht bekanntlich auch darüber noch keine Einigkeit unter den Autoren, ob die Bleilähmung und die progressive Muskelatrophie als genuine chronische Affektionen der grauen Zentralsubstanz oder als peripherische, an den Nervenstämmen resp. den Muskeln zuerst eingreifende Prozesse zu betrachen seien. Auch hier lehnen wir als nicht hierher gehörig und zu weit führend ein weiteres Eingehen auf diese Streitfragen ab, genug, dass Folgendes in Bezug auf die elektrischen Verhältnisse zunächst für die Blei- lähmungen konstatirt ist: Die von Lähmung und Atrophie befallenen Muskeln verhalten sich wie solche, deren Nerven in obigem Sinne schwere oder mittelschwere Lähmungen erlitten haben; es findet sich Herabsetzung bezw. Verlust der faradischen direkten wie indirekten Erregbarkeit, abnorme Reaktion der direkt galvanisch gereizten ge- lähmten Muskeln bei verminderter oder verschwundener indirekter galvanischer Erregbarkeit. Auch hier haben einige Beobachter"^' zu Anfang der Erkrankung Erhöhung der galvanischen (direkten) Er- regbarkeit nachgewiesen, obgleich gerade dieses Stadium bei der Blei- lähmung dem Untersucher nicht selten entgeht. Was die progressive Muskelatrophie und diejenigen Lähmungszustände betrifft, welche sich bei der sogenannten „Bulbärparalyse" im Bereiche einiger Hirnnerven zeigen, so hatte man bis in die neueste Zeit hinein bei der elektrischen Exploration nur quantitative Herabsetzung (eventuell Erhöhung in

300 Konvulsible Real^tion. Lüclienreaktion. Kap. XVI.

frühen Zeiten der Krankheit) der Erregbarkeit beobachtet: neuere Er- fahrungen bewährter Autoren '°- (denen auch wir uns nach den Er- fahrungen der letzten Jahre anschliessen) scheinen es indess zweifellos zu machen, dass auch hier, wenn auch nicht häufig, an einzelnen direkt gereizten Muskeln bei der Prüfung mit dem konstanten Strom sich die Entartungsreaktion zeigen kann. (Vgl. die Krankengeschichten am Ende.)

Anmerkung. Bei einem ganz neuerdings von Bernhardt '"^ beobachteten Fall von progressiver Muskelatrophie sah derselbe im Bereich des erkrankten linken Ulnarisgebiets insofern ein, wie es scheint, recht seltenes Vorkommen elektrischer Erregbarkeitsanomalien, als bei indirekter sowohl wie direkter faradischcr Reizung eine prompte (wenn nicht gar bessere) Reaktion eintrat, wie auf der vorläufig gesund gebliebenen anderen Seite, und als bei der Prüfung mit dem konstanten Strom sich eine sowohl für den Nerven, als für die Muskeln deutlich (durch galvanometrische Beobachtungen kontrolirte) erhöhte Erregbarkeit im Vergleich mit der gesunden Seite vorfand. Dabei waltete die Eigentümlichkeit ob, dass die so- genannte Brenn er'sche Normalformel fast ganz umgekehrt war: es erfolgten der Reihe nach zuerst eine ASz, sodann KaOz, dann erst AOz und KaSz (auch wohl die KaSz vor der AOz). Sowohl bei indirekter, wie direkter Reizung erfolgten die Zuckungen prompt und blitzartig. Aehnliche Beobachtungen finden sich sehr ver- einzelt in der Litteratur zerstreut von Eisenlohr, Leegard, Erb"*; ob es sich beim Vorkommen derartiger abnormer Reaktionen um ganz besondere und eigen- tümliche Veränderungen an Nerven und Muskeln handelt, oder ob nur abnorm veränderte Leitungsverhältnisse vorliegen, wird weiteren Untersuchungen zu ent- scheiden vorbehalten bleiben müssen. Dass es sich bei der hier kurz zu erwähnen- den „konvulsiblen Reaktion " Benedict's'" (es traten einige Zeit nach dem Fliessen eines Stromes lebhaftere Zuckungen, als ganz zu Anfang ein, bis zum Auftreten von konvulsivischen Zusammenziehungen) wahrscheinlich um den während des Fliessens des Stroms allmählich verminderten Leitungswiderstand und dadurch bedingten Anwachs der Stromstärke handelt, ist sehr wahrscheinlich. Umgekehrt beschreibt, was wir hier gleich anfügen wollen, derselbe Autor eine sogenannte „Lückenreaktion", welche z. B. bei der progressiven Muskelatrophie sich so darstellt, dass ein anfangs bei einer gewissen Stromstärke gat reagirender Nerv nach kurzer Zeit auf eben diese Stromstärke nicht mehr reagirt, sondern erst bei weiterer Steigerung derselben (was sich wiederholen kann) wieder in Erregung ver- setzt wird (leichte Erschöpf barkeit).

Anhangsweise wollen wir hier noch auf einige besondere Verhält- nisse die Aufmerksamkeit richten, welche teils häufiger, ja sogar gewöhn- lich beobachtet, teils selten vorkommend den weniger mit diesen Dingen Vertrauten in Verwirrung zu setzen geeignet sind. So erinnern wir zunächst an die Eigentümlichkeit in der Verteilung der Lähmungs- und Atrophiezustände bei der Bleilähmung, der spinalen Kinderlähmung, der akuten atrophischen Spinallähmung Erwachsener. An einem und demselben Gliede, ja sogar innerhalb desselben Nervengebietes können

§ 121. Seltenere elektrische Reaktionsverhältnisse. 301

hier ganz bestimmte Aeste, ganz bestimmte Muskeln von dem patho- logischen Prozesse verschont bleiben: zwischen Muskeln, welche die deutlichste Entartungsreaktion zeigen, finden sich ganz unversehrte, mit Avohl erhaltener aktiver Beweglichkeit und gut erhaltener elektrischer Erregbarkeit. (Man denke nur an die in der Mehrzahl der Fälle von Blei-Radialislähmungen frei bleibenden Mm. supinatores.) Sodann können die affizirten Muskeln dem Grade nach und der Zeit nach ver- schieden betroffen sein; oft ist die aktive Beweglichkeit schon zurück- gekehrt, während die elektrischen Verhältnisse noch deutlich die tiefe Störung durch die mangelnde oder aborme Reaktion widerspiegeln; ja es sind gerade bei den hier besprochenen Lähmungsformen (der Bleilähmung, der atrophischen Spinallähmung Erwachsener) in sofern ganz wunderbare Verhältnisse von zuverlässigen Beobachtern beschrie- ben worden, in sofern niemals gelähmt gewesene Muskeln die unzweideutigsten Zeichen vorhandener Entartungsreaktion dar- geboten haben '°^

Ferner wurden bei der Bleilähmung sowohl, wie bei der akuten atrophischen Lähmung Erwachsener hier und da die ausgesprochensten Zeichen der oben näher beschriebenen Mittelformen der Reaktionen beobachtet'"*', ferner eine Differenz in den Erfolgen indirekter fara- discher und galvanischer Reizung, insofern die Reizung mit dem kon- stanten Strom vom Nerven aus noch Erfolg hatte, nicht aber die mit dem faradischen Strom i°^. Wieder in anderen Fällen hat man an gelähmten und atrophischen Muskeln zwar die langsame, träge Zuckung beobachtet, ohne dass indess die Anodenschliessungs- zuckungen die Stärke der Kathodenschlusszuckungen erreicht hätten: sie blieben wie bei normalen Muskeln hinter den KaS Zuckungen zurück, oder es erfolgten umgekehrt andere Male kurze und blitzartige Zuckun- gen, nicht aber unter Vorwiegen der Kathode, sondern der Anode *o^. Muskeln, welche faradisch unerregbar waren, auf den galvanischen Strom aber in gewöhnlicher Weise reagirten, nannte ein neuerer Schrift- steller (Adamkiewicz ^o^) „isogalvanisch« reagirend: Derselbe will auch, in einem Falle freilich nur, das höchst befremdliche und seither noch von Niemand bestätigte Faktura beobachtet haben, dass will- kürlich und durch den Induktionsstrom zur Verkürzung zu bringende Muskeln den stärksten galvanischen Reizen gegenüber stumm blieben (isofaradische Reaktion). Aus dem Mitgeteilten geht soviel her- vor, dass innerhalb der grossen feststehenden Kategorien von elek- trischen Reaktionsverhältnissen, wie sie erkrankte Nerven und Muskeln in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle darbieten, sich manche Be-

302 Praktische ßemerlumgen. Kap. XVI.

Sonderheiten und Ausnahmen geltend maclien können, welche bisher nur notirt und angemerkt sind, ohne nach jeder Richtung hin erforscht und aufgeklärt zu sein. Das ist jedenfalls sicher, dass durch eme elektrische Exploration allein niemals die oft dunklen Verhältnisse der verschiedenen Nervenleiden werden aufgedeckt werden können: nie wird daher der gebildete Arzt vergessen, dass die Elektro-Dia- gnostik zwar ein sehr wesentliches Mittel zur Feststellung der Dia- gnose werden kann, ihr allein aber auch nur der, wenn auch nicht unbedeutende Platz eines Hilfsmittels in der Erkennung der Krank- heiten des Nervensystems zuzuweisen ist. (Vgl. die erläuternden Bei- spiele am Ende des Buches.)

Kapitel XVII.

Von den normalen und pathologischen elektrodiagnostischen

Befunden an den Nerven der Sinnesorgane und den

sensiblen Nerven überhaupt.

§ 122. Wie auf die motorisclien Nerven und Muskeln, so wirkt der elektrische Reiz in eigentümlicher Weise auch auf die Sinnes- organe und die sensiblen Nerven.

Was zunächst die Sinne (speziell das Gesicht, das Gehör, den Geruch, den Geschmack) betrifft, so hat der faradische Strom hier nur eine sehr untergeordnete Bedeutung gegenüber dem konstanten Strom. In Bezug auf den Gesichtssinn ist es für Jeden, der sich mit der praktischen Ausübung der Elektrotherapie beschäftigt, eine sich häufig wiederholende und bekannte Beobachtung, dass nicht wenige Individuen das Auftreten einer Blitzerscheinung angeben, sobald irgendwo am Kopfe oder Nacken die Kette geöffnet oder geschlossen wird. Die früher von einigen Autoren ^'"^ verfochtene Ansicht, dass diese Lichterscheinungen reflektorischen Ursprungs sind und nur durch Reizung von sensiblen, vorwiegend Trigeminus-Nervenästen hervorge- rufen werden können, ist heute wohl allgemein aufgegeben worden, besonders seitdem durch v. Ziemssen^ die ausgezeichneten Leitungs- verhältnisse, deren sich die den Bulbus oculi zusammensetzenden Ge- webe erfreuen, auch experimentell nachgewiesen ist. Es sind eben Stromschleifen, welche durch direkte Erregung des N. opt. oder der Retina diese Lichtempfindung hervorbringen. Das nähere Studium dieser Erscheinungen ist, abgesehen von den Physiologen und Aerzten, welche sich schon am Anfang dieses Jahrhunderts mit diesen Dingen beschäftigt haben'", neuerdings speziell durch Arbeiten von Helm- holtz"^ und Brenner"^ gefördert worden. Letzterem Autor ver- danken wir die Kenntniss des Faktums, dass die dem Auge nähere Elektrode die Qualität des auftretenden Lichtbildes bestimmt. Nicht

304 Normale Reaktionen desN. opticus auf d. galvanischen Reiz. Kap. XVI.

bei allen Individuen lassen sich die liier zu beobachtenden Erscheinun- gen in gleicher Weise hervorrufen, die beiden Pole verhalten sich aber jedenfalls verschieden: jedes der bei Kettenschluss erscheinenden Polbilder ist zweifarbig und hat die Gestalt einer kleinen, etwa vier Linien im Durchmesser haltenden Scheibe; die im Zentrum derselben auftretende Farbe ist intensiver, als in dem dasselbe umgebenden blasseren Hofe. Mit der Umkehr der Pole wechseln die Färbungen des Hofes und des Zentrums in analoger Weise: die Färbungen ver- blassen auch mit der Dauer des Stromes, dessen Intensität sie sich direkt proportional verhalten. Die günstigste Stellung der beiden Pole zur Hervorrufung des Phänomens ist die, wenn die eine Elek- trode sich am Nacken, die andere auf dem geschlossenen Auge be- findet. Ist die indifferente Elektrode sehr weit von der diflferenten entfernt, so tritt nur ein Farbenbild, nämlich das zentrale auf. Die Färbung der Lichtbilder variirt bei den einzelnen Individuen, ist aber für jedes einzelne konstant. Die direkt betrachteten Gegenstände gewannen durch die Entstehung des mit Hilfe des konstanten Stromes erzeugten Phosphens nicht an Deutlichkeit (Brenner).

Neuerdings durch B. Tscherbatscheff *•■' angestellte Versuche ergaben, dass der Raumsinn des Auges nach minutenlanger Applikation der Kathode in Bezug auf das zentrale Sehen nichts gewonnen, dass dagegen bei indirektem Sehen sich eine bedeutende und länger als zwei Wochen anhaltende Erweiterung des Gesichtsfeldes eingestellt hatte. Der Farbensinn wurde, was das zentrale Sehen betrifft, nur für Blau und Rot verbessert, während beim indirekten Sehen sämmt- liche Farben ihre Grenzen ausgedehnt zeigten und auf mehr als eine Woche hin auch behielten.

Im Allgemeinen gehört offenbar eine Hingabe zur Sache, sowie eine gewisse Bildung und grosse Aufmerksamkeit der Versuchspersonen dazu, um die hier von scharfsinnigen Beobachtern niedergelegten Tatsachen durch die untersuchten Individuen bestätigt zu sehen: in der Mehrzahl aller Fälle ist es wohl immer nur die Lichterscheinung ganz allgemein, der Blitz, welcher wahrgenommen und als auffällig sofort hervorgehoben wird.

In Bezug auf die Pathologie besitzen wir in einigen in neuester Zeit erschienenen Arbeiten von Neftel"^ und M. Rosenthal"" das oben Auseinandergesetzte teils bestätigende, teils ergänzende Notizen. Nach Neftel hat man die Empfindung des Blitzes von der Farbenempfindung zu trennen; einige Individuen empfinden nur das eine oder das andere; Licht- und Farbenperzeption sind von einander

§ 122, 123. Abnorme galvanische Reaktionen des N. opticus. 305

unabhängig. Ausserdem reagiren einzelne Menschen schon auf sehr schwache Ströme, andere empfinden selbst bei sehr bedeutenden Strom- stärken weder Lichterscheinung noch Farben. Dieser Torpor retinae, resp. das schwächere Reaktionsvermögen für den galvanischen Reiz, fand sich öfter bei vorhandener „Sehschwäche«. unter dem Ein- fluss der Anode erhellt sich das Innere des Auges: die Span- nung wird vermindert, es scheint ein Druck von aussen nach innen zu bestehen ; die Prozedur ruft eher angenehme Empfindungen hervor. Umgekehrt erscheint der intraokulare Druck bedeutend gesteigert (von innen nach aussen wirkend), wenn die Kathode am Auge ruht. In einem Falle rechtsseitiger nasaler Hemianopsie (Funktionsunfähigkeit der rechten äusseren Netzhauthälfte) waren die Licht- und Farben- erscheinungen im Vergleich zum gesunden linken Auge weniger intensiv, sodann aber fand sich ein der Hemianopsie ensprechender Defekt in der Farbenscheibe: die nasale Hälfte blieb im Gegensatz zu der gelb resp. blau gefärbten temporalen dunkel.

Einen bedeutenden Grad von Unerapfindlichkeit der Retina für den galvanischen Reiz fand ferner M. Rosenthal bei halbseitig anästhetischen hysterischen Frauen: die Durchleitung für Gesunde unerträglich starker galvanischer Ströme durch die Kopf hälfte, welche den affizirten Extremitäten entgegengesetzt war, hatte keinerlei be- sonderen Reaktionen, namentlich keine Lichtempfindungen im Gefolge, Erscheinungen, wie sie neuerdings auch von Buzzard"' beschrieben worden sind.

§ 123. Indem wir in Bezug auf die therapeutischen Einwirkun- gen des konstanten Stroms auf Sehnerven- und Netzhautleiden auf den therapeutischen Teil verweisen (dort wird man auch die näheren Angaben über das Verhalten der Pupillen [Irismuskulatur] und der Augenmuslveln gegen den elektrischen Reiz finden), kommen wir nun- mehr zur Betrachtung der Erscheinungen, welche bei der Einwirkung elektrischer Reize auf das Gehörorgan beobachtet werden.

Mit Uebergehung der wenig ausgeprägten und nur schwer dar- stellbaren Erscheinungen, welche mittelst faradischer Reizung (Ein- leitung der Drähte in den mit lauem Wasser gefüllten äusseren Gehörgang) erreicht werden, schreiten wir sofort zur Darlegung der- jenigen Versuchsergebnisse, welche durch die Reizung des N. acusti- cus mittelst des galvanischen Stroms erzielt werden. Auf diesem Gebiete steht Brenner ^^ in jeder Beziehung als bahnbrechend da: bei der Unsicherheit und Unklarheit der Ergebnisse frülierer

Rosenthal ii, B e r ii h u r (1 1 , Eloktrizitlitsloli

20

306 Galvanische Heizung des N. acusticus. Versuehsanordnung. Kap. XVII.

Forsclier und ihren sich zum Teil geradezu widersprechenden Unter- suchungsergebnissen muss, zumal hier ja nur das Feststehende und wissenschaftlich Gesicherte gegeben werden soll, auf eine genauere historische Darstellung dieser hochinteressanten Frage verzichtet werden. Freilich wollen wir nicht verschweigen, dass auch die Unter- suchungsresultate Brenner's nicht unbestritten sind; indess hat doch die Mehrzahl der Autoren die Richtigkeit der von diesem Forscher gefundenen Tatsachen anerkannt.

Man untersucht die Reaktionen des N. acusticus auf den galvani- schen Reiz nach der polaren Methode so, dass man sich bemüht, immer nur eine Elektrode in die Nähe des Ohres zu bringen, wäh- rend die zweite an einem indifferenten Punkte des Körpers (Brust, Nacken etc.) steht. Eine Vernachlässigung dieser Massregel, ein zu nahes Aneinanderstehen beider Pole verhindert eventuell das Zustande- kommen der Reaktion. Zur Prüfung der hier vorliegenden Verhält- nisse kann man sich entweder der sogenannten inneren, oder der bequemeren äusseren (Versuchs-) Anordnung bedienen. Bei ersterer wird der äussere Gehörgang mit lauem Wasser gefüllt und der eine Elektrodendraht in ihn eingesenkt, nachdem man vorher durch einen Ohrtrichter die Gehörgangswände vor der äusserst schmerz- . haften Einwirkung der Stromesfäden soweit als möglich geschützt hat. Wie oben (S. 236) gezeigt, kann Elektrode und Trichter in einer besonderen Form der Elektrode vereinigt sein (Krüger-Hirsch- mann'sehe Form oder Lucae'scho Ohrelektrode): die letztere Elek- trode hat den Vorzug, dass der zu Untersuchende dabei aufrecht sitzen kann und nicht, wie es sonst bei der inneren Anordnung nicht zu vermeiden ist, den Kopf mit dem nicht untersuchten Ohr horizontal auf eine Platte auflegen muss. Die sogenannte äussere Anord- nung"^, wobei die eine (gewöhnliche) Elektrodenplatte vor resp. auf das äussere Ohr einfach aufgesetzt wird, ist als die bequemere jedenfalls vorzuziehen*).

Was der allgemeinen Anerkennung der Brenner 'sehen Resultate in Betreff der galvanischen Akustikusreaktionen ganz besonders im Wege stand resp. steht, ist die überaus grosse Schwierigkeit, bei normal hörenden, gesunden Menschen die von Brenner gefundenen Reaktionen, auf die wir sogleich kommen werden, hervorzurufen. Bei

*) Als eine besondere wohl noch unbequemere Art „innerer" Anordnung ist vielleicht noch die von einzelnen Autoren von der Tuba Eustachii her aus- geführte Galvanisation durch einen durch den Tubenkatheter hindurchgeschobenen Draht zu betrachten.

§ 123. 124. N. acusticus. Die Brenn ei-\sche Normalformel. 307

der Notwendigkeit, oft bedeutende Stromstärken anzuwenden, ist das üebertreten von Strora schleifen auf das Hirn nicht zu vermeiden: es ist die Regel. Die dabei auftretenden Erscheinungen von Schwindel, Lichtphänomenen, Ohnmachtsanwandlungen, Brechneigung, die Zuckun- gen der von starken Stromschleifen erregten Facialismuskeln, der Schmerz an der Applikationsstelle, alle diese Dinge beeinträchtigen natürlich die ruhige Beobachtung, welche der Untersuchte an sich selbst anzustellen und wobei er noch zu lernen hat, von denjenigen Geräuschen zu abstrahiren, welche sich bei der Schliessung und Oeffnung der Kette in Folge etwaiger Kontraktionen der Binnenmuskeln des Ohres sowie durch die Bewegungen der Leitungsdrähte etc. störend geltend machen können.

§ 124. Die durch die Einwirkung des konstanten Stroms auf den N. acusticus ausgeübte Reaktion gibt sich in dem Auftreten einer Klang- oder besser einer Gehörssensation kund. Dieselbe kann bei verschiedenen Individuen verschieden sein und natürlich auch je nach der Stärke des Stromes variiren (Summen, Pfeifen, Rollen, Zischen, Brausen, Klingen etc.). Normal reagirt der (gesunde) Hörnerv nur so: Steht die negative Elektrode am Ohr (die Kathode), so tritt nur bei Stromesschluss eine Gehörssensation ein, welche bei Stromesdauer kurze Zeit anhält, um dann zu verschwinden; öffnet man die Kette, wenn die Kathode am Ohr steht, so erfolgt keine Gehörssensation; steht die Anode am Ohr, so hat die Schliessung der Kette nie eine Gehörssensation im Gefolge, ebensowenig tritt bei geschlossen ge- haltenem Strom eine solche ein, so lange die Anode die differente Elektrode ist; erst die Oeffnung der Kette bewirkt, wenn die Anode am Ohr steht, eine neue Gehörssensation.

Die sogenannte Brenn er 'sehe Normalformel für den Gehör- nerven wird, abgekürzt in Zeichen, folgendermassen ausgedrückt: ; (k bezeichnet [nach Brenner] Klang; durch K, oder K' soll die grössere Intensität des Klanges angedeutet werden)

KaS K deutliche Klangempfmdung;

KaD (Dauer) k >. d. h. allmählich verschwindende Gehörs- (Klang-) Empfindung;

KaO Keine Gehörsempfindung;

AS Keine Gehörsempfindung;

AD Keine Gehörsempfindung;

AO k (Schwache Gehörserapfindung.)

Bei allmählich zunehmender Stromstärke (die liicrhcr gehöi'igen

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308 N. acusticus. Die Brenner'sche Normalformel u. ihre Erklär. Kap. XVII.

Untersuchungen sind immer unter Benutzung eines Rheostaten und mit stetiger Berücksichtigung des Nadelausschlages anzustellen) erhält man stets zuerst die Kathodenschluss- und erst später die Anoden- öffnungsreaktion. Letztere verschwindet bei abnehmender Stromstärke zuerst, sie bedarf überhaupt einer längeren Stromesdauer (d. h. die Anode muss bei geschlossener Kette einige Zeit am Ohre geruht haben, ehe man öffnet), während die Kathodenschlussreaktion sofort bei Schluss des Stromes in grösster Stärke auftritt, um dann erst allmählich abzunehmen. Wiederholt man nach Kathodenöffnung die Reizung mit Kathodenschluss, so genügt eine geringere Stromstärke zur Erzielung einer Gehörssensation als vorher; ebenso gelingt es durch Wendungen von der Anode auf die Kathode schon Gehörs- empfindungen zu erzeugen, die bei einfacher Kathodenschliessung noch nicht hervorgerufen werden. Zum Hervorbringen dieser Erscheinungen ist nun nicht immer Schliessung oder Oeffnung der Kette, sondern auch bei Stromesdauer irgend eine erhebliche Schwankung in der Intensität des Stromes geeignet.

Vergegenwärtigt man sich hiernach die Reaktion des normalen Gehörnerven auf den elektrischen Strom, so wird sofort das eigen- tümliche Verhältniss auffallen, in dem diese Reaktion zu der des ge- sunden motorischen Nerven auf denselben Reiz steht. Der Hörnerv reagirt nur auf Kathodenschluss, der motorische Nerv auch auf Anoden- schluss, der Hörnerv beantwortet nur die Anodenöffnung mit einer Klangsensation, der motorische Nerv zuckt (eventuell) auch bei Kathodenöffnung. Es ist nun schon oben (S. 271) auseinandergesetzt worden, wie sehr es bei dem Zustandekommen der Reaktionen beim lebenden und unversehrten (Tier) Menschen auf die benachbarten Leiter ankommt resp. wie man sich vorzustellen hat, dass stets beide Elektroden am Nerven liegen, und es nur auf die grössere resp. geringere Dichtigkeit ankommt, in welcher der in den Nerv ein- tretende und ihn bald wieder verlassende Strom auf eben diesen Nerven wirkt. Der N. acusticus nun geht, wie Hitzig ^'^ zuerst deut- lich ausgesprochen hat, ohne Unterbrechung seiner physikalischen Con- tinuität in die Masse des Gehirns über, dort aber nimmt die Dichtig- keit der den N. acusticus treffenden Stromschleifen so schnell ab, dass der ^anze Acusticus als an- resp. katelektrotonisirt zu betrachten ist, und die ungleichnamig elektrotonisirten Strecken an der anderen Seite des Gehirns, eine jede von minimaler Dichtigkeit, liegen und zu einer Gehörsempfindung weiter keine Veranlassung geben.

§ 125. Galvanische Kealttionen bei Erkrankungen des Gehörapparates. 309

§ 125. Wir werden alsbald bei Besprechung derjenigen Verän- derungen, welche die normale Akustikusreaktion bei Erkran- kungen des Gehörapparats erleidet, auf diese Verhältnisse zurück- kommen. Auch hier war es zuerst Brenner, dem wir nähere An- gaben über die elektrischen Reaktionen des N. acusticus bei Erkrankungen des Ohres verdanken.

Bei Verstopfungen des äusseren Gehörgangs durch verhärtete Ohrenschmalzpfröpfe, bei angeborener Atresie des äusseren Gehörgangs ist es oft unmöglich, den Acusticus zu erregen: sind die Hindernisse der schlechten Leitung beseitigt, so reagirt der Hörnerv oft sofort in normaler Weise, ja er zeigt sich nicht selten insofern über- resp. sehr leicht erregbar, als abnorm geringe Stromstärken genügen, eine Klangsensation hervorzurufen. (Das Gleiche wurde beobachtet, wenn eine operative Durchbohrung des Trommelfells vorgenommen war.)

Eine zweite abnorme, bei vielen durch die verschiedenartigsten pathologischen Prozesse schwerhörig gewordenen Personen (akute, chronische Mittelohrkatarrhe, Labyrinthleiden, Traumen etc.) zu beob- achtende Erscheinung ist die der Hyperästhesie des Hörnerven, der auf geringere Reize intensiver als normal reagirt (Andauer der Reaktion bei KaD, verlängerte A 0 - reaktion, erhöhte und verlängerte sekundäre und tertiäre Erregbarkeit (vgl. S. 276), ungemein deut- liche Ausprägung der Klangfarbe der gehörten Töne).

Nach Brenner wäre der durch mannigfache Erkrankungen der schallleitenden Apparate von dem ihm adäquaten Reize (Schall- schwingungen) für längere Zeit ausgeschlossene Gehörnerv in einen eigentümlichen Zustand des ), Reizhungers ^' gerathen, der aber erst bei lange bestehenden Anomalien in den Schall leitenden Apparaten zu einer wirklichen Erkrankung des N. acusticus führt. (Dieser Zustand einfacher Hyperästhesie kann auch mit subjektiven Gehörsstörungen, ferner mit zentral oder wenigstens intrakraniell bedingten lähmungs- artigen Zuständen der Augenmuskeln verbunden sein.) Diese eben geschilderte einfache Hyperästhesie kommt nun auch zusam- men mit qualitativer Veränderung der Formel (neben der Normalreaktion noch das Auftreten einer Gehörsempfindung bei AS und AD, seltener bei KaO) oder mit Umänderung der Formel (keine Reaktion bei KaS und KaD, wohl aber bei AS, AD und KaO) zusammen zur Beobachtung. Endlich findet man auch nicht eben selten die Hyperästhesie des Hörnerven mit paradoxer Reak- tion des nicht armirten Ohres: es reagirt bei Armirung auch nur eines Ohres nicht nur der N. acust. dieses, sondern auch des

310 Hyperästhesie d. llöriicrven. Brenner"s „paradoxe Reaktion''. Kap. XVII .

andern, gar niclit direkt unter den Einfluss des Stromes gebrachten Ohres, aber in umgekehrter Weise, so, als befände er sich unter dem Einfluss des anderen Pols. Ist die Erkrankung des Ohres einseitig, so kann es kommen, dass das gesunde Ohr noch gar nicht, resp. über- haupt nicht auf den galvanischen Reiz antwortet, während das leidende Ohr schon bei höchst geringen Stromstärken in der eben erwähnten „paradoxen^' Weise reagirt. Der erwähnte, von Brenner gewählte Ausdruck „paradox" ist, wie schon Erb^-"^ hervorgehoben und wie auch unsere ^-' Ansicht ist, heute nicht mehr passend, wo bei erweiterter Erkenntniss der Stromverteilung durch Kopf und Hirn die Tatsache wohl nicht mehr als paradox hingestellt werden kann, dass ein empfindliches Nervengebilde (N. acusticus) auch durch sehr schwache Stromschleifen noch erregt werden kann. Ist z. B. ein Ohr (etwa das linke) das leidende, ruht die difli'erente Elektrode, z. B. die Anode am rechten Ohre und die andere irgendwo am Körper, so tritt, wie wir wissen, der Strom in relativ grosser Dichte in die dem rechten Dhre benachbarte Gegend ein, um sich in dem gut leitenden (Hirn-) Gewebe nach allen Seiten hin auszubreiten und sehr schnell an Dich- tigkeit abzunehmen: er tritt gleichsam an der linken Seite (dort also, wo sich der kranke und überempfindliche N. ac. sin. befindet) aus; es ist so, als ob dort die Kathode läge und der Hörnerv reagirt im Sinne der dort gleichsam applizirten Elektrode, in diesem unserem Beispiele also der Kathode, üeberhaupt muss man zugeben, dass diese verschiedenen Reaktionsverhältnisse, wie sie im Vorstehenden mitgeteilt sind und in der Tat beobachtet werden (über das faktische Vorkommen derselben kann kein Zweifel bestehen) vorläufig nicht nur auf verschiedene Erkrankungen des N. acusticus selbst etwa be- zogen werden können, da hier offenbar die durch die verschiedenen Erkrankungen des äusseren und des Mittelohrs bedingten so ungemein variablen Leitungsverhältnisse eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Zudem ist mehrfach festgestellt, dass z. B. bei durch Fractura basis cranii gesetzten Hörstörungen resp. bei vollkommener Taubheit, in Fällen, wo schwere Facialislähmungen vorhanden waren, also unter scheinbar ganz gleichen pathologischen Verhältnissen, die elektrischen (galvanischen) Reaktionen von einander sehr verschieden waren; wir sind daher bis heute noch nicht in der Lage, .diejenigen Affektionen des N. acusticus oder selbst derjenigen Apparate, welche den Schall leiten, zu bestimmen, welche gerade nur eine bestimmte Reaktion bei galvanischer Reizung im Gefolge hätte.

Wenn Zustände, wie sie Brenner als Hyperästhesie mit para-

§ 125. Reizung des Hörnerven durch Induktionsströme. 311

doxer Formel des nicht arrairten Ohres bezeichnet, sich dann noch mit qualitativer Veränderung der Reaktionsformel verbinden, so kann für den Ungeübten ein so buntes und verwirrendes Bild ent- stehen, dass er an dessen gesetzmässigem Zustandekommen wohl zu zweifeln versucht ist.

Neben den bis jetzt beschriebenen Abweichungen der galvanischen Akustikusreaktionen vom Normalen erwähnt Brenner noch einiger Aenderungen der Normalformel, ohne dass gerade Hyper- ästhesie zu gleicher Zeit bestände, so z. B. einer einfachen Um- kehr der Normalformel, einer neben den gewöhnlichen normalen Reaktionen vorkommenden Erregbarkeit des Hörnerven auch für Anoden- schluss und Anodendauer (ohne Hyperästhesie), schliesslich einer Schwererregbarkeit, eines Torpor des Hörnerven, eines Zu- standes, der in Anbetracht der oft so schon bei ganz normalen Ohren schwer hervorzurufenden elektrischen Reaktionen häufig nur mit Mühe und in anfechtbarer Weise nachgewiesen werden kann.

In Bezu£ auf die Erregung des Akustikus durch induzirte Ströme gibt Brenner an, dass auch durch sie sich die spezifische Reaktion des Gehörnerven erzeugen lasse, aber nur durch einzelne Oeffnungs- oder Schliessungsströme. Letztere seien viel seltener wirk- sam als erstere. „Bei der nur momentanen Dauer eines solchen Stromes fallen die verschiedenen Reizmomente (Schluss, Dauer, Oeff- nung) in einen Gesammtvorgang zusammen, aus welchem Grunde sich dieses Verfahren des Reizung ebenso wenig zum Studium als zu Heil- zwecken empfiehlt."

Diesen Ausführungen gegenüber haben sich nun gewichtige Stim- men erhoben, welche die Möglichkeit der Erreichbarkeit des Hörnerven durch den konstanten Strom überhaupt leugnend oder wenigstens die Richtigkeit der von Brenner angegebenen Reizungsresultate bezwei- felnd sich von der Anwendung des konstanten Stromes überhaupt los- sagten und zur Anwendung des von Brenner verworfenen Induktions- stromes zurückkehrten, beziehungsweise sie allein empfahlen. (Eine drahtförmige Elektrode tauche in den mit lauwarmem Wasser gefüll- ten Gehörgang, die andere werde durch einen Katheter in die Tuba gebracht.) Jedenfalls werden so das Trommelfell, die Binnenmuskeln des Ohrs (Stapedius und Tensor tympani) von Stromschleifen ge- troffen und erregt. Tröltsch'" rühmt von dieser Behandlung, dass die „Ermüdung« des Gehörs bei länger dauernder Anspannung des- selben seltener oder später eintrete als früher.

Weiteres siehe im therapeutischen Teil.

312 Galvanische Reizungen der Riechnerven. Kap. XVII.

§ 126. Was die Reaktionen des Goruchsinnes auf den elek- trischen Reiz betrifft, so wissen wir noch bis heute so gut wie nichts darüber. Schon im Jahre 1860 hatte Rosenthal'", unbefriedigt von den negativen oder zweideutigen Resultaten früherer Forscher, neue Versuche so angestellt, dass in die mit Wasser gefüllte Nasen- höhle die Elektroden eines konstanten Stroms eingeführt wurden: es kam indess zu keiner Geruchs- sondern nur zu nicht unbedeutenden Schmerzempfindungen.

Frühere Versuche von Rittor'", der bei Schluss eines aufstei- genden Stromes einen säuerlichen Geruch, beim Oeffnen eine ammo- niakalische Geruchsempfindung hatte (bezw. das Umgekehrte beim Wechsel der Stromrichtung), wurden von M. Rosenthal (Wien)" und M. Meyer ^ wiederholt: letzterer konnte in Bezug auf die Ge- ruchsempfindung keine Wahrnehmung machen, erstercr fand bei seinen mit einer Batterie von 20 Sie mens' sehen Elementen angestellten und sehr schmerzhaften Versuchen, ammoniakalischen Geruch bei Kettenschluss, wenn die Ka in der Nasenhöhle war, einen säuerlichen beim Oeffnen. War die Anode in der Nase, so nahm er nur beim Oeffnen der Kette einen ammoniakalischen Geruch war, Schluss der Kette hatte keine Geruchsempfindung im Gefolge. Bei Anwendung einer für gesunde Individuen wohl kaum anzuratenden Stromstärke (35 Daniell) konnte Althaus ^-"^ bei einem an vollkommener Quintus- anästhesie leidenden Manne bewirken, dass er einen stark phosphor- artigen Geruch angab. Nach demselben Autor wird die Elektrizität bei Krankheiten des N. olfactorius wenig leisten: vielleicht wird man den konstanten Strom bei Krankheiten des Riechzentrums, besonders bei Hemianosmie Hysterischer nützlich finden.

§ 127. Ueber die Möglichkeit, Geschmacksempfindungen mittelst des konstanten Stromes hervorzurufen, haben uns zuerst Sulzer's*-^ um die Mitte des vorigen Jahrhunderts angestellte und veröffentlichte Beobachtungen belehrt. Bei direkter Applikation der Elektrode an die Zunge empfindet man selbst schon bei sehr schwachen Strömen eine deutliche, je nach den Polen verschiedene Geschmacksempfindung: eine säuerliche an der Anode, eine bittere an der Kathode. Es ist indess durchaus nicht nötig, den Strom direkt auf die Zunge zu leiten, um diese Empfindung hervorzurufen: es genügt bei vielen Menschen der Ansatz beider oder auch nur einer Elektrode am Gesicht, Nacken, ja weiter abwärts noch am Rücken, um den elektrischen Geschmack entstehen zu lassen. Nach einigen Beobach-

§ 127, 128. Galvanische Reizung der Geschmacksnerven. 313

tern ist die Anode geeigneter, das in Rede stehende Phänomen zu erzeugen, als die Kathode; interessant ist auch die Tatsache des oft noch stundenlangen Fortbestehens der Geschmacksempfindung auch nach der Entfernung der Elektroden. Diese Tatsache, sowie die schon oben angeführte Beobachtung, dass auch von ganz entfernten Punkten her Geschmackssensationen hervorgerufen werden können, sprechen an sich schon gegen die von Einigen aufgestellte Erklärung der beobachteten Erscheinungen durch die Theorie der Elektrolyse, eine Behauptung, welche durch mannigfach modifizirte Experimente von J. Rosenthal '-^ als vollkommen unhaltbar nachgewiesen worden ist. Noch eigentümlicher ist die von Schönbein '-^ aufgestellte und verteidigte Behauptung, dass der durch den konstanten Strom aus der atmosphärischen Luft abgeschiedene Stickstoff sich mit Sauerstoff zu Salpetersäure verbinde und nun den sauren Geschmack erzeuge: sowohl der bitterlich alkalische Geschmack an der Kathode, wie die Er- regung von Geschmacksempfindungen von entfernten Punkten der Körperoberfläche her bleiben bei dieser Theorie durchaus unerklärt. Allgemein angenommen ist deshalb heute die Theorie von der Er- regung der spezifischen Energie der Geschmacksnerven mittelst des galvanischen Stroms, der eben diesen Nerven ebenso wie den Seh- oder Hörnerv in der ihm allein eigentümlichen Weise auf den galva- nischen Reiz reagircn lässt.

Bei Trigeminuslähmungen, sowie bei schweren, die Chorda tym- pani mitbeteiligenden Lähiiiungen des N. facialis, bei Affektionen des N. glossopharyngeus wird man bei Prüfung des elektrischen Ge- schmacks (Aufsetzen einer kleinen knopfförmigen Elektrode auf die verschiedenen Stellen der Zunge, die andere Elektrode [Ka oder A] ruht an einem indifferenten Punkt [der Hand des zu Untersuchenden], die anzuwendende Zahl der Elemente braucht 5 6 nicht zu über- schreiten) denselben entweder an den vorderen zwei Drittteilen der entsprechenden Zungen hälften resp. (bei Glossopharyngeus- Affektionen) an den hintersten Zungen- und den Gauraenpartien vermissen, oder ihn bei allgemeiner, entweder hysterischer oder durch organische Hirnläsionen bedingter Hemianaesthesia unilateralis (an welcher die Sinnesorgane Teil nehmen), einseitig abgeschwächt resp. vernichtet finden.

§ 128. Es erübrigt nun noch der Erscheinungen zu gedenken, welche mittelst der Elektrizität an den sensiblen Nerven der Haut und anderer Organe (Muskeln z. B.) hervorgerufen werden können.

Was zunächst die Haut betrifft, so ist oben schon 81) weit-

314 Methoden zur Prüfung der elektrokutanen Sensibilität. Kap. XVII.

läufig die beste Art und Weise beschrieben worden, die in ihr ent- haltenen Nervenausbreitungen zu erregen. Man kann dies sowohl mit Hilfe des Induktionsstroms wie des konstanten Stroms erreichen. Die durch den mit der sekundären Spirale verbundenen Pinsel hervorge- rufene Empfindung ist bei schwächeren Stromstärken ein eigentüm- liches Gefühl von „Zingern" und „Ziehen", welches erst bei höheren Stromstärken sich zu einer wirklichen Schmerzerapfindung steigert. Diese der Haut gesunder Menschen eigentümliche Reaktion auf schwächere Induktionsströme bezeichnet man mit dem Namen der elektrokutanen Sensibilität, welche, wie Leyden's'-^ und Bernhardt's ^-^ Untersuchungen zeigten, je nach den verschiedenen Regionen des Körpers eine verschiedene ist. Nach dem Vorgange Leyden's prüft man diese Empfindlichkeit der Haut für den elek- trischen Reiz dadurch, dass man in stets gleicher Distanz von \i., Ctm. die Spitzen eines oben isolirten kupfernen Zirkels, dessen Schenkel mit den Polen der sekundären Spirale eines Induktionsapparates ver- bunden sind, auf verschiedene Punkte der Haut aufsetzt und jedesmal den Rollenabstand notirt, sobald die Versuchsperson angibt, das oben geschilderte eigentümliche Grefühl zu empfinden, das bei elektrischer Reizung der Haut (mittelst des Induktionsstroms) sich einstellt. Je nach der Stärke des induzirenden Stromes und der Konstruktion des Induktionsapparates werden die absoluten Zahlenwerte für die ein- zelnen Regionen schwanken, das Verhältniss der Empfindlichkeit aber in den einzelnen Bezirken immer ein gleiches bleiben. So konnten 9 Zonen ausgesondert werden, welche jede um etwa Va Ctm. Rollenabstand von einander verschieden, folgendermassen etwa benannt werden könnten:

I. Zungenzone = 16,6 (d. h. bei den nach obiger Methode zu untersuchenden Personen konnte die sekundäre Rolle von der primären 16,6 Centimeter entfernt sein, ohne dass sich bei denselben an der Zungenspitze das nun schon öfter erwähnte eigentümliche Gefühl verlor), Zungenspitze 17,5 Ctm., Gaumen 16,7, Nasenspitze 15,7 Ctm.

IL Antlitzzone = 15,05 (Augenlider, Zahnfleisch 15,2, Rote Lippen 15,1, Wange 14,8).

III. Stirnzone = 14,45 (Nicht roter Teil der Lippen 14,5, Stirn 14,4).

IV. Schulterzone = 13,7.

V. Rumpfzone = 12,8 (Oberarmzone) (Brustbein und Nacken- wirbel 13,0; Rückenwirbel (oben), Oberarm, Gesäss 12,8; Rücken (Mitte), Hinterhaupt, Lendengegend, Hals am Unterkiefer 12,7; Vorder- arm 12,6; Scheitel 12,5).

§ 128. Allgemeine u. Schmerz-Empfindlichk. d. Haut f. d. elekt. Reiz. 315

VI. Oberschenkelzone =. 12,21 (Os sacrura 12,35; Ober- schenkel 12,3; Rücken der I. Phalanx, Fussrücken 12,0).

VIT. Handzone = 11,6 (Unterschenkelzone). (Rücken, IT. Pha- lanx 11,75; Dors. cap. oss. metac. und Handrücken 11,6; Unter- schenkel 11,5; Nagelglied [Vola] 11,5).

VIII. Kniescheibenzone = 11,1 (Kniescheibe 11,3; Nagel- glied (Dorsum) 11,3; Vola cap. oss. metac. 10,9).

IX. Zehenzone = 10,45 (Zehenspitze 10,6; Vola der Mittel- phalanx 10,5; Vola manus 10,5; Mittelhand des Daumens 10,5: Planta ossis I. metat. 10,2).

In der Benennung der einzelnen Zonen wird natürlich eine ge- wisse Willkühr obwalten; es ist aber offenbar gleichgiltig, ob Zone V. Rumpf- oder Oberarmzone heisst, oder ob man Zone VII. statt Hand- zone etwa lieber Unterschenkelzone nennt, wenn man sich nur klar ist, dass viele Hautstellen, die sowohl dem Rumpf, Avie den oberen oder den unteren Extremitäten angehören, nahezu identische Zahlen bei der Untersuchung ergeben.

Wenn nun in der oben beschriebenen Weise beide Spitzen des kupfernen Zirkels auf einer Hautstelle aufgesetzt sind, und man nähert die sekundäre Spirale der primären, auch nachdem das Gefühl des Ziehens und Bebens schon angegeben worden ist, noch weiter, so wird bei zunehmender Verringerung des Rollenabstandes ein Moment kommen, in welchem die Versuchsperson lebhaften Schmerz empfindet und ausspricht. Der zu diesem Zeitpunkt abgelesene Rollenabstand gibt für die betreffende Hautstelle den Massstab ihrer Seh merze mpfi nd- liohkeit für den elektrischen Reiz ab. Die Abstandswerte der beiden Spiralen fallen nun natürlich sämmtlich etwas niedriger aus, als die für die elektrokutane Sensibilität, stehen aber meist in dem- selben Verhältniss zu einander.

Allgemeine Empfind-

Schmer zempfindlich-

Zonen.

lichkeit der Haut für

keit der Haut für den

den elektrischen Reiz.

elektrischen Reiz.

I.

Zungenzone . . .

]fi,6

13,67

II.

Antlitzzone . . .

15,05

13,05

III.

Stirnzone ....

14,45

12,8

IV.

Schulterzone

13,7

11,25

V.

Rumpfzone . . .

12,8

11,08

VI.

Oberschenkelzone .

12,21

9,91

VII.

Handzone . . .

11,6

;\28

VIII.

Kniescheibenzone .

11,1

8,8

IX.

Zeheuzone . . .

10,45

6,78

316 Methode zur Prüfung der elektrokutanen Sensibilität. Kap, XVII.

Nach Leyden und Bernhardt hat nouerdmgs auch Dros- doff'-^ ähnliche Untersuchungen angestellt, nur dass er statt des von uns bei den Untersuchungen mit dem faradischen Strom benutzten Metallzirliels einer von Bernhardt zuerst bei den Prüfungen mit dem konstanten Strom '2° angegebenen Methode sich bedient, insofern er eine grosse feuchte Elektrode am Brustbein und den elektrischen Pinsel auf die Haut aufsetzt. Nach ihm sollen die verschiedenen Werte an den verschiedenen Körperstellen in der wechselnden Dicke der Epidermis (dem wechselnden Widerstände) ihre Erklärung nicht finden, sondern auch wirkliche Differenzen der elektrokutanen Sensi- bilität, unabhängig von der Epidermisdicke an den verschiedenen Regionen des Körpers bestehen.

§ 129. Diese bisher gebräuchlichen Methoden zur Bestimmung der elektrokutanen Sensibilität genügen durchaus, wenn durch sie die elektrokutane Empfindlichkeit der Haut als solcher bestimmt werden soll, mit all den zufälligen Eigentümlichkeiten, wie sie die verschie- dene Dicke der Epidermis, der wechselnde Nervenreichtum der ein- zelnen Stellen darbieten. Die Sensibilität der Hautnerven selbst aber kann man, so meinen in einer diesem Gegenstande gewidmeten Arbeit Tschiriew und de Watteville ^^', mit dieser Methode nicht erforschen, da ja die erhaltenen Resultate durch die verschiedenen eben aufgezählten Umstände in unberechenbarer Weise modifizirt wür- den. Sie schlugen daher eine andere Methode vor, deren Prinzipien folgende sind:

1) Elimination all der Umstände, welche die Stromstärke durch die veränderliche Dicke der Epidermis und die verschiedene Stellung der Elektroden modifiziren könnten, dadurch, dass in den Stromkreis so grosse Widerstände eingeschaltet werden, dass die durch die ver- schiedene Epidermisdicke gesetzten ganz dagegen verschwänden. 2) Er- regung der Haut durch eine stets sich gleich bleibende Anzahl von metallischen Punkten, die auf einer sich stets gleich bleibenden Ober- fläche befestigt sind. Mit einer derartig konstruirten Elektrode glauben nun die oben genannten Autoren die elektrische Sensibilität der Hautnerven an sich geprüft zu haben: sie fanden dieselben an den verschiedenen Körperstellen nicht von einander verschieden. Nach Bernhardt's Angaben hat Herr Mechanikus Krüger eine Elektrode zu konstruiren versucht, wie sie sich zur Untersuchung dieser Ver- hältnisse eignet.

Besser als eine weitläufige Beschreibung wird, ein Blick auf die beigegebene

§129.

Methode zur Prüfung der elektrokutanen Sensibilität.

;i7

Zeichnung die Eigenart dieser Elektrode verständlich machen. Im Inneren einer 1472 Ctm. langen, etwa 2 3 Ctm. im Durchmesser haltenden Heizrohre befinden sich drei feine, mit Graphit und Schiefer vollgestopfte Glasröhrchen: Geht der Strom zur Schraube a und durch das Röhrchen 1 und tritt er bei m in das metallische Ansatzstück n, welches fest mit der Holzröhre verbunden ist, so hat er einen Weg durchlaufen, welcher 10000 S.E. re- präsentirt. Tritt er in die Schraube b ein, so hat er nach seinem Durchgang durch die Röhrchen 2 und 1 einen 20000 Einheiten bietenden Weg zurück- gelegt. Befestigt man schliesslich den einen Leitungs- draht in Schraube c, so muss der Strom, um zum Punkt m gelangen zu können, die Röhrchen 3, 2 und 1 , einen Weg mit einem Widerstand von 30000 S.E. durchlaufen. Am metallischen Ansatz- stück n ist das Endstück s anschraubbar, auf wel- chem eine Summe wohl isolirter, nicht zugespitzt, sondern abgerundet endender, durch eine Hartgummi- platte von einander isolirter, mit dem metallenen Ansatzstück aber verbundener fester Messingdraht- stifte hindurchgehen.

Man sieht, wie weit die Möglichkeit, mittelst dieser eben beschriebenen Elek- trode die Widerstände beliebig zu vermehren, von dem Ideal Tschiriew's und de Watte- ville's entfernt bleibt, da ja diese Autoren bis zu 2 und 3 Millionen Einheiten für die gänzliche Eliminirung des Hautwiderstandes für nötig erklären; soweit wir bis jetzt über- sehen, dürfte es sehr schwer sein, eine der- artige „handliche« Elektrode herzustellen.

Eigene, übrigens noch weiter fortzu- setzende Versuche lehrten Bernhardt, dass in vergleichenden Untersuchungen sich in der Tat die mittelst der alten Methode erhaltenen, oft weit auseinander stehenden Werte der elektrokutanen Sensibilität an verschiedenen Hautregionen (1. 10 Ctm., 2. 7,5 Ctm., 3. 6,6 Ctm., 4. 9,4 Ctm.) sich

bei Anwendung der neuen Versuchsanordnung, d. h. Einschaltung eines Widerstandes von etwa 30000 S.E. wesentlich gleichmässiger (1. 5 Ctm., 2. 6,2 Ctm., 3. 5 Ctm., 4. 6,2 Ctm.) herausstellten.

(Es war die Empfindlichkeit folgender Stellen nach beiden Metho- den untersucht worden: 1. Zungenspitze, 2. Stirn, 3. Schulter, 4. Nasen-

^, 30,000 E

Flg. 105.

318 Prüfling d. elektrokutanen Sensibil. durch d. galvan. Strom. Kap. XVII.

spitze.) Natürlich sind noch weitere Untersuchungen zur Ergänzung und Bestätigung von Nöten; vorerst wird man sich der alten Ley- den'schen Methode bei der Untersuchung der elektrischen Sensibilitäts- verliältnisse der Haut bedienen, wenn man sich bei Gesunden oder Kranken (Hemianästhesien, Tabes, Hysterie, Erkrankungen periphe- rischer Nerven etc. etc.) über diese Verhältnisse relativ schnell orien- tiren will.

§ 130. Die mittelst des galvanischen Stromes hervor- zurufende Hautempfindung ist eine eigentümlich sengende, bren- nende und für die Mehrzahl der Menschen eine sofort Schmerz er- regende. Verbindet man den positiven Pol einer konstanten Batterie mit einer breiten, gut durchfeuchteten Elektrode , den negativen mit einem Metallpinsel, so tritt bei Ansatz des Pinsels auf die verschie- densten Plautstellen der erwähnte Schmerz ein, der je nach der Inten- sität des Stromes auch minutenlang nach Oeffnung desselben eine juckende oder schmerzende Empfindung hinterlassen kann. Dies ist, wenn der mit dem positiven Pol verbundene Metallpinsel auf der Haut ruht, entweder gar nicht oder in sehr unbedeutendem Maasse der Fall. (Man kann auf diese Weise den negativen Pol, die Kathode, den Zink- pol jeder konstanten Batterie schnell und sicher bestimmen.) Unter- sucht man die Schmerzempfindlichkeit der Haut, so findet man, dass dieselbe an den verschiedenen Stellen der Körperoberfläche nur eine sehr massige Verschiedenheit zeigt: man empfindet stets Schmerz, wo auch immer der elektrische Pinsel ruht, wenn die Galvanometer- nadel zwischen 1" und 2V2° (0,3—0,6 M.A.) ausschlägt.. Eine eigen- tümliche Ausnahme von dieser Regel machen die schleimhautbedeckten Teile (rote Lippen, Zungenspitze, Zungenrücken und Gaumen), welche auch bei erheblicher Stromstärke im Vergleich zu anderen Hautstellen eine nur unbedeutende Schmerzempfindung bei dieser Prüfung er- kennen lassen. Es beruht dies offenbar auf dem schon oben erörter- ten Verhalten, dass hier nicht, wie bei der Epidermis, der Strom nur an einzelnen Punkten in die Tiefe tritt und daher an diesen eine enorme Dichte erlangt, sondern mehr gleichmässig sich verteilt. An der Volarfläche der Finger und Zehen gelang es auch bei Anwendung bedeutender Stromstärken nie, eine wirkliche Schmerzempfindung bei dieser Methode auszulösen.

Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, müssen wir in Kürze noch auf zwei in neuester Zeit dieses Thema behandelnde Arbeiten, die von Erb^^- und Moebius'^^ eingehen. Ersterer hat sich eine eigene

§ 130. Prüfungsmethoden der elektrokutanen Sensibilität. 319

Elektrode*) (in Anlehnung an die von Tschiriew und de Watte- ville beschriebene) konstruiren lassen und benutzt sie als Reizelektrode, mit der er die minimale elektrische Empfindung und die Schmerz- empfindung bestimmt. Die Untersuchungen ergaben im Wesentlichen Bekanntes und zeigten, da auch auf die Leitungswiderstände an den geprüften Hautstellen geachtet wurde, dass die Rollenabstände in einem ähnlichen relativen Verhältniss, wie die Leitungswiderstände stehen, dass die Differenzen zwischen beiden Seiten sehr gering sind und sich vielfach noch durch etwas verschiedene Leitungswiderstände erklären. Um der Forderung Tschiriew's und de Watteville's zu ge- nügen, recht grosse Widerstände in den Stromkreis der sekundären Spirale einzuschalten, bediente sich Moebius*^^^ der unipolaren Reizung (der zweite Pol wird mit der Gasleitung in Verbindung gesetzt) oder der Einschaltung einer bald länger bald kürzer zu machenden Säule von absolutem Alkohol. Eine mit der erwähnten Flüssigkeit gefüllte Röhre wurde mit Gummistöpseln verschlossen, die von Metallstäben durchbohrt waren, welche in Kohlenknöpfe endigten; durch ihre Ver- schiebung konnte die Flüssigkeitssäule beliebig verlängert oder verkürzt werden. Der Widerstand einer Säule absoluten Alkohols von 3 Ctm. Durchmesser und 7 Ctm. Länge betrug etwa 149000 S. E. Nach Möbius ist es nicht sowohl der Widerstand der Epidermis, als die verschiedene Erregbarkeit der Hautnerven resp. der Zentralorgane, welche für das übrigens im Ganzen und Grossen mit den bekannten Untersuchungen übereinstimmende Resultat verantwortlich zu machen ist. Er verwirft die Erb'sche Elektrode zur Prüfung der Hautsensi- bilität und lässt nur den (leicht auf die Haut aufzusetzenden) Pinsel gelten. Ebenso leugnet er, dass die Qualität der Empfindung bei elektrischer Reizung eine spezifische sei: elektrisches Stechen ist von vorn herein schmerzhaft; was als Ziehen und Zingern beschrieben ist, seien exzentrische Empfindungen gereizter kleiner Hautnervenstämm- chen. In Betreff der Untersuchungen der Hautempfindlichkeit durch den konstanten Strom bestätigt Möbius im Wesentlichen die Bern- hardt'sehen Untersuchungen: Schmerz tritt überall bei nahezu dersel- ben Stromstärke ein, mit Ausnahme der Hand- und Fussfläche.

*) Ein Bündel von mehr als 400 feinen übersponnenen und geürnissten Metalldrähtcn wird in eine Hartgummiröhre von ca. 2 Ctm. Durchmesser fest ein- geschlossen, an dem einen Ende mit der zuleitenden Metallhülse durch Lötung fest verbunden und an einem Elektrodenheft befestigt: das andere freie Ende Wii'd möglichst glatt abgeschliffen und bedeckt, auf die Hautoberiläche applizirt, eine Kreisfläche der Haut von etwa 2 Ctm. Durchmesser.

320 Verhalt, d. seiis. Nerv., sowie d. Haut geg. d. elekt. Reiz. Kap. XVII.

§ 131. Elektrische, namentlich faradischc Reizung eines sen- siblen oder gemischten Nerven in seiner Kontinuität ruft eine in der peripherischen Ausbreitung des Nerven als summendes oder auch schmerzhaftes Gefühl empfundene Erregung hervor, die als unliebsame Beigabe bei der elektrischen Untersuchung gemischte Fasern enthal- tender Nervenstämme auftritt. Bemerkt zu werden verdient noch die Tatsache, dass auch für die Sensibilitätsprüfung mit dem Induktions- strom als Regel festzuhalten, dass der mit dem negativen Pol des Oeffnungsinduktionsstroms der sekundären Spirale verbundene Pinsel einen intensiveren Reiz setzt, als der mit dem positiven Pol verbundene.

Abgesehen nun von den Erregungen der sensiblen Nerven der Haut beobachtet man bei Applikation elektrischer (induzirter und konstanter) Ströme auf die Haut noch mehrfache andere Erscheinungen, deren Kenntniss dem behandelnden Arzt von Nöten sind. Wie auf die sensiblen Nerven, so wirkt zunächst der Induktionsstrom auf die Nerven der Gefässe in der Haut oder auf die Hautgefässmuskulatur direkt ein. Unter seinem Einfluss kontrahiren sich die Gefässe und die elektrisirte Hautstelle wird blass. Diese Anämie macht indess in sehr kurzer Zeit einer bei weiter fortgesetzter Reizung eintretenden, durch die Paralyse der Gefässmuskulatur herbeigeführten Hyperämie Platz, welche je nach der individuellen Disposition des behandelten Individuums mehr oder weniger intensiv und zirkumskript bleiben kann. Nicht selten kommt es zu Serumaustritt aus den erweiterten Gefässen in den Papillarkörper der Haut und damit zur Bildung von Papeln und Quaddeln.

Ueber die Einwirkung des konstanten Stromes auf die Haut- gefässe sind von R. Remak'-, ßoUinger '^■', Erb '^^, v. Ziemssen^ besondere Beobachtungen, die sich namentlich auf die etwaige ver- schiedene Wirkung der Anode und der Kathode bezogen, angestellt, von ihnen kam der letztere (v. Ziemssen) zu folgenden Resultaten: „Die rein physiologischen Wirkungen sind qualitativ an beiden Polen gleich und nur quantitativ etwas verschieden, insofern die Verände- rungen an dem negativen Pole schneller, sowie in- und extensiver sich entwickeln. Die Reihenfolge der Veränderungen an den beiden Polen ist: Erblassen mit Auftreten von Gänsehaut, Rötung, papulöse An- schwellung der Haarbälge, Konfluenz der Papeln zu grösseren Quaddeln."

Die eben erwähnte „Gänsehaut" '^^ tritt neben der Hyperämie ebenfalls als Folgezustand der elektrischen Hautreizung auf, nur währt dieses durch die Reizung der organischen, sich zu den Haarbälgen be- gebenden Hautmuskeln hervorgerufene Phänomen relativ kurze Zeit

§ 131, 132. Elektromuskuläre Sensibilität. 321

(gleich der anfänglichen Anämie); wo die subkutanen Lagen organischer Muskeln in grösseren Qantitäten, wie z. B. am Hodensack, vertreten sind, kann man natürlich diese Kontraktionszustände der Haut am deutlichsten hervorrufen.

Endlich wäre noch der chemischen (elektrolytischen) Einwir- kung des galvanischen (konstanten) Stroms zu gedenken, die sich an den Ansatzstellen der Pole in der Haut herausstellen können. Früher, als man sich durchgehends viel stärkerer Ströme als in der Gegen- wart bediente und die Elektroden lange Zeit auf denselben Haut- stellen stehen liess, kamen wirkliche Anätzungen der Haut häufiger zur Beobachtung, als es wohl heutzutage der Fall ist. Aus dem Blut- serum schieden sich am positiven Pol die negativ elektrischen Bestand- teile (Sauerstoff, Säuren etc.), am negativen Pol die positiv elektri- schen Bestandteile (Wasserstoff, Alkalien) aus und bewirkten so oft nicht unbedeutende Aetzungen der an sich physiologisch schon in einen hyperämischen Zustand versetzten Haut, Aetzungen, welche oft (namentlich am negativen Pole) längere Zeit zu ihrer Heilung bedurf- ten. Durch Vermeidung übermässiger Stromstärken, durch eventuelles massiges Verrücken der Elektroden, besonders aber durch die Anwen- dung der von Hitzig'^'' zuerst, dann von v. Ziemssen^^^ eingeführ- ten, aus dem physiologischen Arraamentarium herübergenommenen un- polarisirbaren Elektroden sind diese üebelstände jetzt wohl durchaus zu vermeiden.

Schliesslich verdient noch hervorgehoben zu werden, dass ein etwas stärkerer galvanischer Strom bei seinem Durchtritt durch die Haut dieselbe erwärmt, wie noch erst neuerdings wieder durch Gärtner's^'^^ Untersuchungen nachgewiesen worden ist.

§ 132. Eingangs dieses Abschnittes haben wir in Kürze der- jenigen Erscheinungen gedacht, welche mittelst der Elektrizität an den sensiblen Nerven auch der tiefer gelegenen Teile, so beson- ders der Muskeln hervorgerufen werden können. Bei der durch den elektrischen Reiz hervorgerufenen Kontraktion eines Muskels empfindet man ein von der oben besprochenen elektrokutanen Sensibilität durch- aus unabhängiges eigentümliches Gefühl, auf welches Duchenne^ zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt und welches er mit dem Namen der Sensibilite electro-musculaire belegt hat. Diese Empfin- dung kann bestehen, auch wenn durch eine Erkrankung (z. B. bei Hysterischen) die Empfindlichheit der Haut verloren gegangen ist, oder wenn (wie dies Duchenne gezeigt hat) die Muskeln zufällig

RosBTithal 11. Bernhardt, Elektrizitätslelire. III. Aufl. Ol

322 Zuckungsgesetz der sensiblen Nerven. Kap. XVII.

durch eine Verletzung ihrer Hautdecke beraubt worden waren. Je nach der Stärke des Stroms kann sich diese elektromuskuläre Sensi- bilität zu einer wirklichen elektromuskulären Schmerzempfindung steigern. Es ist hier nicht der Ort, auf die Frage näher einzugehen, ob dem Muskel sensible Fasern, die in ihm endigen, zukommen oder ob derartige Nerven ihn nur durchziehen, um in den Fascien, resp. in der den Muskel bedeckenden Haut zu enden, genug, dass durch die auf elektrischem Wege (direkt oder indirekt) hervorgebrachte Muskel- zusammenziehung das beschriebene eigentümliche Gefühl hervorgerufen werden kann.

Zum Schluss sei hier noch erwähnt, dass Pflüger *^ wie für die motorischen Nerven, so auch für die sensiblen sein Zuckungs- gesetz gültig gefunden hat. Gemäss der zentralen Lage der reagi- renden Organe (des Gehirns und des Rückenmarks) im Gegensatz zu der peripherischen Lage der Endorgane motorischer Nerven (der Mus- l<:e]n) tritt aber z. B. bei sehr starken aufsteigenden Strömen nur bei Schlieseung des Stromes Empfindung (oder reflektorische Zuckung) ein, nicht bei der Oeffnung, und umgekehrt erfolgen die Reaktionen bei der absteigenden Richtung. Schwache Ströme bringen nur bei Stromesschluss, mittelstarke bei beliebiger Stromesrichtung Oeffnungs- sowohl wie Schlussreflexzuckungen hervor. Wir haben oben schon gesehen, wie der elektrische Pinsel, wenn er mit dem negativen Pol eines konstanten Stromes verbunden wird, die Haut- nerven unvergleichlich viel schneller und intensiver erregt, als wenn er mit der Anode verbunden war.

Prüft man (nach Erb '^^) mit dem galvanischen Strom die Reak- tion sensibler Nerven am lebenden Menschen, so findet man nicht allein an der Ansatzstelle der diflferenten Elektrode, sondern auch im Verbreitungsbezirk der sensiblen Hautnerven des unter der Elektrode befindlichen Nervenstammes, dass die Ka vorwiegend Schliessungs-, die A vorwiegend Oeffnungsreaktion gibt und dass die erregende Wir- kung der Ka bedeutend überwiegt. Zuerst tritt KaS- Empfindung ein (an Intensität während KaD abnehmend), dann eine schwächere AO- Empfindung, ihr folgt die AS- Sensation, erst bei noch gesteigerter Stromstärke in eine AD- Empfindung übergehend: erst spät tritt nach KaD eine KaO- Sensation ein.

Nadjeschda Suslowa'-^"^ hat in einer Arbeit über die Verän- derungen der Hautgefühle unter dem Einfluss elektrischer Reizung (des konstanten Stromes) gefunden, dass das Gefühl der Kälte bei der Berührung der Haut mit Eis an der Kathode deutlicher war, als an

§ 132. Verwertung d. elektrokut. Sensibilitätsprüf. in d. Pathologie. 323

der Anode, und dass es möglich sei, an der Kathode die Entfernung der Spitzen des Tasterzirkels gegen die frühere zu verkleinern, ohne die Doppelempfindung aufzuheben, während an der Anode dieselbe vergrössert werden muss. Bernhardt dagegen hat bei seinen Ver- suchen, durch welche geprüft werden sollte, ob sich die Empfindlich- keit der Haut für den elektrischen Reiz (nach der oben S. 315 ange- gebenen Methode untersucht) unter dem Einfluss eines der Pole des konstanten Stromes ändert, niemals positive und beweisende Resultate erhalten.

Anhangsweise erwähnen wir hier kurz die Tatsache, dass wir die Meinung Nothnagel's ^^': die elektrokutane Sensibilität sei in der Mittellinie des Körpers stumpfer, als an den seitlichen Partien, nicht haben bestätigen können. Ebenso wenig stellte sich speziell bei den Untersuchungen über die elektrokutane Sensibilität und die Schmerz- empfindung durch den elektrischen Reiz eine Differenz zu Gunsten oder Ungunsten einer Körperhälfte heraus: die Resultate blieben sich für die rechte wie für die linke Seite gleich.

In Bezug auf die Verwertung der elektrokutanen Sensibilitäts- prüfung in der Pathologie ist zu bemerken, dass die oben angegebenen Methoden sehr wohl geeignet sind, zur Prüfung der mannigfachen im Verlauf der verschiedensten Affektionen des Hirns, Rückenmarks und der peripherischen Nerven oder allgemeiner Neurosen beobachteten Sensibilitätsanomalien der Haut. Hier handelt es sich wohl vorwie- gend um die Konstatirung etwaiger abnorm erhöhter oder herabge- setzter Empfindlichkeit: feinere Untersuchungen über das Verhältniss der elektrokutanen Sensibilitätsverhältnisse zu dem Verhalten der anderen Empfindungsqualitäten oder etwaiger Differenzen im Verhalten der allgemeinen elektrokutanen Sensibilität zur elektrokutanen Schmerzempfindung bei einer und derselben Affektion fehlen noch zur Zeit. In neuester Zeit fand Neftel'^-, dass in manchen krank- haften Zuständen, besonders aber bei Tabes, die Schmerzempfindung der Haut an der Anode eine grössere sei, als unter der Kathode, ein Verhältniss, das im Laufe einer elektrischen Kur bezw. mit der Besse- rung der Krankheitssymptome wieder schwinden und dem normalen Platz machen kann.

21'

Kapitel XVIII.

Von den normalen und pathologischen elektrodiagnosti- schen Befunden an den Organen des Centralnervensystems und den mit muskulösen Wandungen versehenen Einge- weiden.

§ 133. Bevor wir jetzt auf die Aufzählung derjenigen Erschei- nungen eingehen, welche durch die sogenannte »Gehirngalvanisa- tion'' hervorgerufen werden können, haben wir uns mit der Beant- wortung der Vorfrage zu beschäftigen, ob man es bei den durch die Hirngalvanisation erzeugten Symptomen mit physikalischen oder phy- siologischen Reizerfolgen zu tun habe. Viele Autoren, unter ihnen Althaus i'o und bis zur Mitte der 60er Jahre auch v. Ziemssen, machten nämlich die Lichterscheinungen, die Geschmacksempfindung, den Schwindel, die Eingenommenheit des Kopfes, die sich bis zur Un- besinnlichkeit und Ohnmacht steigern kann, den Hinterhauptsschmerz, das Erbrechen etc., mit einem Worte alle die Symptome, die man bei Anwendung etwas stärkerer galvanischer Ströme und beim Ansatz der Elektroden, z. B. an die beiden Proc. mastoidei erhalten kann, von der Erregung sensibler Nerven, speziell des N. trigeminus abhängig, von wo aus reflektorisch alle diese Erscheinungen hervorgerufen würden, da die festen knöchernen Hüllen ein Eindringen des Stromes in die Tiefe bis zum Gehirn hin nicht zu gestatten schienen.

Seitdem aber zuerst Erb'^'^, später Burkhardt**^ (vgl. übrigens das S. 204 über Grapengiesser's Versuche Gesagte) und v. Ziems- sen^ selbst durch Versuche an Leichen nachgewiesen hatten, dass bei der Applikation der Elektroden an den unversehrten Schädel und bei Anwendung von Stromstärken, wie sie täglich von den Aerzten benutzt werden, erhebliche Stromzweige durch das Gehirn gehen, dass man aus dem Hirn diese Zweigströme ableiten kann, dass dieselben die

§ 133, 134. Einwirkung d. galvan. Stroms auf das Gehirn. 325

Richtung des Hauptstroms innehalten und mit dessen Wendung in gleichem Sinne ihre eigene Richtung ändern (Versuche, die ebenso wie für das in der Schädelkapsel eingeschlossene Gehirn auch für das im Wirbelkanal liegende Rückenmark gelten), seit dieser Zeit wird die physikalische direkte Einwirkung des konstanten Stroms auf die Zentralgebilde und speziell auf das Gehirn allgemein als bewiesen an- genommen. Von Erb wurde darauf aufmerksam gemacht, wie die Knochenmasse der Schädeldecken von zahlreichen mit den Mark- und Periostalgefässen in Verbindung stehenden feinen Kanälen durchbrochen sei, wie andererseits auch grössere Blutgefässe in den Schädel ein- und aus ihm heraustreten (die Eraissarien), durch welche dem Strom zahlreiche Wege von massigem AViderstande zum Eindringen in die Tiefe zu Gebote ständen. Dazu kommt, wie v. Zierassen durch be- sondere Untersuchungen nachwies, die ausgezeichnete Leitungsfähigkeit der Bulbusbestandteile und der verhältnissmässig geringe Widerstand, den diese und die wasserreiche Hirnsubstanz selbst dem elektrischen Strom darbieten.

Am sichersten und leichtesten lassen sich die durch die Hirn- galvanisation hervorzurufenden Erscheinungen von den Fossae auricu- lomaxillares , den Proc. mastoidei und der Hinterhauptsnackengegend aus auslösen, da neben dem geringen Widerstand, den die Haut durch ihre dünne Epidermisbekleidung an diesen Stellen darbietet, noch an- sehnliche Venen und Arterien an diesen Stellen aus dem Schädel kommen, resp. in ihn eintreten, worauf v. Ziemssen besonders auf- merksam gemacht hat.

§ 134. Dass durch die Galvanisation des Kopfes Schwindel erzeugt wird, war schon lange bekannt, aber erst durch die Unter- suchungen Brenner's**"* und Hitzig's '•♦•^ sind die näheren Verhält- nisse klarer gelegt worden. Am leichtesten ensteht der Schwindel nach Brenner, wenn die die beiden Elektroden verbindende Linie senkrecht steht auf der durch die Längsachse des Körpers und des Schädels gelegten Ebene: sobald die eine Elektrode die Mittel- linie des Schädels in der Richtung nach der anderen Elektrode hin überschreitet, lassen die Schwindelerscheinungen wesentlich nach oder hören ganz auf. Der Verlust des Gleichgewichts erfolgt nach Brenner ausnahmslos nach der der Anode entsprechenden Seite hin. Der Schwindel tritt bei Stromesschluss sofort ein und hält während der Stromesdauer einige Zeit an: besondere Steigerung erfährt er bei Stromeswendung, ebenso tritt auch bei Stromesöffnung ein wenn-

326 Schwindelerscheinungen bei Gehirngalvanisation. Kap. XVIII.

gleich schwächeres Schwindelgefühl ein. Ruht die Kathode am Kopf, die Anode an einer entfernten Körperstelle, so entsteht bei Stroraes- öffnung ein subjektives Schwindelgefühl und ein objektiv nachweis- bares Schwanken nach der der Kathode entsprechenden Seite hin. Dieser bei KaO entstehende Schwindel ist schwächer als der bei AS und AD entstehende. Induktionsströrae bringen nach Brenner über- haupt keine Schwindelerscheinungen hervor.

Auch nach Hitzig erzeugt Anodenschliessung leichter den Schwindel, als Kathodenschliessung, und ebenso Anodenöfifnung leichter, als Kathodenöffnung. Bei einigermassen starken Strömen hört der Schwindel während der Stromesdauer nicht auf und hält auch nach der Oeffnung noch einige Zeit an. Auch nach Hitzig erzeugen Induktionsströme niemals Schwindel, eine Behauptung, die wir be- stätigen können. Das Symptom des Schwindels zeigt nach Hitzig mehrere Abstufungen: Der erste Grad besteht nur in einem Gelühl von Unsicherheit über das räumliche Verhalten des eigenen Körpers, beim zweiten Grad treten Scheinbewegungen hinzu: die Gesichts- objekte drehen sich von der Anoden- nach der Kathodenseite, um sich im Moment der Oeffnung umgekehrt zu bewegen.

Bei starken Strömen endlich schwankt der Kopf oder der ganze Körper der Versuchsperson nach der Anodenseite bei Schluss, nach der Kathodenseite bei Oeffnung der Kette. Befindet sich nur eine Elektrode am Kopf, so erfolgen die Phänomene so, als wäre die andere Elektrode an der anderen Seite des Kopfes angesetzt. Beim Eintritt des zweiten Schwindelgrades treten unwillkührliche, assoziirte Augenbewegungen auf, die in schnellem Ruck in der Richtung des positiven Stroms, und langsam pendelnd nach der entgegengesetzten Richtung hin erfolgen.

Durch die Kettenschliessung entsteht bei den Versuchspersonen die Empfindung, als sänken sie nach der Kathode hin und würden nach dorthin leichter; das Sensorium erhält eine falsche Vorstellung vom Verhalten der Gesammtmuskulatur und korrigirt die vermeint- liche Störung des Gleichgewichts durch die „unbewusst willkührliche" Bewegung nach der Anode hin.

Ohne auf die von Hitzig für das Zustandekommen der Nystag- musbewegungen der Augen gegebene Erklärung hier näher einzu- gehen, erwähnen wir noch, dass dieser Autor es unentschieden liess, ob es sich bei den mitgeteilten Erscheinungen um eine elektrotonisi- rende Wirkung auf die Nervensubstanz des Gehirns selbst handelt,

§ 135. Verhalt, d. Piagefässe bei d.Galv. durch d. unversehrt. Schädel. 327

oder um elektrotonische Erscheinungen an den vasomotorischen Nerven der Hirngefässe: letzteres scheint ihm wahrscheinlicher.'

§ 135. Sind denn aber, so müssen wir jetzt fi-agen, überhaupt Veränderungen an dem Lumen von Hirngefässen bei Durch- leitung von galvanischen, auch elektrotherapeutisch verwertbaren Strömen durch die von allen Weichteilen bedeckte Schädelkapsel beobachtet worden? Die hier etwa herbeizuziehenden, übrigens sehr spärlichen Versuche von Legros^^^ und Onimus gehören deswegen nicht strikt hierher, da diese Autoren den einen Pol ihrer galvanischen Batterie auf die durch Trepanation biosgelegte Stelle der Hirnober- fläche direkt aufsetzten, also von einer Durchleitung des Stromes durch die unversehrte Schädelkapsel gar nicht die Rede ist. Unter dem positiven Pol sollen sich die Gefässe verengt, unter dem negativen erweitert haben und ebenso das Hirn zusammengefallen, resp. hervor- gequollen sein. (Es sind dies die Resultate eines Experimentes am Hunde.)

