ALS RASSE UND
KULTURVOLK
F RIX Z KAHN
DIE JUDEN
Is R.asse und Kulturvolk
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Dritte durchgesehene Auflage
(6. bis 10. Tausend)
WELT-VERLAG * BERLIN
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COPYRIGHT 1920 BY WELT-VERLAG, BERLIN
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Bei dem Fallissement des Ancien regime sind nicht nur
Staaten gestürzt und Systeme; auch Weltanschauungen
und Ideale liegen wie gefallene Götzen zerschellt am Boden.
Und wen mit dem alten Europa mehr verbindet als der Besitz
entwerteter Staatspapiere, wer aus dem großen Konkurs des
19. Jahrhunderts auch geistige Kapitalien hinüberzuretten
hat in die neue Ära, muß auch diese der allgemeinen Neubilanz,
der von Nietzsche prophezeiten Umwertung aller Werte unter-
werfen. Auch die Judenfrage hat eine völlige Wendung und
Wandlung erfahren. Für die Nationalisten ist das Partei-
problem zu einer Aktion von weltpolitischer Bedeutung hinaus-
gewachsen. In der Bourgeoisie ist — ein Jericho-Rosen- Wunder! —
aus der Totenstarre des Indifferentismus eine Renaissance der
Jugend erblüht, die die ältere Generation, die so behaglich in
der Rühr-mich-nicht-an!- Stimmung hinlebte, halb mit Verdruß
und halb mit Bewunderung erfüllt. Und für die weiten Kreise
derer, für die die Judenfrage ,, überwunden" war, steht sie nun
plötzhch, dem totgeglaubten Manne gleich, der heimkehrt und
die Gattin in den Flitterwochen einer neuen Ehe überrascht,
als Ahasvergespenst an der Tür und schreckt durch ihr
Klopfen den ,, Emanzipierten", der drinnen mit seiner arischen
Schönen im Konkubinat des Europäertums lebt. So verschie-
den ihre Stellung und Motive, für sie alle ist die Judenfrage
aktuell geworden, und in ihnen allen ist der Wunsch wach nach
Wissen, nach einem Buch, das ohne Parteilichkeit über die
grundlegendsten Tatsachen und Probleme der jüdischen Rassen-
und Kulturgeschichte unterrichtet. Aus der Gewißheit, daß
ein solches bisher nicht existierte, ist diese Schrift entstanden,
um all denen, die in diesen Zeiten der Einkehr, Umkehr und
Abwehr sich ohne allzu große Opfer an Zeit und Lernensmühe
über die Juden als Rasse und Kulturvolk unterrichten
wollen, ein Lehr- und Wehrbuch zu sein.
Über den gleichen Stoff erschienen seit dem Jahre 1900 in
deutscher Sprache vier größere Schriften von den Autoren
Judt, Fishberg, Zollschan und Hertz. Die Bücher von Judt
„Die Juden als Rasse" und Fishberg „Die Rassenmerkmale
der Juden" befassen sich einzig mit der Anthropologie der
Juden; sie besitzen außer dem Verdienst, ein reiches Materiad
zusammengetragen und die Öffentlichkeit auf den Umfang
des Problemes hingewiesen zu haben, nur einen Wert: sie
demonstrieren, wie zwei Bearbeiter ein und denselben Stoff
zugunsten einer vorgefaßten Meinung einseitig ausbeuten und
dadurch mit dem gleichen Tatsachenmaterial als Unterlage
zu zwei diametral entgegengesetzten Endergebnissen gelangen
können. Beide Bearbeiter benutzen das historische und an-
thropologische Material nicht, um durch Untersuchungen zu
einem Resultat zu kommen, sondern um eine vorgefaßte Be-
hauptung zu beweisen. Sie zeigen die Wahrheit des Schiller-
schen Satzes, daß die Geschichte nur ein Magazin für di«
Phantasie ist, deren Stoff sich gefallen lassen muß, wozu wir
ihn unter unseren Händen verwenden. Judt kommt zu dem
Ergebnis: „Der Jude der Gegenwart bildet einen in hohem
Grade einheitlichen Typus ohne Rücksicht auf das geographische
Milieu und die Rassenmerkmale der Eingeborenen." Fishberg
dagegen zu dem umgekehrten Schluß, „daß die Rassentypus-
homogenität der Juden nichts als Mythe sei", und daß man
ebensowenig von einer jüdischen Rasse reden könne wie von
einer christlichen oder mohamedanischen.
Auf einem ungleich höheren Niveau als diese beiden Tendenz-
werke stehen die Bücher von Zollschan und Hertz. Das Zoll-
schan'sche Buch „Das Rassenproblem" ist die unzweifelhaft
gründlichste und gediegenste Spezialbearbeitung dieser Frage.
Es trägt im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Büchern
den Stempel vorurteilsfreier kritischer Forschung, leidet aber
an zwei großen Schwächen. Es ist erstens in einem Stil ge-
schrieben, der nur dem naturwissenschaftlich Vorgebildeten
ein Verständnis ermöglicht. Sodann ist der Stoff nicht syste-
matisch aufgebaut, sondern essayistisch in einzelnen losen Ka-
piteln behandelt, wodurch auf der einen Seite Wiederholungen
und Längen, auf der anderen empfindliche Lücken entstanden.
Die Materie selbst ist derart weit über das ganze Arbeits-
feld zerstreut, daß eine Orientierung sogar dem eingearbeiteten
Leser Schwierigkeiten bereitet.
Das Buch von Friedrich Hertz „Moderne Rassetheorien'*
vereinigt ebenfalls eine Folge von Essays, in denen der Ver-
fasser die modernen Rassetheorien, insbesondere Ghamber-
lains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts" und ihre Beziehungen
zum Judentum in fesselnder Form einer kritischen Analyse
unterzieht. Im Gegensatz zum Zollschan'schen Buche ist das
von Hertz in einem jedermann ansprechenden Stil geschrieben^
der das Interesse des Lesers vom ersten bis zum letzten Satze
wachhält. Das Hertz'sche Buch ist glänzend in der Kritik:
selten ward vor dem Forum der Wissenschaft über einen
Sünder ein so scharf Gericht gehalten wie hier von Hertz
über Chamberlain. Aber es ist ein Produkt des geistigen
Nihilismus vom Fin de siöcle. Es nimmt, aber es gibt nichts.
Es geht in der Bekämpfung der Rassenüberschätzung so
weit, daß es die Rassenfaktoren in der Kulturgeschichte
überhaupt leugnet und so mit dem Bad das Kind in die Gosse
schüttet. Am Ende steht der Leser trotz einer weit über den
Bedarf des Laien hinausgehenden Fülle von Tatsachen mit
leeren Händen da, von Irrtum befreit, doch nicht um Wahr-
heit bereichert. Durch die besonderen Kriegsumstände kam
mir das damals vergriffene Buch von Hertz erst nach der
ersten Niederschrift des Manuskriptes zu Gesicht. Ich fand
nun in diesem zehn Jahre älteren Werk einen Teil des von mir
mühsam zusammengesuchten polemischen Tatsachenmaterials
in oftmals wörtlich übereinstimmenden Zitaten und Anti-
thesen so mustergültig und meisterhaft bearbeitet, daß ich
mich zur Streichung der entsprechenden Partien veranlaßt sah,
zumal das Buch von Hertz unterdes in einer Neuauflage
unter dem Titel ,, Rasse und Kultur" erschienen war. Hier-
durch sind die polemischen Ausführungen gegen die Politisch-
anthropologische Schule, sind insbesondere die Gegenüber-
stellungen von arischen und semitischen Gesetzen, Religions-
urkunden, Dichtungen, sind die Antithesen semitischen und
römischen Rechtes, der jüdischen und griechischen Moral, der
semitischen und germanischen Treue usw. in Fortfall gekommen,
während in anderen Punkten das Hertz'sche Material zur Er-
gänzung des eigenen herangezogen wurde.
Schließlich erschien nach Abschluß meiner Arbeit von Con-
stantin Brunner, dem Schöpfer der „Lehre von den Geistigen
und vom Volke", eine umfangreiche Schrift über „Die Juden
und der Judenhaß", kein Buch, sondern eine 435 Seiten lange,
wie eine Rakete dahinsprühende Philippika gegen die Anti-
semiten Europas, ein zu immer neuen Dithyramben anschwellen-
der Panegyrikus auf die Juden, das Judentum und das Christen-
tum als die größte jüdische, als die größte menschheitliche,
ja als die. einzig große Menschheitstat der Geschichte. Der
stofflich reiche Inhalt konnte zu vorliegendem Text nicht mehr
herangezogen werden, sonst wäre gegen Brunners zwar für die
Juden äußerst schmeichelhafte, aber nichtsdestoweniger streng
abzulehnende Theorie von der Zentralstellung der jüdischen
Rasse und gegen gewisse andere mehr geistreiche als begrün-
dete Thesen Stellung genommen worden. Einige Aussprüche
aus dem Werke Brunners, die sich dem eigenen Text in erfreu-
licher Gedankenverwandtschaft harmonisch eingliedern, sind in
Anmerkungen beigefügt worden. Auch dieses temperament-
volle, vielfach allzu temperamentvolle und das Judentum allzu
schwärmerisch verherrlichende Buch, das freilich durch seinen
Götterdämmerungsstil nicht leicht zu lesen ist, sei all denen,
die weniger belehrt als überzeugt sein wollen, neben den Werken
von Zollschan und Hertz als Ergänzungslektüre warm empfohlen.
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N H A L T
Rasse ^^
Der Arier ^
Der Germane 27
Der Semit 79
Der Jude il^
Die Kultur der Juden 166
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R A S S E
AHe Entwicklung in der Natur strebt vom Allgemeinen zum Be-
sonderen, von der Homogenität zur Individualität. Aus dem
einförmigen Chaos der Urnebel bilden sich durch Zusammen-
ballung des Stoffes die verschiedenen Ursonnensysteme ; aus
der einförmigen Masse einer Ursonne die Planeten wechselnder
Größe und Lage ; aus der gleichförmigen Masse der Planetenkugei
sondern sich Zonen, Meere, Kontinente; aus der Gleichförmig-
keit eines Urkontinentes entwickeln sich durch geographische
Sonderheiten die verschiedenen Länder; innerhalb der Länder
die verschiedenen Landschaften und in jeder Landschaft wieder
durch chorographische Eigentümlichkeiten die einzelnen Land-
sehaftsbilder.
Die bestimmenden Faktoren für die Individualisation der
kosmischen Landschaft sind leicht zu übersehen. Es sind rein
mechanische Prinzipien: Größe, Alter, Sonnenabstand des
Planeten, Achsenstellung, Polbewegung, Rotationsgeschwindig-
keitj Temperaturabfall und die dadurch bedingten atmo-
sphärischen Vorgänge, Niederschläge, Winde, Land- und Meer-
verteilung, Golfströme, Vulkanismen u. dgl.
Genau die gleiche Entwicklung von der Homogenität zur
Individualität durchläuft in der zweiten Phase des Planeten-
lebens die nun entstehende organische Welt. Das hypothetische
Urgeschöpf der Erde war gewiß ein Lebewesen einfachster
Art ohne jegliche Differenzierung. Durch Zerstreuung über die
Mch gleichzeitig individualisierenden Landschaften, über Meere
und Kontinente, tropische und arktische Breiten, Ebenen und
Gebirge, wasserlose Wüsten und ewig feuchte Sümpfe, See-
strand und Tiefsee differenzierten sich die Urlebewesen. Durch
eine grundsätzlich verschiedene Art der Ausnutzung der irdischen
Kraftquellen entwickelten sich aus dem Mutterreich der Pro-
tisten nach der einen Seite die Tiere, nach der anderen die
Pflanzen; im Tierreich trennten sich durch konservative Bei-
behaltung der einzelligen Lebensführung die Einzeller von den
Genossenschaften der vielzelligen Tiere. Aus diesen wieder ent-
wickelten sich durch konservatives Verharren im Wasser die
heutigen Meerestiere und durch fortschrittliche Eroberung des
Festlandes die Landtiere; durch Ausbreitung über Steppen
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und Wüsten, Erklettern der Bäume und Flugsprung durch die
Lüfte entstanden aus den gemeinsamen Urformen Reptilien,
Vögel und Säuger. Die Säugetiere schieden sich wieder durch
Anpassung an die verschiedenen Elemente, Klimate, Land-
schaften und Ernährungsformen in die Wasser- und Land-
säugetiere, die Polar- und Tropenformen, die Steppen-, Wald-
und Hochgebirgstiere, die Erdwühler und die Baumkletterer,
die Raubtiere und Pflanzenfresser, die Insektenfresser, Aas-
fresser, Allesfresser u. s. w.
Innerhalb dieser einzelnen Gattungen schreitet die Indivi-
dualisation immer weiter fort. Aus dem Geschlecht der Ur-
katzen, die die allgemeinen Merkmale der Katzenart trugen,
aber noch in keiner Richtung spezialisiert waren, entwickelten
sich durch Trennung und Verschiedenheit der Lebensweise die
heutigen Vertreter des Katzengeschlechtes : der an den Wüsten
lebende wüstenfarbige Löwe, der in den Dschungeln Indiens
schleichende dschungelgrasartig gestreifte Tiger, die unter dem
grautrüben Himmel des Nordens in den Wäldern wildernde
baumgraue Wildkatze und die durch künstliche Zucht gezogenen
Arten der Hauskatze. Aus dem Urhund entwickelten sich
Schakal, Wolf, Fuchs, Hyäne und Hunderassen; aus dem Ur-
pferd Zebra, Esel, Wild- und Hauspferd, aus dessen Urformen
der Mensch wieder durch Domestikation die verschiedenen
Pferdearten züchtete.
Diese aus der ursprünglichen Gleichförmigkeit des Tier-
reiches durch gesonderte Lebensführung herangezüchteten Eigen-
arten, die sich durch den erblichen Gemeinbesitz ganz be-
stimmter, sie von allen anderen Wesen unterscheidender Merk-
male auszeichnen, nennt man Rassen. Durch die immer wiederr
holte Paarung der untereinander verwandten und gleich-
gearteten Individuen (Inzucht) stimmen die Angehörigen
reiner Rassen in charakteristischen Merkmalen physisch und
psychisch überein. Eine genaue Definition des Begriffes Rasse
gibt es nicht, weil man weder über die Prinzipien noch Ab-
grenzungen der Rassen im klaren ist. Der eine Forscher be-
trachtet als Rasse, was ein anderer nur als eine Spielart auffaßt,
und ein dritter leugnet den Begriff der Rasse überhaupt. So
schwanken beispielsweise die Angaben über die Zahl der Men-
schenrassen bei den verschiedenen Autoren zwischen drei und
mehr als hundert.
Die Unsicherheit, die in der Abgrenzung des Begriffes Rasse
unter den Zoologen besteht, ist unwesentlich gegenüber dem
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gewonnenen Ergebnis: Rassen sind keine Urschöpfungen
sondern Endprodukte; sie sind keine naturgegebenen und unver-
änderlichen Größen sondern Züchtungsergebnisse veränder-
licher Art, wobei es im Prinzip belanglos ist, ob sie ihre Ent-
stehung der Naturzucht verdanken oder künstlicher Züchtung.
Rassen, die heute noch nicht sind, tauchen morgen auf: Renn-
pferd und Haushund sind Spätprodukte der Kultur. Einmal
entstandene Rassen verändern sich : die Wildkatze des Urwaldes
sitzt heute als Angorakätzchen sittsam auf der seidenen Sessel-
lehne des Salons.
Die Faktoren, die im Naturleben die Züchtung neuer Rassen
veranlassen, sind im Grunde dieselben, die die Individualisation
der Landschaft bewirken: Element und Klima, Formation,
Wasserreichtum und historisches Schicksal. Die Summe dieser
Faktoren der Umwelt bezeichnet man mit einem kurzen Schlag-
wort als Milieu. Das Milieu ist bei der Rassenbildung der aus-
schlaggebende Faktor. Auf einer Steppe können sich keine
Klettertiere entwickeln wie die Affen; in einem Urwald keine
Renntiere wie das Pferd. Die Gemse, die in den Gefahren des
Hochgebirges lebt, muß mutig und flink sein — oder es werden,
das Schaf, das auf der ewig stillen Heide grast, verfällt dem
Stumpfsinn des Weideviehes.
Aber das Milieu ist bei dem aktiven Prozeß der Rassenbildung
nur die passive Matrize. Die Formung selbst vollzieht sich
im Geschöpf. Das Milieu stellt durch die Eigenart seiner Natur
an das in ihm lebende Geschöpf bestimmte Forderungen, und
dieses versucht sie zu erfüllen. Vermag es dieses nicht, so geht
es unter. Nur was sich anpaßt, wandelt, bleibt bestehen; alles
nicht Anpassungsfähige stirbt; als Folge hiervon bleiben aus
dem Urgemisch der Geschöpfe als die einzig Überlebenden
die zweckmäßig an das jeweilige Landschaftsbild Angepaßten
übrig — als Rasse. Dies ist in nuce die Mechanik der Rassen-
bildung.
Die Eiszeit bricht herein. Alle kälteuntüchtigenTiere gehen von
vornherein zugrunde. Die überlebenden kältetüchtigen sind ge-
mischtfarbig. Unter dem Einfluß des ewigen Schnees bleichen die
Farben der Felle und Federn. Die am stärksten bleichen, heben
sich am wenigsten ab von der Grundfarbe der Landschaft und
sind ihren Feinden am wenigsten sichtbar. Die nichtanpassungs-
fähigen dunklen heben sich ab und fallen Feinden und Jägern
zum Opfer und werden ausgerottet. Nur die hellfarbigen
überleben, paaren sich und erzeugen hellfarbigen Nachwuchs.
13
t
Aus der buntgemischten Urrasse hat sich durch Anpassung
und Auslese eine neue arktische Rasse hellfarbiger Tiere ent-
wickelt.
Bei der künstlichen Rassenbildung in der Kulturzucht wird
die züchtende Wirkung des Milieus weit überboten durch die
geschlechtliche Zuchtwahl. Durch die Ausschaltung minderwer-
tiger Nachkommen und zielbewußte Paarung hochwertiger
Individuen ist es gelungen, unzählige individuell aufs Feinste
differenzierte Rassen zu züchten. Unübersehbar ist die Zahl
der Hunde-, Katzen-, Hühner- und Taubenrassen mit ihren
spezialisierten Eigentümlichkeiten. Jedes Blumenschaufenster
ist ein blühendes Triumphbild der künstlichen Züchtung.
Der Einfluß der rassenbildenden Faktoren ist kein unbe-
schränkter; ihm ist eine Grenze gesetzt durch die Anpassungs-
fähigkeit des Individuums. Je vollkommener sich ein Geschöpf
einem Milieu angepaßt hat, um so geringer ist seine An-
passungsfähigkeit an ein neues. Das Lebewesen ist wie ein
Marmorblock; solange man noch nichts Bestimmtes gestaltet
hat, kann man daraus alles formen; je feiner eine bestimmte
Gestalt herausgemeißelt ist, um so geringer wird die Mög-
lichkeit, die gewonnene Figur zu verändern. Dem Urwesen
war alles möglich; es wurde Pflanze, Tier, Fisch und Vogel. Ein
Züchter mit unbeschränkten Mitteln der Zeit und Methoden
könnte heute die Schöpfung wiederholen und aus einem Stamm
von Amöben Rosen, Störche und Menschen züchten. Aber die
Schwalbe kann nicht mehr zurück ins Wasser; die Qualle nicht
mehr auf das Land. Ihnen haftet die Meisterschaft, aber auch
die Beschränktheit der Individualität an. Aus einem Kinde
kann noch alles werden; der Fertige ist nicht mehr umzumodeln.
Jede hochentwickelte Rasse ist spezifisch individualisiert und
damit einseitig festgelegt. Diese einmal erworbene und dann
erblich fest bewahrte Form der spezifischen Individualität ist
es, die im höheren naturwissenschaftlichen Sinn als Rasse be-
zeichnet wird. Sie ist es, die dem schwankenden Faktor Milieu
als das beharrliche Element der Entwicklung wie das hängende
Gewicht einer Uhr dem schwingenden Pendel entgegenwirkt.
Rasse und Milieu — das sind die beiden wie Sinus und Ko-
sinus sich zu einem Vollwert ergänzenden Faktoren, durch deren
Wechselgröße die Stellung eines Geschöpfes auf der Skala des
Lebens bestimmt wird.
Durch die höhere Bewertung des einen oder des anderen Fak-
tors scheiden sich die Rassenforscher in die Milieutheoretiker und
14
die Rassentheoretiker. Die Milieutheoretiker sprechen dem
Milieu, die Rassentheoretiker der einmal erworbenen spezifische«
»Rassenindividualität das Übergewicht zu; in ihren Extremem
leugnen sie überhaupt die Wirkung des anderen Faktor».
Dem Milieutheoretiker gilt die Rasse gar nichts und das Milie«
alles, dem Rassentheoretiker die Rasse alles und das Milieu nichts.
Das Nonplusultra in der Geringschätzung der Gegenpartei
erreicht der Rassentheoretiker Chamberlain, der von den Leug-
nern der spezifischen Rassenanlagen sagt, sie seien „fade, feil»
und ignorante Schwätzer, dem Völkerchaos entsprossene Sklaven-
seelen, denen einzig imUrbrei der Charakter- und Individualitäts-
losigkeit wohl zumute ist", und der durch diese Äußerung eine
im Dialekt der Wissenschaft ungewöhnliche Schroffheit und
stark persönlich zugespitzte Note des Urteils verrät. Beide
Anschauungen sind unendlich viel verfochten und angefochten^
die Milieutheorie als materialistisch, die Rassentheorie als
metaphysisch verfemt und schon zwanzigmal als überwunden
erklärt worden — und leben heute noch beide neben und mit-
einander, weil sie — beide wahr sind. Wahrheiten kann man nicht
totschlagen, auch wenn ihnen der Panzer des Beweises fehlt.
Daß die Wissenschaft sich bis heute unfähig erwiesen, auf der
einen Seite die Mechanik der Milieuanpassung klarzulegen, auf
der anderen Seite die spezifischen Kennzeichen der Rassen-
individualität zu formulieren, ist weder für noch gegen die
eine oder die andere Theorie ein Beweis. Die Wahrheit lebt,
auch wenn man sie nicht beweisen kann. Der Hagel fällt vom
Himmel — trotzdem die Meteorologen bis heute noch kein®
Hagel theorie gefunden haben.
Unter Anerkennung dieser allgemeinen Prinzipien der Ent-
wicklung von der Homogenität zur Individualität wird heute
von fast allen Forschern auch für den Menschen ein einheit-
licher Ursprung aus dem Reich der Affentiere angenommen. Geo-
graphisch nicht bestimmbar, aber gewiß in den damaligen Tropen
entwickelten sich aus den noch nicht einseitig spezialisierten
Uraffen wahrscheinlich infolge räumlicher Scheidung — Urwald
und Steppe — auf der einen Seite die Urformen der heutigen
Affen, auf der anderen die Vorfahren des heutigen Menschen-
geschlechts. Aus jenen gingen durch Anpassung an das Wald-
leben die kletternden Affen, aus diesen durch Anpassung an
das Steppenleben die aufrecht schreitenden Menschen hervor.
Der Urmensch trug die allgemeinen Merkmale des Menschen-
m
tums, ohne nach einer Richtung hin besonders scharf spezialisiert *
zu sein. Wahrscheinlich schon sehr früh breitete er sich über
die damals in den Äqiiatorzonen weithin zusammenhängenden^
Kontinente als menschliche Urrasse aus. Von diesem Urkontinent
löste sich als erstes Sondergebiet Australien und blieb bis auf
den heutigen Tag von allen anderen Erdteilen getrennt, so
daß sich hier die Urrasse, da weder Milieu Veränderungen noch
Mischungen mit anderen Rassen eintreten konnten, ohne er- f
hebliche Umgestaltung bis auf die Gegenwart erhalten «hat.
Die noch heute in spärlichen Resten auf Australien lebende
Menschenart hat in der Tat, im Gegensatz zu allen anderen hdhere^ '
und einseitig spezialisierten Rassen, die allgemeinen urmensch- *
liehen Merkmale in einer noch fast gar nicht differenzierten Form
beibehalten. Während beispielsweise die Haut der übrigen»
Rassen einseitig gedunkelt oder geblaßt oder gelb oder rot ge-
worden ist, besitzt die Haut der Australier jenen Mittelton, den
wir für die Urrasse theoretisch annehmen müssen, und zeigt voa-'
diesem nach beiden Seiten hin Abweichungen in einer Variations-'
breite, wie sie bei den hochstehenden, einseitig festgelegten
Rassen nicht mehr beobachtet werden. Das Haar, das beitden
Negern im Querschnitt rund, bei den Mongolen elliptisch ist,
trägt bei ihnen alle Formen und Übergangsformen des Quer-
schnittbildes. Die Australier sind, als der Urrasse nahestehend,
ein Menschentyp mit noch stark generellen und noch wenig
individuellen Zügen.
Aus dieser hypothetischen Urrasse haben sich die heutigen
Rassen in mehreren Ästen entwickelt: als asiatischer Zweig
die gelbe Rasse, als amerikanischer die rote, als afrikanischer
die schwarze, als europäischer die weiße. Während die schwarze,
rote und gelbe Rasse sich stark einseitig spezialisiert haben,
hat sich die weiße von der Mittellinie des Urtypus weniger ent-
fernt als vielmehr erhoben. Sie hat sich eine verhältnismäßig
größere Variationsbreite der Typen und dementsprechend stär-
kere Anpassungsfähigkeit an die verschiedenen geographischen
Milieus erhalten, was nicht zum wenigsten gerade ihr die bisherige
Superiorität über die drei anderen Speziairassen sicherte. Jugend-
licher, universaler, plastischer als die anderen, hat sie sich bis-
her auch schöpferischer und kulturfähiger erwiesen als jene.
Durch diese moderne Hypothese eines einstämmigen Ur-
sprungs und der allmählichen Entstehung der Menschenrassen
ist das ganze Rassenproblem revolutioniert worden. Wenn alle
Rassen aus einer Urrasse allmählich entstanden sind, dann hat,
16
• ^vie der bekannte Anthropologe v. Luschan hervorhebt, die-
[Frage nach der Zahl der menschlichen Rassen „ihre Berechtigung
verloren und ist jetzt mehr eine Frage philosophischer Speku-
lation als wissenschaftlicher Untersuchung geworden. Es ist
heute nicht wichtiger zu wissen, wie viele menschliche Rassen
€s gibt, als herauszufinden, wie viele Engel auf einer Nadelspitze
tanzen 'können. Unsere Aufgabe geht dahin zu erforschen,
wie die alten primitiven Rassen sich auseinanderbildeten und wie
diese Rassen sich änderten und entwickelten durch Wanderung
und Kreuzung." Linne ist überwunden, Darwin triumphiert. An
l^telle eines starren Systems der Menschenrassen ist das plastische
Problem ihrer Wandlung getreten. Aus dem doktrinären Begriff
ist ein entwicklungsmechanischer Terminus technicus geworden.
Menschenrasse ist kein Etikett, das ein Schöpfer oder Schick-
sal einem Typus aufgeklebt hat, daß er wie ein Spirituspräparat
in einer Naturaliensammhmg für alle Zeit signiert sei, es ist
kein Adels- und kein Paria-Stempel, der den Menschenrassen
aufgeprägt ist, um sie in ewig Verdammte und ewig Selige
zu scheiden; Rasse ist nicht mehr die chinesische Mauer,
die Völker für ewige Zeiten unübersteigbar trennt — „und
keine Brücke führt von Mensch zu Mensch" — Rasse ist
der Kollektivbegriff für die von einem Menschenzweig durch
Natur- und Kulturzucht zur Zeit erreichte Höhe und Art der
Individualisation. Von welcher Rasse bist du? heißt nicht:
Gehörst du zu den Auserwählten der Menschheit oder zu den
Ausgeschlossenen? sondern heißt: Wie weit hast du dich über
die Stufe der Urrasse durch das Schicksal deines Stammes und
Zucht deines Wesens erhoben, und in welcher Richtung hast
'4u die in dir schlummernden Fähigkeiten des Menschentums
zur Entfaltung gebracht? Bist du schwarz geworden unter der
Sonne Afrikas oder bist du gebleicht im Schneelicht des Nordens?
Gehörst du jenen Völkern an, die noch immer kindlich sorglos sich
in Tropenwäldern von Bananen nähren und um Fetische tanzen,
oder zu jenen Geschlechtern, die in alle Winde zogen und im
Kampfe mit den Elementen zu Eroberern und Erfindern wurden?
Rasse heißt: Was haben Schicksal und Wille aus dir geschaffen.^)
*) Es sei hier an die schöne Mischnasteile Sanhedrin IV erinnert:
„Es wurde e i n Mensch geschaffen um des Friedens in der menschlichen
Gesellschaft willen, damit nicht einer zum anderen sagen könne: Mein Vater
war vornehmer als der deine" — so wie jener Bettler Karl den Großen
angeredet haben soll mit „Bruder" und auf die erstaunte Frage des Kaisers
erwiderte: Sind wir nicht alle Brüder von Adam her?
-« Kahn, Die Juden. 17
Der moderne Rassenbegriff bezeichnet mehr einen erreichten-
Zustand als eine feste Daseinsform. Einen Zustand, der freilii^h
dauernd genug ist, um für die kurzfristige Geschichte der Völker
als stabiler Faktor „Rasse" in Rechnung gestellt zu werden.
Man kann die Quote Rasse nicht über Bord werfen wie den
Faktor Wohnsitz oder Glaube. Man kann seine Rasse, dieses
Ergebnis einer zehntausendjährigen Eigenzucht, nicht von einem
Tag zum anderen wechseln wie ein abgetragenes Kleid. Ein
Nigger wird kein Yankee, wenn er sich einen Stehkragen um-
legt und einen Similibrillanten in die Krawatte steckt ; ein Jude
kann durch Taufe Christ werden, aber nicht Germane. Jedoch*^
für die Riesenspanne der Naturgeschichte ist Rasse nur eilt
Werdestadium, das heute erreicht und morgen überschritten
wird. Könnten wir Jahrhunderte zu Sekunden zusammendrän- f^
gen, so sähen wir die Berge und Täler wogen, so „rasch" ändert
sich das Antlitz der Erde; mit diesem Jahrhundertblick sähen
wir auch die Rassen sich wandeln wie die Schmetterlinge 'ia
den Stunden ihrer Metamorphose. ^
Auch innerhalb der Menschheit ist der rassenbildende Faktor
das Milieu. Rasse ist Milieuprodukt. Alle heutigen Menschen-
rassen sind durch ihre Wechselschicksale in den verschiedenen
Milieus aus dem einen Urtyp des Australiers entstanden. Noch
heute könnte ein Züchter, ständen ihm die Jahrtausende zur
Verfügung, aus der australischen Rasse Neger, Mongolen, Weiße,
Indianer heranzüchten. Aber daß einst alle gleich gewesen und
jeder jedes hätte werden können, hebt den heutigen Unterschied
aicht auf; es mindert nicht den Wert dessen, der viel geworden,
und . eliminiert nicht die Minderwertigkeit jenes, der weniger
wurde. Jeder ward, wozu er sich schuf. Die Botokuden hätten
Venezianer werden können, wenn sich ihre Ahnen vor 50000 Jah-
ren statt am Yequitinhonha am Golfe von Venetien angesiedelt
hätten; vielleicht werden sie wie jene in 20 000 Jahren Handels-
fahrer und Meister des Pinsels. Heute sind sie Botokuden, und
es wäre wider allen Sinn, sie den Venezianern gleichzuachten
und mit den Töchtern der Patrizier vom Rialto zu vermählen.
Schickt der Züchter seinen Pointer auf die Promenade? Auch
die Bourbonrose blühte einst als Wildling auf der Heide; aber
heute ist sie die Königin des Treibhauses unter den tausend
Schwestern ihres Geschlechtes — sie ward es ; Milieu und Rein-
zucht haben sie zu einer Adelrasse erhoben.
Rasse ist Milieuprodukt. Der Eskimo im Polareis kann eben-
sowenig wie der Pygmäe unter der Sonne Zentralafrikas eine
18
Edelrasse werden: das Milieu verwehrt es ihnen. Aber das
Milieu allein schafft noch keine Rasse. Wie bei allem Gelingen
in der Natur müssen auch hier verschiedene Bedingungen in-
einandergreifend zusammenwirken.
1. Das Rassenmaterial muß wertig sein. Die Distel
trägt selbst im Treibhaus keine Feigen, Aber freilich, Wildlinge
waren ehedem selbst die erlesensten Früchte unserer Tafel.
2. Das Rassenmaterial muß jung und plastisch
sein; einseitig spezialisiert läßt es sich nicht mehr formen.
3. Rasse und Milieu müssen harmonieren. Eine
weichliche Rasse, durch das Schicksal in ein rauhes Klima ver-
setzt, geht zugrunde wie der Papagei, der in Europa an der
Schwindsucht stirbt. Eine kernige Rasse, in ein mildes Klima
gebracht, verweichlicht wie die Soldateska Hannibals in Ka-
pua. Das Milieu muß die passende Szenerie für die Gestalten
seiner Helden bilden. Die Goten und Vandalen gingen unter
der Sonne Spaniens und Afrikas rasch zugrunde. Die Ostpreußen
würden sich in der Sahara und umgekehrt die Beduinen an
der Wasserkante so grotesk ausnehmen, als träte Hedda Gabler
in dem Kostüm einer Walküre oder Wilhelm Teil zur Pfeil-
schußszene in einem Frack auf die Bühne. Wie bestimmend
selbst die verborgensten Eigentümlichkeiten des Milieus auf seine
Bewohner wirken, beweisen die Erfahrungen der Pflanzen- und
Tierzucht. Beispielsweise mußte der preußische Staat seine Ge-
stüte vonTrakehnen in die Gegenden von Hessen verlegen, weil
die Pferderassen wegen der Kalkarmut des Bodens im Norden
trotz aller sorglichen Zucht nicht zu vollem Wert gediehen. Jedes
Etikett einer Weinflasche ist mit seiner geographischen Signatur
ein documentum majestatis für das Milieu.
4. Die Rasse muß gezüchtet werden. Dauernde In-
zucht führt zur Einseitigkeit des Typus und Entartung. Wahl-
lose Mischung mit fremden Rassen endet mit der Verwischung
des Individualcharakters,
5. Inzucht und Mischung müssen in einem be-
stimmten Verhältnis zueinander stehen. Auf kurze
Perioden der Mischung müssen lange Epochen der Inzucht
folgen. Kreuzung zu Beginn, Inzucht in der Folge — das ist die
Zwei-Phasen-Genesis aller guten Rassen, Der arabische Hengst
wird mit der englischen Stute gekreuzt, die Bastarde werden
in sorgfältiger Inzucht und Auslese weitergepflanzt, arabisches
Blut wird nur spurweise zugesetzt — es entsteht das wertvolle
englische Halbblut. Nach dem gleichen Prinzip: Kreuzung zu
t* 19
Beginn, Inzucht in der Folge entstehen die großen Edekasscxi
des Menschengeschlechts. Junge barbarische Völker fallen in
Kulturgebiete ein und kreuzen sich mit dem unterworfenen
Kulturvolk. Oder umgekehrt: Kulturvölker besetzen die Wohn-
sitze von Naturstämmen und mischen sich mit den Eingeborenen
des Landes. So entstehen die Kulturvölker des babylonischen
Kreises durch den Zustrom von Beduinen in die Kulturgebiete
der Euphrat-Tigris-Ebene; so entstehen die Juden durch die Ein-
wanderung der beduinischen Hebräer in das amoritisch-hethi-
tische Kulturland Kanaan ; die Griechen durch die Einwanderung
der Dorier in die Kultursitze der Ägäer; die Römer durch die
Äneis der Latiner in das Land der Etrusker; die Franzosen durch
den Einfall der Franken, Goten und Burgunder in die römische
Kulturprovinz Gallien; die Engländer durch die Überfahrt
der Angeln, Sachsen, Dänen und Normannen in das Gebiet der
Iberer Britanniens; die Japaner durch die Vermischung der
chinesischen Eroberer mit der unterworfenen Urbevölkerung
der Aino-Inseln. So entsteht heute vor unseren Augen der wohl-
charakterisierte Rassentyp des Amerikaners durch eine Mischung
aller europäischen Rassen auf amerikanischem Boden.
6. Die Paarlinge müssen zueinanderpassen, wahre
„Gatten" sein. Sie dürfen nicht zu eng verwandt sein, weil sonst
der Reiz des fremden Blutes fehlt; sie dürfen nicht zu art-
verschieden sein, weil sonst kein harmonisch stabilisiertes Züch-
tungsgebilde entstehen kann. Das Mischprodukt der Kreuzung
zwischen Europäern und Negern ist von der Zeugungsstunde
an zum Bastard- und Bankertdasein verdammt.
7, DasMaß derMischung muß bestimmt sein. Ein
zu schwacher Zustrom versickert in dem Boden einer Rasse wie
ein Regenschauer in der Krume eines Ackers, ohne zu befruch-
ten; unaufhörlicher Zufluß hingegen bringt die Wurzeln zum
Faulen. Rasch und ergiebig wie ein Gewitterregen im Mai, dem
Sonnenschein und Sommer folgen, muß die Flut des fremden
Blutes sich über das Feld einer Rasse im Frühling ihres Werdens
ergießen, daß sie dem Sommer ihrer Reife entgegenblühe.
Im Naturzustand ist die Rasse reines Milieuprodukt md da-
durch einseitig charakterisiert, ,, rassenrein". Es gibt relativ
reinrassige Zulus, Indianer und Beduinen. Jahrtausendlanger
Abschluß, unveränderter Milieueinfluß und fortgesetzte In-
zucht haben an Ort und Stelle reine Rassen gezüchtet. Die
„Rassen" der Kulturgeschichte dagegen, von den Babyloniern
20
lom zu den Amerikanern, sind keine reinen Milieuprodukte,
zoologische Rassen, sondern sind durch das Schicksal der Ge-
schichte aus verschiedenen Rassen zusammengesetzte ethnische
Komplexe. Die Beduinen, die von der arabischen Hochfläche in
das Stromgebiet des Euphrat dringen, die Germanenstämme,
die aus den nordischen Wäldern über die Dämme des Römer-
reiches brausen, waren vermutlich als Kinder der Natur rein-
gezüchtete Rassen. Aber indem sie aus der Stille ihres Daseins
in den Wirbel der Geschichte fluten, verlieren sie, wie eine Farb-
flüssigkeit, die in einen Strudel gerät, ihre Reinheit und gehen
als zoologische Spezies unter, um erst Jahrhunderte später aus
der Vermischung mit anderen Rassen als eine neue Menschen-
art emporzutauchen, deren Typus aber nun nicht mehr allein
durch natürliche Faktoren — Rasse und Miheu — sondern
vor allem durch kulturelle Verknüpfungen, Sprache, Sitte,
Weltanschauung bestimmt ist. Diese auf dem Boden der
Rassenmischung im Rahmen der Kulturgeschichte entstehende,
weniger durch zoologische Stigmata als vielmehr durch die
Spezifizität der Kulturtendenz charakterisierte Körperschaft
der Leiber und der Geister ist die Nation.
Die Nation ist ein Naturprodukt, da sie ein organisches
Gebilde ist, aus Rassenkomponenten zusammengesetzt, die
sich zu amalgamieren gewußt haben; Nationen sind keine
Konfetti-Tüten, in denen die Schnitzel der verschiedensten
Rassen durcheinanderliegen; sie sind Legierungen, Individual-
gebilde wie die Achate des Bodens. Andererseits ist die Na-
tion ein Kunstprodukt, weil sie nicht auf dem Wege reiner
Naturzucht nach biologischen Gesetzen, sondern durch die po-
litische Zufallskombination der Geschichte entsteht. Durch
dieses Zwittertum lassen sich Nationalprobleme weder einseitig
auf den naturwissenschaftlichen Terminus Rasse noch allein
auf kulturologische Begriffe wie Politik, Sprache, Tradition,
Religion zurückführen, sondern einzig durch die natur-kultur-
historische Verknüpfung beider erfassen.
Rassen verhalten sich zu Nationen wie die Elemente des
Bodens zu den organischen Gebilden der Pflanze, die aus ihm
emporblühen. In der Nation tritt eine ganz neue, über die Natur-
gesetze hinausgewachsene Form der Rasse auf, so wie durch
das organische Leben eine bisher unbekannte Erscheinungsform
der Materie auf dem Planeten erschien. Dieselbe Materie und
doch nicht dieselbe, sondern durch ein höheres Prinzip zu einer
neuen höheren Daseinsform des Weltenstoffs erhoben. Überrasse.
21
Nation ist Kulturblüte auf dem Naturboden der Rasse.
So wenig die Blume naturzerstörend wirkt, indem sie die Ele-
mente der Erde ihrer Freiheit beraubt und zu neuen Formen,
neuen Zwecken bindet, so wenig wirkt die Geschichte durch
die Bildung der Nationen rassenvernichtend sondern im Gegen-
teil rassenzüchtend. Aus dem verschwommenen Urbegriff Ger-
mane, Kelte, Semit hebt sie den plastischen Nationaltyp des
Deutschen, Franzosen, Juden heraus. Aus dem zoologischen
Massentyp der Rasse steigt, wie der Hirt aus der Herde, die Charak-
tergestalt des Kulturträgers bestimmter Nationalideen empor: der
jüdische Prophet, der griechische Künstler, der römische Legionär,
der florentinische Meister des Pinsels. NationistSeelenrasse.
Urrasse, Rassen, Nationen sind die Stufen der Individualisa-
tion des Weltenstoffes innerhalb der Menschheit. Nicht ,, Höher-
entwicklung" ist das Ziel des Weltgeschehens, wie uns die
Darwin'sche Lehre suggeriert, sondern Vielgestaltigkeit, nicht
Leistungsfähigkeit, wie unser amerikanistisches Denken ihm
imterschiebt, sondern Reichtum an Eigenart. Leistungsfähigkeit
ist der subjektive Wertbegriff eines Krämer -Utilitarismus,
der in der Welt der Kaufieute und Kalkulatoren seine Geltung
haben mag, der Natur ist er fremd. Ihr gilt einzig — frohlocket,
all ihr Myriaden „unnützen", aber ach so schönen Geschöpfe
der Erde, ihr Nachtfalter und Tageträumer, ihr bunten Sänger
und taumelnden Tänzer, ihr Heilige und Sünder, frohlocket!
— ihr gilt einzig das Wesen! Wer ruft nach nutz und
unnutz, hoch und niedrig ? Ist das Leben eine Messe, darauf
Waren feilgeboten werden ? Ein Maschinenwettbewerb, auf dem
die Tourenzahl und der Benzinverbrauch gemessen werden?
Das ist ja das Göttliche an ihr, daß sie nicht nach Leistung
fragt, daß sie groß ist, ohne praktisch zu sein, Künstlerin und
nicht Fabrikant, daß sie keinen anderen Zweck kennt als
den Selbstzweck. Ist der Tiger, der durchs Dschungel schleicht,
nicht tausendfach schöner als der Ochs, der im Joche trottet,
auch wenn er allwöchentlich — ein „Schädling der Kultur" —
dem reichen Viehbesitzer einen 20 Dollar- Hammel raubt? Hat
der Schmetterling einen Zweck? Die Chrysantheme einen Wert?
Sie sind, weil sie sind, und sie besitzen darum einen so unersetz-
lichen Wert — weil sie keinen besitzen. Zu sein, möglichst viele
zu sein und jedermann eigen, das ist der Sinn der immer voll-
kommeneren Individuation des Menschengeschlechts. Das war
der Plan der Natur, die die Rassen erschuf, das ist das Ziel der
Kultur, die die Nationen gebiert.
22
DER ARIER
Tm Jahre 1808 entdeckte Fr. Schlegel, daß das altindische
1 Sanskrit der Mutterdialekt einer Reihe indischer und euro-
päischer Sprachen sei. Mit Begeisterung griff man dieses Ge-
meinschaftszeichen auf und vereinigte die Völker dieser Sprachen-
gruppe zu einer Familie, den Indo-Europäern oder — nacli
dem indischen Wort arya, vornehm — den Ariern. Die Haupl-
glieder dieser Adelsfamilie sollten sein: die Kelten, Germanen,
Slawen, Italer, Griechen, Armenier, Iranier (Meder, Perser usw.)
und Inder. Ausgeschlossen von diesem Völkeradel blieben als
Nicht-Arier die Türken, Hamiten, Semiten u. a.
Man stellte sich die Völker des arischen Kreises als die Glie-
der einer ursprünglich einsprachigen Familie vor, die nach-
einander ihre Urheimat verlassen und sich über Westasien
und Europa ausgebreitet hätten. Als das Mutterland der
Indo-Europäer bezeichnen — um nur die berühmtesten Ver-
treter der Ariertheorie zu nennen , — Max Müller und mit
ihm die ältere Schule Zentralasien; Pösche und Latham Ost-
europa; Geiger Deutschland; Penka Skandinavien; Benfey,
Tomaschek und Schrader das Schwarze -Meer -Gebiet. Über
das Aussehen des Ariers sagt von den beiden berühmtesten
Anthropologen Englands Huxley, daß er langköpfig, Tylor
umgekehrt, daß er kurzköpfig war; Gobineau beschreibt ihn
als groß und blond, Sergi als klein und braun; nach Pictet
war er Ackerbauer, nach Schrader ein kulturloser Barbar.
Nach Virchows Ansicht dagegen „wurde der Arier im Zu-
stande topischer Einheit niemals aufgefunden," denn, wie
Hartmann sagt, ,, diese sogenannten Arier haben nie-
mals unter der Gestalt eines Urvolkes existiert,
sondern nur als eine Erfindung der Stubenge-
lehrten.** „Noch niemand hat", sagt Finot in seinem
Buche über ,Das Rassenvorurteil', „bisher einen einzigen
authentischen Arier nachweisen können. Sein moralisches
und physisches Bild, seine Maße wie die Beschreibung sei-
nes Familienlebens sind nur mit Geschick entworfen. Die
Theorien über ihn folgten einander je nach dem Tempera-
ment der Schriftsteller und der Fruchtbarkeit ihrer Phantasie.
Journalisten, Politiker, Literaten, Künstler, kurz das ganze
^3
große Publikum hat sich blindlings für diese Erfindunge»
begeistert, und diese Phantasieerzeugnisse haben sogar in ge-
schichtlichen und pädagogischen Handbüchern Aufnahme ge-
funden. Heute sind von 1000 gebildeten Europäern 999 von
der Authentizität ihrer arischen Abkunft überzeugt. In der
Geschichte der menschlichen Irrtümer wird diese Lehre unzwei-
felhaft eines Tages einen Ehrenplatz einnehmen und als ent-
scheidender Beweis dafür dienen, daß Berufsgelehrte sich
ebenso leicht Täuschungen hingeben wie Laien . . . Ohne Zweifel
wird ein Jahrhundert darüber hinweggehen, bis die unter dem
Einfluß unbedachter Gelehrter entstandenen Anschauungen
wieder verschwinden. Bis dahin wird die getäuschte Mensch-
heit nicht müde werden von dieser Entdeckung zu reden wie
von einer wirkliches Leben besitzenden Wesenheit."
Die Ariertheorie hat das 19. Jahrhundert wie ein Dogma
beherrscht. Ein Gelehrter, der im Jahre 1880 über sie eines der
zitierten Urteile gefällt hätte, wäre von seiner Mitwelt moralisch
gesteinigt worden. Sie galt damals ebenso als eine „unerschütter-
liche Tatsache", wie sie heute als naives Märchen belächelt
viärd. Einst die angebetete Gottheit, der die Priester ihre,
Räucheropfer brachten, steht sie heute als zerschlissene Kulisse
im Dekorationsspeicher des Welttheaters.
Der Trugschluß, der ihr unterliegt, ist so offenkundig, daß
man sich verwundert fragt, wie Wissenschaft und Welt sich
von ihm haben 50 Jahre lang am Gängelbande führen lassen.
Sprachenübereinstimmung ist kein Beweis für Rassenverwandt-
schaft. Die Sprache ist nichts als ein geistiger Handelsartikel,
das Kleingeld des Gedankens; Gemeinsamkeit der Sprache
läßt auf nichts anderes schließen als auf Kulturberührung.
Die Preußen Friedrichs des Großen waren keine Franzosen,
weil sie französisch parlierten. Die Juden werden dadurch keine
Germanen, daß sie Bücher über Goethe schreiben.
Nehmen wir an, durch eine katastrophale Epidemie stürbe
die heutige Menschheit aus, nur die abgeschlossenen Bewohner
einer Südseeinsel überleben das große Sterben, breiten sich später
aus und erreichen nach Jahrtausenden ähnlich den heutigen
Völkern eine gewisse, wenn auch nicht übermäßig hohe Stufe
der Kultur. Sie finden im Boden verweht die Reste einstiger
Zivilisation und stellen über die vorgeschichtlichen Völker
Uassentheorien auf. Sie erfahren, daß die Schotten Englands,,
die Kanadier in Amerika, die Neger im '.^ idan,' die Inder von
Bombay und die Fidschi-Insulaner engit ..a sprachen und sich
21
CDglischer Kulturerzeugnisse bedienten, und vereinigen, da sie
noch keine besonders hohe Stufe kritischen Intellekts erreicht
haben, die englisch sprechenden Völker zu einer ,, Rasse".
Ariertheorie !
Einsichtige Köpfe wurden denn auch bald den Trugschluß
gewahr, und wie man keinen Irrtum leidenschaftlicher bekämpft,
als dem man selber einmal nachgehangen, so wandten sich
ihre ehemals eifrigsten Verfechter am heftigsten wider sie,
um sie dem Spott der Mitwelt preiszugeben. So sagte einer
der Mitbegründer der Ariertheorie, der Senior der Sprach-
wissenschaft des 19. Jahrhunderts, Max Müller: ,,Für mich ist
ein Ethnologe, der von arischer Rasse, arischem Blut, arischen
Augen und Haaren spricht, ein so großer Sünder wie ein Sprach-
forscher, der von einem langköpfigen Wörterbuch oder von
einer kurzköpfigen Grammatik redet. Es ist ärger als die
babylonische Verwirrung — ja geradezu ein Betrug. Wenn ich
von Ariern spreche, so meine ich weder Blut noch Knochen,
weder Haare noch Schädel. Ich meine einfach damit diejenigen,
die eine arische Sprache sprechen." Und als Vertreter der
anthropologischen Wissenschaft urteilt v. Luschan, der Direktor
des Berliner Anthropologischen Museums: „Der indo-germani-
schen Sprachfamilie entspricht keine arische Rasse, und die
Völker, die heute indo-germanische Sprachen reden, gehören
sehr zahlreichen und untereinander völlig verschiedenen Rassen
an. Die Begeisterung, mit der man sich früher einmal bemühte,
eine gemeinsame Urform der indo-germanischen Sprachen zu
konstruieren und sich in dieser Urform auch einen rassereinen
Arier vorzustellen, hat längst reiferen Anschauungen Platz
gemacht. Nur ganz unheilbare Chauvinisten reden heute noch
von einer arischen Rasse, und für den Fachmann ist der Begriff
einer arischen Schädelform genau so absurd, als wenn man
etwa von einer langschädeligen Sprache reden wollte."
In dem Bewußtsein der Völker setzen Ideen sich ab wie
der Satz in einem Glase. Wovon sich die Oberschicht geklärt
hat, das verunreinigt nun um so stärker die tieferen Lagen.
Die Ariertheorie, von der sich die Wissenschaft gereinigt,
trübt heute die Gedankenwelt der Laien. Die Kommersstu-
denten, das Publikum der vaterländischen Feiern, die Leser
der Völkischen Blätter und die Abonnenten des Illustrierten
Familienblattes berauschen sich immer wieder von neuem an
der Idee, die Ary^ d ' Menschheit zu sein. Wie eine Heroine,
die für die erste Bühni.-.jjU alt geworden, nun auf einem Vorstadt-
25
'^
theater, ein wenig kräftiger geschminkt, noch ihre alten Rolle u
spielt und von dem anspruchsloseren Kleinbürgerpublikum
wie in den besten Tagen ihrer Karriere allabendlich beklatscht
wird, so feiert die überlebte und von der Wissenschaft ver-
abschiedete Theorie in der Gedankenwelt der Masse heute die
Spättriumphe ihres Komödiantendaseins. Stolz auf seine arische
Herkunft schaut der teutonische Jüngling verächtlich auf alles
Weltgesindel, das nicht wie sein Geblüt arya ist. Hie Arya,
hie Semit! das ist der Schlachtruf, darunter alle Fehde des
Rassenkampfes heute anhebt, und die Ariertheorie ist der
Turm, unter dessen Schutz ihre Jünger streiten, ein imponie-
render Turm, der unfehlbar auf jeden schrecklich wirkt, der
nicht weiß — daß er von Pappe ist.
26
ER GEHMANE
Nachdem sich einmal in den Köpfen der westeuropäischen
Gelehrten die schmeichelhafte Idee ihrer Zugehörigkeit zum
Menschheitsadel eingenistet hatte, wollten sie diese nach dem
Fiasko der Ariertheorie nicht fallen lassen und arbeiteten sie
zu einer neuen Theorie um, die vom anthropologischen Stand-
punkt aus weniger anfechtbar erschien : der Germanentheorie.
Weniger anfechtbar, weil sie überhaupt nicht anzufechten ist.
Man kann eine wissenschaftliche Hypothese zu widerlegen
suchen, aber eine Dichtung? Wer will beweisen, daß die
beiden Grenadiere Heines nicht nach Frankreich zogen?
Die Ariertheorie entbehrt nicht einer gewissen Grundlage.
Nur beging sie den Fehler, Rasse und Kultur zu verwechseln.
Ihre Nachfolgerin jedoch steht durch die Voraussetzungslosig-
keit ihrer Annahmen und die Kühnheit ihrer Folgerungen unter
allen Theorien, die in der modernen Zeit zu einem kurzen
Falschen-Smerdis-Ruhm auf einen Thron erhoben wurden, einzig
da. Sie wird dereinst in dem Kuriositätenkabinett der Wissen-
schaft als eine exzessive Ausgeburt des menschlichen Geistes das
Interesse aller Abnormitätenfreunde erregen. Der Don-Quixote
Größenwahn und die Dirne Historia zeugten sie im Rausch.
Schon ihre Vorgeburt ist umwittert vom Gespensterschein
des Fatal-Grotesken, Ihr Vater ist der Franzose Graf Gobineau,
der sich in seiner Sucht, Germane zu sein, als Normannen-
abkömmling schildert, in Wirklichkeit aber wahrscheinlich ein
.Savoyarde und mithin möglicherweise ein Baske, also ein Ver-
wandter der Armenier ist. Dieser französisch-normannisch-
baskisch-armenoide Graf unterbreitet seine Theorie dem A- und
Antigermanen Richard Wagner, der, weil er es nicht ist, sich
so krampfhaft germanisch gebärdet, und dieser legt den Pur-
purmantel des Germanenadels, ihm so willkommen seine un-
germanische Gestalt zu verhüllen, um seine niederen Schul-
tern und wird König und Künder der neuen Theorie. Unter
den Völkern germanischen Stammes, die nun zur Aus-
wahl stehen, den Kulturpreis als Nation zu empfangen, wird
die Palme den Deutschen gereicht von einem Engländer, der
durch die Schule französischer Erziehung zum Deutschtum
.gelangt ist: Houston Stewart Chamberlain. Burleske Trilogie!
27
Der Fall ist typisch. Ein echter Germane könnte niemals
über sich selber eine so maßlos anmaßende Theorie empfinden^
geschweige in alle Welt posaunen. Sein Rassestolz verböte es
ihm; denn echter Stolz ist stets mit Scham gepaart. Nur et-
was, was man nicht ist, kann man so paroxystisch lieben. Rene-
gatentum.
Der erste Satz der Grermanentheorie behauptet, daß die einzig
kulturfähige Rasse die weiße sei; von den Mongolen, deren Völker
Kung-fu-tse und Lao-tse, Li-tai-peh und Ho-ku-sai geboren haben,
sagt der Begründer der Politisch-anthropologischen Schule, Wolt-
mann, „haben nur einige die untere ( !) Stufe der Kultur erreicht".
Innerhalb der weißen Rasse ist nach der Ansicht der Germanen-
theorie der einzig schöpferisch begabte Typus der hoch-
gewachsene, blonde, blauäugige Germane. „Der lichte Mensch
ist der geistig regsamste, der einzig schöpferische" (Hauser),
in jedem Volk „hängt alle lebendige Kraft von dem Verhältnis
des echt germanischen Blutes in seiner Bevölkerung ab" (Cham-
berlain). Da kein anderer Menschenschlag zu wirklichen Kultur-
leistungen fähig ist. müssen alle großen Kulturtaten, mögen
sie auch geographisch und zeitlich noch so weit geschieden
liegen, Werke von Germanen sein. ,,Ich habe mich", sagt
Gobineau in seinem berühmten , Essay über die Ungleichheit
der Menschenrassen', „am Ende überzeugt, daß alles, was es-
an menschlichen Schöpfungen, Wissenschaft, Kunst, Zivili-
sation Großes, Edles, Fruchtbares auf Erden gibt, nur einem
und demselben Quell entstammt und nur einem Volke angehört,
dessen verschiedene Zweige in den verschiedenen Gegenden
des Erdballs geherrscht haben." Dieses Volk sind die Germanen.
Zur Begründung dieser Annahme nimmt die Germanentheorie
im Anschluß an die historisch beglaubigte Tatsache von Ger-
manenwanderungen im frühen Mittelalter an, daß Germanen
seit den frühesten Urzeiten in Schüben aus der Völkerwiege
Indiens — oder, wie man neuerdings herumrät, des Wolga-
beckens oder Skandinaviens oder des Donaugebietes oder des
Loirebeckens — ausgewandert seien und in allen Teilen der
Welt jene großen Kulturen geschaffen hätten, von denen die
Geschichte der Menschheit berichtet. Sie sind nach Griechen-
land gezogen und haben hier die hellenische Kultur begründet,
vordem sind sie nach Kleinasien und den ägäischen Inseln
übergesetzt und haben hier die ägäisch-mykenische Kultur
geschaffen. Sie kamen nach Mesopotamien und gründeten
hier die alten Kulturreiche von Sumer und Akkad, Babylon.
28
und Assur, kamen nach Indien und regten hier die germanischen
Schöpfungen der Veden an, einzelne Zweige von ihnen drangen
sogar bis in das Tal des Yang-tse-kiang vor und beglückten
hier das stumm-stupide Volk der Chinesen mit den germanischen
Kulturerrungenschaften des Porzellans, Papiers und Flöten-
spiels. Ja, da man selbst in Uramerika alte Kulturen entdeckte
und doch einzig die Germanen als Kulturträger in Frage kommen,
müssen auch diese — risum teneatis amici! — germanische
Schöpfungen sein. Germanenstämme sind über Grönland und
Alaska nach Amerika gewandert und haben hier im Becken
von Mexiko die alte Kultur der Azteken geschaffen, sind über
Panama nach Peru hinabgezogen und bauten hier die märchen-
hafte Stadt Dorado im Inkareich — Germanen in der Welt
überall und überall in der Welt voran!
Auf welchen Fundamenten bauen die Germanentheoretiker
die schwindelnd hohen Bögen ihrer erdumspannenden Hypo-
these? Die Germanennatur der Griechen „beweist" Otto
Hauser mit folgenden Sätzen, um deren Gedankenakrobatik
ihn ein Looping-to-loop-Artist beneiden könnte. „Die alten
Griechen bezeichneten sich als blondes Volk und stellten sich
mit dem reinsten nordischen Rassentypus dar . . . Die heu-
tigen Griechen sind als Gesamtheit tiefbrünette Levantiner.
Es ist also der Schluß berechtigt, daß in vorgeschichtlicher
Zeit auch ganze Völkergruppen einheitlichen Typus gehabt
haben werden. Alle Zeugnisse führen dahin, insbesondere an-
zunehmen, daß alle Völker, die eine arische Sprache sprechen,
ursprünglich dem blonden Typus angehört haben." Wie lassen
sich die schwierigsten Probleme geistiger Schwerathletik doch
so spielend lösen, wenn man seinen Lesern statt Eisenkugeln
Pappgewichte vorhebt!
„Auch in Amerika", fährt er fort, „war bei der Ankunft
der Weißen noch die Vorstellung lebendig, daß hier in alten
Zeiten weiße, blondhaarige Herren geherrscht hatten. Ihre
Edelsten waren von lichter Farbe. Die Götter bildeten sie
mehrfach blondhaarig ab; Kolumbus, der selbst blond und
blauäugig war, und seine Zeitgenossen erscheinen als Götter,
ebenso später Fernan Cortez, unter dessen Begleitern der über-
kühne Petro de Alvarado wegen seines reichen Blondhaares
Tonaltiuh, ,Sonnensohn', genannt wurde." Wer auch nur von
einem Schimmer nordischen Geistes erhellt ist und nicht hoff-
nungslos umnachtet von der Finsternis südlicher Verstandes-
armut, wird sich der überwältigenden Kraft dieser historischen
29
Argumente nicht verschließen sondern widerspruchslos aner-
kennen, daß wirklich nur Germanen die Kultur des Inka- und
Aztekenreiches geschaffen haben können.
Trotzdem auch alle vorangegangenen Kulturen germanischen
Ursprungs und folglich eigentlich germanische Geschichte sind,
beginnt für Chamberlain doch erst „die wahre Geschichte, dia
Geschichte, welche heute noch den Rhythmus unseres Herzens
beherrscht und in unseren eigenen Adern zu fernerem Hoffen
und Schaffen kreist, in dem Augenblick, wo der Germane das
Erbe des Altertums mit kraftstrotzender Hand ergreift. China,
Indien, Babylon, Judäa, Persien, Griechenland und Rom sind
für uns Prolegomena," und zwar nicht nur Prolegomena son-
dern sogar bestialische Barbarei, denn ,,nur schändliche Denk-
faulheit oder schamlose Geschichtslüge vermag in dem Ein-
tritt der Germanen in die Weltgeschichte etwas anderes zu
erblicken als die Errettung der agonisierenden Menschheit aus
den Krallen des ewig Bestialischen."
Man möchte glauben hier zwei Männer zu hören, die in einer
krankhaften Überreizung des Rassenstolzes, wie die Alkohol-
deliranten an jeder Möbelkante graue Mäuse sehen, hinter jeder
Kulturtat blonde Germanen erblicken. Aber nein, Chamberlain
und Hauser sind nur zwei Soloflötisten aus dem großen Or-
chester der Politisch-anthropologischen Schule, das viele be-
kannte Größen zu seinen Geigern und Bläsern zählt.
Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß hier wie im folgenden
nur führende Autoren und nur anerkannte Werke zitiert sind.
Alle jene tausend Mikromegas der Wissenschaft und Politik,
all jene Unken und Aale, Frösche und Schlammpeitzker aus
den Pfuhlen des Parteigezänks und den Hinterweltsteichen der
völkischen Bestrebungen, all jene Pamphletisten und Pas-
quillanten, Hammerbündler und Deutschgläubige, deren Namen
man nicht die Ehre antun darf sie zu zitieren, sind mit jenem
Schweigen übergangen, das für sie die einzige Antwort ist.
Der bekannte Anthropologe Ammon, der sich um die Wissen-
schaft durch seine großzügigen anthropometrischen Unter-
suchungen in Süddeutschland hochverdient gemacht hat,
schreibt: ,,Wie alle Arier sind die Germanen die geborenen Herr-
scher anderer Völker. Wo sie auch auftreten, sind sie die regie-
renden und sozial bevorzugten Stände, sind sie ein Volk voll
wilden Mutes und unbeugsamer Kraft, voll Hingebung und
Treue, voll Stolz und Wahrhaftigkeit, ein leuchtendes Volk
von Halbgöttern, dessen gleichen die Welt vorher nur einmal
30
in den Griechen und nachher nie wieder gesehen hat und wahr-
scheinlich auch niemals wieder sehen wird." Driesmans, der
Verfasser mehrerer groß angelegter Werke über Rassenprobleme,
besonders über das Verhältnis von Kelten zu Germanen,
kommt zu dem Ergebnis, daß die Germanen und unter diesen
wieder die Preußen den höchsten Typus repräsentieren, den
er mit folgenden Worten charakterisiert : „Es dürfte nicht über-
trieben und geschmeichelt sein, den brandenburgisch-preußi-
schen Menschenschlag als lachende Löwen zu bezeichnen."
Weltmann gelangt in seinen tonangebenden und relativ äußerst
maßvollen Büchern über „Die Germanen in der Renaissance"
und die ,, Politische Anthropologie" zu dem Schluß: „Die
bedeutendsten Genies der Menschheit sind Vertreter dieser
Rasse gewesen oder Mischlinge, in deren Adern das germanische
Blut vorwiegend strömte. Die ausgezeichnetsten Menschen
der neueren Geschichte waren zum größten Teile Vollblutger-
manen wie Dürer, Leonardo da Vinci, Galilei, Rembrandt,
Rubens, Van Dyck, Voltaire, Kant, Wagner, andere zeigen
Beimischungen der brünetten Rasse, sei es, daß sich dieselben
namentlich in der dunkleren Pigmentierung oder seltener in
einer Verbreiterung des Schädels zeigt, wie bei Dante, RafTael,
Michelangelo, Shakespeare, Luther, Goethe, Beethoven ... Es.
läßt sich der anthropologische Nachweis erbringen, daß die
ganze europäische Zivilisation, auch in den slawischen und
romanischen Ländern, eine Leistung der germanischen Rasse
ist. Die Franken, die Normannen und die Burgunder in Frank-
reich, die Westgoten in Spanien, die Ostgoten, Langobarden
und Bajuvaren in Italien haben die anthropologischen Keime
zu der mittelalterlichen und neueren Kultur dieser Staaten
gelegt. Das Papsttum, die Renaissance, die französische Revo-
lution und die napoleonische Weltherrschaft sind Großtaten
des germanischen Geistes gewesen. Die bedeutendsten Päpste
hatten zum großen Teil germanischen Typus. Die herrschenden
Dynastien und Patrizier in Florenz, Genua, Venedig, Mailand
sind Abkömmlinge ,germanischer Barbaren', ebenso die großen
künstlerischen Genies, welche die geistige Wiedergeburt der
Menschheit schufen."
Den Gegensatz zu den blonden Germanen bilden die brü-
netten Völker, von denen als bekanntester Typ die Juden durch
das Schicksal mitten unter die helle Adelsrasse eingestreut sind.
Als habe die Geschichte dem blonden Göttervolk eine dunkle
Folie geben wollen, von der sich seine Heldengestalten um so
31
markanter herausheben, ist dieser brünette Südlandstypus
hinauf in den Norden verschlagen worden — Faust und
Mephisto! Dem leuchtenden Halbgott droben in^den Sonnen-
wolken antwortet aus der Tiefe des Inferno der Geist der Ver-
neinung, Satanas. „Die jüdische Rasse", sagte Renan, der Senior
•der jüdischen Rassenforschung, „zeigt fast nichts als negative
Eigenschaften: sie besitzt keine Mythologie, kein Epos, keine
Wissenschaft, keine Philosophie, keine Erfindung, keine pla-
stische Kunst, kein bürgerliches Leben . . . die grauenhafte
Einförmigkeit des semitischen Geistes schnürt das menschliche
Gehirn zusammen, verschließt es vor jeder zarteren Gedanken-
fassung, jeder feineren Regung . , . Ich bin der Erste, einzu-
gestehen, daß die jüdische Rasse, verglichen mit der indo-
arischen, in der Tat einen minderwertigen Typ der Menschheit
•darstellt." Dühring, der Nestor der heutigen Generation,
bekennt: „Die jüdische Rasse hat ihre Eigenschaften im mar-
kantesten Gegensatz zum übrigen Menschengeschlecht aus-
:gebildet. Die Einimpfung der Eigenschaften der Judenrasse
in die Völker ist die äußerste Gefahr für deren Charakter. Die
•eigentliche Ursache aber, welche die tiefste Geringschätzung
und Verachtung der Judenrasse begründet und motiviert, ist
deren absolute Inferiorität betreffs aller höherwertigen Geistes-
anlagen. Mangel jeden wissenschaftlichen Sinnes, Unzuläng-
lichkeit für die Philosophie, Unfähigkeit zum Schaffen in der
Mathematik, Unfähigkeit auch in den anderen Wissenschaften
und bloße Reklamefähigkeit für das Unbedeutende, Unfähig-
keit zur Kunst und sogar zur Musik sind bei den Juden deutlich
erkennbar. Ihre ganze lange Geschichte hindurch haben die
Juden auch nicht in einer Wissenschaft etwas produziert.
Wo sie sich mit der Wissenschaft abgegeben, hat dies stets nur
einen geschäftlichen Zweck gehabt. Treue, Achtung vor dem
Großen und allem Edlen überhaupt ist dem Juden fremd. Die
jüdische Rasse ist also verderbt und inferior." In weitaus
größter Ausführlichkeit behandelt Chamberlain das Problem
Germanen und Juden in seinen „Grundlagen des 19. Jahr-
hunderts" unji kommt nach der Apotheose des Germanentums
zu dem abschließenden Urteil: „Die jüdische Rasse ist eine
-durch und durch bastardierte Rasse, welche diesen Bastard-
charakter dauernd bewahrt . . . Ihr Dasein ist Sünde, ihr Da-
sein ist ein Verbrechen gegen die heiligen Gesetze des Lebens"').
*) Jüdische Gemüter, die diese Zitate aus der Fassung zu bringen drohen,
«lögen sich damit beruhigen, daß seit Ausbruch des Krieges in den wissen-
32
Auch diese Stimmen nicht die pathologischen Hyperbel»
wissenschaf thcher Paranoiker, sondern Stimmen der Zeit, Zitate
aus den gelesensten Büchern der Gegenwart. Renans Schriften ge-
hören zu den Standardworks der Bibliotheken ; Gobineaus Werke
schaftlichen Werken und Zeitschriften der Ententeländer fast wörtlich die-
selben Urteile über die Deutschen zu lesen sind. Der Russe Menschikow
weist an der Hand anthropologischer Daten nach, „daß die Deutschen
zu den minderwertigsten Rassen gehören, im Schädeltypus dem Neander-
taler nahe kommend". In der englischen Zeitschrift Daily Graphic wird
nachgewiesen, daß die Deutschen „Nachahmer ohne Originahtät, Aus-
beuter fremden Geistes und eine inferiore Rasse sind, deren sämtliche
Genies keine Germanen sondern bei der Völkerwanderung zurückgeblie-
bene Kelten waren", und in Frc^nkreich stellt Hanatoux fest, daß die
Deutschen „alle ihre Kulturschätze entlehnt haben, daß von Goethe
nichts Originales übrig bliebe, wenn man das abstrahiert, was er Shake-
speare, Voltaire und Rousseau entlehnt hat, und daß Kant das Blei-
gewicht seiner Bücher auf eine Welt gewälzt habe, die dieser Werke nach
den EvangeUen, nach Plato und Descartes nicht bedurfte" und prophezeit
für die Zukunft: „Die Deutschen werden wieder nachahmen, nachfälschen,
wie sie mit allem Schönen bisher getan, das westliche Erfinderkunst
ihnen in verschwenderischer Fülle vors Auge gestellt hat." Der italienische
Tragöde Zacconi, der als Interpret der deutschen Meisterwerke Gelegenheit
hatte, die Deutschen von ihrer edelsten Seite kennen zu lernen, schreibt:
„Daß die deutsche Seele voll Barbarei ist, weiß heute jedes Kind. Ich
fühlte das, wenn ich die Werke der größten Denker dieses Volkes aus-
legte. Die deutsche Seele bleibt auf ihrem Grunde grausam, gierig und
unmoralisch."
Die Art, wie ein Volk oder Mensch über seine Nebenmenschen urteilt,
ist ein Gradmesser für die Höhe seiner eigenen Kultur-, Charakter- und In-
telligenzentwicklung. Je höher man selber geistig und moralisch steht, um
so vornehmer und milder pflegt man zu urteilen, wie ja auch in der Wissen-
schaft und Politik im letzten Grunde jedes Urteil darauf hinausläuft: tout
comprendre c'est tout pardonner. Der Volksmund der östlichen, in der
Kulturentwicklung zweifellos tiefer stehenden Nachbarvölker urteilt über
die Deutschen mit folgenden sprichwörthchen Redensarten. Die Polen:
„Gib auf alle Dinge acht, daß die Deutschen sie nicht stehlen." Die
Tschechen: „Achtung, ein Deutscher!" oder: „Überall wohnen Men-
schen, in Komotau aber Deutsche." Die Russen: „So viel Deutsche, so
viel Hunde." Die Letten: „Ich will nicht in den Himmel, wenn Deutsche
darin sind." Im ungarischen Parlament sagte 1889 ein Abgeordneter öffent-
hch von der Tribüne: „Gottes Hilfe haben wir es zu danken, daß das
deutsche Theater abgebrannt ist" — wie bescheiden dieser Mann von Gottes
Hilfe denkt! Zwischen den Rassen dasselbe Gassenbubengezänk. Der
Karibe hält schlankweg jeden Christen für einen Dieb und ist, wenn
etwas in seinem Hause fehlt, fest davon überzeugt, daß es ein Christ
genommen haben müsse. Kommt in China ein Kind abhanden, so ver-
breitet sich das Ritualmärchen, die christHchen Missionare hätten es ge-
schlachtet, um mit seinem ausgerissenen Herzen Zauber zu treiben
Konitzer Gedanken! „Je mehr man kennt, je mehr man weiß, erkennt
man: alles dreht im Kreis." (Zitate nach Brunner.)
3 Kahn, Die Juden. 33
sind über den ganzen Kontinent, wenn auch wenig gelesen, so
doch in ihrer Tendenz bekannt und verehrt. In Deutschland
setzte die Popularisierung der Germanentheorie mit dem Er-
scheinen des anonymen Buches „Rembrandt als Erzieher""
ein, das im Jahre 1909 seine 49. Auflage erlebte ! Ein Erfolg,,
der nicht unverdient ist. Es ist ein Buch von bestechender
Schönheit; ein literarisches Kabinettstück, an dem sein Ver-
fasser jahrelang mit monomanischer Emsigkeit geschrieben;
niemand, der empfänglich ist für den Reiz eines geistvollen
Stils und den Zauber eines stolzen Charakters, kann sich dem,
Eindruck dieses Buches entziehen, das freilich in seinem
letzten Teil die beginnende geistige Umnachtung seines Ver-
fassers mit fast erschütternder Deutlichkeit verrät. Die Bücher
Woltmann's, Wilser's und Hauser 's sind sämtlich in mehreren
Auflagen erschienen. Aber alle diese Schriften sind nur voran-
fahrende Aufklärungsgeschwader gewesen. Die Armada, unter
deren papiernen Segeln der moderne Kreuzzug gegen die Juden
geführt wird, sind die Schriften Houston Stewart Chamberlains,
die allein in Deutschland in annähernd einer Million Exemplaren
verbreitet sind. „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" gehören
trotz ihres erheblichen Umfangs und ihres wissenschaftlichen
Anflugs zu den gelesensten Büchern der Zeit, sind in fast alle
Kultursprachen übersetzt und haben nach ihrem beispiellosen
Erfolg in der Gelehrtenwelt durch besondere Volksausgaben
ihre Verbreitung unter den Massen Europas gefunden. Sie
waren Lieblingsbücher des einstigen Kaisers, der den Verfasser
in seinen Freundeskreis hineinzog und sein Werk mit Vorliebe
zu Geschenkzwecken verwandte. Auf seine Anregung wurde ein
besonderer Fonds gegründet, aus dessen Mitteln die „Grund-
lagen" an Bibliotheken, Schulen und Vereine abgegeben wurden
— alles in allem ein Erfolg, zu dem man, wenn auch nicht das
deutsche Volk, so doch den Verfasser und Verleger beglück-
wünschen muß. Chamberlains Buch ist in einem brillanten Stil
geschrieben, glänzt in allen Farben eines vielseitig geschliffenen
Intellekts und ist vom Feuer eines lebhaften Temperaments durch-
glüht. Seine faszinierende Wirkung auf die unkritischen Köpfe der
Halb-, Viertel- und Achtelgebildeten ist begreiflich und begründet.
Chamberlains Stimme besitzt in den Kreisen der gekrönten und
ungekrönten Ignoranten den Klang des Meisterwortes. Autos
epha! und halb Europa jubelt frenetischen Beifall.
Chamberlain ist ein hochbegabter, mit allen Waffen des
geistigen Kampfes trefflich gerüsteter, ebenso phantastischer
wie fanatischer Gegner, ein Bosko-Biati-Kann-AUes, der der
Welt das Unnatürlichste natürlich, das Unwahrscheinlichste
wahrscheinlich und das Unmoralischste moralisch erscheinen
läßt. Ein großer Hypnotiseur, der nicht nur die Schar seiner
willigen Hörer spielend in seinen Bann zieht, sondern — und das
ist sein stärkster Triumph — selbst den widerstrebenden Gegner,
das Opfer, das er lähmen will — den Juden. In Folio kommt der
Band auf den Schreibtisch des Gelehrten, in Luxus und Leinen
fliegt er auf den Teetisch des ästhetischen Salons — wer kann
vermuten, daß er Pamphlet ist? Fast mit dem Gefühl des
Stolzes sieht der Jude hier das Problem seiner Rasse von „ersten
Forschern wissenschaftlich behandelt", und wenn er sonst bei-
leibe auch nie ein Buch, das über Juden spricht, in die Hände
nimmt, so greift er doch zu diesem. Chamberiains „Grund-
lagen" sind für die Mehrzahl der Juden das einzige Buch, das
sie über Rassenstellung und Kulturgeschichte ihres Volkes ge-
lesen haben. Ach, die Betrogenen ! Ihnen ergeht es wie den Reisen-
den des Hauff'schen Märchens, die nachts in eine Herberge zu
treten meinen und des Morgens gewahr werden, daß sie in
eine Räuberhöhle geraten. Wie in den diplomatischen Noten
glaubt man einen Bündnisbrief zu lesen und hält eine Kriegs-
erklärung in den Händen. Mit dem Ausdruck vorzüglichster
Hochachtung und aufrichtigsten Wohlwollens empfängt man sein
Todesurteil. Rattenfutter. Es schmeckt süß, aber im Bauch
beginnt es zu gären und zerreißt die Gedärme. Nicht Worte
klingen ins Ohr, Bilsenkraut träufelt ein tückischer Überlister
seinem Opfer in den Körper. Und ein moralisches Siechtum
fällt es an, von dem es keine andere Erlösung gibt als Selbst-
mord, den Rassenselbstmord : die Taufe. Und wie mit allen
Giften ist's auch mit dieser Autointoxikation: den Besten fällt
es am heftigsten an. Je empfindlicher und empfänglicher das
Herz, um so stärker wird es getroffen. Wie eine Pest grassiert
die Rassenseuche unter der Jugend und rafft die Blüte des Nach-
wuchses hin. Ein einziges Beispiel : Weininger, unzweifelhaft eine
der glänzendsten Erscheinungen der jungen Generation: ein Me-
teor, am Himmel aufgeflammt und dann zerstoben in der
trüben Atmosphäre des Rassenantisemitismus. Ganz im Banne
Ghamberlain'scher Lehren zerfleischt dieser Apostat in wüten-
dem Haß gegen ,,die Sünde in sich" sein eigenes Ich. In dem
Kapitel über das Judentum in dem, man kann sagen, monu-
mentalen Werk des eben Zwanzigjährigen über ,, Geschlecht
und Charakter" — wohl das bedeutendste Dokument patholo-
35
4
gischer Frühreife in der ganzen Weltliteratur — vollzieht sich
vor den Augen des Lesers eine geistige Exhibition, die in ihrer
Schamlosigkeit nur durch eine moralische Gleichgewichtsstörung
schwersten Grades erklärhch ist. Nachdem der Verfasser sich
eingangs ausdrücklich selbst als Jude bekannt, schreibt er:
„So wenig, wie es in Wirklichkeit eine , Würde der Frauen'
gibt, so unmöglich ist die Vorstellung eines jüdischen ,gentle-
man'. Dem echten Juden gebricht es an jener inneren Vor-
nehmheit, welche Würde des eigenen und Achtung des frem-
den Ich zur Folge hat . . . Der echte Jude hat wie das
Weib kein Ich und darum auch keinen Eigenwert . . . Was
dem Weibe wie dem Juden durchaus abgeht, das ist Größe,
Größe in irgendwelcher Hinsicht, überragende Sieger im Mora-
lischen, großzügige Diener des Antimoralischen . . . Der absolute
Jude ist seelenlos . . . Der jüdische Monotheismus hat mit
echtem Glauben an Gott nichts, gar nichts zu tun, er ist viel-
mehr seine Negation, der Afterdienst des wahren Dienstes
unter dem guten Prinzip . . . Hier ist keine Religion aus reiner
Vernunft; eher ein Altweiberglaube aus schmutziger Angst . . .
Dem niederen Leben ganz zugewandt, hat er kein Bedürfnis
nach der persönlichen Fortexistenz: es fehlt ihm das wahre,
unveränderliche, metaphysische Sein, er hat keinen Teil am
höheren ewigen Leben . . . Der Jude hält nie wirklich etwas
für echt und unumstößlich, für heilig und unverletzbar. Darum
ist er überall frivol . . . Christentum ist höheres Heldentum;
der Jude aber ist nie einheitlich und ganz. Darum eben ist der
Jude feige, und der Heros sein äußerster Gegenpol."
Man kann sich ausmalen, mit welch ausführlichem Behagen
die politischen Anthropologen die durch nunmehr 19 Auflagen
ebenfalls in alle Welt verbreitete Selbstkritik dieses modernen
Pfefferkorns zitieren! Wäre Weininger eine Einzelerscheinung,
so wäre er nur ein interessanter Fall von psycho-pathologischem
Interesse. Aber Weininger ist ein Typus! Weininger ist nur
der zu einer traurigen Berühmtheit gelangte Repräsentant
einer ganzen Richtung, die Chamberlain im modernen Juden-
tum hochgezogen oder besser gesagt entwurzelt hat.
Vor der Erscheinung eines Mannes, der einen derartig faszi-
nierenden Eindruck auf das junge Geschlecht seiner Feinde aus-
zuüben versteht, müßte man selbst als Gegner Achtung empfin-
den — Bertran de Born ! Hier aber wirbt ein Agitator unter dem
Visier der Wissenschaftlichkeit für eine dunkle Tendenz ; hier lockt
ein großer Kinder Verführer, der virtuos auf der Flöte der Gelehr-
36
m
samkeit zu spielen weiß, wie der Rattenfänger zu Hameln, seine
harmlosen Opfer ins Wasser, indem er ihr Vertrauen auf die Ge-
rechtigkeit der Wissenschaft und die Heiligkeit der Wahrheit miß-
braucht. Man hätte nicht nötig, auch nur eine Zeile von diesem
Manne zu lesen, um ihn zu richten ; Leben und Leumund sprechen
ihr Urteil über diesen schon verdächtig populären Modeliebling
der Zeit. Ist es am Platz, einem Manne, der „der unvergleich-
lichen und durchaus eigenartigen germanischen Treue" in seinen
Büchern Heldenlieder singt und selbst als der Sohn eines eng-
lischen Admirals in Deutschland während des Krieges an der
Spitze der spezifisch England-feindlichen Presse stand und,
nachdem er noch keine sechs Monate seine englische Natio-
nalität aufgegeben hatte, sein bisheriges Vaterland „ein N.est
von Hehlern, Heuchlern, Lügnern und Falschspielern" nannte —
ist es am Platze, einen solchen Desultor patriae die Juden, die
der Welt seit drei Jahrtausenden das einzigartige Beispiel natio-
naler Treue gaben, ein „Bastardvolk" nennen zulassen, das seine
Entstehung einem ,, blutschänderischen Verbrechen gegen die
Natur" verdankt? Soll man einem Manne aus dem Hause
Wagner, das der Welt das häßlichste Beispiel moralischer Zer-
rüttung gegeben hat, das je den Namen eines Genies befleckte,
die Qualifikation erteilen, das Sittengesetz der Juden als ein
„direkt verbrecherisches Attentat auf alle Völker der Erde"
und sie selber als „einen offenen oder versteckten Feind jedes
anderen Menschen", als „eine Gefahr für jede Kultur" zu be-
zeichnen? Darf man bei einem Manne, der über eine der geistig
führenden und, wie der Gang der Geschichte bewies, politisch
weitsichtigsten Zeitungen Deutschlands die schmählichsten
Verleumdungen ausstreute, für die er nach dem Urteil des
Gerichtshofes ,, nicht den Schein eines Beweises erbringen
konnte", darf man bei einem solchen Manne bona fides an-
nehmen, wenn er aller historischen Wahrheit zum Trotz das
Judentum als einen Herd bezeichnet, „aus dem semitische
Intoleranz Jahrtausende lang allem Edelsten zum Fluche,
dem Christentum zur ewigen Schmach, sich wie ein Gift über
die Erde ergießen sollte," wenn er „ohne den Schein eines Be-
weises erbringen zu können" den Juden den „Lehrmeister
aller Intoleranz, alles Glaubensfanatismus, alles Mordens um
der Religion willen" nennt, „der an die Duldsamkeit immer
nur dann appellierte, wenn er sich bedrückt fühlte, sie selbst
jedoch niemals übte noch üben durfte, denn sein Gesetz verbot
es ihm und verbietet es ihm auch heute — und morgen." Soll
37
man einem Mann, der sein eigenes Volk so wenig kennt, daß
er 1915, als England fiebernd den Krieg betrieb, in Deutsch-
land die Ansicht verbreitete, „in England denkt weder Herr
noch Bauer, weder Kaufmann noch Arzt noch Anwalt noch
Beamter daran, sich am Kriege zu beteiligen oder seine Söhne
dafür hinzugeben" — soll man einen solchen nicht Kenner,
sondern Nichtkenner der Historie als Interpreten auf dem
dunklen Gebiet der Vorgeschichte Israels anerkennen ? Soll man
einem Mann, den der Biograph Gobineaus öffentlich gefragt
hat, „ob es gentlemanlike wäre, daß Chamberlain der franzö-
sischen Quelle seines unverdienten Ruhmes kaum anders als
mit den verächtlichsten Ausdrücken unter groben Mißver-
ständnissen oder Entstellungen gedenkt," soll man einem also
öffentlich als Plagiator gebrandmarkten Manne Glauben schen-
ken, wenn er dem ihm verhaßten Volk den gleichen Vorwurf
macht und behauptet, daß alles Große, das dem Schoß des
Judentums entsprossen, nicht Eigenschöpfung sondern nur
Entlehnung und Germanenleistung wäre ? Soll ein Volk vor der
Rezension eines Mannes, der 1915 von Bethmann Hollweg
sagte: ,,Die beiden Reden des edlen Reichskanzlers sind in ihrer
unrhetorischen Schlichtheit unvergängliche Dokumente" und
denselben Bethmann Hollweg nach seinem Kanzlersturz „den
unglückseligsten Staatsmann, von dem die Weltgeschichte zu
berichten weiß" genannt hat, soll ein Kulturvolk wie das jü-
dische sich durch die Kritik eines solchen Segelrichters und
Windfängers der öffentlichen Meinung veranlaßt fühlen, seine
größten Geister aus der Liste der Menschheitsgenien zu strei-
chen und zufrieden sein, gemäß seiner Wertschätzung an Spinoza
einen klugen Bocher und an Heine einen talentvollen Bänkel-
sänger zu besitzen?
Diese biographischen Notizen lassen wenig Vertrauen auf-
kommen zu den Tendenzen und Methoden des Bannerträgers
der Germanentheorie und seiner Lehre von der Rassenminder-
wertigkeit der Juden. Aber die Gerechtigkeit kennt nicht den
Täter sondern nur die Tat, nicht den Theoretiker sondern nur
die Theorie.
JL)ie entwicklungsgeschichtlichen Voraussetzungen für die
Germanentheorie gibt Wilser in seinem zweibändigen Werk
„Die Germanen". Wie alle Germanentheoretiker beginnt er
statt mit Tatsachen mit einem Programm, als eröffne er einen
Parteitag und nicht eine wissenschaftliche Beweisführung.
38
«
Er bezeichnet seine Lebensleislung als einen „Kampf gegen
den Irrtum gleich dem mit dem Drachen", in dem er „im
Bewußtsein seines durchaus selbstlosen, ohne Rücksicht auf
eigenen Vorteil nach den höchsten Zielen gerichteten Strebens
allmählich gegen grundlose Verunglimpfungen giftfest geworden
sei". Nichts erschiene ihm „schmachvoller, nichts verwerf-
licher als eine Fälschung der Wissenschaft zur Verherrlichung
des eigenen Volkes", aber „eine von verschiedenen Seiten
ausgehende mit strengster Sachlichkeit unternommene For-
schung" weise seinen Vorfahren „eine eigenartige hervorragende
Stellung im Kreise der Völker an". Schließlich betont er,
daß „in all den heftigen Angriffen, die meine für viele Leute
sehr unbequeme Lehre auszuhalten hatte, kein einziger wissen-
schaftlich stichhaltiger Gegengrund zu finden war" — welch
stolzes Zeugnis, wenn man bedenkt, daß selbst ein Newton,
der ein Weltgesetz gefunden, sich im Alter als einen Knaben
bezeichnet hat, der am großen Meer des Unerforschlichen
hie und da eine bunte Muschel der Erkenntnis vom Strande
aufgehoben. Soll man einen Mann, der von der Unantastbar-
keit der Wissenschaft im allgemeinen und seiner eigenen im
speziellen so felsenfest durchdrungen ist, beneiden oder soll
man ihn bedauern?
