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Full text of "Die Slaven, ein Urvolk Europas"

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in  2010  witii  funding  from 

University  of  Toronto 


in  ttp://www.arcli  ive.org/details/dieslaveneinurvoOOunko 


DIE  SLflVEN, 


Ein  ÜRVOLK  EÜROPRS. 


VON 
MARTIN  iUMKOVlC 


SECHSTE  RUS5RBE. 

Mit  einer  Karte  als  Beilage. 


WIEN  1911. 

IN  KOMMISSION  BEI  DER  K.  K.  UNIVERSITATS-BUCHHANDLUNG 
GEORG  SZELINSKI,  WIEN. 

DRUCK  VON  HEINRICH  SLOVAK  IN  KREMSIER 


ALLE  ftüTORRECHTE  VORBEHALTEN. 


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Vorwort  zur  fünften  Ausgabe. 

Dieses  Werk',  das  nun  durch  vier  Ausgaben  den  Titel: 
„Wann  wurde  Mitteleuropa  von  den  Slaven  besiedelt!" 

führte,  erscheint  diesmal  bereits  unter  einer  neuen,  prägnanteren 
Inhaltskennzeichnung,  \ve!chen  Wechsel  die  enormen  Fortschritte 
der  Forschung  von  selbst  diktierten. 

Ich  ahnte  seinerzeit  \vohl,  daß  die  lakonische  Beant\\  ortung 
jener  rhetorischen  Frage  damit  noch  lange  nicht  beweiskräftig  genug 
sein  wird;  es  handelte  sich  daher  darum,  ob  die  entscheidende  Ant- 
wort noch  ich  selbst  herzeizuführen  im  Stande  sein  werde,  oder  aber 
jemand  anderer.  Fin  gütiges  Geschick  sowie  sonstige  günstige  Vor- 
bedingungen wollten  es,  daß  dies  mir  selbst  bis  zu  einer  gewissen, 
das  Schlußresultat  bereits  klar  andeutenden  Grenze  vorbehalten 
blieb.  — 

Die  bisher  gangbaren  Ansichten  über  die  Urgeschichte  der  Sla- 
ven und  ihre  kulturelle  Inferiorität  werden  sich  nun.  wenn  auch  un- 
gerne  oder  auf  Umw  egen,  den  hier  dargelegten,  diametral  abwei- 
chenden Anschauungen  anpassen  müssen,  zumal  da  ohne  System.- 
zwang  und  ohne  gekünstelte  Hypothesen  nur  jene  Faktoren  zur  Be- 
weisführung ans  Licht  gezogen  \\urden,  welche  den  Werdegang 
der  vorgeschichtlicjien  Kultur  auf  einfache  und  für  die  aligemeine 
Erkenntnis  leicht  faßliche  Art  aufzuhellen  vermögen,  und  diesen  Vor- 
zug der  Darlegung  werden  mir  weder  die  Kritik  noch  meine  wissen- 
schaftlichen Gegner  auf  die  Dauer  streitig  machen  können.  Das 
Wissen  sei  allgemeines  Gut  und  die  Wahrheit  sei  überall,  so  unan- 
genehm es  auch  mitunter  ist,  sie  zu  vernehmen,  obenan  in  der  Wis- 
senschaft! —  Welche  erstaunlichen  Fortschritte  machen  die  Technik 
und  die  Medizin;  kaum  vergeht  ein  Tag,  an  dem  nicht  ein  Triumph 
auf  diesem  Gebiete  zu  verzeichnen  wäre.  Aber  in  unsere  Ur- 
geschichte kommt  kein  Licht,  weil  man  das  Liclit 
mit  papierenen  Dogmen,  leeren  Zitaten  und  Phra- 
sen verdunkelt!  —  Während  nun  die  Maschine  selbst  die  Ar- 
beit versagt,  wenn  ein  Konstruktionsfehler  vorliegt,  und  der  Tod  den 


Fehlgriff  des  Mediziners  schonungslos  demonstriert,  tappt  man  auf 
diesem  Gebiete  weiter  in  der  Finsternis  herum,  lediglich  weil  der 
Mut  mangelt  einen  liebgewordenen  Wahn  zu  zerstören,  nachdem 
sich  derselbe  seinem  Wesen  nach  nicht  selbst  zerstören  kann. 

Die  volkskundlichen  und  toponomischen  Forschungen  führen 
nämlich  zu  einer  immer  klarer  werdenden  Erkenntnis  einer  uralten 
europäischen  Kultur,  von  deren  Höhe  die  meisten  berufenen  Kenner 
noch  keine  Ahnung  fiaben.  imd  nicht  ohne  Furcht  und  Neid  mag  man 
der  Morgenröte  der  reinen  kulturgeschichtlichen  Untersuchungser- 
gebnisse entgegensehen.  —  Das  Streben,  mit  feineren  und  zu\  erläs- 
sigeren Mitteln  die  bisherigen  ethnographischen  Hypothesen  zu  über- 
prüfen; auf  Basis  sprachlicher  und  naturgemäßer  Analyse  unsere 
Vorstellungen  auf  das  primitive  Denken  zurückzuführen;  mit  kon- 
kreter, realer  Logik  über  unsere  komplizierten  Formen  hinweg  die 
Uranfänge  zu  erkennen.  —  das  ist  meiner  Erfahrung  nach  das  einzig 
brauchbare  Rüstzeug  zur  Lösung  des  Problems  über  unsere  Ver- 
gangenheit. In  dieser  positiven  Wissenschaft  darf  daher  nur  unsere 
Sinnenwclt.  welche  die  Begriffe  von  Zeit.  Raum  und  Kausalität  er- 
faßt und  umgrenzt,  ein  Machtwort  sprechen,  nicht  aber  Phantasie. 
Mystik  und  ein  Chorus  frommer  Wünsche!  —  Möge  nun  das  vor- 
liegende Werk  zu  diesem  klärenden  Fortschritte  das  Seinige  bei- 
tragen ! 

Kremsier,  im  November  1909. 


Vorwort  zur  sechsten  Musgabe. 

Das  ernste,  erfreuliche  Interesse,  welches  der  letzten  Ausgabe 
dieses  Werkes  in  allen  Schichten  der  gebildeten  Welt  zuteil  wurde, 
erheischte  abermals  eine  weitere  Auflage,  die  nun  nebst  der  gründ- 
lichen Überprüfung  und  Berichtigung  der  alten  Materie  auch  wieder 
zahlreiche  wichtige,  ja  geradezu  überraschende  neue  Forschungs- 
ergebnisse bringt. 

Die  topononiische  Wissenschaft  kommt  zu  keiner  Ruhepause 
mehr,  seit  die  komparative  Philologie  dieses  Feld  ins  Arbeitspro- 
gramm aufgenommen,  denn  die  räumliche  Erweiterung  des  sprach- 
lichen Gesichtskreises  bringt  mit  jedem  Tage  neue  Impulse  wie 
neue  Klärungen  mit  sich  und  steuert  unentwegt  einer  kosmopoliti- 
scheren Auffassung  der  Urzustände  zu. 

Einsichtsvoll  und  gerne  gebe  ich  es  zu,  daß  so  mancher  Begriff 
im  Buche  noch  lange  nicht  die  bleibende  Deutung  aufweist,  aber 
demgegenüber  steht  fest,  daß  er  hiemit  wenigstens  schon  seinem 
Heimatsbezirke  nahegebracht  wurde.  Doch  dies  sind  Nabensächlich- 
keiten,  denn  wollte  ich  die  Früchte  der  Forschung  innner  erst  dann 
abstoßen,  bis  sie  alle  die  Edelreife  aufweisen,  so  könnte  oder  würde 
dieses  Werk,  das  ja  nur  durch  ausschließliche  Selbstbildung,  Selbst- 
erfahrung und  Selbstkorrektur  immer  vielgestaltiger,  sachlicher  und 
überzeugender  wurde,  überhaupt  niemals  erschienen  sein.  Aber  ge- 
rade dadurch,  daß  wir  uns  bestreben  mühevoll,  vorsichtig  und  stufen- 
weise die  Urbedeutung  der  alten  wie  modernen  Begriffe  zu  ergrün- 
den und  rücksichtslos  dem  direkten  Lichte  auszusetzen,  wird  zu- 
gleich die  Grundmauer  der  sprachlichen  Urgeschichte  freigelegt  und 
der  Pfad  zur  endlichen  nüchternen  Erkenntnis  der  gemeinsamen 
Sprachenwiege  verbreitert. 

Es  befremdet  wohl,  daß  gerade  nichtakademische  Kreise  so 
lebhaft  für  die  Erkenntnis  der  historischen  Tatsachen  der  Altslaven 
eintreten,  doch  die  Erklärung  liegt  nahe.  —  .lede  Geisteswissenschaft 


VI  11 


entw  ickclt  sich  umso  erfreulicher,  je  intensiver  im  edlen  Wettkampfe 
das  Gute  vom  Besseren  verdrängt  wird;  nur  dort,  wo  der  Geist  der 
Autorität  am  Throne  sitzt,  herrscht  der  Stillstand.  Gerade  die  Slavi- 
stik  aber,  die  eigentlich  auf  eine  einzige  Autorität  aufgebaut  ist, 
welche  schon  vor  etwa  einem  halben  Jahrhunderte  alle  altslavische 
Kultur  und  Geschichte  souverän  aberkannte,  lehrt  noch  heute  die 
nämlichen  falschen  Grundsätze;  ja  es  wurde  ein  förmlicher  Ring  ge- 
schlossen. \\'elcher  diese  morschen  Dogmen  noch  weiterhin  konser- 
vieren \\  ill.  Aber  gerade  dieser  erstarrten  Wissenschaft  nicht  länger 
zu  glauben,  den  alten  Götzen  der  Autorität  nicht  mehr  zu  opfern, 
die  freie  Forschungstätigkeit  nicht  weiter  lähmen  zu  lassen,  das  zu 
erreichen  sei  der  Hauptzweck  dieses  Buches! 

Kremsier,  am  Neujahrstage  1911. 


Einleitung. 


Die  erste  und  w  iclitigste  Unternehnning,  um  die  eingangs  ge- 
stellte Behauptung,  daß  die  Slaven  in  Europa  ein  Urvolk  sind,  über- 
haupt einer  sachlich-ernsten  Lösung  zuführen  zu  können,  muß  das 
rücksichtslose  Zertrümmern  der  von  der  Wissenschaft  und  Partei- 
Politik  über  den  Forschungsweg  gelegten  Schlagbäume  sein,  ganz 
unbekümmert  darum,  in  \\clchen  Akadeniiepalast  oder  in  welche 
politische  Kannegießerbude  auch  die  Splitter  einfallen  mögen.  — 
Das  eine  läßt  sich  längst  mit  Bestimmtheit  sagen :  solange  My- 
then, Märchen  und  Irrwische  als  historische  Be- 
weis e  g  e  1 1  e  n.  i  s  t  j  e  d  e  p  o  s  i  t  i  v  e  A  r  b  e  i  t  a  u  s  g  c  s  c  li  1  o  s- 
sen;solange  man  an  die  Völker  wanderungglauben 
11  n  d  d  i  e  E  i  n  \v  a  n  d  e  r  u  n  g  d  e  r  S  1  a  V  e  n  i  n  d  i  e  s  e  Z  e  i  t  V  e  r- 
legen  ^\ird,  ist  eine  erfolgreiche  Forschung  nach 
der  ethnographischen  Urgeschichte  Europas  ganz 
undenkbar  und  aussichtslos:  so  lange  man  nicht 
allen  Ernstes  dem  Studium  der  europäischen  Ur- 
sprache, d.  h.  den  Elementen  unserer  Sprachen,  na- 
türlich näher  treten  wird,  gelangt  die  Forschung 
ü  b  e  r  u  n  s  e  r  e  früheste  Kultur  niemals  auf  festen. 
gew'achsenen  Boden. 

Und  mit  dieser  Zertrümmerung  habe  ich  hier  energisch  be- 
gonnen, denn  ich  habe  eingesehen,  daß  die  gangbaren  Erzählungen 
über    unsere  Vergangenheit    einer    radikalen  Nachprüfung  absolut 


nicht  standhalten  können,  und  daß  namentlich  die  bisherige  Negation 
der  Erkenntnis  des  Autochthonismus  der  Slaven  zu  den  größten 
Irrtümern  oder  wissenschaftlichen  Fälschungen 
aller  Zeiten  gerechnet  werden  niu  ß.'' ) 

Das  Rühren  an  den  bisherigen  Fundamenten  der  wissenschaft- 
lichen Ordnung  hat  gewiss  große,  ia  tiefeinschneidende  Konsequen- 
zen zur  Folge,  denn  nur  mit  bangem  Schrecken  wird  man  an  die 
Revision  der  Ur-  und  Kulturgeschichte,  der  Anthropologie,  der  My- 
thologie, der  Sprachwissenschaften  u.  s.  w.  schreiten,  was  wieder 
die  sozialen,  kulturellen  und  politischen  Ansichten  mächtig  beein- 
fiußen  dürfte.  Es  wäre  daher  zu  wünschen,  daß  sich  diese  radikale 
Richtigstellung,  sobald  der  tote  Punkt  überwunden  ist.  langsam  und 
bedächtig  vollziehe,  damit  in  der  Hast  nicht  Wertvolles  zugleich 
mit  Wertlosem  über  den  Haufen  geworfen  werde.  Zu  bedenken  ist 
das  eine,  nachdem  die  Sache  einmal  im  Rollen  ist :  je  g  r  ö  ß  e  r  d  i  e 
Q  e  w  a  1 1.  m  i  t  d  e  r  d  i  e  W  a  h  r  h  e  i  t  z  u  r  ü  c  k  g  e  h  a  1 1  e  n  w  i  r  d, 
umso  \- er  heer  ender  wird  sie  losbrechen,  sobald 
einmal  die  Ketten  springen! 

Diese  Zurückhaltung  hatte  aber  für  den  Fortschritt  im  allge- 
meinen einen  unberechenbaren  Schaden,  denn  Jahrhunderte  lang 
wurde  uns  eine  Wissenschaft  gewaltsam  aufgedrungen,  die  kein 
wahres  Wort  enthielt,  und  ganze  Bibliotheken  wurden  damit  an- 
gefüllt, die  nun  bestenfalls  für  die  Geschichte  menschlicher  Irrtümer 
einen  Studienwert  behalten;  hingegen  können  wir  nur  mehr  in  trost- 
loser Entsagung  \ermuten,  welche  sprachlichen  und  volkstümlichen 
Schätze  bereits  verloren  gegangen  sein  müssen,  wenn  wir  den  raschen 
Zeitflug  betrachten,  der  unsere  Sitten,  Gebräuche,  Trachten,  Dialekte 
u.  a.  schonungslos  hinwegfegt,  und  wie  viel  nuiß  erst  in  jenen  Zeit- 


"■)  Eine  sanfte  Auiriittlnng  bleibt  hier  ohne  allen  Effekt.  —  Als  Pro- 
fessor Dr.  Niederle  i.  J.  1907  (Cesky  casopis  bist.  p.  181)  in  einer  Kritik 
gegen  mich  schrieb,  daß  kein  i<Vernünftigerii  heute  mehr  an  die  Einwaii- 
üerung  der  Slaven  glaube,  inid  daß  ich  um  diese  Anerkennung  ganz  um- 
sonst kämpfe,  da  rührte  sich  nichts,  und  man  blieb  stillschweigend  xunver- 
niinftigK,  ebenso  wie  die  Lehrbücher  der  Geschichte  sonach  ruhig  ihre  be- 
wußten —  Lügen  weiterbeibehalten.  Es  beweist  dies  nur.  daß  ein  Katheder- 
spruch hiezu  noch  lange  nicht  genügt,  sondern  daß  demselben  erst  viele 
klare,  überzeugende  Beweise  vorangehen  oder  nachfolgen  müssen,  bis  man 
allgemein  daran  glauben  wird. 


3  — 


laufen  für  immer  entschwunden  sein,  die  jenseits  des  grauen  Nebels 
unserer  Vermutung  liegen! 

Es  ist  daher  ein  Gebot  von  allgemeiner  sprach-  und 
kulturgeschichtlicher  Bedeutung  noch  rasch  jenes  aus 
dem  Dämmerlichte  zu  retten,  was  schon  die  folgende  Nacht  für  alle 
Zeiten  mit  dem  Dunkel  zu  bedecken  droht.  In  diesem  Sinne  soll 
Alles.  —  nationaler  Partikularismus  muß  hier  vollends  ausgeschaltet 
werden,  —  die  Arbeit  einsetzen,  denn  der  Verlust  dieses  abstrakten 
Stammkapitales  mehrt  sich  mit  jedem  weichenden  Tage,  erschwert 
die  Forschungen  und  dezimiert  die  Belege  zur  tieferen  Erkenntnis 
unserer  wahren  Vergangenheit. 

Die  Arbeit,  welche  bevorsteht,  ist  enorm,  weil  unerwartet  viel- 
seitig, aber  wertvoll,  bildend,  erfrischend  wie  auch  politisch  nivellie- 
rend; sie  erhebt  den  Menschen  zu  einer  höheren,  kosmopoliti- 
scheren, den  Geist  veredelnden  Weltanschauung;  sie  erzeugt  jene 
sittliche,  ideale  Toleranz  gegen  Andersprachiges  und  Andergläubiges, 
deren  Mangel  wir  heute  so  empfindlich  verspüren;  sie  erweckt  ein 
geläuterteres  Gefühl  für  die  Erkenntnis  der  Relationen  der  Natur- 
kräfte zu  der  kulturellen  Entwicklung  der  Völker;  sie  erzieht  über- 
dies eine  Generation,  welche  ein  gerechteres  Urteil  und  einen  rich- 
tigeren Blick  für  die  Beobachtung  der  Gegenwart  wie  auch  der  Ver- 
gangenheit gewinnt,  und  bereitet  hiemit  auch  für  die  Wissenschalt 
einen  ansehnlichen  Stab  von  nüchternen  Archäologen,  Ethnographen, 
Kulturhistorikern  u.  drgl.  vor,  denn  jede  Gegend,  jeder  Ort, 
jeder  Name  verdient  und  bietet  dem  kundigen  Beobachter  ein 
unverhofft  reichliches  Studienmaterial ;  man  muß  nur  einmal 
den  Anfang  machen!*) 

*)  Welclie  Daten  vorwiegend  gesammelt  werden  sollen,  hiefiir  finden 
sich  im  Buchtexte  zahlreiche  Anhaltspunkte;  im  besonderen  wäre  aber 
Nachstehendes   zu   beobachten   und   gewissenhaft   tnederzuschreiben : 

a)  alle  topischen  Namen,  u.  z.  in  allen  ihren  Hauptvarianten 
von  der  bekannten  ältesten  Form  her.  Wenn  auch  der  Name  oft  gleich- 
zeitig die  gesamte  Geschichte  des  damit  belegten  Objektes  erschöpft,  so  ist 
dies  doch  nicht  gleichgültig,  da  darin  vergessene  und  sprachlich  wertvolle 
Begriffe  verborgen  sein  können,  daher  überall  nicht  nur  die  Wohnsitze. 
Gebirge,  Gewässer  u.  drgl.  zu  beobachten,  sondern  auch  die  ortsüblichen 
Namen  von  Rieden.  Fluren.  Öden.  .Äckern.  Wiesen,  Hutweiden,  Waldpar- 
zellen    Waldblößen,  Weingärten.  Partien   von  Höhen  und   Gebirgen,   dann 

1' 


—  4 


Welche  mächtigen  Sprach-  und  KulturSchätze  noch  im  Volks- 
tiime  brach  hegen,  wird  der  Leser  wohl  schon  aus  diesem  Buche 
entnehmen.  —  Ich  selbst  habe  meine  Forschungen  zum  großen  Teile 
auf  die  s!o\-cnische  Sprache  basiert,  nachdem  viele  Mo- 
mente dafür  sprechen,  daß  die  Slovenen  gewissermaßen  als  die 
Kronzeugen  der  sprachlichen  Urgeschichte  in  Europa  anzusehen 
sind;  ich  habe  hiebei  in  erster  Linie  der  Entstehung,  dann  B  e- 
d  e  u  t  u  n  g  der  topographischen  Namen  meine  Aufmerksamkeit  gc- 
widmet;  ich  habe  weiters  im  allgemeinen  verglichen,  was  in  unserer 
ältesten  Geschichte  natürlich.  Wahrheit  oder  Dichtung 
i  s  t,  und  glaube,  daß  jeder  andere  Forscher  unter  ähnlichen  Prä- 
missen, ja  selbst  bei  wechselnder  Sprachbasis,  meine 
Schlußfolgerungen  ganz  oder  doch  zum  großen  Teile  bestätigt  finden 
wird.  — 

Um  aber  überzeugend  zu  wirken,  war  es  eine  Grundbedingung 
vorerst  jene  sprachlichen,  kulturellen  und  ge- 
schichtlichen Welträtsel  zu  lösen,  welche  das  aus- 
schließliche Hindernis  bilden,  daß  die  allerdings  fast  schon  ver- 
steinerten Glaubenssätze  in  Bezug  auf  ihre  Richtigkeit  nicht  wieder 
einer  fundamentalen  Nachprüfung  unterzogen  werden  können.  Die 
urteilsträge  Masse  der  Menschheit  will  und  muß  daher  zu  einer 
derartigen  geistigen  Bewegung  aufgerüttelt  werden,  damit  sie  ihre 
erstarrten  Ansichten  endlich  einer  Revision  unterziehen  läßt,  und 
bezieht  sich  diese  auf  folgende  Hauptpunkte: 


Moräste.  Quellen,  u.  s.  w.  anzuführen  sind  unter  jjleiclizuitiRer  Beifügung. 
<ib  der  Name  der  Natur  des  Objektes,  falls  er  verständlich  ist,  im  allgemei- 
neii  entspricht; 

b)  eine  gedrängte  Geschichte  der  Ansiedlung.  der  Kirche,  Kapelle. 
Burg,  Ruine,  des  Meierhofes,  der  ältesten  Qehäude:  Nennung  der  Adels- 
geschlechter, welche  dort  wohnten;  erwähnenswerte  Kunstgegenstände, 
hervorragende  Grabdenkmäler;  alte  Aufschriften:  Oeburts-,  Wirkungs- 
oder Werdeort  berühmter  oder  erwähnenswerter  Personen;  kurzweg  alles 
geschichtlich  Interessante ; 

c)  erwähnenswerte  Naturschönheiten:  Lager  von  Naturschätzen 
(Erze,  Marmor,  Ton.  Bausteine,  Erdöl  u.  ä.);  Bergwerke:  Steinbrüche.  Erd- 
und  Felshöhlen:  alte  Töpfereien  und  Färbereien;  historische  oder  seltene 
Bäume.  Baumriesen ; 

d)  Anführung  von  Stellen  alter  (jräber.  Grabhügel.  Opferstätten, 
Richtplätze;  Fundorte  prähistorischer  Gegenstände  mit  besonderer  Beach- 
tung etwaiger  Inschriften  auf  den  Fundnbjekten.  wobei  die  Belehrung  dir 


a)  es  gibt  nur  eine  europäische  Ursprache:  deren  Elemente 
sind  zum  Teile  noch  gut  erkennbar  und  den  heutigen  slavischen 
Idiomen  form-  und  sinnverwandter  als  den  romanischen  und  ger- 
manischen ; 

b)  die  ältesten  schriftlichen  Denkmäler  in  Europa  —  die 
Runen  —  sind  slavischen  Ursprungs  in  modern  sprachlichem  Sinne; 
deren  Inhalt  ist  noch  heute,  —  soweit  sie  eben  entziffert  sind  — , 
vor  allem  dem  Slaven  verständlich  ; 

c)  der  weitgrösste  Teil  der  älteren  topischen  Namen  ist,  sofern 
diese  später  nicht  einer  etymologiewidi  igen  Metamorphose  unterlagen, 
nur  auf  slavischer  Sprachbasis  naüirlich  erklärbar.  Die  Haupt- 
motive für  die  topische  Namengebung  bilden  jedoch  die  Grenz- 
determinationen, denn  der  Mensch  steht  zu  seinem  Mitmenschen 
stets  im  gegenseitigen  Nachbarverhältnisse ; 

Minderijebildeten  über  dun  \\  issenschaftlichen  Wert  der  Gräberfunde  nicht 
aulierachtgelassen  werden  soll;  desgleichen  sollen  die  gesetzlichen  Bestim- 
mungen über  Schatzfunde  dem  Volke  zum  eigenen  Vorteile  bekannt  ge- 
macht werden; 

e)  Anführung  aller  jener  Punkte,  die  seinerzeit  für  die  Verteidigung 
der  betreffenden  Gegend  dienten,  tunlichst  unter  Beigabe  einer  Skizze; 

f)  Allgemeines  über  die  Verteilung  der  Dorffluren  daselbst.  Auffäl- 
liges und  Abweichendes  im  Vergleiche  zu  den  Nachbargemeinden;  Kata- 
sterskizze als  Beilage; 

g)  Aufzeichnung  von  ungewöhnlichen  oder  sprachlich  auffälligen  Be- 
nennungen für  die  Teile  des  Wohnhauses  und  der  Wirtschaftsgebäude,  der 
Hausgeräte  wie  der  agrarischen,  gewerblichen  und  Handwerker-Nomen- 
klatur; Benennung  der  Kleidungsstücke  und  Teile  derselben  bei  den  Trach- 
ten, falls  sie  lokal  von  der  Allgemeinheit  abweichen; 

h)  Aufzeichnung  von  Ortssagen  und  deren  Varianten;  lokal  bekannte 
Mythen,  Märchen,  Legenden  und  volkstümliche  Erzählungen;  abergläubi- 
sche Ansichten  und  Gebräuche  bei  Geburten.  Hochzeiten,  Todesfällen;  orts- 
übliche Gebräuche  zu  verschiedenen  Tages-  und  Jahreszeiten;  Erklärungen 
verschiedener  Himrnelserscheinungen,  der  Irrlichter,  Hausgeister,  Hexen; 
Traditionelles  über  das  Jus  primae  noctis,  die  Probenächte,  sowie  Ge- 
heimmittel und  sonstiges  Geheimwissen; 

i)  Anführung  nicht  allgemeiner  Sprüche,  Redensarten,  Vergleiche, 
Redefiguren,  Schmähausdrücke;  Begriffe  ungeklärter  Herkunft  und  Bedeu- 
tung; 


d)  die  Slavert  können  in  Europa  keine  Einwanderer  sein,  da 
es  eine  Völker»>anderung  im  landläufigen  Sinne  nie  gab;  wenn 
jemand  in  Europa  autochthon  ist,  so  sind  es  in  erster  Linie  die 
Slaven ; 

e)  gab  es  niemals  Nomaden  nach  den  heutigen  Begriffen 
sondern  nur  eine  oscillierende.  die  fahreszeit  ausnützende  Herden- 
wanderung innerhalb  des  Kalenderjahres  ; 

f)  die  älteste  Verfassung  ist  eine  patriarchalisch-allodale ;  die 
Wehrpflicht  ist  seit  der  Urzeit  eine  allgemeine:  sie  ging  aus  dem 
Streben  nach  persönlicher  Sicherheit  und  ungestörtem  Wirtschafls- 
betrieb  automatisch  hervor;  dies  setzte  eine  allgemeine  Sicherung 
in  der  Form  einer  tunlichst  technisch  verstärkten  Grenzverteidigung 
voraus:  in  diese  Zeit  reichen  auch  die  Keime  des  ältesten  Adels- 
und Burgenwesens ; 

g)  die  Urreligion  kennt  nur  erst  Menschen  als  Götter:  die 
Urhoheit  des  sozial  gegliederten  Menschen  war  sein  Gemeinde- 
ältester, zugleich  physischer  Beschützer  der  Gemeinde ;  alle  weiteren 


j)  Aufzeichnung  der  noch  bekannten  oder  gebräuchlichen  Hausarznei- 
mittel,  Heilpflanzen  und  sonstiger  pharmakopöischer  Details;  Nennung  der 
verschiedenen  Krankheiten:  Sjmpathiekuren  u.  s.  -w. 

Aus  dem  so  gewonnenen  Materiale  lietien  sich  unter  Führung  wissen- 
schaftlicher Gesellschaften  sodann  äußerst  wertvolle  Sammelwerke  und 
Monographien  verfassen. 

Tief  bedauerlich  ist  jedoch  gerade  die  österreichische  Rückständig- 
keit in  der  wissenschaftlich  geführten  Völkerkunde.  Gerade  Österreich, 
der  völkerbunteste  Intelligenzstaat,  hätte  es  in  erster  Linie  notwendig,  fun- 
damentale Ursprungsfragen  zu  beantworten,  denn  eben  darin  findet  der 
kulturell  so  beschämende  und  wirtschaftlich  destruktive  Nationalitätenstreit 
seine  Hauptnahrung,  weil  man  sich  gegenseitig  in  Bezug  auf  die  historische 
Entwicklung  nicht  kennt,  daher  auch  nicht  achtet,  denn  je  gründlicher  die 
Bildung,  desto  gröner  die  Toleranz!  —  Es  gab  wohl  eine  Zeit,  wo  Öster- 
reich zu  den  führenden  Mächten  für  Sprachen-  und  Völkerkunde  zählte 
und  seine  Pioniere  weltumspannende  Forschung  betrieben.  .Auf  diesen  Ge- 
bieten, die  einst  förmlich  zur  Dom.äne  österreichischer  Gelehrten  gehörten, 
haben  wir  jedoch  selbst  abdiziert,  und  brachten  es  glücklich  dahin,  daß  wir 
noch  heute  keine  einzige  Lehrkanzel  für  Ethnologie  besitzen,  daher  die 
Weiterforschung  dieses  Studiumgebietes  lieber  den  gelegentlich  auftauchen- 
den und  dabei  billigeren  Privatforschern  überlassen,  oder  aber  den  wissen- 
schaftlichen Effekt  aus  dem  .Auslande  beziehen,  wo  man  unsere  komplizierte 
Volkspsyche  am  wenigsten  gründlich  zu  erfassen  vermag. 


Erhöhungen  ins  Transzedente  basieren  auf  der  progressiven  mili- 
tärisch-sozialen Standesentwicklung ;  der  Nomenklatur  dieser  Rich- 
tung gehören  auch  die  meisten  Vor-  und  Zunamen  an; 

h)  die  Verteilung  der  Gemeindefluren  muß,  —  wenigstens  in 
Mitteleuropa  —.  schon  vor  dem  Inszenetreten  der  Römer  stattge- 
funden haben  ; 

i)  Sprache  und  Rasse  stehen  in  keinem  unbedingten  Zusam- 
menhange ;  die  Rassenlehre,  basiert  auf  Sprache  oder  Religion,  ist 
daher  eine  Absurdität; 

j)  die  verschiedenen  als  Fälschungen  stigmatisierten  Kultur- 
denkmäler, wie:  die  „barbarischen"  Münzen,  viele  Runeninschriften, 
die  Königinhofer  Handschrift  u.  a.  sind  keine  Falsifikate,  sondern 
wurden  lediglich  durch  die  Vermutung  und  Suggestion,  daß  die 
Slaven  älterer  Kuliurenuuiaiionen  entbehren,  logisch  zu  solchen 
gemacht ; 

k)  die  Kultur,  welche  sich  fast  ausschließlich  an  die  gemäßigte 
Zone  hält,  wechselt  augenscheinlich,  in  Aeonen  fühlbar,  ihre  Boden- 
ständigkeit nach   dem   Diktate  der  Präcessionsrliythmen  der  Erde. 

Mit  diesen  Leitmotiven  in  xoraus  \-ertraut  möge  nun  der  Leser 
zur  Selbstorientiening  über  den  Buchinhait  schreiten,  \vobei  es  aber, 
falls  jemandem  der  Begriff  «Slaven«  im  Titel  nicht  zuspricht,  auch 
ganz  gleichgültig  ist  dafür  nach  bisheriger  Qe^vohnheit  Germanen, 
Kelten,  Markomanen,  Basken,  Wenden.  Barbaren 
u.  drgl.  einzusetzen,  denn:  pro  captu  lectoris  habent  sua 
fata  libelli,  oder  anders  gesagt:  derjenige,  der  etwas  glauben 
soll,  was  er  nicht  glauben  v.  i  1 1.  bleibt  der  Enttäuschte! 


Allgemeines  über  die  Entstehung  der 
topischen  Namen. 

A  1  s  M  a  u  p  t  b  c  \\  e  i  s,  daß  die  Slaven  ein  europäisches  Urvolk 
—  also  keine  Zuwanderer  sind,  müssen  vor  allem  die  Orts- 
namen in  Europa  angesehen  werden,  denn  sie  alle 
zeigen  et.ymologisch  nur  noch  im  sla\-ischen 
Sprachschatze  das  an,  was  sie  eben  selbst  sind 
oderdarstellen.  —  Allerdings  obwalten  über  die  Entstehung  wie 
Bedeutung  topischer  Namen  noch  heute  Ansichten,  die  geradezu  ans 
Lächerliche  streifen.  Und  schließlich  ist  dies  nicht  einmal  verwunder- 
lich! Es  fehlt  auf  allen  Linien  die  Selbsterkenntnis  für  das  Unmög- 
liche und  Unnatürliche;  über  so  manche  geschichtliche  Begebenheit 
stolpert  schon  die  Logik;  es  entscheiden  auch  nicht  immer  die  Mittel 
blanker  objektiver  Wissenschaft,  sondern  entweder  eine  unfehlbare 
Kapazität,  der  subjektive  Fanatismus  oder  ein  kritikloses  Urteil. 
Wenn  jemand  allen  Ernstes  schreibt:  Vindobona  bedeute  «Die 
Gutes  Verheißende«;  Graz  habe  den  Namen  nach  den  «Grazieni' 
erhalten:  Znaim  (böhm.  Znojmo)  stamme  vom  slav.  Zeitworte 
Kznojim«  (=  ich  schwitze);  das  romantische  Felsgelände  Ross- 
trappe im  Harz  habe  den  Namen  nach  den  Hufspuren  des  reitenden 
Odin  erhalten;  M  ö  d  1  i  n  g  bedeute  «die  Sprechende«;  Slaven  sei 
gleichbedeutend  mit  «Sklaven«*)  und  ungezählte  Erklärungen  dieser 

')  Der  Begriff  .Sklave«  taucht  erst  im  späten  Mittelalter  auf,  daher 
es  wahrscheinlich  ist,  dan  irgendwo  eine  kleine  vSlaven«  sich  nennende 
Gruppe,  —  denn  einen  allgemeinen  Namen  gab  es  früher  nicht  — ,  in  Leib- 


Art.  so  muß  man  dies  umsomehr  bedauern,  je  höher  als  Autorität 
der  Erklärer  eingeschätzt  wird,  denn  es  befinden  sich  genug  Hoch- 
schulprofessoren darunter,  die  ungeprüft  oder  unbewußt  solche  unlo- 
gische und  dabei  sinnlose  Deutungen  aufstellen  beziehungsweise  gut- 
heißen. Und  auch  dieses  ist  eine  natürliche  Folge,  denn  demjenigen, 
der  ewig  von  demselben  Standpunkte  aus  forscht,  ergeht  es  gar 
leicht,  wie  dem  Verirrten  im  großen  Walde:  er  sucht  nervös  den 
Ausweg  und  läuft  dabei  im  Kreise  herum;  würde  er  aber  das  für 
solche  Fälle  bewährte  Hilfsmittel  anwenden,  einen  hohen  Baum  er- 
klimmen und  sich  einmal  über  die  Baumwipfel  hinweg  orientieren, 
so  könnte  er  den  Blick  für  das  Große,  Weite  und  Richtige  weit 
sicherer  gewinnen.*) 

eiffenschaft  k'erict  luid  :uui  die  beiden  Bedeutuns;en  eine  Diffusion  einjiin- 
gen,  daher  gerade  umsekehrt  aus  dem  Begriff  »Slave«  erst  nSklave«  her- 
vorgegatiKen  sein  konnte,  sofern  da  überhaupt  eine  Wortverwandtschaft 
obwaltet.  —  Dies  beweisen  auch  die  vielen  Ortsnamen  mit  der  Qrundsiibe 
i'Slav».  und  Sklaven  gründen  naturgeinäü  keine  Ansiedlungen.  denn  dann 
sind  eben  keine  Sklaven.  —  Dasselbe  gilt  für  die  «servin  der  Römer, 
welchem  Begriffe  Leute,  die  sich  «Serbin  nannten  und  bei  den  Römern  im 
Hausdienste  standen,  die  Grundlage  gegeben  haben  mochten.  —  Solche  ge- 
neralisierende Namen  ohne  Vollberechtigung  gibt  es  ja  auch  heute;  so  ist 
jeder  ambulante  Südfriichtenhändler  ein  nQottscheer  (kocevar)«.  wenn  er 
auch  aus  Hamburg  stammt;  der  Drahtbinder  heißt  stets  «Slovak».  wenn 
dessen  Wiege  auch  in  Amerika  stand  u.  a.  m. 