Letourneau^^'^ beobachtete bei Durchleitung eines schwachen konstanten Stromes durch den Kopf einer einmonatlichen Katze, der ein Stück des linken Schädeldachs entfernt war (die Anode stand dabei am rechten aufsteigenden Kieferwinkel, die Kathode am Vorder- kopf zwischen den Augen) eine deutlich sichtbare Verengerung der Gefässe der Dura und, wie sich nach Entfernung eines Durastückes auswies, auch der der Pia; bei jeder Stromunterbrechung vermehrte sich die Anämie.

Eine grössere experimentelle Untersuchung über diese Frage ver- danken wir Löwenfeld^*% dessen Versuchsergebnisse im Wesentlichen folgende sind: 1) Es ist möglich, durch Leitung konstanter sowohl als faradischer Ströme durch den Kopf von Tieren die Cirkulations- verhältnisse im Innern des Schädels zu beeinflussen.

2) Akut entzündete Teile scheinen dieser Beeinflussung jeden- falls von Seiten des konstanten Stromes minder zugänglich zu sein? als nicht entzündete.

3) Intensive peripher applizirte Reize können unabhängig von reflektorischen Kontraktionen von Skeletmuskeln eine Verstärkung der Injektion der Gehirnhäute hervorrufen.

4) In aufsteigender Richtung (-|- Pol Nacken, Pol Stirn) durch den Kopf von Tieren geleitete konstante Ströme erweitern die arte- riellen Gehirngefässe und beschleunigen damit die Cirkulationsvorgänge im Gehirn.

328 Löwenfeld's Versuche. Kap. XVIII.

5) Werden konstante Ströme in absteigender Richtung durch den Kopf von Tieren geleitet, so kann man dadurch die Weite der arte- riellen Gehirngefässe verringern und somit die Cirkulationsvorgänge im Gehirn herabsetzen.

6) Bei Querdurchleitung durch den Kopf bewirkt die Anode auf der Seite ihrer Applikation Erweiterung, die Kathode Verengerung der Arterien.

7) Ein vom Halse aufsteigend durch das Gehirn geleiteter Strom führt eine so nachhaltige Erweiterung der Arterien herbei, dass selbst eine Wendung des Stromes dieselbe nicht zu beseitigen vermag.

8) Der Füllungszustand der Ohr- und Gehirnarterien geht nicht parallel: Schlüsse aus dem Füllungszustand der äusseren Kopfarterien auf die Weite der Gehirnarterien sind daher nicht gerechtfertigt.

In welcher Weise die Beeinflussung der vasomotorischen Apparate in der Med. obl. und im Halsmark, welche nach Löwenfeld wahr- scheinlich unter dem Einfluss des in den Nacken applizirten positiven oder negativen Pols zu Stande kommt, die Erscheinungen an den Hirngefässen herbeiführt, lässt der Autor unentschieden.

Gleichzeitig mit Löwenfeld hat SchieP'*^ Versuche darüber angestellt, wie sich bei Galvanisation des Kopfes etwa die Kraft- leistung einzelner Muskelgruppen (z. B. des Arms) und die elektrische Erregbarkeit derselben für den faradischen Strom ändert. Die Kraft- leistung des Arms blieb, wenn der Strom am Kopf vom Nacken zur Stirn floss, dieselbe, die Reaktion der Muskeln am Rumpf und den Extremitäten wurde „verändert". Leider sagt der Verfasser nicht, in welcher Weise.

Nach Löwen feld wird durch die Galvanisation des Kopfes die Erregbarkeit der peripheren Nerven nicht in merklicher Weise be- einflusst.

Fassen wir in Kürze zusammen, was bei der Kopfgalvanisation oder besser bei Durchleitung konstanter Ströme durch den Kopf des Menschen beobachtet wird, so sind dies folgende Erscheinungen: Schwindel, Licht-, Gehörs-, Geschmackssensationen, unwillkührliche Augenbewegungen, Gefühl von Ohnmacht, Uebelkeiten, Erbrechen, endlich Schmerz (besonders in der Hinterhauptsgegend).

Experimentell beobachtete man ausserdem an Tieren neben den Schwankungen des Rumpfes (das Tier stürzt nach der Anodenseite) noch unwillkührliche Augenbewegungen (die Augen drehen sich nach der Kathodenseite) und Veränderungen in der Lichtung von Pia- und Duragefässen.

§ 135, 136. Treffbarlceit d. Rückenmarks durch d. galv. Strom. 329

Ausdrücklich soll an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben sein, dass es sich stets bei den Tieren, wie bei den Menschen um die Erfolge auch elektrotherapeutisch verwertbarer Stromstärken handelt, welche durch den unversehrten Schädel hindurch in die Hirnsubstanz hineingeleitet werden. Wie naheliegend vielleicht auch die Schlussfolgerung sein mag, dass die innerhalb des letzten Jahr- zehnts erst erkannte Möglichkeit der elektrischen Erregbarkeit der Grosshirnrinde und die schon länger bekannte Erregbarkeit tiefer ge- legener Hirnpartien, auch bei perkutaner Anwendung der Elektrizität zu Stande kommen könne, so wissen wir doch bis heute zu wenig Sicheres hierüber, als dass wir die hypothetischen Anschauungen selbst der besten Autoren über diese Fragen an dieser Stelle zu reproduziren berechtigt wären. In dem der „Therapie" gewidmeten Abschnitte (vergl. später) wird das etwa noch hierhergehörige kurz auseinander gesetzt werden.

§ 136. Was die Möglichkeit betrifft, das Rückenmark durch den elektrischen Strom zu beeinflussen, so ist schon oben hervorgehoben worden, dass zuerst durch Erb ^*^, später durch Versuche von Burck- hardt*^ und V. Ziemssen^ die Tatsache sicher gestellt ist, dass bei der gewöhnlichen Applikation der Elektroden am Rücken eines (unver- sehrten) Tieres oder Menschen Stromschleifen in das Rückenmark selbst eindringen. Von vornherein scheint es mehr als wahrscheinlich, dass bei der Dicke der die Wirbelsäule bedeckenden Weichteile und der Unmöglichkeit, an das Rückenmark anders als von der hinteren einen Seite her heranzukommen, die Stromschleifen selbst nur schwache sein werden. Erb konnte bei einzelnen Individuen durch Anwendung eines (nebenbei bemerkt viel kräftigeren Stromes, als es am Kopf möglich ist) starken Stromes von etwa 24 Elementen, bei Applikation der grossen Anode auf die Brust, der mit grosser Oberfläche ver- sehenen Kathode auf die obersten Lendenwirbel, nach öfteren Strom- wendungen, später auch nur bei Schluss der Kette Zuckungen in den vom N. ischiad. innervirten (hinteren) Oberschenkelmuskeln hervor- rufen. Stand die Anode auf den Lendenwirbeln und war der Strom lange genug geschlossen gewesen, so gelang es öfters, durch die Stromesöffnung Zuckungen auszulösen. Diese Versuche sind von Brenner ^^ wiederholt und bestätigt worden. Setzte Letzterer die Kathode an die Lendenwirbel, so konnten selbst bei beliebiger Stellung der Anode durch Stromesschluss mehr oder weniger deutliche exzen- trische Sensationen im Unterschenkel, der Fusssohle und den Zehen

330 Weitere Erschein, bei d. Galvanis. d. Riicl(enmarl<s. Kap. XVIII.

hervorgerufen werden. Diese Erscheinungen gestalten sich nach Brenner bei verschiedenen Personen nicht ganz gleichmässig und bei vielen gelingt der Versuch überhaupt nicht. Oefter und deutlicher gelingt er aber mit induzirten Strömen: auch hier ist die exzentrische Empfindung sicherer hervorzurufen und intensiver, wenn die Kathode der Oeffnungsströme an den Lendenwirbeln ruht.

Bei der Applikation des galvanischen Stromes am Nacken (Hals- wirbelsäule) kann man nicht selten bei den Versuchspersonen resp. Kranken Geschmackssensationen, Lichterscheinungen, ferner einen eigentümlichen, von einem kitzelnden Gefühle im Halse begleiteten Husten erzeugen. Vielleicht hat man es hier mit einer Reizung des N. vagus zu tun. Die Erscheinung ist ausser von Brenner auch von uns und wahrscheinlich von vielen anderen beobachtet worden; nach Brenner tritt bei Stromesschluss- und Dauer die Erscheinung leichter und intensiver auf, wenn die Anode und nicht die Kathode am Nacken sass, auch schien in einem Falle KaO nach längerer Stromesdauer, nicht aber AO die Erscheinung hervorzurufen.

Ob durch das Einströmen der Elektrizität in das von unverletz- ten Weichteilen umgebene Rückenmark wie am Hirn Veränderungen in dem Kaliber der Gefässe hervorgebracht werden, scheint a priori wahrscheinlich: Versuche hierüber besassen wir bis in die neueste Zeit nicht. Die Dürftigkeit experimenteller Tatsachen in dieser Frage wurde gewissermassen ersetzt durch die rein empirischen, klinischen Beobachtungen, aus denen der wohltätige Einfluss speziell des galva- nischen Stroms bei der Behandlung mannigfacher Erkrankungen des Marks hervorgeht.

Die durch den galvanischen Strom zu beeinflussende Erregbarkeit des Rückenmarks selbst war von verschiedenen Seiten her zum Gegen- stand genauer Untersuchungen gemacht worden. So fand z. B. Ranke ^■''*', dass das von einem mittelstarken galvanischen Strom durchflossene Rückenmark auf Hautreize nicht mehr mit Reflexbewe- gungen antwortete, so dass man durch eine derartige Applikation sogar bei mit Strychnin vergifteten Fröschen die Krämpfe zum Schwin- den bringen konnte; die Richtung der Ströme erwies sich hierbei als gleichgiltig. Aehnlich wirkt nach Uspensky^^^ der absteigende Rücken marksstrom krampfberuhigend auf mit Picrotoxin vergiftete Frösche (im Gegensatz zu dem aufsteigenden Strom), eine Tatsache, welche auch von Onimus^^^ bestätigt wird. In seinen der Elektro- therapie des Rückenmarks gewidmeten Untersuchungen, durch welche Löwenfeld^^^ die oben angedeuteten Lücken unserer Kenntnisse aus-

§ 136. Löwenfeld's Versuche. ' 331

zufüllen bestrebt war, konstatirte auch dieser Autor den Einfluss des konstanten Stromes auf die vom Marke vermittelten Reflexvorgänge: er fand eine Erhöhung der Erregbarkeit der unter dem Einfluss der Anode stehenden Partie gegenüber der Herabsetzung in einer kat- elektrotonisirten Stelle. Eine Lähmung des Markes trat bei Anwen- dung massiger Stromstärken bei keiner Richtung des Stromes ein; Einwirkungen des Stromes auf das menschliche Rückenmark kommen nach ihm nur bei Anwendung sehr erheblicher Stromstärken oder bei abnorm gesteigerter Erregbarkeit des Markes vor. Positives nach dieser Richtung hin konnte er weder bei Gesunden noch bei Neurastheni- schen selbst bei Strömen von 32 ^ Nadelausschlag (Krüger'sche grosse Batterie, Galvanisation längs der Wirbelsäule) beobachten.

Von den weiteren Ergebnissen der Löwenfeld'schen Unter- suchungen interessiren zunächst die mit den Brenner 'sehen Angaben übereinstimmenden Resultate, dass bei Applikation von Induktions- strömen (Kathode des Oefi"nungsstroms) an die Lendenwirbel relativ leicht exzentrische Sensationen in den ünterextremitäten ausgelöst werden, im deutlichen Gegensatz zu der Unwirksamkeit galvanischer Ströme nach dieser Richtung hin. Dagegen traten Zuckungen der Unterschenkelmuskulatur (Plantarflexion der Füsse) ein, wenn die Kathode eines galvanischen Stromes an den Lendenwirbeln ruhte ; sass an dieser Stelle die Anode, so zuckten nur die nächst gelegenen Muskeln (des Gesässes): es kamen nur Schliessungszuckungen, nie Oeffnungszuckungen zu Stande; ausserdem blieb das Cruralis- und Obturatoriusgebiet stets unbeeinflusst. Alle diese Reizerfolge des kon- stanten Stroms traten indessen nur bei so hohen Stromstärken ein, wie sie gewöhnlich für elektrotherapeutische Zwecke nicht benutzt werden. Ganz besonders interessant und wichtig erscheinen die Er- gebnisse Löwenfeld's in der Frage, ob der konstante Strom auf die Zirkulationsvorgänge im Rückenmark Einfluss aus- zuüben vermag. Hier gelangte der Münchener Elektrotherapeut zu ganz positiven Resultaten: absteigende Ströme (Anode an den Hals- wirbeln) bewirkten eine Erweiterung der arteriellen Piage fasse, auf- steigende waren überhaupt Aveniger wirksam ; wurde bei dieser Stromes- anordnung eine Veränderung der Gefässlichtung beobachtet, so handelte es sich um Verengerungen derselben. Nach Löwen feld hat man hier mit Einwirkungen der Pole auf die vasomotorischen Centra des verlängerten Marks und der obersten Rückenraarksabschnitte zu tun. Stand eine Elektrode am Brustbein, die andere am Rücken, so war in Bezug auf die Wirkung eine besondere Poldiflferenz nicht zu be-

332 Galvanisation des Sympathikus. Kap. XVIII.

merken: unter beiden konnten sich die Piagefässe erweitern. Reizung der Haut endlich mit starken faradischen Strömen rief eine Erweite- rung der Piaarterien hervor.

So dankenswert diese Untersuchungen und ihre Resultate auch sind, so sehr ziemt es sich doch wohl noch vor der Hand daran zu erinnern, dass sie an Tieren (Lämmern vornehmlich) gewonnen sind, und dass die Versuchsanordnung (Einführung der als Elektroden dienen- den Kupferdrähte bezw. Zinkbleche unter die durch einen Einschnitt abgetrennte Haut des Tieres, ein Verfahren, das natürlich das Ein- dringen des Stromes in die Tiefe ungemein erleichtern musste) sich erheblich von der für elektrotherapeutische Prozeduren am Menschen üblichen unterscheidet. Immerhin sind wir dem genannten Autor er- heblichen Dank schuldig für seine mühevollen Untersuchungen über den Einfluss des elektrischen Stromes auf die Zirkulationsverhältnisse des Marks und seine Erregbarkeit selbst, zumal er mit Recht daran erinnert, dass bei dem innigen Konnex, in welchem die Gefässe des Marks und seiner Häute mit den Gefässen der Weichteile des Rückens und der Wirbelknochen stehen, eine Modifikation der Ernährungsvor- gänge in den äusseren Teilen auch einen Einfluss auf die nutritiven Verhältnisse im Innern des Spinalkanals ausüben kann.

§ 137. Neben der elektrischen Beeinflussung des Gehirns und des Rückenmarks spielte früher und spielt teilweise auch noch heute die Galvanisation des Sympathicus eine bedeutende Rolle. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die in der Tat relativ ober- flächlich und erreichbar liegende Partie am Halse, während die längs der Brust- und Lendenwirbelsäule liegenden Ganglienhaufen und Ver- bindungszüge doch höchstens als von ganz schwachen Stromschleifen bei der am lebenden Menschen möglichen Applikation der Elektroden durchströmt gedacht werden konnten.

Es fragt sich nun für uns zunächst, ob es möglich ist, bei der Stellung der Elektroden, wie sie von den Autoren für die elektrische Erregung des Halssympathikus angewendet wird, überhaupt Strom- schleifen in bestimmter Richtung durch die Ganglien und den Grenz- strang am Halse zu schicken. Dies ist nun nach den jetzt öfter er- wähnten Erb-, Burckhardt-Ziemssen' sehen Versuchen als faktisch möglich anzusehen, es handelt sich nur darum, ob die beim lebenden (nicht zu vergessen beim kranken) Menschen in Gebrauch zu ziehenden Stromstärken und die den Sympathikus treifenden Stromzweige über- haupt kräftig genug sein werden, um auf Sympathikusreizung zu be-

§ 137, Wirkungen d. Halssympathikusgalv. Stellung d. Elektroden, 333

ziehende Wirkungen auszulösen, Welches sind- diese Wirkungen? Das physiologische Experiment lehrt, dass im Halssympathikus Fasern verlaufen, welche auf die Lichtung der Gefässe an der entsprechenden Kopfhälfte, auf die organischen Muskeln des Augapfels derselben Seite (Müller 'sehen Muskel, M. dilatator pupillae), auf die excito- motorischen Fasern des Herzens von Einfluss sind, und welche er- regende Fasern für das Herzhemmungssystem, sowie einige Drüsen (z. B. Speicheldrüsen) enthalten.

Um am lebenden Menschen Stromschleifen zu dem Grenzstrang resp. den Ganglien des Sympathikus am Halse gelangen zu lassen, applizirt man die Elektroden so, dass die eine am Jugulum, die andere an der Innenseite des M. sternocleidomastoid. in der Fossa auriculo- maxillaris (dort medialwärts eingedrückt) steht: hierbei kann der Strom aufsteigend (Anode am Sternum, Kathode oben) oder absteigend sein. Manche nennen auch das Sympathikusgalvanisation, wenn sie den einen Pol an der oben bezeichneten Stelle in der Fossa auriculom., den anderen hinten im Nacken im Niveau der drei unteren Halswirbel entweder an derselben oder der entgegengesetzten Seite appliziren, ja Gerhardt setzte die Kathode zwischen Unterkieferwinkel und M. sternocleidom, , die Anode an den Gaumenbogen derselben Seite und sah (auch bei Anwendung des faradischen Stromes) eine Pupillen- erweiterung eintreten. Dasselbe beschreiben als Resultat der Sympa- thikusreizung bei aufsteigendem Strom Eulen bürg und Schmidt^^^: dabei sahen dieselben Autoren die Pulsfrequenz sinken und (sphygmo- graphisch nachweisbar) die Spannung der Carotis abnehmen. M. Me y er ^ bestätigte die Angaben Gerhard fs^'"^ über die Pupillendilatation bei galvanischer Reizung des Sympathikus und beschrieb zugleich das Ein- treten einer auch objektiv wahrnehmbaren Temperaturerhöhung in der Hand derjenigen Seite, auf der die Kathode am obersten Cervical- ganglion stand (die Anode befand sich au der entgegengesetzten Seite des 7. Halswirbels). Zu gleicher Zeit trat eine lebhafte Schweiss- sekretion an dieser Hand ein.

Nach Beard und Rockwell-°s nehmen die Gefässe der Retina während des Durchgangs des Stromes an Grösse zu, später ab: es soll dieser Effekt sowohl bei auf- wie absteigender Richtung des galva- nischen Stromes beobachtet werden; der Puls war zeitweilig beschleu- nigt, eben so oft aber auch vermindert. Hiergegen behaupten Klein^'^'' und Svetlin, dass Reizung oder Lähmung des Sympathikus auf die Netzhautzirkulation ohne Einfluss ist. Durchschneidung des Sympa- thikus unterhalb des Gangl. supremum, Reizung dieses Ganglion mit

334 Fischer's exp. Untersuch, über elekt. Sympathikusreizung. Kap. XVIII,

dem konstanten Strom, Galvanisation des Sympathikus beim Men- schen 2 5 Minuten lang brachte nie eine Veränderung an den Ge- fässen der Retina zu Stande. Bei dieser Spärlichkeit und teilweisen Unsicherheit, ja bei den oft unvereinbaren Widersprüchen der Autoren einerseits und bei den andererseits oft unzweifelhaften Erfolgen, die man durch die Applikation der Elektroden auf den Grenzstrang resp. auf die Ganglien bei verschiedenen Kranlcheiten erzielte, erschien es daher aufs Neue dringend geboten, durch möglichst sorgfältig ausge- führte Versuche klar zu legen, was denn nun eigentlich durch elek- trische Sympathikusbehandlung faktisch erreicht werden kann, nament- lich schien es wünschenswert, den Einfluss auf die Zirkulationsvor- gänge im Gehirn zu studiren. Durch G. Fischer 's ^^"^ an Pferden und Katzen angestellte Versuche wurde nun Folgendes konstatirt: Durch Faradisation des Halssympathikus gelingt es bei Pferden, in den vom N. sympathicus innervirten äusseren Kopfarterien den Blutdruck zu steigern und eine deutlich nachweisbare Spannung der Arterienwandungen hervorzubringen: dagegen wurden für den kon- stanten Strom fast negative Befunde erhalten, insofern nicht einmal Voltaische Alternativen irgend welchen Erfolg hatten.

Bei Katzen war bei perkutaner Anwendung des faradischen Stroms eine Wirkung auf die Irisweite zwar nachweisbar, aber sehr gering; die Reizung des isolirten Nerven dagegen gab eine sehr deut- liche Reaktion. Bei der galvanischen Reizung wurde nur eine Schliessungsreaktion, meist aber gar keine erhalten. In Bezug aut die Beeinflussung der Zirkulationsvorgänge im Gehirn und seinen Häuten waren für die faradische Reizung (bei Katzen) die Resultate wechselnd, alle Schwankungen aber, positive wie negative, höchst unbedeutend; bei der Galvanisation wurden unter 11 Versuchen dreimal gar keine Veränderungen, viermal ein ganz minimales Steigen beobachtet: eine Schliessungs- oder Oeffnungsreaktion fand sich in der ganzen Versuchsreihe niemals. Auf die Pulsfrequenz hatte die Gal- vanisation eine nachweisbare Einwirkung. Bei gleichzeitiger Fara- disation von Vagus und Sympathikus stieg unter 5 Versuchen der Hirndruck viermal und zweimal bedeutend. Doppelseitige Faradisation der Nn. sympathici liess den Druck schnell und um ein Bedeutendes steigen, noch während der Stromesdauer sank er dann wieder: jedesmal traten dabei bei tiefster Narkose des Tieres klonische Krämpfe in den Streckern der Hinterfüsse und denen des Rückens ein.

Ein anderer Untersucher, Przewoski*", beobachtete bei der Fara-

§ 137, 138. Exp. Untersuch, über elekt. Sympathikusreizung. 335

disation des Halssympathikus (oder bei Reizung des Gangl. supremum mit der Kathode des galvanischen Stroms) Gefässkontraktion und Temperaturabnahme an der Wange z. B. um mehr als 1 ° C. ; nach der Faradisation, oder bei Einwirkung des positiven Pols eines galva- nischen Strom auf das Ganglion supremum trat später eine massige Temperatursteigerung ein. Nach Peyrani'^^ wächst bei Reizung des undurchschnittenen N. Sympathikus mit dem induzirten oder galva- nischen Strom (durch letztere Prozedur weniger als durch die erstere) die Menge des Urins und des Harnstoffs. Durchschneidung des Sym- pathikus vermindert die Absonderung dieser Substanzen ungemein; dieselbe steigt wieder an bei Reizung des peripherischen Endes, aber in geringerem Grade als bei Reizung des unversehrten Sympathikus.

Verengerungen und eigentümliche Formgestaltung der Pupille fand dann noch Katyschew^^^ bei der Faradisation des oberen Hals- dreiecks; derselbe will auch eine Kontraktion der Gefässe des Trommel- fells an der faradisirten Seite und einen wohltätigen Einfiuss dieser Prozedur auf Mittelohraffektionen und die davon abhängigen krank- haften Erscheinungen bemerkt haben, während alle diese Erscheinun- gen bei der Anwendung des konstanten Stromes wenig oder gar nicht ausgesprochen waren; von Einfiuss waren hier nur Schliessungen und Oeffjmngen des Stromes, sowie überhaupt Schwankungen der Strom- stärke.

Ganz neuerdings sah endlich Moeli^^*^ bei Faradisation des Tri- gonum colli superius immer eine primäre Erweiterung der Pupillen, der eine Wiederverengerung allerdings manchmal sehr deutlich nach- folgte.

§ 138. Es lohnt sich der Mühe, für einen Moment bei der Be- trachtung der Resultate zu verweilen, die Katyschew und auch Andere durch die perkutane Faradisation »des Sympathikus'* am Halse erzielt haben. Handelt es sich hier wirklich um eine direkte Erregung sympathischer Nervenfasern? Im Verlaufe der Experimente, die Nothnagel^*^^ unternommen hatte, um über die vasomotorischen Nerven der Gehirngefässe ins Klare zu kommen, ge- lang es diesem Forscher, durch elektrische Reizung der Hautnerven im Bereich des Cruralis z. B. oder des N. trigeminus eine (reflekto- rische) Verengerung der Piagefässe zu erhalten: zum grössten Teile verlaufen nach ihm diese vasomotorischen Piagefässnerven durch das Gangl. supr. des Sympathikus, zum kleineren Teil durch den Halsteil des N. Sympathikus und durch Hirnnerven. Zu entgegengesetzten resp.

336 Kritik d.exp. Ergebnisse d. elekt.Sympathilmsreiznng. Kap. XVIII.

negativen Resultaten gelangten bei Wiederholung der Noth nag ei- schen Versuche Riegel und JoUy^'^^: weder die Durchschiieidung des Halssympathikus, noch die Reizung seines oberen Endes hatte einen Einfluss auf die Gefässe der Pia; auch die Ausreissung des obersten Ganglions war meist ohne alle Wirkung, da die Verfasser nur in zwei Fällen hiernach Erweiterung der Piagefässe auftreten sahen. Im Wesentlichen zu denselben (negativen) Resultaten gelangte später Krauspe^^^, der die Nothnagel 'sehe Arbeit noch einmal aufnahm.

An Fröschen und Kaninchen, denen das Schädeldach mit Vorsicht entfernt war, zeigte endlich Rumpf ^^* neuerdings, dass eine durch starke Hautreize verursachte Hyperämie einer Körperseite Blässe und Anämie der entgegengesetzten Hirnoberfläche im Gefolge hatte, woran sich stets eine Reihe von Schwankungen mit schliesslicher Verstärkung der normalen Rötung des Grosshirns schloss. Starke faradische Reize der Haut von längerer Dauer bewirkten stets Hyperämie der gegen- überliegenden Hemisphäre.

Bedenkt man somit, einen wie wichtigen Einfluss die Erregung irgend welcher sensibler Nerven der Haut auf das Gefässlumen der Hirnhaut- und Hirnarterien haben, und erwägt man, dass eine Reizung derselben bei Applikation stärkerer faradischer Ströme am Halse nicht vermieden werden kann, ruft man sich ferner in das Gedächtniss, wie wenig die bisherigen auf diesem Felde experimentirenden Beobachter von dem Einfluss selbst starker galvanischer Ströme auf den Sympa- thikus sahen, denkt man endlich daran, wie in Bezug auf die Weite der Pupille nach WestphaP^^ z. B. und Anderen stärkere Reizung sensibler Nerven überhaupt eine Erweiterung der Pupille auf reflektorischem Wege zu Stande bringt, wir sagen, vergegenwärtigt man sich dies Alles, so wird man zum Mindesten bis heute noch nicht behaupten können, dass die „Elektrophysiologie des Sympathikus" im positiven Sinne geschaffen ist. Dazu aber kommt folgendes: Wenn es einerseits feststeht, dass bei der üblichen Applikationsweise der Elektroden am Halse und Nacken der Grenzstrang und seine Ganglien von Stromschleifen ge- troffen werden, so kann doch andererseits nicht vernachlässigt werden, dass auch noch andere für den Blutdruck, die Herzinnervation, die Gefässlichtung etc. höchst wichtige Gebilde in dieser Gegend liegen und von Stromschleifen durchflössen werden, sq vor Allem der N. vagus und das Halsmark, eventuell die Med. oblongata.

Diese Tatsachen sind so wahr, dass selbst der früher begeistertste Verfechter der „Sympathikusgalvanisation* und ihrer Wirkungen, Benedikt^^, in der neuen Bearbeitung seines Buches den Ausdruck

§ 138, 139. Galvanisation am Halse. Diplegische Kontraktionen. 337

„Galvanisation des Sympathikus" nur mehr im technischen Sinne versteht: „dass bei dieser Applikationsweise der Grenzstrang wirklich gereizt werde, ist wohl unzweifelhaft; zweifelhaft kann sein ob und welche Effekte speziell auf die Reizung des Sympathikus zu setzen sind."

§ 139. In dem therapeutischen Teil wird weiterhin von den Er- folgen die Rede sein, welche die einzelnen Autoren durch diese früher als „Sympathikusgalvanisation" genannte Methode erzielt haben: mit Fischer und Anderen redet man heute besser von „der Galvani- sation am Halse", als von der des Sympathikus.

Anhangsweise erwähnen wir der von R. Remak^^*^ zuerst beschriebenen eigentümlichen Wirkungen des galvanischen Stromes, wenn bei an progressiver Muskelatrophie oder an Arthritis nodosa Leidenden die positive knopfförmige Elektrode in der Fossa mastoi- dea (z. ß. links), die negative in einem Rayon (rechts) aufgesetzt wird, der sich zur Seite der Wirbelsäule vom 5. Halswirbel ab bis zum 6. Brustwirbel hin erstreckt. Die nach Reraak gekreuzt in den leidenden Muskeln bei dieser Stellung der Elektroden und bei Ketten- schlüss auftretenden Zuckungen, welche reflektorisch durch Reizung der Ganglien des Sympathikus und Fortleitung oder Uebertragung dieses Reizes durch die Rami communicantes auf das Mark oder die motorischen (spinalen) Nerven zu Stande kommen sollten, wurden von ihrem Entdecker mit dem Namen der diplegischen" bezeichnet, weil sie bei Reizung zweier von den Muskeln entfernter Punkte zu Stande kamen. Diese Angaben wurden von späteren Autoren be- stätigt, aber zugleich nach fast jeder Richtung hin derart erweitert, dass von der ursprünglich ihnen beigelegten Bedeutung für Prognose und Therapie kaum noch viel übrig geblieben ist. Ausser bei den oben erwähnten Krankheitszuständen fand man diese diplegischen Zuckungen auch bei Bleilähmungen, bei der Bulbärparalyse, Hemi- plegien und bei rheumatischen Jjähmungen; ferner war zu ihrem Zu- standekommen die von Remak angegebene Polanordnung nicht not- wendig; sie liessen sich von ganz verschiedenen Stellen des Körpers aus hervorrufen, nicht nur gekreuzt, sondern auch an derselben Seite, ja es brauchten nicht einmal galvanische Ströme zu sein, da auch faradische sich in gleicher Weise wirksam zeigten. ^^^

Auch das Studium dieser Erscheinungen soll erst noch begonnen werden: zur Zeit sind wir nicht im Stande, dieses Phänomen in be- friedigender Weise zu erklären oder für die Diagnose und Therapie

Uosenthal u. Bernhardt, Elektrizitätslehre. IH. Aufl. oo

338 Einwirk. d. Elektrizität a. d. Organe d. Brust- u. Bauchhöhle. Kap. XVIII.

zu verwerten, am meisten scheint die Ansicht Eulen bürg 's für sich zu haben, dass man es mit wirklichen, übrigens vom grössten Teil der Körperoberfläche her auszulösenden Reflexzuckungen zu tun habe, als deren Zentralstätten die Medulla oblongata und spinalis zu be- trachten sind.

§ 140. In Betreff der Einwirkung der Elektrizität auf die innerhalb des Brust- oder Bauchraiimes eingeschlosse- nen Organe ist schliesslich Folgendes zu bemerken: Zunächst unter- liegt es, wie speziell v. Ziemssen^ bewiesen hat, keinem Zweifel, dass bei zweckentsprechender Applikation der Elektroden und genügen- der Stromstärke Stromschleifen auch zu den in der Tiefe liegenden Organen gelangen können. Therapeutisch hat man jedenfalls sowohl die Faradisation, wie die Galvanisation z. B. des Magens, der Gallen- blase, der Milz von aussen her durch äussere Applikation erstrebt und auch Erfolge gesehen (Neftel, Fürstner, Leube, Gerhardt, Chvostek [vgl. später]): was dabei auf wirkliche Erregung der organischen Muskelfasern der genannten Organe zu beziehen, was hiervon als auf reflektorischem Wege zu Stande gekommen zu betrach- ten sei, das zu entscheiden ist, wie es scheint, dem direkt am Tier anzustellenden Experiment noch vorbehalten.

Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, dass man die mit quer- oder längsgestreiften Muskelfasern versehenen Wandungen der Hohl- organe, denen man überhaupt direkt beikommen kann, auch durch direkte Faradisation oder Galvanisation zu beeinflussen vermag. Man kann zunächst die Oesophagusmuskulatur durch eine sondenförmige Elektrode zur Verkürzung bringen, man kann auch diese Elektrode in den mit Wasser gefüllten Magen einbringen, wie dies v. Ziemssen und Caragiosiadis^*^^ an Tieren taten. Die Magenrauskulatur kann so zur Kontraktion gebracht werden, kräftiger, wenn die zweite Elek- trode auf die Magen wand direkt aufgesetzt wird, als wenn sie sonst irgendwo an der Körperoberfläche steht. Es fand sich ausserdem eine grössere Reaktionsfiihigkeit der Pylorusgegend als des Fundus. Es bedurfte aber bedeutender Stromstärken, um auch nur massige Zu- sammenziehungen der Muskulatur zu bewirken; an Wirksamkeit steht der galvanische dem faradischen Strom voran (speziell wenn die Anode an der Aussenwand des Magens ruht). Die durch den faradischen Strom bewirkten an sich schwächeren Kontraktionen verschwinden weniger schnell als die ringförmigen Einschnürungen, die nach dem Schluss der galvanischen Kette entstehen, um nach stattgefundener

§ 140. Elektrisation der Blase, des Herzens. 339

Stromesöffnung bald wieder sich auszugleichen. In Bezug auf die therapeutischen Resultate der Magenelektrisation verweisen wir auf den zweiten Teil. Wie zum Oesophagus und Magen kann man auch durch eine katheterförmig konstruirte Elektrode zum Blasenhalse resp. in das Innere der Blase gelangen und hier durch beide Stromesarten die Muskulatur erregen. Wegen der nicht unbedeutenden Schmerz- haftigkeit wird man sich zumeist wohl nur schwacher Ströme zu be- dienen haben, eventuell von der Anwendung konstanter Ströme wegen deren nicht zu vermeidenden elektrolytischen Einwirkung auf die Schleimhaut und den Inhalt der Blase lieber ganz absehen. Neuere Untersuchungen von Bäum 1er ^^^ lehren überdies, dass bei Menschen, hei denen in die mit Wasser gefüllte Harnblase (eventuell Magen) die Elektroden eingelegt waren, selbst starke faradische Ströme den Inhalt der Organe nicht auspressen konnten. Setzt man eine Elektrode auf die Lendenwirbel, die andere auf den Damm, so kann man auf diese Weise mittelst des faradischen Stroms die Damramuskeln erregen: bei derselben Applikation der Elektroden (eventuell ruht eine oberhalb der Symphyse) gelingt es auch, hinreichend starke Stromschleifen eines konstanten Stromes die Blasenmuskulatur treffen zu lassen.

Bei schlaffen Bauchdeken mag es wohl auch möglich sein, durch äussere Applikation der Elektroden eines starken faradischen Stromes auf den Unterleib die Darmmuskulatur zur Kontraktion zu bringen; man kann dasselbe vielleicht wirksamer erreichen durch möglichst hohe Einführung einer sondenförmigen Elektrode in den Mastdarm und die Applikation der anderen auf die Bauchgegend. Schwäche der Sphinkteren lässt sich durch galvanische, wie faradische Behandlung mittelst einer in den Mastdarm eingeführten dicken, sondenförmigen Elektrode wirksam behandeln, wie ich mich wiederholentlich zu über- zeugen Gelegenheit hatte. (Vgl. den therapeutischen Teil.)

Im Anschluss an das bisher Mitgeteilte geben wir hier noch in Kürze die Resultate der neuesten Untersuchungen wieder, welche V. Ziemssen^'^*' über die (mechanische und) elektrische Erregbarkeit des Herzens und des N. phrenicus an dem freiliegenden Herzen einer 45 jährigen Frau angestellt hat, welcher wegen umfangreichen Ecchon- droms ein grosser Teil der vorderen Brustwand fortgenomraen war. Faradische Reizung des linken N. phrenicus bewirkte eine Kontrak- tion der linken Zwerchfellhälfte: auf rasch wiederholte Reizungen reagirte das Zwerchfell mit derselben Schnelligkeit und Kraft, wie jeder andere quergestreifte Muskel. In Bezug auf den galvanischen

22*

340 Elektrische Reizversuche am Herzen selbst. Kap. XYIII.

Strom erwies sich die Zuckungsformel des N. phr. durchaus gleich der aller anderen motorischen Nerven.

Bei elektrischen Reizversuchen am Herzen selbst ergab sich, dass dasselbe auch durch sehr starke Induktionsströme in keiner Weise in Bezug auf Frequenz und Rhythmus der Schlagfolge beein- flusst wurde, ebenso wenig wurden sensible Erregungen durch die Faradisation ausgelöst. Ganz entgegengesetzt wurde aber das Herz durch den galvanischen Reiz in Energie und Form der Kontrak- tion, sowie in Frequenz und Rhythmus beherrscht: es ergab sich zu- nächst auch für den Herzmuskel die Normalformel, wie für jeden quer- gestreiften Muskel, nur KaOz war bei den anwendbaren Stromstärken nicht zu erzielen. Bei bedeutenderen Stromstärken wird jeder einzelne galvanische Reiz von einer sieht- und fühlbaren Kontraktion beider Ventrikel gefolgt. KaSz bewirkt eine erhebliche Vermehrung der Anzahl der Herzschläge und Erhöhung der Kurvengipfel. Bei Stromes- dauer trat bei Einwirkung auf bestimmte Punkte der Ventrikeloberfläche eine Beschleunigung der Schlagfolge ein (um das 2 3 fache der Norm)? welche bei Oeflfnung der Kette sofort zur normalen Frequenz zurück- kehrte. In Bezug auf die Galvanisation des Herzens durch die Brustwand ohne Berührung des Herzens ergab sich für die untersuchte Kranke ein positives Resultat: die Herztätigkeit wurde beschleunigt. Nun lag freilich zum Herzen dieser Patientin, wie oben schon gesagt, den Stromschleifen ein bequemer Weg offen; aber auch bei unverletzter Brustwand des lebenden Menschen kann man, wie wiederholte Versuche ergaben, genügend starke Stromschleifen auf das Herz leiten und durch sie Rhythmus und Energie der Herzkontrak- tionen beeinflussen. Weitere Mitteilungen hierüber werden vom Verf. in Aussicht gestellt.

Kapitel XIX.

Von der elektrotherapeiitischen Verwertiing^ des unter brochenen (faradischen) Stromes im Allgemeinen.

§ 141, Die so ofTenbaren und erstaunlichen Wirkungen der Elektrizität auf den menschlichen Organismus haben alle diejenigen, die sich überhaupt mit naturwissenschaftlichen Dingen beschäftigten, namentlich aber die Aerzte auch früherer Jahrhunderte schon wieder- holt dazu getrieben, diese mächtige Kraft im Dienste der Heilkunde za verwerten. Jede neue Entdeckung über die Erscheinungsweise des wunderbaren Agens rief unter den Aerzten eifrige Forscher wach, die das Mittel in der neuen, durch die Naturforscher ihnen überwiesenen Form zum Heil ihrer Patienten zu benutzen suchten. So war es mit der Reibungselektrizität, der Elektrisirmaschine, der Leydener Flasche, welche um die Mitte des vorigen Jahrhunderts besonders den haupt- sächlichsten elektro therapeutischen Apparat ausmachte, so mit dem Galvanisraus, der Säule Volta's, welche im Anfang dieses Jahrhun- derts in den Händen der Therapeuten eine nicht unwichtige Rolle spielte. Als die dreissiger Jahre unseres Jahrhunderts nach den epochemachenden Entdeckungen Faraday"s die magneto-elektrischen Apparate, etwas später die Induktionsapparate mit selbsttätiger Unter- brechung entstehen sahen, traten die Anhänger des Galvanismus vor den bahnbrechenden Untersuchungen und Erfolgen, die Duchenne dem Induktionsstrom verdankte, in den Hintergrund, aus dem sie erst speziell durch Robert Remak's Vorgehen, wie Eingangs schon er- wähnt, allmählich wieder hervortraten, um heute als die Benutzer des konstanten galvanischen Stroms und des (unterbrochenen) Induktions- stroms dahin zu streben, so weit möglich, die Wirkungen beider Stromesarten für das Wohl der Kranken, für die Förderung und den Ausbau der Wissenschaft überhaupt und der Nervenpathologie

342 Beinüznng des faradischen Stromes; Allgemeines. Kap. XIX.

insbesondere zu verwerten. Von dieser heilenden Wirkung der Elektrizität, von der Elektrotherapie im modernen Sinne, soll auf den nun folgenden Seiten die Rede sein.

Wir haben uns hier vorwiegend mit der Darlegung des therapeu- tischen Wertes derjenigen Elektrisationsmethoden zu beschäftigen, welche den Körper des Patienten, oder besser die Körperoberfläche desselben unversehrt lassen, also perkutan, durch die Haut hindurch, angewendet werden. Was neuerdings wieder in Bezug auf die Heil- erfolge der statischen Elektrizität mit der Elektrisirmaschine, der Influenzmaschine zu leisten versucht wurde, wird ebenso wie eine kurze Besprechung der Metallotherapie am Schluss zu finden sein.

§ 142. Was nun zunächst den faradischen, unterbrochenen oder den Induktionsstrom betrifft, so wissen wir genügend aus dem Vorangegangenen, dass man durch ihn im Stande ist, zunächst die Muskeln entweder durch sogenannte direkte, unmittelbare oder durch indirekte Reizung von einem Nervenstamm oder Ast aus zu erregen und zwar, wie Duchenne zuerst gezeigt hat, lokal, mit Auswahl und mit relativ geringen Beschwerden für den Patienten. Das hierzu nötige Instrumentarium ist oben (Kap. XIII.) genauer beschrieben, desgleichen auch die Topographie der einzelnen Nerven und Muskeln (Kap. XIV), so dass auf diese Abschnitte hiermit verwiesen werden kann. War vorher in dem Teile, der von der elektrodiagnostischen Exploration handelte, ein ganz besonderer Nachdruck darauf gelegt worden, vor- sichtig und mit Benutzung der sogenannten indifferenten Punkte die Untersuchung eines Nerv-Muskelgebiets am Nerven und Muskel ge- sondert vorzunehmen, so fällt diese Vorsicht bei der therapeu- tischen Anwendung sehr viel weniger ins Gewicht. Kommt es darauf an, einen Muskel oder eine Muskelgruppe zu erregen, so mag man beide, wohl durchfeuchtete Elektroden dicht neben einander auf den Muskel setzen, oder die eine auf den Muskel, die andere auf den Nerven, oder auch nur die indirekte Reizung anwenden: wir haben gesehen, dass bei letzterem Verfahren die Stromstärke eine geringere sein kann als bei direkter Reizung, erinnern uns uns aber auch daran, dass häufig eine indirekte Reizung vom Nervenstamm aus für eine ganze Reihe von Muskeln wegen des Eintritts der Nerven von der Tiefe her über- haupt unmöglich ist. Eine mit der Zeit zu gewinnende Vertrautheit mit den sogenannten „motorischen Punkten* gestattet uns ferner, die Reizung auch mit relativ schwachen Strömen zu einer erfolgreichen zu machen. Es mag hier sogleich daran erinnert werden, dass selbst

§ 142. Einflussd.faradischenStromsa.d. Wärmeentwicklung im Muskel etc. 343

schwache Induktionsströme, welche durch ihre Applikation eine Zuckung nicht auslösen, nach längerer Einwirkung den Nerven in seiner Erreg- barkeit so steigern, dass nun die anfangs unwirksamen Ströme geeignet werden, den Muskel zur Kontraktion zu bringen, und dass diese er- höhte Reizbarkeit des Nerven auch nach dem Aufhören des Faradi- sirens noch einige Zeit bestehen bleibt.

Durch die Kontraktion des Muskels wird nun zunächst in vielen Fällen von Lähmung, bei denen die elektrische Muskelerregbarkeit erhalten geblieben ist, der durch eine längere Inaktivität drohenden Ernährungsstörung des Gewebes entgegengearbeitet, die Blutzufuhr wird gesteigert, die Abfuhr von venösem Blut und Lymphe beschleu- nigt, und eine jede Kontraktion des Muskels von einer Steigerung seiner Wärme begleitet, wie v. Ziemssen^^^ durch besondere genaue Untersuchungen nachgewiesen hat. Nach ihm steht diese Wärme- steigerung in geradem Verhältniss zur Energie und Dauer der Kon- traktion. Auch die die zusammengezogenen Muskeln bedeckende Haut gewinnt, ohne dass sich eine sichtbare Veränderung in dem Verhalten ihrer Gefässe geltend zu machen brauchte, eine höhere Temperatur. Althaus^" bestätigte später diese Versuchsergebnisse, Avelche dann durch V. Zierassen selbst als auch für die glatten Muskeln geltend nachgewiesen wurden. Die therapeutische Indikation für die Anwen- dung von Liduktionsströmen ist also eigentlich jedesmal dann gegeben, wenn durch Krankheit eine oder mehrere Muskelgebiete dem Einfluss des Willens entzogen sind. Es können dies Affektionen des Gehirns, des Rückenmarks, der peripherischen Nerven, des Muskels selbst sein oder krankhafte Zustände der durch die Muskeln zu bewegenden Teile, also der Knochen, Gelenke, Sehnen etc. Wie immer man auch die Abmagerung der Muskulatur im Gefolge chronischer Gelenkaffek- tionen erklären mag, sicher ist, dass sie bei chronischen Entzündun- gen, bei anchylotischen Zuständen häufig eintritt und dass zur Erhal- tung des Muskels resp. zur Wiederherstellung seiner gestörten Ernäh- rung eine regelmässige, durch zweckentsprechende Faradisation ausge- führte Kontraktion von bedeutendem Nutzen ist. Li dieses Gebiet fallen demnach auch alle die nach schweren Verletzungen, Sehnen- scheidenentzündungen, Phlegmonen, Luxationen, Frakturen, nach lange getragenen, aus irgend welchem Grunde angelegten immobilisirenden Verbänden zurückbleibenden Muskelabmagerungen und Muskelsteifig- keiten. Ueberall ist für diese Zustände der faradische auf die Muskeln selbst applizirte Strom ein ausgezeichnetes Hilfsmittel zur Wieder- herstellung der normalen Beweglichkeit.

3-44 Behandl. v. Gehirn- u. Riickenmarkskrankh. m. d. farad. S trom. Kap. X IX.

§ 143. Bei denjenigen Lähmungszustänclen (meist Hemiplegien), welche durch cerebrale Affektionen herbeigeführt worden sind, kann der Induktionsstrom in ähnlicher Weise, wie bei den eben besproche- nen Leiden zur Belebung und Hebung der Ernährung der gelähmten, vom Willen oft für lange Zeit nicht zu beeinflussenden Muskulatur in Anwendung gezogen werden.

In wie weit die Applikation des faradischen Stromes an den Kopf für die Behandlung intracranieller, auf pathologisch-anatomisch nach- weisbaren Veränderungen der Hirnsubstanz beruhender Läsionen nutz- bringende Verwendung findet, ist zur Zeit noch nicht genügend fest- gestellt. Zwar wissen wir, dass auch bei Applikation induzirter Ströme an den Kopf Stromschleifen in die Tiefe dringen und dass man, speziell nach Löwenfeld's^''^ Versuchen, die Zirkulationsvor- gänge im Innern der Schädelhöhle durch sie zu beeinflussen im Stande ist. Immerhin sind wirkliche therapeutische Erfolge mit dieser Methode nicht sowohl bei den auf materiellen Störungen beruhenden, sondern eher bei sogenannten funktionellen Leiden des Hirns berichtet, insofern Erschöpfungszustände, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit bei blut- armen und schwächlichen Personen durch schwache Induktionsströme (am Schädel, bezw. die ,, elektrische Hand") mit Erfolg behandelt werden können. Neben einigen direkten Wirkungen können bei der Benutzung der faradischen Ströme für die Behandlung von Hirnkrank- heiten diejenigen Einwirkungen benutzt werden (und sind bez-w. mit Erfolg von Vulpian"% Rumpf^^^ u. A. z. B. verwertet worden), welche durch die Reizung sensibler Nerven einer Körperhälfte reflek- torisch auf die Gefässfüllung der kontralateralen Hirnhälfte ausgeübt werden, also die Schaffung von Zuständen, welche man für die Auf- saugung und Fortschaffung schädlicher Produkte für vorteilhaft zu er- achten berechtigt ist.

•Ebenso wenig wie auf intracraniell gelegene Krankheitsherde wirkt im Allgemeinen wenigstens der Induktionsstrom direkt auf die erkrank- ten Partien des Rückenmarks ein. Nach Brenner und Löwen feld gelingt es zwar, wie wir oben gesehen haben, auch durch indirekte, auf die unteren Partien der Wirbelsäule applizirte Ströme exzentrische Empfindungen in den unteren Extremitäten hervorzurufen, doch wird von dieser Applikation therapeutisch kaum ausgiebiger Gebrauch ge- macht. Indessen bezweifeln doch manche Autoren und unter ihnen wieder besonders Löwenfeld^^^ nicht, dass bei Faradisation längs der Wirbelsäule das Rückenmark von genügend starken Stromschleifen getroffen werden könne und dass man selbst bei den nur geringen

§ 143, 144. DerfaradischeStromb.peripherischenNervenla-ankheiten. 345

kataly tischen Wirkungen des Induktionsstroms dennoch bei manchen Rückenmarksaffektionen, besonders den rein funktionellen Störungen, durch eben diese Prozedur günstige Resultate zu erzielen vermöge. Ausserdem aber treten ja auch bei Rückenmarksleiden mannigfache Lähmungszustände ein, welche die gelähmten Teile mehr oder weniger dem Willenseinflusse entziehen. Auch hier strebt die durch die Fara- disation zu erzielende Gymnastik der Muskeln der durch längere Un- tätigkeit drohenden Atrophie entgegen, ohne dass auf den erkrankten Teil im Rückenmark direkt ein Einfluss ausgeübt würde. Das Gleiche gilt schliesslich für die durch Affektionen peripherischer Nerven herbei- geführten Lähmungen, soweit die Erregbarkeit der unterhalb der leidenden Stelle gelegenen Nervenäste und der dazu gehörigen Muskeln erhalten oder wenigstens nur in geringem Maasse verloren ist. Auch hier wirkt der faradische Strom nur als Hilfsmittel zu einer besseren Ernährung der für eine Zeit dem Willenseinfluss entzogenen Gebiete. Denn selbst bei den sogenannten leichten Lähmungen gelingt es anfangs auch durch sehr starke faradische oberhalb d. h. zentralwärts von der Läsionsstelle applizirte Ströme nicht, das Leitungshinderniss zu durchbrechen: ist dies der Fall, so kann meist immer schon die Reha- bilitirung der aktiven Beweglichkeit nachgewiesen werden. Dann aber (bei schweren peripherischen Lähmungen oft erst nach Monaten) kann man durch regelmässige Faradisation der zentralwärts von der Läsionsstelle gelegenen Nervenstrecke die Heilung unterstützen und beschleunigen.

§ 144. Die oben bei der Besprechung der sogenannten Sympa- thikusgalvanisation erwähnten Wirkungen der faradischen Ströme auf die vasomotorischen Nerven, die schon hervorgehobene Wirkung des Induktionsstroras auf die Gefässe der Haut und der nächst unterliegen- den Teile lassen übrigens den Gedanken nicht durchaus von der Hand weisen, dass auch sogenannte katalytische Wirkungen durch den induzirten Strom hervorgerufen werden können. Eine ausführlichere Erklärung dieses von R. Remak^^^ zuerst gebrauchten und für man- cherlei Wirkungen des galvanischen Stromes angewendeten Ausdrucks wird alsbald folgen.

Abgesehen von diesen etwaigen katalytischen Wirkungen des fara- dischen Stromes (deren Wesen offenbar hauptsächlich in der Einwir- kung auf die Lichtung der Blutgefässe zu suchen ist) bei Lähmungen peripherischer Nerven und Muskeln sind seine wohltätigen Einwirkun- gen nach dieser Richtung von verschiedenen Autoren für die Behand-

34(i D. favad. Strom b. GeleiiKalTeUionen ; Wirk. b. enizündl. Kranl<li. Kap. XIX.

lung rheumatischer, iraumatischer und gichtischer Gelenkaff'ektionen mit mehr oder weniger Erfolg verwertet worden: in diesen Fällen, wie in solchen, hei denen es sich um Zcrteilung, um „Spaltung« von Drüsen- tumoren handelte, wurden durch faradische Ströme Erfolge von glaub- würdigen Autoren erzielt und beschrieben (vgl. später im speziellen Teil).

Namentlich Hess es sich Weisflog^^^ angelegen sein, gegenüber der gewöhnlichen Anwendungsweise des faradischen Stroms für Muskel- und Nerven^erkrankungen die ausgezeichnete Wirkung desselben aul traumatische Entzündungen zu betonen. Hier soll die Faradi- sation zugleich antiphlogistisch und schmerzstillend wirken, sie soll auch eine Resorption der Entzündungsprodukte zu Stande bringen, sogar wenn diese nicht seröser, sondern seröspurulenter und hämorrha- gischer Natur sind. Das erkrankte Glied wird in ein Wasserbecken (Die Temperatur kann zwischen 5" 30 ^C. schwanken) eingetaucht, in welchem eine Elektrode liegt; während die andere irgendwo auf einem gesunden Körperteil aufruht. Phagedänische Geschwüre, Brand- wunden, chronische Gelenkaflfektionen, akute traumatische Gelenkent- zündungen, Iritiden, Pleuritiden, Hornhautgeschwüre wurden mit günsti- gem Erfolge dieser faradischen Behandlung unterworfen. Bei chro- nischem Gelenkrheumatismus hatte Weisflog keine Erfolge.

Im Anschluss an die Auseinandersetzungen der antiparalytischen Wirkungen des Induktionsstroms bei Lähmungszuständen des Nerven- und Muskelsystems wären hier in der allgemeinen Besprechung auch die Leistungen resp. die Anwendungsweisen zu erwähnen, die in Bezug auf den faradischen Strom bei lähmungsartigen Zuständen der mit organischen Muskelfasern ausgestatteten, meist innerhalb der Körper- höhlen gelegenen Gebilde zu erwarten resp. auszuüben sind.

Bei Erweiterung des Magens, träger Funktion seiner Muskulatur, bei Atonie der Darmmuskeln und dadurch bedingter Kotausamm- lung (Verstopfung, Kotbrechen) hat man perkutan starke faradische Ströme zur Anwendung gezogen. Zweifelhaft ist bis jetzt, ob durch die sich lebhaft und energisch kontrahirenden Bauchmuskeln hin- durch die organische Muskulatur des Magens und der Därme selbst zu wirksamen Leistungen anzuregen sei oder ob nicht vielmehr der durch die kontrahirten Bauchmuskeln ausgeübte starke Druck die zu beobachtenden Wirkungen hervorgerufen. Jedenfalls kann man durch direkte Faradisation des Magens (siehe oben S. 338), durch Applikation einer Elektrode ins Rektum, der anderen auf die Bauchdecken, direk- tere und nach Einigen nachhaltigere und vorteilhaftere Wirkungen er-

§ ]44, 145. Behandlung v. Anaesthesien mittelst d. farad. Pinsels. 347

zeugen. Hierher gehören die im Ganzen noch zweifelhaften Erfolge (vgl. später), welche bei perkutaner Faradisation der Gallenblase, der Milz, der Nieren erreicht werden: eine Beförderung der Diurese bei Ascites durch kräftige Faradisation der Bauchmuskeln ist wohl zum grossen Teil auf die direkte Erregung dieser letzteren zurückzu- führen.

Neben den Eingeweiden des Bauches sind es noch die tiefer im Becken gelegenen Organe: die Harnblase, der Uterus, die der direkten wie indirekten Faradisation durch die Bauchdecken hindurch ausgesetzt werden können: in dem der speziellen Elektrotherapie gewidmeten Abschnitt wird das Notwendige hierüber angegeben werden.

§ 145. Schon Eingangs dieses ganzen Abschnitts wurde der unge- meinen Brauchbarkeit des faradischen Stromes zu einer ener- gischen Einwirkung auf die sensiblen Nerven der Haut mittelst des sogenannten faradischen Pinsels Erwähnung getan. Die Erregung kann durch massiges Andrücken des Pinsels für kürzere oder längere Zeit an beliebige Hautstellen (Geissei), oder dadurch, dass man von einer massigen Entfernung her F'unken überspringen lässt (Moxe), natürlich auch mit der beliebig abzustufenden Stärke des Stromes selbst, schwach oder bis zur äussersten Schmerzerregung ausgeführt werden. Peripherische und zentrale Anästhesien der Haut werden auf diese Weise behandelt nnd durch die ungemein intensive Erregung des per- zipirenden Zentralorgans geheilt. Dies gelingt nicht nur häufig bei den sogenannten hysterischen Anästhesien, sondern auch bei solchen, die auf eine palpable Hirnläsion zurückzuführen sind. So konnte Vulpian^^^ bei einem halbseitig gelähmten und anästhetischen Indi- viduum (bei dem eine Zerstörung des hinteren Teils der inneren Kapsel zu vermuten war) durch energische Reizung des unempfind- lichen Vorderarms und der Hand nach einigen Minuten die Empfind- lichkeit wenigstens für gröbere Reize zurückführen, nicht allein an der gereizten Stelle, sondern überall an der gelähmten Körper- hälfte. Nach sieben Tagen nahm die zurückgekehrte Sensibilität wieder ab, um nach erneuter Applikation des elektrischen Reizes wiederzukommen. Hochinteressant war nun das Faktum, dass bei dem- selben Kranken, der aphasisch war, auch das Sprechen artikulirter und das Wort- und Sachgedächtniss präziser geworden war. Aehn- liches (in Bezug auf die Rückkehr der Sensibilität) gelang auch bei Tabischen; auch eine Verminderung der „Verspätung der Empfindungs- leitung'* wurde bei letzteren Kranken beobachtet. Nach Vulpian

348 Nutzen d. faradischen Stroms b. asphyktischen Zuständen. Kap. XIX.

gelingt die Prozedur nur bei Anästhesien in Folge von Erkrankung zentraler Nervenprovinzen. Die teilweise noch als leitungsfähig übrig gebliebenen Fasern führen den starken Reiz zum Zentrum hin: hier erregen sie die durch den Krankheitsgrad zwar nicht ganz zer- störten aber in ihrer Funktion beeinträchtigten Gebilde und reissen sie gleichsam durch die übermächtige Erschütterung aus ihrer tempo- rären Betäubung. Ein dem Vulpian'schen ähnlicher Fall ist 1876 von Grasset '''^ veröffentlicht worden: auch ihm gelang es nach kurzer Faradisation des rechten anfangs unempfindlichen Vorderarms (es han- delte sich um eine rechtsseitige Hemiplegie und Hemianästhesie mit Beteiligung der Sinnesorgane dieser Seite) die Sensibilität und die Funktion der Sinne zu heben und nach Wiederholungen des Verfahrens eine dauernde Besserung herbeizuführen.

Im Anschluss hieran seien die mächtigen Wirkungen hervorgehoben, welche die mit dem faradischen Pinsel ausgeübte Reizung besonders empfindlicher Hautstellen (Brustwarzen, Hals, Gesicht etc.) in Bezug auf die Wiederherstellung normaler Atmung in verschiedenen Zuständen von Asphyxie, Scheintod etc. leisten kann. Bei Asphyxia neonatorum, bei Gasvergiftungen, bei den lethargischen Zuständen Hysterischer kann hierbei teils reflektorisch durch die Reizung sensibler Hautnerven oder durch direkte Reizung der Nn. phrenici am Halse die stockende oder aufgehobene Atmungstätigkeit wieder angeregt werden. Bei letzterer Prozedur setzt man die Elektroden am Halse an (an beiden Seiten des Halses, am äusseren Rande des M. sternocl. vor dem Scalen, anticus; von aussen nach innen kräftig einzu- drücken). Nach V. Ziemssen sind ziemlich kräftige Ströme (die Daumenballenmuskeln sollen sich kräftig kontrahiren) und nicht zu kleine Elektroden anzuwenden: es ist eine Miterregung anderer, die Inspiration fördernder Muskeln (cucuUaris, scaleni, pectorales, serrati, rhomboidei) nicht nur nicht ängstlich zu vermeiden, sondern im Gegen- teil eher zu erstreben. Kopf, Schulter, Oberarme seien fixirt; die Dauer der einzelnen Reizung betrage 1—2 Sekunden, die Exspiration werde durch den kräftigen Druck, den ein Assistent auf die Bauch- wand von den Seiten her und von unten nach oben zu ausübt, unter- stützt. Nach einer gewissen Zeit pausire man, um zu sehen, ob die Atmung von jetzt ab sich selbstständig wiederherstellt; es ist viel- leicht gut, darauf aufmerksam zu machen, dass oft Stunden verfliessen, ehe man dieselbe so weit in Gang gebracht hat, dass die künst- liche Reizung in Wegfall kommen kann.

Eine in neuester Zeit von Emminghaus"-* mitgeteilte Beobach-

§ 145. Elektrobioskopie. 349

tung beweist, dass bei Kohlendimstasphyxie eine anfängliche erfolg- lose faradische Reizung noch nicht berechtigt, auf ein endgiltiges Er- loschensein der faradischen Nervenerregbarkeit zu schliessen. Man lasse auch bei zuerst erfolgloser Reizung mit derselben nicht nach, da sich eben mit der Reizung die rasch sinkende Erregbarkeit der Nerven wieder hebt.

Anhangsweise sei hier noch der Untersuchungen erwähnt, welche, von M. Rosenthal '^^ und Onimus^''^ angestellt, uns belehrt haben, dass man in dem faradischen (und teilweise auch dem galvanischen) Strom ein vielleicht souveränes Mittel für die definitive Konsta- tirung des eingetretenen Todes eines Individuums besitzt (Elektro bioskopie). Innerhalb 5 6 Stunden post mortem ver- lieren sämmtliche quergestreifte Muskeln (nachdem einige Minuten nach dem Tode eine sehr kurz dauernde Erhöhung der Muskel- erregbarkeit vorangegangen), zuerst die der Zunge und des Gesichts (2 2'/2 Stunden nach dem Tode), dann die der Extensoren (und des M. masseter), später die Beuger der Glieder (an den oberen sowohl wie an den unteren Extremitäten), am spätesten die Rumpfmuskeln ihre Erregbarkeit für den Induktionsstrom. Wie bei schweren peri- pherischen Lähmungen erhält man auch an der Leiche mit konstan- ten Strömen von gering^er Stärke noch Zuckungen, wo die faradische Erregbarkeit erloschen scheint. Die Muskelfaser bleibt während der Stromesdaaer kontrahirt. Schliesslich erhält man nur bei abgelöster Haut und direktem Aufsatz der Elektroden auf die Muskelsubstanz noch Kontraktionen (auf die Ansatzstellen beschränkt bleibend); das- selbe bewirkt eine mechanische Reizung oft noch 6 8 Stunden p. ra. Die Erhebung der Muskelsubstanz an dem gereizten Punkte kommt langsam zu Stande und bleibt oft 5 10 Minuten bestehen, nachdem man den elektrischen oder mechanischen Reiz entfernt hat. Selbst bei scheinbar vollkommen sistirter Atmung, bei kaum noch wahr- nehmbaren Herztönen gestattet die elektrische Exploration neben der sicheren Diagnose eine eventuelle günstige Prognose zu stellen, um so mehr, als die Untersuchung an sich, die Reizung vielfacher sensibler Nerven wohl im Stande ist, auch direkt therapeutich fördernd auf die Wiederherstellung des Bewusstseins und der so wichtigen regelmässigen Respiration einzuwirken.

Auch das Herz selbst hat man versucht, direkt elektrisch zu reizen, wenn bei der Chloroformnarkose z. B. plötzlicher Stillstand desselben eingetreten war. Nach Steiner^^*^ sticht man eine mit dem positiven Pol verbundene Nadel in die Herzspitze und wählt bei

350 Anwend. d. farad. Stroms b. Flerzlähmung. b. Psychosen. Kap XIX.

normalen Verhältnissen die Mitte des 5. Interl^ostalraumes, etwa 5 Ctm. links vom Brustbeiniande. Man soll senkrecht etwa 3 Ctm. tief ein- stossen, noch tiefer bei beleibten Individuen: die Einstichstelle wechselt mit etwaiger pathologischer Lageveränderung des Herzens. Der negative Pol ruht links ati der Brustwand, der Strom sei schwach und werde nur in kurzen Zeiträumen angewendet. Die Versuche über diese Methode, ihre Wirksamkeit resp. Gefährliclikeit beim Menschen sind noch nicM abgeschlossen; zur Zeit gebührt uns wohl eher noch eine ge- wisse Zurückhaltung, besonders seitdem Vulpian'^^ auf die Ge- fahren dieser Applikationsweise aufmerksam gemaclit hat. (Vgl. übrigens vorher § 140.)

Die ungemein intensive Erregung, welche man durch die mit dem faradischen Pinsel ausgeführte Reizung auf die Hautnerven aus- üben kann, hat einige Aerzte zu der Anwendung dieses mächtigen Erregungsmittels bei Zuständen von Stupor, überhaupt von Depres- sionszuständen der Psyche veranlasst. Ob es sicli hier bei den meist tief melancholischen oder wenigstens in sich versunkenen Patienten unf die direlcte Erregung sensibler Centra handelt, oder die starke sen- sible Reizung einer Körperhälfte reflektorisch die GefässfüUung in der kontralateralen Hirnhälfte beeinflusst, ist zur Zeit mit Sicherheit nicht zu entscheiden. (Vgl. später im therapeutist^hen Teil.)

§ 146. Was die Anwendung des faradischen Stroms zur Bekämpfung schmerzhafter Zustände betrifft, so kann er zu- nächst bei den wirklichen Neuralgien in der Weise in Anwendung gezogen werden, dass man die dem schmerzenden Gebiet zugehörige Muskulatur mit nicht zu starken Strömen und unter Anwendung der gewöhnlichen feuchten Elektroden faradisirt. Führt diese Behandlung nicht zum Ziele, so gelingt es oft durch den starken Reiz, den man mittelst des Pinsels auf die über dem schmerzenden Nerven resp. den auf Druck schmerzhaften Punkten liegenden Hautpartien ausübt, gleich- sam derivatorisch (nach Art eines Epispastikums, ohne dessen Nach- teile, da die Haut intakt bleibt) wohltätig zu wirken und den Schmerz zu lindern. Bei vielen neuralgischen Zuständen bleicher anämischer, überhaupt empfindlicher Menschen, wird der elektrische Pinsel (oder gar die elektrische Moxe) nicht vertragen; man mildert die Appli- kation des faradischen Stromes ungemein dadurch, dass man selbst eine Elektrode (feucht) in die linke Hand nimmt (die andere hält der Kranke in der seinigen) und nun mit den befeuchteten Fingern der rechten Hand bei massiger Stromstärke die schmerzenden Teile sanft

§ 147. Schmerzstillende Wirk. d. farad. Stroms. D. elektrische Hand etc. 351

berührt (die elektrische Hand). Der Experinientirende empfindet unserer Erfahrung nach den Strom oft eher, jedenfalls ebenso sehr als der Kranke: der diese Methode pflegende Arzt darf daher keine Idio- synkrasie gegen die durch elektrischen Strom hervorgerufenen Sen- sationen haben. (Vgl. oben S. 241.)

Für die Behandlung sogenannter Gelenkneuralgien, aber auch bei denjenigen Schmerzen, Avelche im Gefolge des akuten Gelenkrheuma- tismus die Schwellung der Gelenke begleiten, ist die Applikation feuch- ter Elektroden an die Gelenke selbst oder die Anwendung des Pinsels als schmerzstillend empfohlen worden, wie weiterhin noch des Genaueren ausgeführt werden soll.

Zu erwähnen bliebe endlich noch diejenige Wirkung starker fara- discher Ströme, welche sich nicht in einer Belebung erschlaff^ter oder gelähmter Muskelgebiete, sondern umgekehrt in einer Erschlaffung, Ermüdung, Lähmung übermässig oder (besser) krankhaft inner- virter Teile äussern soll. So will R. Remak'- die bei Hemiple- gikern so oft zu beobachtenden Kontrakturzustände durch starke fara- dische Reizung der dem kontraktarirten Gebiet zugehörigen Nerven zur Lösung gebracht haben; so erwähnen Fromrahold'^^ und Andere nach ihm, dass es durch faradische Reizung, die von einer geringen Intensität zu bedeutender Höhe allmählich gesteigert werden soll (an- schwellende Ströme) gelungen sei, einzelne, isolirt in bestimmten Muskelgebieten herrschende krampfhafte Zustände, besonders Facialis- krämpfe, erfolgreich zu behandeln.

Schliesslich sei hier noch der von Board und RockwelP'^s ein- geführten Methode der „allgemeinen Elektrisation" Erwähnung getan, deren Zweck es ist, einen jeden Teil des Körpers unter den Einfluss des elektrischen Stroms zu bringen, soweit dies durch äusser- liche Applikationen möglich ist. Dies wird am besten erreicht, wenn man einen Pol (gewöhnlich den negativen) auf die Füsse oder den Steiss anlegt, während der andere auf die ganze Oberfläche des Kör- pers applizirt wird. Man kann sich dazu sowohl des faradischen, wie des galvanischen Stroms bedienen: der faradische wird vorzugsweise in Anwendung gezogen. Die Füsse stehen beide auf einer mit dem negativen Pole verbundenen und mit angefeuchtetem Flanell über- zogenen Kupferplatte und diese selbst soll auf einer Wärmequelle (Wärmestein) ruhen. Mit dem positiven Pole berührt man vom Kopt ab bis zu den Unterextremitäten hin alle Teile des Körpers, die empfindlicheren (Kopf, Gesicht, Sinnesorgane etc.) so, dass man die eigne Hand als Elektrode benutzt. Die Dauer der einzelnen Sitzung

352 Allgemeine Elektrisation (Paradisation). Kap. XIX.

kann 5 Minuten bis zu einer halben Stunde betragen; die Appli- kation kann wöchentlich 2 4 Mal wiederholt werden. Ausdauer in der Behandlung ist unbedingte Notwendigkeit, ßeard und Rock- well sahen hierbei bei geschwächten, nervösen Personen eine allge- meine Hebung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit: Schmerzen lindern sich, Mattigkeit und Schwäche werden gehoben, der Appetit, überhaupt die Verdauung gebessert, das Schlaf bedürfniss vermehrt etc. Es versteht sich, dass je nach der Empfindlichkeit der zu behandelnden Körperregion die Stärke der Ströme entsprechend abgestuft werden muss, was durch Uebung und Erfahrung allmählich gelernt wird.

Indem wir in Bezug auf die therapeutische Verwertung dieser Methode auf den speziellen Teil verweisen, erwähnen wir hier,- dass es neuerdings besonders deutsche Aerzte waren, welche sich der Prü- fung bezw. des Ausbaues dieser Methode der allgemeinen Faradisation unterzogen haben. Vondiesen (Benedikt*^% Erb ^^'^j b ius '^^ Enge 1- horn's^ Fischer '^5) war es neuerdings neben Holst^'^^ und Maien- fisch^'o Stein '-'^, der zunächst darauf hinwies, dass es bei der allge- meinen Faradisation gleichgiltig sei, welchen Pol man als Fusspol an- wendet. Während er sich zuerst streng an die Vorschriften der amerika- nischen Autoren hielt (Faradisation am Halse, rechts und links von der Nackenwirbelsäule 4 Minuten, Faradisation am Rücken 3 Minuten, der Brust- und Bauchmuskulatur 3 Minuten, der oberen und unteren Extremi- täten, auf jeder Seite l 2 Minuten, endlich die Applikation der elektri- schen Hand auf den Kopf 1 2 Minuten lang) vereinfachte er weiterhin das Verfahren dahin, dass bei stabiler Applikation einer Elektrode in den Nacken mit der" anderen die Rückenmuskulatur erregt wird, sodann nach gabelförmiger Teilung des einen Drahts und Befestigung zweier kugelförmiger Elektroden an diese Teilung diese beiden Elektroden dem Kranken in die Hand gegeben werden, während zur Faradisirung der unteren Extremitäten der Leidende seine Füsse auf eine mit Fla- nell überzogene, befeuchtete Metallplatte stellt. Für die Faradisation des Kopfes wird die befeuchtete Hand benutzt. Geschlossen wird von Stein die Sitzung damit, dass er nach Applikation beider Pole am Unterleib den Strom quer durch diesen gehen lässt. Die Gesammt- dauer der Applikation währt 15 Minuten. Als positive Elektroden kann man sich, abgesehen von der eigenen Hand und den bekannten Knöpfen und Platten, noch der (übrigens schon länger bekannten) von Stein sogenannten „elektrotherapeutischen Massirrolle" be- dienen. Es ist hier die Elektrode eine aus Kohle oder Metall ge-

§ 146. Elektrische Massage und Gymnastik. 353

bildete, mit angefeuchtetem Flanell oder Waschleder zu überziehende Walze, die mit dem positiven Leitungsdraht verbunden und mit einem isolirenden Handgriff versehen, sehr bequem und leicht über alle Körpertheile gerollt werden kann. Man kann hiermit neben der elektrischen Beeinflussung in bequemer Weise eine die Kur vieler Leiden wirksam unterstützende und meist als sehr angenehm empfun- dene Massage der Glieder ausüben.

Der Vollständigkeit wegen erwähnen wir hier endlich noch eines neuerdings von Stein construirten Tascheninduktionsapparates, bei dem in den mit Griffen versehenen Elektroden sowol das strom- gebende Element (in der einen), als auch die Induktionsrollen (in der zweiten) eingeschlossen sind. Elektrische Massage und Gymnastik sollen sich sehr gut mit Hilfe dieses Apparates ausführen lassen. Uns selbst fehlen eigne Erfahrungen über die Zweckmässigkeit dieser Vorrichtung. Die Münchener Prüfungs-Commission'*"^ auf der inter- nationalen Elektrizitäts- Ausstellung (1882) überzeugte sich an den als Elektroden beigegebenen Hanteln des Apparates von der kräftigen Wirkung und der Abstuf barkeit sowol des primären, wie des secun- dären Stroms; trotz der grösstmöglichen Compendiosität des Apparats wurde die von ihm gelieferte Stromstärke für ausreichend befunden.

Rosen thal u. Bernhardt, Elektrizitätslehre. III. Aufl. 23

Kapitel XX.

Von der therapeutischen Verwertung des galvanischen (konstanten) Stromes im Allgemeinen.

§ 147. Seitdem besonders durch R. Remak's Bemühungen der konstante oder der galvanische Strom zur Behandlung der meisten Nervenleiden in die Therapie eingeführt worden ist, haben die anfänglich übermässigen Anpreisungen und die späteren ebenso ungerechtfertigten Schmähungen im Laufe der Jahre allmählich einer ruhigeren und vorurteilsloseren Betrachtung über dieses Heilmittel Platz gemacht, Ueberflüssig wäre es, an dieser Stelle noch einmal auf die oben schon genügend auseinandergesetzte Bedeutung aufmerk- sam zu machen, welche der konstante Strom als diagnostisches Hilfsmittel zu beanspruchen hat. In Bezug auf therapeutische Wirkungen ist es zunächst unzweifelhaft, dass wir mittelst des gal- vanischen Stroms Nerven und Muskeln erregen können, nach Gesetzen, wie sie des Weiteren erläutert worden sind. Schliessungen und Oeflf- nungen des Stroms, vor Allem die sogenannten Volta'schen Alter- nativen, regen in lebhafter Weise Nerven und Muskeln zur Tätigkeit an. Diese unmittelbaren erregenden und gleich wie beim faradischen Strom durch die bewirkten Kontraktionen die Ernährung des Gewebes fördernden Wirkungen mögen vielleicht in solchen Zuständen als be- sonders vorteilhaft zu betrachten sein, wo Muskelgebiete in Folge schwerer peripherischer oder centraler Lähmungen (vgl. § 115 u. 120) für lange Zeit dem Willenseinflusse entzogen auch den stärksten fara- dischen Reizen nicht antworten, während sie durch verhältnissmässig schwache galvanische Ströme zur Kontraktion gebracht werden können.

Ferner ist hier noch einmal auf die Nachwirkungen des kon- stanten Stromes hinzuweisen, wie sie ebenfalls schon oben 110) beschrieben worden sind; hiernach wird durch das Durchflossenwerden von einem konstanten Strom (an beiden Polen) die Erregbarkeit eines Nerven auch für die Zeit nach dem Fliessen des Stromes vermehrt.

§ 147. Antiparalytische, antineuralgische, antispastische "Wirk. d. konst. Stroms. 355

Ist ein Muskel ermüdet, seine Erregbarkeit vermindert, so kann man, wie Heidenhain ^^^ zuerst genauer auseinandergesetzt hat, durch einen konstanten Strom (besonders wenn seine Richtung eine aufsteigende ist) eine nicht unbedeutende „erfrischende^' Einwirkung auf den Muskel ausüben. Wie bei einem längere Zeit von einem galvanischen Strom durchflossenen Nerven reagirt auch der von einem galvanischen Strom in dieser Weise durchflossene Muskel nur auf die Oeifnung dieses und die Schliessung des entgegengesetzt gerichteten.

Zu diesen der Ermüdung und Erschöpfung der motorischen Nerven und der Muskeln entgegen wirkenden Einflüssen des kon- stanten Stromes, also den direkt antiparalytischen Wirkungen, gesellen sich nun noch andere für die Therapie ungemein wertvolle Leistungen desselben, die er in Bezug auf die Modifikation ab- normer Verhältnisse der sensiblen Nerven entfalten kann. Hier ist es besonders die polare Methode (auf ihre Bedeutung für die Therapie wird alsbald unten ausführlicher eingegangen werden), welche speziell in Anwendung gezogen wird. Die Anode, der positive Pol, setzt die Erregbarkeit einer von ihm beeinflussten Nervenstrecke herab und vermindert ihre Leitungsfähigkeit: diese Wirkung wird bei den mannigfachen schmerzhaften, neuralgischen Affektionen direkt durch das Ansetzen des positiven Pols auf die schmerzende Stelle, auf den Druck- (schmerz-) Punkt zu erzielen versucht. Wünscht man hier also durch die Einwirkung der Anode direkt schmerzstillend und beruhigend zu wirken, so wird in anderer, mehr indirekter Weise eine krampfstillende, antispastische Wirkung dadurch zu erreichen ge- sucht, dass man bei lokalen sowohl wie allgemeinen Krampfzuständen sich des Vorhandenseins etwaiger Druckschmerzpunkte zu versichern sucht, um auf diese die beruhigende Anode einwirken zu lassen.