Auf knapp fünf Seiten entwickelt Wilser folgenden Gedanken-
gang, Da die Abkühlung der Erde von den Polen ausgegangen
ist, so müssen „an den Küsten des Nordmeeres aus Wasser-
tieren ... die ersten Landbewohner entstanden sein". Warum
gerade an den Küsten des Nordmeeres und nicht am Südpol?
„Wären beide Pole von Meeresfluten bedeckt, so müßten wir
notwendigerweise zwei . . . getrennte Schöpfungsherde anneh-
men (nämlich einen am Nordpol und einen am Südpol), Nach
den bisherigen Ergebnissen der Kundfahrten von Amundsen
und anderen fällt aber der Südpol auf ein hochansteigendes,
rings von tiefem Meer umgebenes Festland, und weder Tier-
welt noch Pflanzenwuchs lassen auf zwei verschiedene Ent-
wicklungsgebiete schließen." Folglich ist der Norden die Ge-
burtsstätte des Lebens und die Heimat aller Schöpfung bis
hinauf zum Idealtyp des Germanen.
Auf diese phantastische Ouvertüre folgt eine Theorie der
Eiszeiten, die ebensoviel und ebensowenig wert ist wie alle
anderen Theorien über dieses noch völlig dunkle Phänomen, und
wird als ein neues Glied in die Gedankenkette der Germanen-
Theorie eingefügt mit den lakonischen Worten : „Das ist die eia-
39
fachste Erklärung der Eiszeit . . . Von den vielen anderen Er-
klärungsversuchen kann kein einziger völlig befriedigen, und
wir sehen daher . . . am besten von allen gewaltsamen und plötz-
lichen Veränderungen ab" — ein für den Stil der Germanen-
theoretiker typischer Satz. Aus einer Fülle von Hypothesen
über Probleme, die jeder Lösung spotten und in denen daher
der Spekulation der Forscher schrankenloser Spielraum gewährt
ist, suchen sie die eine ihnen passende Hypothese heraus „und
sehen daher von allen anderen Erklärungsvereuchen ab" und
schreiten auf diesem Wege der Willkür unbekümmert um alles
Hallo der kritischen Wissenschaft weiter, als sei er der Pfad der
Wahrheit, Nachdem nun ausdrücklich — übrigens in krassem
Widerspruch zu allen wissenschaftlichen Voraussetzungen —
betont wird: „Sicher haben sich, seit es Festländer gibt, die
Umrisse derselben nicht wesentlich verändert", fährt die Be-
weisführung in merkwürdigem Gegensatz hierzu fort: „Nach der
Beschaffenheit der den Nordpol umgebenden Länder dürfen wir
annehmen, daß die Niederungen von Sibirien und des östlichen
Amerika einst vom Meere überflutet waren, daß dagegen die fel-
sige Nordspitze von Europa . . . viel weiter nach Norden sich er-
streckt hat. Nur noch vereinzelte Trümmer dieses großen Nord-
landes . . . ragen heute aus den Fluten hervor . . . Dort an den
äußersten Nordlandsküsten hat wie gesagt ( !) die Anpassung von
Wasser tieren an das Leben auf dem Land stattgefunden. Dort
waren auch ... die meisten und wirksamsten Anstöße zur unauf-
haltsamen Fortentwicklung der Lebewesen gegeben, und gerade
die Einschränkung des Wohngebietes im Verein mit der eigenen
Vermehrung trieb diese zu wiederholten, allmählich alles zugäng-
liche Land überflutenden und bevölkernden Auswanderungen".
Also nicht erst seit geschichtlichen Zeiten, sondern schon vor
vielen Millionen Jahren haben die hier oben in Germanien ge-
schaffenen Häupter der Entwicklung, Tausendfüßler und Krebse^
Rochen und Haie, Krokodile und Nashörner, Büffel und Beutel-
ratten, Makaks und Orangs ihre Germanenwanderungen über
den Erdball angetreten und alle Meere und Kontinente wie
ihre späteren blonden zweibeinigen Heldenenkel mit den Seg-
nungen des Lebens und des Fortschritts beglückt. Und Pro-
fessor Wilser beschreibt all dieses Werden und Wandeln so an-
schaulich, als sei er vor hundert Millionen Jahren hier oben mit
dem Bädeker unter dem Arm in der Arktogaea herumgereist und
habe Jahrtausende lang von hoher Felsenklippe der Entwicklung
und den Wanderungen seiner vierf üßigen Vorfahren zugeschaut.
40
Aber die Tierwelt hat im begnadeten Norden nicht nur ihren
Ursprung genommen sondern auch ihre Vollendung gefun-
den ... „Daß das Tierleben an seinem Ursprungsort auch
zuerst den höchsten Gipfel der Entwicklung erreicht haben muß,
habe ich schon vor Jahren durch folgendes Gleichnis anschaulich
zu machen versucht: lassen wir aus einem Trichter Streusand
auf eine ebene Fläche rieseln, so entsteht ein nach allen Seiten
hin abgeflachter Hügel, der da am höchsten ist, wo die ersten
Sandkörner aufgefallen sind." Ein seltsamer Einfall, die Ent-
wicklung einer wandernden Tierwelt durch ein physika-
lisches Phänomen zu begründen, das eben dadurch in Er-
scheinung tritt, daß die fallenden Partikel nicht wandern,
sondern sich an Ort und Stelle häufen! Der gesunde Men-
schenverstand muß doch selbst bei der ganz indiskutablen
Prämisse einer pyramidenförmigen Ausstrahlung der Tierwelt
mit der Spitze in Germanien gerade in den Wanderungen mit
ihrem Milieuwechsel den stärksten Antrieb für die Entwick-
lung und Vielgestaltung des Tierreichs in den verschie-
densten Zonen der Erde ohne bedingungslose Vorherrschaft
einer Klasse und einer Rasse erblicken.
Nachdem Wilser hierauf die Ausbreitung der Wirbeltiere
nach Süden ausführlich geschildert hat, kommt er auf den
Menschen zu sprechen: „Daß gerade in diesen (nämlich den
südlichsten) Breiten auch die niedersten Menschenrassen hausen
... ist ein Beweis dafür, daß der Mensch . . . sich in ähnlicher
Weise wie niedere und höhere Wirbeltiere über den Erdball
verbreitet, daß dort (nämlich im Norden), wo der erste Lurch
im Schlamm gekrochen, das erste Säugetier durch Lungen-
atmung warmblütig geworden ist, auch der Urmensch sich
aufgerichtet und auf die Beine gestellt hat. Dazu stimmt, daß
alle höheren Rassen aus dem Norden gekommen sind, der Hei-
mat der weltbeherrschenden Kulturvölker. Die letzte Welle
des nordischen die Erde belebenden Stromes fällt ins volle
Licht der Geschichte und wird , germanische Völkerwanderung*
genannt." Wie luftig und lustig ist diese Germanentheorie.
Aus der Tatsache, daß die niedersten Menschenrassen heute auf
den Südseeinseln gefunden werden, wird der Schluß gezogen,
der Mensch habe sich auf der entgegengesetzten Seite der Welt-
kugel „an den Küsten des Nordmeeres" entwickelt — ein
Saltomortale der Logik von Pol zu Pol, bei dem sich der
Gedankenakrobat unfehlbar seine Wirbelsäule brechen muß
— wenn er kein Kautschukmännchen ist. „Dazu stimmt"
41
gar nicht, ,,daß alle höheren Rassen aus dem Norden ge-
kommen sind". Die Weltgeschichte lehrt das Gegenteil. Diesem
Satz widersprechen in der Geschichte ebenso viele Jahrtausende,
wie ihm Jahrhunderte zuzustimmen scheinen.
Wir sind nicht einmal imstande, die Naturerscheinungen
der Gegenwart, die sich vor unsern Augen abspielen, auch nur
einigermaßen in ihren Relationen zu begreifen; eine „wissen-
schaftlich unanfechtbare" Prähistorie in der Wilser'schen De-
taillierung zu entwerfen, ist ein Unternehmen, das an die
Kletterkunststücke eines Nachtwandlers erinnert: nur jemand,
der keine Ahnung von ihren Schwierigkeiten besitzt, kann sie
ausführen. Entwicklungsgeschichtliche Voraussetzungen wie
die von Wilser können immer nur Hypothesen von Hilfswert
sein, an die man einzig die Forderung der Logik, aber nie das
Postulat der Wahrheit stellen kann. Mit einer „Forschung
strengster Sachlichkeit", gegen die „kein einziger wissenschaft-
lich stichhaltiger Gegengrund zu finden war", haben die
naturwissenschaftlichen Dilettantismen Wilsers so wenig ge-
meinsam wie ein Theaterdonner mit einem echten Gewitter.
Die Wilser'sche Vorgeschichte ist eine moderne Germanen-
mythologie und kann als Mythe keinen Anspruch erheben,
Gegenstand wissenschaftlicher Kritik zu sein. Sie ist hier nur
in kürzester Skizzierung als Prolog vorangestellt, um mit dem
Geist der „Wissenschaftlichkeit" vertraut zu machen, der uns
im Reich der „Politischen Anthropologie" umfängt ; um die Fun-
damente aufzudecken, auf denen jene wissenschaftliche Theorie
aufgebaut ist, die heute den tonangebenden Kreisen des deutschen
Volkes ihren Standpunkt in der Rassenfrage anweist.
W as sich vor dem Sonnenaufgang der Geschichte abgespielt, ist
uns verhüllt. Gegenstand der Diskussion können nur historisch
prüfbare Tatsachen sein. Auf drei Säulen ist das Gebäude
der Germanentheorie errichtet: 1. Die Germanenwanderungen;
2. Die Verbreitung germanischer Typen unter allen Kultur-
völkern; 3. Die Germanennatur der Genies aller Völker und
Zeiten.
Daß Germanen gewandert sind, steht geschichtlich fest.
Aber die Tatsache der Germanenwanderungen in den Jahr-
hunderten um Christi Geburt berechtigt in keiner Weise zu der
Annahme, daß auch Jahrtausende vordem solche Wanderzüge
stattgefunden haben. Völkerwanderungen sind keine Rassen-
eigentümlichkeit und insbesondere keine germanischen Wesens;
42
-wandern doch selbst Ratten und Heuschreckenvölker; Völker-
Avanderungen in der Kulturgeschichte sind nichts anderes
als das Symptom eines bestimmten Kulturzustandes. Wie
die Kinder, wenn sie mannbar werden, das Vaterhaus ver-
lassen und sich in der Welt eine Heimat suchen, weil im Hause
zu viel Brüder sind, um beisammen zu wohnen, so wandern
die Völker in der Pubertätszeit ihres Lebens, wenn der Be-
tätigungsdrang, der „Wille zur Macht", in ihnen erwacht, aus
der durch natürliche Fruchtbarkeit überfüllten Heimat. Die Reife-
zeit eines jeden Volkes setzt mit solchen Lehr- und Wander-
jahren ein. Die Geschichte Babylons beginnt mit der Einwande-
rung von Semiten in das Kulturgebiet von Sumer und Akkad;
die griechische Geschichte mit der dorischen Wanderung, die
Geschichte Roms mit der Aenöis, die Geschichte Japans mit
dem Übersetzen der Chinesenstämme auf die Inseln der Ainos,
so wie die Geschichte Englands mit den Zügen der Angeln,
Sachsen, Dänen und Normannen nach Albion anhebt; die Sipp-
schaft Abrahams wandert vom südlichen Chaldäa in das nörd-
liche Mesopotamien, Israel wandert, „ehe es ein Volk ward",
40 Jahre durch die Wüste. Die Araber durcheilen die Welt im
Siegeslauf, die Hunnen kommen von Asien bis über den Rhein,
die Türken dringen bis Wien vor, die Geschichte Amerikas be-
ginnt mit dem Zustrom der Europäer in die Neue Welt. Die
Malayen haben sich in den wenigen Jahrhunderten unserer
Beobachtung über weite Gebiete des Erdballs verbreitet, die
afrikanischen Bantu-Rassen über zwei Drittel der Nord-Süd-
Länge Afrikas hingeschoben.
Aber selbst angenommen, Germanen seien in früheren Zeiten
weit in die Welt gewandert — es kommt ja gar nicht darauf an,
daß sie gewandert sind, sondern ob sie hierdurch merklichen
Einfluß auf die Kultur der fremden Völker gewannen. Selbst
wenn sich einmal durch Serumproben germanisches Blut unter
den Mongolen nachweisen ließe, wäre das noch lange kein Be v es
von germanischem Einfluß auf die asiatischen Kulturen. Neh-
men wir an, die Mongolen tragen in einem kommenden Ring en
der Rassen den Sieg über die Weißen davon. Sie stellen in ihrem
Siegesrausch Mongolentheorien auf und erklären die europäische
Kultur für eine Großtat der gelben Rasse, weil Attilas Reiter-
scharen dereinst in Europa nordischen Busen und Leib be-
herrschten. Der klein gewachsene Kant, der breitgesichtige
strähnenhaarige Beethoven, der kleine rundköpfige Menzel Mon-
golen in der ,, beweisbaren" Theorie der künftigen Mongolen-
43
Iheoretiker! Die vor Jahrtausenden in alle Weitteile gewan-
derten Germanen sollen in Ostasien, Zentralamerika, am
Euphrat und in Hellas Kulturen geschaffen haben — warum,
so fragt man sich, taten sie es nicht in ihrem eigenen Heimat-
land ? Warum wanderten sie erst nach Indien, China, Peru, um
ihre Schöpferkraft zu erweisen ? Warum so weit und am wei-
testen zuerst? Warum fangen sie, aller Logik der Geschichte
zum Hohn, am entgegengesetzten Ende der Welt zu kolonisieren
an? Schien nicht auch in Italien die Sonne? Winken nicht
auch in Spanien Trauben und Orangen? Und wo blieben all
die Millionen und Abermillionen Germanen, die zu dieser Welt-
ballkultivierung hinausgezogen sein müssen, zumal sie doch
überall sieghaft waren ? Nicht ein einziges winziges Stämmchen
hat sich irgendwo in einem Bergland oder auf einer Insel rein er-
halten. Warum gründeten sie nirgendwo ein Reich spezifisch
germanischer Kultur? Seltsam, wohin Griechen und Römer
kamen, blieben sie Griechen und Römer und verpflanzten sie
griechischen Geist und römische Art; die Japaner, die die Aino-
Inseln erstiegen, verleugnen noch heute nicht ihre chinesische
Herkunft. Die Europäer, die nach Amerika gekommen sind,
haben die Indianer verdrängt und ihre sieghafte Rasse erhalten
und ihre Kultur begründet. Sie haben die Neger nicht zu
Gentlemen gemacht und die Indianer nicht zu Mathematik-
professoren. Aber die Wandergermanen ? Sieghaft dringen sie
ein, schütteln wie die japanischen Gaukler auf dem Variete die
bunten Bälle, Seifenblasen, Silberkugeln der Kultur über das
Parterre der Barbaren — und verschwinden dann spurlos wie
die Feen des Märchens, die ihren Schützling beglückten. Und
was noch seltsamer ist: diese blonden Germanen spielen in
China über Silberbrücken nachts auf Jadeflöten Sehnsuchts-
lieder und hauchen mit dem Tuschepinsel über Seidenschirme
Mondscheinszenen — Nippesfigurenkultur — und wenige Grade
davon verneinen sie, als Brahmanen in des Daseins tiefste Rätsel
versenkt, das Dasein. In Babylon richten die „germanischen"
Amoriterkönige Quader auf Quader, weltlicher Größe despotisches
Mal, und wenige Tagereisen daneben sitzen ihre lockigen Brüder
als Propheten Judas im Staub und beweinen die Hinfälligkeit
des Menschen, der so vergänglich ist wie Gras und welkend wie
die Blume des Feldes. Hier fluchen sie dem Bildnis der Gottheit
und eine Sonnenstunde weiter wandeln sie als Hellenen zwischen
den Statuen und Säulen ihrer himmlischen Idole. Kinder eines
Geschlechtes dichten im Osten Kirschblütenlyrik und in Indien.
44
Vedenweisheit, in Judäa Psalmen und in Persien Schenkenlieder,
Schicksalsdramen in Hellas und Spielcharaden am Khalifenhof,
in der Provence laszive Troubadourgesänge und im Norden
herb-keusch-kühle Minnelyrik. Der Weinstock trägt Trauben,
ob man ihn an den Ufern des Rheines pflanzt oder an den Hängen
des Hymettos. Aber dieser Wechselbaum trägt die Früchte der
Gärten, darein man ihn setzt. Er grünt in Spanien als Zitrone,
in Hellas als Ölbaum, in Indien als Lotos und in Japan als
Chrysanthemum. Diese Schar von lockigen Löwen wird zu
Lämmern, wenn sie in eine Schafherde einbricht, und zu Feder-
vieh, wenn sie einen Hühnerhof überfällt. Seltsam Geschlecht,
diese Wandergermanen ! Proteus, der tausendgestaltige, ewig sich
wandelnde, schämt sich vor ihnen.
Andere Völker sehen wir werden; mühsam ringen sie sich
empor; aus Barbaren werden Bauern, aus Bauern Bürger, aus
Bürgern Künstler und Gelehrte. In der Gesetzmäßigkeit eines
Lebenslaufes sehen wir sie ihres Daseins Kreise vollenden.
Aber diese Wandergermanen werden nicht, sie sind. Wie
Athene aus dem Haupt des Zeus springen sie göttlich vollendet
hervor aus der blondumlockten Stirn Europas. Sie altern nicht,
sondern ewig jung wie die Olympier wandeln sie seit Jahrtausen-
den zwischen den sterblichen Völkern der Erde und kredenzen
ihnen das Ambrosia der Kultur. Um so seltsamer, da wir doch
sehen, wie der Heimatstamm dieser Germanen, nachdem er, einer
kinderreichen Mutter gleich, einen Sohn nach dem andern zu
glänzendem Schicksal hinausgesendet in die Welt, endlich als
letzter nun selber erwacht und wie er nun, mühsam und schwer-
fällig wie sein Blut ist, um jene Offenbarungen der Kultur zu
ringen hat, die er doch selber so oft schon der Welt geschenkt,
mühsamer als der bewegliche Grieche, als der ehrgeizige Römer
und der leicht fassende Jude. Und er als erster von allen germa-
nischen Stämmen entwickelt germanisches Wesen. Nichts von
dem, was seine Kinder schufen, ist in ihm. Seine Kultur ist
nicht chinesisch, nicht indisch, nicht palästinensisch und nicht
hellenisch, sein Geist ist germanisch, sein Wesen ist — sein.
Auf dem schwanken Floß ihrer Wanderhypothese segeln die
Germanentheoretiker zwischen Scylla und Charybdis. Scylla,
die harte Klippe nackter Tatsachen — Charybdis, der grund-
lose Strudel geschichtlicher Metaphysik.
Scylla. Soweit der historische Blick zurückreicht, sehen wir
in Europa Völkerwanderungen und Völkermischungen, Kriegs-
45
und Kreuzzüge, friedliche und feindliche Invasionen, Okkupa-
tionen, Kolonisationen, Okulationen und Bastardiorungen in
einer Fülle, die jede Rassesichtung unmöglich macht.
Sobald man der Rassengeschichte irgend eines europäischen
Volkes nachspürt, verliert man sich rasch in undurchdringlichem
Dunkel. Die Anfänge Roms sind rassengeschichtlich ebenso ein
ewiges Geheimnis wie die Ursprünge Griechenlands, Galliens
oder Germaniens. Wer waren die Pelasger? Wer die Dorer?
Wer waren die Etrusker, denen sich die römischen Zu wand erer auf-
pfropften ? Corssen betrachtet sie als Italiker, Bugge als Armenier,
Weltmann als Arier, Wirth als schlitzäugige Kaukasus-Andi,
Tylor als ein Altaivolk, Brinton als Libyer, Wilser als Thra-
kier, Yanelli als Semiten, Frauer als lydische Hethiter, nach
Flizier waren sie nichts von alledem — welch eine Harmonie
der Stimmen! Wer und was sind die Kelten, die sich etwa ein
halbes Jahrtausend v. Chr. über das heutige Frankreich, Belgien
und England ausgebreitet haben und hier über einer uns ganz
unbekannten Unterschicht von Urrassen den Grundstock der
heutigen Bevölkerung bilden? Die Germanentheoretiker miß-
brauchen sie so gerne als dunkle Kehrseite für die lichte Medaille
ihres Germanenideals — in Wahrheit wissen wir aber auch nicht
ein Sterbenswörtchen über sie. Renan rühmt am Kelten ,,die
Anmut der Phantasie, das Ideal von Sanftmut und Schönheit
als höchsten Lebenszweck, die reizende Schamhaftigkeit und
Weiblichkeit", Fouillet an ihm die ,, friedliche Natur, Wunden
und Beulen sind nicht sein Geschmack. Er hegt kein Verlangen
die Welt zu durchstreifen, Pfeile gen Himmel zu senden oder mit
dem Meere zu kämpfen. Er liebt den Heimatboden und hängt
an seiner Familie." Über eben dasselbe Volk, dieses „Ideal
von Sanftmut, Schönheit, Schamhaftigkeit und Weiblichkeit"
schreibt Grant Allan : „Der Kelte nährt eine unbezähmte Leiden-
schaft für Abenteuer und Gefahren", und Finot kommt nach dem
Studium aller Quellen zu dem Schluß, ,,daß sie schlecht und
recht brutale, dem Kampf leidenschaftlich ergebene Barbaren
waren. Als man an der Hand neuerer Funde dem häuslichen
Leben der Kelten nachspürte, war man überrascht über ihre
Verachtung der Frau und ihre geschlechtlichen Neigungen.
Die Gattin ist zu einem bloßen Instrument zur Erzeugung männ-
licher, für den Krieg notwendiger Sprößlinge herabgesetzt. Die
Frau wird verhandelt und geht von Hand zu Hand um den ge-
wohnten Preis von drei Stück Hornvieh." Chamberlain weist des.
Langen und Breiten nach, daß die Kelten den Germanen brüder-
46
lieh verwandt und in den weiteren Begriff der Germanen einzu-
rechnen seien. Driesmans dagegen, der das Keltenproblem in
umfangreichen Werken bearbeitet hat, entwickelt die ganze
europäische Kulturgeschichte als einen Rassenkampf zwischen
Germanen und Kelten, in dem die Kelten als die mephistophe-
lischen Antipoden des faustischen Germanen hingestellt wer-
den. Der Franzose Thierry wiederum, der, wie Driesmans und
Chamberlain von Germanen, von den Kelten abzustammen
meint, verherrlicht die Kelten als die Helden Europas, und
zwar mit fast wörtlich denselben Ausdrücken, mit denen der
Deutsche Giesebrecht — die Germanen verhimmelt. Zehn an-
dere Schriftsteller urteilen über die Kelten und Germanen zehn-
mal anders.
„Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist."
Den Kelten rückten die Germanen nach und ergossen sich
über sie wie eine zweite Welle über die erste. Wer waren die
Germanen? In welchem Verhältnis stehen sie anthropologisch
za den Kelten und übrigen Völkern der Zeitgeschichte? Wir
wissen über sie so gut wie nichts. Tacitus' tendenziöse Sitten-
schilderung, die wissenschaftlich vielleicht nicht mehr Anspruch
auf Wahrheit erheben kann als die Beschreibung der glück-
lichen Südseeinsulaner durch St. Pierre in „Paul und Virginie",
ist fast die einzige „authentische" Quelle unserer Kenntnisse.
Nachdem sich über die unbekannten Vorrassen die unbe-
kannten Kelten und über diese die unbekannten Germanen
ergossen hatten, infiltriert sich Mitteleuropa von Norden her
durch seine Flußläufe mit Normannenblut. Wer waren diese Fluß-
piraten, die ein Jahrtausend lang Nordeuropa brandschatzten?
Waren sie eine Rasse oder eine Nation, lose zusammenhängende
nomadisierende Stämme — oder ist Normanne überhaupt nur
ein Sammelbegriff für Seeräuber wie die Ausdrücke Hunnen,
Beduinen, Indianer? Niemand weiß es.
Unterdes breitet sich wie ein Terpentintropfen, den man auf
eine Palette geträufelt hat und der sich nun nacheinander mit
allen Farben mengt, über die Rassenpalette Europas von seinem
italischen Zentrum der römische Eroberer aus, und nun beginnt
die große Mixtura omnium. Wie ein Tanz, der würdevoll im
Andantino anhebt, dann immer rascher wirbelt und schließlich
in einem Furioso entfesselter Leidenschaften endet, verläuft auf
der Bühne des römischen Welttheaters der Reigen der Rassen-
47
mischung. Jahrhundertelang werden — indes der Republikaner
noch stolz als civis romanus seine „Rasse" rein hält — Sklaven
aus aller Herren Ländern nach Italien importiert und zeugen
hier das bunteste Bastardvolk der Weltgeschichte. In den Spät-
zeiten der Republik strömt durch die Mischehen der Beamten
und Soldateska in allen Provinzen des weiten Reiches Blut
aller Rassen des Erdkreises in das Herz der Welt nach Rom.
In der Cäsarenzeit beginnt die Promiskuität: die Sklaven wer-
den frei, die Bastarde steigen auf zu Ämtern und Würden; Prin-
zessinnen empfangen in den Armen numidischer Prätorianer,
der blonde Barbar wird der Buhle des römischen Mädchens,
die Orientalin die Konkubine des Patriziersohns . . . die große
Weltparade der römischen Geschichte endigt in einer Orgie der
Leiber.
Wie Räuberscharen auf das Signal, daß die Gäste eines Festes
trunken sind, durchTüren und Fenster hereinstürzen, brechen über
dieses italische Bacchanal der Völker von allen Seiten die Barbaren
herein und vergewaltigen die widerstandsschwachen Bastarde.
Von Norden die Cimbern, Teutonen, Franken, Vandalen, Goten
und Avaren, von Osten die Thrakier und Dacier, aus Asien die
Scharen der jüdischen Christen mit ihren syrischen, ägyptischen,
griechischen Proselyten, von Süden Nubier, Numidier und
Mauretanier, von den nordischen Gewässern her die Normannen
— Jahrhunderte lang brodelt wie ein Gebräu in einem Kessel
diese Mixtur der Rassen aus allen Breiten des Orients und Occi-
dents. Eben vielleicht wieder beginnt das seltene Gemisch zu
einem Einheitsstoff sich zu verkochen, da strömen neue Flüsse
hinzu : von Osten in heftigem Schwall die gelbe Flut der Hunnen,
von Süden das Sepia arabischen Blutes. Kein Strich Landes
bleibt von ihnen verschont. Ebenso weit wie die Hunnen von
Osten drängen die Araber von Westen herein. Wären sie statt
durch drei Jahrhunderte getrennt zu gleicher Zeit gekommen,
hätten sich ihre Vorposten in der Champagne gegenüber-
gestanden. Beide sitzen Jahrhunderte am Stamm Europas wie
schmarotzender Schwamm und haben unauslöschlich das Blut
der weißen Rasse infiziert. Allenthalben in Süddeutschland
sieht man die Spuren der Herrschaft von Etzels Reiterscharen
über die Töchter des Landes; überall im Süden von Frankreich
die Tyrannei der Sarazenen, die hier mit Feuer und Schwert und
dem Samen ihres Leibes vor tausend Jahren Proselyten gemacht.
Was von diesen beiden verschont geblieben, wurde die Beute der
flußbefahrenden Normannen, die im Norden nicht weniger
48
Land und Leiber tyrannisierten als im Süden Mongolen und
Mauren. Um die Wirkung dieser Infusionen nicht zu unter-
schätzen, bedenke man, daß die Urbevölkerung durch die Jahr-
hunderte währenden Wanderungen, Kriege und Versklavungen
spärlich geworden war. Fremde regierten das Land.^)
Das war die Hochzeitsnacht Europas. Und der Saal des
wilden Festes war der Edelgrund der nordischen Rasse, war das
Land zwischen Elbe und Loire, wo die Franken saßen, die einst
Frankreich seinen Namen geben sollten, und die Allemannen,
die die „Allemands" geworden. Germanische Rassenreinheit —
keltischer Rassencharakter — Ammenmäre. Finot zählt 59 ver-
schiedene Völker aus allen Gegenden der Erde auf, die sich an
der Zusammensetzung der heutigen Bevölkerung Frankreichs
beteiligt haben. „Als ein Volk der ungeheuerlichsten Mischung
und Zusammenrührung der Rassen, vielleicht sogar mit einem
Überschuß des vor-arischen Elements, als „Volk der MitteV in
jedem Verstände, sind die Deutschen unfaßbarer, umfänglicher,
widerspruchsvoller, unbekannter, unberechenbarer, überraschen-
der, selbst erschrecklicher als es andere Völker sich selber sind —
sie entschlüpfen der Definition" (Nietzsche).
JJieses die felsenfest stehende Scyllaklippe der historischen Tat-
sachen, an der jeder noch so kühne Segler, der im Wind der
Rassentheorie daherfährt, scheitern muß. Nun der metaphy-
sische Gharybdisstrudel der Geschichtsphilosophie.
Wo immer sich Völker vermischen, entsteht ein
völlig Neues. Völkermischungen gehen nicht nach dem Rezept
der Germanentheorie so vonstatten, daß sich über den dunklen
Kakao des niederen Stammes die helle Schlagsahne der sieg-
reichen Germanen ergießt und nun als Creme über der Urmasse
schwimmt, Völkermischungen sind chemische Verbindungen ver-
schiedenen Blutes. Aus Salpetersäure und Zellulose entsteht Dy-
namit. Völkergeburten sind wie Menschgeburten; zwei Eltern
paaren sich, aber das Kind, das entsteht, ist nicht ihre Hälfte und
nicht ihre Summe sondern ein völlig Neues, eine unberechenbare
neue Konstellation des Weltenstoffes, ein Mosaik aus tausend
^) Es wäre interessant, einmal die Genealogie der bedeutenden Männer
dieser Frühzeit aufzudecken; hier seien nur im Vorübergehen die Kuriosa
erwähnt, daß das älteste französische Gedicht von einem Juden, die erste
deutsche (gotische) Bibelübersetzung von dem Kappadozier und Halb-
Armenier Ulfilas und ein Drittel der römischen Pandekten von dem
Phönizier Ulpianus stammen.
4 Kahn, Die Juden. ^
kleinen Charakterteilchen seiner Ahnen, Man sucht Goethe
vergeblich in seinen Vorfahren. Alle Textors und Goethes zu-
sammen hätten keinen Faust geschrieben. Bach ist ein völlig
neues Phänomen in der Geschichte des deutschen Volkes, ja in
der ganzen Geschichte der Menschheit. Mit jeder Nation wird
ein Neues, nie vordem Gewesenes geboren.
Aus der Walpurgisnacht der Rassen über den Trümmern des
römischen Reiches entsteht in Italien ein neues Volk, nie vorher
vorhanden, heute schon wieder ausgestorben, niemals wieder-
kehrend ; das sind keine Römer, Etrusker oder Griechen, keine
Goten, Vandalen oder Hunnen, keine Syrer, Juden oder Araber,
obwohl all diese Völker ihren Beitrag hinzugegeben haben zur
neuen Mixtur, das sind die Italiener der Renaissance, ein Volk
mit neuem Charakter, neuen Fähigkeiten, neuen Fehlern, in dem
allerdings die Tugenden und Untugenden all seiner Muttervölker
spuken und eben dadurch jenes einzigartig grandiose Schauspiel
der Leidenschaften und Taten inszenieren, das die italienische
Renaissance der Weltgeschichte bietet. Im ehrwürdig ernsten
pater familias des patriarchalischen Rom ist keine Spur zu ent-
decken vom kraft-genialen Uomo universale des Cinquecento;
im römischen Tribun lebt nichts vom Abenteurersinn des
Condottiere. Welch Wandel der Sprache! Aus dem lapidaren
Latein wird das in Koloraturen trillernde Italienisch. Italien^
das zur Römerzeit nicht einen Dichter, nicht ein einzig Lied ge-
boren hat, wird in der Renaissance die Wiege der modernen
Musik und das Vaterhaus der abendländischen Dichtung — Dante
und Palästrina sind seine Söhne.
Wie in Italien kommt in allen Ländern des Völkerwanderungs-
gebietes nicht, wie uns die Germanentheoretiker wissen machen
wollen, eine bestimmte Rassenkomponente zum Durchschlag,
etwa die germanische, sondern aus dem Völkergemisch ent-
wickeln sich je nach Milieu und Epoche ganz neue und jeweils
völlig verschiedene Volksindividualitäten. Aus einer zu hohem
Prozentsatz gleich gemischten Grundmasse entwickelt sich in
Spanien das spanische, in Frankreich das französische, in Eng-
land das englische Volk. Unbeirrt durch alle Störungen, sieghaft
über allen Mischungen und Kreuzungen, entwickelt sich in jedem
dieser Länder als ein Resultat aus Rasse und Milieu und als das
Kind einer bestimmten Kulturepoche mit fest umgrenzten
Traditionen, Gegenwartsaufgaben und Zukunftszielen ein neues
Volk mit einem neuen kulturell spezifisch ausgeprägten Indivi-^
diialcharakter: die Nation.
50
Ein Volk ist wie ein Lebewesen. Einmal gezeugt, entwickelt
es sich unausweichlich in der Richtung seiner Erbanlagen.
Was es in sich aufnimmt, assimiliert es. So wenig wie wir Ochsen
werden, wenn wir Rindfleisch essen, oder Kohlköpfe, wenn wir
vegetarisch leben, so wenig ändert sich der Individualcharakter
eines in der Entwicklung begriffenen Volkes merklich durch den
Zustrom fremden Blutes, so lange dieser nicht die Grenze der
Assimilationsfähigkeit überschreitet. Daß Germanen, aus fernen
Zonen zugewandert, fremden Völkern ihre Nationalkultur ge-
geben haben könnten, widerspricht aller historischen Logik und
Erfahrung. Man zeige einem Menschen, der Kunst und Ge-
schichte kennt, aber nichts von der arabischen Herrschaft über
Spanien gehört hat, die Meisterwerke von Madrid und frage ihn,
welche Rasse hier bis vier Jahrhunderte vor diesen Schöpfungen
geherrscht hat. Er kann es so wenig erraten, wie man aus Schu-
berts Liedern oder Mozarts Symphonien hören kann, daß Öster-
reich tausend Jahre das Okkupationsgebiet der Hunnen gewesen.
Und wie die Araber nicht in den Spaniern, so haben wieder die
Spanier Karls V. — stolz will ich den Spanier! — keine Spur
hinterlassen in den heutigen Apfelsinenhändlern und Anarchisten
von Barcelona. Um den Zauber eines Greco zu empfinden,
muß heute ein Deutscher in den Prado kommen. Zu Philipps
Zeiten hätte ich kein Deutscher heißen mögen — heute möchte
ich kein Spanier sein.
Incadit Scyllam qui vult vitare Charybdim. Kulturprobleme
lassen sich mit rassentheoretischem Rüstzeug weder historisch-
deduktiv noch biologisch -induktiv angreifen. Als Historiker
erkennt man die Unmöglichkeit, eine Nation in ihre Rassen-
komponenten zu zerlegen; als Biologe wird man gewahr, daß
das Produkt dieser Rassenkomponenten, die Nation, gar nicht
deren Summe sondern ein völlig neues Naturphänomen dar-
stellt, das sich aus den Faktoren im Voraus nicht errechnen
und hinterher nicht begründen läßt, so daß selbst die genaueste
historische Kenntnis aller vorangegangenen Rassenmischungen
zu keinem Ziele führt. Kultur ist nicht durch Rasse zu
erfassen. Mit dem groben Fischernetz der Rassenf orschuiig
kann man die Heringsscharen der Völker fangen, aber nicht den
bunten Falter der Kultur erhaschen ; diesem muß man über den
blumigen Wiesen des Lebens mit dem leichten Netz des Speziali-
tätenjägers nacheilen. Mit dem plumpen Massenbegriff Ger-
mane kann man Erscheinungen wie Athen, Florenz oder
Nürnberg so wenig greifen wie die Pralines einer Konfekt-
4* 51
schale mit einer Schmiedezange. Kultur ist Lokalerscheinung.
Schon zwischen Athen und Sparta, Städten eines Landes,
gähnt eine unüberbrückbare Kluft. Jerusalem und Babel,
in einem Kulturkreis gelegen, von einer Rasse bewohnt und in
gleicher Epoche blühend, bedeuten noch heute in aller Herzen
die zwei Antipole der Lebensführung und Weltanschauung.
Florenz ist eine andere Welt als Venedig, Nürnberg eine andere
Epoche als Weimar. Als dort in jeder Gasse ein Meister malte
oder sang, war dieses ein Bauerndorf, in dem die Kinder Enten
trieben; als hier sich die Fürsten Europas im Licht der Genien
sonnten, ging man dort an den Meisterhäusern vorüber wie an
den Gräbern Ägyptens. Hier mit dem Rassenbegriff Germane
operieren, heißt mit einem Dreschflegel nach Mücken schlagen. Wie
anders läßt sich das Problem schon an, wenn man den Rassen-
begriff germanisch durch den Nationalbegriff deutsch ersetzt!
Noch weniger als Kulturen und Epochen lassen sich einzelne
Geister durch das weitmaschige Netz der Rassenlehre fangen.
Es gibt keine germanischen Genies. Newton, Darwin und Lord
Kelvin sind ausgesprochen englische Charaktere; aus ihren
Werken weht ein ganz anderer Geist als aus Humboldts Kosmos,
Goethes Farbenlehre oder Häckels Morphologie. Watteau,
Boucher, Fragonard und Poussin mögen noch so auffallend
blonde Haare und blaue Augen besessen haben, sie sind keine
„Germanen" sondern französische Meister, spezifisch franzö-
sisch — antigermanisch. Boticelli, Raffael, Leonardo da Vinci,
Correggio, Tizian und Tintoretto mögen körperlich germanische
Idealfiguren gewesen sein, ihre Schöpfungen atmen die Weich-
heit italienischer Luft und die Wärme südlichen Empfindens,
sie sind spezifisch a-germanisch und stehen den Werken eines
Grünewald, Dürer, Holbein, Altdorfer und Kranach gegenüber
wie ein italienischer Frühling einem nordischen Winter. Selbst
wenn sie — was höchst unwahrscheinlich und auf jeden Fall
völlig unbeweisbar ist — der Rasse nach Germanen gewesen sein
sollten, als Kulturträger — und das ist ihre Größe, ihre einzige
Größe — sind sie Söhne Italiens und Kinder des italienischen
Volkes — Italiener. Selbst der kühnste Brückenbauer schwin-
delndster Theorien baut keinen Bogen über die Alpen. Wer
weiß, ob der „Germane" Correggio unter dem trüben Himmel
des Nordens und vor Grünewalds Grauen-beschwörenden Altären
jemals einen Pinsel zur Hand genommen hätte!
Nicht einmal die Niederländer kann man trotz ihrer unbe-
streitbaren Rassenverwandtschaft als Kulturaation mit den
52
Deutschen unter das Joch einer gemeinsamen Formel spannen.
Selbst mit ihrem flamischen Bruderstamm bilden sie ein un-
gleich Gespann vor dem goldenen Wagen der Künste. Rubens
und Rembrandt — dort der große Flame, dessen sinnlich be-
wegter Gestaltenfülle keine noch so weit gespannte Leinewand Ge-
nüge tut, dem die Palette nicht sattsam Farben trägt, flandrische
Freuden zu malen — hier der stille Gassenmeister Amsterdams,
der selbst seine geliebtenGeschmeide nur schüchtern aus dem Halb-
dunkel dämmriger Vorhänge schimmern läßt, und dem ein Quart-
blatt hinreicht, die Passion des Heilands zu verewigen. Eine Rasse
— zwei Kulturen ! Durch die Verschiedenheit der Kulturen un-
endlich weiter getrennt als durch die Einheit der Rasse verbunden.
Rasse verhält sich zu Kultur wie Geometrie zur Baukunst.
Die Germanentheoretiker wollen den Petersdom aus Trigono-
metrie erklären. Aber mit anthropologischen Begriffen wie
Schädelindex, Gradzähnigkeit und Nasenhöhe sind Kultur-
schöpfungen wie die Bibel, das Jus romanum oder die Beethoven-
symphonie so wenig zu begründen und begreifen, wie man aus
den Kepler*schen Gesetzen den Frühling herleiten kann^oder
aus der Maxwell'schen Lichttheorie beweisen, daß auf der Erde
Rosen blühen und Falter fliegen müssen. Rasse liegt der Kultur
so metaphysisch tief zugrunde wie der Schopenhauer'sche Wille
den Erscheinungen der Welt. Der Wille steht außerhalb^ -der
Kausalität. Er erklärt nichts, wenn er auch aller Dinge Wesens-
grund ist. Nur durch die Erscheinungsformen Zeit, Raum und
Kausalität tritt der Wille als Individuation faßbar ins Dasein;
ins Kulturhistorische übersetzt, nur durch Epoche, Milieu und
geschichtliches Schicksal wird die Rasse zur historisch greif-
baren Individualerscheinung der Kulturnation.
Selbst wenn Germanen nach Judäa gekommen sein sollten,
ja selbst wenn jüdische Propheten Abkömmlinge von Germanen
gewesen, vollbrachten sie keine Großtaten germanischen Geistes
— groß geworden sind sie als Glieder der jüdischen Gemein-
schaft und Träger spezifisch jüdischer Ideen. Ihre Größe ver-
danken sie dem Schicksal Juden geworden zu sein. Zu den
Feuerländern Patagoniens verschlagen, wären diese selben
Germanen keine Propheten sondern Kannibalen geworden.
Warum hat der Germane, der in Thrakien blieb, nicht Psalmen
gedichtet, der Dazier nicht das Hohe Lied der Liebe gelebt
und gesungen? Selbst wenn das Unwahrscheinliche wahr ge-
wesen und Germanen nach Kleinasien kamen — wie wir aus dem
Wein, den wir zu uns nehmen, Gedanken gebären nach der
53
Spezifiziiät unseres Wesens, so assimiliert die Natioi) die Fremd-
linge, die ihr aus der Ferne zufließen. Im Verbrecher vandelt
«ich die Energie des Alkohols zur Schandtat, im Geiste des
Genies zur dichterischen Vision — ist es mehr das Verdienst
des Alkohols oder Goethes, daß er im Weinrausch Divanlieaei
schuf ?
Kultur ist nicht Rassen- sondern Nationalpro-
dukt. Die Befähigung zur Kultur zwar ruht wie in einem Samen
immanent im Blute, aber daß der Same blühe, muß er in Erde ge-
bettet sein — und das ist der Schoß der Nation; muß er beträufelt
werden von der Taufrische nationalen Lebens und erwärmt von
der Sonne eines warmen Gemeinschaftsempfindens. Nur auf
dem Grunde hoher und heiliger Empfindungen, wie sie im Alter-
tum einzig in den Grenzen weniger und bestimmter Nationen
lebensfähig und lebendig waren, kann Kultur erblühen. Nur wer
in diesem nationalen Boden wurzelte, fest und tief durch Gene-
rationen mit Blut und Seele wurzelte, konnte in ihm wachsen
und zum fruchtbeladenen Baum des Genies erstarken. Die Idee,
daß Wandergermanen zu fremden Völkern in fremde Zonen
gekommen seien und hier, wie Fettaugen auf einer Suppe
schwimmend, der schwarzen schmacklosen Völkerbrühe unter
sich Würze gegeben, daß sie als Oberschicht von Kulturträgern
hier inmitten einer ihnen wesensfremden und geistig unter-
legenen Völkermasse die großen Kulturwerte der Menschheit ge-
schaffen, daß überhaupt Fremdlinge anders gearteten Völkern
Kultur, ja, nicht nur das, sondern ihnen in jedem Lande eine
Nationalkultur eigenen Wesens geschenkt haben könnten, in
China Flötenlieder, in Indien Veden, in Judäa Psalmen und in
Germanien Bardenlieder gesungen hätten, diese Wanderhypo-
these erscheint als ein Phantasiegebilde, das allen natürlichen
Voraussetzungen widerspricht, eJs eine Seifenblase aus dem
Schaumtopf einer Pseudowissenschaft, die schillert, doch zer-
stiebt, sobald man sie mit dem Hauche der Kritik anbläst.
JMächst der Wanderhypothese stützt die Germanentheorie
ihre Ansprüche auf das angebliche Vorkommen „germanischer"
Typen bei allen Kulturvölkern und die angeblich „germanische"
Physiognomie der meisten Grenies.
Die Kennzeichen des germanischen Typus sind: Körper-
größe, langer Schädel und Blondheit. Woltmann und Hauser
vor allen sind unter Begründung einer neuen Wissenschaft, der
„Typologie", den Spuren germanischen Blutes in Kunst, Litera-
54
lur und Geschichte nachgegangen, und wo sie ein Bildnis fanden,
darauf ein König oder Feldherr einen langen Schädel zeigt,
oder in dem Sarg einer ägyptischen Prinzessin eine blonde Locke
entdeckten oder auf einer chinesischen Vase einen Sänger ab-
gebildet sahen, dessen Haar nicht so schlicht wie Pferdesträhnen
abfiel, da sammelten sie dieses Dokument germanischen Blutes.
Wo sie in einer literarischen Quelle, und flösse diese sonst auch
noch so trübe, das Wörtchen blond oder hellfarbig oder lockig
oder helläugig oder hochgewachsen lasen, da fischten sie es auf und
trugen es heim in ihrem Netz — und siehe, der Fang war reich :
sie fanden, daß tatsächlich alle bedeutenden Dichter, Künstler,
Gelehrte, Philosophen, Staatsmänner und Feldherren entweder
blond oder wenigstens mittelblond oder wenigstens hellbraun
gewesen waren, oder blauäugig oder doch wenigstens helläugig,
oder hochgewachsen oder doch wenigstens schlank und nicht
„fett und kurz von Atem" wie Hamlet, und folglich — Ger-
manen! Otto Hauser verteidigt in allem Ernst die These, daß
fast alle großen Dichter der Literaturgeschichte von den Poeten
an den Höfen der chinesischen Kaiser bis zu den Minnesängern
in der Provence, von Hafis und Firdusi im Osten bis Dante und
Cervantes im Westen Germanen oder wenigstens Abkömmlinge
und Mischlinge germanischer Eltern gewesen seien. Auch David,
Salomo, der Sänger des Hohen Liedes und Christus waren —
Germanen.
„Man kann nachweisen," schreibt Otto Hauser, „daß alle
Völker, die einmal zu hoher Kulturblüte kommen, eben zu dieser
Zeit von Blonden beherrscht waren, und daß sie in dem Maße
in Untätigkeit versanken, wie sie diese lichten Elemente ver-
loren . . . Die Beobachtung, daß der lichte Mensch der geistig
regsamste, der einzig schöpferische (geniale) ist, reicht weit
zurück. Dem Griechen war es Selbstverständlichkeit, ebenso
allen Völkern in ihrer Vollkraft." Nur der Germane vergaß es,
„denn für den übergerechten Blondling mußte diese Tatsache
seiner Einzigartigkeit erst wieder neu entdeckt werden". Zwar
gesteht Hauser ein: „Eine ganze Reihe berühmter Persönlich-
keiten leben in der Vorstellung als schwarzhaarig . . . Ich habe
diese Tatsache dadurch zu erklären versucht, daß das Bild sich
immer mehr auf schwarz und weiß beschränkt, das Haar in den
Gegensatz zum Gesicht bringt und schließlich wieder die Ge-
sichtsfarbe dem Haar angleicht. Etwa 50 Jahre nach dem Tode
eines Genies pflegt es brünett geworden zu sein . . . Allerdings
kommt noch ein Moment hinzu: das Genie hat für die Volks-
55
Vorstellung etwas Dämonisches, und da der Teufel der Weißen
schwarz ist, müssen auch die, die mit ihm in einer mystischen
Verbindung zu stehen scheinen . . . schwarz sein. — Cäsars
Augen werden schwarz genannt, aber schwarze Augen gibt es
nicht, nur schwarz erscheinende, und schwarz erscheinen die
Augen, deren Pupillen sich sehr stark erweitern können . . .
die Nachricht über Cäsars Augen besagt also nur, daß Cäsars
Pupillen sich sehr stark erweitern konnten . . . Was sein Haar
betrifft, so ist nur überliefert, daß er es früh verlor. Welche
Farbe es hatte, weiß man nicht. Und selbst, wenn es dunkel
war, wäre Cäsar nicht als brünetter, sondern mit seiner hohen
Gestalt, seiner weißen Haut, seinem edlen Gesichtsschnitt als
ein dem nordischen Typus ganz nahestehender Mischling zu
betrachten . . . Andere tragen in dem Vornamen wie Flavius
oder Lucius oder Beinamen wie Rufus die Bezeugung, daß sie
blond oder licht oder rothaarig waren. (Anm. d. Verf, So wie
man aus dem Namen Friedrich (Friedreich) dem Großen den
historischen Schluß ziehen kann, daß dieser König niemals einen
Krieg geführt hat.) Ich habe oben bemerkt, daß namentlich
die Feldherren und Staatengründer fast ausschließlich dem rein
blonden Typus angehören. David wird in der Bibel, wie erwähnt,
„blond" genannt, aber schon der große Feldherr und Rechts-
gründer Hammurabbi wird als Amoriter ein Blondling gewesen
sein. Seine Bildnisse, die ihn darstellen, wie er vom Sonnengott,
dem liebsten Gott der sonnenhungrigen Blonden, das seinen
Namen tragende Gesetz empfängt, zeigen ihn als durchaus nor-
dischen Fürsten, nicht als semitischen Mischling. Wahrschein-
lich waren auch die großen Chetakönige, die doch arische Gott-
heiten verehrten, Sprossen des Nordens ... Es ist anzunehmen,
daß alle die herrlichen gotischen und westgermanischen Könige,
deren Namen Sage und Geschichte nennen, dem blonden Typus
angehörten" usw. usw.
Nachdem sich die Aufzählung der angeblich ganz, halb oder
viertel blonden Genies über mehrere Seiten hingezogen hat,
bleibt am Schluß trotz der zahlreichen „wahrscheinlich", „mög-
licherweise", „anscheinend" und „es ist anzunehmen" und trotz
der vielen Glatzen und weiten Pupillen immer noch eine statt-
liche Reihe von nicht blonden Genies übrig. Mit diesen macht
Hauser kurzen Prozeß. Ihr seid äußerlich keine Germanen ? Gut,
dann seid ihr es innerlich. So wie es Mischlinge gibt, die blondes
germanisches Haar auf einem ungermanisch runden Schädel
tragen, so seid ihr Mischlinge, die hinter einer alpinen Fratze
56
eine germanische Dichterseele verbergen. „Das Genie ist gewiß
nach der Typenforschung zumeist blond, aber unter den vielen
Mischungen, die möglich sind, ist auch die von nordischer
Schöpferkraft und unnordischem Äußern."
Holiah! Das sind keine Harlekin-Späße aus dem Bierulk
eines Anthropologenkongresses, das sind die wissenschaftlichen
Argumentationen, mit denen die Rassentheoretiker dem Volke
Goethes und Kants seine Weltanschauung für das 20. Jahr-
hundert aufzustempeln suchen. Beispielsweise schreibt Cham-
berlain über den hl. Ambrosius: „Ein solcher Mann wie Am-
brosius z. B. ist ganz gewiß aus echtem edlen Stamm . . .
zwar kann ich es nicht beweisen, ... es kann aber auch nie-
mand das Gegenteil beweisen und so muß seine Persönlichkeit
entscheiden." Woltmann findet bei seiner Prokrustesarbeit, die
Genies aller Länder in das Zwangsbett der Germanentheorie zu
fügen, daß Luther, Goethe, Beethoven, Michelangelo, Raphaei,
Dante, Shakespeare keinen germanischen Typus besitzen. Wie
löst der moderne Damastes das Dilemma? „Dante, Raphaei,
Luther usw. sind Genies, nicht weil, sondern trotzdem sie
Mischlinge sind. Ihre geniale Anlage ist das Erbteil der ger-
manischen Rasse."
Die Zwangsnaturalisation der Genies aller Länder durch die
Allgermanen erscheint um so kühner und verwunderlicher, a;ls
doch bekanntermaßen der Typ des genialen Menschen so gar
nichts mit der Gestalt des Germanenideales gemein zu haben
pflegt, und der germanische Hochadel, der diesen Typ noch am
reinsten repräsentiert, zwar einen hoch begabten, was aber Ge-
nialität betrifft, fast sterilen Menschenschlag darstellt. Groß,
blond, blauäugig und langschädelig — so sehen die Helden-
tenöre der Wagneropern aus. Aber das Genie ? Selbst in Ger-
manien, wo man doch das blonde Genie in Reinkultur finden
müßte, sieht man gerade diesen Typ am allerseltensten. Das
Genie ist, wie man tausendfach bewiesen hat, weit häufiger
klein als groß, nur selten blauäugig, äußerst selten wirklich
blond sondern meistens mittelfarbig und in der Überzahl der
Fälle nicht lang- sondern kurzköpfig. Schiller, der mit seinem
1,93 m hohen Wuchs (Tuberkulose) und dem hell wallenden
Lockenhaar von allen deutschen Genies dem germanischen
Typus noch am nächsten kommt, war das genaue Gegenteil
eines Langschädels, ein Überkurzkopf. Goethe war desgleichen
kurzköpfig, Napoleon, den die Germanentheoretiker je nach
ihren Sympathien als Germanen glorifizieren oder im Gegenteil
57
als Antigermanen brandmarken, war ebenfalls ein Rundschädel
gleich Beethoven, Brahms, Menzel, Bismarck, Helmholtz, den
typisch deutschen Genies des 19. Jahrhunderts.
Übrigens sind sich die Rassentheoretiker über die Nor-
malfigur ihres germanischen Ideals sowohl in physischer wie
psychischer Hinsicht durchaus nicht einig und annektiereri
oder refusieren die Genies als Germanen oder Nichtgermanen,
je nachdem sie ihnen wert oder unwert scheinen, in die Helden-
walhalla aufgenommen zu werden. Während Woltmann Dante
als Mischling schildert, rühmt Chamberlain sein Antlitz als ein
„charakteristisch germanisches Gesicht", obwohl er ein solches
gar nicht nötig hat, denn „daß Dante ein Germane, nicht ein
Kind des Völkerchaos ist, folgt nach meiner Überzeugung so
evident aus seinem Wesen und Werke, daß ein Nachweis hier-
über durchaus entbehrlich dünken muß." Albert Wirth dagegen
erkennt in Dante den „reinsten Vertreter baskischer Rasse" und
fragt angesichts der Chamberlain'schen Darstellung: „Bin ich
nun blind ? Mein Auge hat sich an allen Rassen der Erde geübt,
und ich porträtiere in meinen Mußestunden ; ich kann aber weder
in Luthers noch in Dantes Zügen germanische Besonderheit ent-
decken." Während Chamberlain „den ewig großen Cervantes"
rühmt, ist nach Driesmans der Don Quixote ,,das Deborahlied, der
Rache- und Triumphgesang, den der Keltiberimus anstimmte, als
er seinen Todfeind, das germanische Herrenvolk, den Träger der
Ritterromantik, niedergezwungen hatte." Lessing ist nach Dries-
mans ein echter Deutscher, nach Dühring ein Abkömmling
von Juden; Chamberlain schreibt über Kant als den größten
Repräsentanten deutschen Denkertums ein großes und in vieler
Hinsicht vortreffliches Buch. Nach Willmanns „Geschichte des
Idealismus" ist „der Einfall, Kant als echt deutschen Philo-
sophen zu preisen, völlig abgeschmackt: Kant ist Kosmopolit,
folgt den Engländern, begeistert sich für Rousseau, schwärmt
für die französische Revolution: zu der deutschen Treue steht
Kants grundstürzende Sophistik im vollen Gegensatz." (Weirum
jemand nicht auch als echter Deutscher sich für Rousseau und
die französische Revolution begeistern kann, ist ebenso unver-
ständlich wie die Tatsache, daß jemand eine Geschichte des
Idealismus schreibt und dabei derartig dilettantische Deduktionen
konstruiert. Nach Willmann dürfte Goethe kein Deutscher sein,
weil er Italien geliebt, die Griechen verehrt und im Alter Hafis
und Sakuntala besungen hat; Schiller kein solcher, weil er
Ehrenbürger Frankreichs war und die Freiheit „in tyrannos"
58
zu einer Zeit besang, in der jeder „echte" Deutsche „allergehor-
samster Untertan" war; auch der Kosmopolit, Republikaner
und Napoleonschwärmer Beethoven war gewiß kein Deutscher.)
Schopenhauer rühmt an Spinoza den „arischen Geist", für
Chamberlain ist er „durch und durch Jude und Antiarier".
Dem „echt germanischen Denker" Leibniz singt Chamberlain
höchste Lobeslieder; der Anthropologe Krause weist nach,
daß Leibniz polnischer Abstammung ist: ,, Seine Vorfahren
schreiben sich Lubeniecz . . . der Schädel war klein und rund-
lich, sicher nicht vom germanischen Reihengräbertypus",
besaß doch sein Schädel mit seinem geradezu extremen Breiten-
maß eine direkt antigermanische Form! Die Sozialdemokraten
sind für Chamberlain „verjudet", für Driesmans ,,Keltomon-
golen", für Woltmann dagegen „die spezifisch germanische
Schicht des Proletariats, das nach Freiheit ringt". Über den
Chamberlain'schen Idealgermanen Goethe, von ihm in einer um-
fangreichen analytischen Biographie verherrlicht, schreibt Hans
Herrmann : „Sieht man Goethe an, diese vorquellenden dunklen
Augen, welchen selbst ein leicht wehmütiger Zug nicht fehlt,
diese an der Spitze gekrümmte Nase, diesen langen Oberleib mit
den kurzen Beinen, dann haben wir ganz das Urbild eines Nach-
kommens Abrahams vor uns . . . Nicht nur in seinem Äußeren
prägt sich seineAbstammung von den alttestamentarischenHelden
ab, sondern auch in seinem ganzen Wesen. Seine glühende Sinn-
lichkeit und ewige Verliebtheit, seine unsittliche Lebensweise
und fragwürdige Ehe . . . sein Servilismus gegen Fürsten . . .
sein völliger Mangel an Vaterlandsliebe, seine Feigheit . . .
und noch manch andere Züge reden eine zu deutliche Sprache,
als daß ein Mensch von unbefangenem Urteil sich der Über-
zeugung verschließen könnte, daß Goethe weit mehr Semit als
Deutscher war." Napoleon ist für Ammon „der richtige Typus
eines Dschingischan und der geborene Abgott rundköpfiger
Völker", für Chamberlain ,,ein Mann, bar jeglichen Verständ-
nisses für geschichtliche Wahrheit und Notwendigkeit, die Ver-
körperung der frevelhaften Willkür, ein Zermalmer, nicht ein
Schöpfer . . . ein Sendling des Chaos, die rechte Ergänzung des
Ignatius von Loyola, eine neue Personifikation des Antiger-
manentums". Über die römische Kirche schreibt er, daß sie
„von Haus aus und notwendigerweise die Schild- und Waffen-
trägerin aller antigermanischen Bestrebungen war", und von
der französischen Revolution, ,,daß es zu den erstaunlichsten
Verirrungen des menschlichen Urteils gehört, diese Kata-
59
Strophe als den Morgen eines neuen Tages, als einen Grenz-
pfahl der Geschichte zu betrachten". Der Führer der Politisch-
anthropologischen Schule dagegen, Woltmann, verherrlicht „das
Papsttum, die Renaissance, die französische Revolution und
die napoleonische Weltherrschaft" als „Großtaten germa-
nischen Geistes". Der Franzose Taine wiederum schreibt
über die Italiener des Mittelalters: „Diese so kluge Rasse hat
das Glück gehabt nicht germanisiert zu werden, d. h. nicht in
demselben Maße wie die anderen Länder Europas durch die
Einwanderung der nordischen Völker unterdrückt und umge-
wandelt zu werden. Die Barbaren haben sich darin nur zeit-
weise und oberflächlich aufgehalten." Über den erwähnten
Gründer des Jesuitenordens schreibt Otto Hauser: „Igna-
tius war von Herkunft ein altadliger Gote aus dem Basken-
land, wo das Schloß Loyola lag, und trug eigentlich den Namen
Ifiigo Lopes, der altgermanisch ist . . . Die ältesten Bilder geben
ihm . . . blondes Haar, gewiß nicht ohne Berücksichtigung der
mündlichen Überlieferung. Das Bild, das von seinem Leichnam
abgenommen wurde, zeigt ein feines, allerdings todverfallenes,
durchaus germanisches Gesicht mit leicht gebogener Gelehrten-
nase." Diesen selben Mann, den Hauser im weiteren Verlauf
seiner Abhandlung als den Schöpfer einer typisch germanischen
Organisation feiert, stellt sein Parteigenosse Chamberlain als
„den Typus des Antigermanen" hin. „Dieser Mann ist der
personifizierte Antigermane!" „Dieser Mann war ein Baske;
nicht allein war er in dem rein baskischen Teil Spaniens geboren,
sondern seine Biographen versichern, er sei aus echtem unver-
mischtem baskischen Stamm, d. h. also, er gehörte einer Men-
schenrasse an, die nicht allein ungermanisch ist, sondern in
keinerlei Verwandtschaft zu der gesamten indogermanischen
Gruppe steht ... Es ist nebenbei gesagt (als Illustration für die
unvergleichliche Bedeutung von Rasse) höchst bemerkenswert,
daß der Mann, dem die Erhaltung des spezifisch römischen anti-
germanischen Einflusses auf Jahrhunderte hinaus zum größten
Teil zugeschrieben werden muß, nicht selber ein Kind des Chaos
war, sondern ein Mann von echtem reinen Stamm. Daher die
Einfachheit und Kraft dieses Mannes, der den Kriegsplan ent-
wirft zu dem durchdachtesten und daher gefährlichsten Ansturm,
der je auf germanisches Wesen unternommen wurde. Wer es
für einen Zufall hält, daß diese Persönlichkeit ein Baske war,
wer es für einen Zufall hält, daß dieser Baske . . . nur mit einem
einzigen Manne intim, fast unzertrennlich lebte . . . daß dieser
60
Eine ein rassenechter . . . Jude wai' — wer, sage icii, an derlei
Erscheinungen achtlos vorübergeht, hat kein Gefühl für die
Majestät der Tatsachen."^) Doch, wir haben ein Gefühl für die
Majestät der Tatsachen, und wo sollten wir uns williger vor ihr
verneigen als hier, wo wir vor unseren Augen die beiden lautesten
Herolde der Germanentheorie auf ihrer Jagd nach Chimären zu
einem wahren Don Quichote-Kampf gegeneinander anrennen und
sich mit ihren Federhalterlanzen gegenseitig erdolchen sehen?
Mit ihrer Theorie von der germanischen Physiognomie des
Genies segeln die Germanentheoretiker wider den Wind. Der
geniale .Mensch hat im allgemeinen — soweit man überhaupt
eine Erscheinung wie Genie zu systematisieren wagen darf —
nicht nur einen a-germanischen sondern sogar antigermanischen
Typus. Er nähert sich — o Graus ! viel mehr als dem germani-
schen dem jüdischen Typus ! Von kleiner Statur, — um nur die
extrem kleinen unter den spezifisch germanischen Genies zu
nennen: Friedrich der Große, Beethoven, Mozart, Brahms,
Wagner, Kant, Schopenhauer, Menzel — fast niemals blond
sondern zumeist braunhaarig wie die Mehrzahl der Juden,
gewöhnlich von lebhaftem, viel mehr jüdischem als kühl-blond
germanischem Temperament, zumeist wie die Juden kurzköpfig,
trägt es als niemals fehlendes Zeichen der Genialität in seinem
Antlitz eine große gebogene „jüdische" Nase, die in das germa-
nische Antlitz hineinpaßt wie die Faust auf ein Auge. Selbst
Woltmann gesteht von den „Porträts und Büsten der großen
Männer, daß sie fast durchweg eine große, schmale, meist adler-
schnabelartig gebogene (jüdische) Nase gehabt haben". Man
blättere nur einmal eine illustrierte Kunst- oder Literatur-
geschichte durch und lasse die genialen Köpfe Europas an sich
vorüberziehen. Mit Ausnahme von Sokrates und Beethoven,
der eine höchst wahrscheinlich pathologisch eingesunkene Sattel-
nase (Lues hereditaria) trug, sucht man vergebens unter den
Dichtern von dem judennasigen Dante bis zu Schiller mit seiner
kühn geschwungenen Adlernase, unter den Malern von dem aus-
gesprochen jüdisch aussehenden Raphael bis zu Feuerbachs
brünettem Künstlerkopf, unter den Musikern von Mozart, der
ein^ so gewaltige Nase in seinem Antlitz trug, daß ihn eine
zeitgenössische Kritik den „ungeheuer benasten Mozart" nannte,
bis zu Wagner, der so spezifisch jüdisch aussieht, daß man mit
Nietzsche schwören möchte, er sei kein Adler sondern ein
„Geyer" — sucht man vergebens in dieser ganzen Porträt-
1) gekürzt zitiert.
61
galerie das germanische Ideal der Walhallfigur, während sich
jüdische Physiognomien und Stigmata in Hülle und Fülle finden,
so daß man ebenso Goethe, Lessing, Hebbel, Nietzsche wie
Napoleon, Rembrandt und selbst Karl den Großen als Juden
„verdächtigt" hat. Wären die Juden nur halb so findig und
pfiffig wie die treuherzigen Erfinder der Germanentheorie
und hielten sie, was viel wichtiger ist, ihre Mitwelt nur für halb
so dummgläubig wie jene es tun, dann hätten sie längst die
Semitentheorie aufgestellt und nachgewiesen, daß in den
genialen Menschen aller Völker und Zeiten — jüdisches Blut
fließt. Sie hätten es ja so vielmals leichter, da sie nicht erst
Wanderungen zu erfinden und Zwangsnaturalisationen vorzu-
nehmen brauchen, denn sie sind ja wirklich seit Jahrtausenden
über den Erdball verstreut, sie hatten wirklich schon Kultur,
als die Ahnen Kants und Goethes noch halbnackt in ihren Erd-
höhlen hockten, sie sprechen die Idiome aller Länder und haben
seit drei Jahrtausenden von Joseph in Ägypten bis zur alexan-
drinischen Epoche, von den Khalifenzeiten zu Bagdad und
Cordova bis zur heutigen Moderne sich am Kulturleben der
verschiedensten Völker aktiv beteiligt. Die erste Elegie in
französischer Sprache ist der Trauersang eines jüdischen Dich-
ters auf den Feuertod jüdischer Märtyrer. In zahlreichen
bedeutendsten Familien Europas fließt nachweislich jüdisches
Blut. Ja, ganze 10 jüdische Stämme sind doch spurlos ver-
schwunden — auf Wanderung gegangen! Und wo hat man
sie nicht überall schon ernsthaft vermutet! Man hat durch
Theorien, die der Germanenhypothese an Beweiskraft wahr-
lich nicht nachstehen, darzulegen gesucht, daß ihre Nach-
kommen wiederzufinden seien in den Römern, Griechen, Fran-
ken, Spaniern, Sachsen, Engländern, Irländern, Japanern,
Negern, Indianern, Peruanern, Mexikanern! Jüdische Typen
sind bei allen Völkern zu finden und von den ernsthaftesten
Anthropologen ebenso bei den Deutschen, Franzosen, Griechen
wie bei den Kaffern, Afghanen, Todas, Hindus, Japanern und
Indianern genau beschrieben. „Tatsache ist," sagt Stratz,
,,daß sich der jüdische Typus unter allen Rassen der Erde bei
einzelnen Individuen und Familien findet." Er traf „%dle
jüdische Gesichter nicht nur in japanischen Fürstenfamilien,
sondern auch in älteren urdeutschen, urfranzösischen und nieder-
ländischen Aristokratenfamilien an". Auch unter den zahlreichen
Cäsarenbüsten seien nicht wenige, die den jüdischen Typus
zeigen. Nach Ranke finden sich jüdische Typen in Japan „im
62
ganzen Kriegs- und Hofadel bis zur kaiserlichen Familie hinauf
da und dort zerstreut. Der mutmaßliche Thronerbe Japans hat
ausgeprägt feine jüdische Gesichtszüge, und eine der schönsten
Frauen Tokios würde in Europa unzweifelhaft für jüdischen
Geblüts gehalten werden." Alle Voraussetzungen für die glück-
liche Durchführung einer Semitentheorie scheinen somit ge-
geben. Nur eine fehlt — die jüdischen Woltmanns, Hausers
und Ghamberlains.
jK.örpergröße, langer Schädel, Blondheit werden als die drei
Kennzeichen des germanischen Typus angegeben.
Körpergröße ist ein durch Klima, Lebensweise
und soziale Lage variabler Faktor und daher nur mit
äußerster Vorsicht über die Jahrtausende hinweg als konstantes
Rassenmerkmal zu verwerten. Außerdem ist Körpergröße ein
Kennzeichen so vieler und so verschiedener Völker aller Rassen,
Zonen und Zeiten, daß sie stets nur als ein Diagnostikum von
untergeordneterBedeutung bewertet werden kann. Im allgemeinen
— jedoch durchaus nicht gesetzmäßig — nimmt die Körpergröße
von den Polen zum Äquator ab, so daß die polaren Völker, z. B.
in Amerika die Patagonier, in Europa die Skandinavier und
Schotten, die größten, die äquatorialen dagegen, wie in Zentral-
afrika die Pygmäen, die kleinsten sind. Zwischen diesen beiden
Extremen pflegt die Wachstumskurve stufenweise abzufallen.
Daher ist für die nördlich wohnenden Germanen schon an sich
ein höheres Körpermaß als für die Juden anzunehmen. Aber
dieses Breitengesetz hat Ausnahmen. Neben den zentralafrika-
nischen Zwergvölkern Akka und Koikoin wohnen südlich die
hochgewachsenen Hottentotten und nördlich die schlanken
Somali — ,, Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der
Natur!"
Die Einwirkungen des Klimas auf die Körpergröße können so
rasch erfolgen, daß sie sich bei Wechsel des Wohnsitzes schon bei
ein und derselben Generation bemerkbar machen. Die in
Amerika geborenen Kinder der russischen Juden werden noch in
derselben Generation, auch ohne soziale Aufbesserung, größer als
ihre in Rußland vorgeborenen Geschwister. Entsprechendes
läßt sich an den Zuwanderern anderer Nationalitäten beob-
achten.
Ebenso bedeutend wie die klimatischen sind die sozialen Ein-
flüsse. Der Jude, der tausend Jahre im Ghetto eingepfercht ge-
lebt hat, ist körperlich degeneriert und kleiner geworden; und
innerhalb der allgemein kleiner gewordenen Juden läßt sich
nachweisen, daß sie dort am kleinsten sind, wo das soziale Elend
am größten. Die Juden der galizischen und litauischen Ghetti
sind die kleinsten der Welt. Sowie sie dem Elend des Ghetto-
lebens entrinnen, wachsen sie. Die wohlhabenden Juden im
Westend zu London sind um ein merkliches größer als ihre
Stammesgenossen in den armen Vierteln von Whitechapel.
Die Durchschnittsgröße der Juden schwankt um nicht weniger
als 9 cm.
Über das Körpermaß der Juden im Altertum haben wir keine
zuverlässigen Nachrichten. Jedenfalls werden die Häuflein Juden,
die den besten Legionen desrömischenWeltheers jahrelang Wider-
stand leisteten, werden die Rebellen des Bar-Kochba, zu deren
Unterwerfung Hadrian seine ausgesuchtesten Kerntruppen nach
Syrien schicken mußte, keine Krüppel gewesen sein. Unter den
Juden des palästinensischen Königreiches darf man sich nicht
die vom Elend der Jahrtausende gekrümmten Galuthgestalten
des Ostens denken. Man muß sich die kraftvollen Figuren vor-
stellen, die man heute in Saloniki als Hafenarbeiter, in Newyork
als Schutzmänner, in Algier als Lastträger an der Arbeit sieht.
Daß es schmächtige Figuren unter ihnen gab, ist ebenso selbst-
verständlich wie es solche auch unter den Germanen gegeben,
die jedoch zu Kriegszeiten im Hinterland die Dörfer hüteten,
während die Elite des Volkes den Römern als hochgerichtete
Phalanx hünischer Helden imponierte ; da von diesen wieder die
Prachtexemplare als Paradestücke in den Triumphzügen vor-
geführt wurden, bezauberten sie die Einbildungskraft der Römer
mit dem Phantom eines Volkes nordischer Riesen, das in Wahr-
heit nirgends existierte. Die Neger von Dar-es-salaam, die keine
anderen als die Prachtgestalten der Kieler Matrosen sahen, malen
sich heute vom deutschen Volk dasselbe Trugideal, das uns die
Römer von den alten Germanen durch Tacitus als „beglaubigtes
Zeugnis" überlieferten. Und sind Friedrich d. Gr., Kant, Beet-
hoven, Menzel, Brahms nicht ebenso berechtigte Repräsentanten
des deutschen Volkes wie die Leibgardisten von Potsdam? —
und sind Gestalten, mit denen nicht einmal die Ghetto Juden von
Tuchow Staat zu machen vermöchten.
iJas zweite Kennzeichen des germanischen Typus ist der
Langschädel. Früher glaubte man in der Form des Schädels
eines der wichtigsten und konstantesten Merkmale erblicken zu
können. Man teilte die Schädel nach ihrem Längen-Breiten-
64
^wt
▼erhältnis, dem Index, in Lang-, Mittel- und Rundköpfe ein und
nach dem Index wieder die Stämme und Rassen. Die Index-
lehre beherrschte die Anthropologie des 19. Jahrhunderts wie
ein Dogma. Von der Indexzahl hing es ab, ob ein Mensch zu
den Seligen oder den Verdammten gezählt wurde. Wie man
einstmals das Schicksal eines Menschen in den Sternen ein-
gezeichnet glaubte, und es astrologisch daraus las oder in don
Linien seiner Hand eingegraben wähnte, und es chiromantisch
daraus buchstabierte, so las man im 19. Jahrhundert aus der
Indexzahl des Schädels das vom Weltgeist vorbestimmte und
vom Menschen unabänderlich hinzunehmende Schicksal der
Völker, „Ich bin überzeugt," sagt der berühmte französische
Anthropologe Vacher de Lapouge — nicht etwa um 1400
sondern 1887 — ,,daß im nächsten Jahrhundert Millionen von
Menschen einander umbringen werden wegen ein oder zwei Grad
mehr oder weniger in ihrem Schädelindex. An diesem das
biblische Schiboleth und die Sprachverwandtschaft ersetzenden
Zeichen wird man die Nationalität erkennen, und die letzten
fühlenden Menschen werden die Zeugen katastrophaler Hin-
schlachtung von Völkern sein."
Der Schädelindex war der Paß, unter dem man im Reich
der Anthropologie herumreiste und klassifiziert wurde. Man
teilte die Völker in lang-, mittel- und kurzköpfige ein, und mit
Stolz zählten sich die Germanen zu den Langschädeln, während
die Juden mit den Türken bei den Kurzköpfen stehen. Chamber-
lain singt geradezu wissenschaftliche Hymnen auf den Lang-
schädel, „den ein ewig schlagendes, von Sehnsucht gequältes
Hirn aus der Kreislinie tierischen Wohlbehagens nach vorn
heraushämmerte", ein Satz, der seltsam anmutet, wenn man
erfährt, daß neben den Germanen als ausgesprochene Langschädel
— Hottentotten, Australier und Urmenschen stehen.
Ganz allgemein sind statistische Angaben mit größter Vor-
sicht aufzunehmen. Nichts erscheint schwerer zu fälschen und
ist leichter zu modeln als die Statistik, die Lüge im Zahlen-
gewand. Ganz besonderes Mißtrauen aber ist anthropologischen
Statistiken über Schädelgestalt, Nasenhöhe, Zahnstellung und
Typenbildern entgegenzubringen. Die weitaus meisten anthro-
pologischen Statistiken sind, ganz abgesehen von den Möglich-
keiten mangelnder Exaktheit und bewußter oder unbewußter
Korrekturen, auf unzulängliches Material gestützt. Nach einer
in der Literatur oft angeführten Statistik Ikows gibt es unter
den Juden der Türkei 93% Langschädel und 7% Kurzköpfe.
(> Kaiiii, Die Juden 65
Die Unterlage für diese Untersuchung gaben 17 — sage und
schreibe siebzehn — Schädel eines alten Friedhofs, von dem es
noch sehr zweifelhaft ist, ob er überhaupt jüdische Gräber ent-
hielt! Derartige Beispiele, daß auf Grund von 27 oder 43 un-
kontrollierbaren Schädelmessungen ein Volk einfach einer Typen-
gruppe zugeteilt wird, lassen sich dutzendweise aus der Literatur
zusammensuchen. Aber selbst das größte Material und die pein-
lichste Gewissenhaftigkeit garantieren kein objektives Resultat.
Majer und Kopernicki veröffentlichten 1876 eine Arbeit über die
Juden Galiziens, in der sie die Prozentzahl der Lang- und Kurz-
schädel eines galizischen Ortes mit 4 und 84 angaben ; im zweiten
Teil derselben Arbeit, die 9 Jahre später erschien, gaben sie für
denselben Ort die Zahlen 16 und 61 an, also dort ein Verhältnis
von 1: 20, hier ein solches von 1:4! Talko-Hryncewiczs nennt
für die Schädelform der litauischen Juden die Prozentzahlen
13 und 64; Weißenberg für dieselben Juden 1 und 81. Beddoe
findet 1861 in London unter den sephardischen Juden 6% und
unter den askenasischen 3% (2:1), Jacobs dagegen unter jenen
1%, unter diesen 25% (1:25)! Während Virchow die Zahl
der blonden Juden in Bayern auf 10% bestimmt, kommt Mayr
auf die Prozentzahl 30. Ottolenghi zählt in Turin 4% blonde
Christen, Marro 30%! Über die Veränderlichkeit des Schädel-
index schreibt Judt: ,,Wir können ganz gut behaupten, daß
äußere Faktoren die Schädelindices nicht beeinflussen ... als
solcher besitzt der Hauptschädelindex eine fast unüberwind-
bare Dauerhaftigkeit." Zollschan kommt zu dem gerade ent-
gegengesetzten Schluß, daß „bei den einzelnen Rassen ge-
radezu auffallend stets einer Tendenz zur Erhöhung ihres
Kulturwertes auch eine Tendenz zur langsamen aber steten
Umwandlung von Lang- zur Kurzköpf igkeit entspricht." Nach
diesen Kostproben vom bunten Tisch der Anthropologie hat
man keinen Grund, die Wahrheit jener ergötzlichen Anekdote
zu bezweifeln, die Hertz berichtet: In Paris wurde eines
Tages ein Massengrab entdeckt, von dem man glaubte, es
enthalte die Gebeine von Soldaten aus den Heeren der Verbün-
deten von 1813. Ein berühmter Anthropologe untersuchte
den interessanten Fund und bestimmte die Schädel als finnische,
baschkirische, kalmückische usw. Kurz danach stellte sich
heraus, daß dieses Grab die Leichen von Pariser Frauen ent-
halten hatte, die 1832 an der Cholera gestorben waren. Will nun
noch jemand bezweifeln, daß — mit Chamberlain zu reden —
„die anthropologischen Ergebnisse die Ergebnisse einer exakten
66
Wissenschaft" sind, und daß man sich hier, um mit Wilser zu
sprechen, auf dem Boden einer „voraussetzungslosen Wissen-
schaft", einer ,,mit strengster Sachlichkeit unternommenen
Forschung" bewegt?!
Noch viel ärger wird die äußere und innere Schädel Verwirrung,
wenn man sich auf den Boden der Hauser'schen Typologie be-
gibt, wo nicht mehr Zahlenmaße sondern subjektive Eindrücke
registriert werden. Über die yemenitischen Juden sagt der Rei-
sende von Maltzan: „Die seßhafte jüdische Bevölkerung weist
heutzutage keine Spuren arabischer Elemente auf. Ihre Physio-
gnomie, Hautfarbe, selbst ihr Gliederbau ist von dem der Süd-
araber so grundverschieden, daß an eine innigere Vermischung
nicht zu denken ist." Weißenberg ist nach seinen anthropo-
logischen Untersuchungen „geneigt, die yemenitischen Juden
als NichtJuden zu erklären, da er in ihnen mit gewissem Recht
nur judaisierte Araber sieht". Über die Turkestaner Juden
sagt Radioff: „In den Turkestaner Juden hat sich der Typus
vollständig rein erhalten"; Weißenberg dagegen: „Wir haben
in den zentralasiatischen Juden nicht eine einheitliche sondern
eine Mischgruppe zu erkennen." Von den alten Samaritanern
sind nur etwa 150 übrig geblieben, die unter Führung eines
Hohepriesters eine kleine Gemeinde in Nablus bilden. Von
diesem Hohepriester sagt Orelli, daß er edle Gesichtszüge ,,ohne
jüdischen Typus" habe. Wackernagel dagegen findet, daß er
und sein Haus „den jüdischen Typus tragen". Huxley sagt,
„daß der allgemeine Physiognomietypus der Samaritaner ent-
schieden jüdisch ist . . . Die Samaritaner haben den alten Typus
in seiner Reinheit bewahrt und sind heute die einzigen, wiewohl
degenerierten Vertreter der alten Hebräer". Fishberg dagegen
behauptet, „daß der jüdische Typus bei ihnen nicht stärker
hervortritt als bei der nicht jüdischen Bevölkerung Kleinasiens
und Palästinas".
Wie nicht anders zu erwarten, ist die Indexlehre von der
Wissenschaft verlassen worden und zählt ebenso zu ihren Anti-
quitäten wie heute die Ariertheorie und morgen die Germanen-
theorie. „Die ganze Ansicht über langschädelige Völker ist",
wie einer der führenden Anthropologen der Gegenwart, von
Török, schreibt, „hinfällig . . . die ganze diesbezügliche
Kraniologie bewegt sich seit 60 Jahren auf falschen und
resultatlosen Wegen, die Retzius'sche Indexbetrachtung ist
unbrauchbar." Die Untersuchungen der letzten 30 Jahre
haben nämlich ergeben, daß der Schädelindex, dieses „sicherste
•• 67
und feststehende Rassenmerkmal" wie fast alle übrigen
Rassenzeichen eine durchaus variable, von äußeren Milieu-
einflüssen abhängige Größe ist. In der Anthropologie ist
durch diese Einsicht wie in einem Klub, dessen Kassierer sich
als Defraudant entpuppt hat, ein wahrer Katzenjammer ein-
getreten,
Schädelform ist ein Produkt der Lebensführung,
und zwar neben der generellen, die das Milieu erzwingt, auch
der individuellen, so daß man unter allen Völkern, selbst unter
reinen Stämmen, alle Formen der Schädel nebeneinander findet.
Liebreich legte von zwei sich völlig gleichenden Zwillingen da»
eine Kind von Geburt an auf-die Seite, das andere auf den Rücken
und erzielte dadurch bei jenem einen ausgesprochenen Lang-,
bei diesem einen ebenso ausgesprochenen Kurzkopf. Es scheint
sehr wohl möglich, daß durch volkstümliche Gewohnheiten der
Kindespflege, durch die verbreitete Sitte Lasten auf dem Kopf
zu tragen u. dgl. m. bei den verschiedenen Völkern Kurz-
oder Langköpfigkeit nachgeburtlich angezüchtet wird. Von
großem Einfluß auf die Kopfbildung scheinen klimatische
Einflüsse zu sein. Wechsel des Klimas und der Lebensweise
verändern mit dem ganzen Habitus auch die Kopfgestalt.
Wie das in Amerika geborene Kind der ausgewanderten russi-
schen Juden größer wird als seine älteren Geschwister, so
ändert sich auch sein Index. Das in Rußland geborene Kind
behält, selbst wenn es bei der Ankunft in Amerika noch nicht
ein Jahr alt ist, seine russisch- jüdische Kopfform; sein nächstes
Geschwister nähert sich dem davon abweichenden amerikani-
schen Typus. Überhaupt ist die Umwandlung, die mit den ein-
gewanderten Europäern in Amerika vor sich geht, ein Parade-
beispiel für den Wandel der alten und die Entstehung von neuen
Rassen. Unter unseren Augen sehen wir in Amerika eine völlig
neue Menschenrasse werden. Der Yankee ist ein bisher un-
bekannter Rassentyp. Er unterscheidet sich vom Engländer
durch die eckige Form seines Gesichtes im Gegensatz zum Oval
des Briten. Der Hals wird länger, die Backenknochen treten
stärker vor, die Nase biegt sich indianerhaft, die Augen sinken
zurück und rücken zusammen, die Arme und Hände wer-
den länger, so daß man in Europa für den amerikanischen
Markt besondere Handschuhe mit langen Fingern anfertigen
muß; Drüsen und Fett nehmen ab, so daß die Haut trockener
wird, ihre warme Röte verliert und einen ins Zitronengelbe
spielenden Teint annimmt; Haar und Augen dunkeln — der
68
Europäer in Amerika indianisiert sich. Man vei^egenwärtige
sich als Beispiel die ausgesprochen indianisierte Physiognomie
des Präsidenten Wilson. Denselben Veränderungen unterliegen
unter Hellerwerden der Haut die Neger, so daß die beiden ganz
Tcrschiedenen Rassen gleichsam von zwei entgegengesetzten
Seiten dem Indianertypus zustreben.
Die Juden, über die ganze Erde verstreut, zeigen überhaupt
keine einheitliche Schädelform, sondern nähern sich, da sie den
gleichen klimatischen Einflüssen unterliegen, in den verschie-
denen Ländern dem jeweiligen Landestyp der Bevölkerung.
Die Juden in Arabien, Mesopotamien und Afrika sind lang-
köpfig wie die dortigen Völker, im Kaukasus sind sie rund-
köpfig, in Europa mittelköpfig.
Neben dem Klima ist die Lebensweise ein bestimmender
Faktor für die Formbildung des Kopfes. Durch starken Muskel-
aug soll der Schädel in die Breite gezogen werden, so daß Men-
schen, die ihre Nackenmuskeln viel und dauernd anspannen,
wie Reiter, Bergsteiger, Lastträger, Breitschädel bekommen;
hierdurch erklärt man, daß Reiter- und Gebirgsvölker kurz-
schädelig sind. In Europa sind — aus diesem Grund? — die
in den Alpen wohnenden Stämme im Gegensatz zu denen der
Ebenen kurzköpfig, so daß die Anthropologie diesen kurz-
köpf igen Gebirgstyp, der sich vom Kaukasus über die Kar-
pathen und Alpen bis zu den Pyrenäen hinzieht, als eine eigene
Rasse, den Homo alpinus, dem nordischen Langschädel der
Ebene entgegenstellt. Dieser Homo alpinus spielt in der Welt-
anschauung der Germanentheorie eine bedeutende Rolle.
Kurzköpfig, kleiner, dunkler im Teint, gilt der Alpine als
der schwarze Bruder des lichten Blonden. Er ist der böse Kain,
der aus Neid und Habsucht den edlen ahnungslosen Abel zu
erschlagen sucht, indes dieser auf den Altären der Kultur seiner
Gottheit reine Opfer bringt. „Den Blonden", schreibt Hauser,
„treibt es in ewig unbefriedigter Sehnsucht in immer neue
Erden- und Geistesgebiete. Er will sehen, wissen, erkennen . . .
Er wird ganz und gar vom Streben beherrscht. Dem Dunklen
gilt die Gegenwart alles, der Blonde träumt immer von der Zu-
kunft. Das Wort Sehnsucht hat nur für ihn Bedeutung. Der
Alpine, der sich von Schwaben her über Süddeutschland bis
nach Sachsen hinein verbreitet hat, ist vor allem Geschäfts-
mann. Er ist als solcher fleißig aber skrupellos (unfair), ver-
schmäht keinen Trick, erniedrigt sich, um einen Pfennig zu
verdienen ... er hat kein wahrhaftes Interesse außerhalb seiner
69
selbst und seines Geldes, womit er nur sich selbst dienen will.
Er kauft sich wohl Bildung, aber zu keinem innerlichen Nutzen.
Er entpuppt sich immer als Parvenü. Er ist Geschäftsmann in
allem, auch in der „Liebe". Er schließt die vorteilhaften Hei-
raten und bleibt immer eifriger Bordellbesucher ... Es gibt
für ihn keine Werte über die Sachwerte hinaus, erst durch
viel nordisches Blut verliert er seine tiefinnere Gemeinheit,
erst dann, wenn seine Haut die rosige Weißheit des Nordens
hat. Aber selbst ein Balzac ist nichts weniger als ideal im nor-
dischen Sinn und Beethoven trotz seinem ernsten Streben
und seiner Selbstlosigkeit wenig sympathisch."