'')  Daß  ernste  Forscher  in  allerjüngster  Zeit  noch  Ortsnamen  entste- 
hen lassen,  wie:  «Clirastova»  sei  ein  Ort,  wo  nur  Krätzige  wohnen, 
(krasta  =  Kr.Ttze).  »Oenäsch«  (=  genäschige  Leute),  »SalinciH  (=  Spaß- 
macher), iiKominw  (=  Leute,  welche  schon  Kamine  kennen),  »Zec«  (= 
wo  ein  Hase  aufsprang),  nOschatzn,  wo  sich  jemand  an  seine  Liebe  mit 
«o  Schatz»  anbiederte  u.  s.  w.  ist  geradezu  unverständlich,  denn  es  wäre 
doch  schon  an  der  Zeit  mit  diesem  etvmologischen  Stumpfsinn  endlich  zu 
brechen.  —  In  neuester  Zeit  sucht  in  diesem  Sitme  Guido  von  List,  dem 
zuliebe  eine  eigene  Bücherei  behufs  leichterer  Veröffentlichung  seiner  «epo- 
chemachenden Forschungsergebnisse«  gegründet  wurde.  Schule  zu  machen. 
Ihm  ist  laut  Broschüre  Nro.  4  »Die  Namen  der  Völkerstämme  Qermaniens 
und  deren  Deutung»  (Wien  1909)  alles  a  r  i  o-g  e  r  m  a  n  i  s  c  h.  Hiezu  fol- 
gende Proben:  «Pest»  (ung.  Stadt),  lat.  Pestum,  das  irrtümlich  aus  dem 
altslavischen  »pesti»  (richtig:  pecse-Ofen)  abgeleitet  wird,  aber  aus  dem 
ario-germanischen  «bastarn«  entstanden  ist  und  sich  in  »basth»  und  englisch 
in  »besth»  ~  Pest  —  abgeschliffen  hat.  »Bas«  ist  ein  Unternehmer  (z.  B. 
niederländisch:  «Slaapbas».  einer  der  Unterstand  zum  Schlafen  gibt),  »tarn» 


10  — 


Wer  daher  zur  Erklärung  eines  topographischen  Namens,  wozu 
ich  auch  alle  Volksnanien  zähle,  schreitet,  muß  sich  vor  allem  darüber 
klar  werden,  welches  die  älteste  noch  erhaltene  Namensiorm  war. 
da  diese  meist  noch  natürlicher  aussieht  und  weniger  Gelegenheit 
hatte  irgendwie  verballhornt  zu  werden;  hat  er  nun  mit  seinem  ver- 
fügbaren Sprachschatze  das  namengebende  Wort  erkannt,  so  ist  jetzt 
noch  die  eigene  Besichtigung  der  Lokalität  not%\endig. 
um  zu  vergleichen,  ob  der  früher  sprachlich  festgestellte  Begriff  in 
einem  sichtbaren  oder  natürlichen  Zusammenhange  mit  den  tatsäch- 
lichen lokalen  Verhältnissen  steht;  dies  ist  aber  oft  mit  großen 
Schwierigkeiten  verbunden,  weil  einerseits  der  Ort  im  Laufe  der 
Zeiten  seine  ehmals  namengebenden  Bedingungen  durch  die  ge- 
änderten Verhältnisse  eingebüßt  haben  konnte,  andererseits  haben 
die  topischen  Namen  mit  den  sprachlich  bekannten  Lautreflexen  ge- 
brochen, sobald  sie  in  eine  andere  Sprache  übernommen  wurden, 
sich  daher  etymologisch  schwer  nach  rückwärts  verfolgen  lassen. 

Beispielsweise  kann  die  Entstehung  des  Namens  «Zips«,  — 
heute  im  Magyarischen  schon  in  «Szepes«  umgewandelt  — ,  niemand 
mehr  deuten,  der  nicht  weiß,  daß  er  stufenweise  in  seinen  Metamor- 
phosen  nach   rückwärts   verfolgt    «Zttbtz,   Zueptzer,   Zuppetz«    ge- 

=  Renntier;  also  »'Bastarn«  =  R  e  u  n  t  i  e  r  h  ä  1 1  e  r  (p.  87).»  —  Den  di- 
rekten Impuls  zu  dieser  Deutung  scheint  dem  Forscher  die  aus  einem  Tu- 
mulus  bei  Ödenburg  herrührende  Vase  mit  Renntierfiguren  gegeben  zu 
haben,  denn  dies  sei  »ein  Beweis,  daß  in  den  Tiefebenen  Ungarns  in  vorhi- 
storischer Zeit  das  Renntier  heimisch  war«  (p.  87).  —  «Ofen»  mit  seinem 
»Blocksberg»  war  eine  Opferstätte  und  daher  ein  »Ofen«.  Nun  zerfällt  aber 
der  römisch  scheinende  aber  urgermanische  Name  »Akinkumb«  in  drei  Ur- 
worte,  u.  z.  »ak»  =  hervorkommen  aus  dem  Sonnenfeuer,  »ing«  (ink)  die 
Abkömmlinge  (z.  B.  die  Karol-ing-er  =  die  von  Karl  abstanunenden  Män- 
ner) und  «kumb«  =  Hügel,  Berg,  also:  der  Berg  der  .Abkömmlinge 
des  Sonne  nfeuer,  somit  der  .Armanen,  welche  ihr  Leben  dem  Ursyr 
—  Gott  —  dargeboten,  geweiht  haben  (p.  89).«  —  »Steinamanger«,  das 
noch  seinen  urariogermanischen  Namen  »Sabaria»  führt,  den  auch  die  Rö- 
mer unverändert  übernommen  hatten,  erweist  sich  als  ein  Urort,  denn  «sax 
=  Sonne,  »bar«  =  Leben,  «ria»  —  entstanden,  d.  h.:  durch  die  Qott- 
sonne  ist  dort  Lehen  entstände  n»  (p.  88).«  —  Es  ist  wohl  kaum 
denkbar,  dan  jemand  von  der  «Quido-List-Qemeinde»  diese  »esoterische» 
.Akrobaten-Ftymologie  ernst  nimmt,  aber  diese  »Forschungsergebnisse»  sind 
umso  lesenswerter,  weil  sie  durch  ihre  handgreifliche  Uiuiatürlichkeit  nur 
die  Krkenntnis  der  wahren  Sachlage  beschleunigen  können. 


schrieben  wurde,  sonach  einst  «ziipa«  oder  »zupica«.  welchen  Be- 
griff schon  jeder  Slave  kennt,  gelautet  haben  muß.  —  Die  Entstehung 
des  Namens  xSaatz«  wird  erst  klar,  wenn  man  die  Et3'mologie  der 
slavischen  Namensform  xZatec«  kennt,  denn  xsad,  satu  bedeutet  im 
Slavischen  Grenze,  "Sadovecx  =  Grenzstein,  «saditi  =  Grenz- 
steine setzen;  daraus  kann  man  nun  mit  Sicherheit  schließen,  daß 
die  verballhornten  Namen  «Saaz.  Satz«  richtig  einst  »Sadec,  Satec« 
gelautet  haben  müssen,  und  deuten  die  vielen  Namen  «Novosad, 
Novosady,  Neusatz«  auf  eine  Lokalität,  wo  eine  befestigte 
Grenze  war  oder  eine  Grenzregulierung  vorgenommen  wurde. 
(Vergl.  den  Artikel  «Novi«.)  Einer  neuen  Anpflanzung  wegen,  wie 
man  modern  «novosad«  übersetzt,  wird  jedoch  eine  schon  beste- 
hende Ansiedlung  nicht  ihren  Namen  wechseln!  — 

L'm  weiter  den  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen  dem 
grundlegenden  Worte  und  der  LokaUtät  herstellen  zu  können,  ist  es 
auch  notwendig,  daß  der  Forscher  in  allen  Reichen  der 
NaturA\'issenschaft  bewandert  sei,  daß  er  große 
Vertrautheit  mit  den  folkloristischen  und  kultu- 
rellen Verhältnissen  sowie  den  geschichtlichen 
Begebenheiten  der  Umgebung  habe,  sowie  vor  al- 
lem ein  praktisch  geübtes  Auge  für  das  Erkennen 
der  Bodenplastik  in  militärischer  Hinsicht  be- 
sitze, und  alle  diese  Hilfsmittel  organisch  in  eine 
R  e  1  a  t  i  o  n  b  r  i  n  g  e ;  j  a,  e  r  m  u  ß  s  i  c  h  o  f  t  d  e  r  M  ü  h  e  u  n  t  e  r- 
ziehen  mit  dem  Spaten  tief  in  die  Erde  zu  graben. 
um  die  BeAxeise  durch  heraufgeholte  Kulturresi- 
duen zu  erbringen,  daß  die  Lokalität  einst  w  i  r k- 
lichdas\\"ar.  wasderen  Namebesagt.  —  Nurmitdie- 
sem  Rüstzeuge,  sozusagen  mit  einer  praktischen 
Etymologie  und  der  Autopsie,  ist  es  möglich 
schwierigere  topographische  Namen  mit  der  un- 
verkennbaren Richtigkeit  zu  deuten. 

Man  erreicht  allenthalben  mit  dem  Studium  der  Wurzelfornien 
beim  grünen  Tische  auch  manch  richtiges  Resultat,  aber  die 
weit  überwiegende  Zahl  läßt  sich  auf  diese  Weise  nicht  zutreffend 
erklären;  überdies  begehen  die  Theoretiker  bei  solchen  Untersu- 
chungen meist  den  gewichtigen  Fehler,  daß  sie  in  dem  Worte  Fein- 


Iieiten  suchen,  die  ein  natürlich  gegebener  Name  eben  nie  besitzen 
kann;  nebstbci  vergessen  sie  größtenteils  ganz  darauf,  daß  die  geo- 
graphische Phisiognomik  doch  mit  der  Benennung  der  Lokalität 
selbst  in  irgendeiner  Relation  stehen  müsse.  — 

Der  Hauptfehler  aber,  welcher  in  dieser  Richtung,  namentlich 
bei  den  ethnographischen  Namen,  gemacht  wird,  ist  der,  daß  derlei 
Namen  inferiorer  Natur  gleich  mit  den  superioren  glei- 
chen Klanges  zusammengeschweißt  werden.  So  findet  man 
z.  B.  Kroaten  und  Serben  in  Böhmen.  Polen.  Deutschland  und  Ruß- 
land, und  sagt,  daß  dies  Bruchteile  der  Kroaten  und  Serben  im  Süden 
seien,  und  dieses  ist  eben  grundfalsch;  dies  sind  lediglich  Be- 
zeichnungen, die  aus  der  Sprache  des  Bodens  hervorgegangen 
sind  und  unter  gleichen  Vorbedingungen  in  der  Natur  gleich 
lauten,  daher  darin  kein  organischer  ethnographischer  Zusammen- 
hang im  kleinen  gesucht  werden  darf.  —  Wenn  sich  z.  B.  die 
Kroaten  und  Serben  heute  befehden,  weil  jeder  für  sich  ein  eigenes 
Volk  zu  sein  glaubt,  so  ist  dies  ganz  irrig  und  lediglich  durch 
Sprachgelehrte  (Miklosich)  hervorgerufen  worden, 
welche  hypothetisch  eine  eigene  kroatische,  serbische  wie  sogar  eine 
eigene  bosnische  Sprache  (Jagic)  vielleicht  in  gutem  Glauben  und 
unbewußt  der  Auffassung  und  der  Folgen  aufstellten,  wo  es  doch  so 
natürlich  ist,  daß  alle,  trotz  Religions-  und  Schriftunterschieden, 
derselbe  Volks-  und  Sprachstamm  sin  d.*)  Hingegen 
gibt  es  Wenden.  Veneter,  Vinidi  in  Europa  und  gab  es  solche  in 
Kleinasien;  das  Grundwort  des  Volksnamens  ist  überall  das  slavi- 
sche  )>ven.  vin«  (=  Grenze),  aber  die  zugehörige  Sprache  gebrau- 
chen letztere  wohl  schon  seit  Tausenden  von  Jahren  nicht  mehr. 


")  Dem  Nichtkciincr  des  Kroatischen  und  Serbischen  gelten  infolge 
der  Entscheidungen  Miklosich's  beide  Sprachen  als  verschieden,  und  herrscht 
diese  Ansicht  selbst  in  hochgebildeten  Kreisen  vor.  weil  man  es  nicht  zu 
fassen  vermag,  daß  eine  solche  »Autorität  der  Wissenschaft«  aus  einer 
Sprache  gleich  zwei  machen  konnte,  wenn  sie  in  verschiede- 
nen Schriittypen  dargestellt  wird:  und  doch  hält  dies  ja  auch  niemand  für 
zwei  verschiedene  Sprachen,  wenn  er  das  Nibelungenlied  einmal  k  u  r  r  e  ii  t, 
das  anderemal  latein  geschrieben  sieht!  —  Es  ist  heute  ganz  unerklärlich, 
wie  ein  so  handgreiflicher  Irrtum  derart  gedankenlos  übernommen 
werden  und  wieso  er  sich  obendrauf  bis  heute  in  der  Oelehrtenwelt  erhalten 
konnte! 


]3 


Alle  topographischen  Namen  haben  eine  ganz  natürliche,  das 
Gebiet,  auf  das  sich  der  Name  bezieht,  charakterisierende  und  kurz 
beschreibende  Bedeutung;  man  suche  daher  in  der  Ortsnomenklatur 
nichts  weiter,  als  die  rein  praktischen  und  natürlichen  Gründe  für 
die  Naniengebung.  weshalb  es  begreiflich  ist.  daß  äußerlich  gleiche 
Objekte  gleichlautende  oder  (jleiches  bedeutende  Namen  tragen,  und 
sind  es  erst  die  Geographen,  welche  lokale  Namen  auf  ausgedehnte 
Gebiete  erweiterten.  Diese  Behauptung  bedarf  keines  Kommentars, 
und  kann  man  die  L'rcntstehung  solcher  Namen  ja  heute  in  analoger 
Weise  beobachten.  Für  die  verschiedensten  Teile  seines  Grundes 
hat  der  Bauer  praktische  Namen,  um  verständlich  über  die  Feldar- 
beiten im  eigenen  Bereiche  disponieren  zu  können.  Ich  führe  hier 
nur  einige  konkrete  Beispiele  an,  z.  B.:  Heute  wird  die  Wiese  «bei 
den  Eichen«,  "bei  den  alten  Gräbern«,  «die  nasse  Wiese«  usw.  ge- 
mäht; der  Hirt  treibt  heute  «in  die  Erlen«,  «in  die  Rodung«,  «in  die 
L'mzäumung«.  «zum  Moraste«  usw.  ursprünglich  kennt  diese  Ried- 
namen nur  der  betreffende  Besitzer  selbst;  mit  der  Zeit  nimmt  sie 
c'.ber  vielleicht  auch  der  hinzukommende  Nachbar  aus  gleichen  Grün- 
den an  und  so  pflanzt  sich  die  Bezeichnung  weiter  fort,  bis  der  Name 
allgemein  wird  und  schließlich  im  Kataster  wie  auf  der  Karte  auf- 
taucht, womit  dessen  Unsterblichkeit  nahezu  besiegelt  ist;  und  doch 
hat  nur  der  erste  Namengeber  die  natürliche  Namenberechtigung 
gehabt  eine  Lokalität  z.  B.  «bei  den  alten  Gräbern«  zu  kennzeichnen, 
obschon  längst  keine  äußeren  Anzeichen  für  diese  Benennung  mehr 
sprechen.*) 

Man  soll  aber  auch  in  diesen  Namen  keine  tiefsinnigen,  mj-tho- 
logischen,  symbolischen  oder  genealogischen  Deutungen  suchen, 
sondern  denke  stets  an  die  primitivste  Natürlichkeit,  an  die  «histo- 
rische« Sprache  des  Bodens,  denn  die  Summe  aller  topischen  Namen 
ist  nichts  weiter,  als  die  zutreffendste  und  idealste 
Kultur-  und  Militärgeographie  unserer  Erdober- 
fläche. Das  ist  die  nackte  Tatsache  der  embrionalen  Entstehung 
der  topischen  Namen  und  brachten  es  später  mehr  oder  weniger 

")  Auf  slavischeni  Gebiete  kann  man  bei  oft  vorkommenden  Flur- 
namen, wie:  u  mrtvich.  u  grobliu,  u  zabiteho  u.  ;i.  beim  Mangel  aller  äuße- 
ren Belege  mit  unfehlbarer  Sicherheit  annehmen,  daß  dort  tatsächlich  ein- 
stens jemand  beerdigt  W'Urde.  und  bringen  Nachgrabungen,  wenn  es  sich 
nicht  schon  um  Raubgräber  handelt,  immer  zugleich  den  Beweis  hiefiir. 


nur  Zufälligkeiten  mit  sich,  daß  der  eine  Name  für  weitere  Kreise 
unbekannt  blieb,  indes  sich  der  andere  auf  Gegenden,  Provinzen. 
Reiche  und  Weltteile*)  ausdehnte,  ohne  deshalb  als  Generalname 
zutreffend  zu  sein.  Konkrete  Anschauungen  und  unbeeinflußte  physi- 
sche Beobachtung,  nicht  aber  abstrakte  Reflexionen  entscheiden  daher 
in  der  Namengebung.  Deshalb  ist  auch  die  Erklärung 
der  Entstehung  und  Deutung  eines  topographi- 
schen Namens  nur  dann  als  reell  und  gesichert  an- 
zunehmen, wenn  sie  jeder  Methode  der  Prüfung 
standhält. 

Wie  erwähnt  sind  aber  die  Motive  der  topographischen  Namen 
meist  primitivster  Natur  und  kann  diesbezüglich  nicht  genug  zur 
Vorsicht  und  Rigorosität  gemahnt  werden,  da  es  sogar  weniger 
schwer  ist,  die  Fiktion  bei  der  Erklärung  eines  ungewöhnlichen 
Namens  zu  nichte  zu  machen,  als  das  Richtige  bei  jenem 
Namen  zu  treffen,  wo  die  Selbstverständlichkeit 
jede  weitere  N  a  c  li  p  r  ü  f  u  n  g  f  ü  r  überflüssig  hält.  Es 


*)  Die  Kiariegung  der  Namen  für  unsere  Weltteile  ist  schon  deshalb 
doppelt  schwer,  weil  sie  ein  unjrewöhnlich  hohes  Alter  haben  müssen, 
ehe  sie  die  progressive  Bewertung  eines  so  groiien  Landmassivs  erreichen 
konnten.  —  So  bedeutet  z.  B.  »Asia«  vom  Standpunkte  des  Russen:  das 
fremde  Gebiet,  denn  er  nennt  den  Fremden,  den  Kichtrussen  »asei, 
asejka.  asov«  und  kommt  der  Ortsname  «Asia«  (=  Orenzort)  am  Ufer  des 
Schwarzen  Meeres  auch  etlichemal  vor.  Was  also  dem  Russen  als  fremd 
galt,  also  jenseits  einer  gewissen  Grenze  lag.  hiefür  hatte  er  den  Kollektiv- 
namen «Asiaii.  —  Wir  kennzeichnen  ja  auch  heute  nichtasiatische  Gebiete, 
deren  Gebräuche  unseren  Kulturbegriffen  nicht  entsprechen,  als  H.\sien« 
oder  iiHalbasienii.  aber  nicht  etwa  xAfrikan  oder  «AustralienK.  welche  in 
der  Kultur  doch  weit  rückständiger  sind.  —  «Amerika«  hat  augenscheinlich 
den  Namen  von  wAmeric».  wie  die  Indianer  das  O  r  e  n  z  g  e  b  i  r  g  e  zwi- 
schen der  Moskitoküste  und  dem  Nikaraguasee  benennen,  und  soll  in  der 
Maya-Sprache  jener  Name  tatsächlich  die  Bedeutung  von  Grenze. 
Grenzland  haben.  Aber  auch  unsere  Namen  Amur,  Ammer.  Omar  u.a. 
deuten  auf  dasselbe,  denn  »omariti»  (mar  =  Grenze)  muß  einst  gleichbe- 
deutend mit  »abgegrenzt,  Grenze«  gewesen  sein,  da  «omara«  dem  Slo- 
venen  noch  heute  der  abgesperrte  Raum,  der  Kasten  ist.  —  Dieser  Grenz- 
begriff muß  also  bei  den  Indianern  schon  vor  «.Amerigo«  Vespuci  sehr 
gangbar  gewesen  sein,  daher  die  Ansicht,  daß  von  letzterem  der  Name 
«Amerika«  stamme,  der  nebstbei  Amerika  gar  nicht  entdeckte,  keine  Be- 
rechtigung hat. 


15 


mögen  daher  alle  Forscher  nach  Ortnamen,  wenn  sie  die  Sache  ernst 
nehmen,  vom  Grundsatze  ausgehen,  daß  eine  Auslegung  ohne 
Selbstbesichtigung  oder  Selbstüberprüfung  der 
Lokalität,  sowie  ohne  stete  Rücksichtnahme  auf 
die  einstigen  Vorsorgen  des  gesicherten  Wirt- 
schaftsbetriebes  in  den  meisten  Fällen  fraglich  bleiben  muß. 
Die  Forschung  dieser  Art  im  Zimmer  ist  allerdings  die  bequemere, 
aber  nicht  die  —  zuverlässigere! 

Die  topographischen  Namen  sind  erfahrungsgemäß  keinen  tie- 
fen Änderungen  unter\vorfen,  da  sie  zumeist  nur  an  eine  andere 
Sprache  angepaßt  oder  aber  übersetzt  wurden.  Diese  Anpassungen 
sind  jedoch  schon  dadurch  allein,  wenn  nur  ein  Laut  vertauscht, 
ausgeworfen  oder  eingeschoben  wurde,  von  solchem  Einflüsse,  daß 
der  wahre  Name  oft  schwer  oder  gar  nicht  mehr  erkannt  werden 
kann,  namentlich  wenn  nur  eine  Leseart  zu  Gebote  steht.*) 

Die  Ursprache  hatte  einst  auch  nicht  den  Vokalreichtum  der 
modernen  Sprachen,  was  man  den  Idiomen  der  heutigen  Naturvölker 
noch  immer  ansieht.  Die  ältesten  Begriffe  waren  daher  alle  konso- 
nantenreich und  sehr  v  o  k  a  1  a  r  m.  Die  Vokalophilie  ist  erst 
eine  Errungenschaft  der  Kultur,  namentlich  bedingt  durch  den  Ver- 
kehr mit  anderen  Völkern,  welche  die  ihnen  schwerfälligen  Silben 
der  Nachbarsprache  durch  Vokaleinschiebungen  abtönten.  Jene 
Sprachen,  welche  viel  Mitlaute  haben,  sind  daher  die  älteren  und 
dabei  an  Kasus  wie  Verbalformen  reicheren,  als  die  Dependenzspra- 
chen.  Darauf  basieren  daher  die  vielen,  infolge  Anpassung  schwer 
oder  gar  nicht  mehr  etymologisch  erkennbaren  Ortsnamen  im  Latei- 
nischen, Französischen,  Deutschen  usw.  —  Dasselbe  gilt  aber  auch 
betreffs  der  Übersetzung  derselben.  Übersetzungen  nahmen  fast 
ausschließlich  die  Deutschen  vor,  —  denn  die  sonstigen  Sprachen 
spielen  dabei  keine  fühlbare  Rolle,  —  und  begann  dieser  Prozeß  in- 
tensiv mit  dem  Beginne  des  12.  Jahrhundertes,  also  in  der  Zeit  der 


")  Die  bekannte  Erdsenkung  xMacochax  (Mähren)  hat  die  Volksety- 
mologie zur  -StiefmutterK  gemacht;  die  Volksphantasie  trat  noch  ergänzend 
mit  einer  etj  mologischen  Sage  hinzu,  und  so  blieb  es  bis  heute.  —  Geht 
man  aber  der  Sprache  der  Natur  nach,  so  kommt  man  zu  dem  überraschend 
richtigen  Schluße.  daß  der  Name  ursprünglich  als  «maciha«  gelautet  haben 
muß,  denn  »maciK  heißt:  senken,  nachgeben,  und  so  nannte  man 
richtigerweise  die  Stelle,  die  sich  gesenkt  hat. 


—  le- 
ersten tcihveisen  Gernianisierung  der  von  den  Slaveii  bewohnten 
Gebietsteile;  daß  aber  diese  Namen  nicht  später  von  den  Slaven 
übersetzt  wurden,  wie  man  allenthalben  behauptet,  wissen  wir  da- 
raus, daß  uns  die  ursprünglichen  Namen  aus  den  Zeiten  vor  der 
Übersetzung  ja  zumeist  in  alten  Urkunden,  in  den  Erd-  und  Sal- 
büchern,  sowie  Urbarien  erhalten  sind.  Die  Anpassung  an  die  sla- 
vischen  Namen  deutscherseits  führte  auch  nicht  mehr  zu  so  schwie- 
rigem Erkennen  des  Originalnamens,  wie  bei  den  römischen,  weil 
dies  etwa  1000  Jahre  später  geschah  und  die  primären  Namen  im 
Volksgedächtnisse  leichter  die  Kontinuität  aufrechthielten. 

Anpassungen  führten  jedoch  in  ungezählten  Fällen  später  zu 
irrigen  Namensauslegungen,  woran  freilich  nur  unser  unkla- 
res und  unmethodisches  Denken  und  Schließen 
schuld  ist,  weil  ^^'ir  die  Scheingründe  mit  den  Ver- 
nunftsgründen allzu  wenig  in  Einklang  bringen; 
man  glaube  daher  nie.  wenn  die  Sache  sprachlich  noch  so  klipp  und 
klar  zu  sein  scheint,  daß  je  ein  Ortsname  so  unmotiviert  kam.  wie 
etwa,  um  sich  eines  volkstümlichen  Spruches  zu  bedienen,  —  die 
Fliege  in  den  Milchnapf! 

So  ist  z.  B.  KQastein«  dahin  erklärt  worden,  daß  viele  Gäste 
die  heißen  Quellen  besuchen.  Die  Auslegung  ist  gewiß  naheliegend 
aber  an  sich  widersinnig,  denn  Qastein  mußte  eher,  als  Q  ä  st  e  doch 
eigene  Bewohner,  daher  auch  einen  eigenen  Namen  haben. 
Zudem  ist  Gastein  durchaus  nicht  die  Bezeichnung  für  den  Ort  mit 
den  heißen  Quellen  sondern  für  die  v  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  f  ä- 
h  i  g  e  Gegend  daselbst  (slav.  H  o  s  t  i  n ;  alte  Form :  G  a  s  t  u  n  a).  Der 
richtige  Name  für  das  Bad  Gastein  ist  HToplice«  (slav.  warme 
Quellen)  und  hat  sich  dieser  Name  daselbst  ja  auch  in  der  Verball- 
hornung »Tobelrisse"  noch  erhalten. 

Abgesehen  davon,  daß  auch  in  dieser  Hinsicht  ein  gewisser 
Rechtszustand  beachtet  und  die  Sicherung  der  sprachlichen  Zuge- 
hörigkeit niemals  ausgeschaltet  m erden  sollte,  müßten  die  hi- 
storischen Namen  von  amts  wegen  geschützt  und 
von  niemanden  m  u  t  \\  i  II  i  g  geändert  werden,  ^\"  e  i  I 
sie  eben  den  Ort  natürlich  charakterisieren.  —  Im 
Namen  selbst  steckt  zuglech  auch  immer  die  älteste  Geschichte  des 
Ortes,  welche  sich  damit  oft  auch  zugleich  erschöpft.  — 


\V.  V.  Humboldt  hat  schon  vor  etw  a  einem  Jahrhunderte  die 
Erkenntnis  ausgesprochen,  daß  «durch  die  Ortsnamen,  die  ältesten 
und  dauerndstenDenkmäler. eine  längst  vergangene  Nation  gleichsam 
selbst  ihre  eigenen  Schicksale  erzählt  und  es  fragt  sich  nur,  ob  ihre 
Stimme  uns  verständlich  bleibt«.  —  Doch  diese  Stimme  erkennen 
wir  nun;  will  man  aber  dieses  Erkennen  heute  gewaltsam  oder  durch 
Überhören  unterdrücken,  so  ist  dies  doch  nur  ein  müssiger  Kampf 
um  Zeitgew  inn,  denn  die  Wahrheit,  die  ja  ein  ewiges  Leben  vor  sich 
hat.  gelangt  schließlich  doch  zum  unbestrittenen  Siege,  und  erhalten 
alle  die  vorbereitenden  Arbeiten,  welche  einst  als  Wahngebilde  von 
Phantasten  ausgeschrien  wurden,  sodann  automatisch  ihren  vorent- 
haltenen Wert.  —  Es  wäre  daher  Sache  der  Qemeindevorstehungen 
dahin  zu  arbeiten,  dal.i  jeder  Ort  seinen  historischen 
Namen  auch  tatsächlich  führe  und  wäre  dies  im  beson- 
deren bei  jenen  Namen  geboten,  welche  die  Ortsbewohner  einem 
billigen  Witze  der  Nachbarn  deshalb  aussetzen,  weil  irgendein  be- 
schränkter Amtmann  einer  Patrimonialherrschaft  einst  dabei  geist- 
reich erscheinen  wollte,  und  Namen  wie:  Affentai,  Eselsdorf,  Qau- 
nersdorf,  Lausheim.  Ochsenburg.  Viehdorf  u.  ä.  konstruirte,  nachdem 
sich  diese  Namensformen  nur  durch  die  Sucht,  die  \'  o  r  h  a  n- 
denen  s  1  a  v  i  s  c  h  e  n  N  a  m  e  n  tunlichst  dem  Deutschen 
anzupassen,  e  n  t  \v  i  c  k  e  1 1  habe  n.*) 

Allerdings  ist  es  heute  noch  in  vielen  Fällen  schwer  wissen- 
schaftlich den  wahren  Urnanien  festzustellen;**)  es  müssen  aber 
vor  allem  der  klare  Blick  und  die  logische  Denkart  in  diesem  For- 

")  Sonderbarerweise  Reniigt  in  deutschen  Oebieten  der  unsiunlRSte 
eine  Na  m  e.  in  slavisclien  Ländern  müssen  aber  hingegen  stets  zwei 
liis  drei  Namen  die  Konfusion  in  Evidenz  erhalten. 

"*)  Es  ist  z.  B.  bisher  nicht  möglich  in  bestimmter  Weise  den  Namen 
Slaven«  sprachlich  zu  klären.  Höchstwahrscheinlich  ist  es.  daß  das  Wur- 
zelwort «slovic  gleichbedeutend  ist  mit  «Grenze«,  und  daß  den  Analogien 
entsprechend  «slovan.  slovak,  slavan«  ein  Hoheitsbegrifi  für  den  B  e- 
Schützer  der  Grenze,  den  S  c  h  ii  t  z  h  e  r  r  n,  den  Anführer  im 
Kampfe  ist,  aber  die  heutigen  sprachlichen  Belege  sind  von  ihrer  Urbe- 
deutung schon  bis  zur  Unkenntlichkeit  abgewichen.  Nur  der  Slovene  hat  in 
»slovo»  (=  Abschied.  Trennung)  und  «odsloviti«  (—  die  Heimat  verlassen, 
über  die  Grenze  gehen)  noch  Begriffe  organisch  verwandter  Richtung  im 
Gebrauche,  doch  genügt  dieses  Material  noch  nicht  zu  einem  abschließen- 
den Urteile. 


schungszw  eige  obenan  stehen,  denn  alle  Büchergelehrsamkeit  muß 
hier  als  Phantom  zusammenbrechen,  wenn  sie  nicht  durch  natürliche, 
unvoreingenommene  Beobachtung  gestützt  wird.*) 

Auch  mufj  allgemein  ge^var^t  werden  bei  der  Erforschung 
unserer  Ur-  und  Kulturgeschichte  der  Mythologie  welches  Feld 
einzuräumen;  gut  99%  derselben  sind  später  zugetragener  Flitter 
und  dichterische  Erweiterungen,  die  sich  in  die  natürliche  Vorstel- 
lung des  Urmenschen  gar  nicht  einfügen  lassen:  namentlich  hat  jene 
mit  topischen  Namen  nichts  zu  tun  und  kann  man  rundw  eg  alle  Aus- 
legungen dieser  Pro\enienz  für  xcrfehlt  erklären.  So  hat  sich  z.  B. 
Dr.  von  Peez**)  ein  Gebiet  zurechtgelegt,  aus  dessen  topographi- 
schen Namenseinzelheiten  man  sich  mnemotechnisch  die  germani- 
sche Mythologie  leicht  merken  könnte.  Er  sagt  (pag.  89):  «  .  .  .  die 
Verbindung  mit  so  vielen  bedeutungsvollen  Qötternamen  findet  sich 
doch  nur  hier  an  der  Grenze  von  Niederösterreich  und  Mähren  und 
zumeist  in  einem  kleinen  Berglande  zwischen  der  March  und  dem 
Marchfelde.  der  Thaya  und  dem  Qöllersbach.  Hier  liegen  Hollabrunu 
(Holla).  Völlabrunn.  Pohlsbnmn.  Pohlsdorf  und  Balderndorf  (Pohl. 
Beiname  Balders);  sodann  in  unmittelbarer  Nähe  Hadersdorf  und 
Hadres.  an  den  blinden  Hödur  gemahnend,  welcher  Baldern  unfrei- 
willig erschoß:  ferner  Misteldorf  als  Erinnerung  an  die  Waffe,  womit 
dies  geschah:  endlich  Wultendorf  (W'odensdorf?).  Erasbrunn.  d.  i. 
Brunn  der  Era  (Freia.  Holla).  Ketlasbrunn  (Qötzelsbrunn).  Hagendorf. 


")  Der  \\  erdesaiiff  zu  den  vorliegenden  Erfahrungen  war  gleichfalls 
bedeutenden  Schwankungen  und  Täuschungen  unterworfen,  denn  ursprüng- 
lich hing  ich  gläubig  an  den  Alltagserklärungen,  wie  ich  sie  hörte;  als  ich 
mich  aber  überzeugte,  daß  in  dieser  Hinsicht  keine  Logik  herrschte,  wurde 
ich  Anhänger  der  Keltomanen:  doch  der  tiefere  Einblick  in  diese  Hypothese 
überzeugte  mich  von  dem  sprachlichen  Irrtum,  denn  die  vermeintlichen 
keltischen  Namen  hatten  stets  eine  slavische  Wurzel;  nun  irrte 
ich  noch  dahin,  daß  ich  nicht  immer  auf  das  natürliche  Bild  beim  Namen 
eines  jeden  Terrainobiektes  drang,  was  aber  schließlich  nach  vielen  Ver- 
gleichen und  Beobachtungen  auch  zu  den  festen  hier  dargelegten  Grund- 
sätzen führte.  Ich  hatte  als  Offizier  hiezu  reichliche  Gelegenheit,  da  ich 
außer  den  eigenen  Reisen  jährlich  anläßlich  der  Manöver  durch  ein  Viertel- 
jahrhundert stets  andere  Gegenden  der  Monarchie  kennen  lernte,  und  so 
vielfach  an  Ort  und  Stelle  die  Relation  zwischen  Namen  und  Namenbe- 
rechtigung selbst  überprüfen  konnte. 

"")  Dr.  A.  v.  Peez.  Erlebt  —  Erwandert.  \\  ien  190i. 