Es versteht sich von selbst, dass man bei lokal abgegrenzten, im Bereich ganz bestimmter Nerven sich abspielenden Krarapfzuständen die Anode auch direkt auf den Nerv oder diejenigen Teile, welche man als die Ausgangspunkte der pathologischen Erregungen ansehen zu müssen glaubt, appliziren kann.

Im Gegensatz zu den beruhigenden Einwirkungen der Anode kann die Kathode, besonders in Gestalt des elektrischen Pinsels, als ein sehr energisches Erregungsmittel der sensiblen Nerven in Fällen von Anästhesien peripherischer und zentraler Natur in Anwendung gezogen werden: desgleichen spielen Anode wie Kathode, je nachdem es sich um Beseitigung abnormer Reizzustände oder um Hervorrufung von Erregung in krankhaft erschöpften Organen handelt, ganz beson-

23*

356 Katalytische Wirkungen des konstanten Stromes. Kap. XX.

ders bei den verschiedenen Leiden der Sinnesorgane (speziell denen des Gesichts und des Gehörs) eine, wie im speziellen Teil noch weiter ausgeführt werden wird, hoch bedeutende Rolle.

§ 148. Wie schon oben kurz erwähnt, nehmen in den theore- tischen Anschauungen der Autoren über die Wirksamkeit des konstan- ten Stroms die von R. Remak zuerst mit besonderer Betonung her- vorgehobenen sogenannten kataly tischen Wirkungen desselben einen hervorragenden Platz ein. Mit dem angeführten Namen wird dem galvanischen Strom eine Summe teils rein physikalischer, teils physiologischer Wirkungen zuerteilt. Zunächst sind es die elektro- lytischen d. h. Gewebsbestandteile zersetzenden Eigenschaften des konstanten Stroms, die hier in Betracht kommen. Sind die Gewebe als mit Salzlösungen durchtränkte Hohlräume aufzufassen, so liegt es dem Verständniss nicht fern, sich die Zersetzung dieser Salzlösungen in dem Sinne vorzustellen, dass an der Kathode die elektropositiven, an der Anode die elektronegativen Bestandteile zur Ausscheidung kommen. Dass solche Zerlegungen bei der Galvanopunktur wirklich zu Stande kommen, davon kann man sich durch die unmittelbare Ein- führung von nadeiförmigen Elektroden in das Innere von Geweben oder in das Blut sofort überzeugen. Auch haben wir oben (S. 321) schon gezeigt, wie auch bei perkutaner Anwendung gewöhnlicher feuch- ter (keiner unpolarisirbaren) Elektroden die Haut je nach den Polen in verschiedener Weise durch die ausgeschiedenen sauren oder alka- lischen Bestandteile des Blutserums verändert resp. angeätzt wird. Eine andere und durch exakte Versuche noch nicht entschiedene Frage ist freilich die, ob auch in der Tiefe der Gewebe bei perkutaner An- wendung derartige elektrolytische Wirkungen zu Stande kommen, denn nur von solchen kann und darf ja bei der Applikation des galvanischen Stroms, wenn eben keine chirurgischen Einwirkungen erzielt werden sollen, die Rede sein.

Eine zweite, rein physikalische Wirkung des Stroms besteht in seiner fortführenden, kataphorischen Wirkung, die er entfaltet, wenn er durch in kapillaren Räumen enthaltene Elektrolyte strömt. Die Flüssigkeit wird dann in der Richtung des Stromes von dem posi- tiven nach dem negativen Pol hin bewegt. Diese Wirkungen können therapeutisch von nicht geringer Wi-chtigkeit werden; wenn sich, so wurde von einem von uns ^^^ schon vor Jahren ausgeführt, z. B. Hemi- plegien unter der Durchleitung eines konstanten Stroms durch den Schädel besserten, wie nach dem, was wir später sehen werden, von

§ 148, 149. Kataphorische Wirkungen des konstanten Stromes. 357

nicht wenigen Autoren angegeben wird, so könnte man vielleicht auch an jene Fähigkeit des Stromes denken, durch Verringerung des um den Hirnherd liegenden und die noch gesunden Gewebe belastenden serösen Oedems eine schnellere Restitution der wieder frei gewordenen und aufs Neue in Tätigkeit tretenden Nervensubstanz zu schaffen. Unsere Versuche, eine derartige Wirkung durch eine quantitative Bestimmung des Wassergehalts der Hemisphären nach querer Durchleitung eines galvanischen Stromes durch den Schädel von Leichen nachzuweisen, fielen indessen negativ aus. Ebenso unsicher wie auf diesem Gebiete und noch mehr einander widersprechend sind die Versuchsergebnisse derjenigen Autoren, welche unter Benutzung dieser „kataphorischen Wirkungen" des konstanten Stroms es versucht haben, Medikamente in den Organismus einzuführen, die in der Tiefe lokal auf er- krankte Organe einwirken sollten. Beer^^^^ und Wilhelm^^° wollen durch die Verbindung eines eigens dazu hergerichteten negativen Pols mit einer Jodkaliumlösung bei Ansatz der positiven Elektrode an einer der negativen Elektrode gegenüberliegenden Stelle Jod durch die Ge- webe nach dem positiven Pole hin fortgeleitet und so Strumen, Drüsen- schwellungen, Gelenkaffektionen direkt beeinflusst und gebessert haben. Dagegen dringt nun nach Brückner's^^^ Versuchen das Jod nie tiefer in die Gewebe vor, als bis in die Cutis hinein im Urin Jod nach- zuweisen, sei noch nie gelungen. Spillmann ^^^ schliesst sich wieder mehr den erstgenannten Autoren an, ebenso v. Bruns^^% welcher nach seinen Untersuchungen die Möglichkeit hinstellt, durch den kon- stanten Strom Jodkalium in die Tiefe sowohl todter als lebender tierischer Gewebe hinein und durch sie hindurch zu treiben.

Eine gewichtige Autorität, H. Munk'^-*, spricht sich entschieden dafür aus, dass es gelänge, differente Substanzen auf diesem Wege durch die unversehrte Haut einzuführen, wie er es mit Chinin an sich selbst, mit Strychnin an Kaninchen nachgewiesen hat. Da aber die Geschwindigkeit der Flüssigkeitsfortschaffung regelmässig mit der Zeit abnimmt, rät er, die differente Substanz nicht wie bisher meist ge- schehen, als Anode einzufügen und die Stromrichtung konstant zu er- halten, sondern im Gegenteil die Substanz an beiden Elektroden anzu- bringen und die Stromrichtung von Zeit zu Zeit zu wechseln.

§ 149. Die dritte physiologische Wirkung des konstanten Stroms ist zum Teil schon in den vorhergehenden Abschnitten be- sprochen worden: es sind die Wirkungen auf die Lichtung der Gefässe, welche entweder durch die direkte Einwirkung des Stroms

358 Katalytische Wirkungen des konstanten Stromes. Kap. XX.

auf die kontraktilen Elemente der Gefässe, oder auf die vasomotorischen Nerven zu Stande kommen. Es ist dieses Verhalten in Bezug auf die etwaige verschiedene Polwirkung, auf die Unterschiede der Erfolge der Reizung unmittelbar bei der Applikation der Elektroden und einige Zeit später, endlich auch auf die einzelnen Organe oben bereits näher auseinandergesetzt (vgl. S. 320 die Wirkungen des Stromes auf die Haut etc.). In Bezug auf die indirekten katalytischen Wir- kungen des Stromes vermittelst der Erregungen vasomotorischer Nerven sind ebenfalls oben schon (S. 3£6) bei Besprechung der sogenannten Sympathikusgalvanisation und der Stromeinwirkung auf die peripherischen Nerven, welche ja bekanntlich vasokonstrilitorische und vasodilatatorische Fasern enthalten, die notwendigen Auseinander- setzungen gegeben.

Allen diesen Wirkungen zusammen, physikalischen wie physiolo- gischen, werden nun die in der Tat oft wunderbaren Erfolge zuge- schrieben, welche mittelst des konstanten Stromes in nicht wenigen Fällen erzielt werden können. Da der Strom, wie wir oben gesehen haben, in die Tiefe dringt und seine wirksamen Stromschleifen durch selbst knöcherne Umhüllungen in das Innere der nervösen Zentral- organe hineinschickt, so versteht es sich, dass er weit mehr als der faradische Strom auf die erkrankten Teile selbst einwirkt und hier umändernd, umstimmend, bessernd und regulirend einzuwirken ver- mag. In welcher Weise diese Wirkungen in jedem einzelnen Falle zustande kommen, das zu erklären, reichen die, wie wir gesehen haben, im Ganzen doch noch recht spärlichen exakten Untersuchungen durchaus noch nicht aus. Ja es ist auch nicht zu vergessen, dass in nicht wenigen Fällen der gewünschte und in scheinbar ähnlichen Affektionen wirk- lich erzielte Erfolg ausbleibt, ohne dass selbst der gründ- lichsten Untersuchung die Aufklärung der sich wider- sprechenden Behandlungsergebnisse jedesmal klar würden. Wir sind bis heute immer noch genötigt, unser Handeln in den meisten Fällen nach den vorliegenden empirisch gewonnenen Tatsachen, soweit sie durch glaubwürdige Autoren vertreten werden, einzurichten, da wir in den einzelnen Fällen die rationelle Begründung unseres Tuns nicht immer darzulegen vermögen.

§ 150. Was nun zunächst die antiparalytischen Wirkungen des konstanten Stromes betrifft, so verweisen wir in Bezug auf seine

§ 150. Therapeutische Verwertung der katalytischen Wirkungen. 359

direkt erregenden Wirkungen auf Nerv und Muskel auf das oben be- reits Ausgeführte. Wie mit dem faradischen Strom könnte man auch mit dem zentralvvärts von der Läsionsstelle angebrachten konstanten Strom, besonders durch die Kathode (den negativen Pol) bei peripherischen Lähmungen das Hinderniss für die freie Durch- leituiig des Willensreizes durch die starke von zentralwärts her- kommende Erregung (namentlich durch den Schluss eines starken galvanischen Stroms, oder durch Volta'sche Alternativen) zu durch- brechen versuchen. Erfahrungsgemäss gelingt dies aber selbst bei sogenannten leichten Lähmungen peripherischer Nerven nie, ebenso- wenig natürlich bei den Mittelformen oder gar den schwereren. Aber auch die direkte Applikation des Stromes auf die Läsionsstelle, wobei eben die vor Kurzem besprochenen katalytischen Wirkungen zur AVir- kung kommen könnten, haben leider auf den Ablauf des § 115 ge- schilderten Vorgänge bei schweren Nervenverletzungen (Durchschnei- dungen, groben Quetschungen etc.) keinen Einfluss. Die Erschei- nungen am Nerven und Muskel verlaufen mit oder ohne galvanische Behandlung mit unerbittlicher Gesetzmässigkeit. So interessant also auch die Erforschung der einzelnen Stadien der Lähmung und beson- ders der Vorgänge bei direkter galvanischer Muskelreizung für die Diagnostik sein mag, so kann ihnen doch ein therapeutischer Einfluss nur in ganz beschränktem, in dem oben S. 354 ausgesprochenen Sinne zugemessen werden. Höchstens könnte man bei allmählich durch die Läsionsnarbe hindurch sich wiederherstellender Verbindung der neuen regenerirten Fasern im peripherischen Stück mit den im Ganzen un- versehrt gebliebenen zentralen einen durch die Itatalytischen Vorgänge die Regeneration befördernden Einfluss zugeben. Anders gestalten sich, wie die Erfahrung gezeigt hat, die Verhältnisse, wo es sich um sogenannte leichte Lähmungen handelt. Hier entfaltet der kon- stante Strom in nicht wenigen Fällen, wenn er direkt auf die Lä- sionsstelle applicirt wird, offenbar eine direkt heilende und das für den Willen störende Leitungshinderniss fortschaffende Einwirkung.

Diese zerteilende, katalytische Wirkung kommt nun auch bei denjenigen Lähmungen zur Geltung, welche von Läsionen nervöser Zentralorgane abhängig, vorwiegend als Hemiplegien und Paraparesen oder Paraplegien zur Beobachtung kommen. Mehr wie fraglich dürfte es sein, die physiologisch am Menschen und experimentell am Tier zu beobachtenden Wirkungen des konstanten Stromes auf Gehirn und Rückenmark, die oben Kap. XVIII genauer beschrieben sind, als für die Behandlung pathologischer Zustände von Bedeutung anzusehen; im

360 Der konstante Strom b. Gehirn- u.Rücl(eDmarl(sl(rankheiten. Kap. XX.

Gegenteil scheint es geboten, diese Erscheinungen als meist sehr un- liebsame Nebenerfolge sogenannter zentraler Behandlung durch vor- sichtige Wahl der Stromstärke und zweckentsprechende Vorrichtungen beim Beginn und Schluss therapeutischer Massnahmen eher zu ver- meiden. In welcher Weise hierbei die katalytischen Wirkungen des Stromes in Wirksamkeit treten, ob die elektrolytischen oder die ka- taphorischen Eigenschaften dabei überhaupt eine Rolle spielen, oder ob die direkten oder indirekten Wirkungen auf die Blutgefässe hierbei das Wesentliche sind, ist exakt in kfeiner Weise bisher nachgewiesen; das Bestreben, die beobachteten Erscheinungen zu erklären, hat nicht wenige Therapeuten verführt, Hypothetisches für sicher Erwiesenes auszugeben. Wir kommen bei der Besprechung der speciellen Thera- pie der Hirnkrankheiten auf diese Fragen noch einmal zurück.

Was die Galvanisation des Rückenmarks behufs Erzielung thera- peutischer Resultate betrifft, so werden hier zunächst wieder alle jene Ideen über die katalytischen Wirkungen des Stromes auf krankhaft veränderte Teile zur Erklärung der in der Tat häufig zu beobachten- den Erfolge reproduzirt. Tatsächlich steht fest, oder wird vielmehr auf Grund experimenteller Ergebnisse von einzelnen Autoren behauptet, dass sogenannte absteigende Rückenmarksströme die Erregbarkeit des Rückenmarks herabsetzen, aufsteigende sie umgekehrt erhöhen ^^^. In demselben Grade soll auch die Reflexerregbarkeit vermindert oder ge- steigert werden, wie z. B. Onimus'^'^ und Uspensky'^' bei Fröschen und Meerschweinchen beobachtet haben. Andere wieder, so z. B. Ranke *^'', fanden, dass unabhängig von der Stromrichtung der Stychnintetanus der Frösche durch Galvanisirung des Rückenmarks vermindert wird. Dazu kommt, dass neuere Untersuchungen von Löwenfeld, wie schon oben S. 331 auseinandergesetzt ist, ergeben haben, wie man durch Applikation der Pole an den Cervikalteil des Rückenmarkes einen Einfluss auf die im verlängerten und obersten Halsmark gelegenen vasomotorischen Zentren und damit auf die Ge- sammtblutverteilung im Rückenmark auszuüben vermag.

Auf die katalytischen Wirkungen endlich werden alle jene Er- folge bezogen, deren sich in nicht wenigen Fällen der konstante Strom bei der Behandlung von Drüsentumoren, Strumen, sogenannten rheu- matischen Erkrankungen von Muskeln und Gelenken, von traumatischen und arthritischen Gelenkentzündungen zu erfreuen hat. Neben der schmerzstillenden Wirkung des positiven Poles sind es ferner bei den auf Neuritis zurückzuführenden neuralgischen Zuständen in einzelnen Nervengebieten wieder jene katalytischen Wirkungen, die etwaige ent-

§ 150, 151. Galvanisationsmethoden. 361

zündliche A^eränderiingen in den Nervenscheiden oder der Umgebung des Nerven (Knochenkanälchen etc.) zum Schwinden bringen und da- durch die normale ungestörte Funktion des Nerven wiederherstellen sollen. Die grosse Menge der sogenannten funktionellen Nervenkrank- heiten und Neurosen (Beschäftigungskrämpfe, Krämpfe in einzelnen zircumskripten Nervengebieten, ferner epileptische, hysterische, chorea- tische Zustände und viele andere mehr) kann häufig durch die „um- stimmenden" Wirkungen, die wir mittelst des galvanischen Stromes, speziell durch die Applikation der Anode, auf etwaige Druck- und Schmerzpunkte ausüben, zu überraschend schneller Besserung und Hei- lung gebracht werden.

Anmerkung. Nur der Vollständigkeit wegen erwähnen wir hier der von Schwenda'^^ mittelst des galvanischen Stroms bei Rachendiphtheritis erzielten Heilungsresultate. In zwei Fällen soll unmittelbar nach der Sitzung (beide Elek- troden an der Zungenbeingegend, 6 7 Leclanche'sche Elemente, allmähliches Abschwellenlassen des Stromes, Schluss mit 10 Stromwendungen) die vorher klang- lose Stimme heller, reiner, das Schlingen leichter geworden und nach einigen Tagen die Geschwüre ohne jede andere Medikation bei einer Patientin g,eheilt sein (vege- tationshemmende Wirkung des Stroms?). Hierher gehört wohl auch die Beob- achtung Syciankos '^^, der in wenigen Sitzungen mittelst des konstanten Stroms Gingivitis geheilt haben will (eine silberne, mit dem positiven Pol verbundene Platte am kranken Zahnfleisch, der negative Pol an der entsprechenden Halsseite; Stromesdauer von 2 3 Minuten, einige Wendungen).

§ 151. So relativ einfach und übereinstimmend wie die An- schauungen der Autoren über die beste Methode der Anwendung fara- discher Ströme am lebenden Menschen sind, so verschieden waren und sind zum Teil noch die Meinungen über die Methode der Galvani- sation, die für den Elektrotherapeuten die Norm bilden soll. Das experimentell am Tiernerven darzustellende Zuckungsgesetz wurde unter der Anwendung entweder auf- oder absteigender Ströme zuerst auch für die therapeutischen Massnahmen verwertet. Aber schon die von den Physiologen (Pflüg er) gegebene Deutung der je nach der Stärke der Ströme und ihrer Richtung beim Schluss und bei der Oeffnung der Kette auftretenden "Wirkung liess klar durchblicken (vgl. oben S. 266), dass das Hauptgewicht auf die eigentümlichen, an den einzelnen Polen auftretenden Veränderungen im molekularen Verhalten der Nerven gelegt würde, unabhängig von jeder Richtung des Stromes. Wenn es daher nur natürlich war, dass anfänglich die Elektrotherapeuten die im Laboratorium gebräuchlichen Galvanisations- methoden auch für den lebenden, erkrankten Menschen in Anwendung zogen, so finden sich in der Literatur doch schon früh ganz klare

362 Die polare Methode. Kap. XX.

Auslassungen über die Nützlichkeit und Anwendbarkeit der heute so- genannten polaren Methode. Schon im Jahre 1859 betonte Baierlacher^^^ die Unabhängigkeit der durch galvanische Ströme am Nerven erzielten Reizerfolge von der Stromesrichtung. Die von ihm in Anwendung gezogene „unipolare Reizung« (B. experimen- tirte am N. peroneus) gab ihm Gelegenheit, die Wirkung des einzelnen Pols für sich auf den Nerven zu beobachten. Bei Reizung des Nerven mit dem positiven Pol waren die Schliessungszuckungen schwach oder sie fehlten ganz, während die Kontraktionen bei der Oeffnung des Stromes stark ausgeprägt waren, und umgekehrt waren bei Reizung mit dem negativen Pol die Schliessungszuckungen sehr kräftig und die Oeffnungszuckungen sehr schwach oder fehlend. Zu ähnlichen Resul- taten war in Frankreich Chauveau*°° (1859) gelangt, während in Deutschland erst sehr viel später der ältere Remak sich diesen seinen Vorgängern anschloss.

In seinen 1865 zu Paris veröffentlichten „Legons faites ä l'hopital de la charite sur l'application de courant constant en traitement des nevroses" fand er die Reizung mit dem positiven Pol identisch mit der Reizung eines absteigenden, die mit dem negativen Pol identisch mit der Reizung eines aufsteigenden Stromes. Remak*) hat diesen später von Brenner mit so grossem Glück wieder aufgenommenen und durch eine Reihe schwieriger und exakter Versuche fast zur Vollendung ge- brachten Gedankengang nicht mit dem Interesse weiter verfolgt, wie er ihn wohl verdient hat: Brenner gebührt offenbar, wie oben S. 267 schon genügend hervorgehoben ist, das Verdienst, die polare Methode ausgebildet und sie als ein kostbares Mittel für die Untersuchung nicht allein, sondern auch für die therapeutische Verwerfung der ärztlichen Welt übergeben zu haben.

Wie wir gesehen haben (S. 267), ist es wohl möglich, auch am lebenden Menschen bei der üblichen Applikation der Elektroden Strom- schleifen in beliebiger Richtung durch die in der Tiefe liegenden Organe Nerven, Hirn, Rückenmark zu senden. Ebendort aber wurde auch der Vorteil der sogenannten polaren Methode zunächst für die Elektro- diagnostik genügend hervorgehoben. Zwar ist es wahr, wie zuerst durch Filehne^' experimentell genau nachgewiesen wurde, dass bei der Applikation nur eines Poles an den Nerven die Verhältnisse sich

*) Zur Zeit der Veröffentlichung von Bernhardt's*" „historischer Notiz" (1875) war es diesem Autor nicht bekannt, dass schon im Jahre 1871 Neftel in New-York in seinem Buche Galvano -Therapeutics auf Seite 23 und 24 dieselbe Eemak'sche Bemerkung der Vergessenheit zu entziehen versucht hat.

§ 151. Die polare Methode. 363

so gestalten, dass man peripherie- und zentralwärts den anderen Pol sich applizirt denken kann, so dass dabei der Nerv von zwei, aber entgegengesetzt gerichteten Strömen durchflössen wird, und dass bei Applikation beider Elektroden an den Nerven derselbe, wie Hitzig ^^ besonders betont, von vier oder sogar von fünf in entgegengesetzter Richtung verlaufenden Strömen durchsetzt wird. Ebenso ist es nicht zu leugnen, wie Helmholtz^% Erb^"^, Hitzig^^, de Watteville^^ gezeigt haben, dass bei der Einbettung eines dem unversehrten Tier- körper angehörigen Nerven in mehr oder weniger gut leitendes Gewebe der Strom bei der Applikation des positiven Pols z. B. eine bestimmte Partie des Nerven zwar in relativ bedeutender Dichte trifft, aber auch alsbald, rein physikalischen Gesetzen folgend, aus dem Nerven in das umliegende Gewebe austritt und an der Stelle seines Austritts die Wirkung der Kathode, des negativen Pols, hervorbringt.

Wie aber trotz aller dieser Bedenken, trotz des Mangels einer allseitig anerkannten wissenschaftlichen Begründung die polare Methode zunächst für die Elektrodiagnostik von bahnbrechender Bedeutung ge- worden ist, so tragen wir auch kein Bedenken, dieselbe praktisch wichtige Methode in die Therapie hinüber zu nehmen und die Wirkung der Pole, von deren Erfolgen wir uns bei elektrodiagnostischen Unter- suchungen täglich und stündlich überzeugen, auch am Krankenbette und für den Kranken zu verwerten. Wir verwerten bei der Anwendung der „polaren Methode^* die physiologisch festgestellten elektrotonisirenden Wirkungen derselben (Erhöhung der Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit nervöser Gebilde am positiven, Herabsetzung der Erregbarkeit und Lei- tungsfähigkeit am negativen Pole); immer aber wird man sich zu vergegenwärtigen haben, dass am lebenden Menschen und bei auf die mannigfachste Weise pathologisch veränderten Geweben die physikalischen Bedingungen nicht selten so ganz andere werden können, dass eben oft ganz andere, als die theoretisch berechneten Resultate zu Tage treten. Jeden- falls hat die Ausbildung der polaren Methode nicht zum wenigsten dazu beigetragen, auch den Elektrotherapeuten die Anwendung seines Heilmittels direkt auf den Krankheitsherd zu erleichtern und ihn anzuregen, diesen mit den relativ stärksten Stromschleifen zu treffen. Aus dem bisher Gesagten geht also soviel hervor, dass wir bei dem Mangel absolut giltiger theoretischer Anschauungen uns durch die Erfahrung belehren lassen müssen, welche Methode der Einwirkung, welche Stromrichtung, welche Polwirkung wir in jedem einzelnen gegebenen Fall anzuwenden haben : absolute giltige, für g,Ue

364 Stabile, Labile Ströme. Querdurchströmung. Kap. XX.

Fälle feststehende Regeln gibt es nicht; im Gegenteil geht der Rat aller vorurteilsfreien und erfahrenen Elektrotherapeuten dahin, bei durchaus erfolgloser Anwendung einer bestimmten Behandlungsart dieselbe aufzugeben und eine andere zu versuchen: vorgefasste theore- tische Meinungen mit starrer Konsequenz festzuhalten ist bei unserer Unbekanntschaft mit so manchen notwendigen Prämissen nur ein Fehler. Die polare Methode in der Behandlung muss offenbar für viele Fälle, wenigstens bis heute noch, derjenigen das Feld räumen, wo es uns darauf ankommt, die oben weitläufig besprochenen kataly tischen Wirkungen zu erzeugen: die Querdurchströmung, ja die oft während der Sitzung einigemale zu verändernde Stromes- richtung wird bei der Behandlung von Gelenk- und Muskelaffektionen, bei Hirnleiden etc. nicht zu entbehren sein.

Lässt man die beiden Elektroden während der Zeit der Behandlung fest auf den Punkten stehen, wo sie zuerst aufgesetzt worden sind, so ist dies in der Sprache der Elektrotherapeuten die „stabile Anwendung" des konstanten Stroms: ver- ändert man aber den Standpunkt auch nur einer Elektrode, indem man mit ihr, ohne sie von der Unterlage abzuheben, die Haut dem Verlauf einzelner Muskeln oder Nerven entsprechend entlang streicht, so nennt man dies die „labile" Behandlungsweise. Freilich kann dabei von einer Konstanz des Stromes oder der Stromstärke nicht mehr die Rede sein: je nach den zufälligen Widerstands Verhältnissen der verschiedenen mit der Elektrode bestrichenen Haut- stellen wechselt diese Stromstärke; die so bewirkten Schwankungen derselben sind dabei oft so beträchtlich, dass sie (ohne dass also der Strom je gänzlich unter- brochen wird) ziemlich bedeutende Erregungen (Zuckungen) hervorrufen. Steht bei Applikation des konstanten Stroms am Kopf die Anode an der Stirn, die Kathode im Nacken, so nennt man dies einen absteigenden, bei umgekehrter Stellung einen aufsteigenden Strom: ruht bei Galvanisation des Rückens die Kathode an den Lenden-, die Anode an den Brust- oder Nackenwirbeln, so ist der Strom absteigend, bei der umgekehrten Polapplikation aufsteigend; das Rücken- mark ist im Vergleich zum Plexus der mehr central gelegene Teil, der Plexus wieder centraler als der Nerv, dieser mehr central als der Muskel; ruht also die Anode am Vastus internus, z. B., die Kathode am ersten Lendenwirbel, so ist dies in der bequemen Ausdrucksweise mancher Elektrotherapeuten ein aufsteigender Muskel-Rückenmarksstrom: ist die Anode in der Oberschlüsselbeingrube über dem Plexus brachialis, die Kathode in der Grube zwischen Gondylus int. hum. und Olecranon applizirt, so wäre dies ein absteigender Plexusnervenstrom, Ausdrucksweisen, welche als schnell über die Stellung der Elektroden orientirende und damit bequeme Bezeichnungen von vielen Elektrotherapeuten noch heute ange- wendet werden.

Ebensowenig aber wie man sich auf nur eine Methode der Be- handlung zu beschränken hat, ebensowenig tut man, dem Buchstaben folgend, allemal gut, nur den erkrankten Teil selbst zu behandeln: hat eine genaue Untersuchung gezeigt, dass die Möglichkeit eines

§ 151, 152. Allgemeine Galvanisation. 365

sogenannten reflektorischen Ursprungs des Leidens vorliegt, finden sich Stellen, von denen aus sich durch Druck oder sonstige Prozeduren die Krankheitserscheinungen beeinflussen oder gar temporär zum Schwinden bringen lassen, so werden wir die Wirkungen des Stromes auf diese Stellen hingelangen lassen, um auf diese Weise das üebel zu bekämpfen. Aus Allem dem geht also soviel hervor, dass Einseitigkeit im Denken und Handeln dem Elektrotherapeuten nicht weniger schadet, wie dem Arzte überhaupt, und nicht weniger klar ergibt sich die Müssigkeit des Streites darüber, ob die faradische oder galvanische Behandlungsmethode den Vorzug verdient. Bei vielen Fällen wird es sofort nach dem, was über die physiologischen Wirkungen beider Stromesarten bekannt ist, klar, dass, wenn überhaupt von elektrischen Massnahmen Besserung zu erwarten ist, nur durch den einen oder nur durch den andern Strom dieselbe herbeigeführt werden kann: aber in ebenso vielen Fällen ist es entweder schwer, mit absoluter Bestimmtheit der einen oder der anderen Behandlungsmethode den ersten Preis zuzuerkennen, oder es liegt vielmehr auf der Hand, dass nur beide geraeinsam angewendet zu einem erspriesslichen Resultat führen können.

§ 152. Es sei uns gestattet, an dieser Stelle noch einiger Be- handlungsmethoden Erwähnung zu thun, welche, zwar schon lange bekannt, doch erst in neuerer Zeit wieder hervorgehoben und empfohlen werden. Schon oben (S. 351), als von der allgemeinen Fara- disa tion die Rede war, erwähnten wir, dass dieselben Autoren (Board und Rockwell), welche diese Behandlungsmethode zuerst beschrieben, auch die „allgemeine Galvanisation" für die Be- handlung mannigfacher nervöser Zustände anempfahlen. Die Fuss- platte wird auch hier von dem negativen Pol (Kathode) gebildet und mit der Anode werden dieselben Manupulationen vorgenommen, wie bei der allgemeinen Faradisation. Stein '^^ schiebt die Anode in Form einer mit porösem Waschleder überzogenen befeuchteten Nacken- platte zwischen den Halskragen und die ersten Brustwirbel des Kran- ken ein, so dass sie auf dem oberen Teile der Wirbelsäule in einer Länge von 15 Ctm. und einer Breite von 4 5 Ctm. fest aufliegt. Die ersten 5 Minuten bleibt diese Elektrode an Ort und Stelle; so- dann wird mit der Rollenelektrode als Anode der ganze Rücken, rechts und links von den Dornfortsätzen von oben nach unten be- fahren. Bei ausgesprochener Spinalirritation hat Stein günstige Er- folge konstatiren können.

366 Zentrale Galvanisation. Elektrisches Bad. Kap. XX.

Als „zentrale Galvanisation« ist ausserdem von Beard^^^ eine für die mannigfachsten nervösen Zuständen heilsame Methode be- schrieben und empfohlen, bei der die Kathode (grosse Platte) in der Herzgrube ruht, während man die Anode auf den Schädel, die Wirbel- säule und die Sympathikusgegend zu beiden Seiten des Halses nach einander applizirt. Nach Stein wären beide letztgenannten Behand- lungsmethoden entbehrlich; mit der allgemeinen Faradisation würden dieselben Resultate erzielt. Dem, was derselbe Autor über die re- lative Gefährlichkeit dieser Methoden (d. i. der allgemeinen und der zentralen Galvanisation) sagt, insofern nicht durch eine sachkun- dige Hand unter Benutzung zweckentsprechender Rheostate die Strom- stärke namentlich bei der Applikation am Kopf und am Halse genau geregelt wird, müssen wir vollkommen beistimmen.

Im wahren Sinne des Wortes wird durch die schon lange be- kannten, neuerdings wieder mehr in den Vordergrund tretenden elek- trischen Bäder eine allgemeine Faradisation oder Galvanisation aus- geübt werden können. Weisflog ^^^ Constantin Paupoo^ neuer- dings Th. Stein '^^ empfehlen ihre Anwendung zur Behandlung der verschiedenartigsten nervösen Schwäche- und Zitterzustände. (Siehe später im speziellen Teil).

Hierbei ist nun zunächst zu bemerken, dass man zwei Arten von elektrischen Bädern streng von einander zu scheiden hat. Sitzt der Kranke (bezw. die Versuchsperson) in einer Holz- oder lackirten Metallwanne und tauchen beide Elektroden eines faradischen oder galvanischen Stromes in Gestalt grösserer Metallplatten in die Badeflüssigkeit ein, ohne dass die Versuchsperson direkt mit ihnen in Berührung kommt (man schützt dieselbe hiervor durch das Vorsetzen durchbrochener Holzscheiben), so bedarf es, wie am eigenen Körper angestellte Beobachtungen lehren*'*) recht starker Ströme, wenn man überhaupt etwas empfinden soll. Der Widerstand des lauen Wassers ist eben im Vergleich zu dem des menschlichen Körpers ein so ge- ringer, dass nur ein geringer Stromanteil eben diesen Körper trifft. Ist 'die eine der eintauchenden Platten sehr gross, die andere von der Gestalt der gewöhnlichen Elektroden, wie sie in einer Breite von 3 6 Ctm.' Durchmesser täglich benutzt werden (Stein benutzt hierzu vernickelte Kupferplatten [von 1 10 Quadratdecimeter Fläche], welche in Gestalt einer Schaufel [Schaufelelektrode] an einem isolirenden Griff von Hartkautschuk befestigt sind) und nähert man letztere einem Körperteil, so dass schliesslich nur eine Wasserschicht von wenigen Centimetern zwischen der Elektrode und dem Körperteil vorhanden

§ 152. Elektrisclies Bad. 367

ist, so kann man bei Benutzung starker faradischer Ströme die be- kannte Sensation auf der Haut und, befindet sich die differente Elek- trode nahe einem Muskel oder motorischen Nerven, auch die der lo- kalisirten Faradisation entsprechenden Muskelkontraktionen hervor- rufen. Das Gleiche gilt von der Möglichkeit, KaSz und ASz etc. auszulösen, wenn bei Anwendung starker galvanischer Ströme die entsprechende Elektrode sich dem zu reizenden Nerven oder Muskel nahe genug befindet, um ihn mit der zu seiner Erregung nötigen Dichte zu treffen. Neben einer lebhaften Erregung der sensiblen Hautnerven an Ort und Stelle empfindet man dabei auch exzentrische Sensationen, wenn der differente Pol sich in hinreichender Nähe des gemischten Nerven befindet, so z. B. Prickeln im 4. und 5. Finger, wenn der N. ulnaris in der Furche zwischen Condyl. intern, und Olecranon von genügend starken Stromschleifen getroffen wird. Man ersieht hieraus, dass eine derartige lokalisirte Anwendung des elek- trischen Bades sich wesentlich nicht viel von derjenigen Elektrisations- methode unterscheidet, welche man eben gewöhnlich anwendet; sie hat nur den Vorteil, dass man bequem alle Teile des Körpers und diese in einer Stärke beeinflussen kann, welche sich durch ein etwas wei- teres oder näheres Anhalten der Elektrode an die verschiedenen Stellen der Körperoberfläche beliebig wie durch einen feinen Rheostaten mo- difiziren lässt. Von einer „allgemeinen Elektrisation'* im Sinne der oben genannten Autoren ist dabei nicht die Rede. Will man die Wirkung der allgemeinen Faradisation (oder Galvanisation) mit Hilfe eines Bades auf den Körper ausüben, so bedient man sich un- lackirter Metallwannen, mit denen ein Pol des Induktions- bezw. des galvanischen Stromes verbunden wird (Herstellung einer ungemein grossen, die im Bade eintauchenden Körperteile gleichsam glocken- förmig umgebenden Elektrode), während der andere Pol an einer breiten Metallscheibe mit einem ausserhalb des Wassers befindlichen, mit Compressen bedeckten Körperteil des Kranken verbunden wird. In dieser Weise z. B. verfährt Seeligmüller ^^2^ ^q^ schwerer Kranke, denen das Sitzen oder Liegen in der Wanne Unbequemlichkeiten bereiten würde, in einem hängematteartig zusammengelegten festen groben Laken, das weder Boden noch Wände der Wanne berührt, in's Wasser tragen lässt. Die Laken sind in einer gewissen Höhe über den AVannenrändern an eisernen Haken der Wand der Badezelle auf- gehängt. Aehnlich verfährt Holst^^': er macht die metallne Bade- wanne durch Verbindung mit dem einen Leitungsdraht zu einer ko- lossalen Elektrode und schliesst den Strom durch einen von dem an-

368 Physiologische Wirkung des elektrischen Bades. Kap. XX.

deren Pole kommenden, über der Wanne hängenden Handgriff, den der Badende ausserhalb des Wassers zu fassen hat. Eine auf dem Boden der Wanne liegende Gummiplatte und eine Gummibedeckung der Wannenränder schützt den Badenden vor der direkten Berührung mit dem Metall der Wanne. Bei dieser Methode ist auf die Abstufung der Stromstärke sorgfältig zu achten, da die Dichtigkeit des Stromes an den ausserhalb des Wassers befindlichen Teilen eventuell eine so hohe werden kann, dass sie höchst unange- nehm empfunden wird. Jedenfalls wird aber der grösste Teil der Körperoberfläche durch die von den Wannenflächen kommenden und die Wasserschichten durchsetzenden Stromschleifen überall in ziemlich gleicher Dichte getroffen und somit das Postulat „allgemeiner Elek- trisation^* in fast idealer Weise erfüllt.

In Bezug auf die physiologischen Wirkungen derartiger eiek- trischer Bäder sind schon 1877 von E. Weisflog '^9 Untersuchungen an Fröschen und Fischen angestellt worden, welche bewiesen, dass diese Tiere erheblich durch die das Wasser durchsetzenden Strom- schleifen beeinträchtigt werden können, so dass tetanische Muskel- kontraktionen ausgelöst werden und die Tiere bei längerer Fortsetzung der Versuche ihr Gleichgewicht vollkommen verlieren. Diese Ver- suche wurden von Ische wski^o' bestätigt; in Bezug auf die Wirkung auf den Menschen fand er, dass eher angenehme Empfindungen auf- traten bei schwachen Strömen, Gefühl wie beim Faradisirtwerden bei stärkeren, Kontraktionen von Muskeln, die in der Nähe der Elek- troden lagen, bei starken Strömen. Die Pulsfrequenz war nach dem Bade vermindert, die Respiration tiefer und gleichförmiger. Die (mit dem Tasterzirkel geprüfte) Hautsensibilität und die faradomuskuläre Erregbarkeit wurde erhöht, die am Dynamometer gemessene Muskel- kraft aber herabgesetzt gefunden.

Ganz neuerdings hat endlich Eulenburg^^^ Untersuchungen an- gestellt über die Wirkung faradischer und galvanischer Bäder. In Bezug auf die Tierversuche konstatirte auch dieser Autor das Auf- treten von Muskelkontraktionen z. B. bei Fröschen zuerst an der Seite, welche in der Nähe des negativen Pols des Oeffnungsstroms eines faradischen, oder der Kathode eines galvanischen Stromes (bei dessen Schliessung) lagen. Nach dem galvanischen Bade sinkt die motorische Erregbarkeit der Tiere. Messbare Stromschleifen aus ein- zelnen Körperteilen von Kaninchen z. B. oder menschlichen Leichen im galvanischen Bade abzuleiten gelang nicht.

Für die Untersuchung der physiologischen Wirkungen faradischer

§ 152. Monopolares, Dipolares Bad, Anodenbad, Kathodenbad. 369

und galvanischer Bäder am lebenden Menschen benutzte Eulenburg das oben beschriebene Seeligmüller'sche Verfahren. Wie Ishewski fand auch Eulenburg ein Herabgehen der Pulsfrequenz im faradischen Bade und eine nicht unbeträchtliche Herabsetzung der faradokutanen Sensibilität, eine Wirkung, die indifferenten warmen Bädern nicht zu- kommt, um so weniger, als der (galvanische) Leitungswiderstand der Haut im faradischen Bade erheblich vermindert wird. Bei der An- wendung des galvanischen Bades (Anodenbad, sobald sich der positive Pol in der Badeflüssigkeit befindet, umgekehrt Kathodenbad genannt) wird die Pulsfrequenz in noch bedeutenderem Grade herabgesetzt, während die Respiration kaum beeinflusst wird; die Körpertemperatur dagegen sinkt konstant um 0,2 0,5 ° 0. Die faradokutane Sensibilität wird im Kathodenbade vermindert, im Anodenbade erhöht: in beiden kann der Tastsinn eine Erhöhung erfahren. Die motorische Erreg- barkeit scheint im galvanischen Bade eine gewisse Herabsetzung zu erleiden. Gewissermassen als Resume seiner Untersuchungen stellt Eulenburg den Satz auf, dass die hydroelektrischen, indifferent warmen einfachen Wasserbäder (welche thermisch und chemisch reiz- lose Badeformen darstellen) betreffs ihrer Wirkung auf Puls- und Respirationsfrequenz und Temperatur sich den hautreizenden, thermisch und chemisch irritirenden Badeformen analog verhalten. Es hätten daher auch für diese hydroelektrischen warmen Bäder die den oben genannten Badeformen (reizenden Mineral- oder Wärme entziehenden Bädern) entsprechenden Indikationen in einem gewissen Umfange Geltung. Um dies aber zu erreichen, kann nach Eulen bürg nur das „monopolare^* Bad (wie es ja auch schon von Seeligmüller und Holst angewandt und empfohlen ist) benutzt werden, wozu jede be- liebige Badewanne und jeder Induktionsapparat ausreicht. Dass man hierbei, wie wir schon oben betonten (auf am eignen Körper gemachte Erfahrungen gestützt), auf eine sorgsame Regulirung der Stromstärke zu achten habe, geben wir mit Stein zu, da sonst leicht durch die relativ grosse Stromdichte in den ausserhalb des Badewassers befind- lichen Körperteilen sehr lästige und unangenehme Empfindungen her- vorgerufen werden können. Bringt man andererseits, wie Stein will und wie er diese seine Methode auch neuerdings wieder gegen Holst verteidigt, beide Elektroden in das den Patienten umspülende Wasser (Eulenburg nennt dies das „dipolare" Bad), so wird der Körper von nur geringen Stromschleifen getroffen. Trotz der Abnahme des Leitungswiderstandes des menschlichen Körpers im Bade (Eulen- burg) beträgt derselbe doch noch immer sehr viel mehr als der des

Koseuthal u. Bernhardt, Elektrizitätslelire. UI. Aufl. 24

370 Anwendung permanenter schwacher galvanischer Ströme. Kap. XX.

lauen, den Badenden umspülenden Wassers; erst bei beträchtlicher Annäherung einer der Elektroden an einen Körperteil (je kleiner deren Oberfläche, desto grösser die an ihr zu Stande kommende Stromdichte, vgl. oben S. 366) wird die lokale Wirkung bemerkbar. Badewannen für Lokalisation elektrischer Ströme im Wasser sind von Stein beschrieben worden: es handelt sich dabei um doppel- wandige, gut lackirte Holzwannen, zwischen deren Wandungen an mehreren Stellen (Kopf- und Fussende, Schulter-, Oberschenkel-, Bein- gegend) grosse vernickelte Kupferplatten angebracht sind, welche nun in beliebiger Kombination mit den Polen der elektrischen Apparate verbunden werden. Wir werden im speziellen therapeutischen Teil noch Gelegenheit haben, auf die Anwendung der elektrischen Bäder zurückzukommen: auch für diesen Zweig der Elektrotherapie sind wohl ausgedehntere Versuche und weitere Erfahrungen noch notwendig, ehe ein endgiltiges Urteil gelallt werden kann. (Die neuesten Er- fahrungen Lehr's [Wiesbaden] sind uns zur Zeit des Druckes dieses Buches noch nicht genauer bekannt gewesen).

§ 153. Eine Reihe von nervösen Störungen, namentlich schmerz- hafte Zustände sind von verschiedenen Autoren durch die Anwen- dung ganz schwacher konstanter Ströme zu behandeln versucht worden. Ausgangs der sechziger und Anfangs der siebziger Jahre empfahl diese Methode zuerst Ciniselli zur Bekämpfung von Kopf- schmerzen, aber auch für lähmungsartige Zustände. Sodann empfahl 1872 N. Mayer^"* in Philadelphia die Applikation ganz kleiner Säulchen, welche durch einen Draht mit einander verbunden wurden, an die Proc. mastoidei beiderseits für die Behandlung mancher Hirn- afifektionen. Leon le Fort wandte später (1872) 3 4 Oallot- Trouve'sche Elemente an (Kupfer -Zinkelemente mit Kupfervitriol- füllung ohne poröse Seheide wand) , welche stunden- ja tagelang auf gelähmten Gliedern liegen bleiben. Die Wirkung dieser schwachen Ströme soll vorzüglich sein bei atrophischen und lähmungsartigen Zu- ständen, wie sie nach Kontusionen der Glieder beobachtet werden, ferner bei Kontrakturen und denjenigen Zuständen, welche eine Hebung der Ernährung atrophischer Muskeln überhaupt erheischen. Zwei bis drei dieser zur Behandlung ausreichenden Elemente kosten nur 3 bis 6 Mark und sind somit wegen ihrer relativen Billigkeit praktisch von hoher Bedeutung. In ähnlicher Weise empfiehlt Valtat'-"" diese schwachen Ströme zur Behandlung der so häufig nach Gelenkkrank- heiten zurückbleibenden oder von ihnen abhängenden Muskelatrophien

§ 153. Galvano-Faradisation. 371

und ganz neuerdings betonteFinkelnburg-'^'' die Anwendung langdauern- der schwacher Ströme bei Neuralgien und verwandten Zuständen. Er beschreibt einen unmittelbar am Körper zu tragenden Gürtelapparat, bestehend aus Zink-Kupfereleraenten mit Benutzung schwach sauer angefeuchteter Filzlaraellen zur Zwischenleitung in gut isolirender Passung und Form. Jedes derartige Element besitzt Ve der Strom- stärke eines Stöhrer'schen Elements: der Strom ist stabil, für Wochen andauernd. Die Kathode muss möglichst breit gewählt werden, um schmerzhafte Hautreize zu vermeiden. Die an der leidenden Stelle selbst liegende Anode bedarf der vergrösserten Applikationsfläche nicht. 8 10 derartiger Elemente genügen.

Der Vollständigkeit wegen erwähnen wir hier noch der schon von Beard und Rockwell -"s empfohlenen, neuerdings erst wieder durch de Watteville angepriesenen Galvano-Faradisation. Die Methode besteht im Faradisiren eines bestimmten Körperteils, durch den ein galvanischer Strom fliesst. de Watteville -^s hat einen besonderen Apparat zur leichteren Ausübung der Methode angegeben, empfiehlt dieselbe übrigens selbst eher zur Prüfung, als dass er be- stimmte Resultate mitteilt: bei rheumatischen AfFektionen, bestimmten Formen von Neuralgien, Spasmen, auch bei Rückenmarksleiden glaubt er diese kombinirte Behandlung mit Erfolg anwenden zu können. Beard und Rockwell können nicht behaupten, dass ein spezieller, therapeutischer Vorteil aus dem gleichzeitigen Gebrauch der zwei Ströme resultire. Dem gegenüber glaubt de Watteville insofern durch diese Anwendungsweise beider Ströme Resultate erzielen zu können, als jeder faradische Reiz auf einen Nerven- oder Muskel- punkt trifft, der sich in einem Zustand von Katelektrotonus oder er- höhter Erregbarkeit befindet. Es sei daher möglich, durch diese Methode Wirkungen zu erzielen, welche durch die Faradisation allein kaum erreicht werden dürften Diese theoretische Voraussetzung hat in neuester Zeit durch Stein-^^s ^sofern eine Bestätigung erfahren, als er bei Benutzung der Galvanofaradisation die therapeutischen Er- folge (erfrischende Wirkung auf die Muskeln) viel schneller als bei Anwendung einfacher faradischer Ströme eintreten sah. In Form zweier, für beide Stromesarten gleichzeitig brauchbarer Doppelelek- troden hat Stein eine geeignete Kombination zur Ausübung der Galvanofaradisation geschaffen. Zum Unterschiede von der de Watte- ville'schen Einrichtung durchsetzen beide Ströme erst dann den Körper, wenn sie auf die Körperoberfläche angekommen sind, auch kann man je nach der Einschaltung der positiven oder negativen

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372 PralitisoheBemerlding. üb. d. elel{trotherapeutischeBehandIung. Kap. XX.

Drähte in die Klemmschrauben beiden Stromesarten eine gleiche oder eine zu einander entgegengesetzte Richtung geben, je nachdem Experi- ment oder therapeutische Indikation es erfordern.

§ 154. Bevor wir jetzt zu dem speziellen Teil übergehen, bleibt uns noch übrig, einige allgemeine Bemerkungen über die Art und Weise wie die elektrische Behandlung auszuführen sei, voranzuschicken. Es ist natürlich selbstverständlich, dass der einzu- leitenden Behandlung eine genaue Untersuchung des Kranken voraus- zugehen hat, eine Untersuchung, die, wie ebenfalls selbstverständlich, nur der mit allen sonstigen Untersuchungsmethoden vertraute Arzt ausführen kann. In nicht wenigen Fällen wird diese Untersuchung nun aber eine speziell elektrisch- diagnostische sein müssen, und es ist vielleicht gut, darauf aufmerksam zu machen, dass man die bei einer erstmaligen Exploration gewonnenen elektrodiagnostischen Re- sultate nicht allzuschnell als sichere hinnimmt. Die Befangenheit, ja die oft sichtbare Angst des Kranken vor dem Neuen und Unbekannten können nicht allein ihn, sondern auch den untersuchenden Arzt in eine Verwirrung bringen, die eine sichere Auffassung des oft schwer fest- zustellenden Tatbestandes nicht gestattet.

Es ist hier wohl auch der Ort, auf die von Möbius-"^ besonders betonte und von jedem erfahreneren Elektrotherapeuten zu bestätigende Tatsache hinzuweisen, wie verschieden die einzelnen Individuen auf elektrotherapeutische Massnahmen reagiren. Es gibt Menschen, welche nach ganz schwachen Strömen ein grosses Schlafbedürfniss bekunden, die enorm leicht schwindlig und blass werden, bei denen auch die harmloseste Prozedur Ohnmachtsgefühl etc. hervorruft: derartige „elek- trosensitive** Naturen (nach Möbius) erfordern in der Tat eine ganz besondere Sorgfalt und Vorsicht von Seiten des behandelnden Arztes, während wieder robustere Individuen auch durch intensive Stromeswirkungen kaum beeinflusst werden.

Man suche also zunächst den Kranken durch Anwendung ganz schwacher Stromstärken zu beruhigen und ihn erst allmählich, oft erst in der zweiten Sitzung mit allen den eigentümlichen Sensationen bekannt zu machen, die nun einmal durch die Ströme im Organismus hervorgerufen werden. Ueber die ganz besondere Vorsicht, welche bei der Anwendung der Elektrizität (vorwiegend des galvanischen Strom.s) zur Behandlung von Hirnkrankheiten und Leiden der Sinnesorgane von Nöten ist, wird im speziellen Teil noch ausführlicher gehandelt werden.

§ 154. Dauer der einzelnen Sitzung; Gesammtdauer der Beliandlung. 373

Die einzelne Sitzung wird kaum länger als 5 10 Minuten aus- gedehnt werden: je nach dem sonstigen körperlichen Verhalten des Kranken kann man derartige Sitzungen täglich oder einen Tag um den andern wiederholen. Die Fälle, in denen die Elektrizität mehr- mals an einem Tage oder nur ein- bis zweimal in der Woche anzu- wenden ist, gehören zu den Ausnahmen. Was die Gesammtdauer der Behandlung betriift, so kann sie wochen- und monatelang fortgesetzt werden; es ist eine durch die Erfahrung vielbeschäftigter Elektro- therapeuten bestätigte Tatsache, dass, wenn nach 2 3 monatlicher Behandlung die Erfolge auszubleiben anfangen, eine eben so lange Pause die später erneute Behandlung zu einer wieder wirksamen werden lässt. Oben schon ist auseinandergesetzt, warum oft der best ausgedachte Kurplan im Stich lassen und erfolglos bleiben kann: man scheue sich nicht, die Methode zu wechseln und gebe die elek- trische Behandlung nicht eher auf, als bis sämmtliche Anwendungs- arten erschöpft sind. Auch so aber bleibt trotz des guten Willens des Arztes und seiner Kenntniss nicht selten der Erfolg hinter den Erwartungen des Kranken und den eignen zurück: so leidig der Trost ist, so haben wir uns doch immer zu vergegenwärtigen, dass derartige Vorkommnisse überhaupt beim praktischen Arzte nicht gerade zu den Seltenheiten gehören. Es ist schliesslich vielleicht nicht überflüssig, daran zu erinnern, dass der Elektrotherapeut, ob zwar im Besitze eines der mächtigsten Hilfsmittel, dennoch die Methoden und Verfahren, die ihm sein übriges Wissen an die Hand gibt, neben der speziellen ihm vertrauten Behandlungsart nicht zu vernachlässigen hat.

Kapitel XXI. Spezielle Elektrotherapie.

Von der Elektrotherapie der Gehirnkraiikheiten.

§ 155. Die am häufigsten elektrotherapeutischer Behandlung zu- fallende Erkrankung des Gehirns ist die Läsion einer Hemisphäre, welche das Symptomenbild der Hemiplegie, der halbseitigen Läh- mung gesetzt hat. Es ist unnötig, an dieser Stelle auszuführen, dass der genannte Symptomenkomplex durch die verschiedensten patholo- gischen Prozesse zu Stande kommen kann: Blutungen, Embolien, Thrombosen, Neubildungen, direkte Verletzungen des Hirns etc. etc. sind im Stande, ein äusserlich fast gleich erscheinendes Krankheits- bild zu liefern. Noch bis heute ist nicht erwiesen, ob die durch Krankheit zerstörte Hirnsubstanz durch den konstanten Strom zu einer beschleunigteren Regeneration angeregt oder in derselben gefördert wird. Aber es ist bekannt, dass durch die plötzlich veränderten Cirkulations- und Druckverhältnisse im Innern der Schädelkapsel un- mittelbar nach einem apoplektischen Insult auch die nähere oder ent- ferntere Nachbarschaft eines Herdes in der freien Ausübung der Funktion, sei es durch ödematöse Durchtränkung des Gewebes oder durch sonst welche Verhältnisse gehemmt wird, bekannt auch, dass in Tagen oder Wochen nach einem derartigen Insult anfangs total gelähmte Körperteile ohne jedes weitere therapeutische Zutun allmählich ihre aktive Beweglichkeit wiedererlangen können.

Die Galvanisation des Hirns durch den Schädel könnte also wohl nur den Sinn haben, diese spontan vor sich gehenden Resorptionsvorgänge durch die sogenannten direkten oder indirekten katalytischen Wirkungen des konstanten Stroms beschleunigen zu helfen. Bedenkt man, welche eigentümlichen und meist sehr unan-

§ 155. Zentrale Behandlung hemiplegischer Zustände. 375

genehmen Wirkungen die sogenannte Galvanisation des Hirns auf ganz gesunde Menschen hervorbringen kann (S. 328), so liegt es auf der Hand, dass man in der Anwendung eines so mächtigen Mittels auf ein erkranktes Gehirn die grösstmöglichste Vorsicht und Sorgfalt wird anwenden müssen. Daher be- diene man sich nur schwacher Ströme und der möglichst feinsten Abstufungsmittel: der Gebrauch des Rheostaten und Galvanoskops ist unerlässlich.

Nur sehr langsam und allmählich steige man während der Sitzung mit der Stromstärke*), Stromeswendungen sind durchaus zu vermeiden, ebenso plötzliches Abheben oder Verschieben der Elektroden: wieder mit Hilfe des Rheostaten bringt man nach Beendigung der Sitzung ganz allmählich das kranke Gehirn aus dem Einfluss des galvanischen Stroms heraus. Die Meinungen der Autoren über den Nutzen einer galvanischen Behandlung bei materiellen Hirnläsionen (wenigstens bei denen, welche Hemiplegie im Gefolge haben), sind sehr geteilt: exakte Untersuchungen und Beobachtungen sind schwer anzustellen, und leider scheinen die seither bekannt gegebenen Resultate noch sehr von den individuellen Neigungen der einzelnen Elektrotherapeuten beeinflusst. Was die Art und Weise der Applikation der Elektroden, die An- Avendung der polaren Methode oder einer bestimmten Stromesrichtung entspricht, so hat man bis in die neueste Zeit hinein die stabile (d. h. bei unverrückbar feststehenden Elektroden vorzunehmende) Durchströmung des Kopfes entweder von der Stirn nach dem Nacken zu auf der Seite des Herdes (ohne besondere Berücksichtigung der Stromrichtung) oder eine quere Durchleitung entweder durch die Proc. mastoidei, wenn der Herd mehr in den hinteren Partien des Hirns, oder durch die Schläfengegend, wenn er nach vorn gelegen vermutet wurde, empfohlen. Nach dem, was oben (S. 327) über die neuesten Untersuchungen speziell Löwenfcld''s "^ mitgeteilt wurde, hätte man, je nachdem man die Blutfülle im Innern des Schädels zu vermehren oder zu vermindern beabsichtigt, den aufsteigenden (Anode Nacken Kathode Stirn) oder den absteigenden Strom anzuwenden, jedenfalls aber bei umschriebenem Sitz der Erkrankung diejenige

*) Die Stromstärke ist nach den Seite 226 gemachten Angaben zu bestimmen. Die Begriffe „schwacher, starker Strom" sind für den Elektrotherapeuten relative je nach den Regionen des Körpers, an welchen der Strom applizirt wird: für die Galvanisation des Gehirns und der Sinnesorgane würde ein Strom von 1—5 Milli- ampere ausreichen; indessen hat man auch hier die oft so eminent verschiedenen individuellefi Verhältnisse der Empfindlichkeit zu berücksichtigen.

376 Behandlung von Hemiplegien. Kap. XXI.

Applikationsweise zu wählen, durch welche der leidende Teil von den relativ stärksten Stroraschleifen getroffen wird. Auch bei der Quer- durchleitung des Stromes durch den Schädel soll man nach dem ge- nannten Autor der Indikation einer etwa erwünschten Vermehrung oder Verringerung der Blutfülle im erkrankten Hirnabschnitt durch richtige Polauswahl Rechnung tragen können: man soll die Kathode da anbringen, wo man die Cirkulationsvorgänge zu hemmen, die Anode da, wo man sie zu fördern suchen will. Die Zukunft wird lehren, ob diese Voraussetzungen durch die Tatsachen bestätigt werden. Neben der direkten Quer- oder Längsdurchströmung des Schädels (und von manchen Autoren fast gleichwertig damit erachtet) wird bei der Behandlung von Hirnleiden die Galvanisation am Halse (die früher sogenannte Sympathikusgalvanisation) empfohlen, offenbar in der Idee, durch diese indirekt katalytischen Wirkungen (vgl. S. 333 und S. 358) auf die Gefässlichtung im Hirn und den Hirnhäuten und damit auf die Prozesse der Resorption fördernd einzuwirken.

In welcher Weise bei der Galvanisation des Kopfes auch eine die Erregbarkeit bestimmter Hirnpartien direkt modifizirende Einwir- kung des Stromes, speziell seiner verschiedenen Pole, zu Stande kommend gedacht und therapeutisch verwertet wird, wird etwas weiter unten noch auseinandergesetzt werden.

§ 156. Noch zwei wichtige Punkte bleiben zu besprechen übrig:

1) wie lange soll man nach dem Eintreten des Hirnleidens warten, ehe man die centrale Galvanisation beginnt und

2) wie lange Zeit soll sie jedesmal angewendet werden. In Bezug auf den zweiten Punkt differiren die Ansichten der Autoren viel weniger, als in Bezug auf den ersten. Für die jedesmalige Sitzung genügt eine kurze, kaum über 3 4 Minuten auszudehnende Zeit: lehrt ja doch das Experiment, dass die am meisten geschätzte und für unser therapeutisches Denken, wenn man so sagen darf, am besten verwertbare Wirkung auf die Gefässe mit der Länge der Stromesdauer sich ändert resp. in das Gegenteil umschlägt. Dagegen sind nun die Autoren darüber durchaus nicht einig, ob man früh, etwa schon innerhalb der ersten Woche vom ersten Auftreten des Hirnleidens an mit der galvanischen Behandlung beginnen soll, oder erst später nach Ablauf einiger Wochen: ohne erst lange die ver- schiedenen Ansichten hier aufzählen zu wollen, glauben wir, wenig- stens was die galvanische Behandlung am Kopf betrifft, nach unsern Erfahrungen uns dahin aussprechen zu sollen, dass selbst' die mit

§ 156. Anwendung des Induktionsstroms bei Gehirnleiden. 377

allen den oben genannten Kautelen ausgeführte centrale galvanische Behandlung nicht vor Ablauf einiger Wochen (5 6) begonnen wer- den möge.

Verhält es sich nun, so wird man fragen, mit der Anwendung des faradischen Stroms ebenso, und soll man überhaupt den unterbrochenen Strom zur Behandlung der Hemiplegien heranziehen?

Ob von dem Induktionsstrora direkte Einwirkungen auf die Heilungsvorgänge und pathologischen Zustände im Innern der Schädel- kapsel überhaupt zu erwarten seien, kann nach dem, was oben S. 327 darüber gesagt ist, jedenfalls noch als zweifelhaft betrachtet werden: es könnte sich also, wenn überhaupt von einem Einfluss der Fara- disation auf die Vorgänge im Hirn die Rede sein soll, nur um die (Seite 344) schon erwähnten reflektorischen Wirkungen auf die Ge- fässe der Hemisphäre handeln, wenn grössere Partien der Körper- oberfläche Einwirkungen des unterbrochenen Stroms ausgesetzt werden. Einige Beobachtungen Vulpian's^^^ und Rumpfs^'" über die Heilung bezw. Besserung, die sie bei cerebralen Hemianästhesien und Con- gestivzuständen des Hirns erzielt haben, ermutigen dazu, in gleicher Weise vorzugehen. Abgesehen aber davon erreicht man durch die Faradisation der gelähmten und dem Willenseinfluss entzogenen Glieder, dass die Ernährung der gelähmten Muskeln befördert und einer später vielleicht eintretenden Inaktivitätsatrophie vorgebeugt wird. Zweckentsprechend werden mit der Faradisation passive üebun- gen verbunden, um der in nicht allzu langer Zeit sich in den Ge- lenken der gelähmten Extremitäten ausbildenden Schmerzhaftigkeit entgegen zu wirken. Ohne hier näher auf das Wesen dieser Gelenk- veränderungen eingehen zu wollen, erinnern wir nur daran, dass es hauptsächlich das Schultergelenk ist, in dem sich derartige konsekutive Entzündungsprozesse ausbilden. Man benutze auch hier, wenigstens zu Anfang, nur schwache Ströme: besonders gilt dies für die Fara- disation des gelähmten Facialisgebiets. Die Individualität des Kranken und sein Allgemeinzustand sind stets zu berücksichtigen. Das leb- hafte Spiel der Muskeln der so lange gelähmt, schlaff, kühl und vielleicht ödematös herabhängenden Extremitäten versetzt die meisten Kranken, wenigstens zu Anfang, in die lebhafteste und freudigste Aufregung: sei es nun dieser günstige psychische Einfluss oder wirk- lich uns noch unbekannte, reflektorisch oder direkt auf die molekulare Struktur der erkrankten Teile ausgeübte Wirkungen, man sieht in der Tat oft schon nach wenigen Sitzungen die Beweglichkeit der ge- lähmten Glieder sich bedeutend bessern. Da in der Mehrzahl aller

378 Faradisclie Behdlg. v. Hemiplegien. Erregbark. -Vorliältn. b. solchen. Kap. XXI.

Fälle von Hemiplegie die Beweglichkeit der unteren Extremität eher wiederkehrt, als die der oberen, so hat man es bei der Faradisation Hemiplegischer meist mit den oberen Extremitäten zu tun und auf die Schultermuskulatur, den Deltoideus, den Triceps, die Hand- und Fingerextensoren an der Rückseite des Vorderarms, sowie auf die Mm. interossei für jeden Abschnitt etwa 1 2 Minuten, den Strom zu richten. Was die Unterextremitäten betrifft, so kann hier das Gebiet des N. cruralis, sowie das des Ischiadicus in ähnlicher Weise der Reihe nach vorgenommen werden. Auf die Beuger des Hüftgelenks direkt durch faradische Reizung einzuwirken, ist leider nicht möglich, man kann hier den konstanten Strom so anwenden, dass man z. B. einen Pol (meist die Anode) auf die untersten Brustwirbel, den anderen in der Schenkelbeuge aufsetzt und längs den Nerven und Muskeln der unteren Extremität hin und her führt (labile Anwendung des konstan- ten Stroms: vgl. S. 364). Diese Methode der labilen peripherischen Behandlung mit dem konstanten Strom kann man abwechselnd mit der Applikation faradischer Ströme einer etwa vorangegangenen zen- tralen Behandlung in derselben Sitzung folgen lassen.

§ 157. Es sei gestattet, an dieser Stelle die wichtige Tatsache zu konstatiren, dass bei den von Strukturveränderungen des Grosshirns abhängenden Hemiplegien die elektrische Erregbarkeit der gelähmten Nerven und Muskeln im Wesentlichen keine Veränderungen erleidet. So lange diese Teile in ihrer Struktur intakt geblieben sind (und es kommen derartige Veränderungen, sei es durch trophische Störungen in Folge langer Ruhe oder durch anderweitige spätere sekundäre Pro- zesse meist erst Jahre nach dem Eintritt des Insults zu Stande), so lange bleibt auch die Reaktion auf die elektrische Reizung mit beiden Stromesarten unverändert. Es fehlen jedenfalls noch exakte Unter- suchungen, welche mit Berücksichtigung aller möglichen Fehlerquellen angestellt, die von einigen Autoren behauptete Steigerung resp. die Abnahme der Erregbarkeit der gelähmten Teile un widerstreitbar dartun. Handelt es sich dagegen um intracranielle basale Prozesse, durch welche einzelne Hirnnerven nach ihrem Austritt aus den zentralen Ursprungsstätten (Ganglien-Kernen) kömprimirt und gelähmt werden können, oder sind die Nervenkerne motorischer Hirnnerven (bei Affek- tionen der Brücke, des verlängerten Markes z. B.) selbst Sitz patho- logischer Prozesse, so können im Bereiche dieser Nerven, ganz so wie bei schweren peripherischen Lähmungen die Reaktionen der vollstän- digen oder partiellen Entartung erhalten werden. ^'^

§ 157, 158. Bulbärparalyse; deren Behandlung. 379

Verbreitet sich schliesslich in ganz seltenen Fällen (wie es neuer- dings einigemale2i2 beschrieben ist) die sekundäre absteigende Degene- ration der Pyramidenseitenstrangbahnen im Querschnitt des Rücken- marks auf die grauen Vordersäulen, so kann es auch an den Nerven und Muskeln der Extremitäten zu wirklichen jetzt von der Rücken- marksläsion abhängigen Atrophien und den pathologischen elektrischen Reaktionen kommen.

Beide Behandlungsmethoden, die sogenannte zentrale (mit dem galvanischen Strom) und die peripherische (mit beiden Stromesarten, vorwiegend mit dem faradischen), können, wie schon erwähnt, zweck- entsprechend kombinirt werden. Nach etwa 8—12 wöchentlicher und pro Woche 3 4 mal angewandter derartiger Behandlung wird oft viel erreicht: sieht man nach dieser Zeit keinen weiteren Vorteil aus der elektrischen Behandlung für den Patienten erwachsen, so stehe man weiterhin davon ab oder mache wenigstens eine mehrmonatliche Pause bevor man aufs Neue beginnt.

§ 158. Zu denjenigen Gehirnkrankheiten, welche sich für die elektrotherapeutische Behandlung am meisten eignen, insofern von den zuverlässigsten Autoren Besserung des Leidens, temporärer Stillstand desselben, ja in einzelnen vielleicht hierher gehörigen Fällen sogar Heilung beobachtet worden ist, gehört die von Duchenne-Wachs- rauth zuerst beschriebene chronische Nervenkernerkrankung in der Med obl.: die Paralysie labio-glosso-laryngee oder die Bulbärparalyse. Man setze beide Elektroden eines massig starken konstanten Stroms (2—6 M. A.) an die Proc. mastoidei und lasse unter Benutzung des Rheostaten den Strom 1 —2 Minuten erst in der einen, sodann in der anderen Richtung durchgehen: man kann die Galvani- sation des Hals- und Brustmarks bezw. die des Sympathikus folgen lassen. Besonderer Wert wird von Einigen auf die Auslösung von Schlingbewegungen gelegt, die man bei Applikation der Anode in den Nacken, der Kathode vorn am Kehlkopf durch Schliessen des Stromes, noch kräftiger durch Wendungen desselben auslöst.

Daneben kann man durch schwache Faradisation die paretischen und atrophischen Muskeln des Gesichts, der Zunge, des Gaumens, des Schlundes zu kräftigen versuchen: die elektrische Erregbarkeit der be- treffenden Gebiete bleibt lange Zeit qualitativ unverändert und ver- ändert sich nur entsprechend der allmählich eintretenden Atrophie der Zungen- und Gesichtsmuskulatur; neuerdings ist das Vorkommen der Entartungsreaktion im Bereiche der atrophirenden Muskulatur bei

380 Elektrotherapeutische Behanrllung- der Psychosen. Kap. XXI.

direkter Reizung mittelst des galvanischen Stroms mehrfach beob- achtet worden 2'^.

§ 159. In Bezug auf die Verwendbarkeit der Elektrizität zur Behandlung psychischer Krankheiten sind die wirklichen Erfahrun- gen bis heute noch zu dürftig, als dass schon jetzt ein endgiltiges Urteil abgegeben werden könnte. Bei den Erkrankungen, welchen greif- bare, besonders (chronisch) entzündliche Veränderungen der Hirnhäute und der Hirnoberfläche zu Grunde liegen, kann man durch zentrale Galvanisation, wenn die Erkrankung noch nicht zu weit vorgeschritten, Vorteile erwarten, wie sie in der Tat von Hitzig^^^ und Arndt^^"' durch die Galvanisation der Hinterhaupt-Nackengegend bei beginnen- der Dementia paralytica gegen die Sprachstörungen erzielt worden sind. Arndt liess übrigens die Elektrizität nicht auf den Kopf, son- dern auf das Rückenmark und die Nerven und zwar in absteigender Richtung einwirken. Andere, wie Mendel-^*', hatten indess durch- aus nur negative Resultate zu verzeichnen. Auch mag es möglich sein, bei den sogenannten Reflexpsychosen durch die Einwirkung der Elektrizität (vorwiegend des galvanischen Stroms) auf etwaige peri- pherische Krankheitsherde (Schmerz und andere Sensationen unter- haltende Narben z. B.) auf den Verlauf des Leidens wohltätig einzuwirken. Weniger ausgesprochen sind die Einwirkungen des gal- vanischen Stroms auf diejenigen Psychosen, die wenigstens in ihren Anfangsstadien eher auf abnorme Zirkulationsverhältnisse im Gehirn, als auf palpable pathologische Veränderungen zurückgeführt werden, wie die Melancholie oder die Manie. Ganz im Allgemeinen kann man sagen, dass, insofern Schlaf ein für viele Geisteskranke im höchsten Grade zu erstrebendes und wohltätiges Beruhigungsmittel ist, die bei der vorsichtigen Hirngalvanisation in vielen Fällen eintretende Müdig- keit und Schlafsucht, als höchst zweckmässiges und den Narkoticis bei weitem vorzuziehendes Mittel in Anwendung zu ziehen ist. Auch in Bezug auf die Bekämpfung einzelner krankhafter Erscheinungen von Seiten der Sinnesorgane (Hallucinationen des Gehörs namentlich) hat sich der konstante Strom und zwar die möglichst nahe Applizirung des positiven Pols, der Anode, an das erkrankte Organ in den Hän- den einzelner Psychiater (Fisch er 2^^, Buch 2^^, Jolly^^^) wohltätig erwiesen. Länger bekannt schon ist die stimulirende und erregende Wirkung der Faradisation, besonders der Erregung der Hautnerven mittelst des faradischen Pinsels bei Depressionszuständen (wie Melan- cholie, Stupor); hier wäre wohl auch die „allgemeine Faradisation

§ 159, 160. Cerebrale Anästhesien, posthemiplegische Bewegungen. 381

oder Galvanisation« angezeigt, welche in der Tat neuerdings von Fisch er --° mit gutem Erfolg bei einem Falle schwerer Melancholie angewandt worden ist.

Die Erfahrungen in diesem Zweig der Elektrotherapie sind bis jetzt noch nicht zahlreich und widerspruchsfrei genug, um ein defini- tives Urteil üher den Wert oder die Nutzlosigkeit dieser Behandlungs- methode bei psychischen Krankheiten zu ermöglichen: die Vermeh- rung unseres Wissens wird aber gewiss eher von den Anstaltsärzten als von dem praktischen Arzt erwartet werden dürfen.

Einen derartigen Bericht hat nun auch in jüngster Zeit Tigges*^^ (Sachsenberg) veröffentlicht. Durch Galvanisation des Sympathikus, des Kopfes, der Wirbelsäule (Rückenmarks) und der peripherischen Nerven hat dieser Autor bei verschiedenen Geisteskranken auf die Her- beiführung von Schlaf, auf die Beseitigung mannigfacher unangenehmer Sensationen am Kopf, wie an Rumpf und Gliedern (Kopfdruck, Schmer- zen, Druckempfindung in der Herzgrube etc.j wohltätig eingewirkt. Bei Melancholischen konnte er oft nach kurzer Einwirkung des kon- stanten wie des induzirten Stromes eine Lösung der motorischen Hemmung und ein Freierwerden der Gedanken konstatiren. Ohren- sausen (und Gehörshallucination) , manchmal auch Gesichtshalluci- nationen minderten sich und schwanden wohl auch bei fortgesetzter Behandlung dauernd. Eine besondere Pol Wirkung hat Tigges nicht lionstatiren können: jedenfalls aber rät er, nur stabile (nicht labile) Ströme und solche von geringer Stärke (bis höchstens 1 2 M. A.) und jedesmal nur kurze Zeit (1 2 Minuten) anzuwenden.

§ 160. Als Begleitsymptome der motorischen Hemiplegien oder als Folgekrankheiten sich ihnen anschliessend werden nicht selten Lähmungen sensibler Nerven (Anästhesien) und abnorme, unwillkühr- liche Bewegungen in den paretischen Gliedern beobachtet, die unter verschiedenem Namen von den verschiedenen Autoren beschrieben worden sind (an Paralysis agitans erinnernde Bewegungen, halbseitige Athetose etc.). Li Bezug auf die Behandlung cerebraler Hemianästhe- sien verweisen wir auf das S. 347 Gesagte: die Behandlung der anderen genannten pathologischen Erscheinungen übt man mittelst „zentraler Galvanisation*' in dem Sinne aus, dass man in die Nähe des die abnormen Bewegungen unterhaltenden Herdes an die Schläfen-' oder Hinterohrgegend die Anode applizirt, in der Idee, durch ihre die Erregbarkeit herabsetzende Wirkung einen beruhigenden Einfluss aus- zuüben.

382 Symptomatische Behandlung bei Hirnleiden. Kap. XXI,

Endlich handelt es sich bei vielen organischen und als unheilbar e]-kanuten Hirnkrankheiten um rein symptomatische Wirkungen, die man durch die zentrale Galvanisation erzielen kann, lieber das ein- tretende Schlaf bedürfniss ist schon gesprochen: ebenso wie die Schlaf- losigkeit und Unruhe können nun aber auch Schmerzen im Kopf, Schwindelerscheinungen, Ohrensausen etc. bekämpft werden; die Be- seitigung derartiger Symptome trägt, trotz Fortbestehens des Grund- leidens, in vielen Fällen nicht wenig dazu bei, die oft unerträglichen Leiden derartiger unglücklichen Kranken wenigstens zeitweitig zu lindern.

Kapitel XXII. Von der Elektrotherapie der Rückenmarkskrankheiten.

§ 161. Neben den Erkrankungen des Gehirns sind es beson- ders diejenigen des Rückenmarks, welche häufig durch eine elektro- therapeutische Behandlung einer Besserung, wenn nicht Heilung zu- geführt werden können. Man kann in Bezug auf die hier in Betracht kommenden Verhältnisse füglich die akuten Erkrankungen von den chronischen und die diffus das ganze Mark betreffenden von den zirkumskript und in Herden auftretenden trennen. Akute Myelitiden^ die in kurzer Zeit zu höchster Entwickelung gelangend durch die voll- kommene Zerstörung der befallenen Partien absolute Lähmungen der Motilität und Sensibilität, schwere trophische Störungen, Dekubitus, Harnverhaltung und ihre Folgen (ürinzersetzung, diphtheritische Pro- zesse auf der Blascnschleimhaut und noch weiter hinauf bis zu den Nieren hin) herbeiführen, fallen kaum je der Behandlung der Elektro- therapeuten anheim; ebensowenig sind die akuten Verletzungen des Rückenmarks durch Wirbelbruch oder Luxation, wenigstens für die ersten Wochen (wenn überhaupt der Kranke am Leben bleibt), Gegen- stand einer elektrischen Behandlung. Natürlich kann die Applikation beider Stromesarten (als von hohem wissenschaftlichen Interesse) in Anwendung gezogen werden, um über die Erregbarkeitsverhältnisse d«r gelähmten Nerven und Muskeln Klarheit zu verschaffen: die etwaigen elektrotherapeutischen Bestrebungen müssen vor der Allge- meinbehandlung, oft auch vor der absoluten Unmöglichkeit, ohne Schädigung des Kranken an den eigentlichen Locus morbi hingelangen zu können, in den Hintergrund treten.