„Da", wie Hauser schreibt, „die Dunklen sich geistig nur
bis zum Eintritt der Mannbarkeit entwickeln, dann alle Inter-
essen hinter den Sensationen des Geschlechtslebens zurück-
treten," so ist der Homo alpinus weit fruchtbarer als der aristo-
kratisch zurückhaltende Norde und drängt diesen immer mehr
zurück, bis eines Tages dieser Edeltypus ausgestorben sein wird
und über seinen Gäbern die Walpurgisscharen des Homo alpinus
als das sieghafte Hreer der Bösen ihren Triumphtanz aufführen.
Rassentragödie.
In Wirklichkeit wird sich eines Tages der Homo alpinus
ebenso als eine Erfindung der Studierstube demaskieren wie
der Arier. Er ist höchst wahrscheinlich nichts Anderes als ein-
fach die Höhenvarietät des Homo europaeus im Gegensatz
zum Tieflandstyp. Gebirgsleben dunkelt den Teint und das
Haar, verkürzt und kräftigt die Körpergestalt und rundet den
Schädel. Dieser Wechsel erfolgt, gleichviel wo auf Erden, bei
allen Rassen. Die Bewohner des Himalaya, der Anden, der
Rocky-Mountains, die Peruaner der Cordilleren und die Mexi-
kaner des Tafellandes sind kurzköpfiger und alpiner im Körper-
bau als ihre in den Ebenen wohnenden Stammesverwandten.
Wie exakt die Rasse in allen Teilen der Erde auf das Gebirgs-
leben reagiert, wie verschieden aber je nach der Gebirgshöhe
die Reaktion ausfällt, und wie streng man sich daher vor jeder
Schematisierung hüten muß, beweist folgende Tatsache: Ge-
birgsleben dunkelt den Teint, Hochgebirgsleben dagegen —
Wirkung der Schneeregion — hellt ihn auf, so daß man in den
hohen Regionen der Gebirge wieder einen höheren Prozentsatz
von Blondlingen findet, die man um so weniger als Germanen
auffassen kann, als sie ja erstens durch einen Gürtel von dunkler
Bevölkerung von der übrigen Welt geschieden sind und zweitens
ja gerade in jener Abgeschlossenheit leben, die eine Reinheit
70
«1
und Unversehrtheit der nicht germanischen Urrasse am ehesten
verbürgt. Solche Gebirgsblondlinge findet man ebenso im hohen
Kaukasus unter den Kurden wie am Atlas unter den Ryffisen,
am Libanon unter den Drusen, auf den Pyrenäen unter den
Basken und in den amerikanischen Hochgebirgen. Der Eifer
der politischen Anthropologen gegen den Homo alpinus wirkt
um so befremdender, als die Überzahl der deutschen Genies
aus seinem Stammgebiet hervorgegangen ist und die echtesten
germanischen Geister diesem Typus angehören. Goethe soll
ein Mischling zwischen dem echten Germanen und dem Homo
alpinus sein, Beethoven, dieses im edelsten Sinne deutscheste
aller deutschen Genies, ist geradezu ein Prototyp des Homo
alpinus: klein, gedrungen, häßlich, breitschädelig, mit gelbem
Teint, dunkelsträhnigem Haar und dunklen Augen — und da-
her Otto Hauser „wenig sympathisch".^)
Eine interessante und geradezu entscheidende Wendung
hat das Indexproblem durch die Vergleichung der Schädel
aus den verschiedenen Ausgrabungsepochen gewonnen. Diese
deuten mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß bei
allen Völkern die langschädelige Form des Kopfes
die primitive ist, aus der mit steigender Kultur
die kurzköpfige hervorgeht. Überall, sei es in Babylon
und Ägypten oder in Frankreich und Deutschland, findet man
um so mehr Kurzköpfe, je weiter man in der Kulturgeschichte
eines Volkes voranschreitet. An Kulturstätten wie Paris kann
man die Tendenz von Lang- zu Kurzköpfigkeit selbst in der
kurzen Spanne historischer Jahrhunderte verfolgen. Beispiels-
weise ist die diluviale Neandertal-Spy- Rasse ausgesprochen
1) Unter dem Gesichtspunkt der Hauser'schen Typologie ist es typo-
logisch, psycho-typologisch bemerkenswert, daß gerade Beethoven, dieser
ethisch erhabenste, wirklich, wie ihn Khnger gemeißelt, als Halbgott
hoch über allem Irdischen thronende Titan, der von allen Musikern das
deutsche Wesen in seiner reinsten Form repräsentiert, der wie kein an-
derer vor und nach ihm — höchstens Bach und Händel zu vergleichen —
die Musik zum Ausdrucksmittel ethischen Willens erhob — „Texte wie
Mozart konnte ich nie komponieren, es muß etwas Sittliches, Erheben-
des sein" — , daß dieser Genius, der „alles, was Leben heißt, dem Er-
habenen geopfert", dessen Wahlspruch war: „Wohltun, wo man kann,
Freiheit über alles lieben, Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht
verleugnen" und der im Heiligenstädter Testament das vielleicht er-
habenste und unvergänglichste Zeugnis deutscher Sendung und Ge-
sinnung hinterheß — wenn von deutscher Sprache uns ein Zeugnis
übrig bleiben dürfte, so sollte es dieses sein — daß gerade dieser Mann,
der Germanus Germanorum, Hauser „wenig sympathisch" ist.
71
Ungschädelig. Unmöglich kann bei ihr schon, wie Gham-
berlain pathetisch deklamiert, „ein ewig schlagendes, in
Selinsucht gequältes Hirn den Schädel nach vorn heraus-
gehämmert haben", während er bei Schiller, Beethoven, Kant
und Bismarck „in der Kreislinie des tierischen Wohlbehagens"
verharrte.
Dieser kulturhistorische Wechsel der Schädelform steht
durchaus im Einklang mit den theoretischen Forderungen:
die Kugel ist diejenige Form, die bei größtem Inhalt die kleinste
Oberfläche besitzt. Mit zunehmender Hirnmasse muß logischer-
weise der Schädel sich der Kugelform nähern. Schon der Druck
des Hirnwassers, der nach den hydrodynamischen Gesetzen
allseitig gleich stark wirkt, muß diese Annäherung an die
Kugelform begünstigen. Der riesenhirnige Übermensch der
Zukunft wird ohne Zweifel einen gewaltigen Rundschädel
auf seinen Schultern tragen. Führende Anthropologen wie
Schaaffhausen, Virchow, Taylor, Mortillet und Matiegka schrei-
ben daher schon heute dem Rundschädel, im Gegensatz zu den
Germanentheoretikern, die geistige Überlegenheit über den Lang-
kopf zu. Hiermit harmoniert, daß die weitaus meisten Genies,
nicht wie es die Germanentheorie fordert, langschädelig sind
sondern ausgesprochene Kurzköpfe. Selbst die deutschesten
der deutschen Genies, um nur diese zu nennen, Luther, Leibniz,
Kant, Schopenhauer, Schiller, Goethe, Beethoven, Bismarck,
Menzel, waren Rundköpfe. In dem rein germanischen Schweden
hat Nyström die interessante Feststellung gemacht, daß in
den niederen Volksklassen die Langköpfe, in den höheren die
Rundköpfe überwiegen, und daß von denen, die sich kraft ihrer
Leistungsfähigkeit aus den niederen Volksschichten in die
höheren emporarbeiten, die Mehrzahl wieder Rundköpfe sind.
Unter hundert Langköpfen gehören in Schweden 76 den niederen
und 24 den höheren Gesellschaftsklassen an.
Die heute noch vielfach angetroffene Langköpfigkeit der
Germanen, namentlich in dem kultur jüngeren Norden gegen-
über dem kulturälteren Süden, und die rapide Verdrängung der
Langschädel durch die Kurzköpfe fügt sich demgemäß durchaus
in den Rahmen der historischen Tatsache, daß die Germanen
ein noch junges Kulturvolk mit zur Zeit starker Tendenz zum
Aufstieg darstellen. Die relative Seltenheit des Langschädels
unter den Juden dagegen würde sich im Lichte dieser Auf-
fassung aus dem hohen Alter und der spezifischen Durchgeisti-
gung ihrer Kultur erklären und ein Beweis sein, daß bei der
72
Mehrzahl von ihnen der Schädel aus dem primitiven Oval in
die Ghamberlain'sche „Kreislinie tierischen Wohlbehagens"
hineingewachsen ist.
Uas dritte Kennzeichen des Germanen ist die Blondheit.
Diese wird durch Pigmentarmut der Haut hervorgerufen, die
das Haar blond, das Auge blau und den Teint rosig erscheinen
läßt. Der Begriff der Blondheit ist im Sprachgebrauch natür-
lich ein relativer. Ein Mensch, der unter den Friesen dunkel
genannt wird, würde auf Sizilien als blond bezeichnet werden.
Wenn man in den Schriften brünetter Völker wie in der Bibel
von blonden Menschen liest, so müssen diese nicht notwendiger-
weise germanenblond gewesen sein sondern, dem Sprachgebrauch
entsprechend, einfach lichtere Individuen. Ausgesprochen blonden
oder dunklen Rassen begegnet man nur in den Extremen der
Völkerskala: im hohen Norden und im tiefen Süden. Bei allen
Völkern der mittleren Breiten findet man neben einem vor-
herrschenden Grundton alle Spielarten dieser Farben vom
lichten Blond bis zum tiefsten Schwarz. Auch unter den dunkel-
farbigen Australiern der „Urrasse" sieht man nach Strato
neben dem schwarzen „oft rötliches Haar, in einzelnen Fällen
ein dunkles Aschblond". Selbst unter ausgesprochen dunkel-
haarigen Völkern wie den Papuas, Pygmäen, Akkas und Ni-
grittiern Zentralafrikas beobachtet man einzelne Blondlinge.
Aufhellung der Farbe ist erstens eine Erscheinung der Spielart
und zweitens ein Milieuergebnis, das ebenso wie bei den Ger-
manen auch bei allen anderen Völkern der polaren Breiten
auftreten kann. Das Vorkommen hellfarbiger Typen
unter brünetten Völkern berechtigt in keiner
Weise zu dem Schluß, daß eine Vermischung mit
Germanen stattgefunden habe, und die Idee, daß ein
blonder Mensch Germane sein muß, ist genau so absurd, als
wollte man von einem weißen Karnickel behaupten, es müsse
«n Polartier zum Ahnen haben.
Unter den Juden ist Blondheit häufig, doch lassen sich keine
Durchschnittszahlen angeben, da diese je nach dem Milieu
außerordentlich schwanken. Während man in Deutschland
bis zu 30% blonde Juden trifft, sinkt diese Zahl in Italien auf
5% und in Afrika auf weniger als ^/2%. Diese Schwankungen
widerlegen die Ansicht der Germanentheoretiker, daß die
Blondheit der Juden in erster Linie auf eine frühgeschicht-
Mche Mischung mit Germanen zurückzuführen sei. Wäre diese
73
Völkermischung die einzige oder auch nur ausschlaggebende
Ursache für die Blondheit der Juden, so müßte man Blondlinge
unter den Juden aller Länder finden, denn wenn die Wirkung
des germanischen Blutes über die Jahrtausende hinweg noch
heute unter den Juden des Nordens fortwirkt, so muß sie zum
mindesten in einem gewissen Grade auch unter den Juden des
Südens noch wirksam sein und, allen Milieueinflüssen zum Trotz,
wenigstens einen gewissen konstanten Prozentsatz blonder
Juden erhalten. Gegen die Annahme, daß die Mehrzahl der
jüdischen Blondlinge ihre helle Farbe germanischen Voreltern
verdankt, spricht auch ihr Typus, der vom germanischen Blond-
lingstyp erheblich abweicht. Der jüdische Blondling besitzt
nicht die Figur des Heldentenors, sondern ist in seinem Ha-
bitus echter Jude. Man könnte versucht sein, diese Kombi-
nation von germanischem Blond mit jüdischer Physiognomie
durch Bastardierung von germanischen und jüdischen Typen
zu erklären. Aber das jüdische Blond wird gewöhnlich nicht
wie das germanische durch Pigmentarmut hervorgerufen, son-
dern beruht auf Anhäufung eines reichlich vorhanclenen, ins
Rötliche spielenden Farbstoffs. Rotes Pigment in Haut und
Haaren ist geradezu eine Rasseneigentümlichkeit der Juden.
Der „rote Itzig" ist eine jüdische Volksfigur. Diese rothaarigen
Juden sind keine verwässerten Mischlinge sondern Juden par
excellence. Man kann, wie Zollschan in seinem Buche über
das Rassenproblem bemerkt, das Rot in der Farbenskala
Blond, Braun, Schwarz über das Schwarz hinaus als ein Ultra-
schwarz, als höchste Potenz der jüdischen Rassenfarbe be-
trachten. Vielleicht entsteht das unter den Juden häufige
Blond oftmals durch eine Kreuzung dieses Rot mit den ver-
schiedenen Nuancen des Brünett. Zwar behauptet Chamberlain :
„Helle Haut und blondes Haar kamen bei den Hebräern und
den Menschen der syrischen Gruppen niemals vor, sondern
diese Charakteristika des Europäers wurden erst durch die
Amoriter und Hellenen ins Land gebracht, darum fiel ja auch
Davids Blondheit auf" — in Wirklichkeit aber besitzen wir
über die Juden und Syrer, die vor drei Jahrtausenden in Vorder-
asien inmitten eines Völkerchaos lebten, nicht das geringste,
aber auch nicht das allergeringste Tatsachenmaterial. Wohl
aber widerspricht Chamberlains im Ton einer Tatsache vor-
getragene Behauptung allen Wahrscheinlichkeitsannahmen der
Wissenschaft; denn selbst unter jenen Völkern der syrischen
Gruppe, die den jüdischen Typus am reinsten repräsentieren
74
und denen die heutigen Juden ihre spezifisch jüdischen, unger-
manischen Charaktere verdanken, den Hethitern, den heutigen
Armeniern, unter denen nach Chamberlain „helle Haut und
blondes Haar niemals vorkamen", findet man noch jetzt, fast
genau in denselben Prozentzahlen wie bei den Juden, neben
ungefähr 25% schwarzen und 50% braunen, 10% dunkelblonde,
2% hellblonde und 2% rötliche Individuen.
„Darum fiel ja auch Davids Blondheit auf" — wo, so fragt
man erstaunt, steht in der Bibel, daß Davids Blondheit auffiel ?
,,Er war rot und schön von Angesicht", heißt es von ihm, wie auch
von Esau, Saul, Absalom, Judas und Maria Magdalena berichtet
wird. Da David an dieser Stelle ausdrücklich als ein Kind be-
schrieben wird, kann dieses Rot, wie es der größere Teil der
Bibelübersetzer auch annimmt, ebensowohl „rosig" heißen me
blond. Nachdem Chamberlain aber seinen Lesern mit der Be-
stimmtheit, als verkünde er eine Tatsache, versichert, „die Bibel
legt an verschiedenen Orten besonderen Nachdruck auf seine
Blondheit", gesteht er in, einer von den meisten Lesern gerne
überschlagenen Fußnote ein, daß Luther zwar das Rot an dieser
Stelle mit bräunlich übersetzt und Gesenius, der bahnbrechende
Lexikograph des Hebräischen, dieses Rot, wie es bei der Schil-
derung eines Kindes auch wahrscheinlich gemeint ist, auf die
Gesichtsfarbe bezieht, um sodann fortzufahren: „Die besten
wissenschaftlichen Übersetzungen der Gegenwart fassen aber
diese Bezeichnung direkt als blond, d. h. also blondhaarig auf,
und es scheint als sicher zu gelten, daß David ausgesprochen
blond war." Ein Musterbeispiel Chamberlain'scher Metho-
dik. Im Text wird zuerst dem Leser irgendeine Behauptung
als sicheres Faktum präsentiert. „Die Bibel legt an verschie-
denen Orten besonderen Nachdruck auf seine Blondheit",
während in der Bibel in Wahrheit weder mit besonderem Nach-
druck noch überhaupt je von Blondheit gesprochen wird.
Nachdem dem Leser eine durchaus persönliche Auslegung als
Tatsache vorgesetzt ist, wird sie nun erst zu beweisen gesucht ;
es wird schüchtern zugestanden, daß von Blondheit gar nicht
die Rede, sondern daß im Gegenteil die Meinungen über die
Übersetzung dieser Stelle sehr verschieden sind. Dann aber
wird aus einer weiteren subjektiven Behauptung, daß näm-
lich „die besten wissenschaftlichen Übersetzungen der Gegen-
wart diese Bezeichnung direkt als blond, d. h. also blond-
haarig, auffassen", die Folgerung gezogen: „Also scheint es
als sicher zu gelten," daß David — nun nicht nur blond
75
sondern sogar schon — „ausgesprochen blond" gewesen ist.
Wäre die Anmerkung noch einige Zeilen länger geworden,
würde David im nächsten Satz einen blonden Vollbart, im
übernächsten Tannhäuserlocken und im dritten blaue Augen be-
kommen, und am Ende stände er als ein germanischer Helden-
lenor, ein biblischer Siegfried vor uns . . . Germanentheorie!
Mit denselben fadenscheinigen Gründen wirken die Germanen-
Iheoretiker das zerreißliche Netz ihrer Hypothesen immer
weiter und behaupten, daß auch die übrigen genialen Gestalten
der jüdischen Geschichte von Salomo bis Christus Germanen
gewesen. Über das wirkliche Aussehen des altjüdiscben Genies
ist uns ebensowenig etwas bekannt wie über das Aussehen
Homers oder Sapphos. Nicht einmal über Christus ist
•ine einzige Schilderung authentisch. Von den Evangelisten
hat nur Johannes ihn persönlich gekannt, und doch ist
gerade (oder vielleicht gerade deswegen) sein Evangelium
das widerspruchvollste und umstrittenste von allen. Alles,
was Chamberlain und die anderen Germanentheoretiker über
den Typus des alt jüdischen Genies vorbringen, sind Hypo-
thesen ohne Grundlagen — Schwerter, denen nicht nur die
Griffe sondern auch die Schneiden fehlen.
Der einzige Prüfstein für Theorien sind Tatsachen. Jene
beiden jüdischen Männer der Moderne, die unzweifelhaft im
Sinn der europäischen Kulturbetätigung Genialität besaßen,
Spinoza und Heine — Spinoza von Goethe als vollendetster der
Philosophen, Heine von Bismarck als stärkster deutscher Lyriker
nach Goethe bezeichnet — sind in ihrem Typus echte Juden.
Der eine singt Lieder wie David, und der andere redet Weis-
heit wie Salomo — und sind doch keine Germanen. Aber der
Germanentheoretiker ist niemals verlegen. Wie der Redner, dem
jemand zurief: „Aber ihre Behauptungen widersprechen ja den
Tatsachen!", schlagfertig zurückgab: „Dann lügen die Tat-
sachen!", so sagen die Germanentheoretiker: „Du bist genial?
Und bist kein Germane? Dann bist du nicht genial!" Ja, wäre
Spinozas Haar nur ein wenig blonder gewesen und Heines Nase
Bur um ein Kleines weniger gebogen, dann würde man sie
ja so gerne zur Tafel der germanischen Dichter und Denker
geladen und mit Stolz auf sie als Repräsentanten arischen
Geistes gewiesen haben. Aber jüdisches Genie? Contradictio
in adjecto.
Überblickt man rückschauend die Germanentheorie von ihrer
naturwissenschaftlichen Einleitung bei Wilser bis zur Blondheits-
76
hypothese des jüdischen Genies bei Chamberlain, so muß jeder
objektive Beurteiler eingestehen, daß man ebensogut von allem
das Gegenteil behaupten und beweisen könnte; daß beispiels-
weise eine im Grunde ebenso dumme Semitentheorie mindestens
den gleichen Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen würde.
Wissenschaftlich betrachtet ist diese Modetheorie nichts als eine
stolze Kulisse, auf deren Zinnen die geschäftigen Regisseure
eines falschen Nationalismus das Feuerwerk der Rassentheorie
entzünden, um die Massen in einen Rausch des Rassenwahns
zu versetzen, darinnen sie sich selbst als erderhabenes Volk von
Göttern träumen, indes jed anderes Geschlecht vor ihrem
trunkenen Blick zum Paria hinabsinkt.
In welch geradezu erbarmungswürdige geistig-moralische
Zerrüttung dieser wissenschaftliche Morphinismus seine ver-
gifteten Opfer hinabstürzt, mögen, nachdem bisher nur an-
erkannte Autoritäten zu Worte kamen, einige Schlußzitate aus
den verbreitetsten „wissenschaftlichen" Lehrbüchern des Anti-
semitismus bezeugen, die ihre Futtersuppe für das Volk aus
der Garküche der Germanentheorie beziehen.
Das „Handbuch der Judenfrage", aus dem die Volksver-
sammlungsredner, die Studentenfuchser und Leitartikler von
Winkelblättchen ihre Kenntnisse schöpfen, und das dank der
Konjunktur in wenigen Jahren seine 48. Auflage erlebte, gipfelt
in seinem rassentheoretischen Teil in folgendem mystischen Un-
sinn: „Der Jude ist der zum festen Typus erhärtete rassenlose
Entartungsmensch." In dem weitverbreiteten „Antisemiten-
katechismus" wird in Beantwortung der Frage: „Sind die Juden
nicht eben solche Menschen wie wir?" allen Ernstes unter Hin-
weis darauf, daß auch die Bären, Affen, Pudel und Känguruhs
auf zwei Beinen gehen wie die Juden, der jüdischen Rasse das
Menschentum abgesprochen, weil nur die Erfindung von Werk-
zeug Kriterium des Menschentums sei, „die jüdische Rasse aber
erwiesenermaßen niemals Werkzeuge geschaffen, nie etwas er-
funden, nie eine bauende und gestaltende Tätigkeit entwickelt
hat" usw. In Harmonie hierzu steht in dem „Deutschnatio-
nalen Taschenbuch": „Die Gesamtbevölkerung der Erde
beträgt ohne Affen und Fledermäuse rund 1 Milliarde und
600 Millionen Primaten, davon etwa 900 Millionen Menschen,
das übrige menschenähnliche Zwischenglieder (Zwei-
händer) in verschiedener Entwicklung (hierzu die meisten
Malaien, viele äthiopische und mongolische Stämme, auch
die Juden)."
77
"1^
JUas ist die Saat, die der Geist der Germanentheorie in den
Köpfen des Volkes zur Reife brachte, dem Goethe, Kant und
Beethoven vorgelebt haben. Man ist angesichts dieses Tollhaus-
Unsinns, der zwar „die Geschichte gegen sich hat und die Scham
gegen sich haben sollte", aber trotzdem nicht nur falsche Priester
sondern Hunderttausende von Gläubigen gefunden, die ihn als
ihr Evangelium im Herzen tragen, geneigt, den Woltmann'-
schen Satz zu variieren und zu sagen: Goethe, Kant und Beet-
hoven sind Genies, nicht weil sondern trotzdem sie mit
ihnen eines Stammes sind. Wann wird es endlich, nach
Nietzsche, dahin kommen, daß dieses Volk nicht mehr über
Goethe hinwegdichtet, über Kant hinwegphilosophiert und über
Beethoven hinwegmusiziert, sondern daß der Geist dieser Genien
wie Sonne in die Herzen leuchtet, daß in ihnen Goethe'sches
All- Verständnis, Kant'sche Friedfertigkeit und Beethoven'sche
Wahrhaftigkeit aufblühen als ein Vermächtnis, das ihnen näher
liegt, sie höher führt und ehrenvoller für sie ist als jene ganze
Potemkin'sche Welt, mit der die Germanentheoretiker ihnen
den Blick in die Herzen anderer Nationen und den Weg in eine
freie Zukunft friedlicher Völkerarbeit versperren.
78
DER SEMIT i)
Den Ideenpalast der Germanentheorie können wir mit Gewiß-
heit als einen Götzentempel niederreißen; aber wir sind nicht
imstande, an seiner Stelle das Heiligtum der Wahrheit zu er-
richten. Das ist das Schicksal aller Wissenschaf t ; wir können
am Ende sagen : so ist es nicht gewesen ; aber wir sind unfähig
anzugeben, wie es in Wirklichkeit war. Wissenschaft ist negativ,
Ausschaltung des Nichtwissens. Sie ist die Quadratur des Kreises.
Immer mehr nähert sich das Vieleck des Irrtums dem Zirkel
der Wahrheit. Aber niemals wird es ein Kreis.
Über die Urgeschichte der weißen Rasse, über die die Ger-
manentheoretiker so stolz-bewußte Hypothesen bauen, wissen
wir in Wahrheit nichts. Als eine Wahrscheinlichkeit können wir
vermuten, daß durch den Hereinbruch der Eiszeit die Nord-
europäer jenseits der Alpen und des Kaukasus für Jahrtausende
von der Südgruppe abgeschnitten und durch Schnee und Inzucht
zur blonden Rasse herangezüchtet wurden. Möglicherweise ist
sogar der Germane überhaupt nur als ein Spezialanpassungstyp für
die Eiszeit entstanden und daher als sqlcher nach ihrem Ablauf
heute wieder im Schwinden begriffen, obwohl auch diese Ansicht
stark hypothetisch ist, da der Schnee durch seine ultravioletten
Strahlen Haut und Haare zu dunkeln pflegt (Eskimos).
Den nordisch-blonden Kelten, Germanen und Slawen stehen
als südliche Gruppe der weißen Rasse die mittelländischen
(mediterranen) Völker des brünetten Typus gegenüber, die
Südeuropa, Nordafrika und Vorderasien bewohnen. Die Juden
gehören dem mittelländischen Zweig der weißen
Rasse an. Die westeuropäischen Juden sind ein in den Norden
versprengter Teil der Südländer, weshalb sie hier von der übrigen
Bevölkerung ebenso abstechen wie es hier oben ansässige Ita-
liener oder Griechen täten. Aber die „jüdischen" Eigenschaften,
durch die sie hier auffallen: kleinerer Wuchs, dunklere Fär-
bung, Frühreife, Lebhaftigkeit, Neigung zur Üppigkeit der
Lebensführung und Leibesform, Putzsucht der Weiber, Mäßig-
keit im Alkoholgenuß, Vorliebe für Gewürze, sind durchaus
keine spezifisch jüdischen sondern allgemein mittelländische Züge.
^) Sämtliche in diesem und dem folgenden Kapitel erwähnten geo-
graphischen Bezeichnungen sind auf Karte II zu finden.
79
Im Süden ist der Jude zu Hause und fällt hier so wenig auf,
daß nur ein geübter Blick ihn aus der Masse der Bevölkerung
zu erkennen vermag, während der nordeuropäische Luxusreisende
im Süden unter lauter Juden zu sein vermeint, „Schon in Spanien
wundert man sich über die zahlreichen jüdischen und juden-
ähnlichen Gesichter, im Norden Afrikas glaubt der Europäer
unter lauter Juden zu sein, und ist nicht imstande, den echten
Juden von den anderen Mitgliedern des dritten Zweiges zu
unterscheiden. Dasselbe ist der Fall, wenn er im Osten Europas
über die Balkanhalbinsel nach Kleinasien vordringt. Ebenso
wie die meisten Spanier machen auch die Türken und Griechen
auf den Nordeuropäer einen jüdischen Eindruck" (Zollschan).
„Wir merken gar nicht," schreibt der Spanier Alejandro Sawa,
„ob einer Jude ist. Die Juden gleichen körperlich, sittlich und
in ihrem Wesen vollkommen den anderen Spaniern."^)
Nach der früheren linguistischen Methode klassifizierte
man die Mediterranen als Türken, Semiten, Hamiten usw.
und stellte sie den Ariern gegenüber, obwohl sie zum Teil
selber Arier sind. Man rechnete beispielsweise die Juden zu
den Semiten, während man die ihnen anthropologisch nächst-
verwandten Armenier einzig wegen ihrer Sprache zu den Ariern
zählte, oder man stellte den Inder als Arier dem Babylonier
als Semiten gegenüber, während die Kernmasse beider Völker
anthropologisch identisch oder nächstverwandt ist.
Will man aus didaktischen Gründen zu einer Sichtung der
unentwirrbar bunt gemischten Nationen der Mittelländer ge-
langen, so kann man sie ohne große Gewaltsamkeit in drei
Gruppen sondern: die europäische nord mittelländische, die
Griechen, Römer und Spanier umfaßt; die afrikanisch-arabische
Süd mittelländische, die Araber, Abessinier, Ägypter, Berber
und Kabylen vereinigt, und die asiatische o st mittelländische,
die die weißen Völker Vorderasiens umschließt, die in der Rassen-
geschichte als Iranier, Kaukasier, Armenoide usw., in der Kultur-
geschichte als die Nationen der Inder, Afghanen, Perser, Meder,
*) Der italienische Volkscharakter erscheint bei einem Vei^leich mit
dem nordischen selbst in seinen feineren Regungen dem jüdischen
so ähnlich, daß man beispielsweise bei der Lektüre von Bettina von
Arnims Tagebuch und Briefen an Goethe die Zeugnisse eines jüdischen
Mädchens zu lesen meint, was Chamberlain in seiner talentvollen
Leichtfertigkeit, ebenso ganze Völker wie einzelne Menschen beliebig
zu taufen und umzutaufen, veranlaßt, Bettina in abfälliger Kritik als
Jüdin zu charakterisieren, während sie in Wahrheit einem altitalie-
nischen Geschlecht entstammt.
SO
Armenier, Babylonier, Assyrer, Phönizier, Syrer, Hethiter usw.
bezeichnet werden. Die Juden entwickeln sich in ihrer
Frühgeschichte als ein Mischvolk aus Stämmen der
asiatischen und der afrikanisch-arabischen Gruppe.
Jede dieser Völkergruppen ist vermutlich aus einem geo-
graphisch umgrenzten Quellgebiet hervorgegangen, aus dem sie
bis auf den heutigen Tag, wie das Flußsystem eines Landes aus
einem Gletschergebiet, ihren ständigen Nachschub erhält. Für den
asiatischen Zweig ist dieser Völkergletscher das Hochland von
Iran, für den afrikanisch-arabischen die Hochfläche von Arabien
(s. Karte I). Man kann annehmen, daß diese Völker zur Zeit
ihrer Abwanderung aus dem Quellgebiet verhältnismäßig fest-
umgrenzte „rassereine" Einheitstypen darstellten. Erst durch
die Verschiedenheit ihrer späteren Wohnsitze differenzierten sie
sich zu den heutigen Völkerindividualitäten. Versucht man die
Buntheit der Typen innerhalb jeder Gruppe wieder zu klassifi-
zieren, so kann man den asiatischen Stamm in den östlichen
iranischen und den westlichen armenischen trennen, den afrika-
nischen in den östlichen arabischen und den westlichen ägyp-
tischen scheiden. Die Juden haben Elemente aller vier
Untergruppen in sich aufgenommen.
Der Typ des Arabers lebt noch heute, wie wahrscheinlich
«eit Jahrtausenden, unverändert im Beduinen. Hohe schlanke
Gestalt von grazilem Bau, langer Schädel, schwarzes Haar, fein-
geschwungene Nase, schmaler Mund. Aus diesem Araber hat sich
durch Wanderung (Milieuwechsel) und wahrscheinlich Kreuzung
mit negroiden Stämmen als Abart der alte Ägypter mit seinem
gröberen Knochenbau, stärkerem Gebiß, etwas aufgeworfenen
Lippen und zuweilen negerhaft gekräuseltem Haar entwickelt.
Auf der asiatischen Seite sind die Milieuunterschiede ungleich
bedeutender, verliefen — als eine Folge hiervon — die geschicht-
lichen Ereignisse ungleich stürmischer und fanden außerdem
zahlreiche Mischungen mit Mongolen von Osten, Slawen und
Germanen von Norden statt. Daher begegnet man hier an
Stelle scharf getrennter Gruppen einer ganzen Skala verschie-
dener Völkertypen, deren östliches Ende der Inder, deren west-
liches der Armenier bildet. Der Idealtyp des Inders steht als
Brahmane vor unseren Augen: etwas hellfarbiger als der Araber,
•ebenso hochgewachsen aber breiter, mit länglichem Gesicht,
kräftiger Nase, männlichem Blick und einem edel-energischen
Zug um den Mund — ein Typus, den man vielfach in reinster Form
unter den Juden findet. Sein Antipode ist der Armenier des
iQ Kahn, Die Juden. 81
südlichen Kaukasusgebieles, zu dessen Charakter typen die
jiwiische Witzblattfigur der europäischen Blätter gehört mit ihrem
kleinenWuchs, kurzen, zuweilengekrümmten Gliedmaßen,rundem
Schädel, spärlichem Haupthaar, stark gebogener Nase, leichter
Schieflage der Augen und häufig erheblichem Fettpolster. Unter
den geschichtlich hervorgetretenen Völkern der Armeniergruppe
findet man diesen Typus am ausgeprägtesten unter den alten
Hethitern. Ob dieser hethitische Typus sich als eine Gebirgs-
form wie der Homo alpinus in Europa gebildet hat oder durch
Mischung mit turanischen (mongolischen) Völkern entstanden
ist, bildet eine viel umstrittene Frage, die sich zur Zeit noch
nicht beantworten läßt.
Durch diese anthropogeographische Einteilung gewinnt man
gegenüber der früheren linguistischen folgendes Schema der
weißen Rasse:
Weiße Rasse
Brünette Mittelländer Blonde Nordländer
Südmittelländ. Ostmittelländ. Nordmittelländische |
Gruppe (Afrika) Gruppe (Asien) Gruppe (Südeuropa) Nordpuropa
Ägypter, Araber Armenier,Iranier Griechen, Italiener, Kelten,Germanen^
Spanier Slawen
Arier und Semiten als Menschentypen gibt es
nicht. Semitisch und arisch sind keine Rassen- sondern Kultur-
begriffe und bezeichnen Menschen, die einem bestimmten Sprach-
kreis angehören. Der Armenier, der eine arische Sprache spricht
und deshalb zu den Ariern gezählt wird, ist in seinem Körper-
bau jüdischer als der Jude, denn seinem Geschlecht entstammen
die für spezifisch jüdisch angesehenen Typen unter den Juden.
Der Babylonier dagegen, der markanteste Vertreter der semi-
tischen Weltanschauung, ist in vielen echtesten Volkstypen der
leibhaftige Bruder des Inders, den man als den Idealtyp des
Ariers feiert.
Wenn irgendwo mit Recht der Satz gilt: die Geschichte ist
der Reflex der Geographie, so in der Geschichte Vorderasiens.
Man stelle sich in kühnem Umriß den Plan der Landschaft
vor (s. Karte I). Zwei gewaltige Hochländer, Iran und Arabien,
werden von drei Flüssen begrenzt, zwei außen und einer zwischen
ihnen: Indus, Euphrat, Nil. Die schrankenlosen Steppen der
Hochländer bringen immer neue Völkermassen hervor. Da
jedoch zur seßhaften Kultur die Vorbedingungen: Wasser,
82
Ackerland und natürliche Verkehrsstraßen fehlen, verharren
die Bewohner auf der Stufe des Nomadenlebens. Von den im
Innern sich mehrenden Massen werden die Randbewohner
hinabgedrängt und wandern in die Flußtäler, wo sie unter den
günstigen Kulturbedingungen seßhaft werden. So wandern von
der Hochfläche von Iran die Inder in das Flußgebiet des Indus,
von der Hochfläche von Arabien die „Semiten" ins Niltal hinab
und gründen hier die Altkulturen Indiens und Ägyptens. In
die zwischen den beiden Plateaus liegende Tiefebene des Euphrat
und Tigris wandern Stämme von beiden Flächen und mischen
sich hier zu den Kulturnationen der babylonischen Geschichte.
Indien, Babylon, Ägypten sind die drei großen Kulturreiche
des vorderen Orients.
Auch der weitere Verlauf der Geschichte wird von der Geo-
graphie diktiert. Zwischen den seßhaft gewordenen Kultur-
nationen der Flußebene und den immer wieder nachdrängenden
Völkern der Hochflächen entspinnt sich ein Kampf, der zuletzt
immer mit dem Siege der sich unbeschränkt mehrenden Nomaden
über das alternde Kulturvolk enden muß. Setzt das Kulturvolk
den Nomaden keinen ernsthaften Widerstand entgegen, so sickern
diese allmählich ein und eignen sich die Kultur auf dem Wege
friedlicher Assimilation an. Errichtet es aber gegen die Söhne der
Wüste chinesische Mauern, so staut sich die Flut vor dem
Damm, um, je später desto elementarer, über das Reich herein-
zubrechen und ihm ein katastrophales Ende zu bereiten. Länger
als IV2 Jahrtausende hat keine der vorderasiatischen Kulturen
ihre Individualität vor dem Ansturm der Nomaden zu wahren
vermocht^).
*) Noch heute ist der Kampf zwischen dem ansässigen Kultureinwohner
und dem Steppenwanderer das brennende Problem aller vorderasiatischen
Siedelungspolitik. Über die Besiedelungsmöglichkeiten des heutigen Palä-
stina schreibt 1919 die enghsche Zeitschrift „Palestine": „Die Ostgrenze
Palästinas hat ihr Beduinenproblem. Die transjordanische Hochebene,
eines der besten und gesündesten Gebiete in Asien, deren Abhänge und
Wälder noch einmal die Stätte einer großen jüdischen Siedlung werden
sollen, geht in die arabische Wüste über. Die Wüste ist die Heimat
der Beduinen, die seit den Anfängen der Geschichte immer wieder in
das bebaute Land eingebrochen sind und die Städte zerstört, Landwirt-
schaft und Industrie vernichtet und die übriggebhebenen Bauern einem
elenden Frondienst unterworfen haben. Die Tugenden des Mannes der
Wüste, die Ritterlichkeit des Nomaden sind in vielen romantischen
Dichtungen geschildert worden.' Aber seine Disziplinlosigkeit, seine Ab-
neigung gegen regelmäßige konstruktive Arbeit, die er als eines freien
Mannes unwürdig ansieht, machen ihn zu einem erklärten Feinde der
6« 83
Euphrat und Tigris sind die Schlagadern Vorderasiens. Ihr
Tal ist als Wasserquelle, Siedlungsland, Karawanenstraße und
strategische Linie von so beherrschender Bedeutung, daß jedes
Volk, das diese Ebene besitzt, damit auch die Hegemonie in
Vorderasien in Händen hält, und umgekehrt wieder jedes Volk,
das nach politischer Vorherrschaft strebt, die Hand nach dieser
Ebene ausstreckt. Im übrigen aber ist Vorderasien ein Gebiet
von der Ausdehnung und Differenziertheit Europas, in dem genau
wie in Europa stets unbekümmert um die Vorherrschaft der
einen, auch andere Kulturen blühen. Auch in Europa „wechseln
die Kulturen". Um 500 v. Chr. ist Griechenland die herrschende
Nation; um die Zeitwende ist es Rom, tausend Jahre später
sind es die Araber, um 1500 die Spanier, um 1700 die Franzosen.
Aus mehrtausendjähriger Entfernung würde die summarisch ver-
fahrende Geschichtsforschung genau wie wir heute über Vorder-
asien registrieren: 1000 — 500 Herrschaft der Griechen, 500 — 1
Herrschaft der Römer, 500 — 1000 Herrschaft der Araber usw.
In kultureller Beziehung aber ist diese Vormacht nur eine sehr
bedingte. Während die Spanier Europa und die halbe Welt be-
herrschen, malen die italienischen Meister ihre Gemälde, die
länger und tiefer auf die Menschheit wirken als die Flotten-
paraden der Armada und die Bravourstücke der Granden.
Während man in Potsdam an der Königstafel französisch par-
liert— für die Geschichtsforschung der Zukunft ein ,, objektiver"
Beweis, daß Deutschland damals keine Eigenkultur besessen — ,
schreibt Lessing in Braunschweig den Nathan und Goethe in
Frankfurt den Werther.
Daher muß man in der Zuweisung einer Errungenschaft an
ein bestimmtes Volk einzig aus den Indizien der politischen
Kultur. Das zieht sich durch die ganze Geschichte Palästinas. Große Städte
erstanden in Transjordanien, Ackerbau, Industrie und Kunst blühten dort
nur zu Zeiten, da es eine Hand gab, die stark genug war, um die Beduinen
im Zaum zu halten. Die beste Illustration zu dieser Tatsache liefert die
römische Zeit. Die Grenzfrage Palästinas beschäftigte die römischen
Staatsmänner und sie machten zahlreiche Experimente. Ihre Grenz-
organisation war sehr ausgedehnt. Ein Netzwerk von Straßen, Straßen
in der Wüste, Straßen längs der Grenzlinie, Straßen nach allen Zentren
Palästinas erleichterten den Verkehr für militärische und Handelszwecke.
Bis auf diesen Tag sieht man in der palästinensischen Wüste die Grenz-
steine der Legionen, auf welche die römischen Soldaten ihren Namen und
Rang gekritzelt haben. Die Möglichkeit des Wiedererstehens einer jüdischen
Kultur östlich des Jordans hängt von einfem tüchtigen System des Grenz-
schutzes ab, das den räubernden Nomaden ausschließt und dem Arbeitenden
das Produzieren und den Genuß der Früchte seiner Arbeit gestattet."
84
Geschichte äußerst vorsichtig sein. Nehmen wir an: eine Kata-
strophe verschüttet die heutige Kultur. Der Archäologe des
Jahres 6000 gräbt spärliche Reste aus und findet : das Christen-
tum ist zur Zeit der römischen Weltherrschaft entstanden ; Palä-
stina war römische Provinz, ja, durch einen „ganz besonders
glücklichen, hochbedeutsamen Fund" hat er festgestellt, daß
Christus durch ein römisches Gericht unter dem Vorsitz eines
Mannes namens Pilatus verurteilt wurde. Kein Zweifel : Christus
war ein Römer; das Christentum eine Großtat römischer Kultur.
Triumph der „exakten" Wissenschaft! Von solchen „Beweisen"
strotzt die heutige Forschung über die alten Kulturen Vorder-
asiens.
In der prähistorischen Zeit wurde das Euphratgebiet von
einer kleinen Rasse mit negroiden Zügen bevölkert, die viel-
leicht mit den in der Bibel oft erwähnten Kuschiten identisch
ist, und als deren Überbleibsel möglicherweise die Abes-
sinier zu betrachten sind. Nach dieser Hypothese würde man
in den Falascha, den zum Judentum übergetretenen Abessiniern,
die bis auf den heutigen Tag erhaltenen Nachkommen der schon
in Genesis 10 erwähnten „Söhne Kusch's" erblicken müssen,
wobei allerdings zu erwähnen ist, daß weder die Abessinier
noch die Falascha — deren Identität übrigens auch durchaus
nicht feststeht — kurzgebaut sind wie die ,,kuschitische" Ur-
rasse, sondern im Gegenteil hochgewachsen. In der Bibel wird
die Bezeichnung „Söhne Kusch's" verschieden, gewöhnlich auf
Nubier und Ägypter, angewendet. Wenn die Kuschiten wirklich
die Urbevölkerung Vorderasiens gewesen sind und negerhafte
Züge getragen feaben, so sind sie als die erste Quelle für die
negroiden Merkmale anzusehen, die man in einem geringen
Prozentsatz unter den Juden findet.
Unsere geschichtlichen Kenntnisse über die Euphrat-Tigris-
Kultur setzen fast unvermittelt mit dem Jahre 3000 ein. Die
Kultur Altbabylons steigt nicht, wie ein Gebirge dem Wanderer,
mählich vor unseren Augen aus dämmernden Umrissen auf,
sondern steht, wie die Hafenstadt dem Schiffer nach Teilung des
Nebels, plötzlich in vollendeter Schönheit vor unseren Blicken.
Wir sehen sie nicht werden sondern sein, und zwar gleich
zu Beginn unserer Kenntnis auf einer Höhe der Entwicklung,
die eine mindestens 2000jährige Vorgeschichte voraussetzt,
über die wir aber bis heute nicht die geringsten Kenntnisse
besitzen.
Um das Jahr 3000 blühen auf babylonischem Boden zwei
Kulturen nebeneinander, eine semitische und eine sumerische.
Von diesen steht die semitische hell im Lichte der Geschichte,
sie hat um diese Zeit fast schon die Reife ihrer Entwicklung, ihr
augusteisches Zeitalter erreicht. Unter dem König Sargonl. (2800)
erlangt das Reich eine Ausdehnung, die es weder vorher noch
nachher jemals besessen. Sargon vereinigt nicht nur ganz
Vorderasien unter seinem Szepter sondern unternimmt sogar
Expeditionen übers Meer nach Cypern, was niemals wieder ein
vorderasiatischer Herrscher gewagt hat. Sein Sohn Naram-Sin
bringt ganz Arabien unter seine Botmäßigkeit, was sich ebenfalls
bis zur Zeit der Khalifen nicht wiederholt. Kunst, Wissenschaft,
Handel und Gewerbe feiern ihre klassischen Triumphe. Der
Siegesstele Naram-Sins läßt sich nach dem Urteil einer der ersten
Autoritäten, Eduard Meyer, „an künstlerischem Werl bis jetzt
überhaupt kein anderes Denkmal Babyloniens zur Seite slollen".
Das Königssiegel Sargons, eine in bewußter Stilisierung aus-
geführte Plakette mit Tierszenen, würde dem Schreibtisch eines
heutigen Fürsten keine Unehre bringen. In den Priesterschulen
der zeitgenössischen Tempel fand man als Unterrichtsmaterial
Übungstafeln für Lesen, Schreiben und Grammatik, Synonyma-
register, Rechentafeln, geometrische Vorlagen, astronomische
Tabellen, geographische Verzeichnisse, botanische Listen, Zeichen-
muster, Modelle zum Gravieren und Siegelschneiden. Zu den
wichtigsten dieser Funde gehört der Kalender, da sich aus ihm
das Alter der frühsemitischen Kultur genau berechnen läßt.
Infolge der Schwankungen der Erdpole wandert der Frühliiigs-
punkt. Seit dem Jahre 750 n. Chr. steht er im Sternbild des
Widders. Bis zum Jahr 2500 v. Chr. stand er im Stier. Vor dem
Jahre 2500 befand er sich in den Zwillingen. Da der Frühlings-
punkt des babylonischen Kalenders in den Zwillingen angegeben
wird, muß er vor dem Jahre 2500 aufgestellt worden sein, und
da wir für die sargonische Zeit genaue Perioden- und Finsternis-
berechnungen besitzen, die eine vorangegangene vielhundert-
jährige Entwicklung des Kalenderwesens voraussetzen, so ist die
Aufstellung des babylonischen Kalenders weit hinauf ins 4.,
vielleicht sogar 5. Jahrtausend vor Chr. zu verlegen. Auf der
Zwölf zahl der Tierkreisbilder fußend, haben die Erfinder dieses
Kalenders unser noch heute gebräuchliches Sexagesimalsysteni
der Zeit-, Raum- und Gewichtsbestimmung geschaffen, das auf
die Zahlen 6, 12, 60 aufgebaut ist. Dieser uralte frühsemitische
Kalender ist es, der das Jahr in zweimal 6 Monate, den Monat
86
in fünfmal 6 Tage, den Tag in viermal 6 Stunden, die Stunde
in zehnmal 6 Minuten und diese in 60 Sekunden und ebenso
den Kreis in Bogenminuten und -Sekunden einteilt. Die Zwölfer-
größen Dutzend, Schock, Groß sind babylonische Maße. Das
deutsche Wort Schock soll ein alt-babylonisches Wort sein, das
die Griechen als awooog entlehnten, woraus Schock entstand.
Aitbabylonisch ist die Einführung der Metallwährung.
Neben dieser unzweifelhaft semitischen Kultur von Akkad,
wie sie nach der damaligen Hauptstadt des Landes auch ge-
nannt wird, und deren Träger entweder reine Beduinen der
arabischen Steppe oder ein Mischvolk von Arabern und Iraniern
sind, steht die Kultur von Sumer, so genannt nach der Residenz
ihrer Könige Sumer. Im Gegensatz zur hell erleuchteten semi-
tischen liegt die Kultur von Sumer noch im Dunkel tiefsten Ge-
heimnisses. Bis heute wissen wir nur zweierlei von ihr, ein
Negatives und ein Positives. Das Negative: sie war bestimmt
nicht semitisch. Das Positive: ihr verdankt die Menschheit —
mittelbar oder unmittelbar — die Erfindung der Schrift. Zu
welcher Rassengruppe die Sumerier gehören, ist noch völlig
unklar. Nach der berühmten Völkergenealogie Genesis 10, in
der Nimrod als sumerischer König genannt wird, sollen sie Ver-
wandte der Kuschiten und Ägypter, mithin Hamiten, d. h. An-
gehörige des hamitischen Kulturkreises sein, wofür die Ähnlich-
keit ihrer Bilderschrift mit den kuschitischen und ägyptischen
Hieroglyphen spricht, wie sich überhaupt die Bibel in rassen-
geschichtlichen Angaben als eine überraschend zuverlässige
Quelle erwiesen hat.
Unsere Unkenntnis über die Sumerier bot den Germanen-
theoretikern willkommenen Anlaß, sie für Germanen oder we-
nigstens Arier zu erklären, zu den wahren Schöpfern der alt-
babylonischen Kultur zu erheben und die Semiten zu ihren
Adepten und Usurpatoren zu degradieren. An drei Stellen seines
Werkes rüiimt Chamberlain von den Sumeriern die ,, ungewöhn-
liche Kraft der schöpferischen Phantasie", die wissenschaftlichen
Leistungen, „die ganz besondere Neigung zur Abstraktion",
etikettiert alsdann die gesamten Kulturschöpfungen jener Zeit
als sumerische Leistungen — ,,denn die Semiten hatten diesen
Staat und seine hohe Zivilisation bloß annektiert, sie leisteten
weder die geistige Arbeit, noch die manuelle" — , um dann von
den religionsgeschichtlichen Anfängen zu sagen, ,,es wird immer
wahrscheinlicher, daß diese ganze Mythologie von alt-arischen
Vorstellungen durchtränkt ist", und schließlich zu dem Er-
87
gebnis zu kommen: „Ein direkterer Gegensatz zur semitischen
Anlage ist undenkbar; man stellt sich leicht vor, welche Ver-
ballhornung die sumerischen Theorien der Schöpfung unter
israelitischen Händen mögen erlitten haben."
Die Annahme, die Sumerier seien zugewanderte Europäer,^
wird durch die einfache Tatsache hinfällig oder wenigstens in
hohem Grade unwahrscheinlich, daß die Sumerier im Süden und
die Semiten im Norden von Babylon saßen. Wären die Semiten
Kulturräuber, die aus der arabischen Wüste in das Reich von
Sumer einbrechen, so müßte das geographische Verhältnis ein
umgekehrtes sein. Gegenüber den sonstigen, von Chamberlain
mit der Geste der Selbstverständlichkeit vorgebrachten Behaup-
tungen ist zu bemerken, daß wir nur ein einziges Kulturdoku-
ment original sumerischen Charakters besitzen, das ist die Schrift.
In allen übrigen Kulturäußerungen erweisen sich die Sumerier
als ein von den Semiten abhängiges und — soweit man sich
ein Urteil über so entlegene Verhältnisse gestatten darf — un-
begabteres Kulturvolk. Während die Semiten auf klassischer
Höhe stehen, befinden sich die Sumerier noch im archaischen
Zeitalter ihrer Geschichte. Die berühmten Dioritköpfe sumeri-
scher Fürsten, die man in den Populärschriften als die ,, ältesten
Denkmäler der bildenden Kunst" gefeiert sieht, sind aus einem
Material gefertigt, das der semitische König Naram-Sin, der
Schöpfer der großen Siegesstele, überhaupt erst durch seine Feld-
züge aus Arabien nach Babylonien eingeführt hat, müssen also
nach-semitische Werke sein. „Die semitische Kunst ist damals",
schreibt Eduard Meyer, „der sumerischen weit voraus" und
schließt: „So ist . . . die Folgerung unabweisbar, daß wie auf poli-
tischem, so auch und vielleicht in noch stärkerem Maße auf
dem Gebiet der Kunst nicht die Sumerier, sondern die Semiten
die Führenden gewesen sind." Chamberlain spricht von einer
„Verballhornung der sumerischen Theorien der Schöpfung unter
israelitischen Händen" — inWirklichkeit kennen wir nicht eine ein-
zige sumerische Theorie und sind über das Verhältnis der religiösen
Vorstellungen dieser Völker in keinem Punkt auch nur irgendwie
einwandfrei unterrichtet. Hingegen sehen wir, daß die sumeri-
schen Götter in semitischer Gestalt und Tracht, mithin offenbar
als Nachbilder des semitischen Pantheons, dargestellt werden,
sehen, daß die Helden der alten Mythen, z. B. des berühmten
Gilgamesch-Epos, des Vorbildes der homerischen Odyssee, Se-
miten sind, und daß die Kultstätten im sumerischen Sprach-
gebiet semitische Namen tragen. Das älteste bisher aufgefun-
88
dene Heiligtum ist der Tempel des «emitischen Gottes Bei
(Baal) zu Nippur. Jeder Ziegelstein der großen Anlage trägt
den Namen seines Erbauers Sargon I. Drei Meter unter dem
Fundament dieses Baues liegen die Reste eines früheren
Tempels, dessen Ziegelsteine blank sind; unter seinem Funda-
ment erhebt sich fünf Meier über das Bodenmassiv ein Kunst-
hügel, der sich in seiner Anlage ebenfalls als eine unzweideutig
semitische Kultstätte verrät, so daß also an dieser Stelle schon
vor dem Jahre 2800 mindestens zweimal ein semitisches
Nationalheiligtum gestanden hat — eine seltsame Bestäti-
gung der Chamberlain'schen These, daß die Semiten die Ent-
lehner einer Kultur gewesen, die sich um 2800 erst in ihren
Anfängen befand. Die sumerischen Beiträge zur semitischen
Religion sind, soweit wir es bis heute überblicken können,
sekundär, unwesentlich, ja sogar trivialisierend : sumerisch ist
die Einteilung der Götter in himmlische und irdische Dämonen,
sind die centaurischen Zwiegestalten der Cherubim, sind Li-
lith, Satanas, Beelzebub, sind die Hexen, die Succubi und In-
cubi und alle übrigen Plagegeister, die dann durch die ganze
babylonische, jüdische und christliche Dämonologie herum-
spuken.
Ein sumerisches Erbe von unzweifelhaft höchstem Kultur-
wert ist die Schrift. Ob aber die Sumerier wirklich die origi-
nalen Schöpfer derselben sind, ist durchaus unentschieden.
Jedenfalls haben die Semiten von ihnen die Schrift übernommen,
sie aber nicht verständnislos usurpiert sondern im Gegenteil,
aus dieser sumerischen ideographischen, d. h. nur deutbaren,
aber nicht leslichen Bilderschrift in mühseliger Vervollkomm-
nung die phonetische Schrift des Alphabets geschaffen, die
im Gegensatz zu Begriffsbildern den gesprochenen Laut ver-
mittelt. Erst durch diese Umwandlung der sumerischen Bildw-
schrift in die semitische Lautschrift ist das Schreibwesen zu
einem wirklichen Verkehrsmittel des Geistes, zur Münze des
Gedankenaustausches für die Menschheit erhoben worden. So
wie es auch vor den Deutschen Musik gegeben, sie aber die
Ersten waren, die sie in allen ihren Möglichkeiten erkannten und
zum großen tönenden Ausdrucksmittel unserer Empfindungs-
welt erhoben, und somit trotz der Levitengesänge, der Sappho-
lieder und selbst der italienischen Singspieloper sie die eigent-
lichen Gründer der Musik geworden, so wurden die Semiten durch
die Einführung der 22 Konsonanten und des phonetischen
Lautbildes die wahren Schöpfer der Schrift. Von der sumerischen
89
Bilderschrift ist nichts als ein Kümmerrest in den Bilderfibeln
unserer Kinder geblieben ; aber Aleph, Beth, Gimel, Daleth, das
ist das Alpha, Beta, Gamma, Delta der Griechen, das ist das
A, B, C, D des Lateinischen und der modernen Sprachen ge-
worden — das semitisch-babylonisch-hebräische Aleph, Beth,
Gimel, Daleth wurde das Alphabet der Kulturmenschheit.
Auffallend an den sumerischen Kulturresten ist, daß sich
erstens als einzig originale Schöpfung die Schrift erhielt, daß
sich zweitens unter den sumerischen Urkunden nicht eine
einzige befindet, die frei von semitischen Wendungen oder Be-
griffen ist, und daß drittens das sumerische Ideogramm von den
»emitischen Schreibern noch Jahrhunderte lang über die sume-
rische Periode hinaus beibehalten wurde. Zur Erklärung dieser
Auffälligkeiten hat der Orientalist Halevy die Hypothese auf-
gestellt, das Sumerische sei gar nicht die Sprache eines ver-
schollenen Volkes sondern eine Geheimschrift der altsemitischen
Priester, dem Gelehrtenlatein des Mittelalters entsprechend.
Die Sumerier gar kein Volk, sondern eine Ausgeburt der
Gelehrtenphantasie! Die Anschauung Halevys wird zwar von
den meisten Assyriologen bekämpft, hat aber unter den Orien-
talisten aller Länder bedeutende Anhänger gefunden. „Sume-
rian or Cryptography?" (wie das Problem nach dem Titel eines
bedeutenden Werkes in der Fachwelt benannt wird) — eine
Komödie der Wissenschaft! Auf der einen Seite die Rassen-
• theoretiker, die die Sumerier als ein Volk von Dädaliden und
Promethiden in den Himmel heben und je nach ihrer Über-
zeugung als Germanen, Arier, Turanier, Hamiten, Semiten mit
einer Plastik beschreiben, als kämen sie eben mit dem Orient-
Expreß vom Bahnhof Sumer, auf der anderen Seite die Archäo-
logen, die die Existenz dieses Volkes überhaupt leugnen
über wen wird einst die Nachwelt lachen, wenn am Schlüsse des
Sumerierspiels die Masken fallen und die Wahrheit ironisch
lächelnd von der Rampe zum Parterre der Wissenschaft ihren
Epilog spricht?
Ob Recht oder Unrecht — jedenfalls zeigt die Halövy'sche
Hypothese, auf welch problematischem Boden man sich in
der alt-orientalischen Geschichte bewegt, wie vorsichtig man
in abschließendem Urteil sein muß und welcher Wert den
Chamberlain'schen Schlüssen und Kritiken beizumessen ist. Als
einzig einigermaßen sicheres Ergebnis kann man über die erste
kulturgeschichtliche Epoche Vorderasiens behaupten, daß die
Hauptwerte der altsemitischen Zivilisation, die die Fundamente
90
der gesamten europäischen Kultur geworden, Kalender, Zahl-
und Maßsystem, die Elemente der Mathematik, die ersten im
modernen Sinn künstlerischen Schöpfungen in Baukunst, Plastik,
Malerei und Literatur, die ersten Institutionen des staatsbürger-
lichen Lebens wie Heereswesen, Schulen, Ständeordnung, die
ersten Kodifizierungen der Rechtsbegriffe und von der Schrift
wenigstens ihre erste brauchbare Ausgestaltung schöpferische
Leistungen semitischen Geistes von Völkern der babylonischen
Gruppe gewesen oder zum mindesten unter ihrer aktiven und
produktiven Mitarbeit geschaffen worden sind.
jL)iese erste Epoche der babylonischen Geschichte entspricht
etwa der Römerzeit in der Gesamtgeschichte Italiens. Sargon I.
und Naram-Sin sind Trajan und Hadrian, unter denen auf
klassischer Kulturhöhe das Reich seine größte Ausdehnung er-
langt, um dann rasch zu zerfallen. Mit katastrophaler Schnellig-
keit bricht gegen das Jahr 2700 über Babylonien das Mittelalter
herein. Plötzlich, als würde der laufende Faden einer Maschine
zerrissen, bricht die Kulturgeschichte ab. Die originalenLeistungen
in Kunstgewerbe und Schrifttum hören auf, die Annalen
verstummen, die Namen der Könige sind nicht mehr ver-
zeichnet. Die wenigen Kulturprodukte erscheinen roh gegen-
über den Meisterschöpfungen der Vorzeit.
In dieser Zeit des babylonischen Mittelalters nach der semi-
tischen Klassik dehnen sich die Sumerier aus und einigen 200
Jahre später Nord- und Südreich als ,, Könige von Sumer
und Akkad". Dieses so oft und überschwenglich als „erster
Kulturstaat der Welt" gerühmte Doppelreich von Sumor
und Akkad ist also nicht, wie man fast allerorten liest, eine
vorsemitische sondern nachsemitische Gründung und folgt dem
klassisch semitischen Zeitalter auch in dem Tiefstand der
Kultur etwa wie das Reich Theoderichs der Epoche der römischen
Cäsaren.
Ganz analog dem Einbruch der Germanen von Norden und
der Araber von Süden in das morsch gewordene Römerreich
ergießen sich über das mittelalterliche Babylonien von Osten
die Elamiten, die im Gebiet der späteren Perser und Parther
wohnen und deren Hauptstadt Susa aus der Esthergeschichte
bekannt ist, und von Westen Beduinen aus der arabischen
Steppe. Dieser Einfall der Beduinen leitet eine mehr als tausend-
jährige ununterbrochene Einwanderung arabischer Nomaden
ein, die ungefähr von 2700 — 1400 andauert und im Gegensatz
91
zu späteren Wanderepochen als die kanaani tische Wander-
periode bezeichnet wird, weil man die typischen Vertreter dieser
Völker aus der Bibel als Kanaaniter kennt. Der Quellpunkt des
Wanderstroms ist Arabien, das wie ein Geysir alle tausend
Jahre explosionsartig seinen angesammelten Völkerüberschuß
ausstößt. Die kanaanitische Völkerwelle ist der erste in ge-
schichtliche Zeiten fallende Ausbruch; die aramäische tausend
Jahre später (600 v. Chr.) ist die zweite; die mohamedanische
tausend Jahre danach (600 n. Chr.) die dritte. Dem Völkerstrom
ist wie einem Fluß der Weg von den geographischen Bedingungen
vorgeschrieben. Aus Arabien strömen die Scharen nach Norden ;
ein kleiner Teil biegt gleich nach Osten in die babylonische
Ebene ab, der größere kommt nach Kanaan hinein, prallt gegen
die Küste des Mittelländischen Meeres und wendet sich nun, wie
eine Billardkugel, die gegen die Bande gestoßen, nach Osten in
das babylonische Tiefland (s. Karte I). Daher werden die kana-
anitischen Zuwanderer in den babylonischen Urkunden als West-
länder, sumerisch Martu, semitisch Amurru, deutsch Amoriter
bezeichnet, wobei allerdings zu bemerken ist, daß auch diese
Identifizierung zwischen Kanaanitern und Amoritern, wie fast
alle rassengeschichthchen Annahmen über diese Frühepochen,
noch durchaus hypothetisch ist. Um die Zeiten Sargons I. setzen
sich solche von den ersten Wellen der kanaanitischen Flut ge-
tragene Beduinenstämme im Norden Palästinas fest und bilden
hier ein zuerst unbedeutendes, dann wachsendes Amoriterreich.
500 Jahre später schwingen sich, politische Wirren benutzend,
Amoriterfürsten zu Vorherrschern in Babylon auf. Der sechste
Fürst dieser Dynastie, Hammurabi, ein Heldenkönig napoleoni-
schen Schlages, eint nach dem mittelalterlichen Zerfall zum
«rsten Male wieder Nord- und Südbabylonien zu einem Einheits-
staat. An Stelle der beiden bisherigen Nord- und Südresidenzen
Ur und Harran erhebt er das zentral gelegene Babel zur Haupt-
stadt des Landes. Babel ist also nicht die Metropole der klassi-
schen sondern der nachklassischen Epoche, nicht das Athen
sondern das Alexandria der babylonischen Geschichte. Hammu-
rabis Staat verhält sich zur klassischen Antike unter Sargon
wie das Alexanderreich zum Athen des Perikles, wie das päpst-
hche Rom zum Rom des Augustus. Hammurabi regierte um 2250
und ist der Zeitgenosse Abrahams, als der er in der Bibel er-
wähnt wird mit den Worten: „Und es geschah in den Tagen
des Amraphel, Königs von Sinear" (Sinear ist der hebräische
Name für die babylonische Ebene von Sumer). In dem Zeit-
92
alter Hammurabis treten die Vorfahren der Juden
unter Abraham auf den Schauplatz der vorderasiati-
schen Geschichte.
Hammurabi ist der erste jener wenigen großen Fürsten der
Weltgeschichte, die durch die Kraft ihrer Persönlichkeit einem
ganzen Zeitalter das Gepräge ihres Wesens gegeben haben, so
daß die sonst gestaltlos chaotische Zeit uns mit dem Antlitz
eines Menschenhauptes anschaut; seine Regierungszeit ist eine
jener wenigen Epochen, in denen auf der Bühne des Welttheaters
der Massenlärm verstummt und ein Held der Menschheit einen
Monolog spricht.
Die unsterbliche Großtat Hammurabis ist sein Gesetz, ein
Code civile von 283 Paragraphen, den er offenbar aus den vcr-
handenen Landrechten zusammenstellen ließ. Es sind, wie der
König selber sagt „Gesetze der Gerechtigkeit, die Hammurabi,
der mächtige und gerechte König, festgesetzt hat zu Nutz und
Frommen der Schwachen und Unterdrückten, der Witwen und
Waisen" (man beachte die ethische Formulierung „zu Nutz und
Frommen der Schwachen und Unterdrückten, der Witwen und
Waisen"). „Der Codex Hammurabis enthält Taxen für ärzt-
liche Behandlung, die sich nach den Vermögensverhältnissön
des Patienten richten, Bestrafungsparagraphen für Ärzte bei
fahrlässiger Tötung des Patienten, Bestimmungen über die Un-
pfändbarkeit der zum Leben notwendigen Dinge (im römischen
Recht unbekannt), Verbot der Schuldeneintreibung ohne Wissen
des Schuldners, Todesstrafe auf Kinderdiebstahl (in Rom straf-
los), strenge Bestrafung der Schankwirte bei alkoholischen
Exzessen, Verbot, daß jemand, der zwei Brautleute uneinig
gemacht hat, die Braut nun heiraten darf, Trennung von der
kranken Gattin nur erlaubt mit ihrer Zustimmung und darin
unter Verpflichtung ihrer lebenslänglichen Alimentation (bei
Germanen und Griechen keine Rechtsgesetze für die Frau), bei
Ehescheidung Verpflichtung, die Frau bis zur Verheiratung mit
einem anderen zu versorgen. Die Frau dieser Kulturperiode
sehen wir als selbständige juristische Person Käufe und Ver-
träge abschließen, vor Gericht als Kläger und Zeuge auf-
treten und eigene Firmen führen, während 2000 Jahre später
in Rom die Frau vermögenslos war. Selbst eine Kriegs-
fürsorge für die Frauen der ins Feld gerückten Männer
existierte im Reich Hammurabis. Jeder taugliche Mann
ist zum Militärdienst verpflichtet, obschon Hammurabi allzu
streng gehandhabter Aushebung durch zahlreiche Rechts-
93
entscheidungen vorbeugt, indem er die Privilegien alt-
priesterlicher Geschlechter achtet oder im Interesse der Vieh-
zucht die Hirten vom Kriegsdienst befreit. Wir lesen von
Geldprägung in Babylon, und der äußerst kursive Schrift-
•harakter führt auf weiteste Anwendung des Schriftgebrauchs.
Ja, wenn wir unter den Briefen, die uns aus jener alten Zeit in
reicher Fülle erhalten geblieben, den Brief einer Frau an ihren
auf Reisen befindlichen Mann finden, in welchem sie diesen
nach der Mitteilung, daß die Kleinen wohlauf sind, in einer ge-
ringfügigen Angelegenheit um Rat fragt, oder das Schreiben
eines Sohnes an seinen Vater, in welchem jener diesem mitteilt,
daß ihn der und der unerträglich beleidigt habe, daß er den
Wicht hauen werde, zuvor aber doch den Rat seines Vaters er-
kunden möchte, oder einen anderen Brief, in welchem der Sohn
den Vater um endliche Sendung des lange versprochenen Geldes
mahnt, mit der schnöden Begründung, daß er dann wieder für
seinen Vater beten könne, so weist dies alles auf einen wohl-
organisierten Brief- und Postverkehr, wie denn allen Anzeichen
zufolge Straßen und Kanäle weit über die Grenzpfähle Baby-
loniens hinaus in musterhaftem Zustand sich befanden. Handel
und Industrie, Viehzucht und Ackerbau standen in vollster
Blüte, und die Wissenschaften, wie z. B. Geometrie, Mathematik
und vor allem Astronomie hatten eine Höhe der Entwicklung er-
reicht, welche sogar unsere modernen Astronomen immer von
neuem zu staunender Bewunderung veranlaßt. Nicht Paris,
höchstens Rom kann sich mit Babylon in bezug auf den Ein-
fluß messen, welchen dieses zwei Jahrtausen.de hindurch auf
die Welt ausgeübt" (gekürzt zitiert nach Delitzsch) i).
Der Grundzug des Hammurabi'schen Gesetzes ist die Ge-
rechtigkeit. Zwar schreibt Chamberlain: ,,Die Mißachtung der
rechtlichen Ansprüche und der Freiheit anderer ist ein in allen
mit semitischem Blute stark durchsetzten Völkern wiederkehren-
^) Aus der Fülle aufgefundener Dokumente seien zwei charakte-
ristische Schriftstücke angeführt: Eine Garantietontafel über einen ge-
kauften Brillantring, auf der garantiert wird, daß der eingelassene Smaragd
20 Jahre nicht aus der Fassung fallen werde, widrigenfalls werde eine
Konventionalstrafe von 10 Silberminen gezahlt. Ein anderes Tontäfelchen
entpuppte sich als folgendes entzückende Billet doux: „An meine Bibi-
Gimil-Marduk. Scham asch und Marduk mögen Dich um meinetwillen ewig
leben lassen. Wie geht es Dir? Schreibe mir doch! Ich bin nach Babel
gekommen, aber ich habe Dich nicht gefunden. Ich bin sehr traurig darüber.
Benachrichtige mich, wann Du kommst und erfreue mich hierdurch. Komme
im Monat Marcheschwan. Lebe ewig — um meinetwillen."
94
der Zug . . . Auch unter günstigeren Bedingungen, z. B. bei de«
Juden, hat sich nie auch nur ein Ansatz zu einer echten Rechts-
bildung gezeigt" — in Wahrheit aber ist, was man auch sonst
gegen die semitische Kultur vorbringen mag, gerade der Ge-
rechtigkeitswille die alles übertönende Dominante des semiti-
schen Charakters. Vor dem Lichte der Gerechtigkeit muß selbst
der Sonnenglanz des gott-geborenen Königs von Babel verblassen:
,, Nimmt der König'"', lesen wir auf einer babylonischen Tafel,
,,Geld von den Bewohnern Babylons, es seinem Schatz einzu-
verleiben und hört dann den Rechtsstreit von Babyloniern und
läßt sich zu Parteilichkeit umstimmen, so wird Marduk, der
Herr Himmels und der Erde, seinen Feind wider ihn setzen
und seinen Besitz und Schatz an seinen Feind geben." Auf den
Rechtsbegriffen des Hammurabi'schen Zeitalters hat
Moses das ethische System der jüdischen Religion er-
richtet^).
Der Ruhm Hammurabis ließ die Germanentheoretiker nicht
schlafen. Wieder einmal hatte sich eine Kultur im Kreis der
Semiten als schöpferisch und bahnbrechend für die Geschichte
^) Georg Brandes in einer Arbeit über das Buch Kohelet: „Der
innerste Ton des Judentums ist der Ruf nach Gerechtigkeit, seine
Grundstimmung die Hoffnung auf Gerechtigkeit, der Wille zur Gerechtig-
keit. Sein Ideal ist, die Gerechtigkeit zum Wellgesetz zu machen . . .
Gott hat gesagt: Ihr sollt richtige Wagscbalen und richtige Lote haben,
richtige Scheffel und richtige Kannen. Gott hat gesagt: ihr müßt im
Gericht nicht Unrecht tun, du mußt nicht parteiisch gegen den anderen
sein oder den Vornehmen begünstigen, nsit Gerechtigkeit sollst du über
deinen Nächsten urteilen . . . Weil der Jude das Gerechtigkeitsideal auf
Erden verwirklichen sollte, ist er in den modernen Zeiten bei den Re-
volutionen mitwirkend gewesen. Rabbinistische Juden waren bei der Ein-
setzung des Freimaurerordens wirksam, die wenigen Juden Frankreichs
waren Teilnehmer der Revolution. Die Hälfte der Begründer des St.
Simonismus waren Juden . . . Als der Liberalismus entsteht, wird Mannin
dessen Held in Italien, Börne sein Wortführer in Deutschland, Jellinek ,
sein Agitator und Märtyrer in Österreich, Moriz Hartmann sein Für-
sprecher in Frankfurt und sein Streiter in Wien. Der deutsche Sozialismus
wird von Karl Marx und Lassalle begründet, der russische Nihilismus ist
stark von jungen studierenden Juden und Jüdinnen rekrutiert worden,
von denen viele ihr Leben geopfert haben." Die Fiktion des Gerechtig-
keitsmangels unter den Semiten hat Chamberlain von seinem vielzitierten
Gewährsmann Voltaire übernommen. Voltaire, von dem Friedrich der
Große gesagt hat: ,,Es ist ein Jammer, daß mit einem so herrlichen
Genie eine so nichtswürdige Seele verbunden ist", schreibt neben hundert
anderen maß- und sinnlosen Judenlästerungen einmal: ,,Dic Huroneil,
die Kanadier, die Irokesen, waren Philosophen der Humanität im Ver-
gleich zu den Israeliten."
9»
der Menschheit erwiesen — nie konnte sie das Werk der unbe-
gabten Semiten sein, nur eine Rasse war solcher Produktionen
fähig — Germanen. Wie die ,, Schöpfer" der ersten semitischen
Kultur, die Sumerier, mußten auch die Amoriter mit ihrem
großen Feldherrenkönig Hammurabi Germanen gewesen sein.
Nachdem Chamberlain seinen Lesern ein Zerrbild des Arabers
und eine Karikatur des Hethiters vorgeführt, läßt er den
germanisch aufgeputzten Amoriter auf die Marionettenbühne
seines Welttheaters treten und beginnt pathetisch zu de-
klamieren: „Man glaubt, ein anderes Wesen zu sehen, wenn
man auf den ägyptischen Monumenten unter der Unzahl Phy-
siognomien plötzlich dieses freimütige, charakterstarke, In-
telligenz atmende Antlitz erblickt. Wie das Auge des Genies
inmitten des gewöhnlichen Menschenhaufens, so muten uns diese
Züge an unter der Menge der schlauen und schlechten und blöden
und bösen Gesichter, unter diesem ganzen Gesindel von Baby-
loniern und Hebräern und Hethitern und Nubiern und wie sie
alle heißen mögen. Homo europaeus! Wie konntest du dich
in diese Gesellschaft verirren? Ja, wie ein Auge, geöffnet in
ein göttliches Jenseits, mutest du mich an." Zwar erwähnt er
ganz beiläufig in einer petit gedruckten Fußnote: „Übrigens
ist die Frage nach dem Ursprung der Philister und .«der Amo-
riter eine noch viel umstrittene," sagt aber dann mit der ihm
eigenen großen Geste, mit der er ganze Wissenschaften in die
Ecke bannt: „Wir können den Streit getrost den Historikern
und Theologen überlassen, die anthropologischen Ergebnisse
sind Ergebnisse einer exakten Wissenschaft und die Philologie
muß sich nach ihnen richten, nicht umgekehrt. Daß die Amo-
riter große, blonde, blauäugige Dolichocephalen waren, ist
sicher; somit gehörten sie zum Typus Homo europaeus; uns
Ungelehrten genügt das"^). Seine Ungelehrtheit brauchte
•
^) An dieser Stelle spielt Chamberlain die Anthropologie ab „exakte
Wissenschaft" aus gegen die Philologie. An anderer Stelle, wo ihm
■wieder für seine parteiischen Thesen die Anthropologie unangenehm ist,
dreht er den Spieß um und sticht nun als Philologenverteidiger die
Anthropologen tot. ,,Daß die Rassenfrage trotz der Herren Anthropo-
logen nach und nach gesichtet und die Hauptelemente des Problems
wenigstens bis zur klaren Fragestellung durchgearbeitet wurden, ver-
danken wir der vergleichenden Philologie." Denn sie untersucht nicht
Knochen, sondern ,,im Gegenteil das Allerinnerste", nämlich die Sprache
und Seele. — Gegenüber den physiognomischen Dithyramben Chamber-
lains auf den Germanen ist es ganz interessant zu hören, was ein
Volksgenosse Chamberlains, der englische Lord Headly, im Daily Graphic
Chamberlain an dieser Stelle nicht hervorzuheben. In diesem
Ton spricht nur die Ungelehrtheit. Von Luschan, der Di-
rektor des Berliner anthropologischen Museums, der sich
jahrzehntelang an Ort und Stelle mit den Rassenfragen der
alten Geschichte befaßt hat, widerruft 1907 nach 15 Jahren
«ine 1892 geäußerte Ansicht über die Amoriter: „Persönlich
habe ich auf die Amoriter als eine der Quellen für die blonden
Juden schon lange nicht mehr großes Gewicht gelegt." „Daß
die Amoriter große, blonde, blauäugige Dolichocephalen waren,
ist sicher", schreibt Chamberlain. Hiernach muß der Laien-
leser, für den Chamberlain sein Weltanschauungswerk ge-
schrieben, glauben, daß diese Tatsache in der Fachwelt als fest-
stehend betrachtet wird. Wie aber lauten die Zeugnisse, wenn
man in der Literatur nachforscht? Eduard Meyer, der führende
Spezialhistoriker der vorderasiatischen Altertumsgeschichte, be-
schreibt die Amoriter nach denselben Abbildungen, die doch auch
Chamberlain nur vorgelegen haben können, als ,, nicht selten
wohlbeleibt, die Nase ist stark gebogen, das Haupthaar immer
schwarz, der Bart oft rötlichgelb. In der Regel tragen sie auch
den Schnurrbart. So sehen sie den semitischen Bah yloniern
durchaus gleich, nur daß die Nase und damit das uns ty-
pisch semitisch geltende Profil stärker hervortreten."
Wellhausen, der Begründer der kritisch-historischen Schule
unter den Theologen, schreibt in seiner epochemachenden,
von Chamberlain sonst oft zitierten „Israelitischen und jüdischen
Geschichte": „Dagegen waren die Amoriter, obwohl auch
Semiten, doch keine Kanaaniten." Vielmehr vermutet er,
<iaß die Amoriter nicht mit einer der ersten sondern einer
späteren Welle der kanaanitischen Wanderflut nach Palästina
gekommen seien. Kittel, der Verfasser der neuesten „Ge-
schichte des Volkes Israel" (1916), eines groß angelegten Werkes,
über die Physiognomie der führenden deutschen Männer geschrieben.
Er findet bei „fast allen deutschen Führern vom Kaiser bis zum
letzten General" einen satanischen Ausdruck. Graf Bernstorff findet er
„teuflisch grausam und hart", Hindenburgs Äußere „ist tierisch und hat
etwas vom wilden Schwein", der Kaiser und Falkenhayn sind ,,gute
Typen des Fürsten der Finsternis", Bülow und Mackensen repräsentieren
den katzenartigen Typus voll Grausamkeit und Verräterei, Bethmann
und Lichnowski verraten Unaufrichtigkeit und Falschheit. Nach dieser
Charakteristik fährt er fort: ,,Man muß dagegen die englischen Generale
und Admirale sowie überhaupt die Heerführer der Verbündeten an-
schauen es ist, als ob man aus unterirdischen Höhlen in den Him-
mel kommt ..." usw. (zit. nach Brunner).
■7 Kahn. Die Judea. 97
schreibt über die Amoriter: „Die Amoriter erscheinen als ein
von den eigentlichen Babyloniern verschiedener semitischer
Volksstamm, der bis weit herunter in die biblische Zeit
ganz besonders mit Syrien und Palästina in Verbin-
dung steht, auch seiner Sprache nach mit der dortigen
Semitenschicht näher verwandt ist als mit den einheimisch
babylonischen Semiten. Nach Dehtzsch (1920) „haben die semi-
tischen Amoriter als erste geschichtliche Bevölkerung Kanaans zu
gelten . . . Die allernächste Verwandtschaft der Sprachen der
Amoriter und der Hebräer ist so oft behandelt worden, daß hier
nicht weiter darauf eingegangen zu werden braucht." Schließ-
lich ist im Jahre 1909 sogar ein Spezialwerk über die Amoriter
erschienen, eine anerkannt bedeutende Erscheinung in der inter-
nationalen Bibliographie, Gay „Amurru, the home of the Northern
Semites", in dem der Verfasser ebenfalls die Amoriter als West-
resp. Nordwestsemiten schildert.
All diesen Stimmen der Wissenschaft zum Trotz fährt der
„ungelehrte" Chamberlain in seiner großen Philippika gegen
die Juden fort: „Diese Amoriter waren große, blonde, blau-
äugige Menschen von lichter Hautfarbe; sie waren „aus dem
Norden", d. h. aus Europa, eingedrungen, die Ägypter nannten
sie daher Tamehu, das Volk der Nordländer." Als was sollen
die Ägypter Völker, die von Kanaan zu ihnen dringen, denn
sonst bezeichnen wenn nicht als Nordländer? Sind die Cim-
bern und Teutonen Eskimos, weil sie von Norden nach Italien
einziehen? Das „Norden" schlankhin durch die Einschaltung^
„d. h. aus Europa" zu übersetzen, ist ein echt Chamber-
lain'scher Trick der Dialektik, der an die blitzgeschwinden
Zylinderbewegungen des Zauberkünstlers auf dem Variete
erinnert: sie scheinen ganz nebensächlich zu sein und sind die
Hauptsache am Betrug. Seine fernere Annahme, „daß die
Amoriter (doch ist dies natürlich problematisch) Palästina
nicht sehr lange vor der Rückkehr der Israeliten aus Ägypten
erreicht zu haben scheinen", also kurz vor 1200, widerspricht
allen historischen Tatsachen. Hammurabi ist ja schon 1000
Jahre vor Moses als Amoriterkönig Herrscher von Babylon,
noch 400 Jahre früher (2600) läßt Gudea, der sumerische Fürst
von Lagasch, Libanonmarmor aus den „Bergen der Amurru"
holen, und nochmals 500 Jahre früher (3100) ist auf einem der
ältesten ägyptischen Bilder ein Amoriter als „gefangener
Asiate" dargestellt, von dem Eduard Meyer feststellt: „Der
semitische Typus ist ganz unverkennbar." Mit welchen Zwangs-
98
mittein die Germanenmissionäre die Taufe an ihren Opfern
vollziehen, beweist das Attentat, das Otto Hauser auf Hammurabi
verübt. Er schreibt: „Der große Feldherr und Rechtsbegründer
Hammurabi wird als Amoriter ein Blondling gewesen sein. Seine
Bildnisse, die ihn darstellen, wie er vom Sonnengott, dem liebsten
Gott der sonnenhungrigen Blonden, das seinen Namen tragende
Gesetz empfängt, zeigen ihn als durchaus nordischen Fürsten,
nicht als semitischen Mischhng." Das Bild, auf das sich Hauser
hier bezieht, ist ein gemeißelter Stein. Wer will entscheiden,
und sei er selbst ein so begabter Wünschelrutengänger der
Rassenforschung wie Hauser, der über die Felder der Geschichte
pilgernd die feinsten Adern und verborgensten Brünnlein ger-
manischen Blutes erspürt, wer will entscheiden, welch eine Farbe
der König der steinernen Stele getragen ? Wir können's nicht wissen ,
und können's doch ermessen. Es steht darunter geschrieben:
„Wie Schamasch bin ich aufgegangen über die Schwarz-
köpfigen und für die Schwarzköpfigen, die Bei mir ge-
schenkt und über die Marduk mich setzte, bin ich nicht säumig
gewesen." Danach scheint es klar: „Hammurabi wird ein
Blondling gewesen sein . . ."^)
Jede Theorie, die zur Erklärung eines Kulturaufschwunges
fremdrassige Völker aus weit entlegenen Ländern heranziehen
muß, verfällt der Unwahrscheinlichkeit. Daß Germanen,
wohlgemerkt nicht die mischfarbigen Deutschen der Kulturzeit,
denen Goethe, Beethoven, Kant entsprossen sind, sondern jene
blonden Nordgermanen, die Vorfahren der weißrussischen Bauern
der Tolstoidramen und der heutigen Niedersachsen von Wolfen-
^) In Wahrheit ist das Amoriterreich nicht von Indogermanen ge-
gründet, wohl aber von ihnen zerstört worden. Zur Zeit Hammurabis
bildet das Amoriterland ein großes Reich im Westen. Nach dem Sturz
der Hammurabidynastie dringen von Norden die Hethiter, von Süden
die Ägypter vor und beschränken das Amoriterreich auf das Libanon-
gebiet. Hier finden die einwandernden Juden die Amoriter als einen der
Kanaan bevölkernden Stämme. Später dehnen sich die Amoriter noch
einmal unter der Führung eines kühnen Beduinenhäuptlings Abd-Asirta
aus und bilden einen Staat, dessen Geschichte sich über fünf Dynastien
verfolgen läßt. Um das Jahr 1180 wird dieser Amoriterstaat von den
einfallenden Indogermanen überrannt. Diese, so heißt es in einer babylo-
nischen Urkunde, „vernichteten sie und schlugen ihr Lager auf im Innern
des Amoriterlandes. Geraubt waren seine Bewohner, sein Land war, als
ob es nie gewesen." Dem Vordringen dieser Indogermanen macht der ägyp-
tische Pharao an seiner „gerüsteten Grenze" ein Ende und drängt sie
gegen die phönizische Küste, wo sie sich in den Philisterstaaten nieder-
lassen (Bohl).
7* 99
büttel und Pinneberg, die sich später als Cimbern und Teutonen
über Italien, als Kimmerier, Skythen, Sarmaten über Vorder-
asien ergossen haben, daß diese die Schöpfer der Hochkulturen In-
diens, Babylons, Chinas und Perus gewesen, erscheint so paradox,
daß man versucht ist, hinter einer solchen Publikation einen
wissenschaftlichen Aprilscherz, eine Satire auf die Anthropologie
zu vermuten. Ebenso widerspricht die Amoritertheorie Chara-
berlains allen Analogieschlüssen und Wahrscheinlichkeiten.
Welch ein Abgrund gähnt zwischen dem Imperium Romanum
und dem Reiche Theoderichs! Verständnislos für die Werte
der Klassik zerschlagen die Vandalen die olympischen Statuen,
bauen die Langobarden aus den Quadern der Griechentempel
katholische Kapellen. Aber die Amoriter führen die große Kultur
der Vorzeit in der traditionellen Linie semitischer Weltanschauung
weiter und erweisen sich damit, ganz abgesehen von allen Tat-
sachen, auch vor dem Richterstuhl des historischen Gefühls als
die blutsverwandten Erben der altsemitischen Klassik,
Schließlich widerspricht der Annahme einer damaligen ger-
manischen Immigration die nach Westen gerichtete Tendenz
der kanaani tischen Wanderung. Wie später die Völkerflut der Mo-
hamedaner, ergoß sich damals der Wanderstrom der Kanaaniter
aus Arabien über das ganze Mittelmeerbecken bis zu den Küsten
des Atlantik. Daß gegen diesen Riesenschwall der Semiten ein
kleines Völkchen von Germanen von Nordeuropa bis zum Quell-
punkt des Semitenstromes nach Art der laichenden Lachse flußauf-
wärts geschwommen sei, und daß diese Germanen hier inmitten
der semitischen Völker „Kultur" geschaffen hätten, widerspricht
aller historischen Theorie und Erfahrung. Die Tendenz der Kultur
zwischen 2000 — 1000 v. Chr. war „der Zug nach dem Westen".
Eine der vordersten Wellen der kanaanitischen Expansion
trägt die Phönizier an die Küsten Syriens. Hier gründen sie
Königreiche, kommen durch Seehandel zu Wohlstand und
breiten sich als Seevolk nach Westen über die Küsten des Mittel-
meers aus. Sie umsegeln als erste das Kap der guten Hoff-
nung, erfinden die Purpurfärberei, die Webstuhlarbeit, die Glas-
schmelze und den Bergbau und ,,sind für lange in der baulichen,
bergmännischen und Ingenieur-Tüchtigkeit die Lehrmeister der
Griechen" (Hertzberg). Die berühmteste Phönizierkolonie wird
Karthago, das Land der „Punier". Vor dem Semiten Hannibal
hat Rom gezittert!