Eiizersfeld  (Riesenfeld),  alles  mythologische  Namen,  die,  auf  einem 
kleinen  Bezirke  gehäuft,  von  großer  Heiligkeit  des  Ortes  und  wahr- 
scheinlich von  großen  geschichtlichen  Ereignissen  reden.  Es  ist  auf 
deutschem  Boden  keine  Stätte  bekannt,  wo  die  alten  deutschen 
Götter  noch  so  deutlich  erkennbar  auf  ihre  Enkel  herabblicken«.  — 
Nun  so  poetisch  geht  die  Namengebung  eben  nicht  vor,  denn  die 
primitiven  Urbewohner  werden  sich  hiebei  gewiß  nicht  einer  so 
kombinierten  Phantasterei  bedient  und  noch  weniger  die  entfernteren 
Nachbarn  gefragt  haben,  wie  sie  sich  zu  diesem  mythologischen 
Nanienzyklus  stellen.") 

'■')  Dr.  Peez  bringt  für  seine  Beweisführung  mitunter  vollends  unhalt- 
bare Dinge,  so.  z.  B.  (p.  7.3):  alle  Städte  in  Böhmen  sind  von  Deutschen 
gegrimdet  worden,  .abgesehen  davon,  daß  sich  der  Name  selbst  mit  dem 
Ursprung  einer  Ansiedlung  zugleich  bildet,  ist  diese  Beleuchtung  schon  ety- 
mologisch nicht  haltbar;  überdies  ist  der  Begriff  «Stadt»  nur  eine  formelle 
Differenzierung,  denn  eine  Ansiedlung  wird  erst  z  u  r  S  t  a  d  t  c  r  h  o  li  e  n  und 
nie  —  seltenste  Fälle  ausgenommen  —  gleich  als  Stadt  gegründet. 
—  Die  Städte  entstehen  aus  größer  gewordenen  .Ansiedlungen;  an  der 
Entstehung  und  Kultur  des  Ortes  ändert  aber  die  Erhebung  zur  Stadt 
absolut  nichts,  ebenso  wie  ein  Neugeadelter  ia  deshalb  keine  Umwertung 
in  anthropologischer  oder  morphologischer  Hinsicht  erfährt,  wenn  er  sich 
noch  so  verändert  gebärdet.  Dieses  häufige  Hervorheben  von  Städtegriin- 
dungen  ist  nur  eine  unbedachte  leoninische  Anmaßung;  den  Gefühlen  der 
gerechten  Anerkennung  würde  es  eher  entsprechen  jene  hervorzuheben, 
welche  die  erste  Ansiedlungen  bewußt  oder  unbewußt  in  einer  für  die  Fort- 
entwicklung günstigen  Lage  anlegten,  gleichgültig  ob  es  Deutsche  oder 
Slaven  waren,  denn  Bäume  setzen  und  Obst  pflücken  ist  doch  zweierlei!  — 
Und  zu  alledem  sagt  Peez  (p.  71):  »Wie  es  kam.  daß  in  dem  durch  seine 
zentrale  Lage  und  den  Gürtel  seiner  Berge  so  überaus  wichtigen  Böhmer; 
so  wenig  Spuren  deutscher  Ansiedlungen  aus  früher  Zeit  sich  finden,  ist 
scliwer  zu  sagen.  Wahrscheinlich  wurden  sie  durch  Kriege  und  iimere  Ver- 
folgung zerstört  oder  unkenntlich  gemacht.  Nach  «Franken«  oder  «Sach- 
sen» genannte  Orte  sind  noch  nicht  nachgewiesen.  Ganz  flüchtig  taucht 
in  der  Kriegsgeschichte  von  1866  ein  Frankenwald  (Branka-Wald) 
bei  Nachod  an  den  nach  Olatz  führenden  Pässen  auf  etz.»  —  Qriuidlicher 
konnten  seine  .Ansichten  von  Niemand  entwertet  werden,  als  er  dies  hier 
selbst  besorgt.  Die  vermuteten  deutschen  Ansiedlungen 
Sind  nie  dagewesen;  und  der  »Frankenwald»  ist  eben  eine  »Branka.- 
(branka  =  Wehr),  d.  h.  ein  Punkt,  wo  man  sich  am  günstigsten  zur  W  e  h  r  e 
setzen  konnte  (z.  B.  Blockhaus.  Wachhaus.  Tor),  wie  ansonst  an  ähnlich 
beschaffenen  Qebirgsspässen;  und  trotz  dieser  ureinfachen  Erklärung 
müssen  die  «Franken«  die  Wahrheit  verschleiern! 


nie  Gegenwart  macht  gerne  aus  allem  Politik,  d.  h.  wir  können 
uns  dieses  Einflusses  auf  die  Wissenschaft  infolge  der  permanent 
wirkenden  Eindrücke  des  modernen  Völkerlebens  schwer  erwehren, 
daher  bei  der  künstlichen  und  hochtrabenden  Auslegung  zumeist 
auch  nicht  die  Forschung  sondern  ein  bestimmter  Wunsch 
der  treibende  Faktor  ist.  —  Die  objektive,  nüchterne  Untersuchung 
ergibt  aber  eine  gründliche  Enttäuschung,  ebenso  wie  sich  die  Be- 
geisterung des  Theaterbesuchers  rapid  legt,  wenn  er  sich  die  Deko- 
rationen vom  Zuschauerräume  aus  zum  Schluße  auch  auf  der  Bühne 
ansieht.  —  Täuschen  wir  uns  doch  nicht  damit,  daß  wir  je  unsere 
Urgeschichte  auf  künstlichen  Stützen  für  die  Dauer  aufbauen 
werden!  Wenn  aber  etwas  logisch  klar  der  Natürlichkeit  wider- 
spricht, so  ist  es  Sache  der  Mandatare  der  Wissenschaft  den  Dunst- 
kreis panegyrischer  Vorspiegelungen  zu  durchleuchten  und  den  an- 
gedichteten Ruhmesflitter  der  Wahrheit  zuliebe  zu  beseitigen.  Die 
Wissenschaft  ist  ein  großes  Freigut,  die  nur  offene  Beweisführung 
verträgt;  würde  daher  jedermann  den  Mut  haben  auf  diesem  ernsten 
Forschungsgebiete  die  persönlichen  Rücksichten  und  das  Pa- 
godentum  abzustreifen,  so  wären  wir  über  das  Märchenhafte  unserer 
Urgeschichte  schon  längst  hinaus  und  stünden  bereits  auf  gewachse- 
nem Boden.  —  Der  richtige  Weg  hiebei  ist  nur  der  in- 
duktive, d.  h.  die  Folgerung  vom  Besondern  zum 
Allgemeinen,  vom  Bekannten  auf  das  Unbekannte. 
\  o  111  Lebenden  auf  das  Abgestorbene! 

W  enn  nun  in  Europa  die  meisten  ethnographischen,  sowie  viele 
Gebirgs-  und  Flußnamen  im  Altertume,  wenn  im  allgemeinen  in 
Europa  die  meisten  Ortsnamen  slavischen  Ursprungs  sind,  so 
müssen  sie  w  c;  h  1  von  S  1  a  v  e  n  herrühren,  denn  es 
konnten  doch  ii  ii  in  ö  g  1  i  c  h  S  1  a  v  c  n,  wenn  sie  erst  zur 
Zeit  der  sogenannten  «Völkerwanderung«  h  i  c  li  c  r 
vorgedrungen  wären.  Jahrhunderte  voraus  ir- 
gendwelchen Einfluß  auf  die  N  a  m  e  n  g  e  b  u  n  g  g  ■  ü  b  t 
haben;  und  wenn  so  \'  i  c  1  e  Völker  s  1  a  v  i  s  c  h  e  M  a  ui  e  n 
tragen,  so  müssen  ja  doch  eher  S  1  a  v  e  n  da  g  e  w  e  s  e  n 
sein,  um  die  Gelegenheit  zu  haben,  i  e  in  a  n  d  e  n  einen 
Namen  zu  geben;  wenn  sie  aber  später  gekommen 
wären,  so  hätten  sie  schon  festgelegte  Namen  \  o  r- 
gefunden   und  würde   wohl   niemand  eine   neue   Na- 


in  c  n  ji  c  b  11  n  K  beachtet  haben,  ebensowenig  wie  R  ö- 
m  e  r  und  Deutsche  in  d  i  es  e  r  Hinsicht  wesentlich 
etwas  änderten  noch  ändern  i<onnten;  ja  man  muß  ge- 
radezu staunen,  wie  rein  sich  die  Originalbegriffe  oft  erhalten  haben, 
daher  man  sie  gerade  deshalb  nicht  erkannte,  weil  der  Glaube  an  die 
reine  Erhaltung  bei  den  vielen  fremden  Einflüssen  nicht  ein- 
leuchtete. 

Wo  sind  überdies  die  Millionen  Menschen  hingekommen,  die 
von  den  Römern  unterjocht  wurden,  zumal  diese  so  staatsklug 
waren  und  jedem  Volke  Religion.  Sprache  und  Sitte  beließen?  Wie 
kommt  es.  daß  nach  dem  Sinken  der  weströmischen  Macht  auf  ein- 
mal Millionen  von  Slaven  Europa  in  ungezählten  Ansiedlungen  be- 
wohnen, und  doch  gab  es  auf  diesem  Gebiete,  so  lange  römische 
Macht  gebot  keine  derartigen  Vernichtungsschlachten,  daß  man  an 
ein  förmliches  Ausrotten  der  früher  dort  ansäßigen  Völker  denken 
könnte  und  daß  diese  Völker  sofort  und  so  massenhaft  durch  Slaven 
ersetzt  worden  wären! 

Sollte  übrigens  eine  so  großartige  Umwälzung,  daß  auf  ein- 
mal Millionen  bodenständiger  Menschen  durch  ebensoviel  zugewan- 
derte Slaven  abgelöst  worden  wären,  stattgefunden  haben,  so 
konnte  sich,  abgesehen  davon,  daß  ja  dadurch  ein  halber  Weltteil 
irgendwo  menschenleer  geworden  wäre,  die  Sache  wohl  nicht  so 
unbemerkt  abwickeln,  daß  es  die  römischen  und  griechischen  Schrift- 
steller, welche  sonst  ganz  belanglose  Vorgänge  verzeichneten,  gar 
nicht  wahrgenommen  hätten,  denn  unter  den  Völkern,  die  in  der  ver- 
meintlichen großen  Völkerwanderung  genannt  werden,  findet  man, 
wie  die  dermal  ige  Geschichte  behauptet,  verhältnismäßig  sehr 
wenig  Slaven. 

Wenn  man  daher  so  viele  geographische  Namen  in  den  ver- 
schiedensten Gegenden  mit  slavischem  \\  urzelworte  aus  vorchrist- 
licher Zeit  kennt,  welche  die  vollkommen  zutreffende  Charakteristik 
und  die  lokale  Übereinstimmung  mit  dem  damit  belegten  Objekte 
offen  dartun,  so  kann  dies,  selbst  bei  krassesten  Vorurteilen  —  bei 
\'  i  e  1  e  n  Tausenden  von  Namen  doch  keine  bloße  Zu- 
fälligkeit sein. 


—  22  — 

Die  gesamten  Beispiele  und  Erklärungen  in  diesem  Buche  sind 
daher  durchaus  nicht  vom  Verfasser  konstruiert,  erfunden  oder 
erdichtet  worden,  denn  die  Beweise  sind  ja  einerseits  in  den  Spra- 
chen niedergelegt,  anderseits  —  und  das  ist  das  weit  wichtigere  — 
stehen  sie  draußen,  für  jedermann  sichtbar,  im 
offenen  Lande!  Alle  diese  Namen  sprechen  aber  eine  fast  aus- 
sctiließlich  nur  dem  Slaven  verständliche  Sprache  aus  altersgrauer 
Zeit!  — 


li 


Etymologie  der  topischen  Mamen. 


Die  sprachwissenschaftliche  Durchforschung  der  topographi- 
schen Namen  ergibt  das  interessante  und  bisher  fast  gar  nicht  be- 
achtete Resultat,  daß  sich  die  weit  überwiegende  Zahl  dieser  Namen 
auf  das  S  1  a  v  i  s  c  h  e  zurückführen  läßt  und  nur  in  diesem  Sprach- 
zweige eine  Erklärung  mit  entsprechendem,  natürlichem 
Sinne  ergibt.  —  Die  nichtslavischen  Namen  dieses  Gebietes  be- 
zeichnen, soweit  sie  auch  erforscht  und  gedeutet  sind,  zumeist  se- 
kundäre Ansiedlungen  auf  einer  bereits  früher  verteilten  Oenieinde- 
flur.  welche  aber  im  besonderen  erst  nach  der  politischen  Besitzer- 
greifung der  slavischen  Gebiete  durch  die  Deutschen.  Franzosen. 
Italiener.  Rumänen.  Magyaren.  Osmanen  usw.  und  die  darauf  er- 
folgte Dcslavisierung  ins  Leben  gerufen  \\urden.  Diese  dürften  hie 
und  da  nichtslavische  Namen  haben,  w  as  man  rechtlich  so  lange  zu- 
geben muß.  bis  nicht  alle  Namen  durchforscht  und  ob  ihrer  Entste- 
hung und  Bedeutimg  geklärt  sind.  Aui  Grund  reichlicher  Erfahrungen 
kann  ich  aber  bereits  an  dieser  Stelle  eröffnen,  daß  auch  von  den 
Namen  dieser  Art  bei  weiterer  Forschung  recht  wenige 
verbleiben  dürften,  denen  man  diese  Entstehung  dauernd  zuer- 
kennen wird,  wenn  hiebei  mit  besonderer  Vorsicht  und  bei  voller  Aus- 
schaltung der  vorgefaßten  Meinungen  vorgegangen  wird.  —  So  ist 
die  .Ansicht  des  malerischen  Felsentales  »Rosstrappe«  im  Harzge- 
birge  (siehe  Figur  l)  doch  bezeichnend  für  das  zerklüftete 
Felsgebiet  (slav.  rozdrapa):  wo  es  ein  «Slatina«  gibt,  dort  ist  eine 
-Mineralwasserguelle;  wo  ein  »TopliccM  ist.  dort  findet  sich 


aucli  eine  warme  Quelle  vor,  mag  man  nun  den  Originalnamen 
auch  in:  Dobl,  Tobe!,  Tobelrisse,  Teplitz  u.  drgl.  entstellen,  und  las- 
sen sich  diese  Beispiele  in  die  Tausende  fortsetzen.*) 

Die  Namen  slavischen  Ursprungs  lassen  sich  aber  nicht  nur 
durch  die  deutschen  Gebiete  Österreichs  und  Deutschlands,  was  \a 
ohnehin  nicht  geleugnet  wird,  sondern  auch  in  der  Schweiz,  Italien, 
Spanien,  Frankreich,  Niederlande,  Dänemark  usw.  nahezu  untrüglich 
verfolgen;  daß  aber  die  östlichen  und  sonstigen  südlichen  Gebiete 
Europas  zum  großen  Teile  leicht  erkennbare  slavische  Namen  bc 
sitzen,  bedarf  nur  einer  vorübergehenden  Erwähnung.**) 

Es  wäre  auf  jeden  Fall  vom  hohen  Interesse  für  die  Wissen- 
schaft, zumal  für  die  Ur-  und  Kulturgeschichte,  festzustellen,  welches 
die  äußersten  Grenzen  der  topographischen  Namen  slavischer  Ge- 
nesis sind,  da  man  heute  nur  mehr  auf  diese  Weise  ernstlich  ergrün- 
den könnte,  wie  weit  die  einstige  Besiedlungszone  der  Slaven,  die 
zweifellos  weit  größer  war  als  die  heutige,  gereicht  habe;  doch 
auch  diesem  Streben  setzen  die  allgemein  oder 
sporadisch  durchdringenden  Reste  der  einstigen 
A  1 1  g  e  in  e  i  n  s  p  r  a  c  li  e,  der  Ursprache,  eine  U  n  c  n  d  1  ic  li- 
k  c  i  t  s  g  r  e  n  z  e. 

*)  Es  ijibt  wohl  auch  Ortsnamen,  die  gleich  oder  ähnlich  geschrieben 
sind,  welche  aber  der  erwähnten  VnraussetzunR  enthehren,  weil  sich  irgend- 
eine weniger  bekannte  Originaiform  diesem,  etymologisch  bekannteren  Na- 
men anpaßte.  — 

")  Auf  diese  Art  findet  auch  so  mancher  unlogische  oder  unverständ- 
liche Orts-  und  Familienname  erst  seine  .Aufklärung.  So  haben  die  böhmi- 
schen und  mährischen  Dinastengeschlechter  geradezu  modemäßig  im  XIII. 
.lahrhunderte  ihre  Namen  zu  germanisieren  begonnen,  von  denen  sich  noch 
urkundlich  manche  auf  die  slavische  Urform  riickverfolgen  lassen.  Der  slo- 
venische  Lradel  ist  z.  B.  fast  ganz  verschwiinden,  weil  er  schon  in  jener 
Zeit  seine  Namen  konventierte,  aus  welcher  bereits  vergleichende  Urkunden 
fehlen:  so  wurden  die  iiTurjaski»  zu  «.Auersperg»,  die  xOstroverhar»  zu 
«Schärienberg»:  die  Grafen  «Zidanicii  (Radkersburg)  sind  wahrscheinlich 
in  irgend\\'elche  «Mauerberg,  Mauerburg«  transponiert  worden;  die  Herren 
von  »Prueschenki'  hießen  einst  wohl  »Prezniku  und  nennen  sich  heute  viel- 
leicht: HLauer,  Lauerer«  (preza  slov.  Lauer);  die  auf  slovenischem  Gebiete 
hervorgegangenen  Adelsgeschlechter:  Schinkowitz,  Lugaster,  Osterwitz, 
Garrach,  Jabornegg,  Katzianer  u.  ä.  sind  in  der  slovenischen  Geschichte 
so  gut  wie  unbekannt;  die  Ktymologie  allein  deutet  noch  auf  deren  sprach- 
liche Zugehörigkeit. 


Es  kann  sich  daher  hier  in  erster  Linie  nur  darum  handehi.  zu 
beweisen,  daß  es  slavische  Ortsnamen  schon  lange  vor  Beginn  un- 
serer Zeitrechnung  gegeben  habe,  daher  im  Nachstehenden  haupt- 
sächlich solche  Begriffe  etymologisch  erklärt  werden,  die  in  den 
ältesten  Schriften  erwähnt,  also  älter  sind,  als  die  dermalige  Zeitan- 
nahme der  Slaveneinwanderung.  Selbstredend  folgen  aber  weiter 
auch  jene  Namen,  über  welche  sich  keine  älteren  schriftlichen  Be- 
weise erhalten  haben,  um  zu  zeigen,  daß  alle  ethnographischen  wie 
topischen  Namen  nach  demselben  Plane  konstruiert  sind,  und  die 
älteren  wie  die  jüngeren  im  breitesten  Sinne  nur  in  der  slavischen 
Sprache  ihre  natürliche  Deutung  finden;  es  müssen  sonach 
jene  Me  nschen,  welche  die  älteren  Namen  gaben, 
dieselbe  Sprache  gesprochen  haben  als  jene,  wel- 
che den  jüngeren  Namen  ihre  sprachliche  Basis 
\'  e  r  1  i  e  h  e  n,  d.  h.  die  junge  r  e  n  Namen  sind  ebenso  alt, 
wie  die  älteren,  nur  fehlen  noch  die  konkreten  Be- 
lege für  diese  Feststellung. 


Nachdem  es  einstweilen  noch  nicht  angeht,  alle  topischen  Na- 
men et\\  a  schon  in  alphabetischer  Ordnung  und  sprachlich  gesichtet 
anzureihen,  obschon  hiemit  bereits  der  Grundstein  für  ein  künftiges 
Monumentalwerk,  ein  «Allgemeines  etymologisches  Ortsnamenlexi- 
kon«  gelegt  erscheint,  weil  dies  einstweilen  zu  viele  Wiederholungen 
und  Hinweise  erfordern  würde,  so  werden  hier  die  wichtigsten  zur 
Erklärung  herangezogenen  Objekte  nach  der  praktischen  Verwer- 
tung in  kurzen  Monographien,  die  sich  aber  jede  für  sich 
noch  außerordentlich  erweitern  lassen,  etymologisch 
besprochen  und  zunächst,  wenn  auch  eine  genaue  sachliche  und 
technische  Scheidung  ausgeschlossen  ist,  umsomehr  als  die  konstant 
wirkende  Diffusion  im  Entwicklungsgange  dieser  Begriffe  nicht 
rückgängig  gemacht  werden  kann,  in  folgende  Begriffsgruppen  ge- 
schieden: 


A)  Sicherung  d  c  r  \\  e  i  d  c  p  I  ä  t  z  e ; 

B)  S  i  c  h  c  r  1!  II  g    der    G  e  b  i  e  t  s  g  r  e  n  z  e  n.    G  r  e  n  z  b  e- 
griffe; 

C)  III  i  1  i  t  ä  r  i  s  c  h  e  S  c  Im  t  z  o  r  g  a  n  i  s  a  t  i  o  n  der  U  r- 
\-  ö  1  k  0  r.  T  o  p  i  s  c  h  e  Namen  \-  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  t  e  c  h  n  i- 
!>  c  h  e  n  Ursprungs; 

D)  sonstige  t  o  p  i  s  c  h  e  Namen. 


A.  Sicherung  der  Weideplätze. 


Ein  unerwartet  erfolgreiches  wissenschaftliches  Resultat  ergab 
die  Untersuchung  der  überaus  zahlreichen  Benennungen  für  die  Si- 
cherungsvorsorgen, die  der  Urmensch  zur  Wahrung  der  persönlichen 
Freiheit  und  zum  Schutze  seiner  Existenzbedingungen  gebrauchte, 
denn  die  Organisation  der  Lebens-  und  Besitzverteidigung  bildet 
offenkundig  den  Uranfang  unserer  ältesten  Verfassungsform.  — 

Die  Völkergeschichte  bezeichnet  die  ältesten  Bewohner  ihrem 
Lebensunterhalte  und  Gewerbe  nach  als  Jäger-,  Fischer-  und  Hirten 
Völker,  die  ein  nomadisierendes  Leben  führten,  also  kein  seßhaf- 
tes Volk  \\ aren.  Die  nähere  Beobachtung  und  Über- 
prüfung dieser  Behauptung  bestätigt  sich  aber 
durchaus  nicht.  Weshalb  soll  z.  B.  ein  Fischer,  der  am  Meeres- 
ufer einen  günstigen  Fischfangplatz  gefunden,  nicht  daselbst  ständig 
ansäßig  bleiben,  denn  schließlich  ergänzt  sich  ja  der  Fischstand  durch 
Zuzug  und  natürliche  Vermehrung,  und  weshalb  soll  der  Mensch 
ungeschickter  sein  als  das  Tier,  welches  einen  günstigen  Lagerplatz 
mit  Vorliebe  immer  von  neuem  aufsucht.  Es  gibt  ja  noch  heute  pri- 
mitive Ansiedlungen  genug,  die  lediglich  im  Fischfange  und  Fisch- 
handel ihre  Existenzbedingungen  finden,  wobei  sie  noch  mit  vielfa- 
cher Konkurrenz  zu  rechnen  haben;  sie  wechseln  den  Fangplat?, 
wenn  dies  der  Erfolg  heischt,  ansonsten  kehren  sie  aber  stets  in  ihr 
ständiges  Heim  zurück.  --  Dasselbe  gilt  für  die  Jagd.  Man  suchte 
einen  Platz  auf,  wo  viel  Jagdwild  festgestellt  wurde,  und  ließ  sicii 
dort  nieder.  Sollte  da  etwa  die  Familie  mitgezogen  sein?  Gewiß 
nicht,  weil  dies  schon  für  den  Jagderfolg  an  sich  nachteilig  wäre. 
Auch  ist  dies  durch  die  Selbsterhaltung  begründet,  denn  geht  der 
nomadisierende  Jäger  immer  unstät  herum,  so  stößt  er  dabei  unwill- 


kiirlich  auf  andere  .lägersippcn,  Nvas  zu  einem  Streite  führen  muß. 
und  die  Geschichte  spricht  ja  von  Jagd  Völkern  und  nicht  von 
einzelnen  Jägerfamilien.  Schließlich  wird  der  Mensch 
wohl  auch  die  primitivsten  Verpflegsvorsorgen,  wie  sie  etwa  der 
Hamster  hat.  für  jene  Zeit,  wo  die  Fischerei  oder  die  Jagd  erfolglos 
ist  (See-  und  Schneestürme,  strenger  Winter.  Überschwemmungen), 
nicht  verabsäumt  haben;  oder  sollte  er  zu  dieser  Zeit  auch  herum- 
gewandert sein?  —  für  so  unpraktisch  und  gegen  sich  selbst  rück- 
sichtslos dürfen  \\\v  wohl  auch  den  Urmenschen  nicht  halten!  — 
Man  findet  auch  meist  an  eine  m  Platze  die  Knochen  der  unter- 
s  c  h  i  e  d  1  i  c  h  s  t  e  n  T  i  e  r  c  (z.  B.  Pi^edmost  in  Mähren,  Paris  u.  a.). 
da  der  Jäger  die  Beute  immer  \\  ieder  auf  dieselbe  Stelle,  d.  i.  zu 
seiner  Hütte  und  Familie  brachte.  —  Dasselbe  beweisen  ia  auch  die 
Kiökkenmöddinger,  die  mitunter  300  m  langen  und  bis  3  m  hohen 
Küchenabfallhaufen  oder  Kulturschuttlager,  welche  auf  größere  und 
langandauernde  Ansiedlungen  daselbst  schließen  lassen  und  bereits 
auf  hygienische  Vorsorge  deuten,  nachdem  die  Abfälle  nur  an  e  i  n  e  m 
bestimmten  Platze  abgelagert  wurden. 

Sicherlich  ist  es  aber  ein  unbedingter  Irrtum.  ^\  cnn  die 
Geschichte  auch  die  Hirtenvölker  als  Nomaden  bezeichnet.  Justinus 
schreibt  z.  B. :  «Die  Skythen  ließen  ihre  Herden  ohne  Aufsicht  von 
Ort  zu  Ort  ziehen,  ohne  zu  fürchten  sie  zu  verlieren,  weil  der  Dieb- 
stahl strenge  bestraft  wurde»  —  wobei  es  eben  gar  nicht  heißt,  daß 
sie  selbst  mitgezogen  sind,  denn  dann  wäre  ja  das  Verlieren  und 
Stehlen  der  Herde  unisoniehr  ausgeschlossen  gewesen.  Es  ergibt  sich 
daraus  von  selbst  die  Erklärung,  daß  der  Bewegungsraum  für  die 
Herden  natürlich  abgegrenzt  war,  denn  andernfalls  wären  sie  wohl 
nicht  so  sorglos  gew  esen.  da  sich  das  Vieh  in  unbegrenzten  Räumen 
doch  leicht  verläuft.*)  Die  Sache  ist  eben  anders.  Es  ist  richtig, 
daß  die  H  i  r  t  e  n  \'  o  1  k  e  r  «Nomaden«  waren,  aber  nur 
i  11  n  e  r  h  ;i  1  b  e  i  n  c  s  K  a  1  e  n  d  e  r  j  a  h  r  e  s ;  s  i  e  z  o  g  e  n  i  m  F  r  ü  ii- 
jähre  \'  o  n  ihre  n  W  i  u  t  e  r  s  i  t  z  e  n  mit  den  Herde  n  a  u  f 
die  nächsten  Weideplätze  und  trieben  sie.  nach- 
dem diese  abgegrast  oder  i  ii  f  o  I  g  e  d  e  r  S  o  n  n  e  n  g  I  ii  t 

')  Um  Zugehöiigkeitsstreite  zu  vermeiden,  wurden  die  Tiere  ver- 
schiedenfarbig gekennzeichnet  und  geschieht  dies  bei  gemeinschaftlichen 
Weideplätzen  noch  heute. 


a  u  s  g  c  d  o  r  r  t  waren.  ^\■  c  i  t  e  r  in  die  höheren,  kühleren 
Regionen,  also  auf  die  G  e  b  i  r  g  s-  und  A  1  p  e  n  w  e  1  d  e  ii. 
kehrten  aber  gegen  den  Herbst  wieder  zu  ihren 
S  t  a  m  ni  q  u  a  r  t  i  e  r  e  n  zurück.  Wir  haben  a  I  s  o  u  n  t  e  r 
dem  Nomadisieren  der  H  i  r  t  e  n  \'  ö  1  k  e  r  nur  einen 
j  ä  li  r  I  i  c  h  e  n  T  u  r  n  u  s  \'  e  r  k  e  h  r,  nicht  aber  einen  dau- 
ernden Domizilwechsel  zu  verstehen.  Und  Nomaden 
solcher  Art  gibt  es  in  Gebirgsgegenden  unverändert  auch  heute;  die 
obersteierische  Almwirtschaft  ist  z.  B.  anfangs  Mai  auf  den  Nieder- 
almen, im  Juli  und  August  auf  der  Hochalm,  dann  wieder  Niederalm. 
worauf  um  Mitte  Oktober  die  Heimkehr  erfolgt;  die  Herdenbesitzer 
von  Trebinje  und  Stolac  in  der  Herzegovina  ziehen  im  Frühjahre 
allmählig  mit  ihren  Herden  bis  auf  die  höchsten  Alpenweiden  der 
Prenj  planina  und  bis  zum  Q)uellgebiete  der  Narenta,  kehren  aber  uu 
Herbste  langsam  in  ihre  ständigen  Wohnsitze  d.  i.  in  die  wärmeren 
Niederungen  zurück,  wo  nach  der  Regenperiode  (September — Okto- 
ber) der  Graswuchs  von  neuem  ansetzt,  so  daß  die  Herden  durch 
die  günstige  Ausnützung  der  klimatischen  Verhältnisse  fast  ununter- 
brochen Qrünfutter  genießen  können.  —  Schließlich  ist  die  Benüt- 
zung der  Alpenw  eiden  und  Sennereien  in  Tirol,  Salzburg,  Schweiz, 
Italien,  Norwegen  u.  a.  auch  nichts  weiter  als  ein  partielles  Nomadi- 
sieren, denn  auch  auf  dem  Balkan  ziehen  ja  nicht  die  ganzen  Fami- 
lien, sondern  nur  die  hiezu  unbedingt  notwendigen,  oft  sogar  nur 
weiblichen  Mitglieder  mit  den  Herden,  für  welche  bereits  vielfach 
in  den  angestammten  Weidegebieten  auch  stabile  Unterkünfte  er- 
richtet sind.  *) 

Die  Benützung  solcher  allgemeiner  Weideplätze,  welche  z.  B. 
im  Annexionsgebiete  Staatsgut  (praedium;  sind.**)  führte  aber   oft 


')  Die  Zigeuner  führe  man  als  Beispiel  für  Nomaden  auch  nicht  an. 
denn  abgesehen  von  den  seßhaften,  wandern  nur  solche  herum,  die  Ihren 
Unterhalt  als  ambulante  Schmiede.  Kesselflicker,  dann  Wahrsager  u.  s.  \v. 
fristen  wollen,  was  ja  auch  nur  in  der  besseren  Jahreszeit  zutrifft. 

*')  Ähnliche  Verhältnisse  obwalten  auch  heute  auf  der  skandina- 
vischen Halbinsel.  —  Anläßlich  der  Unionstrennung  zwischen  Schweden 
und  Norwegen  wurden  Staatsverträge  abgeschlossen,  w  obei  unter  den  f  ii  n  t 
Konventionen  eine  auch  die  Bestimmungen  über  die  R  e  n  n  t  i  e  rw  e  i  d  e- 
rechte  der  nomadisierenden  Lappländer  enthält.  Hienach 


zu  größeren  Streitigkeiten  und  erbitterten  Kämpfen,  weil  sich  lu- 
stimnite  Bewohner  in  einem  gewissen  Räume  durch  jahrhunderte- 
lange Benützung  verjährte  Nutzungsrechte  erworben  haben,  daher 
fremde  Eindringlinge  mit  Gewalt  fernhielten.  So  haben  die  steten 
Kämpfe  der  Montenegriner,  Albanesen,  Türken  fast  durchwegs  diese 
Entstehung,  denn  das  Weiderecht  ist  für  jene  Gegenden,  wo  es  nur 
kargen  anderen  Erwerb  gibt,  von  den  ältesten  Zeiten  her  eine  heikle 
und  wichtige,  zumeist  sogar  eine  Lebensfrage.  Die  Furcht  vor  der 
Verdrängung  von  der  nährenden  Scholle  zwang  den  Hirtenvölkern 
eine  konstante  Kampfbereitschaft  auf,  daher  gerade  diese  Völker- 
schaften einen  auffallend  kriegerischen  Charakter  aufweisen.  *)  — 
Aus  obigem  G  r  u  ti  d  e  ist  ihre  W  e  i  d  e  z  o  n  e  mit  einem 
b  c  w  u  n  d  e  r  u  n  g  s  w  ii  r  d  i  g  e  11.  aber  doch  ganz  natürli- 
chen Verständnis  vertcidigugsfähig  gemacht,  — 
was  später  näher  beleuchtet  wird,  —  so  daß  auch  schon  diese  Tat- 
sache untrüglich  dagegen  spricht,  daß  die  Hirtenvölker  je  iiNomaden» 
waren,  ganz  abgesehen  davon,  daß  ein  planloses  Herumtreiben  der 
Herden  ja  zu  unvermeidlichen  Zusammenstößen,  sowie  in  Gegenden 
führen  könnte,  wo  durch  einen  anderen  «Nomaden«  die  Triften  be- 
reits abgegrast  waren,  —  alles  wohleinleuchtende  Gründe,  daß  die 
«Nomaden«  der  jetzigen  G  e  s  c  h  i  c  h  t  s  w  e  r  k  e  nur 
noch  in  ein  Märchenbuch  gehören. 

Aus  diesem  Grunde  entwickelte  sich  in  jeder  Gemeinde,  welche 
einen  kommunalen  Weideplatz  besaß  oder  auf  einem  neutralen  Bo- 


haben  die  Lappen  beider  Staaten  das  Recht,  mit  ihren  Renntieren  sich  im 
andern  Staate  während  bestimmter  Monate  auch  ohne  EinwiiligunR  der 
Grundbesitzer  aufzuhalten.  Es  handelt  sich  also  überall  nur  um  eine  jiihr- 
llche  Wanderzeit  mit  den  Herden,  und  nicht  um  ein  Verlassen  der  ständigen 
Wohnsitze. 

*)  Qrimm  hält  die  alten  Deutschen  für  Hirtenvölker,  die  stes 
bewaffnet  auftraten,  was  auch  Tacitus  an  den  Germanen  beobachtete, 
als  er  schrieb:  nihil  autem  neque  publicae  neque  privatae  rei  nisi  armati 
agunt.  —  Diese  Verhältnisse  haben  sich  bis  heute  wesentlich  modernisiert, 
weil  das  Waffentratcen  nur  mehr  an  besondere  Bedingungen  geknüpft  ist: 
dafür  tritt  aber  der  Cernogorze,  Arnaute.  .Mbanese  noch  immer  ständig  be- 
waffnet auf  und  steht  gerade  der  Slovene  noch  heute  im  berechtigten  Rufe, 
daß  ihm  die  Rauflust  angeboren  sei.  weil  er  so  manche  Arbeit  unter  Waffen 
verrichten  mußte,  so  lange  die  Osinaneneinfälle  an  der  Tagesordnung 
waren.  -  - 


•62  — 


den  verjährte  Weidegerechtsame  genoß,  ein  natürliches  Bcdürinis. 
daß  eine  geeignete  Person  der  Gemeinde  mit  der  Vertretung  und 
Wahrung  aller  Rechte  und  Pflichten  der  Gemeinde,  worunter  die  der 
Verteidigung  einstens  die  wichtigste  gewesen  sein  mochte, 
turnusartig  durch  ialh\eise  Wahl  betraut  wurde.  Es  kann  daher  gar 
nicht  überraschen,  daß  die  Begriffe  für  die  mächtigsten  Per- 
sonen wie  für  die  höchsten  Gottheiten  der  primitiven 
liirtenverfassung  entstammen,  %\eil  der  Älteste  einer  Gemeinde  die 
weltliche  und  geistliche  Obrigkeit  zugleich  repräsen- 
tierte; nach  der  Trennung  der  Funktionen  ging  aber  der  gangbare 
Name  auf  diesen  oder  jenen  Teil  über,  oder  erhielten  sich  auch  ge- 
meinsam. 