§ 162. Aus der grossen Gruppe akuter myelitischer Prozesse hat nun aber die Neuzeit einige auszusondern gelehrt, welche in um- schriebenen Herden auftretend meist nur ganz bestimmte Territorien

384 Akute atrophische Spinallähmungen. Kap. XXII.

des Marks befallen; als Paradigma derselben kann die sogenannte spinale Kinderlähmung gelten. Es ist hier nicht der Ort, auf die Pathologie dieser Erkrankung näher einzugehen: nur das sei hervor- gehoben, dass es sich pathologisch anatomisch in der Mehrzahl aller hierher zu rechnenden Fälle um umschriebene, durch akute Entzün- dung herbeigeführte Beeinträchtigung resp Zerstörung vornehmlich von grauer Substanz der Vordersäulen, besonders bestimmter Strecken der- selben in der Hals- oder Lendenanschwellung, handelt. Als charak- teristisches Kennzeichen dieser Lähmung ergibt sich für die elektrische Untersuchung (wir betonen noch einmal, dass weitere klinische Ausein- andersetzungen an anderen Orten gesucht werden müssen) die schon nach kurzer Zeit (nach 5 6 Tagen) zu beobachtende Herabsetzung resp. das vollkommene Aufhören der faradischen Erregbarkeit der gelähm- ten und bald der Atrophie verfallenden Muskeln (Duchenne^) und der Nerven. Bei der Untersuchung mit dem galvanischen Strom findet man oft bei vollkommenem Schwund der faradischen Erregbarkeit eine erhaltene direkte galvanische Erregbarkeit (Salomon^-'), welche durchaus die Eigentümlichkeit der oben S. 288 ff. auseinandergesetzten „Entartungsreaktion" zeigt. Die vielleicht anfangs beobachtete er- höhte direkte galvanische Erregbarkeit sinkt recht bald wieder ab und kann bis auf schwache träge Zuckungen, die durch den Kathoden-, meist aber mehr durch Anodenschluss bei Anwendung hoher Strom- stärken erzielt werden, ganz verschwunden sein.

Es ist bekannt, dass an einem Gliede (Arm, Bein) die verschie- denen Abschnitte (Oberarm, Unterarm, Oberschenkel, Unterschenkel), ja sogar die verschiedenen Muskelgruppen derselben Abschnitte in ganz verschiedener Weise affizirt sein können: einzelne Muskeln ver- lieren ihre Erregbarkeit innerhalb acht Tagen völlig, andere zeigen nur eine erhebliche Herabsetzung ihrer faradischen und galvanischen Erregbarkeit, andere bleiben ganz frei.

Wenn man, wie anfangs betont ist, überhaupt bei einer erstmali- gen elektrischen Exploration vorsichtig und milde verfahren muss, so ist das, wie das hier ausdrücklich hervorgehoben werden soll, für die Kinderpraxis von ganz besonderer Bedeutung: nach unseren Erfahrun- gen ertragen selbst kleine Kinder (bis zu 2 oder 3 Jahren) einen stärkeren faradischen Strom mit weniger Widerwillen, als einen selbst schwachen konstanten. Andererseits ist hervorzuheben, dass die Kon- statirung der oben erwähnten elektrischen Verhältnisse gerade bei Kindern ungemeinen Schwierigkeiten begegnet, die in dem ungeberdi- gen Benehmen derselben, dem Vorhandensein des meist sehr ausge-

i

§ 162. Akute atrophische Spinallähmung der Kinder. 385

bildeten Fettpolsters und der dadurch undeutlich werdenden Beobach- tung der Zuckung einzelner Muskeln ihre Begründung jSnden.

Die Behandlung besteht zunächst in einer Galvanisation des Rückenmarks bei direkter Applikation der Elektroden auf die Proc. spinosi der Wirbel oder dicht an die Seiten der letzteren. Die Ab- sicht ist, durch die „kataly tischen Strom Wirkungen" den Krankheits- herd direkt zu beeinflussen. Die Methoclen variiren: einige setzen die eine Elektrode aaf das Rückgrat an die Stelle der Erkrankung (Nacken Lendenteil), meist die Anode, die Kathode an die gelähm- ten Extremitäten, andere bringen die Kathode an die der erkrankten Markpartie entsprechende Stelle der Wirbel und setzen die Anode entweder ebenfalls an eine indifferente Stelle des Rückens oder der vorderen Rumpffläche auf: nach einer Stromesdauer von 3 5 Minuten wird dann die Stromesrichtung gewechselt. Die Stromstärke wird bei Kindern immer eine massige bleiben müssen, 4 6 oder 8 der ge- bräuchlichen Siemens' sehen Elemente genügen wenigstens für den Anfang durchaus. Man kann diese „zentrale" Behandlung erfah- rungsgemäss ohne Schaden schon innerhalb der ersten Wochen nach der Erkrankung in Anwendung ziehen und sie mit der peripherischen Behandlung in dem Sinne verbinden, dass der eine Pol (Anode) in der Höhe der erkrankten Markpartie am Rücken bleibt, während man mit der Kathode „labil" über die gelähmten Muskelpartien hinstreicht resp. Volta'sche Alternativen anwendet, wobei zweckentsprechend auch der eine Pol auf den Nervenstamm, der andere auf die gelähmten Muskeln aufgesetzt wird. Wie oben erwähnt haben nicht immer alle Muskeln eines Gliedes ihre faradische Erregbarkeit ganz eingebüsst: diese Teile kann man daher mit faradischen Strömen zur Kontraktion zu bringen versuchen, ein Verfahren, welches bekanntlich Duchenne überhaupt nur bei der Behandlung der Kinderlähmungen und nach seinem Ausspruch mit Erfolg in Anwendung gezogen hat.

Um die Kinder nicht zu sehr zu ermüden und anzustrengen, dehne man die einzelne Sitzung nicht zu lange aus und vermeide die tägliche Behandlung: eine 3 4 malige Applikation des Stromes innerhalb einer Woche ist genügend.

Darin sind alle Beobachter und die behandelnden Aerzte gerade dieser Affektion einig, dass die elektrische Therapie zwar mit Unter- brechungen (3 4 wöchentliche Pausen nach etwa 6 -8 wöchentlicher Behandlung) aber im Ganzen konsequent Monate und Jahre hin- durch fortgeführt werden muss.

Durch die Ungeberdigkeit der kleinen Kranken, durch die anfangs

Rosenthal u. Bernhardt, Klektrizitiitslehre. lU. AuH. 25

386 Atrophische Spinallähmung Erwachsener. Kap. XXII.

oft geringen, kaum sichtbaren Erfolge der Behandlung wird die Geduld des Arztes und der Eltern auf eine harte Probe gestellt: am ehesten gewinnen diejenigen Muskeln allmählich ihr normales Ver- halten wieder, welche ihre faradische Erregbarkeit überhaupt nicht ganz verloren hatten: sodann aber kommt es vor, dass trotz herab- gesetzt bleibender faradischer Erregbarkeit die willkürliche Bewegung fast vollständig wiederhergestellt wird (vgl. S. 301). Eine erst viele Monate oder gar Jahre lang nach dem Beginn der Erkrankung einge- leitete Behandlung ist meist erfolglos: aber auch die zweckentsprechend und früh unternommenen elektrotherapeutischen Maassnahmen bleiben in nicht wenigen Fällen weit hinter den Erwartungen des Arztes und den Hoffnungen der Eltern zurück.

§ 163. Im Anschluss an die „spinale Lähmung der Kinder" be- sprechen wir die gleichfalls erst in der Neuzeit als besonderes Leiden erkannte und gleichfalls auf zirkumskripte rayelitische Prozesse in den grauen Vordersäulen des Marks zurückgeführte akut resp. chronisch auftretende spinale atrophische Lähmung der Erwachsenen (Poliomyelitis antica acuta, chronica). Wieder verzichten wir auf eine Darstellung der klinischen und pathologisch anatomischen Einzelheiten: das Wesentliche in Bezug auf die hier interessirenden Fragen ist die Tatsache, dass auch hier, wie bei der Kinderlähmung, die elektrischen Erscheinungen und ihr Ablauf im Wesentlichen denen gleichen, wie man sie für die sogenannten schweren peripherischen Lähmungen giltig kennen gelernt hat 'oo (vgl. oben S. 299). Ja es haben sich gewichtige Stimmen in der Litteratur sogar dafür ausgesprochen, dass es sich in manchen dieser als atrophische Lähmungen Erwachsener be- schriebenen Fälle überhaupt nur um multiple , die Integrität schwer beeinträchtigende entzündliche und zur Degeneration führende Prozesse peripherischer Nerven gehandelt habe. Man verbinde daher auch hier die zentrale Rückenmarksgalvanisation mit der peripherischen Behand- lung. Die Stromstärken können natürlich bei den Erwachsenen be- deutendere sein (meist werden zwischen 15 und 30 Elemente [bis zu 10 und 15 M. A.] in Anwendung gezogen) als bei Kindern: die Pole werden in nächster Nähe der vermuteten Krankheitsherde am Nacken oder in der unteren Brust- und Lendengegend applizirt, meist die Kathode, aber auch wechselnd mit der Anode, wobei die Richtung des Stromes gleichgiltig ist. Mit dieser zentralen Durchströmung des Marks wird die peripherische galvanische Behandlung so verbunden, dass, während ein Pol an den Wirbeln auf dem Krankheitsherde bleibt, der

§ 163, 164. Atrophische Spinallähaiungen. 387

andere (meist die Kathode) auf die Fossa supraclavicularis entweder, oder in die Schenkelbeuge, resp. in den Raum zwischen den Troch. maior und Tuber ischii aufgesetzt und stabil dort eine Zeit lang gehalten wird, oder dass man mit der Kathode längs der Nerven und Muskeln der gelähmten Glieder (labil) hin und her fährt resp. Wendungen vornimmt.

Auch bei der Behandlung der akuten oder chronischen atrophischen Spinallähmung bei Erwachsenen, welche chronische Form, wie eine in neuester Zeit mitgeteilte Beobachtung Erb's'*'^^ lehrt, auch im Kiudesalter angetroffen werden kann, ist Ausdauer und Geduld von Seiten des Arztes und des Kranken erforderlich: indess sind unseren Erfahrungen nach in vielen Fällen die Erfolge oft günstigere, als, die, welche man mit denselben Methoden der Behandlung bei der Kinder- lähmung erzielt. Namentlich kehrt die aktive Beweglichkeit oft lange vor der normalen elektrischen Erregbarkeit zurück und erhält sich die indirekte galvanische Erregbarkeit auch da (wenigstens in manchen Fällen), wo die faradische kaum noch Spuren von Reaktion entdecken lässt. Kehrt nach einer gewissen Zeit die Erregbarkeit der gelähm- ten Muskeln für den Induktionsstrom zurück, so wird man zweckent- sprechend auch diesen in Anwendung zu ziehen haben. Die Behand- lung (auch die zentrale) kann schon früh begonnen werden, die Dauer der einzelnen Sitzungen variirt von 6 15 Minuten, die Anzahl der- selben pro Woche von 3 5. Nach mehrwöchentlicher Behandlung ist auch hier eine Pause von 2 3 Wochen eher von wohltätigem Einfluss auf den Verlauf des Leidens.

Es ist auch wichtig, an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, dass gerade bei den soeben besprochenen Affektionen der Kinder und Erwachsenen eine anscheinend schwere Lähmung (einher- gehend mit enormer Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit der gelähmten Nerv-Muskelgebiete, mit Entartungsreaktion etc.) in relativ kurzer Zeit (3 5 Monaten) trotz des teilweisen Fortbestehens der elektrischen Anomalien und der Muskelatrophie zur Heilung gelangen kann. Man sei daher bei der Stellung der Prognose nach dieser Richtung hin vorsichtig: derartige „temporäre" Lähmungen aus- zuschliessen ist also erst, nachdem Monate ohne besondere Besserung vorübergegangen sind, gestattet. -'"

§ 164. Im Anschluss an die Behandlung dieser atrophischen (spinalen) Lähmungen Erwachsener möge die Besprechung der Elekto- therapie einiger Erkrankungsformen hier eine Stelle finden, die nach

25*

388 Bleilähmungen. Kap. XXII.

dem Urteil nicht weniger und gewichtiger Autoren in gleicher Weise auf eine Erkrankung der grauen Vordersäulen des Marks, speziell der multipolaren grossen, motorisch- tropiiischen Ganglienzellen in ihnen zurückzuführen sind. Zwar ist die Pathologie der Bleiläh raun gen auch heute trotz aller Sorgfalt der Beobachter nicht so weit aufge- klärt, dass die Behauptung, es bei ihr mit einer RückenmarksafFek- tion im obigen Sinne zu tun zu haben, allgemeine Giltigkeit erlangt hätte; nicht wenige Autoren leugnen bekanntlich den primären mye- litischen Ursprung dieser Lähmungen und führen sie vielmehr auf eine Schädigung der peripherischen Nerven oder ihrer Endigungen in der Muskulatur zurück. Auch über diese Fragen suche man nicht hier, sondern in den speziellen Lehrbüchern der Nervenkrankheiten Auf- schluss. Feststeht, dass die gemeinhin sogenannte im Laufe der chronischen Bleiintoxikation auftretende Bleilähmung in der über- wiegenden Mehrzahl der Fälle das Extensorengebiet der Hände und Finger am ehesten und intensivsten betrifft: andere, als dem N. radialis zugehörige Muskelgebiete (die kleinen Muskeln der Hand und der Finger, die Beuger, die Oberarmmuskulatur und die der unteren Extremitäten) werden meistens erst in zweiter Linie oder nur in den seltenen Fällen ganz schwerer allgemeiner Lähmungen betroffen. Abgesehen von der eigentümlichen Gruppirung der Lähmung in Bezug auf die einzelnen Muskeln (wir erinnern nur an das Freibleiben der Mm. supinatores, oder an die Lähmung funktionell zusammengehöriger Muskeln wie des Deltoideus, Biceps, Brachialis internus und Supinator longus etc. etc.) finden sich elektrisch ganz bestimmte Merkmale, welche die Bleilähmung der Extensorenmuskeln z. B. von Kadialis- lähmungen anderen Ursprungs zu unterscheiden gestatten: der Verlust faradischer Erregbarkeit geht meist der der aktiven Beweglichkeit parallel: in verschiedenem Grade sinkt resp. erlischt die faradische direkte und indirekte Erregbarkeit für die verschiedenen, demselben Gebiet angehörigen Muskeln: ganz frei bleiben meist die Mm. supi- natores und der Triceps (anconeus); am intensivsten betroffen wird gewöhnlich der Extensor dig. communis.

Untersucht man früh genug nach Eintritt der Lähmung, so ge- lingt es oft, an den bleigelähmten Muskeln die ganze Summe der die Entartungsreaktion ausmachenden Erscheinungen nachzuweisen: hin und wieder finden sich auch Fälle, welche durchaus als sogenannte Mittelformen von Lähmungen in dem oben (S. 295 u. 301) auseinander- gesetzten Sinne aufzufassen sind. In späteren Stadien sind diese Ver- hältnisse nur undeutlich nachweisbar: meist findet man dann die ver-

§ 164, 165. Bleilähraungen. 389

nichtete oder sehr verminderte faradische indirekte und direkte Erreg- barkeit neben den bei direkter galvanischer Reizung und Anwendung hoher Stronastärken oft nur bei Anoden- eventuell auch bei Kathoden- schluss zu erzielenden schwachen, trägen Zuckungen. In seltenen Fällen wird auch bei der Bleilähmung gerade so wie in einzelnen Fällen akuter atrophischer Lähmung Erwachsener (die unabhängig von ßleiintoxikation aufgetreten sind) das auffallende Verhalten einzelner Muskeln angetroffen, welche aktiv frei beweglich, in keiner Weise gelähmt, dennoch die ausgesprochenste Entartungsreaktion zeigen (Erb'o^ Bernhardt '03 etc.).

Wie bei der atrophischen Spinallähmung Erwachsener kombinire man bei der Behandlung Bleigelähmter die zentrale Galvanisation des Rückenmarks (speziell des Halsteils desselben) mit der peri- pherischen Behandlung der Nervenplexus, Nerven und Muskeln; im Grossen und Ganzen sind die Resultate sogar bei solchen seltenen Fällen, die anfangs unter den Erscheinungen der allgemeinen Blei- intoxikation als ungemein schwere sich darstellten, günstige zu nennen : oft kehrt die aktive Beweglichkeit schon zurück, Avährend die elek- trischen Erregbarkeitsverhältnisse noch ganz bedeutende Abweichungen vom gesunden Zustande erkennen lassen. In einzelnen Muskeln findet man auch wohl nur eine einfache Herabsetzung der elektrischen Er- regbarkeit, ohne dass Entartungsreaktion nachzuweisen wäre: wie oben schon erwähnt, leistet dann auch der faradische Strom, die Ein- wirkungen des galvanischen ergänzend, seine guten Dienste. Wie in allen solchen Fällen (vgl. das oben bei der Kinderlähmung und der atrophischen Lähmung Erwachsener Gesagte) sei die Behandlung eine andauernde, und über Monate hinaus fortgesetzte.

Neben diesen Fällen mehr akut oder subakut auftretender, atro- phischer Lähmungen sind nun auch chronische Formen unter dem Namen der Poliomyelitis anterior chronica beschrieben worden (S. 387), bei welchen sich das elektrische Verhalten der gelähmten Muskeln und der zugehörigen Nerven im Ganzen ebenso darstellt, wie bei den akuten Formen, nur dass eben der Verlauf ein lang hinge- zogener, chronischer ist. Die Behandlung mittelst der Elektrizität hat dieselben Prinzipien zu befolgen, wie sie für die vorher be- schriebenen Erkrankungsformen gelten.

§ 165. Auch die »progressive Muskelatrophie" gehört in den Kreis dieser Betrachtungen. Wieder haben wir hier zu kon- statiren, dass es uns nicht am Platze erscheint, weitläufig die An-

390 Progressive Muskelatrophie. Kap. XXII.

sichten der verschiedenen Autoren zu diskutiren, ob der Ausgangs- punkt der Erkrankung in einer chronisch verlaufenden und zur Atrophie der grossen Ganglienzellen führenden Aifektion der grauen Vorder- säulen des Marks zu suchen sei, oder ob es sich vielmehr um eine primäre Erkrankung der Körpei'muskulatur handele, an die sich ein Leiden der Nerven, Nervenwurzeln und' des Rückenmarks erst als sekundärer Prozess anschliesst.

Faktisch sinkt mit der Abnahme der Muskelraassen auch deren elektrische Erregbarkeit bei direkter und indirekter Reizung; von einigen Autoren, so besonders von Erb '02^ wird in neuerer Zeit be- tont, dass man bei sorgfältigster Untersuchung in einzelnen Muskeln auch Entartungsreaktion nachweisen könne*): da aber zwischen den degenerirenden Fasern immer eine gewisse Anzahl gesunder Pasern übrig bleibe, so können diese sehr leicht die faktisch für einzelne Fasern zu beobachtende Entartungsreaktion verdecken. Gerade bei der progressiven Muskelatrophie sind übrigens in Bezug auf die Reak- tionen von Nerv und Muskel gegen elektrische Reize ganz eigentüm- liche Verhältnisse beobachtet worden (vgl. Seite 300, Anmerkung). Zu den an der oben bezeichneten Stelle erwähnten selteneren Reak- tionen gehört auch das neuerdings wieder von Erb^-^ betonte Ver- halten, dass verschiedene Nervenstrecken des gleichen Nerven eine verschiedene Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit zeigen können, so weit gehend, dass z. B. für den N. medianus oder ulnaris die Erregbarkeit am Ellenbogen noch eine relativ gute sein kann, wäh- rend sie am Handgelenk schon erloschen ist. (Ueberwiegen noch er- regbarer Fasern in den centraler gelegenen Nervenabschnitten.)

Je nach ihren theoretischen Anschauungen empfehlen die Autoren entweder allein die Anwendung des faradischen Stroms oder des kon- stanten. Am besten werden beide Behandlungsarten kombinirt. Die centrale Galvanisation des Rückenmarks wird von einigen mit der des „Sympathikus« verbunden: Dabei ruht eine Elektrode am Hals- sympathikus, die andere am Nacken: dazu kommt dann die peripherische Galvanisation, indem bei feststehender einer Elektrode am Rücken (Nacken) die antrere erst stabil, dann labil auf den Plexus, die Nerven und Musköln selbst applizirt wird. Bei der Anwendung von Induktionsströmen muss ausdrücklich vor zu starken Strömen gewarnt werden; die an sich erkrankten Muskeln können durch Ueberreizung

*) Auch wir haben derartiges in den in letzter Zeit uns zur Beobachtung gekommenen Fällen wahrgenommen. Vgl. die Beispiele am Schluss.

§ 165, 166. Pseudohypertrophie d. Musl^eln; Thomsen'sche Kranl<heit. 391

leicht erschöpft werden. Geduld und i\_usdauer sind auch bei der Behand- lung dieser Erkrankung von Nöten: die in einzelnen Fällen zu beobachten- den Erfolge bleiben in anderen trotz ebenso sorgfältiger Behandlung aus.

Anhangsweise sei hier der unter dem Namen der Pseudohyper- trophie der Muskeln bekannten Krankheit gedacht, bei der fast alle Autoren eine bedeutende Verminderung der elektrischen Erreg- barkeit der kranken Muskelpartien, nie aber das Auftreten wirklicher Entartungsreaktion beobachtet haben. Diese Herabsetzung der Erreg- barkeit tritt namentlich bei der direkten Reizung der Muskeln zu Tage, dabei findet sich manchmal die AOz = KaSz bei spätem Ein- tritt der ASz und Mangel der KaOz. Bei der Wahrscheinlichkeit einer ursprünglichen, auf hereditäre Mom,ente zurückzuführenden Muskel- erkrankung kann man die leider meist von besonderem Erfolg nicht gekrönten elektrotherapeutischen Bestrebungen der Muskulatur selbst zuwenden (Faradisation, labile galvanische Ströme): immerhin empfiehlt es sich bei der Unabgeschlossenheit unserer anatomischen Erfahrungen auf diesem Gebiete auch das Rückenmark galvanisch zu beeinflussen, wie wir dies mit Erb in den uns zur Behandlung gekommenen Fällen stets taten.

Neben diesen Fällen von Pseudohypertrophie der Muskeln triffst man bekanntlich hier und da auf Kranke mit wirklicher Hypertrophie der Muskulatur: unter diesen haben neuerdings diejenigen eine ganz besondere Aufmerksamkeit erregt, welche seit frühester Jugend neben einer abnorm kräftigen Entwicklung der Muskulatur eine charakteristische Steifigkeit derselben darboten. In den von Thomsen-''*, Seeligmüller-"% Bernhardt--^, Westphaps^^ Strümpell-2^, Peters--^ Petrone'-^^" beschriebenen Fällen fand sich die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln für beide Stromesarten normal: es blieben aber die durch einen ganz kurz dauernden elektrischen Reiz erzeugten Kontraktionswülste längere Zeit nach dem Aufhören des elektrischen Reizes bestehen, um sich erst langsam und allmählich wieder abzugleichen, andererseits zeigte sich, wenn man den Strom längere Zeit auf einen Muskelkomplex ein- wirken liess, ein eigentümliches Wogen und Unduliren, statt einer festen tetanischen Kontraktion. Eine elektrische Behandlung dieses von Bernhardt als Muskelsteifigkeit und Muskelhypertrophie, von Strümpell als Myotonia congenita, von Westphal als Thomsen'sche Krankheit bezeichneten Symptomenkomplexes ist bis jetzt ohne Erfolg geblieben. (Vgl. S. 296.)

§ 166. Unter denjenigen Erkrankungen des Rückenmarks, welche entweder vorwiegend oder auch ganz allein innerhalb des

392 Tabes; Behandlung. Kap. XXII.

weissen Markmantels sich abs|)iolcn und die graue Substanz erst spät oder gar nicht beteiligen, nehmen die Tabes dorsalis, die graue Degeneration der Hinterstränge nnd die sogenannte spastische Spinal- paralyse eine hervorragende Stellung ein.

Die graue Degeneration der Hinterstränge vornehmlich war es, welche seit der Einführung des konstanten Stroms in die Therapie vorwiegend und wie manche Autoren angeben mit grossem Erfolg mit diesem Heilmittel behandelt worden ist. Abgesehen von jenen späten Stadien des Leidens, in welchen die Kranken seit Jahren an das Bett gefesselt gar keine Bewegungen mit den ataktischen Extremitäten mehr ausführen, oder wo sich der Prozess von den Hintersträngen fortkriechend auf die Vordersäulen hin ausgebreitet und damit zu degenerativen Muskel Veränderungen geführt hat, ist in Bezug auf die elektrische Erregbarkeit der peripherischen Nerven und Muskeln nicht viel von der Norm Abweichendes zu bemerken-. Einige Male sah man die Erregbarkeit in frühen Stadien etwas erhöht, andere- mal bei etwas länger bestehendem Leiden vermindert: bedeutende Abweichungen vom Normalen werden wenigstens innerhalb der ersten Jahre kaum oft zur Beobachtung kommen.

Bei der Behandlung des Leidens steht die zentrale Galva- nisation des Marks oben an. Der frühere Streit über die am besten den therapeutischen Zwecken entsprechende Richtung des Stroms hat der Ueberlegung Platz gemacht, dass die Richtung an sich gleich- giltig sei, wenn man nur sämmtliche leidenden Stellen des Marks unter die Einwirkung des Stromes bringt. Daher kann man so verfahren, dass man eine der nicht zu kleinen Elektrodenplatten (6 8 Ctm. Durch- messer) oben am Nacken, die andere auf der Lendengegend aufruhen lässt und nun die eine labil, langsam vorgehend, ohne sie direkt von der Haut abzuheben, der zweiten nähert. Andere, wie Erb, ziehen auch den N. sympathicus in das Bereich der Behandlung: die Kathode wird am Unterkieferwinkel der einen Seite aufgesetzt, die Anode alle Punkte der Wirbelsäule an der entgegengesetzten Seite entlang ge- führt: natürlich ist es auch gestattet, beide Methoden nach einander anzuwenden bezw. mit einander zu kombiniren.

Die Ströme sollen nicht übermässig starke sein (zwischen 15 und 25 30 Siemens' sehen Elementen, 6—15 M. A.), die Sitzungen kaum über 10 Minuten ausgedehnt und wöchentlich etwa 4—5 mal wieder- holt werden. Ganz besonders schmerzhafte Punkte am Rücken (Brenn er ■'^•*) werden nach M. Meyer -3' zweckentsprechend durch die stabil aufgesetzte Anode behandelt (Kathode ruht dabei vorn auf der

§ 166. Behandlung der Tabes. 393

Brust). Neben einer peripherischen Galvanisation (Kathode labil an den Nerven und Muskeln, Anode an der Wirbelsäule) wird von manchen Seiten noch die faradische Erregung der schlaffen Muskulatur als kräftigend empfohlen. Wenn auch nicht Heilungen, so kommen doch durch diese, über Monate hinaus fortzusetzende Behandlung jedenfalls in nicht wenigen Fällen erhebliche Besserungen zu Stande. Die oft so bedeutenden Störungen der Blasen- und Mast- dar m tätig keit der Tabiker werden ebenfalls durch den konstan- ten Strom zu bekämpfen versucht: dabei ruht, wenn es sich um ein Leiden der Blase handelt, die eine Elektrode (die Anode) am untersten Brust- oder dem Lendenteil der Wirbelsäule, die Kathode über der Symphyse entweder, oder am Damm. Die intraurethrale oder besser- intravesikale Behandlung gehört aus leicht begreiflichen Gründen zu den für den Kranken weniger angenehmen resp. sogar nachteiligen Prozeduren. Bei Schwäche der Sphinkteren des Mastdarms kann man eine Mastdarmelektrode (Kathode) direkt in den Mast- darm einführen, während die andere an dem oben angegebenen Punkt am Rücken oder am Damm ruht. Nach einer f ar ad i sehen Pin seiung der Haut der Füsse und der Unterextremitäten über- haupt verlieren die Kranken häufig das ihnen so unangenehme Kältegefühl, auch kann die Sensibilität der Haut selbst wenigstens temporär gebessert werden. Bekanntlich hat besonders Rumpf'^^" in neuerer Zeit auf den wohltätigen Einfluss faradok utaner Pinsel ung bei Tabes aufmerksam gemacht und ganz ausgezeichnete Erfolge durch diese Behandlungsmethode erzielt; dieselbe war im Stande, die oft so quälenden Schmerzen erheblich zu lindern, die Sen- sibilität zu erhöhen und allmählich die Myose und die Starre der Pupillen zum Schwinden zu bringen (am negativen Pol des Induktions- stroms wird der Metallpinsel befestigt und der Rücken sowie die Ex- tremitäten des Kranken zweimal bis zur Rötung bepinselt. Die Dauer der Applikation betrug 10 Minuten: die Stromstärke wurde so gewählt, dass die Mitte zwischen der einfachen Erregung der elektrokutanen Sensibilität und wirklichen Schmerzempfindung innegehalten wurde. Die guten Erfolge faradokutaner Hautreizung bei Tabes werden auch durch den jüngsten Autor auf diesem Gebiete, Löwenfeld^^'', be- stätigt. Nach ihm konnten durch Pinselung der Stellen, an welchen die Schmerzen am stärksten wüteten, diese unterdrückt, Parästhesien vor- übergehend beseitigt, die Empfindlichkeit im Allgemeinen verbessert, ja die motorische Leistungsfähigkeit und die Schwäche der Blasen- uud Mast- darmfunktion in ganz erheblicher Weise für einige Zeit gebessert werden.

394 Spastische Spinalparalyse. Arayotroph. Lateralsklerose. Kap. XXIT.

Die bei Tabes vorkommenden Augenmuskellähmungen und Affektionen des Optikus selbst werden nach den weiter unten auseinanderzusetzenden Prinzipien behandelt.

Neben der Tabes ist es die in neuester Zeit von Charcot-^- und Erb-^^ als eine besondere Krankheit beschriebene Seitenstrang- sklerose, die ebenso wie diejenige Affektion, mit der sie sich eventuell kombinirt, die von Charcot besonders ausführlich beschriebene und mit dem Namen der „amyotrophischen Seitenstrangsklerose" belegte Erkrankung des Marks in das Bereich der elektrotherapeuti- schen Behandlung fällt. Die klinische Darstellung sowie die Vertei- digung der bis heute noch von so mancher Seite bestrittenen Selbst- ständigkeit dieser Erkrankung überlassen wir den Lehrbüchern der Nerven- resp. der Rückenmarkskrankheiten; wichtig ist es dagegen, zu wissen, dass erhebliche Abweichungen vom Normalen in Bezug auf die elektrische Erregbarkeit der steifen und paretischen Gliedraaassen, wenigstens was die reine Form der spastischen Spinalparalyse anbetrifft, nicht beobachtet werden: Erb fand in seinen Fällen meist eine massige Herabsetzung der Erregbarkeit für beide Stromesarten, ohne qualitative Veränderungen. Was die therapeutische Anwendung der Elektrizität bei dieser Krankheit betrifft, so wird die zentrale Be- handlung des Rückenmarks nach den Grundsätzen, wie sie nun schon wiederholt besprochen worden sind, geübt; unsere Erfolge waren bis- her nicht besonders erhebliche, während Erb und Andere günstigere Resultate erzielten. In Bezug auf die sogenannte arayotrophische Lateralsklerose fand Berger^^'' von der Norm nicht abweichende Erregbarkeits Verhältnisse (wenigstens für die Nervenstärame), während Erb für die oberen Extremitäten öfter ein Verhalten konstatirte, wie es dem bei den sogenannten Mittelforraen der peripherischen Lähmun- gen (vgl. S. 295) entsprach. Die Behandlung folgt den allgemeinen Grundsätzen. Denselben folgen wir auch in der elektrotherapeu- tischen Behandlung derjenigen Rückenmarksaffektionen, die man nach Abzug der bisher erwähnten und genauer charakterisirten Symptomen- komplexe vorläufig wenigstens noch unter dem Gesammtnaraen der Myelitis chronica zusammenfasst : so lange die vordere graue Sub- stanz nicht mitleidet, sind die Veränderungen der elektrischen Erreg- barkeit für diese Fälle kaum erheblich, qualitative finden sich nicht; in Bezug auf die quantitativen hat man bald einmal eine , etwas er- höhte, bald wieder etwas verminderte Erregbarkeit notirt. Die Erfolge der Behandlung der chronischen Myelitis (vorwiegend wieder Anwen- dung des konstanten Stroms in der nun öfter beschriebenen Art und

§ 166, 167. Multiple Sklerose ;Halbseitenläsiond. Marks; Diphtherische Lähmg. 395

Weise) sind wechselnde, für diejenige Affektion, die man als „mul- tiple Sklerose" bezeichnet, geringe, für diejenige Krankheit, die als „Halbseitenläsion" des Marks den Namen der Brown-Sequard- schen Erkrankung führt, noch nicht genauer verfolgte. Die Erregbar- keit der der gelähmten Seite angehörigen Muskeln hat man in einigen Fällen dieser Halbseitenläsion vermindert gefunden.

Endlich ist noch zu erwähnen, dass die katalytischen Wirkungen eines stabil angewendeten Rückenmarksstromes auch für die Behand- lung chronischer Entzündungen der Rückenmarkshäute und ihrer Residuen, seien sie spontane oder durch Wirbelerkrankung hervor- gerufen, zu verwerten sind, und dass auch bei durch ein Pott'sches Wirbelleiden bedingter Extremitätenlähmung eine direkte Einwirkung des konstanten Stromes (beide Elektroden zu beiden Seiten der nach hinten prominirenden Wirbel) auf den Krankheitsherd versucht werden möge.

§ 167. Im Anschluss an diese ihre Grundlagen in einer wirk- lichen pathologisch anatomischen Veränderung des Rückenmarks fin- denden Lähmungen scheint es angemessen, die elektrodiagnostischen Verhältnisse resp. die elektrotherapeutische Behandlung einiger Läh- mungsformen zu besprechen, über welche noch bis heute in Betreff des Ausgangspunktes oder Hauptsitzes der Erkrankung eine volle Ueber- einstimmung der Autoren nicht besteht. Bekannt ist, dass in der 2. oder 3. Woche nach überstandener Diphtherie vorwiegend der Schlundschleimhaut (aber auch sonstwie diphtherisch infizirter Wun- den) Lähmungen der Gaumensegelmuskulatur vorkommen, denen sich, was die Häufigkeit des Auftretens betrifft, Lähmungen der Akkom- modationsmuskeln der Augen, der Irismuskulatur und der Augenmus- keln anschliessen. In Bezug auf die elektrische Erregbarkeit der eben erwähnten Muskelgebiete ist nur die Gaumensegelmuskulatur einer direkten Prüfung zu unterziehen: sehr oft findet man, auch bei vor- handener (wenngleich herabgesetzter) aktiver Beweglichkeit die fara- dische Erregbarkeit erloschen oder sehr vermindert, die galvanische vorhanden mit allen Charakteren der Entartungsreaktion. Aehnliches ist von guten Beobachtern berichtet in denjenigen seltenen Fällen, wo die Rumpf- und Extremitätenmuskulatur von der Lähmung befallen war: die Muskeln verhalten sich wie solche, welche nach schweren Verletzungen peripherischer Nerven gelähmt wurden und der Degene- ration verfielen. In Bezug auf die pathologisch anatomische Grund- lage dieser Lähmungen hat man neuerdings Blutung und Entzündung an den verschiedensten Stellen (im Mark, den Nervenwurzeln und den

396 Lähmung, nach (akuten) Infektionskrankh,, Arseniklähmung. Kap. XXII.

Nerven selbst) nachgewiesen: je nach dem Sitz und der Intensität dieser Läsionen erscheint das klinische Bild und speziell der elektrische Befund für die einzelnen Fälle wechselnd.

Im Ganzen ist die Prognose dieser Affektionen eine günstige: namentlich heilen die Lähmungen der Gaumensegel muskulatur und der inneren und äussseren Augenmuskeln unter Anwendung schwacher konstanter Ströme (Anode am Nacken, Kathode am Gaumen oder auf den Lidern) relativ schnell. In Bezug auf die ausgedehnten Läh- mungen resp. der auch unter dem Bilde einer „Ataxie" auftretenden Be- wegungsstörungen der Körpermuskulatur wendet man die zentrale Galvanisation des Rückenmarks kombinirt mit der peripherischen labilen Behandlung an, um auch hier, Avenngleich erst nach längerer Zeit, meist sehr wesentliche Besserungen oder Heilungen zu erzielen. Es versteht sich von selbst, dass überall da, wo die faradische Erreg- barkeit sich nur quantitativ vermindert zeigt, auch der Induktions- strom in passender Weise Anwendung finden kann.

Den diphtherischen Lähmungen schliessen sich alle diejenigen Formen an, die nach Ablauf anderer akuter Infektionskrank- heiten (Typhus in seinen verschiedenen Formen, Scharlach, Masern, Pocken etc. etc.) zur Beobachtung kommen. Bekanntlich können im Gefolge derartiger Leiden sowohl Hirn- wie Rückenmarkskrankheiten auftreten; andererseits kann es auch zu Erkrankungen kommen, welche ganz beschränkt auf das Gebiet bestimmter Nerven oder auch nur eines Nerven oder gar Muskels beschränkt bleiben. -^'^ Die Erregbar- keitsverhältnisse sowohl, wie auch der Plan zu der jedesmal anzuwen- denden elektrotherapeutischen Behandlung werden je nach dem Sitz der Läsion verschiedene sein: in dem, was bisher mitgeteilt ist und weiterhin noch bei der Behandlung peripherischer Nervenleiden aus- einandergesetzt werden wird, wird man die nötigen Anhaltspunkte finden. Im Anschluss an die oben etwas ausführlicher besprochene elektrische Pathologie (sit venia verbo) der Bleilähmungen ist es viel- leicht am Orte, daran zu erinnern, dass auch im Gefolge anderer akuter oder chronischer Metallvergiftungen Lähmungserscheinungen beobachtet sind. So befällt z. B. auch die Arseniklähmung mit Vorliebe die Extensorengruppe an den Vorderarmen: auch hier erlei- den die Muskeln eine erhebliche Herabsetzung ihrer Erregbarkeit, ohne dass sich bis jetzt Entartungsreaktion deutlich hätte nachweisen lassen (Seeligmüller23^, Gerhardt^ss, Da Costa^a»).

Kapitel XXIII.

Von der Elektrotherapie der Krankheiten des peripherischen Nervensystems.

§ 168. Die Lähmungen der peripherischen Nerven sind in Bezug auf ihr elektrodiagnostisches Verhalten vorher S. 283 ff. hin- reichend besprochen worden, so dass es an dieser Stelle genügt, das therapeutische Verfahren allein auseinanderzusetzen. Ist es möglich, die eigentliche Läsionsstelle des Nerven direkt unter den Einfluss der Elektroden zu bringen, so muss das prirao loco geschehen. Bei den sogenannten leichten Lähmungen (aufge- hobene Willensleitung: erhaltene, erhöhte oder auch etwas verminderte Erregbarkeit der unterhalb der Läsionsstelle gelegenen Nervenstrecke und der Muskeln, keine qualitativen Veränderungen) applizire man die Kathode über der Stelle der Läsion, die Anode am Plexus oder auch auf die gelähmten Muskeln und wende einen massig starken kon- stanten Strom an (5 10 M. A.): es kann sein, wovon wir uns auf das unzweideutigste überzeugt haben, dass eine wochenlang bestehende, bis dahin elektrisch nicht behandelte Lähmung des N. radialis z. B. sich nach wenigen (2 3) Sitzungen von 5 6 Minuten Dauer ganz erheblich bessert. Freilich kommt es auch vor, dass eine leichte peripherische Lähmung sich ohne jedes therapeutische Zutun innerhalb weniger Wochen von selbst ausgleicht; ob sich auf diese Weise die scheinbar günstige Wirkung der Faradisation des peripherischen unter- halb der Läsionsstelle liegenden Nerv-Muskelgebiets erklärt, oder ob durch diese Prozedur auf reflektorischem Wege durch die Reizung sensibler Nerven bestimmte heilende Einflüsse zur Geltung kommen, sei dahingestellt. Faktisch ist es für manche Paralysen, z. B. die Mehrzahl der rheumatischen oder aus anderen Ursachen entstandenen Facialis- lähmungen überhaupt nicht möglich, mit dem In duktions ström die zentralwärts von der Läsionsstelle liegende Nervenstrecke zu er-

398 Stellung der Prognose. Kap. XXIII.

reichen, und doch sieht man oft in solchen Fällen nur bei der peri- pherischen Faradisation Heilungen eintreten.

Neben den katalytischen Einwirkungen des konstanten Stroms auf die Läsionsstelle selbst kann man nun bei leichten Lälimungen früher, bei schweren (mit Vorteil wohl) erst zur Zeit sich wieder an- bahnender Regeneration der degenerirten peripherischen Fasern und bei Rückkehr der Willensleitung durch "Reizung der zentralen Nerven- strecke (wo sie zugänglich) mit starken faradischen oder galvanischen Strömen (Unterbrechungen und Wendungen des Stromes) die Hemm- nisse, die sich immer noch der vollen Willensleitung entgegenstellen, durch den so vielfach stärkeren elektrischen Reiz zu besiegen ver- suchen : in der Tat sieht man oft nach derartigen Prozeduren die aktive BeAveglichkeit in überraschender Weise zunehmen.

Auf den Ablauf schwerer peripherischer Lähmungen hat (wenigstens für die ersten Wochen) weder der faradische noch der galvanische Strom, wenn auch noch so zweckmässig applizirt, irgendwie einen erheblichen Einfluss: wenn es daher für leichtere Lähmungs formen durchaus angezeigt ist, mehrmals wöchentlich die elek- trische Behandlung vorzunehmen, genügt es, wenigstens für die ersten 5 8 Wochen, bei schweren Lähmungen wöchentlich etwa zweimal den elektrischen Strom anzuwenden und zwar den galvanischen: immer- hin ist es möglich, dass durch seine sich auf die Läsionsstelle er- streckenden Einwirkungen die einmal in den Gang gekommenen Regene- rationsprozesse in den Nerven und Muskeln etwas beschleunigt werden; erst später bei rückkehrender aktiver Beweglichkeit mag man, in dem oben angegebenen Sinne, den faradischen Strom zu Hilfe nehmen und die Sitzungen eventuell täglich anberaumen.

§ 169. Abgesehen von den therapeutischen Leistungen des Stroms ist die Untersuchung der Verhältnisse einer peripherischen Lähmung mittelst der Elektrizität eins der. wichtigsten Mittel, um eine richtige Prognose zu ermöglichen. Ist bei einer Untersuchung, die etwa 6 8 Tage nach dem Eintritt einer peripherischen Lähmung unternommen wird, die Erregbarkeit des unterhalb der Läsionsstelle gelegenen Nerv-Muskelgebiets unverändert oder gar etwas erhöht, oder nur wenig im Vergleich zu der der gesunden Stelle vermindert, so kann man das Bestehen schwerer Nutritionsstorungen in den Nerven und Muskeln ausschliessen und die Lähmung als eine solche ansehen, welche innerhalb 3 8 Wochen (oft schon innerhalb 1 2 Wochen) zur Heilung kommen kaan. Es muss dies letztere Wort deshalb

§ 169, 170. Pacialislähmungen. 399

betont werden, weil auch bei in jeder Beziehung als leicht zu erachten- den peripherischen Lähmungen (freilich nur ausnahmsweise) die Hei- lung sich verzögern oder auch (in sehr seltenen Fällen) ausbleiben kann. Stets wird es gut sein, über die etwaige Zeitdauer des Leidens und seine Heilung nicht eher etwas Bestimmtes auszusagen, als bis man die Untersuchung mit dem faradischen Strom durch die mit dem galvanischen ergänzt hat. Wir verweisen in Bezug hierauf auf die oben (S. 295) ausführlicher geschilderten Mittelformen der Lähmungen, welche bei fast normalen Untersuchungsergebnissen mit dem Induktions- strom bei der Exploration mit dem konstanten Strom Entartungs- reaktion der dem gelähmten Gebiet zugehörigen Muskulatur aufweisen und welche günstigsten Falles 3 6 Wochen bis zur Heilung (d.i. Wieder- herstellung der aktiven Beweglichkeit) in Anspruch nehmen. Erweist sich wenige Tage (4 6) nach dem Eintritt einer peripherischen Läh- mung die Erregbarkeit für beide Stroraesarten bedeutend gegen die der gesunden Seite vermindert, so sei man in der Angabe, während welcher Zeit Heilung zu erwarten sei, sehr vorsichtig: es ist dann fast gewiss, dass die Lähmung in dem oben S. 285 auseinandergesetzten Sinne eine schwere werden und erst in 3 4 Monaten, bisweilen noch später zu einer (oft nur relativen) Heilung kommen wird. Je früher nach dem Eintritt der Lähmung unser prognostisches Urteil gefordert wird, desto vorsichtiger sei man: innerhalb der ersten 2—3 Tage nach Eintritt der Lähmung lässt sich Sicheres nicht sagen: die Sicherheit wächst mit der Zeit des Bestehens der Lähmung: vom 7. bis 8. Tage wird man nach sorgfältiger elektrodiagnostischer Untersuchung gröbere Irrtümer kaum mehr begehen.

§ 170. In Bezug auf die Lähmungen der einzelnen peripherischen Nerven*), deren spezielle Symptomatologie in den Lehrbüchern der Nervenkrankheiten zu finden, erwähnen wir zuerst als die am häufig- sten vorkommende die Facialislähmung.

Bei den leichten Lähmungen und den Mittelformen genügt die Anwendung des faradischen Stroms oder die Reizung der gelähmten Muskeln mit schwachen (labilen) galvanischen Strömen: die eine Elek- trode mag in die Hand des Kranken gegeben werden (Anode) oder in der Fovea postcondyloidea an der kranken Seite ruhen: als Strom- stärken benutze man bis zu etwa 5 8 Milliampere.

*) Vgl. in Bezug auf die Auffindung der geeigneten motorischen Punkte etc Seite 240 u. ff.

400 Facialislähmung. Kap. XXIII.

Die etwa 5 Minuten währende Sitzung kann eventuell täglich, wöchentlioh aber wohl mindestens 3 4 mal wiederholt werden. Der Natur der Sache nach kann man in den meisten Fällen von periphe- rischen Facialislähmungen den Locus morbi nicht direkt erreichen: durch die Applikation der Elektroden an die Proc. mastoidei (Erb) sucht man wenigstens Stromschleifen bis zur kranken Stelle hin ge- langen zu lassen. Bei schweren*) Lähmungen sind schnell wieder- holte Sitzungen in den ersten Wochen, nach dem, was oben gesagt, kaum anzuraten: man beschränke sie daher zunächst auf höchstens drei pro Woche und vermehre sie erst später, unter Zuhilfenahme des faradischen Stroms, wenn sich die ersten Spuren rückkehrender aktiver Bewegungen kund geben. In Bezug auf die nach schweren und raittel- schweren Facialislähmungen oft zurückbleibenden Kontrakturzu- stände ist durch direkte elektrische Behandlung nicht allzuviel aus- zurichten: vielleicht nützt die stabile Applikation eines massig starken konstanten Stromes (Ka) auf die Muskeln der kranken Seite durch die zur Geltung kommenden katalytischen Einwirkungen, oder die Faradisation der Muskeln der gesunden Seite (indirekte Dehnung nach Brenner).

Beobachtet werden ferner in nicht gerade häufigen Fällen Läh- mung im Gebiete der Nn. accessorii (einseitige oder doppelseitige Lähmung im Gebiete der Mm. sternocleidom. und der Mm. cucullares), Lähmungen der Kaumuskulatur (Mm. masseteres), der Zunge, der Mus- keln an der Schulter, am Rücken, an der Brust, am Nacken, am Bauch, deren Symptomatologie und Pathologie man in den betreffen- den Lehrbüchern nachlesen möge. Besonders hervorzuheben sind noch die Lähmungen des M. serratus anticus maior und die paretischen Zustände des Zwerchfells und der Bauchmuskeln, von denen die letz- teren wohl nur direkt zu beeinflussen sind, während man für den M. serratus ant. maior und das Zwerchfell eine Applikation der Kathode an die betreffenden Nerven (Anode am Nacken) oder die Faradisation von den oben angegebenen Punkten aus (S. 247 u. 248) ins Werk setzen kann.

Neben dem N. facialis sind es besonders die Nerven der oberen Extremitäten (Nn. axillaris, median us, ulnaris, radialis.

*) Es ist eine bei vielen verbreitete Annahme, dass „rheumatische" Facialis- lähmungen immer leichte, schnell heilende seien; es ist dies nicht der Fall. Viele Fälle der rheumatischen Facialislähmungen geben in Bezug auf die Schwere ihres Verlaufes und die Länge der Heilungsdauer den durch gröbste mechanische (trau- matische). Läsionen entstandenen Paralysen nichts nach.

§ 170, 171. Armnervenlähmungen. 401

musculocutaneus) , welche am häufigsten durch äussere Einflüsse geschädigt werden. Sehr oft wird man isolirten Lähmungen im Gebiete des N. radialis begegnen, welche weniger durch rheumatische Ursachen (diese Aetiologie ist für diese Lähmungen mehr als fraglich) als durch Druck während des Schlafes bedingt sind: meist sind diese Lähmungen „leichte" in dem oben besprochenen Sinne und durch die wohlerhaltene Reaktion der Nerven und der Muskeln von der sogenannten Umschlagsstelle her (seltener von einem unterhalb dieser Stelle gelegenen Punkt aus"^"^^) diagnostisch von den durch Blei- oder Arsenikintoxikation herbeigeführten Radiallähmungen zu trennen (vgl. S. 388 und 396). Die sehr seltene Mitbeteiligung desTricepsmuskels beobachtet man bei ein- fachen Radialislähmungen, wenn die Läsion (Luxation desHumeruskopfes, Krücken druck) oben in der Achselhöhle den Nerven getroffen hat.

Am besten ist die galvanische Behandlung loco morbi (E. Remak^-*^) (Anode an der Brust,' Kathode an der Stelle, wo der Nerv einen Druck er- fahren hat), obgleich auch mit dem faradischen Strom Erfolge erzielt wer- den: einige Wochen können aber manchmal auch selbst bei zweck- entsprechender Behandlung vergehen, ehe diese Lähmung vollkommen geheilt ist.

§ 171. Neben den Radialislähmungen können nun in folgender, die Frequenz bezeichnenden Reihenfolge Paralysen der Nn. axillaris, ulnaris, medianus, musculocutaneus zur Beobachtung kommen. Meist sind es direkte Traumen (Stoss, Hieb, Schnitt, Knochenbrüche, unge- schickt angelegte feste Verbände etc.), durch welche die einzelnen Nerven in ihrem langgestreckten Lauf bald mehr zentral-, bald mehr peripheriewärts betroffen werden, oft aber Schädlichkeiten, welche in seltenen Fällen nur einen, häufiger alle, meist mehrere der genannten Nerven in durchaus wechselnder Kombination lädiren, so vor allem Luxationen des Humeruskopfes. Neuerdings wurden von uns^*^ der- artige korabinirte peripherische Lähmungen an den oberen Extremitäten bei renitenten (meist betrunken gewesenen) Arrestanten beobachtet, welche durch polizeiliche Eingriffe eine zu starke Umschnürung an den Oberarmen erlitten hatten, Lähmungen übrigens, die schon von Brenner 243 beschrieben worden waren.

Ausdrücklich betonen wir an dieser Stelle noch einmal, dass wir es nicht für unsere Aufgabe halten, die spezielle Symptomatologie dieser interessanten Lähmungsformen hier zu besprechen: wir könnten das an sich reiche kasuistische Material gerade auf diesem Gebiete durch eine Fülle eigener Beobachtungen vermehren (vgl. übrigens hinten: Anhang). Ebenso wenig scheint es nötig, dass für jeden etwa vor-

Roscntlial 11. Be r 11 liard t , Elektrizitätsleliro. III. Anll. on

402 Lähmungen im Bereiche des Plexus hrachialis. Kap. XXIII.

kommenden einzelnen Fall das elektrotherapeatische Verfahren ange- geben werde: aus dem, was darüber im Vorangegangenen mitgeteilt ist, wird der Arzt zur Genüge die Grundprinzipien der einzuschlagen- den Behandlung ersehen, einer Behandlung, welche natürlich jedesmal nach der Schwere und dem Sitz der Läsion zu variiren sein wird.

Neben denjenigen kombinirten Lälimungen, welche durch Schulter- gelenkluxationen bei Erwachsenen zu Stande kommen, kennen wir, seit Duchenne^^'^ zuerst darauf aufmerksam machte, auch solche Kombinationen, welche der erste Beschreiber Paralysies obstetricales infantiles du membre superieur, Erb'^'^ später Entbindungslähmungen genannt hat und worüber ausserdem von Seelig müller^^^ Bern- hardt 2^^' u. A. Beschreibungen vorliegen. Es handelt sich da zumeist um Lähmungen Neugeborener im Bereich des M. deltoideus, biceps und M. infraspinatus: d. h. der Auswärtsroller und Heber des Arms, sowie der Beuger des Vorderarms, während die Hand- und Fingermuskulatur intakt bleibt. Zumeist sind es direkte, bei schweren Entbindungen den Kindeskörper treffende Läsionen, Avelche diese Lähmungen be- dingen, selten die Zangenoperation, vorwiegend Extraktionen, bei denen auf die Nerven in der Fossa supraclavicularis oder in der Achselhöhle ein bedeutender Druck ausgeübt wurde.

Tm Anschluss an diese Lähmungsform der Kinder erwähnen wir hier noch die zuerst von Erb*^, später von Remak^-*^ Hoede- maker^*^, Bernhardt-'*'^, Erlenmeyer"^^^, Vierordt^"*^ beschriebe- nen Lähmungen der Oberextremität bei Erwachsenen, welche durch Läsionen einer bestimmten Stelle in der Regio supraclavicularis zu Stande kommen, dort wo im Plexus noch verschiedene Nerven und Nervenäste für bestimmte Muskelgebiete zusammenliegen (dem 5. und 6. Cervicalnerven angehörige Wurzelfäden). Betroffen sind die Ge- biete des N. axillaris, musculocutaneus , radialis, medianus, während das Ulnargebiet frei bleibt, seltener affizirt zeigen sich der N. supra- scapularis (M. infra- und supraspinatus), die Mm. pectoralis und sub- scapularis; vom Radialisgebiet werden nur die Mm. supinatores be- teiligt (bezw. die dem Radialiseinfluss unterworfene Partie des M. hrachialis internus), vom Medianusgebiet nur einzelne sensible Aeste. Vorwiegend sind es auch hier direkte oder indirekte Traumen, durch wolche diese Lähmungen hervorgerufen werden: schon oben (S. 249) ist der Punkt bezeichnet worden, von dem aus man alle oder doch die meisten der eben erwähnten Muskeln in Kontraktion versetzen kann. Neben den direkten Verwundungen spielen in der Aetiologie dieser Lähmungsform indirekte Verletzungen (Fallen auf die Schulter oder die

§ 17], 172. 173. Lähmung, d. peripher. Nerven d. unterer» Extremit. 4Ö3

Hand der betreffenden Seite), neuritische Prozesse, Tumoren die Haupt- rolle. Die Behandlung wird teils mit dem konstanten, teils mit dem faradischen Strom vorgenommen: die Anode ruhe im Nacken an der der Verletzung entsprechenden Seite der Wirbelsäule, die Kathode am Orte der Verletzung oder Entzündung: man lasse stabil einen mittel- starken Strom (5— 10 M. A.) hindurchgehen oder bestreiche, während die Anode an der Oberschlüsselbeingrube ruht, mit der Kathode die gelähmten Nerv-Muskelgebiete; die Paralysen sind meistens mittel- schwerer und schwerer Natur: je nach der noch bestehenden oder total geschwundenen faradischen Erregbarkeit wird die Prognose mehr oder weniger günstig gestellt werden können und die Behandlung aut 6 8 oder 12—20 Wochen ausgedehnt werden müssen. (Vgl. Anhang.)

§ 172. Viel seltener als Lähmungen im Bereiche der Nerven der oberen Extremitäten finden sich solche an den einzelnen Ner- ven derünterextremitäten: hier kommen (äusserst selten) isolirte Lähmungen im Gebiete der Nn. obturatorii und glutaei, häufiger solche im Cruralisgebiet, relativ am häufigsten im Gebiet des N. ischiadicus zur Beobachtung. Namentlich sind es die Lähmungen im Peroneus- und Tibialisgebiet, die nicht gerade selten angetroffen werden: es können sämmtliche oder auch nur einzelne, je einem dieser Nerven- gebiete angehörigen Muskeln gelähmt sein. Die elektrotherapeutische Behandlung richtet sich auch hier nach den bekannten Grundsätzen: Man vergesse dabei nicht, dass im Gegensatz zu den Verhältnissen an den Oberextremitäten die Nervenwurzeln und Plexus besonders des Cruralisgebietes direkt nicht erreicht werden können. Höchstens kann man durch Einführung einer Mastdarmelektrode Stromschleifen in relativer Dichte auf den Plexus sacralis einwirken lassen. Jedenfalls wird man gut tun, bei Anwendung des konstanten Stroms eine Elek- trode (meist die Anode) an der Lendenwirbelsäule ruhen zu lassen, während die andere entweder stabil an die Symphyse, oder etwas nach aussen von der (klopfenden und dadurch leicht zu findenden) Art. cruralis oberhalb des N. cruralis, oder unmittelbar unter die Glutäal- falte, oder in die Kniekehle (je nachdem mehr nach aussen oder innen) applizirt oder labil die gelähmten Muskeln entlang geführt wird.

§ 173. Im Anschluss an die vom Standpunkt des Elektrothera- peuten beleuchteten paralytischen Zustände im Gebiete einzelner Ner- ven schreiten wir nun zur Besprechung der innerhalb bestimmter Nervenbezirke sich abspielenden krampfhaften, spastischen

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404 Spastische Affektionen der Nerven. Kap. XXIII.

Erscheinungen und ihrer elektrodiagnostischen und elektrotherapeu- tisehen Würdigung. Diejenigen Krampfformen und Spasmen, welche von Läsionen der Centralorgane abhängig zu machen sind, von Er- krankungen bestimmter Hirnterritorien (vgl. S. 381) oder von Affek- tionen des Rückenmarks werden nach den dort aufgestellten Grund- sätzen, vor Allem durch die möglichste Beeinflussung des Krankheits- herdes selbst, elektrisch behandelt. Ergibt die Untersuchung, dass bei Spasmus in einem Nerven gebiet ein Druck auf benachbarte sen- sible Nerven die Krämpfe beeinflusst oder lassen sich irgendwo sonst sogenannte »Druckpunkte« auffinden, die oft entfernt von der eigent- lich leidenden Lokalität liegen können (am Rücken, an den Proc. spin. oder transversi, am Halse im Verlauf des Sympathikus), so richte man die Behandlung auf diese Punkte, durch welche die oft reflektorisch ausgelösten Krämpfe günstig beeinflusst werden können. Es ist hier vorwiegend der galvanische Strom in Anwendung zu ziehen: der eine Pol, meist die Anode, wird auf den Druckpunkt applizirt, die Kathode irgendwo am Körper: Rheostatbenutzung, Ein- und Aus- schleichen, nur massig starke Ströme.

Oder man applizirt den konstanten Strom direkt auf das leidende Nerv -Muskelgebiet; es kann hier vorkommen, dass irgend eine den motorischen Nerven schädigende oder reizende Veränderung, des um- gebenden Gewebes (Narbe) vorliegt, welche man durch die kataly- tischen Einwirkungen des Stromes zu beeinflussen versucht, oder man applizirt den positiven Pol direkt auf den Nervenstamm, in der Absicht, Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit des Nerven herabzusetzen. Wieder andere empfehlen starke absteigende Ströme auf Nerv und Muskel, die öfter unterbrochen werden sollen (Remak) und kom- biniren diese Art der Applikation, wie Benedikt, mit Volta'schen Alternativen. Der faradische Strom kann durch eine starke Erregung in dem vom Krampf ergriffenen Gebiet den Nerv und die Muskeln ermüden: dies scheint wenigstens die Erklärung der Erfolge auszu- machen, welche z. B. Frommhold durch seine sogenannten „schwellen- den Ströme« (vgl. S. 351) erzielt hat.

Was die Reaktion des von dem Krampf, ergriffenen Nerv-Muskel- gebiets auf elektrische Reizung betrifft, so findet man, wie wir uns z. B. beim Tic convulsif und bei Accessoriuskrämpfen wiederholt überzeugt haben, auch bei genauer und mit allen Kanteten angestellter Untersuchung kaum ein vom Normalen abweichendes Verhalten. Zum Schluss dieser allgemeinen einleitenden Bemerkungen sei noch einmal darauf hingewiesen, wie viel schwerer oft die Eruirung der diesen

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§ 173. Tic convulsif; Accessoriusbrämpfe; Kieferldemrue. 405

Krampfzuständen zu Grunde liegenden Störungen ist, als derjenigen, welche Lähmungen bedingen. Häufig sind wir eben in Folge dieser Unkenntniss genötigt, sämmtliche Methoden nach einander zu ver- suchen: aber auch so wird die Geduld des Arztes oft auf eine harte Probe gestellt: mit seinen .Mühen halten gerade auf diesem Gebiete seine Erfolge nur selten Schritt.

Eine der häufigsten Krampfformen ist der Tic convulsif, der „mimische Gesichtskrampf« oder Facialiskrampf, Sind Druck- und Schmerzpunkte aufzufinden, so applizire man dort die Anode eines konstanten Stroms (die Austrittsstellen der Trigemimisäste am Gesicht, eventuell Proc. transversi der Halswirbel oder des Gangl. supremum des N. Sympathikus), oder man setze die Anode stabil in die Fossa mastoidea, oder endlich man versuche die »schwellenden« (faradischen) Ströme Fromm hol ds. Nach dem, was uns die neuere Zeit von der Möglichkeit gelehrt hat, von bestimmten Stellen der Hirnrinde aus bestimmte Muskelgebiete durch elektrischen oder mechanischen Reiz in Kontraktion zu versetzen, kann man geeigneten Falls den Versuch machen, durch die galvanische Beeinflussung der Gehirnoberfläche (An- setzen der Anode auf das der zuckenden Gesichtshälfte gegenüber- liegende Scheitelbein; Kathode irgend sonst wo applizirt) den Krampf zum Stillstand zu bringen .(Erb - ^"5 Berger^^'). Die Erfolge aller dieser Behandlungsmethoden sind beim Facialiskrampf und nach unseren Erfahrungen auch bei Spasmen in anderen Nervengebieten nur massige.

Von den Krampfiformen in anderen Nervengebieten schliessen sich, was die Häufigkeit des Vorkommens betrifft, die Krämpfe im x^ccessorius gebiet den im Facialisbereich auftretenden an. Die Mm. sternocleidom. und cucullaris oft noch in Verbindung mit den tiefer liegenden Nackenmuskeln sind die erkrankten; seltener begegnet man den meist reflektorisch von den sensiblen Trigeminus- ästen aus hervorgerufenen Krämpfen im Bereich des HI. (moto- rischen) Astes des N. tr ige minus. Die Krämpfe der Kiefermuskeln (raastikatorischer Krampf, Kieferklemme) werden ebenso wie die der Gesichtsmuskeln, wenn anders sich sogenannte ,> Druckpunkte« (auch hier meist im Bereich der übrigen sensiblen Trigeminusäste am Gesicht und in der Mundhöhle) auffinden lassen, durch den galvanischen Strom nach den oben angegebenen Methoden behandelt, wie über der- artige Fälle mit günstigem Ausgang erst neuerdings von Gerhardt-^- z. B. wieder berichtet worden ist.

Sehr selten finden sich neben diesen eben genannten spastischen Affektionen isolirte Muskelkrämpfe im Bereiche der oberen

406 Paramyoklonus multiplex. Schreibelirampf. Kap. XXIII.

und unteren Extremitäten, wenn man nicht eben gewillt ist, alle die verschiedenen Erscheinungsweisen der mannigfachen zentralen Neurosen: der Epilepsie, Chorea, Hysterie etc. hierher zu rechnen. Dasselbe gilt von den respiratorischen Krämpfen, die sowohl im Gebiet der Inspirations- wie der Exspirationsmuskeln auftreten können: sind diese Erscheinungen nicht abhängig von wirklichen pathologisch - anatomisch nachweisbaren Erkrankungen des Centralnervensystems, so kann man sie meistens dem Gebiet der sogenannten hysteri- schen Erkrankungen zurechnen: wir werden bei der Besprechung der Hysterie (vgl. dort) noch einmal auf diese Zustände und ihre Behandlung zurückkommen.

Anhangsweise sei hier noch kurz jener eigentümlichen Krampf- form gedacht, welche zuerst von Priedreich-^"^ unter dem Namen Paramyoklonus multiplex beschrieben worden ist und von wel- cher auch Löwenfeld-^*"^ in neuester Zeit einen Fall unter dem Namen Myoklonus spinalis multiplex mitteilte. Es handelt sich um klonische Krämpfe in symmetrischen Muskeln der oberen und unteren Extremitäten (meist der Oberarme und Oberschenkel), die im Schlaf und bei willkürlichen Bewegungen aufhören. Es fehlen eigentliche Lähmungserscheinungen, ebenso Sensibilitäts- oder trophische Störungen: Ataxie besteht nicht, ebenso wenig eine Aenderung in der elektrischen Erregbarkeit der affizirten Muskeln, dagegen ist die Reflexerregbar- keit erhöht. Das Leiden verläuft chronisch, ist aber heilbar; namentlich Löwenfeld hat durch Rückenmarksströme mit Einbe- ziehung des Gangl. suprem. N. sympath. in den Stromkreis einen günstigen Erfolg erzielt.

§ 174. Etwas Anderes ist es mit denjenigen eigentümlichen Störungen, welche bei Leuten zu beobachten sind, die längere Zeit und in angestrengter Weise nach einer Richtung hin tätig sein müssen: als Paradigma aller solcher Störungen, welche die zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes nötige Koordination verschiedener Muskeln nicht zu Stande kommen lassen, ist der bekannte und relativ so häufig zu beobachtende Schreibekrampf (Mogigraphie) zu betrachten.

Oft sind es hier in der Tat krampfhafte, spastische Zustände in einzelnen bestimmten Muskeln, welche das Zustandekommen der zum Schreiben nötigen kombinirten Muskeltätigkeit hindern: sehr häufig aber wird ganz uneigentlich derselbe Name Schreibe kr am pf** ge- braucht, wo von Spasmen gar keine Rede ist, sondern wo eine ganz bedeutende, z. B. sich in Zittern zeigende Schwäche der Muskulatur

§ 174. Koordinator! sehe Beschäftigungskrämpfe. 407

bestellt, oder wo im Verlaufe einzelner Muskeln oder an bestimmten Stellen des Knochens oder in den Gelenken sich einstellende lebhafte Schmerzen das Zustandekommen der komplizirten Aktion verhindern.

Findet man im Verlaufe bestimmter Nerven am Arm, an der Schulter, in der Oberschlüsselbeingrube oder im Nacken auf Druck schmerzhafte Punkte, so behandele man diese Stellen besonders mit nicht allzustarken galvanischen Strömen (Anode auf die schmerz- haften Punkte): man kann neben dieser lokalen Behandlang der Schmerzpunkte noch eine Galvanisation des Halsmarks, resp. der peri- pherischen Nerven des Arms verbinden. Neben den katalytischen Einwirkungen des Stroms sind es noch seine erfrischenden Wiri^ungen, die ja dem ermüdeten Muskelgebiet zu Gute kommen sollen; daneben kann man aber auch wirkliche Paresen mit massigen faradischen Strömen behandeln und den faradischen Pinsel zur Bekämpfung der an bestimmten Punkten lokalisirten Schmerzen in Anwendung ziehen.

Die Erregbarkeit der beteiligten Nerven und Muskeln für beide Stromesarten hat uns und anderen kaum nennenswerte und dann nur quantitative Abweichungen von der Norm dargeboten (meist eine massige Steigerung der Erregbarkeit). Die elektrische Behandlung muss wenigstens 3 4 Mal pro Woche und dann für lange Zeit in Anwendung gezogen werden. Wir brauchen wohl nicht hinzuzufügen, dass neben den elektrotherapeutischen noch manche andere Massnahmen zu treffen sind, deren detaillirte Auseinandersetzung nicht hierher gehört: vor allem ist es Ruhe und Enthaltung von der gewohnten Arbeit, deren übermässige Ausübung die Krankheit herbeigeführt hat. Die Erfolge einer auch sehr sorgfältig geleiteten elektrischen Behand- lung sind nach unseren Erfahrungen nur in der Minderzahl der Fälle ganz zufriedenstellende; seitdem die elektrische Behandlung von uns nach dem Vorgange Anderer mit zweckmässigen gymnastischen Uebungen und mit der Massage verbunden worden, scheinen sich die Misserfolge zu verringern.

Ueberall wo bestimmte Muskelgruppen anhaltend in immer der- selben Richtung tätig sind, können sich derartige „Insuffizienzen" in der kombinirten Tätigkeit derselben einstellen; am bekanntesten sind neben dem sogenannten Schreibekrampf noch der Krampf (resp. die Schwäche, das Zittern, die Schmerzen) bei Klavier- und Violinspielern, bei Telegraphisten , Schneidern, Schustern, Uhrmachern, Kassirern, Melkerinnen etc. etc. Die Art der Behandlung ist im Grossen und Ganzen in allen diesen Formen eine ähnliche.

408 Tetanie; Tetanus. Kap. XXIII.

§ 175. Eine besondere Erwähnung verdient im Anschluss an das eben Erörterte der unter dem Namen der „Tetanie" bekannte Syra- ptomcnkomplex. Es handelt sich dabei um anfallsweise, vorwiegend in der z\rmrauskulatur auftretende Krämpfe (Beugestellung der Hände und Finger wie bei starker ülnarisreizung, Streckstellung der Unter- extremitäten; vgl. die Lehrbücher der Nervenkrankheiten), welche von lebhaften Schmerzen begleitet sind. Absehend von jeder weiteren Besprechung der noch nach verschiedenen Richtungen hin interessanten pathologischen Erscheinungen führen wir nur die wichtigen Ergebnisse hier näher an, welche Erb-^=^ bei den Untersuchungen über das elek- trische Verhalten der so affizirten Nerven und Muskeln erhalten hat. Schon von Kussmaul und Benedikt ist eine Steigerung der eleic- trischen Erregbarkeit nachgewiesen worden: Das Wesentlichste der Erb" sehen Ergebnisse besteht gleichfalls in dem Nachweis des Vor- handenseins einer hochgradigen Steigerung der faradischen sowohl wie der galvanischen Erregbarkeit sämmtlicher Rumpfnerven : einzig und allein der Facialis war in seinen Fällen davon ausgenommen. In Bezug auf die erhöhte galvanische Erregbarkeit fand sich neben frühem Auftreten von KaSz, AOz, KaSTe und sogar ASTe ein sehr seltenes und sonst beim Menschen nicht beobachtetes Auftreten vonAnoden- öffnungstetanus bei massiger Stromstärke. So lange diese Steige- rung der elektrischen Erregbarkeit nachzuweisen ist, kann die Krank- heit als noch bestehend angenommen werden: es verhält sich damit, wie mit dem Trousseau'schen Phänomen; so lange man auch in der anfallsfreien Zwischenzeit durch Druck auf die Arterien und die Nerven der oberen (seltener und schwieriger der unteren) Extremitäten noch Tetanieanfälle auslösen kann, darf die Krankheit nicht als erloschen betrachtet werden. Die stabile Anwendung der Anode auf die Wirbel- säule und aufsteigende Ströme auf die beteiligten Nerven schienen in den von Erb behandelten Fällen nicht ohne guten Einfluss auf den Verlauf und die endliche Heilung des Leidens.

In neuerer Zeit sind unsere Kenntnisse von diesem Leiden durch die Veröffentlichungen von Chvostek^^-t^ Eisenlohr'^^^, Weiss-^*', Friedr. Schnitze -^''' in sofern erweitert worden, als in nicht wenigen Fällen von diesen Autoren neben der stets vorgefundenen Erhöhung der elektrischen auch eine bedeutende Steigerung der mechanischen Erregbarkeit der Nerven gefunden wurde, Phänomene, welche auch am N. facialis zur Beobachtung kamen.

Es ist bekannt, dass weder für die Tetanie, noch für den Tetanus eine durch Beobachtungen gestützte feste pathologisch-ana-

§ 175, 176. Neuralgien. 409

tomische Grundlage gewonnen ist, obgleich mehr als eine Tatsache auf das Rückenmark und verlängerte Mark als den Ausgangspunkt dieser Zustände hinweist. Wenn nun auch, wie eben bemerkt, in Bezug auf die Tetanie die Applikation des konstanten Stroms (in Gestalt der Anodeneinwirkung) auf Mark und Nerven von nicht zu unterschätzendem Erfolg gewesen, so sind die Erfolge, die der galva- nische Strom in der Bekämpfung des Tetanus aufzuweisen hat, nur geringe und die Beobachtungen in der Litteratur nur spärliche. Nach Ranke '^ö (vgl. S. 330) soll durch einen das Froschrückenmark durch- fliessenden Strom (Richtung gleichgiltig) die Reflexerregbarkeit sehr herabgesetzt werden, eine Erfahrung, welche von Legros und Oni- mus^52 wenigstens für absteigende Ströme bestätigt wurde: faktisch hatte Mendel -^s bei zwei Tetanusfällen durch nicht starke stabile Rückenmarks- und Rückenmarksnerven- (Muskel-) Ströme günstige Resultate. Man möge also in vorkommenden Fällen den Versuch immerhin wagen.

§ 176. Seitdem Aerzte die Elektrizität zur Behandlung von Nervenkrankheiten in Anwendung zogen, ist dieselbe wohl bei keinem Leiden mit mehr Erfolg verwertet worden, als bei den verschieden- sten neuralgischen Zuständen. Was für die Bekämpfung dieser Neuralgien der faradische, was der galvanische Strom leisten kann, ist schon oben (vgl. S. 350 u. 355) bei der Besprechung der allgemeinen Elektrotherapie hervorgehoben worden. Gerade hier gilt es, sich von Einseitigkeit fern zu halten: man wird nicht selten ge- nötigt sein, eine vorgefasste günstige Meinung für die eine oder andere Stromesart zu ändern und nach vergeblichen Bemühungen auf dem einen Wege durch die Wahl des anderen sein Ziel erreichen.

Ohne also noch einmal auf die im allgemeinen Teile gegebenen Auseinandersetzungen zurückzukommen, wenden wir uns sofort zur Angabe der Behandlungsmethoden für die einzelnen Fälle. Am häufigsten sind es neuralgische Zustände im Trigeminus- gebiet, welche unser elektrotherapeutisches Einschreiten erforderlich machen. Vorwiegend wird der galvanische Strom angewandt in der Weise, dass unter Rheostatbenutzung (in Nebenschluss) die Anode stabil auf die schmerzhaften Druckpunkte im Gesicht (am Supraorbital- rand, am Infraorbitalrand , in der Kinngegend etc.) aufgesetzt wird, während die Kathode am Nacken oder sonst wo am Körper ruht. Man steigt langsam mit der Stromstärke an und lässt den Strom

410 Tic douloureux; Trigeminusneuralgien. Kap, XXIII.

durch 3 5 Minuten einwirken, um ebenso allmählich durch Ver- minderung der Rheostatwiderstände sich aus der Kette auszuschleichen. Um auch die in der Tiefe liegenden leidenden und schmerzhaften Stellen zu beeinflussen, kann man den Strom quer und längs durch den Kopf leiten, wobei die Anode an der leidenden Seite steht und der Rheostat wie eben beschrieben benutzt wird. (Einige, wie Bene- dikt z. B., appliziren die eine Elektrode wohl auch am „Sympathi- kus".) Die Sitzungen werden täglich wiederholt: oft sind die Erfolge geradezu wunderbare (wir erinnern hier besonders an die Erfolge der Behandlung, die Herr Kollege Weise ^-"^^ an sich selbst zu erfahren Gelegenheit hatte); andererseits sind aber leider Recidive hier eben so wenig selten, wie bei anderen Behandlungsmethoden, daher eine gewisse Vorsicht in der Prognose anzuraten!

Nicht selten sieht man aber auch von der einfachen .Durch- leitung eines stabilen konstanten Stroms, wobei eventuell sogar die Kathode (wir erinnern hier besonders an die Erfahrungen Ross- bach's'^ welche dieser Autor bei Behandlung einer höchst schmerz- haften Ischias an sich selbst machte) auf den Druckpunkten steht, Erfolge; oder von der Anwendung massig starker faradischer Ströme (feuchte Elektroden): starke Hautreizung mit dem faradischen Pinsel wird im Gesicht selten gut vertragen: dagegen lindert die Applikation der elektrischen Hand (vgl. S. 351) häufig in zweckentsprechender Weise die Beschwerden.

Anhangsweise mag hier noch der von Boudet^^o besonders aus- gebildeten Methode Erwähnung getan werden, durch schnell schwin- gende Stimmgabeln neuralgische Zustände im Trigeminusgebiet und auch Migräne zu behandeln. Ein etwa 1 Ctm. im Querschnitt halten- des Holzplättchen wird an eine mit einer Elektrizitätsquelle ver- bundenen Stimmgabel (217,5 Doppelschwingungen in der Sekunde gebend) befestigt und in die Nähe eines sensiblen Nervenastes auf- gesetzt. Auf einer resistenten und nicht zu dicken Unterlage gelingt der Versuch am besten. Die Schädeldecken schwingen wie ein Reso- nanzboden mit: dadurch wird bei manchen Individuen eine Schwindel- empfindung und später entschiedenes Schlaf bedürfniss hervorgerufen. Je stärker die Vibrationen, um so schneller der Eintritt der Wirkung (Schmerzlinderung, lokale Anästhesie) und diese selbst von um so längerer Dauer. Auch Mortimer Granville^^i erzielte dadurch, dass er Nerven in Vibration versetzte, namentlich bei neurasthenischen Individuen Erfolge, indem er seinen, der schwingenden Stimmgabel offenbar ähnlichen »Perkuteur« auf die empfindlichen Wirbel und

§176, 177. Cervico-Occipit.-, Brachial-, Intercost.-,Lumbo-Abdominal-Neiiralg. 411

deren Proc. spinosi aufsetzt. Schwächezustände, Schmerzen wurden in vielen Fällen günstig beeinflusst.