Parallel zu den Phöniziern breiten sich über den nördlichen
Teil des Mittelmeergebietes die Hethiter aus. Die Hethiter,
100
die Alarodier Herodots und Hommels, tauchen um das Jahr
2000 V. Chr. als eine politische Macht in Kleinasien auf, wo sie als
Armenier bis auf den heutigen Tag mehr oder minder rein er-
halten blieben. Die Rassenstellung der Hethiter ist noch
ungeklärt. Sie repräsentieren den spezifisch jüdischen Typus
unter den Völkern Vorderasiens; aus ihrer Mitte ist der Proto-
typ des Witzblattjuden mit krummer Nase, kurzen Gliedern,
rundem Bauch, Glatze und hängender Physiognomie hervor-
gegangen. Ein Teil der Anthropologen hält die Hethiter für
Semiten, die nach Norden ins Kaukasusgebiet gedrängt wurden
und sich hier zu „Kaukasussemiten" spezialisiert haben ent-
sprechend dem europäischen Homo alpinus. Andere sehen in
ihnen ein Volk turanischen Stammes, Mongolen. Wieder andere
ein Mischvolk beider Gruppen. Während Chamberlain von
den Hethitern, weil sie das jüdische Element vertreten, ein
karikiertes Bild entwirft, sie als Menschen „einer achtenswerten
und hervorragend lebensfähigen Mittelmäßigkeit" ohne „An-
lage zu außerordenthchen Leistungen" mit ,,mehr Zähigkeit
als Kraft" beschreibt, weshalb sie „schwerlich auf Größe An-
sprucii erheben können" — in Wahrheit weiß er sowenig wie
irgendein anderer Mensch genug, um über den alten Hethiter
zu urteilen, da wir noch nicht einmal seine Schrift enträtselt
haben — schildert im Gegensatz hierzu v. Luschan sie „als
ein altes Kulturvolk, das von Jahr zu Jahr in unserer Achtung
steigt, das schon in grauer Vorzeit sich eine eigene selbständige
Bilderschrift erfunden hat, und das in Baukunst und Skulptur
der Lehrmeister der Assyrer und der Griechen gewesen ist".
Zwischen 2000 und 1000 ist das Hethiterreich einer der
mächtigsten Staaten Vorderasiens, der während der mittel-
alterlichen Ohnmacht Babylons mit Ägypten um die Vorherr-
schaft in Syrien ringt; der Vater des biblischen Pharao kämpft
mit den Hethitern in der großen Schlacht bei Kadesch um den
Besitz von Palästina, nach deren unentschiedenem Ausgang das
Land zwischen Ägyptern und Hethitern geteilt wird, so daß die
Israeliten bei ihrem Einzug den nördlichen Teil von Kanaan
stark von hethi tischen Elementen durchsetzt finden. Durch
diese Herrschaft über Nordpalästina spielen die
Hethiter in der Rassengeschichte der Juden eine be-
deutende Rolle.
Wie die Phönizier im Süden breiten sie sich im Norden des
Mittelmeerbeckens aus. Vermutlich sind sie es, die die vor-
arische Kulturbevölkerung Kleinasiens, der Äg6is, Griechen-
101
lands, Italiens und Spaniens bilden. Die Kultur dieser Völker
hat trotz der wenn auch vereinzelten, so doch zahlreichen Funde
bis heute im Gegensatz zu dem geradezu zu Tode gepeitschten
Problem der klassischen Antike keine irgendwie an das Ver-
dienst heranreichende Würdigung, geschweige denn genügende
Popularität gefunden. Daß sowohl die prähellenische Be-
völkerung Griechenlands wie die Etrusker Italiens nicht
arisch sondern vorderasiatischer Herkunft waren, kann nach
den neuesten Forschungen fast als sicher gelten. Möller von
der Brück schreibt über die Etrusker, die schon Herodot aus
Kleinasien kommen läßt: „Geometrie und Astronomie, die Ka-
lendrierung der Zeit und die Administrierung des Staatslebens
sowie Ritual und Zeremonial der Religion sind deutlich baby-
lonisches Gut . . . Die Terrassenschichtung der etruskischen
Städte ist zunächst babylonische Schichtung." Grammatik und
zahlreiche Namen weisen auf hethitische und lykische Wurzeln.
Der altrömische Name Tarquinius soll vom hethitischen Gottes-
namen Tarkon stammen, Sardinien vom ägyptischen Volks-
namen Schardina abgeleitet sein. Die Kulturstellung der
Etrusker und ihr Einfluß auf das jüngere römische Staats-
wesen sind unvergleichlich bedeutender als man nach den
gebräuchlichen Geschichtswerken anzunehmen geneigt ist. Sie
waren ein großes, mächtiges, fast auf allen Gebieten der Kultur
und der Zivilisation tonangebendes Volk, das in dem vor-
römischen Italien etwa dieselbe Rolle gespielt hat wie Frankreich
im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie waren nach An-
gaben, die der sehr gründlichen und zuverlässigen Abhandlung
von Mieses „Zur Rassenfrage" entnommen sind, die ersten, die
zum Kulturleben auf der appeninischen Halbinsel erwachten
und zur Vollstreckung eines großen politischen Machtgedankens
ausholten. Sie vereinigten fast ganz Italien unter ihrem Szepter.
Nach Niebuhr ist die römische Staatsorganisation eine Kopie
der etruskischen. Aus Etrurien kamen die Tarquinier; die
römischen Patrizierfamilien der Flavier und Cominier, Voltinier,
Junier, Valerier und Horazier leiteten sich von Etruskern ab.
Roms älteste Stadtmauer sowie ältester Stadtkanal zeigen
etruskische Bauart. Sie waren die Schöpfer der berühmten
Wasserleitung, die Erfinder der Gewölbekonstruktion. Der
Tempel des Jupiter Capitolinus ist von Etruskern errichtet.
Etruskische Städtegründungen waren: Tusculum, Capua, Bo-
logna, Mantua, Verona, Ravenna und über die Grenzen Italiens
hinaus Bregenz, Augsburg und Kempten. Ihre Industrie und
102
Handelssphäre reichten bis an die Küsten der Ostsee, wo sie
wahrscheinlich den alten Lettopreußen die Kenntnis des Goldes
vermittelten. Roms erste Flotten sind von Etruskern gebaut.
Überzeugender aber als alle diese zivilisatorischen Leistungen
sind für die hohe Kulturbefähigung der Etrusker ihre Künste,
deren zwar nur spärlich erhaltene Denkmäler Schöpfungen auf-
weisen, die den Betrachter immer wieder zu höchstem Staunen
hinreißen müssen, da sie durch die Souveränität der Technik,
die Freiheit der Bewegung, die realistische Charakterisierung
und den Phantasiereichtum der Invention in der gesamten
Antike einzig dastehen und, ganz andere Wege wandelnd als
die spätere hellenische Plastik, direkt auf die Renaissance und
zwar auf ihre höchsten Vertreter, auf Donatello, Michelangelo
und Leonardo hinweisen. Die etruskische Literatur, von der
die Römer mit Hochachtung sprechen, ist vollständig unter-
gegangen. Die etwa 800 erhaltenen Inschriften etruskischer
Sprache sind wegen der Unkenntnis des Etruskischen bis heute
unentziffert geblieben.
Ein den Etruskern wahrscheinlich nahverwandter Zweig der
vermutlich semitischen, jedenfalls aber nicht - arischen Ur-
bevölkerung Südeuropas waren die Iberer, die Spanien, West-
frankreich und Südengland bewohnten und deren Reste heute
als Basken in den Pyrenäen leben. Sie besaßen zwei ver-
schiedene Schriftsysteme und genossen bei den antiken Schrift-
stellern hohes Ansehen. Strabo erwähnt ihre alten Lieder,
ihre historische Literatur und ein Geschichtsbuch in metrischer
Form von 6000 Versen. Polybius spricht mit Bewunderung
von der Pracht ihrer Architektur und der Sanftheit ihrer Sitten ;
bei Anakreon wiederholt sich der Ausdruck „iberische Glück-
seligkeit" wie ein Sprichwort. „In Südspanien wurde eine alt-
etruskische polychrome Frauenbüste gefunden, die eine Eleganz
des Kostüms, eine ausdrucksvolle Schönheit der Züge, eine
süße Melancholie des Ausdrucks, einen Stich ins Moderne zeigt,
die man umsonst in den Statuen Phöniziens und auch Griechen-
lands suchen würde" (Philippson). Iberer von Geburt waren
unter den Römern Seneca, Martial, Quintilian und Lucan,
Trajan, der beste aller römischen Kaiser — ,,sei gut wie
Trajan!" — und Hadrian, der geistig bedeutendste der Impera-
toren. Im iberischen Spanien blühte die. christliche Kultur des
Abendlandes im frühen Mittelalter auf; hier entfaltete sich die
Kultur der Araber zu ihrem höchsten Glanz und ihren schönsten
Schöpfungen. Die Nachkommen der Iberer, die Basken, ge-
103
nossen und genießen noch heute als Rasse hohes Ansehen. Alle
Kenner des Baskentums vom Historiker Einhart aus der Zeit
Karls des Großen bis zur Moderne sind in ihrer Achtung vor
den Basken, die die Spanier als „Hidalgos" betrachteten, einig.
Das Bakische ist die einzige uns bekannte vorarische Sprache
des westlichen Europas. Sie wird übereinstimmend von den
Philologen als eine der vollkommensten aller Sprachen gerühmt,.
Bodrimont schreibt: „Die Prinzipien der baskischen Grammatik
sind der vernünftigsten Generalgrammatik derart angenähert,
daß, wenn die Menschheit eines Tages vor der Frage stünde, eine
Einheitssprache anzunehmen, sie der baskischen Sprache vor
jeder anderen den Vorzug einräumen müßte. Die Sprachen, die
man sonst für die vollkommensten hält: Sanskrit, Griechisch,
Lateinisch, sind Muster der Konfusion im Vergleich zum
Baskischen."
Von Luschan ist 1911 mit der Hypothese hervorgetreten,
diese vorarische, semitisch - hethitische (pelasgisch - etruskisch-
iberische) Bevölkerung hätte sich auch über das Alpengebiet ver-
breitet und hier den Grundstock für die alpine Rasse gebildet;
die heutigen Tiroler, Oberbayern, Schwaben, Savoyarden seien
Abkömmlinge dieser alten Hethiter. Durch Mischung dieser
kurzköpfigen Hethiter mit der langköpfigen Neandertalrasse
seien die gemischtköpfigen Europäer entstanden — eine Hypo-
these, die — auch von Wirth vertreten — ebenso unbeweisbar
wie unwiderleglich ist.
Als Ergebnis der bisherigen Forschungen kann behauptet
werden, daß die vorklassischen Kulturen der Mittel-
meerländer, die ägeische Griechenlands, die etruskische Ita-
liens, die iberische in Spanien und die karthagische in Afrika
semitische oder auf dem Boden semitischer Koloni-
sation emporgewachsene Kulturen gewesensind.
Eine nach Afrika hinüberrollende Woge der kanaani tischen
Völkerflut trägt die beduinischen Hyksos (Hirtenstämme) nach
Ägypten, wo sie von 1800 — 1600 v. Chr. das Regiment im Lande
führen. Mit einer der letzten Wellen des kanaanitischen Völker-
stromes treiben etwa von 1500 ab die Habiri = Hebräer, die
Muttervölker der Israelstämme, von der arabischen Steppe nach
Norden gegen Palästina.
W ie vorher das Riesenreich Sargons und später das Welt-
reich Alexanders zerfällt auch der Staat Hammurabis unter
seinen schwächeren Nachfolgern rasch. Von Norden brechen
104
die Hethiter vor, von Süden die Ägypter, von Osten über-
schwemmen die Kassiten das Land und herrschen 600 Jahre
genau so über Babylonien, wie es 600 Jahre vorher in der nach-
sargonischen Zeit die Elamiten getan. Welche anthropologische
Stellung diese Kassiten einnehmen, ist völlig ungewiß ; sie sollen
ihrer Kultur nach weder Semiten noch Arier gewesen sein, viel-
leicht waren sie irgendein Mischvolk oder ein mongolischer Stamm
der turanischen Gruppe. Jedenfalls ist diese nachhammura-
bische Fremdherrschaft der Kassiten für die Rassengeschichte
der Juden ebenso bemerkenswert wie die vorangegangene der
Elamiten, weil beide Völker durch ihre mehrhundertjährige
Herrschaft einen gewiß nicht unbedeutenden Beitrag zu jenem
Völkergemisch hinzugetragen haben, aus dem sich später der
Typus des Juden herauskristallisiert hat.
Genau wie in der vorangegangenen Epoche Hammurabi
als ursprünglicher Vasallenfürst des herrschenden Fremdvolkes
die Elamiten aus dem Lande jagt und selber den Thron des
Reiches besteigt, bereitet auch nun ein ursprünglich unbedeu-
tender Stadtstaat der Kassitenherrschaft ein Ende und gewinnt
damit die Vormacht im Lande: Assur, Assyrien. Ninive, das
große Ninive der Jona-Erzählung, wird zur Residenz erhoben.
Die assyrische Epoche erscheint uns zwar durch die Fülle
und Pracht ihrer Denkmäler als die glänzendste der babylo-
nischen Geschichte, ist aber in Wahrheit genau wie das Zeit-
alter des Hellenismus für Griechenland und die Kaiserzeit für
Rom nur ihr Ausgang. Sie erscheint nur darum reicher als die
vorangegangenen Perioden, weil sie eben die letzte ist, aus der
sich naturgemäß die relativ meisten Schätze erhalten haben.
So besitzt das Britische Museum aus der Bibliothek des letzten
assyrischen Königs Sardanapal (650 v. Chr.) nicht weniger ate
22 000 Keilschrifttafeln, die wie ein Inhaltsverzeichnis am
Schluß eines Buches eine Übersicht über die gesamte Kultur
Babyloniens und Assyriens geben. Man braucht nur Delitzsch'
kurzen Vortrag über Babel und Bibel durchzublättern, um ent-
zückt zu sein von den Dokumenten dieser spätsemitischen
Kultur, unter denen Bildnisse wie die Reliefs „Sardanapal
auf der Jagd", „Die sterbende Löwin zu Ninive", „Die wei-
denden Antilopen" oder die bunt emaillierten Wildochsen des
Istartores neben die größten Schöpfungen der griechischen
oder italienischen Kunstgeschichte gestellt werden können, ohne
an Wirkung zu verlieren, weil sie eben als wahrhafte Kunstwerke
absolute Werte sind. Aber genau wie die uns überlieferten
105
bekanntesten griechischen Werke, etwa die Venus von Milo
oder der Laokoon, entstammen auch sie den Spätzeiten des Ver-
falls und nicht der Klassik. Die Kultur liegt in der Agonie. Sie
lebt nicht mehr im Gleichmaß der gesunden Kraft, sondern
flackert zwischen tiefster Todesmattigkeit und einer zeitweise
unheimlichen Euphorie. Ihre leuchtenden Wangen sind nicht
rosenfrisch sondern hektisch. Könige kehren von alexanderhaften
Siegeszügen aus fernen Ländern heim — und finden ihren Thron
nicht mehr. Despoten, vor deren Sonnenmajestät heute Völker im
Staube liegen und denen Könige das Wasser reichen, wandern
morgen nach Belsazarnächten unter Ketten durch die Tore
ihrer Stadt. Die unselige Parole: Panem et circensesi ist die
Maxime der sozialen Politik. Überlaut ist der Lärm der Feste —
um die Schreie der Armen zu übertönen; das Gold des Staats-
gewandes so prunkend überladen — weil es Schwären zu ver-
decken hat. Die Macht tyrannisiert das Recht, der Genuß ver-
führt die Sitte; die Wissenschaft ist zur Wahrsagerei herab-
gesunken, der altgeheihgte Kult der Götter zu den eleusinischen
Orgien der Lebewelt entartet. Babel, „der goldene Kelch in der
Hand Jahwes, der die ganze Erde trunken macht", schäumt
heute über vom Perlenwein der Freude, um morgen bis zum
Rande gefüllt zu sein mit den Tränen des Leides — Welten-
untergang.
Dieses bald festlich illuminierte, bald vom Glut-
und Blutschein der Schlachten und Schafotte wild
durchzuckte Bühnenbild ist die grandiose Kulisse,
vor deren flackerndem Hintergrund vorn im Schatten
der Szene die Hochgestalten der jüdischen Propheten
der Menschheit die Postulate des ethischen Mono-
theismus predigen.
Assyrien unterliegt dem zersetzenden Einfluß der nächsten
großen Semitenwanderung aus Arabien, der aramäischen,
deren Kultursymptom die Verbreitung des aramäischen Dialektes
ist. Im Gegensatz zur kanaanitischen Sturmflut sickert diese
wie ein langsam steigender Sumpf in das babylonische Kultur-
land ein. 1300 v. Chr. berichtet Salmanassar, einer der ersten assy-
rischen Könige, daß er „den Beduinen den Übergang über den
Euphrat verwehrt habe"; aber 300 Jahre später sind nicht nur
zahlreiche aramäische Staaten in Babylonien entstanden, son-
dern das Aramäische hat sogar als Umgangssprache das klas-
sische Babylonisch, wie dieses einst das Sumerische, fast voll-
kommen verdrängt. In der südlichen Landschaft Chaldäa
106
fassen die Ai'amäer am frühesten Fuß und bilden hier erst
kleine, dann immer mächtigere Staaten. Als 606 die Meder, von
Norden kommend, Ninive einnehmen, setzen sich die Chaldäer
von Süden her in den Besitz des Landes und regieren über
Babylon. Der Chaldäerkönig Nebukadnezar baut Babel auf und
erweckt die Herrlichkeit des alten Reiches noch einmal zu einer
letzten kurzen Stunde glänzenden Daseins. Auf seinen Siegeszügen
zerstört er auch Jerusalem 586 v. Chr. und deportiert die Juden
zu einem 49 jährigen Exil nach Babylon. Diese mit der End-
geschichte des babylonischen Reiches verknüpfte
Episode ist das bedeutungsvollste Ereignis der ganzen
jüdischen Rassen- und Kulturgeschichte. Es ist die
Katastrophe und Katharsis in dem noch heute nicht beendeten
Hiob- und Ahasver-Drama Israels.
IM ach der schwächeren aramäischen Welle stößt der Völker-
geysir Arabien ein Jahrtausend später wieder einen Riesen-
schwall von Völkern aus: die Araber Mohameds. Wie ehedem
die kanaani tische, ergießt sich diese Völkerwanderung über das
gesamte Mittelmeerbecken und gewinnt dadurch, daß sie nicht
nur eine Rasse, sondern zugleich eine hochentwickelte Kultur
über den halben Erdkreis hinträgt, weltgeschichtliche Bedeutung.
Aus naheliegenden Gründen wird von den europäischen
Historikern der Einfluß der arabischen Expansion auf die Ent-
wicklung der Neuzeit als quantite negligeable unterschätzt.
Erst Spengler hat in seinem großzügigen „Untergang des Abend-
landes" der arabischen Kultur den gebührenden Rang ein-
geräumt und sie eingehend als gleichberechtigt neben den
antiken und modernen Hochkulturen gewürdigt. Gegen die
kleinsüchtige Parteilichkeit der westeuropäischen Historiker
zitiert man am besten, wie es Zollschan in seinem Buche „Das
Rassenproblem" tut, einen außereuropäischen Historiker, den
Amerikaner Draper. ,,Er bekämpft die systematische Art, wie
die Literatur Europas unsere wissenschaftlichen Verpflichtungen
gegen die Mohamedaner uns zu entrücken vermochte" und zählt
dann die Leistungen der Araber auf. Sie gaben das Beispiel
planvoller Agrikultur, führten zahlreiche Nutzpflanzen wie Reis,
Zucker, Baumwolle und Edelobst, Seidenzucht und Südwein-
pflege ein, begründeten zahlreiche Industrien wie Spinnerei,
Weberei, die Metall- und Edelsteinverarbeitung. Sie erfanden
Schießpulver, Kanonen, Kompaß und Brille. Sie sind die wahren
Gründer der modernen Methoden der „arischen" Wissenschaft.
107
Durch die Einführung der „arabischen" Zahlen ermöghchlen
sie überhaupt erst die höhere Rechnungsart. Spengler, selbst
Mathematiker, spricht von ihren Mathematikern als von „reifen
Meistern, die Plato und Gauß nicht nachstehen". Ben Musa erfindet
die Rechnung mit quadratischen Gleichungen und begründet
damit die Algebra. AI Maimon bestimmt die Schiefe der Ekliptik,
den Umfang der Erdkugel, Abderrahman Sufi die Lichtstärke
der Sterne, Ibn Junis die Exzentrizität der Erdbahn, die Größe
der Planeten und führt die Pendelschwingung als wissenschaft-
liches Zeitmaß ein; die arabischen Sternkataloge und Himmels-
karten dienen den europäischen Astronomen später als Unter-
lagen und Muster ihrer eigenen Tabellen und erregen noch heute
die Bewunderung aller Fachgelehrten; sie bauen die ersten
Observatorien in Europa und erfinden 800 Jahre vor den Ita-
lienern und Holländern das Fernrohr. Während ein halbes
Jahrtausend später die Matrosen des Kolumbus fürchten, am
Rande der Erde in die Hölle hinabzufallen, lernen die Kinder
in den arabischen Volksschulen des 9. Jahrhunderts Geographie
an Globen! AI- Hazen ist durch seine Theorie des Lichtes, seine
bahnbrechenden Untersuchungen des Auges, der Atmosphäre, der
Fallgesetze und seine Lehre von der organischen Entwicklung der
Tierwelt der würdige Vorgänger von Galilei, Newton, Helmholtz
und Darwin. Avicenna (Ibn Sina) entscheidet das noch zur Zeit
Goethes heftig umstrittene Problem der Gebirgsbildung im Sinne
der modernen Wissenschaft, so daß man meint, Sätze aus Lyells
,, Prinzipien der Geologie" zu lesen. „Die Sarazenen begannen
die Anwendung der Chemie, sowohl auf die Theorie wie auf
die Praxis der Medizin mit der Erklärung der Verrichtungen
des menschlichen Körpers und in der Heilung der Krankheiten.
Auch Wieb ihre Chirurgie nicht hinter ihrer Medizin zurück.
Albucasis von Cordova schreckt nicht vor der Ausführung
der furchtbarsten Operationen zurück . . . Unter den arabischen
Ärzten herrschte eine wahrhaft überraschende Korrektheit
des Denkens und Weite des Blickes." Den Rahmen dieser hohen
Geisteskultur bildet das glänzende Leben, das die arabische
Welt von Bagdad bis Granada erfüllte. „Cordova rühmte sich
unter ihrer Verwaltung auf dem höchsten Gipfel seiner Blüte
des Besitzes von mehr als 200 000 Häusern und mehr als einer
Milhon Einwohnern. Nach Sonnenuntergang konnte man in
gerader Linie 10 Meilen beim Lichte der Straßenlaternen wan-
dern. 700 Jahre später gab es in London nicht eine einzige
Straßenlaterne. Die Straßen waren solid gepflastert. Jahr-
108
hunderte später trat man in Paris, wenn man an einem reg-
nerischen Tage die Schwelle überschritt, bis an die Knöchel
in Kot. Andere Städte wie Granada, Sevilla, Toledo betrach-
teten sich als Nebenbuhlerinnen Cordovas. Alle diese Städte
hatten großartige Bibliotheken. Die des Khalifen Al-Hakem
war so groß, daß der Katalog allein 40 Bände füllte. Zu jeder
Moschee gehörte eine öffentliche Schule, in welcher die Kinder
der Armen in Lesen, Schreiben und den Vorschriften des Koran
unterrichtet wurden. Für die Bessergestellten gab es Akademien.
In Gordova, Granada und anderen großen Städten gab es Uni-
versitäten unter der Aufsicht von Juden. Die Universitäten
Europas sind keine arischen Institutionen, sondern jüdisch-
arabische Gründungen. Deren Vorläufer wieder waren die seit
Jahrhunderten bestehenden jüdischen Gelehrtenschulen Klein-
asiens, die das System des Doktorats geschaffen hatten, indem
man den Studenten nach Absolvierung ihres Lehrganges in
Form einer Promotion den Titel „Rabbi" verlieh. Nach dem
Vorbild dieser Schulen wurden von den Arabern unter Be-
teiligung der Juden die Universitäten Europas gegründet. Die
erste 846 in Salerno, wo einer der ersten Dozenten der ,,Ebraeus
Solonus" und eine der ältesten medizinischen Publikationen das
hebräisch geschriebene „Antidotarium" des Sabbatai ben Abra-
ham, genannt Domolo (950) waren; die zweite in Montpellier,
dessen Bevölkerung damals zum überwiegenden Teil aus
arabischen Juden bestand. Fortwährend zogen literarische,
philosophische und militäi'ische Abenteurer über die Pyre-
näen, und so fanden der Luxus, der Geschmack und vor
allem die ritterliche Galanterie und Höflichkeit der mau-
rischen Gesellschaft ihren Weg von Granada und Gordova
nach der Provence und Languedocque. Die französischen,
deutschen und englischen Adligen sogen hier die arabische
Bewunderung für das Pferd ein, sie lernten auf geschicktes
Reiten stolz sein. Aus der proven^alischen Poesie, dem direkten
Abkömmling der spanisch-maurischen Dichtkunst, entsprang
die europäische Literatur. Selbst die Gotik, die stets als hehrster
Ausdruck germanischen Geistes galt, ist als eine Nachahmung
islamischer Motive, wie sie zuerst an der Moschee Ahmed ihn
Tuluns erscheinen, erkannt worden." (Gekürzt zitiert nach
Zollschan.) Spengler, der sich nicht nur stofflich sondern auch
geistig über das „Provinzial-europäische" erhebt, gedenkt an
zahlreichen Stellen der Wurzeln, die sich aus dem Licht der
europäischen Gotik und Renaissance in das dunklere Mutter-
109
reich der arabischen Kultur versenken. „Der gesamte Kirchen-
stil Italiens stammt von den Sitzen arabischen Stilgefühls . . .
Diese Palasthöfe (Italiens) sind maurische Höfe. Die Rund-
bögen auf den schlanken Säulen sind syrischen Ursprungs.
Cimabue lehrte sein Jahrhundert die Kunst der byzantinischen
Mosaiken mit dem Pinsel nachzubilden . . . Als Michelangelo
sich vermaß, in St. Peter „das Pantheon auf die Maxentius-
Basilika zu türmen", wählte er zwei Bauwerke vom. reinsten
früharabischen Typus." In anderem Zusammenhang: „Alfarabi
und Alkindi haben die verwickelten und uns wenig zugäng-
lichen Probleme dieser magischen Psychologie eingehend be-
handelt. Ihr Einfluß auf die junge Seelenlehre des Abendlandes
darf nicht unterschätzt werden. Scholastische und mystische
Psychologie haben von Bagdad denselben Einfluß empfangen
wie die gotische Kunst" usw. usw.
Die arabische Kultur besitzt demnach für das moderne
Europa etwa die gleiche Bedeutung wie die altbabylonische
für die klassische Antike: sie gab die Fundamente, auf denen
die Säulen der folgenden Hochkulturen errichtet sind.
W eich ein Sonnengemälde semitischer Geisteswelt und semi-
tischen Weltgeistes könnten wir entwerfen, wenn wir nach dem
Muster der Germanentheorie alles uns irgendwie Rassen- und
Kulturverwandte unter den Begriff Semiten faßten und ver-
herrlichten! Wenn wir darauf hinwiesen, daß der „Semit"
anthropologisch der eine der drei Repräsentanten der mittel-
ländischen Rasse ist, die in Mittelasien die Inder, in Vorder-
asien die Babylonier, Assyrer, Araber, Juden und Perser und
in Südeuropa die Griechen, Römer, Spanier und die Italiener
der Renaissance hervorgebracht hat; daß die Semiten gleich
den Indern auf der einen Seite und den Griechen, Römern, Ita-
lienern auf der anderen eine solche Fülle fundamentalster Kul-
turschöpfungen hervorgebracht haben, daß sich nicht nur die
mittelländische Rasse als Gesamtheit, sondern jeder ihrer drei
Zweige einzeln den nordischen Germanen als völlig ebenbürtig
gegenüberstellen könnte !
Wir unterlassen jede Antithese, weil wir der Anschauung
huldigen, daß Kulturen ebenso wie Menschen, wenn sie sich
überhaupt als schöpferisch erweisen, unvergleichbar sind. Ob
Goethe ein größerer Dramatiker ist als Shakespeare, ist eine
müßige Frage — er ist auch ein großer Dramatiker, ein anderer
und als solcher einzig, unschätzbar und unersetzlich. Indivi-
110
dui^Ltäl ist unvergleichbar. Daher registrieren wir nichts als
eine einfache Tatsache : im Schutt der Bibliothek des Sardanapal
fand man ein tönernes Buch: „Die Grundlagen des 19. Jahr-
hunderts vor Christus." Sein altsemitischer Verfasser hat vor
3800 Jahren seinen Stoff ebenso gewissenhaft zusammengetragen
wie unser heutiger Zeitgenosse und kam als Bürger des
damals weltbeherrschenden einzigen Großstaates Babylon zu
dem durchaus natürlichen Ergebnis: wir Semiten bekennen
uns zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkeln in das Helle
strebt. Was ihr Großes seht auf Erden, haben wir Semiten
geschaffen. Wir haben das Alphabet erfunden und das Zahlen-
wesen, den Kalender, das Maß- und das Münzsystem. Wir
haben die Methoden erdacht, Finsternisse zu berechnen und
Entfernungen zu messen, wir haben Ackerbau und Obstkultur
begründet, haben die Kunst erfunden Glas zu schmelzen, Ton
zu brennen, Siegel zu schneiden. In unseren Städten stehen
Statuen und schmücken Reliefs die Wände der Tore ; in unseren
Bibliotheken reihen sich die Tontafeln beschrieben mit aller
Weisheit des Menschenhirns; unsere Ethiker haben der Welt
die Grundbegriffe von Rehgion und Sitte gegeben ; unser bürger-
liches Recht ist ohnegleichen. Unsere Karawanen wandern
bis nach Indien, unsere Armeen bis zum Pontus, unsere Flotten
fahren bis zu den Inseln des Atlantischen Meeres. Wir allein
von allen Völkern tragen in uns die Sehnsucht nach der Feme
und die Lust am Abenteuer. Schauen wir uns um — kein
Zweifel: die Erde ist von verschiedenen Rassen bevölkert, und
diese sind verschieden begabt. Zu den niedrigsten Rassen
der Menschheit zählt die blonde, die Nordeuropa bewohnt;
„es kann als sicher gelten", daß Blondheit ein Zeichen min-
derer Rasse ist, denn die blonden Europäer erweisen sich zu
jeder höheren Kulturaufnahme, geschweige denn -betäti-
gung unfähig und werden sicher auch für alle Zukunft in
hoffnungsloser Barbarei verharren. Wahrhaft schöpferisch ist
auf Erden überhaupt nur eine Rasse, die semitische. Auf sie
und ihre Kolonisationen sind die Kulturen aller anderen Länder
zurückzuführen. „Ich habe mich" — und nun zitiert der baby-
lonische Chamberlain in einem merkwürdigen Anachronismus
einige seiner Zunftkollegen aus dem 19. Jahrhundert nach
Christus — „am Ende überzeugt, daß alles, was es an mensch-
lichen Schöpfungen, Wissenschaft, Kunst, Zivilisation, Großes,
Edles, Fruchtbares auf Erden gibt, nur ein und derselben Quelle
entstammt und nur einem Volke angehört" (Gobineau) — näm-
111
lieh den Semiten. „Die bedeutendsten Genies der Menschheit
sind Vertreter dieser Rasse gewesen ; die ausgezeichnetsten Men-
schen der neueren Geistesgeschichte waren zum größten Teile
Vollblutsemiten" (Weltmann). „Nur schändliche Denkfaulheit
und schamlose Geschichtslüge vermag in dem Eintritt der Se-
miten in die Weltgeschichte etwas anderes zu erblicken als die
Errettung der agonisierenden Menschheit aus den Krallen des
ewig Bestialischen" (Chamberlain). „Es dürfte nicht übertrieben
und geschmeichelt sein, den semitisch-babylonischen Menschen-
schlag als lachende Löwen zu bezeichnen" (Driesmans). „Wie
alle Semiten sind wir Babylonier die geborenen Herrscher
anderer Völker. Wo wir auch auftreten, sind wir die regierenden
und sozial bevorzugten Stände, sind wir ein Volk voll wilden
Mutes und unbeugsamer Kraft, voll Hingebung und Treue,
voll Stolz und Wahrhaftigkeit, ein leuchtendes Volk von Halb-
göttern, dessen gleichen die Welt vorher niemals gesehen hat und
wahrscheinlich auch niemals wieder sehen wird" (Ammon).
11 £
DER JUDE
Das Quellenbuch der jüdischen Geschichte ist die Bibel, un-
zweifelhaft ebenso das bekannteste wie verkannteste Buch
der europäischen Welt. Zehntausende lesen es, aber nur einer
weiß, was er liest. Daher die ewige Kette der Verkennungen
und Mißverständnisse — Ghamberlains „Grundlagen des 19. Jahr-
hunderts" wären unmöglich, wenn er das Wesen der Bibel
erfaßt hätte oder — nicht geflissentlich ignorierte.
Der als Geschichtsquelle wichtigste Teil, der Pentateuch,
ist nach Ansicht der zur Zeit herrschenden „kritischen Schule"
im Jahre 444 v. Chr. aus zwei verschiedenen Werken, dem
Deuteronomium und dem Priesterkodex, zusammengesetzt
worden. Das Deuteronomium ist ein im Jahre 621 proklamiertes
Gesetzbuch, das aus Reaktion gegen den in Israel überhand
nehmenden Babylonismus die nationale Religion und das jüdisch-
patriarchalische Leben wieder zurückzuführen sucht.
Der Priesterkodex, der den weitaus gi'ößten Teil des heutigen
Pentateuch, nämlich die erste Hälfte Genesis, die Hälfte des
Exodus, drei Viertel von Numeri und das ganze Buch Levitikus
umfaßt, verdankt seine heutige Fassung den zeitgeschichtlichen
Ereignissen nach dem babylonischen Exil. Ein Menschenalter
nach Proklamation des Deuteronomiums wird Jerusalem zer-
stört und die Bevölkerung Palästinas nach Babylonien depor-
tiert. Nach 50jährigem Exil kehren ungefähr 60 000 Wanderer
nach Kanaan zurück, um hier das alte Reich zu erneuern.
Aber die entvölkerte Heimat ist unterdes von Fremdstämmen
besetzt, die den zurückkehrenden Kolonisten die Entfaltung
des nationalen Lebens fast bis zur Unmöglichkeit erschweren.
Unter dem offenen und heimlichen Widerstand der Fremden
droht das heroische Beginnen zu scheitern. Nachdem glücklich
unter unsäglichen Schwierigkeiten die feindlichen Gegensätze
beseitigt sind, erwächst aus den friedlichen Beziehungen eine weit
größere Gefahr: Mischehen mit den neu gewonnenen Freunden,
Götzenkult und heidnische Lebensführung greifen immer weiter
um sich und treiben die neue Kolonie mehr und mehr dem
Untergang zu. Diesem von den Wogen des Völkersturms und
Heidentums umbrandeten und schwankenden Völkchen der
Siedler Mut und Hoffnung einzuhauchen, ihm Stolz auf die Ver-
8 Kahn, Die Juden. 113
gangenheit, Kraft für die Gegenwart, Zuversicht für die Zukunft
einzugeben, senden die in Babylon zurückgebliebenen Juden
ihm außer sonstigen reichen Hilfsmitteln mit einer Schar
nationalistischer Priester eine neue, für die Forderung der
Zeit verfaßte Nationalchronik, den Priesterkodex, der mit dem
alten Deuteronomium vereinigt die heutigen „Fünf Bücher
Moses" darstellt. Der Pentateuch ist also nicht die jüdische
Lehre und Geschichte in ihrer idealen Abstraktion, sondern
eine von den babylonischen Juden für ihre bedrängten
Brüder im Westen kompilierte Sammlung alter Überliefe-
rungen und Gesetze, ein Tendenzwerk edelsten Stiles mit dem
auch uns heute bekannten Motiv: Durchhalten! Haltet aus,
ihr Pioniere Neujudäas! Diese Heimsuchungen sind die längst
von Gott verkündeten Strafen für die Sünden eurer Väter!
Doch auch Vergebung hat euch Gott versprochen und euch dies
Land seit Abraham zugeschworen. Und wie die Strafe für die
Sünde eingetroffen, so wird auch der verheißene Lohn für die
Umkehr kommen, wenn ihr zu den Satzungen Moses und zu
Sitte und Religion der Väter zurückkehrt. Entsagt dem Götzen-
dienst, löset die Mischehen auf! Von Gott gestraft, gesühnt,
erwählt für eine große Zukunft, erweist euch ihrer würdig, bleibt
euch selbst getreu!
Nicht die jüdische Religion als solche verfolgt, wie Chamber-
lain zu dozieren sucht, praktische Zwecke, wohl aber dieser Kodex,
der durch radikale rassenbiologische und nationalpolitische
Maßnahmen ein Volk vor dem Untergang bewahren will. Daher
der angebliche ,, Materialismus der Anschauungen, die Hervor-
hebung des geschichtlichen Momentes dem Idealen gegenüber,
die starke Betonung der Gerechtigkeit im weltlichen Sinne des
Wortes, die Einschränkung der Phantasie, das Verbot der Ge-
dankenfreiheit, die prinzipielle Intoleranz gegen jede andere
Religion, der glühende Fanatismus". Das sind nicht, wie Cham-
berlain fortfährt, ,, Erscheinungen, die wir überall in größerem
oder geringerem Grade anzutreffen erwarten müssen, wo semi-
tisches Blut oder semitische Ideen eingedrungen sind", sondern
sind volkspädagogische Machtmittel zielbewußter National-
politik. Einzig durch strengste Sonderung von den umwohnen-
den Fremden und höchste Steigerung des Bewußtseins der
Auserwähltheit war die untergehende Kolonie, die Hoffnung
Israels, zu retten. Daher — nach Chamberlain — „der
Wahn einer besonderen Auserwähltheit, einer besonderen
Gottgefälligkeit, einer unvergleichhchen Zukunft, die es im.
114
vollen Hochmut von sämtlichen Nationen der Erde abschließt,
ihm ein geistloses, unvernünftiges, in der Praxis gar nicht
durchzuführendes Gesetz als gottgegebenes aufzwingt, es mit
erlogenen Erinnerungen nährt und in verbrecherischen Hoff-
nungen wiegt". Daher die starke Betonung der kultischen
Vorschriften, von denen Chamberlain mit solchem Schauder
spricht: „Was hier geschah, war ein Gewaltstreich gegen die
Natur. Naturwidrig ist es, jeden Schritt des Menschen zu hem-
men, naturwidrig, ein ganzes Volk mit priesterlichen Tüfteleien
zu quälen und ihm jede gesunde, freie, geistige Nahrung zu
verbieten, naturwidrig, Hochmut und Haß und Abgeschlossen-
heit als die Grundlage sittlicher Verhältnisse zu den Mitmenschen
zu lehren, naturwidrig, das ganze Trachten aus der Gegenwart
in die Zukunft zu verlegen." Durchaus nicht naturwidrig,
sondern höchst natürlich. Der Arzt regelt das Leben seines
Patienten diätetisch bis ins kleinste. Rezepte sind es für einen
Kranken und nicht Maximen für einen Gesunden, nicht Leit-
sätze für einen Weltenwanderer sondern Schrittübungen für
einen Tabiker. Und wenn ein ganzes Volk sich später während
einer fast 2000jährigen Leidenszeit mit Inbrunst an die Worte
dieser „Heiligen Schriften" geklammert hat, bewußt-unbewußt
empfindend, daß diese Diätetik der Seele es einstmals aus der
tiefsten Not gerettet hat und einzig nunmehr auch aus tiefster
Not des Galuth und des Ghetto wieder retten konnte, so ist dies
ebenso ein Beweis für den Wert des Werkes, das hier geschaffen,
wie für die Würdigkeit des Volkes, dem es geschenkt ward.
IN eben der zeitgeschichtlichen Tendenz gehört zum Verständnis
der Bibel Kenntnis des Kulturkreises, dem sie entwachsen. Zum
größten Teil in Babylonien in der Ausgangsepoche der babylo-
nischen Kultur fixiert, ist sie ein Kind — freilich ein widerspenstig
rebellisches Kind — der großen Mutter des Altertums: Babel.
Die Weltanschauung des Babyloniers ist grundverschieden
von der des heutigen Ariers. Sie, wie es Chamberlain tut, mit
dem Maßstab der Moderne zu messen, ist ein Verfahren, als
wollte man mit einer Hackmaschine das Geheimnis einer Geige
enträtseln. Die babylonische Weltanschauung ist nicht wie die
moderne kausal-mechanistisch sondern astrologisch-determini-
stisch. Man kann freilich über sie lächeln, genau wie wir „Auf-
geklärten" über die mittelalterliche Teleologie spötteln, in deren
Welt Gott aus Wohltat an jeder großen Stadt einen Fluß
vorüberströmen läßt — und wie in abermals 3000 Jahren der
«• 115
.,*.♦
Übermensch der Zukunft über unsere heutige „wissenschaft-
liche" Weltanschauung lächeln wird.
Dem Babylonier, ersten Denker der Welt, ist die Erde
Konterfei des Himmels. Die Geschehnisse auf Erden Reflex
astraler Ereignisse. Alles irdische Geschehen ist am Himmel
vorgezeichnet und hier abzulesen. Daher ist die Sternenlese-
kunst die Grundlage aller Wissenschaft; den in den Sternen
kund werdenden Willen der Weltordnung zu entziffern und
danach das irdische Handeln einzurichten, ist ihr Ziel. Die
babylonische Wissenschaft ist deduktiv im Gegensatz zur in-
duktiven des Ariers. Der Arier sucht vom Kleinen aus das
Ganze zu begreifen; der Babylonier liest das Ganze und regelt
danach das Einzelne. Dem Arier ist die Welt die Domäne
seines titanischen Strebens; Willensfreiheit herrscht in ihr.
Dem Babylonier ist sie eine Bühne, auf der er in einem vor-
geschriebenen Schauspiel eine Rolle durchzuführen hat. Den
Naturkräften entgegenzuwirken, die Erde wie Archimedes aus
den Angeln zu heben, wie Kepler die Sphären zu sprengen, wie
Frankhn BHtze abzuleiten, wie Watt den Dampf zu knechten,
erscheint dem Babylonier sinnlos, ja Sünde. Alles irdische
Geschehen ist ja von den Göttern weislich bestimmt^).
Aus dem Wesen dieser babylonischen Welt-
anschauung und nicht aus einer rassenbiologischen
Unfähigkeit erklärt sich der Mangel induktiver
Wissenschaft bei den Frühsemiten*).
Um zu erfahren, was der Himmel bestimmt hat, muß der
Sternendeuter gefragt werden. Ihn als den Entzifferer des gött-
lichen Willens zieht der König bei seinen Entschlüssen zu Rat
— eine Gepflogenheit, die sich nicht nur durch die ganze grie-
chisch-römische Antike und das päpsthche Mittelalter sondern
bis in die neueste Zeit erhalten hat, in der im Jahre 1870
») Ein Nachhall dieser babylonisch-astrologischen Weltanschauung
ist die Moiralehre der Griechen. Der durch Orakel verkündeten Moira,
dem Verhängnis, kann der irdische Mensch trotz allen Widerstrebens nicht
entrinnen (ödipus). In der griechischen Geschichte — dies ihr höchster
Sinn — entringt sich der Mensch in prometheischem Aufschwung der
Fesseln des babylonischen Astrologismus.
2) Die Arier haben durchaus keine Veranlassung, über diese früh-
semitische Weltanschauung erhaben zu lächeln — sie zehren noch heute
von ihr. Die großen Massenherden Europas trotten noch heute hinter
der Flöte ihres altsemitischen Menschheitshirten, ,, Könige von Gottes
Gnaden" herrschen über sie, und ergeben beugen sie sich dem „unab-
änderlichen Ratschluß des Himmels".
116
das vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes in
seiner Eigenschaft als „Stellvertreter Christi auf Erden" der
Welt als Dogma verkündet. Aus dem astrologischen
Charakter der Weltanschauung und nicht aus
geistigen Mängeln der Rasse erklärt sich die Theo-
kratie in den altsemitischen Staaten.
Der babylonische Held ist die auf Erden erscheinende
Personifikation eines himmlischen Motivs aus Natur oder
Mythe. Er wandelt über die Bühne des Welttheaters wie ein
Schauspieler, der eine Rolle spielt, auf ein gegebenes Stichwort
in die Handlung eingreift und an gegebener Stelle nach einem
vorgeschriebenen Schema sein Ende findet. Hat sich ein Held
als Vollführer bestimmter Taten erwiesen, so erbhckt die Nach-
welt in ihm den Träger einer in der Astralmythe vorgezeich-
neten Idee und stilisiert seinen Lebensgang im Sinne des
Schemas.
Eines der bekanntesten Motive der babylonischen Mytho-
logie ist das Gründer- oder Erlösermotiv, das allen großen Grün-
dern der alten Geschichte, in der babylonischen Sargon, in der
jüdischen Moses, in der christlichen Jesus, in der persischen
Cyrus, in der römischen Romulus, in der griechischen Perseus
(als dem Begründer von Mykene) und Ödipus (als dem Befreier
Thebens) angedichtet wird. Zu diesem Gründermotiv gehören:
1. Die Weissagung künftiger Größe.
Moses: Die Weissagung Mirjams (Schemoth rabba).
Christus: Weissagung an Herodes, Stern zu Beth-
lehem, Anbetung der Könige usw.
Cyrus: Traum des Astyages.
2. Die Vaterlosigkeit des Helden.
Sargon: „Meine Mutter empfing mich unvermählt
und im Geheimen barg sie mich".
Christus: Jungfrau Maria.
Romulus: Geburt durch die Vestalin Rhea Sylvia.
Perseus: Sohn der Jungfrau Danae.
3. Verfolgung des Helden in der Jugend.
Sargon: „Sie legte mich in einen Korb von Binsen, mit
Erdpech verschloß sie den Deckel. Sie setzte mich in
einen Fluß, der mich davontrug."
Moses: Tötung aller Erstgeborenen; Aussetzung Moses
in einem Sehilfboot usw. Fast wörtlich mit der Sargon-
legende übereinstimmend.
117
Christus: Kindermord zu Bethlehem. Heimliche Geburt
in einer Krippe, Flucht nach Ägypten.
Cyrus: Aussetzung des Kindes und Erziehung durch
einen Hirten.
Perseus: Aussetzung ins Meer.
ödipus : Aussetzung und Auffindung durch eine Königin.
Romulus: Aussetzung der Kinder in den Tiber, Auf-
findung durch eine Wölfin. Erziehung durch einen
Hirten.
Aber nicht nur die Nachwelt stilisiert das Leben der Helden
im Sinne der Astralmythe, sondern der Held selbst läßt sich,
nachdem er einmal seine Bestimmung erkannt, wie weiland
Wallenstein, von seinem Sterne leiten. Der König als Sonnensohn
besteigt am Frühlingstag den Thron, zieht am Tage der Sonnen-
wende in den Krieg, wird am Tage einer Sonnenfinsternis als
dem günstigsten Mordtermin von den Verschwörern überfallen.
Kleopatra wählt nach dem Beispiel ihres himmlischen Vorbildes
Istar Schlangen zu ihrem Selbstmord. Jesus, dessen Geburts-
ort nach Bethlehem verlegt wird, weil hier David geboren
wurde und Micha die Herkunft des Fürsten Judas aus Beth-
lehem weissagte, predigt auf dem Ölberg, weil Zacharia ge-
weissagt hatte, daß auf dem Ölberg die Herrlichkeit Gottes
erscheinen werde; seine Eltern fliehen nach Ägypten, weil
Hosea verkündet hatte: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn
berufen" (Anlehnung an das Moses-Motiv); er geht nach Na-
zareth, „auf daß da erfüllet würde, was da gesagt ist durch die
Propheten: er soll Nazarenus heißen"; denn neser heißt
sprießen, nasaraios Frühlingsbringer. Allen biblischen Namen
liegen solche Motive zugrunde. Der Orientale erhält — wie
sinnig! — seinen endgültigen Namen erst, wenn er seine Mis-
sion auf Erden erkannt hat, wird Mohamed genannt, der
Ruhmeswürdige, Abraham Erhabener Vater, Sarah Himmels-
fürstin, Josua, Jesu Erlöser, Buddha der Erwachte; so wie
Homer Odysseus den göttlichen Dulder oder die Nachwelt
Goethe den Olympier und Wagner den Meister genannt hat.
Durch die Einfachheit der Himmelserscheinungen ist die
Astralmythologie an wenige Schemata gebunden, in die das
Leben der Helden von der Nachwelt gewaltsam hineingepreßt
wird. Aber wenn der siebente Urvater Chenoch als Begründer
der Sternendeutekunst, als derjenige, der den Menschen „die
Herrschaft der Sonne lehrte", nach der Zahl der Sonnentage
365 Jalire alt wird und es dann von ihm in der biblischen Ur-
118
Vätertafel nicht wie von den anderen Urvätern heißt, er starb,
sondern „er war nicht mehr, denn Gott hatte ihn genommen"
(Anklang an die altbabylonische Mythe, daß er „unter die
Sterne gesetzt sei"), und wenn in Anlehnung hieran der Sieg der
Makkabäer, der Lichtbringer über die Finsternis der Seleuciden-
herrschaft, in die Zeit der Sonnenwende gesetzt und als Ghenoch-
fest = Chanukka gefeiert wird, wenn die Geburt des Erlösers
dann im christlichen Kult ebenfalls auf diesen Tag gelegt und
in Anlehnung an das jüdische (genau wie das altgermanische)
Sonnenwendfest mit Lichterglanz begangen wird ; wenn in dem
jüdischen Ritual die Befreiung aus der ägyptischen Gefangen-
schaft und im christlichen die Auferstehung Christi am Tage
des Frühlingsanfangs (Passah und Ostern) gefeiert werden,
und bei den Juden die Verkündigung am Sinai, bei den Christen
die mystische Ausgießung des heiligen Geistes an dem doppelt-
heiligen sieben mal siebenten Tage nach dieser Auferstehung er-
folgen ; oder wenn die Mütter fast aller biblischen Helden, Sarah,
Rebekka, Rahel, Hannah und die Mutter Simsons, vor der Geburt
des Sohnes lange Zeiten unfruchtbar sind (Motiv des Winters vor
dem Frühling); oder wenn Jakob gerade 12 Söhne hat, aus denen
die 12 Stämme Israels, entsprechend der Zahl der Tierkreisbilder,
hervorgehen; oder endhch Isai, der Vater Davids, im Gegensatz
zum historischen Urtext, in dem von 4 Söhnen die Rede ist,
in der späteren Fassung der Schrift 7 Söhne erhält nach der
Zahl der Planeten, und die Tötung des Riesen Goliath in der
späteren Überlieferung unter Änderung des Urtextes dem David
zugesprochen wird, weil er sich als ein „Frühlingsbringer"
erweist und er es daher gewesen sein muß, der den Drachen-
mann Goliath tötet (Perseus-Ödipus-Siegfried-Motiv), nachdem
dieser „Winterdrachen", entsprechend der Zahl der Wintertage,
Israel „40 mal verhöhnte", und wenn sich später um eben dieses
Frühlingsmotives willen Jesus vom Hause David ableitet —
wenn wir in diesem Sinne den gesamten Bibeltext von der
Schöpfung bis zur Apokalypse mit babylonischer Astralsymbolik
durchwirkt sehen, so sind das nicht Geschichtsfälschungen
eines zur Wissenschaft unfähigen Volkes oder einer macht-
lüsternen Priesterkaste, wie es Chamberlain darlegt — „schlim-
mer als Wechselfälschungen" — sondern nichts als S t i 1 f o r m e n.
Der Occidentale strebt nach Objektivität ; dadurch erreicht er hohe
Stufen technischer Organisation. Er gelangt auf zivilisatorischem
Gebiet zum Amerikanismus ; auf kulturellem zu Produkten wie
Haeckels Welträtseln und Ibsens Gesellschaftsdramen. Der Orien-
119
tale stilisiert — alles: Welt, Wirklichkeit und Wahrheit. Ihm ist
Stilisierung nicht wie dem Europäer eine Kunstform sondern
eine Weltanschauung. Er strebt gar nicht nach wissenschaft-
licher „Objektivität", er strebt nach Stil. 5000 Jahre vor Goethe
ward er des Weltgeheimnisses inne: alles Vergängliche ist nur
ein Gleichnis. Und nun kommen die Professoren der Maschinen-
zeit — „was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern" — , lesen
Bibel und Keilschrift, als hätten sie Mommsen und Darwin vor
sich, hauen mit denselben Sensen, mit denen sie auf dem dürren
Acker der empirischen Wissenschaft den Weizen der Erfahrung
mähten, in die Blütenranken orientalischer Symbolistik, und
weil ihre Scheffel leer bleiben, beweisen sie der Welt „objektiv"
die Unfruchtbarkeit des semitischen Geistes und die spezielle
Rassenminderwertigkeit der Juden ^).
Joabylonien ist der Schauplatz der Frühgesehichte
Israels. Der erste geographische Begriff der Patriarchen-
erzählung ist die Ebene Sinear. „Und es geschah, als sie von
Morgen zogen, da fanden sie ein Tal im Lande Sinear und
wohnten daselbst." Sinear ist die Euphrat-Tlgris-Ebene von
Sumer. Die erste historische Persönlichkeit der jüdischen Ge-
schichte, Abraham, bewegt sich vollkommen im Kreise der
babylonischen Welt und kann mit großer Sicherheit auf ein
bestimmtes Jahrhundert fixiert werden. „Und Terach nahm
seinen Sohn Abram und den Lot, Sohn Harrans, seines
Sohnes Sohn, und Sarai, seine Schnur, das Weib seines Sohnes
Abram, und sie zogen aus Ur-Kasdim, um zu gehen in das Land
*) Wie wichtig die Kenntnis des babylonischen Stils für eine ver-
ständnisvolle Lektüre der Bibel ist, sei durch zwei Beispiele angedeutet.
In der Paradiesgeschichte spricht Gott zur Schlange : Staub sollst du fres-
sen alle Tage deines Lebens. Über diese Stelle sind unzählige Kommen-
tare mit zum Teil ausführlichen naturwissenschaftlichen Darlegungen ge-
schrieben worden. In Wahrheit lesen wir hier nichts als einen altbabylo-
nischen Fluch der Vulgärsprache, und jeder wissenschaftliche Erklärungs-
versuch ist genau so sinnvoll, als wenn ein künftiger Germanist zur Deutung
unserer heutigen Redensart: Darauf kannst du Gift nehmen! eine Toxiko-
logie studieren würde. — Am Ende der Bibel spricht Christus die bekannten
Worte: ,,Ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater,
die Tochter wider ihre Mutter und die Schnur wider ihre Schwieger."
Diese möglicherweise gar nicht authentische Stelle braucht kein Kopf-
schütteln zu erregen, denn auch sie ist nichts als eine gang und gäbe ge-
wesene babylonische Redensart, mit der jemand die Macht seines Wirkens
charakterisieren will, und die wir daher mehrfach wörtlich auf Keilschrift-
tafeln und bei den Propheten z. B. Micha VII 6 lesen.
120
Kanaan und kamen bis Harran und wohnten daselbst . . . und
Terach starb daselbst . . . und Abram nahm sein Weib Sarai
lind Lot, seines Bruders Sohn, und all ihr Eigentum, das sie er-
worben, und die Seelen, die sie gewonnen in Harran, und zog
weg, um zu gehen nach Kanaan, und kam dahin. Und Abram
durchzog das Land bis an den Ort Sichern bis an den Terebinten-
hain Moreh, und der Kanaani war damals im Lande . . . und er
baute daselbst einen Altar dem Ewigen .... und es war in den
Tagen des Königs Amraphel von Sinear."
Im Rahmen der uns bekannten Zeitgeschichte läßt sich aus
diesem naiven Volksbericht ungefähr das folgende, natürlich
stark hypothetische Bild entwerfen. Von „König Amraphel
von Sinear", Hammurabi, wissen wir, daß er großzügige Re-
formen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens durchge-
führt hat. Er erhebt an Stelle der bisherigen getrennten Resi-
denzen Babel zur Metropole und setzt an Stelle der Mondgötter
den Sonnengott Marduk auf den Götterthron. Ur in Kasdim
(= Chaldäerland) war die südliche, Harran in Mesopotamien
die nördliche Hauptkultstätte des alten Monddienstes. Wenn
in der Reformationszeit Hammurabis eine Familie aus offenbar
religiösen Motiven von Ur nach Harran auswandert, so kann
man annehmen, daß sie zum alten Mondkult in Beziehung ge-
standen hat. Wahrscheinlich waren die mehrfach als Götter-
verehrer erwähnten „Väter" Abrahams Priester der Mond-
rehgion zu Ur, die vor dem Geist der neuen Zeit nach dem
nördlichen, entlegeneren zweiten Kultort ihrer entthronten
Götter auswandern. Daß die Sippschaft Abrahams aus Ur
in Chaldäa stammt, bekräftigt auch der Name Sarai, der
das Epitheton ornans der Mondgöttin von Ur ist und Him-
melsfürstin heißt. Daß sie in Harran babylonische Götter ver-
ehrten, erhellt aus dem späteren Diebstahl Raheis an den
Hausgöttern, den Terafim ihres Vaters^). Daß die Sippschaft
Terachs religiöse Ziele verfolgte, kann man aus dem Passus
schließen: „Und sie zogen aus mit den Seelen, die sie in Harran
gewonnen", d. h. offenbar mit den Anhängern, die sich ihnen
hier angeschlossen. In Harran wohnt die Sekte der Terachiden
*) Josua beginnt seine denkwürdige Rede an die Ältesten des
Volkes: „So spricht der Ewige, der Gott Israels: Jenseits des Stro-
mes wohnten Eure Väter von je, Terach, Vater Abrahams und Vater
Nachors, und sie dienten fremden Göttern. Und ich nahm euren Vater,
den Abraham, von jenseits des Landes und führte ihn durch das Land
Kanaan."
121
offenbar Jahrzehnte, bis nach dem Tode eines hervorragenden
Mitgliedes, des „Vaters" Terach, ein Teil von ihnen unter der
Führung Abrahams (Abraham ist ein dem westsemitischen
Hammurabi nahe verwandter typischer Name der Zeit) aus
der nordbabylonischen Landschaft Paddan-Aram nach Kanaan
weiterwandert. Der Weg führt die uralte noch heute benutzte
Karawanenstraße über Damaskus, wo das Andenken an Abra-
ham bis in die griechische Epoche, unabhängig vom biblischen
Bericht, lebendig blieb. Nicolaus von Damaskus erzählt:
„Zu Damaskus regierte Abraham, der mit einem Heere aus dem
oberhalb Babyloniens gelegenen Lande Chaldäa dorthin ge-
kommen sein soll. Und nicht lange danach wanderte er mit
seinem Volke von dort nach Kanaan, welches jetzt Judäa heißt,
und wo sich die Seinen stark vermehrten."
Diese von der Sekte der Terachiden sich lösenden
und nach Kanaan wandernden Abrahamiden bilden
den Kristallisationskern des jüdischen Volkes —
eine babylonische Hugenottenfamilie aus dem Jahre
2250 V. Chr. Als eine babylonische Sekte sind die
Abrahamiden anthropologisch wahrscheinlich Baby -
lonier, entstammen also dem Völkergemisch der
arabischen und iranischen Gruppe der mittel-
ländischen Rasse.
Kanaan ist zur Zeit Hammurabis durchaus kein Ödland
sondern eine babylonische Kulturprovinz. 1000 Jahre vor
Hammurabi sehen wir Ägypten und Babylonien nicht in den
Anfängen sondern nahe dem Kulminationspunkt ihrer Kultur,
und Palästina, das wie eine Brücke zwischen Meer und Wüste
die beiden Reiche verbindet, muß an dieser Kultur teilgenom-
men haben. Wenn Sargon L im Jahre 2800 v. Chr. Expeditionen
über das Meer nach Cypern unternimmt, muß ihm Palästina als
befestigtes Etappenland gedient haben. 100 Jahre vorher, 2900
V. Chr., wird Palästina schon auf einer ägyptischen Urkunde
als Exportland für Zedernholz erwähnt. Aus dem Kreise der
palästinensisch-syrischen Staaten entwickelt sich in diesen
Jahrhunderten das Amoriterreich, aus dessen Dynastie Hammu-
rabi hervorgeht.
Zur Zeit des Einzuges der Abrahamiden warPa-
lästina vermutlich — wir bewegen uns hier natürlich auf
einem ganz hypothetischen Gebiet — von folgendenVölkern
bewohnt: 1. einer hochgewachsenen Rasse, wahr-
scheinlich den Horitern oder Refaim der Bibel,
122
die ais Troglodyten außerhalb der Kulturstätten hausten und
wie alle wild lebende Urbevölkerung von den späteren An-
siedlern als Riesenvolk geschildert werden. Wahrscheinlich
sind die prähistorischen megolithischen Denkmäler Palästinas,
die Dolmen und Hünengräber, die man in stattlicher Anzahl
ausgegraben, Schöpfungen ihrer primitiven Kunst. 2. Einer
kleineren Rasse, die wahrscheinlich mit den er-
wähnten Kuschiten identisch ist und offenbar negroide
Züge trug. 3. Den Amoritern = Westsemiten vom
Ar ab er typ, die wahrscheinlich die Hauptmasse der Be-
völkerung bildeten und daher von dem zweiten sogenannten
jahwistischen Berichterstatter der Genesis einfach Kanaaniter
genannt werden^). 4. Babyloniern, die hier als Kulturträger
und Repräsentanten der Staatsoberhoheit in der „Provinz"
lebten. 5. Hethitern aus der armenischen Völker-
gruppe, die sich um eben diese Zeiten von Norden nach
Süden ausbreiten und den Babyloniern die Herrschaft im
Lande streitig machen. Von einer angeblich hethitischen Be-
hörde muß sich Abraham als Fremder — „denn ein Fremd-
ling und Einsaß bin ich bei euch" — nach Art der grie-
chischen Metöken die Genehmigung zum Kauf der Begräbnis-
höhle von Machpelah einholen. Die Modalitäten dieses Kauf-
abschlusses fügen sich, ebenso wie alle anderen rechtlichen
Einzelheiten und Gebräuche der Abraham-Erzählung, so wahr-
heitsgetreu in das allgemeine Zeitbild der Hammurabi-
Epoche — beispielsweise ist die Behandlung Hagars eine
wörtliche Ausführung des § 146 des Kodex Hammurabi — ,
daß an der Authentizität der Abraham-Erzählung — natür-
lich cum grano salis — kaum ein berechtigter Zweifel auf-
kommen kann.
In Kanaan vermehrt sich die daselbst metökisch wohnende
Sekte der Abrahamiden. Während Abraham in den ersten
Kapiteln ein Wanderer ist, der seine Zelte aufschlägt und ab-
bricht, wird er in den späteren Jahren — in dem Heros eponymos
Abraham müssen wir uns nach dem Stil orientalischer Bericht-
erstattung ganze Generationen personifiziert denken — als
ein Fürst geschildert, der Heerhaufen aussendet, mit den Gau-
^) Die ältesten Teile der Bibel lassen zwei verschiedene Quellen er-
kennen, die sich u. a. darin unterscheiden, daß in der zwar später
fixierten, aber offenbar älteren Gott mit Elohim (Mehrzahl), in der jüngeren
hingegen als Jahwe (Einzahl) bezeichnet wird, und die daher die elohistische
und die jahwistische Quelle genannt werden.
123
fürsten Kanaans Bündnisse schließt und vom Präfekten der
benachbarten ägyptischen Provinz empfangen wird. Die Ver-
mehrung erfolgt offenbar 1. durch natürliche Fruchtbarkeit,
2. durch Proselyten, 3. durch Mischehen mit den Landes-
bewohnern. Über den Proselytismus erfahren wir, daß „alle
Leute seines Hauses, Eingeborene und um Geld von Fremden
Gekaufte, sich von ihm beschneiden ließen". Unter diesen be-
finden sich auch die Knechte und Mägde, die von einer Fahrt
in die ägyptische Nachbarprovinz mitgebracht werden. Mit
den durch Kauf und Beute erworbenen fremdstämmischen
Weibern treten die Herren in eheliche Beziehungen. Die Nach-
kommen aus diesen Mischehen werden in den Frühperioden
sofort, später, als der Begriff der Rasse lebendig wurde, dem
Gesetz zufolge erst in der dritten Generation, in der Praxis aber,
wie die Geschichte zeigt, zumeist ebenfalls sofort in den „Bund"
aufgenommen. Die Mischehe war in dem der Viel-
weiberei huldigenden alten Judentum von Abra-
ham bis zum babylonischen Exil die durchaus
legale, allgemein geübte Form der Ehe. Abraham
hält sich die ägyptische Magd Hagar als Kebsweib und
zeugt mit ihr den Ismael. Eine Tochter dieses Halbägypters
Ismael wird wieder von Esau heimgeführt. Als Abraham betagt
ist, läßt er seinen „ältesten Knecht", den Major domus, schwö-
ren, daß er für Isaak nicht ein Weib von den Töchtern der
Kanaaniter nehme, sondern aus seinem Geburtsland Meso-
potamien hole. Von Isaaks beiden Söhnen heiratet Esau außer
der Halbägypterin noch zwei hethitische Mädchen, „und sie
waren ein Herzeleid für Isaak und Rebekka". Daher muß der
Lieblingssohn Jakob wie sein Vater wieder hinaufziehen in das
babylonische Heimatland Paddan Aram und dort bei seinem
„Onkel" Laban um Rahel und Leah freien. Außerdem aber
heiratet Jakob noch die zwei fremdstämmischen Sklavinnen
Bilha und Zilpa, von denen nach der biblischen Genealogie die
Stämme Dan, Naphtali, Gad und Ascher, also nicht weniger
£js ein Drittel von ganz Israel, sich herleiten. Jakobs Lieblings-
sohn Joseph vermählt sich in Ägypten mit der Tochter eines
ägyptischen Priesters. Moses heiratet die Midianiterin (Ara-
berin) Ziporah — später ist auch von einer Kuschitin die Rede — ,
erregt aber bezeichnenderweise damit schon bei dem zum
Nationalbewußtsein erwachenden jungen Volk Widerspruch:
„Und Mirjam und Aron traten auf gegen Mose wegen der Mi-
dianiterin, die er heimgeführt hatte."
124
Die angeblich bis in die Patriarchenzeit hinauf-
reichende Rassenreinheit der Juden, von der eine
große Anzahl Schriftsteller, beispielsweise auch Dehmel in
einer von historischen Kenntnissen scheinbar ungetrübten
Arbeit spricht — „das alte Israel, solange es wirklich noch rein-
rassig war, d. h. längstens bis zur Zeit Salomonis" — , ist eine
ebenso verbreitete wie unhistorische Fabel. Die
Juden sind kein Rassentyp gewesen sondern ge-
worden! Die Abrahamiden der Patriarchenzeit
sind eine babylonische Sekte, die durch Pro-
selytismus undMischehen kanaanitische, ägyptische
und hethitische Elemente in sich aufnahm und sich
folglich aus Vertretern der iranischen, arabischen,
armenischen und ägyptischen Gruppe, also aller
vier Zweige des afrikanisch- asiatischen Teils der
mittelländischen Rasse zusammensetzt.
Was uns der älteste Bericht naiv als die Geschichte einer
Familie von Abraham bis Joseph erzählt, ist in Wahrheit das
Kompendium der 500 jährigen Entwicklungsgeschichte eines
jungen Volkes. Soviel wir aus der Legende herauslesen können,
muß ein Abkömmling dieses Stammes auf abenteuerlichen Wegen
nach Ägypten gekommen und dort zu hohen Ehren empor-
gestiegen sein. Glücksfahrten aus den patriarchalischen Ver-
hältnissen der Kleinstaaten in die großen Kulturzentren am
Euphrat und Nil waren damals ebensowenig etwas Seltenes
wie in unserigen Zeiten solche nach Amerika. Von Semiten, die
an den Höfen der Pharaonen zu Ehren gelangen, besitzen wir
mehrere ägyptische Überlieferungen, von denen eine so auffallend
an die biblische Josephserzählung anklingt, daß nicht wenige Exe-
geten in ihrem Helden den biblischen Joseph zu erblicken meinen.
Aus der Zeit um 1500 wird ein Mann mit dem unzweifelhaft
semitischen Namen Janchamu als Präfekt einer Deltaprovinz
erwähnt; er erhält den Auftrag, Kanaan in einer Epoche der
Hungersnot mit ägyptischem Getreide zu versorgen und treibt
dafür von den kanaanitischen Fürsten und Gemeinden außer
Edelmetallen auch Sklaven und Mägde ein, worüber sich die
Kanaaniter in dem aufgefundenen Schreiben an die ägyptische
Regierung beschweren. Man hat nun kombiniert, Janchamu
sei der biblische Joseph, entstamme, wie sein westsemitischer
Name vermuten lasse, der Sekte der Juden und habe seine
„Brüder" veranlaßt, sich während der Hungersnot in der ägyp^
tischen Grenzprovinz Gosen niederzulassen. Daß kanaanitische
125
Familien, wie es in der Bibel geschildert wird, in Zeiten der
Dürre nach Ägypten reisen, um Getreide zu kaufen, ist viel-
fach verbürgt. Ein ägyptisches Bild, auf dem 12 semitische
Männer vor einem ägyptischen Beamten knien, ist eine so
getreue Darstellung der biblischen Situation, daß man glaubt,
eine Illustration „Joseph und seine Brüder" aus einer alten
Bilderbibel und nicht ein altägyptisches Original vor Augen
zu haben. Auch der Einzug ganzer Stämme war kein un-
gewöhnliches Ereignis. „Wir haben", berichtet ein Präfekt
auf einer Keilschrifturkunde seiner Regierung, „die Beduinen
von Edom (Edomiter, Bruderstamm der späteren Hebräer)
die Merneptah - Festung nach den Teichen des Merneptah
passieren lassen, um sich und ihr Vieh zu ernähren auf dem
großen Weideland Pharaos, der großen Sonne aller Länder."
So mag auch die Sekte der Juden in die Landschaft Gosen
eingezogen sein. Als Grenzprovinz zwischen Delta und Sinai-
halbinsel war Gosen der naturgegebene Ansiedlungsrayon für
palästinensische Zuwanderer. Unter den günstigen Lebens-
bedingungen wachsen sie hier wahrscheinlich im Laufe von
mehreren Jahrhunderten zu einem Stamm heran. Neben der
natürlichen Fruchtbarkeit wird der Zuwachs auf eine starke Li-
filtration mit ägyptischen Elementen zurückzuführen sein. Nach
den Gepflogenheiten der Zeit werden in den höheren Ständen
die legalen Mischehen mit Ägypterinnen ebenso an der Tages-
ordnung gewesen sein — „und Pharao gab Joseph den Namen
Zaphnat-Paneach und gab ihm Asnat, Tochter des Pothiphar,
Priester von On, zur Frau" — wie in den niederen Kreisen Kon-
kubinate mit ägyptischen Mägden und Sklavinnen üblich waren.
Beim Auszug begleitet ein großer Teil dieser ägyptischen Ver-
wandtschaft nebst ihrem sonstigen Anhang die Juden: „Und
es zogen große Haufen ägyptischen Volkes mit ihnen." Hand
in Hand hiermit ging gewiß eine weitgehende kulturelle Assimi-
lation — ganz analog den Verhältnissen im heutigen Europa.
Trägt doch selbst Moses einen durchaus unsemitischen ägyp-
tischen Namen (Moses = ägyptisch Sohn cf. Thutmosis =
Sohn des Thut), so wie die künftigen Historiker die europäische
„Episode" der jüdischen Geschichte etwa an den Namen
Heine oder Herzl registrieren werden. Das mehrhundert-
jährige Zwischenspiel von Gosen ist eine Epoche
der Ägyptisierung des jüdischen Volkes. Wenn diese
trotz der wahrscheinlichen Dauer und Intensität einen so
schwachen Eindruck in dem physiognomischen Bild des spä-
12G
teren Juden hinterlassen hat, so kann man dies vielleicht durch
die Tatsachen erklären, daß erstens die Ägypter selbst eine MiscL-
rasse mit geringer Durchschlagskraft der Erbanlagen waren, und
daß zweitens die in Ägypten gewesenen Juden der Jakob-
familie nur einen Teil des späteren jüdischen Volkes darstellen.
„Und es kam ein Piiarao, der nichts mehr wußte von Jo-
seph"— unter Ramses IL (1348 — 1281) ändert sich die politische
Lage. Allerorten, namentlich auch in den asiatischen Provinzen,
brechen Aufstände gegen Ägypten aus. Man scheint gegen die
in Gosen lebenden Juden mißtrauisch geworden zu sein und
wendet gegen sie ein bis auf den heutigen Tag beliebtes Mittel
politischer ,, Sicherung" an: die Männer werden ausgehoben und
zwangsweise zur Arbeit verwendet. Ägyptische Fresken und
Papyrusbilder, auf denen man semitische Männer unter der
Aufsicht ägyptischer Vögte Ziegelbauten errichten sieht, geben
getreue Illustrationen zu den Schilderungen der Bibel. Die
Zwangsarbeit wurde von den Juden als schwere Heimsuchung
empfunden und hat als solche ihre Wirkung nicht verfehlt. Hier
zum erstenmal bewährte sich, wie später noch so oft in der
Geschichte dieses merkwürdigen Volkes, das Unglück als Segen.
Hier unter den Knuten der ägyptischen Schergen dämmert
in den Seelen der Geknechteten das Bewußtsein, daß man
sie haßte, weil sie anders waren als die andern, und daß sie
um dieses Hasses der anderen willen sich selber mehr und
näher sein müßten. Hier zum ersten Male tönt es trotzig:
Iwri onauchi — ein Hebräer bin ich! In der Fron der ägyp-
tischen Knechtschaft wird unter Stöhnen und Tränen, eine
echte Geburt, das jüdische Nationalbewußtsein, geboren.
Merneptah, der Nachfolger Ramses, zieht gegen die auf-
ständischen Provinzen Syriens und Palästinas zu Felde und
verewigt seinen Sieg in einem „Israel-Stele" benannten Denkmal,
so bezeichnet, weil auf ihm zum erstenmal der Name Israel
schriftlich erwähnt wird: „Der Israelstamm ist ohne Feid-
frucht, und Palästina eine Witwe geworden durch Ägypten."
Diese Urkunde ist für die Rassengeschichte der Juden von
höchster Bedeutung, da sie die Israelstämme zu einer Zeit als
politische Einheit erwähnt, in der sie höchstwahrscheinlich
noch nicht mit den in Gosen lebenden Jakobstämmen vereint
waren. Sie bestätigt die schon längst gehegte Vermutung, daß
das spätere jüdische Volk sich aus zwei verschie-
denen Komponenten zusammensetzt: den inÄgypten
gewesenen Jakobstämraen, den Nachkommen der
babylonischen Terachiden und palästinensischen
Abrahami den, von denen die Patriarch engeschichte
erzählt, und den ausArabien stammenden, imStrom
der kanaanitischen Wanderung nach Norden ge-
triebenen Israelstämmen. Die ursprüngliche Trennung ist
in der biblischen Legende, nach der Jakob erst später auf
göttlichen Befehl den Namen Israel annimmt, und an vielen
anderen Stellen des Schrifttums angedeutet, wie z. B. an dem
berühmten: „Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohn-
sitze, Israel^)!"
Die in Gosen wohnenden Juden benutzen offenbar die
politischen Wirren und entziehen sich der ägyptischen Tyran-
nei, Die Wanderer kommen naturgemäß zuerst auf die
Halbinsel Sinai, die damals dem Kulturbereich der Minäer
angehörte, ein arabisches Volk, dessen Kolonien sich von
Südarabien längs der fruchtbaren Küsten bis zum Sinai er-
streckten. Am Sinai selbst wohnte der minäische Volks-
stamm der Midianiter, zu denen Moses auf seiner Flucht aus
Ägypten dereinst gelangt war. Von den Beziehungen Moses zu
den Midianitern kann man unter Benutzung der biblischen und
talmudischen Anekdoten — die talmudischen Quellen sind oft
ebenso alt, zuweilen noch älter als die biblischen — nach
dem Stil der orientalischen Überlieferung sich etwa folgen-
des Bild malen : Moses war — wie sein ägyptischer Name ver-
rät — ein in ägyptischem Wesen erzogener Jude, der eine
höhere Staatsstelle bekleidete, sich irgendwie, vielleicht als
Fürsprech seines unterdrückten Volkes, mißliebig gemacht
hatte und daher mit dem Plan, dereinst sein Volk zu befreien,
zu den Midianitern floh. Hier „hütete er die Schafe seines
Schwiegervaters Jethro, der ein midianitischer Priester war,
am Berge Horeb", d. h. bei midianitischen Priestern lernte
Moses offenbar den Jahwekult des Sinaiberges kennen, beschloß,
ihn bei seinen Stammesbrüdern einzuführen und arbeitete
dort das mosaische Gesetz in seinen Grundformen aus. Von
Moses dann zum Sinai geführt, kamen die Juden mit den
1) Durch die Hypothese eines zweiwurzeligen Ursprunges der Juden
«rklären sich auch vielfache Dualismen der biblischen Überlieferung, z. B.
4ie Zusammensetzung der biblischen Schöpfung aus zwei getrennten Be-
richten, von denen der erste die Welt aus dem Wasser entstehen läßt
{Hindeutung auf Euphrat-Tigris, Babylon), während der zweite, die
Schaffung des Gartens Eden in der regenlosen Wüste — „und noch hatte
es Gott nicht regnen lassen über der Erde . . . und er pflanzte einen
Garten . . ." — ganz offenbar der Wüste und Wüsten Völkern entstammt.
128
Midianitern und anderen arabischen Stämmen, den Kenitern
und Amalekitern, später den Edomitern, Moabitern und Am-
monitern in Berührung und vermischten sich mit ihnen. „Du
sollst den Edomiter nicht verabscheuen, denn er ist dein
Bruder; du sollst den Ägypter nicht verabscheuen, denn ein
Fremdling warst du in seinem Lande. Kinder, die ihnen ge-
boren werden, dürfen aufgenommen werden in den Bund des
Ewigen nach dem dritten Geschlecht." Alle diese Stämme
waren Beduinen der arabischen Hochfläche. Nach der Epoche
der Ägyptisierung folgt auf der Halbinsel Sinai
eine Periode der Arabisierung der Juden.
Die Dauer des Sinai-Aufenthaltes und der Weiterwanderung
bis zur Grenze Kanaans, die in der Bibel als ,,Zug der Kinder
Israel durch die Wüste" geschildert werden, ist auf etwa 100
bis 150 Jahre zu veranschlagen, über die wir keine näheren
Nachrichten besitzen. Dagegen sind wir über die zeitgenös-
sischen Zustände in Kanaan selber vortreffhch unterrichtet, und
zwar durch den Fund des Staatsarchives zu Tel-el-Amarna aus dem
Jahre 1450 v. Chr., das auf über 300 Tontafeln die diplomatische
Korrespondenz zwischen den kanaanitischen Vasallenfürsten
Palästinas und der ägyptischen Regierung enthält. Die Tel-el-
Amarna -Briefe sind über den Rahmen des Lokalinteresses
hinaus besonders interessant als Dokumente für die tonan-
gebende Stellung Babylons in der gesamten damaligen Kultur-
v»'elt. Diese Briefe sind nämlich sämtlich, obwohl sie zwischen
ägyptischen Beamten, kanaanitischen und hethi tischen Fürsten
auf der einen und der ägyptischen Regierung auf der andern
Seite gewechselt werden, in Babylonisch und zwar in einem
z. T. so fehlerhaften Küchenbabylonisch verfaßt, daß die
heutigen Assyriologen oft Mühe haben, die Texte zu entziffern.
Ein hethitischer Kanzlist, der das offizielle Babylonisch über-
haupt nicht beherrscht, setzt einfach mit Hilfe eines Lexikons
die babylonischen Wörter in ihren Grundformen nebenein-
ander. In Ägypten wieder kritzeln die Lektoren die Über-
setzung der schwierigen Stellen, wie wir es mit Cäsar und
Cicero in der Schule getan, über den Text, um ihren Herren die
Briefe fließend übersetzen zu können. Das Babylonisch spielte
eben in der Kulturwelt der damaligen Zeit dieselbe Rolle wie in
Europa im Mittelalter das Latein und im Rokoko das Französisch.
Die geschilderten Zustände im damaligen Palästina erinnern
^n die Zeit der Renaissance. Das Land ist in Dutzende von
Fürstentümern und Stadtstaaten aufgeteilt, die in dauernden
» Kahn, Die Joden. 129
Fehden miteinander liegen und sich — wie die RepubhkeD
Italiens an den Papst und die Duodezfürsten Deutschlands an
den Kaiser — in immer wiederholten Bitt- und Klagebriefen
an den König von Ägypten wenden, mit dem stereotypen
Vermerk, daß alle Nachbarfürsten treulose Verräter, sie aber
allein ihres allergnädigsten Königs einzigst und allertiefst ge-
horsamste Diener seien.
Die Fürsten Kanaans stützen ihre Macht auf befestigte
Städte mit Türmen, Mauern und Wasseranlagen, deren eine
der berühmte, auch in der Bibel erwähnte „Ofen von Geser"
ist, ein 43 Meter unter der Erde laufender Wassertunnel, der die
Festung Geser mit einer unterirdischen Quelle verbindet. Die bei
den neueren Ausgrabungen auf palästinensischem Boden zu
Tage geförderten Mauern von Meggiddo, die große Kultanlage
von Geser, der heihge Platz von Petra und die Burg vonTaanach
sind kanaanitische Denkmäler der Tel-el-Amarna-Zeit. Handel
und Wandel, freilich auch Krieg und Räuberwesen blühten in
diesem Lande, das sich vornehmlich von Ackerbau und Vieh-
zucht, Obst- und Weinkultur, Holz- und Steinexport und last
not least Plünderung der nach den phönizischen Häfen durch-
ziehenden babylonischen und ägyptischen Karawanen nährte.
Unter den Tel-el-Amarna-Briefen befindet sich ein Schrei-
ben des kanaanitischen Stadtkönigs Abdichiba von Urusalim^
dem vorisraelitischen Jerusalem, das also keine jüdische, sondern
eine kanaanitische Gründung ist, an den König von Ägypten.
„Zu Füßen meines Herrn, des Königs, falle ich, sieben und
siebenmal usw. ..." Er beklagt sich, daß er beim König von
seinen Widersachern verleumdet werde. „Warum verleumdet
man mich ? So wahr der König lebt, einzig weil ich den Beamten
des Königs sage : warum bevorzugt ihr die Habiri und benach-
teiligt die eingesessenen Lehensfürsten (wie er einer ist)? Sie
verleumden mich, weil ich ihnen sage: ihr richtet das Gebiet
meines Königs zugrunde ... Es sorge der König für sein Land,
denn das ganze Land fällt ab vom König . . . das ganze Land
meines Königs geht zugrunde, wenn mein König nicht auf
mich hört. Auch die Lehensfürsten werden abfallen, daher
sende mein König Truppen . . . denn die Habiri verwüsten
das Land meines Königs . . . und wenn kein Militär kommt,
so geht das Land meinem König verloren." Abdichiba von
Jerusalem hat recht behalten. Die Habiri haben das Land
verwüstet, und Kanaan ging dem ägyptischen König verloren.
Die Habiri sind nämlich keine anderen als die Hebräer.
130
Habiri bedeutet aber in der Sprache jener Zeit nicht speziell
die Israeliten oder Juden, sondern überhaupt die aus der ara-
bischen Steppe andringenden Nomaden im Gegensatz zur
ansässigen Landesbevölkerung. Es entspricht dem griechischen
„Barbaren", dem römischen „Germanen", dem mittelalter-
lichen „Hunnen" oder „Normannen", dem heutigen „Be-
duinen". Hebräer ist der Oberbegriff zu Juden. Die
Juden sind Hebräer; aber nicht alle Hebräer sind
Juden. Zu den Hebräern gehören außer den späteren Juden
die Edomiter, Ammoniter, Amalekiter, Moabiter, Ismaeliter,
Midianiter usw. Wie ernst schon damals — 200 Jahre vor dem
Eintreffen der aus Ägypten ziehenden Jakobstämme — die
Hebräergefahr war, erhellt aus dem Briefe eines anderen
kanaanitischen Vasallen, der über seine Nebenbuhler nach
Ägypten berichtet: ,,Namjazau hat alle Städte des Königs im
Lande Kadesch und im Lande Übe den Habiri überantwortet.
Aber ich werde hinmarschieren, und wenn vor mir herziehen
deine Götter und deine Sonne, dann will ich zurückbringen
die Orte von den Habiri an meinen König, um mich ihm Unter-
tan zu zeigen. Verjagen werde ich diese Habiri und freuen wird
sich der König über seinen Knecht Itakama."
In den Tel-el-Amarna-Briefen verrät sich schon deutlich die
politische Schwäche Ägyptens. Alle drei großen Kulturstaaten
Vorderasiens, Babylon, Ägypten und das Hethiterreich, befinden
sich in diesen Jahrhunderten in einem rapiden Verfall. Es
herrscht, wie ein Historiker sich ausdrückt, eine Art Windstille
in der großen Weltgeschichte. Die Ohnmacht Ägyptens
benutzen die an den Grenzen Kanaans sich stauen-
den Hebräerstämme, unter denen sich die Israel-
stämme befinden und denen die Jakobstämme aus
Ägypten nachfolgen, zu ihrem Einfall in das durch
Parteigezänk der Fürsten zerrissene Land der
Kanaaniter.
Keinesfalls darf man sich den Einzug in Kanaan als die
militärisch organisierte Invasion eines geschlossenen Volkes vor-
stellen. Das Volk Davids und Salomos existiert noch nicht.
Lose Stämme wie die gentes germanicae der römischen
Geschichte, nicht mehr als jene durch Rasse und Zufalls-
schicksal verbunden, brechen in die palästinensische Kultur-
ebene ein. Zwischen dem ersten Angriff und dem Endkampf um
d.en Besitz des verhältnismäßig sehr bescheidenen Landes
liegen nicht weniger als drei Jahrhunderte. Von den späteren
«' 131
Reichsstämmen — die Zwölfzahl ist wieder eine astral-mytho-
logische Stilisierung, es scheinen fünf gewesen zu sein — kom-
men die Israelstämme von Osten über den Jordan, setzen sich
etwa 150 Jahre vor den Jakobstämmen fest und sind diesen
dalicr im Kulturalter voraus — nicht, wie Chamberlain dar-
zustellen sucht, in der Befähigung! Die aus Ägypten kommen-
den drei Südstämme Simeon, Levi und Juda (dazu Kaleb, Kain
und Jerachmeel) rücken von Süden ein, so daß das nördliche
Israel und das südliche Juda bis zur vollständigen Eroberung
des Landes durch dazwischen gelegenes kanaanitisches Gebiet
getrennt waren. Nach Wellhausens Geschichtskonstruktion
scheinen die drei Südstämme einen großen Einheitsangriff gegen
die Kanaaniter-Ebene Jezreel unternommen zu haben, der mit
einer völligen Niederlage und der Aufreibung der Stämme Simeon
und Levi endet, während der Stamm Juda sich wenigstens im Ge-
birge zu behaupten vermag. Von hier wiederholt er nach einigen
Jahrzehnten unter der Führung des Herzogs Josua den Angriff
auf die wirtschaftlich so wertvolle Ebene und erringt durch den
Sieg bei Gibeon die Herrschaft über das mittelpalästinensische
Gebiet. Aber nur die ungeschützte Flur fällt in die Hände der
Eroberer. Die befestigten Städte, und mit ihnen die Knoten-
punkte des Verkehrs und Handels, blieben im Besitz der Kana-
aniter, die sich nach einigen Jahrzehnten unter der Führung
eines kanaanitischen Gaufürsten Sisera gegen die Fremdherr-
schaft erheben. Der Sieg über die kulturjüngeren und politisch
nur lose verbundenen Eindringlinge scheint ihnen sicher. Aber
begeistert durch die tyrtäischen Gesänge der Heldin Debf>rah,
einigen sich die hebräischen Stämme und schlagen die Städte-
bewohner in der großen Kanaaniterschlacht, die das Deborahlied,
die älteste uns original überkommene Urkunde der hebräischen
Literatur, besingt. Aber auch nach diesem Sieg blieben die kana-
anitischen Festungen, „deren Mauern durch Tore verriegelt
waren, und deren Zinnen bis in den Himmel ragten", von den
kulturschwächeren Angreifern unbezwungen. „Und nicht nahm
Manasse in Besitz Beth-Saon und seine Tochterstädte und
Taanach und seine Tochterstädte und die Bewohner von Dor
und seine Tochterstädte und die Bewohner von Jibleam und
seine Tochterstädte und die Bewohner von Meggiddo und seine
Tochterstädte, und die Kanaaniter setzten es durch, daß sie im
Lande blieben. Und es geschah, als Israel erstarkte, da machte es
sich die Kanaaniter zinsbar, aber auszutreiben vermochte es
sie nicht."