Die  Verteidigungspunkte  hatten  je  nach  ihrer  Lage,  Beschaffen- 
heit und  technischer  Vorbereitung  entsprechende  Benennungen,  dij 
so  verschiedenartig  Nxaren,  daß  es  heute  undenkbar  ist.  die  hiefür 
maßgebenden,  gewiß  sehr  subtilen  Unterschiede,  auch  nur  annähernd 
festlegen  zu  können;  aber  aus  diesen  Namen  ging  eben  die  Bezeich- 
nung für  den  Rechtsvertreter  und  Verteidiger  der  Gemeinde  hervor, 
die  sich  in  den  meisten  gangbaren  Namen  auf  diese  Weise  noch  heute 
erklären,  weil  nach  rückwärts  verfolgen  läßt.  Demnach  stand  der 
zupa  der  «zupan«,  der  carina  der  «carx.  der  pasa  der  xPaschaK 
(harampasa  heißt  noch  heute  in  einigen  Gebieten  Dalmatiens  der 
Dorfälteste),  usw.  vor. 

So  finden  wir  auf  dem  Wege  einfach  natürlicher  Betrachtun;.: 
die  Urform  unserer  heutigen  Staatsverfassungen  wieder,  wobei  nur 
der  Unterschied  besteht,  daß  mittlerweile  Gemeinden  zu  Staaten 
wurden  und  daß  folgerichtig  z.  B.  der  C  a  r  nicht  mehr  der  Vertreter 
einer  Gemeinde  sondern  solcher  eines  Reiches  ist,  da  sich  die  Ver- 
größerung und  Vermehrung  der  Gemeinden  und  dementsprechend  die 
Würde  des  Ältesten  derselben  in  gleichem  Verhältnisse  entwickelte, 
als  mehrere  Gemeinden  dasselbe  Oberhaupt,  was  namentlich  in  be- 
drängter Zeit  oft  geschah  und  auch  noch  wiederholt  geschichtlich 
belegt  erscheint,  wählten  oder  anerkannten. 

An  die  älteste  Form  der  politischen  \'erfassung  erinnern  nur 
noch  die  Namen  «pasa«  und  «zupa».  obwohl  deren  Zus.Tmmenhang 
mit  der  Organisation  der  Hirtengemeinden  auch  kaum  mehr  fühlbar 
ist.  — 


Pasa  war  ursprünglich  die  Bezeichnung  für  den  Beobachtungs- 
punkt.  von  w  eleheni  aus  man  die  Herde  beaufsichtigte  und  im  \veitc- 
ren  Sinne  sicherte.  Die  Grundbedeutung  steckt  in  den  Begriffen 
«paziti«  (=  achtgeben)  und  «pasti"  {—  auf  das  Weidevieh  achtgeben), 
deren  geringe  lautliche  Differenzierung  sich  in  der  Praxis  dadurch 
ausgebildet  hat.  daß  man  das  Achtgeben  entweder  im  allgemei- 
nen oder  speziellen  Sinne  kennzeichnen  wollte.  —  Weitere  Namens- 
fornicn  dieses  Stammes  sind:  pazka,  pazar.  bazar.  basca.  Unter 
«bazaric  versteht  man  den  Marktplatz,  d.  i.  den  Raum  auf  weichem 
man  sich  versammelt,  wo  Beratungen  stattfinden,  also  sozusagen  der 
-Alarmplatzii  für  die  Bewohner  einer  grölkren  Ansiedlung.  «Bazam 
ist  sonach  gar  kein  türkisches  Wort,  daher  auch  die  Ortsnamen:  Novi 
pazar.  Vir  pazar.  Pasarovic.  Pazariste.  Passeier  u.  ä.  nicht  von  den 
Türken  herrühren.  —  Die  Etymologie  dieses  Begriffes  lehrt  also,  daß 
so  benannte  Lokalitäten  schon  sprachlich  kennzeichneten,  dal3  man 
sich  beim  feindlichen  Angriffe  hier  einzufinden  und  zu  verteidigen 
habe;  es  hat  daher  auch  jede  älteste  Stadt  in  der  Mitte  einen  größe- 
ren Platz,  den  Ring,  denn  hier  konnte  man  sich  gut  verteidigen,  w  eil 
nur  in  den  paar  einmündenden  Gassen  der  Feind  abzuwehren  war. 
Paß  nebstbei  hier  auch  die  Verkaufslokale  waren,  ist  ja  selbstver- 
Ntändlich.  —  Gleichen  Ursprungs  ist  auch  der  Gattungsbegriff  »Paß^i, 
also  die  gefährliche  Übergangsstelle  im  Gebirge,  auf  die  man  a  u  f- 
passen  muß.  Das  beigegebene  Bild  der  Stadt  Passau  aus  d.  J.  16-44 
ztigt  überdies,  wie  sorgfältig  man  hier  an  der  Grenze  diese  Pas- 
sage, weil  die  Donauinsel  den  feindlichen  Uferwechsel  begünstigt, 
sicherte.  -  »Basca«  ist  dem  Kroaten  der  Garten,  d.  i.  das  E  i  n  g  e- 
friedete,  und  scheint  diese  Substantivbildung  origineller  zu  sein, 
als  »pasa«,  denn  die  ältesten  Goldmünzen  weisen  auch  die  Aufschrift 
'<pasca«  d.  i.  Pascha,  der  Verwalter  eines  «Paschalik«  (jetzt  = 
türkische  Provinz)  auf,  worin  auch  der  Hoheitsname  dieses  Grund- 
wortes enthalten  ist.  —  Auch  der  Name  des  ersten  geschicht- 
lichen Fürsten  der  Polen  «Piast«  ist  ursprünglich  wohl  nur  der 
Holieitsname  des  Ältesten  einer  kleineren  oder  größeren  Ge- 
meinde. Die  Polen  gebrauchen  auch  noch  heute  die  organisch  ver- 
wandten Begriffe  »piastow ac«  für  pflegen,  warten,  verwal- 
t  e  n,  wie  auch  für  c  h  i  k  a  n  i  c  r  e  n,  quälen;  »piastun«  ist  sowohl 
der  strenge  Wärter,  der  0  u  ä  1  c  r.  wie  auch  der  Kinder- 


Wärter.         «PastviskO)«   wurde  in  den  älteren  Urkunden  oft  als 
i'Piastviskox  geschrieben. 

Unter  «bacina«  versteht  der  Kroate  heute  eine  Sennerei: 
dem  Cechen  ist  aber  xbastaic  schon:  Bollwerk.  Turm.  Bastei,  dem 
Slovenen  nbastijaii,  dem  Franzosen  «Bastion«.  ~  Die  Wallachen  in 
Mähren  kennen  auch  «baca«  (bafa  =  Vater)  als  Hoheitsame.  welcher 
sich  als  Deminutiv  «hatjuska«  (Väterchen)  auch  irn  Russischen  er- 
halten hat. 

Ansonsten  gilt  «pasa«  heute  bei  den  Slaveii  im  allgemeinen  als 
ucr  Flurname  für  den  Hutweideboden.*) 

Ortsnamen  dieser  Genesis  sind:  Pasina.  Pasicina.  Paschendorf, 
Pasterze.  Baska.  Backa.  Bazany.  Waschka  u.  ä.  —  Von  den  ethno- 
graphischen Namen  gehören  hieher:  Bastarni.  ein  schon  von  Plinhis 
und  Mela  erwähntes  Volk  in  Ostgalizien;  die  Baschkiren  sowie  die 
Basker,  um  welch  letztere  sich  die  Wissenschaft  betreffs  deren 
sprachlicher  Zugehörigkeit  an  meisten  ereiferte.  Die  Etymologie  sagt 
aber  nun  geradezu  deutlich,  daß  die  Basken  nichts  weiter  als  die 
naturgemäß  berufenen  Wächter  der  Pyrenäenpässe,  also  jene  Be- 
wohner Spaniens  sind,  denen  der  Grenzschutz  gegen  Einfälle 
von  Norden  her  oblag,  d.  h.  so  benannte  man  im  allgemeinen  jene 
Personen,  welche  den  Grenzdienst  direkte  versahen.  —  Im  Süd- 
slavischen heißt  der  .Aufscher,  der  Wachmann  auch  noch  heute 
«paznik.«  — 

')  Das  Pascha-Fest  der  Juden  ist  meines  Erachteiis  urspriiiiKlich 
nichts  weiter  als  der  Abschiedschniaus  der  mit  den  Herden  über  den  Som- 
mer fortziehenden  Hirten  einer  Gemeinde,  denn  Ostern  gilt  auch  in  den 
.Alpenliindern  als  der  Beginn  der  offiziellen  Weidezeit  und  wird  noch  jetzt 
der  aufgenommene  Qemeindeliirt  angewiesen,  sich  am  Ostermontage  anzu- 
melden. —  Das  Laubliiittenfest  hingegen  war  die  Feier  der  Rückkehr  der 
Herden  im  Herbste,  welche  gleichfalls  mit  einem  Schmause  begangen  wurde; 
die  tatsächlich  erbauten  Hütten  hatten  wohl  nur  die  Bestimmung  für  die 
Cberwinterung  der  Herde.  —  Daß  das  Laubhiittenfest.  welches  gegen  Ende 
Oktober  geeifert  wurde,  ein  Erntefest  gewesen  wäre,  ist  entschieden  un- 
richtig, weil  im  südlichen  Klima  iede  Ernte  im  Vergleiche  zu  unseren  \er- 
hältnissen  in  Mitteleuropa  mindestens  einen  Monat  früher  stattfindet;  man 
begeht  aber  ein  Erntefest  eben  am  Schhiße  der  Ernte  und  nicht  2 — 3  Monate 
später.  —  in  den  .^Ipengegenden  werden  sowohl  der  .Auf-  als  auch  der 
Abtrieb  der  Herden  durch  ein  Gelage  gefeiert. 

3- 


Meiner  Behauptung,  daß  das  Baskische  ein  Rest  jener  Siavcn 
sei.  welche  einst  die  iberische  Halbinsel  bewohnten,  stellt  man  die 
Hypothese  entgegen,  daß  dies  eine  keltische  Sprache  sei,  was 
schließlich  auch  richtig  ist,  denn  das  Keltische  ist  ebenso  auch 
Slavisch,  \\oriiber  später  noch  gesprochen  wird.  Es  dreht  sich  der- 
malen noch  alles  in  einem  planlosen  Rundlauf  um  das  unauffind- 
bare Keltisch,  welches  von  den  Kabinettsgelehrten  als  ein  willkom- 
mener Universaltopf  angesehen  wird,  in  den  man  kurzweg  alle 
sprachlichen  Rätsel  w  irft. 

Tatsache  ist,  daß  die  älteren  topographischen  Namen  sowohl 
auf  baskischem  Gebiete,  wie  auf  der  iberischen  Halbinsel  überhaupt 
relativ  slavische  Grundwörter  aufweisen.  Dieses  ist  bei  dem  Cha- 
rakter des  Wohngebietes  der  Basken  besonders  einleuchtend,  denn 
sie  wurden  als  isolierte  Gebirgsbewohner  von  der  Ronianisierung 
nicht  so  intensiv  betroffen,  weil  das  Gebirge  stets  eine  natürliche 
Wehr  der  Entnationalisierimg  bildet,  da  der  Verkehr  erschwert  ist; 
der  Gebirgsbewohner  wahrt  daher  auch  seine  hergebrachten  Sitten 
und  Gebräuche  besser,  hängt  also  an  seinem  Volkstume  zäher,  als 
der  Ebenebewohner,  wo  der  gemischte  Verkehr  eine  Anpassung  an 
das  Fremde  schon  aus  Erwerbsgründen  fördert. 

Es  fällt  aber  auch  auf,  daß  gerade  die  ältesten  Gebrauchs- 
vvörter  konkreter  Natur  im  Baskischen  mit  den  slavischen  —  und 
unter  diesen  zumeist  mit  den  slovenischen  —  die  engste  sprachliche 
Verwandschaft  zur  Schau  tragen.*)  —  Ich  kann  dermalen  wohl  nicht 
von  spruchreifen  Forschungsergebnissen  auf  diesem  Gebiete  spre- 
chen, da  es  meine  Verhältnisse  nicht  zuließen  an  Ort  und  Stelle  den 
Kontakt  zu  bewirken,  aber  ich  fand  beim  Studium  der  baskischen 
Sprache  immerhin  Beispiele  genug,  welche  meiner  Behauptung  eine 


*)  Darauf  hat  zuerst  Joh.  Topolovsek  in  seinen  Werke:  Die  basko- 
siavische  Spracheinheit  (Wien  1894)  die  wissenschaftliche  Welt  aufmerksam 
gemacht.  —  Wie  es  sich  nun  herausstellt  sind  die  Behauptungen  dieses 
Sprecliforschers  ganz  begründet,  und  wirkt  es  geradezu  abstoßend,  wenn 
man  sich  nur  an  einen  kleinen  Teil  jener  Orgien  erinnert,  welche  die  nOe- 
lehrten«  seinerzeit  veranstalteten,  um  Topolovsek  als  einen  Phantasten 
und  Ignoranten  zu  stempeln.  Zum  Glücke  ist  es  dem  unerschrockenen 
Forscher  noch  beschieden  den  starken  Einschlag  der  Skrupellosigkeit  des 
Zunffgelehrtentums  in   eigener  Sache   aufgedeckt  zu  sehen.  — 


—  37 


unleugbare  Berechtigung  verleihen.  Man  vergleiche  auOer  den  im 
Texte  sporadisch  vorkommenden  Hinweisen  noch  folgende  baskische 
Wörter: 

Bandera,  baldera  =  Fahne;  slov.  bandera  =  Kirchenfahne 
(vergleiche  auch  Banner,  Banderium);  bazka  =  Weideplatz;  slav. 
pasa,  pasca,  pastvo,  pastvisko  etc.  (=  Weideplatz;  lat.  pascua); 
behia  —  Weidevieh,  Kuh;  slov.  beka  =  Schaf,  bekati,  böhm.  beceti 
=  blocken;  bola  =  Beule,  Kugel;  slov.  bula  =  Beule,  das  Ge- 
schwellte; bular  =  Zitze,  weibliche  Brust,  (vergl.  bola).  Bei  den  sla- 
vischen  Türken  ist  nbulan  =  Frau,  Mutter,  Säugerin;  im  Deutschen. 
Buhle  (Geliebte)  und  »Fulla«  der  nordischen  Mythologie  in  der  Auf- 
fassung: Amme,  Kinderfrau;  bask.  cepois  =  Holzprügel;  slov.  cep; 
choko  =  Winkel;  slov.  kot;  derna  =  Handfläche;  slov.  dm  = 
Zucken  in  der  Hand.  (Vergl.  auch  den  deutschen  Vulgärausdruck : 
Dern,  Tern  =  Schlag  mit  der  flachen  Hand);  err  -=  Ende,  Spitze; 
slov.  rt  =  Spitze;  ezcura  =  Eiche;  slov.  sura  =  Korkeiche;  gar 
=  Flamme;  slav.  zar  =  Flamme,  Glut;  bask.  garabia  =  Krahn, 
Hacken;  slov.  grabiti  =  erfassen;  bask.  gori  =  brennen;  slov.  goreti 
=  brennen;  bask.  goritu,  gorizen  =  in  Liebe  brennen,  küssen;  slov. 
goreti  (za  koga)  =  begeistert  (für  jemand),  schwärmerisch  lieben; 
gora  =  gegen  die  Höhe,  auf  der  Höhe;  slov.  gor,  gori  =  hinauf;  bask. 
gorena  =  hoher  Berg,  slov.  gorenje,  Gorenjsko  =  Gebirgsgegend; 
bask.  goierritar  =  Gebirgsbewohner;  slov.  goricar  =  Bergbe- 
wohner; gorhain,  gorhaindu  =  Reiz  zum  Ekel.  Brechreiz;  slov.  gorki 
=  bitter,  etwas  zum  Brechen  Reizendes;  heya  gora  =  ein  Klageruf 
(interjeckt.);  slov.  oj  gorie  =  ach  weh!;  kukudatz  =  das  Gackern 
der  Henne  nach  gelegtem  Ei;  slov.  kokodajsk;  leka  =  Hülse.  Schote: 
slov.  leca  =  Linse  (bot.);  liska  =  Moor,  Sumpf;  im  Slovenischen  be- 
zeichnet man  damit  durchwegs  Wassertiere  und  Sumpfpflanzen; 
bask.  liskar  =  Streit;  slov.  liskati  =  sich  im  Streite  schlagen,  sich 
ohrfeigen;  menast  =  metallen;  slov.  menast,  medinast  —  erzen; 
menina  =  Geschmeide;  palanka  =  Stange,  Stab;  slov.  planka  = 
Zaunpfahl;  phuncella  =  Jungfrau;  slov.  punca  =  Mädchen;  phone- 
tisch ähnlich  klingend  auch  deutscher  Vulgärausdruck  in  verächt- 
lichem Sinne  als  HFunze«  und  xProfunzK*);  bask.  poistarika  =  Bach- 


°)  Die  Lausitzer  Wendinneii  bezahlten  als  Heiratsabgabe  an  den 
Gutsherrn  einst  das  »Punzengeld».  ein  Ausdruck,  den  sich  die  Sprachfor- 
scher bis  nun  nicht  erkUiren  konnten. 


—  38 


Stelze;  slov.  pastarica;  picher  =  Wassertopf;  slov.  —  pisker;  pikarda 
=  scheckig;  slov.  pikast  =  gesprengelt,  punktiert;  pot,  poz  = 
lustig  sein,  küssen;  slov.  bozati  =  liebkosen,  streicheln;  daj  poc  = 
Handkuß  der  Kinder;  senar  ==  der  Ehemann;  slov.  zenar,  ist  aber 
in  der  Bedeutung  Ehemann  (einer  der  sich  eine  Frau  —  zena  ge- 
nommen) nicht  mehr  im  praktischen  Gebrauche,  obschon  es  eine 
genauere  Determination  bietet,  als  «nioz«,  das  nur  einen  Mann 
ohne  Standesangabe  bezeichnet;  sopa,  slov.  soba  =  Zimmer.  Kabine; 
zama.  sama  =  Last.  Bürde;  slov.  saraar  =  Tragtier;  samariti  - 
ein  Tragtier  führen.  —  MSamaritern  ist  wohl  auch  desselben  Ur- 
sprungs und  wird  in  der  Bibl.  Geschichte  stets  mit  einem  seitwärts 
stehenden  Tragtiere  abgebildet;  Sa  um  weg  ist  sonach  ein  Sla- 
vismus  und  bezeichnet  einen  Weg,  auf  dem  man  Lasten  nur  t  r  a- 
gend  fortbringen  kann  (auch  Grenz  weg);  zamarra  =  Bluse, 
hochgeschlossenes  Kleid;  böhm.  camara  —  hochgeschlossener  Rock, 
geltend  als  Nationalkleid.  Der  Slovene  kennt  nur  den  Begriff  «camer« 
für  den  Aufseher  einer  Herde  (tamor!)  und  für  eine  Mütze  aus  Schaf- 
wollstoff. Es  scheint,  daß  es  sich  hier  um  ein  besseres,  repräsenta- 
tives Kleid  aus  feinerem  Wollstoffe,  also  um  ein  Festkleid  handelt, 
dessen  Qualität  dem  jetzigen  Samt  ähnelte,  mit  dem  es  auch  sprach- 
lich verwandt  sein  dürfte;  zanko  =  Franse;  slov.  zanka  =  Masche. 
Schlinge  (am  Schlüsse  einer  Näh-,  Knüpf-  oder  Webearbeit);  zapi  = 
Stück  Leinen;  slov.  capa  =  Fetzen,  Stück  fadenscheinigen  Leinens; 
zapata  ^  Schuh;  zapatu  =  schwer  gehen;  slov.  copata  =  Flecht- 
schuh. Patsche;  copati  =  schleppend  gehen,  im  Kote  marschieren; 
copak  =  einer  mit  defekter  Beschuhung  u.  s.  w. 

Das  Baskische  ist  sicherlich  durch  die  beiden  romanischen  Nach- 
barn (Franzosen  und  Spanier),  vielleicht  teilweise  auch  durch  die 
ungenaue  Darstellung  der  Aussprache,  —  nachdem  die  vorhandenen 
Sprach-  und  Wörterbücher  nicht  von  Verfassern  baskischer  Mutter- 
sprache stammen,  —  auffällig,  ia  unnatürlich  mit  Aokalen  überfüllt, 
daher  der  etymologische  Kern  eines  Begriffes  zumeist  schwier  aus- 
zulösen ist.  Immerhin  müssen  aber  die  wenigen  Beispiele  bereits 
jedermann  stützig  machen,  ob  denn  dies  alles  reine  Zufälligkei- 
ten seien.*) 


*)  Ais  Kuriosität  sei  erwiihnt.  daß  das  Metropfilitankapitel  von  Pam- 
plona  bereits  im   ]7.  Jahrhunderte  das  Baskische  als  die  Sprache  des 


Diese  unerwünschte  Klärung  und  Festigung  der  spracliiichen 
Zugehörigkeit  des  Baskischen  steht  aber  nicht  vereinzelt  da.  Auch 
die  plötzliche  Entdeckung  des  Sanskrit  übte  seinerzeit  einen  unan- 
genehmen Druck  auf  die  konservative  Wissenschaft  aus.  als  die 
zerstreuten  Sprachelemente  der  verschiedensten  Zungen  auf  einmal 
in  den  neu  ausgegrabenen  V  e  d  e  n  wieder  ihre  Blutsverwandten  er- 
kannten; als  es  überdies  feststand,  daß  die  Hindudialekte  dieselbe 
Grundlage  haben,  wie  die  liauptsprachen  Europas,  da  kam  doch  zun 
7  eile  der  absurde  Gegensatz  zwischen  Vernunft  und  Logik  in  Kon- 
kurs, daß  die  Sprachen  nicht  einer  gemeinsamen 
Quelle  entstammen.  Leider  differenzierte  sich  diese  plötzliche 
divinatorische  Erkenntnis  sehr  bald  wieder  zur  trägen,  unelastischen 
Masse,  und  der  erste  Effekt  dieser  denkwürdigen  Entdeckung  ist 
längst  verpufft  und  wieder  in  scholastische  Rubrikenfächer  einge- 
kapselt ;  es  bleibt  daher  nichts  übrig,  als  den  Kampf 
wieder  in  einer  anderen  Front  zu  beginnen. 

Zupa.  Dieser  Name  ist  in  den  verschiedensten  Varianten  w  eit 
\  erbreitet,  gilt  aber  heute  nur  mehr  als  Gattungsname  für  die  G  e- 
m  ein  de  oder  Pfarre  im  allgemeinen;  deren  Vertreter  war  der 
Kzupan«,  dessen  Funktion  ebenso  einem  kleinen  Orte  wie  einer 
ganzen  Provinz  gelten  konnte. 

Diesbezügliche  Ortsnamen  deuten  auf  das  Vorhandensein  be- 
festigter Punkte,  wie  Zips.  Zupanec  (isoHerter  Felskegel  mit 
einer  Burg  in  der  Slovakei),  2  u  p  a  n  j  a  c  (Bosnien,  das  alte  Delmi- 
nium)  u.  a.  —  Im  Mittelater  wird  häufig  eine  «civitas  Ziup«  erwähnt. 

Der  Begriff  «zupan«  (auch  xzupnikx,  welcher  Beiname  heute 
luir  mehr  dem  «Pfarrer«  beigelegt  wird)  hat  seine  Entstehung  zwei- 
fellos schon  in  der  bukolischen  Urzeit.  Es  geht  dies  daraus  hervor, 
daß  der  Vertreter  einer  Hutweidegemeinde  in  etlichen  Gegenden 
Untersteiermarks  und  Oberkrains.  dann  im  \'enetianischen  noch 
immer  «zupan«  heißt  und  ist  dies  wohl  noch  der  letzte  Originalrest 
der  ältesten  Gemeindeorganisation.')- Da  ich  die  Verhältnisse  aus 


Paradieses  erkliirt  hat  und  reklamierte  J.  B.  Erro  in  seinem  Buche: 
El  mundo  primitivo  (1814)  von  neuem  die  allgemeine  Zuerkennung  dieser 
These.  — 

")    In    SalzsewinnuniiSKegfiideii    war    »/.upaii»    k'leichliedeiiteiid    mit 
»iSalzrichter». 


40  — 


meiner  Heimat  kenne,  will  ich  dieselben,  wie  ich  sie  gesehen  und 
erfahren,  an  dieser  Stelle  veröffentlichen,  nachdem  sie  wohl  verdie- 
nen noch  der  Vergessenheit  entrissen  zu  werden.  —  Hat  die  Ge- 
meinde eine  eigene  Hutw  eide.  so  besorgt  die  wirtschaftlichen 
Angelegenheiten  der  »zupanic,  dessen  Funktion  nur  ein  Jahr  dauert 
und  im  regelmäßigen  Turnus  alle  Mitglieder  des  Weidegerechtsames 
passiert.  Der  nzupan«  nimmt  den  Gemeindehirt  auf.  beaufsichtigt  die 
Zahl  des  Weideviehes,  damit  nicht  jemand  ungebührlich  oder  abnor- 
mal viel  Vieh  der  Weide  zuführe,  er  vereinbart  den  Pachtschilling 
für  die  Weidemieter,  vergibt  die  Mistnutzung,  weist  die  Robot  zu, 
falls  auf  der  Hutweide  welche  Arbeiten  nötig  werden  (Grabenreim- 
gung.  Instandhaltung  des  Zaunes  u.  ä.).  und  zahlt  die  Grundsteuern. 
Um  Allerheiligen  wird  nun  die  usosecka«.  d.  i.  die  Zusammenkunft 
aller  das  Weiderecht  besitzenden  Nachbarn  (sosed)  in  Gegenwart 
des  Gemeindehirten  abgehalten;  der  xzupan«.  welcher  auch  für  eine 
entsprechende  Bewirtung  zu  sorgen  hat,  legt  die  Jahresrechnung 
über  sein  Gebahren  vor;  der  Gemeindehirt  erhält  an  Ort  und  Stelle 
den  vereinbarten  Hüterlohn  in  Zerealien.  mitunter  auch  einiges  Geld, 
die  Berechnung  basiert  sich  hiebei  auf  die  Zahl  des  erwachsenen 
Weideviehes;  sodann  werden  noch  Vorschläge.  Klagen  oder  sonstige 
die  Sache  betreffenden  Angelegenheiten  besprochen,  worauf  die 
Funktion  für  das  folgende  Jahr  dem  an  die  Reihe  kommenden  über- 
geben wird. 


B.  Sicherung  der  Gebietsgrenzen.    Qrenzbegriffe. 

Die  Sicherung  der  Grenze  und  die  Hintanhaitung  des  Über- 
schreitens derselben  in  feindseliger  Absicht  erforderte  naturgemäß 
seit  den  Urzeiten  entsprechende  militärische  und  technische  Vorkeh- 
rungen, die  bereits  bei  der  Gemeinde  begannen  und  dann  im  Einig- 
keitsfallc  auch  über  ein  großes  Gebiet  einheitlich  durchgeführt  und 
ergänzt  wurden,  daher  sich  diese  Vorsorgen  mosaik- 
artig über  alle  Gebiete  Europas  wie  auch  weiter 
hinaus  ziehen.  Es  ist  festgestellt,  daß  sich  einst  jede  Gemeinde 
auch  unabhängig  für  sich  sicherte  und  hatte  dieselbe  einen  genau 
ausgearbeiteten  Mobilisierungsplan,  ähnlich  wie  heute  jede  Armee 
und  jeder  kleinste  Armeeteil.  Es  wird  daher  kaum  irgendeine  Ge- 
meinde geben,  die  nicht  ihren  eigenen  Versammlungspunkt 
für  sich  hatte,  wo  sie  sich  zur  Wehre  setzte,  denn  sie  konnte  ja  gele- 
gentlich auch  von  ihrem  nächsten  Nachbar  überfallen  werden,  und 
bestätigt  uns  dies  nicht  nur  der  selbstverständliche  Selbsterhaltungs- 
trieb, sondern  auch  der  Umstand,  daß  sich  solche  Vorsorgen  vielfach 
ja  bis  heute  erhalten  haben,  sowie  daß  sie  überall  in  den  Ortsnamen 
sprachlich  nachweisbar  sind.  Solche  Punkte  waren:  Die  Kirche  oder 
der  Friedhof  mit  der  Umfassungsmauer,  der  Dorfplatz,  ein  eigener 
Wallgraben,  ein  festes  Gebäude  (Schloß,  Hof,  Schüttkasten),  eine 
Schanze,  eine  Bach-  wie  Fhißlinie  oder  eine  verteidigungsfähig  her- 
gerichtete Hohe,  wenn  die  Bodenplastik  dies  ermöglichte.  — 

Von  der  Zeit  der  ersten  Nachrichten  an,  daß  ein  feindlicher 
Einfall  drohe,  wurde  die  Grenze  beobachtet  und  bewacht,  der  Ver- 
teidignngspunkt  verstärkt  und  verproviantiert,  die  Habe  in  Sicher- 


42 


heit  gebraclit  und  so  der  Feind  erwartet.*)  Wurde  man  hier  jjeschla- 
gen,  so  zog  man  sieh  zum  nächsten  verteidigungsiahigen  Punkte 
oder  Abschnitte  zurück,  und  so  ging  es  a\  eiter.  bis  man  entweder 
selbst  oder  mit  fremder  Hih'e  siegte  und  den  Feind  wieder  vertrieb, 
oder  aber  unterlag.  —  Diese  Tatsache  bestätigt  nebst  Xenophon  und 
Pohenus  besonders  Amiamis  Victor,  welcher  bei  der  Beschreibung 
des  Feldzuges  des  Kaisers  Gratianus  gegen  die  Goten  (378  n.  Chr.) 
schreibt :  xD  i  e  s  e  B  a  r  b  a  r  e  n  zogen  sich  von  einer  Höhe 
zur  anderen  zurück,  \\  o  die  Legionen  deren  B  e  f  e- 
s  t  i  g  u  n  ge  n  i  m  rn  er  v  o  n  neue  m  erst  ü  r  m  e  n  m  u  ß  t  c  n«. 

Nach  altem  Brauche  wurde  an  den  Grenzen  auch  stets  ein  ge- 
wisser Streifen  Landes  als  neutrale  Zone  belassen,  die  unbebaut  und 
unbesiedelt  blieb,  analog  \\ie  schon  die  Anrainer  zwischen  zwei 
Ackerparzellen  einen  schmalen  Grenzstreifen  (Rain)  gewohnheits- 
mäßig freilassen,  damit  sich  die  Besitzungen  nicht  unmittelbar  be- 
rühren; dieser  Rain  bleibt  auch  unproduktiv,  wird  also  weder  ge- 
mäht noch  abgegrast.  Der  Slovene  nennt  einen  solchen  Grenzstrei- 
fen sprachlich  vollkommen  zutreffend  in  der  Diminutivform  «mcjica)! 
(=  kleine  Grenze)  daher  dessen  «meia«  (=  große  Grenze)  einen 
größeren  Streifen  voraussetzt,  der  namentlich  in  jenem  Falle  so  be- 

')  Eine  solche  Mobilisieruiigsdisposition  hat  sich  in  meiner  Hciniats- 
genieinde  traditionell  noch  recht  gut  erhalten  und  ich  gebe  sie  hier 
wieder,  wenn  dem  Leser  auch  die  lokalen  Verhältnisse  unbekannt  sind. 
Bei  der  ersten  Alarmnachricht  wurden  von  der  .Abendämmerung  bis  zum 
Tagesanbrüche  alle  Zugänge  an  der  Qemeindegrenze,  da  es  ein  gebirgiges 
Terrain  ist.  besetzt  gehalten  und  waren  hiezu  die  Häuser,  welchen  dieser 
Dienst  zukam,  vorherbestimmt;  der  Rest  der  waffenfähigen  Männer  begab 
sich  auf  den  Tabor  und  vervollständigte  hier  noch  die  Vorsorgen;  tagsüber 
war  ein  Beobachtungsposten  auf  dem  Kirchturme  etabliert;  einzelne  Frauen 
begaben  sich  zur  Versehung  des  Saniariterdienstes  auch  auf  den  Tabor: 
die  Kinder,  Qreise,  hrauen  mit  Mutterpilichten  und  erwachsene  Mädchen 
wurden  aber  in  das  Kolos-Clebirge  gesendet,  wo  jeder  wohlhabendere  Orts- 
bewohner einen  Weingarten  mit  einem  mehr  weniger  primitiven  Wohnhause 
besaß;  dahin  wurde  auch  die  wertvollere  bewegliche  Habe,  sowie  das 
Vieh  gebracht,  soweit  letzteres  eben  nicht  zur  Verproviantierung  des  Tabor 
abgegeben  wurde.  Die  Waffen  wurden  instandgesetzt  und  verteilt,  die 
Signalstationen  aktiviert,  Verhaue  an  bestimmten  Punkten  angelegt, 
Brücken  unterbrochen,  Stege  weggeräumt  und  Hinterhalte  an  verschie- 
densten Stellen  gelegt,  wie  dies  der  Verteidigungsrat,  an  dessen  Spitze  der 
Bürgermeister  stand,  je  nach  der  vermutlichen  Eulbruchstelle  ad  hoc  be- 
stimmte. 


nanrit  wird,  w  enn  er  bereits  mit  Gestrüpp  bewachsen  ist.  Tatsächlich 
haben  die  üenieindegrenzen  in  manchen  Gegenden  noch  heute  einen 
unnötig  breiten,  meist  von  Dorngestrüpp  überwucherten  Grenzstrei- 
fen, welchen  niemand  kultiviert,  weil  der  Boden  eben  niemand 
gehört,  abgesehen  von  der  Notwendigkeit  einer  wurzelfesten  peren- 
nierenden Grenzflora,  damit  sich  die  Grenze  etwa  im  Winter  oder 
bei  einer  Überschwemmung  nicht  verwische. 

Der  Verletzung  der  Grenze  im  kleinen  war  schon  in  der  pa- 
triarchalischen Verfassung  eine  strenge  Strafe  zugedacht,  sie  galt 
als  Sakrileg,  und  fand  nach  dem  Volksglauben  noch  nach  dem  Tode 


keine  volle  Sühne,  denn  z.  B.  die  «Grenzsteinrücker»  müssen  sich 
bei  mondhellen  Nächten  wieder  am  Tatorte  einfinden,  um  ihr  Ver- 
brechen gutzumachen. 