Den Neuralgien im Gebiete des Trigeminus schliessen sich die- jenigen schmerzhaften Zustände an, welche im Occipitalnerven entweder allein, meist auch in der Näckengegend wüten (Cervico- Occipitalneuralgien), sowie diejenigen, welche im Gebiet der Arm nerven beobachtet werden. Auf die klinische Schilderung der mannigfachen hier zu beobachtenden Modifikationen verzichtend be- richten wir nur über die Erfolge der elektrischen Behandlung. Hat man sich des Vorhandenseins schmerzhafter Druckpunkte versichert, so applizirt man den positiven Pol eines durch den Rheostaten all- mählich zu einer gewissen Stärke (5 8 Milliampere) anschwellen zu lassenden konstanten Stroms auf diese Punkte, welche im Verlaufe der einzelnen Nerven, oder an den Proc. spinosi der Halswirbel oder zu den Seiten derselben, den Proc. transversi angetroffen werden: die Kathode ruht dabei an einem indifferenten Punkt. Der Strom wirkt wieder 3 5 Minuten ein und wird ganz allmählich abgeschwächt. Nicht anders verhält man sich bei der Behandlung der sogenannten Intercostalneuralgien: auch hier lässt man die Anode auf die Proc. spinosi oder zu den Seiten derselben in der Höhe des schmerz- haften Zwischenrippenraumes ruhen, während die Kathode an einem indifferenten Punkt entweder an den vorn am Thorax oder in der Achsellinie nachzuweisenden Druckschmerzpunkten ruht. Natürlich kann man sich auch bei etwaigem Misserfolge dieser Methode des faradischen Stroms, namentlich des Pinsels als starken auf die Haut des schmerzenden Intercostalraumes anzubringenden Hautreizes bedienen.

§ 177. Sitzen die neuralgischen Schmerzen im Gebiet der Lenden- nerven (also in den Bauchdecken oder der Scharagegend, der Vorder- Aussenseite, oder der medialsten Seite des Oberschenkels, Neuralgia lumbo-abdominalis, cruralis, obturatoria), so finden, was die elektrische Behandlung dieser Leiden betrifft, im Grossen und Ganzen immer wieder dieselben Verfahrungsweisen Anwendung: Aufsuchen auf Druck empfindlicher Punkte, Applikation der Anode dort oder an den Proc. spin. der untersten Brust- und der Lendenwirbel, Durch- leitung eines massig starken Stroms, wobei die Kathode stabil auf einzelnen Punkten im Verlauf des leidenden Nervenbezirks aufruht. Hier und da wird man, wie verschiedene Beobachtungen aus der Litteratur lehren, bei vergeblichen Versuchen mit dem konstanten Strom den faradischen Strom (als Pinsel, elektrische Hand) in An-

412 Ischias; Coccygodynie, Mastodynie. Kap. XXIII.

Wendung ziehen: so berichtete noch ganz neuerdings Heinlein-^- von der Heilung einer lange bestehenden sehr schmerzhaften Lumbo- abdominalneuralgie durch die mehrmalige Appliltation eines schwachen Induktionsstroms in Gestalt der elektrischen Hand.

Neben neuralgiscben Zuständen im Gebiet des Trigeminus sind es wohl vorzüglich diejenigen des Ischiadikusgebiets, vulgo die Ischias, welche am meisten dem Elektrotherapeuten zur Beob- achtung kommen. Die Resultate der elektrischen Behandlung vor- züglich mit dem konstanten Strom sind meist sehr befriedigende. Die Anode ruht an der unteren Partie der Lendenwirbelsäule oder am Kreuz (Symphysis sacroiliaca) oder endlich in der Incisüra ischiadica (zwischen Trochanter major und Tuber ossis ischii), die Kathode meist peripher, tiefer, an der Hinterseite des Oberschenkels: beide Elek- troden können nach abwärts längs des ganzen Verlaufs des Nerven- stammes bis zur Kniekehle hin wandern, indem sie immer in einem bestimmten, etwa 2 3 Handflächen breiten Abstand von einander, immer aber auch in der relativen Position des absteigenden Stroms zu einander bleiben. Sitzungen von 5—8 Minuten täglich oder wenig- stens 4 mal wöchentlich: Anwendung von etwas stärkeren Strömen (10—20 Milliampere), die Elektrodenplatten von mindestens 1 "o noch besser 2 3 Zoll Durchmesser.

In hartnäckigen Fällen ist abwechselnd mit dem konstanten Strom auch ein etwas stärkerer faradischer Strom mit feuchten Elek- troden oder der elektrische Pinsel zu versuchen: noch energischer auf den Locus morbi würde die von Benedikt vorgeschlagene Methode der Einführung einer Elektrode in den Mastdarm und die Applizirung der anderen auf das Os sacrum wirken.

So gute Erfolge man häufig bei der elektrischen Behandlung der Ischias erzielt, so sehr lassen dieselben zu wünschen übrig bei der Behandlung der unter dem Namen der Coccygodynie bekannten Neuralgie im Bereich der Nervi coccygei. Zwar existiren auch hier in der Litteratur Fälle, in denen, wie z. B. in dem Seeligmüller- schen^eä^ l^el Jahre lang bestehendem Leiden der faradische Strom Hilfe brachte (es wurde in diesem eine Frau betreffenden Falle eine Elektrode in den Cervikalkanal des Uterus, die zweite direkt an die schmerzhafte Stelle gebracht): doch in der Mehrzahl der Fälle lässt die elektrotherapeutische Behandlung hier ebenso oft im Stich, wie bei der Kur desjenigen Leidens, welches sich als Brustdrüsenschmerz, Mastodynie, den Intercostalneuralgien ebenso anreiht, wie die Coccy- godynie den übrigen neuralgischen Zuständen im Sacralgeflecht.

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§ 177. Neuritis. 413

Schmerz, Störung des normalen Empfindmigsvermögens, Lähmmig können auch die Begleiterscheinungen oder besser die klinischen Zeichen einer wahren »Entzündung der Nerven« ausmachen, wie sie durch Verwundungen, durch Erkältungen, nach akuten Krank- heiten etc. an den verschiedensten Nerven auftreten kann (Neuritis). Abgesehen von der allgemeinen Behandlung der Entzündung durch die Ruhigsteliung des leidenden Teils, durch Blutentziehung, Eis- applikation etc. kann man oft schon im akuten Stadium durch die vorsichtige Applikation des konstanten Stroms (Anode stabil an den bald herauszufindenden, auf Druck oft eminent schmerzhaften Punkten oder an den ebenfalls oft auf Druck recht schmerzhaften Proc. spinosi der Wirbel, Kathode an einem indifferenten Punkt) die Schmerzen lindern und die Parästhesien bessern. Kommt es zu Lähmungs- zuständen, so werden weiterhin in der oben beschriebenen Weise so- wohl der faradische, wie der galvanische Strom (vorwiegend wohl letzterer) zur Heilung dieses unliebsamen Folgezustandes in Anwen- dung gezogen. (Vgl. Anhang.)

Kapitel XXIV.

Von der Elektrotherapie allgemeiner neuralgischer Zu- stände, visceraler Neuralgien, vasomotorischer, trophischer und functioneller Neurosen.

§ 178. Im Anschluss an die bestimmten Nervenbahnen folgen- den Neuralgien besprechen wir hier kurz einige „schmerzhafte Atfektionen^*, welche zeitweilig wohl für sich allein bei nicht prädisponirten Menschen, meistens aber bei nervösen, hereditär prä- disponirten, heruntergekommenen und durch andere Leiden geschwäch- ten Individuen, in Sonderheit aber bei weiblichen sogenannten „hyste- rischen'* Personen zur Beobachtung kommen.

Bekannt sind nach dieser Richtung hin die sogenannten Gelenk- neuralgien, d. h. Schmerzen, welche ohne pathologisch-anatomisch nachweisbare Veränderungen in und um die verschiedenen Gelenke herum auftreten und die Gebrauchsfähigkeit der Glieder aufs Aeusserste beschränken können. Durchleitung starker konstanter oder faradischer Ströme direkt durch das Gelenk oder Anwendung des faradischen Pinsels besonders auf die auch hier in der Nähe des Gelenks sich findenden Druckschmerzpunkte sind die am schnellsten zum Ziele führenden elektrotherapeutischen Massnahmen, wiewohl auch in man- chen Fällen die Applikation der Anode eines stärkeren galvanischen Stroms (Kathode indifferent) sich nützlich erwiesen hat. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass die elektrische Kur nur ein Teilglied der therapeutischen Bestrebungen des Arztes zu bilden hat: dem Zweck dieser Arbeit würde es widersprechen, näher auf alle hier in Betracht kommenden Punkte einzugehen ;. die Elektrotherapie ist nur ein freilich oft sehr wirksames Mittel aus der Reihe derer, welche in einer gewissen Mannigfaltigkeit dem die jedesmalige Individualität etc. berücksichtigenden Arzte zur Bekämpfung derartiger Leiden zu Ge- bote stehen.

§ 178. Viscerale Neuralgien; Cephalaea. 415

Neben diesen Gelenkneuralgien gibt es nun verschiedene schmerzhafte Zustände, welche von den Kranken in die Tiefe verlegt und auf die in den grossen Körperhöhlen eingeschlossenen Organe bezogen werden. Diese „visceralen Neuralgien" im Ge- biete des Plexus abdominalis des Sympathikus z. B, können sich kund geben durch enorme Schmerzen in der Tiefe des Leibes (die verschiedenen Kolikformen, z. B. Bleikolik) und verbunden sein mit schmerzhaften Empfindungen im Mastdarm, der Blase, der Harnröhre, dem Uterus (Dysmenorrhoe). Neuerdings empfahl Neftel-^^ besonders die Galvanisation des »Centrum genito- spinale und der N. splanchnici** gegen diese Leiden. Man setzt (auch während des heftigsten Schmerz- paroxysmus) die Anode eines konstanten Stromes am Rücken in der Gegend der Lendenwirbelsäule auf, die Kathode am Unterleib ober- halb der Schamgegend, wendet den Strom öfter und führt die Anode die ganze Wirbelsäule entlang, während die Kathode von der Mitte nach beiden Inguinalgegenden hin verschoben wird. Je nach der Reizbarkeit der Individuen werden stärkere oder schwächere Ströme eventuell mit Fortlassung der Stromwendungen in Anwendung ge- zogen: die Galvanisation wird Monate lang fortgesetzt. Schmerzhafte Zustände in der Magengegend, Darm-Koliken etc., sofern sie nicht auf schweren Organerkrankungen beruhen, werden mit Vorteil häufig durch den konstanten Strom (Anode in der Herzgrube oder in der Nabel- gegend, Kathode an den Proc. spin. der untersten Brustwirbel) be- handelt (stabile Methode): in anderen Fällen erwiesen sich mittel- starke faradische Ströme oder die Anwendung des elektrischen Pinsels von Vorteil. Ueber die Behandlung der Angina pectoris (Herznerven- neuralgie) siehe weiterhin.

Auch durch cerebrale Kongestionen entstandene Kopfschmerzen hat Neftel durch sein Verfahren geheilt durch Beeinflussung der N. splanchnici, wie er glaubt,, und die dadurch mittelbar modifizirte Blutzirkulation in den Unterleibsgefässen.

Gerade die Besprechung der „Kopfschmerzen« (Cephalaea) und ihrer Behandlung ganz allgemein mag uns den Uebergang bahnen zur Mitteilung derjenigen Verlahrungsweisen , welche die Elektro- therapie dem Arzte zur Bekämpfung der unter dem Namen der „vaso- motorischen" Neurosen bekannten Krankheitszustände an die Hand gibt. Es wäre eine ganz selbstständige Aufgabe für den ärztlichen Schriftsteller, die so mannigfachen Ursachen der „Kopfschmerzen" und ihre ebenso vielfache Therapie monographisch zu behandeln: für unsere Zwecke genügt es, festzustellen, dass der Arzt, nachdem er

416 Kopfschmerzen. Kap. XXIV.

allen sonstigen Indikationen Genüge geleistet hat, dennoch oft mit dem Patienten zAisammen zweifelnd mid verzweifelnd vor der Erfolg- losigkeit aller seiner Bemühungen steht. Nicht selten sieht man dann und wir selbst können aus eigner Erfahrung nicht wenige Beispiele hierfür anführen, wie die Durchleitung eines schwachen galvanischen Stromes von höchstens 1 3 Milliampere Stärke quer oder längs durch den Kopf (die Rheostatbenutzung ist bei derartigen Prozeduren unum- gänglich notwendig) gute und nachhaltige Erfolge hervorbringt. Man kann auch die eine Elektrode (knopfförmig) an die Stelle der ver- mutlichen Lage des Ganglion supremum des Sympathikus am Halse plaziren, die andere am Nacken ruhen lassen: die Sitzungen können täglich oder doch wenigstens einen Tag um den andern wiederholt werden und mögen im Ganzen die Dauer von 3 5 Minuten nicht übersteigen.

Von der „allgemeinen Faradisation^*, die von Board und Rock- well bei der Behandlung ähnlicher Zustände bei „nervösen^S »neu- rasthenischen" Menschen angewendet wird, ist ausführlicher schon oben (S. 351) gehandelt. Ihr schliesst sich die von Beard bei den verschiedensten nervösen Zuständen geübte „centrale Galvanisation <* an, von welcher Behandlungsmethode allein oder in Verbindung mit der erwähnten allgemeinen Faradisation dieser Autor Stärkung, und Beruhigung bei den mannigfachsten nervösen Zuständen schwächlicher, neurasthenischer Personen gesehen hat: es ist nach ihm diese Behand- lung ein wahres Tonikum *' für die Leidenden. Eine Wirkung, die von Beard und Rockwell und andern Autoren (vgl. S. 381, 382) als ganz besonders wohltätige Folge der allgemeinen Elektrisation ge- rühmt wird, das Herbeiführen von Schlaf, haben auch wir als sehr bald sich einstellenden Effekt von der Durchleitung schwacher galva- nischer Ströme durch den Kopf häufig beobachten können. Anderer- seits ist es nicht eben selten, dass Personen, sobald sie nur überhaupt dem Einfluss der Elektrizität, sei es des galvanischen oder des fara- dischen Stromes, ausgesetzt werden, über vermehrtes Schlafbedürfniss berichten, auch dann, wenn von einer direkt auf den Kopf gerichteten Behandlung keine Rede ist.

Aehnlich wie die allgemeine Elektrisation soll auch das elek- trische Bad wirken (vgl. S. 366); obgleich gerade über die Erfolge dieser Applikationsweise der Elektrizität allen Anforderungen vor- urteilsloser Beobachtung genügende Erfahrungen noch nicht in hin- reichender Anzahl vorliegen.

Unter den neueren Schriftstellern betont besonders Mob ins -''•'^

§ 178, 179. Hemicrania. 417

die schmerzstillende Wirkung der Elektrizität bei Neuralgien, bei Pseudoneuralgien nach Wirbelkaries, bei Tabes, kariösen Zahnschmerzen, Kopfschmerzen u. s. w. Der neuralgische Schmerz sei der Ausdruck eines eigentümlichen Zustandes der Nervensubstanz, die er als »neural- gische Veränderung« bezeichnet. Die Ursache derselben kann eine verschiedene sein: auf diese selbst kann die Elektrizität nicht ein- wirken und so wirkt sie bei Entzündungen nur temporär und sympto- matisch. Der konstante Strom wirkt öfter schmerzstillend, als der faradische, die Anode ist im Allgemeinen der Kathode vorzuziehen; langsames Steigen und Sinken mit der Stromstärke wirkt günstiger, als einzelne Stromstösse.

§ 179. Aus der Reihe der nervösen Zustände und Schmerzen haben sich schon seit langer Zeit diejenigen Kopfschmerzen, die man unter dem Namen der Migräne (des einseitigen Kopfschmerzes, der Hemikranie) kennt, eine besondere Beachtung erworben. Die grosse Wahrscheinlichkeit der Abhängigkeit dieser Leiden von der Spannung und der Füllung der Gefässe der Hirnhäute, vielleicht des Hirns selbst hat schon bald nach dem Bekanntwerden der Wirkungen des kon- stanten Stroms die Aerzte nach einem so mächtigen Mittel zur Be- kämpfung dieser peinvollen Zustände greifen lassen. Namentlich war es Holst^^", der fussend auf die von du Bois namentlich und Möllendorf zuerst betonten verschiedenen Gefässfüllungszustände und in Berücksichtigung anderer Symptome, welche auf die Tätigkeit der hier in Betracht kommenden sympathischen Nerven Licht warfen (Pupillenweite, Färbung und Temperatur der Gesichtshaut und der Ohren etc.) die Hemicrania sympathico-tonica (spastica) und die Hemicrania angio-paralytica nach den von Brenner an- gegebenen Prinzipien mit Erfolg behandelte.

Bei der ersten Form, der angiospastischen , wobei das Gesicht blass, die Pupillen weit, die Arterien eng sind, wird die Anode auf den Halsteil des Sympathikus aufgesetzt, sodann die Kette eines relativ starken Stromes geschlossen (Kathode ruht an einem indiffe- renten Punkt) und nach einigen Minuten die Stromstärke allmäh- lich (Ausschleichen, Rheostatbenutzung) vermindert. Bei der zweiten, der angioparalytischen Form, wobei das Gesicht rot und warm, die Pupillen eng, die Arterien weit sind, soll durch den starken Reiz der Kathode (am Sympathikus) die Parese der vasomotorischen Fasern dieses Nerven bekämpft werden: daher wiederholte Oetfnungcn und

Rosen thal ii. Bprnhaidt, Klektiizitiitslelirp. III. AiiH. 27

418 Sympathikusa Sektionen. Kap. XXIV.

Schliessungen des Stromes, ja sogar Volta'sche Alternativen ange- raten werden (Anode ruht an einem indifferenten Punkte).

Vorwiegend wandte Holst (wenn eben nicht der lähmungsartige Zustand der Gefässe absolut deutlich ausgeprägt war) die erste Me- thode an, durch die er sowohl während der Einzelanfälle Erleichte- rung, wie auch ein längeres Aussetzen der einzelnen Anfälle erzielt haben will.

Anderen Autoren hat die Durchleitung schwacher galvanischer Ströme durch den Kopf oder auch die Anwendung schwacher fara- discher Ströme (der elektrischen Hand) gute Dienste geleistet. Jeden- falls ist auch hier bei der etwaigen Erfolglosigkeit einer Methode die andere Behandlungsweise zu versuchen.

Im Anschluss an das eben Mitgeteilte erscheint es passend, hier sogleich dasjenige hinzuzufügen, was über etwaige Erkrankungen der am Halse liegenden, dem Sympathikus angehörigen Gebilde bekannt ist. Wie jeder andere Nerv kann auch der Halssympathikus durch äussere Verletzungen, durch Geschwülste etc. lädirt werden, wobei in einzelnen Fällen die Symptome der Reizung (vgl. das soeben Gesagte: Blässe der betreffenden Gesichtshälfte, Erweiterung und träge Reaktion der Pupillen, massiger Exophthalmos), in andern wieder solche der Lähmung (vermehrte Gefässfülle und Wärme der leidenden Kopfhälfte, Verengerung der Pupillen, massiges Eingesunkensein des Augapfels und Verengerung der Lidspalte, Zustände von Schwindel, Ohrensausen etc.) mehr in den Vordergrund treten können. Man ver- gesse dabei nicht, dass, wie verschiedene Beobachtungen lehren, die vasomotorischen Fasern im Sympathikus in selbständiger Weise beein- flusst sein, z. B. in einem Reizzustand sich befinden können, während die oculopupillären Fasern sich paretisch erweisen; es kommen so gemischte Krankheitsbilder zu Stande, die in jedem einzelnen Falle natürlich variiren können. Die Behandlung der Folgen der Sympa- thikusläsionen richtet sich nach den oben bei Besprechung der Hemi- kranie auseinandergesetzten Prinzipien: in Anbetracht des wahrschein- lichen zentralen Ursprungs der sympathischen Fasern für das Gesicht und den Kopf aus dem Halsmark, wird es sich für einzelne Fälle empfehlen, je nachdem die Anode, oder die Kathode auf die Nacken- wirbel zu appliziren, um so möglichst zentrale Einwirkungen stattfinden zu lassen (Eulenburg und Guttmann^ß-j Seeligmüller^ß^ u. A.).

§ 180, Seitdem in Bezug auf die Pathologie der »Basedow- schen Krankheit" die Ueberzeugung von einer wesentlichen Beein-

§• 180. Morbus Basedowii; Angina pectoris. 419

trächtigung der in der Med. obl. und im Halsmark gelegenen Gefäss- und Herznervencentren sich Geltung verschafft hat, hat man auch angefangen, dieses Leiden durch den galvanischen Strom und, wie wir gleich hinzufügen wollen, oft mit grossem Erfolg zu behandeln. Wir selbst sind ebenso wie andere Autoren (besonders Chvostek^^s, M. Meyer^^^ A. Eulenburg-'") in der Lage, den wohltuenden Einfluss der Galvanisation des Halsmarks und auch der sogenannten Sympathikusgalvanisation auf das Leiden selbst und den Allgemein- zustand der Kranken zu konstatiren.

Man verwendet, womöglich unter Rheostatbenutzung, schwache Ströme (3 8 Milliampere): die Anode wird an die Incisura semi- lunaris des Mannbr. sterni, die Kathode an die Innenseite des M. sterno- cleidomastoideus oben am (Jnterkieferwinkel aufgesetzt. Naclidem so der Strom „aufsteigend" 2 3 Minuten gewirkt hat, kann man auch die Anode in den Nacken plaziren, Wcährend die Kathode in der an- gegebenen Stellung verharrt: nach weiteren 2 Minuten kann man schliesslich die Kathode auf die geschlossenen Augenlider setzen lassen, während die Anode am Nacken bleibt. Einige Autoren lassen schliess- lich noch einen etwas stärkeren Strom direkt durch die Struma gehen. Die Erfolge der täglich zu wiederholenden, mit schwachen Strömen vorzunehmenden und auf 5 8 Minuten Dauer auszudehnenden Sitzungen sind in der Tat häufig recht erfreuliche: namentlich wird ein Sinken der Pulsfrequenz oft bald konstatirt und das ganze Befinden der meist sehr erregten und dabei geschwächten Kranken erheblich gebessert: freilich mag dazu die empfohlene Ruhe, die Anordnung einer kräftigen Diät etc. nicht wenig beitragen.

Weniger genau sind wir über die günstigen Erfolge der Behand- lung der unter dem Namen der „Angina pectoris" bekannten Neurose mittelst der Elektrizität unterrichtet. Immerhin haben ein- zelne Autoren (v. Hübner-"'-', A. Eulenburg^'^, Duchenne) durch die Anwendung der Elektrizität beachtenswerte Resultate erzielt. Nach V. Hübner verfährt man im Grossen und Ganzen ebenso, wie bei der Behandlung der Basedow'schen Krankheit (Benutzung soge- nannter aufsteigender Ströme am Sympathikus); auch Hess derselbe Autor die Anode an dem Platz oberhalb des Brustbeins und appli- zirte die Kathode bei seinem Kranken abwechselnd auf zwei druck- empfindliche Punkte an beiden Schulterblattwinkeln (schwache Ströme). In ähnlicher Weise wie Hübner fand neuerdings auch Löwenfeld aufsteigende galvanische Ströme am Halse sowohl momentan, als auch nach häufigerer Wiederholung der Prozedur Linderung schaftend und

27*

420 Vasomotorische Neurosen. Kap. XXIV.

empfiehlt dieses Verfahren auch bei ßriistbeklemmungen Melancholischer und Hysterischer.

Starke Ströme (bis zu 30 Elementen) benutzte Eulen bürg-'': die Anode stand mit breiter Kontaktfläche auf dem Brustbein, die Kathode auf der unteren Halswirbelsäule.

Eigene Erfahrungen stehen uns nicht in genügender Anzahl zu Gebote; immerhin würden wir eine Beeinflussung des Halsmarks mittelst des galvanischen Stroms versuchen; auch Hesse sich, seitdem V. Ziemssen ^"'^ die Möglichkeit einer direkten Treffbarkeit des Herzens und seiner nervösen Gebilde durch den galvanischen Strom nach- gewiesen hat (vgl. S. 339) von der Einwirkung eines solchen auf das Herz Manches erhoffen. Die Zukunft muss lehren, in wieweit diese Annahmen berechtigt sind. Erwähnenswert ist endlich noch die Duchenne'sche Methode der faradischen Hautpinselung der linken Brustgegend, durch welche augenblickliche Erleichterung und weiter- hin bei wiederholter Anwendung Heilung erzielt wurde.

Im Anschluss an die eben besprochenen Zustände erwähnen wir die nicht gerade allzu häufig zu beobachtenden Krankheitsfälle, welche sich in Kaltwerden und Erstarren der Extremitäten (speziell der Finger und der Zehen) äussern, wobei diese Glieder eine teils blasse, teils livide und cyanotische Färbung annehmen und mehr oder weniger schmerzhafte Sensationen in ihnen entstehen. Diese von Raynaud"*, Vulpian^^^ Lannois^-e, M. Weiss^", Bernhardt"^ und Anderen beobachtete, von den Franzosen Asphyxie locale des extrem ites genannte Krankheit wird auf eine abnorm gesteigerte Erregbarkeit der im untersten Teile des Cervical- und im obersten des Dorsalmarks gelegenen vasomotorischen Centren zurückgeführt: diese Erregbarkeit würde reflektorisch durch die Reizung sensibler Hautnerven der Peripherie (abnorme Temperaturgrade, Handtirung mit ätzenden Flüssigkeiten etc.) dauernd oder intermittirend unterhalten. Bei dem heute noch durchaus nicht entschiedenen Streit, ob selbständige gefässerweiternde Nerven neben den gefässverengernden anzunehmen und ob wie für die Arterien so auch für die Venen spezielle Nerven zu statuiren seien, ist es schwer, über das Wesen dieser, übrigens meist bei nervösen und neurasthenischen Personen zu beobachtenden Krankheitszustände sichere Angaben zu machen. Genug, dass man neben der symmetrischen Asphyxie der Extremitäten wohl auch die symmetrische Gangrän, ferner die sogenannte Erythromelalgie Lannois' und ähnliche Zustände hierher zu rechnen hat. Neben der Anwendung ziemlich kräftiger (8— 15 Milliampere) konstanter Ströme

§ 180. Sklerodermie; Troplioneuroseii : Heniiatrophia facialis progressiva. 421

längs des Rückens (Anode am Nacken, Kathode in der Lendengegend (vgl. Löwen fcld's Untersuchungen S. 331) kann man iiuch die Applikation von Rückenmarks plexus- oder Plexusnervenströmen (vergl. S. 364) versuchen und namentlich bei angiospastischen Zuständen den faradischen Pinsel direkt auf die erkalteten Teile appliziren oder mit feuchten Elektroden die Nerven und Muskeln der erkrankten Extre- mitäten erregen. So empfahl z. B. Nothnagel'^^^ bei solchen auf Arterienkrampf zurückzuführenden Leiden den positiven Pol auf den Plexus brachialis, den negativen auf deu Nacken zu setzen und etwa 5 Minuten lang den Strom durchzuleiten. In 10 20 Sitzungen wurden die pathologischen Erscheinungen zum Verschwinden gebracht. Ueber die Erfolge einer derartigen Behandlung sind zur Zeit die Er- fahrungen noch spärlich: jedenfalls kanu man sagen, dass in einzelnen Fällen erhebliche Besserung erzielt worden ist.

Neben diesen exquisit vasomotorischen Störungen der Haut findet man teils mit ilmen komplizirt, teils von vornherein selbständig auf- tretend eine Krankheit derselben, welche unter dem Namen der Sklerodermie bekannt, im Wesentlichen in einer abnormen Straff- heit und Dünnheit der Haut und des Uuterhautbindegewebes besteht. Diese vorwiegend als eine atrophische*' Störung, eine Tropho- n cur ose auftretende, eminent chronische und sehr schwer heilbare Kranliheit zeigt neben den erwähnten atrophischen Zuständen der Haut in nicht seltenen Fällen ähnliche vasomotorische Störungen (abnorme Kälte und Blässe der ergriffenen Teile, oberflächliche und tiefer greifende Zerstörungen der Haut und Knochen) wie in den eben besprochenen Fällen, so dass wir uns berechtigt glaubten, über diese Zustände im Anschluss an die oben besprochenen vasomotorischen Störungen diese wenigen Bemerkungen zu machen; die bisherigen elektrolherapeutischen Bemühungen zur Heilung des Leidens (Galvani- sation des Rückenmarks, Faradisation und Pinselung der Haut, Mus- keln und Nerven der Extremitäten) waren bis heute von nur geringem Erfolg begleitet.

Zu den als Trophoneurosc aufgefassten Erkrankungen rechnet man heule allgemein auch die Hemiatrophia facialis progressiva, die einseitige (progressive) Gesichtsatrophie. Hinsichtlich der Erreg- barkeit der der leidenden Seite angehörigen Gesichts-, Kau- und Zungenmuskulatur ist meistens von einer etwas erhöhten (durch den verminderten Leitungswiderstand der atrophischen Partien erklärten), seltener von einer verminderten Erregbarkeit im Vergleich zur ge- sunden Seite berichtet worden: meist aber sind diese Differenzen

422 Epilepsie. Kap. XXIV.

(immer nur (.juantiiative) sehr unbedeutende. Unbedeutend aber sind auch leider die bisher von einer elektrischen Kur verzeichneten Er- folge: weder die Galvanisation des Sympathikus, noch die des Hals- marks oder die Galvanisation quer durch den Kopf (Ansatzstellen der Elektroden die Proc. raastoidei) oder die direkte auf die Nerven und Muskeln der leidenden Seite gerichtete Behandlung war in den bekannt gegebenen Fällen von nachhaltigem Erfolg gewesen.

§ 181. Die bedeutenden Wirkungen des konstanten Stroms ver- anlassten die Aerzte schon früh, denselben auch bei einer Anzahl von Krankheiten zu versuchen, welche im wahren Sinne des Wortes als „allgemeine Neurosen« aufzufassen sind, der Epilepsie, dem Veits- tanz, der Hysterie etc.

Hat man Veranlassung, die Epilepsie mit einer ganz be- stimmten Läsion des zentralen oder peripherischen Nervensystems in Zusammenhang zu bringen (Schädeltrauma, Rückenmarks Verletzung, Narben im Verlauf peripherischer Nerven oder überhaupt bestimmte Druckschmerzpunkte, von denen aus eventuell ein Anfall ausgelöst werden könnte), so liegt es nahe, hier die kataly tischen Einwirkungen des konstanten Stroms zu versuclien und namentlich durch die Appli- kation der Anode eines massig starken Stroms auf die Resorption der die Reizbarkeit unterhaltenden pathologischen Produkte hinzuwirken. Wenn derartige Anhaltspunkte fehlen, versuche man durch die Appli- kation der Anode hoch oben im Nacken (Kathode an einem indiffe- renten Punkt) mittelst eines kräftigeren (übrigens immer am besten durch Rheostatbenutzung abzustufenden) Stromes die Erregbarkeit der Med. obl. oder des Pons (der bis in die neueste Zeit hinein als »Krampfcentra" betrachteten Hirnpartien) zu vermindern, oder endlich man versuche mit schwächeren Strömen die sogenannte Sympathikus- behandlung oder die direkte Durchleitung längs des Kopfes oder quer durch denselben. Es ist vor der Hand nicht möglich über die Resultate einer derartigen Behandlung etwas bestimmtes oder günstiges auszusagen, da bisher noch fast kein Autor die elektrische Behand- lung in dem Sinne isolirt durchgeführt hat, dass er nicht noch andere Mittel (vornehmlich Brompräparate) nebenbei in Anwendung gezogen hätte.

Schon oben (S. 405) bei der Besprechung der Therapie des Facialiskrampfes ist darauf aufmerksam gemacht, dass die neuerdings gewonnenen Erfahrungen und Anschauungen von der Möglichkeit der Entstehung partieller und allgemeiner Konvulsionen von der Hirn-

§ 181, 182, 183. Chorea; Hysterie. 423

rinde her dazu geführt haben, die clektrotherapeutischc Behandlung dieser Anschauung konform zu gestalten, d. h. direkte Behandlung der als Ausgangspunkt der Konvulsionen anzusehenden, auf den Schädel projizirten Stelle (meist der Scheitelbeinregion) mit der Anode, wäh- rend die Kathode irgendwo am Körper ruht.

§ 182. Mehr wie bei der elektrischen Behandlung der Epilepsie wissen die verschiedensten Autoren von den Erfolgen ihrer elektro- Ihcrapcutischen Bestrebungen in Bezug auf die Chorea zu berichten. Man wendet entweder die Sympathikusgalvanisation an oder (schwache) Ströme in aufsteigender Richtung längs der Wirbelsäule oder durch den Kopf. Die von einigen nach derartigen Massnahmen berichteten Erfolge hat v. Ziemssen-^*^ z. B. bei seinen Versuchen in dieser Richtung nicht bestätigen können, während wir selbst zwar nicht in allen, so doch in einigen Fällen jedesmal durch die Eltern der an Veitstanz erkrankten und z. B. mit Sol, Fowleri längere Zeit ohne besonderen Erfolg behandelten Kinder, bei denen des Versuches wegen derartige schwache aufsteigende Rückenmarksströme angewandt wurden, bei späteren, oft erst nach Jahren eintretenden Recidiven dringend ersucht wurden, doch sofort mit der elektrischen Behandlung zu be- ginnen, da diese ihrem Ermessen nach das Leiden am schnellsten zum Schwinden gebracht hätte. Aehnliche günstige Resultate berichtet Lcube-^': in neuester Zeit ist von Rosenbach-^- namentlich und von Seifert-^"' auf oft erst durch den elektrischen Strom selbst zu eruirende Druckschmerzpunkte an den Wirbeln oder in den Inter- costalräumen aufmerksam gemacht, auf die der konstante Strom (Anode) gerichtet werden solle und deren Behandlung die Zeit des Krankseins erheblich abzukürzen vermöge.

§ 183. So vielgestaltig wie sich der Symptomenkomplex der- jenigen nervösen, meist bei Frauen anzutreffenden Zustände gestaltet, welche man mit dem Namen der „hysterischen^' zusammen fasst, so vielfältig sind auch die der Elektrotherapie entlehnten Verfahrungs- weisen, um den mannigfachen Beschwerden und krankhaften Erschei- nungen bei derartigen Kranken abzuhelfen. Eine wie grosse Rolle das psychische Moment bei der Behandlung der oft so wunderbare Formen annehmenden Krankheit spielt, ist jedem bekannt, der Gelegen- heit hatte, viele derartige Kranke zu sehen: und so kommt es denn auch, dass schön das blosse Wort „elektrisiren" , der Anblick der bisher noch nie gesehenen Apparate, das Neue, Unbekannte der ganzen

424 Hysterie. Kap. XXIV.

Sache überhaupt etc. einen derartigen Eindruck hervorbringt, dass selbst sehr schwache faradische oder galvanische Ströme, irgendwo applizirt, ja dass das blosse Ansetzen der Elelctroden (ohne jeden Strom) oft erstaunliche Resultate hervorbringen kann. Aphonien werden geheilt, paretische Zustände gebessert, Singultus zum Aufhören gebracht etc. Abgesehen nun von diesen psychischen Einwirkungen vermag aber die Elektrizität in der Tat die verschiedensten hier in Frage kommenden Krankheitszustände zu lindern oder zu heben: wenigstens temporär. Es versteht sich, dass nirgends mehr als bei der Behandlung gerade der Hysterie noch die mannigfachsten anderen therapeutischen Massnahmen und nicht zum mindesten eine zweck- entsprechende psychische Behandlung zur Anwendung kommen muss, wenn dauernde Erfolge erzielt werden sollen.

Die verschiedenen Anästhesien werden durch starke faradische Ströme (Anwendung des trocknen Pinsels) bekämpft, stärkere fara- dische Ströme sind geeignet, die lähmungsartigen Zustände zu heben (die elektrische Erregbarkeit bleibt, wenn die Krankheit nicht etwa über viele Jahre hinaus angedauert hat, erhalten), konstante Ströme längs des Rückens (Anode) sind geeignet, auf die oft so unangenehme Ueberempfindlichkeit der Rückenwirbel wohltuend einzuwirken oder neuralgische Zustände in den verschiedensten peripherischen Nerven- gebieten zu mildern oder zu heben.

Die äussere oder innere Faradisation des Kehlkopfs, der Blase etc. kann auf die lähmungsartigen Zustände dieser Organe heilend ein- wirken: freilich wird man sich sehr oft in die Lage versetzt sehen, die Behandlung zu wiederholen, die Methoden zu variiren, um bei den so häufigen Recidiven aufs Neue wohltätig einwirken zu können. Gerade für diese Zustände muss dem Takt und der Erfahrung des behandelnden Arztes Vieles überlassen bleiben: allgemein giltige und für jeden Fall berechnete Regeln lassen sich nicht aufstellen. Dies gilt auch in Bezug auf die Frage, ob starke oder schwache Ströme in Anwendung zu ziehen seien: oft wird man mit einem schwachen konstanten Strom Erfolge erzielen, wo der stärkste und die heftigsten Schmerzen bereitende faradische Strom im Stich liess, wie es z. B. die neuerdings namentlich in Frankreich in Aufnahme gekommene Metallotherapie der Hysterischen zur Genüge dartut (vgl. später).

In Bezug auf die Wirkungen der „statischen Elektrizität <' bei der Behandlung dieser Neurose siehe weiter hinten.

§ 184. Es erübrigt noch einiger Krankheitszustände und ihrer eiektrotherapeutischen Behandlung Erwäluiung zu tun, welche zwischen

§ 184. Paralysis agitans: Tremor; Diabetes. 425

den auf nachgewiesenen Läsionen des Centralnervensystems beruhen- den Affektionen und den sogenannten funktionellen Nervenkrankheiten mitten inne stehen. So ist z. B. bekannt, dass der neuerdings unter dem Namen der „Athetose*' beschriebene Symptomenkomplex im Anschluss an eine cerebrale Hemiplegie sich entwickeln kann, wäh- rend andererseits offenbar Fälle existiren, die sich primär ohne voraufgegangene Lähmungszuständc einstellen. Neben der Behand- lung des Grundleidens hat man, ohne sich gerade besonderer Erfolge rühmen zu können, diese Zustände (Unterarten gleichsam der post- hemiplegischen Chorea) elektrisch durch Galvanisation durch den Kopf und am Halse behandelt: in einem Falle hat Gnauck-^* (freilich auch mit Hinzunahme einer Bromkaliumdarreichung) durch absteigende Ströme auf Hals-, Lendenmark und Muskeln Heilung eintreten sehen.

Noch weniger ermutigend sind bis heute die Resultate einer elek- trischen Behandlung der unter dem Namen „Schüttellähmung^' (Paralysis agitans) bekannten Krankheit: wir haben so wenig wie andere von einer Galvanisation durch den Kopf oder von den gleich- falls empfohlenen schwachen (aufsteigenden) Rückenmarksströmen Er- folge gesehen. Ueber die von Charcot (vgl. später) gerühmte Be- handlung dieses Leidens mittelst der statischen Elektrizität fehlen zur Zeit noch ausreichende Erfahrungen.

Dagegen lobt Paul-^^ halbstündige, jeden dritten Tag zu wiederholende elektrische Bäder bei Zitt er zuständen (Tremor alkoholicus, mercurialis, senilis): nacli etwa 20 30 maliger Anwendung (bei dem Zittern von Alkoholikern soll eine geringere Anzahl von Bädern genügen) gestalteten sich die Erfolge sehr be- friedigend.

Nicht dasselbe kann man sagen von der Einwirkung konstanter Ströme auf die Medulla oblongata, als den vermutlichen Ausgangs- punkt mancher Fälle von Diabetes mellitus. Bessere Resultate erzielte man durch eine Galvanisation des Halsmarks nach den be- kannten Methoden beim Diabetes insipidus: will doch Althaus -^'^ neuerdings nach einmaliger, 6 Minuten langer Applikation desselben auf die Med. oblongata (mit Yolta'schen Alternativen) ein Jahre lang bestehendes derartiges Leiden bei einem 37jährigen Mann geheilt haben (?!).

Andererseits besitzen Avir schon seit langer Zeit (1865) Kennt- niss von der Heilung eines Falles von Diabetes insipidus bei einem 29jährigen, syphilitischen Frauenzimmer (Fall von M. Seidel-'''') durch die Applikation des konstanten Stromes in die Nierengegend:

426 ■Npurasihenia. Kap. XXIV.

die eine Elektrode befand sich neben der Wirbelsäule, die andere unter dem Hypochondrium tief eingedrückt; und neuerdings berichtete Ol ubbe ■-'''' von der Verminderung der übermässigen Harnabsonderung bei einer in der Mitte der Dreissiger stehenden Frau durch Faradisa- tion der Nierengegond. So viel steht also fest, dass in entsprechen- den Fällen diese bei nur einigem Geschick durchaus unschädlichen Behandlungsmethoden versucht werden können.

§ 185. Neben den sich in ganz ausgeprägter Weise darstellenden und in stets derselben Symptomatologie auftretenden Neurosen, wie die eben besprochenen Krankheilen, nämlich die Epilepsie, die (3horea, die Hysterie kennt man schon seit geraumer Zeit krankhafte Zu- stände, welche offenbar aul Störungen im Centralnervensystem zurück- zuführen sind, ohne dass wir mit unseren heutigen Hilfsmitteln im Stande wären, diese Läsionen makroskopisch oder mikroskopisch nach- zuweisen.

Als Hypochondrie, Spinalirritation, Kopfdruck u. s. w. waren derartige Leiden schon lange bekannt, aber erst in den letzten Jahren haben sich speziell auf die Initiative der amerikanischen Forscher Beard und Rockwell'^- die Acrzte auch anderer Länder und be- sonders Deutschlands mit dieser Affektion näher beschäftigt, die heute nach den Arbeiten von Erb", Möbius"^^ Engelhorn'^^ Fischer '^^ Althaus, Stein 's^ Löwenfeld ''S Holst^^^ und anderen unter dem Namen der Neurasthenie, der Nervenschwäche, einen ganz bestimmten Platz im nosologischen System einnimmt. Die Neuzeit mit ihren rastlosen Bestrebungen auf allen Gebieten der Wissenschaften sowohl, wie des Erwerbes, der nimmer ruhende Kampf ums Dasein, die erhöhten Anforderungen der Schule, die verfeinerten und verviel- fältigten Genüsse, welche oft nur durch somatische und psychische Lieberanstrengung erkauft werden können, daneben die durch unsere heutigen sozialen Verhältnisse weiter als früher hinausgerückte Mög- lichkeit, in einem geregelten ehelichen Leben den Anforderungen des Geschlechtstriebes zu genügen und die daher oft vor der Zeit auf natürlichem oder widernatürlichem Wege voraus genommenen Genüsse, haben eine gewisse Generation von Menschen geschaffen, die auf den ersten Anblick hin teils als hirn-, teils als rückenmarkleidend be- trachtet werden könnten. Die Symptome gestörter Hirnfunktion äussern sich in drückenden Empfindungen im Kopte, Unlust zu ernster Be- schäftigung, freud- und mutloser Stimmung, Schlaflosigkeit, unbe- stimmten Angstempfindungen etc. (Cerebrasthenia, Neurasthenia

§ 185. Neurasthenie, Behandlung. 427

cere braus); die Zeichen des Rückenmarksleidens (Neurasthenia spinalis, Myelasthenia) geben sich kund in abnorm früh auf- iretender Ermüdung bei massigen Anstrengungen, eigentümlichen Sensa- tionen in den Beinen, Schwere und Kältegefühl in den Füssen, Schmerzen im Rücken und Kreuz, übermässig häufigen Pollutionen, mangelhaftem Vermögen, den Beischlaf auszuführen u. s. w.

Hat man bei derartigen Kranken, welche sich stets als ungemein schwer leidend, an sich und der Hilfe des Arztes von vornherein zweifelnd, meist durch Lektüre schlechter populärer Schriften aufs Aeusserste eingeängstigt durch eine gewissenhafte Untersuchung (man achte besonders auf das Vorhandensein der Kniephänomene, den Zustand der Sinnesorgane, speziell der Augen, die Intaktheit der Blasen funktion etc. den Widerspruch zwischen den exzessiven Klagen und dem oft ganz negativen objektiven Befund) das Fehlen greif- barer Symptome eines Hirn- oder Rückenmarkleidens ausgeschlossen, so ist, wenn auch nicht in allen, so doch in sehr vielen Fällen, durch eine passende psychische Behandlung und zweckentsprechende diäte- tische Vorschriften, denen ein gut geleitetes elektrotherapeutisches Verfahren eine wesentliche Stütze wird, ganz Vortreffliches zu leisten.

Neben der Anwendung schwacher galvanischer Ströme durch den Kopf (eventuell mit Einbeziehung des „Sympathikus") oder längs der Wirbelsäule (man achte hier auf das Vorhandensein schmerzhafter Punkte) ist vor Allem von der „allgemeinen Faradisation" , sei es in der von Board und Rockwell ursprünglich angegebenen Weise, oder nach dem namentlich von Stein (vgl. S. 352) modifizirten Ver- fahren Gebrauch zu machen. Lassen sich Bäder ohne Mühe ver- wenden, so findet man in der x\nwendung „elektrischer Bäder" (nach Seeligmüller, Eulenburg, Holst) ein ausgezeichnetes Mittel, in oft wenigen Sitzungen den Kopfdruck zu beseitigen. Schlaf herbei- zuführen, die Verdauung (Appetit, Stuhlgang) zu regulireu und den qualvollen Zustand des verzweifelnden Kranken zu einem hoft'nungs- freudigen umzugestalten. Männer erkranken in dieser Weise leichter, als Frauen: neben anderen Kuren hat sich aber auch gerade bei bleichen, schwachen Mädchen die allgemeine Faradisation eines günstigen Erfolges zu erfreuen, obwohl auch hier nicht verschwiegen werden kann, dass Recidive eintreten, ja in einzelnen Fällen die Kur auch ganz erfolglos bleibt.

Kapitel XXV.

Von der Elektrotherapie der Krankheiten der Sinnesorgane.

§ 186. Bei der Besprechung der Elektrotherapie der Er- krankungen der Sinnesorgane wenden wir uns zunäciist zum Auge. Ob sich die Empfehlungen Weisflogs (vgl. S. 346) bewähren werden, nach denen mittelst der Elektrizität, speziell des faradischen Stromes, Hornhautgeschwiirc und Iritiden behandelt und geheilt wer- den sollen, muss die Zukunft lehren. Schon vor VVeisflog"s '""^ Beobachtungen sind übrigens namentlich von italienischer Seite durch Arcoleo-^^, Rodolfi-^" und Andere Behandlungsmethoden und Er- folge bei elektrotherapeutischer Behandlung von Erkrankungen der Lidbindehaut (z. B. Trachom) und der Hornhaut (Entzündung, Ge- schwüre, Trübungen) mitgeteilt worden. Die Ophthalmologen scheinen, soweit wir sehen, zunächst noch auf die Anwendung des elektrischen Stroms verzichtend, die Behandlung genannter Krankheiten nach anderen Grundsätzen in Angriff nehmen zu wollen.

Anders steht es mit den Erkrankungen des Glaskörpers (Trübungen desselben in Folge von Iris- und Chorioidealerkrankungen), bei denen namejitlich von französischen Autoren (Boucheron-^', Lefort-^', Oniraus'-^^ und in neuester Zeit speziell Giraud-Teu- lon-^^) durch die Anwendung teils sehr schwacher, teils etwas stärkerer galvanischer Ströme beachtenswerte Kurcrfolge erzielt worden sind. Die Trübung hellte sich auf, es trat eine allgemein das Nerven- system beruhigende Wirkung ein und in Fällen von Torpor des Seh- nerven und der Netzhaut ergab sich eine Steigerung der Empfindlich- keit dieser Gebilde. Von einigen wurden ganz schwache Ströme (Boucheron) in der oben (S. 305) auseinandergesetzten Weise in Anwendung gezogen, von anderen mittelstarke (durch etwa 5 bis 8 Daniel!" sehen Elemente gelieferte), indem dabei meist die Anode

§ 18G, 187. Grauer Staar; Aiigenmuslcellährauiigen. 429

auf den geschlossenen Lidern, die Kathode im Nacken, am Warzen- fortsatz oder am obersten sympathischen Halsganglion ruhte. Zahl der Sitzungen bis gegen zehn, Dauer jeder einzelnen von 3 5 Minuten: bestanden keine alten, sich in fibrösen Entartungen, Verkalkungen oder Verknöcherungen äussernde Läsionen des Glaskörpers, so wurde in der Mehrzahl der Fälle eine entschiedene Besserung erzielt.

Weniger anerkannt, ja entschiedenem Widerspruch von Seiten kompetenter Ophtlialmologen begegnend sind die günstigen Erfahrungen, die man (speziell muss hier Neftel-^'^ genannt werden) bei der Be- handlung kataraktöser Linsentrübung durch den galvanischen Strom gemacht haben will Die Augenärzte Agnew^^«', Webster'-^ß, Knapp-^'^, Hirschberg-3^ bestreiten ganz entschieden die von Neftel in etwa 20 30 Sitzungen von 10 15 Minuten Dauer bei zwei älteren Damen erzielten Erfolge (Methode: Ströme erst in der einen Richtung vom Nacken zum Auge, dann in der umgekehrten Richtung, Beginn mit 5 Sie mens" sehen Elementen, bei jeder Sitzung [anfangs täglich] um ein Element bis zu 15 hin steigend). Es ist klar, dass hiernach noch weitere Prüfungen von Nöten sind, ehe ein definitives Urteil gefällt werden kann: auch der von Noyes'-^^ mitgeteilte Fall der Heilung eines grauen Staars durch die Elektrizität kann, wie es uns scheint, an diesem Ausspruch zunächst noch nichts ändern.

§ 187. Nach jeder Richtung hin Günstigeres lässt sich von der elektrischen Behandlung und den hierdurch erzielten Besserungen und Heilungen bei Lähmungszuständen der äusseren und inneren Augenmuskeln berichten. Ohne an dieser Stelle irgend eingehender dieses hoch interessante Gebiet abhandeln zu wollen, sei doch soviel gesagt, dass durchaus nicht alle Lähmungen der Bulbusmuskeln der elektro therapeutischen Behandlung zufallen: so wird man, um nur ein Beispiel anzuführen, wohl kaum bei mit Sicherheit diagnostizirtem intrakraniellem Tumor die Elektrizität zur Behandlung der durch die Kompression der Augenmuskelnerven bedingten Lähmung anwenden. Es bleiben indess noch genug Fälle, sei es sogenannter rheumatischer, sei es durch cerebrale oder spinale Erkrankung bedingter Augenmuskel- lähmung für die elektrische Behandlung übrig. Der Natur der Sache nach lässt sich nun zunächst kaum je eine elektrodiagnostische Unter- suchung in Bezug auf die Erregbarkeit der affizirten Nerven und Muskeln so anstellen, wie wir es sonst bei Lähmungszuständen peri- pherischer Nerven gewöhnt sind oder wünschen miissten. Dazu liegen die Nerven und Muskeln zu sehr in der Orbita geborgen und allzu

430 Augenmuskellähmungen. Kap. XXV.

sehr in der Nähe eines für irgend stärkere Ströme sehr empfindlichen Gebildes, des Augapfels. Daher also zunächst die Unsicherheit in der Diagnose: ist die Lähmung des N. abducens z. B., welche nach einer Erkältung entstanden ist, eine leichte in dem nun schon wiederholt erörterten Sinne oder eine schwere? Daher auch die Unsicherheit der Prognose und der Wechsel in dem Erfolg der Behandlung.

Einige Autoren loben die Wirkung des faradischen Stromes, den sie, natürlich in grosser Vorsicht, und rnit ganz feinen, dünnen Elek- troden direkt auf die erreichbaren Muskelenden am Bulbus appliziren. Die meisten Individuen werden eine derartige Applikation kaum ruhig aushalten: man setzt dann die feine Elektrode (die andere ruht irgendwo am Körper, z. B. in der Hand des Patienten) möglichst nahe in die Umgebung des gelähmten Muskels auf (an den oberen oder unteren Rand der Augenhöhle, an den iimeren oder äusseren Augen- winkel). Man beginne mit sehr schwachen Strömen, die erst allmäh- lich etwas verstärkt werden können.

Mehr als von dem faradischen Strom kann man sich von der in die Tiefe dringenden Einwirkung des konstanten Stroms versprechen: auch hier empfehlen gute Autoren den direkten Ansatz der einen Elektrode (Kathode) an den Augapfel, möglichst nahe dem Muskel- ansatz: die Mehrzahl der Aerzte wird indess wohl von der Applikation der Kathode an die (die Anode ruht dabei im Nacken) während der Stromesdauer geschlossen gehaltenen Lider des Auges Gebrauch machen und zwar an Stellen, welche sich den paralysirten Muskeln am nächsten befinden. Sehr zu raten ist die Anwendung des Rheostaten, und die Benutzung nur schwacher Ströme: jede einzelne Sitzung wird die Dauer von 3 4 Minuten kaum überschreiten (Wendungen zu unterlassen). In nicht wenigen Fällen kann man sich oft unmittelbar nach einer Sitzung durch die Prüfung mit Prismen überzeugen, dass die Distanz der Doppelbilder vermindert ist, auch da, wo scheinbar die Beweglichkeit des Bulbus kaum zugenommen hat. War die Läh- mung eine „schwere", so können aber Monate vergehen, ehe ein Er- folg eintritt; anderemale wurden innerhalb 2 3 Wochen schöne Resultate erzielt. Immerhin vergesse man dabei nicht, dass auch hier spontan Besserungen und Heilungen eintreten, wie es ja speziell bei den tabischen Augenmuskellähmungen eine bekannte Tatsache ist, dass sie ohne jedes therapeutische Zutun nach längerer oder kürzerer Zeit schwinden können.

Bei Mydriasis, bei Lähmungen des Akkommodationsmuskels setzt man die Kathode direkt auf die geschlossenen Lider des Auges: die

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§ 187, 188. Muskuläre, akkommodative Asthenopie. 431

Anode ruht im Nacken. Auch hier ist natürlich die.selbe Vorsicht in der Dosirung der Stromstärke und in der Vermeidung bedeutender Stromesschwankungen, wie bei der Behandlung der Affektionen der Augapfelmuskulatur von Nöten: namentlich unterlasse man Wendungen des Stromes. Auch zur Heilung muskulärer oder akkommoda- tiver Asthenopie wäre der konstante Strom nach den oben aus- geführten Grundsätzen (Anode Nacken, Kathode an den inneren Augen- winkeln resp. auf die geschlossenen Lider) zu versuchen: über etwaige Erfolge können wir leider aus eigener Erfahrung nicht berichten. Kaum je wird man am lebenden Menschen durch direktes Aufsetzen feiner Elektroden an den Hornhautrand die Irismuskulatur direkt zu reizen suchen: experimentell ist gefunden worden, dass je nachdem man auf die äussere oder innere Irismuskulatur einwirkt, Erweiterung oder Verengerung der Pupille statthat. Prüft man, wie Mo 011^*^0 tat, nach dem Tode die direkte Erregbarkeit der Iris für den faradischen Strom durch Aufsetzen einer feinen feuchten Elektrode am Korneal- rande, so kann man Pupillenveränderungen zuweilen noch eine Stunde und länger nach dem Tode erzielen. Wo die Elektrode steht, da tritt eine lokale Verschmälerung der Iris ein, so dass die Pupille eiförmig ausgezogen wird. Nach der Reizung gleicht sich diese Ver- ziehung allmälig wieder aus. Durch Reizung an zwei gegenüber- liegenden Stellen kann man die Pupille quer-oval machen.

Für einzelne Lähmungszustände ist mit der direkten Applikation loco morbi (wenn anders bei der Art und Weise des Ansatzes an die Orbitalränder dieser Ausdruck Anwendung finden darf) noch die ,> cen- trale" Behandlung durch den Kopf hindurch zu kombiniren, so zwar, dass der Strom quer oder längs durch den Schädel geleitet wird, in- dem eine Elektrode am geschlossenen Auge, die andere vorn an der Schläfe, oder an dem entsprechenden Proc. mastoideus oder hinten im Nacken steht, resp. beide Elektroden quer sich an den genannten Steilen gegenüber befinden. Je nach dem diagnostizirten intracra- niellen oder intraorbitalen Sitz der die Lähmung herbeiführenden Ursache werden diese Ansatzstellen ausgesucht werden. Ob man nach dem, was oben über die Sympathikusgalvanisation mitgeteilt ist, noch Neigung hat, die „Galvanisation am Halse« abwechselnd mit den ge- nannten Behandlungsarten eintreten zu lassen, muss dem Ermessen und der Erfahrung des Einzelnen überlassen bleiben.

§ 188. Diese Galvanisation des Halssympathikus (man vergesse dabei nicht, dass beim Ansatz der einen Elektrode im Nacken mit

432 Neuroretinitis; Atrophia n. optica. Kap. XXV.

Sicherheit das Halsmark selbst von Stromschleifen getroffen wird) zeigte sich nach den Berichten durchaus zuverLässiger Autoren von entschieden günstigem Eintluss bei der Behandlung der Neuro- retinitis oder Neuritis optica, wenn anders nicht ganz be- stimmte pathologische Veränderungen innerhalb der Schädelhöhle, z. B. Geschwülste vorlagen, auf die der elektrische Strom natur- gemäss keinen oder doch nur einen minimalen Einfluss hat. Freilich wurde mit dieser .^Sympathikusgalvanisation« stets auch wohl eine etwas direktere Beeinflussung des Augeninnern verbunden, insofern man den Strom in der oben angegebenen Weise vom Auge zur Schläfe oder zum Nacken gehen liess.

Es sind hier von Erb^'"' z. B. in einem Falle von mit Neuritis optica komplizirter transversaler Myelitis günstige Erfolge erzielt worden, Resultate, wie sie andererseits Rumpf^^' mit dem faradischen Strom (Pinselung der Haut an Brust, Rücken und Extremitäten) ebenfalls erreicht hat. So viel steht fest, dass eine vorsichtig ge- leitete elektrische Behandlung nicht schaden, vielmehr in einer Reihe von Fällen offenbaren Nutzen gewähren kann.

Viel weniger günstig sind die Erfolge elektrischer Kuren bei den ohne entzündliches Vorstadium sofort mit degenerativer Atrophie einsetzenden Leiden des Sehnerven, wie solche Affektionen im Gefolge chronischer Rückenmarksaffektionen oder auch ohne jede anderweitige Komplikation vorkommen. Man versuche hier wenigstens die Durchleitung schwacher konstanter Ströme quer durch die Schläfen oder vom Auge zum Nacken (wir pflegen gewöhnlich die Anode in den Nacken, die Kathode auf die geschlossenen Lider anzusetzen) da auch in solchen Fällen von Erb'-', Dor^^^ m^(j anderen günstige Erfolge gesehen worden sind. Hat man Grund anzunehmen, dass das Leiden des Sehnerven mit einer chronischen Affektion des Rücken- markes. (Myelitis, Tabes etc.) in Zusammenhang steht, so ist die Be- handlung des Grundleidens durch die allgemein in solchen Fällen üblichen oder die speziell als vorteilhaft bekannten elektrotherapeu- tischen Massnahmen nicht zu vernachlässigen.

Ebenfalls fraglich erscheint es, ob man berechtigt ist, die günstigen Erfolge nach einer eingeleiteten galvanischen Behandlung bei den auf Intoxikationen zurückzuführenden Amblyopien nach Alkohol- und Tabaksmissbrauch oder bei Bleikranken, bei Hysteri- schen etc. eben auf diese elektrische Behandlung zurückzuführen und ob nicht vielmehr die Besserung derartiger Leiden durch ein zweck- mässig geleitetes diätetisches Regime, vor allem durch Entziehung der ^

§ 188, 189. Hemianopsie; Fremdkörper im Auge. 433

Schädlichkeiten, gegebenen Falls durch psychische Eindrücke (z. B. bei Hysterischen) bedingt ist. Immerhin ist es anzuraten, auch bei solchen Kranken die Applikation schwacher konstanter Ströme nach den oben angegebenen Methoden zu versuchen.

In Bezug auf die Erscheinungen hemianopisch gewordener und mittelst des konstanten Stroms geprüfter Augen verweisen wir auf §122 S. 305. Eine (nach unseren Erfahrungen keine besonderen Resultate gebende) Behandlung könnte, insofern es sich in fast allen Fällen um ein Leiden des Chiasma oder der Tractus optici oder des Hirns selbst handelt, nur in einer sogenannten centralen Galvanisation durch den Schädel nach den oben des Weiteren auseinandergesetzten Methoden bestehen.

§ 189. In neuester Zeit hat sich die Elektrizität in den Händen der verschiedensten Ophthalmologen (wir nennen hier besonders Mac Keown^"^ und Hirsch b er g^"-*) insofern segensreich erwiesen, als durch ihre Hilfe metallische Fremdkörper, besonders Eisensplitter, aus dem Inneren des Auges an das Tageslicht befördert werden konnten.

Hirschberg's Apparat (vom Berliner Mechaniker Dörffel an- gefertigt) besteht aus einem zylindrischen Kern weichen Eisens, um den in einer Spirale der von einem Zinkkohlenelement gelieferte elektrische Strom kreist. Der weiche Eisenkern läuft in die beiden spitzen Polarenden aus, von denen eines in das Augeninnere eingeführt wird; diese Enden sind gebogen zur bequemeren Einführung ins Augeninnere, das eine ist 2, das andere 1 Mm. dick. Trotz der Dünn- heit der Pol enden trägt der Apparat (bei Benutzung nur eines Zink- kohlenelements) 150 200 Grm. , d. h. weit über das Tausendfache von dem Gewicht der in der Mehrzahl aller Fälle zu extrahirenden Splitter. In Betreff der Hornhautsplitter steht der Apparat hinter den mechanischen Manipulationen mit der Nadel weit zurück, auch ist der Magnet nach Hirschberg für die Fremdkörper in der Vorder- kammer unpraktisch und überflüssig. Wirklichen Nutzen hat er aber dann, wenn es sich um ein frisch in den Glaskörper ein- gedrungenes und dort frei bewegliches Eisenstück handelt, wel- ches aus der Tiefe durch Pinzette, Haken, Löffel nur selten ohne dauernde Schädigung des Auges entbunden werden kann.

In jüngster Zeit hat Voltolini-*'^ die Behauptung aufgestellt, dass man neben dem einfachen stabförmigen noch einen sehr grossen Elektromagneten (der etwa 20 Pfd. zu heben im Stande sei)

Rosen tluil ii. li e r n h ar il t , Klokliizitatsleluf. III. AiiH. . OS

434 Netzhautablösung-; Ohrensausen. Kap, XXV.

nötig habe, da es sich stets empfehle, einen im Auge konstatirten Splitter vor der Operation magnetisch zu machen (durch das Auf- setzen eines kräftigen Elektromagneten auf das geschlossene kranke Auge). Auch an den kleinen Elektromagneten müsse man mehrere Ansätze anschrauben können, da, je länger und dünner die Sonde, desto inehr in ihr die magnetische Wirkung abnimmt. Kann man vor der Operation einen im Auge befindlichen Eisensplitter magnetisch machen, so könne man nach gemachtem Einschnitt den Splitter mit dem Magneten bis an die Wunde leiten, wo er dann von selbst heraus- komme. Wir müssen es den praktischen Ophthalmologen überlassen, zu entscheiden, ob Voltolini's Vorschläge in der Tat eine Ver- besserung der bisher ausgeübten Operationstechnik ausmachen.

Schliesslich sei hier noch der Versuche Abadie 's ■**''' gedacht, Netzhautablösungen durch Galvanopunktur zur Heilung zu bringen. Durch die entstehende Chorioideo-Retinitis wird eine feste Verwachsung der Netzhaut mit den darunter liegenden Augenhäuten zu Stande ge- bracht, durch welche die Wiederkehr der Ablösung verhindert werden soll. In zwei von acht in dieser Weise behandelten Fällen war der Erfolg ein günstiger (es waren frische und umschriebene Ablösungen): in den anderen 6 Fällen bestanden schon längere Zeit sehr ausge- breitete Ablösungen.

§ 190. Der Schöpfer der modernen Galvanotherapie des Ohres, Brenner'^, benutzte den konstanten Strom zunächst, um durch die bei der inneren Anordnung (s. § 123) durch das Verweilen der einen Elektrode (zumeist der Kathode) im äusseren, mit lauem Wasser gefüllten Gehörgange entstehende Hyperämie des Trommel- fells Verdickungen und Trübungen desselben und dadurch be- dingte Schwerhörigkeit zu bessern. Vorwiegend aber erreichte er Erfolge in der Behandlung der die verschiedenen Mittelohr- und Laby- rinthleiden so häufig begleitenden subjektiven Geräusche, wie Ohren- und Kopfsausen. Findet man (wir verweisen hier besonders auf die §§ 124, 125), dass durch AS und AD das Ohrensausen vermindert oder gar ganz beseitigt wird, so lasse man AS in voller Stärke einbrechen, lasse AD eine Zeit andauern und schleiche sich durch vorsichtiges Verringern der Widerstände des in Nebenschluss befindlichen Rheostaten ganz allmählich aus der Kette heraus. Besteht Hyperästhesie des Hörnerven mit paradoxer Formel des nicht armirten Ohres und subjektiven Gehörsempfindungen, so teile man den positiven Pol, und behandle beide Ohren mit der

§ 190. Ohrensausen; Schwerhörigkeit. 435

Anode gleichzeitig. Dass es Fälle gibt, welche durch eine derartige vorsichtige, stets mit Zuhilfenahme des Rheostaten geübte galvanische Behandlung grosse Erleichterung erfahren, ist unzweifelhaft. Brenner, Erb^°^, Hagen ^'^*', wir selbst und andere haben Erfolge von dieser Behandlungsweise wiederholt gesehen: indessen waren nach unseren Erfahrungen diese Erfolge in der Mehrzahl der behandelten Fälle leider meist vorübergehende, oft nur für einen Tag oder wenige Stunden nach der Sitzung andauernde.

Die Behandlung wird bei »äusserer Anordnung" 123) so aus- geführt, dass die positive Elektrode am Ohre ruht, während die negative in der Hand des Kranken liegt oder von ihm auf dem Brust- bein gehalten wird. Ohne die Benutzung eines gut gearbeiteten Rheostaten ist eine derartige Behandlung nie zu unternehmen: die Hyperästhesie des erkrankten Hörorgans ist oft eine so bedeutende, dass selbst bei fein abgestuften Rheostaten Reizmomente (Stromes- schwankungen) gesetzt werden, die das erkrankte Organ mit starken Reaktionen beantwortet. Man „schleiche« daher vorsichtig ein und aus der Kette aus und versichere sich des durchaus guten Zustandes aller Schrauben, Klemmen, Leitungsdrähte seines Apparates (besonders der rein metallischen Oberflächen der Rheostatmetallklötzehen und des Kurbelkontaktes, auf welche sich ja so häufig Staubteile nieder- schlagen), ehe man an die elektrische Behandlung eines solchen hyper- ästhetischen Ohres herantritt.

Wenn man ferner bedenkt, in welch abweichender Weise ein krankes Ohr häufig auf den galvanischen Reiz reagirt (vgl. § 125), z. B. mit Umkehr der Normalreaktion, so ist es natürlich geboten, dem Beginn einer Behandlung eine diagnostische Prüfung vorangehen zu lassen: findet man, dass statt der Anode die Kathode bei Schluss und Dauer des Stroms ein etwa vorhandenes Sausen zum Schwinden bringt, so hat man sich selbstverständlich dieses Poles als des diffe- renten zu bedienen.

Bei Hyperästhesie des Ohrs und vorhandenem Ohrensausen haben wir neuerdings versucht, ganz schwache Elemente 153) von dem Patienten andauernd, wenigstens einige Stunden hintereinander so tragen zu lassen, dass der differente, das Sausen mindernde Pol am Ohr, der andere entfernt davon am Nacken ruht. Leider sind unsere Erfahrungen noch zu geringe, um über Wert oder Unwert dieser Methode ein endgiltiges Urteil zu gestatten.

Schwerhörige, raitTorpor des Hörnerven behaftete Kranke

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43() Paradischer Strom bei Ohrenleiden, Kap. XXV.

mittelst energischer Reizung durch die Kathode /u bessern, ist uns bisher in nennenswerter Weise noch nicht gelungen.

Dagegen hat Ciaren ce J. Blake^^T gefanden, dass, wenn die Kathode auf der Ohrmuschel des zu prüfenden oder zu behandelnden Ohres, die Anode in der anderen Hand ruht, es gelingt, die Per- zeptionsfähigkeit für hohe musikalische Töne um 3000—8000 Schwin- gungen in der Sekunde zu erhöhen. Ebenso wird auch die Intensität des Tones vermehrt: alles dies dauert während der KaD an und so- gar noch kurze Zeit nach KaO; unter dem Einfluss der Anode aber schwindet die Wirkung schnell. Ferner erscheint es bei chronisch katarrhalischen Affektionen des Mittelohrs, dass der Strom, welcher das Ohrenklingen vermindert, die Hörfähigkeit erhöht und umgekehrt. Die Anode mindert oft das Klingen, ohne die Hörfähigkeit zu steigern, oft ist die Kathode für die Hörfähigkeitsbesserung ohne Nutzen und steigert dabei noch das Klingen. Wird aber das Klingen zugleich mit der Perzeptionsfähigkeit des Nerven erhöht, so ist dies gewöhn- lich nach dem Gebrauch der Kathode zu beobachten.

§ 191. Mit Verwerfung des konstanten Stroms benutzen andere Ohrenärzte, wenn sie sich überhaupt der Elektrizität bedienen, den faradischen Strom, der durch die Erregung der in der Paukenhöhle liegenden Muskeln, sowie der Muskulatur der Eustarhischen Röhre in der Tat Schwächezustände dieser offenbar für das normale Hören so wichtigen muskulösen Apparate zu heben im Stande ist. Nach Tröltsch'-- wenigstens leiden manche Kranke nach methodischer Faradisirung (siehe oben S. 311) weniger an der »^Ermüdung" des Ohres als früher und nach Weber-Liel^^^ kann bei progressiver Schwerhörigkeit, wenigstens in frühen Krankheitsstadien, durch eine intratubale Faradisation (oder Galvanisation) schon nach wenigen Sitzungen eine sehr erhebliche Besserung beziehungsweise Heilung er- zielt werden.

Neuerdings sind auch von Katyschew'^^ Beobachtungen mit- geteilt, welche zeigen, dass unter dem Einfluss der Faradisation der sympathischen Fasern am Halse die entzündliche Röte des Trommelfells bei Entzündungen und ebenso die des Mittelohrs nach- lasse. Die Rötung, der Schmerz, das Ohrensausen mindern sich und das Gehör selbst bessert sich mit der Zeit. Die jedesmalige Sitzung soll 5 -10 Minuten betragen und die erzielten Erfolge Stunden lang anhalten. Weniger ausgesprochen seien alle diese Wirkungen bei der Anwenduno; des konstanten Stromes: von Einfluss sind hier nur

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§ 191, 192. Anosmie; Ageusie. 437

Schliessungen oder Oeffnungen des Stroms, sowie überhaupt Schwan- kungen der Stromstärke,

Im Allgemeinen wird man bei der Anwendung clektrothcrapeu- tischer Massnahmen und namentlich in der Beurteilung des Nutzens derselben bei Ohrenkranken, ebenso wie bei Amblyopischen in Bezug auf die Verwertung der subjektiven Angaben der Kranken, welche ja so gern Besserung sehen wollen, etwas vorsichtig sein: sollten sich aber auch die Hoffnungen Brenn er "s in Bezug auf die Leistungen der Galvanotherapie bei Ohrenkranken nicht in dem Sinne erfüllen, wie jener Forscher es wünschte und austrebtc, immer wird ihm das Verdienst bleiben, auf diesem auch heute noch so schwierigen Gebiete durcJi seine ileissigen, umsichtigen Versuche Neues für die Diagnostik geschaffen und der leider so oft ohnmächtigen Therapie neue Wege gebahnt zu haben.

§ 192. In Bezug auf die Elektrotherapie der Anomalien der Geruchsempfindung findet man hin und wieder Kranke, welche erfolglos mit anderen Mitteln behandelt, schliesslich in der Anwen- dung der Elektrizität Heilung für ihr Leiden (Anosmie) suchen. Es versteht sich von selbst, dass man nicht eher zu einer elektrischen Behandlung schreiten wird, ehe nicht eine gründliche Untersuchung gezeigt hat, dass nicht gröbere pathologisch -anatomische Störungen innerhalb der Nase, besonders der Nasenschleimhaut, die Ursache des Leidens sind. Sowohl die Faradisation , wie die Anwendung galva- nischer Ströme kann in Anwendung gezogen werden (oliven- oder katheterförmige Elektroden werden zur Benutzung empfohlen), dabei wird die eine (katheterförmig gestaltete) Elektrode (negativer Pol) in die Nasenhöhle eingeführt, während die Anode am Nacken ruht. Ueber die Erfolge derartiger Behandlung sind zur Zeit die Erfahrungen nocli nicht reichlich genug, um jetzt schon Sicheros darüber aussagen zu können, immerhin liegen von verschiedenen Autoren (Duchenne, Bärwinkepoö, Fieber'^'^^ Beobachtungen über gute Erfolge vor.

Das Gleiche gilt von der Störung bezw. Lähmung des Ge- schmackssinns (Ageusie): natürlich ist gemäss den Grundsätzen der Pathologie in jedem Falle zu untersuchen, ob einzelne Abschnitte der Zunge oder das ganze Organ (inclusive der benachbarten Gaumen- schleimhaut) die Geschmacksempfindung verloren haben, bezw. auf die Läsion welcher Nerven (N. facialis [Chorda tympani], lingualis, glossopharyngeus) die Schädigung zurückgeführt werden kann. Je nach dem Befund (man beachte auch, dass neben allgemeiner halb-

438 Anosmia, Ageusia hysterica. Kap. XXV.

seitiger Anästhesie namentlich bei Hysterischen sich halbseitige Geruch- und Geschmacksinns Störungen einstellen) wird man ent- Aveder eine direkte Faradisation der Zunge oder eine galvanische Behandlung einleiten, oder durch die elektrische Behandlung der erkrankten Hirnnerven einen Einfluss auf die Geschmack vermitteln- den Fasern derselben zu gewinnen suchen oder endlich durch eine zentrale Behandlung (Galvanisation durch den Kopf) auf die Geschmack perzipirenden Centren einwirken.

lieber die elektrische Behandlung der Anästhesie der Haut und der Muskeln vergl. die §§ 128—132.

Kapitel XXVI.

Von der Elektrotherapie der Gelenk- und Muskelkrank- heiten sowie der erkrankten Organe des Atmungs- und Verdauungsapparates.

§ 193. Rheumatische Affektionen der Muskeln und Ge- lenke bilden nicht selten ein dankbares Objekt elektrotherapeutischer Behandlung. Durch Erkältung entstandene schmerzhafte Steifigkeit in einzelnen Muskelgebieten, z. B. au den Seiten der Lendemvirbel (Lumbago), im Gebiet der Hals-Nackenmuskcln (Caput obstipum), in der Schulter (Nacken-Deltoideusmuskulatur) etc. wird durch die Appli- kation mittelstarker konstanter Ströme nicht selten äusserst erfolg- reich behandelt. Im Beginn der Erkrankung ruhe die Anode (breite, wohldurchfeuchtete Elektrode) stabil auf dem am meisten schmerz- haften Punkt, die Kathode in der Umgebung; später bei geminderter Schmerzempfindlichkeit mag der galvanische Strom „labil^* und in Gestalt Volta'scher Alternativen gegen die zurückbleibende Steifigkeit in Anwendung gezogen werden. Aber auch von der ableitenden Wirkung des metallischen, mit dem Induktionsapparat verbundenen Pinsels, mit dem die Haut über der leidenden Muskelpartie gereizt wird, oder auch von der Anwendung schwacher faradischcr Ströme, durch welche die leidenden Muskelpartien selbst erregt worden, haben verschiedene Autoren und wir selbst gute und prompte Erfolge gesehen.

Durchleitung faradischer Ströme (Anwendung feuchter Elektroden, wie zur Musivelfaradisation) durch selbst akut rheumatisch er- krankte Gelenke, resp. Anwendung des faradischen Pinsels haben einige neuere Autoren in Bezug auf die Verminderung der Schmerzen und Abkürzung der Krankheitsdauer wirksam gefunden. Drosdoff^", Beetz-^'- und Abramovsky ^'=* (letzterer bei Anwendung des fara- dischen Pinsels) haben über hierhergehörige Versuche mit günstigem Erfolge berichtet; obgleich letzterer im Gegensatz zu Drosdoff die clektrokutane Erregbarkeit über den erkrankten Gelenken nicht

440 Chronischer CxPlrMikrluMuiiatisüius; Gicht. Kap. XXVI.

vermindert fand, sah doch auch er, dass durch die Behandlung die Schmerzen gelindert und die Gelenke schnell beweglich gemacht werden. Wir glauben indess kaum, dass die Neuzeit im Besitz von Mitteln, wie der Salicylsäure etc. sich bei der Behandlung der Poly- arthritis rheumatica acuta gerade der Elektrizität zuwenden wird.