132
Durch den Besitz der festen Plätze und Verkehrsstraßen
blieben die Kanaaniter die Herren des palästinensischen Durch-
gangshandels zwischen dem babylonischen Hinterland und den
phönizischen Küstenstädten. Sie waren im Gegensatz zum
jüdischen Landbewohner die Kaufleute in dem sich bildenden
neuen Staatsverband, so daß das Wort Kanaaniter gleichbe-
deutend wurde mit unserem heutigen Großstädter. Die Juden
sind nicht, wie die moderne Kritik in ihrer europäischen Kurz-
sichtigkeit wähnt und der Welt zu beweisen sucht, aus
Rassenanlage „geborene Kaufleute" und darum dem Acker-
bau abgeneigt, sondern waren in den vorexilischen Zeiten aus-
schließlich Herdenbesitzer und Bauern und verachteten als
solche den kanaanitischen Geschäftsmann genau so wie die
deutschen Bauern des Mittelalters den „Handelsjuden" der
Städte. „Übe Barmherzigkeit und Recht und vertraue auf
Gott" ruft Hosea. „Was aber tut Jakob ? Er macht es wie der
Kanaaniter, in dessen Hand die falsche Wage ist, die den
Fremden zu übervorteilen sucht." Noch der Talmud warnt
vor Handel und empfiehlt die Landarbeit. Ebenso wie das
Nomadenleben keine Rasseneigentümlichkeit ist,
wie die Theoretiker den Juden anzudichten trachten, um
sie zu Weltzigeunern zu degradieren, sondern eine Kultur-
stufe, die die Juden ebenso wie die Griechen, Germanen oder
Chinesen durchlaufen, so ist auch die Wendung zum
Handel keine Rasseneigentümlichkeit, sondern
ein Kulturstadium. Im vorexilischen Palästina waren
die Juden als die Kulturjüngeren die Bauern und die Kana-
aniter als die Kulturälteren die Städter und Kaufleute; im
Mittelalter sind die des Schreibens, Rechnens und der Spra-
chen einzig kundigen Juden die Händler Europas und die
Europäer die Bauern und Handwerker. Mit steigender Kultur
haben die Europäer die agrarische Wirtschaftsform verlassen
und sich den städtischen, kaufmännischen und industriellen
Gewerben zugewendet. Der „ehrlose Handel" mit Geld, einst
das Stigma der Juden und bei 7 — 10% Zinsforderung — unter
mittelalterlichen Sicherheitsverhältnissen! — als Wucher ge-
brandmarkt, ist unter den klingenden Namen Kredit- und
Aktienwesen mit Dividenden von 30 und 40% als „Finanz-
wirtschaft" das vornehmste Metier der arischen Welt geworden.
Die Eroberung der festen Plätze vollzog sich ganz allmählick
im Laufe von Jahrhunderten. Josua erobert Jericho, Abi-
melech Sichem, David Jerusalem, Salomo Geser. Aber auch
133
diese Eroberung der Städte führte nicht zur Ausrottung oder
Vertreibung der kanaanitischen Bevölkerung. Selbst in dem
zur Hauptstadt erhobenen Jerusalem blieben die Kanaaniter
als Grundbevölkerung wohnen. „Die Jebusiter (Jebus ein
alter Name für die Festung Jerusalem) wohnten zu Jeru-
salem, und die Kinder Judas konnten sie nicht vertreiben;
also blieben die Kinder Judas zu Jerusalem mit den Jebusitern
bis auf diesen Tag." Voll Haß ruft noch der Prophet Ezechiel
der Stadt Jerusalem zu: „Von Ursprung und Geburt bist du
eine Kanaaniterin ; dein Vater war ein Amoriter, deine Mutter eine
Hethiterin!" David muß die Tenne, auf der er den Tempel er-
richtet, von einem Kanaaniter kaufen. Die autochthone Be-
völkerung wird, genau wie es aus der griechischen ganz analogen
Kolonisationsgeschichte bekannt ist , erst zu Heloten völlig
entrechtet, dann zu halbentrechteten Periöken, schließlich zu
dreiviertelberechtigten Metöken erhoben und so allmählich von
der Herrenschicht aufgesogen. Begünstigt wurde dieser Assimi-
lationsprozeß durch die ungehemmten Mischehen. ,,Also
wohnten die Kinder Israels inmitten der Kanaaniter, Hethiter
und Amoriter und Perisiter und Chiviter und Jebusiter und
nahmen ihre Töchter sich zu Weibern und ihre Töchter gaben
sie deren Söhnen, und dienten ihren Göttern, und sie taten
das Böse in den Augen des Ewigen, vergaßen ihn und bauten
Altäre dem Baal und der Astarte." Über das Verhalten der
Sieger zur Landesbevölkerung gab es besondere Bestimmungen.
„Wenn du dich einer Stadt näherst, sie zu bekriegen, so fordere
sie zur Unterwerfung auf. Wenn sie diese annimmt und sich
dir öffnet, so soll das ganze Volk, das darin vorhanden, dir
zinsbar sein und dir dienen. Wenn sie aber nicht Frieden mit
dir schließt, sondern dir Krieg ansagt, so sollst du sie belagern.
Und wenn der Herr dein Gott sie in deine Hände gibt, so sollst
du erschlagen mit der Schärfe des Schwertes alle ihre Männer.
Nur die Weiber und Kinder und das Vieh und alles, was in der
Stadt ist, nimm als Beute für dich; und verzehre die Beute
deiner Feinde, auf daß sie euch nicht lehren, all ihre Greuel
zu tun, die sie für ihre Götter getan, und ihr euch nicht ver-
sündigt gegen den Ewigen euren Gott."
Ob diese — sechs Jahrhunderte später fixierten — Maß-
nahmen wirklich in dieser schonungslosen Grausamkeit durch-
geführt wurden, erscheint nach dem Urteil vieler Kritiker als
zweifelhaft. Sie erblicken vielmehr in diesen Befehlen zu radi-
kaler Ausrottung tendenziöse Nachträge, die das ehrwürdige
134
Alter der göttlichen Inzuchtsgesetze, ihre strenge Befolgung und'
die weit zurückreichende Rassenreinheit der Juden vor dem
Volk darlegen und die wirklich vielfach durchgeführte Rassen-
mischung mit den Kanaanitern verdecken wollen. Sollten sie
aber wirklich „mit der Schärfe des Schwertes" durchgeführt
sein, so sind sie auch dann nicht, wie Friedrich Delitzsch in
seinem jüngst erschienenen Pamphlet „Die große Täuschung"
•darzulegen sucht, Schandtaten „raubender und mordender No-
raaden", die „sittlich auf einer tiefen Stufe stehen", und in ihrer
„grausigen Monotonie" „weder vor Menschen noch viel weniger
vor Gott Rechtfertigung finden", sondern sind nichts anderes
als die von allen Völkern, von den Griechen, Römern, Goten,
Vandalen, den Arabern, Spaniern, Engländern durchgeführten
Methoden der Eroberungspolitik, durch die junge Völker sich
ihren Platz im Kreis der bestehenden Zivilisationen erobern,
erobern müssen. Delitzsch ist so ungemein stolz auf seine
„christliche Kultur". Haben die Kreuzfahrer, die ins Gelobte
Land zogen, nicht „in grausiger Monotonie" als „raubende und
mordende Nomaden" in jeder Stadt, wohin sie kamen, die
„Heiden" niedergemetzelt? Und als sie unter Führung des
„edlen Gottfried von Bouillon" die heihge Stadt eroberten,
begnügten sie sich nicht mit der Niedermetzelung der Türken,
sondern sperrten die harmlose kleine Judengemeinde in ihren
Tempel und zündeten ihn an, und während drinnen die ver-
brennenden Menschen, Frauen und Kinder, schrien, sangen
draußen die edlen Ritter, die nach Tassos Heldensang von
christlichen Tugenden geradezu triefen, zu „Ehren Christi"
Halleluja. Und glaubt Herr Delitzsch, der ein so ungemein
treu ergebener Anhänger des Wilhelminischen Regimes gewesen
ist, daß alle militärischen Maßnahmen der Kriegszeit — etwa
die Aushungerung Deutschlands auf der einen, der U-Bootkrieg
auf der anderen Seite, die Feiertagsbeschießungen besetzter Kir-
chen, die Bombenwürfe auf Waisenhäuser usw. — „vor Menschen
und nun gar vor Gott Rechtfertigung finden"? Die Brutalität
der altisraelitischen Kriegführung wird von jenen vitalen Not-
wendigkeiten der Stunde diktiert, die wie ein schicksalhafter
Zwang jedes kriegführende Volk zum Einsatz aller ihm zu
Gebote stehenden Mittel drängen. Obendrein aber wird in
diesem besonderen Falle die „grausige Monotonie" der Krieg-
führung durch das sittliche Motiv entschuldigt, daß man hoffte,
durch Ausrottung der Fremden, allem Götzendienst der Welt
Äum Trotz, die Reinheit des jung begründeten Monotheismus zu
135
retten. Und wie Regenbögen über Gewittergewölk strahlen über
diesen dunklen Forderungen der Notwendigkeit andererseits
wieder Maximen einer Humanität, die in der ganzen Antike
ohne Beispiel sind und als ewige Dokumente der Menschlichkeit
om Ätherhimmel der Ethik glänzen. „Wenn du ausziehst zum
Kriege gegen deine Feinde, und der Ewige dein Gott gibt sie
dir in deine Hand, und du machst Gefangene, und du siehst
unter ihnen ein Weib, schön von Gestalt, und begehrst sie, und
willst sie dir zum Weibe nehmen, so soll sie, nachdem du sie in
dein Haus gebracht, ihr Haupthaar scheren und ihre Nägel
schneiden und das Gewand ablegen, darin sie gefangen wurde,
und in deinem Hause bleiben, um ihren Vater und ihre Mutter
zu beweinen einen Monat lang; dann erst sollst du ihr nahen
und ihr beiwohnen, daß sie dein Weib sei. Wenn du aber nicht
mehr Gefallen findest an ihr, so sollst du sie entlassen, wohin
sie immer will; aber um Geld verkaufen sollst du sie nicht.
Du sollst nicht ein Weib als Sklavin behandeln, an der du einmal
dein Gefallen gefunden." Daß die Mischehe sowohl mit der
kanaanitischen Urbevölkerung wie mit der ägyptischen und
hethitischen Beamtenschaft bis in die höchsten Kreise hinauf
die durchaus legale Form der Heirat war, beweist ein flüchtiger
Blick auf die Genealogien der Zeit. Abimelech, der Eroberer
Sichems, ist der Sohn des nach dem kanaanitischen Landesgott
benannten Jerubaal aus dem Stamm Manasse und einer kana-
anitischen Patrizierin aus Sichem. Jephta, der Besieger der
Ammoniter, ist der Sohn Gileads und einer Kanaaniterin ;
Simson heiratet ein Phihstermädchen aus Timnatah, David, der
Enkel der Moabiterin Ruth, heiratet Makka, die Tochter des
Königs von Gessur und später das Weib des Hethiters Uria; der
Sprößling dieser Ehe ist Salomo, der wiederum eine konventio-
nelle Ehe mit einer ägyptischen Prinzessin eingeht; außerdem
aber „liebte er viele ausländische Weiber neben der Tochter
Pharaos, Moabiterinnen, Ammoniterinnen, Edomiterinnen,
Hethiterinnen und solche aus Sidon; von jenen Völkern, von
denen der Ewige gesprochen hatte zu den Kindern Israels l
ihr sollt nicht kommen unter sie, und sie sollen nicht kommen
unter euch, denn gewißlich werden sie eure Herzen zu den
fremden Göttern wenden. An diesen hing Salomo und liebte
sie." König Ahab heiratet die sidonische Prinzessin Isebel,
die Tochter eines ehemaligen Baalpriesters, und baut ihr zu
Ehren in der Hauptstadt von Israel, Samaria, einen BaaltempeL
Durch diese Mischehen geht im Laufe der Jahr-
136
hunderte die gesamte kanaanitische Urbevölke-
rung in das Judentum ein, so daß das Jüdische Volk,
das sich um dasjahr 1000 v.Chr. unter der Herrschaft
Davids und Salomos zu einer nationalen Einheit
konsolidiert, aus drei großen ethnischen Komplexen
zusammensetzt: 1. den aus Ägypten ausgewan-
derten Jakobstämmen, die aus den babylonischen
Terachiden und Abrahamiden hervorgegangen
sind ; 2. den aus Arabien gekommenen Israelstäm-
men, die anthropologisch Beduinen waren, und
3. den Kanaanitern, die eine ältere Kulturschicht
arabischer Semiten, vermischt mit babylonischen,
ägyptischen und hethitischen Kulturträgern, dar-
stellten. Wirklich fremde Rassenelemente wurden
folglich den Juden durch ihre Vermischung mit
den Kanaanitern gar nicht zugeführt. Der schroffe
Gegensatz, in den Gesetz und Tradition die Ka-
naaniter zu den Juden stellen, ist nicht auf
rassenbiologische, sondern nationalpolitische und
religiöse Tendenzen zurückzuführen.
Das Davidische Reich setzt sich also, ähnhch dem deutschen,
aus verschiedenen Stämmen und Staaten zusammen, und zwar
aus dem Nordreich Israel, den Israeliten, die rassengeschichtlich
Beduinen, Hebräer von der arabischen Hochfläche sind, und dem
Südreich Juda, den Juden, rassengeschichtlich in ihrer Kernmasse
Babylonier, die zahlreiche kanaanitische, hethitische, ägyp-
tische und beduinische Elemente in sich aufgenommen haben.
Die politische Einigung beider Reiche ist in Wahrheit nur eine
kurze und äußerliche. Auch die Mischung durch Ehen ist,
sowohl nach Zahl wie rassenbiologischer Bedeutung, nicht hoch
anzuschlagen — namentlich für die Geschichte der Juden, da
Mischehen zwar den Israeliten, nicht aber den Juden fremd-
rassige Elemente zuführten, sondern nur die auf der Sinaihalb-
insel begonnene Arabisierung des jüdischen Volkes fortsetzten
und zu Ende führten.
Uas Jahr 1000 v. Chr. bedeutet für die Geschichte der
weißen Rasse ein Kapitel-Ende; die Historie schlägt ein neues
Blatt im Buch der Menschheit auf, und an Stelle des semi-
tischen Porträts leuchtet uns ein neuer Kopf entgegen: der
„Arier". Die große kanaanitische Völkerflut von Ost nach West
ist im Verebben; und nun rollt als Gegenwelle von West nach
137
Ost die gewaltige Woge nordischer Völker daher. Wie Samum-
stürme über die Wüste fegen in diesen Jahrhunderten aus Zentral-
asien und Südrußland über Vorderasien, Pontus und die Krim,
über den Balkan und die Ägeis die nimmer enden wollenden
Scharen arischer Reitervölker, Kimmerier, Skythen, Sarmaten,
mit Pfeil und Bogen bewaffnet, Weib und Kind und geplündertes
Gut auf riesigen Ochsenkarren hinter sich ziehend. In ihrer großen
al-frcsco-Manier der Sprache malen die jüdischen Propheten das
schaurig-schöne Bild dieser hinfegenden Heere, in denen sie
die gottgosandte Geißel für Babylon und Assur erblicken.
Nirgends in der Weltliteratur haben die Wanderarier Maler
von gleicher Glut der Farbe und Kraft des Striches gefunden
wie in den jüdischen Propheten. „Ein Panier", singt Jesaia,
„läßt der Ewige daherwehen von den Enden der Erde, und
sielic, in eilender Schnelle kommt es daher, kein Müder noch
Strnnrhclndcr ist in ihm, von ihnen geht auf der Gurt seiner
Lenden oder der Riemen seiner Schuhe; geschärft sind seine
Pfeile und seine Bögen gespannt allesamt! Wie Kiesel stieben
die Hufe seiner Rosse und seine Räder wie die Windsbraut,
sein Brüllen ist wie das Schreien der Löwin, und seine Jungen,
wie junge Löwen brüllen sie. Mit grimmer Klaue faßt es seine
Beute, und was es gepackt, errettet sich nimmer." Ebenso
plastisch -dramatisch werden sie von Habakuk beschrieben:
„Denn fürwahr, ich lasse erstehen das grimmige und schnelle
Volk, das die Breiten der Erde durchschweift, um fremde
Sitze zu erobern, schrecklich und furchtbar ist es, kein Recht
des Anderen achtet es; sich selber gibt es sein Gesetz. Seine
Rosse sind schneller als Panther und kühner als Wölfe am
Abend. Seine Reiter sprengen daher, Adlern gleich jagen sie,
die ihre Opfer verfolgen ..."
Als eine der frühesten Wellen dieser indogermanischen Über-
schwemmung, der 1180 v. Chr. als erstes der asiatischen Reiche
der nördlich gelegene Hethiterstaat zum Opfer fällt, landen
kurz vor 1200 als eines der sogenannten „Seevölker" die Phi-
lister an den syrischen Küsten. Als Heimatland der Philister,
ägyptisch PuHsati, hebräisch PeHschtim, wird Kaphtor genannt,
worin die Gelehrten Kreta vermuten. Danach wären die Phi-
lister, wofür auch die zwar äußerst spärlichen und noch durch-
aus nicht einwandfrei rekognoszierten Kulturreste sprechen,
als Arier des ägeisch-mykenischen Kreises zu betrachten. Von
den Ägyptern zurückgeschlagen, gründen sie an der phöni-
zischen Küste das Phihsterreich der fünf Städte Gaza, Askalon,
138
Asdod, Gath und Ekron. Von hier suchen sie das Hinterland
zu gewinnen und geraten dadurch mit den Hebräerstämmen,
die um eben diese Zeit aus entgegengesetzter Richtung von der
Wüste her die kostbare Ebene erstreben, in Konflikt. Es ent-
spinnen sich nun zwischen den Hebräern und Philistern — um
den Besitz des von den Kanaanitern kultivierten Landes! —
jene erbitterten Kriege, in deren Feuer die jungen Stämme zu-
sammengeschmiedet, mit deren Blut der heilige Bund besiegelt
wird. Zuerst waren die mihtärisch trefflich gerüsteten, in Panzer
und Streitwagen daherziehenden Philister den unerfahrenen
Steppenwanderern weit überlegen. Bis tief ins Hinterland
unterwerfen sie die eben ansässig Gewordenen und herrschen
75 Jahre über Israel. Selbst die heilige Lade fällt in einer
unglücklichen Schlacht in die Hand der Feinde. Unter Saul
beginnt dann die große Erhebung. Er versteht es, die Nord-
stämme zum Reich Israel zu vereinigen, fällt aber selbst mit
Jonathan, der seine Heldenlaufbahn mit der Erschlagung des
Phihstervogtes von Gibea begonnen hatte, in der unglücklichen
Schlacht am Berge Gilboa. Nun übernimmt der Fürst des Süd-
staates Juda, David, der ursprünglich als Fürst von Kaleb ebenfalls
ein Vasall der Philister gewesen, die Führung, erringt durch
seine militärischen Erfolge die Hegemonie unter den hebräischen
Stämmen und vereinigt nun Nord- und Südstaaten unter der
Führung Judas zu dem Davidischen Einheitsreich Israel- Juda.
In diesen und den folgenden Zeiten findet zwischen Juden
und Philistern eine ausgiebige Rassenmischung statt. Schon
in den mehrhundertjährigen Kriegen sind sicher zahllose Kriegs-
gefangene als Sklaven und Sklavinnen in die jüdische Gemein-
schaft aufgenommen worden. David hielt sich, genau wie es
später die Römer bei ihren Kämpfen gegen die Germanen
taten, philistäische Kerntruppen, „Krethi und Plethi", um dem
überlegeneren Gegner ebenbürtige, auf seine Kampfmethoden
«ingeübte Krieger entgegenzustellen und seine eigenen Truppen
mit der fremden Kampfesweise vertraut zu machen, so wie
ihrerseits die Philister sich hebräischer Söldner bedienten. Als
sich schließlich der Kampf in einer Art Remis dahin entschied,
daß die Juden auf das Binnenland, die PhiHster auf den Küsten-
strich beschränkt blieben, begannen die friedlichen Beziehungen
und mit ihnen die Mischehen im großen Maßstab. Als Nehemia,
600 Jahre nach den Philistersiegen Sauls und Davids, im Jahre
424 die nachexilische jüdische Kolonie in Palästina besucht,
sah er „in selbigen Tagen Jehudim, die heimgeführt hatten
139
Weiber von Asdod (Philisterland), Ammon und Moab, deren
lünder zum Teil asdodisch oder die Sprache eines anderen
Stammes redeten" — über ein halbes Jahrtausend also währte
der Zufluß phihstäischer Elemente. Bedenkt man, daß die
Zahl der von Esra vorgefundenen Juden sich auf allerhöchstens
einige Hunderttausend belief — 60 000 waren ja nur aus Baby-
lon zurückgewandert — , so erscheint diese Mischung gerade
in diesen kritischen Zeiten der Regeneration für die spätere
Rassenkomplexion der Juden ganz besonders folgenschwer.
Durch die Philister ist vermutlich das nordische
Element — Blondheit, Blauäugigkeit, hoher Wuchs — in
den Rassenkomplex des jüdischen Volkes getreten.
Zwar sind die Philister nicht die einzige Quelle „germanischen""
Blutes geblieben; aber durch die Frühgeschichtlichkeit, die
Dauer des Zustromes, die Geringzahl der Juden und die Gegen-
sätzlichkeit des Rassencharakters hat die Mischung mit den Phi-
listern mehr als jede andere sich tief und unauslöschlich in die
Rassenphysiognomie der Juden eingegraben. Auf sie ist
wohl in erster Linie der noch heute unter den Juden
so auffallende germanische Einschlag (etwa 10% der
jüdischen Rassenmerkmale) zurückzuführen.
JJie große Windstille um das Jahr 1000 v. Chr., die die kleinen
Vögel auf den Zweigen dazu benutzt hatten auch einmal zu
zwitschern, war nur die Pause zwischen zwei Stürmen gewesen.
Bald fegten von neuem in Blitz und Donner die Ungewitter
der Geschichte über Vorderasien und knickten alle jungen
Reiser und Blüten. Auch Israel und Juda sanken zu Boden.
Mit seinem alles zerstampfenden Gigantenfuß zertrat das ge-
fräßige Ungetüm Babel auch „Jakob, den Wurm im Staube".
734 besetzt Tiglat-Pileser das flache Land des Nordreiches Israel
und deportiert die Hauptmasse seiner Bevölkerung ; 721 zerstört
Sargon II. die widerspenstige Hauptstadt des Nordreichs Sa-
maria und entführt 27 280 Edle in eine ferne assyrische Provinz.
An ihrer Stelle werden Rebellen aus einem entgegengesetzten
Teil des babylonischen Reiches in Samaria angesiedelt. Dieses^
ist das Ende des Reiches Israel und der Untergang der „Zehn
Stämme". Die deportierten Israeliten sind verschwunden, wie
fast alle Völker des orientalischen Altertums untergegangen
in dem Strudel der Geschichte. Man hat nach ihnen in allen.
Weltteilen gefahndet. Wozu? Kann man nach Tinte fischen^
die in einen Bach geflossen?
140
Ein Rest von Besitzlosen und Versprengten, die des Weg-
führens nicht wert erschienen, blieb zurück. Aus ihnen gingen
durch Mischung mit den angesiedelten babylonischen Straf-
kolonisten die Samaritaner hervor, die sich, als unbedeu-
tende Kolonie von den Eroberern verschont, durch allen
Wechsel der Geschichte bis auf den heutigen Tag gleich einem
Eiland in dem brandenden Meer der Völker erhalten haben.
Durch Religionsgesetze abgeschlossen und auf Inzucht an-
gewiesen, sind sie heute, ähnlich den aussterbenden Indianern
in Amerika, auf einige spärliche Reste, etwa 150 Individuen,
zusammengeschmolzen. Die Anthropologen haben diesen fos-
silen Rest des alten Israel begreiflicherweise mit besonderem
Interesse untersucht und festgestellt, daß die Samaritaner mit
dem Typus des modernen Juden in den wesentlichsten Punkten
vollkommen übereinstimmen. Nur in zweien weichen sie ab.
Sie sind erstens größer, woraus man schließen kann, daß das
heutige Mindermaß der Juden auf die Ghetto-Degeneration
und nicht auf eine Rasseneigentümlichkeit zurückzuführen ist;
zweitens sind sie ausgesprochen langköpfig, woraus sich folgern
läßt, daß die Juden damals, wie die heutigen Araber und die
alten Germanen, eine langschädelige Rasse repräsentierten, die
mit der Intensität der Kultur und namentlich der geistigen
Betätigung sich allmählich zu einer rundköpfigen umgewandelt
hat, wie sich dies bei allen modernen Kulturvölkern der Neuzeit
als einheitlich biologisches Gesetz zu vollziehen scheint.
Durch den Untergang der 10 Stämme ist vom
einstigen israelitisch- jüdischen Volk einzig der
Stamm Juda (nebst einem Teil vom Stamme Benjamin)
übrig geblieben. Die heutigen Juden sind keine „Israeliten",
sondern die Nachkommen dieses einen Stammes Juda, der im
Gegensatz zu den Israeliten, die wie die Ammoniter und Edo-
miter Habiri = Hebräer der arabischen Hochfläche gewesen,
aus der Gruppe der ägyptischen Auswanderer hervorgegangen
sind. Die heutigen Juden sind vorwiegend die Nach-
kommen der ausBabylonien gepilgerten Terachiden,
in Kanaan ansässigen Abrahamiden und in Ägypten
gewesenen Jakobiden.
Der Stamm Juda kam als letzter nach Kanaan, kam von
Süden und saß im südlichsten Teil von Palästina. Da der nörd-
liche Teil von den Hethitern, der südliche hingegen mehr von
den Philistern durchsetzt war, so ist anzunehmen, daß er sich
weniger als seine Bruderstämme mit den armenischen Hethi-
141
lern als vielmehr mit den nordischen Philistern gemischt hat.
Daß der Stamm Juda, wie es Chamberlain darlegt, „politisch,
sozial und religiös im Schlepptau des offenbar viel begabteren
Israel*' geschwommen sei, „von Beginn an als ein sittenloser
imd aus Blutschande hervorgegangener Stamm dargestellt
wird", der sich „durch Schöpferkraft selbst auf dem beschränkten
religiös-gesetzgeberischen Gebiet nie ausgezeichnet hat und
selbst sein Eigenstes entlehnt hat", daß ,,also alles Schöpferische
in den wesentlichsten Stücken israelitisches Werk, nicht das
Werk Judas" gewesen sei und daß folglich — quod erat demon-
strandum — die heutigen Juden die minderwertigsten Elemente
des schon an und für sich so minderwertigen alt jüdischen Volkes
repräsentieren, beruht auf ebenso bewußten Entstellungen wie
gröblichen Verkennungen der klarsten Tatsachen. Mit einer
solchen Argumentation kann vielleicht ein Redner in einer
Volksversammlung Beifall erringen, aber in einem großange-
legten Werk vorgetragen, vermag sie nur ein so vernichtendes
Urteil zu zeitigen wie jenes, das Friedrich Hertz in seinem geist-
vollen Buch „Moderne Rassentheorien" über Chamberlain ge-
fällt hat, daß nämlich „seine hochmütige Unwissenheit auf
sämtlichen von ihm behandelten Gebieten nur durch seine
Kritiklosigkeit und Gehässigkeit übertroffen wird". Alle In-
dizien, die Chamberlain vorbringt, fußen auf der von ihm
gefhssentlich übergangenen Tatsache, daß Juda eben der
jüngste, etwa um 150 Jahre hinter den Israelstämmen in der
Kultur zurückstehende Staat ist. Daher nimmt zwar das König-
tum seinen Anfang in Israel unter Saul, erreicht aber seine Blüte
in Juda unter David und Salomo, daher sind zwar die ältesten
Propheten Israehten, alle großen aber, deren Worte in den
„Schriftpropheten" der Nachwelt überliefert sind, waren mit
Ausnahme des Juda nahestehenden Benjaminiten Hosea Juden.
Aus dem Kreise der Juden sind das Deuteronomium und der
Priesterkodex, sind die Psalmen und Sprüche, Hiob und Hohe
Lied und die Dokumente des Neuen Testaments hervorgegangen.
Nach Wellhausen, den Chamberlain so gern zitiert, wenn es ihm
paßt, und ebenso konsequent ignoriert, wenn seine Ansichten ihm
unbequem sind, waren die Juden ,, schon vor dem Exil von ihren
Nachbarn und Völkern gehaßt und verfolgt wie der weiße Rabe von
dem schwarzen, weil sie etwas anderes und besseres sein wollten".
Ivnapp 150 Jahre nach dem Untergang Israels ereilt das gleiche
Schicksal Juda. 597 v. Chr. verwüstet Nebukadnezar das Land
142
und deportiert 10000 aus Adel und Hofkreisen; 11 Jahre später
>vird die rebellische Stadt zerstört und nun vollständig evakuiert.
Die Zahl der deportierten Juden gibt der Augenzeuge Jeremia
auf 6400 an, eine wohl viel zu tief gegriffene Summe; auf
40000 schätzt sie, wohl der Wahrheit nahe kommend, der Histo-
riker Eduard Meyer. Die Öde eines durch Deportation ent-
völkerten Landes schildert eine Urkunde Sardanapals in fast
sentimentaler Melancholie: „Die Stimmen der Menschen, das
Stampfen der Rinder und Schafe, das Erklingen froher Musik
schloß ich von seinen Feldern aus; Wildesel, Gazellen und
alles Getier des Feldes ließ ich in ihnen lagern."
Während das Nordreich Samaria von den Assyrern in eine
Strafkolonie verwandelt worden und damit für die Israeliten
hoffnungslos verloren war, blieb Judäa unbesiedelt, und so
konnte das deportierte Volk mit seinen Ketten auch die Hoff-
nung nach Babylon tragen, dereinst seine Heimat neu be-
ziehen zu dürfen. 49 Jahre nach Beginn der Gefangenschaft,
als eben noch die Letzten der jerusalemi tischen Generation am
Leben waren und die unvermeidliche Assimilation in den
Herzen der Exulanten noch nicht über Nationalgefühl und
Heimatsehnsucht die Oberhand gewonnen hatte, ging diese
Hoffnung mit der Zerstörung des Chaldäerreiches durch Cyriis
in Erfüllung.
Das babylonische Exil ist sowohl rassen- wie kulturgeschicht-
lich der große Wendepunkt in der Geschichte der Juden. Es
ist die Peripetie im Drama, in der der Held in tiefste Schuld
und Schmach versinkt, um sich geläutert zu erheben. Ge-
richtet — gerettet! Durch den Untergang der 10 Nordstämme
war Judäa auf sich selbst gestellt. Nun war es nicht mehr ein
Stamm unter Stämmen, sondern ein inmitten einer feindlichen
Welt auf sich selbst gestelltes Völkchen mit einem Gott, einer
Religion, einer Nationalidee, die niemand mit ihm teilte. So
hatte schon das Jahrhundert vor dem Exil — das Jahrhundert
der großen Propheten — stark nationahsierend gewirkt. Aber
noch war das junge Kolonistenvolk mit tausend Fasern ver-
wurzelt in der altkanaanitischen Heidenkultur des Landes.
Nun wurde es mit Gewalt von den Kultstätten der kanaaniti-
schen Götter, von seiner Zionsburg, die nach der naiven Volks-
vorstellung der unbezwingbare Bergsitz Gottes war, vom Schau-
platz seines politischen, religiösen und sozialen Ringens hin-
weggenommen und wie eine Heiderose in den Kulturgarten
Babel getragen. Hier nun lebte das Volk, allen Beziehungen
143
xiir Umwelt entrissen, ein halbes Jahrhundert ganz und gar
in sich gesponnen — ein Gefangener, der hinter Kerkermauern
zu Einkehr und Umkehr sich in den Sinn seines Daseins ver-
senkt. Das babylonische Exil ist die Puppenzeit, die Meta-
morphose in der Geschichte der Juden. Die kanaanitisch-
hebräische Larve spann sich ein, und aus der Hülle breitete
nach 50 Jahren innerer Wandlung Juda seine mit den heiligen
Zeichen gezierten Schwingen. Aus Jahwe, der auf dem Zions-
berg seinen Sitz gehabt und dem man die gefangenen Könige
der Feinde geopfert, der als Nationalgott ein Gott gewesen unter
Göttern, denen man als Schirmherren der Bundesgenossen neben
ihm in Jerusalem Opfer brachte, dessen Machtsphäre wie die
eines Königs von den Grenzen des Landes beschränkt war und
dem man sich nicht anderwärts nahen konnte als vor seinem
Wolkensitz zu Zion — aus diesem Duodezfürsten des Himmels
wurde der Herr der Welt. Gott Zebaoth, dessen Allheit und
Einheit kein Bildnis faßt und kein Name nennt, dessen Macht
keine Grenzen kennt und dessen Huld kein Ende weiß, dessen
Opfer nicht die Lenden der Schlachttiere, sondern zerknirschte
Herzen und zerrissene Seelen sind. „Wozu mir die Menge
€urer Opfer? Satt bin ich der Widder und des Fettes eurer
Schafe, und das Blut eurer Farren widert mich an. Über-
drüssig bin ich eurer Monde, und eure Feste hasse ich, eine Bürde
sind sie mir geworden, ich bin müde sie zu tragen. Waschet
€uch von euren Sünden, schaffet fort euren Frevel, lernet Gutes
tun und trachtet nach Wohltat, tuet Abbruch der Gewalt,
sprechet Recht den Waisen und führet die Sache der Witwen...
Was können Opfer mir sein? Da Völker vor mir sind wie die
Tropfen am Eimer und der Staub an der Wagschale ? Siehe, die
Eilande wehen vor mir dahin wie der Staub im Winde. Der
Libanon reicht mir nicht zum Holzscheit und sein Wild nicht
zur Hekatombe. Ein Nichts seid ihr vor mir, ja weniger als
Nichts, Leere, wie Heuschrecken sind vor mir die Bewohner
der Erde — sie dorren dahin vor meinem Hauche . . . Vor mir
ward kein Gott gebildet und nach mir wird kein anderer sein,
Ich bin der Ewige, Ich, und niemand außer mir ..." Aus dem
Opferkult am Zionsberge wurde in der großen Buße zu Babel
der ethische Monotheismus der Propheten. An die
Stelle der Gabe trat das Gebet, an den Platz der Handlung
die Empfindung — der Geist errang seinen Sieg über die Materie.
In Babylon verharrten die zwangsweise angesiedelten Juden
keineswegs in stummer Resignation, sondern paßten sich rasch
144
dem neuen Milieu an und wurden tätige Glieder der babylo-
nischen Gesellschaft. Zahlreiche Juden verließen, vom Glanz
der Städte gelockt, den Ansiedlungsrayon und stiegen dank
ihrer Rührigkeit in den Residenzen zu Ämtern und Würden
empor. Hier in Babylon treten uns die Juden zum ersten Mal
als Kaufleute entgegen, und zwar gleich als Inhaber be-
deutender Firmen. Im babylonischen Exil vollzog sich durch
die Losreißung von der Scholle, die Berührung mit dem
Großstadtleben und die Aneignung der höheren Kultur-
fähigkeiten unter den Juden der Übergang vom Bauernstand
zu den Handelsberufen — keine Rassen- sondern eine Milieu-
erscheinung.
Hand in Hand mit der Assimilation an das babylonische
Kulturleben ging naturgemäß die Abkehr von der patriarcha-
lischen Lebensführung der Väter. Aber so wenig wie 1000 Jahre
später die stürmische Geschichte Europas vermochte das bewegte
Leben Babyloniens das Eiland Juda, das das Schicksal mitten
in seine Wogen getragen, zu zerwaschen. Nur Sand und
Bröckel fielen ab, der harte Stein hielt stand. Mochten
noch so viele nach den höchsten Würden geizen und, wie
€s die Keilschrifttafeln lehren, als Hofbeamte, Bankiers, Han-
delsherren ihre hebräischen Namen mit babylonischen ver-
tauschen, der Stamm hielt treu an Juda und Jerusalem. „An
den Wassern Babels saßen wir und weinten, wenn wir Zions
dachten . . . Eh' soll uns die Rechte dorren, eh' wir dein
vergäßen, und die Zunge uns am Gaumen kleben, wenn wir
deiner nicht mehr sprächen, Jerusalem!" Und als Cyrus, der
Zerschmetterer Babylons, die Erlaubnis gab zur Rückkehr,
da machten sich ungefähr ebensoviele wie vor 50 Jahren als
Sklaven eingezogen waren, als freie Männer auf und verließen
die reichen Städte, die sicheren Positionen, die blühenden
Kolonien, um in das Land ihrer Väter zurückzukehren, das
indes zu einer Wüstenei, zu einem Tummelplatz von Beduinen-
horden, einem Blachfeld für Löwen und Schakale, einer Trüm-
merstätte von zerfallenen Tempeln und versiegten Brunnen
geworden war — ein grandioses Schauspiel von „Glaube und
Heimat". Und gewißlich waren es — und hierin liegt eine der
Bedeutungen dieses Auszuges für die Rassengeschichte — nicht
die Schlechtesten, die sich aus den Armen der babylonischen
Armida rissen. Es war eine Auslese ! Die Rückkehr von 42 000
Juden aus den gesegneten Gefilden Babyloniens zu den Ruinen
Jerusalems ist die Manifestation eines heroischen Idealismus,
.10 Kahn, Die Juden. 145
die in der Wagschale des Urteils über den Rassenwert der da-
maligen Juden alle Chamberlain'schen Klügeleien über die
blutschänderische Bastardnatur, das Rassenschuldbewußtsein
und die angeblich doktrinäre Gewaltsamkeit dieser staatlich-
religiösen Restitution aufhebt, als würde gegen ein Häuflein
Spatzenfedern in eine Wagschale eine Bleikugel geworfen.
Die Zustände, die die Exulanten bei ihrer Rückkehr fanden,
waren trostlos. Von allen Seiten waren Freibeuter in die ent-
völkerte Landschaft eingefallen, von Norden die Phönizier,
von Westen die Philister, von Süden die Edomiter, von Osten
die Beduinen der arabischen Wüste. In zäher Arbeit mußte
ihnen das Land entrungen werden. Nolens volens trat man
nach anfänglichen Gegensätzen zu den Fremden in friedliche
Beziehungen; immer häufigere Mischehen waren die Folge,
und 80 Jahre später drohte die Kolonie wie ein Steckling zwi-
schen Unkraut in dem Völkergestrüpp erdrosselt zu werden.
Mit Sorgen verfolgten die Juden Babylons das Schicksal des-
Mutterlandes und sandten ihm unter der Führung des Prie-
sters Esra reiche Mittel und 1600 neue Kolonisten. Bekümmert
muß dieser konstatieren: „Nicht haben sich abgesondert das
Volk von Israel und die Priester und die Leviten von den Völ-
kern der fremden Länder, ungeachtet ihrer Greuel, von den
Kanaanitern, Hethitern, Perisitern, Jebusitern, Ammonitern,
Moabitern, Ägyptern und Amoritern. Sondern sie haben ihre
Töchter für sich genommen und ihre Söhne, daß der heilige
Stamm sich mischte mit den Völkern der fremden Länder.
Und die Oberen und Fürsten waren die Ersten bei dieser Un-
treue." In genialer Erkenntnis des Problems setzt Esra in
einer Volksversammlung den Beschluß durch, daß sämtliche
Mischehen gelöst und alle fremden Frauen und Bastardkinder
aus der jüdischen Gemeinschaft ausgestoßen werden. Nach
feierlicher Eidesleistung wird eine Kommission ernannt, deren
Mitglieder in den einzelnen Distrikten für die Durchführung
der Maßregel Sorge tragen. „Und sie vollendeten es an
allen Männern, die fremde Weiber heimgeführt hatten" —
eine in der Geschichte der Völker einzigartige
Großtat bewußter Rassenzucht, die das jüdische
Volk nicht nur vor dem damals drohenden Un-
tergang gerettet, sondern durch ihren weiter
wirkenden Geist als einziges von allen antiken
Kulturvölkern bis auf den heutigen Tag in
seiner spezifischen Eigenart erhalten hat. Mit
146
dieser rassenbiologischen Glanzleistung der Misch-
ehenverdammnis durch Esra und Nehemia endet
als erster Abschnitt in der Rassengeschichte des
jüdischen Volkes die Periode der Rassenkreuzung
durch Mischehen. Mischehen sind auch fernerhin nichts
Seltenes, aber ihr Charakter ist ein anderer. Die Mischehe
der vorexilischen Zeit ist eine legitime Form des Connu-
biums. Sie ist die Ehe des Königs wie des Knechtes. Die
Nachkommen dieser Ehen werden zum großen Teil sofort oder
später ins Judentum aufgenommen. Die Mischehe der nach-
exilischen Zeit ist gesetzlich und gesellschaftlich verpönt. Sie
ist ein Abfall und zumeist von dem Austritt des jüdischen Elters
oder der in der Ehe gezeugten Kinder begleitet. Die vorexili-
schen Mischehen sind Infusionen, die nachexilischen Aderlässe.
IVlit dem Ende der Mischehen ist aber nicht das Ende der
Mischung erreicht, sondern es setzt eine neue Form der Rassen-
kreuzung ein: der Proselytismus.D asZeitalterdesProselytis-
mus ist nach der Periode der Mischehen der zweite Ab-
schnitt in der Rassengeschichte des jüdischen Volkes.
Die Erscheinung des Proselytismus wurde sowohl theo-
retisch wie praktisch durch das babylonische Exil bedingt.
Theoretisch durch die Wandlung der Religion. Aus dem alten
Nationalgott Israels war der Herr der Welten geworden, „der
mit seiner hohlen Hand das Meer erschöpft und den Himmel
mit seiner Spanne umfaßt, der den Staub der Erde in ein
Maß hebt. Berge mit einem Gewichte wiegt und Hügel in einer
Wage . . . dessen Berg aufgerichtet sein wird über allen Bergen,
und zu dem die Völker strömen und die Nationen sprechen:
„Wohlan, lasset uns pilgern zum Berge des Ewigen, hin zum
Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege zu fin-
den und seine Pfade zu wandeln, denn von Zion wird ausgehen
die Lehre und das Wort des Ewigen von Jeruschalajim." Und
der zu Juda spricht: „Siehe da, mein Knecht, den ich mir halte,
mein Erkorener, an dem meine Seele Wohlgefallen hat, über
deine Stirne bringe ich meinen Geist, daß du das Recht ver-
kündest den Völkern . . . Ich der Ewige habe dich berufen zum
Heile und deine Hand erfaßt und dich gebildet und erwählt
zum Band für die Völker und zur Leuchte der Nationen, Blinden
die Augen zu öffnen, aus ihren Kerkern die Gefesselten zu be-
freien, aus den Finsternissen der Gefängnisse die Schmachtenden
heraufzuführen . . . zum Norden spreche ich: gib her! und zum
10» 147
Süden : halte nicht zurück ! Bringe meine Söhne aus der Ferne und
meine Töchter von den Enden der Erde; jeglichen bringe herbei,
der sich zu meinem Namen bekennt, versammelt seien die
Nationen und zusammenkommen mögen die Völker ..."
Mit dieser theoretischen Wandlung verknüpften sich in
wunderbarer Weise die äußeren Umstände, die durch den
Beginn der Diaspora und die Berührung Israels mit den
heidnischen Völkern die Vorbedingung für den Proselytismus
schufen. Die Katastrophe von 586 hatte die Juden nicht
nur nach Babylonien geführt; in alle Winde waren die Heimat-
losen zerstoben und gründeten in Ägypten, in Nordafrika,
in Kleinasien und im Kaukasus die ersten Diaspora-Gemeinden.
Sofort setzte der Proselytismus ein. In Babylonien ,, schlie-
ßen sich die Söhne der Fremden dem Herren an, ihm zu
dienen und seinen Namen zu verehren". Auf einer Urkunde
aus dem Jahre 420 v. Chr. ist ein Ägypter namens Ashor
erwähnt. 4 Jahre später nennt sich derselbe hebräisch Nathan.
,, Herrliches rühmt man von dir, du Stadt Gottes", singt der
86. Psalm, dessen Inhalt allerdings sehr dunkel und nur mehr
zu erraten als zu übersetzen ist. „Aus Rahab und Babel, aus
Philisterland Tyrus und dem Mohrenlande Kusch sind Be-
kenner von mir gebürtig. Aber jeder von ihnen nennt Zion
seine Mutter, und er selber, der Höchste im Himmel, hält alle-
samt fest . . . Aller Heimat ist in dir, Jerusalem."
Der beginnende Proselytismus gewinnt seine besondere
rassengeschichtliche Bedeutung durch den weltpolitischen Um-
schwung, der sich in jenen Jahrhunderten vollzieht. An der
Spitze seiner blonden Makedonen kommt der arische Halb-
gott Alexander und stürzt die tönernen Kolosse der morschen
Riesenreiche des Orients. Er selbst verfällt dem Zauber der
großen, nun schon abgelebten Buhlerin Babel, die sein junges
Heldentum zu Schanden macht. Aber den Sieg des jugendlichen
Europa über das alternde Asien vermag sie nicht zu hindern.
Auf Marduks leer gewordenen Greisenthron steigt der locken-
umwallte olympische Zeus. Auf den Sockel, von dem zwei
Jahrtausende ihre semitische Mutter Istar Königen und Völkern
zugelächelt, stellt sich Aphrodite in der jugendhchen Marmor-
schönheit ihres Griechentums — freilich nur zu einem kurzen
„arischen" Zwischenspiel, um von Istars semitischer Madonnen-
enkelin Maria bald für abermals Jahrtausende verdrängt zu
werden. Ungezählte Griechen, ein anthropologisches Gemisch
von brünetten Mediterranen und blonden Norden, strömen nach
148
Syrien, Ägypten und den Euphratländem, Allenthalben entstehen
griechische Kolonien; wie eine Rosenhecke über zerfallenem
Gemäuer, blüht griechisches Leben über den Ruinen der alt-
semitischen Kultur. Palästina wird griechische Provinz und in
den Wirbel hellenisch-römischer Geschichte gerissen. Jüdische
Sitte und griechische Schönheit vermählen sich in Judäa zur
kurzen Schöngeistehe des Hellenismus.
Der Verkehr zwischen Ost und West entwickelt sich rapide.
Die Juden wenden sich dem Handel zu, und Judäa wird als
Durchgangsland zwischen Asien und Europa eine der gesegnet-
sten Provinzen. Das bescheidene Gut mehrt sich zu reichem
Besitztum, die patriarchalischen Sitten verfeinern sich zu grie-
chischem Luxus. Hellenische Sklaven bilden die natürliche
Staffage zum griechischen Inventar des Hauses. Nach Landes-
brauch und talmudischem Gebot wurden diese Sklaven zu-
meist der Beschneidung unterworfen und ins Judentum auf-
genommen, wogegen sie sich um so weniger sträubten, als sie
unter den Juden humane Behandlung erfuhren. ,,Wie ein Ein-
geborener sei euch der Fremdling . . . Seid milde gegen den
Fremdling, denn Fremdhnge wäret ihr in Ägypten." Der jü-
dische Sklave war kein Arbeitstier, das man zu Tode peitschte,
sondern ein Hausgenosse, der an Festen und Fasten teilnahm
und dadurch mit der Familie seines Herrn zu Leid und Freud
verwuchs. Der römische Sklave war der Willkür und Grau-
samkeit seines Besitzers so schonungslos ausgeliefert, daß selbst
Mommsen gesteht: „Mit denen der römischen Sklavenschaft
verglichen, sei die Summe aller Negerleiden ein Tropfen" — ließ
doch selbst der sittenstrenge Cato, der unseren Sekundanern
als moralische Idealfigur vor Augen gestellt wird, seine Sklaven
so lange Mühlsteine drehen, bis sie tot zur Erde fielen. In
Israel wurde Sklavenmißhandlung bestraft, Sklaventötung mit
dem Tode geahndet ! Für Sklavin besitzt die hebräische Sprache
gar keinen anderen Ausdruck als Schifcha = Familienange-
hörige. Unter diesen Umständen ist es begreiflich und durchaus
glaubhaft, daß die Judaisierung der Sklaven wenn nicht die
Regel, so doch ungemein häufig und für die Konstitution der
späteren Rasse nicht belanglos war^).
*) Auf dem jüdischen Friedhof zu Rom findet man mehrfach Grab-
steine, die jüdische Herren ihren zum Judentum übergetretenen Sklaven
errichteten, so den einer Proselytin Felicitas, die den Namen Noßmi an-
genommen hatte. In der Mischna wird die Grabrede erwähnt, die Rabbi
Gamaliel seinem Haussklaven Tabi hielt.
149
Der Proselytismus unter den Sklaven wurde durch den
starken Anteil der Juden am Sklavenhandel begünstigt. Bis
ins Mittelalter hinein waren die Juden durch ihre internationalen
Beziehungen die prädestinierten Transithändler dieses gang-
barsten Artikels der Antike. Man braucht gar nicht die Unzahl
der Bekehrungsanlässe und Übertrittsmotive anzudeuten, um
die Annahme zu rechtfertigen, daß die Zahl der übertretenden
Sklaven gewiß außerordentlich hoch gewesen. Namentlich
später, als der Proselytismus Mode wurde, werden Tausende
und Abertausende den bequemen Weg ins Judentum genom-
men haben, um dem Elend der Entrechtung zu entsteigen und
wieder Menschen zu werden. Noch im Jahre 600 n. Chr. muß
der Westgotenkönig Reccared in Spanien strenge Gesetze gegen
den Übertritt der Sklaven ins Judentum erlassen; es wurde den
Juden das Recht entzogen, christliche Sklaven zu bekehren und
die Beschneidung an ihnen zu vollziehen. Diese Gesetze emp-
fanden die Juden als so drückend, daß sie dem König bedeu-
tende Summen für die Aufhebung boten. Als sein Nach-
folger Sisebut den Thron bestieg, „beschäftigten ihn gleich im
Anfang seiner Regierung die Juden. Sein Gewissen fühlte sich
beschwert, daß trotz des reccaredischen Gesetzes noch immer
christliche Sklaven jüdischen Herren dienten, von ihnen zum
Judentum geführt wurden und gern darin verharrten." Aus
Babylonien berichtet noch aus dem 11. Jahrhundert ein Rab-
biner, daß „von den Sklavinnen, die die Juden kaufen, einige
sofort, einige später zum Judentum übertreten, manche von
ihnen dagegen weigern sich beharrlich Proselyten zu werden".
Durch die tausendjährige Praxis der Sklaven-
halterei, des Sklavenhandels und der allgemein
geübten Bekehrung der Sklaven sind unzählige An-
gehörige aus allen Gruppen der weißen und zu ge -
ringemTeil auch der schwarzen Rasse dem jüdischen
Volke zugeführt worden und haben — soweit sie
der nordischen Rasse angehörten — den Grund-
typus des Juden weiterhin „germanisiert". Neben
der Mischung mit den Philistern ist die Aufnahme
nordischer Sklaven als die zweite Quelle der nor-
dischen Elemente unter den Juden anzusehen.^)
*) Daß in dem Jahrtausend militärischer Gewaltherrschaft manch
makedonischer Hoplit und römischer Legionär und später manch blonder
Vandale und Gote Vater eines jüdischen Sprößhngs wurde, ist unter Be-
rücksichtigung der besonderen Verhältnisse selbstverständlich. So sollen
150
Frühzeitig begann der Proselytismus über die Grenze der
Sklaverei hinauszuwirken. Die antike Götterlehre war nicht
bildungsfähig. Es gab Götter oder es gab keine. Und als man
mit zunehmender Aufklärung erkannte, daß es keine gab, flüch-
teten die tiefer veranlagten Geister aus dem Sinnentaumel der
orgiastischen Kulte der Verfallszeit in die reinen Lehren des
Juden- und Christentums. Zwischen den Sekten der Juden und
der Judenchristen bestand für den Heiden der Römerzeit, der
aus der Welt des Bacchus und der Isis kam, kein prinzipieller
Unterschied. Solange die Übertritte aus freien Stücken und
innerem Verlangen erfolgten, führten sie den Konvertiten ebenso
leicht zu dem einen wie anderen Bekenntnis. Rassenbiologisch
ist dieses Moment der Freiwilligkeit nicht zu unterschätzen.
Während später unter dem Zuge der Zeit und dem Schwert
der Eroberer der große Haufe wähl-, willen- und gedankenlos
das Christentum annahm, waren es in den griechisch-römischen
Zeiten vorzugsweise die aufgeklärten und idealeren Elemente,
die im Juden- und Christentum jene Befriedigung fanden, die
ihr höheres Verlangen in der heidnischen Welt der Marmorgötter
vergeblich suchte. Wie zwei Schwämme, die man über einen
Schlamm gelegt, sogen sie aus dem faulenden Grund der ver-
sumpfenden Antike alles, was klar war, in sich auf. Zahlenangaben
über die Menge der Proselyten sind natürlich unmöglich ; auf jeden
Fall muß sie beträchtlich gewesen sein. Reinach schreibt : „Das
enorme Wachstum der Juden in Ägypten, Cypern und Cyrene
läßt sich nicht anders erklären als durch reichliche Infusion heid-
beispielsweise nach der Zerstörung Jerusalems die römischen Legionen,
die von hier nach Germanien in die Standquartiere der Limesgegend
überführt wurden, jüdische Mädchen als Sklavinnen mit sich genommen
haben. „Die aus jüdischem und germanischem Blut geborenen Kinder
waren von den Müttern im Judentum erzogen worden, weil die Väter
sich nicht um sie bekümmert haben. Diese Mischlinge sollen nun die
ersten Gründer der jüdischen Gemeinden zwischen Worms und Mainz
gewesen sein" (Graetz). In den südrussischen Provinzen pflegten im
Mittelalter die Kosaken die jüdischen Mädchen und Frauen zu rauben,
um sie nachher gegen Lösegeld wieder zurückzugeben. Da es die Regel
war, daß eine solche Frau geschwängert zurückkam, wurden besondere
rabbinische Bestimmungen über ihre Behandlung erlassen. In diesem
Zusammenhang ist auch der Zwangsehen zu gedenken, durch die jüdische
Frauen gewaltsam mit christlichen Männern verehelicht wurden. So heißt
es beispielsweise von der großen Judenverfolgung unter Chmielnitzki im
17. Jahrhundert, daß „die jüdischen Frauen, die zur Taufe gezwungen
waren, in Massen von ihren Kosakenmännern, die ihnen aufgedrungen
waren, zu ihren Familien zurückflohen*'.
151
nischen Blutes. Der Proselytismus ergriff die oberen wie die unteren
Klassen der Gesellschaft. Das Beispiel der großen Anzahl Juden
gewordener Sklaven wirkte allerdings mehr auf die Kameraden
als auf die Herren." Schürer, der wohl unstreitig beste Kenner
der jüdischen Geschichte der Römerepoche, schreibt in seiner
monumentalen „Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter
Christi" über die griechisch-römischen Proselyten: „Wie groß
deren Zahl war, entzieht sich unserer Kenntnis. In der Anfangs-
zeit der jüdischen Propaganda ist sie vermutlich sehr groß ge-
wesen, denn die ungeheure Ausbreitung des Judentums läßt sich
aus der Vermehrung des Volkes allein kaum erklären."
Die rassengeschichtliche Bedeutung des Proselytismus darf
nicht — wie es zumeist geschieht — unterschätzt, aber auch
nicht überschätzt werden. Bei weitem nicht alle Anhänger der
jüdischen Lehre traten ins jüdische Volk ein; die meisten blieben
vielmehr Römer und Griechen jüdischen Glaubens, wurden
„Proselyten am Tore", übten keine Beschneidung aus und
durften keine Ehe mit Juden eingehen. Aus ihren für den Mono-
theismus vorbereiteten Kreisen gewannen die Apostel die zahl-
reichsten Anhänger für das Christentum. Trotzdem werden sich
unzweifelhaft viele von ihnen gerade bei der Familiarität der
jüdischen Lebensführung und den engen Beziehungen zwischen
Kult- und Familienleben den Juden dauernd angeschlossen
haben. Von solchen gleichsam nur korrespondierenden Mitglie-
dern des Judentums spricht Flavius Josephus, wenn er erwähnt:
„Schon seit langer Zeit ist bei der Menge ein großer Eifer für
unsere Gottesverehrung zu finden; es gibt keine Stadt, weder
bei Hellenen noch bei Barbaren noch sonst irgendwo, und kein
Volk, wohin nicht die Feier des Sabbats, wie wir sie üben,
gedrungen wäre und nicht das Fasten und das Anzünden der
Lichte und viele unserer Speisegebote beobachtet würden."
Mit einer solchen römischen Proselytengemeinde, dem „Epaphro-
ditischen Kreis", verkehrte er nach der Zerstörung Jerusalems
in Rom, von ihr empfing er die Anregung zu seiner „Geschichte
des jüdischen Krieges", für sie verfaßt er die Streitschrift gegen
den Antisemiten Apion, in der es heißt: „Wir haben keinen
Grund die Griechen zu hassen oder zu beneiden. Im Gegen-
teil, viele von ihnen haben für unsere Gesetze Interesse ge-
wonnen, und manche von ihnen sind treue Anhänger derselben
geworden, während andere, die keine Kraft zum Ausharren be-
saßen, wieder abgefallen sind." „Wären wir nicht selbst von
der Vortrefflichkeit unserer Gesetze überzeugt, würden wir
152
durch die Menge ihrer Anhänger darauf geführt werden, stok
auf sie zu sein," In Rom erregte die Hinneigung zahlreicher
vornehmer Römer und vor allem Römerinnen zum Judentum
den Ärger aller nationalistischen Kreise. Cicero, Horaz, Tacitus,
Seneca und Juvenal machten ihrem Ärger Luft über die Juden
und die überhandnehmende Sitte, ,,am siebentenTage zu faulenzen
und Schweinefleisch für so kostbar zu halten wie Menschenfleisch".
Diese Krämerseelen ! Glaubten, wenn man an einem Tage keine
Geschäfte machte, müsse es aus Faulheit geschehen, und wenn
man kein Schweinefleisch berühre, halte man es für kostbar!
Eine Weisheit wie die des Botokuden, den man vor ein Orchester
führte, und der auf die Frage, welchen Eindruck er gewinne,
bei den Klängen einer Symphonie erwiderte : Man macht Lärm !
Je mehr sich die Antike ihrem Ende näherte, um so weitere
Kreise ergriff der Proselytismus. Unter Tiberius fiel die „jü-
dische" Gattin eines einflußreichen Senators ein paar jüdischen
Gaunern zum Opfer, was den Anlaß zur ersten Judenverfolgung
gab. Unter Hadrian mußte ein Gesetz erlassen werden, das die
Beschneidung von Römern verbot. Domitian ließ einen Neffen
mit seinem Anhang hinrichten und die Frauen dieses Kreises
auf eine Insel verbannen, „weil sie auf den Abweg der jüdischen
Lebensführung geraten waren". Großes Aufsehen erregte in der
römischen Gesellschaft eines Tages der Übertritt der angesehenen
Patrizierin' Valeria mitsamt ihren Sklavinnen, der aber durchaus
nicht vereinzelt blieb. Als eifrige Jüdin war beispielsweise Be-
turia Paulina bekannt, auf deren Grabstein ihr jüdischer Bei-
name Sarah zu lesen ist. Also erfüllte sich in Rom die Weis-
sagung des Zacharja: „Und es werden Zehn von allen Zungen
der Völker den Zipfel eines jüdischen Mannes fassen und spre-
chen: wir werden mit euch gehen, denn wir haben vernommen,
daß Gott mit euch ist."
In den östlichen Teilen des Imperium Romanum gab es in
fast jeder größeren Stadt Gemeinden jüdischer Proselyten. „In
Antiochia", berichtet Josephus, „zogen die Juden eine Menge
Griechen zu ihrem Glauben hinüber, wodurch diese gewisser-
maßen zu einem Bestandteil ihrer Gemeinde wurden." Ein
griechischer Proselyt, Aquila von Pöntus, übersetzte die Bibel
so vortrefflich ins Griechische, daß seine Übersetzung die olft-
zielle Septuaginta verdrängte. In Damaskus sollen fast sämt-
liche Frauen dem Judentum angehangen haben. Als die Damas-
zener die unter ihnen wohnenden Juden überfallen wollten,
„glaubten sie jetzt den Angriff aufs leichteste ausführen aia
153
können. Scheu hatten sie nur noch vor ihren Weibern, die mit
wenigen Ausnahmen zur jüdischen Rehgion übergetreten waren"
(Josephus).
In Adiabene, einem Vasallenstaat des Partherreiches, traten
die Fürstin und der Kronprinz des wahrscheinlich aus Maze-
donien stammenden Königshauses unabhängig und heimlich
voreinander zum Judentum über und veranlaß ten hernach den
Übertritt der gesamten Familie. Wegen seines offenen Bekennt-
nisses zum neuen Glauben brachte der König später die ganze
Dynastie in Gefahr. Die Königin hing mit der vollen Inbrunst
der Konvertitin an der für wahr erkannten Lehre. Sie unternahm
Wallfahrten nach Jerusalem, lebte 14 Jahre als Nasiräerin und
ließ sich vor den Toren der heiligen Stadt in einem Mausoleum
begraben, dessen Trümmer noch heute unter der fälschlichen
Bezeichnung Königsgräber gezeigt werden.
In Judäa selbst wurde der Proselytismus in großem Stil be-
trieben. Hyrkan unterwirft die Edomiter, die als ein Hebräer-
stamm mit den Israeliten nach Kanaan gewandert, aber nicht
in den Staatsverband der Zwölf-Stämme eingetreten waren, und
zwingt sie zur Annahme des Judentums. Sein Sohn Aristobul
verfährt ebenso mit dem unterworfenen Beduinenstamm der Itu-
räer. Aus dem Stamm der Edomiter, römisch Idumäer, geht Anti-
pater hervor. Sein Sohn ist Herodes. Salome ist zwar judäische
Prinzessin, aber keine Jüdin von Stamm sondern Edomiterin.
Durch den Proselytismus treten somit genau wie
durch die Mischehen der ersten Epoche Elemente
aus allen Zweigen der weißen Rasse, Ägypter,
Araber, Armenier und Iranier, Kaukasier, Griechen,
Römer und Germanen zum Judentum über. Wenn
auch nur ein Teil von ihnen durch Mischehe in das jü-
dische Volk eingeht, so ist doch der Gesamtzuwachs
bei dem großen Verbreitungsgebiet derjudenund der
langen Dauerder Pro sei ytenperiode (1200 Jahre) gewiß
als sehr beträchtlich anzusehen. Der Proselytismus
ist die dritte Quelle der nordischen Elemente unter
den Juden.
JDurch Proselytismus hat sich ferner den Juden eine Anzahl
von Fremdstämmen angegliedert, die zwar das jüdische Bekennt-
nis annahmen, im übrigen aber ihre nationale Einheit und Ge-
schlossenheit nicht aufgaben und mit dem jüdischen Volk gar
keine oder nur sehr geringe Mischungen eingegangen sind, so
1&4
daß man sie gar nicht als Juden sondern als Fremd stamme
jüdischen Glaubens bezeichnen muß. Zu ihnen gehören
die jemenitischen Juden in Arabien, die Falascha in Abessinien,
die Mawambu der Loangoküste, die Kala Israel in Indien, die
chinesischen Juden der Provinz Honan, die Juden im Kaukasus
und zu einem gewissen Teil die Chasaren.
In Arabien muß es frühzeitig jüdische Gemeinden als
Kristallisationskerne des Proselytismus gegeben haben. Schon
in den salomonischen Zeiten entstehen längs der Küsten zahl-
reiche jüdische Handelsniederlassungen. In Südarabien gab es
um 450 n. Chr. zwei arabische Stämme, die nach den Vor-
schriften der jüdischen Gesetze lebten. Sie wurden von einem
himjari tischen (südarabischen) Nachbarstamm bekriegt, wider-
standen aber tapfer, worauf der feindliche Fürst mit ihnen in
Unterhandlungen trat. Hierbei lernte er ihr Judentum kennen
und begeisterte sich derart dafür, daß er es mit seinem Heere
annahm. Nun regierte eine ganze Dynastie himjaritisch-jüdischer
Könige, deren einer sich in seinem religiösen Eifer sogar zu
Christenverfolgungen hinreißen ließ. Als Nachkommen
dieser arabischen Proselyten, in deren Überzahl sich
wahrscheinlich die einstigen jüdischen Kolonisten und späteren
Zuwanderer verloren haben, sind die heutigen jemeni-
tischen Juden aufzufassen. Sie sind als Araber den
Juden nah rassenverwandt. So mögen die Hebräerstämme aus-
gesehen haben, die als Beduinen nach Kanaan zogen, und unter
denen sich die Israelstämme befanden. Jene alten Hebräer
aber sind — soweit sie nicht mit dem Nordreich Israel unter-
gingen — durch Rassenmischung mit den Jakobstämmen, mit
Babyloniern, Ägyptern, Hethitern, Phihstern, Römern, Griechen,
Makedonen, Grermanen usw. zu Juden geworden; alle diese
späteren Komponenten, die dem heutigen Juden seine be-
sondere Physiognomie verleihen, fehlen dem Jemeniten. Der
jemenitische Jude ist kein Rassenjude sondern
ein Araber jüdischer Konfession.
Auf dem Arabien gegenüberliegenden Ufer des Roten Meeres
nahm ein abessinisches Volk, scheinbar ein Mischstamm von
Weißen und Negern, das Judentum an, die Falascha, ein
durch Fleiß, Geschick und Sauberkeit ausgezeichnetes Völkchen,
das heute schätzungsweise 150000 Menschen umfaßt. In ihnen
hat man Reste der prähistorischen und in der Bibel oft ge-
nannten kuschitischen Urbevölkerung zu erblicken gesucht.
An der Loangoküste, südlich der Kongomündung, lebt der
155
Negerstamm der Mawambu nach jüdischem Ritual, angeb-
lich durch 1493 bei den spanischen Verfolgungen aus Kastilien
vertriebene Juden bekehrt. Auf Ceylon soll es um 1200 n. Chr.
32000 Eingeborene gegeben haben, die die jüdischen Gesetae
befolgten, von denen heute nur noch an der malabarischen Küste
eine kleine Gemeinde weißer echter Juden und eine größere
schwarzer Proselyten — die schwarze „Kala Israel" Indiens
— lebten. In China lebt in Kai-Fung-Fu, Pr- vinz Honan, eine
Kolonie chinesischer Juden, die durch j üdische Emigranten
begründet worden ist.
In vollkommene Dunkelheit gehüllt sind Kultur und Rassen-
geschichte der Kaukasusjuden. Nach einigen Quellen, die
allerdings wenig glaubwürdig erscheinen, seien die 10 Israelstämme
nach der Zerstörung von Samaria 721 v. Chr. nach dem Kaukasus
deportiert worden; Juden des babylonischen Exils sollen ihnen
gefolgt sein und sich hier mit den Georgiern vermischt haben. Die
Georgier (Grusinen) gehören dem iranischen Zweig der weißen
Rasse an und zeichnen sich durch hohe Gestalt, ebengeformte
Züge, dunkles Haar und helle Hautfarbe aus. Nach der Zerstörung
Jerusalems sollen die jüdischen Kaukasusgemeinden zahlreichen
Zuzug aus der Diaspora erhalten haben. Historisch beglaubigt
ist nur, daß im Mittelalter Juden aus Persien und Südrußland
nach den Kaukasusgebieten ausgewandert sind. Sie scheinen
dort eingeborene Gebirgsstämme zum Judentum bekehrt und
dann selbst durch Engzucht oder Mischung mit ihnen unter-
gegangen zu sein, so daß wir in den heutigen Kau-
kasusjuden autochthone Kaukasusstämme mit ge-
ringem jüdischen Einschlag vor uns sehen. Später
haben sie sich wahrscheinlich mit Kirgisen (Mongolen aus der
Wolga-Ebene) vermischt, so daß die heutigen Kaukasusjuden
sich vermutlich aus drei Rasse- und Kulturelementen, (semi-
tischen) Juden, (arischen) Iraniern und (mongolischen) Turaniern
zusammensetzen. Sie wohnen hauptsächlich im Gebiet von
Daghestan, dem gegen das Kaspische Meer abfallenden Teil
des Kaukasus. Ein Kaukasusjude oder besser gesagt jüdischer
Kaukasier namens Anbal aus dem iranischen Volksstamm der
Osseten war einer der Verschwörer, die 1174 den russischen
Fürsten Bogolubski ermordeten.
Eine besondere Stellung in der Geschichte des jüdischen Pro-
selytismus nehmen dieChasaren ein, die als ein südrussisches
Reitervolk nördlich vom Kaukasus im Gebiet der heutigen Don-
Kosaken lebten. Unter diesen Chasaren wohnten seit den Juden-
156
Verfolgungen im byzantinischen Reich zahlreiche Juden. Als
man von Byzanz aus Bekehrungsversuche an den noch heid-
nischen Fürsten dieser Stämme unternahm, gelang es den dor-
tigen Juden, den Chasarenfürsten Bulan zur Annahme des Juden-
tums zu bewegen, so daß dieser im Jahre 750 n. Chr. mit 4000
seiner Krieger übertrat und alsdann das Judentum unter seinem
Volk verbreitete. Zuerst muß das Judentum diesen Tataren
so wenig gestanden haben wie der Heiligenschein dem bewaff-
neten Mohren auf dem Grünewald'schen Mauritiusbild. Allmäh-
lich aber mühten sich die Steppenreiter, treue Anhänger des
Judentums zu werden. Die Könige legten sich jüdische Namen
bei und hießen der Reihe nach Obadja, Manasse, Chanukkah,
Isaak, Sebulon, und „ihre Augen waren", wie einer von ihnen
schrieb, „auf Jerusalem und die babylonischen Schulen gerich-
tet". In seiner Blütezeit um 900 bildete das Ghasarenreich einen
angesehenen Staat, wurde aber seit 965 von den aufstrebenden
Russen zurückgedrängt und erlag 1016 einem Zweifrontenangriff
der verbündeten Russen und Byzantiner. Die chasarischen
Prinzen flüchteten nach Toledo und widmeten sich hier dem
Talmudstudium. Die Kriegsgefangenen wurden von den Russen
nach Kiew und anderen südrussischen Städten deportiert, wo
sie, mit den ansässigen Juden verschmelzend, den Grundstock
für die russische Judenheit bildeten. Kiew ist kurz nach 1100
die führende Gemeinde Südrußlands. Ein großer Teil der jü-
dischen Chasaren wanderte nach Taurien und der Halbinsel
Krim und begründete hier das Karäertum, den Buchstaben-
glauben an die Bibel, wodurch sie uns wieder einmal den
Saulus-Paulus-Beweis liefern, daß niemand in seiner Liebe so
maßlos zu sein pflegt wie der Proselyt.
Die Anthropologie der Chasaren ist verwickelt und durch-
aus noch nicht geklärt. Allgemein-historisch fallen sie unter
den Begriff der Hunnen; ethnologisch und anthropologisch ge-
hören sie zu dem großen Stamm der Tataren; innerhalb der
Tatarengruppe wieder zu den Uraltürken. Als solche sind sie
mit den Avaren, Magyaren, Bulgaren verwandt. Sie sind nicht,
wie man zuweilen liest, Mongolen, haben sich aber in einem von
Mongolen (Kirgisen und Kalmücken) bewohnten Land nieder-
gelassen und mit der dortigen Bevölkerung — wie einst die Juden
mit den Kanaanitern — vermischt, wodurch sie mongohschen
Typus erwarben. Infolgedessen ist in der Tat durch die
Chasaren das mongolische Element — kleiner Wuchs,
Rundköpfigkeit, schwarzes schUchtes Haar, breite Nase, breiter
157
Mund, breite Backenhöcker, Schieflage der Augen — in den
Typen komplex des jüdischenVolkes getragenworden.
Mit und neben den Chasaren sind zahlreiche andere Volks-
elemente aus dem unübersehbaren Völkergemisch Großrußlands
ins Judentum geströmt. Das Riesenreich Rußland, dem jede
biologische, kulturelle und politische Einheit fehlte, in dessen
hundertsprachigen Völkergemischen das Christentum nur spät
und schwer Wurzel zu fassen vermochte, ist bis auf den heutigen
Tag ein dankbares Feld für den Proselytismus geblieben. Im
15. Jahrhundert gründete in Nowgorod und anderen Städten
ein Jude namens Zacharja Proselyten-Sekten, unter denen die
Subotniki nach Fishberg heute nicht weniger als 2 Millionen
Anhänger besitzen sollen ( ? ), die mit großer Zähigkeit am Juden-
tum hängen und, wie es dann immer unausbleiblich ist, vereinzelt
sich den Juden selber durch Anknüpfung familiärer Beziehungen
anschließen. 1907 wanderten beispielsweise 100 russische Bauern-
familien der Subotniki-Sekte nach Palästina und siedelten sich
dort im „Heiligen Lande" an. An-Ski hat neuerdings über eine
Sekte berichtet, die sich die „Juden-Gewordenen" nennt, im
Wolga-Gebiet in großen Dörfern wohnt und deren Zahl er auf
100 000 schätzt. Im anthropologischen Typus echt großrussische
Bauern, leben sie nach jüdischem Ritual. Bei der Beschreibung
ihres Gottesdienstes heißt es: „Auch der Vorbeter war ein
stämmiger breitschultriger Bauer, ein Hüne von Gestalt, mit
echt slawischem Gesicht, breiter Nase, klaren grauen Augen
und dicken blonden Pajes."
W^elche Rolle diese und ähnliche Sekten, ja welche Rolle der
Proselytismus überhaupt in der Entwicklungsgeschichte der
russischen Juden, die heute die kompakte Mehrheit des jüdischen
Volkes repräsentieren, gespielt haben mag, entzieht sich völHg
unserer Kenntnis. Sind wir doch über die Frühgeschichte der
Ostjuden so wenig unterrichtet, daß wir nicht einmal wissen,
auf welchen Wegen die Mehrzahl von ihnen nach Rumänien,
Galizien, Bessarabien, Polen und Rußland zugewandert ist.
Wahrscheinlich sowohl von Süden über das Kaukasus- und
Schwarze-Meer-Gebiet, wie von Westen über Deutschland, wo
die Juden unter Karl dem Großen sich nach Osten schon bis
Magdeburg und Merseburg ausgebreitet hatten. 990 sind sie
in Böhmen zu Wohlstand gelangt und erregen dort durch den
Besitz christlicher Sklaven den Unwillen des Preußenapostels
Adalbert von Prag. 1100 werden sie in Gnesen erwähnt. Im
13. Jahrhundert lebten in Ungarn „nach einem Bericht des
158
Erzbischofs Robert von Gran aus dem Jahre 1229 an den Papst,
damals noch Juden mit christlichen Frauen ungesetzlich in
Mischehen und letztere traten häufig zum Judentum über;
christliche Eltern verkauften ihre Kinder an Juden, manche
ließen sich auch aus Gewinnsucht beschneiden, so daß binnen
weniger Jahre viele Tausende vom Christentum abfielen" (von
Czörnig). Diese Beziehungen haben sich, je weiter nach Osten,
um so länger, bis in das 19. Jahrhundert als legale Zustände
fortgesetzt. 1817 richteten die Kansker Juden in Sibirien ein
Gesuch an die russische Regierung, mit den eingeborenen Mäd-
chen der turkotatarischen Kalmückenstämme Ehen schließen
zu dürfen, da die Judengemeinden unter Weibermangel litten.
Diese sibirischen Kolonistengemeinden sind zu angesehenen
Gliedern der russischen Judenheit herangewachsen.
Aus all diesen Einzelberichten gewinnt man den Eindruck,
daß der Proselytismus in der Frühgeschichte der öst-
lichen Juden eine bedeutende Rolle gespielt hat, wo-
für die Häufigkeit slawischer und mongolischer Züge unter den
Juden ein sichtbares Beweismaterial liefert. Fishberg hat darauf
aufmerksam gemacht, daß die Blondheit unter den Ostjuden
nicht, wie es die Amoritertheorie Chamberlains verlangt, mit
dem germanischen hohen Wuchs sondern, entsprechend der
slawischen Konstitution, mit kurzem, gedrungenem Körperbau
verbunden ist, während die hochgewachsenen Juden in der
Mehrzahl dunkelhaarig sind^).
Durch den Zustrom slawisch-mongolischen Blutes wurden
die osteuropäischen Juden um eine Nuance bereichert, die dem
Juden der West- und Südländer fehlt, so daß die zur Zeit der
Zerstörung Jerusalems einheitHch charakterisierte Masse der
Juden nun in zwei Lager geteilt wurde: die russischen Juden
oder Aschkenasim und die sogenannten spanischen Juden
oder Sephardim. Die Aschkenasim unterscheiden
sich von den Sephardim durch den slawisch-mon-
golischen Einschlag. Der aschkenasische Typus ist der
reichere; er trägt den sephardischen in sich; er ist der jüngere
Typ, während der Sepharde der ältere, „echtere" ist. Daher
^) Für die Zuverlässigkeit der anthropologischen Angaben ist es
bemerkenswert, daß, wie von fast jeder anderen, so auch von dieser Fest-
stellung, die doch eigentlich einwandfrei zu datieren sein müßte, durch
andere Autoren genau das Gegenteil behauptet wird. Majer und Koper-
nitzki fanden, daß Blondheit unter den Ostjuden häufiger mit Körper-
größe als mit Gedrungenheit zusammengehe.
findet man unter den Aschkenasim alle Typen der Sephardim,
aber den Sephardim fehlt der slawisch-mongolische Typ des
russischen Juden.
Milieueinflüsse haben den Unterschied zwischen Aschkenasim
und Sephardim noch verstärkt. Die Sonne Spaniens und Afrikas
hat die seit 2000 Jahren dort lebenden Juden gebräunt; der
Aufenthalt im russischen Norden die Farbe der dortigen Juden
gehellt. Außerdem ist es eine bekannte Erscheinung, daß das
soziale Milieu „abfärbt". Der Deutsche ändert in Amerika in
wenigen Jahren seine Physiognomie unter Annäherung an den
amerikanischen Typus; der Europäer japanisiert sich in Japan;
das Ghetto besitzt seine eigene Physiognomie. So haben die
Juden, die seit vielen Jahrhunderten unter den Arabern leben,
arabische Allüren angenommen, während die Juden im Osten
russische Stigmata erwarben.
Durch den Proselytismus im Osten sind der Judenheit noch
«in Mal, und zwar zum letzten, blonde Elemente in größeren
Mengen zugeflossen, so daß man nunmehr einen Überblick
über die Quellen der Blondheit unter den Juden
besitzt.
Als solche sind zu betrachten:
1. Die Spielart: Wie unter allen Völkern der weißen Rasse
kommen auch unter den Juden Blondlinge als einfache Varie-
täten zur Beobachtung. Selbst der Begründer der Politisch-
anthropologischen Schule Woltmann vertritt die Ansicht, „daß
dn großer Teil der blonden Juden nicht aus einem Bluteinschlag
von nordischen Stämmen sondern aus einer Eigenvariation der
hethitischen Rasse hervorgegangen ist".
2. Das Milieu: Der nunmehr bald zweitausendjährige un-
unterbrochene Aufenthalt im Norden hat selbstverständlich auf
die Juden des Nordens ebenso aufhellend gewirkt, wie er es fort-
gesetzt auf alle Völker der nordischen Breiten tut. Daß Miheu-
einflüsse äußerst rasch bemerkbar werden können, haben die
Veränderungen der Europäer in Amerika, Japan und in den
Tropen erwiesen.
3. Geschlechthche Zuchtwahl: Es mag sein, daß in den ver-
schiedenen Ländern, wie die Autoren hervorheben, eine gewisse
Zuchtwahl stattfindet, indem bei Heiraten jene Typen bevor-
zugt werden, die dem Schönheitsideal des Landes entsprechen,
also im Süden die Brünetten, im Norden die Blonden. Doch
wird diese Zuchtwahl bei den Juden des Mittelalters, deren
Richtlinien bei der Eheschließung fast ausschließlich von
160
^*
intellektuellen, religiösen und sozialen Gesichtspunkten und
am allerwenigsten von ästhetischen geleitet wurden, nur einen
minimalen Einfluw geübt haben können.
4. Mischehen mit den Eingeborenen, die im Norden zur Ver-
mehrung der Blondlinge, im Süden zur Vermehrung der Brü-
netten führen. In engster Beziehung zu diesen Mischehen steht
5. der Proselytismus in dem erwähnten Umfang, der natür-
lich ebenfalls im Süden die Vermehrung der Brünetten, im Nor-
den die Vermehrung der Blonden begünstigte. Da namentlich
im frühen Mittelalter und ganz besonders wieder im Osten der
Zustrom von Proselyten sehr stark gewesen zu sein scheint,
erklärt sich durch ihn der hohe Prozentsatz von Blonden unter
den Aschkenasim des Ostens gegenüber den im allgemeinen
dunkleren Sephardim des Südens.
6. Frühgeschichtliche Rassenkreuzung mit den wahrschein-
lich nordisch blonden Philistern und später mit Griechen, Römern
und Angehörigen germanischer Stämme
IVlit der Aufhebung der Sklaverei und der all-
gemeinen Christianisierung endet etwa um das Jahr
1000 der Proselytismus und mit ihm der zweite Ab-
schnitt in der Rassengeschichte des jüdischenVolkes.
Durch ihr Gesetz dazu angehalten, durch Not ge-
zwungen, leben die Juden von nun an in einer
Inzucht, die in ihrer Dauer und Strenge in der Ge-
schichte der westlichen Völker ohne Beispiel ist
Aus dieser dritten Periode, der Epoche der Rein-
zucht, ist das jüdische Volk nach allen voran-
gegangenen Kreuzungen und Mischungen als eine
anthropologisch umgrenzte Einheit, als eine Rasse
hervorgegangen. Innerhalb dieser Rasse herrscht ent-
sprechend der Vielzahl der Komponenten und der Kürze der Rein-
zuchtpeiiode ein großer Typenreichtum. Es gibt nicht einen
jüdischen Typ; man kann aus einem Gruppenbild von 100 Per-
sonen nicht einen Juden mit Sicherheit herauslesen, so wenig man
es von irgendeiner anderen „Kulturrasse" der Menschheit ver-
mag. Fertigt man jedoch Bilder von 100 Juden an, so kann man
das jüdische Typenbild aus 100 Typenbildern anderer Völker
ohne Besinnen erkennen. Die Juden sind eine Rasse — nicht
im strengen Sinn der Zoologie, und noch weniger, wie man es so
viel mit falschem Stolz verkünden hört, eine ,,seit Jahrtausenden
rein erhaltene Rasse", wohl aber in jenem weiteren und höheren
\l Kahn, Die Jiid*a. 161
«
Sinn, den Kulturgeschichte und Sprachgebrauch dem Terminus
Rasse gegeben haben. Wenn man das Wort Rasse auf nationale
Einheiten anwendet, deren Gheder durch gleichen Milieueinfluß
und fortgesetzte Inzucht einander bis zu einem gewissen Grad
art- und blutsverwandt geworden sind und sich nun auch kör-
perlich und geistig verwandt fühlen — wenn man in diesem Sinn
die Deutschen, die Franzosen, die Engländer als Rassen germa-
nischen, gallischen, britischen Schlages bezeichnet und als Völ-
kerindividualitäten charakterisiert und gegenüberstellt, so ist
auch der Jude unter diesen Begriff der Rasse zu setzen. In ihrer
Gesamtheit bilden die Juden, allem Reichtum der Typen und
allen historischen Mischungen zum Trotz, eine ebenso anthro-
pologisch-kulturologisch charakterisierte Einheit wie nur irgend-
eine andere Bluts- und Kulturgemeinschaft der westlichen Welt.
Die einzelnen jüdischen Typen mag man unter Arabern, Ira-
niern, Armeniern, Ägyptern, Mongolen, Germanen und Slawen
^ original wiederfinden; aber eine aus diesen Komponenten, in
™ diesem spezifischen Mischungsverhältnis zusammengesetzte, erst
2000 Jahre gemischte und dann 1000 Jahre rein gezüchtete und
— was die Hauptsache ist — psychisch so eigentümlich und ein-
heitlich orientierte Gemeinschaft wie die heutige Judenheit
findet sich nur einmal auf Erden, ist eine Individualerscheiming
unter den Völkern und repräsentiert sich uns mithin als das,
was wir in dem höheren Sinn der Kulturgeschichte als Rasse
bezeichnen.
Endlose Debatten werden darüber gesponnen, ob die Juden
eine Rasse, eine Nation oder eine Glaubensgemeinschaft dar-
stellen, Debatten, die nie zu einem Ende führen können, weil
die Fragestellung falsch ist: die Juden sind weder das eine noch
das andere, sondern das eine und andere zugleich. Durch den
Zusammenschluß verschiedener Volksstämme zu einer politi-
schen und kulturellen Gemeinschaft entstand um das Jahr 1000
V. Chr. die jüdische Nation. Als Nachkommen dieses durch
die Römer versprengten Volkes sind die heutigen Juden eine
durch ein politisches Zufallsschicksal über die Erde verstreute
Nation. Man hat eingewendet, ein Volk, das keine Heimat mehr
besitze und keinen Staatsverband mehr bilde, sei nicht mehr
Nation zu nennen. Mit Recht. Aber das jüdische Volk besitzt
eine Heimat und bildet einen Staatsverband — in der Idee, im
Willen, und das entscheidet alles. Das Kriterium der Nation ist nicht
der reale Besitz eines Landes und nicht die Realisation eines Staats-
verbandes— wie können zwei so äußerliche,von rein mechanischeD
162
Zufällen abhängige und jederzeit wieder wendbare Konditionen
eine Idee, wie die Nation doch einzig ist, zunichte machen? —
das Kriterium der Nation ist die Blutsverwandtschaft der Leiber
und das Solidaritätsgefühl der Seelen, sind Bewußtsein und
Wille, gegenüber allen anderen Gemeinschaften der Erde eine ge-
schlossene Brüderschaft zu bilden. Wenn in den Juden die Idee der
Heimat nicht mehr lebt, wenn sie nicht mehr die Erinnerung an die
gemeinsame Vergangenheit und die Hoffnung auf eine gemeinsame
Zukunft verbindet, wenn sie sich nicht mehr als Glieder eines
Volkes fühlen, sondern statt russische Juden Russen und statt
polnische Juden Polen sein wollen und sich x-beliebigen Mushiks,
unter die sie das Zufallsschicksal verschlagen, körperlich und
seelisch näher fühlen als einem Juden, der ihnen irgendwo in der
Welt die Hand zu einem Brudergruße schüttelt — dann erst hören
sie auf, das was sie sind, eine Nation zu sein. Aber noch ist in ihnen
über alle differenzierenden Einflüsse der verschiedenen Milieus der
Weltzerstreuung, über alle Akklimatisationen und Assimilationen
an die verschiedenen Völker und Sitten der Diaspora und über alle
Nivellierungen des InternationaHsmus das spezifisch Jüdische in
Lebensführung und Weltanschauung sieghaft geblieben. Noch
übertönt in allen jüdischen Herzen das Lecho daudi die Marseil-
laisen der verschiedenen Gastnationen, noch horcht der Jude, ob
er im Zyhnder an der Londoner Börse oder im Kaftan über
den polnischen Markt geht, ob er als Farmer in Argentinien mit
dem Präriepferd über seine Weidewiesen oder unter der Sonne
Afrikas auf Kamelen im Burnus über die Wüste reitet, wie auf
die Stimme der Mutter, wenn man ihm Schalom alechem! zu-
ruft. Das alte Band umschlingt die alten Herzen und ein neues
Geschlecht wirkt seine Fäden neu . . .
Da die Kulturtendenz des jüdischen Volkes eine religiöse war
und seit Aufhebung der nationalen Einheit die alte Staats-
religion das stärkste Band für die zerstreuten Volksgenossen
bildet, ist die Judenheit zugleich Religionsgemeinschaft. Aber
durchaus nicht nur. Man hört nicht auf Jude zu sein, wenn man
Atheist wird und Schweinefleisch ißt. Durch die Taufe kann man
katholisch werden, aber nicht Germane. Denn Jude sein heißt, über
den Rahmen einer Glaubensgemeinschaft hinaus Glied eines Volkes
von bestimmtem Nationalcharakter, Typus einer Rasse von be-
stimmtem anthropologischen Einschlag Zu sein. Und so wenij^
man seine Haut von sich streifen kann, so wenig vermag man sieb
dieser Wesensart zu entäußern. Nur durch Mischehe kann ein Jude
in seinen Nachkommen die Eigenart des jüdischen Wesens allmäh-
11« 16a
Wf
lieh zum Erblassen bringen, so wie man Rotwein durch immer
erneute Mischung mit Wasser allmählich seiner Farbe beraubt.