Um  nun  die  Grenze  auch  für  den  Fremden  unzweifelhaft  kenn- 
bar zu  machen,  brachte  man  daselbst  verschiedene  Kennzeichen. 
wie:  künstliche  Grenzhügel  (Hotterhaufen)  oder  auffallende  Grenz- 
steine, oft  mit  bildlicher  oder  schriftlicher  Warnung  an.  Von  den 


letzteren  sind  die  interessantesten  die  bildlichen,  w  ie  sie  ziem- 
licli  zahlreich,  namentlich  auf  norddeutschem  Gebiete  vorgefunden 
und  auch  \on  der  Wissenschaft  als  Bildwerke  aus  a  1 1  s  1  a  v  i- 
scher  Zeit  w iderspruchslos  anerkannt  wurden.  So  zeigt  uns  Fig. 
3  eine  seit  Menschengedenken  als  Grenzstein  zw  ischen  den  Dörfern 
Mosgau  und  Groß-Herzogswalde  in  Westpreußen  geltende  Statue 
aus  röthchem  Granit  von  126  cm  Höhe.  Die  Skulptur  zeigt  an,  daß 
man  je  nach  Art  der  Grenzverletzung  entsprechende  Gegenmaßregeln 
ergreifen  werde,  denn  die  Attribute  sind:  ein  Dreschflegel  oder 
Knüttel  zum  Zurücktreiben  von  unbewaffneten  Menschen,  dann  von 
Tieren,  welche  etwa  hirtenlos  die  Grenze  überschreiten;  ein  Schwert, 
um  einzelne  Menschen,  welche  in  feindseliger  Absicht  kommen,  ab- 
zuwehren; ein  Hom,  um  das  Signal  zu  geben,  daß  größere  Gefahr 
der  Gemeinde  drohe.  Selbst  die  Flanke  stellt  eine  Figur  (Figur  .3b) 
dar.  die  die  Arme  ausgebreitet  hält,  wie  zur  Warnung:  «nur  bis 
hieher!«*) 


*)  Ober  das  Alter  und  die  Bestininiung  dieser  Steine  herrschen  die 
einfältigsten  und  unnatürlichsten  Meinungen.  So  sagt  Dr.  Weigel  im  Auf- 
satze: »Bilderwerke  aus  altslavischer  Zeit«  (im  Archiv  für  Anthropologie. 
Berlin  1892),  daß  diese  Skulpturen  schon  deshalb  slavisch  seien,  weil  u  u  r 
die  Slaven  eine  so  primitive  Kultur  hatten,  keine 
Schrift  besaßen,  keine  eigenen  Münzen  kannten,  nichts 
vom  Qolde,  Silber  und  Bronze  wußten  u.  drgl.  —  Um  die 
Ein\\  anderung  der  Slaven  im  5.  oder  6.  Jahrhunderte  n.  Chr.  stimmend  zu 
machen,  meint  er.  in  jenen  Gegenden  saßen  zuvor  die  hochkultivierten  Ger- 
manen .dann  kam  die  triste  Zeit  der  Völkerwanderung,  und  nachdem  es  die 
bei  dieser  Gelegenheit  eingedrungenen  Slaven  zu  keiner  nennenswerten 
Kultur  brachten,  trat  die  Regcrmanisierung  ein.  —  Eine  Polemik 
über  diese  ethnographischen  Zauberkünste  wird  wohl  niemand  erwarten, 
denn  wer  soll  dann  allen  diesen  Fundorten  slavische 
Namen  gegeben  haben,  wenn  sowohl  zuvor  als  auch 
nachher  die  Germanen  es  waren,  welche  einzig  die  hohe 
Kultur  repräsentierten  und  es  sozusagen  nur  auf  eine  Probe  an- 
kommen ließen,  ob  sich  die  Slaven  kulturell  bewähren  werden  oder  nicht, 
weshalb  haben  sie  da  selbst  keinerlei  sprachlic  h-k  u  I- 
turellen  Einfluß  geübt!  —  Erwähnenswert  ist  auch  die  Hypothese, 
daß  die  Grenzsteine  ursprünglich  slavische  Götzenbilder  waren  und  erst 
später  die  profane  Verwendung  fanden.  Ich  behaupte  hingegen,  daß  die 
Figur  selbst  ein  »granit,  granic«.  d.  i.  ein  Grenzstein  von  allem  Anfange 
war,  und  daraus  erst  der  Gattungsname  für  den  Stein,  aus  dem  die  Figur 
bestand.  —  Granit  —  wurde,  denn  der  w  iderstandsfähigste  Stein  war  eben 


Ein  anderer  Grenzstein  wurde  bei  Kegnitz  nächst  Bamberg 
gefunden  (siehe  Fig.  4.)  Der  Stein  ist  HO  cm  hoch,  weist  aber  nicht 
die  früheren  Attribute  auf.  Auf  der  Rückseite  (Fig.  4b)  ist  jedoch 
eine  Ellipse  mit  mehreren  regelmäßig  gruppierten,  wagrechten  Fur- 


Fis.  4  b) 


chen  ausgemeißelt,  welche  die  imaginäre  Umfriedung  der   Grenze 
in  der  Form  von  Absperrlatten  anzeigen  sollen. 


gerade  für  den  Grenzstein  geeignet.  Ja  man  bezweifelt  sogar,  ob  die 
Skulptur  mangels  von  Kisen  bei  den  Slaven  nicht  mit  harten  Steinen  ausge- 
führt wurde;  darüber  gibt  wohl  die  Härteskala  in  jeder  Mineralogie  einen 
klaren  .Aufschluß,  abgesehen  davon  daß  ja  die  Figuren  selbst  Schwerter 
tragen,  das  Eisen  also  zweifellos  bekannt  und  im  Gebrauche  gewesen  sein 
muß.  denn  Schwerter  aus  Holz  kennen  wir  bis  jetzt  nur  als  Surrogat  bei 
den  —  Kinderspielen. 


Ein  ganz  eigenartiger  Grenzstein  ist  jener  von  Husiatyn  in 
Qalizien.")  Es  ist  dies  eine  Steinsäule  von  27  mm  Höhe  und  einer 
quadratischen  Basis  von  34  cm  Seitenlänge;  sie  ist  hier  (Fig.  5  u.  6) 
sowohl  von  einer  Ecke  als  auch  mit  ihren  vier  Fronten  in  eine  Ebene 
gelegt  dargestellt.  Die  vier  Figuren  stecken  unter  einem  einzigen 
Hute  und  zeigen  wohl  damit  an.  daß  sich  hier  im  gefährlichen  Grenz- 
gebiete (Qalizien  und  Podolien)  einst  vier  Älteste  oder  Führer  von 
Gemeinden  zur  gemeinschaftlichen  Abwehr  des  Feindes  vereinigt 
haben,  und  war  jener  mit  dem  Schwerte  und  Pferde  versehene  der 
fallweise  Oberbefehlshaber.  —  In  der  zweiten  Etage  sind  zwei  männ- 
liche und  zwei  weibliche  Figuren  zu  sehen,  welche  einen  Reigen 


')  Man  Klaubt  in  slavischen  Kreisen,  es  sei  dies  ein  Standbild  des 
Kriessgottes  xSvantevid«.  (d.  i.  Allesseher.  Weltseher),  also  eines  ver- 
doppelten Janus.  welcher  in  Arcona  auf  Rügen  verehrt  wurde  und  dort 
auch  seinen  Tempel  hatte.  —  Tatsächlich  ist  hier  die  Allegorie  der  F.  i  n  i  k- 
k  e  i  t  sehr  geistreich  erfaßt,  denn  die  vier  verschiedenen  Per- 
sonen sehen  alles,  haben  aber  nur  ein  Qedankenzen- 
trum.  Wir  finden  darin  auch  die  Erklärung  des  gangbaren  Spruches:  «sie 
stecken  alle  unter  einer  Decke  (einem  Hute)«,  wie  dies  hier  der  Fall  ist, 
und  kennen  diese  Redensart  fast  alle  Sprachen.  —  Deutsche  Forscher  glau- 
ben hingegen,  daß  die  drei  Etagen  die  U  n  t  er  w  e  1 1.  die  Welt  und  den 
Himmel  bedeuten,  was  man  rundweg  als  eine  ganz  unmotivierte  Ideali- 
sierung ablehnen  muß.  —  Ich  halte  die  Bildwerke  dieser  Kategorie  lediglich 
als  äußere  Zeichen  geschlossener  Bündnisse,  die  zur  Erhöhung  des  Wertes 
mitunter  auch  in  Tempeln  oder  Gotteshäusern  aufbewahrt  wurden,  um  einen 
sakralen  Charakter  zu  erhalten.  Die  vielen  mehrköpfigen  Statuen  sind  daher 
nur  als  Einigkeitsallegorien  zu  nehmen,  ob  sie  nun  an  einer  wichtigen  Orenz- 
scheide  (z.  B.  der  oft  vorkommende  xDreimarksteina )  oder  in  einem  Tempel 
stehen,  genau  so  wie  wir  Bildstöcke  haben,  die  am  Felde,  im  Weingarten, 
auf  der  Brücke  aber  ebensogut  außen  und  innen  an  der  Kirchenwand  oder 
gar  in  dem  Altar  stehen.  Der  als  »Triglavn  bekannte  Berg  ist  daher  kein 
D  r  e  i  k  0  p  f.  denn  er  hat,  wie  die  beeigegebene  Figur  7  zeigt,  gar  nicht 
drei  Kuppen,  sondern  deutet  hiemit  an,  daß  er  an  dem  Vereinigungspunkte 
dreier  Landesgrenzen  steht,  was  tatsächlich  stimmt.  —  Stellen,  wo  drei 
Grenzen  zusammentreffen,  kennzeichnen  die  Slaven  auch  als:  trojica, 
troicno  (Trocnovo);  möglicherweise  ist  auch  iiTroja«  dieses  Ur- 
sprungs. —  Das  katholische  Dreifaltigkeitsprinzip  hat  daher  schon  seiner 
bildlichen  Darstellung  nach  bereits  in  der  T  r  i  g  1  a  v-Statue  sein  \orbild, 
ebenso  \\\e  die  dreiköpfige  Steinfigur  des  indischen  T  r  i  m  u  r  t  i  etymolo- 
gisch auch  nichts  weiter  ist,  als  die  Vereinigung  von  drei  Fürsten  oder 
Stamniesältesten  an  einer  Grenze  (»tri»  und  »mor,  mur»)  behufs  einheit- 
lichen \'orgehens  bei  feindlichen  Anlässen,  also  ein  Dreibund  der  uralten 
Politik. 


1 


—  vielleicht  aus  Freude  über  die  Einigung  —  aufführen.  Die  unter- 
sten Figuren  sind  entweder  diejenigen  der  Führer,  welche  sich  später 
ausgezeichnet  haben,  oder  die  Nachfolger  der  oberen  —  wobei  schon 
der  vierte  fehlt  — ,  denn  sie  machen  den  Eindruck  einer  späteren 
und  reiferen  Arbeit.  —  Alles  dies  sind  jedoch  suggerierte  Vernni- 
tungen;  am  naheliegendsten  ist  aber  die  Annahme,  daß  dies  ein 
(j  r  e  n  z  s  t  e  i  n  am  Zusammestoßpunkte  von  vier  Grenzgebieten  ist. 
und  bringt  jede  Seite  den  Beherrscher  des  betreffenden  Gebietes 
zur  Darstellung;  es  ist  dies  also  ein  nViermarkstein«. 

Weshalb  man  aber  die  erwähnten  (irenzsteine,  die  lediglich 
einen  w  a  r  n  e  n  de  n  G  r  e  n  z  w  ä  c  h  t  e  r  darstellen  sollen,  deshalb 
den  Slaven  zuschreibt,  weil  die  Skulpturen  so  ungemein  roh  und  pri- 
mitiv aussehen,  ist  unerklärlich,  denn  diese  Denkmäler  sind  augen- 
scheinlich uralt  und  mindestens  für  diesen  Zweck  hätten  sicher  auch 
die  klassischen  Griechen  keine  Aphrodite  aus  parischem  Marmor  bei 
Praxiteles   bestellt! 

In  die  Kategorie  der  Grenzsteine  gehören  auch  die  sogenannten 
iiBabaii-Steine,  die  zahlreich  in  Rußland  gefunden  werden.  Unter 
«Baba«  versteht  man  vor  allem  flöhen  an  Grenzpunkten,  daher  auch 
Ortschaften,  die  am  Fuße  solcher  liegen,  xPodbabait  lauten*),  denn 
ansonsten  gilt  «babox  als  der  alte  Vater,  Großvater,  Fa- 
milienälteste, dann  Kommandant  an  solchen  Grenzgebie- 
ten. Weil  er  große  Gewalt  hatte,  war  er  auch  gefürchtet,  und  kam  so 
zur  Bewertung  als  D  roh  ge  s  p  e  n  s  t.  woraus  im  Deutschen  nWa- 
wau,  Wauwau«  wurde,  daher  er  auch  in  drohender  Pose  dar- 
gestellt erscheint.  Im  Slovenischen  gebraucht  man  «bavec,  havc» 
{=  Schreckgespenst),  im  Griechischen  „ßac^io"  (bau-bau  —  rufen), 
im  Russischen  nbavunx  für  den  diesen  darstellenden  Stein,  das  Grenz- 
zeichen, auch  als  «baba-jagaK  bekannt;  dieses  ist  aber  wieder  nur 
eine  Verballhornung  von  «babjak«  und  Kvabja«,  worunter  man  jenen 
Grenzstein  versteht,  der  heute  als  ein  Findling  oder  e  r  r  a  t  i- 
scherBlock  bezeichnet  wird.  —  Nun  ist  aber  die  landläufige  Er- 
klärung, daß  diese  Blöcke   schon   in   der  Eiszeit  vom  Norden   her 


*)  Ansonst:  Babel.  Bab-el  Mandeb,  Babylon.  Babyloni.  Wawel  u.  ii. 
—  In;  lu'ichsteii  l'mkreisc  der  Stadt  Briinti  gibt  es  z.  B.  vier  »Baba»-Höhen. 
die  niöKÜcherweise  eiiust  die  äutferster  Punkte  der  Briinner  Verteidigungs- 
zone bildeten. 


—  60 


herabgeschoben  worden  seien,  auch  falsch,  da  schon  die  \orstenung 
mangelt,  wie  solche  Monolithe  die  Gebirgswälle  übersetzten.  Die 
Tatsache  ist  eben  anders:  zur  Markierung  einer  wichtigen  Grenze 
brachten  sich  die  Bewohner  große,  in  fern  gelegenen  Fundorten  ge- 
brochene Steine  von  geringem  Verwitterungsvermögen.  Solche  Ko- 
losse konnte  nun  auch  niemand  leichterdings  umstellen  und  noch 
weniger  unauffällig  ersetzen,  weil  der  Transport  eines  zweiten 
gleichartigen  Steines  oder  das  Zertrümmern  wie  das  Entfernen  doch 
nicht  leicht  unbeachtet  vorgenommen  werden  konnte.  Geht  man  aber 
dem  Fundorte  solcher  Grenzsteine  nach,  so  wird  man  finden,  daß  sie 
tatsächlich  oftmals  weit  hergeschafft  und  überdies  häufig  mit  irgend- 
welchen primitiven  Skulpturen  versehen  wurden,  damit  sie  für  je- 
dermann leicht  erkennbar  sind,  und  destoweniger  umgewechselt 
werden  konnten.*) 

Die  Baba-Steine**)  tragen  mitunter  auch  die  Aufschrift  «Balbal». 
was  man  als  Götze  auslegte,  das  aber  eigentlich  den  Grenz- 
wächter oder  Grenzverteidiger  bezeichnet,  denn  «balvau)' 
gilt  noch  heute  dem  Slaven  als  auffallender  Felsblock, 
aber  auch  zugleich  —  in  erw  eiteter  Bedeutung  —  als  G  ö  t  z  e. 

")  Einen  solchen  KKindllnK»  iaiid  man  bei  Teschen  und  verfaßte  sofort 
sein  curriculutn  vitae  dahin  lautend,  er  sei  in  der  Eiszeit  von  Schweden 
hergewandert  und  sei  hier  am  Olsa-Uier  zum.  Stillstande  icekommen.  Wie 
er  die  Höhen  nahm  und  in  der  Olsa,  die  doch  selbst  geKcn  Norden  füeDt. 
weiter  kam.  darüber  zerbrach  man  sich  sar  nicht  den  Kopf;  er  wanderte 
eben,  allen  Naturaresetzen  entgegen,  flußaufwärts  und  bisweilen  auch  auf 
trockenem  Wese  —  bericauf!  Daß  es  aber  viel  näher  solche  Gesteine 
gibt,  wie  hier  in  den  Beskiden.  wo  sich  verschiedenfarbige  sTeschenite«  in 
Einzelausbriichen  der  Kreideiormationen  vorfinden,  diese  Erklärung  wäre 
selbstredend  zu  einfach  gewesen! 

'*)  Es  gibt  aber  auch  iiBaba»-Steine.  die  tatsächlich  mit  einer  »baba« 
(—  altes  Weib.  Hebamme)  im  Zusammenhange  stehen  und  nur  durch  den 
Qleichklang  zu  irrigen  Erklärungen  führten.  Skulpturen  dieser  Kategorie 
welche  entweder  Frauengestalten  in  Gravidität  oder  geradezu  den  natür- 
lichen Qehurtsakt  drastisch  darstellen,  dürften  einst  keinen  anderen  Zweck 
gehabt  haben,  als  bildlich  anzuzeigen,  wo  eine  Hebamme  w  ohnt.  war 
also  auch  ein  Zunft-  und  Gewerbezeichen,  w  ie  wir  analoge  noch  heute  genug 
besitzen,  und  ähnliche  z  B.  im  alten  Pompeji  als  typische  Orientierungsobjekte 
für  Freudenhäuser  bei  den  Ausgrabungen  \i>rfinden.  —  Alles  weitere  Fabu- 
lieren über  jene  Steine  kami  wohl  als  gründlich  verfehlt  angesehen  werden, 
wie  z.  B.  daß  dies  (jöttinnen  weiblicher  Eruchtbarkeit  seien,  denn  der  Zu- 


—  51 


Orenz. Steine  oder  auch  nur  V\'  e  g  \\  e  i  s  e  r  sind  überdies 
die  sogenannten  Rinne  n-.  Schale  n-,  Opfer-  und  Zeichen- 
steine, welche  namentlich  in  Qebirgs-  und  steinigen  Gegenden 
nicht  unhäiifig  angetroffen  werden.  Sie  erhielten  einst  gewisse  künst- 
liche Einkerbungen,  sei  es  nun  in  Fo.rm  von  Rinnen,  eckigen  oder 
runden  Ausnehniungen,  damit  sie  sich  äußerlich  in  Bezug  auf  ihre 
spezielle  Bestimmung  von  sonstigen  Steinblöcken  und  Felsen  der 
Umgebuns^  abheben  und  hiemit  Irrungen  für  die  Besitzer  oder  die 
Säimicr  ausschließen;  es  sind  dies  wohl  die  ältesten,  aber  auch  die 
unverwüstlichsten  Methoden  und  Beispiele  von  W  e  g-  und  Q  re  n  z- 
m  a  r  k  i  e  r  u  n  g  e  n.  Daß  es  geradezu  lächerlich  ist,  solche  Steine  als 
rituelle  Objekte  prähistorischer  Provenienz  anzusehen,  zeigt  der 
Umstand  am  besten,  daß  es  oft  naturgewachsene  Monolithe  sind,  die 
mitunter  auch  sehr  weit  von  menschlichen  Ansiedlungen,  i  m  m  e  r 
aber  an  Wegen  oder  Grenzlinien  liegen.  Die  Zahl  de r 
eingegrabenen  Linien  oder  Löcher  mag  auch,  da  der  Naturstein  doch 
nicht  immer  gerade  auf  der  natürlichen  Grenze  oder  mitten  im  Wege 
stehen  kann,  konventionell,  ähnlich  wie  unsere  Hydrantentafeln,  in 
den  damals  gangbaren  Längenmaßen  angegeben  haben,  wie  w  eit  hic- 
von  und  nach  welcher  Seite  z.  B.  die  wahre  Grenze  läuft,  wofür 
uns  heute  allerdings  noch  die  synchronistische  Denkmethode  man- 
gelt, was  sich  aber  bei  Vergleich  mehrerer  solcher  Punkte  doch  viel- 
leicht wieder  festlegen  lassen  dürfte.  —  In  der  Schweiz  gibt  es  längst 
uralter  Saumpfade  eine  Anzahl  von  »Zeichensteinen«,  und  wer  diese 
noch  weiter  für  Opfer-  u.  K  u  1 1  u  s  s  t  e  i  n  e  hält,  der  dürfte  doch 
bald  mit  seiner  Phantasterei  allein  dastehen.*) 

sammenhang  zwischen  diesem  Pirnienscliilde,  wobei  meist  auch  ein  Kiik! 
am  Arme  gehalten  wird,  scheint  mit  der  heutigen  Kennzeichnung  ciiiei 
Hebammenwohnung  —  dem  Muttergottesbildnis  mit  dem  Erlöser  am  Arme 
—  orgainsch  durchaus  noch  nicht  ganz  unterbrochen  zu  sein.  Einmal  dierite 
liiezu  ein  roh  gemeißelter  Stein,  ein  andermal  eine  käuflich  erhaltbare 
Broiizefigur;  nnißte  aus  irgend  einem  Grunde  c'as  Gewerbe  unterbrochen 
werden,  so  wurde  natürlich  auch  wieder  das  Firmazeichen  entfernt.  —  Die 
ganz  kleinen  Figurchen  dieser  Art  können  aber  auch  Devotionalien  gewesen 
sein,  um  eine  glückliche  Entbindung  bei  höheren  Gewalten  zu  erflehen. 

)  Ein  massiver  Monolith  liegt  auch  nördlich  von  Velehrad  (Mähren), 
der  im  Volksmunde  als  «Königstisch»  (krälnv  stftl)  bekannt  ist,  weil  an- 
geblich dort  ein  Ffemyslide  eine  Mahlzeit  gehalten  habe.  —  Tatsächlich  ist 
es  ein  Grenzstein,  der  auch  noch  heute  die  Gemeindegrenze  markiert, 
wovon  man  sich  leichterdings  auch  in  jeder  Spezialkarte  überzeugen  kann. 

4- 


Auf  dem  Kamine  des  Gebirgszuges  von  «Malavas«  im  iranze- 
sischen  Departement  Haut-Loire  fand  man  drei  solche  Schalensteinc 
die  aber  das  Voli<  noch  als  «Martinsteine )i  (mar  =  Grenze),  also 
heute  unverstanden  aber  etymologisch  richtig  als  Grenzsteine 
kennzeichnet.  Einen  Pietätswert  haben  diese  Steine.  —  man  wall- 
fahrtet ja  noch  immer  dahin  — .  allerdings  dadurch  erhalten,  daß  an 
solchen  Punkten  oft  auch  angesehene  Persönlichkeiten  bestattet 
wurden,  denn  die  alten  Völker  begruben  ihre  Toten  mit  Vorliebe 
ent\\eder  auf  aussichtsreichen  Höhen  oder  aber  an  Wegen  und  na- 
mentlich an  Kommunikationskreuzungen,  weil  der  Tote  dadurch 
einerseits  nicht  so  leicht  dem  Gedächtnis  der  Epigonen  entschwand, 
andererseits  erhielt  aber  die  Grabstelle  und  hiemit  auch  die  G  r  e  n  z  e 
dadurch  von  selbst  einen  exterritorialen  und  zugleich  sakralen  Cha- 
rakter. Daß  der  gemeinsame  Weg  naturgemäß  an  der  Grenze 
lief,  ist  selbstverständlich,  denn  auf  diese  Art  gab  jeder  Besitzer 
nur  die  Hälfte  des  nötigen  Grundes  dazu,  und  ist  dieses  bei  Gemein- 
dewegen ja  auch  heute  nicht  anders.  — 

Eine  ähnliche  Doppelbestimmung  hatten  die  «Menhir'sii.  die 
Gräber  an  einer  Grenzzone  (menjati  =  wechseln;  menjik  = 
Grenzstein);  menih.  Mönch  hieß  nun  der  Kommandant  an  einem 
solchen  Qrenzverteidigungspunkte;  und  die  Stelle,  wo  ein  solcher 
bestattet  wurde,  hieß  sodann  «menhirK  oder  ähnlich  klingend.')  Eine 
derartige  Wahrheit  noch  weiterhin  zu  begründen  ist  allerdings 
schwer,  wenn  die  auf  der  Kombination  aufgebauten  klaren  Tatsachen 
keinen  Glauben  finden,  denn  dann  niüssten  wir  schließlich  auch  glau- 
ben, daß  unsere  Urahnen  nur  verreist  sind,  weil  wir  sie  mit  eigenen 
Augen  nicht  sterben  gesehen  haben. 


')  All  dieser  Stelle  sei  auch  dem  Besrriiie  i-cronilecli"  w  issciiscliait- 
lich  iiiihergetreten.  Alan  behauptet,  daß  die  mit  Steinen  belegten  alten  Grabt r 
in  Kngland  deshalb  so  genannt  werden.  \\  eil  dies  im  Keltischen  »Kreis- 
steine»  (crom  =  Kreis,  lech  =  Stein)  bedeute.  Abgesehen  davon,  daß  die.se 


J 


ni(j  Krfaliriiiii;-  lehrt  nun.  dal.'  auch  die  Volks-  und  (icKcndnanicn 
ziun  tcrößtcn  Teile  so  lauten,  wie  in  der  Sprache  der  betreffenden  Be- 
wohner die  (irenze  gekennzeichnet  wurde,  denn  der  Nachbar  ist 
eben  jener,  der  jenseits  einer  bestimmten  Grenze  wohnt,  was  aber 
auch  wieder  auf  Reziprozität  beruht,  so  daß  jeder  den  Nachbarcha- 
rakter trägt,  daher  es  dort  W  e  n  d  e  n.  Winden  gibt,  wo  die 
Tirenze  w\'en,  \inii  lautete:  L  i  ni  n  o  n  e  s  gab  es  bei  Klini«.  M  e  d  i. 
Moder  bei  mned«,  Markonianen  bei  «mar.  markr,  K  r  a  i  n, 
Lkrajne  bei  «Krajn,  S  a  m  n  i  t  e  r.  S  a  in  I  a  n  d  hei  Ksani.  zani»; 
es  gibt  ein  Oderberg,  Sachsenberg  in  der  reinen  Ebene,  weil  die 
Orenze  dort  als   «breg.  Berg«   bezeichnet   wurde   u.  a.   ni,  —   Die 


RtNniulogie  ganz  w  illkiirlicli.  ohne  welche  spracliliche  Basis,  aufffestelh 
wurde,  ist  die  Schlichtung  auch  meist  nicht  in  der  Kreisfurm.  —  und  wo  ja, 
dort  war  es  eben  ein  vorbereiteter  Kampfplatz.  —  sondern  sogar  in  über- 
wiegenden Fällen  in  der  J I  -Form  vorgenommen.  Statt  aber  nun  den 
uiichtsliegenden.  allerdings  slavischen  Begriff  «groblje.  u  groblieh«  (=  bei 
den  Gräbern)  zur  Erklärung  heranzuziehen,  stellt  man  lieber  eine  falsche 
Qrabsteiuschlichtung  her.  um  eine  aus  der  Luft  gegriffene  Etymologie 
äußerlich  zu  rechtfertigen,  denn  darüber  bestand  nie  ein  Zweifel,  daß  dies 
alte  Gräber  seien.  Nun  beschreibt  aber  Prof.  Trojanovic  (Belgrad) 
auch  einen  solchen  «cromlechn,  der  in  Westserbien  beim  Dorfe  «Votniak» 
lAodnjak)  auf  dem  Hügel  «Kicerak«  entdeckt  wurde.  Daselbst  befindet  sicli 
ein  im  Kongiomeratboden  geebneter,  dominierender  Höhenplatz,  der  von 
drei  Seiten  her  schwer  zugänglich  ist:  auf  der  vierten  Seite  aber,  wo  das 
Nahen  zur  Plattform  leichter  ist,  befindet  sich  auf  etwa  100  Schritte  zuvor 
ein  iicromlech«.  d.  h.  eine  Art  Zwinger,  gebildet  durch  auf  die  Spitze  ge- 
stellte und  im  Halbkreise  angeordnete  Steine,  um  solcherart  den  Zugang 
auch  von  dieser  Seite  abzusperren  oder  dem  Gegner  doch  den  Angriff  aus 
dieser  Richtung  zu  erschweren.  —  Das  Ganze  war  sonach  eine  für  die 
\'erteidigung  technisch  vorbereitete  Stelle,  und  wurden  daselbst  nebstbei 
auch   die  im  Kampfe  Gefallen  bestattet. 

Der  genannte  Forscher  ist  jedoch  der  Ansicht,  daß  von  der  Thronhöhe 
aus  der  Fürst  und  die  Stammesältesten  den  Funktionen  des  heidnischen 
Priesters  zugesehen  haben,  denn  sie  konnten  das  bei  dem  sogenannten  Opfer- 
steine stattfindende  Ritual  von  dort  aus  noch  gut  beobachten.  Dies  alles  ist 
eine  unmotivierte  Annahme,  die  nebstbei  auch  durch  die  Praxis  unhaltbar 
ist.  deini  bei  allen  gottesdienstlichen  Handlungen  gilt  die  ProportioTi.  daß 
je  höher  jemand  im  Range  steht,  desto  näher  befindet  sich  sein  Platz  am 
Altare  oder  beim,  gotesdienstlichen  Funktionär,  da  dies  natursächiich  zur 
Ehrung  von  Hoheitspersonen  gehört. 


64 


ürenze  \\ar  deshalb  seit  altersher  entv\  eder  durch  mehr  oder  we- 
niger markante  Grenzzeichen,  oder  durch  schwächere  oder  stärkere 
Schutz-  und  Wehrbauten  festgelegt,  hatte  in  völkerrechtlicher  Auf- 
fassung eine  ungewöhnlich  hohe  Respektsbedeutung  und  bildete  die 
Passierung  derselben  unter  gewissen  Vorbedingungen  stets  mehr 
oder  weniger  nachdrückliche  Staats-  und  Kampfaktionen,  was  sich 
bis  heute  nicht  im  geringsten  geändert  hat.*) 


')  Die  Etymologie  der  Ortsnamen  wäre  auch  bei  Grenzreguiierungen 
der  Staaten  zu  berücksichtigen,  denn  man  will  doch  überall  in  objektiver 
Weise  jene  Linie  als  Grenze  wissen,  die  seit  undenklichen  Zeiten  als  solche 
galt  und  dies  besagen  eben  am  klarsten  die  topischen  Namen  daselbst. 


Grenzbegriffe. 

Med,  Mej,  Meh,  Meza,  Mza,  Mzane,  Meissen.  Misa,  Mah.  Mak 

sind  durchw  egs  WurzclsilbLn  für  die  ßczcichminK :  ^ i  r  e  n  z  e.  U  f  e  r. 
Nachbargebiet.  —  Dem  Kroaten  ist  »meda«  =  Grenze,  «nie- 
diti"  =  begrenzen.  )iniedil<)i  —  Markstein;  dem  Slovenen  ist  «mek« 
=  das  Fiiißufer.  «meja«  =  die  Grenze,  «niejas  =  der  Nachbar  (auch 
«medas»);  dem  Russen  ist  »meza«  ~  Grenze,  (jrenzstein.  «mezak« 
=der  Nachbar,  «meza«  (alte  Form)  =  die  Grenze;  nachdem  sich  die 
Kämpfe  zumeist  im  Grenzgebiete  abspielen,  ist  dem  Südslaven 
«mejdan»  =  Kampfplatz;  «mehaia.  inahala«.  Mehadija  (an  der 
Czernia!)  ^  der  Stadtteil  (der  verteidignngsfähige);  «mehaia«  ist 
auch  zugleich  die  Bezeichnung  für  eine  Gruppe  freiwilliger  Kämpfer. 
Freischärler  (zurVerteidigung  der  Grenze);  im  Lateinischen  hat  «me- 
diusw  die  Bedeutung:  das  in  der  Mitte  gelegene,  das  neutrale  Gebiet; 
im  Oskischen  ist  «medix*)  =  Älteste,  das  Oberhaupt  eines  Städte- 
bundes, daher  auch  die  Familie  »Medici«.  Alle  Orte  der  Form:  Meda 
Mede.  Medeba,  Medelpad,  Medem.  Medevi  (woraus  die  Slaven  das 
anklingende  «medved«  (=  Bär)  machten,  daher  auch  «Medovo  selo» 
zu  «Medvedovo  selo«  und  im  deutschen  dementsprechend  zu  «Bären- 
tal«  wurde).  Mediasch.  Media  (Medier).  Medina.  Mcdinc.  Mediolanum. 
u.  a.,  welche  alle  auf  eine  Küstenlandschaft.  einen  Fluß,  ein  Grenz- 
gebiet oder  einen  befestigten  Platz  deuten.  Dem  Araber  ist  «medina» 
überhaupt  der  Begriff  für  die  \  ertcidigungsfähigc  Stadt,  daher  es  in 
zusanmiengesetzten  Ortsnamen  wie:  Medina  del  Campo.  M.  de  Rio- 
seco  u.  a.  auch  wiederholt   \(irkomint.  —  Sehr  zahlreich   sind   die 

*/  Das  «\«  in  lateinischen,  aus  dem  Slavisclien  stammenden  BeKriffen 
ist  normal  das  Zeichen  für  die  Transkription  des  slavischen  «c«;  medix  — 
iiicdic.  — 


topischen  Bezeichniinjifn:  na  niedi  d.  i.  a  ii  d  e  r  ü  r  e  n  z  e.  In  dieser 
Hinsicht  ist  namentlich  die  im  Rheine,  \on  einem  toten  Arme  ge- 
bildete Insel  «Namedy«  charakteristisch.  — 

Der  «Slavist'i  Miklosich  machte  sich  in  seiner  Schrift  «Die  sla- 
vischen  Ortsnamen«  (p.  72)  über  jene  lustig,  die  in  den  topischen 
Namen  s  1  a  v  i  s  c  h  e  Wurzeln  entdeckt  haben  wollten,  indem  er 
meinte :  Bei  gutem  Willen  kann  man  selbst  Mekka  und  M  e- 
d  i  n  a  ohne  viel  Scharfsinn  für  s  1  a  v  i  s  c  h  erklären!  —  Die  Wirkung 
des  ironisch  gemeinten  Ausspruches  nimmt  bereits  reflexive  Formen 
an:  es  gehörte  aber  immerhin  auch  einiger  Scharfsinn  dazu  zu  be- 
weisen, daß  der  «gute  Wille«  ein  berechtigter  ist,  denn  sonderbarer- 
weise haben  sow  ohl  Mekka  wie  Medina  uralte  Forts  (Haram),  beide 
Städte  lagen  an  der  Grenze,  und  Mohamed  selbst  war  ursprünglich, 
soweit  man  der  Geschichte  glauben  darf,  doch  nur  Befehlshaber 
einer  kriegerischen  Frciscliar  oder  Gemeinde.  — 

In  das  gleiche  Sprachgebiet  sind  noch  einzureihen:  «mec«  = 
Schwert,  also  die  Waffe  der  O  r  e  n  zverteidiger:  «mekteb«  ist  die 
türkische  Mi  1  i  t  ä  rakademie;  «medschllSH  sind  die  Räte  in  einem 
türkischen  Kollegium,  sowie  die  Ortsnamen:  Melk,  Molk,  Mödling. 
Mettnitz,  Metz,  Mettau,  Meten  vrh,  Metkovic,  Mi^tne,  Metalka- 
Sattel,  Messina,  Messene.  Messala,  Mesen,  Messenhaus,  Medziskala, 
Medjugorje.  Mezzolombardo,  Le  Mession  (bei  Metz).  Mies  u,  ä., 
welche  alle  mehr  w  eniger  noch  heute  an  Landes-  oder  Provinz- 
grenzen stehen  oder  eine  hervorragende  Rolle  in  der  Grenzsicherung 
eines  Terainabschnittes  spielen.  —  Ein  altslavischer  Gott  hieß  bei  den 
Redariern  «Mita»;  etymologisch  ist  der  Name  gleichbedeutend  mit 
Grenzverteidiger. 

Die  Formen:  Melk,  Mödling  u.  s.  w.  sind  z.  B.  heute  schon  arg 
verballhornt,  denn  w  ir  wissen,  daß  Melk  i.  J.  831  noch  «Medelicha«. 
geschrieben  wurde;  es  bieten  aber  auch  beide  auf  ihren  erhöhten 
Felskuppen  zweifellos  sehr  günstige  Beobachtungspunkte.*) 


*)  Die  laiKlUiufiue  Aiisleuuiiu'.  daß  Melk  wie  MödliiiK  nach  dem  go- 
tischen \'erl)uni  MiiatliljaM«  (~  sprechen)  die  »Sprechende.  üeschwätzigCh 
bedeute,  kann,  weil  ganz  unnatürlich,  für  alle  Zeiten  fallen  gelassen  werden. 
—  Melk  selbst  kann  nebstbei  auch  ein  Paralellnanie  sein,  der  aus  «Mel« 
(vergl.   Melnik)   hervorgegangen   ist.  — 


57 


Gegen  die  slavische  Etymologie,  die  zum  grolkMi  Teile,  wenn 
auch  ohne  richtige  Erklärung,  bisweilen  schon  zugegeben  wird,  führt 
man  vor  allem  an.  daß  etliche  Flüße  auch  den  Namen  »Melk«  tragen 
doch  dies  ist  nichts  Verwunderliches,  denn  das  Gewässer  wurde 
behufs  leichterer  Orientierung  so  benannt,  weil  es  an  einem  wichti- 
gen Landesverteidigimgspunkte  vorüberfloß,  und  zeigen  die  Analo- 
gien, daß  die  Flüsse  meist  nur  sekundäre,  militärisch  wichtigen  Ter- 
rainpunkten entnommene  Bezeichnungen  führen,  je  nachdem  sie  die- 
selben berühren,  begrenzen  oder  verstärken. 