Gegenüber den akuten Formen der rheumatischen Gelenkaffek- tionen hat sich die Elektrizität in Bezug auf die Behandlung sub- akuter oder chronischer Leiden der Gelenke, namentlich der monartikulären Formen bei weitem grösserer Verbreitung und AVertschätzung bei den Aerzten zu erfreuen. Sind die Fälle nicht zu alt, so kann man durch Durchleitung stärkerer konstanter Ströme durch die Gelenke (zeitweilige Wendungen) oder durch die Anwendung mittelstarker faradischer Ströme auf die Resorption der Gelenk- exsudate und speziell auf eine Ausgleichung der in der Umgebung der Gelenke in den Fascien, Sehnen, im Periost und den Muskeln lokalisirten pathologischen Prozesse günstig einwirken: immerhin wird eine grössere Reihe von Sitzungen und Geduld von Seiten des Kranken sowohl, als auch des Arztes von Nöten sein. Was für den einfachen, unkomplizirten chronischen Gelenkrheumatismus zu sagen ist, gilt in noch höherem Grade bei der Behandlung des Arthritis nodosa ge- nannten Leidens und der eigentlichen Gicht (Arthritis urica). Bei der Knotengicht wird von R. Remak*^ ^^[0. M. Meyer ^'-^ die Behandlung der sympathischen Halsganglien der leidenden Seite, be- ziehungsweise die Hervorrufung diplegischer Kontraktionen (s. S. 337) anempfohlen: es ist nicht zu leugnen, dass hier und da günstige Er- folge bei dieser Behandlungsweise beobachtet worden sind, obgleich andererseits auch zuzugeben ist, dass sowohl diese Methode als auch die direkte Durchleituug galvanischer Ströme durch die erkrankten Gelenke, sowohl bei der Knotengicht, als besonders bei den gichtischen Gelenkleiden von sehr zweifelhaftem Erfolge ist. Die derartige Ge- lenkleiden so häufig begleitenden, beziehungsweise von ihnen ab- hängigen Muskelatrophien mögen in gleicher Weise durch den kon- stanten Strom behandelt werden, insofern man nicht selten durch energischeres Faradisiren die Schmerzen im Gelenk und die Schwäche der Muskeln sich eher steigern sieht. Ganz neuerdings rät Joffroy^'^ bei akuten Gelenkentzündungen von jeder elektrischen Behandlung abzusehen, beziehungsweise beim Auftreten entzündlicher Phänomene die Behandlung mit dem konstanten Strom ganz auszusetzen. Be- sonders wirksam fand er die Behandlung der Gelenkaffektionen nach Traumen und bei Leiden, welche sich im Gefolge gewisser Allgemein-

§ 193, 194. Larynxparalysen. 441

erkrankungen, z. B. im Wochenbett oder nach Tripper entwickelt haben. Wir können nach eigenen Erfahrungen den Auslassungen des französischen Autors im Grossen und Ganzen nur zustimmen: ganz besonders wohltuend wirkt der konstante Strom (grosse, platte Anode an die am meisten schmerzenden Stellen, Kathode in der Umgebung) bei der unter der arbeitenden Bevölkerung ungemein häufig auftreten- den (rheumatischen, akut entzündlichen?) Aflfektion eines oder des andern Schultergelenks: mehrfach (in 10 20 Sitzungen) wiederholte Durchleitungen mittelstarker konstanter Ströme in der eben ange- gebenen Weise, zum Schluss vielleicht einige Wendungen oder labiles Gleiten der Kathode über die das Gelenk umgebenden Teile, später, nach Beseitigung der grossen Schmerzhaftigkeit, erst schwache, dann etwas stärkere faradische Ströme oder auch die Applikation des Pinsels, kurz eine Kombination der verschiedenen möglichen Ver- fahrungsweisen führen fast immer zu einem erfreulichen Ziele. Dem gegenüber sind unsere Erfahrungen über die Wirkungen der Elek- trizität bei der Arthritis deformans und urica im Wesentlichen negative, während bei Gelenk- und Muskelsteifigkeiten nach Verwundungen die Elektrizität in beiden Formen in Verbindung mit warmen Lokal- bädern, aktiven und passiven Uebungen, von kundiger Hand aus- geführter Massage, die Ausdauer des Kranken und des Arztes fast immer, oft sogar glänzend lohnt.

§ 194. Abgesehen von den Erkrankungen des Centralnerven- systems der peripherischen Nerven, Muskeln und der Sinnesorgane, welche Leiden recht eigentlich als diejenigen zu betrachten sind, zu deren Linderung und Hebung die Elektrizität von jeher angewendet wurde, hat man in neuerer Zeit angefangen, auch solche x^fFektionen mit diesem Mittel zu behandeln, welche sonst eher dem Gebiet der speziell inneren Medizin eingereiht wurden. Es handelt sich hierbei um Krankheiten der in der Brust-, Bauch- und Beckenhöhlc gelegenen Organe.

Bevor wir indessen dazu übergehen, wollen wir an dieser Stelle kurz der Kehlkopfsaffektionen Erwähnung tun, welche durch eJektrotherapeutische Prozeduren Besserung oder Heilung erfahren. Es sind dies vorwiegend die Lähmungs- und Scliwächezustände der Kehlkopfsmuskulatur. Die Methoden der Applikation (perkutane, innere, intralaryngeale, extralaryngeale) sind ausführlich schon S. 245 und 246 beschrieben worden: auch wurde an jener Stelle schon die Mühseligkeit der intralaryngealen Elektrisation genügend hervorgehoben.

442 Behanrilunis; der Stinimbandlähmungen. Kap. XXVI.

Die Schwächeziistände der Kehlkopfsmuskulatur beruhen einmal auf Erkrankungen der Schleimhaut (Entzündungen, Katarrhen etc.), durch rheumatische Einflüsse oder tJebcranstrcnguug im Beruf (bei Lehrern, Predigern) hervorgerufen, oder sie stellen wirkliche Lähmungs- zustände dar in Folge von Erkrankungen der Kehlkopfsnerven. Die N. laryngei können in ihrem peripherischen Verlauf am Halse (Ver- letzungen, Kompressionen durch Neubildungen, besonders durch Strumen und Aortenaneurysma) oder noch innerhalb der Schädelkapsel und des Wirbelkanals (Erkrankungen der Accessorius wurzeln) oder an ihren zentralen Ursprungsstätten in der Med. oblongata und im ober- sten Halsteile des Rückenmarks (z. B. bei der Bulbärparalyse) lädirt worden sein. War es möglich, durch eine sorgfältige Untersuchung die Ursprungsstätte des Leidens zu ergründen, so wird, man dem nun schon öfter ausgesprochenem Grundsatz gemäss möglichst loco morbi zu behandeln versuchen. Man tut bei der Anwendung des galvanischen Stroms am besten, eine der Elektroden (möglichst gross) in den Nacken oben zu setzen (stabil), während man mit der anderen, kleineren zu beiden Seiten des Kehlkopfs labil hinstreicht, eventuell die kleinere Elektrode (die Kathode) nach Rossbach's Vorgang an die Schildknorpelplatten oder, um den N. recurrens zu reizen, einige Centimeter unter dem unteren Ringknorpelrand am vorderen Rand des Kopfnickers tief nach hinten hin eindrückt. Aehnlich verfälirt man bei der Faradisation. Eine genaue elektrodiagnostische Explora- tion ist meist nicht anzustellen wegen der Schwierigkeit der Kontrolc der Versuchsergebnisse.

Bei intralaryngealer Behandlung sei man in der Dosirung der Stromstärke vorsichtig: es genügt nach v. Zierassen ein Induktions- strom, der deutliche Kontraktionen im M. frontalis z. B. auslöst, oder ein galvanischer, von wenigen Elementen gelieferter.

Dass bei einer derartigen Applikation zugleich eine Summe von sensiblen Fasern gereizt werden und Erfolge der Behandlung oft der starken reflektorischen Reizung eher zuzuschreiben sind, als der direkten Erregung der Muskeln, zeigt sich klar z. B. bei denjenigen Lähmungszuständen (Aphonien), welche bei Hysterischen durch die elektrische Moxe nach M. Meyer oft in einer Sitzung geheilt werden. Freilich sind hier die Erfolge nicht immer beständige, insofern oft nach wenigen Stunden oder Tagen die Stimmbandschwäche und Aphonie zurückkehren und aufs Neue behandelt werden müssen.

Sehr viel seltener als Lähmungszustände kommen krampfhafte Affektionen der Stimmbandmuskulatur zu elektrotherapeutischer

§ 194. Laryngospasmiis; Phthise; Asthma. 443

Behandlung. Neuerdings hat Fritsch*''' bei einem Mädchen, welches an einem derartigen funktionellen Krampf der Stimrabandmuskulatur litt (bei jedem Phonationsversuch trat ein krampfhaftes Schliessen der Stimmritze ein), durch die Applikation des konstanten Stroms (Anode hoch oben im Nacken, Kathode an den obersten Rücken- wirbeln, labile Ströme) eine schnelle und dauernde Heilung erzielt.

Was nun ferner die elektrische Behandlung 7on Lungen leiden betrifft, so müssen wir hier, wenn auch nur kurz der Versuche einiger Autoren gedenken, die Lungenschwindsucht mittelst der Elek- trizität zu behandeln. Die Idee, welche dem Vorgehen nach dieser Richtung hin z. B. von J. Alavoine^"^ (übrigens auch schon 1866 von Bastings ausgesprochen) zu Grunde gelegt wird, ist die, mittelst kräftiger faradischer Erregung des Zwerchfells und der respiratorischen Hilfsmuskeln eine ergibigere Lungenventilation zu ermöglichen und den Auswurf der Sekrete zu fördern. Andererseits soll durch eine Reizung des Vagus am Halse ebenfalls durch den faradischen Strom (2 olivenförmige Elektroden werden am Unterkiefer winkel an der Lmenseite des vorderen Randes des M. sternocleidom. in die Tiefe eingedrückt: Sitzungsdauer V4 V2 Stunde!!) die Herzaktion verlang- samt und die Hyperämie in den Lungen bezw. der Bronchialschleim- haut verringert werden.

Eigene Erfahrungen stehen uns in Betreff des Erfolges einer der- artigen Behandlung der Lungenschwindsucht nicht zu Gebote, ebenso wenig, wie wir aus eigener Anschauung zu beurteilen vermögen, ob die Bestrebungen einzelner Elektrotherapeuten, das nervöse Asthma mittelst des konstanten Stroms zu heilen, in Wahrheit zu empfehlen sind. Wenn man liest, dass auch Brenner ^'^ durch den konstanten Strom in einem Falle periodisch etwa alle 6 Wochen auftretender Anfälle heftigster Atemnot bei einer Dame durch eine Galvanisation des N. vagus (Anode am Nacken, Kathode zwischen Kehlkopf und M. sternocleidom.) die bedrohlichen Erscheinungen mit Erfolg be- kämpfte (ohne übrigens durch diese auch fortgesetzte Behandlung die Anfälle überhaupt verschwinden machen zu können), so wird man vorkommenden Falles eine derartige Anwendung der Elektrizität wenig- stens versuchen müssen.

Später wandte auch NefteP'^ den konstanten Strom an, um den Zustand Asthmatischer zu bessern, indem auch er seine Be- mühungen der elektrischen Beeinflussung des N. vagus (teils mit der Anode, teils mit der Kathode auf ihn einzuwirken versuchend, Sitzungen im Durchschnitt von 6 Minuten Dauer, Rheostatbenutzung) zuwandte.

444 Herzklopfen; Magenerweiterung. Kap. XXVI.

In der Tat stützt ja eine Reihe experimenteller Forschiingeii die x\n- sicht, dass die asthmatischen Anfälle reflektorisch vom Vagus aus ausgelöst werden, mögen sie nun in einer Kontraktion der kleinsten Bronchien oder in einer solchen des Zwerchfells selbst ihren Grund haben. Andere Autoren, so besonders Seh äffe r'-*-^ und ihn bestäti- gend Schmitz 3-', sahen nach einer Querdurchleitung faradischer Ströme durch die Halsgegend den Anfall selbst schwinden und bei fortgesetzter derartiger Behandlung dieselben überhaupt seltener werden. Diese Art der Behandlung verdient also jedenfalls versucht zu werden: in einem neuerdings auf diese Weise behandelten Fall glauben wir (bis jetzt die ßeobachtungsdauer ist noch zu kurz) ein günstiges Resultat erzielt zu haben.

Der bekannte Einfluss des N, vagus auf die Schlagfolge des Herzens und die Verlangsamung derselben durch seine Reizung hat (wie ja auch die Erfolge bei der Behandlung des Morbus Basedowii lehren vgl. § 180) Veranlassung gegeben, das. sogenannte „nervöse Herzklopfen <' durch den galvanischen Strom zu behandeln. So hat Flies ^2- z. B. schon im Jahre 1865 durch Einwirkungen schwacher konstanter Ströme (der absteigende Strom [die Anode vgl. § 151] er- wies sich dabei wirksamer, als der aufsteigende) auf den N. vagus in 19 Fällen, in denen ein organischer Herzfehler nicht nachweisbar war und in 5 anderen, wo ein solcher nachgewiesen werden konnte, einen entschiedenen subjektiv und objektiv konstatirbaren Nachlass der Be- schwerden bewirken können.

In wie weit die neuerdings von v. Ziemssen''ö 140) bekannt gegebenen Untersuchungen über die Möglichkeit direkter Beeinflussung des Herzmuskels und seiner Ganglien durch starke konstante Ströme in der Therapie der Herzkrankheiten Verwertung finden werden, wird die Zukunft lehren.

In Bezug auf die elektro therapeutische Behandlung der Angina pectoris verweisen wir auf § 180.

§ 195. Bei der Besprechung der elektrischen Behandlung der Krank- heiten der innerhalb des Bauchraums liegenden Organe erwähnen wir zu- nächst des Magens, dessen Erweiterungszuständc namentlich Gegenstand elektrotherapeutischer Eingriffe werden können. Schon früher ist 140) über die Methode der teils inneren, teils äusseren Appli- kation der Elektrizität auf dieses Organ gehandelt worden. Bei der Unbequemlichkeit, welche die innere Galvanisation oder Faradisation für die Leidenden mit sich bringt und den eventuell sehr unangenehmen

§ ]%. Dyspepsia nervosa. 445

(sicli in Schwindel- und Ohnraachtserscheinungen äussernden) Zufällen nach einer solchen Behandlung, wie derartiges z. B. von KussmauP^s mitgeteilt worden ist, wird man gut tun, sich eher der äusseren An- wendung der Elektrizität und speziell des faradischen Stromes zu be- dienen, etwa in der Weise, wie dies von Fürstner^--*, NefteP-^ und anderen (neuerdings wieder von Steinitz^^e^ d^,^ sogar 2 Fälle von Ulcus ventriculi auf diese Weise behandelte) beschrieben ist. Die eine Eleivtrode wird ins linke Hypochondrium, die andere auf die Magengegend selbst aufgesetzt und ein starker faradischer Strom be- -- nutzt. Derartige Erweiterungen entstehen teilweise durch Traumen, welche die epigastrische Gegend getroffen haben (speziell bei nervösen oder hysterischen Individuen), vorwiegend aber wohl durch einen Nach- lass des Tonus der muskulären Magenwandungen in Folge chronischen Magenkatarrhs oder lang fortgesetzter Dehnung der Magenwandung nacli Einführung grossen Raum einnehmender Nahrungsmitel. Beim Gebraucli des konstanten Stroms zur Beseitigung derartiger Zustände setze man den positiven Pol auf die unteren Brustwirbel, den nega- tiven in die Magengegend: öfteres Unterbrechen des Stroms bezw. Stromwendungen Es versteht sich übrigens von selbst (was auch andere Schriftsteller, z. B. Neftel, besonders hervorheben), dass bei allen derartigen Leiden von den sonst uns durch die Erfahrung an die Hand gegebenen Mitteln (zweckmässiger Diät, Auspumpung des Magens, Kaltwasserbehandlung etc.) auch neben den elektrotherapeu- tischen Massnahmen der entsprechende Gebrauch zu machen ist.

In Bezug auf die „nervösen" Affektionen des Magens, welche ohne pathologisch -anatomische nachweisbare Läsion seiner Wandungen, ohne durch physiologisch-chemische Untersuchungen nach- weisbare Alterationen der Verdauungssäfte bestehen, in Bezug also auf die sogenannte ^/nervöse Dyspepsie" hat man sowohl von einer galvanischen, wie faradischen Behandlung recht gute Resultate gesehen. Wir erinnern hier nur an die Erfolge, die Board und Rock- well und nach ihnen eine grosse Reihe anderer Autoren 146, 152) von der Anwendung der „allgemeinen Faradisation" bei diesem Leiden berichtet haben. Diese Methode, in Verbindung vielleicht mit einer Galvanisation am Halse, durch welche namentlich der N. vagus und vielleicht auch die Med. obl. und das oberste Halsraark beeinflusst werden können, wäre jedenfalls zu versuchen: dass dabei auch eine direkte Beeinflussung der Magengegend von grossem Nutzen sein könne, beweisen die Erfahrungen Leube's^-^ und M. Meyer's^^^ Der orstere empfiehlt, die Kathode an die Wirbelsäule, die Anode

446 Atonie des Darms; Ileus. Kap. XXV f.

auf das Epigastrium zu setzen, während Meyer, aufmerksam machend auf eine eventuell \'orhandene Schmerzhaftigkeit der unteren Rücken- wirbel, dorthin die Anode zu appliziren rät. Auch die direkte Fara- disation der Magengegend kann versucht werden (Kussmaul, Richter, Stein), doch vergesse man auch hier nicht, dass beiden meist sehr nervösen (neurasthenischen) Individuen eine zweckentsprechende psychische bezw. medikamentöse Allgemeinbehandlung nicht vernachlässigt werden darf. Ueber die elektrotherapeutische Behandlung des als „nervöser Magenschraerz, Kardialgie" bekannten Leidens vgl. man § 178.

§ 196. Ebenso wie bei der Magenerweiterung, welche auf Er- schlaffung der Magenwandungen zurückzuführen war, hat man sich bei atonischen Zuständen der Darmmuskulatur (einer der häufigeren Ursachen chronischer Obstipation) der Elektrizität zur An- regung der trägen oder ganz darniederliegenden peristaltischen Darm- bewegungen mit Erfolg bedient. Man benutzt hier sowohl die per- kutane, als auch die kombinirte Methode, und zwar entweder nur den galvanischen oder nur (und zwar vorzugsweise) den faradischen Strom, oder abwechselnd beide. Die Ursachen derartiger DarmerschlafFungen sind teils in lange bestehenden Darmkatarrhen oder dem Missbrauch stärkerer Abführmittel zu suchen, teils finden sich diese Zustände bei Menschen von sitzender Lebensweise, bei nervösen, hypochondrischen oder auch in Wahrheit an chronischen Hirn- oder Rückenmarkskrank- heiten Leidenden. Man setze beide Elektroden eines nicht zu schwachen faradischen Stroms in beide Weichen oder führe die eine als Mast- darmelektrode (vgl. § 140) einige Zoll hoch in den After ein, wäh- rend man die zweite in die Weichen tief eindrückt: bei Benutzung des konstanten Stroms setzt man die Anode entweder in die Gegend der Lendenwirbel oder führt auch sie in den Mastdarm ein (nicht zu starke Ströme, öfters Wendungen), während man mit der Kathode labil über den Unterleib gleitet. (Dauer der Sitzung 8 12 Minuten.)

Erfolge dieser Behandlungsmethode (welche bei chronischen Fällen meist täglich, jedenfalls 3—4 Mal wöchentlich zu wiederholen ist) sind von den besten Gewährsmännern (Stein '^''j Erb^^o^ Scarpari^^'' und anderen) berichtet.

Aber auch bei akut eintretender Atonie des Darms, sei es, dass sie auf Traumen oder auf andere Ursachen zurückzuführen ist, wo Ileus droht oder schon vorhanden ist, hat sich die Anwendung des faradischen Stroms namentlich, sei es nun blos perkutan oder in der Weise, dass die eine Elektrode in den Mastdarm eingeführt wird,

§ 190, 197. Enteropathia nervosa; Atonia ani. 447

höchst segensreich, oft geradezu lebensrettend erwiesen, wie hierher- gehörige Beobachtungen von Chouet^^', Czernicki^^'-, Ballou- hey^^^, Giomnii^^* beweisen. Es liegt auf der Hand, dass diese Behandlungsmethode bei schon nachweisbaren peritonitischen Zuständen wenn überhaupt, so Jedenfalls nur mit äusserster Vorsicht anzu- wenden ist. Bucquoy^^'' konnte durch die Faradisation (ein Pol im Mastdarm, der andere über die Bauchdecken hin geführt) des Unter- leibes in 3 Fällen, von denen 2 Kinder von S'/-. Jahren und 7 Mo- naten betrafen, bei höchst wahrscheinlich vorhandener In vagination des Darmes mit sehr günstigem Erfolge einwirken: es muss indessen vor jeder entzündlichen Komplikation operirt werden. In 2 bis 3 Sitzungen von etwa 10 Minuten Dauer soll die Invagination auf- gehoben und Stuhlentleerung bewirkt sein.

§ 197. Wie die nervöse Dyspepsie wird auch die häufig mit derselben kombinirt anzutreffende nervöse Enteropathie (wie sie gewöhnlich als Teilerscheinung der Neurasthenie bei nervösen, hypo- chondrischen, hysterischen Personen sich findet) mittelst der Fara- disation der Bauchdecken perkutan oder vom Mastdarm her mit Erfolg behandelt, wie neuerdings namentlich von Richter^"^" und Stein ''^^ mitgeteilte Beobachtungen lehren. Dass für solche Individuen neben zweckentsprechender psychischer und diätetischer Behandlung auch die „allgemeine' Faradisation" oder je nach dem Vorhandensein aus- geprägter Rückenschmerzen oder einzelner schmerzhafter Punkte da- selbst die lokale Galvanisation von hervorragendem Nutzen sein kann, ist selbstverständlich. Dabei vei-gesse man nicht, dass auch patholo- gisch anatomisch nachweisbare Hirn- und besonders Rückenmarks- leiden jeweilig in Beschwerden im Llnterleibe (Gefühl von Fülle, Auf- getriebensein, Schmerzen, Obstipation, Flatulenz, Diarrhoen etc.) ihren Ausdruck finden können und daher bei jedem einzelnen Falle, ehe ein nur funktionelles Leiden statuirt wird, durch eingehende Unter- suchung das Bestehen eines derartigen organischen Leidens auszu- schliessen ist.

Insuffizienzen des Schliessmuskels des Mastdarms und Vorfall der Mastdarmschleimhaut (ein bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen [Greisen] und hier namentlich bei Rückenmarks- leidenden vorkommendes Uebel wird durch direkte Faradisation oder durch den galvanischen Strom (Kathode am Locus morbi, öftere Wendungen, die andere Elektrode an den Lendenwirbeln oder am Damm) nicht selten erfolgreich behandelt, wie wir selbst uns wieder- holt überzensren konnten.

448 Ikterus; Milztumor; Ascites. Kap. XXV (.

Abgeselien von Magen-, Darm- und Mastdarmleiden hat man noch Krankheiten der Leber (oder besser der Gailenblasen- ausführungsgänge) und der Milz, ja sogar die Flüssigkeitsan- sammlungen in der Peritonealhöhle mittelst der Elektrizität (Faradisation) zu behandeln versucht.

Soweit wir wissen, ist die von Gerhardt^^'' vorgeschlagene Faradisation der Gallenblase bei Ikterus seither mit Erfolg noch nicht wiederholt worden. Wenn ein Resultat eintreten sollte, so wäre es wohl mehr der durch die Faradisation bewirkten Kontraktion der Bauchdecken und dem damit auch auf die Gallenblase ausgeübten Druck zuzuschreiben, als der Kontraktion der Gallenblase selbst. Nie hat an dieser Rossbach^^^ (weder bei Tieren, noch an hingerichteten Menschen) auch bei Anwendung stärkster faradischer Ströme eine Kontraktion beobachten können. Dagegen ist bei akuten soAvohl wie chronischen Milztumoren (in der Febris intermittens) von ver- schiedenen Autoren teils durch direkte Faradisation, teils indirekt durch faradische Bepinselung der über dem Tumor liegenden Haut- partien auch in solchen Fällen ein günstiger Erfolg (Verkleinerung) erzielt worden, wo Chinin in grossen Dosen und Arsenik im Stich gelassen hatten.

Tschulowski^^^, Schröder^^", Mader^-", Kurz^-*^ und andere setzten beide Elektroden (feucht) über dem Milztumor auToder Hessen die eine auf den untersten Imerkostalräumen 2 3 Zoll von der Wirbelsäule entfernt ruhen und erzielten in wenigen Sitzungen (3 4) erhebliche Erfolge. Chvostek^^^' pinselt die Haut in der Milzgegend mit 2 Pinseln und wendet nur einen massig starken faradischen Strom an, bei kurzer Sitzungsdauer (von etwa 3 Minuten).

Die Milz und die Bauchdecken wurden von Popow^^* bei einem anämischen und an Intermittenskachexie leidenden älteren Manne, der namentlich einen bedeutenden Ascites aufwies, täglich mit dem Er- folg faradisirt, dass nach reichlich eingetretener Diurese der Leibes- umfang innerhalb 2 3 Wochen erheblich abnahm. Aehnliche Erfolge sind schon vor Popow von G lax ^^•''' und Sigr ist ^■*''' berichtet worden, so dass der durchaus unschädliche Versuch, mittelst Faradisation der Bauchdecken auf die Verminderung eines gleichviel aus welcher Ursache entstandenen Ascites einzuwirken, unserer Ansicht nach bei nicht allzu sehr herabgekommenen und fieberlosen Kranken durchaus empfohlen wer- den kann. Ganz kurz mag hier noch erwähnt werden, dass Stolnikow^-*^ und Sigrist durch perkutane Faradisation der Lebergegend eine er- heblicheZunahme der Harnstoffausscheidung im Harn konstatiren konnten.

Kapitel XXVII.

Von der Elektrotherapie der Krankheiten der Harnblase und der Geschlechtsorgane nebst einem Anhange: die An- wendung der Elektrizität in der Geburtshilfe und bei der Erkrankung der Milch-, Seh weiss- und Lymphdrüsen.

§ 198. Von den im Beckenraum liegenden Organen ist es vor Allem die Harnblase, bei deren Erkrankung die Hilfe des Elektro- therapeuten in Anspruch genommen wird. Störungen der Blasen- funktion sind in einer ungemein grossen Anzahl von Fällen nicht sowohl auf Leiden des Organs selbst, als auf Läsionen der die Blasenmuskulatur innervirenden Zentren, vornehmlich des Rückenmarks und hier speziell des Lumbalteils desselben zurückzuführen. Bei allen möglichen Formen akuter oder chronischer Erkrankung desselben finden sich Inner vationsstörungen der Blasenmuskulatur. Dieselben können je nach den zwei grossen Muskelkomplexen, welche die Funktionen der Blase beherrschen, teils in einer Lähmung der aus- treibenden Kräfte, des M. detrusor vesicae, bestehen, oder in einer Paralyse des Schliessmuskels, wozu für den ersteren Fall noch eine lähmungsartige Schwäche des austreibenden Hilfsapparats, speziell der Bauchmuskeln, treten kann. Durch Schwäche des M. detrusor wird die normale Entleerung der Blase, durch Parese des M. sphincter der richtige Verschluss derselben und das Zurückhalten . des Urins beein- trächtigt.

Es ist hier nicht der Ort, auf die Physiologie der Blasenfunktion näher einzugehen, nur soviel sei gesagt, dass die erwähnten Zustände, sei es isolirt, sei es kombinirt (z. B. in der Form der sogenannten Ischuria paradoxa, bei der trotz andauernd voller Blase [Detrusor- sch wache] ein perpetuirliches Harn trau fein [Sphinkterparese] statt- findet), bei Krankheiten des Rückenmarks eventuell des Gehirns

Rosenllial u. Bernhardt, Elektrizitätslphre. lU. AiiH. 29

450 Blasenlähmung; Enuresis nocturna. Kap. XXVTI.

(seltener) oder bei Läsionen peripherischer, dem Plexus hypogastriciis inferior und pudendalis angehöriger Nerven vorkommen können.

Somit erwächst dem Arzt als erste Pflicht dem Kranken gegen- über, das eventuelle Clrundleiden ausfindig zu machen und dieses zu behandeln. Es gilt hier besonders eine Beeinflussung der im Lumbal - teil des Rückenmarks gelegenen zentralen Partien durch den kon- stanten Strom, dessen Anode in breiter Elektrode dort plazirt wird, während die Kathode oberhalb der Symphyse tief eingedrückt oder z. B. bei Schwäche des Schliessmuskels am Damm applizirt wird. Die Stromstärke sei eine mittlere, Dauer der Sitzung 5 8 Minuten, öftere Wendungen. Abwechselnd hiermit kann auch der faradische Strom angewendet werden, bei eben derselben Position der Elektroden. Bei Patienten, die nicht übermässig empfindlich sind, mag man sich auch der inneren Applikation der Elektrizität in der Weise bedienen, dass man mit einer katheterförmigen Elektrode 99) in die Harn- röhre eingeht und dieselbe, je nach dem man auf den Schliess- oder Austreibungsmuskel einwirken will, nur bis zum Sphincter oder in die (wenn vorher leere, mit lauem Wasser zu füllende) Blase hinein vor- schiebt, während die andere Elektrode hinten auf den Lendenwirbeln, oder über der Symphyse oder endlich an dem Damm ruht. Beide Stromesarten können in Anwendung gezogen werden; bei der Be- nutzung des galvanischen Stroms hüte man sich wegen der nahe- liegendeu Gefahr elektrolyiischer Einwirkung auf die Schleimhäute vor zu' langer Dauer der Sitzung und stärkeren Strömen: überhaupt dürfte die Mehrzahl aller Erkrankten die äussere Applikation vorziehen. Eine weniger angreifende Methode, möglichst starke Stromschleifen zur Blasenmuskulatur gelangen zu lassen, besteht darin, dass man eine Mastdarmelektrode in den Mastdarm einführt, während die andere über der Symphyse ruht.

Es braucht hier nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass auch unabhängig von schwereren Störungen des zentralen oder peri- pherischen Nervensystems Schwächezustände der Blase bei Leuten mit chronischen Erkrankungen der Harnröhre (Verengerungen etc.), bei Onanisten, bei neurasthenischen und hysterischen Lidividuen vor- kommen: neben einer Allgemeinbehandlung des Grundleidens wird eine im obigen Sinne vorsichtig geleitete elektrische Kur, die oft wochenlang fortzusetzen ist, in nicht wenigen Fällen von erheblichem Nutzen sein.

Das vornehmlich bei Kindern zu beobachtende Leiden der Enu- resis nocturna ist, abgesehen von den üblichen Mitteln (Kaltwasser-

§ 198, 199. Impotenz. 451'

behandlung, wiederholtes Erwecken aus tiefem Schlaf und Anhalten 7Air Blasenentleerung, medikamentöse Einwirkung etc.) recht vorteil- haft durch obige Methode der Blasenelektrisation zu behandeln. .Be- sonders hervorzuheben wären hier die von SeeligmüUer^^^ ver- öffentlichten Erfolge, welcher das Leiden mittelst eines einige Minnten hindurch angewendeten faradischen Stroms so behandelte, dass der in einem 1 2 Ctm. langen, etwas dickeren Metalldraht bestehende nega- tive Pol in die Harnröhre etwa V2 1 Zoll weit eingeführt wurde, während die mit dem positiven Pol verbundene Elektrode über der Symphyse ruhte (massig starker Strom, Sitzungen im Ganzen 8 10, von etwa 3 5 Minuten langer Dauer). Auch Rossbach^^^ empfiehlt bei diesem Leiden die intravesikale elektrische Behandlung, neben welcher die perkutane nur eine minimale Wirkung habe.

§ 199. Neben den Störungen in der Funktion der Harnblase sind es vorwiegend Leiden der (männlichen) Geschlechts- organe, die in einer grossen Zahl von Fällen durch elektrothera- peutische Prozeduren Linderung und Heilung finden. Auch hier mag vorangeschickt Averden, dass bei jedem einzelnen Fall, in welchem über das zu häufige Auftreten von Pollutionen, über Spermatorrhoe, über Impotenz geklagt wird, eine genaue Untersuchung des Kranken vorauszugehen hat. Abgesehen von Leiden des Genitalapparats selbst (Folgen des Trippers, Harnröhrenverengerung, Hodenentzündung und Atrophie, Varicocele etc.) sind es wieder die Erkrankungen des Zentralnervensystems, speziell des Rückenmarks, die unsere diagnostische Aufmerksamkeit speziell ins Auge zu fassen hat. Nicht selten sind abnorme Reizzustände (Satyriasis) , vermehrte Pollutionen oder um- gekehrt zu frühe Ejakulation, unvollkommene Erektion gerade so wie ein etwaiges Leiden der Blasenfanktion der allererste (selten wohl der einzige) Ausdruck eines beginnenden Rückenmarkleidens speziell der Tabes: daher auf das Vorhandensein der Kniephänomene, der lanzini- renden Schmerzen, des Verhaltens der Pupillen etc. zu achten.

In solchen Fällen ist also in erster Linie Behandlung des Grund- leidens in Angriff zu nehmen und die Ausübung des Beischlafes vor- läufig zu widerraten. Liegt eine organische Läsion der Samen be- reitenden oder fortführenden Organe vor, so ist diese nach allgemein therapeutischen (oft chirurgischen) Grundsätzen zu behandeln.

Neben derartigen Patienten finden sich indessen viele, bei denen sich kein organisches Leiden nachweisen lässt: es sind teils durch frühere Exzesse (Onanie, übermässig exekutirten Beiscldaf) erschöpfte

2d*

'452 Pollutionen, Spermatorrhoe. Kap. XXVII.

Individuen, teils Menschen, welche zu der oben 185) geschilderten Klasse der Neurastheniker (speziell der Myelastheniker) gehören, teils Leute, welche in Folge einer gewissen psj'^chischen Anlage oder wegen einer bis weit in das Mannesalter hinein geübten Enthaltung die Aus- übung des Beischlafes als etwas für sie Unausführbares ansehen. Dass für derartige populär ausgedrückt »^nervöse" Individuen die psychische Behandlung von Seiten des Arztes oft das Wichtigste leistet, mehr als eine medikamentöse, hydropathische und elektro- therapeutische Behandlung, davon haben wir uns in einer jahrelangen Praxis auf das Bestimmteste überzeugen können. Nicht selten in- dessen finden sich bei gewissen Individuen auch ganz bestimmte Ano- malien, die durchaus passend gerade mittelst der Elektrizität zu be- handeln sind. So trift man nicht selten eine bedeutende Unerapfind- licbkeit des Penis und seiner Umgebung an, die zweckentsprechend mittelst des faradischen Pinsels (eine Elektrode am Damm- oder in der Gegend der Lendenwirbel) behandelt wird. Handelt es sich um eine Ueberreizung , so kann man mittelst des konstanten Stroms (Anode, breite Platte in der Gegend der Lendenwirbel, Kathode am Damm) die abnorme Erregbarkeit dieses Centrum genitospinale zu beeinflussen versuchen; der faradische Strom am Damm vermag der etwaigen Erschlaffung der Mm. ischio- und bulbocavernosi entgegen zu arbeiten.

Pollutionen und Spermatorrhoe werden vorwiegend durch galvanische Beeinflussung des Rückenmarks und speziell seines Lenden- teils behandelt, wovon unter Anderen Neumann =^-^0 ausgezeichnete Erfolge mitgeteilt hat. Nach Möbius ='•''' erzielt man* bei der Sperma- torrhoe nervöser, organisch nicht kranker Individuen gute Erfolge durch folgende Behandlungsmethode: Eine Mastdarmelektrode wird 5 6 Ctm. hoch in das Rektum eingeführt, die andere bleibt am Damm. Nach Applikation eines massig starken, an- und abschwellen- den faradischen Stromes lässt man die Galvanisation in der Weise folgen, dass die Kathode im Rektum bleibt, während die Anode stabil auf die Lendenwirbelsäule gesetzt wird. Dauer der ganzen Sitzung 3 5 Minuten.

Nicht oft genug kann den eigentümlich hochgespannten Erwar- tungen der mit den elektrotherapeutischen Prozeduren nicht ganz ver- trauten Kollegen gegenüber wiederholt werden, dass in gar manchen Fällen all' unser Mühen hier ganz ebenso oft wie in der übrigen Praxis ohne Erfolg bleibt: den auch von durchaus kompetenter Seite veröffentlichten Erfolgen in einzelnen Fällen stehen die eben nicht

§ 199, 200. Menstruatiotisanomalien. 453

publizirteii Fälle gegenüber, wo die Resultate nur nicässige oder gleich Null waren, eine Bemerkung, die wir übrigens durchaus ver- allgemeinern und als für eine Anzahl der betreffs therapeutischer Massnahmen bestehenden Berichte giltig hinstellen können.

§ 200. Was die Einwirkung der Elektrizität auf die Krank- heiten der weiblichen Geschlechtsorgane betrifft, so fand die- selbe schon früh als ein mächtig erregendes Mittel Anwendung in Fällen von mangelhafter oder fehlender Menstruation (Ame- norrhoe). Hiergegen sind schon im vorigen Jahrhundert die elek- trischen, durch Konduktoren auf die Innenseite der Oberschenkel, an die Symphyse oder in die Ovarialgegenden gerichteten Entladungen der Elektrisirraaschine benutzt worden. Eine wohl von jedem be- schäftigteren Elektrotherapeuten öfter gemachte Beobachtung ist es, dass die Anwendung der Elektrizität, sei es des faradischen oder des galvanischen Stroms vornehmlich im Bereich des Rückens eine zögernde Menstruation der Zeit nach beschleunigt, bezw. eine spärliche zu einer profusen machen kann. Daher mag als ein allgemein giltiger Satz hingestellt werden, dass elektrotherapeutische Prozeduren bei Frauen, auch wenn die Geschlechtsteile oder der Unterleib direkt gar nicht behandelt werden, zur Zeit der Menstruation beschränkt oder für 3 bis 4 Tage ausgesetzt werden mögen, wenn man nicht eben gerade durch ihre Anwendung amenorrhoische Zustände bessern will. Als direkte Behandlungsmethode mag man einen stärkeren galvanischen Strom von der Lendenwirbelsäule nach den Weichen hin gehen lassen, wie dies Althaus ^^2 empfiehlt, oder einen faradischen Strom (bezw. den Pinsel) auf solche Hautstellen einwirken lassen, von denen aus eine reflektorische Einwirkung erfolgen mag (Innenseite der Oberschenkel-, Kreuzbein-, Symphysengegend, Brust, Fusssohlen), wie dies z. B. von Schulz in Vorschlag gebracht worden, ist.

Eine andere Anomalie der Menstruation, die Dysmenorrhoe, ist besonders von NefteP^^ (vgl. § 178) mit günstigem Erfolge durch den konstanten Strom behandelt worden; an dem zitirten Orte findet sich auch die Methode des Weiteren auseinandergesetzt. Tripier^^* wendet bei Jungfrauen die von ihm sogenannte Faradisation lombo- suspubienne an: mittelstarke Ströme, Sitzungen von 5 10 Minuten Dauer. Andere, wie besonders Mann ='•'•' empfehlen die Applikation einer katheterförmigen Uteruselektrode (und zwar die Anode) direkt am Oriticium uteri, während die Kathode an den Lendenwirbeln ruht (Sitzungen von etwa G— 10 Minuten Dauer, mittelstarke Ströme: die

454 Metritis; Lageveränderungeu des Uterus. Kap. XXVU.

Sitzungen werden nur in den Zwischenräumen zwischen je zwei Perioden anberaumt, einen Tag um den andern).

In neuester Zeit sind ähnliche Beobachtungen über günstige Beein- flussung der Amenorrhoe oder der Dysmenorrhoe durch die Elektrizität besonders von Möbius^-'^'^, Good^^^, Rothe^^^ und anderen mitgeteilt worden.

Neben diesen Funktionsstörungen sind nun aber auch wirkliche Erkrankungen des Uterus selbst, so vor allem die Lageverände- rungen desselben und seine chronische Entzündung der Gegen- stand elektrotherapeutischen Bemühens geworden, da ja gerade hier bei einem muskulösen Organ die Beeinflussungsmöglichkeit durch die Elektrizität nahe gelegt war. Der galvanische Strom sowohl wie der .faradische ist benutzt worden, vorwiegend übrigens der letztere.

Bei chronischer Metritis empfehlen Beau^^^ und Tripier^*"* die Faradisation in der Weise, dass eine Elektrode in den Uterus direkt eingeführt Avird, während die andere auf dem Unterleib (ober- halb der Symphyse) ruht (tägliche Sitzungen von 3 4 Minuten Dauer, 2—3 Wochen hindurch). Bei Lageveränderungen sind die Appli- kationen je nach dem Anteversionen oder Anteflexionen oder Retro- versionen und Retroflexionen bestehen, verschiedene: Bei Anteversionen wird von Tripier^^'^ die Faradisation recto-uterine empfohlen: die eine Elektrode (die positive) befindet sich als Mastdarmelektrode in möglichster Nähe der hinteren Uteruswand, die andere (die negative) im Uterus selbst. Die Sitzungen sollen 3 Minuten dauern und zuerst täglich anberaumt werden: bei Versionen können sie häufiger statt- finden; die ganze Behandlung beansprucht nur eine relativ kurze Zeit: bei Flexionen sollen die Sitzungen seltener, die Dauer der ganzen Behandlung aber eine längere sein. Dieselben Verhaltungsmassregeln werden für die Retroversionen und Retroflexionen empfohlen, nur dass hier die Faradisation vesico-uterine in Anwendung kommt: die eine Elektrode ruht, wie oben, im Uterus selbst, die andere in der Blase, um so auf die vordere Gebärmutterwand einzuwirken. Bei Gebär- muttersenkungen, besonders wenn nebenbei noch Lageveränderungen nach vorn oder hinten bestehen, empfiehlt eben dieser Autor dieselben Methoden, wie die eben beschriebenen: je nachdem durch die manuelle Untersuchung sodann noch Erschlaffungen des. Fundus, der Vagina oder der Uterusbänder festgestellt ist, ordnet er eine sogenannte biab- domino-uterine, oder biinguinoutcriue und vaginouterine Faradisation (ein Pol im Uterus, der andere, geteilt, in den Weichen etc.) an.

§ 201, 202. Elektrizität in der Geburtshilfe. 455

B. . § -Ol. AVeder in diesen Fragen, noch in den hier anhangsweise

I zu berührenden von der Anwendung der Elektrizität in der Geburtshilfe stehen uns irgendwie ausreichende eigene Erfahrungen zu Gebote. Drei Dinge vornehmlich sind es, die man auf diesem Gebiete durch elektrotherapeutische Prozeduren zu erreichen anstrebt: 1) Anregung der etwa erschlaffenden Wehentätigkeit durch (meist perkutane) Faradisation des Uterus (beide Elektroden auf dem Unter- leib, bczw. die eine in der Lendengegend); 2) kräftige Kontraktionen der Gebärmutter bei Erschlaffungen des von der Frucht befreiten Organs (bei auf Atonie der Uteruswandungen beruhenden Blutungen); 3) die Einleitung einer künstlichen Frühgeburt. Gerade um letzteren Zweck zu erreichen, besitzen die Geburtshelfer heute wohl sicherere Methoden, als die Applikation der Elektrizität; in Bezug auf die An- regungen von Uteruskontraktionen bei Wehenschwäche oder atonischen Zuständen nach der Geburt scheinen die Meinungen der verschiedenen Autoren noch so geteilt, dass diesen Prozeduren neben den Lobrednern ebenso viele Tadler erwachsen sind. Zu den letzteren gehört z. B. Simpson^*"'', während Macke nzio^^- und Dempsey^*^^ bei Wehen- schwäche und Metrorrhagie glänzende Erfolge erzielt haben.

In Bezug auf die Anwendung der Elektropunktur zur Entfernung schwer zugänglicher Uterusneubildungen oder den Gebrauch des einen oder anderen Pols, um geschwürige Flächen am Gebärmutterhalse oder innen im Uteruskanal zu ätzen, verweisen wir auf die kurzen Bemer- kungen in Teil L S. 192. Besondere Erfahrungen auf diesem Gebiete stehen uns nicht zur Verfügung.

In aller Kürze sei hier noch der neuerdings von A postoli-'''* gerühmten Methode gedacht, als prophylaktisches Mittel (zur Ver- hütung von Metritiden und Anschoppungen des Uterus) unmittelbar nach einer gleichviel ob rechtzeitig oder nicht beendeten Entbindung den faradischen Strom anzuwenden. Nach einer normalen Entbindung applizirt Apostoli dcu Strom 8 10 Mal in G Tagen; nach einer schwierigen Entbindung oder nach einem Abort 15 20 Mal während 10 15 Tagen. Die Methode sei durchaus gefahrlos und die Erfolge ausgezeichnet.

§ 202. Anhangsweise mögen hier noch die elektrotherapeutischen Bestrebungen Erwähnung finden, die von einigen Seiten (namentlich von französischen Autoren wie Becquerel'^*^-'', Aubert-"^*^) zur Be- lebung versiegender Milchsekretion bei Säugenden gemacht worden sind, Nach Anwendung eines massig starken faradischen

456 Anomalien der Milch- und Schvveisssekretiou. Kap. XXVIl.

Stromes (Applikation feuchter Elektroden unmittelbar auf die Drüse, Beginn mit schwachen, erst allmählich zu mittlerer Stärke gesteigerten Strömen, Sitzungen von 5 10 Minuten Dauer) haben oben genannte Autoren nach 3 6 Sitzungen höchst günstige Erfolge zu verzeichnen gehabt.

In Kürze mag hier noch die Anwendung der Elektrizität zur Hervorrufung einer stockenden oder verschwundenen Schweissexkre- tion erwähnt werden. Neuere Untersuchungen, namentlich die von Adamkiewicz^^' lehrten, dass faradische Reizung der N. tibialis, medianus, facialis etc. Schweisssekretion an den Hautbezirken hervor- brachten, in welchen diese Nerven ihre Endausbreitung fanden. Aber auch reflektorisch durch Reizung der sensiblen Nerven beliebiger Haut- partien Hess sich eine übrigens stets bilateral-symmetrische Schweiss- sekretion hervorbringen, und zwar unabhängig von dem Ort, an welchem der erregende sensible Reiz eingewirkt hatte. Das ganze Rückenmark, speziell die Med. oblongata stellt nach oben genanntem Autor einen Sammelpunkt für sämmtliche Schweisssekretionsfasern dar, welche durch die vorderen Wurzeln der Spinalnerven das Rückenmark verlassen. So kann man demnach das Wiedereintreten etwa unter- drückter Fussschweisse durch faradische Reizung der grossen Nerven der Unterextremitäten oder durch faradische Bepinselung der Haut der Füsse wieder hervorzurufen versuchen: wir erinnern hier zugleich an die (S. 333) schon mitgeteilten Erfahrungen M. Meyer's^^^ der bei der Galvanisation des Halsteils des Marks eine profuse Schweiss- sekretion an den Fingern der Hand ausbrechen sah (und zwar an der Seite, wo die Kathode am obersten Halsganglion des Sympathikus stand, während die Anode am Proc. transv. des 6. und 7. Hals- wirbels der entgegengesetzten Seite ruhte).

Wenn man so einen ungefähren Anhaltspunkt hat, in welcher Weise das Symptom der abnormen Trockenheit eines Körperteils (Anidrosis) etwa zu beeinflussen Aväre, so kann dies für den ent- gegengesetzten Zustand einer übermässigen Schweisssekretion (Hy- peridrosis), wie diese z. B. an den Volarflächen der Hände (dort meist doppelseitig) oder am Gesicht und hier meist einseitig (Hemi- hyperidrosis) vorkommt, leider nicht gesagt werden. Wo derartige Erscheinungen in Verbindung mit abnormen Innervationszuständen der Gefässe (am Gesicht, vornehmlich des Sympathikus) auftreten, mag man durch entsprechende Beeinflussung der Gefässnerven oder deren Zentren (vgl. S. 418) auch die abnorme Schweisssekretion zu be- kämpfen versuchen. Nicht immer aber ist die Möglichkeit hierzu

§ 202, 203. Struma, Bubonon. 457

gegeben, da Anomalien der Schweissabsonderuug auch unabhängig von irgend einer Gefässneurose auftreten können: weitere Erfahrungen müssen hier erst noch gemacht werden, ehe über den Wert oder die 'Nutzlosigkeit elektrotherapeutischor Prozeduren ein endgiltiges Urteil gefällt werden kann.

§ 203. Nur um den Zusammenhang nicht zu stören, haben wir oben (S. 448), als von den Versuchen einer mittelst der Elektrizität zu erstrebenden Milzverkleinerung die Rede war nicht auch zugleich der Bestrebungen gedacht, Erkrankungen anderer drüsiger Gebilde, so besonders der Lyraphdrüs-en und der Schild- drüse, mittelst des faradischen oder des galvanischen Stroms zu behandeln.

Schon bei der Besprechung der Elektrotherapie der Basedow'schen Krankheit (S. 419) wurde erwähnt, dass viele Autoreu neben der Galvanisation am Halse direkt durch die vergrösserte Glandula thy- reoidea einen (mittelstarken) galvanischen Strom (Stromesrichtung wechselnd) hindurchsenden und dadurch eine beschleunigte Verkleine- rung des pathologisch vergrösserten Organs erzielt haben. Besonders günstige Resultate hat Chvostek-'''''^ in Wien zu verzeichnen gehabt, nachdem übrigens schon von R. Remak^^° auf diesem Woge positive Ergebnisse erzielt waren. Auch die Lymphdrüsenschwellungen am Halse oder in der Lendengegend konnten durch diese Methode per- kutaner Galvanisation von eben jenen Autoren, denen noch Onimus und Legros anzureihen wären, günstig beeinflusst werden, während der faradische Strom zur Verkleinerung selbst ganz immenser Lymph- drüsenpackete zwar schon von Duchenne, ganz besonders aber in neuerer Zeit von M. Meyer"' benutzt wird. Die für eine derartige Behandlung meist übermässig lange Zeitdauer glaubt derselbe Autor durch wiederholte Unterbrechungen eines ausserordentlich kräftigen Induktionsstroms erheblich abkürzen zu können; bisweilen sollen der- artige Drüsenschwellungen in wenigen Minuten sichtlich verkleinert, erweicht resp. in mehrere kleinere Packete >) zerspalten'' werden.

Nur ganz kurz mögen noch die Versuche einiger Autoren hier Erwähnung finden Hodenentzündungen, Prostataschwellungen, indolente Bubonen durch schwache, höchstens mittelstarke galva- nische Ströme günstig zu beeinflussen (Cheron^^, Moreau-Wolf "-, Chvostek"-'^), ebenso wie wir nur in aller Kürze und der Voll- ständigkeit wegen der Bestrebungen einiger gedenken wollen, torpide oder infizirte Geschwüre . mittelst des konstanten Stroms (speziell

458 Rehandluno; von Geschwüren. Kap. XXVII.

durch Anlegen des positiven Puls oder der positiven ,3Ietaliplcitte") zu heilen. Diese letzteren Versuche bilden gewissermasscn den Ucber- gang zu denjenigen Massnahmen, welche der Elektrolyse, der Elcktro- punktur zufallend, durch die die Gewebsbestandteile zersetzende und damit ätzende Kraft des galvanischen Stromes schon in das Bereich der chirurgischen Prozeduren gehören, welches Gebiet hier nicht weiter betreten werden soll (vergl. Teil I. S. 192): die oben er- wähnten Anwendungsweisen des Stroms bei Eni Zündungen der Hoden oder der Vorsteherdrüsen werden von den Chirurgen von Fach Avohl kaum den sonst gebräuchlichen Methoden der Behandlung vorgezogen werden.

Kapitel XXVIII. Metalloskopie, Metallotherapie, Statische Elektrizität.

§ 204. Vor jetzt mehr als zwanzig Jahren wurde zum ersten Mal von Dr. Burq zu Paris bei Leidenden, deren Sensibilität durch verschiedene Krankheitszustäiide herabgesetzt war, der günstige Ein- fluss der äusseren Applikation verschiedener Metalle bemerkt (Me- talloskopie).

Nicht alle Kranken wurden von einem und demselben Metalle in gleich günstiger Weise beeinflusst: bei dem einen war es das Gold, bei dem andern Eisen, Kupfer oder Zink, dem er therapeutische Er- folge verdankte. Die Untersuchungen einer auf Burq's Bitte von der biologischen Gesellschaft zu Paris im April 1877 ernannten Kommission, der Charcot, Luys und Dumontpellier angehörten ^''•\ erwies die Richtigkeit der von Burq behaupteten Tatsachen: bei halbseitig hemianästhetischen Hysterischen kehrte nach dem Auflegen von Metallplatten auf anästhetische Hautstellen nicht allein am Ort der Applikation die Sensibilität zurück (auch die Funktionsstörungen der Sinnesorgane der hemianästhetischen Seite schwanden), sondern an der ganzen leidenden Körperhälfte. Zu gleicher Zeit hob sich die gesunkene Temperatur und die geschwächte Muskelkraft an der kranken Seite. Merkwürdigerweise verlor aber die nicht behandelte gesunde Seite an Empfindungsvermögen und Kraft, was die kranke durch die Behandlung gewann, eine Tatsache, von der Gelle ^^^ die Kommission bei seinen Gehörsinnsprüfungen zuerst überzeugte und welche Lan- dolt^^"^ für das Farbenunterscheidungsvermögen derartiger Kranker bestätigte. Diese Erscheinung nannte man transfert. Nach der Kommission (Charcot) handelte es sich bei diesen Wirkungen der Metallauflegungen um schwache, durch den Kontakt der Metalle mit der Haut bedingte elektrische Ströme, eine Idee, die von Regnard •"^''^ mittelst sehr empfindlicher Galvanometer geprüft, positive Resultate

"i^O Metalloskopie. Kap. XXVIll.

ergab. Es zeigte sicli aueh, dass ebenso wie nur gewisse Metalle einen günstigen Eflekt bei denselben Individuen hatten, andere nicht (Idiosynkrasie), so auch Ströme von bestimmter Stärke, z. ß. von '2'^ Nadelablenkung, vorteilhaft waren, andere, wenn auch stärkere, z. 13. von 15" Nadelausschlag, durchaus unwirksam blieben. AVeitere Steige- rung der Stromstärke ergab dann häutig wieder günstige Resultate (Regnard's neutrale Punkte). Uebrigens waren die von diesem Autor angewandten Ströme von der Stärke physiologischer Nervenströme.

Es ist hier nicht der Ort, weiter auf diese hoch interessanten Versuche, welche nach verschiedenen Richtungen hin erweitert wurden, einzugehen: für uns genügt es zu erwähnen, dass ganz schwache, von konstanten Ketten gelieferte Ströme, ja dass auch die Anwendung von Magneten in ähnlicher Weise applizirt, ähnliche Resultate ergaben. In welcher Weise die bei der Metallauflegung zu Stande kommenden schwachen Ströme erzeugt werden, worüber die Ansichten der Autoren Regnard, Vigouroux"^^ Eulen burg"^ auseinandergehen, dies zu erfahren ist für unsere Zwecke um so mehr irrelevant, als die Unter- suchungen von WestphaP^^ Adamkiewicz="^ Schiff=^^" nach- wiesen, dass auch das Auflegen durchaus unelektrischer Substanzen, oder die Applikation eines Senfteiges, oder sehr rasch schwingender Körper (Schiff) ähnliche Resultate hatten. Genug, dass durch diese Untersuchungen gezeigt wurde, wie uns in ganz schwachen galvanischeu Strömen ein Mittel gegeben ist, schwere Zustände von Anästhesie der Haut und Sinne speziell bei Hysterischen zu behandeln, ja sogar durch die Hilfe derartiger Prozeduren auch die Beseitigung sonst nicht be- siegbarer Kontrakturen in Angriff zu nehmen. So hat z. B. Vigou- roux^^''^ durch die Applikation eines Magneten an die erkrankte (kon- trakturirte) Seite künstlich (durch Transfert) an der gesunden Seite einen derartigen Zustand produzirt, der später durch eine faradische Behandlung der Antagonisten vorteilhaft behandelt wurde.

Ganz besonders wichtig aber erscheinen alle diese Dinge, wenn sich bei späteren Nachprüfungen die Angaben Charcot's bestätigen sollten, dass in zwei Fällen von auf organischen Läsionen beruhenden cerebraleu Hemianästhesien durch Metallaufleguug die Sensibilität in allen ihren Qualitäten schnell wieder hergestellt wurde. Zum Unter- schiede von den Erfolgen bei Hysterischen, bei denen nach höchstens 24 Stunden das alte abnorme Verhalten wiederkehrte, waren die bei organischen Läsionen erzielten Resultate dauernd. Bei verschiedenen Fällen spinaler Anästhesie dagegen (bei Tabes, chronischer Myelitis) wurde nie das geringste Resultat erzielt. Aus dem Mitgeteilten er-

§ 204, 205. Statische (Spannungs-) Elektrizität. 461

hellt demnach, dass sich die Metallotherapie mit Vorteil bei hemi- anästhetischen Zuständen (besonders hysterischer Personen) verwerten und dass sich diese Wirkvmg durch schwache galvanische Ströme in gleicher Weise erreichen lässt.

§ 205. Die im vorigen Jahrhundert begonnenen, aber gegen Ende desselben in Folge der Entdeckung der Kontaktelektrizität mehr nnd mehr vernachlässigten Versuche, die »statische^* oder die Span- nungselektrizität, wie sie die üblichen Elektrisirmaschinen mid die Leydener Flasche lieferten, zur Heilung krankhafter Zustände zu be- nutzen, sind neuerdings wieder von den verschiedensten Seiten her aufgenommen worden. Schon 1846 veröffentlichte Goldin g Bird^^^ in der Lancet (June) die Resultate seiner diesbezüglichen Bestrebungen und teilte eine Reihe günstiger Erfolge bei Bleilähmungen und rheu- matischen Paralysen mit; ähnlich günstig in Bezug auf diesen Gegen- stand äussert sich in neuester Zeit James K night 3^- von New-York in dessen Arbeit ausserdem noch die bestechenden Erfolge der Behand- lung mit der Leydener Flasche erwähnt werden, welche Bermond (Bordeaux) sogar bei hemiplegischen Zuständen erreicht hat. Die durch Holtz geschaffene Influenzmaschine (Teil I. S. 18) und die später in Frankreich und Deutschland an dieser Vorrichtung ange- brachten Modifikationen . und Verbesserungen (Carre, Voss) gaben diesen Bestrebungen gewissermassen einen neuen Impuls. Schon 1868 stellte Seh wand a^^^ in Wien auf der Abteilung von Fieber thera- peutische Versuche mit der Holtz'schen Elektrophormaschine an, in- dem er die hierdurch gelieferten Ströme bei Einschaltung einer Luft- strecke in den Schliessungsbogen mit dem Namen der »Spannungs- ströme'* zum Unterschiede von den faradischen und galvanischen Strömen bezeichnete. Besonders auffällig war die Wirkung dieser Spannungsströme auf die glatten Muskeln der Haut und der Gefässe, welche die im Gefolge von Lähmungen auftretenden passiven Hyper- ämien und Schwellungen der Haut sehr rasch zum Schwinden brachte. Bei Empfmdungslähmungen ferner wirkten die durch eine Luftstrecke auf die Haut geschickten Spannungsströme weit kräftiger, als die mittelst der elektrischen Geissei auf die Haut applizirten faradischen und konstanten Ströme, und bei Paralysen endlich sollen sie nach Schwand a dasselbe leisten, was die faradischen Ströme. Kurz, die Spannungsströme sind nach ihm eine wesentliche Ergänzung des elek- trischen Heilapparats. In Bezug auf die physiologischen Wirkungen der Spannungsströme fand derselbe Autor, dass der positive Pol saure

462 Physiologische Wirkungen d. Spannungsströmo. Kap. XXVTII.

Geschmacksempfindung vorn an der Zunge erzeugte, die beim Bewegen der Elektrode zunahm. Gleichzeitig traten die Papillenspitzen stark hervor und die Sekretion der Zungenspitze wurde reichlicher. Selbst starke Ströme bewirkten l^eine Geruchs- oder Gehürsempfindungen, und erst bei etwas stärkeren Strömen sah man Lichtblitze, die bei schneller Rotation der Scheibe in ein zusammenhängendes blädich-weisses Licht übergingen. Besonders studirt wurden von Schwanda die Einwir- kungen der Spannungsströme auf die Haut (deren Muskeln und Ge- fässe) ; direkt auf die Muskeln gerichtet bewirkten schwächere Ströme klonische Zuckungen, starke Tetanus der Muskeln. Die Stärke der Ströme ist abhängig von der Zahl der Umdrehungen der rotirenden Scheibe und von der Grösse der in den Schliessungsbogen eingeschalteten Luftstrecke bis zu einem nach der Grösse der Maschine variirenden Maximum hin. Im Gegensatz zu faradischen und galvanischen Strömen gehen die Spannungsströme durch Epidermis und Kleider: auch genügt zur Hervorbringung der beschriebenen Effekte nur ein Pol, während der andere auf die Erde abgeleitet sein kann. Fieber^^^ selbst wider- rät die Anwendung von Influenzströmen bei cerebralen Lähmungen, bei Tabes und den meisten anderen spinalen Paralysen. Die schnell- sten und besten Erfolge beobachtete er bei Bleilähmungen, bisweilen auch bei rheumatischen und traumatischen Paralysen. Die einfache kutane Anästhesie wurde noch durch Influenzströme erfolgreich be- handelt, wenn Induktions- und galvanische Ströme sich ganz wirkungs- los zeigten. Auch bei Neuralgien, besonders bei Hysterischen, sah er öfter recht günstige Wirkungen.

§ 206. Von verschiedenen Seiten ist man in neuester Zeit diesen Bestrebungen wieder näher getreten, so in Deutschland durch die Frankfurter Aerzte Clemens^^% Stein '^% in Frankreich durch die Aerzte der Salpetriere, in Avelcher unter Charcot's Auspizien von B. Vigouroux^^^ und Ballet^^'' Versuche namentlich bei Hysterischen mit ziemlich günstigem Erfolge angestellt worden sind. Ganz neuer- dings ist dann noch von Paul Vigouroux^'^^ (der sich in seiner Arbeit wiederholt auf die Resultate von Arthuis beruft, die dieser Schriftsteller in seinem Buche: Traitement des maladies nerveuses et des aflfections rhumatismales par l'electricite statique [Paris 1877] niedergelegt hat) eine ausführlichere Brochüre über denselben Gegen- stand erschienen, während vereinzelte Aufsätze einiger deutscher und amerikanischer Autoren von dem wiedererwachenden Interesse der

§ 206. Applikationsmethoden. 403

heutigen Aerzte für diese so lange vernachlässigte Behandlungsart Kunde geben.

Die Methoden, die von den Maschinen gelieferten Spannungs- ströme den Kranken zu appliziren, sind verschiedene. Beim »elek- trischen Bade" hält der auf einem isolirten Schemel sitzende Patient die in eine Metallkugel endende Zuleitungsröhre (den Kon- duktor) während der Umdrehungen der Maschine in der Hand und wird, je nachdem man von der Maschine aus die positive oder nega- tive Elektrizität zum Erdboden abgeleitet hat, mit der einen oder anderen Elektrizität geladen. Während Stein der Oberfläche des Körpers, welche nach ihm sich in positiver Spannung befindet, so V4 1 Stunde lang elektropositive Ladung zuführt, wobei sich die Kranken äusserst wohl und behaglich fühlen (die negative Ladung soll eine gegenteilige Wirkung hervorbringen), hält P. Vigouroux diese Unterscheidung zwischen positiver und negativer Ladung für durchaus unwesentlich und bedient sich immer des negativen Bades. Nähert man dem so elektrisirten Individuum eine mit metallischen Spitzen besetzte Platte (mit einer isolirenden Handhabe von Glas), so empfindet dasselbe eine Sensation wie von einem sanften Luftzuge (der elek- trische Hauch oder Wind): diese Prozedur wird als besonders schmerzstillend gerühmt. In stärkerer Weise wird ein ähnlicher Effekt erzielt, wenn dem Kranken der in eine einzige Spitze auslaufende Konduktor bis zu einer gewissen Entfernung genähert wird: man sieht dann im Finstern ein Lichtbüschel von dieser Spitze ausgehen, daher dieses Verfahren Procede d'aigrette genannt wird. Um durch Friktionen zu wirken (namentlich auf die Haut selbst) fährt man mit einem in eine kleine Metallkugel endenden Exzitator über die Haut des Kranken hin; der Kranke ist dabei bekleidet: will man so das Gesicht behandeln, so wird die Metallkugel des Exzitators mit Wolle umhüllt. Die energischste Einwirkung ist die des Funken Entiockens, indem man die unverhüllte kuglige Endigung des Exzi- tators in die Nähe des Patienten bringt: man erregt so am stärksten, und wendet dieses Verfahren bei Lähraungszuständen an.

Das sogenannte „umgekehrte Verfahren" (le procede inverse) besteht darin, dass der Arzt selbst sich mit positiver oder negativer Elektrizität ladet und die verschiedenen nicht isolirten Exzitatoren, die er selbst in Händen hat, dem Kranken nähert, namentlich ihm Funken entlockt, ein Verfahren, welches besonders für die Kinderpraxis sich nötig erweisen soll. Um endlich auf das Gehörorgan einzuwirken, lässt Vigouroux einen in zwei Metallkugeln (eine kleinere (md eine

464 Anwendung der statischen Elektrizität. Kap. XXVIIT,

grössere) auslaufenden Metallstab, dessen Mitte von einer länglichen Glashülse umgeben und dadurch isolirt ist, vom Kranken in die Hand nehmen. Die kleine Kugel wird von diesem so weit wie möglich in den Gehörgang eingeführt: aus dem anderen Ende zieht der Arzt mit Hilfe eines ebenfalls kugelig endenden Exzitators Funken. Die Erfolge dieser »schmerz haften^' Operation. sollen bei nervöser Taubheit über- raschende sein: Anämische, chlorotische , neuralgische, rheumatische Zustände wurd^en auf die oben beschriebene Art mit Erfolg von Vigou- roux behandelt: günstige Resultate werden besonders von einer Mo- nate hindurch fortgesetzten Behandlung bei Epilepsie berichtet. Hemi- plegien Avurden schon innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem apoplektischen Insult in Behandlung genommen: ein Unfall soll dabei nicht vorgekommen sein. Sogar die Nachtschweisse der Phthisiker und das hektische Fieber hat unser Autor (Funkenentlockung längs der Wirbelsäule) in wohltätiger Weise beeinflusst: stets habe man sich bei weiblichen Individuen während der Regeln der Behandlung mittelst der statischen Elektrizität zu enthalten, da während einer solchen Behandlung häufig auch ausserhalb der Zeit Blutungen aus den Genitalien eintreten: daher wird dieses Verfahren direkt bei amenorrhoischen und dysmenorrhoischen Zuständen an- empfohlen.

Auf der Charcot'schen Abteilung wurden, wie Ballet berichtet, namentlich an (auf dem Isolirschemel sitzenden) hysterischen Kranken Versuche angestellt, in der Weise, dass diese entweder mit Elektrizität einfach geladen, oder durch die Annäherung von Exzitatoren Funken aus ihnen gezogen wurden. Durch diese Prozeduren wurden Anästhesien gebessert, wobei auch die oben erwähnten Erscheinungen von Trans- fert zur Beobachtung kamen. Diese Besserung hielt Stunden und Tage an und konnte durch neue Sitzungen vervollkommnet werden. Nach Charcot kann man in einzelnen Fällen von Spinallähmung durch den elektrischen Funken lokalisirt Muskeln zur Kontraktion bringen, welche auf den faradischen Strom nicht mehr reagiren. Auch Facialis- lähmung und die Schüttellähmung sollen durch das elektrische Bad oder den elektrischen Hauch (Annäherung der Exzitatoren in einer Entfernung von 15 20 Ctm.) gebessert worden sein, ebenso wie auch auf andere nervöse Zustände (Dyspepsie, Spinalirritation, Dysmenor- rhoe) ein günstiger Einfluss ausgeübt wurde. Aehnliche günstige Re- sultate speziell bei Hysterischen erzielte R. Vigouroux (mit einer raodifizirten Holtz-Carre'schen Maschine) und Erlenmeyer^^^, dem schon 1879 in einem Falle schwerer hvsterischer Anästhesie und

§ 206, 207. Franldinisation. 465

Lähmung die statische Elektrizität Erfolg brachte, wo andere elek- trische Applikationen (faradischer und galvanischer Strom) ihre Dienste versagt hatten.

§ 207. Namentlich bei der Behandlung von Neuralgien haben ausserdem Drosdoff^^o, Beard^^^i^ Rockwelp92^ Blackwood^^s, Morton^s^, Dana^^^ günstige Resultate erzielt, ein Ergebniss, wel- ches auch durch die Untersuchungen Stein's'^" bestätigt wird. Bei neurasthenischen Zuständen dagegen ist nach diesem Autor die An- wendung der statischen Elektrizität kontraindizirt. Nach Vigouroux soll, wie Stein mitteilt, die statische Elektrizität überall da ange- bracht sein, wo man zur Heilung des Leidens hydrotherapeutische Prozeduren anwenden würde, eine, wie auch Stein hervorhebt, etwas vage und unbestimmte Lidikation, deren weitere Würdigung der Zu- kunft vorbehalten bleiben muss. In Bezug auf das Wesen der Ein- wirkung statischer Elektrizität auf den Organismus glaubt Stein, dass es sich um Beeinflussungen molekularer Bewegungen im Nervensystem handele. Schon im vorigen Jahrhundert hat Franklin die Theorie aufgestellt, dass jeder Körper elektrisches Fluiduum habe, das für gewöhnlich in ruhendem neutralisirtem Zustande verharre und erst durch Zuführung neuer oder durch Entziehung eines Teils der vorhandenen Elektrizität in seinem Gleichgewicht gestört werde und den Körper selbst zu einem „elektrischen« mache. Daher nennt Stein die Behandlung des menschlichen Körpers mittelst der statischen Elektrizität die „Franklinisation" und führt gemäss seinen eignen Untersuchungen, die oben schon erwähnt sind, der Körperober- fläche im elektrostatischen Luftbad positive Elektrizität zu. Stein bedient sich bei seinen Versuchen und Untersuchungen der von ihm in die Praxis eingeführten Voss 'sehen Influenzmaschine, die in einem durch Chlorcalcium und einen Ventilator trocken gehaltenen Glas- kasten steht und durch einen mittelst zweier Zinlv-Kohlenelemente ge- triebenen galvanischen Motor in Gang gesetzt wird. Eine der Haupt- bedingungen bei der Anwendung der Franklinisation ist ein regel- mässiger, möglichst rascher Gang der Maschine, was durch Benutzung eines Hahn"schen Rotations -Auftricbmotors erreicht wird. Der Vor- teil dieser Vorrichtungen besteht nach Stein darin, dass die Influenz- maschinen selbst bei feuchter Witterung selten versagen, dass die Voss'sche Maschine sich nach einer Anzahl von Umdrehungen selbst ladet, während die Holtz'sche Maschine durch irgend einen zweiten Apparat erst geladen werden muss, und dass der Gang der l*]inri('h-

üosenthal u. B c ru liard t, KlektrizitätskOue. III. Au/l. JJQ

466 Apparate zur Franklin isation. Kap, XXVIII.

tungen ein sehr regelmässiger und dabei geräuschloser ist. In alier- neuester Zeit ist Stein übrigens wieder zur einfachen Holtz' sehen Maschine mit zwei Scheiben zurücligekehrt: er verbindet dieselbe init einem kleinen Ventilator, durch dessen Umdrehungen eine beständige Bewegung der Luft im Glaskasten veranlasst wird. In einigen Fällen von Tremor, Ischias, Tic douloureux und Hautanästhesie waren die Erfolge entschieden günstige: auch die jüngsten Beobaciitungen Stein's (vom 16. Mai 1882 bis 15. April 1883) bestätigen die namentlich in Bezug auf die Neuralgien schon früher erhaltenen Resultate: für die Aufstellung spezieller Indikationen zur Behandlung der allgemeinen Neurosen mittelst statischer Elektrizität müssen auch nach diesem Autor erst noch weitere Tatsachen gesammelt werden.

Man darf also gewiss sagen , dass es noch weiterer Unter- suchungen und Forschungen bedarf, um auch für diesen neu auf- lebenden Zweig der Elektrotherapie und für eine rationelle Verwertung desselben die sicheren Grundlagen zu schaifen. Vorläufig belaufen sich die Kosten der Apparatanschaflfung noch so hoch, und die An- spruchnahme von Zeit zur Ausübung dieser Methode ist noch eine so bedeutende, dass sich für die erste Zeit wohl nur Spezialisten, weniger die praldischen Aerzte geneigt zeigen dürften, sich der Ausbildung dieses speziellen Zweiges der Elektrotherapie zuzuwenden. Wir stehen mit diesem Ausspruch, wie wir sehen, nicht isolirt da: die Prüfungs- Kommission auf der Internationalen Elektrizitäts-Ausstellung zu Mün- chen im Jahre 1882 hat sich zwar davon überzeugt, dass der von Stein ausgestelltie Apparat zur Anwendung statischer Elektrizität technisch sehr gut ausgeführt ist und in physikalischer Beziehung allen Anforderungen entspricht: „die Erfolge aber müssten schon ausser- ordentlich glänzende sein, wenn sich diese an Raum, Zeit und Kosten sehr anspruchsvolle Methode neben unseren alten, bewährten und ein- facheren JMethoden in der Elektrotherapie das Bürgerrecht erwerben soll.«

Anhang.

Einige eiektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden,

sowie eiektrodiagnostische und elektrotherapeutische

Beobachtungen an Kranken.

1. Bei welcher Stromstärke kommt bei verschiedenen Indiviclnen (geprüft wurden 3 gesunde Männer im Alter von 19, 29, 39 Jahren) unter genau der gleichen Versuchsanordnung die KaS- Zuckung zu Stande? Nach Erb 's Vorgang wurden folgende vier verschiedenen Regionen angehörige Nerven (Facialisast für den M. frontalis, Ast für den M. cucullaris, N. ulnaris und N. peroneus) geprüft (Vgl. S. 264).

Die eine indifferente Elektrode (7 ''2 Ctra.) ruhte auf dem Brustbein, die diflferente Elektrode war 2 2V2 Ctm. gross.

Es handelte sicli stets um das erste Auftreten der KaSz.

I.

IL

III.

N.

frontalis

1,35 M.A.

1,35 M.A.

2,2 M.A.

N.

ulnaris

1,25 M.A.

1,5-1,8 M.A.

1,15 M.A.

N.

accessorius

1,15 M.A.

1,8 M.A.

1,15 M.A.

N.

peroneus

2,5 M.A.

2,8 M.A.

2,5 M.A.

_^

Zur Erregung des Unter.schenkelnerven bedurfte es in diesen, wie auch in andern Fällen meist einer etwas bedeutenderen Stromstärke als für die übrigen Nerven. (Vgl. noch S. 269, Anmerkung.)

2. Praktisches Beispiel zu Seite 220. Von 2 gut befeuchteten Elektroden ruhte die eine in der Hohlhand, die andere auf dem Handrücken im ersten Zwischenknochenraura. Beide mittel- gross (5'V2 Ctm.). (Vgl. S. 232.)

Der Strom wurde geliefert von 50 Siem ens' sehen Elementen: befand sieh der Rheostat in Haupt- oder Nebenschluss , so kamen folgende Modifikationen der Strom.stärke zu Stande je nach der Einschaltung von Widerständen:

Rheostat im Hauptschluss 50 Elcm. Rheostat im Nebenschluss 50 Elein.

3000 S.E. = 2,5 M.A. 3000 S.E. = 3,0 M.A.

2000 = 2,8 2000 ^ 2 0

30*

468

Einige elektrodiagnostische Beobachtung, an Gesunden, sowie elelvtro-

Rlieostat im Hanptschiuss 50 Elem. 1500 S.E. = 3,0 M.A.

1000

= 3,5

500

= 4,1

100

= 4,9

0

= 5,0

Rlieostat im Ncbenschluss 50 Elem. 1500 S.E. = 2,0 M.A.

1000

= 1,7 «

500

= 1,1

200

=- 0,4

100

= 0,2

50

= 0,1

0

= 0

Möglichkeit einer

Stromstärlcensteigerung

um das Dreissigfache und mehr.

Möglichkeit einer Stromstärkensteige- rung um die Hälfte. Die Stromstärke betrug bei obiger Anordnung bei vollkommener Ausschaltung des Rheostats 5,2 M.A.

3. Beispiel für die Brenner'sche Methode der Aufzeichnung von elektrodiaguostischen Untersuchungsresultaten.

Der Rheostat ist im Nebenschluss: je weniger Widerstände in dem durch den Rheostaten gehenden Stromanteil eingeschaltet werden, um so schwächer ist der durch den menschlichen Körper gehende Strom: mit der Anzahl der Wider- standseinheiten im Rheostaten wächst die Stromstärke des durch die Versuchs- person gehenden Anteils. (Vgl. S. 89, 219, 220.)

Gesunder, 20jähriger Student.

Die indifferente Elektrode (sehr gross, von 7 ','2 Ctm. Durchmesser) ruht auf dem Brustbein, die diflferente Elektrode (von 2 3 Ctm. Durchmesser) dient zur Untersuchung der Erregbarkeit des N. ulnaris sinister. (Vgl. S. 232, oben).

Die Elementenzahl wird in römischen, die Zahl der in Nebenschliessung eingeschalteten Widerstandseinheiten in arabischen Ziffern angegeben: 50 Elem. = L (230) KaSz ... 1,8 M.A. (270) AOz ... 2,0 M.A. (330) ASz ... 2,5 M.A. (630) KaOz ... 5,0 M.A. (660) KaSTe ... 7,0 M.A. Das absolute Galvanometer war natürlich in dem Stromkreise eingeschaltet, der durch den menschlichen Körper ging. (Vgl. S. 219 und 227.)

N. radialis (links); Umschlagsstelle. Dieselbe Anordnung.

L (310) KaSz .... 2 M.A.