Das Tripleproblem Rasse, Nation oder Glaubensgemeinschaft,
jedes einzelne schon verstrickt genug, wird dadurch noch ver-
schränkter, daß sich die Grenzen der drei Kategorien nicht
decken. Der jüdischen Glaubensgemeinschaft haben sich Völker
angeschlossen, ohne durch Mischehe und soziale Anpassung in
die jüdische Rasse oder Nation einzutreten. Dadurch gibt es
Bekenner der jüdischen Religion, die weder nach Rasse noch
Nation zu den Juden zu zählen sind, z. B. die jemenitischen
Juden, die Araber sind und die man statt jemenitische Juden
besser jüdische Jemeniten nennt, ferner die kaukasischen Juden,
die richtiger jüdische Kaukasier genannt würden, die Falascha
Abessiniens und die sonstigen Proselytengemeinden der Fremde.
In der Ignorierung dieser einfachen Tatsache, daß nicht
alle Bekenner des Judentums Juden sind, sondern viele von
ihnen nur „Proselyten am Tore", scheiterten alle bisherigen Ver-
suche, die jüdischen Rassentypen anthropologisch zu sichten.
Fishberg stellt die Photographien von jüdischen Chinesen, spa-
nischen Juden und abessinischen Falascha zusammen und be-
hauptet, nachdem er in einem dicken Buche alle Unterschiede
zwischen ihnen aufgezählt, „daß die Rassenhomogenität der
Juden nichts als eine Mythe sei". Wie billig ist diese Wahrheit !
Mit eben demselben Recht kann man drei englische Untertanen,
einen Hottentotten, einen Buren und einen Inder, nebeneinander
stellen und damit der Welt beweisen, „daß die Rassenhomo-
genität der Briten nichts als Mythe sei". Die strenge Schei-
dung zwischen den echten Juden der Rasse und
den fremdrassigen Proselytenvölkern jüdischen
Bekenntnisses muß die Voraussetzung aller künf-
tigen anthropologischen Untersuchungen über die
Juden bilde n. Nur wenn man die Proselytenvölker ausschei-
det und sich auf die Untersuchung der Nachkommen der palä-
stinensischen Juden, der Aschkenasim undSephardim, beschränkt
und auch hier wieder die historischen Soaderschicksale und
späteren Kreuzungen genau berücksichtigt, kann man vielleicht
zu einer anthropologischen Charakteristik der heutigen jüdischen
Rasse gelangen. Alle bisherigen Arbeiten über die Anthro-
pologie die Juden haben diese Fundamentaltatsache außer
acht gelassen und sich dadurch mit dem Stempel der Unzuläng-
lichkeit gezeichnet. Sie werden vor dem Richterstuhl der
Nachwelt einmal ebenso mitleidiges Lächeln finden wie heute
164
vor unseren Blicken etwa die ,,Historia naturalis" des Albertus
Magnus. Wer auch nur in jenen skizzenhaften Umrissen,
in denen es hier versucht wurde, die Geschichte der jüdischen
Rasse überschaut, wird erkennen, daß das Problem unver-
gleichlich komplizierter ist als gemeinhin angenommen wird
und leider auch so vielfach von seinen Untersuchern auf-
genommen wurde; daß sich das jüdische Rassenproblem
weder in dem Rahmen eines Abendvortrags „lösen", noch,
um nur eine der bekanntesten Publikationen zu nennen, in
einer 30-Seiten-Broschüre wie der von Stratz auch nur einiger-
maßen angemessen behandeln läßt. Dazu ist es viel zu groß
und tief, viel zu verwickelt und verworren; nur ernster Fleiß
und reiches Wissen, weiter Blick und tief sondierende Kritik
vermögen es zu meistern. Und für unsere Zeit mit ihrem dürf-
tigen Einblick in die alte Geschichte und ihren unzulänglichen
Methoden der Anthropologie erscheint es vorderhand völlig un-
angreifbar. Daher ist auch das, was hier im Vorangegangenen
gegeben wurde, durchaus nicht als eine Lösung des Problems
der jüdischen Rasse sondern nur als eine Übersicht über das zu
bearbeitende Material anzusehen. Erst wenn wir die Fragen
nach der Gliederung der weißen Rasse und dem Verhältnis ihrer
Völker zueinander, wenn wir die Stammesgeschichte der Baby-
lonier und Ägypter, der Amoriter und Kanaaniter, der Hethiter,
der Philister und der Chasaren kennen, wenn wir über den Umfang
der Mischehen, des Proselytismus und der Sklavenbekehrungen,
über die Frühgeschichte der Ostjuden und auf naturwissen-
schaftlichem Gebiet über die Einflüsse des Milieus, der Inzucht
und der Kreuzungen genauere Kenntnisse erworben, vor allem
aber auch in den Besitz von Methoden gelangt sind, Menschen-
typen überhaupt exakt zu charakterisieren und zu klassifizieren
— erst wenn all diese und hundert andere Vorbedingungen er-
füllt sind, können wir zu einem abschließenden Urteil über die
RassenstoUung der Juden gelangen. Bis dahin müssen wir uns
mit den allgemeinen Abgrenzungen, wie sie hier gezogen wurden,
begnügen. Es ist gewiß nicht viel, wenn man am Ende, dem Berg-
fülirer gleich, der einen Wanderer einen schweren Weg umsonst ge-
leitet, nichts zu sagen hat als: Siehe, es ist Nebel um uns, kein
Ziel der klaren Aussicht winkt — ignoramus. Aber es ist besser,
sich mit sokratischer Einsicht in die Klause der Bescheidenheit
zurückzuziehen als, wie die Germanentheoretiker es tun, Potem-
kin'sche Dörfer aufzubauen und sich an einer Illusion zu be-
geistern.
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DIE KULTUR DER JUDEN
Wenn man einen Menschen nach den Grundsätzen der huma-
nistischen Erziehung mit der Kultur der Griechen und
Römer vertraut machte, ohne ihm Kenntnis von der Existenz des
jüdischen Volkes zu geben, und, nachdem man ihn ganz mit der
Antike und der Bewunderung für sie erfüllt hat, eines Tages die
Bibel brächte und ihm sagte : Siehe, hier im Osten, wo nach deiner
und der Griechen Meinung nur Barbaren lebten, trat 2000 Jahre
vor Plato ein Volk auf den Schauplatz der Geschichte, dessen
Chronik diese Bibel ist. Sie beginnt mit einem Schöpfungsmythus,
in dem im Gegensatz zu allen anderen Religionen die Welt nicht
aus einem Kampf der Götter sondern als das wohldurchdachte
Werk eines liebenden Allvaters geschaffen wird. Seine Heroen
sind keine Drachenkämpfer und Riesentöter sondern Patriar-
chen, deren Leben von Frömmigkeit und Sittlichkeit erfüllt ist.
Der Nationalheld dieses Volkes ist kein Schlachtensieger sondern
ein Rehgionsverkünder, der als höchste PfHchten Abkehr vom
Götzendienst und liebende Verehrung eines Gottes, werk-
tägliche Arbeit, Achtung vor den Eltern, Sabbat für Knecht
und Vieh, Unantastbarkeit des Lebens und Heiligkeit des Eides,
der Ehe und des Eigentumes fordert. In dem Kommentar zu
diesem Gesetz, der das gesamte Leben des Volkes bis in seine
Einzelheiten nach sittlich-sozialen Grundsätzen regelt, finden
sich Maximen wie: Es soll keine Armen geben in Israel. Liebe
deinen Nächsten wie dich selbst. Liebe auch den FremdHng
wie dich selbst. Deinen Feind, den hungert, speise mit Brot;
wenn ihn dürstet, tränke ihn mit Wasser. Wenn du den Esel
deines Widersachers erliegen siehst unter seiner Last, so nimm
sie ihm ab. Du sollst den Lohn des Tagelöhners nicht über
Nacht in deinem Haus behalten. Beuge nicht das Recht des
FremdHngs, sei den Waisen ein Beschützer und pfände einer
Witwe nicht das Kleid. Koche nicht das Zicklein in der Milch
seiner Mutter.
An dieses Gesetzbuch schließen sich Gesänge, Psalmen, die
durch Würde, Ernst und Inbrunst eine einzigartige Stellung in
der Lyrik der Welthteratur einnehmen. Ihnen folgen die Reden
der Propheten, Preis-, Mahn- und Bußreden, Tyrtäussänge und
10$
Philippicae, Dithyramben und Ekstasen, in denen der ethische
Gehalt des Deuteronomiums den engen Rahmen kultischer Vor-
schriften sprengt und sich zum philosophischen Weltbekenntnis
des ethischen Monotheismus weitet. Feurige Visionen und
flammende Weissagungen durchleuchten wie Nordlicht und
Kometenschein den Sternenhimmel ihrer Prophetie. Hieran
reihen sich Poesien verschiedenster Gattung: das Liebesidyll
Sulamith — ein Hohelied der keuschen Minne, entstanden als
Protest gegen die Laszivität der modischen Liebeslyrik des
Auslandes; die Pastorale Ruth — eine Glorifikation der
Freundschaft, Dankbarkeit und sozialen Wohlfahrt; die Novelle
Esther — eine Verherrlichung der dem Vaterlande auch im Glück
der Fremde bewahrten Treue ; Hiob — das Faustdrama der über-
wundenen Versuchung; das Jeanne d'Arc-Schauspiel Judith;
das Heldenlied Deborah, der Roman Simson, die Legende Daniel,
die Ballade Belsazar, das Märchen Jona, die Sentenzensammlun-
gen Salomonis und Sirachis und als zweiter Teil das Neue Testa-
ment, in dem der Gedankenschatz der jüdischen Reformatoren
niedergelegt ist, mit der Bergpredigt, dem Proto-Manifest alles
SoziaUsmus und Kommunismus auf Erden, dem Korintherbrief,
diesem Ur- und Allhymnus des siegenden Vertrauens auf die
Macht der Liebe, und als Abschluß des Ganzen der Apokalypse
Johannis, dem farbenreichsten Phantasiegemälde, das jemals
eine Menschenseele aus den Tiefen ihrer Träume in die Welt
der Worte projizierte.
Wenn man dem Schüler der Antike mit diesen Bemerkungen
die Bibel überreichte, könnte es anders sein, als daß ihn höchste
Bewunderung für dieses Volk ergriffe, und er es ganz gewißlich,
wenn nicht höher, so doch mindestens ebenbürtig neben Grie-
chen und Römer stellte ? Daß in dem Kopfe dieses vorurteilsfrei
erzogenen Menschen niemals auch nur der Schatten eines Zwei-
fels an dem vollen Rassenwert der Juden aufkommen könnte?
Daß er die Motive eines solchen Zweifels gar nicht begriffe ? Er,
der Vorurteilslose nicht — wir begreifen sie. Denn wir haben sie ja
kraft einer falschen Erziehung an uns selber erfahren. Auch
wir lernten die Bibel mißachten, weil man sie uns zu hoch zu
achten zwingen wollte. Weil man sie uns zu frühe zwischen
Märchenbüchern und Ammengeschichten als mystische Offen-
barung lehrte, als ein Polizeireglement des Himmels fürchten,
aber nicht als Menschenwerk bewundern. Und was man nicht
bewundern lernt, lernt man nicht lieben. Wer schaut auf das
täglich über uns erstrahlende Mirakel der Sonne? Niemand,
169
r-, W
denn es ist uns seit der Jugendzeit alltäglich. Doch wenn ein
Komet am Himmel leuchtet, stellen wir uns auf die Dächer
und beginnen zu bestaunen. Wenn man mit zwanzig Jahren
Kung-fu-tse und Lao-tse zur Hand bekommt, ist man er-
griffen, bei den „alten Chinesen" — 300 Jahre vor Christus —
die Maximen der Barmherzigkeit zu finden. Daß Moses 1000
Jahre vorher diese Lehren in einer unvergleichlich genialeren
Konzeption, nicht einer Sekte weltentsagender Asketen als ge-
läuterte Altersweisheit, sondern einem ganzen Volke als Real-
verfassung vorgezeichnet hatte, und daß dieses Volk bis zu
Kung-fu-tse's Zeit schon ein Jahrtausend nach dem strengen
Sittenritual des mosaischen Gesetzes lebte und als Blütenfrucht
des Weihedaseins ganze Generationen heiliger Helden geboren
hatte, aus deren Reihe die Hochgestalten der Propheten ragen —
daß alsbald hernach aus diesem Volke Christus und die Zwölf-
zahl seiner Jünger hervorgingen, von der arischen Nachwelt mit
der Gloriole des Heiligenscheins geschmückt, weil sie zu gött-
lich schienen, als daß sie hätten Sterbliche sein können, daß alle
diese Menschen von der Patriarchengestalt Abrahams bis zum
Apokalyptiker Johannes Juden gewesen waren, daß all der un-
erschöpfliche Reichtum der Gedanken und Empfindungen, daß
all die Weisheit, Gnade, Güte und Barmherzigkeit, all die
Nächstenliebe und Friedfertigkeit, die aus der Bibel hervor-
leuchten, daß all das heiße Gottvollendungsringen, all die feste
Zukunftszuversicht in die Erfüllung des messianischen Reiches,
all die Hingabe für diese Idee „des Himmels auf Erden" von
der Opferung Isaaks bis zum Märtyrertod eines Petrus oder
Akiba, kurz alles das, was man als Offenbarung, Auserwähltheit
und Verkündigung feiert, betet, im Staube liegend erschauernd
anhört, daß alles dieses nicht ein Gnadengeschenk des Himmels
sondern das erlebte und gestaltete Werk des jüdischen Volkes
war, seine Dichtung, Kunst und Philosophie, seine National-
schöpfung, sein Wesen, sein Wille, seine Rasse — dessen waren
wir uns nicht bewußt geworden. Man hatte es uns falsch und
zu früh gelehrt. Man hatte uns den klaren Wein nicht wie den
Griechennektar in den schäumenden Schalen der Begeisterung
kredenzt sondern als Katechismenweisheit aus den Stöpsel-
flaschen des Moralunterrichts, dreimal täglich einen Löffel,
verabfolgt, als sei es Lebertran. Und wovon der Jüngling zu
gegebener Zeit freudetrunken worden wäre, davon wurden die
Kinder in den Montagmorgenstunden müde. Und sie haßten
diesen Trank, und empfinden heute noch, wenn man von Bibel
170
spricht, den bitteren Nachgeschmack der mit Rohrstock und
Arreststunde beigebrachten Schulmoral. Das Ambrosia ist ihnen
Lebertran geblieben.
Ein Volk, dessen Volksbuch die Bibel ist, i s t rassenwertig.
Daß man über den Rassenwert eines solchen Volkes eine Ver-
teidigungsschrift verfaßt, ist ein Verdammnisurteil für die Zeit,
der man es muß, ist ein Armutszeugnis für die Kultur, die den
Gedanken hieran in dem Hirne eines Menschen hat erwecken
können. Wenn die Juden in ihrer ganzen Geschichte nichts ge-
leistet hätten als dieses eine Werk, wenn sie heute nichts mehr
leisteten, sondern nur noch als lebende Kulturfossilien einher-
gingen wie die Panzerlurche Australiens, so müßte die Mensch-
heit ihnen Achtung zollen um dieses einen Buches willen, das
seit zweitausend Jahren die unerschöpfliche und bis an die
Schwelle der Neuzeit fast einzige Quelle geistigen Labsals für
die Massen der westlichen Welt gewesen. Wieviel Trost, Er-
bauung, heiße Inbrunst, Kraft und Mut und heiligen Vorsatz
hat die Menschheit nicht aus diesem einen Buch, dem Buche
■der Bücher, geschöpft? Dem Kind wird es als erstes Weih-
geschenk aufs Kissen seines Taufbestecks gelegt, die Braut
•empfängt es mit der Morgengabe, der Soldat trägt es als Amu-
lett in seinem Ranzen, und dem Sterbenden wird aus ihm vor-
gelesen als den letzten Worten, die die Welt ihm mitzugeben
hat. Als Kaiser Wilhelm zum letzten Mal vor seine Truppen trat,
schloß er seine Rede mit Zitaten aus den Psalmen; als Präsi-
dent Wilson zu den Friedensverhandlungen schritt, empfing er
,,zur speziellen Verwendung für die Friedenskonferenz" eine in
Leder gebundene Bibel. Welche Wirkung hat Plato auf den
arischen Geist geübt ? Unter 50 000 haben ihn drei gelesen und
hat ihn einer verstanden. Kants „Kritik der reinen Vernunft" ist
und bleibt dem Volke ein Mysterium. Die ganze deutsche Natio-
nalliteratur vom Hildebrandslied bis zum Zarathustra hat auf
die geistige Entwicklung der Deutschen nicht im entferntesten
die Wirkung ausgeübt wie dieses eine jüdische Buch, dieses, wie
Goethe gesagt hat, ,,ewig wirksame Werk". Die erste deutsche
Geistestat in der Geschichte ist die Übersetzung der Bibel.
Mit ihr beginnt die Geschichte der deutschen Nationalkultur.
Man überlege sich, wie seltsam es ist: der deutsche Geist er-
wacht, will ein erstes Werk, sein erstes nationales Werk voll-
führen — und übersetzt das Volksbuch der Juden in seine
Sprache. Und bis auf den heutigen Tag ist dieses Judenwerk
das einzige Buch geblieben, das man in jedem deutschen Bauern-
171
hause finden kann. Streicht man Schopenhauers Welt als Wille,
das populärste philosophische Werk, oder selbst Deutschlands
volkstümlichste Dichtung, den Faust, aus dem Bewußtsein der
Gegenwart, so risse man keine fühlbare Lücke in das Gedächt-
nis der Zeit. Aber undenkbar ist die heutige Kultur ohne die
Bibel. An ihr sind die Völker Europas groß geworden. An ihr
haben die Nationen lallen gelernt. Sie ist die Ammenmilch
der Geister.^)
Hin peinliches Gefühl für alle von der Einzigkeit ihres Ger-
manentums und der Minderwertigkeit der Juden überzeugten
Hauserianer und Chamberlainisten. Wie frohlockten sie daher,
als die versunkene Kultur Babyloniens neu ans Tageslicht ge-
fördert wurde und man entdeckte, daß biblische Motive, Rede-
wendungen und Kunstformen babylonisches Erbgut waren —
die Schöpfungsmythe nach einem babylonischen Vorbild ent-
worfen, die Sintflutsage babylonische Legende, der Sabbat
eine babylonische Institution — nun war die geistige Sterilität
der Juden klar erwiesen. Nicht einmal ihr Einziges und Eigenstes
original! Selbst ihre Chronik Entlehnung. Die Juden auch im
Altertum wie in der Neuzeit schöpferisch unfähige Vermittler.
Es ist wahr. Die Bibel übernimmt babylonische Motive.
*) Brunner: „Die Nachahmung des jüdischen Geistes war und ist
eine ganz unverhältnismäßig allgemeinere und tiefer einschneidende als
die des griechischen. Bei aller Hoheit und Wunderbarkeit der griechischen
Schöpfung: an das Allgenügende der Bibel reicht sie nicht heran; ganz
unbestreitbar, der jüdische Gedanke hat größere Menschheitsbreit, eund
was er tatsächlich geleistet, ist nicht zu zählen und nicht zu wägen . . .
Was ist unsere Abhängigkeit von Griechenland in einigen Einzelheiten
und das Gräzisieren von ein paar Dichtern und Künstlern, was ist das
gegen das Judaisieren der ganzen Welt? . . . Wie unbedeutend erscheint
die Wirkung des klassischen Griechisch, verglichen mit dem, was das un-
reine Judengriechisch der Septuaginta und des Neuen Testaments über
die Welt vermocht hat! Die Ideen des Judentums sind weit und breit
den Völkern bei hoch und niedrig, arm und reich, bei denkend und nicht-
denkend, gelehrt und unwissend, bei gläubig und ungläubig tief, tief ins
feinste Mark und Leben gedrungen." — „Was ist so bedeutend in der
Geschichte und Kultur, was gleichermaßen befruchtend für die Mensch-
heit, grenzenlos wirksam mit seinem Leben und mit dem Widerschein
seines Lebens heute noch und ganz gewiß auch noch morgen als das Juden-
tum?" — „Das Judentum mit seinen Gedanken und seiner Gedanken-
stimmung ist die hauptgeschichtliche Überlieferung seiner Kultur und
die tiefste und lebendigste Wirklichkeit unserer Völker — das Judentum
aufgeben, das heißt für unsere Völker ihr Dasein aus dem Weltgefüge
reißen."
172
Aber diese Tatsache ist für die Beurteilung des Bibelwertea
ungefähr ebenso wesentlich wie die Feststellung, daß Egmont
gar keine Erfindung Goethes ist sondern dreihundert Jahre
vorher in Flandern leibhaftig gelebt hat. Palästina war ein
babylonisches Kulturland wie das mittelalterliche Italien ein
solches des christlichen Europa, und daß sich das jüdische Volk
mit seinen kosmogonischen Vorstellungen im Gedankenkreis
der babylonischen Welt bewegt, ist ebenso natürhch, wie daß
die italienischen Künstler in ihren Werken christliche Motive
darstellen. Ist Raffael ein geringerer Künstler, weil die Madonnen
nicht seine Erfindung sind ? Leonardo kein originaler Schöpfer,
weil er das Abendmahlmotiv der Bibel entnommen ? Goethe ein
Plagiator, weil er den Griechen die Iphigenie „gestohlen"?
Stoff ist rohes Material. Entscheidend ist der Geist, der ihn
gestaltet. Daß sich der Weltanschauungsbau des Judentums aus
babylonischen Ziegeln aufbaut, ist dem Kenner der vorder-
asiatischen Geschichte so selbstverständlich, daß ihm jeder
Disput darüber nur ein Lächeln entringen kann. Doch welch
Gebäude ward errichtet ? Aus Astartesockeln „ward dem Ewigen
ein Altar gebaut", aus Isishallen das Allerheiligste geschaffen.
Nicht von der Voraussetzung der Unterschiede darf man, nach
dem Rezept von Delitzsch, Übereinstimmungen suchen und
wie ein Spitzel jubilieren, wenn man ein babylonisches Tüpfel-
chen im jüdischen Texte findet, sondern umgekehrt, von der
Voraussetzung der Übereinstimmung ausgehend, muß man die
Unterschiede hervorkehren. Die babylonische Weltanschauung
ist die entwicklungsgeschichtliche Vorstufe des Judentums, Babel
und Bibel nicht Parallelismen, sondern Deszendenz! Was hat
der jüdische Geist aus der babylonischen Weltanschauung, die
im vorgriechischen Altertum so allmächtig war wie im Mittelalter
die christliche, was hat der jüdische Geist aus ihr zu schaffen
gewußt? — das ist die Fragestellung des Problems Babel und
Bibel.
Durch die Entdeckung der babylonischen Unterlagen ist
das Judentum nicht, wie der Delitzsch'sche Antisemitismus trium-
phiert, als Plagiat und Epigonenwerk entlarvt und degradiert,
sondern hebt sich nun erst in seiner welthistorischen Bedeutung,
in seiner scharf umgrenzten und umstrahlten Silhouette gegen
den dunklen Hintergrund der babylonischen Zeitgeschichte ab:
der Pilger- und Prophetenzug der Menschheit. Ähnlich der spä-
teren römischen ist die babylonische Weltkultur — darum eben
ward sie Weltkultur! — eine ethisch arme Machtzivilisation des
173
Militarismus und Merkantilismus. Weltgeschehen und Menschen-
leben ein nach der Himmelsmechanik laufendes Uhrwerk, das Indi-
viduum ein eingeschraubtes Rad in dieser kosmischen Maschinerie.
Die Zeiten kreisen in monotonen Schleifen. Freiheit, Sittlichkeit
und Fortschritt in höherem philosophischen Sinne haben keinen
Antrieb in diesem Mechanismus. Das Judentum ist nicht, wie
es Chamberlain scholastisch konstruiert, die Repräsentation des
semitischen Wesens sondern, wenn man semitisch mit babylo-
nisch identifiziert, der Protest gegen diese Weltanschauung,
die siegende Überwindung des polytheistisch-astrologischen Ba-
bylonismus. Es ist der semitische Protestantismus, und der Jude
nicht der Prototyp des Semiten sondern sein Gegner, der —
Antisemit.
Als „Protestant" zieht Abraham von Ur und Harran in ein
fernes Land, um im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen „dem
Ewigen einen Altar zu bauen", so wie die Quäker, um das wahre
Christentum zu leben, aus dem bigotten England fliehen. Als
„Protestant" gegen den ägyptischen Despotismus, der nicht
nur Leiber sondern auch die Seelen knechtet, führt Moses
sein Volk in die Wüste und proklamiert ihm hier sein auf Frei-
heit und Sittlichkeit begründetes Gesetz. Als „Protestanten"
gegen den Babylonismus im Judentum erheben die Propheten
ihre Stimme gegen Babel, „den goldenen Kelch in der Hand
Jahwes, der die ganze Erde trunken macht"; als „Protestanten"
gegen den römischen Krämergeist der Bourgeoisie und den
Kapitalismus der Wirtschaftsform wandern Christus und seine
Jünger als Protestanten und Prediger der Umkehr durch das
judäische Land.
Man hat die Veranlagung zum Protestantismus als ein Rassen-
merkmal der Germanen bezeichnet. Eine so dehnbare Kappe
wie das Schlagwort Protestantismus läßt sich natürlich über
jeden Schädel ziehen. Aber mit Ausnahme des ersten und
des letzten der deutschen Genies, Luther und Nietzsche, zeigen
die großen Repräsentanten des deutschen Geistes: Händel, Bach,
Mozart, Beethoven, Leibniz, Kant, Schopenhauer, Schiller,
Goethe, Friedrich der Große und Bismarck, keinen Zug von Pro-
testantismus, und der Protestantismus jener beiden war nichts
anderes als der Protest des nordisch männlichen Charakters
gegen das unmännlich ungermanische Ideal, das das aus dem
Orient via Rom importierte Christentum ihrer Heimat auf-
gezwungen hatte. Mit ungleich größerem Rechte könnte man diese
Tendenz dem jüdischen Geiste zuschreiben. Von Abraham und
174
Jakob, die die Götter ihrer Väter zertrümmern, und Moses, der
im Zorn „den Mizri schlug", bis zu den modernen Führern des
Sozialismus und Kommunismus sind die weitaus meisten jüdi-
schen Charakterköpfe der Weltgeschichte Kämpfer, Überwinder,
Neuverkünder, Protestanten — ewige Protestanten gegen das
ewige unausrottbare Unrecht der menschlichen Gesellschafts-
ordnung.
Es wäre eine äußerst dankbare Aufgabe für einen Berufenen,
das Verhältnis von Bibel zu Babel unter dem Gesichtspunkt ,,Das
Judentum als Überwinder des Babylonismus" ausführhch dar-
zustellen. Die Unterlagen dafür sind schon heute durch Hunderte
von Textparallelen aus der Keilschriftliteratur gegeben. Dann
würde sich ein anderes als das von Delitzsch nicht nur flüchtig
sondern auch oberflächlich entworfene Bild enthüllen, das die
Juden als Epigonen der Babylonier zeichnet. Nach der Dar-
stellung von Delitzsch erscheint beispielsweise der biblische
Schöpfungsbericht als eine poetisch matte Nachgestaltung,
um nicht zu sagen Verunstaltung eines erhabenen babylonischen
Motivs. In Wahrheit muß das Verhältnis jedem, der über die
äußere Technik der Poesie den Geist der Dichtung zu erfassen
weiß, als gerade entgegengesetzt erscheinen.
In der babylonischen Kosmogonie lebt zu Beginn der Welt
Tihamat, die Drachengöttin, als Personifikation des Urmeeres. Sie
gebiert die Götter als ihre Söhne, die, genau wie die ihnen nach-
gebildeten homerischen, nichts anderes als Menschen in Über-
lebensgröße sind. Sie geraten mit ihrer Mutter in Streit und
beschließen nach einem olympischen Mahl, als ihnen ,,der Bauch
vom Weintrinken voll geworden, daß sie trunken waren und ihr
Herz höher schlug", daß der Lichtgott Marduk die widerspenstige
Drachenmutter töten solle. Zum Beweise seiner Würdigkeit läßt
Marduk vor allenGöttern einen Mantel (Weltsymbol) verschwinden
und wieder erscheinen. Dann wappnet er sich, fährt Tihamat
entgegen, die unterdes zu ihrer Unterstützung Ungeheuer erzeugt
hat, wechselt mit ihr homerische Reden, tötet sie und zerteilt
ihren Leib. Die Schilderung dieses Drachenkampfes ist freilich
von hohem poetischen Schwung getragen und macht, Dühring
und Chamberlain zum Trotz, den epischen Fähigkeiten der Se-
miten alle Ehre. Nach Abschluß des siegreichen Kampfes er-
richtet Marduk aus dem oberen Teil der erschlagenen Drachen-
mutter den Himmel, aus ihrem unteren die Erde. Am Ende der
Schöpfung, die sich nun wie im biblischen Text in sechs Tagen
vollzieht, soll der Mensch geschaffen werden. Einem Gotte wird
175
der Kopf abgeschlagen und aus seinem Blut vermischt mit Erde
der erste Mensch geformt.
Dieses in nuce die Vorlage des jüdischen Berichtes, in dem
beispielsweise das Wort Tihamat hebraisiert als Tehom für
Urmeer übernommen ist und sich noch durch seinen artikel-
losen Gebrauch als babylonischer Eigenname verrät — eine kraß
anthropomorphistisch- polytheistische Kosmogonie ohne den
geringsten Anflug zur Erhabenheit und ohne ethische Idee,
einzig geschrieben, Ursprung von Erde und Göttern zu erklären
und den Weltmachtsanspruch Babylons als Mittelpunkt der
Erde historisch zu begründen. Demgegenüber im biblischen
Bericht — der „Faust" ist nicht vom Puppenspiel verschiedener —
ein gütiger Gott als die selbstverständliche, gar nicht der Erklä-
rung bedürfende Voraussetzung des Daseins, und die Welt das
planvolle, in Liebe und Weisheit geschaffene Kunstwerk seiner
Hände, und als Krone der Schöpfung der Mensch, „im Ebenbilde
Gottes schuf er ihn" — ein erhabener Hinweis auf den Götter-
funken in unserem Busen und auf die im Innersten unserer
Natur verankerte Verpflichtung des Menschen zu Sitte, Fröm-
migkeit und Streben nach Gottvollkommenheit. Der babylo-
nische Schöpfungsbericht ist eine postskripte Einleitung zum
babylonischen Astrologismus und Imperialismus; der biblische
ist der Versuch einer naturwissenschaftlichen Begründung der
Religion als der höchsten menschlich-sittlichen Verpflichtung.
Das Verhältnis der beiden Schöpfungsmythen ist für sämt-
liche Parallelen bis zur Offenbarung des Johannis typisch. Wohin
man greift, immer, wie der Hallesche Theologe Cornill in seinem
verbreiteten Buch über den „Israelitischen Prophetismus" sagt,
das nämliche Resultat, „daß alles, was Israel von anders her
entlehnte, von ihm zu etwas völlig Neuem und Eigenem um-
gebildet wurde, so daß es schwer wird, in der herrlichen israeli-
tischen Umgestaltung und Neuschöpfung das ursprüngliche
Original wiederzuerkennen . . . Israel gleicht in geistiger Be-
ziehung dem fabelhaften Könige Midas, welchem alles, was er
berührt, sich zu Gold verwandelt."
Gold. Den Servihsmus ägyptischer Untertanengesinnung
wandelt es in die Demut staubbewußten Menschentums, den
Despotismus asiatischen Tyrannenwahns in eine auch noch heute
vorbildlich demokratische Auffassung der Staatsidee.
Auf ägyptischen Papyris fand man die ,, Vorbilder" der bi-
blischen Sprüche. „Krümme deinen Rücken" heißt es in einem
Spruch des Ptah-hotep „vor deinem Oberhaupt, deinem Vor-
176
gesetzten vom Königshause. So wird dein Haus bestehen mit
deiner Habe und deine Bezahlung wird eine richtige sein.
Schhmm ist es, wenn der Vorgesetzte zürnt, aber man lebt, wenn
er milde ist." „Heil dem Manne" khngt das Echo dieses Zeit-
geistes im Herzen Israels „der Weisheit gefunden, und dem
Menschen, der Einsicht gewonnen! Denn besser der Verkehr
um sie als Verkehr um Silber und reicher als Gold ihr Ertrag.
Teurer ist Einsicht als Perlen, und alle deine Kostbarkeiten
kommen ihr nicht gleich. Dauer der Tage ist in ihrer Rechten,
in ihrer Linken Fülle und Ehre. Ihre Wege sind freundliche
Wege und alle ihre Steige — Heil!" In den Tel-el-Amarna-
Briefen entdeckte man den Stil der psalmistischen Rede: „An
den König, meinen Herrn, meinen Gott, meine Sonne, die
Sonne vom Himmel! Ich, der Präfekt von X, bin dein Diener,
bin der Staub an deinen Füßen, bin der Knecht deiner Rosse.
Zu Füßen des Königs, meines Herrn, falle ich nieder, sieben-
mal und aber siebenmal, auf den Bauch und auf den Rücken."
Dieser typischen Anrede folgen Texte, die sich in ihrem Cha-
rakter ähneln wie ein Lakai dem anderen. „Mein Herr und
König" schreibt der ägyptische Statthalter von Tyrus an
den Pharao von Ägypten „ist der göttliche Sonnensohn, der
sich alle Tage über den Erdkreis erhebt nach dem Willen seines
wohltätigen Vaters, des himmlischen Gottes Sonne. Seine Worte
spenden Leben und Wohlfahrt, allen Ländern gibt Ruhe seine
Macht. Wie der Gott Ramman, so donnert er vom Himmel
nieder, und das Erdreich zittert vor ihm ... ja, wer dem König,
seinem Herrn, gehorcht und in Liebe seiner gedenkt, über ihn
geht der Gott der Sonne auf, und ein gutes Wort aus dem Munde
seines Herrn flößt ihm Leben ein. Willfahrt er aber den Worten
des Herrn nicht, so geht seine Stadt unter, und sein Haus und
sein Name erlöschen für alle Zeiten und in allen Ländern. Wer
aber dem Herrn als treuer Diener gehorcht, dessen Stadt ist
fest begründet und sein Haus sicher gebaut und sein Name
wird währen alle Zeiten." Ein anderer nicht minder großer
Schmeichler vor dem Herrn schreibt: „Ein treuer Diener meines
Königs bin ich. Ich blicke hierhin und blicke dorthin, aber es
wird mir nicht hell in den Augen; nun aber schaue ich auf den
König, meinen Herrn, und siehe, es wird hell in mir. Ein Ziegel
weicht wohl aus der Mauer, aber ich weiche nicht von meines
Königs Füßen . . . fest ruht auf meinem Nacken das Joch meines
Königs und ich trage es." Das sind Proben der Weltanschauung,
die Israel nährte. Nährte wie die Drachenmutter Tihamat den
12 Kahn, Die Jaden. 177
Göttersohn Marduk, der groß an ihr wurde — um sie zu bekämpfen
und zu überwinden. In Israel ist der König der erste Diener
seines Staates, dem das Gesetz befiehlt: „Er soll sich nicht yie\
Pferde halten . . . auch soll er nicht viel Weiber nehmen, daß sein
Herz nicht abtrünnig werde, und Gold und Silber soll er nicht
die Menge haben . . . und er soll alle Tage seines Lebens in dem
Gesetzbuch lesen, auf daß er lerne den Ewigen seinen Gott zu
fürchten . . . daß er sein Herz nicht erhebe über seine Brüder
und nicht weiche von Gottes Geboten weder rechts noch links."
Nicht Gottes Sohn, ja nicht einmal „von Gottes Gnaden", sondern
Mensch unter Menschen,wirft er sich, ein Nichts im Staube vor dem
Herrn der Welt, in Demut nieder: „Neige, Ewiger, dein Ohr und
erhöre mich, denn ich bin arm und dürftig. Erfreue die Seele
deines Knechtes, denn zu dir erhebt sie sich, o Herr! Denn du
allein bist groß und du einzig tust Wunder, o Gott. Lehre mich
deine Pfade wandeln in deiner Wahrheit und mein Herz deinen
Namen fürchten. Wende dich zu mir und sei mir gnädig,
leihe Macht deinem Knechte und hilf dem Sohne deiner Magd^)."
„Siehe, in Schuld ward ich gezeugt, und in Sünden empfing mich
meine Mutter. Entsündige mich mit Ysop, daß ich weiß werde
wie Lilien, und wasche mich, daß ich reiner sei als Schnee '^)."
Nicht Menschenabgott und Tyrann über Knechten — Vorbild,
Führer, Weiser will er werden Volk und Zeitgenossen, denen er
— einzigartige Erscheinung der Antike! — über die Grenzen
seines Landes hinaus als königlicher Künder psalmistischer
Weisheit zuruft 3): „Höret dieses all ihr Völker, horchet auf,
ihr Weltbewohner ! Ihr Söhne der Freien und Söhne der Knechte,
Reiche und Arme zumal, mein Mund redet Weisheit und meines
Herzens Sinnen ist Einsicht . . . Schauet auf die, so auf ihre
Habe vertrauen und mit ihres Reichtums Fülle sich brüsten,
die aber ihren Bruder nicht lösen würden aus seiner Knecht-
schaft ... Sie wähnen, ihre Häuser seien für die Ewigkeit und
1) Ps. 86.
a) Ps. 51.
«) Ob die Psalmen tatsächlich von Königen verfaßt sind, ist neben-
sächlich gegenüber der Tatsache, daß die Überlieferung des Volkes sie
ihnen als den Würdigsten zuschrieb. Daß auch im babylonischen Kultur-
kreis vereinzelte Geister sich zur Höhe monotheistischer Rehgion, ja selbst
zur Reinheit prophetischer Gottauffassung erheben, ist natürlich, z. B. in
dem wundervollen Fragment „Gegen deinen Gott sei reinen Herzens, das
ist der Schmuck, den die Gottheit verleiht" — aber solche Äußerungen
wahrhafter Religiosität sind in Babylonien und Ägypten ebenso die seltene
Ausnahme wie sie im jüdischen täglicher Typus sind.
178
ilire Wohnungen für alle Geschlechter, Ländereien nennen sie
nach ihrem Namen — aber der Mensch in seinem Glanz, wo
hat er Bestand ? . . . Schafen gleich wandert er in die Gruft,
und der Schnitter weidet ihn . , . ein Morgen — und seine
Schönheit ist verblaßt und ein Grab seine Wohnung geworden . . .
Fürchtet euch nicht, so einer mächtig wird unter euch, so seine
Güter sich mehren . . . tröstet euch, nichts nimmt er mit bei
seinem Tode, und nichts von seiner Habe sinkt ihm nach ins
Grab . . . Und wenn nicht Einsicht sein Herz erfüllt, all seinem
Reichtum zum Trotz, gleicht er dem Vieh, dem stummen. *)•'
JJie Geschichte ist eine Schauspielerin, die mittags die „Ma-
dame Sans gene" und abends die Antigene spielt. Sie gleicht
der Serpentintänzerin, die jetzt in Rot erstrahlt und nun in
Gelb erblaßt, um eine Sekunde später in Purpur aufzuflammen,
je nach der Scheibe, die der Regisseur „Historiker" vor den
Scheinwerfer der Wahrheit schaltet . . .
Delitzsch heißt den Sabbat, der seit drei Jahrtausenden
Jude gewesen, Babylonier werden, und er folgt wie ein Akteur,
der sich zwischen zwei Szenen verkleidet, dem Geheiß des In-
tendanten. „Da auch die Babylonier einen Sabbattag hatten",
schreibt er in seinem berühmten Vortrag, „. . . so dürfte kein
Zweifel sein, daß wir die in der Sabbat- bzw. Sonntagsruhe
beschlossene Segensfülle im letzten Grunde jenem alten Kultur-
volk am Euphrat und Tigris verdanken." Klingen in uns wirk-
lich, wenn wir — schönstes aller semitischen Worte, die in den
Sprachschatz der Völker eingingen — Sabbat sagen, klingen
in uns wirklich Akkorde nach, die Babylon in den Saiten der
Menschheitsseele anschlug ?
In Babylon gab es gemäß der astrologischen Zeiteinteilung
Glücks- und Unglückstage. Der Hauptunglückstag der Woche
war als der siebente — die Unglücks-Sieben — der sabbattu ; an
ihm durften, weil sie mißlingen, kein Geschäft abgeschlossen,
kein Eid geleistet, kein Fluß überschritten, kein Fleisch gekocht,
kein Bad genommen, vom König kein Rock gewechselt werden.
Auch für den fünften und sechsten — Unglücksfreitag — gab es der-
gleichen Gebote, weil ja nach der babylonischen Weltanschauung
das ganze Menschenleben mit allem Gelingen und Mißglücken
vom Himmel vorgezeichnet ist. Aus diesem babylonischen Dies
ater schufen die Juden durch den ethischen Gedanken, daß
') Ps. 49.
12.* 179
selbst Gott am siebenten Tag aus Freude an der Schönheit und
Wohlschaffenheit der Schöpfung ruhte, den Sabbat, den Feiertag
des Hebten Friedens und der leuchtenden Freude, eine himm-
lische Fermate im irdischen Sechs-Achtel-Takt der Werktags-
woche, deren heilige Stille kein profaner Laut, des Jubels nicht
und nicht der Trauer, kein Fehdeton und kein Befehlsruf stören
dürfen, denn heilig ist dieser Tag, dem ganzen Volk als eine
ewige Possessio sacrosancta von seinen Führern zugeschworen,
an ihm ist jedes Wesen von Sonnenuntergang zu Sonnen-
untergang geweiht. Denn als in Ägyptens Ziegelgruben alle,
Herr wie Knecht und Weib wie Kind, an ihren Leibern spüren
mußten, welch eine Qual ein Leben ist, das einen Menschen
ohne Pause freien Atems ans Tretmühlrad erzwungener Arbeit
kettet, da schwuren sie sich zwischen ihren Seufzern das Ge-
lübde ab, einst frei geworden, in ihres Landes Grenzen kein
Geschöpf, nicht Mensch, nicht Vieh, zu diesem Sklaven-
schicksal zu verdammen. Hier unter den Knuten der ägyp-
tischen Schergen entrang sich ihrem gequälten Busen die er-
habene Überzeugung, daß ein jedes Wesen, wie niedrig es
das Schicksal auch gestellt, ein sittlich Anrecht habe auf ein
Siebenteil der Ruhe, auf einen Sabbat, an dem die Menschen-
seele sich, dem Ewigen, Überirdischen zugewendet, den Nöten,
Nichtigkeiten und Notwendigkeiten des Alltags entschwingen
könne, ja entschwingen müsse, denn durch diesen Sabbattag
der Seele werde erst die Woche wert, gelebt zu sein. „Sechs
Tage sollst du arbeiten" — hier klingt zum ersten Mal in
der Geschichte der Kultur das hohe Lied der Arbeit an, das
heute die Halle der Menschheit als hunderttausendstimmiger
Choral durchbraust, — „aber der siebente sei dir ein Feier-
tag, dir, deinem Sohn und deiner Tochter, deiner Magd und
deinem Knecht, deinem Vieh und dem Fremdhng, der in deinen
Toren weilt", an diesem siebenten Tage wird — Triumph der
jüdischen Weltanschauung! — der Alltag durch den Sabbat,
die Profanität des Erdenlebens durch die Heiligkeit himm-
lischer Erhebung überwunden. An diesem Tag, da alle Schran-
ken fallen und es nicht Arme mehr und Reiche gibt, da
niemand darben darf in Israel und jedes Hauses Türen offen
stehen, da sich der Arme als Bruder an den Tisch des Reichen
setzt, an dem die Feindschaft ihre Lanze senkt und der Haß
sein Beil vergräbt, der Dränger schweigt und der Schuldner
frei ist, an dem die Träne dem Lächeln und die Trauer der
Freude weichen, an dem der Frieden triumphiert über den
180
Kampf, die Gerechtigkeit über die Unbill und die Liebe über
die Feindschaft, an dem die ganze Nation sich der Erfüllung
nahefühlt, „ein Königreich von Priestern und ein heilig Volk
zu sein", an diesem Weihetag der Woche sieht Israel sein
messianisch Ideal verwirklicht, dem es als dem unverrück-
baren Ziel seiner geschichtlichen Sendung zustrebt. Durch die
sechs Weltepochen des Völkerwerktags hin zum Sabbat der
Menschheit!
Aus sittlichen Motiven geboren und zu sittlichen Erfüllungen
verpflichtend, hat der jüdische Sabbat nichts, aber auch gar
nichts mehr gemein mit dem Unglücks-sabattu des Babyloniers,
ja, auch nichts gemein mit dem arischen Sonntag, diesem
Misch-Masch von Weihe und Gemeinheit, diesem Centaurntag,
dessen Morgenstunden die Menge in die Kirche strömen sieht und
dessen Abend sie in den Bordellen findet. Der jüdische Sabbat
ist unvergleichHch mehr als profane Arbeitspause oder ein Tag
vulgären Volksvergnügens: weltüberwindende Würde weiht die
Stunden, die vom Glanz des Sabbatlichts durchstrahlt sind.
Sabbattag in einer jüdischen Stadt — wer lebte ihn? Und
wer ihn lebte — wer vergißt ihn ? Da lärmen keine Karussells,
da laufen nicht die Kellner schwitzend mit den Kaffeetassen
zwischen den besetzten Tischen und schleppt nicht der müde
Gaul, der in der Woche seinen Karren zog, die Sippschaft seines
Herrn zur Rennbahn hin — „auf daß dein Ochs und dein
Esel ruhen und sich erhole der Sohn deiner Magd und der
Fremde in deinen Toren . . . darum hat dir der Ewige, dein
Gott, den Sabbat befohlen."
Indem das Judentum so den Sabbat als den einzig benann-
ten Tag der Woche nicht nur über alle Arbeitstage sondern
in der Strenge seiner Heiligkeit sogar über alle Feste hebt,
proklamiert es in ihm eines seiner erlauchtesten Postulate: die
Superiorität der sabbatlichen Kontemplation über den werk-
täglichen Aktivismus. Hoch steht die Arbeit — „sechs Tage sollst
du arbeiten!" — aber höher die Ruhe; höher als die Tat, die ihn
erzeugt, steht der Gedanke, den sie gebiert. Die Tat ist Tihamat,
die Drachenmutter, der alles Leben verdankt ; der Geist ist Mar-
duk, der Lichtsohn, der sie überwindet. Operari sequitur esse.
Arbeit: Weg zum Leben, aber nicht wie in unserer amerika-
nistischen Welt Inhalt und Endzweck. An den Werktagen
arbeitet man, aber man lebt am Sabbat, wenn die Lichter
glänzen, wenn die Psalmen klingen, die Kinder den Worten
der Mütter lauschen und die Männer über heiligen Schriften
181
im Gespräch die Fäden uralter Weisheit zu immer neuen Ge-
dankenbildern weiter spinnen. Der Sabbat ist die sieben-
tägige Verkündigung der Autonomie des Geistes über den
Körper, der Suprematie der Freiheit über alle irdischen Bin-
dungen^).
Diese Stichproben könnten genug beweisen — aber Proben
beweisen nichts, weil man durch sie alles beweisen kann. Man
kann aus Goethe einen Katechismus für einen christlichen Jüng-
lingsverein zusammenstellen und ebenso leicht ein Brevier für
einen Atheistenklub. Man kann ihn ebenso als einen Kantianer
malen, wie es Chamberlain tut, oder als Spinozisten und Monisten
ausbeuten, wie es Haeckel beliebt. Und gar ein Volk? Volk
im Sinne einer Realität gibt es ja gar nicht. Volk ist eine Idee,
eine Dichtung, eine Legende, ein Wunsch, ein Haß, ein Ideal,
eine Karikatur. Welches Bild und Zerrbild vom Deutschen
ist nicht gemalt worden — und welches zu Unrecht? Volk
ist Proteus. Man kann von ihm alles sagen, und was man sagt,
stimmt und stimmt nicht. Mit der Pinzette der Spitzfindigkeit
kann man aus dem Riesenmosaikporträt eines Volkes Steine
jeder Form und Farbe lösen; aber um sein Antlitz zu erkennen,
muß man sich entfernen und den großen Umriß schauen. Der
Alltag stirbt, das Ewige allein lebt weiter. Wenn wir das Wort
Athen vernehmen, denken wir nicht an die Scheußlichkeiten
der 30 Tyrannen, nicht an das Scherbengericht und dieBestecli-
lichkeit der Feldherren sondern an die Säulen der Propyläen
und das Gastmahl des Plato. Die Richter, die Sokrates verurteilt
haben, kennen wir nicht und wollen wir nicht kennen; aber wie
dieser Heihge und Held zu Tode ging, ist eine unvergeßliche
Szene in dem großen Schauspiel der Geschichte. Uns schierl's
den Teufel, ob Goethe mit dem Herzog sich die Mädchen geteilt
hat, oder ob Leonardo zu Rom mit Knaben Umgang hatte. Daß
jener den Faust geschrieben und dieser die Cena gemalt, sind
die Gedanken, die uns mit ihnen ewig und einzig verbinden.
Wenn wir Judäa vor den Richterstuhl der Nachwelt fordern,
so fragen wir es nicht mit Chamberlain'scher Malice, was
irgendein obskurej* Rabbi an einer Mischna-Stelle ausgeklügelt
hat, welch mystischen Unsinn Kabbalisten über den Vollbart
Gottes spintisiert, wir tragen nicht aus Herder und Voltaire,
^) Daß die Vorstellung der Autonomie des Geistes eine spezifisch
jüdische und ein Leitgedanke des Judaismus sei, hat Zollschan in seinem
ideenreichen Buch „Das Rassenproblem" näher ausgeführt.
182
die die Juden etwa ebenso kannten wie Chamberlain die Chi-
nesen, antisemitische Zitate zusammen — wofür findet man
keine Zitate^)? — sondern richten wie an Rom und Hellas, wie
an Leonardo und Goethe, so an Israel die vor dem Forum der
(jeschichte einzig berechtigte und richtende Frage: Was war
der Sinn deines Daseins ? Was von deinem Wesen lebt im Geist
der Menschheit wirkend weiter? In welchen Männern, welchen
Taten hat sich das Ewige in dir manifestiert?
Jüreimal fand der jüdische Gedanke einen Repräsentanten
von welthistorischer Bedeutung. Der erste war Moses.
Moses ist eine in der Geschichte der Kulturvölker fast einzig-
artige Erscheinung: ein Nationalheld ohne Waffen. Um die
bronzenen Heroen unserer Märkte klagt in Sturmesnächten das
Wehgeschrei der Witwen, unter den erhobenen Hufen ihrer
stählernen Rosse wimmern die Seelen niedergetretener Kinder.
^) Was von Zitaten im allgemeinen und von Chamberlains im beson-
deren tu halten ist, beweisen seine Zitierungen^Herders, der in den „Grund-
lagen" wohl ein Dutzend Mal als einer der Kronzeugen gegen die Juden
aufgerufen wird. Da steht bei Chamberlain aus Herders Feder: „Ein
Ministerium, bei dem der Jude alles gilt, eine Haushaltung, in der ein
Jude die Schlüssel zur Garderobe oder der ganzen Kasse des Hauses führt,
ein Departement oder Kommissariat, in welchem die Juden die Haupt-
geschäfte treiben — sind auszutrocknende Pontinische Sümpfe." Oder:
„Das jüdische Volk verdarb in der Erziehung, weil es nie zur Reife einer
politischen Kultur auf eigenem Boden, mithin auch nicht zum wahren
Gefühl der Ehre und Freiheit gelangte." Blättert man aber in den viel-
bändigen Werken Herders selber nach, ist man erstaunt, neben diesen
abfälligen Urteilen mindestens ebensoviele Ausrufe höchster Be\vunde-
rung für dieses selbe Volk zu finden, ganz zu schweigen von den Hymnen
auf die Größe und Schönheit seiner Dichtungen, die bekanntUch Herder
als einer der ersten Neueren gewürdigt. „Israel", sagt er an einer Stelle,
„war und ist das ausgezeichnetste Volk der Erde; in seinem Ursprung
und Fortleben bis auf den heutigen Tag, in seinem Glück und Unglück,
in Fehlem und Vorzügen, in seiner Niedrigkeit und Hoheit so einzig, so
sonderbar, daß ich die Geschichte, die Art, die Existenz dieses Volkes
für den ausgemachtesten Beweis der Wunder und Schriften halte, die
wir von ihm haben und wissen . . . seine noch unvollendete Führung
ist das größte Poem der Zeiten und geht wahrscheinlich noch bis zur
Entwicklung des letzten noch unberührten Knotens aller Erdnationen
hindurch." Und als Parallele zum ersten Zitat: „Alle Gesetze, die den
Juden ärger als Vieh achten, ihm nicht über den Weg trauen und ihn
damit täglich, ja stündUch ehrlos schelten: sie zeugen von der fort-
währenden Barbarei des Staates, der aus barbarischen Zeiten solche Ge-
setze duldet . . . daher ist es der Europäer Pflicht, die Schulden ihrer
Vorfahren zu vergüten."
183
Alexander, Cäsar, Napoleon — was sind sie uns? Alexander»
erste Großtat war die Zerstörung von Korinth, nach der er an
einem Tage 60000 Korinther — Griechen! — als Sklaven ver-
kaufte, um seine Rüstungen gegen das Perserreich zu finanzieren.
Was ist an dieser Tat unsterblich? Cäsar hat in siebenjährigem
Feldzug Gallien an Menschen, Vieh und Schätzen ausgeplündert.
Um welcher ewigen Werte willen ist dieser Raubkrieg heute
noch erinnerungswürdig ? Was kümmern uns die Abenteurer-
züge Napoleons nach Ägypten oder Rußland und all die anderen
„Katzbalgereien", die nach Schopenhauer der Inhalt der euro-
päischen Geschichte sind ? Andere Probleme bewegen die Welt.
Heroen einer überwundenen oder, wenn nicht überwundenen,
so zu überwindenden barbarischen Vergangenheit sind die
Helden dieser Taten. Wie die Telegraphenstangen vor den
Augen eines Schnellzugreisenden schrumpfen diese Größen von
gestern vor den Blicken der vorwärtseilenden Menschheit.
Aber Moses, Moses, wie ihn Michelangelo gemeißelt hat als
den Gesetzgeber der Menschheit, größer als je thront
er heute auf seinem marmornen Sockel, eine, wie Henry George
zu Glasgow sagte, „jener Sternenseelen, die nicht undeutlich
werden durch die Entfernung sondern, glühend in den Strahlen
ewiger Wahrheit, ihr Licht bewahren, indes Gesetze, Religionen,
Sprachen wechseln und untergehen". Lau tirzach! — Du sollst
nicht töten! Lau sachmaud! — Du sollst nicht trachten nach
dem Gute deines Nächsten! Du sollst den Sabbath heihgen
deinem Knechte! Du sollst die Witwe nicht bedrücken und
die Waise nicht bedrängen! Du sollst dem Fremdling gleiches
Recht gewähren wie dem Bruder ! Keinen Armen soll es geben
in deiner Gemeinschaft ! Jeder habe teil am Boden des Landes t
Der Zehnte deines Ertrages gehöre dem Dürftigen (nicht dem
König !) . , . diese vor 3000 Jahren von Moses dem Volke ver-
kündeten Maximen sind die sozialen Grundrechte, um deren
Anerkennung die Gegenwart in ihren Revolutionen ringt mit
den Gewalten der Vergangenheit. Moses, 1250 Jahre vor
Christus, ist der erste Proklamator der Menschen-
rechte in der Geschichte der Menschheit.
Durch die Auffindung des Codex Hammurabi, des um
1000 Jahre älteren Vorbildes der Sinai-Gesetze, ist die mosaische
Schöpfung nicht diskreditiert sondern im Gegenteil nun erst in
ihrer wahren Kulturbedeutung erkennbar geworden. Die Gesetze
Hammurabis sind die bewunderungswürdigen Polizeivorschrif-
ten eines absolutistischen Machthabers über ein unmündiges
184
Volk. Ihr Stil ist: „Wer dieses oder jenes Verbrechen begeht,
dem wird die Hand abgeschlagen oder er zahlt eine festgesetzte
Buße" — Paragraphen, aber keine sittlichen Postulate. Die
Begriffe Ethos, Liebe, Pflicht und Sünde sind diesem Reglement
des bürgerlichen Lebens fremd. Wie alles in der babylonischen
Welt hochentwickelte ZiviUsation, aber nicht Kultur. Aus
diesem B. G. B. Babyloniens — nicht aus ihm selber sondern
aus der älteren, beiden gemeinsamen Vorlage — schuf Moses
nicht ein neues Gesetz sondern eine Religion, die sich,
statt mit Paragraphen an den Bürgersinn der Untertanen, mit
moralischen Forderungen an das Gewissen sittlich autonomer
Menschen wendet. „Ihr sollt mir sein ein Königreich von
Priestern und ein heihg Volk!*' beginnt die Sinai -Verkündi-
gung — schönster Appell, der je an eine Nation in der Geschichte
gerichtet ward. Und erster ihrer Sätze ist nicht Befehl noch dro-
hend, nein, orgeltönend wie das große Tutti-Initiale der Bach- und
Händel-Messen hebt die Verkündigung an: „Ani elauhechem . . .
Ich bin der Ewige, dein Gott" — die Vorstellung eines all-
waltenden, gütigen, alles gerecht überschauenden Gottes, der
eifervoll Liebe, Sittlichkeit und Demut fordert und mit Lohn
und Strafe vergilt, ist die fundamentale ethische Prämisse,
auf der sich das Gebäude der mosaischen Religion auf-
baut. „Ihr sollt keinen Fremdhng kränken und nicht knech-
ten, denn Fremdlinge wäret auch ihr in Ägypten. Ihr sollt
keine Witwe und Waise bedrücken, denn ich höre ihr Geschrei
und mein Zorn entbrennet. Wenn du das Kleid deines Nächsten
gepfändet, ehe die Sonne untergegangen, gib es ihm zurück.
Denn dieses ist seine einzige Hülle für den Leib — worauf soll
er schlafen? Und wenn es geschieht, daß er zu mir schreit, so
werde ich ihn hören, denn ich bin erbarm ungsvoll."
Hammurabis Paragraphen sind koordiniert. Moses hebt
— eine wahrhaft geniale Leistung auf dem Gebiet der Volks-
pädagogik— die wichtigsten in der prägnanten Fassung der „Zehn
Gebote" heraus, zehn Sätze, die sich von allem, was jemals
ein sterblicher Mund verkündete, am tiefsten in das Gedächtnis
der Menschheit eingegraben haben. Wenn ein Mensch vom
Hauch der Kultur auch nur mit dem flüchtigsten Wehen ge-
streift ist, so raunten ihm die Genien der Geschichte die Zehn
Gebote in Ohr und Herz. Man gehe über die Marschen hinter
den Dünen der Nordsee und trete in die Häuser der harten Fries-
landsbauern, man steige die Täler der Venn empor und frage die
Kinder der Eifel, man suche auf den Matten Oberbayerns die
185
hohen Hütten der Sennen oder wandle durch die Hafenstraßen
Hamburg — vergeblich fragt man Hunderttausende nach einem
Spruch von Goethe, einer Melodie von Mozart oder einem Bild
von Dürer — spurlos ist die Kultur der Vorzeit an den Massen
der Völker vorübergegangen. Dem weitaus größten Teil der
Nation sind selbst die elementarsten und grandiosesten Schöp-
fungen seiner eigenen Nationalkultur so fremd wie uns das
Hindostanisch oder die Mysterien von Eleusis. Als ein Kultur-
historiker sich vor einigen Jahren auf den Markt zu Frankfurt
begab und die Frauen, die dort hinter ihren Fischen saßen,
fragte: was sie von Goethe wüßten? wandte sich eine, im
Glauben, sie werde nach einem Dorf gefragt, zu ihrer Nach-
barin: „Weißt du, wo Goethe liegt?" Hätte er die Frank-
furter Frauen statt nach Goethe nach Moses gefragt, dem alt-
israelitischen Helden, der ihnen räumlich und geschichtlich
hundertmal ferner gelebt hat als der Geistesheros ihrer Stadt,
er hätte von keiner eine so ahnungslose Antwort erhalten. Denn
wenn jemand etwas weiß, wenn er eines kennt aus dem
Kulturschatz der Menschheit, so sind es die Zehn Gebote, die
Moses dem jüdischen Volk vor 31 Hundert Jahren am Wüsten-
berg des Sinai gelehrt. Das einzige geistige Kulturgut, das die
arischen Völker wirklich verbindet, ist ihr gemeinsames —
jüdisches Erbe.
Ihren menschheitsgeschichtlichen Wert verdanken die Zehn
Gebote neben ihrem unantastbaren ethischen Gehalt nicht
zum wenigsten ihrer mustergültigen Formulierung. Nicht Gesetze
sind sie, nicht streng und nicht milde, nicht barsch und nicht
bittend, nicht drohend und nicht verheißend, nicht Appell an
den Verstand und nicht Petitionen an das Herz sondern als
Gebote wenden sie sich an das moralische Gewissen in uns.
Und zwar in eben jenem Ton des kategorischen Imperativs,
den 3000 Jahre später der größte arische Philosoph mit dem
Aufgebot seiner ganzen europäisch-philosophischen Bildung
als die einzige in der moralischen Welt wirkende Formel
erkannt und als Quintessenz der Ethik proklamiert hat: Du
sollst!
Wenn jemals im Sinne der Kant'schen Definition — „Religion
ist die Erkenntnis aller unserer Pfhchten als göttUcher Gebote"
(d. h. so heilig, als wären sie göttliche Gebote) — Religion ge-
schaffen wurde, so geschah es hier am Sinai „in der Einzigkeit
der Stunde, da Moses dem Volke Israel die Zehn Gebote brachte
und vorlas. Die Geschichte hielt den Atem an. Es war eine
186
erhabene Stunde, deren Schuldner die Menschheit für immer
bleibt 1)" (G.Friedrich). -
Selbstverständlich hat sich die Entwicklung des ethischen
Monotheismus nicht in jener Theatralik abgespielt, die die
spätere Überlieferung dem Volke popularisierend ausmalt. Der
Gott des Sinai, der aus Blitz und Wolken redet, war Natur-
und Nationalgott. Seine Erhebung und Vergeistigung zum
universellen und spirituellen Weltprinzip, dem man sich nicht
mit Opferduft und Erstlingsfrüchten naht, ist das Ergebnis
einer jabrhundertlangen konsequent verlaufenden Entwicklung,
die erst bei den Propheten durch die Betonung der Moral und die
Zurücksetzung des Kultes ihren idealen Abschluß findet. Aber ge-
rade diese Logik der Entwicklung charakterisiert die jüdische
Religion als eine Schöpfung, die nicht, wie den Ariern das Christen-
tum, von außen als Kulturstuck aufgetragen und angekleistert
wurde sondern notwendig und lebendig aus der Entelechie der
Rasse hervorwuchs — zu Religion kristallisierte Rassenseele.
Der, wenn auch vielleicht nicht größte, so doch welthistorisch
zur größten Bedeutung gelangte Repräsentant des ethischen
Monotheismus der Propheten ist Christus. Seit die moderne
Kritik begonnen hat, Christus, von allem Transzendentalen be-
freit, nicht mehr als Mythos sondern als geschichtliche Persönlich-
keit aufzufassen, hat sich auch die Rassenlehre seiner bemächtigt
und es nicht an Beweisen mangeln lassen, die Christus — da er
genial war, konnte er nicht Jude sein — zum Germanen oder
mindestens NichtJuden stempeln. ,,Er war der schärfste Anti-
semit aller Zeiten," schreibt der Semigotha, ,,aber seitdem das
Denken und Urteilen im deutschen Volke abgestellt wurde,
wird die plumpe Lüge verbreitet, Christus sei ein Jude gewesen."
In der Österr. Wochenschrift (1902) wird sogar klipp und klar
seine Abstammung von den — Westfalen nachgewiesen. Die
1) Ob Moses in dem Umriß der biblischen Gigantenfigur gelebt hat,
und ob das uns als mosaisches Gesetz überlieferte Werk in seinem ganzen
Umfang von ihm vollendet wurde, ist eine ebenso müßige Frage wie die
berühmte Streitfrage über die Persönlichkeit Homers. Odyssee und Ilias
sind Volksdichtung und Individualwerk. Hinter der Einheit und Ge-
schlossenheit großer Ideen und Kunstformen steht eine Persönlichkeit.
Jeder Zweifel hieran ist ein Attentat gegen den Geist der Geschichte. In
einer Abhandlung, die diese Heroen nicht als Persönlichkeiten sondern
als Rasse- und Nationaltypen, als die Idealfiguren bestimmter Völker
und Volkscharaktere analysiert, sinkt das Problem vollends zur Be-
deutungslosigkeit herab.
187
rasseiiiheoretischen Ausführungen Chamberlains über Christus
sind ein Paradebeispiel Chamberlain'scher Rabulistik. Im Laufe
eines vielseitenlangen Textes, der den ahnungslosen Laien
nolens volens durch ein wahres Urwalddickicht unkontrollier-
barer Kompilationen historischer „Tatsachen" und Zitate hin-
durchzerrt, wird dem Medium Leser von seinem großen Hyp-
notiseur Autor, ganz nach den Regeln der Hypnose, erst schüch-
tern, dann immer eindringlicher die beabsichtigte Suggestion
aufgezwungen: Christus ist kein Jude gewesen. Bescheiden
klingt es an: „Es liege nicht die geringste Veranlassung zu der
Annahme vor, die Eltern Jesu Christi seien der Rasse nach
Juden gewesen." Vier Seiten später lautet es schon bestimmter:
„Wer die Behauptung aufstellt, Christus sei ein Jude gewesen,
ist entweder unwissend oder unwahr." Nachdem nun Renan,
der sonst so hochverehrte und vielzitierte, wegen seiner Be-
hauptung „Jesus etait un Juif" verdächtigt wird, von der Al-
liance Israelite mit Geld bestochen zu sein — welch vornehmes
Argument gegen einen verstorbenen geistigen Gegner! — wird
der Ton bestimmter: „Die Wahrscheinlichkeit, daß Christus
kein Jude war, daß er keinen Tropfen echt jüdischen Blutes
in den Adern hatte, ist so groß, daß sie einer Gewißheit fast
gleichkommt", um dann am Schluß mit dem für Chamberlain-
sche Deduktionen charakteristischen Endsatz auszuklingen :
„Daß Jesus Christus der jüdischen Rasse nicht angehörte, kann
als sicher betrachtet werden." Durch den Erfolg seines Buches
siegestrunken über jede Schranke kritischer Zurückhaltung tau-
melnd, versteigt sich der „nüchterne Empiriker", der seinen
Lesern versichert, daß er „nur Sachen vorbringt, deren Richtig-
keit jeder Mensch kontrollieren kann", auf folgenden Gipfel
der Unverfrorenheit: „Christus war kein Jude; das läßt sich
ohne jede Möghchkeit einer Gegenrede historisch nachweisen."
Erhabene Weisheit! „Ohne jede Möglichkeit einer Gegenrede!"
Der große Heldenhäuptling der Karl May- Romane, Winnetou,
war kein Indianer — „ohne jede Möglichkeit einer Gegenrede!"
Denn wir wissen von Winnetous Rasse genau so viel und eben
so wenig wie von jener Christi — nicht ein Sterbenswörtchen*)!
^) Daß es in einer Chamberlain 'sehen Abhandlung, in der Willkür
und Parteilichkeit das Konzept diktieren, nicht ohne flagrante Wider-
sprüche abgeht, ist fast selbstverständlich. 30 Seiten später behauptet
er, vom geistigen und morahschen Gebiet noch einmal auf die Frage
der Rassenzugehörigkeit Christi zurückkommend: „Diese Grundanschau-
ungen lassen Christum als moralisch zu den Juden gehörig «rkenneu . . .
Christus ist ein Jude . . ."
188
Wir wissen über Christus nichts, als was die Nachwelt über
ihn berichtet und — gedichtet hat. Aus dem Schoß des jüdischen
Volkes von jüdischen Eltern geboren und selbst sich stolz ein
Enkel Davids heißend, bewegt er sich in der Atmosphäre jüdi-
scher Gedankenwelt, bekennt sich, wie selbst Ghamberlain
gesteht, vom ersten bis zum letzten Atemzug zur Weltanschau-
ung des Judentums und dokumentiert sich dadurch ebenso als
Jude wie Moses oder David, Jesaja oder Hiob. Er ist ebenso
Jude wie Phidias ein Grieche und Cäsar ein Römer war — „ohne
jede Möglichkeit einer Gegenrede". Daß es einem Manne
Chamberlain'scher Weltauffassung in der Seele zuwider, daß
Christus ein Jude gewesen, ist begreiflich. Aber die peinliche
Tatsache ist nun einmal selbst mit dem glänzendsten Aufgebot
historischen Wissens und dialektischer Fähigkeiten nicht aus der
Welt zu schaffen.
Christus, der größte Kulturträger der weißen Rasse, der ein-
zige, der von den sonst so uneinigen arischen Völkern unterschieds-
los als höchster Heros verehrt wird, zu dem Millionen in allen
Erdteilen in ihren stillen und lauten Gebeten als zu ihrem Hei-
land und Erlöser aufschauen und der auch wirklich ihr Heiland
gewesen, denn er war es, der ihnen in die Einsamkeit ihrer
Barbarenwälder die Grundbegriffe der Kultur getragen, der
sie lehrte, daß des Nachbars Hof nicht da sei, um bei Nacht
geplündert, und des Fremden Mannes Weib nicht, um geraubt
zu werden, daß auf Fellen würfeln und Met zu bechern nicht
des Daseins höchste Zwecke sondern daß es hinter den nich-
tigen und flüchtigen, nackten und nüchternen Tatsachen des
Alltags noch ein Reich des Geistes und der Geister gebe, und daß
es ein Höheres sei, dem Transzendenten dieses „Himmelreiches"
in und über uns nachzuhängen, als sich einem Mannenführer zu
Mord und Totschlag zu verschreiben, und der durch diese Ein-
pflanzung der ethischen Elementarbegriffe den Barbaren erst
zum Menschen hob, dieser — wie sagt doch Chamberlain — Er-
retter „der agonisierenden Menschheit aus den Krallen des ewig
Bestialischen", dem, wie Renan als Sprecher der Arier bekennt,
„jeder von uns verdankt, was er Besseres in sich hat", war ein
Jude und, was weit wesentlicher ist als die Frage seiner Rassen-
zugehörigkeit, er war ein Verkünder jüdischer, seit Jahrhunderten
traditionell gewordener Weltanschauung. „Ihr sollt nicht wähnen,
daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen;
ich bin gekommen nicht aufzulösen sondern zu erfüllen..." Die
Kardinalformeln seiner Lehre sind Sätze des alten Testa-
189
ments. „ ,Du sollst den Ewigen deinen Gott lieben mit ganzem
Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen' (Mose V, 6) —
dieses ist das höchste Gebot. ,Du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst' (Mose III, 19) — ist das zweite. In
diesen beiden Sätzen ruht das ganz Gesetz," Und als der
reiche Jüngling, der von der „neuen" Lehre hörte, ihn nach
ihrem Inhalt fragt, hat er ihm nichts zu sagen als: „Halte die
Gesetze Moses!" Und als dieser — ein echtes Kind — ein
„Neues" verlangt, weiß er nichts hinzuzufügen als: „Du bist
reich. Verkaufe deine Schätze und gib den Erlös den Armen."
Von dem ersten Satz der Bergpredigt: „Selig sind die, die
arm an Geist sind, denn das Himmelreich ist ihrer" (Zitat
aus Jesaja) bis zu seinem letzten Sterbenswort am Kreuze:
„Eli, Eli, lama asabthani" . . . Mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich verlassen? (Anfang des 22. Psalmes) ist die ganze
Lehre dieses großen Ethikers, der sein Volk mit Inbrunst liebte
und nicht anders als alle Propheten vor ihm es aus den Ban-
den der Kulturgefahren zu reinem Menschentum erlösen wollte,
durchtränkt mit dem Blut und durchweht von dem Geiste jüdi-
scherTradition und jüdischer Gesinnung. „KeinWort Jesu Christi",
bekennt Schürer, „ist denkbar ohne die Voraussetzung der jüdi-
schen Geschichte und der ganzen Vorstellungswelt des jüdischen
Volkes^)." Ob ein Mensch zu seiner Andacht sich vor einen
Thoravorhang stellt oder vor ein Christuskreuz, ob er beim Ein-
tritt in ein Gotteshaus sein Haupt bedeckt hält oder es entblößt,
ob er seine Gebete lateinisch spricht oder hebräisch, trifft nicht
das Wesen sondern nur die Form des Kultes. Der Sinn eines
religiösen Aktes ist die Empfindung, die er im Beter auslöst.
Religion ist die Sittlichkeit, zu der ein Mensch sich auf Grund
*) Bninner: „Das Jüdische ist jüdisch und bleibt jüdisch . . . und
Christus als der Auszug des jüdischen Geistes und als Höhepunkt der prin-
zipiellen Vollendung des jüdischen Gedankens, des Gedankens von der
Einheit Jahwes und von der Einheit des Menschengeschlechts, Christus
als Symbol und Personifikation dieses Gedankens . . . die leidenschaft-
liche Hingabe der Juden an diesen Gedanken hat diesen Menschencharakter
Christus hervorgebracht und dieser Christus ist und bleibt der Jude der
Juden, der Jude mit der höchsten Kraft des Judeseins und recht eigentlich
also die Spitze des Judentums, zu der man nicht auf andere Art als am
Judentum hinaufgelangen kann — die erste rechte Ausgabe der Evan-
gelien von jüdischer Hand, die baldigst kommen möge, und die zunächst
nur Christus in seinen Zusammenhang nicht allein mit dem alten Testa-
ment sondern auch mit der rabbinischen Literatur stellen soll, wird alle
Welt überzeugen und niemand kann weiter sagen, Christus und Juden-
tum seien das Eine, was das Andere nicht ist."
190
seiner religiösen Weltanschauung als dem kategorischen Impe-
rativ seines Handelns und Denkens bekennt. Was an der Lehre
Christi sittlich ist und nicht sinnlich, Kern und nicht Kult,
was als das Wesen und Wesentliche des Cliristentums alle
bisherigen Reformationen überdauert hat und alle künftigen
überdauern wird und die unerschütterliche Grundlage aller
kommenden Staats- und Zukunftsreligionen bilden muß, das sind
die von Moses am Sinai zum ersten Male in der Geschichte der
Menschheit verkündeten, von den Propheten hundertfach vor
Christus laut gepredigten und von Christus gelehrten und ver-
kündeten Fundamentalideen der jüdischen Weltanschauung. Du
sollst deinen Gott lieben (nicht fürchten!), Vater und Mutter
ehren, deinem Knecht und Vieh den Sabbat geben, du sollst
nicht töten und nicht stehlen, deinen Nächsten wio dich selber
achten, deinem Bruder die Hand auftun, die iVrmut bekämpfen,
die Ecken deiner Felder für die Armen stehen lassen, die Witwe
nicht pfänden, die Waise nicht drängen, den Lohn des Mietlings
nicht über Nacht in deinem Haus behalten, das Böcldei)i nicht
in der Milch seiner Mutter kochen, dem Esel deines Widersachers
die Last erleichtern, statt Opfer bringen Gerechtigkeit üben und
danach streben, ein heilig Volk von Priestern zu sein — in diesen
ewig unumstößlichen deuteronomischen Sätzen der Gottes- und
der Menschenliebe, des Tierschutzes, der Gerechtigkeit und des
Sozialempfindens sind die Grundlinien aller nur erdenklichen
Religionen vorgezeichnet. Ein Neues hat weder Christus ge-
geben noch irgend einer der Propheten und kein Neuerer nach
ihnen — ein Neues gibt es nicht. Selbst Kant's so viel geprie-
sener und zitierter kategorischer Imperativ: „Handle so, daß
die Maxime deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könnte", ist nichts anderes als die in den
philosophischen Dialekt gekleidete, geradezu wörtliche Über-
setzung des mosaischen Grundsatzes der Nächstenliebe. So wie
der hl. Augustinus schrieb: „Post Jesum Christum nulla
scientia" — nach Jesum Christum keine Wissenschaft, so gibt es
nach Moses kein Neues in der Religion — Post Mosim nulla
religio. Niemand hat dies deutlicher ausgesprochen als in seiner
großen Bescheidenheit Christus selber.
Man hat in der Zentralstellung der Liebe durch Christus eine
entscheidende Wendung der jüdischen Ideenrichtung erblicken
wollen. Wer aber die Geschichte des Zeitalters kennt, weiß, daß
alle wahren Träger der Entwicklung — natürlich nicht der
Pfründen- Klerus und die Haute-finance Jerusalems, die Christus
bekämpft — diese Kernidee des Judentums auf ihre Fahne ge-
schrieben und das Banner der Liebe als Panier getragen. Um
nur zwei unmittelbare Zeitgenossen aufzuführen: Hillel, der Ver-
treter der konservativ-patriarchahschen Richtung, faßte den
Grundgedanken der jüdischen Lehre für die Heiden in den einen
Satz: ,,Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem
andern zu!" und schrieb, daß Liebe zum Frieden und Liebe
Bum Menschen (Friedfertigkeit und Nächstenhebe) die Pfade
sur Erfüllung des Gesetzes seien. Philo, Repräsentant der moder-
nistischen Partei, bezeichnete Verehrung gegen Gott und Liebe
gegen die Menschen (also ebenfalls ganz entsprechend der For-
mulierung Christi) als die zwei Säulen der Sittlichkeit und gab
dem Gedanken von der Mittelpunktstellung der Liebe die philo-
sophische Formel: „Das ganze geschriebene Gesetz ist nichts
anderes als ein Symbol der Liebe." Hundert Parallelen zeit-
genössischen Schrifttums weniger bekannter Autoren ließen
sich anreihen. Erst durch die Kerkerhaft, in die das Juden-
tum in den folgenden Jahrhunderten durch Christentum
und Heimatlosigkeit gezwängt wurde, verlor der ethische Pro-
phetismus wie der vom Lichte ausgesperrte Höhlenmolch der
Adelsberger Grotten Farbe und Sehkraft, um in der Moder-
luft des Ghettos zur Stubendürre mittelalterlicher Scholastik
und zur Lampenblässe kabbalistischer Mystik zu verkümmern.
Um Christus zu würdigen, darf man weder auf die Geschichte
des Papsttums blicken noch auf das mittelalterliche Mar-
tyrium der Juden, an beiden ist er — selber Märtyrer — un-
schuldig. Die Geschichte des Christentums ist die Geschichte
der Verkennung Christi. „Es ist das Schicksal des Meisters,
mißverstanden zu werden." Daß der orientalisch-jüdische, in
tausendjährigem Ringen geläuterte Gottes- und Ethos-Begriff
ebenso von den kultursatten Heiden des Römerreiches wie den
halbwilden Barbaren der germanischen Wälder mißverstanden
und mißhandelt wurde, nimmt nicht wunder. Was aus der
Lehre Christi Jahrhunderte später als Christentum hervorging,
ist als ein Ragout aus jüdischen und heidnischen, indischen, ägyp-
tischen, babylonischen, griechischen, römischen und nordischen
Vorstellungen und Mythen zusammengebraut worden. Der
Marienkult und die Heiligenverehrung, Rosenkranz und Bilder-
prozession, Ablaß und Beichte, Zölibat und Nonnenwesen, Un-
fehlbarkeitsdogma und Konzilienbeschlüsse und all ihre histo-
rischen Folgeerscheinungen wie die Hexenverbrennung, die
Inquisition, die Judenverfolgungen, die Kreuzzüge, die Ritter-
192
Schaft Christi und das Tedeum der Schlachten — sie haben
mit Christus und seiner Religion so viel zu tun wie die Leibniz-
cakes mit der Monadenlehre. Im Namen dessen, der gepredigt :
„Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden, denn man kann
nicht zween Herren dienen, Gott nicht und dem Mammon", er-
hebt sich unter der „Stellvertretung Christi" als Ecclesia mili-
tans die pracht- und machtlüsternste Organisation der Welt-
geschichte; im Namen dessen, der gepredigt, daß ,,ein Kamel
eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher in den Himmel
komme" — ,,ihr sollt nicht Schätze sammeln, da Motten und
Rost sie fressen!" — haben die „Jünger Christi" ihre Klöster zu
den größten Schatzkammern und Weinkellern der Welt ge-
wendet und sitzen als „Äbte von St. Gallen" in den Sesseln
der Cenarien, indes die Kinder — ,,Wer ein solches aufnimmt
in meinem Namen, der nimmt mich auf" — an den Brüsten
ausgemergelter Mütter in den Gassenwinkeln Hungers sterben;
im Namen dessen, der den Stein nicht aufheben ließ gegen eine
Ehebrecherin, sind Ungezählte, die kein anderes Verbrechen
begingen als einer Leidenschaft zu unterliegen, vom Mucker-
tum in Not und Tod gehetzt und von der Bigotterie auf Folter
und Feuerscheit gespannt und verbrannt worden; im Namen
dessen, der wider die Schriftgelehrten eiferte, ,,die das Wort be-
folgen und die Barmherzigkeit vergessen", wurden Jahrhunderte
lang um eines Jota willen zwischen Arianern und Athanasianern
blutige Kriege geführt i); im Namen dessen, der gepredigt:
„Segnet, die euch fluchen, tuet wohl denen, die euch hassen",
wurden in Europa ein Jahrtausend lang vom Sachsenblutbad
Karls des Großen bis zur Hugenottenverfolgung Ludwigs XIV.
dem „Evangelium der Liebe" zu Ehren die scheußlichsten Ver-
brechen an den charaktervollsten Menschen der Geschichte
verübt; im Namen dessen, der am Kreuze sterbend für seine
Peiniger betet: ,, Vater, vergib ihnen!" wurde sein Volk in einem
tausendjährigen Amoklauf durch die Jahrhunderte gehetzt,
stürmt noch heute der Mob des Ostens durch die Gassen zum
Pogrom. Das Leiden Christi hebt erst an mit seinem Tode . . .
Das historische Christentum ist ein Hohn auf den historischen
Christus. Träte heute Petrus in den nach ihm benannten Dom
zu Rom, so würde er meinen, aus kurzem Stundenschlaf erwacht,
zu Zeiten Neros einen Heidentempel zu betreten. Und stände
Christus unter dem Volk im Hintergrund und sähe vorne
1) Homo-oiisia oder Homoi-ousia: Gottgleichheit oder Gottähnlich-
keit Christi?
IS Kahn, T»ie Juden. 193
zwischen Weihrauchkesseln und Votivfiguren einen Priester in
einem Spitzenkleide stehen und auf ein Schellenzeichen vor
einem Schnitzbild in die Knie sinken, und sähe rings den Reich-
tum, Gold und Marmor, Samt und Seide, Baldachine, Silber-
leychter, indes draußen auf den Kirchentreppen die Armen
frierend um Almosen betteln, und hörte, dieses sei die Halle,
daraus sein Stellvertreter der Menschheit seine Lehre kündet —
er zerrisse sein Gewand und würde wieder draußen in der Wüste
predigen ... als die Römerknechte ihm den Purpurfetzen um
die Schulter hängten und die Dornenkrone auf die Stirne
preßten und „Judenkönig" spotteten, wurde er nicht blutiger
verhöhnt.
Oscar Wilde sah bei einem Osterfest zu Rom Papst und
Klerus im Festgepränge:
„Silberfanfaren schallten durch den Dom;
In Ehrfurcht lag das Volk rings auf den Knien
Und auf dem Throne, wie ein Gott, erschien,
Hoch hergetragen über'm Menschenstrom,
In Rot und Weiß der heil'ge Herr von Rom
In Priesterkleid und Königshermelin;
Und sieh, drei goldne Kronen krönten ihn:
In Glanz und Pracht so zog er durch den Dom.
Mein Herz nahm still zurück den weiten Weg
Zu einem, der am öden Meeresstrand
Hinschritt und nirgends eine Stätte fand:
,,Der Fuchs hat Gruben und sein Nest der Rabe,
Ich habe nicht, da ich mein Haupt hinleg.
Und tränenbitterer Wein ist meine Labe. ^)"
Die Reformation Luthers ist der Protest gegen das Heiden-
tum in der Kirche. Sie ist eine Umkehr. Zurück zu Christus.
Vom Papst zu Luther ist der halbe Weg zurück ins Urchristen-
tum. Luther reißt der Kirche ihre heidnisch-antike Maske ab, und
*) Sven Hedin berichtet vom Heiligen Grabe Christi zu Jerusalem:
„Der Ort, der auf Erden der heiligste, der erhabenste, der am ehrfürch-
tigsten gehütete sein sollte, den man vor Andacht stumm, höchstens flü-
sternd betritt diesen Ort haben die Priester der einander feind-
lich gesinnten Religionsgemeinschaften in eine Räuberhöhle verwandelt,.
wo man sich mit kleinlichstem, unversöhnHchstem Neid um eingebildete Vor-
teile und angemaßte Rechte streitet. Um Schlägereien vorzubeugen, müssen
•jl türkische Soldaten diese wunderliche Christenheit bewachen. Wer gedenkt
' hier noch der Worte der Bergpredigt: „SeHg sind die Friedfertigen, denn sie
sollen Gottes Kinder heißen?" Die strotzende Pracht ringsum ist nur ein
Markt der Eitelkeiten 1 Überall hier ist der Tisch des reichen Mannes ge-
194
im halb entschminkten Christentum des Protestantismus erkennt
man schon wieder die Züge des jüdischen Originals. Die weitere
Entwicklung ist logisch vorgezeichnet. Genau wie in der pro-
phetischen Entwicklung des Judentums wird auch in der ferneren
Geschichte des Christentums die Sinnlichkeit von der Sittlichkeit,
der Kult von der Moral überwunden werden, und der gereifte
Rationalismus des nächsten Reformators wird zur Reinheit
arianischer Christauffassung zurückkehren, die mittelalterliche
Dogmatik stürzen und durch die reine Lehre Christi zurück-
kehren zum entkulteten ethischen Monotheismus der Propheten.
In der Entwicklung des europäischen Christentums dokumen-
tiert sich der Fluch aller Gewaltpolitik. Diese Religion ist nicht
eine Manifestation der Rassenpsyche Europas, ist nicht als
Blütenschmuck am Baum des arischen Völkerstamms hervor-
gewachsen sondern eine Importweire wie Zimt und Zitrone.
Die orientalische Weltanschauung steht dem nordischen Ger-
manen so schlecht wie der Negerfrau der Guineaküste die
rote Seidenbluse, die ihr ein enghscher Händler aufgeschwatzt.
Der Jude, der in seinen Tallith gehüllt, geschlossenen Auges
Gebete flüstert, ist eine Charaktergestalt; das polnische Bauern-
mädchen, das — ganz indogermanische Heidin — dem Mutter-
gottesbilde Blumen bringt, bewegt sich in der Szenerie ihrer
Gedankenwelt; aber der deutsche Kürassier, der vor der
Attacke, um Franzosenköpfe zu säbeln, seine Stallknechtshände
demutsvoll zu einem Vaterunser faltet — „Helm ab zum Gebet!"
— ist eine Karikatur; eine Walküre mit Engelflügelchen am
Panzer; ein Spott auf Christus und ein Verrat an dem Geist
seiner Väter. Herrlich sind die alten Helden Germaniens, die
um ihren Götterbaum dröhnend ihre Bardenlieder singen; aber
der Enkel, der in der Kutte nach den Kugeln eines Rosenkranzes
Litaneien hersagt, ist entartet. Widukind hätte die Sachsen-
eiche stehen lassen sollen; Karl der Große hätte nicht die
deckt, während der Arme vor der Türe liegt und nach den Brosamen
greift, die von seinem Tische abfallen . . . Selbst hier rast der Tanz um
das goldene Kalb!" Von der Geburtstätte Christi erzählt er: „Als die
Lateiner einmal in dem ihnen zugewiesenen Raum einen Teppich legten,
schnitten die Griechen eine Ecke davon ab, die auf ihr Gebiet hinüber-
reichte 1 Das Eigentumsrecht an einem Fenster war bestritten, und 30 Jahre
lang spannen die Spinnen ihre Netze, weil jeder dem anderen sogar
das Reinemachen verwehrte I Von Konstantinopel erhielten die Armenier -
die Erlaubnis, an ihrer Decke noch eine Lampe aufzuhängen; die Griechen •
betrachteten das als einen Eingriff in ihre Rechte und nahmen die Lampe
fort. Die leere Kette hängt aber noch da."
!»• 195
4500 Recken köpfen sollen, weil sie sich weigerten, das Kreuz
zu nehmen. Die toten Sachsen hatten recht getan.
„Den deutschen Mannen gereicht's zum Ruhm,
Daß sie gehaßt das Christentum" (Goethe).
Nicht am Kreuz, für seine Feinde betend, stirbt das deutsche
Ideal; auf schnaubendem Roß fliegt, von Walküren umzogen,
der gefallene Held durch glühende Wolkentore nach Walhall.
Alle Tyrannei ist von Übel, aber von größtem die des
Geistes. Europa hätte sich ungleich charaktervoller und
eigenartiger entwickelt, wenn es nicht durch die fanatischen
Apostel mit Kreuz und Schwert gewaltsam gegen den gesunden
Instinkt des Volkes christianisiert worden wäre. Die germanische
Frühkultur zeigt in ihren Mythen und Märchen herrliche Keime
künftiger Blüte; schade, daß man sie gekappt und auf ihren
Stumpf das orientalische Reis des Christentums gepfropft hat.