Der  Hoheitsname  hat  sich  als  «maitre«  (=  Lehrer,  Leiter)  noch 
im  Französischen  erhalten;  in  anderen  Formen  wurde  er  zu  Per- 
sonennamen, wie:  Metellus.  Metelko.  Meduna.  Mcdardus.  Medea. 
Medusa,  Methusalem  (Hebr.  der  Gewappnete).  Methusala  (Hebr. 
Mann  mit  dem  Geschossel).  Mezihoräk  (=  Qrenzbeobachter)  u.  a.  — 

Unter  »met,  mete,  metei  meteh,  meta»  versteht  man  im  allge- 
meinen kegelförmige  Aufwürfe  an  der  Grenze;  das  Kroatische  ume- 
teriz«  ist  die  Grenz  schanze  (auch  Hinterhalt).  —  Die  thessali- 
schen  Klöster  «Meteora«  haben  daher  nicht  den  Namen  von  «Meteor«, 
sondern  nach  den  eingentümlichen.  kegelförmigen  Felsmassivs, 
welche  aus  der  Ebene  direkte  über  700  m  emporragen  und  auf  die 
man  teihxeise  nur  mittels  Stricken  und  Leitern  gelangen  kann;  sie 
dienten  einmal  lediglich  als  günstige  Qrenzverteidigungspunkte.  — 
Hieher  gehören  sonach  auch  die  alten  Provinznamen:  Moesia,  Ma- 
kedonia,  Messenia.  —  Auf  den  vielen  «Messbergen«  wurde  demnach 
auch  nicht  zuerst  eine  Messe  gelesen,  sondern  profaner  Grenz- 
wachdienst versehen.  —  Desselben  Ursprungs  ist  auch  der  Pro- 
vinzname «Meklenburg«  (früher  «Melchenburg«).  welches  hiennt  nur 
eine  Qrenzgegend  anzeigt:  die  Burg  selbst  hieß  i.  .1.  973  noch  « Willi- 
grad« (d.  i.  Veligrad,  Belgrad).  — 

Ein  weiterer  engverwandter  Grenzbegriff  ist  «meteh«.  wie  er 
bei  den  Balkanslaven  gebraucht  wird;  Namen  dieses  Ursprungs  sind 
ziemlich  häufig  und  bildet  gerade  «Metohija«  (Metehija,  mit  dem  Pa- 
lalellnamen  Gacko)  die  Grenze  zwischen  der  Herzegovina  und 
Montenegro;  ein  \\eiteres  «MetehijaK.  die  südöstliche  Grenze  Ser- 
biens u.  ä. 

Eine  \\  ichtige  verteidigungsfähige  Lokalität  erhielt  mit  der  Zeit 
überhaupt  statt  des  Eigen  —  den  Gattungsnamen   «mesto.  miasto«, 


58 


was  seinerzeit  als  Lagerplatz,  Versammlungsstelle  der 
Bewohner  eines  Gebietes  galt,  heute  aber  schon  die  Qualifikation 
einer  Stadt,  d.  i.  eines  größeren  Ortes  bezeichnet;  dementsprechend 
ist  «mestys,  mestecko«  der  Gattungsbegriff  für  weniger  bedeutende 
Punkte  dieser  Art  an  einer  Grenzzone. 

Raj.  Alle  topischen  Namen,  wie  Raj,  Rajec.  Rajach.  Raisko, 
Rajbrot,  Rajnkovec.  Reich.  Reichau,  Reichers,  Raichenau.  Reichen- 
berg. Reichub,  Reichenhag  u.  ä.  haben  «rajx  als  Wurzel,  welches  im 
Slavischen  heute  dem  Paradiesesgarten  gleichkommt,  eigent- 
lich aber  das  Jenseits  d.  i.  das  Territorhim  jenseits  der  Grenze 
bezeichnen  will.  Wir  wissen  dies  nicht  nur  aus  dem  Begriffe  «rajniu, 
d.  i.  der  Verstorbene,  der  ins  Jenseits  abgegangen  ist.  aus  der  Re- 
densart «V  raj  iti«  =  die  Grenze  überschreiten,  sondern  erinnert 
daran  das  deutsche  xRain»  =  die  F  e  1  d  g  r  e  n  z  e.  sowie  die  vielen 
Ortsnamen  «Rann",  welche  alle  an  natürlichen  Grenzlinien,  nament- 
lich an  Flüssen  liegen  und  früher  als  «Rayn.  Rain.  Rein«  geschrieben 
wurden.  «Rajhradn  (Kloster  in  Mähren)  ist  sonach  ein  Grenzverteidi- 
gungspunkl;  «Reichstätten«  ist  keine  reiche  Stätte,  sondern  ein 
Grenzhügel  in  Niederösterreich,  wie  auch  «Reichenberg«  kein 
reicher  Berg  ist,  sondern  gab  der  aussichtsreiche  Jeschkenberg 
als  wichtiges  Grenzobjekt  augenscheinlich  der  Ansiedelung  den 
Namen. 

«Raja«  hat  am  Balkan  heute  noch  die  Bedeutung  «Hirte«.  d. 
h.  der  Nachbar  wurde  von  den  Türken  so  benannt;  in  Indien  ist 
jedoch  der  «Raja«  schon  bis  zur  Königswürde  vorgerückt,  wo  er 
sonach  einst  als  Hoheitsname  für  den  Kommandanten  der  Grenz- 
sicherung angew  endet  wurde.  Im  indischen  Epos  Rigveda  hat  «raja« 
auch  schon  den  Gottcharakter.  J{bendaselbst  wird  auch  eines, 
früheren  mächtigen  Grenzvolksstanuns  erwähnt,  der  den  Namen 
«Rajbar«  (raj-var)  führte.  Bewohner  an  solchen  Grenzpunkten  nannte 
man :  R  a  i  t  z  e  n,  R  a  j  c  i,  Ratzen.  Dieses  Ursprungs  ist  auch  der 
Vorname  «Rainer«,  in  der  Heutigen  Form  als  Anrainer. 

Vin.  Dieses  Wurzelwort  liegt  ungewöhnlich  vielen  topischen 
und  ethnographischen  Namen  zugrunde  und  deutet  auf  eine  an  einer 
Grenzlinie  hergerichtete  Verteidig  ungsstellung. 
KVin«  ist  im  Slavischen  in  dieser  Bedeutung,  namentlich  im  Russi- 
schen als»BtHb«("  Gürtel,  Grenze)  erkennbar,  dann  im  Lateinischen 


59 


als  iifiniS"  (—  Grenze),  »vindicare«  (=  rächen):  im  Französischen 
«vindicte.  vindicatif»  (—  strafende  Gerechtigkeit),  deutsch:  \\  inden. 
d.  L  ü  b  e  r  \v  i  n  d  e  n  und  Feind,  welche  Begriffe  an  Überfälle  und 
Kämpfe  an  der  Grenze  anspielen.  Hiezu  gehören  vor  allem:  Wien 
(röm.  Vindomina.  \  indobona).  Windisch  (röni.  Vindonissa  in  der 
Schweiz)  sowie  alle  Zusammensetzuntien  mit  diesem  Bestim- 
niungsworte.  wie:  -Biichl.  -Dorf.  -Garsten,  -Oratz,  -Landsberg, 
-Matrei  u.  v.  a..;  dann:  Vinaf.  Vinarje.  Vinje.  Vino,  Vinica,  Vinkovce. 
Na  vinice,  Vinograd,  Vinohrady  (=  Fiefestigung  an  der  Grenze). 
Wienau,  Vindorf,  Vinti,  Windpassing  (Beobachtungspunkt  an  der 
Grenze),  Weinleiten,  Wiener-Neustadt  (an  der  ungarischen  Grenze). 
dann  die  Volksnamen:  Winden  (Vinidi.  Vindi)  und  Vindelicii.  —  «Vi- 
nodolM  (im  kroatischen  Küstenlande  ist  daher  kein  «vallis  vinaria». 
wie  es  im  Mittelalter  übersetzt  wurde,  sondern  ein  Grenzgebiet  ur- 
alten Datums,  denn  dort  befand  sich  schon  die  Römerfeste  A  s  s  e- 
sia.  Auch  besaß  )A''inodol)i  schon  ein  eigenes  Gesetzbuch,  von  dem 
ein  Exemplar  v.  J.  1280,  in  kroatischer  Sprache  verfaßt,  vorgefunden 
wurde.  —  Wenn  die  Taucher  die  sagenhafte  Wendenstadt  »Vineta«. 
welche  von  der  Küste  Usedoms  ins  Meer  gesunken  sein  soll,  erfolg- 
los suchen^  so  wird  dies  erklärlich,  nachdem  dieser  Name  ja  mög- 
licherweise einst  nur  ein  G  r  e  n  z  g  e  b  i  e  t  oder  ein  G  r  e  n  z  s  i  c  h  e- 
rungsobjekt  bezeichnet  haben  mag.  —  Der  «Wendengletschern 
in  der  Schweiz  bildet  die  Grenze  zwischen  den  Kantonen  Uri, 
Bern  und  Unterwald;  desgleichen  hat  das  deutsche:  Wende,  wenden 
doch  nur  die  Bedeutung  des  S  i  c  h  ii  m  k  e  h  r  e  n  s  an  einem  bcstinnn- 
ten  Punkte. 

Eine  weitere  Klärung  bringen  die  topischen  Namen  mit  der  Wur- 
zelsilbe Kven«.  die  viel  ausgesprochener  diese  Etymologie  stützen. 
Im  Slovenischen  bedeutet  «ventati,  ventiti,  ventovati.  ventanje,  ven- 
tavecx  abwehren,  entgegentreten,  Abwehr.  Vertei- 
diger; das  lateinische  «venio«  gebraucht  man  auch  für:  feindlich 
kommen,  heranrücken:  die  französischen  Begriffe  «veneur«  (=  Jäger, 
xvengeur»  (=  Rächer),  «vendre«  (sich  verteidigen)  sprechen  eine 
noch  präzisere  Deutung  in  diesem  Sinne  aus.  Die  Wenden,  Veneti, 
Venedi  sind  daher  die  Grenzbewohner  im  allgemeinen,  das  «Hohe 
Venn,  Venedig,  Vendee,  \'enosa  (röm.  Venusium),  Weimar  (früher 
Vinar),  Venusberg  (ein  solcher  hieß  früher  Veensberg).  Ventia. 
Venta«   u.  ä.  sind  sonach  Grenzgebiete   und  Zufluchtsorte.  —   Den 


Schlesien!  sind  uFeinesleutei'.  auch  »Venusleuteii  sagenhafte  Be- 
wohner von  alten  Qöttersitzen,  Anhöhen  und  Felskuppen,  die  den 
Umwohnern  in  Not  und  Gefahr  beistehen.  —  In  dieser  ihrer  Beschäf- 
tigung liegt  aber  auch  versteckt  die  Etymologie  ihrer  hiezu  geeigne- 
ten Aufenthaltsorte,  denn  sie  wohnen  angeblich  am  «Fenesstein«  (bei 
Pitarn  wie  bei  Schwarzwasser),  in  der  »Fenshöhe«  (bei  Messendorf) 
u.  ä..  denn  es  fällt  auf.  daß  die  Nachbarorte  selbst  schon,  sprachlich 
als  Qrenzorte  gekennzeichnet  sind,  und  waren  die  xFenesleute«  eben 
die  Grenzwächter,  welche  den  Umwohnern  «in  Not  und  Gefahr«  bei- 
standen. —  Die  Küstenbewohner  «Phönizier«  sind  gleichbedeutend 
mit  «Veneti«  und  täuscht  uns  nur  der  angelernte  Gebrauch  der  grie- 
chischen Namensform.  Etymologisch  dasselbe  sind  die  von  Homer 
erwähnten  »"Ei-stok  in  Paphlagonien. 

Es  kann  dem  Kenner  der  Lage  von  Wien  auch  gar  nicht  ent- 
gehen, daß  die  Stadt  einerseits  tatsächlich  an  einer  natürlichen 
Grenze  liegt  und  war  dieselbe  andererseits  dadurch  gefährdert.  daß 
der  Gegner  von  Norden  her  gerade  hier  infolge  der  vielen  Inselbil- 
dungen leicht  und  gedeckt  einen  Uferwechsel  bewerkstelligen  konnte. 

Wenn  aber  auch  jedes  Geschichtsbuch  sagt,  daß  Wien  ur- 
sprünglich eine  keltische  Ansiedehmg  war,  so  hat  meine  Deutung 
dieses  Namens  früher  doch  zu  großer  Skepsis  sowie  zu  allerlei  Be- 
schuldigungen, wie:  ich  betreibe  lediglich  Slavomanie.  Phantasterei 
u.  drgl.  Anlaß  gegeben,  daher  ich  mich  verpflichtet  fühle  noch  einige 
Orientierungsdaten  zuzufügen,  denn  daß  Wien  einst  s  1  a  v  i  s  c  h  war, 
ist  außer  den  Lokalnamen:  Wieden,  Am  Tabor,  Leopoldsberg  u.  s. 
w.  und  den  sonstigen  Ortsnamen  Niederösterreichs  auch  durch  einige 
Kultusnotizen  ersichtlich.  Gerade  diese  zeigen  uns  deutlich  an.  daß 
die  W  i  n  d  e  n  (Slovenen)  aUmahlig  vom  Norden  gegen  den  Süden 
verdrängt  wurden,  bezw.  sich  sprachlich  mit  den  Deutschen  assimi- 
liert haben,  denn  der  russische  Chronist  Nestor  (11.  Jahrh.).  erzählt 
z.  B.  daß  die  Merowinger  den  Krönugseid  auf  ein  «slavonisches« 
Evangelium  leisteten.  .'Ms  Zar  Peter  in  Rheims  weilte  (im  Jahre  1717), 
zeigte  man  ihm  daselbst  dieses  hochbewertete  Buch,  welcher  sofort 
die  Sprachzugehörigkeit  des  Inhaltes  erkannte. 

Aus  der  Vorrede  der  Übersetzung  von  Durandus's  «Rationale 
divinorum  officiorum«.  welche  i.  J.  1384  Herzog  Albrecht  mit  dem 
Zopfe  anfertigen  ließ  (der  Codex  befindet  sich  in  der  Hofbibliothek  in 


—  61   — 

Wien),  ersitlit  man  auch,  daß  um  diese  Zeit  in  Wien  der  Gottes- 
dienst noch  in  der  siovenischen  Sprache  abgehalten  wurde. 
Die  betreffende  Stelle  besagt,  daß,  «zum  drittenmale  (zimi  erstenmale 
lateinisch,  zum  zweiten  griechisch,  d.  i.  altslavisch, 
deutsch  noch  gar  nicht)  die  Messe  in  w  i  n  d  i  s  c  h  e  r  Sprache  ab- 
gehalten wird  wegen  der  Allgemeinheit  und  der  großen 
VerbreitungdlcserSp  räche,  «denn  keine  andere  Sprache 
ist  so  weit  verbreitet  als  diese  Sprache,  die  man  die  w  i  n  d  i  s  c  h  e 
nennt«.*) 

Das  Kapuzinerkloster  in  Wien  ver\\ahrt  unter  anderem  einen 
Beutel,  der  aus  dem  Anfang  des  11.  Jahrhundertes  stammt;  auf  die- 
sem befindet  sich  folgende  altslovenische  Aufschrift:  Boze  uscedri  ny 
i  blagoslovi  ny  i  prosveti  lice  svoje  na  ny  i  omi  —  (Herr  belohne 
ihn  und  segne  ihn  und  lasse  dein  Antlitz  leuchten  auf  ihn  .  .  .).  — 
Dieser  Beutel  (bursa)  bildete  aber  einst  einen  Teil  der  ungari- 
schen Kroninsignien  und  w  urde  vom  Kaiser  Ferdinand  III.  dem  ge- 
nannten Kloster  geschenkt.**) 

Die  Bürger  von  Laibach  und  Krainburg  stifteten  i.  J.  1495  ein 
Beneficium  in  Aachen  und  hielten  daselbst  einen  siovenischen  Pre- 
diger, wohin  jährliche  Heiltumsfahrten  unternommen  wurden,  weil 
die  Slovenen  sogar  dort  aus  einer  früheren  Zeit  noch  eigene  Gnaden- 
objekte  gehabt  haben  mußten.***) 

")  Wortlaut  in  der  Handschrift  (Nr.  27(i5  und  .ün-45):  Daraus  ist  auch 
zu  sagen,  umh  wie  das  Amlit  der  Messe  in  dreyerhande  Sprache  wird  be- 
dangen nach  des  heiligen  Römischen  Stuls  Verliengnus  und  Willen,  wissen- 
leichen:  chriechisch,  lateinisch  und  windisch,  und  warumh  in  Ebraischer 
Zungen  cain  Mess  gesprochen  wirt,  sind  das  doch  das  Ampi  der  Messe 
Ebraischcn  angevangen  ist  oder  wart.  Dar  zu  ist  zersprechen,  das  drei 
gelehrte  Sprachen  ausgennninien  seint  in  den  dicz  wirdig  Ampt  be- 
gangen wirt  in  Bezaichnunge  der  heiligen  Drifalticheit  mit  der  und  in  der 
CS  wird  begangen  .  .  :  dann:  Zu  dem  dritenmahl  die  Messe  begangen  in 
windischer  Sprach  durch  Sache  der  Braittunge  und  Oemaihait.  waii 
kain  ainige  Sprach  an  ir  selber  ist.  so  weit  geteilet,  als  die  man  windische 
nennet  .  . 

"")  Den  alten  Schriftstellern  (wie  z.  B  Lud.  Gebliardi).  welche  sagen, 
daß  der  erste  ungarische  Monarch  seinen  neuen  Staat  nach  slavischen 
Mustern  geformt  hatte,  kann  man  daher  durchaus  nicht  widersprechen. 

**')  Daß  sich  die  Slovenen  noch  im  15.  .Jahrhunderte  für  Aachen  be- 
geisterten, rührt  daher,  weil  sie  jedenfalls  durch  irgendwelche  religiöse  oder 
kulturelle    Bande    an    ihre    einstigen    Wohnsitze    daselbst    erinnert    wurden. 


Die  obige  Notiz  im  «Rationalei'  bedarf  daher  vor  allem  keines 
näheren  Kommentars;  nebstbei  dürfte  sie  aber  auch  jene  Urteile 
etwas  alterieren,  die  meine  Erklärung  kurzerhand  als  «lächerlich^ 
abtun  wollten. 

Alte  Urkunden  bcw  eisen  überdieß  auch,  daß  um  das  Jahr  1000 
n.  Chr.  z.  B.  um  Kremsmünster  noch  »windisch»  gesprochen  wurde.*) 
Noch  frappanter  ist  die  Beschreibung  Wiens  seitens  des  Histo- 
rikers Bonfini  (um  1450).  welcher  die  Stadt  folgend  schildert:  Wien 
gehört  gewiß  unter  die  schönsten  Städte  der  Barbaren.  Wien's 
ganzes  Gebiet  ist  ein  ungeheurer,  herrlicher  Garten,  mit  schönen 
Rebenhügeln  und  Obstgärten  bekrönt  etz.;  und  dann:  die  Stadtmauer 
hat  wohl  über  20(10  Schritte  und  doppelte  Wälle,  damit  das  grobe 
Geschütz  ihnen  desto  w  eniger  Abbruch  tue.  Rings  um  die  Wälle  ist 
ein  schöner  Spaziergang;  auch  sieht  man  dort  viel  schöne  Türme, 
einige  ganz  von  Quadern  und  viereckig,  andere  aus  gebrannten 
Ziegeln  mit  schönen  Gittern  und  Fenstern  geziert  und  mit  eisernen 
Pförtlein  versehen.  Die  Schußlöcher  stehen  30  Schuhe  hoch  und  fassen 
jedes  Geschütz.  In  den  Gräbern  sind  mehrere  Quellen  und  es   ist 

denn  Aachen's  älteste  Naniensformeii  sind  slavisch.  Daß  die  Sprache  des 
Unterjochten  immer  naturnotwendige  Konzessionen  seitens  des  Eroberers 
genießt,  hieiiir  gibt  es  noch  viel  ältere  Beweise.  So  zeigt  uns  das  Tonpris- 
menarchiv von  Ninive  dasselbe  Verhältnis.  Dieses  hat  uns  eine  Menge 
Bitten,  Litaneien,  Psalmen  und  Rituale  in  zweisprachiger  Abfassung  erhal- 
ten, denn  die  assyrischen  Priester  mußten  sich  beim  Gottesdienste  auch  der 
alten  «heiligen»  Sprache  der  Sumerier.  d.  i.  jener  Sprache  bedienen,  welche 
den  Ureinwohnern  verständlich  war. 

')  Siehe:  Strnadt.  die  Geburt  des  Landes  ob  der  Enns.  p.  1-4  u.  \S; 
Mon.  boic.  XI.  Iii6:  Kümmel.  Die  Anfänge  deutschen  Lebens  in  Österreich, 
p.  I6i1 — 163.  —  So  ist  es  auch  erklärlich,  daß  in  der  von  seinem  Schüler 
Eugippius  um  511  n.  Chr.  verfaßten  Biographie  des  hl.  Severin  einer  mön- 
chischen Niederlassung  «ad  vineas«  erwähnt  wird,  die  man  in  die  Nähe  des 
heidnischen  Qötterbergcs  nächst  Göttweig  verlegt  und  als  «bei  den  Wein- 
bergen« übersetzt  hat:  die  naturgemäße  Translation  ist  wohl  «an  der 
Grenze«.  —  Es  sei  hier  auch  folgende  Kuriosität  Wien's  erwähnt.  —  Eür 
die  Besucher  des  Stephansturmes  befand  sich  früher  im  Eintrittsraume  fol- 
gende in  Stein  gehauene  Orientierung  in  slovenischer  Sprache:  Listie  za  sv. 
Stefana  nahod  .  .  .  'd.  i.  Karten  für  den  Aufgang  auf  den  Stephansturni  .  .  .) 
Seit  etwa  3(1  Jahren  ist  dieselbe  entfernt.  —  Es  war  jedenfalls  einst  ein 
praktisches  Bedürfnis  eine  solche  Belehrung  anzubringen  und  für  die  \\'ien 
besuchenden  Engländer  oder  .Amerikaner  hat  man  sicherlich  nicht  gerade 
den  slovenischen  Text  gewühlt. 


Iticlit  sie  schnell  und  ringsum  mit  Wasser  zu  füllen.  Neben  den  Stadt- 
toren stehen  große  viereckige  Türme,  haltbar  gegen  den  wütendsten 
Angriff  ctz.  —  Wir  werden  sonach  die  gangbare  Bedeutung  des  Be- 
griffes "Barbareni'  auch  mit  der  Zeit  zu  Besserem  umwerten,  zumal 
w  ir  wiederholt  hören,  daß  die  hochgebildeten  Griechen,  die  dies  auch 
nicht  ohne  weiche  Vorbilder  und  Vorbereitung  geworden  sind,  ihre 
Kenntnisse  doch  auch  von  da  und  dort,  also  auch  von  den  «Barbaren >< 
übernommen  haben  mußten.  — 

Es  ist  hier  auch  der  Platz  dahin  zu  weisen,  daß  das  Nieder- 
reißen der  einstigen  Bedeutung  und  Ausdehnung  der  Wenden  — 
Slaven  erst  in  neuester  Zeit  systematisch  eingesetzt  hat,  namentlich 
seit  die  bewußte  oder  unbewußte  Fälschung  der  (jeschichtslehrbü- 
cher  allgemeine  Oberhand  erhielt,  denn  die  ältesten  Schriftsteller,  die 
noch  vom  (lifte  nationaler  Gehässigkeit  nicht  betäubt  waren,  er- 
zählen mit  ungetrübtem  Freimute  über  die  Slaven  alles  das,  was  sie 
eben  diesbezüglich  wußten,  sahen  oder  hörten,  mochte  es  nun  günstig 
oder  ungünstig  auslauten.  So  schreibt  Ludwig  Gebhardi  in  seiner  «Ge- 
schichte aller  Wendisch-Slavischen  Staaten»  (Halle  1790),  obschon 
man  aus  verschiedenen  kritischen  Bemerkungen  durchaus  auf  keine 
slavenfreundliche  Tendenz  desselben  schließen  kann,  in  der  «Vor- 
rede« folgendes:  »In  den  Jahrbüchern  der  Welt  findet  sich  keine 
Völkerschaft,  welche  so  sehr  die  Aufmerksamkeit  der  Weltweisen 
auf  sich  ziehet,  als  diejenige,  die  man  bald  die  wendische,  bald 
die  s  1  a  V  i  s  c  h  e  Nation  nennet.  Denn  diese  bewohnt  oder  beherrscht 
jetzt  die  Hälfte  von  Europa  und  Asien,  und  schon  im  17.  Jahrhundert 
gab  der  Regent  eines  Teiles  derselben  (Fedor.  Großfürst  der  Russen) 
nicht  durch  ein  fürchterliches  Heer,  sondern  durch  einige  Hundert 
Abenteuer,  seinem  Reiche  eine  solche  Ausdehnung,  daß  es  weit  größer 
ward,  als  eine  derer  ältesten  Monarchien,  die  von  unseren  Vorfahren 
Herrschaften  der  ganzen  Welt  genannt,  und  deren  zahlreiche  Erobe- 
rer fast  als  übernatürliche  Menschen  bew  undert  zu  werden  pflegen. 
Die  Urheber  dieser  furchtbaren  Nation  machten  keine  Entwürfe  zur 
Errichtiuig  großer  Staaten,  sondern  dachten  nur  auf  Zerstörung  blü- 
hender Staaten,  oder  auf  Befriedigung  ihrer  Leidenschaften,  ver- 
nichteten gewöhnlich  durch  Eigenwillen  und  fehlerhaft»  Regiments- 
•  erf-ss'-ngen  die  Vorteile,  die  sich  ihnen  ungesucht  darboten,  und 
gelargten  dennoch  zu  der  beträglichen  Größe,  die  bei  ihrr-n  Nach- 
kommen noch  immer  'm  \\"?chshnne  begriffen  ist.  P'e  Nachrichten. 


die  von  dieser  Nation  vorhanden  sind,  fangen  mit  ihrer  Kindiieit  an. 
und  werden  nicht  nur  für  den  Geschichtsschreiber  der  Nation,  sondern 
für  jeden,  der  sich  über  Entstehung  menschlicher  Größe  durch  Tat- 
handhmgen  beiehren  will,  so  wichtig,  daß  man  schon  lange  hätte 
auf  eine  vollständige,  allgemeine  Geschichte  aller  Wenden  denken 
müssen,  die  aber  bis  jetzt  noch  immer  fehlt«.  --  In  der  goldenen  Bulle 
V.  J.  1356,  welche  als  deutsches  Reichsgrundgesetz  gelten  sollte, 
verlangt  Kaiser  Karl  IV..  daß  jeder  Kurfürst  die  wendische  Sprache 
fertig  reden  müsse,  in  der  Absicht  selbe  zur  herrschenden  Staats- 
sprache zu  machen.  —  Von  Kaiser  Otto  I.  (936)  erzählt  V^'idukind. 
daß  er  die  romanische  und  slavische  Sprache  zu  sprechen  vermochte. 
—  Man  entnimmt  diesem  allem,  daß  wendisch  damals  noch  die  ei- 
gentliche Volkssprache  war,  daß  man  aber  in  Hofkreisen  lateinisch 
sprach,  ähnlich  wie  man  noch  im  Anfange  des  19.  Jahrhundertes  das 
Deutsche  mied  und  nur  das  Französische  als  hoffähige  Sprache  an- 
wendete. — 

Van.  Im  Deutschen  gibt  es  viele  Ortsnamen  in  der  Form: 
Wanzen.  W  a  n  z  e  n  a  u  W  a  n  z  1  e  b  e  n  u.  ä.,  welche  etymologisch 
mit  der  zoologischen  Wanze  nichts  zu  schaffen  haben,  denn  das 
Grundwort  "van«  (Wand)  kennzeichnet  eine  Grenze,  «wandern« 
=  die  heimatliche  Grenze  überschreiten;  «vanati,  vantati.  vancati. 
vancati»  im  Slavischen:  hüten,  achtgeben,  aufmerken;  es 
waren  dies  sonach  ursprünglich  Beobachtungspunkte  an 
irgendeiner  Grenzzone.  —  Sonstige  topische  Namen  dieser  Wur- 
zel sind:  Wan  (türkisches  Vilajet  und  Zitadelle),  Wang.  Wanau.  Wa- 
nitz,  Wank(n\-,  Wanowitz,  Wansch.  Wantsch.  Wantschen.  Vanca. 
Vantacic,  Vandans  u.  ä.  — 

Dei'  lioheitsbegriff  war  xVan«,  \\  ie  er  sich  im  Holländischen  als 
Attribut  bei  vielen  Personennamen  noch  erhalten  hat.  —  Die  «Wa- 
nen«  der  Edda  sind  lediglich  die  gefürchteten  Grenznachbarn,  die 
«Riesen,  die  von  Osten  kamen,  die  Weltordnung  stark  erschütterten 
und  etliche  Äsen  stürzten«.  —  Als  feindliche  Grenznach- 
barn sind  auch  die  «Vandalen«  anzusehen.  —  Die  Völkergeschichte 
sagt  zwar,  daß  sie  ein  g  e  r  m  a  n  i  s  c  h  e  s  Volk  waren,  das  im  J.  439 
das  Vandalenreich  in  Afrika  gründete,  deren  Name  aber  mit  dem 
Jahre  534  wieder  völlig  erlöscht,  als  deren  König  Gelimer  dem  o.st- 
römischen  Feldherrn  Belizar  unterlag.  —  Nun  wissen  wir  aber,  daß 
der  hi.  Ruppcrt  noch  i.  .1.  705  den  «Vandalen«  predigte;  es  heißt  näm- 


lieh:  transcenosque  nionte  altissimo,  mons  Durus  (—  Tauern)  appe- 
lato.  praedicavit  Wandalis  («nach  Passieren  des  sehr  hohen 
Durus-Qebirges  predigte  er  den  Wandalen«),  worunter  man  die 
heutigen  S  1  o  v  e  n  e  n  zu  verstehen  meint,  als  die  Bewohner  süd- 
wärts jenes  genau  bekannten  Gebirges.  Die  eine  oder  die  andere  ge- 
schichtliche Feststellung  muß  sonach  falsch  sein;  wahrscheinlich  ist 
aber  dies  die  erstere,  denn  niemand  wird  jemandem  predigen,  der 
seit  170  Jahren  nicht  ist!  — 

Helmold  («Chronika  Slavorum«)  schrieb  i.  J.  1172:  «An  der 
Grenze  Polens  kommt  man  zu  einem  sehr  ausgedehnten  slavischen 
Lande,  nämlich  zu  denen,  die  voralters  Wandalen,  jetzt  aber 
W  i  n  i  t  h  e  n  oder  W  i  n  u  1  c  r  genannt  werden.  Die  ersten  derselben 
sind  die  Ponieranen,  deren  Wohnsitze  sich  bis  an  die  Oder  er- 
strecken«. Die  «Wandalen«  Afrikas  und  jene  Pommerns  sind  daher 
offenkundig  zwei  lokal  verschiedene  Volksstämme,  wobei  sich  noch 
die  Frage  aufwirft,  wer  die  ersteren  —  ein  ganzes  \'olk  —  nach 
Afrika  überschiffte,  denn  dies  ist  doch  keine  so  einfache  Prozedur, 
daß  man  sich  darüber  keine  Vorstellung  weiter  zu  machen  brauchen 
müßte.  —  Herbord  («Leben  des  Bischofs  Otto  von  Bamberg«)  er- 
zählt um  das  Jahr  1200  ergänzend:  «Der  polnische  Herzog  Boleslaus 
(1102 — 1139)  habe  die  Pommern,  weil  sie  Heiden  waren,  entweder 
auszurotten  oder  aber  zum  Christentume  zu  bekehren  versucht.  Die 
Pommern  setzten  jedoch  im  Vertrauen  auf  ihre  Kräfte  und  weil  sie 
Städte  und  am  Eingange  ihres  Landes  sehr  viele  durch  Natur  und 
Kunst  befestigte  Burgen  hatten,  bewaffneten  Widerstand  entgegen; 
doch  sie  wurden  besiegt,  und  ihre  Stadt  Stettin,  die  von  allen  Seiten 
von  Sumpf  und  Wasser  umgeben  war.  daher  als  uneinnehmbar  galt, 
wurde  durch  Benützung  der  Eisfläche  erobert.  Der  Herzog  führte  nun 
8000  Mann  mit  Weib  und  Kind  nach  seinem  Lande  und  siedelte  sie  an 
den  gefährlichen  Qrenzpunkten  in  Städten  und  Burgen  an.  damit  sie 
sein  Land  schützen  und  mit  seinen  Feinden,  den  auswärtigen  Völ- 
kern, Krieg  führen.«  —  Nun,  hiemit  hätten  diese  P  o  m  m  e  r  n-V  a  n- 
d  a  1  e  n  wohl  nur  eine  fiktive  Transferierung  durchgemacht,  denn 
sie  verteidigten  bestenfalls  nun  die  nominell  polnische  Grenze,  die 
aber  eben  früher  ihre  eigene  war.  Sehr  fraglich  ist  es  aber,  daß  ein 
Eroberer  je  so  unvorsichtig  war  und  die  Verteidigung  seines  Landes 
einem  eben  unterworfenen,  daher  völlig  unverläßlichen  Volksstamme 
überantwortet  hätte,  den  man  vor  allem  selbst  bewachen  muß.  In 


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dieser  Schilderung  ist  sonach  entweder  der  Kriejjsziig  oder  die  dis- 
ponierte Ansiedlung  historisch  nicht  haltbar!  —  Auffallend  ist  es 
aber,  daß  hier  durchwegs  \'olksnamen  vorkommen,  die  alle  etymo- 
logisch die  Grenze  bezeichnen,  wie  «pol,  van,  vin.  mor  (d.  i.  «Po- 
morzanix  =  die  an  der  Grenze  Wohnenden).*) 

Alle  mythologischen  wie  auch  sagenhaften  Daten  über  die 
iiWanengötter«,  die  polnische  Königstochter  KWanda«  (wahrschein- 
lich ist  dies  aber  ursprünglich  ein  männlicher  Name),  den  Quaden- 
fürsten  Vannius  (Vana)  u.  a.  müssen  in  Bezug  auf  ihre  Entstehung 
auf  eine  sehr  prosaische  Basis  rückgeschoben  werden.  Eigennamen, 
wie:  Vanek.  Wannieck.  Vanicek,  Vanino  u.  ä.  deuten  auf  Familien, 
denen  die  Grenzverteidigung  oblag,  oder  die  an  der  Grenze  wohn- 
ten; der  einzelne  Verteidiger  hieß  «Fant«  (Vant),  wie  man  noch  heute 
einen  erwachsenen  Burschen  benennt.  — 

Überdies  erzählt  Krantz  in  «Wandalia«  (Hanau  1619).  daß  die 
Slaven  mit  dem  alten  Namen  «Vandali«  hießen  und  daß  dieser  Name 
wieder  In  Folge  Änderung  des  Stammvokales  mit  «Wenden«  iden- 
tisch sei.  sowie  daß  der  einflußreichste  Mann  bei  den  Wandalen 
«Winus«  genannt  \\  urde.  — 

Vag,  Waag.  Auch  dieses  sind  Bezeichnungen  für  bewachte 
Grenzgebiete.  Der  Slovene  sagt  noch  immer:  «na  vagi«  (=  an 
der  Grenze),  dem  Russen  ist  «vagän«  der  starke  Bauern- 
bursche, der  zum  Soldaten  Geeignete;  dem  Deutschen  ist  «Va- 
gant« und  «Vagabund«  derjenige,  welcher  leichtlebig  ins  fremde 
Gebiet  zieht;  ein  «vager«  Begriff  ist  ein  solcher,  der  nicht  genau 
begrenzt  ist;  die  «Wagsteine«  sind  prähistorische  Grenzzei- 
chen gewesen.  Das  deutsche :  Wacht,  Wache  sind  schon  vor- 
geschrittene Begriffe  für  die  Sicherung  der  Grenzgebiete,  daher  die 
vielen:  Wach-  und  Wacht  berge.  Das  durch  die  Waag  (Slova- 
kei)  geteilte  Gebiet  wird  «Povahi«  (—  Waaggegend,  Qrenzgegendi 
genannt,  und  fällt  auch  durch  die  vielen  grenz-  und  verteidigungs- 
technischen Ortsnamen  auf.  —  Sonstige  Namen  dieses  Stammes  sind: 


*)  Auch  die  chinesische  Mauer  ist  nichts  weiter  als  etymologisch  die 
Qrenzmauer  und  heißt  auch  im  Chinesischen  «Wan-li-cang-cenK«  d.  i. 
die  Qrenzmauer  von  10  000  Li  Länge.  —  Ein  Tor  bei  Peking  weist  .«osar 
Ii;schritten  in  sechs  Sprachen  auf  u.  z.  in  erster  Linie  in  Sanskrit,  ein  Beweis, 
daß  die  Chinesen  einst  nicht  so  exklusiv  waren,  wie  heute,  oder  daß  ein 
anderes  Volk   damals    das  regierende  war. 