(450) AOz .... 3,5 M.A.

(600) ASz (undeutlich) 5,0 M.A.

(1000) KaSTe ... 8,0 M.A.

jN. peroneus (links); an der Innenseite der Bicepssehue. L (440) KaSz ... . 2,5 M.A.

(1100) AOz . . . . 5,0 M.A.

(2000) ASz .... 8,5 M.A.

(2300) KaSTe ... 9,0 M.A. (Vgl. hierzu noch S. 269, Anmerkung.)

diagnostische und elektrotherapeutisclie Beobachtungen an Kranken.

469

4. Formular *'\ wie es im meclizinisch-klinischeu Institut zu' München für elek- trische Prüfungen gebraucht wird. Name Elektrische Untersuchung

Datum.

Rechts.

Links.

Far.E.

KaSz

F

ASz

AOz

KaSTe

/

F

Auf jeder Seite sind B solche Felder (F) unter einander gedruckt, von denen jedes für je einen Nerven oder Muskel bestimmt ist. In die Mittelrubrik jedes Feldes ist als Ueberschrift der Name des gereizten Organs zu schreiben, darunter stehen dann die Bezeichnungen: Far.E. (faradische Erregbarkeit), KaSz etc. und darunter noch ein freier Raum für eventuelle andere (seltenere) Reaktionen (KaOz, ASTc, AOTe). Zu beiden Seiten notirt man je für die linke und rechte Seite die Schwellenwerte, bei denen die Reaktionen erhalten wurden (also bei Far.E. bedeuten die Zahlen den Abstand der sekundären Spiralen von der primären, beim galvanischen Strom schreibt man den Nadelausschlag bezw. die absoluten Werte der Stromstärke in M.W. oder M.A. Der freiere Raum zu beiden Seiten gestattet noch weitere Notizen über den Modus der Zuckungen und andere Bemerkungen. Am Kopf des Bogens steht der „Name des Patienten^' , links ist ein Raum zur Eintragung des Datum der Untersuchung.

5. Linksseitige Facialislähmung durch Erkältung mit längere Zeit

andauernder einfacher Verminderung der Erregbarkeit von Muskeln

und Nerven, ohne qualitative Veränderungen (.Entartungsreaktion).

(Bernhardt. Virchow's Archiv, Bd. 78, S. 269.) (Vgl. S. 284.)

Beginn der Erkrankung eines in den Zwanzigern stehenden Mannes D. am 1o. .Juni 1879. Keine Störungen des Gehörs der linken Seite, Geschmacks- veränderungen der linken Seite der Zunge waren iiicht vorhanden.

Die Untersuchung am 3. Ta^e nach Beginn des Leidens (IG. Juni 1879) er- gab eine geringe, aber deutliche Herabsetzung der Erregbarkeit des linken Facialis- stammes und seiner Aeste, sowie der linksseitigen Gesichtsmuskeln für den lu- dnktionsstrom. Hinsichtlich des galvanischen Sti'oms zeigte sich

R.

vom Stamme aus

L.

(kranke Seite) KaSz N.A. ASz 5" kein AOz

Anfang Juli, also etwa 16 Tage seit der Erkrankung trat schon eine deut- lich wahrnehmbare Besserung der aktiven Beweglichkeit ein , dabei war die Erreg- barkeit von Nerv und Muskel aus für beide Stromesarten noch deutlich herab-

(gesundc Seite) KaSz 2V2 N.A. ASz u. AOz N.A. AOz < ASz

470 Einige elekiroiiiagnostisclie Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

gcsctzt: die Zuckungen der erkrankten Muskeln verliefen aber nicht wurniförmig, träge, sondern kurz und blitzartig: 5. Juli 1879.

Facialisstamm : R. L.

KaSz 2V2" KaSz 6"

ASz + AOz 5" ASz 7|»

(keiu AOz) 19. .Juli 1879. (5 Wochen seit Beginn des Leidens.) B'ast vollkommene Wieder- herstellung der Beweglichkeit der linken Gesichtshälfte. Prüfung mit dem faradischen Strom.

Stamm :

R. L.

6,5 R.A. 4,5

Lippenäste :

6,5 5,0

Kinnmuskeln :

(direkt gereizt)

6,8 5,0

Prüfung mit dem konstanteu Strom:

R. Stamm : L.

KaSz 3" KaSz 5"

ASz ASz

AOz 5" AOz nicht bei 15»

Direkte Reizung der Kinnmuskeln:

KaSz 2|" . KaSz 3" r kurz

ASz ASz l blitzartig

Am 30. Juli vollkommene Heilung: die elektrische Untersuchung liess jetzt zwischen links und rechts keine Unterschiede mehr erkennen.

6. Rechtsseitige (rheumatische) F a c i a 1 i s 1 ä h m u n g , in der 6 1 e n Woche

des Bestehens. Schon Rückkehr der aktiven Beweglichkeit. (öOjähr.

Frau.) Mittelform. (Vgl. S. 295 u. 301.)

In duktions ström:

L. (gesund) R. (krank)

Stamm und Aeste:

Reaktion bei 6,8 R. A. bei 6,5 R. A.

bei 5,8 R. A. reagiren auch die direkt ge- reizten Muskeln. Konstanter Strom: Stamm: KaSz 3" KaSz 10"

Ast für Kinu-Unterlipp enmuskeln: KaSz U" KaSz 2|"r prompte, blitz-

ASz ASz l artige Zuckungen.

M. frontalis (direkt): KaSz 21« KaSz und KaOzr träge,

bei 2 " l lano'sam.

diagnostische und elektrotherapeutische Beobachtungen an iCranken. 471

Kinnrauskulatur (direkt): bei 21" erscheint KaSz (aber nur rechts an der kranken Seite,

Stromschleifen) bei 3" KaSz (links, blitzartig)

bei 4 5" kein ASz (links), wohl aber rechts ASz und AOz durch Stromschleifen; träge Zuckungen.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

7. Mittelschwere Form einer linksseitigen (rheaniatischen) Facialislähraung. Relative Heilung. BeobachtungderFol gezustände (05 Jahre nach Beginn

der Erkrankung.)

Frl. E. Philipp, 45 Jahr. I. Beobachtung September 1877. Bestand der linksseitigen Gesichtsnervenlähmung seit etwa 7 Wochen. Gehör gut; am Gaumen- segel nichts Abnormes; Geschmack an den vorderen zwei Dritteln der linken Zungenhälfte etwas vermindert. Druck auf die Muskulatur der gelähmten Gesichts- hälfte schmerzhaft: ausgesprochene Erhöhung der mechanischen Erregbai-keit der Muskulatur an dieser Seite (Beginn der Rückkehr aktiver Beweglichkeit). ]\Iit dem Induktionsstrora erzielt man rechts von Stamm und Aesten aus bei 6,6 R. A. deutliche Reaktionen; links (kranke Seite) von den Nerven aus nur schwache Reak- tionen bei 5 R. A.

Konstanter Strom :

Vom Stamm (For. stylom.) aus erhält man rechts KaSz 5", von den Aesten aus KaSz 2^". Links kommen bei Stammreizung nur durch Stromschleifen träge KaSz und ASz im Gesicht zu Stande: schon bei I" N.A. erhält man (träge) Schliessungs- und Oeffnungszuckungen bei direkter Erregung der linksseitigen Stirn- und Unterlippen -Kinnmuskeln, während rechts bedeutend grössere Stromstärken nötig sind, um Schliessungszuckungen (Oeffnungszuckungen bleiben hier bei direkter Reizung überhaupt aus) auszulösen.

Dieselbe Patientin beobachtet im Februar 1881.

Linke Gesichtshälfte kontrakturirt, die linke Lidspalte kleiner als die rechte, Mund nach links hin verzogen. Aktive Bewegungen miöglich, aber alle weniger gut, als rechts ausführbar. Bei Augenschluss erfolgen Mitbewegungen am linken Mundwinkel, der linken Kinnmuskulatur und am Platysma myoides. Der Geschmack ist an der vorderen linken Zungenhälfte etwas stumpfer, als an der rechten.

Rechts erzielt man vom Facialisstamm und den Aesten her bei 6 7 Ctm. R. A. deutliche Zuckungen, links erst bei 5,5 R.A., aber schwächer, als rechts.

Vom Ast für den Triangularis menti aus rechts KaSz bei k" , und fast bei derselben Stromstärke ASz und AOz, bei Reizung der Kinnmuskulatur (rechts) direkt KaSz bei 2^", ASz bei 3". Links vom Kinnast aus KaSz erst bei 2^" und schwach (aber blitzartig); bei 4" ASz. Bei direkter Muskelreizung KaSz 4" und ASz 5" (kurze, blitzartige Zuckungen). Also Verschwundensein der Entartungs- rcaktion, aber noch deutlich nachweisbare quantitative Erregbarkeitsherab- setzung.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

472 Einige oloklrodiagnostischo Beobachtungen au Gesunden, sowie eleklro-

8. Rechtsseitige, seit frühester Jugend bestelieude, zu relativer Hei- lung gelaugte Faciaijslähmung. (Eigentümliches Verhalten der ijare-

tischeu Muskulatur.)

Frl. A, H , 18 Jahre alt, leidet seit ihrer frühesten Jugend an einer

durch Erkältung entstandenen rechtsseitigen Facialislähmung. Erst in jüngster Zeit ist sie zum ersten Mal elektrisch behandelt worden. In der Ruhelage des Gesichts erscheint die rechte Lidspalte weiter als die linke, der Mund ist etwas nach links hinüber gezogen; zeitweilig bemerkt man geringe, aber deutliche spon- tane Zuckungen an der rechten Kinnmuskulatur. Beim Versuch zu aktiven Be- wegungen (dabei kommt das rechte Auge nicht zum Schluss), zieht sich der Mund nach rechts, in der rechten Wange bildet sich ein Grübchen. Die elektrischen Erregbarkeitsverhältnisse sind rechts, wie links im Wesentlichen die gleichen : höch- stens wäre eine ganz geringe quantitative Herabsetzung der indirekten und direkten Erregbarkeit für beide Stromesarten (aber keine Spur von Entartungsreaktion) an der rechten Seite zu bemerken.

Die zum rechten Mundwinkel und Nasenflügel gehörigen Muskeln sprechen bei faradischer Reizung schnell an, die Kontraktionen erscheinen beim Beginn der Reizung wogend, wallend und bleiben (auch nach Unterbrechung des Stromes) tonisch einige Momente bestehen, um sich langsam und unter erneutem Eintritt zitternder Bewegungen auszugleichen.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

9. Sctiwere linksseitige (rheumatische) Facialisiälmiung. (ISjähriges Mädchen.)

(Vgl. S. 285, 398.)

Elektrische Exploration :

A. Zu Ende der ersten Woche der Krankheit:

Keine Reaktion vom Nervenstamm oder den Aesten aus oder bei direkter Muskelreizung mit dem faradischen Strom (selbst bei 3 2| Ctm. R. A.); rechts prompte Reaktion bei 6 Ctm. R.A.)

Konstanter Strom: Rechts (gesund) Links (krank)

Ast für die Unterlippen-Kinnmuskeln: 2^" KaSz 10" keine Reaktion

Unterlippenmuskulatur (direkt) : 4" KaSz und ASz 7^" KaSz und ASz.

Die Zuckungen sind auch links (an der kranken Seite) wenngleich schwach, so doch noch prompt und blitzartig.

Also: bedeutende Herabsetzung der indirekten und direkten faradischen Erreg- barkeit; desgleichen der indirekten galvanischen Reizbarkeit: die direkte galvanische Erregbarkeit sehr vermindert, aber doch noch in höherem Grade vorhanden, als die direkte faradische.

(Es fehlen übrigens Krankheitserscheinungen von Seiten des Ohres: Gaumen- segel intakt, Geschmacksstörungen vorn links auf der Zunge nicht vorhanden.

B. Dieselbe Patientin untersucht am Ende der IIL Krankheitswoche : Ausgesprochene Entartungsreaktion. Die Verhältnisse für die Reizung mit

dem faradischen Strom dieselben.

diagnostische und elektrotherapeutische Beobachtungen an Kranken. 473

Konstanter Strom: R. (gesund)

Stirnast : KaSz bei 1,3 M (iili) A (rapere)

Ast für die Unterlippenmuskeln: KaSz 1,8 M A.

Bei direktem Aufsetzen der Ka auf die (gesunde) Unterlippen muskulatur (rechts) kommt bei 1,6 M.A. nur links (durch Stromschleifen), an der kranken Seite eine träge Zuckung zu Stande.

Ast für die Unterlippenmuskulatur: ASz 3,0 M.A. Die Muskeln direkt gereizt: ASz bei 4 M.A.

M. frontalis (direkt gereizt): KaSz bei 1,9 M.A. Links (kranke Seite): bei 1,8 M.A. keine Reaktion bei Reizung des Stirn- ästes, wohl aber eine schwache träge Zuckung (KaSz) am Mundwinkel (durch Stromschleifen.)

Die linksseitige Unterlippenmuskulatur direkt gereizt ergibt: KaSz bei 0,5 M.A. bei 2 M.A. ASz und AOz (Alle Zuckungen träge, langgezogen.)

M. frontalis (direkt erregt): KaSz 0,45 M.A. KaOz 0,78 M.A. Dasselbe für ASz und AOz.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt. Stromstärken gemessen durch Edel- mann's absolutes Taschengalvanometer.) (Vgl. S. 226.)

10. Leichte Radiaiisläbmung ohne quantitative und qualitative Erreg- barkeitsveränderung. (Vgl. S. 282.)

Pauline F., 39 Jahr alt, hatte sich am 26. April 1879 durch Druck auf den rechten Oberarm während des Schlafes (etwa ^ Stunde) eine rechtsseitige Lähmung der Hand- und Fingerstrecker zugezogen.

30. April 1879: Prüfung mittelst des faradischen Stroms. Von der Umschlagsstelle des N. radialis (vgl. S. 252) am Oberarm aus beider- seits bei 55—6 Ctm. R A. (Rollenabstand der sekundären Spirale von der primären) deutliche Reaktion der Streckmuskeln.

Prüfung mittelst des galvanischen Stroms: Rechts vom Nervenstamm aus (Umschlagsstelle) : KaSz bei 2" N.A. (Nadelausschlag) AOz bei 5" N.A. (kurze, blitzartige Zuckungen). Links (an der gesunden Seite) von derselben Stelle her: KaSz bei 2—2^» N.A. AOz bei 4" N.A.

(iOigene Beobachtung. Bernhardt.)

474 Einige elektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

11. Leichte Radialislähmung ohne quantitative und qualitative Errogbar- licits Veränderung. (Vgl. S. 282.) 45 jähriger Maurer R. hatte am 8. Olttober 1877 ^ Stunde während dea Schlafes seineu linken Oberarm gedrückt.

Linksseitige Lähmung im Radialisgebiet, geringes subjektives Taubheitsgcfühl am Rücken des Daumens.

18. Oktober 1877: Von der Umschiagsstelle am Oberarm her bei Prüfung mit dem faradischen Strom Zuckung R. (gesunde Seite) bei 5,8 R. A. L (kranke Seite) bei 6,2 Muskeln reagiren (direkt gereizfi beiderseits bei 5 6 Ctm. R. A. Prüfung mittelst des galvanischen Stroms:

L. (kranke Seite) R (gesunde Seite)

Stamm des Nerven: 5" KaSz KaSz

10« AOz 12§" AOz

Muskulatur : 10» KaSz 10" KaSz

(kurze blitzartige Zuckuiigen ) Von der Achselhöhle aus erfolgen bei faradischer Reizung rechts (an der ge- sunden Seite) bei 6 Ctm. R. A. deutliche Zuckungen im Radialisgebiet, links gar nichts. Mit der Rückkehr aktiver Beweglichkeit (schon vom 20. Oktober ab) er- folgt auch links bei etwas höheren Stromstärken als rechts, bei Reizung von der Achselhöhle aus Reaktion

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

12. Leichte rechtsseitige Radialislähmung (etwas erhöhte Erregbarkeit des gelähmten Nerv-Muskelgebiets). Keine Besserung im Ver- laufe von sechs Wochen, während welcher der Kranke nicht be- handelt ist; sofortige Besserung nach elektrotherapeutischor Behandlung. (VgL S. 397.) Ein 28 jähriger Mann hatte sich eine Woche vor Weihnachten 187.9 im Schlale durch Druck eine noch am 9. Februar 1880 deutlichst ausgeprägte rechtsseitige Radialislähmung zugezogen.

Rechts erzielte man von der Umschlagsstelle her und bei direkter Muskul- reizung bei 6 Ctm. R. A. deutlichste Reaction ;

Lijiks (gesund) erst bei 5 Ctm. R. A. deutliche Reaction

Von der Umschlagsstelle aus rechts KaSz 2|"

KaSTe 8" links KaSz 2|" rechts AOz 2|" links AOz 4" bei direkter Muskelreizung rechts KaSz 4"

■ASz 5" links KaSz 4" ASz Unmittelbar nach der ersten Sitzung (konstanter Strom, Ka an der Um- schlagsstelle, A auf den Streckmuskeln ; danach Faradisation) deutliche' Besserung

diagnostische und elel<trotlierapeutisclie Beobachtungen an Kranken. 475

des wochenlang unverändert gebliebenen Zustandes ; nach etwa 8 weiteren Sitzungen im Verlauf von 2| Wochen Heilung.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

13. Peripherfsche Radialislähmung mit Wochen lang andauernder

Steigerung derFarado- und Galvanokontraktilität bei direkter und

indirekter Reizung ohne qualitative Aenderung der Zuckungsformel

(Bernhardt, Virchow's Archiv. 1879. Bd. 78. S. 267). (Vgl. S. 285.)

Nach I stündigem Schlafe auf seinem rechten Arm bemerkte der sonst ge- sunde Maurer R. am 19. Juli 1879 nach dem Erwachen ein taubes Gefühl in der Haut über dem Os metacarpi priraum und dem basalen Daumengliede rechts und über dem ersten Spat, inteross. ; die Nagelphalanx des Daumens an der Rückseite war frei. Ausserdem bestand eine Lähmung in fast allen vom N. radialis innervirten Muskeln am Vorderarm.

Faradischer Strom:

R. L.

Umschlagsstelle des Nerven am Oberarm.

7,8 R.A. 6,5 R.A.

Deutliche Kontraktionen der Streckmuskeln.

Galvanischer Strom:

R. L.

KaSz Nadel rührt sich kaum KaSz 3"

AOz 3" AOz

ASz ASz 10"

Direkte Reizung des M. cxtens. digit. communis: KaSz KaSz 7^«

ASz 7|" ASz 7V,"

Die Kontraktionen der Muskeln auf der kranken Seite bei direkter wie indi- rekter Reizung erfolgen prompt und blitzartig.

1. August 1879 (\A Tage seit Beginn der Erkrankung): Faradischc Reizung: Stamm : R. L.

8,1 R.A. 6,5 R.A.

Bei direkter Muskelreizung: 6,5 R.A. 6,5 R.A.

Konstanter Strom: Nervenstammm:

KaSz 1"

KaSz 2i'

AOz 2^»

AOz 6"

ASz 5"

Muskeln :

KaSz 5"

KaSz 5"

ASz 5"

ASz 6"

lg der Lähmung.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

476 Einige olektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

14. Schwere linksseitige Radialislähmung (die Supinatoren einbegriffen) durcli Druck (während des Schlafes entstanden). Trotz wochcn-

langer Behandlung keine Heilung.

Oberteiegraphist G ; krank seit Juli 1877. Untersuchung vom oltcn

August 1877.

Links erzielte man (6. Krankheitswoche) von der U rasch lagsstelle des N. radialis am Oberarm aus bei sehr starkem Strom (Induktion) bei 3 2 R.A. nichts, eben- sowenig bei direkter Muskelreizung. Rechts bei 7 R.A. und G| R.A. (direkte Muskel reizung) deutliche Reaktion.

Konstanter Strom: R. (gesund) L (krank)

Umschlagsstellc des N. radialis: KaSz 5" Auch bei 10" kein KaSz;

AOz 8" desgl. nichts bei Anodenreizung.

Muskeln selbst: KaSz 15" KaSz 7|" f üväge, langgezogene

ASz 5" \ Zuckungen. (Keine Oeffnungszuckungen.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

15. Rheumatische (VDruck-) Lähmung des N. radialis sinister. Vor-

handensein partieller Entartungsreaktion mit indirekter Zuckungsträgheit.

(Vgl. Seite 297.)

Periphere Drucklähmung des linken N. radialis bei einem 40jährigen Lumpen- sammler: bei der ersten Untersuchung erweist sich der Nerv unterhalb der Um- schlagsstelle elektrisch erregbar, oberhalb nicht. Etwa 8 Wochen später ergab sich bei elektrischer Prüfung das Vorhandensein partieller Eatartungsreaktion. Die faradische und galvanische Erregbarkeit des N. radialis ist quantitativ nicht vermindert, eher etwas gesteigert. Dabei haben die vom Nerven aus zu er- zielenden Zuckungen der Extensoren einen deutlich trägen Charakter: und zwar ist dies der Fall sowohl bei KaS wie bei AO, welch' letztere sehr lebhaft wirkt; ferner bei faradischer Reizung des Nerven sowohl bei frei schwingender Feder, als mit einzelnen Oeffnungsschlägen. Ausserdem aber zeigt sich auch bei mechanischer Reizung des Nerven (Beklopfen mit dem Perkussionshammer) sehr deutlich träge Zuckung. Die Extensoren am Vorderarm zeigen die gewöhnlichen Erscheinungen der Entartungsreaktion und reagiren auf den faradischen Strom ebenfalls träge. Langsame Besserung im Laufe mehrerer Monate. Bei galvanischer und faradischer Reizung des Nerven ist zwar noch etwas Zuckungsträgheit vorhanden, aber sehr viel weniger als früher. Bei direkter galvanischer Reizung der Muskeln ist die Zuckung noch immer deut- lich träge, KaSz > ASz. Der N. radialis ist noch- mechanisch erregbar: die dabei auftretende Zuckung erscheint immer noch etwas träge.

(Beobachtung von Erb, Neurol. Centralbl. 1883. No. 8.)

diagnostische und elelctrotherapeutische Beobachtungen an Kranken. 477

IG. Schwere traumatische Radiaiislähmung; Rückkehr der willkürlichen

Beweglichkeit trotz fortbestehender vollkommener En tart ungs-

reaktion (September 1878.) (Vgl. S. 301.)

Der 16jährige Hugo D. wurde im November 1877 durch einen Stich in den linken Oberarm unmittelbar an der Ansatzstelle des linken M. deltoideus verwundet. Der Stich war von oben nach unten gerichtet und hatte den N. radialis gerade bei seinem Hervortreten von der inneren nach der äusseren Seite des Oberarm- knochens getroffen. Nach 10 Monaten war Folgendes zu konstatiren : der Kranke kann seine linke Hand bis zur Horizontalen bringen, auch die basalen Phalangen schon wieder strecken und, wenn die Finger in die Hohlhand eingeschlagen sind, die Hand dorsal üektiren. Trotzdem reagiren die Radialismuskeln weder bei direkter, noch indirekter Reizung selbst auf sehr starke Induktionsströme, eben- sowenig auf galvanische indirekte Reizung und nur sehr schwer und in träger Weise bei direkter galvanischer Reizung mit sehr starken Strömen. In Bezug auf die Sensibilität besteht ein subjektives taubes Gefühl an der Rückseite des Daumens und der beiden ersten Metakarpalknochen, sowie an der Streckseite des Vorderarms vom Ellenbogen ab bis zur Handwurzel hin an der Radialseite.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

17. Rechtsseitige (leichte) Radialislähmung durch KrDckendruck; M. triceps mit ergriffen. (Vgl. S. 401.)

Mann C . . . . , Mitte der zwanziger Jahre , bediente sich seit einiger Zeit der (schlecht gepolsterten) Krücken (Amputation des linken Unterschenkels wegen Karies der Fusswurzel). Am 17. April 1880 bestand seit 5 Tagen eine Lähmung der rechten Hand- und Fingerstrecker sowie der Supinatoren: aktive Streckung des gebeugten rechten Vorderarms unausführbar. Parästhesien im Gebiet des ersten Zwischenknochenraums der Hand auf der Rückseite und an der Rückenfläche des Daumens. Vom Erb 'sehen Supraclavicularpunkt aus keine Reaktion im Bereich der rechten Supinatoren. Von der Umschlagsstelle des Nerven am Oberarm aus rechts wie links bei gleichem Rollenabstand für den faradischen Strom gut er- haltene Erregbarkeit.

Konstanter Strom: Vom Stamm aus rechts KaSz 21" / also etwas erhöhte Erreg- (kranke Seite) AOz 3" \ barkeit. ASz undeutlich bei 12" Direkte Muskelreizung KaSz 5" Vom Stamm aus links KaSz S^" (gesunde Seite) AOz 5"

ASz undeutlich bei 10" Direkte Muskelreizung KaSz 3^". Behandlung: Ka in der Achselhöhle, A in der Oberschlüsselbeingrube; öftere Wendungen; zeitweilige Faradisation ; nach 20 Tagen (etwa 12 Sitzungen) fast geheilt entlassen.

(Eigene Beobachtung. B e ruh a r d t.)

478 Einige elektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

18. Isolirte Lähmung des N. muscuio-cutaneus sinistei nach Oberarm- luxation. (Vgl. S. 401.) Der bis dahin gesunde 37jährige Tischler Habel war am Abend des 19ten Januar 1877 ausgeglitten und hatte sich den linken Oberarm ausgefallen. Die Einrenkung des luxirten Oberarmkopfes wurde am folgenden Tage (20. Januar) nach etwa 15 Stunden vorgenommen. Am 10. Februar stellte sich der Kranke zum ersten Male vor: er konnte den Arm im Schultergelenk wieder frei heben und nach allen Seiten bewegen, ebenso vermochte er die Hand und die Finger zu beugen und zu strecken und den Vorderarm zu proniren und zu supiniren: die Beugung des Vorderarms aber zum Oberarm kam gar nicht oder nur mühsam und allein durch die Hilfe des M. supinator longus zustande: sonst hing der A^'order- arm extendirt schlaff herab und beim angestrengtesten Versuch ihn zu beugen, blieb die Beugemuskulatur am Oberarm weich und untätig. Subjektiv empfand der Kranke ein Gefühl von Taubheit nur an der Rückenfläche der Mittelhand. Weder vom Nerven aus noch bei direkter Reizung lösten die stärksten faradischen Ströme Kontraktionen aus: bei direkter Reizung mit dem konstanten Strom er- folgten bei geringeren Stromstärken als auf der gesunden Seite träge Schliessungs- zuckungen, von denen die ASz gleich den KaSz waren. Alle übrigen Nerven und Muskeln des Oberarms, Vorderarms und der Hand waren in normaler Weise für beide Stromesarten gut erregbar. (Eigene Beobachtung. Bernhardt. Vgl. Virchow's Archiv. 1879. Bd. 78. S. 277).

19. Traumatische (schwere) Lähmung des rechten M. deltoideus und triceps.

Im Juni 1879 erlitt der Böttcher K. dadurch, dass ein Wagenrad ihm über die rechte Schulter und Brust ging, einen mehrfachen Rippenbruch rechts und eine schwere Kontusion der rechten Schulter. Im August kam Patient aus dem Kranken- hause. Nur mit Mühe konnte der rechte Arm bis zur Horizontalen erhoben wer- den , etwas besser in der Sagittal - als Frontalebene ; ihn nach hinten zu bringen ist unmöglich. Die Streckung des Vorderarms kommt nur sehr schwach zu Stande und ist auf das Leichteste zu unterdrücken. Alle anderen vom N. radialis oder den übrigen Armnerven innervirten Muskeln sind vollkommen frei: der Deltoideus und Triceps sehr atrophisch. Beide reagiren weder bei direkter noch indirekter Reizung auf den faradischen Strom. An beiden Muskeln lassen sich bei Anwen- dung hoher Stromstärken mittelst galvanischer Reizung schwache und träge ASz und KaSz (von gleicher Intensität) auslösen.

Die Sensibilität ist im Bereich der ganzen den rechten M. delt. bedeckenden Haut vermindert.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

20. Schwere Lähmung in Folge von Neuritis im rechtsseitigen

ülnarisgebiet. (Vgl. S. 413.) Ohne prägnant nachweisbare Ursache fing der jetzt (Mai 1883) 54jährigen Frau R. vor etwa einem halben Jahre an, die Kraft der rechten Hand und Pinger zu erlahmen und die Hand selbst abzumagern. Wenngleich erheblichere Schmerzen nie empfunden wurden, machte sich doch bald ein taubes Gefühl in der Ulnarseite der Hand, am ausgeprägtesten im Bereiche des 5. und 4. Fingers (dort an der

diagnostische und elektrotherapeutische Beobachtungen an Kranlcen. 479

Ulnarseite) geltend. Die ganze linke obere Extremität blieb intaijt, desgleichen rechts sämmtliche Bewegungen der Schulter, des Oberarms und des Vorderarms. Die rechte Hand kann mühelos gestreckt werden, desgleichen die Basalijhalangen der Finger, auch die Beugung der Hand, ihre Ad- und Abduktion kommt zu Stande und ebenso auch die Beugung der Finger, welche sehr wohl zur Faust geschlossen werden können. Die Bewegungen des Daumens sind bis auf die Adduktion frei. Die Finger stehen (von der Rückseite her betrachtet) etwas von einander ab und sind (besonders deutlich der .5. und 4.) im basalen Glied hyperextendirt , in den beiden anderen Phalangen gebeugt: Spreizen und Wiederannähern der Finger ist unausführbar. Die Zwischenknochenräume sind eingesunken, besonders der erste: in auffallendem Gegensatz zu der atrophischen schlaffen Muskulatur des KLeinfinger- ballens steht die wohlerhaltene Thenarrauskulatur. Der M. flexor carpi uln., sowie der Flexor digit. profundus, desgleichen sämmtliche vom N. raedianus und radialis innervirte Muskeln sind direkt und indirekt durch beide Stromesarten in normaler Weise erregbar. Vom N. ulnaris oberhalb des Handgelenks aus erfolgt auch bei sehr starkem faradischen Reiz keine Reaktion: bei direkter Reizung der M. inter- ossei und der Hypothenarmuskeln erfolgt eine eben noch sichtbare Reaktion. Er- folglos ist auch die indirekte galvanische Reizung vom N. ulnaris oberhalb des Handgelenks aus: die Mm. interossei direkt galvanisch gereizt, geben bei hohen Stromstärken träge schwache Ka- und A-Schliessungszuckungen. Die Sensibilität ist am ganzen kleinen und an der Ulnarseite des 4. Fingers erheblich gegen die verschiedenen Reize (auch die Haut des Kleinfingerballens nimmt an dieser Sensi- bilitätsabnahrae Teil) herabgesetzt, aber nicht erloschen. Unter fortgesetzter Galvanisatio^^ des erkrankten Nerv-Muskelgebiets empfindet die Kranke zur Zeit zu- nächst eine subjektive Besserung.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

21. Lähmung im Bereich des rechten Plexus brachiali.s (Erb'sche Lähmung). Quantitativ herabgesetzte Erregbarkeit für beide Stromes- arten, keine Entartungsreaktion. Heilung. (April, Mai 1880). (Vgl. S. 402.)

Ein um die rechte Schulter herumgehendes Tragband drückte dem 60jährigen Arbeiter P. beim Transport eines schweren Gegenstandes stark gegen die rechte Regio supraclavicularis. Neben Schmerzen in dieser Gegend stellte sich eine Läh- mung verschiedener Muskeln der rechten oberen Extremität ein und zwar des M. deltoideus, biceps, bracliialis internus und supinator longus (der Arm konnte nicht zur Horizontalen gehoben, der Vorderarm nicht gebeugt werden). Auch die Rollung des Arms nach aussen war mangelhaft; Druck in die Regio infraspinata sehr empfindlich. Kriebeln, taubes Gefühl in allen Fingerkuppen (die fünfte ausgenommen): alle anderen Bewegungen der Hand und Finger frei. Die Untersuchung mit dem faradischen und konstanten Strom ergab nun zunächst, dass man vom Erb 'sehen Punkte in der Regio supraclav. aus alle gelähmten Muskeln wenngleich weniger energisch als rechts und erst bei bedeutend höheren Strom- stärken in Kontraktion versetzen konnte. Dasselbe konnte auch bei der indirekten Reizung von den einzelnen Nervenstämmen aus und bei direkter Reizung der gelähmten Muskeln erzielt werden: nie trat späterhin im Verlauf der Krankheit Entartungsreaktion auf. Stets verliefen die deutlich gegen links schwäcliercn Zuckungen prompt und blitzartig, stets überwog KaSz die ASz; AOz fohlte nicht

480 Einige elektrodiagnostisclic Beobachtungen an Gesunden, sowie clektro-

und KaOz war, wenn überhaupt, nur bei höchsten Stromstärken zu erzielen (durch das Galvanometer kontrollirte Befunde). (Vgl. S. 284.)

Behandlung: Ka stabil am Erb 'sehen Punkt, A am Nacken; labile Ströme längs der erkrankten Muskeln und Nerven; zeitweilige indirekte und direkte Faradisation. Besserung innerhalb vierwöchentlicher Behandlung : zunächst schwanden die Sensibilitätsstörungen im'Medianusgebiet, dann kehrte die Kraft der Arnibeuger und des M. supin. longus zurück: erst später fing der abgemagerte M. deltoideus an seine Beweglichkeit wieder zu erlangen, während an der Rückseite der Schulter das Eingesunkensein der Fossa supra- und infraspinata die Teilnahme der ent- sprechenden Muskeln an der Parese und Atrophie deutlich bekundeten.

(Bernhardt. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. IV. Heft 3. 1882.)

22. Schwere Lähmung im Bereich des rechten Plexus brachialis (Crb'sche Lähmung). Entartungsreaktion. Trotz längerer Behandlung nur geringe Besserung. (September, Oktober 1881). Der 32jährige Fuhrmann H. war im Juli 1881 vom Wagen fallend mit der rechten Schulter stark auf die Deichsel aufgeschlagen. Grosse Empfindlichkeit der rechten Schulter-, Hals- und Nackengegend. Totale Lähmung des rechten M. del- toideus, biceps, brachialis, Supinator longus und Supinator brevis, desgleichen endlich des M. infraspinatus und supraspinatus. Taubheitsgefühl an der Rüclc- seite des Daumens, sich die Radialseite des Vorderarms bis zu dessen Mitte hin- ziehend, desgleichen an der Volarseite des Daumens, des Daumenballens und der die äussere Partie des M. deltoideus überziehenden Haut. Eine Reizung vom Erb- schen Punkt aus oder der einzelnen gelähmten Nerven erwies ein fast vollkommenes Erloschensein der Erregbarkeit für beide Stromesarten: Bei direkter Reizung mit dem faradischen Strom fand sich dasselbe : die direkt galvanisch gereizten Muskeln reagirten in träger Weise und in gleicher Stärke bei KaSz und ASz, aber erst bei in Anspruchnahme höherer Stromstärken. Mit Ausnahme der Mm. supinatores reagirten alle übrigen vom N. radialis innervirten Muskeln in normaler Weise auf beide Stromesarten, ebenso die vom N. ulnaris und medianus innervirten Muskeln. Schwer gelähmt erwies sich auch in Bezug auf die Erfolge elektrischer Exploration der M. infraspinatus: die tiefe Lage des M. supraspinatus verhinderte eine ge- nauere elektrische Untersuchung. Deutliche Atrophie der gelähmten Muskeln. Behandlung: wie in dem vorangehend beschriebenen Falle: erst nach Monaten massiger Erfolg, sieh kundgebend in der Rückkehr der Kraft der Vorderarmbeuger. (Bernhardt. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. IV. Heft 3. 1882.)

23. Linksseitige Peroneuslähmung (Neuritis?) Mittelform. (VgL S. 403.) Ohne nachweisbare Ursache hatte sich seit etwa Mitte Juni 1880 bei einer 34jährigen Frau eine Schwäche in der Bewegungsfähigkeit des linken Fusses ein- gestellt. Derselbe konnte nicht dorsalflektirt werden, Zehenstreckung unausführbar. Der ganze linke Unterschenkel dünner, als der rechte. Parästhesien im ersten linken Spat, inteross. bis zum Sprunggelenk hin und weiter nach oben an der vorderen Fläche der unteren Unterschenkelgegend. Indirekte faradische und gal- vanische Reizung bewirken an der kranken Seite von 1 2 Ctm. oberhalb des Gap. fib. aus deutliche, nicht träge Zuckungen bei etwas grösseren Stromstärken, als rechts (R. KaSz T^, links KaSz 121")- Dagegen erfolgt rechts an der gesunden Seite bei direkter galvanischer Reizung des M. tib. ant. KaSz bei 7|" (kurz, blitz-

diagnostische und elektrotherapeutische Beobaclitungen an Kranken. 481

artig), links KaSz 5" (träge), ASz bei 7$" (träge). Behandlung: Galvanischer Strom, Anode oberhalb des Cap. fib. am Nerven, Kathode (labil) über die gelähmten Partien. Bedeutende Besserung (Ende Juli). (Vgl. S. 295.)

(Eigene Beobachtung. Bernhard t.)

24. Linksseitige Peroneuslähmung (schwere Form). Im Laufe einiger Monate trat bei dem 42jährigen Mann S. (Oktober 1880), ohne dass eine Verwundung eingewirkt hätte, aus ihm unbekannter Ursache eine Läh- mung der vom linken N. peroneus innervirtcn Muskeln ein. Dorsaltlexion des Fusses, Zehenstreckung unausführbar. Gehen schlecht, ermüdend; grosse Schwierigkeit, den linken Fuss mit dem Stiefel zu bekleiden. Parästhesien vom inneren linken Fuss- rand an über den Fussrücken bis zur 4. Zehe hin (nicht am äusseren Fussrand) und hinauf bis zur Mitte der Aussen-Vorderseite des linken Unterschenkels. Um- fang des linken Untersclrenkels geringer als der des rechten. Normale Reaktion des Tibialisgebiets links. Vom N. peron. aus lassen sich links weder mit (starkem) faradischem noch galvanischem Strom Reaktionen erzielen.

R. (gesunde Seite) vom Nerven aus T^" KaSz

15» ASz 20» AOz Direkte Reizung des M. tibialis ant. (rechts) KaSz 15" (kurze Zuckung). L. (kranke Seite): bei direkter galvanischer Reizung des M. tibialis antic. er- folgen träge Schliessungszuckungen KaSz 5", ebenso ASz 5".

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

25. Lähmung des rechten N. peroneus. Mittelform.

Bei dem 34 jährigen Mann S (Tabiker) besteht seit Ende September

eine Lähmung des rechten Fusses: derselbe kann nicht dorsalflektirt , die Zehen nicht gestreckt werden etc. Eigentliche Ursache unbekannt. (Vgl. S. 392.)

Mit dem faradischen Strom erzielt man zwar auch rechts bei indirekter Reizung Reaktionen, indess sind die Zuckungen auch bei Anwendung bedeutender Strom- stärken recht schwach, wenn gleich deutlich.

Konstanter Strom:

L. .(gesunde Seite) R. (kranke Seite)

Nervenstamm etwas hinter und über dem Cap. fibulae:

KaSz 10« (blitzartig) KaSz 30" (blitzartig)

M. tibialis anticus (direkt) :

KaSz 22«/^^., ^. KaSz , ._ .. ^^„ / beide

. o o^,i { blitzartig. . ^ beide bei 10" < ^ ..

ASz 30" l * ASz l trage.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

2fi, Atrophie der rechtsseitigen Unterschenkels trecker nach Ueber- anstrengung (durch übermässige Dehnung V). Einfache quantitative Herab- setzung der elektrischen Erregbarkeit. (Vgl. S. 284.) Frau R., 33 Jahre alt, hatte im Februar 1880 eine schwere Last (Korb voll Wäsche) erst 4 Treppen hinab, dann ebenso hoch wieder hinauf zu tragen und sich dabei sehr angestrengt. Einige Tage hernach verspürte sie zunächst eine ge- wisse Schwäche im rechten Knie und bald nachher, im Laufe einiger Wochen stets zunehmend, stellte sich eine erhebliche Schwäche des rechten Beins ein. Hüft-

Roseiithal u. Bernhardt, Elektri/.itiUslelire. III. Aufl. 31

482 Einige elektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

bcugung und ebenso Streckung der Hüfte, sowie Kniebeugung frei, desgleichen die Fussbcweguiigen : ganz kraftlos sind dagegen die Unterschenkelstrecker. Erst bei bedeutenden Stromstärken erzielt man rechts vom N. cruralis aus schwache Zuckungen in der atrophischen Quadricepsmuskulatur (Umfang des rechten Ober- schenkels 10 Ctm., oberhalb des oberen Patellarrandes 36 Ctm., des linken 39 Ctm.) am besten noch im M. tensor fasc. latae und Vastus extei'nus; kaum erregbar er- scheinen der Vastus internus, Rectus fem. und cruralis. Erst bei sehr hohen Strom- stärken erscheinen bei galvanischer Reizung schwache, aber deutlich blitzartig ab- laufende Zuckungen (bei Stromesschluss) im Quadricepsgebiet

Behandlung: Konstanter Strom labil und stabil über das leidende Nerv- Muskelgebiet, abwechselnd mit Anwendung mittelstarker faradischer Ströme.

Besserung.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

27. A. Schmidt, 18 Jahre alt, leidet seit mehr als einem Jahre an einer rechtsseitigen Schultergelenkentzündung. Der Kranke kann den Arm in der Schulter nicht bewegen oder heben (heftige Schmerzen): deutliche Atrophi e des rechten M. deltoideus. Alle anderen Muskeln der rechten oberen Extre- mität gut genährt und frei beweglich,

26. Mai 1882: Bei Prüfung der Erregbarkeit mittelst des faradischen Stroms

kommen links bei direkter und indirekter Reizung bei 6,0 6,5 R.A. deutliche,

ausgiebige Zuckungen zu Stande, rechts an der kranken Seite bei 5 R A. nur

Spuren (wenigstens in der mittelsten Partie des Muskels: die vordersten und

hintersten Abschnitte reagiren leidlich gut.)

Links (gesunde Seite): KaSz 2|"

ASz 7^»

AOz 25"

Rechts (kranke Seite): KaSz 20» } ^ei direkter Muskelreizung.

ASz 25« kein AOz

Diese Zuckungen sind nur schwach, aber deutlich von blitzartiger Form, nicht träge.

Quantitative Verminderung der elektrischen Erregbarkeit (keine qualitativen Aenderungen). (Vgl. S. 284.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

28. Akute atrophische Spinallähmung der Kinder. (VgU S, 298, 384.) September 1882 wurde mir der 9 jährige Knabe A. Borgwart vorgestellt. Im Alter von einem Jahre stellte sich unter Schmerzen (das Kind schrie sehr) angeb- lich im Laufe einer Nacht eine noch jetzt bestehende Lähmung der rechten oberen Extremität ein. (Da die Mutter um die Zeit des Beginns der Erkran- kung von dem Kinde fern war, so liess sich über einen etwaigen Fieberzustand oder darüber, ob Krämpfe beim Einsetzen der Krankheit vorhanden waren, nichts mehr eruiren.) Die gesammte rechte Schulter-Oberarmregion ist enorm abgemagert: es besteht eine deutliche, tiefe Lücke zwischen dem Akromion und dem Oberarm- kopf, der ganze rechte Oberarm ist spindeldürr, ein deutlicher Gegensatz zu dem normalen Volumen des linken Oberarms. Die Schulter kann gehoben werden, der rechte Oberarm ist durchaus unbeweglich: ebensowenig kommt Beugung oder.

diagnostische und elektrotherapeutisclie Beobachtungen an Kranken. 483

Streckung des Vorderarms zu Stande: hat man (passiv) den rechten Vorderarm zu beugen angefangen , so wird bei einer gewissen Winkelstellung diese Beugung mit Hilfe des M. ulnaris internus zu Ende geführt. Supination des Vorderarms ■unausführbar: Hand- und Fingerbewegungen sämmtlich frei. Das Gebiet des N. medianus und des N. ulnaris ist elektrisch intakt, desgleichen das des N. radialis: ausgenommen sind der M. triceps und beide Supinatoren. Die Mm. delt., biceps, brachialis internus, sapin. long, et brcvis sind weder direkt noch indirekt (mit beiden Stromesarten) erregbar.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

29. Akute atrophische Spinallähmung der Kinder.

Bis Mitte September 1881 war der 25jährige Rudolf D... gesund gewesen: zu dieser Zeit erkrankte er fieberhaft, bekam Diarrhoen und konnte schon etwa 2 Tage nach Beginn der Krankheit nicht mehr stehen. Krämpfe waren nicht da- gewesen. — Sitzen, Stehen, Gehen war anfangs unmöglich: allmählich besserten sich die Erscheinungen und beschränkten sich (Mitte Mai 1882) darauf, dass er hinkte. Die ganze linke untere Extremität erscheint etwas magerer wie die rechte; aber die Muskulatur des Oberschenkels reagirt auf den faradischen Strom, das Kniephänomen ist vorhanden: Beugung in der Hüfte und Streckung des Unter- schenkels frei. Am linken Unterschenkel erscheint im Vergleich zur rechten Seite ganz besonders dünn die Wade, der Fuss steht in Valgusstellung, Dorsalflexion und Abduktion frei: Der M. tibialis anticus, die Zehenstrecker und die Mm. peronei waren elektrisch intakt. Gelähmt und faradisch unerregbar erscheinen der M. tibialis posticus, die Zehenbeuger und die eigentliche Waden- muskulatur: erst bei hohen Stromstärken erzielt man mittelst galvanischer (direkter Reizung) träge KaS und AS Zuckungen. ASz = KaSz. (Vgl S 403.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

30. iikute atrophische spinale (Kinder-) Lähmung.

Das zur Zeit der Beobachtung (13. September 1881) 5 Jahre alte Gretchen N. war vor 5 Wochen fieberhaft erki-ankt, hatte über Hinterhauptschmerzen geklagt, 2 Wochen zu Bett gelegen und war danach an beiden unteren Extremitäten ge- lähmt gewesen. Sie konnte nicht mehr gehen, aber auch nicht mal mehr sitzen. Die Schwäche des linken Beins besserte sich schnell: zur Zeit, wo -sie, wenngleich lahmend, wieder geht, besteht nur am rechten Bein eine totale Lähmung der Hüftbeuger und der Untersc.henkelstrecker: die Beuger des Unter- schenkels (an der Hinterseite des Oberschenkels) und sämmtliche Muskeln am Unterschenkel intakt. Das sehr unruhige Kind bot der genaueren Untersuchung enorme Schwierigkeiten: konstatirt konnte nur werden, dass sehr starke faradische Ströme schwache Reaktionen der Muskulatur an der Aussenseite des rechten Ober- schenkels zur Folge hatten. (Vgl. S. 384 )

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

31. Akute atrophische Spinallähmung (einer Frau) in gleichsam hemi-

plegischer Form (selten) auftretend.

Anfang Oktober 1882 wurde eine bis dahin gesunde, etwa 2.5 Jahre alte Frau

nach voran fgegangner Erkältung und während eines einige Tage andauernden, mit

Verdauungsstörungen koraplizirten fieberhaften Zustandes von einer hochgradigen

31*

484 Einige elektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

Schwäche der rechten Extremitäten befallen. Anfang November 1882 fand sich (kurz) folgendes:

Psyche, Sinnesorgane, Sprache, Schlucken intakt. Urin- und Stuhlentleerung normal. Die linke obere, wie untere Extremität frei. Heben der Schulter rechts,' Kopfbewegungen in normaler Weise ausführbar. Absolut unausführbar war: das Heben des rechten Arms, Beugung und Supination des rechten Vorderarms, Drehen des ganzen Arms nach aussen und sehr schwach nur kam Streckung des Vorderarms zu Stande. Intakt war: Streckung und Ad- sowie Abduktion der Hand und Finger, Beugung der Hand und der Pinger, Pronation des Vorderarms. Fara- disch weder direkt noch indirekt erregbar erwiesen sich: M. deltoideus, biceps, brachialis internus, beide Mm. supinatores, die Mm. supra- und infraspinatus und der Triceps. Bei direkter galvanischer Reizung (die indirekte war erfolglos) erfolgten träge, langsame Zuckungen, aber nur bei der Schliessung KaSz und ASz fast gleich. (Vgl. S. 40-2)

Am rechten Bein waren nur schwache Plantarbewegungen der Zehen und des Pusses übrig geblieben: sonst war jede Bewegung aufgehoben. Die durchweg schlaffen und im Laufe weniger Wochen stark atrophisch gewordenen Muskeln reagirten wie oben (komplete Entartungsreaktion). Die Sensibilität hatte nicht gelitten, Schmerzen bestanden nicht Das Kniephänomen war rechts verschwunden, links vermindert. Trotz zweckentsprechender galvanischer Behandlung (Position beider Elektroden eines galvanischen Stroms auf Hals- und Lendenwirbelsäule, bezw. labile Behandlung der gelähmten Muskeln mit der Ka, während A auf der Wirbel- säule ruht) keine sichtbare Besserung im Laufe mehrerer Monate. (Uebrigens wurde Patientin im Winter 1883 leicht und schnell entbunden.) Die Beuger der Hand und Finger, die Daumen- und Kleinfingerballen sowie die Zwischen- knochenmuskeln der Hand waren durchaus intakt geblieben.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

32. Akute atrophische Spinallähmung eines Erwachsenen (in späteren Stadien).

Der 42jährige Arbeiter N. war bis Mitte April 1880 gesund gewesen, hatte sich aber in der letzten Zeit, in einer Holzschncidemühle arbeitend, vielfachen Erkältungen ausgesetzt. Seit dem 15. April etwa fühlte er sich täglich matter werden: am 17'. nahm dieser Zustand so überhand, dass er (ein Arbeiter) mit der Droschke nach Hause fahren musste. Mit Hilfe des Kutschers ersteigt er noch die Treppe zu seiner Wohnung und legt sich zu Bett. Erst nach Mitternacht fühlt er sich sehr unwohl; da die Schwäche auch alsbald seine Arme ergriff, wird Patient am 1 9. April nach dem Krankenhause gebracht. Nur einmal noch ging er an eben diesem Tage zum Kloset: dann ging er drei Monate lang überhaupt nicht mehr, er musste auch diese ganze Zeit gefüttert werden. Erst Ende Juli (1880) fing er ganz schwach wieder an zu gehen; die Bewegungen der oberen Extremitäten waren erst seit September wieder zurückgekehrt. Die Psyche, die Funktion der Hirnnerven war stets intakt geblieben, die Sensibilität hatte zu keiner Zeit ge- litten, Dekubitus war während des ganzen Verlaufs der Krankheit nicht einge- treten: dagegen hatte während der ersten Krankheitstage der Urin einige Male durch den Katheter entleert werden müssen. (Nie Secessus inscii.)

Im Oktober- 1880 machte der Kranke schon wieder lange Wege allein: die Abmagerung der unteren Extremitäten war nur eine massige : die Kniephänomene

diagnostische und elektrotherapeiitische Beobachtungen an Kranken. 485

waren vorhanden, die elektrische Reaction auf beide Stromesarten war vorhanden und nur quantitativ verändert (vermindert). An den oberen Extremitäten bestand beiderseits am Deltoideus und den Oberarmen deutliche Abmagerung, Erhebung der Schultern und Adduktion der Schulterblätter nach hinten kam gut zu Stande. Dagegen konnten die Arme, besonders der rechte, nur mit Mühe bis zur HorizontaTen erhoben werden. Beugung und Streckung, Pro- und Supination der Vorderarme gelang beiderseits, aber links wieder freier und kräftiger, als rechts. Beide Hände hingen volarflektirt herab (Anschwellung der Sehnenscheiden auf dem Handrücken) ; weder sie noch die basalen Pingerphalangen konnten dorsalflektirt oder auch nur bis zur Horizontalen gebracht werden: Am besten von allen Bewegungen kamen die Beugebewegungen der Hände und der Finger zu Stande,

Dem Induktionsstrom gehorchten beiderseits das Medianus- und Ulnarisgebiet bei direkter und indirekter Reizung am besten; es folgten in Bezug auf erhaltene Reaktion der M. supinator longus, weniger gut reagirten biceps, triceps, deltoideus, am wenigsten die Extensoren am Vorderarm.

Bei Reizung mit dem konstanten Strom reagiren Delt. und Biceps erst bei hohen Stromstärken: Die Trägheit der Reaktion tritt hier nicht deutlich zu Tage, die Zuckung ist überhaupt nur schwach, erfolgt aber in einzelnen Muskel- bündeln schnell: exquisit träge ist die Reaktion der Extensoren der Hand und Finger, KaSz fast gleich ASz Links verhält sich Alles fast ebenso, nur sind die Reaktionen sich noch mehr der Norm nähernd, wie rechts.

Leider entzog sich der Patient sehr schnell der eingeleiteten Behandlung. (Vgl. S. 386.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

33. Bleilähmuug; einseitig, von sehr massiger Ausdehnung (nur ein

Teil des M. extens. digit. communis erkrankt).

Der ■27 jährige Maler A. Kaps ist seit 1863 beim Gewerk. Krst im Jahre 1878 hatte er zum ersten Male Bleikolik. Im August 1879 wiederholte sich das Leiden: es traten aber Krampfanfälle und Hallucinationen hinzu. Seitdem besteht eine lähmungsartige Schwäche nur der rechten Hand: die linke ist ganz frei.

Rechts ist die Dorsalflexion der Hand (auch bei ausgestreckten Fingern) frei ausführbar, ebenso der Zeigefinger, Daumen und Kleinfinger frei beweglich und streckbar; nur der 3. und 4. Finger bleiben unter dem Niveau der Horizontalen. Supinatoren ganz i'rei. Ausgeprägter Bleirand,

Alle Muskeln der rechten oberen Extremität reagiren auf beide Stromesarten in normaler Weise: Bei direkter Reizung des M. extensor digit. communis dexter mit galvanischen Strömen erzielt man träge Zuckungen und KaSz = ASz. (Vgl. S. 301)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

34. Bleilähmung; einfache Herabsetzung der Erregbarkeit der ge-

lähmten Muskeln, keine Entartungsreaktion. Albrecht, 42 Jahre alt, Bleirohrleger, ein bleicher, kachektisch aussehender Mann (exquisiter Bleirand), zeigt eine doppelseitige, rechts mehr ausgeprägte, Läh- mung der Hand- und Fingerstrecker, Bewegungen in den Schulter- und Ellen- bogengelenken, ebenso Pro- und Supination beiderseits frei. Nur bei eingeschlagenen Fingern kann rechts die Hand und dann nur mit Mühe bis zur Horizontalen ge-

486 Einige elektrodiagnosiisehe Beobachtungen an Gesunden, sowie eleklro-

bracht werden. Fingerstreckung sehr mangelhaft. Dauincnbewcgungen frei. Links kommt die Streckung der anderen Finger leidlich und gerade die des Daumens weniger gut zu Stande.

Durch starke Induktionsströme sind alle Muskeln indirekt und besser noch, z. B. beim Extens. digit. communis, direkt zu erregen: auch auf Reizung mit dem konstanten Strom reagiren alle Muskeln, auch der Extensor digit. commun. , mit kurzen, schnellen Zuckungen, die KaSz sind vorherrschend vor den ASz, die an- zuwendenden Stromstärken sind ziemlich bedeutende. (Vgl. S. 389.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

35. Bleilähraung; ausgesprochene Mittelform.

Der 32jährige Feilenhauer S. hatte im b. Jahre seiner Tätigkeit als solcher zum ersten Mal die Bleikolik überstanden, der sich lähmungsartige Schwäche beider Hände zugesellt hatte. Zu anderer Beschäftigung übergehend, blieb S. darauf Jahre lang gesund. Die letzten G Jahre arbeitete er wieder als Feilenhauer; Anfang 1879 neue Erkrankung (reissende Schmerzen in den Gliedern, Unterleibsbeschwerden, blutige Durchfälle , grosse Mattigkeit) ; Genesung. Seit einigen Wochen wieder Hand- und Fingerlähmung; zur Zeit keine Schmerzen. Spuren eines Bleirandes: rechte Hand schwächer als die linke. Die rechte Hand kann bis zur Horizontalen gestreckt und bei eingeschlagenen Fingern sogar dorsalflektirt werden. Beim Aus- strecken der Finger bleiben der vierte, namentlich aber der dritte unter der Hori- zontalen. Die Seitenbewegungen der flach auf einer Unterlage liegenden Hand sind frei, ebenso die Supination des Vorderarms; der Daumen kann gestreckt, nicht aber von der Hand abduzirt werden. Der erste Zwischenknochenraum der Hand ist eingesunken, ebenso bietet auch der Daumenballen ein atrophisches Aussehen (auch ist die Erregbarkeit dieser Muskeln erheblich herabgesetzt). Links sind die Verhältnisse im Ganzen dieselben. (Vgl. S. 388.)

Vom Stamm des N. radialis an der Umschlagsstelle am Oberarm aus (alles dies rechts mehr ausgeprägt, als links) konnte man bei einer etwas höheren Strom- stärke wie bei einem Gesunden durch den faradischen Strom deutliche Kontraktionen nicht allein der frei gebliebenen Mm. supinatores, sondern auch der eigentlichen Hand- und Fingerstrecker erzielen.

Bei Prüfung mit dem konstanten Strom ergab sich: Vom Stamm (Umschlagsstelle) aus: KaSz 10" \ die Zuckungen, auch im M. extensor digitor. com-

ASz und AOz 15" / munis waren kurz, blitzartig. Bei direkter Reizung der Hand- und Fingerstrecker ergab sich:

KaSz 5" ■» die Zuckungen waren langgezogen, träge, die ASz trat ASz 25" / früher ein, als die KaSz. Auch bei faradischer (direkter) Reizung reagirten die gemeinsamen Finger- strecker bei etwas erhöhten Stromstärken deutlich mit schnellen Zuckungen. Die Mm. deltoidei, bicipites, supinatores verhielten sich elektrisch durchaus normal.

Behandlung: Konstanter Strom längs des Cervicalmarks resp. Anode Nacken, Ka Plexus brachialis stabil, alsdann labil über Nerv und Muskel; mittelstarke faradische Ströme. Erhebliche Besserung innerhalb 7 Wochen. (Vgl. S. 301, 388.)

(Bernhardt. Virchow's Archiv. Bd. 78. 1879.)

diagnostische und elelitrotherapeu tische Beobachtungen an Kranken. 487

36. Beginnende progressive Muskelatrophie.

Die 24jährige Plätterin Auguste Qu. fühlte schon seit einem halben Jahre den ganzen linken Arm schwächer werden: besonders schienen Hand und Finger abgestorben, jedenfalls waren diese Glieder abgemagert. Schmerzen bestanden weder dort, noch im Verlauf des linken N. medianus und ulnaris am Vorder- und Oberarm. Sie plättet viel und legt dabei die linke Hand auf die rechte, um so einen stärkeren Druck ausüben zu können. Der linke Daumenballen, ebenso die linken Spatia interossea sehr atrophisch: Bewegungen des Daumens höchst mangel- haft, ebenso das Spreizen und Wiederaneinanderbringen der Finger (Strecken der Mittel- und Nagelphalangen geht leidlich gut). Die Muskulatur des Kleiufinger- ballens, des Vorder- und Oberarms links intakt. Rechts überhaupt keine Anomalie. Die Muskeln des Hypothenar reagiren auf beide Stromesarten normal, die Mm. inter- ossei reagiren erst bei sehr hoher Stromstärke auf den faradischen Strom, die Daumenballenmuskeln fast gar nicht.

Die atrophischen Muskeln reagiren rechts wie links bei denselben Strom- stärken auf den konstanten Strom: rechts sind die Zuckungen blitzartig, kurz, links langgezogen, träge ASz = KaSz. (Status vom 7. Oktober 1880.)

Vom N. ulnaris (am Olecranon) aus erfolgt links wie rechts in den langen Beugemuskeln der Hand und Finger prompte Reaktion, für beide Stromesarten gleich auf beiden Seiten. (Vgl. S. 390.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

37. Aehnlich ist die Krankheitsgeschichte der 45jährigen Plätterin Steinert: Dieselbe hat sich Anfangs Januar 1881 beim Wäschespülen stark erkältet, darauf anhaltend geplättet. Die linke Hand wurde schwach, die Zwischenknochenräume sanken ein. Die Muskeln des Daumenballens blieben gesund: die Mm. int er- es sei sind durch den faradischen Strom kaum zu erregen und reagiren auf den direkten galvanischen Reiz (auch erst bei bedeutenden Stromstärken) lang- sam und träge. Die Reaktionen vom Stamm des N. ulnaris aus sind beiderseits gleich gut erhalten und prompt für beide Stromesarten. Bei direkter Reizung der an der Ulnarseite des linken Vorderarms gelegenen Flexorenmuskulatur erfolgen die Kontraktionen zwar bei demselben Rollenabstand (bei faradischem Reiz) wie rechts, aber nicht tonisch, sondern in Absätzen, vibrirend.

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

38. Progressive Muskclatrophie. Der etwa 50jährige Herr M. leidet seit etwa einem Jahre an zunehmender Schwäche und Abmagerung seiner oberen Extremitäten, besonders der Hände. Beiderseits, mehr aber noch rechts wie links, sieht man die Daumenballen atrophisch, die Spatia interossea eingesunken : Spreizen und Adduziren der Finger selir mangel- haft, leidlich gut kommt noch die Streckung der Mittel- und Nagelphalangen zu Stande. Auch auf der Streckseite des rechten Vorderarms ist eine Abflachung deutlich wahrnehmbar: die Hand kann nicht wie die linke dorsalfleklirt werden. Die Arme können nicht ganz bis zur Vertikalen erhoben werden : an den Mm. delt. biceps, supinator longus sind beiderseits deutlich fibrilläre Zuckungen wahrzunehmen. Vom Erb 'sehen Punkt aus sind der M. biceps und supinator sehr gut, weniger gut der M. delt. zu erregen, ebenso reagiren auch die übrigen Muskeln auf beide

488 Einige elektroriiag'noslische Beobachtungen an Gesunden, sowie elektro-

Stromesarteu prompt, mit Ausnahme der eigentlichen Fingerstrecker, der Mm. inter- ossei und der Muskeln des Daumen- und Kleinfingerballens. Bei direkter galva- nischer Reizung reagiren diese atrophischen Muskeln, besonders deutlich die Mm. interossei mit langsamen, trägen Zuckungen; KaSz = A Sz. Die unteren Extremitäten sind bisher noch ganz intakt, ebenso die Funktionen der Blase und des Mastdarms. Die Psyche normal; Sprechen, Schlucken wie früher; Zunge durchaus frei beweglich; Sinnesorgane intakt. Sensibilitätsstörungen fehlen durch- aus. (Einmalige Untersuchung am 1. Mai 1883.) (Vgl. S 299, 300.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

39. Pseudohypertrophia musculorum. Beginnende Erkrankung. Interessante erbliche, fast normale elektrische Verhältnisse.

(Oktober 1882.)

Von den Eltern der zur Zeit der Beobachtung 7jährigen Hedwig H . . ist die Mutter ganz gesund. Der Vater leidet an „Kopfkolik". Die Grossmutter väterlicherseits starb an der „Auszehrung", der Grossvater durch einen Unglücks- fall. Die Grosseltern mütterlicherseits waren gesund. H. hat noch 8 Geschwister : von diesen sind 7 gesund, eine (jetzt 18jährige) Schwester kann sich seit dem 13. Lebensjahre nicht mehr allein fortbewegen: sie ist „sehr stark", muss aber immer sitzen, kann mit ihren Händen arbeiten. Des Vaters Bruder hat drei Töchter: alle drei waren in ähnlicher Weise krank gewesen, wie jetzt Hedwig: die Krankheit begann auch bei ihnen im 7. Lebensjahre und raffte sie im Alter von 22—23 Jahren dahin.

H. ist für ihr Alter gut gebaut, kräftig. Beim ruhigen Stehen des ent- kleideten Mädchens fällt nur der abnorm dicke Umfang beider Waden auf, während die Mm. sacrolumb. nur etwas mehr, als gewöhnlich ausgeprägt sind und die Ober- schenkel- sowie die Glutäalmuskulatur zwar kräftig, aber nicht auffällig hervortritt. Die übrige Muskulatur ist entsprechend entwickelt, nirgends Atrophien. (Umfang des linken Oberarms in der Mitte 16 Gtm , Umfang des oberen Drittels des linken Vorderarms 16^ Ctm , Umfang der linken Wade 2fi Ctm.) Die Muskeln sind prall, aber doch etwas weichlich anzufühlen. Leichte Lordose; das Kind geht leidlich gut, ohne zu „watscheln", beim Treppensteigen setzt sie immer nur einen Fuss vor, den andern nachziehend (nicht abwechselnd) : sie fällt leicht vor dem kleinsten Hinderniss: schon im vorigen Jahre wurde von einer der oben erwähnten, inzwischen verstorbenen Kousinen bemerkt, dass die damals 6jährige H. ihr ähnlich werden würde. Soll die Kranke am Boden liegende Gegenstände aufheben, so merkt man schon die Mühe beim Aufrichten des Rumpfes, nicht so beim Aufstehen von einem Stuhle oder Hinsetzen. Schon sind Andeutungen der charakteristischen Kletter- bewegungen zu sehen, wenn H. sich aus der horizontalen Lage wieder allein er- heben soll. Haut der Ober- und Unterschenkel marmorirt. Intelligenz intakt. Schlaf, Appetit etc. lassen nichts zu wünschen übrig.

Elektrische Exploration:

Linker N. tibialis KaSz 5" AOz

ASz '' Wadenmuskulatur direkt KaSz 20" ASz 30« keine AOz.

diagnostische und elektrolherapeutische Beobachtungen an Kranken. 489

Bei der Reizung mit dem faradischen Strom erfolgen bei 7 Ctm. R. A. deut- liche Zuckungen (vom N. tibialis aus) in der Wadenmuskulatur, desgleichen reagiren auch, wenn auch erst bei höheren Stromstärken, die direkt gereizten Muskeln deut- lich. Alle Kontraktionen (bei galvanischer, wie faradiseher, direkter, wie indirekter Reizung) sind kurz und blitzartig (Vgl. S. 284, 391.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

40. Rechtsseitige Abducenslähmung, durch den konstanten Strom erheblich gebessert.

Der 49jährige Arbeiter S. war 4 Wechen vor Beginn der Beobachtung vom Gerüst gefallen und einige Stunden bewusstlos gewesen. An den Extremitäten keine Lähmung, auch die Facialisgebiete waren beiderseits frei. Hörvermögen beiderseits erhalten. Rechtes Auge steht nach innen, kann nicht zum äusseren Lidwinkel hingewendet werden. Patient hatte bald nach dem Unfall erbrochen: Blutung aus dem Munde.

Die Abweichung der gleichnamigen Doppelbilder (Untersuchung von Dr. Horst- mann) betrug durch's Prisma gemessen am 7. November 1879 20". Behandlung mit dem konstanten Strom, Ka an der rechten Schläfe und am äusseren rechten Augenwinkel (bezw. am Auge selbst bei geschlossenen Lidern). Am 16. Januar 1880 betrug die Ablenkung nur noch 2^ 5°. Augenhintergrund normal. (Vgl. S. 429.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

41. Rechtsseitige Abducenslähmung, durch den konstanten Strom

erheblich gebessert. Die 34jährige Schneiderin Mathilde K. litt seit 14 Tagen (nach vorauf- gegangenen reissenden Schmerzen in der rechten Kopfhälfte) an einer rechtsseitigen Abducenslähmung. Am 25. November 1879 betrug die Ablenkung (durch Prismen gemessen, nach Dr. Horst mann) 44"; Behandlung mittelst des konstanten Stroms (Anode Nacken, Kathode an der rechten Schläfe, bezw. am rechten äusseren Augen- ■winkel) bis Januar; am 16. Januar 1880 war die Beweglichkeit des rechten Auges nach aussen hin fast zur Norm zurückgekehrt: die Ablenkung betrug jetzt nur noch 14". (Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

42. Taubheit nach Meningitis; Ohrensausen: Dämpfung desselben beiderseits durch die Anodenwirkung; paradoxe Reaktion des nicht

armirten Ohres.

Louise Stuff, 12 Jahre alt, hat im April 1881 eine Hirnhautentzündung über- standen. Seit Mitte Mai war das Gehör verloren. Sie geht noch etwas schwankend, ist sonst wohl. Trommelfelle beiderseits leicht getrübt, Tubenkatheterismus wegen Ungeberdigkeit unausführbar. Sprache gut (18. November 1881).

Anode in der linken Hand; Kathode am linken Ohr (äussere Anordnung): Sausen links vermehrt (KaD), rechts gemindert. Anode am linken Ohr dämpft links bei 10—15" N.A. das Sausen und lässt es rechts stärker hervortreten. Anode am rechten Ohr dämpft das Sausen rechts (10 15" N.A), verstärkt es links: verringert man die Widerstände des in Nebenschluss eingeschalteten Rheo- staten, so erfolgt die umgekehrte Reaktion. Die Kathode am rechten Ohr dämpft das Sausen des linken Ohres und erhöht es am rechten (10" N. A ). (Vgl. S. 310, 434 )

(Eigene Beobachtung. Bern h a r d t.)

/

490 Einige elektrodiagnostische Beobachtungen an Gesunden, sowie etc.

43. Chronischer Mittelohrkatarrh; doppelseitige Schwerhörigkeit und Ohrensausen; doppelseitige Hyperästhesie des Hörnerven; para- doxe Reaktion des nicht armirten Ohres.

Oskar Hellmuth, 26 Jahre alt, seit 2 3 Jahren an Schwerhörigkeit und Ohrensausen leidend. Hört links die Uhr am Ohr nicht (auch nicht durch die Kopfknochen) ; Flüsterstimme gehört dicht am Ohr. Hört rechts die Uhr am Ohr und Plüsterstimme in 1 Fuss Entfernung.

20 Elemente (Rheostat im Nebenschluss) : Ka am rechten Ohre; schon bei 1" N.A. (125 S.E. im Nebenschluss) wird rechts das Sausen stärker, bei KaO wird es links stärker und schwindet rechts.

Anode am rechten Ohre: Bei 1" N.A. (300 S.E. im Nebenschluss) wird das Sausen links stärker, rechts schwächer, bei AO wird es rechts sehr laut und schwindet auch links nicht.

Anode am linken Ohr: Bei 10" N.A. deutliche Verstärkung rechts, erheb- liche Abnahme links; Kathode am linken Ohr dämpft rechts das Sausen vollkommen, verstärkt es links; bei KaO wird es links gut und geht nach rechts hinüber.

Behandlung mit gespaltener Anode (an jedem Ohre), Kathode ruht in der Hand. Bedeutende Beruhigung während der Sitzung und (leider nur kurze Zeit) nachher, Patient entzieht sich der Behandlung. (Vgl. S. 310, 435.)

(Eigene Beobachtung. Bernhardt.)

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Namen- und Sachregister.

A.

Abadie 434.

Ableitender Bogen 93.

Ableitung zur Erde 9, 22; bei Induk- tionsrollen 97.

Ableitungsgefässe von du Bois-Reymond 137.

Ablenkung der Magnetnadel durch den Strom 26, 35, 52; freiwillige, astati- scher Nadelpaare 121 ; durch die Drahtmassen 122; Kompensation der- selben 123.

AbramoYski 439.

Absorption der strahlenden Wärme 171.

Absolutes Galvanometer 126, 225.

Absteigende Stromesrichtung 265.

Abstossung gleichnamiger Elektrizitäten 1, 12, "13.

Adamkiewicz 301, 456, 460.

Ageusie, Behandlung 313, 437.

Agnew 428.

Akkumulatoren 41.

Aktuelle Elektroden 271, 277, 278.

Alavoine 443.

Allgemeine Elektrisation 35 1 ; Faradisa- tion 352 ; Galvanisation 365 ; Anwen- dung in Krankheiten 427.

Allgemeine Empfindlichkeit der Haut für den elektr. Reiz 315ff.

Alternative, Volta'sche 279.

Althaus 110, 204, 303, 312, 824, 343, 425, 426, 453.

Amalgamirung des Zinks 48, 49, 137.

Amalgamirflüssigkeit 48.

Amaurose, elektrotherapeutische Behand- lung 432.

Amblyopie, elektrotherap. Behandlung 432.

Amenorrhoe, elektrotherap. Behandlung 453.

Ampere (Einheit der Stromstärke) 58.

, Regel 35.

Amyotrophische Lateralsklerose 394 ; elektr. Verhalten 394; ihre Elektro- therapie 394.

Anaesthesie 323; Prüfung 323; Vor- kommen 347, 381, 424, 437; Behand- lung 347, 355, 424, 438, 464.

Anelektrotonus 265; Verwertung des- selben in der Therapie 355.

Anelektrotonische Zone 271.

Aneurysmen, Behandlung durch Galvano- punktur 192.

Angina, tonsillaris, Behandlung derselben 361; pectoris, elektrotherap. Behandl. 419.

Angiome, Behandlung derselben durch Galvanopunktur 194.

Anidrosis, elektrother. Behandl. 456.

Anion 38.

Anode 38, 214; elektrother. Verwertung 355.

Anodenbad 369.

Anodenöffnungs (zuckung) 268; tetanus 284, 408.

Anodenschliessungs (zuckung) 268; teta- nus 269.

Anordnung (Helmholtz'sche) am Magnet- elektromotor HO; äussere bei galv. Reizung des N. acusticus 306 ; innere 306.

Anosmie, Behandlung 312, 437.

Antagonisten, deren Kontrakturen und elektr. Erregung bei Lähmung der oberen Extremit. 378.

Antlitzzone (elektrokutane Sensibilität) 314.

An Ziehung ungleichnamiger E lektrizitäten 1, 12, 13.

Aperiodische Schwingung des Magneten 132.

Aphonie (hysterische) Behandlung 424, 441, 442.

Apostoli 455.

Arcoleo 428.

504

Namen- und Sachregister.

Armrauskeln , motorische Punkte 249, 250; Lähmung, Behandlung derselben 400, 401.

Armstrong's Hydroelektrisirmaschine 3.

Arndt 380.

Arnold'sche Elektrode 238.

Arsenikvergiftung, Lähmungsform, Be- handlung 396.

Arthritis, nodosa, eigentümliche Reak- tionen 337; Behandlung 440, 441.

Arthuis 462.

Ascites, elektrotherapeutische Behandl. 448.

Aspermatismus siehe Impotenz.

Asphyxie, z. B. nach CO Vergiftung, Be- handlung 348; locale des extremites 420.

Astasie 120, 131.

Astatisches Nadelpaar 120; freiwillige Ablenkung desselben 121.

Asthenopie, Behandlung derselben (ak- kommodativer und muskulärer) 431.

Asthma, Behandlung 443.

Ataxie, Behandlung 392, 396.

Athetose, Behandlung 381, 425.

Atonie , der Stimmbänder 442 ; des Magens 445 ; Darms 446 ; der Sphink- teren 447; und deren Behandlung ebenda.

Atrophie und Behandlung: des Gesichts (halbseitige) 421 ; der Muskeln 480 (siehe progressive M.- Atrophie); der Nerven (siehe Entartungsreaktion) 292; des N. opticus 432.

Atrophische Spinallähmung, akute, chro- nische 383 (der Kinder, der Erwachse- nen), Behandlung derselben 385, 482, 485 ; Elektrodiagnost. Verhältnisse 298, 299, 384.

Aubert 455.

Auflösung von Blasensteinen 194,

Aufsteigende Stromesrichtung 265.

Auge, siehe Gesichtssinn, Elektrodia- gnostik 303.

Augenbewegung, bei Galvanisation durch den Kopf 326.

Augenmedien, Absorption der Wärme- strahlen in ihnen 171.

Augenmuskeln, elektrische Reizung der- selben 244, 429.

Augenmuskellähmung , Behandlung der- selben 429 ff.

Auslader 24.

Ausschleichen aus der Kette 221, 409, 410.

Ausserwesentlicher Widerstand 61.

Auswahl der Elemente und Batterien 68, 239.

B.

Bad, elektrisches 366; elektrostatisches 463; hydroelektrisches 366; Einrich- tung 367; Verwendung 425, 427.

Bärwinkel 205, 437.

Bäumler 339.

Baierlacher 204, 294, 362.

Ballet 462.

Ballouhey 447.

Basedow'sche Krankheit, Behandlung der- selben 418, 419.

Bastelberger 289.

Bastings 443.

Batterie, elektrische 1 7 ; galvanische 3 1 ; Wahl und Behandlung 68, 239; zur Galvanokaustik 72; Sekundärbatterie 41, 73; Einrichtung der Batterien 211; Brenner'sche Einrichtung 215; trans- portable Batterien 68, 228, 239.

Baucheingeweide, Elektrisation derselben 338 ff.

Bauchmuskeln, elektrische Krregung 259, 260.

Beard 205 (20), 333, 351, 366, 371, 426, 465.

Beau 454.

Becquerel : ThermoelektrischeSpannungs- reihe 161; Wärmeentwicklung beider Muskelkontraktion 170; ferner 455.

Beer 357.

Beetz: Widerstand von Zinkvitriollösun- gen 59 ; seine transportable Batterie 71, 188, 205 (19), 230; ferner 439.

Behandlung galvanischer Batterien 68, 215, 239.

Beleuchtung, elektrische, für diagno- stische Zwecke 200.

Benedikt: 205, 300, 303 (110), 336, 337 (167), 352, 380 (513), 404, 408.

Bennet (Hughes), Universalelektrode 238.

Berger, 0 , 205, 285 (64), 299 (100), 394, 405.

ßermond 461.

Bernhardt, M., 208 (23), 225, 227 (23), 284 (63), 285 (64)', 285 (65), 285 (66), 289 (74), 290 (79), 294, 295, 297 (66\ 299 (100), 300, 301 (105), 301 (106), 301 (107), 310 (121), 314, 316, 323, 362, 366 (411), 3.i6 (188), 386 (100), 387 (222), 389, 391, 401 (242), 402, 420.

Berührungselektrizität 28.