Dann hätten Deutschlands größte Geister nicht in fremden
Ländern ihrer Seele Heimat suchen müssen, dann hätte Luther
— der erste Deutsche — nicht ein Protestant, Schiller nicht
Hellene, Goethe Heide, Schopenhauer Buddhist und Nietzsche
Antichrist zu werden brauchen, sondern hätten Bejaher einer
Kultur sein können, die, statt orientalisch-europäische Bastard-
schöpfung, in des Wortes gutem Sinne nordisch-national ge-
wesen wäre. Schwert und Mission sind nicht die Mittel, Welt-
anschauungen zu schaffen; sie müssen errungen sein, erlebt;
dann nur können sie Höchstes auf Erden werden — Religion.
Im Gegensatz zu Ghamberlain, der Christus zeitlos auffaßt
und durch Scholastizismen, durch die man alles beweisen kann,
ihn als den Verneiner des Judentums hinstellt, ist Christus, genau
wie jede andere historische Erscheinung, einzig als Zeitfigur zu
begreifen. Christus ist der Protestant gegen den zeitgenössischen
Formalismus in der Religion und den Kapitalismus in der Wirt-
schaftsordnung; Protestant gegen eine satte Bourgeoisie, die
vom Krämertum Roms und vom Ästhetentum des Hellenismus
angefressen ist ; gegen eine Theokratie, die in den Vorhöfen des
Heiligtums Maklertische aufstellt und, statt Gutes zu tun, ihre
Zeit mit talmudistischen Haarspaltereien hinbringt. Hierin ist
er der unmittelbare Nachfolger der großen Propheten. Nicht
j gegen die Juden oder gegen das mosaische Gesetz sondern gegen
das Antijüdische im zeitgenössischen Judentum predigt er, so
wie Luther gegen das Unchristliche in der Kirche, Savonarola
gegen die Weltlichkeit des Papstes, Nietzsche gegen das Anti-
196
deutsche im Bürgertum von 1880 wettert. Christus ist so
wenig ein Verneiner des Judentums wie Luther ein Leugner des
Christentums.
Als Geißler der Schwächen und Wecker der Gewissen ergeht
sich Christus ebenso in Hyperbeln wie alle großen Läuterer der
Seelen, wie Jesaja und Jeremia vor ihm, wie Savonarola,
Voltaire, Schopenhauer und Nietzsche nach ihm. Nimmt man
Schopenhauer wörthch, ist die Welt ein Narrenhaus und muß
ein Mensch Kretin sein, um in Deutschland Universitätspro-
fessor zu werden. Welch ein Bild der deutschen Kultur — der
klassischen Zeit Goethes, Kants, Beethovens und Humboldts!
— gewänne die Nachwelt, wenn sie in 20 Jahrhunderten Schopen-
hauer läse, wie sie heute das Evangelium Matthäi von den Juden
liest! Und Schopenhauers „Welt als Wille" ist wahrlich in seiner
Ai't nicht geringerer Werte, Wahrheiten und Weisheiten voll
wie das Testamentum novum. Liest man Nietzsche wörtlich,
muß man glauben, die Deutschen — der Glanzepoche Bismarcks !
— seien samt und sonders Motten, Maden und Mehlwürmer
gewesen, und nach den Zeitgemälden der Pazifisten und Kom-
munisten unserer Tage ist die Gesellschaft, die hinter dem Hel-
dengeschlecht von 1914 steht, ein Verband von Piraten und Bri-
ganten zur Plünderung der Allgemeinheit. Christus war Pro-
phet und Prediger — Politik und Prosa lagen ihm fern. Was als
rhetorische Wendung wirkungsvoll, wird als Staatsmaxime
utopistisch. „Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und
trinken werdet . . . sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie
säen nicht, sie ernten nicht, der himmlische Vater nährt sie
doch; schauet auf die Lilien des Feldes^ wie sie wachsen, sie
arbeiten nicht, sie spinnen nicht" — das ist eine Lehre, mit der
Bettelmönche über die Gasse ziehen können, aber ein Volk
kann nach ihr nicht leben. Das vielgeschmähte mosaische
„Aug' um Auge, Zahn um Zahn" — eine Formel, die dem baby-
lonischen Gesetz entnommen ist, aber in Israel (im Gegensatz
zu Babylon) niemals wörtlich ausgeführt wurde sondern nur
Prinzip war — diese Maxime ist der zwar harte, aber einzig
mögliche Grundsatz für eine Welt, in der man noch 2000 Jahre
nach Christus einen Revolver in seinen Koffer packt, wenn
man auf Reisen geht ; noch heute sprechen die Gerichte Europas
nach diesem Prinzip ihre Urteile über die Gewalttat : der Mörder
wird gemordet. „So dir jemand einen Streich gibt auf deinen
rechten Backen, dem biete auch den anderen dar", ist das
Bekenntnis einer schönen Seele, von der wir stolz sein können,
197
daß sie jüdisch ist, aber es ist keine Moral für eine Welt,
in der man glücklich sein muß seine Freunde zu finden, um
stark genug zu sein seinen Feinden zu begegnen. Nur mit
seinem Untergange könnte ein Volk die Realisation dieser
Ideologien erkaufen. Daß Christus die Predigt dieser kom-
munistischen Manifeste in einem kapitalistischen Staat und
die Verkündung seiner Gottesabstammung vor einer dogma-
tischen Orthodoxie mit dem Tode bezahlt hat, kann nach den
europäischen Analogien von Sokrates und Seneca, Galilei und
Giordano Bruno, Luther und Huß, Blum und Kinkel, kann in
dem Zeitalter von Ferrer und Jaures, Liebknecht und Luxem-
burg, Eisner, Landauer, Levine und Haase nur ein Kind —
oder einen Heuchler in Entrüstung setzen ....
„Die töricht genug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt^)."
*) Um Mißverständnissen vorzubeugen : Christus wird hier, ebenso wie
späterhin Marx, einzig als Typus gewürdigt, als Träger der in der Geschichte
des jüdischen Volkes vom ersten Erzvater bis zum Kommunistenführer
der Gegenwart ungebrochen lebendigen Idee von der Errichtung des ge-
rechten Reiches (Reich Gottes) auf Erden, die in Moses, Christus, Marx
nur ihre drei historisch bedeutendsten Repräsentanten gefunden hat.
Was und wie sie im einzelnen vergänglich wirkten, ist irrelevant gegen-
über der alles überragenden ewigen Idee, die sie vertreten. Daß Christus
oder vielmehr seine Anhänger dem jüdischen Transzendentalismus ge-
wisse neue, von den Juden als fremd empfundene Elemente zugetragen,
tangiert das Wesen seiner Erscheinung so wenig, wie daß Marx den histo-
rischen Materialismus vertreten, und ist daher in diesem welthistorischen
Zusammenhang gänzhch außer acht gelassen und zu lassen. Der Genius
ist nicht nur ewig wirkender Geist, sondern auch ein in seiner Zeit leben-
der Mensch und bedarf einer zeitgeschichthchen Form, eines sterblichen
Gefäßes, um seiner Mitwelt den Nektar seiner unsterblichen Idee zu
reichen. Heute lebend, würde Christus wieder den Menschheitserlöser
spielen, aber entsprechend dem veränderten Wesen der Zeit, sich anderer
Propagandamittel bedienen als der Lehren seiner Gottesherkunft, Him-
melssendung und Verkündigung des jüngsten Gerichtes. Er würde auf
den Barrikaden der Kommunisten stehen. Daß eine, weil zum Sittlichen
unfähige, im Sinnlichen befangene Welt, nach den bunten Wimpeln der
Attribute greifend, die Idee zertreten, ist so wenig seine Schuld, wie Goethe
für den Goethebund verantwortlich ist. Christus ist nicht der Begründer
sondern nur der Anlaß des Christentums. Desgleichen Marx. Daß er
den historischen Materialismus verfochten, ist für seine weltgeschichtliche
Sendung nebensächUch. Schon 50 Jahre später geboren, würde er über
diesen Zeitgedanken der Dezennien Buckles, Büchners, Darwins ebenso
hinausgewachsen sein wie über seine Modemeinung von der notwendigen
„Überwindung" des Judentums. Christus und Marx werden hier als
zwei Typen einer spezifischen Kulturbetätigung herausgehoben, so wie
man Luther und Bismarck als zwei typisch deutsche Charaktere feiern
198
\>hristus hat die Menschheit nicht erlöst. 1800 Jahre nach
ihm harrt sie wie in seinen Tagen aus Knechtung und Entrech-
tung seufzend des erlösenden Messias. Die Ketten, die die Skla-
ven trugen, sind gefallen — doch die Sklaven sind geblieben.
Statt an die Galeerenbank sind sie an das Tretrad der Maschine
geschmiedet, statt ins Bagno in die Tropenhölle des Sweating-
house zu lebenslänglichem Arbeitskerker verurteilt. Wie in Särge
sind sie eingepfercht in die Zellen, Kammern und Kästen
ihrer Wolkenkratzer und Mietskasernen, wie in Gräber, die die
Menschheit verschlingen wollen, sinken täglich die Hekatomben
in die Tiefen der Gruben — und in ihnen allen, allen lebt
doch die Lust nach Licht und Liebe, Freiheit und Freude —
Millionen sehnen täglich in Tränen vom Himmel ihren Heiland
nieder — umsonst. Europens „allerchristlichste Majestäten'*
kann, ohne darum Lutheraner oder Militarist zu sein, und wie beispiels-
weise Nietzsche, gewiß alles andere als Anhänger der Bismarck-Politik, in
dem Eisernen Kanzler das Ideal eines Heroen verehrte. Statt Christus
könnte man als Modell zu diesem Typenbild des jüdischen Weltgenies
Jesaja oder Amos, statt Marx Lassalle oder Börne, Eisner oder Landauer
wählen, wenn jenen der Erfolg dieser beschieden gewesen wäre. In seinem
unterdes erschienenen Buch über den ,, Judenhaß und die Juden" bei-
spielsweise stellt Brunner neben Moses und Christus als drittes jüdisches
Weltgenie Spinoza, den er vom Standpunkt einer wirklich monotheisti-
schen Weltauffassung für den größten nicht nur dieser drei sondern sogar
aller Menschen hält. ,, Moses, Christus, Spinoza — von diesen Dreien aber
der größte ist Spinoza; der höchste aller Menschen ist Spinoza; der König
der Menschheit, würde ich sagen, wenn die Menschheit danach wäre,
von ihm sich regieren zu lassen und nach der Wahrheit zu erkennen das
in ihrer Geschichte Einzige und EinmaHge dieses Spinoza. Moses und
Christus sind des Tempels Fenster, Spinoza aber ist die Tür — wer nicht
durch diese Tür der Philosophia perennis eingeht, der gelangt nicht in das
Innere, mag undeutlich nur von außen hineinschauen. Wer die Wahrheit
liebt, kann sie ganz in Spinoza lieben; man kann wohl die Wahrheit mehr
lieben als sogar den Piaton: nicht mehr als den Spinoza. Immer wieder
betone ich die Vollkommenheit Spinozas, und daß er der einzige voll-
kommene Philosoph: gegen ihn erscheinen alle die übrigen romantisch
und unsicher. Spinozas Ethik ist die in jeder Zeile klassische philosophische
Explikation des Einheitsgedankens, das mächtigste Weihelied — alle
die Dinge der Welt sind die klingenden Saiten zum ungeheuren Liede
von der Einheit." In diesem Zusammenhang interessant sind die Ahnen-
reihen, die Nietzsche, der unzweifelhaft am weitesten in die Zukunft des
Menschengeschlechts weisende Prophet der Gegenwart, als seine Vor-
fahren aufzählt: „In dem, was Zarathustra, Moses, Mohammed, Jesus,
Plato, Brutus, Spinoza, Mirabeau bewegte, lebte auch ich schon." ,,Wenn
ich von Plato, Pascal, Spinoza und Goethe rede, so weiß ich, daß ihr
Blut in dem meinen rollt." „Meine Vorfahren Heraklit, Empedokles,
Spinoza, Goethe . . ."
19»
mästen sich am Handel mit Afrikas „schwarzer Ebenholz wäre";
Tyrannenträume zu verwirklichen, führen die Napoleoniden
Flotten nach Ägypten und Heere nach Sibirien, Winden und
Wölfen und eisigen Flüssen zum Fraß; die arischen Genies
dichten Dramen, malen Bilder, singen Symphonien — doch für
den Jammer der Millionen rühren sich keine Saiten auf dem
Psalter ihrer Seele. Der Kanon des Polyklet oder die Lösung
des Fermat sind ihnen wichtiger als das Glück der Massen.
Wie Fettaugen schwimmen sie, im Sonnenschein der Künste
schillernd, über der salzigen Tränensuppe des Völkerelends.
Soll's so ewig weiter währen? Aus tausend Seufzern tönt ein
Lachen, über unendlichen Scharen Leidgebeugter schweben die
wenigen beflügelten Genien beglückten Daseins — muß er da
nicht wiederkommen, niederkommen er, der Messias, der mit
seinem all-liebenden Herzen der Menschheit ganzes Leid umfaßt
und sich wieder auf den Ölberg stellt, die Arme ausgebreitet:
„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig seid und beladen?"
1818 geht der Stern von Bethlehem zum zweiten Male auf.
Wieder steigt er empor über den Dächern Judäas: Marx.
Wenn Christus im Himmel die Scharen all derer an sich
vorüberziehen ließ, die in seinem Namen gehandelt, und Gott-
Vater spräche zu ihm: ,, Weise mir den, der am vollkommensten
deine Lehre erfüllte" — er ließe alle Päpste, Mönche und Nonnen,
alle Kreuzfahrer und Missionare an sich vorüberziehen; alle
Maler, die ihn verherrlicht, alle Dichter, die ihn besungen. Jahr-
hunderte schritten an ihm vorbei. Bis er die Apostelgestalt von
Marx erblickte. Auf seine Schultern legte er seine Hände: ,,Du
bist meiner Verkündigung wahrer Erfüller. Du hast nicht mit
dem Schwert meine Lehre verbreitet, hast nicht das Gesetz
höher gestellt als die Liebe und den Mammon nicht neben Gott.
Dir war der Arme mehr als der Reiche, und der Hohe nicht soviel
wie der Niedere. Grenzenlos war deine Liebe, nicht Völker und
nicht Religionen achtend — alle, alle, die das Leid gedrückt,
hast du Brüder genannt — die Menschheit zu erlösen war, wie
mir dereinst, dein Ziel. Du bist der erste wahre Christ."
Man hat das Christentum die Religion des Mitleids genannt.
Die Tat Moses' war eine Tat des Mitleids, die Tat des Marx ist
eine solche. Marx ist kein Gelehrter, der den Sozialismus aus-
geklügelt, kein Nationalökonom, der eine neue Wirtschaftsform
ersonnen, ihn treibt, „wunderbar groß über alle häusliche Qual
die Qualen der Millionen empfindend", der heiße Wille Erlöser
zu sein, jener „leidenschaftliche Hang zum Altruismus", der
200
schon in seiner Jugend den Vater zu der Prophezeiung hinriß,
„er sei bestimmt, der Humanität zu dienen". Nicht Wissen-
schaft, nicht PoHtik, nicht Demagogenehrgeiz treiben ihn, son-
dern Ethos — er ist wie Moses und wie Christus ein Prophet.
Wir Zeitgenossen können die Bedeutung von Marx so wenig
ermessen, wie Petrus und Paulus die Tragweite des Christentums
erkennen konnten. Aber schon heute läßt der Donnergang des
Zeitgeschehens ahnen, daß ein neuer Tag der Menschheit an-
gebrochen, als dessen Phöbus- Apoll der Genius der sozialen Idee
die Sonnenrosse der Geschichte lenkt. Man hat das Erscheinen
Christi als Welt- und Zeitenwende fixiert. Mit Recht. Wie das
Zentralgestirn den Kometen, hat er die Menschheit Europas aus
ihrer Bahn gelenkt zu einem neuen Jahrtausend-Umlauf der
Geschichte. Seit jener Zeit hat sich dergleichen nichts ereignet.
Die Entdeckung Amerikas ist nicht der Anbruch einer neuen
Epoche, wie die Geschichtsbücher lehren, denn sie hat nicht
revolutionierend auf den Geist gewirkt. Was ist Großes ge-
schehen? Ein neuer Erdteil entdeckt, mit ungezählten Büffel-
herden, die man ihrer Felle wegen bis zum letzten Exemplar
dahingeschlachtet ; neue Völker, die in ihrer Unschuld leichte
Opfer waren für die Gold- und Mordgier ihrer unersättlichen
Entdecker; neue Zucker-, Baumwoll-, Kaffeefelder, die man durch
Neger kultivieren ließ, die man mit Hundepeitschen auf die
Plantagen trieb ; neue Städte, neue Gruben, neue Schlote, und in
ihrem Qualm das alte Elend — aber keine „Neuzeit". Auch die
Erfindung des Fernrohrs, die Entdeckung der Gravitationsgesetze
oder die Konstruktion der Dampfmaschine sind keine epochalen
Ereignisse. Eine neue Epoche beginnt, wenn ein
neuer Geist erwacht. Die Neuzeit brach in jenen Tagen
an, als in Frankreich die Rufe Freiheit! Gleichheit! Brüderlich-
keit! erschollen, als Marx und Engels in London das Kommu-
nistische Manifest verkündigten. Das sind die ersten Morgen-
rufe des neuen Menschheitstages, dessen Frührot heute die
Horizonte der Geschichte flammend umleuchtet. Ein neuer
Geist, ein neuer Wille! Seit die Sonne unterging an jenem
Kreuzigungsabend über Golgatha, hat Nacht gelegen über
der Menschheit. Mißverstehen der reinen Lehren senkte sich
wie Nebel über die Geister. Fanatismus schlug sie mit
Blindheit, und durch das Dunkel klirrten die Waffen und
tönte das Geschrei der Kämpfenden und Besiegten. Nun be-
ginnt ein neuer Tag zu dämmern: die Marseillaise klingt, die
Girondisten ziehen im Morgenschein vorbei, und an die grauen
201
Mauern des alten Staatsgefängnisses schlägt Marx im ersten
Frühlicht das Kommunistische Manifest — der dritte Tag der
Schöpfungswoche, die zum Menschheitssabbat führt.
Seit der Ausbreitung des Christentums hat keine Lehre die
Menschheit so zu tiefst moralisch aufgewühlt wie die Idee
von Marx ; scheint keine andere so berufen, die gesamte Gliede-
rung der menschlichen Gesellschaft im Sinn des idealen Juden-
Ghristentumes zu verändern und veredeln wie der Sozialis-
mus. Christus hat das europäische Indi vi dualgewissen ge-
weckt, Marx das Sozialgewissen der Gesamtheit. Jener hat
die Sklaverei der Antike, dieser die Knechtschaft des Mittel-
alters überwunden. Mit jenem hebt das Mittelalter an, mit
diesem die wahre Neuzeit.
Und ihr Evangelium ist der Sozialismus. Wir, die wir
in der Schule als „Geschichte" die spanischen Raubzüge
und die Schlachtentage von 1870 lernten, fassen es nicht.
Wir kommen aus der Dunkelheit und sind vom neuen Licht
geblendet. Aber die Zukunft, der die Genealogien der bran-
denburgischen Fürsten ein Gelächter sind, wird das Auf-
treten von Marx als ein eben solches Ereignis feiern wie
die heutige Menschheit die Geburt von Christus. Als in Ruß-
land auf den Trümmern des mittelalterlichen Zarenreiches der
erste kommunistische Staat errichtet wurde, schmolz man die
Denkmäler der entthronten Tyrannen ein und goß aus ihnen
als erste eine Statue von Marx — das ist der Geist der wahren
„Neuzeit" . . .
In seiner Wirkung auf die Weltgeschichte und nicht in seiner
„objektiven" Leistungsgröße liegt die Bedeutung von Marx.
In der Geschichte wird — hart aber wahr — das Urteil durch
den Erfolg bestimmt. Als Gründer einer obskuren Sekte wäre
Christus — bei wörtlich derselben Lehre — nicht der große
Genius der Menschheit. Es hat vielleicht größere Propheten
gegeben, aber das Schicksal hat keinen wie ihn zum Welten-
wender erhoben. Livingstone und Stanley haben ihre Expedi-
tionen mit ungleich größerem Aufwand von Wissen und Willen
in Szene gesetzt als Kolumbus, sie haben unverhältnismäßig
mehr gelitten, sie waren unvergleichlich höhere Heroen, da sie
wußten, was ihnen bevorstand. Aber sie haben nur einen Erd-
teil durchquert, während Kolumbus einen solchen entdeckte.
Kopernikus kann sich nicht im entferntesten an Geist mit
Kepler und Galilei messen, aber er als der glückliche Erste ist
<ier „Motor Solls, orbium coelestium turbator" geworden. Kants
202
„Kritik der reinen Vernunft" mag ein ungleich gedankenreicheres
Werk sein als „Das Kapital". Aber die schwergeschriebene Meta-
physik wird für alle Zeit nur die Delikatesse philosophischer
Feinschmecker bleiben, indes die Lehre von Marx zum Evange-
lium der Massen wurde, sein „Kapital" zur ,, Bibel des Arbeiters".
Daß 2000 Jahre nach der Verkündigung des Evangeliums
der Liebe an die Völker des arischen Kreises aus einer Zahl von
mehr als 400 MilUonen gläubiger Christen es wieder ein Jude
und dennoch wieder ein Jude gewesen, den das Mitleid mit
der Menschheit hinriß zu einem neuen Sinai, einer neuen Predigt
am Berge — kann diese Duplizität der Taten Zufall sein?
Zufall? Das Negative, daß etwas nicht geschieht, mag Zu-
fall sein, das Positive ist niemals Zufall in der Geschichte.
Daß ein Genie wie Kleist in jungen Jahren stirbt, mag man
als „Zufall" beklagen. Ebenso Raffaels, Mozarts, Schuberts
allzu frühen Tod. Was sie nicht geschrieben, ist Zufall,
brutaler Zufall. Aber die Penthesilea, die Sixtina, der Figaro
sind keine Produkte des Zufalls. Schöpfung ist Notwendig-
keit. Moses, Christus, Marx sind drei Repräsen-
tanten einer spezifischen Rasse und Rassenveran-
lagung, die in derEigenart ihres Wesens und ihrer
Leistungen in der Geschichte der Menschheit ein-
zig dasteht, und der durch diese Einzigartigkeit
der Begabung — wie jedem anderen Kulturvolk —
eine bestimmte Mission im Dienste der Mensch-
heit zufällt. Die genialen Repräsentanten dieser spezifisch
jüdischen Begabung sind die Propheten- und Apostelge-
stalten, aus deren Reihe als höchste Inkarnation des jüdischen
Wesens und Willens der Erlösertypus hervorragt, wie ihn das
jüdische Volk der Menschheit in den drei Epochen ihrer Ge-
schichte dreimal geschenkt hat: Moses, Christus, Marx.
An solchen spezifisch jüdischen Erlöser- und Propheten-
naturen, deren Ziel nicht schwächlicher Kompromiß mit der
gegenwärtigen Weltordnung, sondern die Verwirklichung eines
wahrhaft neuen Reichs im Sinn der allgemeinen Glückserfül-
lung ist, sind auch unsere Zeiten des revolutionären Um-
schwunges reich: Solch eine echt jüdische Prophetengestalt
aus dem 19. Jahrhundert, durch den heiligen Zorn der be-
leidigten Gerechtigkeit von Begeisterung zu Begeisterung ge-
tragen, steter Anwalt der Bedrängten und Bedrückten, Führer
zum messianischen Ideal des Menschheitsglückes, ist Lassalle,
der sechzehnjährig sein, Lebensprogramm aufstellte mit dem
203
Satze: „Warum soll ich zum Märtyrer werden? Warum? Weil
Gott mir die Stimme in die Brust gelegt, die mich aufruft zum
Kampfe, weil Gott mir die Kraft gegeben, ich fühle es, die mich
befähigt zum Kampfe ! Weil ich für einen edlen Zweck kämpfen
und leiden kann! Weil ich Gott mit den Kräften, die er mir
zu bestimmtem Zweck gegeben, nicht betrügen will. Weil ich,
mit einem Wort, nicht anders kann." Seinen Pfaden und
Fahnen wandelt in unseren Tagen die Legion der jüdischen
Revolutionäre nach, die seit Jahrzehnten in Rußland der Sache
der Freiheit dienten und deren bekannte Repräsentanten in
den westlichen Ländern Eisner, Luxemburg, Levine, Toller,
Landauer, Szamuely und viele andere geworden sind. Man
mag über die Zweckmäßigkeit ihrer Handlungen denken, wie
man will, man mag ihr Schicksal hinter Festungsmauern
und Gefängnisgittern, selbst ihren Totschlag auf den Straßen
sub specie der Zeitgeschichte für notwendig und verdient
halten — wer seine Meinung nicht aus seinem Morgenblättchen
im Abonnement bezieht sondern sich die Mühe gibt, sich in
Werdegang, Gedankenwelt und Schicksalslauf auch anders-
denkender Menschen zu versenken, kann nicht umhin, vor der
Lauterkeit ihrer Gesinnung und dem Mut ihrer Überzeugungs-
treue so viel Achtung zu empfinden wie vor irgendweich anderen
Helden der Geschicht'e. So wenig Jeremias durch seine Steini-
gung, Christus durch seinen Galgentod zwischen zwei Ver-
brechern, Spinoza durch seine Exkommunikation und Marx
durch die Kgl. preußischen Haftbefehle vor der Nachwelt de-
gradiert sind, so wenig kann ihr Bildnis für den Historiker
durch Hohnurteil und Haßgefühl der Zeitgenossen getrübt
werden. Durch Kolben und Kugel können die Zeitgenossen
einen ihnen unbequemen Genius aus der Liste der Lebendigen
aber nicht aus den Annalen der Menschheit streichen. Ohne
politische Stellungnahme, ohne bestimmte Auswahl und ohne
jedes Werturteil sind im folgenden einige der modernen Re-
volutionäre, über die durch die Tageshteratur etwas zu er-
fahren war, herausgegriffen, um als Typen zu dienen, damit
die Riesenbühne des Welttheaters, über deren Horizont die
historisch versteinerten Gigantenfiguren von Moses, Christus,
Marx wie Memnonssäulen thronen, durch lebendige Akteure
der Zeitgeschichte Inhalt und Kolorit gewinnt. Daß E isner
und Toller spezifisch dichterisch begabte Ideologen sind, ist
allgemein bekannt, besonders seit den vielen hundert Auf-
führungen von Tollers pazifistischem Drama „Die Wandlung",
204
das auch als ein Beitrag zur Rassenpsychologie der Juden, zu
aar spezifisch jüdischen Art, auf die Erlebnisse der Kriegszeit
und Revolution zu reagieren, wertvoll ist. Tollers Dichtung
entspringt, wie auch seine nicht jüdischen gerichtlichen Begut-
achter aussagten, ebenso wie sein ganzes revolutionäres Auf-
treten ,, stärkstem Ethos".
Levine — ,,ein Mann von großem Wissen, von scharfem
Verstand, von tiefer politischer Einsicht und Kenntnis, begabt
mit einem stahlharten Willen, voller Güte, voller Aufopferungs-
fähigkeit und Tapferkeit, war ein Idealist von reinstem Kri-
stall", der, ähnlich Lassalle, einem vermögenden Hause ent-
stammte, aber allem Reichtum entsagte, um zuerst als Vor-
kämpfer der Revolution in den russischen Gefängnissen zu
schmachten und später in Deutschland hinter dem Schraub-
stock in den Fabriken in Reih und Glied mit seinen Genossen
zu stehen. Sein bekanntes Wort: „Wir Kommunisten sind
alle nur Tote auf Urlaub!" sollte sich an ihm erfüllen. Mit dem
Rufe: „Es lebe die Weltrevolution!" empfing er die Schüsse
des Kommandos, das ihn exekutierte.
Ein Prophet, durchglüht, um nicht zu sagen, besessen von
der Idee, die Menschheit zu erlösen, war Landauer. Er sah,
tat und lebte alles unter dem einen Gesichtspunkt : wie • die
Menschheit von den Fesseln der gegenwärtigen Knechtschaft
zu befreien und zu einem Menschentum der Schönheit, Liebe
und der W^ürde zu erheben sei. Selbst Goethe betrachtet er
— wie charakteristisch! — unter diesem Gesichtswinkel: „Ich
möchte alles," sagte er einmal zu einer Goethefeier, „was das
eine: Goethe mir bedeutet, mit starkem sicherem Druck in
Eines zusammenballen können, bis es kristallisch würde und
über uns allen schwebte als unerhört leuchtender farbiger Edel-
stein. Und dann möchte ich in euch hineingreifen, die ihr da
unten seid seit Jahrtausenden und Schmach und Elend erdulden
müßt, dann möchte ich euch zusammenschweißen zu einem
Haufen und euch kneten, bis eure armen Körper, die verödeten
Hallen eurer Seele, zu einem Klumpen ungestalteter Häßlich-
keit zusammengebacken wären. Seht, darum zeige ich euch
Goethe, damit ihr seht, was ihr selber seid ! Solche Überragenden
gehen im Laufe der Zeit aus dem Menschengeschlecht hervor.
Und was habt ihr mit euch anfangen lassen, was aus euch ge-
macht ? Wohl arbeitet ihr hart und schwer, um zu leben. Aber
warum lebt ihr, wofür?" Landauer wurde, schreibt Bab in
einer Gedächtnisschrift über ihn, ,, gestachelt, getrieben, be-
205
flügelt von dem Gefühl, daß diese Welt unerträglich sei, diese
Welt, wo Adel nicht arbeitet und Arbeit nicht adelt, wo deshalb
alle Bewegung überhetzt, verzerrt, fruchtlos und häßlich wird,
und aller Reichtum, alle Schönheit in stumpfer Bewegungs-
losigkeit ersticken, verfaulen, verwesen muß. Er wollte diese
Welt nicht ertragen, er fand nicht, daß man irgend etwas
anderes fühlen oder tun dürfe, als für ihre Änderung wirken."
Aus der Münchener Kommunistenzeit erzählt ein Teilnehmer,
„daß ihn nichts so ergriffen habe wie die reine Güte und Mensch-
lichkeit, mit der er Gustav Landauer auf allen Plätzen, an allen
Straßenecken, in allen Sälen sprechen sah — keineswegs immer zur
Masse, viel zu kleinen Gruppen, viel zu einzelnen und immer bereit
zu helfen, zu ermutigen, aufzurichten, zu belehren, zu trösten."
Rosa Luxemburg gilt den Menschen, die sie nur aus den
Zeitungsberichten der bürgerlichen Presse kennen, als eine
Hyäne in Weibergestalt, eine politische Furie. Wer aber ins
Innere dieses Kämpferherzens schaut, blickt in das Paradies
einer geradezu von einem heiligen Frieden übersonnten Seele,
die mit ihrer Liebe und ihrem Erlöserwillen alles Menschenleid
und allen Tierschmerz und noch das kleinste Blümchen und
letzte Gräschen umfaßt — mit einem kriegsgefangenen rumäni-
schen Büffel, der in ihrem Gefängnistor von einem rohen Sol-
daten blutig geschlagen wird, empfindet sie mehr Mitleid als
mancher Armeekommandant mit einer zusammengeschossenen
Division . . . „Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an
Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen! Die Tiere standen
ganz still erschöpft, und eines, das, welches blutete, schaute
dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Ge-
sicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes
Kind . . . ich stand davor, und das Tier blickte mich an, mir
rannen die Tränen herunter ... es waren seine Tränen, man
kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als
ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. Wie
weit, wie unerreichbar verloren die freien, saftigen, grünen
Weiden Rumäniens! Wie anders schien dort die Sonne, blies
der Wind, wie anders waren die schönen Laute der Vögel oder
das melodische Rufen der Hirten. Und hier — diese fremde,
schaurige Stadt, der dumpfe Stall, das ekelerregende muffige
Heu mit faulem Stroh gemischt, die fremden furchtbaren Men-
schen und — die Schläge, das Blut, das aus der frischen
Wunde rinnt ... 0 mein armer Büffel, mein armer geliebter
Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumm und
206
sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht . . . Liebste,
seien Sie trotz alledem ruhig und heiter. So ist das Leben,
und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd
— trotz alledem.*' — „. . .Wenn dies schrille klagende Piepsen
unter meinem Fenster (im Gefängnis) beginnt . . . bekomme
ich buchstäblich einen Herzkrampf . . . Ich sage mir vergeb-
lich, daß es lächerlich ist, daß ich ja nicht für alle hungrigen
Haubenlerchen der Welt verantwortlich bin und nicht um alle
totgeschlagenen Büffel weinen kann . . . Und wenn der Star
für einige Tage verstummt, habe ich wieder keine Ruhe, daß
ihm was Böses zugestoßen sein mag ... So bin ich aus meiner
Zelle nach allen Seiten durch feine Fäden an tausend kleine
und große Kreaturen geknüpft und reagiere auf alles mit Un-
ruhe, Schmerz, Selbstvorwürfen." — „Wie merkwürdig, daß
ich ständig in einem freudigen Rausch lebe — ohne jeden
besonderen Grund. So liege ich zum Beispiel hier in der dunklen
Zelle auf einer steinharten Matratze, um mich im Hause herrscht
die übliche Kirchhofsstille, man kommt sich vor wie in einem
Grab. (Es folgt eine dichterisch geradezu vollendete Schilderung
der Gefängniseinsamkeit.) ... Da liege ich still allein, gewickelt
in diese vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis — und
dabei klopft mein Herz von einer unbekannten inneren Freude,
wie wenn ich im strahlenden Sonnenschein über eine blühende
Wiese gehen würde. Und ich lächle im Dunkeln dem Leben,
wie wenn ich irgendein zauberhaftes Geheimnis wüßte, das alles
Böse und Traurige lügen straft und in lauter Helligkeit und
Glück wandelt . . . Ich glaube, das Geheimnis ist nichts anderes
als das Leben selbst; die tiefe nächtliche Finsternis ist so schön
und weich wie Sammet, wenn man nur richtig schaut. Und in
dem Knirschen des feuchten Sandes unter den langsamen,
schweren Schritten der Schild wache singt auch ein kleines
schönes Lied vom Leben — wenn man nur richtig zu hören
weiß. In solchen Augenblicken denke ich an Sie und möchte
Ihnen so gern diesen Zauberschlüssel mitteilen, damit Sie immer
und in allen Lagen das Schöne und Freudige des Lebens wahr-
nehmen, damit Sie auch im Rausch leben und wie über eine
bunte Wiese gehen . . . ich möchte Ihnen meine unerschöpf-
liche innere Heiterkeit geben, daß Sie in einem sternbestickten
Mantel durchs Leben gehen, der Sie vor allem Kleinen, Tri-
vialen und Beänstigenden schützt."
Wenn die Frau, die, frei von jeder Pose, diese Worte schrieb,
jahrzehntelang ihre Brandreden gegen den preußischen Militaris-
207
mus schleuderte, um immer wieder nach kurzen Pausen der
Freiheit von einem Gefängnis ins andere zu wandern und in
den Tagen der Revolution wie in einem Rausch von einem
Ort zum anderen zog, um zum Kampf, nicht zum harmlosen
Geplänkel sondern zum letzten unerbittlichen Entscheidungs-
kampf mit der alten Weltordnung aufzufordern, bis sie von
einem Büttel niedergeschlagen und wie ein toter Hund ver-
scharrt wurde — so kann es nur die große Flamme propheten-
haften Gerechtigkeitszornes und religiöser Ekstase gewesen sein,
die sie dahintrugen und im Allgefühl mit den Schmerzen der
Menschheit und im Glauben an den Anbruch der Erlösungs-
stunde das eigene Leid bis zur Selbstaufopferung vergessen
ließen. „Warum soll ich gerade zum Märtyrer werden? Warum?
Weil Gott mir die Stimme in die Brust gelegt . . ." hatte Las-
salle gesagt — diese ekstatische Hingabe an eine für die Zeit-
genossen utopische und daher für die Zeitgenossen vielleicht
mit Recht ,,verwerfhche" Idee, diese geheimen Wanderpredigten
vor den Letzten der Menschheit, diese Zornreden gegen das
herrschende nicht Recht sondern Unrecht, die daraus ent-
springende Verfolgung durch die Machthaber und daran an-
schließende Unstetigkeit des Lebens, dazu ein innerer Seelen-
friede, der aus dem unerschütterlichen Glauben an den Sieg
der gerechten Sache entspringt und alles, selbst das Letzte
lächelnd hinnimmt, und schHeßlich das ,, schimpfliche" Ende
auf der Gasse — das ist der immer wiederkehrende Typus der
Passion, die ihre Opfer, ihre Helden von der Krippe zu Bethlehem
zum Kreuz von Golgatha hinführt. Zwischen der großen Passion
und diesen tausend kleinen ist kein Unterschied des Wesens
sondern nur ein Unterschied des Grades, der Zeiten und der
Mittel. Sie sind der Typus der jüdischen Genialität und des
jüdischen Schicksals^).
Uer jüdische Genius ist nicht schaffend und schauend wie
der arische, seine Genialität ist nicht die des Hirnes, des Auges
oder der Hand, sondern ist Genialität des Herzens. Das jü-
dische Genie ist Seelengenie. Ist Genialität des Herzens
1) Selbst der moderne Antichrist der Juden OttoWeininger war, so
paradox es klingt, ein ethischer Charakter. Die Triebfeder seines Handelns
war das Ethos. „Ihn beschäftigte", schreibt der Herausgeber seines Nach-
lasses, ,,in der ersten Periode seines Lebens und Schaffens nur die Frage
nach der Erkenntnis an sich, in der zweiten aber mit geradezu herrlicher
Ausschließlichkeit der Gedanke an das Ethische, Göttliche in Welt und
208
weniger als die des Verstandes? Mit der Genialität seines
Herzens tränkte Judäa die jungen Barbaren des Erdkreises,
tränkt es noch heute im Namen der Missionen die Neger im
Sudan und die Feuerländer Patagoniens. Durch die Genialität
seines Herzens ist Israel die ethische Mutter der Menschheit
geworden.
Jede Rasse — besser gesagt Nation, da es sich um Kultur-
gemeinschaften und nicht um zoologische Gruppen handelt —
ist, wenn sie sich überhaupt als schöpferisch bewährt, spezifisch
begabt. Der Satz des bekannten Anthropologen Kollmann:
,,Alle europäischen Rassen sind, soweit wir bisher in das Ge-
heimnis der Rassennatur eingedrungen sind, gleich begabt für
jede Aufgabe der Kultur" widerspricht allen naturwissen-
schaftlichen wie historischen Tatsachen in gleicher Weise. Ge-
wiß, so wie jedes normale Kind Lateinisch und Algebra zu
lernen vermag, so kann jedes europäische Volk Wagnerdiri-
genten, Chemieprofessoren und Divisionskommandeure hervor-
bringen. Wo aber gibt es ein Volk, das sich erdreisten kann
zu sagen, es vermöge eine italienische Renaissance herbei-
zuführen? Es könne Hellenentum aus sich gebären? Es könne
die Reihe jener Komponisten nachzeugen, die den Messias und
die H-Moll-Messe, die IX. und die Meistersinger schufen? Es
könne die Pilgerschar der Propheten und Apostel von Arnos
und Hosea über Jesaja und Jeremia bis zu Christus, Petrus,
Paulus und Johannes unter die Menschheit senden? Nein!
Gleichviel, ob die spezifische Rassenbegabung primär und
immanent ist, wie es die Rassentheoretiker behaupten, oder Ef-
ziehungsprodukt und Variante, wie es die Milieutheoretiker
lehren, die Tatsache besteht, daß sie ist, und daß sie den
schöpferisch begabten Nationen wie Sternbildern ihre feste
Stellung im Gradnetz des geschichtlichen Himmels anweist.
Die hellenische Kunst, die italienische Malerei, die deutsche
Musik, der j üdische Prophetismus — einmalig und einzigartig sind
sie, nie vordem gewesen, niemals wiederkehrend, für alle Völker,
alle Zeiten unnachahmlich, denn sie sind Manifestationen des ab-
solut Einmaligen und Einzigartigen — der genialen Individuahtät.
Menschen." Auch den Selbstmord, den er als blutjunger Student beging,
verhängte er über sich selbst als ethischer Richter über den ethischen
Verbrecher. „Alles, was ich geschrieben habe," hinterläßt er, „ist mit
bösem Willen geschrieben. Ich töte mich, um keinen anderen zu töten.
Nur ein gemeiner Verbrecher wartet auf den Henker, ein ethischer Ver-
brecher richtet sich selbst."
14 Kahn, Die Juden. 20^
Schöpferische Völker sind wie schöpferische
Menschen Individualitäten. Die Fabrikware der Natur
mag unter Völkern wie unter Individuen sich ähneln wie die
Schafe einer Herde; die Namen der Negerstämme Ostafrikas
sagen uns so wenig wie die Emmas und Ellas, die uns das
Frühstück servieren. Aber die Worte Hellas und Rom, Babel
und Judäa, Granada und Florenz, Paris, Nürnberg und Weimar
erwecken in uns die gleichen spezifischen Empfindungen wie
die Namen Homer und Dante, Shakespeare und Cervantes — sie
sind unverrückbar, unersetzlich, inkommensurabel. Man kann
sie nicht gegeneinander wägen wie die Kohlköpfe auf dem
Wochenmarkt. Goethe ist nicht Schiller, und Kant nicht größer
als Plato, denn jeder ist eine Individualität, nicht größer und
nicht kleiner — anders. Römer sind keine Griechen, und die flan-
drischen Maler kein Ersatz für die Nürnberger Meister. Die Römer
haben der Welt nichts von dem gegeben, womit Hellas sie be-
glückte. Keine Kunst, keine Dichtung, keine Philosophie, keine
Wissenschaft. Waren sie darum minderwertig ? Sie waren anders.
Die Juden wiederum haben weder "griechische Kunst noch eine
römische Kriegsgeschichte aufzuweisen. Sind sie darum geringer?
Ihrer sind die mosaischen Gebote, sind die Propheten, die
Psalmen und die Evangelien — vergebens sucht man ihres-
f-leichen unter den Völkern der Antike und der Moderne —
andersartig als die andern, sind sie einzig, unvergleichlich —
Individualität.
In dem Individualcharakter der Nation Hegt die Bedingung
ihrer Beschränktheit. Um etwas zu sein, darf man nicht alles
«ein. Nur Menschen und Völker, die nichts sind, können alles.
Der Jude ist Ethiker — ist's nicht genug? War Kant, nach
Ghamberlains Urteil der größte aller Deutschen, mehr? Den
Juden vorzuwerfen, sie seien rassenminderwertig, weil sie keine
Künste getrieben, ist ebenso töricht, als wollte man Kants
,, Kritik der Urteilskraft" zum Vorwurf machen, daß sie keine
Bilder besitzt. Verlangt man von einem Pfarrer, daß er Arien
singt, und von einem Philosophen, daß er Tango tanze?
Der Arier, „zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt", blickt
lim sich, wirkt sich aus und schafft. Er wird zum Künstler,
Forscher und Eroberer. Der Jude, in sich gekehrt, versenkt
sich, sieht die Gesichte der inneren Welt und verkündet sie als
Vision und Erleuchtung; er wird zum Heiligen und Propheten.
Der Höhepunkt des religiösen Erlebnisses, wenn man den Aus-
druck Rehgion überhaupt auf das Hellenentum anwenden darf^
210
ist für den Griechen das Eleusinische Fest: trunkenen Aue s,
Blumen im Haar, umtanzt er mit der Mänade das dionysische
Bild — Evoe Bacche ! Der Jude steht, in sein hären Sterbegewand
gehüllt, als fastender Beter und fleht zerknirschten Herzens
von seinem Gott irdischer Sünden heihge Entsühnung — Tag
der Versöhnung heißt sein höchstes Fest. Der Grieche ist Artist
und als solcher populär. Wer kennt nicht die Venus von Milo ?
Der Jude ist Metaphysiker. Wer liest die „Kritik der reinen
Vernunft"? Zwischen den Statuen der griechischen Kunst
spaziert das Publikum herum wie in unseren Museen : Ach, wie
herrlich! Liegt doch alles auch so klar vor Augen und erfordert
weder Mühe noch Verständnis, um für schön befunden zu werden.
Jeder Backfisch, der die Selekta besucht, kann vor dem Apoll
von Belvedere in Verzückung geraten. Dann aber öffnet der
Cicerone der Kultur die Tür zur BiM' -thek des Judentums und
sagt: Seht, welch nüchterner Stall! Aber ist ein Buch ein ge-
ringerer Besitz als eine Büste?
Ästhetisierende Völker, wie die europäischen, haben leicht
vielseitig zu sein. Ethische, wie die Asiaten, vermögen es nicht.
Ethik denkt man nicht, man schafft sie nicht wie ein Kunstwerk,
das man heute anfängt und morgen endet, man führt sie nicht
wie einen Feldzug, den man nach 49 Tagen siegreich abschließt
— „ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte" — Ethik muß
man leben. Gestalten wie Jesaja und Ezechiel, Hiob und Jona,
Paulus und Petrus fallen nicht aus einem Volke wie die Treffer
einer Lotterie aus 100000 Nieten. Ein Volk muß seine Männer
leben, vorleben muß es sie. Große Männer sind die Meilensteine
am Wege einer Nation. An den Säulen der deutschen Dramatik
von Hans Sachs über Lessing, Schiller, Goethe zu Hebbel und
Ibsen kann man den Entvicklungsgang der gesamten mittel-
europäischen Kultur ablesen. Wie primitiv ist der Nürnberger
Schwankpoet! Welch eine Geschichte mi .?> ein Volk durchlebt
und durchlaufen haben, ehe ein Olympier wie Goethe über ihm
vom Götterthron der Schönheit niederspricht ! Wieviel tragische
Probleme und Konflikte müssen die Seele einer Zeit zerreißen,
der ein Ibsen in Gesellschaftsdramen den Spiegel ihres Wesens
vorhält! Einem Moses, einem Christus, einem Marx müssen Ge-
nerationen von Gottsuchern und Erlösernaturen vorangegangen
sein. Selbst wenn der ungeheuerliche Satz Renans: „Die jüdische
Rasse zeigt fast nichts als negative Eigenschaften; sie besitzt
keine Mythologie, kein Epos, keine Wissenschaft, keine Philo-
sophie, keine Erfindung, kein bürgerliches Leben" — Wahrheit
u* 211
wäre, würde er noch nicht das Geringste über den Rassen- und
Kulturwert der Juden aussagen. Als ob ein Volk, das die Bibel
besitzt, noch eine „Mythologie" vonnöten hätte! Als ob das
Volk der Psalmen, der Prophetenreden und der Evangelien
noch ein homerisches Epos schreiben oder eine Singernähma-
schine zu erfinden nötig hätte, um seinen Rassenwert zu er-
weisen! Wenn eine tausendjährige Pflege der Wissenschaft und
Künste in den Köpfen der ersten Geschichtsphilosophen Europas
keine reiferen Gedanken gebar, dann ist der gesunde Instinkt
jener Völker zu loben, die die Betätigung geringer schätzten
als die Betrachtung und die Aktivität opferten, um sich ganz
der Kontemplation hinzugeben.
Renans verschrobenes Urteil über die Juden ist nicht die
Marotte eines Sonderlings — es ist das Urteil der Zeit. Einer Zeit,
die den gesunden Maßstab für Kulturbewertung verloren hat,
weil sie in einem Moderausch befangen ist: Hellenismus. Die
Geisteskultur der europäischen Moderne steht unter der Diktatur
der hellenischen Klassik. Die Titanen von Weimar, in deren
Schatten das Jahrhundert lebte, waren Hellenisten. Begreiflich.
Sie waren die Stürmer und Dränger einer neuen Kultur, die
Jünglinge der Neuzeit, und nichts ist so geeignet, das emp-
fängliche Herz schönheitsdurstiger Jugend zu füllen und
zu stillen wie die ästhetische Kultur der Griechen. Daher
werden junge Epochen stets das Land der Griechen mit der
Seele suchen. Daher die große Bedeutung des Klassizismus für
die Erziehung. Aber der reifende Mann wächst über den Ästhe-
tizismus des Jünglings hinaus. Man verfolge nur den Gang der
Kunstgeschichte in der Renaissance; man folge Goethe vom
Homer lesenden Werther über die Iphigenie und die Römischen
Elegien zu Wilhelm Meister und dem Divan; oder Nietzsche von
der Geburt der Tragödie bis zu Zarathustra. Der Mann steht
nicht mehr wie der Schüler vor dem Parthenon-Fries als der
höchsten Offenbarung der Weltseele; ihm ist es zu Bewußtsein
gekommen, daß es noch andere Probleme auf Erden gibt als
den „Laokoon". Das 20. Jahrhundert mit seinen weltbewegenden
Revolutionierungen wird über die so wichtig genommene Hel-
lenenschwärmerei des 19. Jahrhunderts lächeln wie ein Mann
über eine Sekundanerliebe.
Mit dem hellenischen Ideal wird die Jugend trunken gemacht
wie mit einem schweren Bier, und mit diesem für die meisten
Menschen einzigen Kulturrausch taumelt sie durch das Leben.
Selbst Leute, die sich berufen fühlen, eine Kulturgeschichte der
212
Menschheit zu schreiben, sind noch im Alter, wenn sie Nobel-
preise tragen, umnebelt vom Primanerrausch. Dafür zeugt die
„Allgemeine Kulturgeschichte" Richets, die als einzige wert
befunden wurde, während des Krieges aus dem Französischen
ins Deutsche übersetzt zu werden, durch das aller histo-
rischen Wahrheit hohnsprechende Urteil über die Griechen:
„Hellas ist der Lehrmeister der Menschheit gewesen, es ist in-
mitten einer noch halbwilden Völkerwelt erstanden, die es dann
vollkommen umgewandelt hat. Es hat das Ideal an uns weiter-
gegeben, das es selbst bei sich auszudenken gewußt hat und das
allmählich auch das unsere geworden ist. Es hat die mensch-
Uche Vernunft auf den Thron erhoben; es hat die Liebe zum
Vaterland gelehrt; es hat die Wissenschaft, die die Wahrheit,
die Kunst, die die Schönheit, und die Sittlichkeit, die die Pflicht
ist, geschaffen. Mit dem griechischen Denken hat das bar-
barische Zeitalter der Menschheit sein Ende erreicht." In Wahr-
heit ist Griechenland so wenig wie Judäa „inmitten einer noch
halbwilden Völkerwelt entstanden", sondern ein neuer Zweig
am großen Stamm des babylonischen Kulturbaums. Babel ist die
große Urmutter der Antike ; sie ist die Tihamat, die die Götter-
söhne gebiert — selbst noch keine Göttin! Babylonien ist als
Urstaat primitiv, universell, undifferenziert. Es ist der Stamm,
der noch keine Blüten und Früchte trägt; aber ihm entsprießen
die Äste, und er nährt sie alle. Persien und Hellas, Rom,
Judäa und Karthago sind die Zweige, in denen die Universal-
zivilisation des Urstammes Babylon sich zu den Individual-
kulturen der Einzelnationen entfaltet. Baumund Blüte! Die grie-
chische Kultur ist weder autochthon noch hat sie sich, wie es
Schulen und Geschichten lehren, von Athen und Sparta aus-
gebreitet, sondern — ex Oriente lux! — in einer Welle von
Asien über die Ägeis nach Europa ergossen. Die ersten grie-
chischen Kulturstätten, wie Ithaka und Mykene, sind keine
Wunderblumen mitten im europäischen Urwald, sondern Küsten-
metastasen orientalischer Kultur am Rande der europäischen
Wildnis, von den Segeln semitischer Fahrer an die Gestade
Europas getragen. Nicht als ein Rätsel unvermittelter und daher
unbegreiflicher Schöpfung wie die Schaumgeburt Aphroditens,
sondern als Frucht der Vermählung orientalischer Reife mit der
Jugendfrische arischer Schöpferkraft ist die griechische Schön-
heit geboren. Paris und Helena! Im Gedächtnis der Griechen,
dieser wie Nietzsche sie nennt, „besten Erben und Schüler Asiens",
war diese Erinnerung an Asien lebendiger als in den Köpfen
213
der heutigen Gelehrten. Über die Dardanellen wird Europa,
Tochter eines phönizischen Königs, von Zeus entführt. Der
Tempel der Demeter Megara war ein semitisches Heiligtum;
Phoroneus, dem die Argiver die Erfindung des Feuers zu-
schrieben, ein asiatischer Semit. Kadmos, der Gründer The-
bens, ,,der die Schmiedekunst, das Ackergerät und die Schrift
nach Griechenland brachte", ist ein Phönizier (Kadmos vom
hebräischen Kedem = Aufgang, Osten, Ostländer); Kekrops,
der Gründer Athens, ist ein babylonischer Cherub; der Gründer
von Argolis ein Sohn des semitischen Bei; aus Phrygien stammt
das Königsgeschlecht der Tantaliden, aus Kleinasien bringen
Lykurg und Selon ihre Gesetze, in denen man das baby-
lonische Vorbild ebenso unschwer wie im mosaischen erkennt^);
nicht in Sparta und Athen, in Kleinasien erlebte das Griechen-
tum seine erste und in vieler Hinsicht schönste Blüte; Homer
ist ein Asiate und kein Europäer; in Kleinasien lebten seine
Gesänge Jahrhunderte lang im Munde der Rhapsoden, eh»
Lykurg sie nach Griechenland brachte, und im babylonischen
Gilgamesch-Epos ist das mindestens tausend Jahre ältere Vor-
bild der homerischen Odyssee gefunden worden, zu dieser etwa
in gleichem Verhältnis stehend wie die babylonische Schöpfungs-
mythe zur biblischen. Die Welt der Odyssee ist in ihrem patri-
archalischen Charakter dem Alten Testament mindestens so
nahe, wie sie dem Athen des Alcibiades fern liegt. Das asiatisch«
lonien und nicht das europäische Griechenland ist die Heimat
der großen Klassiker der Naturphilosophie und das Land der
ersten Künstler. Die beflügelte Nike ist keine griechische Göttin
sondern ein babylonischer Cherub. Apoll von Tenea ist ein
Ägypter. Und als die Enkel dieser Griechen mit der typischen
Selbstüberschätzung der Überreifen nach Ägypten kamen und
ruhmredig auf ihre Statuen und Dramen wiesen, entgegneten
ihnen die ägyptischen Priester weise und bewußt: Unsere Kinder
seid ihr! Wer nicht Knaben in der Tertia unterrichtet sondern
*) Die Wandlungen, die die Verfassungen, Gesetze und Rechtsbegriffe
iu Hellas und Rom im Laufe der Jahrhunderte erfuhren, zeigen deutlich
die alimähliche Arisierung im Sinne der Entsozialisierung und Enthumani-
sierung der ursprünglich semitisch-sozialen Grundsätze. Es würde zu den
wichtigsten und gewiß interessantesten Aufklärungen führen, wenn ein
Berufener, Orientalist und Hellenist zugleich, die semitischen Wurzeln
der klassischen Frühkultur und die allmähliche Entsemitisierung mit all
den dadurch bedingten Fort- und Rückschritten klarlegte. Vgl. Spengler:
,,Ich glaube, daß man heute noch nicht ahnt, wieviel vom Corpus Juris
(dem Werk, nicht dem römischen Rechtsbewußtsein) vom Nil stammt."
214
eine Kulturgeschichte der Menschheit schreibt, darf nicht über
das Scharmützel bei Marathon in Ekstase geraten und seinen
Lesern das Backfischideal eines Hellenen vormalen, der niemals
als einzig in der Phantasie der Nachwelt lebte. Er muß aus dein
Konvolut der geschichthchen Episoden den Sinn der griechi-
schen Geschiclite herausschälen und als die große welthistorische
Mission, die die Griechen im Dienst der Menschheit erfüllten,
die entscheidende Umbiegung der orientalisch-
altsemitischen Denkweise in die europäisch-arische
Weltanschauung der Moderne erfassen und dar-
stellen. Wie die Juden Herz und Seele, so haben die
Griechen Verstand und Sinne aus dem Larvenschlafe des
Babylonismus zu beflügeltem Dasein erweckt. Wie jene auf
moralisch-religiösem Gebiet, haben diese auf dem wissenschaft-
lich-künstlerischen den babylonischen Astrologismus über-
wunden und den befreiten Geist zu autonomen Schöpfungen
entfesselt, so daß wir diesen beiden Völkern, wie Moleschott
sagt, „den eigentlichen Menschenadel verdanken". Judäa finc:
das diffuse Ur-Sonnenlicht Babyloniens mit dem Brennspiegol
moralischer Konzentration auf und entzündete damit das hei-
lige Feuer der Religion auf den Altären der Menschheit; Grie-
chenland zerlegte es mit dem Prisma seines Geistes und malte
das Regenbogenband der Künste zu ewig leuchtender Schön-
heit an den Völkerhimmel der Geschichte.
Welch bedenkliche Trübungen selbst des moralischen Emp-
findens ,,das kalte Fieber der Gräkomanie" (Schiller) zu zeitigen
vermag, beweist ein zweiter Sprecher der europäschen Kultur.
Treitschke hat einmal gesagt: „Eine Statue von Phidias wiegt
alles Elend der Millionen antiken Sklaven auf" — ein Satz, von
dem wir mit Genugtuung feststellen, daß ihn einer der größten
Wortführer des modernen Antisemitismus ausgesprochen hat.
Ein Satz, vor dessen Gemütsroheit sogar das Herz des begeisterten
Kunstfreundes, ja des Künstlers selbst und gerade des Künstlers
verletzt zurückschreckt. Ein Raffael, der in der strahlenden
Güte seines Wesens wie unter einem Heihgenschein einherging,
ein Leonardo, der des Morgens die Würmer vom Wege las, daß
die Spaziergänger sie nicht zerträten — beleidigt fliehen ihre
Manen aus dem Bannkreis derTreitschke'schen Rede. Wenn das
Elend der Massen der Preis seiner Werke gewesen, hätte Michel-
angelo, der stets bereite Helfer der Bedrängten, seine Pietä zer-
schlagen und die Peterskuppel in Simson-Zorn über seinen
Titanenschultern zusammenbersten lassen. Treitschkes Satz ist
215
ebenso unkünstlerisch wie unchristlich,und wenn ihn einHistoriker
2000 Jahre nach Christus noch empfindet, ja unter dem Beifall
der Menge auszusprechen wagt, so beweist das nur, wie fremd
diesem Apostel der ,,rein christlichen Kultur" selbst die elemen-
tarsten Begriffe der Ethik Christi geblieben sind. Gerade um-
gekehrt muß das wahre Weltbekenntnis lauten: ,,Alle Statuen
A'on Phidias wiegen das Elend der Millionen nicht auf." Nichts
steht höher als das Glück der Menschheit, wie es das jüdische
Volk als erstes und bisher einziges im messianischen Zukunfts-
bild als oberstes Ziel der Geschichte vorgezeichnet hat: das
Zeitalter der persönlichen Freiheit und der sozialen Gerechtig-
keit, des Völkerbundes und des Weltfriedens, ,,da Jeder unter
seinem Feigenbaume wohnt, da die Schwerter umgeschmiedet
werden zu Sicheln und die Speere zu Rebmessern", „da kein Volk
sich wider das andere erhebt, und sie nicht fürder lernen den
Krieg", da selbst das Tier, nicht mehr mit Feuerbüchse und
Hundemeute zum Sonntagsmorgenspaß von Müßiggängern ge-
hetzt, traulich zu Füßen des Weisen kauert. Dann erst, wenn
durch reine Menschlichkeit alle menschlichen Gebrechen gesühnt
sind, wenn nicht mehr ein deutscher Dichter singen muß
Daß ich hoch im Lichte gehe,
Müssen tausend Füße bluten,
Tausend küssen ihre Ruten,
Tausend fluchen ihrem Wehe . . .
dann erst thronen der olympische Zeus und die ludovisische Hera
auch mit moralischer Berechtigung in den Hallen der Schönheit,
nicht mehr himmelentrückte Idole einzelner gottbegnadeter
Künstler, die ihrer Mitwelt um Jahrtausende vorausgeeilt, nicht
mehr steinerner Appell an das steinerne Gewissen unheiliger Zei-
ten, sondern als die marmorne Ob jektivation einer auch marmor-
reinen moralischen Gesittung und Gesinnung. Dann erst wird
der Parthenon mit seinen Göttergestalten, wird die Sixtinische
Kapelle mit ihren Himmelsgemälden mehr sein als ein Museum, bei
dessen Eintritt man Welt und Gegenwart vergißt, vergessen muß,
um sie zu genießen, dann erst werden sie zu wahren offenen
Tempelhallen einer ihrer auch moralisch würdigen Menschheit,
Treitschke ist nur ein extremer und übermäßig lauter Ver-
treter der modernen Weltanschauung, in der die schöpferischen
ßrrungenschaften maßlos überschätzt werden auf Kosten der
moralischen Qualitäten^). In der man glaubt, daß es die Mensch-
') Selbst Hans Blüher, ein von jüdischer Weltanschauung stark be-
fruditeter Arier vornehmer Gesinnung, entwürdigt eine sonst feinsinnige
216
heit herrlich weit gebracht, weil sie sich in Kunstseide kleidet,
Mittagszeitungen liest und im Auto zum Derby fährt. In der
ein Riebet eine Kulturgeschichte zu schreiben glaubt, wenn
er jedes seiner von dem unermeßlichen Elend der Kriegsgeschichte
erfüllten Kapitel mit einem Dithyrambus auf die gleichzeitigen
Erfolge der Wissenschaft und Technik schließt, so wie man
einem Kinde, das einen Löffel Rizinusöl heruntergeschluckt
hat, hernach ein Chokoladenplätzchen auf die Zunge legt. So-
lange die Staaten nach einem Wort, das Thomas Moore vor mehr
als 400 Jahren prägte, „Verschwörungen der Reichen gegen
die Armen" sind, solange man, wie es mit der Luftschiffahrt
geschehen, Erfindungen nur darum ein Interesse entgegen-
bringt, weil man in ihnen neue Instrumente zum Mord der
Nebenvölker oder profitverheißende Handelsware sieht, solange
man vor demEntree des Theaters im Straßenschmutz den Zitter-
krüppel hegen sieht — ,,mit Stolz schaut das gesamte Vaterland
auf seine Heldensöhne, denen der unauslöschliche Dank aller gewiß
ist" — solange nicht die elementarsten Sätze der Moral und des.
Sozialempfmdens zu den selbstverständlichen Maximen des
öffentlichen Lebens erhoben sind, so lange darf die Menschheit
nicht stolz auf ihre technischen Leistungen sein; im Gegen-
teil, sie muß in Scham versinken, daß sie, die mit ihres Geiste»
Flügeln zu den Sternen auffliegt, mit den lahmen Schwingen
ihrer Moral noch nicht einmal die Sinaihöhe erklommen hat,
von der vor drei Jahrtausenden Moses als ersten und hehrsten
Grundsatz der Kultur die beiden ewigen Worte niederrief: ,,Lau
tirzach! Du sollst nicht töten!" Die Kruppschen Werke sind
mit ihren Riesenmagneten und Elektroturbinen ein imposantes
Denkmal der Zivilisation. Aber der Satz Moses' „Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst !" ist mehr. Er ist K u 1 1 u r.
Der wahre Kulturschatz eines Volkes sind nicht seine Realien,
sondern seine Imponderabilien. So wie man Bildung als dasjenige
und moralisch hochwertige Revolutionsrede durch die Blasphemie: „Es
gibt nichts Gleichgültigeres als das Glück der Menschheit im humanitären
Sinne: es kommt einzig und allein auf das schöpferische Glück ihrer
besten Exemplare an" — ein Satz, der dem Antisemiten Lagarde nach-
oder gleich empfunden ist, der, ganz Gesinnungs- und Gefühlsgenosse von
Treitschke, einmal gesagt hat: „Mit der Humanität müssen wir brechen,
denn nicht das allen Menschen Gemeinsame ist unsere eigenste Pflicht,
sondern das uns Eignende ist es. Die Humanität ist unsere Schuld, die
Individualität unsere Aufgabe." Als ob Humanität und Individualität
Gegensätze wären, die sich ausschließen! Nein, Humanität und Indi-
Tidualitatl
217
definiert hat, was einem Menschen übrig bleibt, wenn er alles
vergißt, was er gelernt hat, so kann man Kultur als dasjenige
bezeichnen, das einem Volke übrig bleibt, wenn es alles verliert,
w-as es besessen. Gegen eine Statue braucht nur der Speer eines
Barbaren anzuklirren, und sie sinkt in Staub ; aber der Geist, der
sie geboren, ist unzerstörbar, und das Gefühl, das sie in den
Herzen ihrer Bewunderer erweckte, lebt unvergänglich wirkend
weiter. An Gefühlswerten war die griechische Kultur trotz ihres
Reichtums an realen Schöpfungen arm. Hierin liegt die Ursache
ihres raschen Verfalls. „Wir waren schön," läßt Jakob Burck-
hardt die Olympier sagen, „aber wir waren nicht gut — und
darum mußten wir untergehen." Völker, die ihren Kindern
keine Seelenwerte ins Exil zu geben haben, können Katastrophen
nicht überdauern. Niemals wären die Juden der Knechtschaft
Ägyptens entronnen, wenn nicht ihr „Gott" sie herausgeführt
hätte. Niemals wären sie aus der babylonischen Gefangenschaft
heimgekehrt, hätte nicht ,, Jerusalem" in ihren Herzen weiter-
gelebt und durch die Nacht des Exils wie ein „Star of hope"
geleuchtet: ,,Eh' soll uns die Hand verdorren, eh' wir dein ver-
gäßen, Jerusalem ! Eh' soll uns die Zung' am Gaumen kleben,
eh wir deiner nicht mehr sprächen, Zion!" Selbst das länder-
fressende Rom konnte ,,den Wurm Jakob" nicht vertilgen. Es
konnte ihn verschlingen, aber wie Jona lebte er im Bauch des
Ungetüms weiter, ja, er schwoll an in ihm, jenem merkwürdigen
Pilze ähnlich, der aus den Eingeweiden der Fliege durch die Poren
ihres Leibes herauswächst. Schon wenige Jahrzehnte nach der
Zerstörung Jerusalems klagt Tacitus angesichts der Ausbreitung
des Juden-Christentums, ,,daß die Besiegten die Sieger besiegen".
Und warum ? Weil der Geist — dies ist sein einziger Trost auf dieser
Erde, die ihn haßt — unangreifbar ist. Was da droben rauchte,
waren Fetzen tyrischen Purpurs; was da krachend stürzte,
Balken aus den Zedern Libanons; die Tempelgefäße konnten
die Knechte des Titus auf ihre Quadrigen häufen, aber den Gott,
den dieses Volk in seinem Busen trug, konnten sie ihm nicht aus
seinem Herzen reißen: stolz und aufrecht, durch nichts Wesen-
haftes verarmt, schritten die Besiegten zwischen den hoch-
beladenen Beutewagen ihrer Feinde durch die verbrannten
Tore, so wie einst Blas unbeschwert zwischen den bepackten
Bürgern seiner brennenden Vaterstadt dahinging: Omnia raea
mecum porto!
Der Mangel an Imponderabilien ist die Ursache des Bankrotts
der Antike. Als die große Kulturkatastrophe hereinbrach, da
218
fror es die heidnische Seele auf den Trümmern des zusammen-
gestürzten Hauses. Sie suchte in den Aschenresten, und was
fand sie? Einen Marmorlcopf, einen Dialog des Plato und eia
Fragment des Corpus civile — keine Remedien, eine gebrochene
Seele aufzurichten. Da hörte sie in der Ferne Pilger Psalmea
singen und horchte auf; und sie schlich hin und stimmte ein ins
große Hallelujah!
Alle Bestrebungen, die auf Schaffung und Besitz von Realien
ausgehen, dienen nicht der wahren Kultur; Völker, deren höch-
stes Ziel Realien sind: Herrschaft, Macht, Besitz, Finanzen,
Heere, Kauffahrteien, Kolonien, verdienen nicht den Ehrentitel
der Kulturnation. In China schenkte der Kaiser seinen sieg-
reichen Feldherren nicht Provinzen sondern einen berühmten
Teppich oder eine alte Handschrift. In einem japanischen
Nationaldrama schlitzt sich der Held in einem brennenden
Hause den Bauch auf, um in seinen feuchten Eingeweiden ein
Bild vor der Flammenglut zu schützen. In Indien verzichtet der
Königssohn Buddha auf die Landeskrone, um in den Wäldern
über das Leiden der Menschheit und seine Überwindung nach-
zusinnen. In Israel stob das Volk mitten im königlichen Fest aus-
einander, als der Hirte vonTekoa seine Prophetenstimme erhob.
In Griechenland war es höchste nationale Ehre, den olympischen
Kranz zu besitzen — ein Ülbaumzweig galt mehr als eine Königs-
krone. Aber in Rom war es der Traum der Jugend, „Karriere"
zu machen und Präfekt einer reichen Provinz zu werden, um
sie nacli allen Regeln römischer Erpresserkunst auszusaugen.
Babylon und Rom sind die Repräsentanten des Machtstaates,
der die Zivilisation erhebt, aber die Kultur erdrosselt; in dem
Organisation, Kolonisation, Mihtarismus und Merkantilismus
ihre Förderung finden, Städte, Straßen, Aquädukte, Kolosseen,
Siegesalleen und Marmorbäder gebaut werden, aber die Kultur
im Staatsbetrieb erstickt. Im Gegensatz zur Zivilisation ist
Kultur — in höchstem Sinn verstanden — unpraktisch, zweck-
los, ziel- und zeitlos. Sie hat keinen Marktwert und kein Staats-
interesse. Was hat ein Mann, der Theaterfiguren im Kopfe hat
oder dem Monde nachhängt, im römischen Senat zu suchen?
Was soll ein Hamburger Bankhaus mit einem Kommis beginnen,
der den Rand seines Kontobuches mit Gedichten beschmiert:
„Du bist wie ein Blume . . ." Für die Zivihsation ist der große
Mensch, wie schon die Chinesen erkannten, geradezu „ein öffent-
liches Unglück". Zivilisation ist die Verwirklichung des Mög-
lichen, die Realisation des Nützlichen, die Durchführung des
219
Notwendigen. Zivilisation ist die Ausi\utlfüng des Augenblicks
ohne Rücksicht auf die Ewigkeit, Kultur hingegen die Indi-
viduation des Ewigen ohne Rücksicht auf den Augenblick.
Kultur ist das Anti-Ephemere, ist das, was im Gegensatz zur
„Forderung des Tages", zum Mechanistischen der logischen Ent-
wicklung, das kommen mußte, nicht kommen muß, unbedingt
ist, supramechanistisch, durch keine Logik zu erklären, keine
Notwendigkeit zitiert, sondern als Eigenerscheinung auftaucht,
plötzlich da ist wie der Blitz am Himmel — wozu? aufblüht
und auffliegt wie Schmetterling und Rose an einem Früh-
lingstag — wofür ? In Rom mußte ein Anlaß da sein, wenn etwas
geschah; als Titus Jerusalem unterworfen hatte, stellte man
eine Säule auf ; ein Kolosseum wurde gebaut, weil das Volk nach
oircenses schrie; die Prachtbäder von Bajä wurden Tyrannen zur
Lust errichtet. Für einen praxi teleischen Hermes, eine „Elektra",
ein „Gastmahl", an dem die Weisen über den Eros diskutieren,
war in Rom kein Anlaß. Sein einziges Epos ist dem Herrscher-
haus zur Ahnenchronik geschrieben, und die Zehnpfennigweisheit
der Horazischen Oden beginnt mit der servilen Tirade : Maecenas
atavis edite regibus — nicht einen einzigen Genius, der ein
Werk um seiner selber willen schuf, hat dieses Weltreich in
seiner tausendjährigen Geschichte geboren. Unter der Riesen-
fülle seiner Hinterlassenschaften finden oder vermissen wir eben-
sowenig einen Namen für die Dankaltäre unserer Verehrung wie
in Babylon, Was Babylon und Rom der Welt gegeben, sind
nicht Schöpfungen, sondern Errungenschaften. Kalender und
Alphabet, Geometrie und Majolikafiguren sind unausbleibliche
Requisiten jeder Zivilisation; sie müssen kommen, so wie heute
Fernseher und Taschentelephone unvermeidliche Erfindungen
der kommenden Jahrzehnte sind. Aber Genesis und Psalmen,
Hiob und Hohes Lied, Bergpredigt und Apokalypse sind ein-
zigartig ; die Dias und die Antigene sind so wenig bedingt und
so unwiderruflich wie Menschen, die lebten und gestorben sind ;
die Gioconda und der Colleoni sind durch keine Logik als not-
wendig, nützlich oder richtig zu konstruieren ; die Missa solemnis
und derParsifal,Tasso und Zarathustra sind ohne Vorbild und ohne
Möghchkeit der Wiederkehr. Die gepflasterte Straße von Assur
ist eine Bewunderung erweckende Anlage; jedoch wir könnten
ihresgleichen an zehn verschiedenen Orten der Erde wiederfinden.
Würde 37 mal auf Erden sich die Weltgeschichte wiederholen,
würde es 37 mal gepflasterte Straßen, astronomische Tabellen
und juristische Edikte geben; aber die Odyssee und die Neunte
220
würden niemals wiederkehren. Sie sind Kultur; Kultur ist das
Einzigartige.
Zivilisation ist zentrifugal gerichtet und strebt nach Expan-
sion; Kultur ist entgegengesetzt zentripetale Intensivierung.
Jene breitet sich aus zur Fläche, diese verdichtet sich zum Punkt.
Athen, Jerusalem, Venedig, Weimar stehen auf der Landkarte der
Kultur wie Blumen auf einer Wiese; die Provinzen der baby-
lonischen und römischen Weltherrschaft muten uns an wie die
Felder eines Gemüsegartens. Die eine Bannmeile von Athen
umschloß mehr Kulturwerte als die 87 Provinzen des Römischen
Reiches. Golgatha war der Schauplatz einer Stunde; aber diese
eine Stunde hat mehr Glaube, Liebe, Hoffnung aus Menschen-
brust gelockt als ein Jahrtausend babylonischer Großmacht;
die vier Lettern Zion lösen in den Herzen der Menschheit höhere
Empfindungen aus als vier Jahrhunderte römischer Geschichte.
Die Macht, dem Augenblicke abgehandelt, ist dem Augen-
blick verfallen ; die Kultur, dem Ewigen enthoben, ist der Ewig-
keit anheimgegeben. Die Weltherrschaften Sardanapals und
Timurs sind zerstoben und wären der Menge nicht einmal mehr
mit Namen bekannt, gäben sie nicht unseren Dichtern Stoffe
für Oper und Lustspiel. Herodes ,,der Große" trägt eine Krone
aus Pappe und singt Arien, und Salome tanzt auf den Brettern
zur Belustigung des Parterres ; aber wenn die Worte des jüdischen
Tischlersohns aus Bethlehem gesprochen werden, sinken Fürsten
und Monarchen in den Kirchen auf die Knie. Athen ist ein
Trümmerhaufen und das Forum romanum eine Ruinenstätte,
aber der Torso der Venus von Milo thront als schönstes Kunst-
werk der Welt über Völkern und Zeiten. Die Flotten Venedigs
sind untergegangen, seine Feste verrauscht, seine Dogen ver-
modert,aber die Meisterbilder Tizians leuchten in unvergänglicher
Schönheit von den Wänden der leeren Paläste am Markusplatz.
Spanien — was ist uns Spanien? Einst ging die Sonne nicht
unter in den Grenzen seiner Macht. Wenn wir heute — noch kein
halb Jahrtausend später — das Wort Spanien hören, denken wir
an Traubenkisten und die spanische Grippe. Die Macht ist nichts,
der Geist ist alles. Die Juden haben niemals eine Macht besessen,
sie besitzen heute keine und wollen in alle Ewigkeit keine soge-
nannte Macht besitzen. Wenn wir bei Chamberlain und seinen
Gesinnungsgenossen lesen, daß die Juden nach der Weltmacht
streben — ,, dieser eine hat jedes Opfer, jede Schmach auf sich ge-
nommen, um nur einmal, gleichviel wann, das messianische Welt-
reich der Alleinherrschaft, Jahwe zu ewigem Ruhm, anzutreten"
221
— so lächeln wir. Diese Menschen sehen im Delirium graue Mäuse,
und die Chimären ihres Wahns halten sie für die Drohgestal-
ten ihrer Gegner. Wir Kinder dieser Zeit haben ja erlebt, wie
die Macht sich aufbläht wie eine Seifenblase, schillert vor aller
Welt — und zerstiebt zu nichts. Wir wehren uns gegen die
Macht; wir fürchten sie. Sie ist ein Fluch. Wir aber wollen den
Segen. Und das ist der Geist, jener Geist, der des Raumes nicht
bedarf, da die Zeit ihm angehört, und der mit Freuden auf die
Gegenwart verzichtet, um der Ewigkeit gewiß zu sein.
So wenig Politik nach römischem Muster das einzige Agens
Dationalen Lebens bilden darf, so unerläßlich sind gewisse poli-
tische Prämissen für die Geburt schöpferischer Kultur. Als
Individualerscheinung spottet das Genie jeder rechnerischen
Gesetzmäßigkeit, ja selbst der Definition. Aber als histo-
risches Phänomen, als Sozialgestalt ist sein Erscheinen strengen
Gesetzen unterworfen. Das lehrt der flüchtigste Blick ül-er
die historisch - geographische Verteilung der Genies: die Zu-
sammenhäufung der jüdischen Propheten im Jahrhundert des
babylonischen Exils, der Apostel um Christus, der griechischen
Künstler im perikleischen Zeitalter, der arabischen Geister
um Harun al Raschid, die Hochflut der Renaissancekünstler
in Italien, die Blüte der bildenden Künste in Holland, die
Klassik der deutschen Musik. Wie Sternschnuppenschwärme
leuchten die Scharen der Genies sporadisch auf in der Atmo-
sphäre großer Zeiten. Und das Gesetz ihrer Bahn? Geniahtät
ist Überschuß an Volkskraft ; Genie ist der Kristall, der aus der
übersättigten Kulturlösung eines Volkes hervorschießt, scheinbar
plötzlich, in Wahrheit aber durch die zunehmende Lösungsstärke
seit langem genährt; in ihm gewinnt die form- und farblose
Massenpsyche des Volkes funkelnd-farbige Individualgestalt.
Junge Völker mit noch ungesättigten Kulturlösungen können
keine Geniekristalle treiben; bei jedem Volk geht dem Erscheinen
des Genies ein Jahrtausend der A-Genialität und ein Jahrhundert
der Talente voraus. Die Talente sind die Kriställchen, die die
Erreichung des Sättigungsgrades ankündigen, sie sind die Blätter,
die vor der Blüte des Genies an den Zweigen des Kulturbaums
gprießen. Deutschland weist im ersten Jahrtausend seiner Ge-
schichte auch nicht einen Namen auf. Den Cimbern und Teu-
tonen sieht niemand an, daß einst aus ihrer Mitte Kant und
Goethe treten. Noch zur Zeit Friedrichs des Großen, als die
Genien der deutschen Klassik schon in ihren Wiegen lagen,
war nach Bellermann „der Beweis nötig, daß es auch unter den
222
Deutschen große Leidenschaften und bedeutende Charakler"^
geben könne", und im gleichen Zeitalter sprachen d'Alembert
und Diderot den Russen — der Großvätergeneration Tolstois,
Turgenjeffs und Dostojewskis! — die Möghchkeit ab, jemals
kultivierte Europäer werden zu können. Prophezeiungen über
die Kulturbefähigung von Völkern sind daher mit größter Vor-
sicht aufzunehmen. Daß ein Volk zur Zeit keine Kultur besitzt,
ist durchaus noch kein Beweis, daß es ihrer nicht auch fähig
wäre. Die Völker des Ostens von Europa sind, wenn nicht alle
Zeichen trügen, gewiß nicht weniger begabt als die des Westens;
was ihnen zur Kultur noch fohlt, ist nichts als — Zeit, Ver-
gangenheit. Amerika hat auf geistigem Gebiet kein Genie hervor-
gebracht. Und wieviel Kräfte sind doch lebendig in diesem
Volk der Völker! Wie viele Glücksritter, Condottiere des Handels
und Napoleone der Industrie hat es geboren! Wieviel Kohlen-
nabobs, Trustmagnaten, Eisenbahnkönige! Technische Erfin-
dungen die Fülle! Aber kein Genie der Kultur! Keinen Dichter,
keinen Maler, keinen Klassiker, keinen Philosophen. Nicht
einen einzigen Schriftsteller von wirklichem Weltrang — die
beiden Miniaturmeister Poe und Emerson als Kündertalente
kommender Genies ausgenommen. Es kann noch kein Genie
geboren haben, ihm fehlt's an Sättigung, es ist noch Most, der
sich absurd gebärdet; Kultur ist Wein, alter abgelagerter Wein.
Vergangenheit, schöpferische Kulturvergangenheit ist es auch,
die den europäischen Juden zur Entfaltung bildnerischer Kräfte
auf den Gebieten des modernen Lebens fehlt. Sind sie doch erst
durch ihre Emanzipation vor nicht viel mehr als hundert Jahren
aus dem Puppenzustand des mittelalterlichen Ghettojudentumes
,, Europäer" geworden, eine viel zu kurze Spanne, um gegenüber
einer wesensfremden Welt vom ersten Schritt der Näherung bis
zur seelischen Vermählung, Befruchtung und Geburt von Eigen-
schöpfung durchzudringen.
„Uns fehlt nur eine Kleinigkeit . . .
Nur Zeit."
Die alten Schwingen sind gebrochen, und die neuen sind
noch nicht gewachsen. Genie ist Überschuß an Volkskraft
— aber Simson sind die Locken geschoren. Genie ist Kristall
der gesättigten Lösung — aber der Kelch Judas ist mit Tränen
verwässert. Genie ist Blüte am Baum nationaler Kultur — aber
der Stamm Israels ist entwurzelt. „Die schöpferischen Kräfte
des jüdischen Menschen und des jüdischen Volkes", heißt es in
dem Programm der jüdisch-volkssozialistischen Partei Hapoel-
?,?3
Hazair, ,,sind in ihrer Auswirkung behindert durch seine Tren-
nung vom Boden der produktiven Arbeit und der historisch-
nationalen Heimat und Kultur." Ahasver auf der Landstraße, den
Buckel gekrümmt unter der Last des Trödels, findet nicht die blaue
Blume. Nur dem Träumer, der zwischen den Triften seinerHeimat-
dörfer, einen Himmel in sich tragend, wandelt, blüht sie. Genie will
Resonanz. Wie voll tönt Schillers Pathos über dem schwingenden
Boden der Zeitseele; wie süß klingt Eichendorffs Postkutschen-
lyrik durch die Blütennächte der Biedermeierjahre. Hinter
Arno Holz' ,,Buch der Zeit" dröhnen die Hämmer von 1890.
Aber die Harfe Judas hängt zerrissen in den Weiden Babels . . .
Von diesem Volk, das tausend Jahre hinter Ghettomauern
in den Banden der Gefangenschaft geschmachtet, sich nur mit
■einem Schandfleck auf dem Kleide jenseits seiner Stadtgefäng-
nisse bewegen und als einziges Gewerbe den „ehrlosen Handel"
mit Plunder und Zinsschein treiben durfte, das sich an jedem
Schlagbaum den Schweinen gleich verzollen lassen und vor
jedem Kinde auf den Anruf: Jude, Hut ab! seine Mütze ziehen
mußte, und in dem man so durch Ächtung und Entrechtung
•das Ehrgefühl erdrosselt und das Selbstvertrauen erwürgt hat,
von diesem Prügelknaben des Mittelalters, diesem Kaspar
Hauser der europäischen Geschichte zu erwarten, daß es, kaum
im Licht der Freiheit atmend, einen Dichter zeuge, der wie
■Goethe in olympischer Göttlichkeit über Welt und Menschheit
thront, der wie Schiller mit der Feuerfackel der Begeisterung
gegen den Himmel der Finsternis anstürmt, daß es in den ersten
Dezennien seines europäischen Miterlebens einen Sänger gebäre,
der wie Bach des Weltalls Harmonien mit dem Saitennetze
eines Flügels einfängt oder wie Beethoven mit Geigen und Bässen
das Schicksal und alle Dämonen von Himmel und Erde beschwört,
daß es — das niemals einen Pinsel rührte — nun sofort einen Maler
hervorbringt, der wie Böcklin Frühlingsduft und Sirenensang auf
Leinewand zaubert oder wie Rodin in einen Ballen Ton alle
Leiden und Gedanken eines 70 jährigen Menschenlebens griffelt
— vom jüdischen Volk des ersten Jahrhunderts seiner Eman-
zipation diese Maximalleistungen arischer Aktivität zu fordern,
ist eine solche Ironie, als stellte man ein Karussellpferd auf die
Bahn und verlangte, daß es mit den trainierten Rennern über
die Hürden spränge. Daß dieses Volk überhaupt die fast zwei-
tausendjährige Entwurzelung aus der Heimaterde überdauert
und sich ungebrochen von dem tausendjährigen Kettenlager
seines Ghettokerkers neu erhoben hat, ist Wunder genug und
:224
Zeugnis höchster psychodynamischer Kräfte. Unter der Regie-
rung Friedrichs des Großen wurde der Großvater des Bankiers
Bleichröder von der jüdischen Gemeinde zu BerUn ausgewiesen,
weil er beim Lesen eines deutschen Buches ertappt worden war.
50 Jahre später erschien Heines „Buch der Lieder" . . .
Die Zahl der Juden beträgt in Deutschland weniger als 1%
der Bevölkerung und entspricht ungefähr der Bewohnerzahl
von Mecklenburg-Schwerin. Hat schon jemand die Behaup-
tung aufgestellt, die Mecklenburger seien rassenminderwertig,
weil sie keinen Goethe, keinen Bach, keinen Kant geboren?
Oder von ihnen Kulturleistungen verlangt, mit denen sie sich
den großen Millionenvölkern Europas ebenbürtig gegenüber-
stellen könnten ? Die Mecklenburger auf der einen und die Deut-
schen auf der anderen Seite ? Sähe man selbst von der Tatsache
der spezifischen Rassenbegabung und der Ungunst der Bedin-
gungen ab, so müßten gegen ein einziges jüdisches Genie deren
100 deutsche aufgewiesen werden. Deutschland muß 100 musi-
kalische, dichterische, künstlerische und philosophische Genies
hervorbringen, ehe es das erste jüdische in die Schranken rufen
dürfte. In welcher Disziplin aber hat Deutschland seit der
Judenemanzipation 100 überragende Geister geboren? In der
Musik, dem ureigensten und glücklichsten Schaffensgebiet der
germanischen Rasse, hat Deutschland selbst bei weiter Fassung
des Begriffs Genie in den beiden vergangenen Jahrhunderten
noch keine zwölf ,,der Klasse für sich" geboren (man könnte
etwa folgende neun zusammenstellen: Händel, Bach, Haydn,
Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Wagner, Brahms).
Die Juden können also mit größtem Gleichmut noch der Geburt
von 90 deutschen Bachs und Schuberts entgegensehen, ehe sie
der rassentheoretischen Behauptung, daß die Juden musikalisch
ungenial seien, auch nur die Möglichkeit eines Rechtes zu-
gestehen. Sie können dieses im Vertrauen auf den Satz: erst
Talente, dann Genies — mit um so größerer Zuversicht, als sie in
diesem ersten Jahrhundert der musikalischen Betätigung eine
weit über die Proportionalzahl hinausgehende Fülle musikali-
scher Talente in die Welt gesendet haben. Man braucht nur
die zwölf Namen Mendelssohn, Meyerbeer, Moscheies,
Offenbach, Goldmark, Brüll, Halevy, Rubinstein,
Joachim, Mahler, Korngold und Bizet (letzter ein Halb-
jude und zwar Abkömmling von spanischen Marannen) zu
nennen, um jeden Versuch, ihrer 1000 im Kreise arischer Kom-
ponisten zu suchen, als aussichtslos zu verwerfen. Auf allen
16 Kahn, Die Juden. -225
übrigen Gebieten der schaffenden Künste das nämliche Bild.
Keine Genies von Gigantenformat, denn dazu fehlen die na-
tionalen Vorbedingungen, aber eine solche Fülle der Talente,
daß den Juden vice versa die glänzendste Zukunft verheißen
scheint^).