Wachau  (an  der  Donau,  bei  Leipzig  u.  a.).  \'acha  (bei  Weimar), 
Wachtl,  Wagrein,  Wagram.  Wagna,  Wagendorr,  Wagstadt.  Wagrien 
(der  von  den  alten  Wenden  bewohnte  Teil  von  Hoistin)  u.  a. 

Klin,  KHni,  Na  klinah,  Kien,  Chlen,  dein,  Clin,  Hlinsko  u.  ä.  deu- 
ten auf  Grenzlinien,  denn  im  Altslavischen,  namentlich  Altböh- 
mischen, gilt  «klinv  noch  als  Grenzpflock,  Eckstück. 
G  r  e  n  z  f  e  1  d,  dann  als  Grenzstreifen  im  allgemeinen.  Das 
Grundwort  ist  «klenitix  (=  abschließen),  wovon  noch  der  Begriff 
xklenot«,  der  im  Deutschen  zu  dem  sinnlosen  nKleinod"  wurde,  für 
etwas  Umschließendes  (z.  B.  Spange,  Ring,  Halskette,  Dia- 
dem) im  Böhmischen  noch  heute  gebraucht  wird.  Ansonst  wenden 
die  Slovenen  z.  B.  «vkleniti»  (=  in  Spangen  schließen),  xzakleniti« 
(—  einschließen),  «oklenitix  (=  umschließen)  u.  a.  an,  die  alle  den 
Begriff  des  Schließen  s,  Abschließen  s,  Abgrenzens  in 
sich  bergen.  —  Auf  Basis  des  Begriffes  «skleniti"  (=  abschließen) 
bildeten  sich  auch  die  Ortsnamen  Sklenov,  Sklenau,  Sklen,  Skleny, 
Sklennä  u.  ä.,  welche  sonach  auf  eine  einstige  vorbereitete  Grenz- 
sicherung schließen  lassen  und  meist  auch  noch  Beweise  hiefür  durch 
Schlösser  oder  Ruinen  daselbst  erbringen. 

Jablonka,  Jablanje,  Jablonany,  Jablonov,  Jablone,  Jablunkau, 
Jablanica,  Gablitz,  Gabel.  Qablonz  u.  ä.  haben  mit  der  landläufigen 
Deutung  »Apfelgegend»  (iablan  =  Apfelbaum)  nichts  zu  schaffen 
und  weisen  auf  Punkte,  welche  einst  technisch  verstärkt  oder  in  eine 
Verteidigungszone  einbezogen  waren.  Das  reine  Grundwort  konnte 
einstweilen  nicht  gefunden  werden;  nur  die  Russen  gebrauchen  noch 
ein  organisch  verwandtes  als  «gabjunn  (=  der  Schanzkorb).  Tatsäch- 
lich haben  aber  alle  Lokalitäten  dieses  Klanges  irgendwelche  äußere 
Anzeichen,  daß  sie  einst  fortifikatorisch  verwertet  wurden.  —  So  ist 
«Gabelax  im  Südslavischen  der  Ort,  wo  der  Zoll  eingehoben  wurde, 
d.  i.  der  Punkt,  den  man  zu  diesem  Zwecke  absperrbar  machte; 
dem  Polen  ist  es  heute  der  Zoll,  die  Steuer  selbst,  also  der 
Punkt  an  der  Grenze;  Jablunkau  (Schlesien)  ist  umgeben  von 
«Kostkövx  und  gilt  in  alten  Aufzeichnungen  stets  als  Grenzfestung; 
am  Jablunkau-Passe  befand  sich  eine  Reihe  von  Schanzen,  die  noch 
heute  mehr  weniger  erhalten  sind;  Pläne  aus  dem  Jahre  1680  führen 
noch  an:  Große,  Kleine,  Alte  und  Ochsen-Schantz,  von  denen  na- 
mentlich  xStari  sanacK   (Alte  Schanze)  sehr  alten  Ursprungs  sein 


muß,  denn  hier  an  der  Grenze  von  Schlesien  und  Ungarn  war  die 
günstigste  Einbruchsteile  von  Osten  her.  —  Jablanica  (Herze- 
govina)  ist  eine  wichtige  Talsperre,  welche  zur  osmanischen  Zeit 
(ebenso  wie  heute)  militärisch  besetzt  war;  Jablonica  hieß  eine 
Redoute  der  alten  Festung  Bosnisch-Novi;  J  a  b  1  a  n  j  e  (Untersteier- 
mark) besaß  einst  eine  größere  Schanze,  denn  eine  Urkunde  v.  J. 
1502  besagt,  daß  sich  bei  «Gablanach»  auf  dem  Pettauer-Felde  ein 
«Tabor«  befand.  —  Ähnlich  ist  es  bei  Gabel  und  Gab  Ion  z  in 
Nordböhmen:  bei  dem  ersteren  gibt  der  L  ä  m  b  e  r  g  (=  Grenzberg), 
bei  dem  letzteren  der  aussichtsreiche  S  c  h  w  a  r  z  b  r  u  n  n  («Schwarz« 
hier  falsch  aus  «cerny»  statt  «cirny»  übertragen)  als  einstige  tech- 
nisch hergerichtete  Sperre.  —  Hieher  ist  etymologisch  vielleicht  auch 
das  kriegerische  Hirtenvolk  der  Japoden,  mit  seinen  Felskastellen, 
einzureihen.  Hiezu  gehören  auch  die  mit  «H«  beginnenden  topischen 
Namen,  wie:  Havel.  Habelschwerdt  u.  ä.,  wobei  «hav«  in  der  Bedeu- 
tung :  K  ü  s  t  e  n  w  a  1 1.  D  ü  n  e  n  s  c  h  a  n  z  e,  Nehrung,  die  das 
offene  Meer  absperren,  daher  Hafen,  noch  bekannt  ist.*)  Das  «Ha- 
velland«  war  einst  vermöge  seiner  sehr  geschütztenGrenzen 
ein  großes  Bollwerk  gegen  feindliche  Angriffe. 

Augenscheinlich  gehören  hieher  auch  die  vielen:  Habr,  Gaber. 
Qabernik,  Gaberje  u.  ä.,  sowie  die  zahlreichen  «Havranna  Skala«,  die 
fast  immer  an  Punkten  stehen,  die  noch  heute  irgendeine  Grenze 
bilden.  — 

Hiezu  gehören  weiters  die  Namen:  Absberg.  Absdorf, 
Absbach,  Abstetten,  Abstall,  Abtsdorf.  Habstein. 
Kaps.  C  h  a  p  f  i  s.  C  h  a  p  f  a  s  u.  ä.  Es  sind  dies  augenscheinlich 
Orte,  wo  der  Älteste  bereits  hohegerichtsherrlicheRech- 
t  e  innehatte,  denn  solche  Punkte  haben  immer  feste  Objekte  und 
sind  diesen,  da  es  sich  hier  zugleich  um  Aburteilung  größerer  Ver- 
brechen handelte,  auch  Kerkertürme  beigegeben.*)  die  natürlich  mit 
den  Aussichtstürmen  der  Schlösser  und  Burgen  identisch  waren. 
Der  Älteste,  der  Kommandant,  der  Qerichtsherr  hieß  in  diesem  Falle: 
Abt.  o  p  a  t  (slav.).  c  a  p  u  t  {=  Haupt),  k  a  p  i  t  a  n  (slav.). 


*)  Ähnliche  Verhältnisse  hat  auch  der  beiestiste  Hafen  L  e  H  a  \  r  e 
de  G  r  a  c  e   (gradec  =   kleine  Festung)   in   Frankreich.  — 

')  Man  gebraucht  deshalb  auch  die  Redewendung:  in  den  Turin  ge- 
worfen werden. 


Diese  Etymologie  gibt  auch  Klärung  über  den  Namen  «Habs- 
burg«.  Auf  der  Höhe  Wülpelsberg,  auf  welcher  die  Habs- 
burg steht,  befand  sich  in  vordenklicher  Zeit  ein  Aussichtsturm  zur 
Beobachtung  und  Sicherung  gegen  feindliche  Anschläge.  Später  er- 
baute sich  der  mit  dem  Schutze  jener  Gegend  Betraute  eine  Burg 
beim  Turme  selbst,  womit  die  Höhe  eine  verstärkte  Verteidigungs- 
fähigkeit erhielt.  Als  das  Ansehen  des  Verteidigungskommandanten 
dieser  Höhe  wuchs  und  ihm  die  Sicherung  des  ganzen  Kantones 
Aargau  oblag,  befand  sich  daselbst  auch  das  Zentralgericht  dieses 
Kantons.  Der  älteste  Bauteil  der  Habsburg  ist  tatsächlich  der  große 
Turm  mit  einer  Etage  tief  unter  der  Erde  und  drei  weiteren  oberir- 
dischen. 

Der  Begriff  xhaps«  ist  nämlich  bei  den  Balkanslaven  noch 
heute  in  vollem  Gebrauche  für  Kerker,  Haft.  Der  Slovene  ver- 
steht unter  »hapati« :  haschen,  schnappen,  züchtigen  (na- 
mentlich der  Kinder);  der  Ceche  gebraucht  xkapsa«  (=  Sack,  Abge- 
schlossenes); litauisch:  «kapt«  (=  faßt  ihn!);  deutsch:  xboppimeh- 
men;  lat,  «captuSK.  —  Sonderbarerweise  heißt  auch  der  Kerker, 
in  welchem  Christus  gefangen  gehalten  wurde,  wie  dies  jedermann 
in  Jerusalem  gezeigt  wird,  »Habs  el  Messiach.K 

Slavische  Ortsnamen  der  Wurzel  «hapsn  sind  ins  Deutsche  oft 
als  «Amtmannsdorf«  übertragen  worden,  und  zeigen  somit  selbst- 
tätig an,  daß  an  solchen  Punkten  ein  Gericht  höherer  Instanz 
war;  so  besaß  der  Überlieferung  nach  der  Amtmann  in  Apace 
(richtiger  xHapacje«,  deutsch:  Amtmannsdorf  auf  dem  Pet- 
tauer-Felde)  sogar  das  jus  g  1  a  d  i  i.  —  Ein  solcher  Funktionär 
mußte  deshalb  ein  festes  Objekt  als  Gefängnis  zur  Verfügung  haben 
und  ist  überall  ein  solches  auch  noch  jetzt  nachweisbar,  doch  nennt 
es  z.  B.  der  Slovene  heute  nur  mehr  icstogx,  woraus  wahrscheinlich 
auch  das  deutsche  «Stockhaus«  wurde,  denn  für  die  Verabreichung 
der  Stockprügel  bedurfte  man  keines  eigenen  festen  Gebäudes.  Auf- 
fallend ist  es,  daß  sich  an  der  Drann  (Untersteiermark)  zwei  angren- 
zende Ortschaften  mit  nur  einem  «stog«  befinden,  wovon  aber 
eine  «Apcja  vesu  (deutsch  A  m  t  m  a  n  n  sdo  rf),  die  andere  >iSto- 
govce«  lautet.  —  Eine  analoge  Bildung  hat  der  Stadtname  »Stock- 
holm«; es  ist  dies  wohl  der  »stog»  auf  dem  »holm»,  der  heutige 
»Schloßberg«.  Jedenfalls  ist  die  Übereinstimmung  sonderbar,  daß 
»zamek«   im  Böliniischen  und  Polnischen,  »zamok»   im  Russischen. 


—  70 


«kliiic«  im  Südslavischen,  «Schloß«  (ahd.  chisa)  im  Deutschen  stets 
sowohl  das  Schloß  als  Bauwerk  wie  das  Schloß  als  Türsperre 
bezeichnen,  also  immer  homonyme  Begriffe  sind,  was  doch  keine 
Zufälligkeit  sein  kann,  \veil  eben  die  Burgen  und  Schlösser  vor  allem 
als  absperrbarer  Zufluchtsort  bei  feindlichen  In- 
vasionen galten,  und  nur  nebstbei  auch  Qefängnis- 
platze  waren,  d.  h.  bei  den  Leuten  erhielt  später  der  Charakter 
des  Gefängnisses  mehr  Beachtung  als  der  wahre  Urzweck 
des  Bauwerkes. 

Die  Deutung  «Habichtsburg«  ist  daher  eine  verunglückte  Aus- 
legung des  etymologisch  unverstandenen  Namens   «Habsburg«. 

Gran,  Granica,  Hranice.  In  einigen  Gegenden  Mitteleuropas  ist 
die  einstige  Organisation  der  Landesverteidigung  noch  historisch 
nachweisbar,  ja  seit  der  Auflösung  der  österreichischen  Militär- 
grenze, die  lediglich  diesem  Zwecke  diente,  ist  kaum  ein  Menschen- 
alter vergangen.  —  Alle  den  feindlichen  Einfällen  besonders  günstige 
und  exponierte  Gebiete  wurden  einst  streng  be^^acht  und  diente 
hiezu  ein  besonders  organisierter  Grenzwachdienst.  Diese  Grenz- 
punkte hießen  «gran«  (russ.,  poln.),  «hranice«  (böhm,).  «granica» 
(südsl.)  und  bedeuten  im  Prinzipe  nicht  die  Grenze  im  buchstäb- 
lichen Sinne,  sondern  die  Bewach  u  n  g  derselben,  denn  das  verbum : 
h  r  a  n  i  t  i  drückt  nicht  so  sehr  das  «grenzen,  angrenzen«  aus,  als  das: 
behüten,  betreuen,  verwahren;  wohl  bedeutet  aber :  g  r  a- 
n  a,  hrana  die  Kante,  den  Rand;  nachdem  aber  die  schärfere 
Bewachung  vor  allem  die  Grenze  erforderte,  flössen  die  Begriffe 
in  einen  Wert  zusammen.  Das  deutsche  Grenze  (Gränze)  ist  ein 
Slavismus,  der  aber,  wie  man  allgemein,  wenn  auch  fälschlich  glaubt, 
durch  das  Wort  «Mark«  paralysiert  wurde.  —  Das  Grundwort  «grau« 
ist  in  sehr  vielen  topischen  Namen  enthalten,  wie:  Gran  (Stadt  mit 
dem  66  m  hohen  Festunsgberg).  Gran  (Grenzfluß),  Granada.  sowie  die 
vielen:  Granica,  Granitz,  Granville,  Granollers,  Gransee,  Granz. 
Grant,  Granikos  (Grenzfluß  in  Kleinasien),  Gränzing,  Gränzendorf, 
Gron  (im  Polnischen),  Grensberg.  Grenzdörfel,  Grein,  Kranzberg, 
Kranzbüchl,  Kramnach,  Hranice,  na  Hranicku  (Gegend  von  Mähr.- 
Weisskirchen)  u.  ä.*) 

~)  »Kranz«  ist  auch  die  Schmückung  der  Umfassung  eines  Gegen- 
standes, wofür  aber  die  Slaven  das  Qrenzwort  «ven.  vin«  mehr  in  Anspruch 
nehmen,  wie:  venec,  vinek  (=  Kranz)  aber  auch  als  «kranceli«  (Slovenen) 
gebrauchen. 


I 


Hiezu  zählt  auch  das  äußerlich  reindeutsche,  wenn  auch  sinn- 
lose )<(jrun\\ald)<,  d.  i.  »grönn  (grün)  und  "val»  (=  Wall,  s.  «Bal- 
kan»), sowie  die  alte  sächsische  Qrenzveste  "Qrona,  Grana»,  über 
deren  eigentliche  Lage  man  noch  heute  im  Zweifel  ist.  Andere  Boll- 
werke ähnlicher  Art  heißen  z.  B.  im  Deutschen:  Gronau  (älteste  Form 
tcronuaM),  Grünau,  Deutsch  Crone,  Krahnenberg,  Kranichberg  u.  ä. 

Auf  diese  Art  findet  auch  der  «keltische«  (Jott  (j  ra  n  u  s  seine 
Erklärung;  es  war  dies  bei  den  Slaven  einst  der  Befehlshaber  einer 
zu  verteidigenden  Grenzzone.  Jener  Gott  soll  auch  der  Stadt  Aachen 
den  alten  Namen  Aquae  Grani  gegeben  haben;  dieses  ist  aber 
gleichfalls  unrichtig,  denn  hiemit  sind  lediglich  die  an  der  Grenze 
gelegenen  Heilquellen  bezeichnet.*) 

Der  Hoheitsname  für  den  Befehlshaber  eines  solchen  Punktes 
der  Grenzverteidigung  fehlt  ja  auch  nicht;  es  war  dies  jedenfalls  einst 
der  »gran«  oder  «grand«.  welcher  Ausdruck  sich  aber  in  diesem  Sinne 
mir  in  den  romanischen  Sprachen  erhalten  hat.  Der  Südslave  kennt 
nur  mehr  die  Bezeichnung  «granicar«  für  den  Grenz  wachten 
der  Deutsche:  Grenadier,  richtig  «Granadier«,  der  zur  Verteidi- 
gung auch  die  «Granate«  gebrauchte. 

Die  Abgabe  an  der  Grenze  benannte  man  dementsprechend 
»krön,  krona.  corona.  Krone«,  woraus  später  ein  bestimmter,  noch 
heute  gangbarer  Münzbegriff  wurde.  —  Die  Mauerkrone  galt 
schon  bei  den  Römern  als  äußeres  Sinnbild  der  Bürgers,  d.  i  des 
Verteidigers  der  —  krenelierten  —  Grenzschutzmauer. 

Mar,  Mark.  Alle  Namen  wie:  Steiermark,  Dänemark,  Mark  von 
Ritten,  Mark  Brandenburg  u.  ä.  deuten  ähnlich  wie  gran.  granica 
auf  ein  Grenzgebiet,  w  elches  verteidigungsfähig  hergerichtet 
war.  Die  einstige  Windische  Mark  ist  das  heutige  Krain,  wobei  jeder 
Name  dasselbe  besagt,  ebenso  wie  «Mark«  Brandenburg  (Branibor) 
nur  eine  Tautologie  ist.  —  Das  Grundwort  ist  das  russische  «mar» 
in  der  Bedeutung :  pyramidenförmiger  Berg,  Steinhau- 
fen, und  ist  «mar.  mark«,  sowie  das  heutige  »Markt«  nichts  weiter 
als  die  Bezeichnung  für  eine  Grenzverteidig  unshöhe.  ei- 


*)  Aachen  führt  auch  den  franz.  Namen  .Aix-la  Chapelle.  der  aber 
slavisch  ist  und  stammt  «Chapelle«  von  «kopeli«  =  Bad.  Tatsächlich  be- 
sitzt Aachen  berühmte  heiße  Quellen. 


72 


neu  Ci  r  e  n  z  h  ü  g  e  1,  und  scheint  solchen  ein  höherer  Rang  aus  den 
vorzeitUchen  Pflichten  der  Landesverteidigung  anzuhaften.  *) 

Im  «KeltischenK  bezeichnet  «marunii  den  Wegweiser,  das  Qrenz- 
orientierungszeichen. 

Hiemit  klärt  sich  auch  der  Name  nMähren«  sowie  der  etno- 
graphische  Begriff  xMarkomannemi  auf.  —  Die  March  war  stets 
eine  natürliche  Barriere  gegen  feindliche  Einfälle;  den  Fluß  selbst 
nennen  die  alten  Schriftsteller:  Marus,  Margus,  Margis,  also: 
Grenzfluß,  und  spricht  die  Etymologie  dafür,  daß  die  ursprüng- 
liche Namensform  Mara,  Marava,  war,  und  daß  das  Gebiet, 
welches  die  March  durchfließt,  als  Marava  ausgesprochen  wurde, 
denn  das  ganze  Land,  namentlich  aber  die  Marchlinie,  bilden  einen 
geschlossenen  «limes  moravicus».**) 

Daß  Karl  d.  Gr.  die  «Ostmark«  gegründet  hätte,  hat  durchaus 
keine  Glaubensberechtigung,  nachdem  die  Grenznamen  sprachlich 
viel  älter  sind;  bestenfalls  hat  er  eine  Revision  der  vorhandenen 
Vorsorgen  veranlaßt,  denn  gerade  der  Marchlinie  entlang  gibt  es 
eine  Unmenge  noch  heute  sichtbarer  sowie  etymologisch  als  s  1  a- 
visch  erkennbarer  Verteidigungspunkte. 

Ähnliche  Verhältnisse  obwalten  aber  auch  beim  Landstriche 
icMarchic  in  der  Schweiz,  welcher  stets  als  Grenzlinie  zwischen  dem 
germanischen  Gebiete  und  Rätien  galt.  —  Ebenso  ist  die  englische 
Stadt  «March»  auf  einem  pyramidenförmigen  isolierten  Hügel  erbaut, 
und  die  belgische  Stadt  «Marche«  ist  eine  gute  verteidigungsfähige 
Höhe,  die  ehemals  ohnehin  Festung  war.  —  An  der  Morava  (Serbien) 
lag  zu  Römerzeiten:  Horreum  Margi  (=  mara  hora,  d.  L  Grenzberg). 

Die  Tab.  Pentingeriana  verzeichnet  auch  eine  Station  «Namarc« 
in  der  Gegend  des  heutigen  Melk.  —  Man  erklärt  sich  diesen  Namen 
als  durch  einen  Schreibfehler  entstanden,  damit  wohl  die  römische 
Gründung  motivierter  sei.  und  sollte  derselbe  etwa  richtig  «Admuros« 


")  So  wundert  man  sich,  weshalb  das  in  diesem  Buclie  auch  alige- 
bildete  iVlaria  Neustift  das  Markrecht  hat.  nbschon  es  nicht  100  Einwohner 
zählt;  aber  der  Frager  erhiilt  sofort  dahin  Bescheid,  daß  dieses  Recht  bjutip: 
erworben  wurde,  weil  sich  die  Neustifter  stets  auf  ihrem  Tabor  helden- 
mütig verteidigten,  d.  h.  die  Tatsache  ging  der  Formalität  lange  voraus. 

**)  Vergl.  A.  Srba:  Limes  moravicus  —  Olmiitz   1908.  Abdruck  des 
«Casop.  Viast.  muzea  olomuckeho». 


oder  KAdniaiiros«  lauten,  was  schon  deshalb  abzuweisen  ist,  weil 
die  Römer  sicherlich  anstrebten  eher  die  vorgefundenen  Namen  der 
eigenen  Sprache  näher  zu  bringen,  statt  sie  zu  entfremden.  Man  be- 
denkt eben  nie,  daß  zu  Römerzeiten  hier  auch  schon  Ansiedlungen 
mit  festgelegter  Nomenklatur  waren,  denn  wo  steckten  dann  die  Ein- 
wohner, mit  denen  die  Römer  Krieg  führten,  wenn  letztere  erst  alle 
Ortschaften  gründeten  und  gleich  mit  Garnisonen  versahen!  —  Diese 
unlogische  Auslegung  ist  weiter  unhaltbar  und  bietet  nur  auf  Basis 
der  slavischen  Etymologie  die  natürliche  Erklärung  ima  mare«.  auf 
dem  Qrenzberge,  d.  i.  auf  dem  heutigen  Stiftsfelsen,  oder  doch 
auf  einer  ähnlichen  Erhebung  im  dortigen  Gebiete.  *) 

Aus  den  Begriffen  «mar,  mark»  gingen  auch  die  Personennamen: 
Maria.  Marian,  Marius,  Markus,  Markwart  u.  ä.  hervor,  bedeuteten 
sonach  im  Anfange  den  an  einem  Grenzpunkte  Wohnen- 
den oder  den  mit  der  Bewachung  der  Grenze  Be- 
trauten. —  Als  Hoheitsname  hat  sich  «mar«  (=  Herr)  im  Syri- 
schen, »marquis«  im  Französischen  und  «Markgrafw  im  Ileutschen 
erhalten. 

Hieher  gehören  auch  alle  Namen  mit  dem  «o«  in  der  Stamm- 
silbe, wie:  Mor,  Mohra,  Mora,  Mori,  Morava,  Morini,  Morea,  Morinje. 
Morlak,  Muora  (Mur),  Muorica  (Mürz),  Morgeti,  Morgentia  u.  ä.;  es 
sind  dies  Orte,  Flüsse,  Volksstämme,  welche  an  einer  natürlichen 
Grenze  liegen,  eine  solche  bilden  oder  bewohnen. 

Dieser  Etymologie  gehört  wohl  auch  der  Berg  «MoriaK  (bei 
Jerusalem)  an,  der  angeblich  mit  Mordstätte  gleichbedeutend 
sein  soll.  Da  aber  meines  Wissens  nur  der  Slave  den  Begriff  xmorija» 
(=  Mord  im  großem  Stille)  tatsächlich  kennt,  scheint  es  sich  hier 
um  einen  sprachlichen  Mißgriff  bei  der  Deutung  dieses  Namens  auf 
slavischer  oder  ursprachlicher  Basis,  jedoch  schon  bei  Verlust  der 
Kontinuität,  zu  handeln.  Erst  dieser  Etymologisierung  ist  daher  wahr- 
scheinlich die  Opferlegende  Abraham  —  Isaak  zuzuschreiben,  ebenso 
wie  wir  eine  Menge  Burg-  und  Ortsnamen  kennen,  deren  Entste- 
hung durch  posthume,  meist  gründlich  verunglückte  etymologische 
Sagen  zu  erklären  gesucht  wird.  —  Diese  Auslegung  führte  weiter 


")  Auf  diese  Weise  wird  das  «keltischCK:  Marabudum,  welches  son- 
derbarerweise zwischen  «Hradlsf«  und  nStradonitzii  liegt,  auch  etymologisch 
verständlicher. 


—  74  — 

auch  zur  Behauptung,  daß  hier  Menschenopfer  dargebracht  wurden; 
dem  ist  jedoch  entgegenzustellen,  dal3  die  Alten  auch  den  Unterschied 
gefühlt  haben  werden,  w onach  sie  eine  Opferstätte  nicht  als 
»Mordstätte«  identifiziert  haben,  nachdem  die  erstere  doch  stets  einen 
sakralen  Charakter  hatte. 

Die  Naniensformen  wechseln  eben  je  nach  der  Zeit,  Sprech- 
gewohnheit und  nach  dem  Grade  fremder  Beeinflussimgen  eines 
Sprachgebietes.  Im  Deutschen  schrieb  man  früher  iiMarenx,  heute 
«Mähren«;  man  schrieb  es  auch  «Möhren»,  aber  im  Slavischen  bheb 
der  Name  «Morava«  unverändert.  Daß  «Morava«  ein  Grenzge- 
biet bezeichnet,  ersieht  man  auch  daraus,  daß  man  sagt:  «na  Mo- 
rave«  also  a  n  Mähren,  auf  Mähren  und  nicht  «v  Morave«  (=  in 
Mähren),  wie  im  Deutschen,  wo  sich  das  sprachliche  Feingefühl  bei 
der  Übertragung  nicht  mehr  geltend  machte.  —  Das  slavische  «more, 
mofe,  morje«  (=  Meer)  ist  also  nichts  weiter,  als  das  Grenzge- 
biet, das  Ende  des  Festlandes.  —  Die  slavische  Todes- 
göttin «Morana«  ist  nur  die  Personifikation  des  fremden  Gebietes, 
des  Jenseits,  denn  alle  Religionen  lehren,  daß  der  Geist,  die 
Seele  des  Menschen  nach  dem  Verlassen  des  Körpers  eine  Reise  in 
eine  fremde  Region  antrete.  —  Das  in  alten  Büchern  so  oft  er- 
\\ ahnte  «Morenland«  ist  sonach  das  Grenzland  oder  ein  am 
Meere  gelegenes  Gebiet  im  allgemeinen.  —  Die  Südslaven  gebrau- 
chen auch  «mrgulja.  margulia«  für  den  Grenzstreifen,  den  nie- 
mand bebaut.  —  Die  deutsche  Anpassung  lautet  meist  als:  Mauer. 
Mauerbach  u.  ä.  —  »Mauern«  zeigt  noch  heute  Spuren  einer  alten 
Qrenzveste  Vorarlbergs. 

Lim  (firenzfluß),  Limbach,  Limberg,  Limburg,  Limbus,  Limuz, 
Limbarska  gora,  Lima,  Limercje,  Limerick,  Limagne,  Limoges  u.  ä. 

deuten  alle  auf  daselbst  befindliche  Grenz  Verteidigungs- 
vorsorgen, doch  ist  das  Grundwort  «lim«  nur  mehr  im  übertra- 
genen Sinne  den  Slaven  bekannt.  Die  Cechen  und  Polen  gebrauchen 
noch  «limec«  und  «limecek«  für  den  Endbesatz  des  Kragens,  der 
Henidmanschette  oder  des  Frauenrockes,  sonach  auch  hier  in  der 
Bedeutung :  äußerster  Rand.  G  r  e  n  z  s  t  ü  c  k.  —  Im  Lateini- 
schen ist  aber  der  jedenfalls  einst  von  den  Slaven  übernommene  Be- 
griff «limes«  sowie  «limbus»  (=  Gürtel.  Umgebung.  Saum)  in  der 
Urbedeutung  noch  erhalten  gebheben. 


Derselben  Etymologie  sind  aber  auch  alle  Ortsnamen  mit  »e« 
in  der  Qrundsilbe,  wie:  Lemberg,  Lembach,  Lehmdorf,  Lehmstätten. 
Lemsitz,  Lemove  u.  ä.,  denn  «lem«  (=  Saum  am  Kleide),  Kpodlenm 
(der  untere  Saum  am  Frauenkleide),  «lemiti«  (=  säumen),  »oblemo- 
vat)i  (=  passepoilieren,  abgrenzen)  ^\■ird  im  nämlichen  Sinne  ge- 
braucht. Einen  ver\\  andten  Begriff  haben  die  Cechen  auch  noch  in 
»ünati«  =  das  Haar,  die  Federn  \\' e  c  h  s  e  1  n  (bei  Tieren).  Dasselbe 
bedeutet  aber  auch  das  deutsche  «Linie«,  wie  es  z.  B.  der  Wiener  für 
jene  Zone  gebraucht,  wo  man  die  Verzehrungssteuer  zahlen,  also  den 
früheren  Festungsgürtel  überschreiten  muß.  —  Alle  topischen  Namen 
wie:  Lein,  Leine,  Leiningen  u.  ä.  wurden  in  älterer  Zeit  als  «Lin« 
geschrieben. 

Einen  mehr  weniger  ausgeprägten  Sicherungsgürtel  findet  man 
in  Europa.  —  sowie  auch  weiter  hinaus  — .  überall,  und  ist  die  Frage 
der  Limes-Forschung  gerade  dadurch  auf  eine  falsche  Basis  gestellt 
worden,  weil  man  voreingenommen  glaubte,  daß  es  nur  einen  zu- 
sammenhängenden Limes  «germanicus«  und  «raeticus«  gäbe  und  daß 
diese  selbstverständlich  nur  von  den  Römern  herrühren 
können.  Solche  Limes  gibt  es  aber  auch  anderswo  und  könnte  man 
ebenso  von  einem  Limes  moravicus.  styriacus,  carniolicus.  pannoni- 
cus,  hispanicus  u.  a.  sprechen. 

Die  slavische  Etymologie  überzeugt  uns  daher,  daß  dies  keine 
römischen,  sondern  ausschließlich  vorrömische,  also  a  1 1  s  1  a  v  i- 
s  c  h  c  Sicherheitsvorkehrungen  waren,  denn  Fortifikationen 
baut  nicht  der  Angreifer  sondern  der  Verteidiger, 
d.  i.  derjenige,  welcher  ein  Gebiet  bereits  innehat  und  es  auch  weiter 
für  sich  erhalten  will.  Wie  soll  man  den  Umstand  sonst  aufklären, 
daß  die  avarischen  Slaven,  die  Hunnenknechte.  und  was  man  da 
Albernes  darüber  liest,  die  zu  jener  Zeit  sicherlich  verwischten  oder 
verfallenen  Defensivvorsorgen  so  feinsinnig  und  technisch  richtig  er- 
kannt imd  determiniert  hätten,  denn  da  müssen  sie  die  heutige  Ge- 
lehrsamkeit, welche  noch  im.mer  für  die  Limes  keine  echte  Klärung 
findet,  weit  übertroffen  haben! 

Es  scheint,  daß  alle  Ansicdlungen  des  Namens:  Lind.  Lindau. 
Linz,  welches  letztere  die  Römer  als  «Lentia«  benannten,  auch  dieses 
Ursprungs  sind.  An  Flüssen  gelegene  Städte,  wie:  Wien,  Graz,  Mar- 
burg, Klagenfurt  nennen  noch  innncr  den  Stadtteil  längs  jenes  FlulJ- 


76  — 


uferbereichcs.  der  für  eine  Landung,  also  Grenzübersetzung  beson- 
ders wichtig  ist.  die  iil.end);,  Lände«;  es  entwickelte  sich  daher  dort 
eine  Ansiedlung,  wo  das  Terrain  einen  Einfall  begünstigte,  weil 
dieses  paralysiert  werden  mußte. 

Kam,  Kamen,  Kamitz,  Kametz,  Kamnice,  Kamenica,  Kamno, 
Komno,  Kamyk  u.  ä.  bedeuten  nicht  direkte  einen  Stein  oder 
steinige  Gegend  (slav.  kamen  =  Stein),  sondern  eine  auf 
einem  Felsen,  Felsvorsprunge  oder  überhaupt  aus  Steinen 
hergestellte  Beobachtung  s-  oder  Verteidigungsstel- 
lung, von  wo  aus  man  irgend  ein  Grenzgebiet  bewachen 
konnte.  So  liegt  dem  ehemaligen  Schlosse  Lembach  (Limbus  bei 
Marburg)  Kamca  (Kamnica,  deutsch  Gams)  mit  einem  vorspringen- 
dem Felsen  als  Ergänzung  der  Sperre  des  Drautales  gegenüber. 
Ebenso  ist  Kamen  der  einzig  richtige  Punkt,  der  Ratopolje  und  das 
gegen  Livno  führende  Tal  bei  Mostar  zugleich  gut  beobachten 
konnte;  Kamen  bei  Mostarsko  blato  ist  ein  weit  in  den  See  vor- 
springender Felsen,  der  für  den  ersten  Moment  diesem  Zwecke 
nicht  zu  entsprechen  scheint,  nachdem  weit  höhere  Terrainpunkte 
benachbart  sind;  und  doch  ist  dies  richtig,  denn  nur  von  diesem 
zentral-  und  im  Niveau  des  Sees  gelegenen  Punkte  ist  es  möglich, 
die  Vorgänge  längs  der  stark  gerippten  Gebirgshänge,  die  den  See 
begleiten,  zu  beobachten.  Kamen  ergänzt  bei  Doboj  die  Beobach- 
tungszone dieser  einst  starken  Veste.  und  ähnlich  sind  die  Verhält- 
nisse bei  allen  in  Österreich  an  Hunderte  zählenden  topischen  Namen 
dieses  Grundwortes.  —  Die  Wurzel  ist  jedenfalls  «kam«,  aber  in 
diesem  Sinne  nicht  mehr  gebräuchlich:  hingegen  kennt  der  Russe 
noch  iikama,  kajma«  für  Grenze,  Rand,  Umfassung  (Kama 
als  Grenzfluß);  dem  Türken  ist  »kaim»  der  Wächter,  «kainiakam« 
der  Kreisvorsteher.  Es  scheint,  daß  die  biblischen  Namen  Cham, 
Kain  auch  schon  auf  Hoheitsbegriffe  oder  angesehene  Geschlechts- 
namen deuten. 