Berzelius 19, 38 (elektrochem. Theorie).

Beschäftigungsneurosen , deren Behand- lung 406, 407.

Bestimmung des Widerstandes 55 , 86 ; elektromotorischer Kräfte 143, 147; der Stromstärke 52, 129, 223, 225.

Bettnässen, Behandlung 450, 415.

Namen- und Sachregister.

505

Bifilare Aufhängung 10.

Bi- (abdomino-) inguino-uterine Faradisa- tion 454.

Bipolare Methode der Galvanisation 186; bipolares Bad (dipolares) 369.

Bird 461,

Bischoff'sche Elektrode 238.

Blackwood 465.

Blake 436.

Blase, Methode ihrer elektrischen Reizung 339; Elektroden zur Reizung 235; Lähmungen, Behandlung derselben 449, 450.

Blasensteine, Auflösung derselben 194.

Bleikolik, elektrotherap. Behandlung 415.

Bleilähmung, elektrodiagnostische Unter- suchung 299: abnorme Reaktionen bei derselben 301 ; diplegische Kon- traktionen hei solcher 337 ; Formen der Lähmung 388; Behandlung der- selben 389, 485.

Blepharospasmus, siehe Facialiskrampf.

Blitzrad 104.

Blut, Einwirkung galvanischer Ströme auf dasselbe 192.

Blutgefässe 173; siehe katalytische Wir- kung.

der Haut unter elektrischer Einwir- kung 320.

Blutgeschwülste, deren Behandlung 193, 194; siehe Aneurysma, Angioma.

Blutung, deren Vermeidung bei der Galvanokaustik 195; im Hirn, Elektro- therapie 347, 374 ff.

Böttcher's absolutes Vertikalgalvano- meter 225.

Böttger's Amalgam 14.

du Bois-Reymond 93; unpolarisirbare Elektroden 49; innere Polarisation 50; Rheochord 81, 84; Schlitteninduk- torium 105; zeitlicher Verlauf der Induktionsströrae 111; Ableitungsge- fässe 1 37 ; Kompensationsmethode 1 45 ; Muskelunterbrecher 1 53 ; Zeitbestim- mung mit aperiodischen Magneten 153: siehe ferner 129, 205, 207, 209, 417.

Bollinger 320.

Bosscha 93.

Boucherun 428.

Boudet 410.

Brenner 205, 208, 214, 215, 267, 275, 284 (63), 285 (64), 294, 303, 305 bis 311, 325, 329, 344, 392, 401, 434 ff., 443. Brown-Sequard'sche Lähmung, Behand- lung derselben 395. Brücke, Wheatstone'sche 87. Brücke, Absorption der Wärmestrahlen

durch die Augenmedien 171. Brückner 276, 357.

Brunner'sche Elektrode 238.

Bruns, v., 196, 357.

Brustorgane, elektr. Reizung derselben 338 ff.

Buch 380.

Bucquoy 447.

Bulbärparalyse, Elektrotherapie bei der- selben 379; elektrodiagnostische Ver- hältnisse 299.

Bunsen's Kette 44; Chromsäureelement 45 ; Chrombatterie 46 , 69 , 72 ; elek- tromotorische Kraft der Kette 74; Amalgambereitung 14.

Burckhardt 267, 324, 329.

Burdon-Sanderson 135.

Burq, V. 459.

Buzzard 301 (105), 305.

c.

Callot' (Trouve') sches Element 370.

Caragiosiadis 338.

Cardialgie, Behandlung 415.

Carre'sche Influenzmaschine 461.

Cephalaea, Behandlung 415; siehe Kopf- schmerz.

Cerebrale Lähmungen 374; Elektrodia- gnostik 378; Behandlung 375, 376 ff.

Cerebrasthenie 426, 427.

Cervico-Brachialneuralgie , Occipitalueu- ralgie 411; Behandlung 411.

Charcot 295, 394, 425, 459, 462.

Chauveau 362.

Chemische Einwirk, des galvan. Stroms auf die Haut 321.

Cheron 457.

Chirurgie, Elektrizität in der 192, 194.

Chorea, Behandlung 423; Steigerung der elektr. Erregbark. 285.

Chorioidea, Krankheiten derselben und Behandlung 429, 432.

Chouet 447.

Christiani 107, 133, 153, 163, 166.

Chrombatterie (Bunsen) 46.

Chvostek 338, 408, 419, 448, 457.

Ciniselli 370.

Clemens 462.

Clubbe 426.

Coccygodynie 412.

Colica saturnina 415, siehe Bleikolik.

Conjunctivitis, Behandlung 428.

Contractionen, diplegische 337.

Contracturen, bei Hemiplegien, Behand- lung 351 ; bei Facialislähmungen, Be- handlung 400.

Convulsible Reaktion 300.

Coordinatorische Beschäftigungsneuroseii 406; Behandlung 407.

Cornea, siehe Hornhaut.

Coulomb's Drehwage 7.

506

Namen- und Sachregister.

Crookes 26.

Cyon 205 (19), 276.

Czemicki 447.

D.

Da Costa 396.

Dana 465.

Daniell'sche Kette 42; Modifikationen von Meidinger 44 ; Siemens und Halske 44, 211.

Darm, elektrische Reizung 339 ; Erkran- kungen 346, 446; Behandlung 346, 446.

Darmlähmung, Behandlung 346, 446.

Darmnerven, Erkrankung, Behandlung 447.

Daumenballenmuskulatur, deren elektr. Erreg. 251.

Deckel (zum Elektrophor) 19.

Degeneration der Nerven 291 ; der Mus- keln 292; Entartungsreaktion bei solcher 285 , 292 ; sekundäre des Rückenmarks 379 ; graue (der Hinter- stränge) siehe Tabes 392.

Dementia paralytica, Behandlung 380.

Dempsey 455.

Depressionszustände, psychische, Behand- lung 350, 380.

Diabetes insipidus 425; Behandlung 425; mellitus 425; Behandlung 426.

Dichte der Elektrizität 8; des Stromes 75 ; in unregelmässigen Leitern 92 ; Bedeutung für die Elektrodiagaostik und Elektrotherapie 186, 274.

Differente Elektrode 261.

Diphtherische Lähmung 395; Elektro- diagnostisches 395; Behandlung 396; Ataxia diphtherica 396.

Diplegische Contractionen 337.

Dipolares (elektr.) Bad 369.

Diplopie, siehe Augenmuskellähmung.

Direkte Muskelreizung 180, 182, 240.

Dörffel 433.

Doppelsehen, siehe Augenmuskellähmung.

Doppelelektrode (v Ziemssen-Heller) 234.

Dor 432.

Dove 103.

Drahtbündel, Kerne der Induktions- spiralen 102.

Drehwage von Coulomb 7.

Drosdoff 316, 439, 465.

Druckpunkte 355 ; Wichtigkeit derselben, darauf gerichtete elektrische Behand- lung 392, 393, 404, 411, 413.

Drüsengeschwülste, elektrische Behand- lung 457.

Duchenne (de Boulogne) 92, 175, 176, 178, 180, 182, 204, 208, 240, 241, 321, 384, 402, 419, 457.

Dumontpallier 459.

Dynamoelektrische Maschinen 116, 198

(zur Galvanokaustik). Dynamometer, Weber'sches 156. Dysmenorrhoe, Behandlung 453, 464. Dyspepsie, Behandlung 445.

E.

Ebonit 5.

Eckhard 190, 205.

Ectasien des Magens, Darms, Behand- lung 444, 446.

Edelmann's absolute Galvanometer 126, 225.

Edlund's Versuch zum Nachweis des Extrastroms 100.

Einfache Kette 31.

Einführen von Medikamenten durch den galvanischen Strom 194, 357.

Einheit des Widerstandes 57 ; der Strom- stärke 58; der Elektrizitätsmenge 40, 51; der elektromotor. Kraft 57.

Kinsauger 14.

Eisenkern der Induktionsspiralen 101.

Eisenlohr 300, 337 (167), 380(213), 408.

Elektrizitätserregung durch Reibung 2; durch Verteilung 12; durch Kontakt 28 ; durch Induktion 95 ; durch Tem- peraturdifferenz 159; auf dynamoelek- trischem Wege 116.

Elektrizitätsmenge 39, 51 ; Messung der- selben 157.

Elektrisation , allgemeine als Heilmittel 351, 427.

Elektrisation localisee 175.

Elektrische Erregbarkeitsverhältnisse (Er- regung); a. normale des Gehirns 324 ff.; des Rückenmarks 329 ff.; des Sympathikus 332 ff. ; der peripherischen Nerven 261; der Muskeln 261; der organischen Muskeln 339 ; der Sinnes- organe 303 ff. b. Aenderungen der elektrischen Erregbarkeitsver- hältnisse bei Krankheiten des Ge- hirns 297, 378, 379; des Rückenmarks 297, 383 ff. ; der peripherischen Nerven 282, 285 ff.; der Muskeln 288 ff.; der Sinnesorgane 305, 309.

Elektrisches Gefälle 34.

Elektrische Hand 351 ; Anwendungsweise 352 etc.

Elektrische Maasseinheiten 57.

Elektrische Mexe 347.

Elektrischer Pinsel 176, 238, 318, 347, 393, 410, 420, 424.

Elektrische Reizung der motorischen Nerven und der Muskeln 172ff., 240ff. siehe motorische Punkte ; der sensiblen Nerven 176, 177.

Namen- und Sachregister.

507

Elektrische Ströme, deren "Wirkungen 21, 24, 172; chemische, elektrolytische 192, 356; elektrotonische 265, 268, 275 ff. ; erfrischende 355; katalytische 356; kataphorische 144, 357; kau- stische 194, 195; krampfstillende 355, 360; lähmende 351; resorptionsbeför- dernde 358; schmerzstillende 350, 355; thermische 194, 195, 343; vaso- motorische 173, 327, 331, 332 ff.; Gehirn 324 ff. ; Geschlechtsorgane (männliche 45 1 , 452 ; weibliche 453 ff.) ; Geschmackssinn 312; Gesichtssinn 303 ff.; Geruchssinn 312; Haut 31 3 ff.; Herz 339; Muskeln 172; Nerven, mo- torische 173; sensible 318, 355; Rückenmark 329; Sympathikus 332; Verdauungsorgane 444 ; Eingeweide im Allgemeinen 444 ; Schlafbefördernde 344, 352, 382; Wehenbefördernde 455.

Elektrische Untersuchung, siehe Elektro- diagnostik 261.

Elektrische Zeitmessung 151.

Elektrischer Hauch 463.

Elektrisirmaschine 5.

Elektrobioskopie 349.

ElektrocutaneSensibilität, Untersuchungs- methoden 314 ff., 318.

Elektroden 38, 175; verschiedene Grösse derselben 191, 232; Anwendung für therapeutische Zwecke 175, 176, 191; differcnte, indifferente 261; unpolari- sirbare 49, 232; Doppel- 235: mit Unterbrechungs- und Stromwendungs- vorrichtung 238; für die verschiedenen Organe 234 ff.; aktuelle, virtuelle 277, 278.

Elektrodenhalter 231.

Elektrodiagnostik(undElektrophysiologie) der Sinnesorgane 303 ; des Hirns 324 ; des Rückenmarks 329 ; der motorischen Nerven 261 ; der sensiblen Nerven 313; der Brusteingeweide 338, 339; der Baucheingeweide 338 ; der Organe im Becken 339.

Elektrodynamometer 156.

Elektrolyse 37 ; Anwendung derselben in der Therapie 192.

Elektrolyte 38.

Elektromagnetismus 94, 95.

Elektrometer 3, 7.

Elektromotorische Kraft 30, 51 ; Messung derselben 143, 147.

Elektromotorische Kräfte der Elemente 73, 74.

Elektromotorische Oberfläche 141.

Elektromotorische Wirkung tierischer Teile 138.

Elektromuskuläre Sensibilität 321.

Elektrophor 19.

Elektropunktur 349 (des Herzens) ; siehe ferner Galvanopunktur.

Elektrosensitive Naturen 372.

Elektroskop 3.

Elektrotherapie, Allgemeines 172, 341, 354; siehe die einzelnen Organe und deren Krankheiten.

Elektrotonus 265; am lebenden Menschen 276, 277, 278.'

Elemente 42ff. ; siehe Kette.

Elementenzähler 188; ?iehe Stromwähler.

Emminghaus 348.

EndolaryngealeElektrisation, siehe Intra- laryngcaTe Elektr.

Endopharyngeale Elektrisation , siehe Intrapharyngeale Elektrisation.

Endoscopie, Batterien zur 72, 200.

Engelhorn 352, 426.

Entartungsreaktion 285 , 292 ; partielle 294, 29.Ö; faradische 296; partielle mit indirekter Zuckungsträgheit 297; Vorkommen derselben 285, 297, 301 ff. ; vgl. die einzelnen Krankheiten; Histo- risches über dieselbe 294.

Entbindungslähmungen 402.

Entero(algien)pathien 447.

Entzündungen, elektrotherapeutische Be- handlung 346, 361.

Enuresis nocturna, Behandlung 450, 451.

Epidermis, Leitungswiderstand derselben 189, 190, 262.

Epilepsie, elektrotherapeutische Behand- lung 422.

Erb: 205, 223, 249, 263, 272, 276, 278, 280, 286, 292, 294, 296, 297, 299 (100), 299 (101), 300 (102), 301 (105), 301 (106), 306 (118), 310, 318, 320, 322, 324, 329, 352, 363, 380 (213), 386 (100), 387, 389, 390, 394, 402, 405, 408, 426, 432, 435, 446.

Erbrechen, Vorkommen bei der Galvani- sation 328.

Erdmann 204.

ErfrischendeWirkung galvanischer Ströme 355.

Erlenmeyer 402, 464.

Erloschensein der faradischen und galva- nischen Erregbarkeit 279; Bedeutung 279, 286, 289.

Ermüdung des Gehörs, Behandl. nach Tröltsch 311.

Ernährung, Bedeutung der Elektrizität für dieselbe 358.

Erregbarkeit, primäre, sekundäre, tertiäre 276, 468.

Erregung der Muskeln und Nerven 27, 101, 172, 179; siehe elektrische (fara- dische, galvanische) Erregbarkeit.

des N. acust. durch Induktionsstrom 311.

508

Namen- und Sachregister.

Erschöpfungsreaktioii 300.

Erwärmung der Haut durch den galvan. Strom 321.

der Muskeln durch den farad. Strom 343.

Eulenburg: 205, 276, 278, 299 (101), 333, 337 (167), 368, 418, 419, 420, 460.

Exsudate, elektrotherap. Behandlung 346.

Extensorenlähmung, Behandlung 388, 401 ; siehe BleiläTlimung, Radialislähmg.

Extrakurrent 100.

Extramuskuläre Reizung 241, 261.

Extrastrom 99, 100; Einfluss auf die Ströme der sekundären Spirale 103; seine Anwendung zur Muskelerregung 182, 208; über etwaige spezifisch ver- schiedene Wirkung desselben vom sekundären Strom bei Lähmungen 290.

F.

Facialis-Erregung 241 ff. ; Lähmung 399; Elektrodiagnostik 399: Prognose 399, 400; Therapie 400.

Facialiskrampf 405.

Faraday's Benennung der Pole u. s. w. 38 ; Gesetz der festen elektrolytischen Aktion 40; Induktionsströme 95, 175, Historisches 204.

Faradisation, allgemeine 35 1 ; lokalisirte 175; direkte 240; indirekte 240; der Muskeln 240; der Nerven 240, 261; der Sinne 311, 436; des Gehirns 344; des Rückenmarks 344: des Sympa- thikus 334, 335: lokalisirte 175, 240; der Organe in der Brust 349; Bauch 346 : Beckenhöhle 347 ; der Kehlkopfs- muskeln 245; des Pharynx 244; des Zwerchfells 348 ; Untersuchungsme- thode 261 ; Anwendung bei Anaesthe- sien 347, 381; bei Blasenlähmung 449, 450; cerebralen Lähmungen 344; Gehirnkrankheiten 344 ; Psychosen 350, 380 ; Rückenmarkskrankheiten 345 ; bei Lähmungen überhaupt 342, 343; bei krampfhaften Affektionen 351 ; bei Contrakturen 351 ; bei neuralgischen Affektionen 350, 410, 412; bei Knochen- und Gelenkkrankheiten 343, 439 ff. ; bei peripherischen Lähmungen

343, 345; bei spinalen Lähmungen

344, 393; bei Anomalien der Secretion und Excretion 455, 456; bei Krank- heiten der männlichen 451, der weib- lichen Geschlechtsorgane 453 ; als Wehen beförderndes Mittel 455; in der Geburtshilfe überhaupt 4.t5; als Geschwülste zerteilendes Mittel 346, 457; bei Entzündungen 346.

Paradische Entartungsreaktion 296.

Faradische Erregbarkeit und ihre Modi- fikationen 282 ff. ; Steigerung 284; Herabsetzung 283; Verhalten bei der Entartungsreaktion 285, 286 ff.

Faradische Mexe 347, 350.

Faradischer Pinsel 347, 350; Behand- lung mittelst desselben der Anaesthe- sien 347; der (tabischen) Analgesien 347; bei cerebralen Lähmungen 347, 348, 381 ; bei Gehirnkrankheiten über- haupt 377; bei Gelenkrheumatismus 439; bei Lähmungen überhaupt 347; bei Rückenmarksaffektionen 393; bei Neurosen 4 14 ff. ; bei Neuralgien 350, 410, 412; bei Erkrankungen von Sinnesorganen 432 ; bei asphyctischen Zuständen 348.

Faradischer Strom 209*; siehe Faraday's Induktionsströme ; ferner 208, 209, 261.

Faradokutane Sensibilität 314; siehe Elektrokutane Sensibilität.

Faradomuskuläre Sensibilität 321; siehe Elektromuskuläre Sensibilität.

Pick 170.

Fieber 205, 337 (167), 437, 461, 462.

Filehne 205, 270, 277, 362.

Finger, elektrokutane Empfindlichkeit derselben 315, 318.

Finkeinburg 371.

Fischer, F. 352, 380, 381, 426.

Fischer, G. 334, 337.

Flächen, isoelektrische 141.

Flies 444.

Flüssigkeiten, elektrische 1.

Flüssige Leiter 26; Zersetzung derselben 37; Widerstand 58.

Flüssigkeitsrheostaten 89, 217.

Fortführende Wirkung des Stromes 194, 356, 357.

Franklinisation 465.

Freie und gebundene Elektrizität 13.

Freiwillige Ablenkung astätischer Nadel- paare 121.

Fremdkörper (metallische) im Auge 433.

Frey 387 (222).

Friedreich 406.

Pritsch 443.

Frommhold 351, 404.

Frühgeburt, künstliche Einleitung solcher mittels Elektrizität 455.

Fürstner 338, 445.

Functionen der einzelnen Muskeln 241 ff.

Fundamentalversuch von Volta 28.

Funke , elektrischer 24 , 35 , 97 : in der Therapie 463.

Fussmuskeln 259; deren elektrische Rei- zung 259.

Fusspunkte des ableitenden Bogens 93, 138.

Namen- und Sachregister.

509

Fussrücken (-sohle), deren elektrokutane Sensibilität 315; deren Muskeln 259.

Fussschweisse , unterdrückte , Behand- lung 456.

0.

Gänsehaut 320.

Gärtner 262, 321.

Gaiffe's Galvanometer 225.

Gallenblase, Elektrisation derselben 448.

Galvani 27, 203.

Galvanisation, allgemeine 365; zentrale 325, 366; bei Gehirnkrankheiten 375; bei Rückenmarkskrankheiten 385 ff. ; des Sympathikus 336, 337 ; bei Krank- heiten der peripherischen Nerven 359, 397; bei Muskelaffektionen 439; bei Gelenkaffektionen 439 ff. ; bei Krank- heiten der Sinnesorgane 428 ff. ; bei Neurosen 4 1 4 ff. ; bei Krankheiten d er Brust- 419, 443; der Bauch- 444ff.; der Beckenorgane 449 ff. ; bei Läh- mungen 355, 358; bei Krampfzu- ständen 355, 404 ff ; bei Neuralgien 355, 409 ff. ; bei vasomotorischen Neu- rosen 420; bei funktionellen Nerven- krankheiten 414 ff. ; bei Krankheiten der tropbischen Nerven 421; Arten der Anwendung 333 , 36 1 ; am Halse 337.

Galvanisation des Hirns, Elektrophysio- logie 325 ff.

Galvanisation des Rückenmarks, Elektro- physiologie 329 ff.

Galvanische Batterien, Wahl und Be- handlung 68, 72, 191, 215, 239.

Galvanische Erregbarkeit 272, und ihre Modifikationen 282; Steigerung 284; Verminderung 283 ; Erloschensein 286 ; siehe elektrische Erregbarkeit.

Galvanischer Pinsel 318, 355; Anwen- dung 215, 318.

Galvanischer Strom , Anwendungsarten 361; peripherische, zentrale 366; stabile 364; labile 364; sehr schwache 370; aufsteigende Richtung 265; ab- steigende Richtung 265; Anwendung der Anode 355, 404, 409, 410; der Kathode 355, 361; seine Wirkungen 184, 354; chemische 191; elektro- lytische 191, 321, 356; thermische 194, 321; erfrischende 355; kataly- tische 356; kataphorische 194, 357; elektrotonische 276, 354; siehe übri- gens Galvanisation. Galvanismus, vgl. Galvanisation. Galvanofaradisation 371. Galvanokaustik 194.

Galvanometer 119 u. f.; Erb'sches 223; absolute 126, 2-2b; vgl. Multiplikator, Tangentenbussole, Spiegelbussole.

Galvanopunktur 192; des Herzens 349.

Galvanoskop 119, 223.

Gasanalyse 25.

Gastralgie, Behandlung 415, 445.

Gaumen, Elektrisation der Muskulatur dess. 244.

Gaumensegellähmung, Behandlung 395.

Gebärmutter, elektrische Reizung 235; Behandlung der Erkrankungen der- selben 454, 455.

Gebundene Elektrizität 13.

Geburtshilfe, Verwendung der Elektrizität bei solcher 455.

Gefälle (elektrisches) 34, 140.

Gefässe, deren Reaktion auf den elek- trischen Reiz 173, 320, 327, 333, 336.

Gehirn, Treffbarkeit durch elektrische Ströme 324 ff. ; Elektrophysiologie des Hirns 325 ff.

Gehirnkrankheiten, Behandlung derselben durch Elektrizität 374 ; Methoden 375 ; Zeit der Behandlung 376; Wahl der Elektroden und Ansatz derselben 375; elektrische Reaktionen bei cerebralen Lähmungen 378 ; zentrale Behandlung 375; peripherische Behandlung 377; Sympathikuselektrisation 376.

Gehörnerv, Elektrodiagnostik 305; bei Erkrankung desselben 309 ff. ; Behand- lung 434 ff.

Gehörorgan, Behandlung bei Erkrankung desselben 434 ff.

Gehörshallucination, Behandlung 380.

Geissler'sche Röhren 26.

Geissei, elektrische 347; Anwendung derselben 377.

Geisteskrankheiten, Elektrotherapie bei

ihnen 380. Gelenkaffektionen, Elektrotherapie 439; bei akuten 439, 440, bei chronischen Gelenkentzündungen 44 1 ; bei hyste- rischen 414; bei Gelenkneurosen und Neuralgien 414, 415. Gelenkrheumatismus, akuter 439; chro- nischer, Elektrotherapie 440. Gelenksteifigkeit, Elektrotherapie 441. Gelle 459. Gemsbart 3.

Genitalien, Erkrankung derselben bei Männern 451; Behandlung 452; bei Frauen 453; Behandlung 453, 454. Gerhardt 333, 338, 396, 405, 448. Gerinnung des Eiweisses durch sekundär

elektrolytische Wirkung 192. Geruchssinn, elektrische Reizung des- selben 312, 437.

510

Namen- und Sachregister.

Gesässmuskeln , deren elektr. Reizung 25(;.

Geschichtliche Data 203, 294, 362.

Geschlossene Kette 30; Spannung im Schliessungsbogen 32, 33.

Geschmack, Klektrodiagnostik 312; -em- pfind ung während der Galvanisation 312; bei Galvanisation am Halse und Kopfe 312; Anomalien 313; Prüfung mittelst der Elektrizität 313; Behand- lung derselben 437.

Geschwüre, elektrische Behandlung der- selben 346, 457, 458.

Geschwülste, Behandlung durch perku- tane Farad isation 457 ; durch perkutane Galvanisation 457; Spalten derselben 346, 457.

Gesetz, der festen elektrolytischen Aktion 40; Ohm'sches 54.

Gesichtsatrophie, halbseitige(progressive), Behandlung 421.

Gesichtsmuskeln, ihre Erregung und Funktion 241 ff.

Gesichtsmuskelkontraktur nach Lähmung 400; siehe Facialislähmung.

Gesichtsmuskelkrampf 405; Elektrodia- gnostik 404, 405; Elektrotherapie 405.

Gesichtsnervenlähmung 399, 400; vgl. Facialislähmung.

Gesichtsschmerz 409; vgl. Neuralgie im Trigeminusgebiet.

Gesichtssinn, Elektrophysiologie 303 ff. ; vgl. N. opticus, Auge.

Gicht, Behandlung 440.

Giommi 447.

Giraud-Teulon 428.

Glaselektrizität 3.

Glaskörper, Elektrotherapie bei Leiden desselben 428, 429, 433.

Glax 448.

Gleichartiger Bogen 138^

Gleichnamige Elektrizität 12.

Glockenmagnet 133.

Glühen von Drähten durch den Strom 19.i.

Glühlicht, elektrisches zu chirurgisch- diagnostischer Beleuchtung 200.

Gnauck 425.

Goldblattelektroskop 4, 16.

Goldschmidt 289.

Good 454.

Graduirung des Multiplikators , des Thermomultiplikators 166.

Gramme 117.

Granville, M. 410.

Grapengiesser 204, 324.

Grasset 348.

Grenet'sche Kette 45.

Grotthuss'sche Theorie der Elektrolyse 38.

Grove'sche Kette 43.

Grünhagen 286. Guttmann 418. Gynäkologie, Anwendung der Elektrizität

in derselben 454. Gyrotrop 66.

H.

Haecker 290.

de Haen 203.

Hagen 435.

Hahn'scher Auftriebs-Motor 465.

Halbseitenläsion des Rückenmarks, Be- handlung 395.

Halle 294.

Hallucinationen , elektrotherap. Behand- lung 380.

Hals, elektrokutane Empfindlichkeit 314, 315; Muskeln 246, 247; Galvanisation am Halse 33 / ; Krampf der Hals- muskeln 405 ; Lähmung derselben 400.

Halske'scher(Wagner'scher) Hammer 104 ; Element, siehe Siemens-Halske.

Halsmark, Galvanisation desselben 336 ; vasomotorisches Centrum in ihm 331 ff.

Halsnerven, deren Reizung 246, 247.

Halssympathikus , Elektrophysiologie 332 ff. ; Faradisation desselben 334, 335; Galvanisation desselben 333; Krankheiten desselben 418; deren Be- liandlung 417, 418; vgl. N. sympathik.

Hammer, elektromagnetischer Halske- scher oder Wagner'scher 104.

Hand, elektrische 351 ; Muskeln der- selben 25 1 254 ; Nerven derselben 251 254; deren Reizung 251 254.

Handrücken, elektrokutane Empfindlich- keit 315.

Handzone (elektrokut. Sensib.) 315.

Harnblase, Elektrisation derselben 235, 449; Elektroden zur Elektrisation der- selben 235; Elektrophysiologie ders. 449 , 450 ; Krankheiten der H. und deren Elektrotherapie 449 ff.

Harnstoffausscheidung bei Sympathikus- durchschneidung 335 ; bei Leberfara- disation 448.

Harzelektrizität 3.

Hauptschluss (Rheostat in) 217; Ver- wertung dieser Anordnung 222, 467.

Haut, Elektrophysiologie 320; Reizung derselben 320; mit dem faradischen Strom 320; mit dem galvanischen j Strom 320, 321. 1

Hautnerven, deren Reizung 177; deren ^ elektrische Empfindlichkeit 313; gegen faradische 314, gegen 'galvanische Ströme 318; vgl. elektrokutane Sen- sibilität; Reizung derselben zu thera- peutischen Zwecken 347 ff. ; bei Gehirn-

Namen- und Sachregister.

511

377, 381 ; Geistes- 350, 380; Rücken- markskrankheiten 344, 393 ; bei Leiden der Sinnesorgane 432.

Hebelelektrode, M. Meyer's 232.

Heidenhain's mechanischer Tetanomotor 105 ; Wärmemessung bei Muskelkon- traktion 170; ferner 355.

Heller's (v. Ziemssen's) Doppelelektrode 234, 235.

Helmholtz 93 ; Modifikation am Magnet- elektromotor 109; Prinzip der elek- trischen Oberfläche 142; Zeitmessung 153; Wärmebildung bei Muskelkon- traktion 170; ferner 272, 278, 303, 363.

Hemianästhesie , deren Elektrotherapie 381, 424, 459 ff.

Hemianopsie 305, 433.

Hemiatrophia facialis progressiva, Be- handlung 421.

Hemikranie, Behandlung 417; vergl. Migräne.

Hemiplegie 374; Elektrodiagnostik 378; Elektrotherapie 375, 376; Folgezu- stände derselben 381 ; deren Behand- lung 381, 382.

Hemmung am Multiplikator 124.

Henle 247.

Herabsetzung der elektrischen Erregbar- keit 283; Vorkommen, Bedeutung 284 ff.

Herz, elektrische Reizung desselben 339 ; Elektropunktur desselben 349.

Herzleiden , funktionelle und deren Be- handlung 444.

Hesse, v. 225.

Hexenschuss 439; Behandlung; siehe Lumbago.

Hinterstränge, Graue Degeneration 391, 392; siehe Tabes.

Hirschberg 429, 433.

Hirschmann 71, 210, 224, 228, 229, 235.

Hitzig 205, 227, 232, 272, 290, 3U8, 321, 325, 363, 380.

Hoedemaker (ten Gate) 249, 402.

Hörnerv," siehe Gehörnerv, N. acusticus.

Holst 352, 367, 417, 426.

Holtz'sche Influenzmaschine 18, 184, 461.

Homcn 379 (212).

Hornhauterkrankungen, Behandlung 346, 428.

Hübner, v. 419.

Hufeland 204.

Husten, bedingt durch Galvanisation am Nacken 330.

Hydrops Ascites 448.

Hydroelektrisirmasche (Armstrong's) 3.

Hydroelektrisches Bad 366 ff.

Hyperämie , des Gehirns , Rückenmarks, Augenhintergrund, deren Behandlung 377, 432.

Hyperästhesie des Hörnerven 309; nebst Modifikationen 309, 310; Elektrodia- gnostik 309; Therapie 434, 435 ff.; siehe ferner Neuralgien.

Hyperidrosis, Behandlung 456.

Hypertrophie, der Muskeln vgl. Pseudo- hypertrophie 39 1 ; der Prostata 457.

Hypopyon, Behandlung 346, 428.

Hypothenar, Muskeln desselben und deren Reizung 252.

Hysterie, Behandlung 423, 424, 459 ff.

I. J.

Jallabert 203.

Jansen 171.

Ikterus 448.

Ileus, Behandlung 446, 447.

Impotenz, Behandlung 451.

Inconstanz der Kette 40.

Incontinentia alvi 447; urinae 449; Behandlung, ebenda.

Indifferente Punkte 261.

Indirekte Reizung der Muskeln 240; katalytische Wirkungen des Stroms 336, 358.

Induktion 94; Ströme durch Bewegung von Leitern 95; durch Schliessung und Oeffnung 96 ; durch Bewegung von Magneten 101; zeitlicher Verlauf 111 ; Apparate 108, 208, 210.

Induktionskonstante 1U7.

Induktorium 97.

Influenz 12, 13.

Influenzmaschinen 18, 184, 461, 465; Anwendung derselben 184, 461 ft\

Innere Anordnung bei Acusticusreizung 306.

Innere Faradisation des Kehlkopfs 245, 442; Schlundes 244; Magens 338; Darms 339 ; der Blase 339 ; des Mast- darms 339: des Uterus 449 ff. Vgl. Kap. 26, 27.

Inspirationsmuskeln, deren Reizung 247, 259; siehe N. phrenicus.

Insuffizienz der Augenmuskeln, deren Behandlung 431.

Intensität des Stromes 51 ; Bestimmung derselben 147, 150.

Intercostalmuskeln , deren Reizung 259.

Intercostalneuralgie, Behandlung 411.

Intraauriculäre Galvanisation 236.

Intrabuccale Faradisation, Galvanisation 244.

Intralaryngeale Faradisation, Galvanisa- tion 245.

Intramuskuläre Reizung 240.

Intraocularer Druck, Einwirkung des galvanischen Stroms auf denselben 305,

Intrapharyngeale Reizung 244.

512

Namen- und Sachregister.

Intratubale Reizung 300, 311.

Invagination des Darms, Behandlung 447.

Jod, kataphorische Einleitung in den Körper 194, 357.

Jodkalium, Elektrolyse zur Polbestim- mung 181, 214; Einführung in den Körper durch den galv. Strom 357.

Jeffrey 440.

Jolly 280, 336, 380.

Ionen 38.

Iris, Erregbarkeit derselben 333, 335, 431.

Irritabilität der Muskeln 295.

Irrsinn, vgl. Geisteskrankheiten.

Ischias, Behandlung 412.

Ischuria, Behandlung 449.

Ishewsky 368.

Isoelektrische Kurven und Flächen 141.

Isofaradische Reaktion der Muskeln 301.

Isogalvanische Muskelreaktion 301.

Isolatoren 5.

Isolirte Erregung einzelner Nerven und Muslveln 240 ff.; siehe lokalisirte Elek- trisation.

K.

Kapillarelektrometer 134.

Käst 296.

Katalytische Strorawirkungen 356 ff. ; indirekte 334, 358; des faradischen Stroms 345.

Kataphorische Stromwirkungen 194, 356, 357.

Katarakt 429; Behandlung.

Katelektrotonus 265; beim Menschen 276; negative Modifikation 277; Ver- wertung in der Therapie 354.

Katelektrotonische Zone 271.

Kathode 38 ; Unterschied von der Anode 214; elektrolytische Wirkungen 38 ; therapeutische Verwertung 354, 355, 359, 369 ff.

Kathodenöffnungszuckung 269.

Kathodenschliessungstetanus 268.

Kathodenschliessungszuckung 268.

Kation 38.

Katyschew 335, 436.

Kaumuskeln, Erregung derselben 244.

Kehlkopfmuskeln, elektrische Reizung 245; Lähmung 441 ; Behandlung 442.

Keiser's (und Schmidt's) Leclanche- Batterie 230.

Keown, Mac 433.

Keratitis, siehe Hornhautentzündung.

Kette, einfache 30, 31 ; zusammengesetzte 32; konstante 42; Daniell'sche 42; Grove'sche 43; Bunsen'sche 44; Mei- dinger'sche 44 ; Siemens u. Halske'sche 44, 211, 212; Leclanche 44; Gre-

net'sche 45; Warren de la Rue und MüllerCPincus'jsche 47 ; Wahl der Ketten 68, 239.

Kienmayer's Amalgam 14.

Kinderlähmung, akute spinale (atro- phische) 383, 384; Elektrodiagnostik 298, 384; Behandlung 385.

Kirchhoff'sche (Formeln) 78, 93.

Klangsensation durch galv. Reiz. 307.

Klavierspielerkrampf 407; Behandlung 407.

Klein 333.

Kleist'sche Flasche 14, 17.

Klemmschrauben 65.

Knallgas 39.

Knallgasvoltameter 39.

Knapp 429".

Kniescheibenzone (elektrok. Sensib.) 315.

Knight 461.

KöUiker 320 (136).

Kolik, Behandlung 415.

Kombination der Elemente 64.

Kommutatoren 114; siehe Stromwender.

Kompensation der Ablenkung durch die Drahtmassen 1 23 ; elektromotorischer Kräfte 143; des Erdmagnetismus bei Spiegel -Tangentenbussolen 131; der Thermoströme 169, 170.

Kondensator 15 (Volta's).

Konduktor 14, 463.

Konstante Ketten, siehe Ketten.

Konstanter Strom, Anwendung in der Therapie 185; vgl. galvanischer Strom Galvanisation.

Kontaktelektrizität 28.

Kontaktströme 30.

Konvulsible Reaktion 300.

Kopf, Erscheinungen bei der Galvanisa- tion desselben 325 ff.

Kopfschmerz, Behandlung 4 15 ff.

Kotbrechen, vgl. Ileus 446.

Kotstauung, Behandlung 447.

Krafft-Ebing, v. 290.

Krampf zustände, Anwendung des galva- nischen Stroms für Behandlung der- selben 355 ; des faradischen Stroms 351 ; Druck- (Schmerz-) Punkte bei solchen 404; epileptische Zustände, Behandlung 422; hysterische Krämpfe, Behandlung 423; Krampf der Gefässe (vasomotorische Neurose), Behandlung 417, 420; Beschäftigungskrärapfe 407; Facialiskrampf 405 ; Accessoriuskrarapf 405; Inspirationskrampf 406 ; Elektro- diagnostik bei diesen Zuständen 404; vgl. übrigens die einzelnen Nerven, Muskeln, Organe.

Kratzenstein 203.

Krauspe 336.

Kreisrheochord 145.

Namen- und Sachregister.

513

Kropf, elektrotherap. Behandlung 457.

Krückenlähmung 401, 477.

Krüger, R. 107, 208, 209, 210, 228,

235, 316. Kuchen (Harz) zum Elektrophor 19. Künstliche Frühgehurt, Erregung solcher

auf elektr. Wege 455. Kugeldämpfer 133. Kupferpol 31. Kupfervoltameter 39, 40. Kurbelrheostat 216. Kurven: Strömungsk. 92, 140; Span-

nungs- oder isoelektrische Kurven 141. Kurz 448. Kussmaul 408, 445.

L.

Labile Behandlungsmethode 364.

Lackmuspapier zur Polbestimmung 215.

Ladung der Kleist'schen Flasche 17.

Lähmung: Elektrodiagnostik und Be- handlung im Allgemeinen 342, 343, 355, 358; cerebrale 374; spinale 383, 482 ff ; peripherische 397; trauma- tische 401; neuritische 413: vaso- motorische 417, 418; nach akuten Krankheiten 395, 396; nach Infek- tionskrankheiten 396; in Folge chro- nischer Vergiftungen 387, 396, 485; der Sinnesnerven 428 ff. ; vgl. übrigens die einzelnen Nerven, Muskeln, Organe.

Lageveränderungen der Gebärmutter, deren elektrother. Behandl. 454.

Landolt 459.

Lane's Maassflasche 25.

Lannois 420.

Lateralsklerose, amyotrophische, Elektro- diagnostik 394; Therapie 394.

Leber, elektrische Reizung derselben 448.

Leclanche Element, Kette 44.

Leegard 284, 300.

Le Fort, Leon 370, 428.

Legres 205 (19), 327, 409, 457.

Lehr 370.

Leiter der Elektrizität 5.

Leiter's endoskopische Apparate 200.

Leitungsdrähte 65, 241.

Leitungsvermögen 56; der Metalle 58; der Flüssigkeiten 58 , 59 ; Abhängig- keit von der Temperatur 59 ; tierischer Teile 190.

Leitungswiderstand, siehe Widerstand.

Lessing's Modifikation des Leelanche- Elements 71.

Letourneau 327.

Leube 338, 423, 445.

Leyden 314.

Leydener Flasche 17.

Uospiitlial n. B e r II lia rdt, Elektvizitiitslelire

Linse, Erkrankungen derselben und Elek- trotherapie 429.

Lippmann's Kapillarelektrometer 134.

Löwenfeld 327, 330, 344, 360 (396), 375, 393, 406, 419, 426.

Lokalisirte Elektrisation 92 ; Faradisa- tion 240.

Lucae's Ohrelektrode 236.

Luchsinger 287.

Lückenreaktion 300.

Lumbago 439.

Lungen , Elektrophysiologie derselben 338; Behandlung deren Krankheiten 443.

Luys 459.

Lymphdrüsengeschwülste , Behandlung 457.

M.

Maasseinheiten, elektrische 57, 58.

Maassfiasche 25.

Mackenzie 455. "'

Mader 448.

Magen, Elektrisation desselben 338 ; Elek- trophysiologie desselben 338 , 339 ; Krankheiten desselben und Behand- lung 346, 444, 445.

Magnetapplikation bei Hysterischen 460.

Magnetelektromotor 106; Helmholtz'sche Anordnung an ihm HO.

Magnetnadel, Ablenkung derselben durch den Strom 52; astatisches Magnet- nadelpaar 120; freiwillige Ablenkung desselben 121.

Magneto - Elektrische Rotationsapparate 114.

Magnus 103.

Maienfisch 352.

Mann 453.

Maschine, Holtz'sche Influenz 18, 461, 465; Saxton'sche oder magneto- elek- trische 114; Siemens dynamoelektrische 117.

Massage, elektrische 352, 353.

Mastdarm, Elektrisation desselben 339; elektrotherapeutische Maassnahmen an ihm 447.

Mastodynie, Behandlung 412.

Mauduyt 203.

Mayer, N. 370.

Mechanische Erregbarkeit der Muskeln (Steigerung ders.) 292.

Medulla oblongata, Wirkung elektrischer Ströme auf diese 331, 336.

Meidinger'sche Kette 44.

Melancholie, elektrotherapeutische Be- handlung 380, 381. Melloni's Thermosäulc 163. Mendel 380, 409. III. All«. 33

514

Namen- und Sachregister.

Menge der Elektrizität, Messung der- selben 57, 58.

Meningitis spinalis, Behandlung 395.

Menorrhagie, Behandlung 453, 454.

Menstruation, Wirkung der Elektrizität auf solche 453, 464 ; Störungen solcher, Behandlung 453, 454, 464.

Messung von Widerständen 54, 57, 58, 88, 263; elektromotorischer Kräfte 147; der Stromstärke 52, 53; kurz- dauernder Ströme 150; kleiner Zeiten 151; von Temperaturen 169; der Absorption von Wärmestrahlen 171; veränderlicher Ströme 157.

Metalloskopie 458 ff.

Metallotherapie 458 ff.

Metritis, Behandlung 454.

Metrorrhagie, Behandlung 455.

Meyer, M. 203, 204, 208, 209, 232, 294, 312, 333, 337 (167), 392, 419, 440, 445, 456, 457.

Middeldorpf, Galvanokaustik 194; Schneideschlinge 196.

Migräne, Behandlung 417.

Milchsekretion , Anomalien derselben, Behandlung 455.

Milliampere 126.

Milz, Reizungsmethode 448.

Milztumoren , elektrotherapeutische Be- handlung 448.

Minimale Zuckung (Elektrodiagnost.). 262.

Mitteilung der Elektrizität 5.

Mittelform der Lähmungen 295, 470.

Moderator 208 (des Stromes).

Modifizirende Wirkung des Stromes 276, 277, 278.

Modifikation der I<]rregbarkeit des Nerven 276; positive 276, 277; negative 276, 277.

Moebius 318, 352, 372, 416,426,452, 454.

Moeli 335, 431.

Moellendorf 417.

Moewig 231.

Monopolares (elektr.) Bad 369.

Morbus Basedowii, Behandlung 418, 419.

Moreau-Wolf 457.

Mosengeil 238.

Motorische Nerven, Stromwirkung auf solche 173, 261, 272; Veränderung deren Erregbarkeit durch den fara- dischen Strom 343; durch den galva- nischen Strom 275, 276 ; Reizung am lebenden Menschen 173, 261, 272; Degeneration derselben 291; Regene- ration derselben 291 ; Entartungsreak- tion 292; Erregbarkeitsprüfung durch den faradischen Strom 261 ; durch den galvanischen Strom 272; Läsionen der- selben 397 ff. ; Zuckungsgesetz der- selben am lebendenMenschen 267, 268 ff.

Motorische Punkte 180, 240 ff.

Motorische Zone (an der Hirnrinde) 405.

Moxe, elektrische 347.

Müller, Joh. 303 (111).

Müller (Graz) 225, 299 (100), 301 (107), 386 (100).

Müller'scher Muskel (Sympath.) 333.

Multii)le Sklerose, elektrotherapeutische Behandlung 395.

Multiplikator 36, 123; seine Graduirung 124; Thermomultiplikator 165.

Munk, H. 357.

Muskeln, Wirkung des Stromes auf diese 174, 179, 280; isolirte Erregung 175 ; elektrische Reizung der einzelnen Muskeln siehe § 100-105, S. 241 bis 261.

Muskelatrophie aus luaktivität 343; bei Gelenk- und Knochenleiden 343; bei Gehirn- 377 ; bei Rückenmarkskrank- heiten 384, 390; elektrotherapeutische Behandlung, ebenda.

, progressive 389 ; elektrische Unter- suchungsergebnisse bei dieser 299, 390; diplegische Kontraktionen 337 ; Be- handlung 390, 486, 487.

Muskelerregbarkeit 174; faradische 174, 179; galvanische 280; Steigerung der- selben 284; Herabsetzung derselben 283; Qualitative Aenderungen der- selben 288.

Muskelhypertrophie 391 ; siehe ferner Pseudohypertrophie 39 1 .

Muskelrheumatismus, Behandlung 439.

Muskelsteifigkeit und M.- Hypertrophie 391.

Muskelunterbrecher 153.

Muskelzusammenziehung, zeitlicher Ver- lauf 153, 154; Wärraebildung bei derselben 169; Hervorbringung 27, 101, 172, 179.

Mydriasis, Behandlung 430, 431.

Myelasthenia 427.

Myelitis, akute 383 ; chronische Formen 386 ff. ; elektrische Erregbarkeitsver- hältnisse 383 ff. ; Behandlung Kap. 22.

Myelomeningitis 395.

Myotonia congenita 391; siehe Muskel- steifigkeit.

N.

Nachwirkungen des konstanten Stromes

276 ff. Nackenmuskeln, elektrische Reizung 260;

Krampf derselben, Behandlung 405. Nadeln zur Klektropunktur 192. Nadjeschda Suslowa 322. Narben, Galvanisation solcher 422. Nasenmuskeln, elektrische Reizung 243.

Namen- und Sachregister.

515

Nebeuapparate zur Ausübung der Elek- trotherapie 212, 231; Elektroden 49, 231 ff.; Leitungsschnüre 231 ; Galvano- meter 126, 223; Rheostat 88, 216.

Nebenschliessung 88 , 89 ; Anwendung bei Induktionsapparaten 208; Rheostat' in Nebenschluss 217; Bedeutung 89, 218, 219; Verwertung 219, 220.

Neftel 205 (20), 304, 323, 338, 362, 415, 429, 443, 445, 453.

Negative Elektrizität 1.

Negatives Metall 31.

Negative Modifikation nach Katelektro- tonus 276, 277; Nachweis beim leben- den Menschen 277, 278.

Negativer Pol 31 ; Erkennung desselben 181, 209, 214; seine stärkere Wir- kung bei der Muskelerregung 181 ; bei Erregung sensibler Nerven 355.

Nerven, Wirkung des Stromes auf diese 172 ff.; 240 ff.

Nervenerregbarkeit 261, 272; vgl. unter motorische, sensible, Sinnes-, vasomo- torische, trophische Nerven.

Nervenkrankheiten, Kap. 21ff. ; vgl. unter Gehirn-, Rückenmarkskrank- heiten; ferner Krankh. periph. N. etc.

Nervenschwäche 426; siehe Neurasthenie.

Nervus abducens, Lähmung, Behandlung 430, 489.

accessorius, Reizung desselben 246; Krampfzustände 405 ; Lähmungszu- stände 400.

acusticus , l'^lektrophysiologie 305 ; bei Krankheiten desselben 309; Be- handlung 434; siehe Gehörnerv, Gehör- organ.

auricularis posterior, elektrische Rei- zung 242.

axillaris, elektr. Erregung 249; Läh- mung desselben 401, 402.

Nn. cervicales, Neuralgien derselben, Be- handlung 411.

N. cruralis, Reizung desselben 255 ; Läh- mung 403; neuralgische Zustände 411.

dorsalis scapulae, elektr. Erreg. 247.

facialis, elektr. Reizung 241; vgl. Gesichtsmuskellähmung, Krampf etc.

(M.) frontalis, elektr. Erreg. 243. glossopharyngeus 313.

Nn. glutaei, elektr. Erreg. 256.

N. hypogiossus, elektr. Erreg. 244.

Nn. intercostales, Erregung 259; neural- gische Zustände derselben, Behand- lung 411.

N. ischiadicus, elektr. Erreg. 256; Läh- mung desselben 403; Neuralgien des- selben 412.

Nn. laryngei, elektr. Erreg. 245; Läh- mungszustände 441.

N. medianus, elektr. Erreg. 250; Läh- mung, Behandlung 401, 402.

musculo-cutaneus , elektr. Erregung 249; Lähmung 401, 402, 478.

obtui'atorius , elektrische Erregung; 2o6.

occipitalis, neuralgische Zustände, Behandlung 41 1.

oculomotorius, siehe Augenmuskel- lähmung 429, 430.

olfactorius, Elektrophysiologie 312.

opticus Elektrophysiologie 303; Elek- tropathologie 304; Erkrankungen des- selben 432ff. ; vgl. Gesichtssinn, Auge.

peroneus, elektr. Erreg. 258; Läh- mungszustände in seinem Gebiet 403, 4S0,^481.

phrenicus, elektr. Erregung 247, 339 ; behufs künstlicher Respiration 348; Zuckungsgesetz desselb. 339, 340.

radialis, elektr. Erreg. 252, 253; Lähmungszustände 401, 402, 474.

recurrens, elektr. Erregung 246 ; Läh- mung 441.

Nn. splanchnici, neuralgische Zustände in deren Bereich 415.

subscapulares 249.

N. suprascapularis 249, 402.

sympathicus, Elektrophysiologie des- selben 332, 335 ff. ; Lähmungszastände 418; Reizungszustände 418.

Nn. thoracici anteriores, elektr. Erreg. 249; thor. longus 248; Reizung 248; Lähmung 400; posteriores, Reizung 247, 248.

N. tibialis, elektr. Erreg. 259; Lähmungs- zustände in seinem Gebiet 403.

trigeminus . Neuralgien , Behandlung 409 : Krampfzustände 405 ; Lähmungen 400.

trochlearis 430, 431; vgl. Augen- muskelnerven, -lähmung.

ulnaris, elektr. Erreg. 252; Lähmung 401, 478.

vagus, elektr. Erreg. 247.

Neumann 205, 291, 292, 294, 452.

Neuralgien, Allgemeines über deren Be- handlung 350, 355, 4(19; des Trige- minus 409, 410; der Cervico-Occipital- nerven 411; der Interc'ostalnerven 411; Neuralgia lumbo-abdominalis 411; cru- ralis 411; obturatoria 411; des N. ischiadicus 412; vgl. Coccygodynie, Mastodynie 412; der Gelenke 414; viscerale Neuralgien 415; vgl. ferner die einzelnen Nerven, die einzelnen Organe.

Neurasthenia 426; cerebralis 426; spi- nalis 427; Behandlung 427; vgl. Cere- brasthenie, Myelasthenie.

516

Namen- und Sacliresisler.

Neuritis 413; elektrische Erregbarkeits- verhältnisse 413; Behandlung der- selben 413; optica, Behandlung 432; vgl. die einzelnen Nerven.

Neuroretinitis, Behandlung 432.

Neurosen, funktionelle 422; vasomoto- rische 420; trophische 421, Behand- lung 420 ff.

Neutralelektrischer Zustand 1.

Nichtleiter 5.

Nicht prismatische Leiter 91, 138.

Nobili's astatisches Nadelpaar 121.

Noe's Thermo-Stern-Säule 163, 164.

Normalformel (Brenner's) für das elektr. Verhalten der motor. Nerven 268, 269 ; des Acusticus 308.

Nothnagel 323, 335, 421.

Noyes 429.

0.

Oberarm, elektr. Reizung der Muskeln desselben 249, 250; elektrokutane Sensibilität 315.

Oberextremitätenlähmung 401, 402; vgl. Armlähmung, Radialislähmung, Läh- mung durch Krückendruck, nach Luxa- tionen.

Oberfläche, elektromotorische 141.

Oberschenkel, Muskeln und Nerven, deren elektr. Reizung 255 , 257 ; elektro- kutane Sensibilität 315.

Oberschenkelzone 315.

Obstruction 446 ; (vgl. Stuhlverstopfung) Behandlung 446, 447. .

Oeffnung des Stromes 34.

Oeffnungsinduktionsstrom 103; physio- logische Wirkung 103, 113; zeitlicher Verlauf 109.

Oeffnungstetanus (Anoden-) 408.

Oeffnungszuckung 268; Anoden- 268; Kathoden 269.

Oesophagus, elektr. Reizung desselben 234.

Offne Kette 30; Spannung an den Polen 32.

Ohm (Einheit des Widerstandes) 5".

Ohm'sches Gesetz 54.

Ohr, siehe Gehör, Gehörorgan, N acustic.

Ohrelektroden 235, 236.

Ohrenkrankheiten, elektrotherapeutische Behandlung 434 ff.

Ohrensausen, elektrotherapeutische Be- handlung 435.

Ohrmuschelmuskeln , elektr. Erregung derselben 242, 243.

Ohrmuskeln , des Mittelohrs , elektrische Erregung 311, 436.

Olfactorius, vgl. N. olfact.

Onimus 205 (19), 294, 327, 330, 349, 360, 409. 428, 457.

Opticus, vgl. N. optic. Orchitis, elektrotherap. Behandlung 457. Organe, innere, deren elektr. Reizung 338 ff.

Paalzow, Widerstand von Schwefelsäure- mischungen 59. Paradoxe Reaktion des N. acusticus 309, 434, 435.

Paralysis vgl. Lähmung; agitans, Be- handlung 425.

Paramyoclonus multiplex 406.

Partielle Entartungsreaktion 295 ; mit indirekter Zuckungsträgheit 297.

Paul, C. 366, 425.

Pentzoldt'sche Elektrode 236, 237.

Perkutane Elektrisation der Kehlkopfs- muskeln 245; des Sympathikus 335.

Peripolare Zonen 271, 277.

Peripherische Behandlung bei Krank- heiten des Gehirns 377; des Rücken- marks 385, 389, 393 ff.

Peripherische Lähmungen 282; deren elektrotherap. Behandlung 397 ff.

Pes anserinus, elektr. Reizung 243.

Peters 391.

Petrone 391.

Peyrani 335.

Pfaff 204.

Pflüger 205, 266, 322.

Pharynx, elektr. Reizung 244 ; Lähmung der Phar.- Muskulatur, BehandL 395.

Physikalische Wirkungen des galvani- schen Stroms 191, 357.

Pierson 205.

Pincus'sche Kette 47; Batterie 231.

Pinsel, elektrischer 178, 238; faradischer 238 , 347 : galvanischer 215; Anwen- dung 215^ 318.

P. Place 48.

Plexus, Nerven-Muskelstrom 364.

Plexus brachialis, elektr. Erregung 247 ; Lähmungen desselben 402, 479.

Poggendorff's Spannungsreihe 30.

Pohl'sche Wippe 66.

Points d'election 180, 240.

Points douloureux, vgl. unter Druck- punkte, Schmerzpunkte.

Pol, positiver, negativer 31; Unterschei- dung desselben beim Induktionsstrom 181, 209; beim galvan. Strom 214.

Polare Methode bei der Galvanisation 186, 362; P: Untersuchungsmethoden am lebenden Menschen 186, 267; Ge- schichtliches 362.

Polarisation 41 ; innere 50; an der Grenze ungleichartiger Elektrolyte 48, 189.

Namen- unrl Sachregister.

517

Polarisationsströme 41.

Poliomyelitis antica (acuta) 383; Elek- trodiagnostisches 298, 299, 384 ; Elek- trotherapie 385; chronica, Elektro- therapie 386, 387.

Pollutionen, elektrotherap. Behandlung 452.

Polyarthritis 439 ; siehe Gelenkrheuma- tismus (akuter).

Popow 448.

Positive(s) Metall 31 ; (r) Pol 31 : Elek- trizität 1 ; Anwendung des positiven Pols 355 ; Unterscheidung vom nega- tiven 181, 209, 214; positive Modifi- kation der Erregbarkeit 276, 277.

Primäre Erregbarkeit (Brcnner's) 276.

Primäre Spirale (Rolle) 97 ; Extrastrom derselben 99 ; Einfluss derselben auf den Verlauf der sekundären Ströme 103, 110; Anwendung für Muskel- erregung 182, 207 ; Etwaige Differenzen in der Wirkung von der sekundärer Ströme 290 ; Möglichkeit der Regulirung seiner Stärke durch den Rheostat 208.

Princip der elektromotorischen Oberfläche 141.

der Superposition elektromotorischer Kräfte 142.

Prismatische Leiter 77.

Probekügelchen 7.

Prognoseustellung mittelst der clektro- diagnostischen Untersuchung bei Läh- mungen 398, 399.

Progressive Bulbärparalyse 379; Muskel- atrophie 389, 487; halbseitige Ge- sichtsatrophie 421.

Prolapsus ani, Behandlung 447.

Prostatakrankheiten, Behandlung 457.

Przewoski 334.

Pseudohypertrophie der Muskeln, Elek- trodiagnostik 391; Behandlung 391, 488. Psychosen, Elektrotherapie 350, 380, 381.

Puls, Beeinflussung desselben durch Sympathikus-Galvanisation 333.

Punkte, motorische 240 ; Druck-(Schmerz-) Punkte und ihre Wichtigkeit für die Elektrotherapie 350, 355, 392, 404, 409, 423 etc.

Pupille, Wirkung elektr. Ströme auf solche 333, 431 : Verhalten bei Sympa- thikusreizung 333, 334, 335.

Purkinje 303 (111).

Quadrantelektrometer (Thomsen's) 9. Qualitative 285, Quantitative 283, Er- regbarkeitsveränderungen 282 fi".

Rachen, vgl. Pharynx.

Ranke 330, 360, 409.

Ranvier 296.

Raynaud 420.

Reaktion, Lückenreaktion 300: convul- sible 300; der Erschöpfbarkeit 300; paradoxe des (nicht armirten) Ohres 309, 434.

Recto-uterine, vesicale Elektrisation 454.

Reflektorische Wirkungen des elektr. Stromes 336, 337, 344, 348, 349.

Regeneration der Muskeln und Nerven 291, 292.

Regnard 459.

Regnauld's unpolarisirbare Kombination 49.

Reibungselektrizität 2.

Reibzeug 14.

Reiniger 46, 229, 238.

Reizbarkeit des Gehirns 324 ff. ; des Rückenmarks 329 ff.

Reizung, elektrische, vgl. Erregung.

Remak, R. (Vater) 180, 205, 240, 294, 320, 337, 345, 351, 354, 362, 404, 440, 457.

Remak, E. (Sohn) 205, 208, 221, 224, 225, 227, 275, 276, 296, 299 (100), 299 (101), 301 (106), 386 (100), 401, 402.

Respiration, künstliche, durch Elektrizität 348.

Respirationsmuskel -Krampf 406; Läh- mung 348, 400.

Retina, Elektrophysiologie 303 ; Elektro- pathologie 304, 305; Erkrankungen derselben und Behandlung 305, 432.

Retinitis, Behandlung 432.

Retino-Chorioiditis, Behandlung 432.

Reynolds 205 (19), 432.

Rheochord 60, 80 ; von du Bois-Reymond 81; einsaitiges 83; kreisförmiges von du Bois-R. 84; Benutzung zu Wider- standsmessungen 86, 87; zur Messung elektromotorischer Kräfte 147 ff.

Rheoscop (physiologisches) 119.

Rheostat vonWheatstone 60; vonSiemens und Halske 61; Flüssigkeitsrheostate 89, 217: Einschaltung derselben in die Kette 216, 219; in den farad. Strom 208.

Rheotora 158.

Rheumatismus, akuter (der Gelenke) 439; chronischer 440; der Muskeln 439; rheumatische Lähmungen 397, 400.

Richter 446, 447.

Richtung des Stromes 23, 31, 181, 265, 364; der Induktionsströme 95; Be- ätimmung derselben 35, 124, 181, 214.

518

Namen- und Sachregister.

Riegel 33ß.

Ritter 303 (111), 312.

Rockwell 205 (20), 333, 351, 370, 42G, 465.

Rodolfi 428.

Rolle (primäre, sekundäre) 97; Abstand 207.

Roseiibach 423.

Rosentbal. J. 190, 205, 205 (19\ 279, 312, 313.

Rosentbal, M. 205, 299 (100), 304, 312, 348.

Rossbach 205, 246, 410, 448, 451.

Rotationsapparate , magneto - elektrische 116.

Rothe 454.

Rückenmark, Elektrophysiologie desselben 3-j;9if. ; Faradisation dess. 329; Galva- nisation desselben 329.

Rückenmarkskrankheiten 3^3; Elektro- diagnostik 384 ff. ; Elektrotherapie 384—390; vgl. unter Myelitis, Halb- seitenläsion , Poliomyelitis , Spinaler- krankung, Tabes -etc. etc.

Rückenmuskeln, elektr. Erregung der- selben 2r.0, 261.

Rückschlag 27.

Rumpf (Tb.) 295, 336, 344, 377, 432.

Rumpfmuskeln 259 (elektr. Reizung).

Rumpfzone (elektrokut. Sensib.) 314.

Runge 190, 227, 276.

S.

Salomon 298, 384.

Samt 276.

Saxton'sche Maschine 114.

Scarpari 446.

Schädel, Galvanisation durch denselben 324, 325.

Schäfer 444.

Scheintod, die Elektrizität als diagnosti- sches Mittel 349; Mittel zur Wieder- belebung 349.

Schiel 328.

Schiff 286, 460.

Schlafbefördernde Wirkung der Elektri- zität 380, 381.

Schlaf(druck)lähmung des N. radialis 401, 473, 474.

Schlagweite 25.

Schliessungsbogen 30; Stromrichtung in demselben 31.

Schliessungs- Induktionsstrom 96, 103; Verzögerung desselben 103; zeitlicher Verlauf 111.

Schliessungszuckungen 266.

Schliessungstetanus 268, 269.

Schlingbewegungen auf galvan. Wege ausgelöst 379.

Schlinglähmung, diphtherische, Behand- lung 395.

Schlitteninduktorium 105, 207.

Schlittenmagnetelektromotor 105.

Schlüssel 85.

Schlundmuskeln, deren elektr. Erregung 244.

Schmerzempfindlichlfeit für den elektr. Reiz, Prüfung 31.'i, 318.

Schmerzpunkte, Wichtigkeit für die elektrotherap. Behandl. bei Krampf- zuständen 404; Neuralgien 350, 355; Hysterie 424; Tabes 392.

Schmerzstillende Wirkung der elektr. Ströme 350, 355, 416, 417, 463.

Schmidt (u. Keiser) 230.

Schmidt (u. Eulenburg) 333.

Schmitz 444.

Schneideschlinge, galvanokaustische 196.

Schönbein 313.

Schreibekrampf, elektrotherap. Behandl. 406.

Schröder 448.

Schüttellähmung 425; siehe Paralysis agitans.

Schulter muskeln , elektr. Erreg. 247 bis 249.

Schulterzone (elektrokut. Sensib.) 314.

Schultze, Fr. 408.

Schulz 204.

Schwanda 184, 361, 461, 462.

Schweisssekretion,Hervorrufung derselben durch Galvan. des Sympath. 333; durch Elektrisation der peripherischen Nerven 456; Anomalien derselben 456, 457.

Schwellende Ströme 351, 405.

Schwere (peripherische) Lähmungen, Elek- trodiagnostik 285 ff.; Therapie 397, 398.

Schwerhörigkeit, elektrotherap. Behand- lung 311, 435.

Schwindel, Entstehung desselben durch Galvanisation 325, 326; Elektrophy- siologie 325, 326.

Sclerodermie, elektrother. Behandl. 421.

Sclerose laterale amyotrophique 394; Elektrodiagnostik 394; Elektrotherapie 394, 395; der Seitenstränge des Marks 394, multiple 395 ; der Hinterstränge 392.

Secretionen, Anomalien derselben, Be- handlung 455 ff.

Seeligmüller 205; S.'sche Elektrode für die Galvanisat. des Rückenmarks 237 : ferner 238, 296, 367, 391, 396, 402, 412, 418, 451.

Sehnerv, s. N. opticus, Gesichtssinn.

Seidel 425.

Seifert 423.

Seitenstrangsclerose 394.

Namen- und Sachregister.

519

Sekundärbatterien 41.

Sekundäre Ströme 4 1 ; vgl. ferner Induk- tionsströme.

Sekundäre Spirale (Rolle) 97.

Sekundär elektrolytische Wirkung 192.

Sekundäre Erregbarkeit (Brenner's) 276.

Sensibilität , elektrokutane 313, 314; elektromuskuläre 321; Prüfung der- selben 31 4 ff. ; für den galvan. Reiz 318.

Sensible Nerven, Erregung derselben 176, 177, 303, 314, 318; zu therapeutischen Zwecken 344, 347, 377, 393 ; Prüfung von deren Erregbarkeit 314 ; Zuckungs- gesetz derselben 322 ; elektrotonische Verhältnisse ders. 278.

Siemens: Widerstandseinheit 57; dyna- moelektrische Maschine 117; Anwen- dung zur Galvanokaustik 198 ; Glocken- magnet 133.

Siemens u. Halske: Modifikation der Danieirschen Kette 44, 211, 212; Rheostat 61, 88.

Sigrist 448.

Simpson 455.

Sinnesnerven 303; Erregung derselben 303 ff.; Elektrophysiologie 303; Elek- tropathologie 428 ff.

Sitzungen, bei einer elektrotherap. Kur 372; Dauer 373; Anzahl 372, 373.

Spalten von Geschwülsten 346, 457.

Spamer 61), 71.

Spamer'scher Induktionsapparat 210; konstante Batterie 228.

Spannung der Elektrizität 8; der Ketten- pole 30; im Schliessungsbogen 32, 33.

Spannungselektrizität , elektrotherapeut. Verwertung 461 ff.

Spannungskurven 141 ; Bestimmung der- selben 143.

Spannungsflächen 141.

Spannungsreihe: Volta'sche 29; Poggen- dorff'sche 30; thermoelektrische 160, 161. ,

Spannungsströme 461.

Spannweite des ableitenden Bogens 93, 138.

Spastische Spiuallähmung 394 ; Elektro- diagnostik 394 ; elektrotherap. Behand- lung 394.

Speichelsecretion 173.

Speiseröhre, vgl. Oesophagus.

Spermatorrhoe , elektrotherap. Behandl. 452.

Spezifischer (Leitungs-) Widerstand 56.

Spiegeltangentenbussole 129.

Spillmann 357.

Spinal Irritation, vgl. Neurasthenie.

Spinallähmungen, Elektrodiagnostik 298, 383; akute atrophische bei Kindern

298, 384, 482 ; bei Erwachsenen 299, 386, 483; chronische atrophische bei Kindern 387 ; bei Erwachsenen 386 ; spastische Sp. 394; Brown-Sequard'sche 395; vgl. Poliomyelitis etc.

Spirale (primäre, sekundäre), siehe Rolle.

Stabile Behandlungsmethode 364.

Statische Elektrizität 184, 203, 461; Anwendung bei Krankheiten 203, 461 ff.

Steigerung der elektr. Erregbarkeit 284, 285.

Stein 352, 353, 365, 366, 426, 446, 447, 462, 465.

Steiner 349.

Steinitz 445.

Sternsäule 164.

Stimmbandmuskulatur, elektr. Erregung 245, 246; Atonie ders. 442; Lähmung ders. 442; Krampf ders. 443.

Stimmgabel, elektr. 410.

Stirnzone (elektrokut. Sensib.) 314.

Stintzing 466, 469 (414).

Stöhrer 72, 114, 208, 225, 229, 233.

Stöpselrheostat 88.

Stolnikow 448.

Strom , elektrischer 2 1 ff. ; galvanischer 30; faradischer 94, 95ff. ; Richtung 95; Wirkung 23, 27, 173, 174ff.

Stromabstufung durch den Rheostat 89, 220, 467.

Stromdichte 75; in unregelmässigen Lei- tern 92; ihre Wichtigkeit in Bezug auf die Erregung der Nerven und Muskeln 175, 186, 189, 274.

Stromkurven in nicht prismatischen Lei- tern 90, 91; ferner 140.

Stromlauf 217ff.

Strom(es)richtung 31; aufsteigend 264, 367; absteigend 264, 364: der Induk- tionsströme 95.

Stromschwankung 274, 308.

Stromstärke 51, 58; Messung ders. 53, 107, 128, 147, 150, 225.

Stromverteilung in nicht prismatischen Leitern 91, 92.

Stromverzweigung 77.

Stromwähler 213.

Stromwender 66, 67, 214.

Stromwendung, elektrodiagnostische und elektrotherap. Bedeutung 279.

Strümpell 391.

Struma, Behandlung 457.

Stuhlverstopfung, elektrotherap. Behandl. 346, 446.

Stupor 350, 380, 381; (vgl. Psychosen) Behandl.

Sulzer 312.

Superposition elektromotorischer Kräfte 142.

Supraclavicularpunkt (Krb\s) 21'.».

520

Namen- und Sachregister.

Svetlin 333.

Sycianko 361.

Sympathikus , Galvanisation desselben 332 ff. ; Elektrophysiologie 333 ft\ ; Elek- trodiagnostik , Methoden 333 ; vgl. N. sympath.

Szpilinan 287.

T.

Tabes B92 ; Erregbarkeitsverhältnisse bei dieser 392 ; elektrokutane Sensibilität bei dieser 393 ; Behandlung derselben 392, und ihrer einzelnen Symptome 393.

Tangente des Ablenkungswinkels 53.

Tangentenbussole 53; mit Spiegelab- lesung 129.

Taschengalvanometer (Edelmann' s) 127, 226, 239.

Tascheninduktionsapparat 353.

Taubheit 435, 436, 489 ; vgl. Gehörnervs- Erkrankungen.-

Teilung des Stromes 77.

Teleangiectasien, Behandlung 194.

Telephon als physiol. Rheoskop 135.

Temperatursteigerung faradisirter Musk. 343 ; der Haut bei der Galvanisation 32 1 .

Terax^eraturbestimmung (absolute) 169.

Tertiäre Erregbarkeit (Brenner's) 276.

Tetanie, Elektrodiagnostik 408 ; Elektro- therapie 408.

Tetanus , Elektrotherapie 409 ; Beein- llussung des künstlich bei Tieren er- zeugten durch den galv. Strom 330, 409.

Thenarmuskeln , deren elektr. Erregung 251.

Theorie des Stromes 21, 32, 33; der Kette 54; der Elektrolyse nach Grott- hus 38; der Stromverteilung in un- regelmässigen Leitern 89 , 90 ; der elektromotor. Wirkung tierischer Teile 138; der isolirten Erregung einzelner Muskeln und Nerven 175 ff.

Therapeutische Verwendung der Elek- trizität 341, 354, 374 ff.

Thermoelektrizität 1 60.

Thermoelektrische Spannungsreihe 161, 162.

Thermoelemente 163.

Thermomultiplikator 165, 166.

Tliermonadeln 167.

Thermosäule 163.

Thermoströme 159.

Thomsen'sche Krankheit 391.

Thomson's Quadrantelektrometer 9.

Tic convulsif, Elektrotherapie 405.

Tic douloureux , elektrotherap. Behand- lunir 409.

Tigges 381.

Töpler's Influenzmaschine 18.

Torticollis, Behandlung 405.

Torpor des Hörnerven 311, 435; des Sehnerven 305, 432.

Trachom, elektrotherap. Behandlung 428.

Trägheit der Muskelzuckung (Entartungs- reaktion) 288.

Trägheitsmoment schwingender Magnet- stäbe 131.

Transportable Batterien 228.

Tremor, Behandlung 425; alkoholicus, mercurialis, senilis.

Tripier 453, 454.

Tröltsch 311, 436.

Trommelfell , Trübung , elektrotherap. Behandl. 434.

Trophische Neurosen 421.

Trousseau'sches Phänomen 408.

Trouve'sches Element 370.

Tscherbatscheff 304.

Tschiriew 316.

Tschulowski 448.

Tumoren, Behandl. durch elektr. Ströme 457.

u.

Uebererregbarkeit degenerirter Muskeln

288. Ulcerationen, elektrotherap. Behandlung

457, 458. Umgekehrtes Verfahren (Elektrostatik)

463. Umkehr der Normalformel des Acust. 31 1 ;

bei progressiver Muskelatrophie 300. Unbeständigkeit der Kette 40. Unelektrischer Zustand 1. Ungleichnamige Elektrizität 12. Unipolare Induktionswirkung 97, 113;

ihre Verhütung 98; Reizungsmethode

186, 267, 361. Unpolarisirbare Elektroden 49, 232. Unregelmässige Leiter 89, 90. Unterbrecher, selbsttätiger elektromagne- tischer 104; Muskelunterbrecher 155. Unterbrochener Strom , s. faradischer,

Induktionsstrom . Untere Extremitäten, deren elektrische

Reizung (Muskeln und Nerven) 255 ff. ;

Lähmung derselben 403, 481, 483;

Krampf derselben 405, 406. Unterschenkel, vgl. untere Extremität. Untersuchungsmethoden, Kap. XIV, XV ff. Unvollkommene Schliessung der Induk- tionsspiralen 98. Uspensky 330, 360. Uterus, elektr. Erregung desselben 235,

454; Lageveränderungen dess. 454;

deren elektrotherap. Behandl. 454,

Namen- und Sachregister.

521

T.

Vagus, vgl. N. vagus.

Valtat 370.

Vasomotorische Neurosen 420; Elektro- äiagnostik420,4"21 ; Elektrotherap.421.

Veränderliche Ströme 157.

Verbindung der Elemente, hinter, neben einander 63, 64.

Verdauungsorgane, elektr. Erreg, der- selben 338; elektrotherap. Behandl. von Krankheiten derselben 444.

Verhütung unipolarer Erregung 99.

Verlauf, zeitlicher, der Induktionsströme 111 ; der Muskelzusammenziehung 155.

Verteilung der Elektrizität 1 1 .

Vertikalgalvanoskop 125, 223.

Verzweigte Leitungen 77.

Vesico-uterine Elektrisation 454.

Vierordt 296, 402.

Vigouroux, P. 462.

Vigouroux, E. 289, 460, 462.

Violinspielerkrampf, elektrotherap. Be- handlung 406.

Virtuelle Elektroden 271, 277, 278.

Volt 57.

Volta 15, 27, 29, 203, 279, 303 (111).

Volta'sche Alternative 279; Kondensator 15; Pundamentalversuch 29; Span- nungsreihe 29.

Voltameter 39.

Voltolini 433.

Vorderarmrauskeln , deren elektr. Erre- gung 251 ff. ; Lähmung ders. 401 ff.

Vorfall des JVIastdarms, elektrotherap. Behandlung 447.

Voss'sche Influenzmaschine 461.

Vulpian 289, 344, 347, 350, 377, 420.

w.

Wachsmuth 379.

Wärmebildung bei Muskelzusammen- ziehung 169, 170, 343.

Wärmestrahlen 171; Absorption ders. 171.

Wagner's Hammer 101.

Wahl der Ketten 68, 182; für thera- peutische Zwecke 69, 239.

Wahlpunkte 240.

Waller 275, 277.

Wange, elektrokut. Sensibilität 314, 315.

Warren de la Rue's und Müller's Kette 47, 231.

AVasserzersetzung 37 : zur Erkennung der Pole 21-1.

de Watteville :^05 (20), 225, 271, 272, 275, 277, 279, 316, 363, 371.

Weber, W. 57.

Weber-Liel 436.

Weber's Elektrodynamometer 156.

Webster 429.

Weise 410.

Weisflog 346, 366, 368, 428.

Weiss (M.) 296, 420.

Weiss (N.) 226, 269, 408.

Weiss (u. Ziemssen) 294.

Wernicke 295.

Wesentlicher Widerstand 61.

Westphal 336, 391, 460.

Wheatstone's Ptheostat 60 ; Brücke 87.

Widerstand 54; der Metalle 58; der Flüssigkeiten 58, 59; Abhängigkeit von der Temperatur 59; des Körpers 190; der Epidermis 262.

Widerstandseinheit 57 ; spezifischer W. 56.

Widerstandsmessungen 86, 87, 190; am lebenden Menschen 190, 222, 262, 275.

Wiedemann : Spiegeltangentenbussole 129; thermoelektrische Messungen 160.

Wilhelm 357.

Winkelzellenbatterie 46, 229.

Wippe (Pohl'sche) 66.

Wirbelsäulenerkrankung 395; Schmerz- punkte an ihr 392, 423.

Wirkungen des Stromes 26, 27, 35, 37, 173, 174 ff.

Y.

Y-Form der Elektroden 238.

z.

Zech 205 (19), 224.

Zehenzune (elektrokut. Sensib.) 315.

Zeitlicher Verlauf der Induktionsströme

111; der Muskelzusammenziehung 155. Zeitmessung, elektrische löl. Zentralorgane d.Nervensystems 191, 324 ff. Zentrale Galvanisation 366, 375. 385 etc. Ziemssen, v. 180, 205, 225, 232, 240,

241 etc., 267, 294, 303, 320, 321, 324,

325, 329. 338, 339, 343, 348, 420,

423, 444. Zinkpol 3 i .

Zittern 425; vgl. Tremor. Zone, anelektrotonische , katelektroton.

271, 272. Zonen, elektrokut. Sensibilität 315. Zuekungsgesetz der Muskeln 280; der

motor. Nerven 266; der sensiblen N.

322 ; der motorischen Nerven am leben- den Menschen 267, 268 ff. Zungenbeinmuskiilatur, elektr. Erregung

243, 247. Zungenmuskulatur, elektr. Erregung 244. Zungeuzone (elektrokut. Sensib.) 314. Zusammengesetzte Kette 31. Zweigströme 75. Zwerchfell, elektr. Erregung 247, 348;

Lähmujio" 348, 400.

Gedruckt bei L. Schumacher in Berlin.

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