Den Dühring'schen Satz : „Ihre ganze lange Geschichte hin-
durch haben die Juden auch nicht in einer Wissenschaft etwas
produziert" und sein Chamberlain'sches Echo von „der absoluten
Ignoranz und kulturellen Roheit eines Volkes, welches auf keinem
einzigen Felde menschlichen Wissens oder Schaffens jemals das
Geringste geleistet hat", bewiesen die Juden in dem ersten
Jahrhundert ihrer Mitarbeit auf wissenschaftlich-technischem
^) Der verhältnismäßig weit über den Prozentsatz hinausgehende An-
teil der Juden an den wissenschaftlichen Leistungen ist allbekannt. In
den bildenden Künsten hingegen war, der ganzen Lebensanschauung der
jüdischen Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts entsprechend, die Betätigung
der Juden auffallend gering. Trotzdem brachte die ältere Generation
Meister von der Bedeutung, Liebermanns und Israels, die junge
in Pechstein, Pissaro, Kandinski u. a. begabte Vertreter
der neueren Richtung hervor. Die Literatur ist bekanntlich mit jüdi-
schen Autoren derart gesättigt, daß man von einem ,, deutsch-jüdischen
Parnaß" gesprochen hat. Hier seien im Vorübereilen als die bekann-
testen — darum durchaus noch nicht die besten! — genannt aus der
Lyrik: Heine, den Bismarck den , .stärksten Lyriker nach Goethe" ge-
nannt hat, Lorm, Salus, Hofmannsthal, Mombert, Walter
Cal6, Werfel, Else Lasker-Schüler, diese unter den dichtenden
Frauen Deutschland» wohl, trotz allem, die lyrisch begabteste; aus der
Dramatik : Schnitzler, Fulda, Heyermanns, Beer-Hofmann;
aus der Belletristik: Berthold Auerbach, Kompert, Franzos,
Rodenberg, Nordau, Peter Alte nberg, Georg Hirschfeld,
Georg Hermann, Holländer, Zweig, Brod, Wassermann
usw.; eine Stellung für sich nimmt Fritz Mauthner ein. In der
Literaturgeschichte hat allein das eine Problem Goethe in den letzten Jahr-
zehnten nicht weniger als sechs jüdische Bearbeiter von Weltruf gefunden :
aus der älteren mehr deskriptiven Schule Ludwig Geiger, den lang-
jährigen Herausgeber des Goethejahrbuches, R. M. Meyer, den Ver-
fasser der ersten deutschen (preisgekrönten) Biographie; Bielschowski,
den Goethebiographen (28. Aufl. !) ; aus der neueren mehr kritischen Schule
Simmel und Gundolf, deren Bücher anerkanntermaßen zu den besten
Analysen des Goetheproblems gehören, und neuerdings Georg Brandes.
Hierzu kommt noch Emil Ludwig mit seiner 3 bändigen biographi-
schen Analyse. Als ein Kuriosum, das aber charakteristisch ist, möge
hier erwähnt sein, daß die einzigen drei populär gewordenen Kriegs-
gedichte: der ,, Haßgesang" von Lissauer (leider! Dafür wurde er aber
auch mit dem Adlerorden IV. bestraft!), das Soldatenlied „Annemarie"
von Freund und das Volkshed „Drüben am Wiesenrand" von Zncker-
mann, das einzige Kriegsgedicht, das berufen erscheint, in den deut-
schen Liederschatz einzugehen — von drei Juden verfaßt worden sindl
226
Gebiet durch die Erfindung des Mikrophons (Berliner), des
Benzin- Automobils (Marcus), des Elektromobils (David-
sohn), des Gyroskops (Popper-Lynkeus), des starren
Luftschiffs (Schwarz)^), der Galvanoplastik (Jacoby), der
Aus Mischehen mit Juden (Eitern oder Großeltern) sind hervorgegangen
(nach Otto Hauser): Hans von Maries, Ph. Spitta, Paul Heyse, Georg
Ebers, Friedr. Spielhagen, Wildenbruch, Rud. v. Gottschall, AI. Dumas
d. J.,Pontoppidan, Peter Nansen usw.. Juden waren Saint-Saens (Samson
u. Dalila) und CatuUe Mend^s, der Heine Frankreichs. Der tschechische
Nationaldichter Vrchlichky (eig. Name Emil Frida) entstammt einer
jüdischen Rabbinerfamilie. Schließlich sei noch erwähnt, daß es selbst
schon einen jüdischen Minnesänger gegeben hat, Süskind v. Trimberg
(um 1200), der sein typisch jüdisches Schicksal besingt in dem Gedicht:
„Ich Tor wollt durch die Lande ziehn,
Zu zeigen meine Kunst,
Will von der Herren Hof nun fliehn,
Da fehlt mir ihre Gunst.
Will wachsen lassen mir den Bart,
Die grauen Haare mein.
Und will nach alter Juden Art,
Nur leben mir allein.
Mein Mantel soll mir wallen lang
Tief unter meinem Hute,
Demütiglich sei jetzt mein Gang,
Und nicht mehr sing ich höfischen Gesang,
Seit mich die Herren trieben fort von ihrem Gute."
*) Bekanntlich — oder vielmehr nicht bekanntlich — hat Zeppelin
die Patente und Baupläne, die die Prinzipien des starren Luftschiffs be-
treffen, von der Witwe des im Erfinderelend gestorbenen jüdischen Kon-
strukteurs des ersten starren Luftschiffs erworben. David Schwarz
legte 1890 seine Pläne zum Bau eines starren Luftschiffes aus Aluminium
der österreichischen Regierung vor, die mangels der nötigen Geldmittel
von der Ausführung Abstand nahm. 1892 wurde das starre Aluminium-
luftschiff in Petersburg gebaut, konnte aber nicht aufsteigen, da das ge-
lieferte Material zu schlecht war. 1894 (?) erlaubte ihm endlich die deutsche
Mihtärbehörde, auf dem Tempelhofer Feld das 80 m lange und 12 m
breite Luftschiff aufsteigen zu lassen. Das diesbezügliche Telegramm
wurde Schwarz auf der Straße zugestellt. Die Freude über die Erreichung
seines langjährigen Zieles war so übermächtig, daß er vom Herzschlag
getroffen tot umsank. Ein Jahr später stieg das Luftschiff in Gegenwart
von Graf ZeppeUn auf und flog, wurde aber bei der Landung infolge der
Ungeschicklichkeit des Führers zerstört. Nun kauften Kommerzienrat
Berg und Graf Zeppelin die Patente von der Witwe des Erfinders laut
Vertrag vom 19. Februar 1898 und schritten, indem sie Material und Pro-;
peller aus der gleichen Fabrik wie vordem Schwarz bezogen, zum Bau
des ersten „Zeppeüns".
18« 227
Quecksilberlampe und des Farbenweisers (Arons)^), des Elek-
trizitätsmessers (Aron), des künstlichen Indigos (Baeyer)^),
des künstlichen Alizarins (Liebermann), des Salvarsans
(Ehrlich), der Syphilisreaktion (Wassermann), durch die
Begründung der Luftstickstoffgewinnung (Haber), der Phy-
siko-Biologie (Loeb), der Kaliindustrie (Frank), der Petro-
leumindustrie (Schreiner), der Elektroindustrie (Rathenau),
der Bernsteinindustrie (Becker), durch den Ausbau der deut-
schen Handelsflotte (Ballin) und zahllose andere technische
und industrielle Leistungen^).
Ein Physiker von weitestem Ausmaß und seltener philo-
sophischer Tiefe war Heinrich Hertz, der entgegen ander-
weitigen Ausstreuungen einer noch heute mehrfach vertretenen
ehemals rein jüdischen Familie aus Hamburg mit dem frühe-
ren Namen Hersch, Hirsch entstammt. Ein Verwandter von.
Heinrich Hertz ist der mehrfach zitierte Verfasser des vorzüg-
lichen Buches ,, Moderne Rassetheorien" Friedrich Hertz (in
zweiter Auflage jetzt „Rasse und Kultur"), in dem der wissen-
schaftliche Antisemitismus eine gründliche Kritik erfährt. Am
bekanntesten ist Hertz als Entdecker der elektro-magnetischen
Hertz'schen Wellen, die die Erfindung der drahtlosen Tele-
graphie eingeleitet haben, und neben dem Engländer Maxwell
als Entdecker der Übereinstimmung von Licht und Elektrizität,
weniger bekannt, aber um so bedeutender als Verfasser der
„Prinzipien der Mechanik", die für die moderne theoretische
Physik grundlegend geworden sind. Wie bedeutend Hertz sein
muß, erhellt aus der Tatsache, daß Chamberlain ihn, trotzdem
er Jude ist, in den „Grundlagen" neben Agassi z, Faraday und
Robert Mayer als Mann von unvergänglicher Bedeutung feiert
und in seinem unvergleichlich besseren Werk über Kant nicht
1) Mehr als durch seine Erfindungen und bedeutenden mathematischen
Leistungen ist der kürzlich verstorbene Physiker und verdienstvolle Be-
rechner der „Elektrizitätskonstante des Wassers" durch den „Fall Arons"
bekannt geworden. Arons, Schwiegersohn von Bleichröder, wurde vom
preußischen Kultusministerium seiner Dozentur enthoben, weil er sich
aktiv an den Bestrebungen der sozialdemokratischen Partei beteiligte.
Auf dem Schuldkonto dieses Mannes, dem auch seine Gegner absolute
Lauterkeit der Gesinnung und rein ethische Motive nachsagen mußten,
standen als einzige Verbrechen: die Gründung der ,, Berliner Arbeiter-
Bildungsschule", des Gewerkschaftshauses, die erste Ausstellung zur Be-
kämpfung der Schundliteratur, die Einrichtung von Weihnachtsfeiern für
Handwerksburschen und ähnliche soziale Betätigungen, für die er sein
bedeutendes Vermögen auswarf.
2) Halbjude aus Mischehe.
228
weniger als achtzehnmal als Gewährsmann anführt und ihn hier
den „großen, so früh der Welt entrissenen Hertz", „den genialsten
Physiker", und sein Buch „das genialste physikalische Fach-
buch neuerer Zeit" nennt^).
Jüdischen Köpfen ist eine Reihe der interessantesten und
geistvollsten Gedankenschöpfungen der letzten zwei Jahrzehnte
entsprungen: die Seitenkettentheorie Ehrlichs, die Psycho-
analyse von Freud, die Periodizitätslehre von Fließ, die
Lehre Semons von der Mneme, die M -f- W-Theorie Wei-
ningers, das Esperanto Zamenhofs und die Relativitäts-
lehre von Einstein, die von der internationalen Fachwissen-
schaft als eine der bedeutendsten geistigen Errungenschaften
unseres Zeitalters, als eine kopernikanische Erweiterung unseres
^) Die Inkonsequenz der meisten Antisemiten, daß sie die ihnen in
Wahrheit weder als Zeitgenossen noch als historische Erscheinung be-
kannten Juden in Bausch und Bogen ablehnen, dagegen mit den ihnen
persönlich zufällig bekannten Juden freundlichst lächelnd verkehren und,
wenn man sie auf diesen Zwiespalt hinweist, stereotyp erwidern: „Ja Sie,
Verehrtester, sind eine rühmliche Ausnahme, wenn alle Juden so wären
wie Sie!" — diese Inkonsequenz erreicht bei Chamberlain geradezu einen
unübersteiglichen Gipfel. Seine ,, Grundlagen des 19. Jahrhunderts", das
Paradewerk des wissenschaftlichen Antisemitismus, widmet er „in Dank-
barkeit und Verehrung" einem Juden, dem Wiener Universitätsrektor
und Botaniker Wiesner! Seit wann ist es Mode, daß man in einen Blumen-
strauß, den man „in Dankbarkeit und Verehrung" überreicht, eine Kreuz-
otter hineinsteckt? Sein Schwiegervater Richard Wagner nannte zwar
das Judentum den „triumphierenden Dämon des Verfalls", nahm aber
keinen Anstoß daran, jüdisches Geld für seine Bayreuther Gründung an-
zunehmen und Juden in den Kreis seiner Freunde und Interpreten zu
ziehen. Die erste Parsifalaufführung dirigierte der Jude Hermann Levi,
neben Hans von Bülow der genialste und unermüdHchste Wagnerdirigent.
Der Jude Neumann reiste als Wagnermissionar mit Sängern und Kulissen
in der halben Welt herum und baute so das Fundament zu jenem Wohl-
stand, auf dem Haus Wahnfried errichtet wurde — die Heimat Chamber-
lainsl — Den Dühring'schen Satz von der „Unfähigkeit der Juden sogar
zur Musik und bloße Reklamefähigkeit für das Unbedeutende . . . Wo
sie sich mit den Wissenschaften abgegeben, hat das stets nur einen ge-
schäftUchen Zweck gehabt", beleuchtet aus Wagners Kreis die folgende
Begebenheit. Als Liszt eines Tages Hermann Levi mit seinem Stammes-
genossen Heinrich Borges bekannt machte, sagte er: „Sehen Sie, Herr
Levi, dieser Herr Borges war Wagnerianer zu einer Zeit, wo noch keine
Geschäfte damit zu machen waren." „Das gleiche", fährt Siegfried Wag-
ner, der diese Szene referiert, fort, „könnte auch über George Davidsohn
gesagt werden. Er und Dohm waren fast die einzigen Männer, die damals
in den Berliner Zeitungen für die Kunst meines Vaters eintraten — mit
Enthusiasmus und nie wankender Treue." — Jüdische Schrittmacher vor
deutschen Weltmeistern sind auf der Rennbahn der neueren Geschichte
229
zeitlichen Weltbildes aufgefaßt wird. Nur die deutsch-völkisch
orientierten Kreise sind seit Einsteins Bekenntnis zum Juden-
tum anderer Meinung, und es ist lustig zu lesen, wie sie in ihren
Publikationen die Relativitätstheorie bald für ein jüdisches Re-
klameprodukt, bald für eine bedeutende Theorie aber deutschen
Ursprungs, bald als überhaupt unbewiesen und falsch hinstellen.
„Die lieben Deutschen kenn' ich schon"; hat Goethe vor hundert
Jahren hart, aber für diese Kreise passend zu Riemer in
eben diesem Zusammenhang gesagt, „erst schweigen sie,
dann mäkeln sie, dann beseitigen sie, dann bestehlen und
verschweigen sie."
Für den Dühring'schen Satz: ,,Wo die Juden sich mit der
Wissenschaft abgegeben, hat dies stets nur einen geschäftlichen
Zweck gehabt", der in fast allen antisemitischen Werken
stereotyp wiederkehrt, bietet der jüdische Esperantoerfinder
Zamenhof eine glänzende Illustration. Zamenhof opferte
Glück und Leben der Erfindung einer Weltsprache, die er nicht
aus wissenschaftlichem oder überhaupt praktischem Interesse,
sondern einzig wegen ihrer „interna ideo" zu verbreiten suchte,
um, wie es in der Esperantohymne heißt, die Jahrtausende alten
Schranken zwischen den Völkern zu fällen und den Friedens-
traum der Menschheit zu erfüllen — eine spezifisch jüdische
Idee, ein Lösungsversuch des uralt jüdischen Propheten- und
häufige Erscheinungen, zuweilen durch die Kraßheit des Kontrastes
geradezu komisch wirkend, so wenn beispielsweise der Jude Moses Men-
delssohn, der selber erst heimUch in seinem altjüdischen Elternhaus
deutsch erlernen mußte, Friedrich d. Gr. öffentlich den Gebrauch des
Französischen vorhält und zu deutschem Sprachgebrauch auffordert, oder
wenn sich 100 Jahre später der deutsche Heros Bismarck des jüdischen
Publizisten Harden als literarischen Rolands bedient und nach seinem
Tode in dem Juden Emil Ludwig (Gohn) einen seiner hebevollsten Bio-
graphen findet. Die erste in deutscher Sprache populär gewordene Goethe-
biographie war die des englischen Juden L e w e s , die zweite die von Richard
Moses Meyer. Kants bedeutendster Propagandist und Erneuerer war
Hermann Cohen, Schopenhauers einziger Schüler und Herold der Jude
Frauenstädt. In Berlin waren es die — nach damaliger ,, Weltbürger-
mode" sämtlich getauften — Jüdinnen Rahel Varnhagen, Henriette Herz,
Dorothea Schlegel (Enkelin von Moses Mendelssohn) Frau von Grotthus,
Frau von Eybenberg und die Schwestern Meyer, die in der damaligen
allgemeinen Ignorierung Weimars für Goethe eintraten. Börne war der
erste, der sich für Kleist einsetzte usw. Als Fontane seinen 70. Geburts-
tag feierte, erschien statt des erwarteten preußischen Ade!s, dessen Land
und Stand er verherrlicht hatte, nur der bibhsche, was er der Welt
in einem sarkastischen Gedicht mitteilt, das mit dem Passus schließt:
„Kommen Sie, Cohnl"
230
Messiasproblems der Weltbeglückung mit dem modernen Mittel
der Völkerverständigung. Der glücklich-unglückliche Erfinder,
,,ein Mensch von lauterem Charakter, edelster Gesinnung und
wärmster Menschenliebe, der sein ganzes Leben selbstlos nur
dem Wohle der Menschheit widmete" und für seine Absichten
zuerst für geisteskrank erklärt wurde und später gegen eine
Welt des Spottes um sein tägliches Brot zu ringen hatte,
veröffentlichte sein Werk mit der Erklärung: ,,r)ie inter-
nationale Sprache ist, wie jede nationale, allgemeines Eigen-
tum; der Autor entsagt für immer allen persönlichen Rech-
ten an ihr."
Im Hinblick auf den immer wiederkehrenden Vorwurf, daß
es den Juden, wenn auch nicht an Talent, so doch an wissen-
schaftlichem Idealismus und persönlichem Opfermut mangele,
sei hier auf die auffallend große Zahl von jüdischen Entdeckungs-
reisenden alter und neuer Zeit hingewiesen. Daß Kolumbus
mütterhcherseits fast sicher, väterlicherseits wahrscheinlich von
spanischen Juden stammt, hat neuerdings ein spanischer Ge-
lehrter nachzuweisen gesucht, soll hier jedoch nur als Kuriosum
erwähnt sein, da uns nichts ferner liegt, als nach germanen-
theoretischem Rezept in aller Welt und allen Zeiten nach
jüdischen Genies zu fischen. Tatsache ist, daß die Expedition
des Kolumbus mit jüdischem Geld finanziert wurde und daß
der erste Europäer, der den amerikanischen Festlandsboden
betrat, der Jude Luis de Torres war. Unter den jüdischen
Entdeckungsfahrern in neuester Zeit sind bekannt gewor-
den Hermann Burchardt, der unter tausend Gefahren
Yemen durchforschte und auf der dritten Reise erschossen
wurde und dessen Tod Schweinfurth als „einen unend-
Hchen Verlust für die Länder- und Völkerkunde" beklagte.
Sodann der weltberühmte Emin Pascha (Eduard Schnitzer
aus Oppeln), der es bis zum Generalgouverneur des Sudan
brachte, wonach er dieses Gebiet der Kultur erschloß und
besonders den durch Sklavenhandel unterdrückten Einge-
borenen seine Fürsorge zuwandte. Neben seiner weitgehenden
politischen Tätigkeit widmete er sich vielseitigen wissenschaft-
lichen Untersuchungen und Sammlungen, trat später während
des Mahdi-Aufstandes durch seinen persönlichen Mut hervor,
ertrug unendliche Leiden, ohne in seiner Entdeckertätigkeit zu
erlahmen, trat dann in deutsche Dienste, hißte als erster die
deutsche Flagge in Tabora, erforschte den Albert- Njansa und
wurde schließlich, halbblind und todesmatt, von Eingeborenen
231
w-
getötet. In einer reichen Literatur, aus der Stanleys „Im<
dunkelsten Afrika" am bekanntesten geworden ist, sind die
Verdienste Emin Paschas verewigt worden.
Nicht weniger gefahrvolle Entdeckungsreisen machten die-
Juden Vambery und Glaser. Vamb6ry reiste, um den Ur-
sprung der ungarischen Sprache aufzudecken, als Derwisch
verkleidet, ähnlich wie später Sven Hedin, in noch von Euro-
päern unbetretene Gebiete Zentralasiens und war nach seiner
Rückkehr Gegenstand allgemeiner Bewunderung in der euro-
päischen Welt. Eduard Glaser bereiste in entsprechender
Verkleidung das unbetretene Arabien und brachte ein großes
Material altarabischer Inschriften nach Deutschland, wo es
noch heute, in Kisten verpackt, der Bearbeitung harrt. „Nie-
mals wohl hat ein Forscher der Wissenschaft ein reicheres
Erbe hinterlassen als Eduard Glaser. Es leuchtet ein, daß
die Erschließung dieses gewaltigen Materials das ganze Stu-
dium des alten Arabiens auf völlig neue Grundlagen stellen muß."
Den von Renan hervorgehobenen Mangel bürgerlichen Sinnes
bekundeten die Juden in dem ersten Jahrhundert ihres Anteils
an der europäischen Politik damit, daß in England der Jude
D Israeli die Weltmachtstellung Großbritanniens begründete
(Suezkanal, Indien, Afrikakolonien, Afghanistan, Berliner Kon-
greß), in Frankreich der Jude Gambetta, ,,in einer Person
ein umsichtiger Staatsmann, ein Verwaltungsgenie ersten Ranges
und ein glühender Patriot", mit dem Juden Cremieux als
Finanzminister aus dem zusammengebrochenen Kaiserreich das
moderne Frankreich schuf, und daß in Italien der Jude Otto-
lenghi als Kriegsminister die itahenische Armee reorganisierte
und der Jude Luzzatti durch seine weitreichenden Wirtschafts-
reformen den Wohlstand des geeinigten Königreiches herbei-
führte. Deutschland versagte sich durch den Ausschluß der Juden
ihren tätigen Anteil an der Regierung, konnte aber nicht ver-
hindern, daß sämtliche Parteien der deutschen Volksvertretung
mit Ausnahme des konfessionellen Zentrums unter der Führung
von Juden begründet wurden (Konservative Partei Stahl*),
^) In der „Konservativen Monatsschrift" 1912 wird über den Juden
Stahl, der vor seiner Taufe Schlesinger hieß, geschrieben: „Ohne Vergleich
in der Geschichte der deutschen Parteien — auch die Bedeutung von
Marx für die Sozialdemokratie nicht ausgenommen — sind die Verdienste,
die sich Julius Stahl als einzelner um die wissenschaftiiche Begründung
der konservativen Staats- und Rechtsanschauung erworben hat; und
daß es ihm beschieden war, diese theoretisch gewonnene Anschauung:
232
Nationalliberale Las k er, Freisinn Bamberger, SoziaMemo-
kratie LassalJe^), daß der Vizepräsident der Nationalversamm-
lung 1848 der Jude Gabriel Riesser, der Präsident der Frank-
furter Nationalversammlung, erster Reichstagspräsident und erster
Reichsgerichtspräsident, der Mann, der „zweimal die deutsche
Kaiserkrone in seinem Koffer trug", der Jude Simson war,
und daß die neue deutsche Reichsverfassung — angeblich ein
Meisterstück — unter Mithilfe zweier Juden von dem Juden
Preuß geschaffen wurde.
Genug der Namen! Positiv zwar ein Beweismaterial von
imponierendem Eindruck, würde ja ihr Fehlen aus den drei an-
geführten Gründen der numerischen Unterlegenheit, der Ungunst
der Bedingungen und der Spezifizität der Rassenbegabung nicht
den geringsten Schluß auf eine Minderwertigkeit der Juden zu-
lassen. Die Juden, die ihre Genien des Herzens, ihre Patriarchen
und Psalmisten, Propheten, Erlöser und Apostel haben, brauchten
gar keine überragenden Dichter, Philosophen, Erfinder und
Staatsmänner hervorzubringen, so wenig die Römer Künstler,
die Engländer Musiker, die Niederländer Dramatiker aufzuweisen
nötig haben, so wenig Kant poetisch, Goethe musikahsch,
Nietzsche mathematisch begabt sein mußten, um als vollwertig
zu gelten. Alle diese Namen beweisen nur, daß das jüdische
Volk trotz seiner spezifischen Begabung und trotz der un-
günstigsten Schaffensbedingungen sich auch auf den Gebieten
der praktischen Kultur den höchstbegabten Nationen der Gegen-
wart ebenbürtig zur Seite stellen kann.
in bedeutsamer parlamentarischer Führerstellung auch zu betätigen»
mußte seinen Einfluß und sein Ansehen begreiflicherweise nur noch ver-
stärken." Sehr originell macht sich Brunner über den Antisemitismus
der heutigen Konservativen lustig, die sich als die Jünger des Herrn
Joelsohn-Stahl und Jesu Christi, des Sohnes Josephs, so grimmig gegen
die „minderwertigen" Juden wenden: „Die Judenverachtung der frommen
Konservativen und ihr Feuereifer und Heldentum des Entjudens klingt
unmusikalisch zu ihrer Frömmigkeit und ihrem Konservatismus, welche
beide sich einigermaßen prächtig aufeinander reimen; denn der Kon-
servatismus ist der Jude Joelsohn und ihre Frömmigkeit ist der Jude
Josephsohn." (Brunner irrt: Stahl hieß vor seiner Taufe nicht Joelsohn
sondern Schlesinger.)
1) Lassalle war sozusagen der leibliche Vater der deutschen Sozial-
demokratie. Ihr geistiger Vater war Börne, der als erster in Deutsch-
land gegen die politische Unfreiheit in Wort und Rede auftrat. Von
ihm stammt der Satz: „Ehrfurcht ist die Leibwache der Könige gewesen,
Furcht war es, Gewohnheit ist es, Liebe wird es sein."
233
liftd selbst wenn keine Namen klängen und keine Taten
sprächen — gibt es nicht ein Größeres als große Taten?
Größer als Großes tun ist groß zu sein. „Besser ein
Langmütiger", heißt es in den Sprüchen Salomonis, „als
ein Held, und wer sein Gemüt bezwingt, ist stärker als ein
Städtebezwinger." Ist Moses am Sinai nicht größer als Achill
am skäischen Tor? Christus in der Passion nicht größer als
Caesar im Triumphzug? Kultur erweist sich nicht
durch Taten, die sie vollbringt, sondern durch den
Geist, den sie gebiert — durch ihr Ethos. Die Sta-
tuen des Phidias, die Dialoge des Sokrates, die Dramen Äschylos',
die Heldentaten des Miltiades sind ewig verehrungswürdig.
Jedoch sie lassen uns nicht vergessen, daß der Bildner der
Athene von seinen neidischen Zunftgenossen verleumdet und
vom feilen Volk gerichtet, daß Sokrates, der einzige Ethiker
seiner Nation, durch den Schierlingsbecher umgebracht und daß
Äschylos, der Schöpfer der Tragödie, zum Tode durch Steinigen
verurteilt wurde, während Marathons Sieger an seinen Wunden
nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Schuldgefängnis starb —
so arm war diese Zeit an Ethos.
Die Geschichte Roms ist die Geschichte der Zivilisierung Euro-
pas. Aber sie ist zugleich die Geschichte des größtorganisierten
und längstandauernden Verbrechens, das jemals an der Mensch-
heit begangen wurde : der systematischen Knechtung aller freien
Völker, um sie in der schäm- und schonungslosesten Weise aus-
zubeuten für Rom, dieses „Tier mit eisernen Zähnen, ehernen
Klauen und steinernem Herzen, das vieles verzehrte und den
Rest mit Füßen trat". Caesar, der nach den Angaben des Plu-
tarch in Gallien im Laufe seines siebenjährigen Feldzuges
„800 Städte einnahm, 300 Völker unterjochte, 3 Millionen
Krieger besiegte, von denen eine Million auf den Schlachtfeldern
umkam, und eine Million als Sklaven nach Itahen geschleppt
wurden", Cäsar hat seine Römerstraßen wahrlich nicht gebaut,
um der Kultur zu dienen, damit die Töchter des Vercingetorix spa-
zieren gehen oder 1000 Jahre später die Kreuzfahrer auf ihnen
ins Gelobte Land hinabziehen könnten, sondern um seine orga-
nisierten Mörderscharen mit Waffen und Proviant zu weiteren
Plünderungszügen zu versorgen gegen freie, glückliche, noch
nicht vom Fluche römischer Kultur berührte Völker. Er för-
derte die Menschheit, nicht weil, sondern trotzdem er ein Römer
war! Bewundernd steht man vor dem majestätischen Rondell
des Colosseums, aber die Gigantik des Amphitheaters vermag
234
nicht die Erinnerung von der Stirn zu scheuchen, daß nicht freie
Hände es als Werk der Freude schufen, sondern daß es als ein
Seufzerbau errichtet wurde, errichtet werden mußte von
Sklaven, die kein anderes Verbrechen begangen hatten, als
daß sie frei und nicht die Knechte Roms gewesen. Auf
<lieson Blöcken, halb gemauert, saßen Kinder, die im Weinen
ihrer Mütter dachten, denen Roms Begierde sie geraubt;
über den Fliesen dieser Arena loderten in Pech und Bast
gebunden die Apostel der Liebe als lebende Fackeln zur
Sonntagnachmittagsbelustigung des Pöbels der Cäsarenstadt
— Roms Fanale!
Nur das Motiv adelt die Tat. Kolumbus ist nicht groß;
denn er zog nicht aus ein Neuland zu entdecken, sondern für
das unersättliche Spanien einen billigen Schiffahrtsweg zur
.Vusbeutung Indiens aufzufinden. Kann er dafür, daß er auf
den Bahamas landete? Ein Semmelweiß, den das Mitleid mit
den sterbenden Müttern und Kindern Wiens dazu trieb, das
Wochenfieber zu ergründen, und der dann Stellung und Ge-
sundheit opferte, um seine philanthropischen Reformen gegen
eine Fachwelt durchzusetzen, von der man nicht entscheiden
kann, ob sie dümmer als schlecht oder schlechter als dumm war —
er gilt mehr. Goethes Schöpfungen sind durch Schönheit, Weis-
heit und Weite der Formen und Gedanken ohnegleichen, aber
die Hochgebirgswelt des Olympiers ist nur selten von der Sonne
warmer Menschlichkeit durchstrahlt. Was Schiller so unver-
gleichlich über den größeren Dioskuren hebt, war, wie Goethe
selbst empfunden —
„Und hinter ihm in wesenlosem Scheine
Lag, was uns alle bindet, das Gemeine"
— das war das Ethos, das diese Feuerseele vom ersten bis
zum letzten Atemzug durchglühte und ihn durch das „Lied an
die Freude", durch einen Marquis Posa zum Bannerträger der
ewigen Menschheitsideale werden Heß. In echt jüdischer Welt-
auffassung hat auch Heine sein ethisches Streben höher gestellt
als seine dichterischen Leistungen. „Ich habe nie großen Wert
gelegt auf Dichterruhm, ob man meine Lieder preist oder tadelt,
das kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt ihr mir auf
den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungs-
kriog der Menschheit."
Der Intellekt hat in den wissenschaftlichen und technischen
Errungenschaften des 19. Jahrhunderts seine Triumphe gefeiert;
235
aber die Moral liegt von den Rädern der Maschinen zerstampft
am Boden. Hinter den glanzvollen Bildern im Buche der Technik
grinsen uns die hohlen Mienen der hungernden Weber und die
hektischen Wangen der sterbenden Mimis entgegen. Dem Guten
und dem Genius ist keine Stätte zwischen den sausenden
Riemen bereitet. Die Schönheit geht als Bettelmädchen durch
die Gassen, die Muse friert in kalter Dachmansarde und das
Große —
„Niemand sieht es,
Niemand hört es im Geschrei,
Mit bescheidner Trauer zieht es
Still vorbei."
„Es ist herzzerreißend", sagt Hölderlin-Hyperion, dieser
,, Bürger in den Regionen der Gerechtigkeit und Schönheit", zu
den Deutschen, „wenn man eure Dichter sieht! Voll Hoffnung
wachsen die Musen Jünglinge heran! Du siehst sie sieben Jahre
später, und sie wandeln wie Schatten still und kalt; es ist ein
Verzweiflungskampf, den ihr gestörter schöner Geist mit den
Barbaren kämpft." Fast alle, die das Unglück hatten, groß
zu sein in einer Welt, in der groß sein Großes leiden heißt,
kämpften diesen „Verzweiflungskampf des schönen Geistes mit
den Barbaren". Deutsche Dichter sind fast alle deutsche Mär-
tyrer gewesen. Bürger, Schöpfer der schönsten deutschen
Ballade, „hatte nichts zu essen, als was ihm seine Freunde
schickten". Hebbel, Deutschlands tiefster Tragiker, fleht, nach-
dem er bekannt : „Ich habe seit zwei Monaten noch nicht fünfmal
warm zu Mittag gegessen", die Menschheit an — um eine Hose!
Wie ein Verbrecher wird bei Nacht und Nebel Schiller, der den
Proletariertod gestorben, in eine Modergrube gesenkt. Goethe,
dem die Jahrhunderte nichts anhaben werden, muß kapitulieren
vor dem Zeitgeist: er räumt nach 26 jähriger Wirksamkeit als
Intendant die Bühne, von der er Tasso und Iphigenie zum
erstenmal zur Menschheit sprechen ließ, vor einem — dressierten
Pudel. Und 60 Jahre später prägt Nietzsche das bitter-wahre
Wort von ihm: „Goethe ist in der Geschichte der Deutschen
ein Zwischenfall ohne Folgen." Schubert, zu arm, sich ein
Klavier zu mieten, muß seine Bücher verkaufen, um eine Vor-
stellung des „Fidelio" zu besuchen, und Beethoven, der sich
täglich neu „den unglücklichen, unglücklichsten aller Sterblichen"
nennt, erhält für die Missa solemnis, 22 Jahre nach dem Er-
scheinen seiner ersten Symphonie 7 — sage und schreibe sieben
236
Subskribenten. Mozart ist in einem Massengrab verschollen,
weil nicht ein Mensch, auch nicht ein einziger dabei stand,
als der Totengräber die Leiche dritter Klasse in das Sammel-
feld der Namenlosen scharrte — nicht ein Kreuz aus Holz
hatte die Menschheit übrig für diesen strahlendsten Genius des
Jahrhunderts. Aber der modegewaltige Kapellmeister zu Hofe,
Salieri, durfte offen jubilieren: „Es ist ein Genie gestorben,
aber seien wir froh, daß er nicht mehr da ist; man hätte uns
sonst bald für unsere Kompositionen kein Stück Brot mehr ge-
geben!" Und im strengeren Schwesterreich der Forschung ? Robert
Mayer wird ins Irrenhaus gesperrt, weil er den Fachgenossen
zum Trotz als Dilettant ein VVeltgesetz gefunden. Ein Gräfe,
dessen Haus der Montsalvatsch der Blinden war, wird von
seinen eigen- und eifersüchtigen Zunftgenossen bis ans Grab
gehetzt. Über Schopenhauer gibt das Ministerium — ein Jahr-
zehnt nach dem Erscheinen seines „Welt als Wille"! — die
offizielle Auskunft: „Er hat keinen Ruf irgendeiner Art, weder
als Schriftsteller noch als Lehrer", und es hatte recht; dieser
Klassiker des Gedankens und des Stils hatte keinen Ruf
irgendeiner Art; seine Werke wurden eingestampft zu Pack-
papier für Heringe und Kleister, und seine „Parerga", heute
der Labetrunk aller sich Läuternden, fanden noch 32 Jahre
später keinen Verleger; und indes die Säle zu klein waren,
die Hegelschüler zu fassen, fanden vor seinem Pult sich nicht
die Drei, die das Gesetz für ein Kolleg verlangt. Und ist's bis
heute anders worden ? Während die Ebers- und Marlittromane
Deutschland überschwemmen, fragt sich Nietzsche, der wie
Böcklin, Wagner, Feuerbach in freigewählter Verbannung
droben in der Firnenwelt über Tag und Menschheit lebt, ob er
noch in deutscher Sprache schreiben solle, da ihn ja in deut-
scher Sprache niemand lese. 1910 machte der bekannte Päd-
agoge Petzold beim preußischen Kultusministerium eine Ein-
gabe um Streichung einiger Unterrichtsstunden, damit er den
zwölfjährigen Otto Braun unterrichten könne, da die phäno-
menalen Geistesanlagen diesen Knaben so hoch über das all-
gemeine Niveau erhöben, daß kein Schulunterricht diesem
Genie, das er mit Michelangelo und Dante verglich, genügen
könne. Auf sein ausfülirliches Expose, dem er Proben von der
außerordentlichen Leistungsfähigkeit beilegte, erhielt er die Ant-
wort: „Euer Hochwohlgeboren teilen wir hierdurch mit, daß der
Herr Minister uns beauftragt hat, Sie in seinem Namen auf Ihre be-
fremdliche Eingabe vom . . . entschieden ablehnend zu bescheiden."
237
„Entschieden ablehnend" — das ist der typische Besc^\cid,
den das Genie von seiner Zeit erhält. Aber wenn ein Librettist
aus Schubertmelodien ohne Witz und Würde ein „Dreimäderl-
haus" zusammensintert oder der Modekomödiant, nachdem
er Romeo und Hamlet gespielt, für einen Sitten-, i. e. Unsitten-
film einen Reißer grimassiert, überschütten ihn die Göttinnen
des Tages mit dem klingenden Segen der Gunst. Die Kultur
Europas ist keine Kultur, kann es nicht sein, denn ihr fehlt
dazu der Urgrund alles Seins: der Wille. Ihre Räder kreisen
nicht, um das Kulturgut, sondern um das Aktienkapital zu
mehren; sie gräbt nach Kohlen, nicht um Frierende zu wär-
men, sondern um die Kuxe zu verdoppeln; Höhe der Valuta
gilt ihr mehr als Hoheit der Gesinnung. Heere dienen ihr, die
„Interessensphären" auszudehnen, Kolonien, nicht um niedere
Völker zu beglücken, sondern um Bananen und Senegal-
neger zu importieren für den Bruderkampf gegen den Welt-
marktkonkurrenten. Sie hat das heilig-freie Du sollst! der
Sinaiverkündigung zum despotischen Du mußt ! des Militarismus
und Klerikalismus degradiert. Aus dem Evangelium schuf sie
Index und Inquisition, den Sabbat hat sie zum Sonntagsrummel
entweiht, die Kunst zum Galan lerieartikel des Drei-Mark-Bazars
prostituiert. Bethlehem ist zur Steel-Compagny geworden, die
Granaten fabriziert, das Gymnasion zur Berlitz School, der
Musenstreit zum Taylorsystem. Der Segen der Arbeit hat sich
verwandelt in den Fluch des Amerikanismus. Statt nach Ewig-
keitswerten, Menschheitsaufstiee und Weltbeglückung strebt sie
nach den Profanitäten und Profiten des Alltags. Ihre Thora ist
der Kurszettel und ihr Orakel das Renntelegramm — sie ist
keine Kultur!
Prächtig schaut das Haus Europens aus mit seinem gotischen
Schnitzwerk, seinen Bildern, Klassikern und kunstvollen
Mechanismen; aber kalt ist's in ihm, die Seele friert, denn
seine Herde sind leer, ihnen fehlt die wärmende Glut der
Liebe. „Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen
redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich tönend Erz und
klingende Schelle . . . Und wenn ich weissagen könnte und wüßte
alle Geheimnisse und alle Erkenntnisse und hätte den Glauben,
ich könnte Berge versetzen, und hätte der Liebe nicht — so wäre
ich nichts." Liebe! Erst wenn wir mit demselben Eifer, mit
dem wir heute trachten, Kapitalisten guter Aktien zu sein,
danach streben „Kapitalisten guter Instinkte" zu werden,
wenn unsere Tagesdevise nicht mehr lautet, gut zu leben,
23H
sondern gut zu werden, wenn wir nach Heines Kulturideal
„das arme glückenterbte Volk und den verhöhnten Genius und
die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen" und
so in einer harmonischen Vermählung arischer
Schöpferfreude mit semitischem Sittlichkeits-
willen einer Weltanschauung huldigen, die in ebenbürtiger
Pflege Sinne und Sitte kultiviert, und deren hohes Ziel —
gleichviel ob Utopie oder nicht, so doch Ziel — das ,, dritte
Reich" der Geister mit den messianischen Erfüllungen bildet,
dann erst können wir uns rühmen, ein Geschlecht zu sein,
wert des großen Erbes der Vergangenheit, würdig der hehren
Verheißung der Zukunft, die uns die Propheten Judäas, die
Künstler Griechenlands und die Genien des Nordens als das
einzige Ziel wahrer Kultur gewiesen.
2m
i\ A G li W 0 K T
Die erste Auflage des vorliegenden Buches hat mancherlei Lob
und vielerlei Tadel erfahren. Wissenschaftler bemängelten,
•daß es nicht wissenschaftlich genug sei, Laien, daß es zu wissen-
schaftlich wäre, Freigeister haben es verketzert, weil Religion
und Bibel zu hoch geachtet würden, die Gläubigen, weil es zu
sehr den Geist des Freigeists atme, Sozialisten lehnten es ab,
weil es nationalistisch sei, Nationalisten, weil es sozialistisch
wäre. Christen waren empört, weil es das Christentum lästere,
Juden entsetzt, weil es Christus feiert . . . Wer vieles bringt,
wird jedem etwas bringen — um zu tadeln. Ich muß ge-
stehen, daß alle recht haben, aber ich habe weder ein wissen-
schaftliches Werk noch eine Populärschrift, weder ein Ketzer-
buch noch eine Missionarsbroschüre verfassen wollen, mich
weder christologisch noch nationalistisch noch sozialistisch ge-
bärden wollen, ich habe ein Buch schreiben wollen, wie es dieser
Zeit, Juden wie Christen nottut, und habe, ohne mich einer
Partei oder Tendenz zu verschreiben, mit meinem Herzblut ge-
schrieben und hätte als Motto über das Ganze setzen können:
„Ich bin kein ausgeklügelt Buch —
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch."
Nur gegen einen Vorwurf will ich mich wehren: daß ich ein
jüdischer Chauvinist, ein ,, jüdischer Chamberlain" sei. Chau-
vinismus besteht in der Überschätzung des eigenen und Unter-
schätzung des fremden Wesens. Ich mag das jüdische Wesen
überschätzen, dieses Urteil ist subjektiv und auf Erfahrung,
Weltanschauung und Charakteranlage begründet. So wie der
■eine die Musik, der andere die Malerei höher schätzt, so be-
wertet der eine Reflexion und Ethik, der andere Produktion
und Ästhetik höher. Über diese Imponderabilien läßt sich nicht
streiten. Aber man kann mir nicht vorwerfen, daß ich das
Wesen anderer unterschätze. Der Chamberlain'sche Chauvinis-
mus, dessen Bekämpfung ja die Grundidee des Buches ist, liegt
-darin, daß er die Germanen zum Zentralgestirn im System der-
Völker erhebt und alle anderen Rassen und Kulturen zu Pla-
neten und Planetoiden degradiert, die von dieser Germanen-
240
Sonne ihr befruchtendes Licht erhalten. Er baut ein germano-
zentrisches Völkersystem. Ich dagegen vertrete mit einer Deut-
lichkeit und Wiederholung, die doch eigenthch jedes Mißver-
ständnis ausschließen müßte, den Satz von der absoluten Un-
vergleichlichkeit und folglich absoluten Eigenwertigkeit aller
Kulturen und Kulturvölker. Ich baue doch nicht als Spiegel-
bild des Chamberlain'schen germano-zentrischen ein judäo-
zentrisches System, sondern gebrauche das Bild eines Gartens,
in dem wie Bäume und Sträucher die einzelnen Völker und
Kulturen unab wägbar gegeneinander als Individualerscheinun-
gen stehen. „Menschenrasse ist kein Etikett, kein Adels- und
kein Paria-Stempel . . . Rasse heißt: Was haben Schicksal und
Wille aus dir geschaffen?" (S. 17). ,,Sind wir nicht alle Brüder
von Adam her?" (S. 17). Das Kapitel Rasse klingt aus in dem
Gedanken: „Nicht Höherentwicklung ist das Ziel des Welt-
geschehens, sondern Vielgestaltigkeit, nicht Leistungsfähigkeit,
sondern Eigenart ... Zu sein, möglichst viele zu sein und jeder-
mann eigen, das ist der Sinn . . ." (S. 22). Das Kapitel „Der
Semit" schließt nicht mit einem Chamberlain'schen Hymnus
auf die Weltleistungen der Semiten, sondern im Gegenteil mit
einer Satire auf die Selbstberauschungsmethode der Politischen
Anthropologie, um die Sinnlosigkeit jedes Rassendünkels zu
glossieren. Die Spezialuntersuchungen über die Kulturbefähi-
gung der Juden gipfeln in den Sätzen: „Moses, Christus, Marx
sind drei Repräsentanten einer spezifischen Rasse, der durch
die Einzigartigkeit ihrer Begabung wie jedem anderen
Kulturvolk eine bestimmte Mission im Dienst der Mensch-
heit zufällt" (S. 203). „Die hellenische Kunst, die italienische
Malerei, die deutsche Musik, der jüdische Prophetismus — ein-
malig und einzigartig sind sie" (S. 209). „Die Worte Hellas
und Rom, Babel und Judäa, Granada und Florenz, Paris,
Nürnberg und Weimar erwecken in uns spezifische Empfin-
dungen, sie sind unverrückbar, unersetzlich" (S. 210). ,,Der
Arier wird zum Künstler, Forscher und Eroberer, der Jude zum
Heiligen und Propheten" (S. 210). „Wie die Juden Herz und
Seele, haben die Griechen Verstand und Sinne aus dem Larven-
schlaf des Babylonismus zu beflügeltem Dasein erweckt" (S. 215).
„Genesis und Psalmen, Hiob und Hohes Lied, Bergpredigt und
Apokalypse sind einzigartig; die Ilias und die Antigone nicht
bedingt und unwiderruflich; dieGioconda und der CoUeoni durch
keine Logik zu konstruieren. Die Missa solemnis und der Par-
sifal, Tasso und Zarathustra sind ohne Vorbild und ohne Wieder-
16 Kahn, Die Judos 241
kehr" (S. 220). Und des Ganzen Schlußgedanke lautet: „Har-
monische Vermählung arischer Schöpferfreude mit semitischem
Sitthchkeitswillen", „Hinstreben zu jenen Verheißungen der
Zukunft, die uns die Propheten Judäas, die Künstler Griechen-
lands und die Genien des Nordens als das einzige Ziel wahrer
Kultur gewiesen" ist das Chauvinismus? Sätze wie Welt-
manns: „Von den Mongolen haben nur einige die untere Stufe
der Kultur erreicht" oder Chamberlains „die wahre Geschichte
beginnt in dem Augenblick, wo der Germane das Erbe des
Altertums ergreift. China, Indien, Babylon, Judäa, Persien»
Griechenland und Rom sind für uns Prolegomena" —
solche Grundgedanken des Chauvinismus würden in meine Aus-
führungen hineinpassen wie Maschinengewehre auf die Redner-
pulte eines Friedenskongresses. Gerechtigkeit will ich, Gleich-
berechtigung! Ich will das jüdische Aschenbrödel, dieses Kind,
das so gut aus adligem Geblüt ist wie die anderen Kulturnationen
der Antike und Moderne, aus seiner Küchenverbannung hinauf-
führen in den Festsaal der Prinzen und Prinzeßchen, wo es die
Krone der Religion so stolz und strahlend auf seiner Stirne
tragen darf wie die anderen ihre Diademe der Kunst und der
Musik, der Technik und der Wissenschaft. Ich kämpfe gegen
eine Welt böswilliger Verleumder und irregeführter Massen für
eine wissenschaftliche Rehabilitation, so wie (si licet parva
maioribus comparare) Zola seinerzeit für die Rehabilitation des
ungerecht vom Antisemitismus auf die Teufelsinsel verbannten
Dreyfuß — ein Symbol! — gekämpft hat und keine Ruhe ließ,
bis dieses Justizverbrechen gesühnt war. Und wenn ich in
diesem Kampf vielleicht hie und da allzu emphatisch für den
Angeklagten eintrete, so halte man dies der Leidenschaftlich-
keit zugute, mit der man für eine gerechte Sache kämpfen muß,
um sie zum Siege zu führen.
Wenn ich bisweilen, wie mir mehrfach vorgeworfen wurde,
mit einer gewissen ironischen Überlegenheit über deutsche
Kulturerscheinungen rede, so geschieht es in einem Abwehr-
reflex zu der maßlosen Selbstüberhebung der Germanentheore-
tiker und in Kritik der platt-alltäglichen Überschätzung des
Zivilisatorischen gegenüber dem Kulturellen, des Handgreiflichen
gegenüber dem unvergleichlich wichtigeren Immanenten. Mit
keiner Silbe aber werden die wahren Kulturleistungen des Arier-
tums, wird die Majestät der arischen Geister von Welt- und
Ewigkeitsrang angetastet. Sie sind mir, eben weil sie unersetz-
lich und inkommensurabel sind, gleichwert jedem antiken und
242
jedem orientalischen Genie. Wenn ich heute mit einem Buch
auf eine Insel verbannt würde, wüßte ich nicht, ob ich die Bibel
oder Shakespeares Dramen, Goethe oder Schopenhauer wählen
sollte. Verachtet wird von mir nur der heute so populäre
Dünkel der Völker, die sich für groß halten, weil sie große
Geister besessen und daraus das Recht herleiten klein zu sein,
statt die Pflicht zu empfinden, ihnen nachzueifern.
Man hat mir unter dem Stichwort Chauvinismus ferner ent-
gegengehalten, daß ich ,,den Juden" idealisiere, und auf „die
Juden" hingewiesen. Aber es lag ja nicht in meinem Plan,
ein Charakterbild des Juden, sondern des „ewigen Juden",
dessen, was ewig am Juden ist, zu entwerfen, so wie ich ja auch
ausdrücklich (S. 182/183) nicht von den Athenern, sondern von
Athen, nicht von Ostelbien, sondern von Nürnberg und Weimar,
nicht von den Deutschen, sondern von den unsterblichen
Deutschen rede. „Wie an Rom und Hellas, wie an Leonardo
und Goethe, so richten wir an Israel die vor dem Forum der
Geschichte einzig berechtigte Frage: Was war der Sinn deines
Daseins? Was von deinem Wesen lebt im Geist der Mensch-
heit wirkend weiter? In welchen Männern, welchen Taten hat
sich das Ewige in dir manifestiert ?" Der Historiker, der künftig
die Geschichte des letzten Krieges schreibt, wird von Hinden-
burg, von den Helden der ,, Emden", den Fliegern und den
U-Boot-Männern sprechen. Er wird nichts von den aktiven
Stabsärzten in den Etappenbüros, den Proviantmeistern mit
den Eisernen Kreuzen, den bayrischen Malzschiebern und den
allerhöchst fürstlichen Kapitalsverschleppern berichten. Die
Zeitgenossen sind allezeit und überall dieselben, sie sind nicht
typisch für ein Volk, sie sind bei Juden wie bei Germanen, in
der Antike wie in der Moderne einander, wenn auch nicht
gleich, so doch brüderlich verwandt im Sinne des Heine'schen
Verses:
„Niemals habt ihr mich verstanden.
Niemals auch verstand ich euch.
Nur wenn wir im Kot uns fanden,
Da verstanden wir uns gleich."
Wie galten ehedem im alten Deutschland Gewinnsucht und
Schiebertum, Putz und Völlerei für typisch jüdisch und wie
sind diese „spezifisch jüdischen" Eigenschaften im Laufe des
Krieges in den weitesten Kreisen des kriegsgewinnlerischen
Deutschland epidemisch und endemisch geworden! Wie die
lö* 243
tierische Natur sind auch die tierischen Triebe allen Menschen
gemein, nur in Geist, Gesinnung, Größe zeigen und scheiden
sich die Charaktere.
iLinen dritten Ausdruck des Chauvinismus hat man in der
These von der Einzigartigkeit der jüdischen Kulturleistungen
erblicken wollen. Aber in dem Satz von der Einzigartigkeit
einer Erscheinung liegt doch kein Werturteil. Auch die Pyg-
mäen Afrikas sind einzigartig. Hierin liegt doch lediglich das
Bekenntnis zu einer wissenschaftlichen Anschauungsform, Und
ich mag zwanzigmal in mich gehen und zwanzigmal um mich
sehen: wie bei den Römern der Feldherr, bei den Griechen der
Künstler, in der Renaissance der Maler, in Deutschland der
Musiker, so ist in Judäa der Prophet mit seinem Gerechtig-
keitszorn und Erlöserwillon erstanden — eine für diese Nation
typische und in der Weltgeschichte einzigartige Erscheinung.
So wie nirgends wieder trotz tausendfach reicherer Tätigkeit
die griechischen Plastiker überboten oder auch nur erreicht
worden sind, nirgends in der Moderne die italienischen Meister
oder gotischen Bauherrn übertroffen wurden, nirgendwo in der
Welt die deutschen Komponisten ihresgleichen haben, so haben
die jüdischen Propheten trotz hundertfacher Kopien nur
schwächliche Epigonen gefunden.
Und wenn, wie man mir weiter entgegengehalten hat, Moses
nur Mythos wäre und Christus die Schöpfung der Evangelisten,
wenn in diesem Sinne auch Siegfried, Karl der Große und
Barbarossa nicht Schöpfer, sondern Geschöpfe ihres Volkes
gewesen wären — nun, wenn das Volk sie nicht geboren, so
hat das Volk sie sich geschaffen, in seinem Ebenbilde, nach
seinem Rassenideal sich geschaffen, und dann wären sie erst'
recht und nun in höchstem Grado Personifikationen der Rassen-
eigentümlichkeit, Inkarnationen einer ganz spezifischen Rassen-
veranlagung, sich seine Helden zu denken. Ob sie in dem Sinne
wie die Geschichte berichtet, lebten oder nicht: Rom gebar
oder schuf sich die Reihe strenger Könige, Republikaner, Prä-
toren und Cäsaren, in Germaniens Walhall strahlen als Gestalten
eines vom römischen grundverschiedenen Typs Siegfried, Ro-
land, Dietrich von Bern, Karl der Große, Barbarossa, Friedrich
derXjroße (in diesem letzten scheint die Heroenkurve aus dem
rein Militaristischen ins Ethische einzubiegen, man denke an
Worte wie „Ich bin der erste Diener meines Staates", „Wenn
244
einer meiner Kerle denken würde, so würde er mich totschießen"
usw.). Israel umgibt das Haupt seiner Helden, auch wenn sie
streitbar waren, mit dem Heiligenschein des Prophetismus,
seine Heroen sind Abraham, der, wenn er mit seinen Knechten
vom Kriegszug heimkehrt, Altäre baut, Moses, der nach der
Schlacht mit seinem Gotte Zwiegespräch hält und vom Berg-
thron seines Ruhmes die Heiligen Tafeln hinabreicht — wann
ward je ein Armeebefehl diesesgleichen erlassen ? — , David, der
neben seinem Heldenleben mit allen Tugenden und Lastern des
Söldnerkönigs Psalmen singt und Zion errichtet, Salomo, der
Weisheit spricht und den Tempel baut, und schließlich, nach-
dem die jugendlich militärische Epoche überwunden ist, die
lange Reihe der pazifistischen Nationalhelden von Arnos bis Jo-
hannes.
Keine These hat soviel Widerspruch erfahren wie die An-
reihung von Marx an Moses und Christus. Ich begreife diesen
Widerspruch durchaus, war auf ihn gefaßt und billige ihn sogar.
Wer aber in einem Buch eine bestimmte Überzeugung zum Aus-
druck bringen will, muß sich auf eine Formel festlegen, will er
nicht im Uferlosen zerflattern. So hat sich Schopenhauer auf
die Formel vom Willen und Nietzsche auf die Formel vom Über-
menschen festgelegt, so hat Spengler sich in seinem großen Werk
auf ganz bestimmte — anfechtbare, aber doch in gewissem Um-
fang wahre — Formeln einstellen müssen, so hat Brunner die
Formel Moses, Christus, Spinoza gewählt, um die Idee des Mono-
theismus zu verfolgen. Solch eine Formel ist die Schwäche eines
Buches, aber auch seine Stärke. Nur weil der Mensch eine feste
Wirbelsäule hat, kann er aufrecht stehen, ein, wie alle Fach-
männer wissen, mit sehr viel Nachteilen verbundener Vorzug.
Ich habe auf diese mir selbst durchaus bewußte Schwäche schon
selber in der großen Anmerkung zu Christus (S. 198) hingewiesen,
dadurch aber bei meinen Kritikern keine Gnade gefunden, und
wiederhole darum noch einmal: Marx wird nicht aus irgend-
welcher parteipolitischer Überschätzung oder subjektiver Vor-
liebe gewählt, sondern weil er der erste, der populärste und in
seinen Folgen für die Geschichte bedeutendste Repräsentant
jenes jüdischen Typus in der Moderne geworden ist, den ich als den
spezifisch jüdischen und für die zukünftige Entwicklung des
Menschengeschlechts wichtigsten ansehe. In Marx, so scheint mir,
tritt der jüdische Genius, nachdem er mehr als tausend Jahre
im Ghetto eingesperrt war, wieder auf den Plan der Welt-
geschichte, um die große jüdische Idee des Prophetismus, die
245
Idee der Welterlösung durch soziale Gerechtigkeit wieder auf-
zunehmen. Nachdem über die Pfade, die Moses und Christus
der Menschheit angebahnt, das zweitausendjährige Dorngestrüpp
der Versklavung und Entrechtung, das Distelgewirr des Hasses
und der Zwietracht gewuchert sind, bahnt Marx von neuem
mit dem Schwert der Gerechtigkeit der Menschheit den Weg in
jene Zukunft, die Moses der Menschheit am Ende dieses Weges
als „Land der Verheißung" gewiesen. Darum besitze ich auch
den — ich weiß es wohl — gefährlichen Mut, an Marx die jüdi-
schen Revolutionäre der engeren Zeitgeschichte anzureihen, so-
weit ihr Handeln rein ethischen, prophetischen Motiven ent-
springt — — — nicht aus Überschätzung oder poütischer
Gefolgschaft oder bläßlichem Romantizismus, sondern einzig,
weil ich in ihnen die spezifisch jüdische Art der Weltauffassung
und der geschichtlichen Aktivität erblicke, weil sie sich in ihren
Motiven, ihren Mitteln und ilu-en Zielen — nur in anderem Zeit-
gewand — an die Propheten anschließen, weil auch sie die
Menschheit die Straße der Gerechtigkeit führen wollen, deren
Meilensteine das Erbarmen und die Friedfertigkeit sind, und als
deren Ziel von fern der goldene Garten messianischer Glücks-
erfüllung leuchtet. Ich fühle mich zu diesem Mut berechtigt, weil
ich keine Zeitgeschichte schreibe und keine Werturteile fälle, son-
dern eine Typologie des jüdischen Charakters sub specie aeterni-
tatis aufzustellen suche, ein Typenbild entwerfe, das in seinem
Weltgeschichtsflug aus der Vogelperspektive über alles Tages-
geschichtliche, Politische und Provinziale hinwegsieht.
Glauben meine Kritiker ernsthaft, mir etwas Neues zu sagen,
wenn sie mir vorhalten, daß Marx getauft war und eine Schrift
gegen die Juden geschrieben hat ? Diese Tatsache ist in diesem
Zusammenhang so belanglos wie das Mißverhältnis zwischen
Spinoza und den Juden seiner Zeit. Oder ist Heine nicht der
Typus eines Juden, weil er getauft war und über das Judentum
Witze machte? Für den Juden von 1840 ist es vielleicht cha-
rakteristischer, daß er sich taufen ließ und antisemitisch gebär-
dete, als das Gegenteil. Und wie sollte Marx, der Begründer des
Sozialismus, gut auf die Juden zu sprechen sein, die in ihren —
für die Zeit-, nicht Weltgeschichte ! prominentesten
Vertretern die Häupter des Kapitalismus waren? Marx steht zur
zeitgenössischen Judenheit Westeuropas in etwa demselben Ver-
hältnis wie Moses zu den Goldenen-Kalb-Anbetern, wie Christus
zu den jüdisch-römischen Finanziers Jerusalems, wie Spinoza
zu den Rabbinern Amsterdams. In ihnen allen kämpft der Geist
246
des Judentums gegen den Geist der zeitgenössischen Judenheit,
der. ewige Geist einer hehren Geschichtsauffassung gegen den
un-hehren Un-Geist eines bekämpfungswürdigen Tages.
Schließhch ist mir vorgehalten worden, man hätte gar nicht
auf Chamberlains Rassentheorie eingehen, sondern diese ganze
Art der Geschichtsauffassung ablehnen sollen — aber wie kann
ein Angeklagter sich vor seinem Gerichtshof, und das ist in
diesem Fall doch der gesamte europäische und neuerdings auch
amerikanische Rassenantisemitismus — anders, rechtfertigen
als durch Entkräftigung jener Indizien, die man ihm vorhält?
Kann man sich vor einem Revolverhelden schützen, indem man
Psalmen singt? Ob man dem Faktor Rasse eine Bedeutung
beilegt oder nicht — die Welt kämpft mit dieser Waffe
gegen uns, und daher müssen wir Hieb für Hieb parieren, und
schaden kann doch eine rassentheoretische Behandlung des
Themas zur Klärung der Frage keinesfalls. Wer sich unbefriedigt
fühlt, mag das vorliegende Buch wenigstens als negativen Teil,
als den Waffengang mit der Rassentheorie hinnehmen und sich
gerade durch diese vermeintliche Unzulänglichkeit veranlaßt
fühlen, nun nach seiner Geschichtsauffassung der Welt zu be-
weisen, daß auch ohne Rassentheorie der Anspruch der Juden
auf Gleichachtung mit den Kulturvölkern der Antike und
Moderne gerechtfertigt ist.
KARTE 1
Die Völkerwanderungen in Vorderasien
KARTE II
Vorderasien
NAMENVERZEICHNIS
Abderrahman Sufi 108.
Abdichiba 130.
Abimelech 133, 136.
Abraliam 121, 122. 123. ]24.
170. 174, 245.
Achill 2?,4.
Adalbert v. Prag 158.
Aggassiz 228.
Ahab 136.
Akiba 170.
Al-Bucasis 108.
d'Alembert 223.
Alexander 148, 184.
AI-Farabi 110.
Al-Hazen 108.
Al-Kindi 110.
Al-Maimon 108.
Altdorfer 52.
Altenberg 226.
Ambrosiiis, hl. 57.
Ammon 30, 09.
Arnos 199, 209.
Amraphel 121.
Aphrodite 148.
Apiou 152.
Äscliyluß 234.
Aquila von Pontus 153.
Aristobul 154.
Aren 228.
Arons 227.
Auerbach 226.
Augustin, hl. 191.
Avicenna 108.
Biib 232.
Bach 174. 224, 225.
Bneyer 228.
BaUin 228.
Bamberger 233.
Barbarossa 244.
Becker 228.
Beddoe 66.
Beer-Hofmann 226.
Beethoven 43, 57, .58, 61, 71,
78, 174, 224, 225, 236.
Bei 89, 214.
Bellermann 222.
Belsazar 169.
Benfey 23.
Ben Musa 108.
Berg 227.
Berliner 227.
Bethmann-HoUweg 38.
Bethina v. Arnim 79.
Beturia Paulina 153.
Bielschowski 226.
Bilka 124.
Biflmarck 174, 198, 199, 226,
230.
Bizet 225.
Blüher 216.
Blum 198.
B()cklin 224, 237.
Bohl 99.
Börne 199, 230, 233.
Botticelli 52.
Boucher 52.
Brahms 61, 64, 225.
Brandes 95.
Braun 237.
Brod 226.
Brüll 225.
Brunner 8, 33, 97, 172, 190,
199, 233, 245.
Brutus 199.
Büchner 108.
Buckles 198.
Buddha 118, 219.
Bulan 157.
Bülow 229.
Burchardt 231.
Burckhardt 218.
Bürger 236.
Cal6 226.
Cantor 230.
Cäsar 55, 182, 187, 231, 232.
Cervantes 55, 58, 210.
Chamberlain 15, 27, 28, 30,
32, 34ff., 46, 57ff., 65,
66, 72, 75, 76, 80, 87, 88,
96ff., 101, 112, 114, 115,
119, 132, 142, 172, 174,
175, 182, 183, 188ff., 196,
210, 221, 226, 228, 229,
240, 242, 246.
Chenoch 119.
Christus 65, 76, 86. 117 ff.,
170, 174, 187 ff.. 198ff. bis
212, 222, 234, 240, 244ff.
Cicero 153.
Cimabue HO.
Clay 98.
Cohen 230.
Cornill 176.
Correggio 52.
Cortez 29.
Cröniieux 232.
Cyrus 117, 118, 143, 146.
Czörnig 159.
Daniel 169.
Dante 31, 55, 57, 58, 61, 210
David 55, 56, 74ff., 133ff.,
139, 142, 189, 245.
Davidsohn 227.
Davidsohn 229.
Darwin 52, 198.
Deborah 132, 169.
Dehmel 125.
Delitzsch 93, 94, 98, 105,
135, 173, 179.
Diderot 223.
Dietrich von Bern 244.
Disraeli 232.
Dohm 229.
Domitian 153.
Draper 107.
Dreyfuss 242.
Driesmans 31, 47, 59, 112.
Dumas 227.
Dühring 32, 58, 175, 226,
229, 230.
Dürer 31, 62, 186.
Ebers 227.
Ehrlich 228, 229.
Eichendorff 224.
Einstein 229, 230.
Eisner 198, 199, 204.
Emerson 223.
Emin Pascha 231.
Empedokles 199.
Esau 124.
Esra 146.
Esther 169.
Eybenberg 230.
Ezechiel 134, 211.
Faraday 228.
Ferrer 198.
Feuerbach 61, 237
Finot 23, 46, 49.
Firdusi 55.
Fishberg 5, 6, 158, 159.
Flavius Josephiis 152, 154.
Fliess 229.
Fontane 230.
Fouillet 46.
Fragonard 52.
Frank 228.
Franzos 226.
Frauenstädt 230.
Freud 229.
Freund 226.
Friedrich G. 187.
Friedrich d. Gr. 61, 64, 17,
244.
Fulda 226.
GalUei 31, 198, 202.
Qamaliel 150.
Gambetta 232.
Geiger Laz. 23.
Geiger, Ludw. 226.
George Henry 184.
Giesebrecht 47.
Gilead 136.
Giordano Bruno 198.
Glaser 232.
Gobineau 23, 27, 28, 33, 111.
Goethe 31, 52, 57 ff., 71, 78,
171, 173, 174, 182, 183,
186, 196, 199, 205, 210,
211, 212, 222. 224, 225,
226, 230, 233, 235, 236, 243.
Goldmark 225.
Goliath 119.
Gottfried v. Bouillon 135.
Gottschal 227.
Graefe 237.
Graetz 151.
Graut Allan 46.
Grünewald 52.
Gudea 98.
Gundolf 226.
Haase 198.
Habakuk 138.
Haber 228.
Hadrian 143.
Haeckel 52, 119, 182.
Hafis 55.
Hagar 123, 124.
Halevy 89, 225.
Hammurabi 56, 92ff., 99,
104, 121 ff., 184ff.
Hanatoux 33.
Händel 174, 185, 225.
Hans Sachs 211.
Harden 230.
250
Hartmami 23.
Harun al Raschid 222.
Hauser 28ff., 34, 54ff., 60,
64, 69 ff., 99, 172.
Haydn 225.
Hebbel 211, 286.
Heine 38, 76, 225, 220, 235,
239, 243, 246.
Heraklit 199.
Herder 183.
Hermann 226.
Herodes 154, 221.
Herodot 101.
Herrmann, H. 59.
Hertz, Friedr. 6, 7, 06, 142,
228
Hertz, Helnr. 228.
Hertzberg 100.
Herz, Henriette 280.
Heyermanns 226.
Heyse 227.
Hillel 192.
Hiob 169, 189, 2U. 220.
Hirschfeld 226.
Hofmannstal 226.
Holbein 52.
Hölderlin 236.
Holländer 226.
Holz 224.
Homer 187, 210, 214.
Hommel 101.
Horaz 153, 220.
Hosea 142, 209.
Humboldt 52.
Huß 19S.
Huxley 23, 67.
Hyrkan 154.
Ibn Juni» 108.
Ibsen 119, 211.
Ignatius v. Loyola 59, 60.
Ikow 65.
Tsebel 136.
Ismael 124.
Israel 127 ff.
Israels 226.
Istar 118, 148.
Jacobe 66.
Jacoby 227.
Jakob 124, 128. 174.
.Tanchamu 125.
Jaurös 198.
Jephta 136.
Jeremias 148. 197, 204, 209.
Jertibaal 136.
Jesaja 138, 189, 190, 197,
199, 211.
Jethro 128.
Joachim 225.
Johannes 169, 170, 209.
Jona 169, 211.
Jonathan 139.
Joseph 125 ff.
Josua 121, 132, ISS.
Judith 169.
Judt 5, 6, 66.
Juvenal 153.
Kadmofl 214.
Kandinski 226.
Kant 31, 43, 58, 61, 64, 78,
171, 174, 186. 191, 202,
210, 222, 225, 230, 233.
Karl d. Gr. 195, 244.
Kepler 202.
Kinkel 198.
Kittel 07. ' i
Kleist 203, 230.
Kollmann 202, 209.
Kolumbus 29, 231, 235.
Kompert 226.
Korngold 225.
Kopemicki 66, 159.
Kopernikus 202.
Kranach 52.
Krause 59.
Kung-fu-tse 170.
Laban 124.
Lagarde 217.
Landauer 198, 199, 204ff.
Lao-tse 170.
Lasker 233.
Lasker-Schüler 226.
LassaUe 199, 203. 283.
Latham 23.
Leah 124.
Leibniz 59, 174.
Leonardo da Vinci 51, 173,
182, 183, 215.
Leasing 58, 211.
Levin6 198, 204ff.
Levy 229.
Lewea 230.
Liebermanu, 31. 226.
Liebermann 228.
Liebknecht 198.
Lissauer 226.
Liszt 229.
Livingstone 202.
Loeb 228.
Lord Headly 96.
Lord Kelvin 52.
Lorm 226.
Ludwig 226, 280.
V. Luschaa 17, 25, 97, 101,
102.
Luther 31, 67, 172, 194ff.,
196, 198.
Luxemburg 198, 204, 206 ff.
Luzzatti 232.
Mahlcr 225.
Majer 66, 169.
Makka 136.
Malzan 67.
Marcus 227.
Marduk 121, 148, 175, 178,
181.
Maröes 227.
Maria 148.
Marro 66.
Marx 198 ff., 211, 232, 246,
246.
Matiegka 72.
Mauthner 226.
Maxwell 228.
Mayer 228, 237.
Mendds 227.
Mendelssohn, Mosea 230.
Mendelssohn 22.").
aienschikow 33.
Menzel 43, 61, 64.
Merneptah 126.
Meyer, Ed. 88, 97, 98, 148.
Meyer, R. M. 226. 230.
Meyer, Schwestern 230.
Meyerbeer 225.
Michelangelo 31, 67, 110,
184, 215.
Mirabeau 199.
Mohammed 118, 199.
Moleschott 215.
MöUer V. d. Brück 102.
Mombert 226.
Mommsen 149.
Moore 217.
Mortillet 72.
Moscheies 225.
Moses 95, 117, 118, 126, 128,
170, 174, 183ff., 190, 191,
198, 200, 211, 217, 234,
244 ff.
Mozart 61, 174, 186, 199,
203, 225, 237.
Müller, M. 23, 25.
Nansen 227.
Napoleon 57, 69. I6i.
Naram-Sin 86, 88, 91.
Nebukadnezar 107, 140.
Nehemia 139.
Neumann 229.
Newton 52.
Nicolaus V. Damascas 122.
Nietzsche 49, 174, 196, 197,
199, 212, 213, 233, 236,
237, 245.
Nimrod 87.
Nordau 226.
Oedipus 116, 118.
Offenbach 225.
Orelli 67.
Ottolenghi 66, 232.
Pascal 199.
Paulus 201, 209, 211.
Pechstein 226.
Penka 23.
Petnus 170, 201, 209, 211.
Petzold 237.
Pharao 125, 126.
Phidias 189, 234.
Philo 192.
Pictet 23.
, Pissarro 226.
Plato 168, 171, 182, 189, 210,
219.
j Poe 223.
Pontoppidan 227.
Popper-Lynkeus 227.
Porges 229.
Pösche 23.
Poussin 52.
Preuß 233.
Radioff 67.
ftaffael 31, 52, 67, 61, 173,
203, 215.
Rahel 124.
Ramses 127.
Ranke 62.
Rathenau 228.
Reccared 150.
Reiuach 151.
Rembrandt 31, 34, 52.
Renan 32, 33, 46. 188, 211,
212. 232.
Riebet 213, 217.
Riemer 230.
Rodenberg 226.
Rodin 224.
Roland 244.
Rubens 31, 62.
Rubinstein 226.
Ruth 136, 169.
Saint-Sagns 227.
Salieri 237.
Salmanassar 106.
Salome 154, 221.
251
Salomo 66, 133, 1S6, 142,
169, 246.
Salus 226.
Sarai (Sarah) 121.
Sardanapal 105, 143, 221.
Sargon I. 86, 89ff., 117, 122.
Sargonll. 140.
Saxil 139, 142.
Savonarola 196, 197.
Sawa 80.
Schaaffhanaen 72.
Schiller 67, 58, 61, 174, 196,
210, 211, 215, 224, 235,
236.
Schlegel, Dorothea 230.
Schlegel, Fr. 23.
Schnitzler 226.
Schopenhauer 58, 61, 172,
174, 184, 196, 197, 230,
237, 243, 245.
Schrader 23.
Schreiner 228.
Schubert 203. -225, 236.
Schumann 225.
Schürer 152. 190.
Schwarz 227.
Schweinfurth 231.
Semigotha 187.
Semmelweiß 235.
Semon 229.
Seneca 153, 19S.
Sergi 23.
Shakespeare 31, 57, 210, 248.
Siegfried 244.
Simmel 226.
Simson 136, 169.
Simsen, Ed. 233.
Sirach 169.
Sisebut 150.
Sisera 132.
Sokrates 61, 182, 193. 234.
Spengler 107 ff.. 214, 245.
Spielhagen 227.
Spinoza 38, 58, 76, 199. 204,
246.
Spitta 227.
Stahl 232, 233.
Stanley 202, 232.
Stratz 62, 73, 165.
Süsskind v. Trimberg 227.
Sven Hediu 194.
Szamuely 204.
Tacitus 47, 163, 218.
Taine 60.
Talko-Xryueciwiczs 66.
Taylor 72.
Terach 120ff.
Theilhaber 226.
Thierry 47.
Tiberius 153.
Tihamat 181, 213.
Tintoretto 52.
Tizian 52, 221.
Toller 204.
Tomascheck 23.
Tores 231.
Törok 67.
Treitschke 215, 216, 217.
Tylor 23.
üria 136.
Vacher de la Pouge 65.
Vamb6ry 229.
Van Dyk 31.
Varnhagen, Rahel 230.
Virchow 23, 66, 72.
Voltaire 31, 95, 107.
Vrchlichky 227.
'Wackernagel 6V.
Wagner, R. 27, 61, 208, 226,
229, 237.
Wagner, S. 229.
Wassermann, Jakol> 226.
Wassermajm 228.
Watteau 52.
Wejninger 35, 36, 229,
Weißenterg 66, 67.
Wellhausen 97, 132, 142.
Werfel 226.
1 Widukind 195.
Wiesner 229.
I Wilde 194.
j Wildenbruch 227.
I Willmanns 58.
Wilser 34, 38ff.
! Wirth 46, 58, 102.
I Woltmaun 28. 31, 34, 54,
1 57ff., 112, 242.
Zacconi 33.
Zacharja 153.
! Zamenhof 229, 2^0.
i Zarathustra 190.
Zeppelin 227.
i Zeus 148.
1 Zilpa 124.
Zoia 242.
Zollschan 5, 6, 66, 74, 80.
107 ff., 182.
Zuckermann 226.
Zweig 226.
S A C H V E R Z E I C H N I S
Abessinier 80, 85, 155.
Abrahamiden 122 ff., 141, 166.
Adiabene 154.
Afghanen 80.
Ägypten 125ff., 131.
Ägypter 80. 81, 166.
Akkad 87 ff.
Alphabeth 89, 90.
Alpine Rasse a. homo alpinus.
Amalekiter 129, 131. 166.
Amerika 29, 201, 223.
Amerikanische Rasse 68.
Ammoniter 129, 131, 166.
Amoriter 74, 96ff., 123.
Antiochia 153.
Antisemiten-Katechismus 77.
Araber 48, 80 ff., 107 ff., 154,
166.
Arabien 81 ff., 153.
Aramäer 106, 107.
Arier 23ff., 80, 82, 137 ff.,
210ff.
Arische Weltanschauung
115ff.
Armenier 23, 75, 80 ff., 154,
166.
.Aschkenasim 159ff., 167.
Asdod 139, 140.
Askalon 138.
Assur 105 ff.
Assyrer 81, 105ff., 143ff.
Astrologismus 116£f.
Athen 221.
Avaren 48.
Azteken 29.
Babel 61, 105, 115, 140, 174,
210.
Babel und Bibel 173.
Babylonien 80—107, 120ff.,
131, 137, 150, 175 ff., 219.
Babylon :
Exil 107. 113ff.. 143 ff.. 148.
Gesetzgebung 93ff., 197.
Kalender 86.
Schrift 87.
Stil 120.
Weltanschauung llöff.
Bajuvaren 31.
Basken 60, 102.
Beduinen 83, 84, 91, 106.
Berber 80.
Bergpredigt 169, 197.
Bibel 113, 153, 168ff.
Blondheit 54ff., 69ff., 72 bis
78, 140, 154, 159, 160ff.
Burgunder 31.
Chaldcäer 107.
Chauukka 119.
Chasaren 155 ff., 167.
Chauvinismus 240 ff.
Chinesen 29, 33, 219.
Chinesische Juden 166.
Christentum 187 ff.
Cimbern 48, 98. '
Codex Haiiimurabi 93 ff., 123,
184ff.
Cordova 108, 109.
Corpus iuris 214.
Daghestan 156.
Damascus 122, 153.
Davidisches Reich 187, 139.
Deborah-Lied 132.
j Deuteronomium 113, 114.
Deutschen 32, 49, 89. 96, 97,
197, 242.
Deutsch-nationales Taschen-
buch 77.
Diaspora 148 ff.
Edomiter 129, 131, 164, 166,
167.
Elamiten 91.
Erlösermotiv 117 ff.
Erlösertyp 203.
Esperanto 230.
Ethik 186, 144, 168ff., 184ff.,
195, 210ff., 216ff., 234ff.
Etruskpr 46, 102.
Falascha 85, 166.
Franken 31, 48.
Genie 52ff., 208ff., 235ff.
Blondheit 64 ff.
Germanischer Typ 52ff.
Jüdische Genialität 20»ff.
Kopfform 71.
252
Georgier 3 56.
Gerechtigkeitswille 93 — 95.
Germanen 23. 27—77, 96ff.,
140, 151, 154, 167, 195.
Genialität 52 ff.
Körpergröße 63 ff.
Ursprung 38.
Wanderungen 42f£., 99ff.
Germanentheorie 27 — 77,
38ff., llOff.
Geser 130, 133.
Gilgamesch 214.
Goseu 125, 128.
Goten 48.
Gotik 109.
Griechen 29, 31, 84, 148ff.,
154, 167, 210, 213 ff., 219.
Grusinen 156.
Hamiten 23, 80.
Handbuch der Judenfrage 77.
Harran ]20ff.
Hebräer 74, 96, 102, 130 ff.,
141, 167.
Hellenismus 148 ff., 212.
Hethiter 81, 90. 100 ff., 128.
131, 140ff., 167.
Himjaviten 155.
Homo alpinus 69ff., 82, 102.
Horiter 122.
Hunnen 48.
Hyksos 102.
Iberer 102.
Inder 23. 80, 81.
Indexlehve 64 ff.
Indlanisierung 6ß.
Indogermanen 90.
Inka 29.
Iran 81 ff.
Iranier 23, 80, 154.
Ismaeiiter 131.
Israel 132, 137, 140fi,, 219.
T8raelstämmel27ff., 137. 166.
Israelstele 127.
Italer 23.
Italiener 60, 52, 60.
Ituräaer 154, 167.
Jahwe 128, 144.
Jakobstämme 127 /i'., 137,
141. 166.
Japaner 62.
Jebusiter 134.
Jericho 133.
Jerusalem 51, ISO. 133 ff.,
218.
Joseplip-Erzäli'.ung i25ff.
Juda 132, 137, 141 ff.
Juden 31ff., 61—78, 113 bis
167, 195.
in Abessinien 155.
in Afrika 155, 156.
in Arabien 155.
in Böhmen 158.
in China 155, 156.
in Indien 155, 156.
Im Kaukasus 155, 156.
in Rom 152, 153.
in RußLand 151, 156ff.
in Sibirien 159.
in Spanien 150.
in Ungarn 159.
Ägyptisiening 126 ff.
Anteil am modernen Kul-
turleben 225ff.
Arabisierung 129.
Blondheit 73 ff., 140, 154,
159, 160ff.
als Erfinder und Entdecker
226 ff.
Ethik B. Ethik.
Genialität 61 ff., 76, 208ff.,
223ff.
als Glaubensgemeinschaft
161 ff.
als Handelsvolk 133.
Körpergröße 63.
Mischehen s. Bassenmi-
schung.
Mischung mit Germanen
140, 151, lOOff.
Nationalbewußtstein 124,
127.
als Nation 161 ff.
Nomadentum 133.
Rasse 6, 7. 32, 78—80, 101,
124ff., 131ff., 134ff.,
151, 161ff.
Rassenminderwertigkeit
36, 77, 183.
Rassenmischung 113,124ff.,
134ff., 139, 146ff., ISlff.,
155 ff.
Rassenzucht 146.
Schadelform 65—72.
Zwangsehe 151.
Kabylen 80.
Kala Israel 155.
Kalender, babylonischer 86.
Kanaan 122, 123, 124, 129ff.,
134ff.
Kanaaofter 129ff., 137, 166.
Kauaaniterschlacht 132.
Kanaanitische Wanderung
92 ff.
Kaphtor 138.
Karäer 157.
Kariben 33.
Karthago 100, 213.
Kassiten 105.
Kaukasier 80, 154, 167.
Kaukasusjuden 155, 156.
Kelten 23, 46ff.
Keniter 128.
Kirgisen 156, 157.
Kommunismus 198ff.
Königsgräber 154.
Korintlierbrief 169.
Körpergröße 63, 64.
Kosaken 151.
Kreta 138.
Kreti und Plethi 139.
Kreuzfahrer 134.
Kultur 51ff., 209ff., 217ff.
Kurzköpfigkeit 64—72.
Kuschiten 85, 123.
Langobarden 31.
Langschädel 64ft.
Letten 33.
Makkabäer 11 ',\
Marxismus 200ff.
Mauretanier 48.
Mawambu 156.
Meder 80.
Meggiddo 130, 132.
Midianiter 128, 129, 131, 166.
Milieu 13ff., 160.
Miücutheoretiker 14fl.
Mischehen 113, 124 ff., 134ff.,
139ff., 146, 160ff.
MittelläncNBche Rasse 79 £f.
Moabiter 129, 131, 166.
Mongolen 28, 159ff., 166.
Monotheismus 106, 144. 187
195.
Mykene 100, 213.
Wation 21ff., 49ff.. i62ff.
Xinive 105 ff.
Nippur 89.
-Vomaden 83.
Kormannen 31, 48.
Numidier 48.
Odyssee 214.
Ostern 119.
Ostgoten 31.
Ostjuden s. Aschkenasim.
Paddan-Aram 122.
Palästina 83, 122 ff.
Papsttum 31, 116, 117, 192ff.,
196.
Passah 119.
Peutateuch 118.
Pei-ser 80.
:'eru 29.
Petra 130.
Philister 138ff., 141ff., 146,
167.
Phönizier 81, 100, 101, 146.
Polen 33.
PoIitischeAnthropologie 2Sff .
Preußen 31.
Priesterkodex 113, 114.
Propheten 53, 106. 138, 142.
144, 146, 148. 196. 209 ff.
Proselyten am Tore 152, 104.
Proselytismiis 1 24, 1 25, 147 ff ,
161 ff.
Protestantismus 174. 175,
196.
Psalmen 178.
Rasse 6, 7, 11—22. 38—78,
209 ff.
Rassenbegabung 205 ff.
Rassenmischung lOff.
Rassenreinheit 19 ff.
Rassentheorie 15ff.
Bassentypen 68.
Refaim 122.
Reformation 194 ft.
Relativitätstheorie 229
Rembrandt als Erzieher 84.
Renaissance 31, 209.
Revolution, deutsche 204ff.
Revolution, französische 31.
Römer 47 ff., 84, 149, 154,
167, 210 ff., 219, 234.
Russische Juden 151.
Sabbath 179 ff.
Samaria 136, 140.
Samaritaner 67, 141.
Sanskrit 23.
Sardinien 102.
Schädelform 64ff.
Schöpfungsbericht 128, 175.
Schrift-Erfindung 87, 89.
Seevölker 138.
Semiten 23, 79 — 112.
Weltanschauung 116ff.
Wissenschaft 120.
Semitentheorie 62.
Sephardim 159 ff., 167.
Sichem 121. 133.
Sinai 128, 129, 185.
Sinear 120 ff.
^klavenbekehrung 149 ff.
253
Slawen 23, 156 ff., 167.
Sozialismns 200 ff., 245.
Spanier 51, 221.
Subotniki 158.
Sumer 87 ff.
Sumerer 86ff.
Susa 91.
Syrer 81.
Taanach 180, 132.
Tarquinius 102.
Tataren 156 ff., 167.
Tel-ePAmarna 129 if.
Terachiden 121ff., 128, 141,
166.
Tigris 84 ff.
Tschechen 33.
i Turanier 82.
Türken 23, 80.
j Turkestaner Juden 67.
Typologie 54ff.
i Ur 120ff.
I Ungarn 33.
Ursprung des Mensciieux«^
schlechta 16 ff.
Venedig 221.
■Westgoten 31, 150.
Yankee 68.
Yemeniten 67, 15.'.
Zivilisation 200, 21711.
Zwangsehen 151.
Zehn Gebote 187.
Zuchtwahl 14.
D'IE WELTBÜCHER
EINE JÜDISCHE S C H R ITTE NTO LG E
Band 1/2: Moses Mendelssohn, Jerusalem.
„ 3: Manasseben Israel, Rettung der Juden
„ 4/5 : Samson Raphacl Hirsch, Neunzehn Briefe über
Judentum.
„ 6: Fritz Mordechai Kaufmann, Vier Essais über
^ ostjüdijdie Dichtung und Kultur.
„ 7: Henry George, Moses der Gesetzgeber.
„ 8: Heinrich Loewe, Sdiclme und Narren mit jüdisdien
Kappen.
„ 9: Aus dem Sohar. ÜBertragungen von J. Seidmann.
,, 10/11: Chaim Nach man Bialik, Gedidite I. Aus dem
HeBräisdjen üßertragen von Louis Weinßerg.
„ 12: L.Schapiro, Die Stadt derToten und andere Erzählungen.
Aus dem JidisSen üßertragen von Siegfried SSmitz.
„ 13/14: Leben und Worte des Balsdiemm. Nadi diassidisdien Sdiriften
Auswaßf und Üßertragung von Safomo Birnßaum
,, 15/16: Lyrisdje Diditung deutsdier Juden.
„ 20/21 : Ostjüdisdie Liebeslieder. ÜBertragungen jüdisSer Vofks'
dicßtung von Ludwig Strauß.
„ 22: Ch. N. Bialik: Gedidite II. Aus demJidisSen üBer'
tragen von Ludwig Strauß.
,, 25: Der Zauberer. Auswahl hebräisdier Makamendiditung
des Mittelalters. Üßertragen von Moritz Steinscßneider.
,, Ibßl: Abraham ihn Esra: Budi der Einheit. Aus dem
HeBräisSen üßersetzt neßst ParaffefstefCen und Erfäute"
rungen zur Matßematik Ißn Esras von Ernst Mütfer.
Die Sammlung wird fortgesetzt.
Die Büdier sind sowohl einzeln zu haben wie audi in Kassetten und zwar :
a> Die komplette Reihe <15 Bänddien), b) Denker und Seher <Nr. 1/2,3,4/5,
9, 13/14, 26/27). c) Diditcr und Erzähler <Nr. 10/11. 12, 15/16,20/21,22,25).
d) Bialik <Nr. 10/11, 22).
Die Büdier wie die jeweiligen Preise durdi jede Budihandlung.
WELT^VERLAG / BERLINW9
l
SCHRIFTEN ZUR KULTUR UND POLITIK
Dr. Ar an Barth: Orthodoxie und Zionismus
Dr. Nathan Birnbaum : Um die E^vigkeit
Adolf Böhm : Die Zionistische Bewegung
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Aloses Heß: Sozialistische Aufsätze
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Das Deutsche Judentum., seine Parteien und Organisationen
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Felix V. Luschan: Völker, Rassen, Sprachen
Nathan ben Nathan: Die Erbpacht
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Felix Welt seh: Nationalismus und Judentum
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Karl Wilhelm : Jüdische Planwirtschaft in Palästina
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Theodor Zlocisti:
Moses Heß, der Vorkämpfer des Sozialismais und des Zionisnms
Die Bücher wie die je-weilig-cn Preise durch jede Buchhandlung
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WELT-VERLAG / B E R LI N W 9
Bucbdruckerei Gustav Ascher G.m.b.H.. Berlin SW. 61.
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
GN
K3
1922
Kahn, Fritz
Die Juden als Rasse
und Kulturvolk
mum