Hieher  gehören  auch  die  zahlreichen  Ortsnamen,  wie:  Como 
See  mit  den  anwohnenden  «Camunen«.  Komar,  Camera  ager  am 
Meeresufer  im  alten  Lukanien,  Komarno,  Komarovice,  Komno  (Alm). 
Komofany  u.  a.  —  Daß  diese  Namen  mit  «komar«  (=  Gelse),  wenn 
sie  auch  oft  als  G  e  1  s  e  n  b  e  r  g.  G  e  1  s  e  n  k  i  r  c  h  e  n,  u.  ä.  übersetzt 
wurden,  in  etymologischer  Hinsicht  nichts  gemein  haben,  sei  nur 


als  Beispiel  erwähnt,  wie  oberflächlich  man  deutscherseits  bei  der 
Translation  der  Ortsnamen  vorging.  —  Überdies  sind  die  topischen, 
meist  Höhen  kennzeichnenden  Namen,  wie:  Hum,  Hom,  Hamm, 
Cham,  Um.  Umac,  Uman,  Homberg,  Homburg,  Chumetz,  Kumitz  u. 
ä.  hier  einzureihen.  Unter  «hum,  hom,  holm»  versteht  der  Slave 
eine  mäßig  hohe  Kuppe  mit  meist  sanftem  Oberteile;  solche  Höhen 
befinden  sich  immer  in  der  Nähe  von  Ansiedlungen,  da  sie  ja  durch- 
wegs zur  Verteigung  ausgenützt  wurden.  Die  Ägypter  bezeichneten 
die  «Ummani«  als  einen  Teil  der  xKatan«  (=  kriegerischer)  Völker. 
Aus  dem  15.  Jahrhunderte  v.  Chr.  hinterließ  Thutmosis  III.  ein  geo- 
graphisches Werk  mit  119  topographischen  Namen;  darunter  befindet 
sich  auch  «Hum«.  —  Polyhistor  nennt  als  Stammvater  der  Äthiopier 
in  der  babylonischen  Genealogie  den  "Hum«,  welchen  Begriff  wir  im 
lateinischen  als  «homoic  (uhumanus«)  und  namentlich  im  Südslavi- 
schen als  xkum«  (=  Pate)  wiederfinden.  Alle  diese  Gattungsbegriffe 
zielen  auf  die  Kennzeichnung  von  Stammes-  und  Ortsältesten  hinaus, 
denn  sie  hatten  Pate  n-Pflichten  im  Großen,  d.  h.  ihnen  oblag  der 
Schutz  ihrer  Gemeinde;  im  Lateinischen  wurde  jedoch  der  «kum« 
zum  «comes«  und  später  zu  «Kommandant«;  sein  Befehlsbereich  hieß 
«Komen«  und  «Commune«. 

Gebiete  mit  mehreren  «HuniB-Stellen  erhielten  dann  die  Kollek- 
tivbezeichnung: Pohumje,  Predhumje,  Zahumje.  Augenscheinlich  ge- 
hören auch  alle  Namen  mit  dem  eingeschobenen  «1«  hieher,  wie: 
Holm.  Kulm,  Chelm,  Chlum,  Chlumetz  u.  ä.  denn  dem  Slovenen  ist 
«hum«  und  «holm«  identisch.  —  «Olmütz»,  welches  noch  im  Mittel- 
alter als  «Holomous,  Golomac«  u.  ä.  geschrieben  wurde,  bedeutet 
sonach  die  G  e  g  e  n  d  mit  befestigten,  verteidigungs- 
fähigen Hügeln.  — 

Vermutlich  gehören  hieher  alle  Ortsnamen  der  Form:  Kon, 
Konice.  Konjice.  Konskau,  Konjski  potok,  Konopist,  Kounov,  Kanna, 
Cannae,  Kanäle  (Kanavlje),  Kuna,  Kuncice,  Hana.  Hanau,  Hannover, 
Hunkovice,  Hundsdorf  u.  a.  —  Der  Ceche  versteht  unter  «hon«  die 
Jagd,  unter  «honiti«  weiden,  auf  das  Vieh  achtgeben.  Der  Ho- 
heitsbegriff ist  «hanak«;  sein  "Wohngebäude  xhan«  (jetzt  Gemeinde- 
gasthof) oder  «konak«,  womit  man  noch  heute  bei  den  Balkanslaven 
die  Residenz,  das  Schloß  des  Höchsten  in  einer  Stadt,  d.  i.  des 
Fürsten,  Königs  oder  Regierungsvertreters  versteht.  —  Im  Tatari- 


78 


sehen  w  urde  der  Höchste  aueh  «Chan«  genannt.  —  In  Ungarn  nannte 
man  früher  den  slovakischen  Pandur  auch  «hanak«;  es  war  dies  also 
auch  ein  Q  r  e  n  z  \v  ä  c  h  t  e  r,  Q  r  e  n  z  v  e  r  t  e  i  d  i  g  e  r. 

Die  Namen:  Konjsko  vrclo,  Konjski  vrh,  Koniski  potok  u.  ä.  sind 
ziemlich  häufig,  haben  aber  mit  «konix  (—  Pferd)  nichts  zu  schaffen. 
Das  griechische  «HippokreneH  (—  Pferdequelle)  ist  augenscheinlich 
nur  eine  wörtliche  Übersetzung  des  urslavischen  nKonisko  vrelo«  in 
jener  Zeit,  als  man  unter  «konj>i  nur  mehr  die  Bedeutung  «Pferd« 
kannte.  — 

Kraj.  Krajova,  Krajina,  Ukrajna,  Uckermark  u.  ä.  sind  in  Ur- 
sprung und  Bedeutung  dasselbe  wie:  gran.  —  Unter  «kraj«  ver- 
stehen die  Slaven  die  Gegend  im  allgemeinen,  aber  auch  den 
Rand,  die  Grenze;  dem  Slovenen  ist  »okraj«  =  Bezirk,  d.  i. 
die  Gegend,  die  einst  einem  \'erteidigungsoberkommandanten  un- 
terstellt war.  und  wer  die  Peripherie  eines  Bezirkes  abgeht,  wird 
immer  finden,  daß  sich  diese  fortifikatorisch  zusammenschließt.  Im 
Großen  hat  sich  daran  bis  heute  auch  nichts  geändert,  denn  einstens 
sorgten  schon  die  kleinen  politischen  Einheiten  als:  Gemeiden.  Be- 
zirke. Gaue  für  die  Sicherung,  heute  besorgt  dies  der  Staat,  indem 
er  an  der  Grenze  und  an  den  einbruchgünstigen  Punkten  Brücken- 
köpfe. Forts.  Festungen  und  befestigte  Lager  erbaut. 

Der  Hoheitsname  war  «krainik«.  wie  solcher  im  slovakischen 
Gebiete  (z.  B.  bei  Munkacs)  einst  gebräuchlich  war.  —  Daß  sich  zwi- 
schen «gran«  und  kraj«  nur  in  der  Aussprache  eine  äußere  Differen- 
zierung ergeben  hat,  ohne  die  Bedeuttmg  zu  verändern,  ersieht  man 
daraus,  daß  der  Untersteirer  den  Krainer  «KrajncK,  der  letztere  aber 
sich  selbst  xkranc«  (granc)  benennt.  Grenzberge  heissen  mit- 
unter KkrajecK,  woraus  im  Deutschen  «Kreuzberg«  wurde.  — 

Auffallend  reich  an  solchen  Namen  ist  z.  B.  die  heutige  Schweiz. 
So  gibt  es  dort  viele  «KraiH-Lokalitäten.  z.  B.  Kraiburg  (im  Inntale). 
dann  den  Grenzpaß  G  re  in  a  (La  Greina  in  den  Graubündner  Alpen) 
sowie  Grajische  Alpen.  —  Desselben  Ursprungs  ist  auch  das 
oberösterreichische  Grein  (mit  der  hochgelegenen  «GreinburgH) 
und  dem  benachbarten  Kreuzen,  wozu  auch  Greiz  in  Deutsch- 
land zählt. 

Russen.  Es  ist  eine  allgemein  verbreitete,  wissenschaftlich  aus- 
gesprochene Ansicht,  es  hätten  die  Russen  ihren  Volksnamen  von 


-  79  — 

den  wRiiodsen«  (=  Ruderern)  erhalten,  welche  i.  J.  891  n.  Chr.  in 
der  Schlacht  bei  Löven  geschlagen,  sich  an  die  Küsten  des  baltischen 
Meeres  flüchteten  und  daselbst  eine  neue  Heimat  gründeten.  Dieses, 
sowie  eine  zweite  Erklärung,  die  Bezeichnung  stamme  von  dem 
Gründer  der  russischen  Monarchie,  Rurik,  gehört  vollends  in  das 
Reich  der  Sage,  denn  schon  Tacitus  nennt  die  Russen  iiRoxolaniic 
Der  Name:  Russe,  Ross,  Rosia  (=  Russland)  scheint  jedoch 
ursprünglich  eine  verteidigungsfähige  Grenzgegend  bezeichnet  zu 
haben,  und  heißen  Schutzbauten  primitiver  Natur,  namentlich  aus 
unbehauenen  Steinen,  noch  heute:  Rustika.  —  Es  zeigen  auch  die 
Namen,  wie:  Rog,  Roh,  Rogatec,  Rohitsch.  Vi  du  Roc,  Rocca,  Roc- 
cetta,  Rozau,  Rogersdorf,  Roguzno,  Rohle,  Rohlau,  Rohow,  Rokytno, 
Roketnitz  u.  a.  ä.  auf  Ansiedlungen  an  einer  Grenzlinie,  und  nament- 
lich auf  solche  an  einer  scharfen  Ecke  (rog,  roh  =  Ecke,  Moni), 
im  Italienischen,  wie  Portugiesischen  «rocca«  in  der  Bedeutung 
T  u  r  m,  Grenzbeobachtungspunkt,  im  Griechischen : 
Qojt,  Qoyjios  —  Riß,  Spalte,  scharfe  Trennung),  und 
im  figürlichen  Sinne:  K  ra  f  t,  S  t  ä  rk  e,  M  a  c  h  t  in  der  russischen 
Sprache  selbst.*)  —  Die  Kommandanten  solcher  Punkte  hießen  dem- 
gemäß sodann:  Rok.  Rog.  Rogovolod.  Rohas,  Rosman,  Roskar  (Ro- 
segger!)  u.  ä.  —  «Rozna  dolina«  ist  daher  kein  «Rosental«,  sondern 
eine  Tallinie,  welche  zugleich  eine  Gebiets-  oder  Verteidigungsgrenze 
bildet.  Selbstredend  stehen  auch  die  Ortsnamen:  Rosenberg,  Rosen- 
burg, Rosenau,  Rossegg,  Rosenbüchl  weder  mit  Rose  noch  mit 
Ross  in  irgendwelchem  sprachlichen  Zusammenhange.  —  Vermut- 


*)  Ich  habe  früher  daran  gehalten,  daß  «Rus«  identisch  sei  mit  blond. 
Tatsächlich  sind  die  Russen  vorwiegend  blond,  oft  rot,  in  manchen  Gegen- 
den sogar  flachsblond;  in  der  Umgebung  von  Mii.sk  gibt  PS  auffallenl  viele 
Albinos.  —  So  berechtigt  nun  diese  Deutung  wäre,  so  ist  sie  doch  unzu- 
treffend und  unnatürlich,  wenn  auch  noch  der  Name  HWeiCrussenx  (Bjelo- 
rusi)  dazukommt,  da  dieser  nur  eine  falsche  deutsche  Übertragung  ist.  denn 
»Bjelorusi"  sind  lediglich  die  Bewohner  an  vorbereiteten  Qrenzschutz- 
punkten.  —  Die  landläufige  Behauptung,  daß  nur  die  Germanen  blond  waren, 
ist  einseitig  und  unbegründet;  Tatsache  ist.  daß  bei  den  Nordslaven  die 
blonde  Haarfarbe  noch  heute,  trotz  vieler  Kreuzungen,  stark  vertreten  ist; 
die  SInvenen  und  Cechen  werden  zum  grössten  Teile  blond  geboren  und 
erst  mit  dem  Eintritte  der  Pubertät  dunkelfarbiger.  —  Im  Spreewalde  findet 
noch  letzt  jährlich  der  Haarmarkt  statt;  die  Wendinnen  verkaufen  dort  ihr 
blondes,  reiches  Haar  —  das  gesuchteste  und  schönste,  weiches  käuflich  zu 
erwerben  ist  —  um  einen  ziemlich  hohen  Preis  (60 — 100  JV\ark). 


—  80  — 

lieh  ist  auch  «Riisalka«.  die  russische  Wald-  und  Wassernymphe, 
nichts  weiter  als  die  Erhebung  von  Töchtern  und  Frauen  der  Hoheits- 
personen zu  bevorzugten  Wesen,  was  mit  der  Zeit,  wie  bei  Vilen. 
Walkyren.  Weissen  Frauen  u.  a.  zur  mythologischen  Bewertung  der- 
selben führte. 

Riva  (d.  iiRcif).  Ribno  (d.  »Reifen»).  Rifnik.  Reifnig,  Reifenegg, 
Rif  (gebirgiger  Küstenstrich  Marokkos).  Riphaci  (\'olk  des  Alter- 
tums). Ribe.  Ribera,  Ribnica  (d.  »Reifnitz«).  Riviera,  Rivoli,  Ripa, 
Ripuarü  (rheinische  Franken)  u.  ä.  bezeichnen  durchwegs  gesicherte 
Qrenzorte  oder  Grenzgebiete,  die  alle  ><rip)i  und  xriv«  zur  Grundlage 
haben  und  gebrauchen  die  Slaven  «rivat«  für:  sich  von  jemandem 
befreien,  «ripat«  für:  spähen,  blinzeln;  den  Verteidiger  der  Grenze 
benannte  man  sonach :  r  i  v  a  c  (slov.),  f  i  v  n  a  c  (cech.),  r  i  v  o  1  a. 
Rivale  u.  s.  w.  —  Die  heutigen  topischen  Namen,  wie:  Ribno. 
Ribje.  Ribia  glava  (Bergname)  haben  mit  «riban  (=  Fisch)  nichts 
gemein  und  \\urden  nur  mit  der  Zeit  im  Volksmunde  zu  einem  ety- 
mologisch bekannteren  Begriffe  umgewandelt,  daher  auch  selten  als 
«Fisch«  ins  Deutsche  übertragen.  —  Der  sagenumwobene  Berg  »Rip« 
(Böhmen),  von  wo  aus  Cech  bei  seiner  Ankunft  das  neue  Land  ge- 
segnet haben  soll,  war  sonach  ein  zur  Sicherung  dienender,  weiten 
Fernblick  gewährender  Grenzberg,  und  geht  dessen  Zweck  eben 
schon  aus  der  Lage  hervor. 

Hiemit  sprachlich  und  organisch  verwandt  sind  auch  die  topi- 
schen Namen  mit  dem  u.  o  und  a  in  der  Wurzelsilbe,  wie: 

Rubico  (Grenzfluß  zwischen  Italien  und  Gallia  cisalpina).  R  u  b  i 
(rechter  Nebenfluß  des  Kongo).  R  u  b  i  (Ruvo  di  Puglia,  Stadt  mit 
antiken  Gräberschätzen),  R  u  w  e  r  (Zufluß  der  Mosel).  R  ü  b  e  1  a  n  d 
(Grenzdorf  im  Harz).  Rübenau  (Dorf  an  der  böhm. -sächsischen 
Grenze),  Rubis  (Grenzberg  im  Jura),  dann:  Rubija,  Rüben. 
R  ü  b  e  n,  R  u  b  1  j  e,  R  u  b  1  a  n  d,  R  u  b  1  y  n.  R  u  b  r  i  n.  R  u  p  a,  R  u  p  e. 
Rupert,  Ruppersdorf,  Rob,  Robans.  Robbe i.  Ro- 
besch,  Robiden  Berg,  Robitz,  Roppitz.  Ropica.  Rop- 
cze,  Roperce,  Ropki  u.  ä.  stehen  alle  im  organischen  Zusam- 
menhange mit  «rub«  (altrussisch  =  Grenze),  «rob«  (slov.  Saum.  Rand, 
Bergrücken),  und  sind  dies  wohl  Grenzpunkte  gew  esen.  welche 
von  Natur  aus  die  Abwehr  feindlicher  Einfälle  begünstigen.  Jene  Per- 
sonen, die  den  Grenzdienst  versahen,  nannte  man    «rob«   (im 


Slavischcn  jetzt  iii  der  Ik-dLiitiiiv^  S  k  I  a  \-  c,  aiicli  K'  ä  ii  b  c  r,  w  clclics 
letztere  docli  wieder  xrohn  zum  Stamme  liat;  die  \  erw  aiidscliait 
reicht  auch  ins  Lateinische,  demi  Mroburi^  galt  nicht  mir  als 
Stärke,  Festigkeit,  Stützpunkt,  sonde  rn  auch  in  der  Be- 
dcuttmg  »exercitus»  (Kerntruppen).  Das  Geldstück,  das  an  der  Grenze 
als  Zoll  erlegt  werden  mußte,  wurde  demnach  nrubl"  benannt.  — 
Unter  »rubiti«  versteht  derSloveiie  noch  heute:  plündern,  ausrauben, 
pfänden;  hingegen  ist  «rubisko"  dem  Cechen  die  Rodung,  ver- 
mutlich jene  im  Grenzverteidiguiigsgcbicte,  denn  niemand  wird  sich 
in  einem  bedeckten  Terrain,  namentlich  Walde,  \erteidigen  wollen. 

Hiezu  gehören  auch  die  tnpischen  Namen  der  Form:  R  a  b, 
R  a  a  b.  R  a  b  n  i  t  z,  R  a  b  e  n  s  t  e  i  n,  Rabe  n  g  e  b  i  r  g  e.  R  a  b  e  n  a. 
R  a  V  e  n  n  a  u.  ä.  w  eiche  aus  « robn  durch  den  einfachen  \'okalw  echsel 
hervorgingen  und  gleichfalls  auf  einen  befestigen  (irenzininkt 
oder  an  eine  natürliche  (j  r  e  n  z  1  i  n  i  e  deuten.  Begriffe  dieses  An- 
klanges  haben  wir  noch  heute  in  «Rabatten  ("  der  Saum  mancher 
Kleidungsstücke,  das  Randbeet)  sowie  in  »Rabattsteinn,  dem  Bord- 
steine beim  Straßeupflaster.  Der  einschlägige  Mohe'tsname  war: 
Rabbi,  Rabbiner,  Rabban,  der  sich  bei  den  Israeliten  in  der  Bedeu- 
tung "der  Wissende«  bis  heute  erhalten  hat  —  Zweifel  können  über 
diese  Etymologie  umsoweniger  auftauchen,  als  in  den  Urkunden  des 
Mittelalters  verw andte  Namen  meist  im  Lokativ  angewendet  w erden, 
wie:  an  der  Grenze,  auf  der  Grenze,  als:  na  robii,  im  R  a  b,  am 
Raab,  —  also  noch  im  Maskulinum,  welches  Geschlecht  auch  der 
slavische  Begriff  hat.  —  Der  Begriff  MobotaH  rührt  also  augen- 
scheinlich von  Arbeiten  fiir  den  Grenzschutz  her.  — 

Fine  verwandte  Form  ist  auch  «ravno,  ro\no»,  das  im  Slavi- 
schen  heute  wohl  eben,  flach  bedeutet,  aber  bei  den  topischen 
Namen  dieser  Art  nicht  zutrifft,  da  dies  meist  Höhenpunkte  sind,  die 
einst  mit  einem  »rov»,  d.  i.  Graben,  Wall  u.  drgl.  versehen  waren. 

Rama,  Roma.  Auch  diese  Namenskategorie  deutet  auf  b  c  f  e  s- 
1 1  g  t  e  G  r  e  n  z  p  u  n  k  t  e.  obschon  die  russische  Sprache  allein  noch 
den  veralteten  Begriff  «rama«  in  der  Bedeutung:  Grenze,  Ein- 
fassung mehr  kennt;  hingegen  versteht  sie  unter  «ranio«  —  die 
M  a  c  h  t,  d  i  e  K  r  a  f  t,  unter  «roman«  den  M  a  u  c  r  b  o  c  k  (als  Kampf- 
mittel). Aber  auch  der  Gri'.ehe  \erstai,d  ui.ter  ..yt.;«/;«  die  Lei- 
besstärke;  'roniaii«  nannte  man  sonach  i-.den  kiäft'gen  Mami.  jeder 


Kampffähige  n.  Die  Franzosen  verstehen  unter  «rame«  die  Äste, 
mit  denen  man  ein  Gartenbeet  begrenzt;  der  deutsche  hat  ncch 
den  Regriff  «Rahmen«  für  die  schützende  Ein-  oder  Umfassung 
eines  Gegenstandes.  Der  französische  Begriff  «ramasser«  (-  durch- 
prügeln, einen  Gegner  in  die  Hand  bekommen),  der  lat.  «ramus» 
{=  die  Kante),  der  italienische  »rammantare«  (beschützen),  der  böh- 
mische /ramus«  (=  Lärm,  Streit)  stehen  zum  Qrundworte  im  organi- 
nischen  Zusammenhange.  Dem  Slovenen  bedeutet  Kromati«  auf  eine 
geheiligte  Stätte  pilgern:  auf  der  Perkunust-Statue  von  Rjetra  steht 
aber  noch  als  Epitheton  «en  romauK  d.  i.  ein  Führer.  B  e  s  c  h  ü  t- 
z  e  r.  FI  e  1  d.  —  Es  scheint  daher,  daß  die  vielen  topischen  wie  ethno- 
graphischen Namen  dieser  Basis  angehören,  wie :  Rama  (altes  König- 
reich in  Bosnien,  wobei  der  Rama-Fluß  die  Grenze  bildete).  Rom. 
Romagna  (Grenzstrich  in  Italien  wie  Griechenland).  Romania  (Rumä- 
nien), dann  die  vielen:  Ramberg.  Rambach.  Ramath.  Rambla.  Ran?- 
bel  (Rämbel).  Romanshorn.  Romanow  ka.  Romeno.  Römerstadt.  Ram- 
sau. Ranmiersdorf  u.  a..  welche  meist  Grenzorte  oder  Höhen  sind, 
die  einst  \'erteidigungsz\\ecken  dienten.  —  »Roman.  Romanze»  ist 
daher  ursprünglich  die  Erzählung  von  Heldentaten  (im  Grenzkampfe) 
und  gilt  die  Romania  p  1  a  n  i  n  a  (Bosnien)  noch  heute  als  die 
Hochburg  einer  längst  entschwundenen  Heldenzeit,  die  aber  in  der 
Wirklichkeit  einer  Räuber-Romantik  eher  ähnlich  gewesen  sein  mag. 

Del,  Djel,  Delos,  Delle,  Dehli  (Delhi),  Deli,  Delitzsch,  Delme  u.  ä. 

bezeichnen  durchwegs  befestigte  oder  verteidigungsfähige  Grenz- 
höhen oder  wichtige  Küstenpunkte.  Das  Grundwort  ist 
das  altslavische  »diel»  (=  Berg),  welcher  Begriff  aber  augenschein- 
lich nur  dann  angewendet  wurde,  wenn  er  an  der  Grenze  oder  Küste 
lag.  Andere  Namensformen  sind.  »Djal»  und  «Dzial»,  wobei  sich  schon 
die  polnische  Aussprache  bemerkbar  macht.  Unter  »deliti,  djelitii«  ver- 
stehen alle  Slaven:  trennen,  scheiden,  abgrenzen:  auch  das  Franzö- 
sische xdelier«  bezeichnet:  lösen,  lostrennen:  das  lateinische  «delio» 
schreitet  in  verwandter  Bedeutung  zu :  unbrauchbar  mache  n, 
zerstören  —  w  eiter.  — 

Die  alten  sorbischen  »Delezen».  waren  sonach  etymologisch  die 
Grenzbewohner:  ihre  Hauptfestung  war  »Delx».  das  noch 
heute  Festungsmauern  und  Wachtürme  aufweist.  —  Die  »Delavare« 
sind  ein  .ludianerstanun  am  Flusse  und  der  Stadt  gleichen  Namens 


83 


(Delavar  ~  befestigte  Grenze.  Grenzfestung).  —  «Deli«  sind  häufige 
Namen  von  befestigten  Küstenorten  wie  in  Asien,  auf  Timor,  Su- 
matra u.  a.  —  i'Deli«  hieß  auch  das  tolle,  zerstörungssüchtige  Kriegs- 
i\orps  der  Türken. 

Prag,  Praga,  Praha  u.  ä.  sind  seinerzeitige  Sicherungspunkte 
und  Befestigungen  an  einer  natürlichen  Grenze  (wie  z.  B.  am 
Flusse),  um  dem  Gegner  den  Uferwechsel  zu  verwehren.  Im  Altsla- 
vischen hat  iiprag«  noch  die  Bedeutung  \on:  Grenze  (limes); 
im  ähnlichen  Sinne  wird  dieser  Begriff  aber  heute  noch  in  Redens- 
arten wie:  du  darfst  nicht  meine  Schwelle  (präg)  übertreten  — 
angewendet. 

Verwandte  Namen  finden  sich  oft  in  Grenzgebieten,  wie  z.  B. 
am  Jablunkau-Fasse:  Prazenkova  und  Prazenkova  gora  (=  Grenz- 
berge); dann:  Praschberg,  Praschka,  Prase,  Prasin  u.  ä.  Daß  npragn 
(russ.  «porogii)  als  Ortsname  auf  keine  Stromschnelle  deutet,  ersieht 
man  daraus,  daß  laut  einer  Urkunde  v.  J.  925  als  «Pragan  eine  Alpen- 
weide (an  der  Grenze  von  Kärnten  und  Tirol)  bezeichnet  wird; 
ebensowenig  liegen  Prag  bei  Hutturm,  bei  Stuttgart  und  ein  solches 
in  Baden  an  irgendw  eichen  Flüssen  mit  Stromschnellen,  hiefür  aber 
an  natürlichen  Grenzen. 

Die  (jrenze  zwischen  Siebenbürgen  und  Rumänien  bildet  eine 
Strecke  die  nPrachova«  (Fluß).  —  Eine  Gegend  in  Untersteiermark 
hieß  i.  J.  1365  «an  der  Prach«,  die  noch  heute  die  Bezirksgrenze 
bildet.  In  Böhmen  liegt  ein  P  r  a  c  h  o  w  a  an  der  Bezirksgrenze  von 
Gr.  Bittesch.  — 

Miniaturen  der  chinesischen  Mauer,  welche  einst  doch  die  künst- 
liche Grenzwehr  bildete  und  auch,  im  Chinesischen  «Van»  (=  Grenze) 
heißt,  finden  sich  auch  an  anderen  Punkten.  Ein  bemerkenswertes 
Gebiet  führt  B.  Jelinck  in  seinem  Werke:  Über  Schutz-  und  Wehr- 
bauten (Prag,  1885  p.  12)  an.  wo  es  heißt:  »Wenn  man  aus  dem  Dorfe 
P  r  a  c  h  o  V  (bei  Jicin)  auf  dem  Fahrwege,  welcher  zu  den  P  r  a  c  h  o- 
■  er  Felsen  und  weiter  gegen  Lhota  pafezskä  führt,  fort- 
schreitet, bemerkt  man  zu  beiden  Seiten  Wälle,  die  sowohl  durch  ihre 
Länge  wie  auch  durch  ihre  eigentümliche  Lage  und  Richtung  auf- 
fallen und  mit  dem  Ausdrucke  «v  sancich«  (sanac  =  Schanze)  be- 
nannt werden.  Es  sind  dies  Doppelwälle,  welche  nebeneinander,  w  ic 
durch    einen   Graben    getrennt,    fortlaufen.    Stellenweise    bilden    sie 


Bastionen  von  38  ni  Höhe.  Dieselben  begiinien  bei  dem  Jägerliause 
hinter  Prachov,  ^vo  sie  sich  an  Felsen  anlehnen,  und  ziehen  sich 
sodann  im  w  eiten.  gegen  Süden  geneigten,  über  760  m  langen  Bogen 
gegen  das  Dorf  und  von  da  weiter  gegen  N.  \V.  in  den  Wald  B  u  k  o- 
V  i  n  a.  wo  sich  selbe  abermals  an  340  m  deutlich  erkennbar  an  Felsen 
hinziehen.  \'cr!olgt  man  diese  Spur  durch  die  Waldfhir  xnad  Kory- 
tanama«  weiter,  so  gelangt  man  zu  »MoravskoH.  von  wo  sich  die 
Wälle  mit  Gräben,  getrennt  durch  einen  breiten  Zwischenraum, 
wieder  von  der  Anhöhe  zum  Bergfuße  hinabziehen.  Es  ist  wahr- 
scheinlich, daß  diese  Wälle  mit  den  vorerwähnten  V'erschanzungen 
zusammenhängen.«  Hicbei  ist  noch  erwähnenswert,  daß  diese  Fest- 
stellung auch  durch  die  topische  Etymologie  kräftigst  unterstützt 
wird,  denn  außer  «Prachov.  Bukovina.  Saiiac.  Moravsko«  befindet 
sich  in  den  Prachover  Felsen  ein  abgesonderter  hochgelegener  Platz, 
namens  «Stary  Hradek«  (Alte  Befestigung),  wo  auch  ein  uralter 
Friedhof  festgestellt  wurde.  In  derselben  Gegend  liegen  auch  die 
Ruinen  der  Veste  Pafez  (Vares!)  im  Nordwesten;  am  westlichen 
Ende  der  genannten  Felsen  stand  einst  die  Burg  Brada  (Broda): 
im  Südwesten  beim  Dorfe  Ober-Lochov  (Loka)  findet  sich  wiede»- 
eine  Höhe,  namens  Hradistka  (Verschanzungen)  vor.*)  —  Es 
muß  sonach  dieses  Gebiet  einst  eine  w  ichtige  Grenze  gebildet  haben, 
daher  es  auch  zu  einem  verschanzten  Lager  —  im  modernen  Sinne 
—  teclmisch  hergerichtet  w  urde. 

Jan.  —  Alle  topischen  und  sonstigen  Eigennamen  dieses  Stam- 
mes weisen  im  allgemeinen  auf  eine  Grenzsicherung.  «Jann 
bedeutet  im  Slovenischen  einen  Grenzstreifen,  aber  auch  Zank. 
Streit.  Kampf.  Der  römische  Kriegsgott  Janus.  mit  zwei  oder 
auch  vier  Gesichtern  dargestellt,  ist  w  ohl  ursprünglich  der  Name  des 
Chefs  einer  Grenzgegend  gew escn.  der  dieselbe  nach  allen  Rich- 
tungen beobachten  mußte;  den  Beobachtungsdienst  selbst  be- 
sorgten die  J  a  n  i  t  s  c  h  a  r  c  n,  w  eiche  heute  als  eine  rein  osmanische 
Institution  angesehen  w  erden.  —  Nach  der  .Auffassung  in  der  ältesten 
Zeit  hatte   die   Mißachtung  der  Grenze   einen    sakralen   Charakter. 


")  Der  Leser  niösrc  sich  fallweise  bei  jenen  topischen  Begriffen,  deren 
Krkläriiiig  iitch  nicht  voraussing.  mit  Kilfe  des  am  Schlüsse  beigegebenen 
»Verzeichnisses«  die  etymologische  Orientierung  holen. 


I 


denn  iedc  ältere  Religion  hat  die  Grenze  einer  sehiitzeiideii  (iottheit 
zugewiesen.  —  Der  Monat  Jänner  ist  sonach  nicht  ganz  nniiioti- 
viert  der  Qrenzmonat  des  Jahres. 

Die  vielen  Ortsnamen,  wie:  Jana  (Grenzfluß),  Janöw,  J  a- 
n  i  n  a,  auch  J  a  n  i  a,  J  a  n  i  c  a,  J  a  n  k  o  v,  J  a  n  o  w  i  t  z,  J  a  n  t  r  a 
(Grenzfluß),  Janiculus  (am  rechten  Tiberufer)  u.  a.  sowie  alle 
in  der  Wurzel  als  »jam,  jon.  junn  lautenden  Eigennamen  sind  augen- 
scheinlich dieses  Ursprungs. 

Vielfach  wurden  Ortsnamen  dieser  Art  zu  «Jäu",  wie  Jena, 
\\  e  n  i  g  e  n  i  e  n  a  («ven»  und  «jan«  also  zwei  Grenzbegriffe),  J  e- 
n  i  s  s  e  i.  J  e  n  b  a  c  h,  J  e  n  k  o  u.  a.  — 

Die  «Hansa»  (Jan  =  Hans)  war  augenscheinlich  nur  ein  Bund  zur 
Verteidigung  jenes  Küstenstriches,  welcher  besonders  den  Handel 
begiinstigte.  — 

Littau.  Litija,  Leitha.  Alle  Namen  dieser  Wurzel  deuten  auf 
G  r  e  n  z  V  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  p  u  n  k  t  e  hin,  und  hat  sich  der  sprach- 
liche Beweis  hiefür  am  deutlichsten  im  Lateinischen  erhalten,  wo 
«litus«  =  Grenze,  Ufer,  Küste  (ital.  »lido«),  "lituus»  =  der  Be- 
obachter, Signalgeber,  nlis.  litis«  =  Streit,  Kampf  —  bedeutet;  «Lito- 
rale»  kennzeichnet  ebenso  ein  Küstengebiet,  wie  «Lydien«.  —  Im 
Slavischen  herrscht  mehr  die  Form  idjut.  Ijud«  vor,  worunter  man 
heute  das  V  o  I  k,  selbst  versteht,  früher  aber  damit  die  Verteidiger 
(des  Volkes)  kennzeichnete;  die  Cecheii  gebrauchen  jedoch  noch 
inmicr  die  Form  «lid«  (=  Volk).  — 

Die  Namensformen  «Leiten«  und  «Leuthen«  sind  sonach  ety- 
mologisch gleichwertig;  «W  e  i  n  1  e  i  t  c  n  ist  eine  Verteidigungs- 
vorsorge an  der  Grenze;  Leiromischl  (Litomysle)  ist  ein 
Grenzpunkt  an  einer  Bergnase;  der  Älteste  und  Führer  einer  solchen 
\erteidigungsgemeinde  hieß  folgerichtig  «Leiter«;  ein  slavischer  Ho- 
heitsname dieser  Genesis  hat  sich  nicht  erhalten,  denn  z.  B.  Ljudovik 
(~  ^■olksrufer)  ist  bereits  zum  allgemeinen  Taufnamen  geworden. 

Don,  Donau,  Dunaj,  Donec,  Dunajec,  Donawitz  u.  ä.  sind  Flüsse 
und  Ansiedlungen,  welche  zur  \erineidung  von  Grenzüber- 
schreitungen befestigt  d.  h  verteidigungsfähig  vorbereitet 
waren.  Das  Grundwort  ist  in  seiner  primären  Bedeutung  nicht  mehr 
gebräuchlich;  die  deutsche  Namensform  ist  bereits  «Zaun«  (eine  ge- 
sicherte Stelle);  im  Englischen  bedeutet  «tovn«  schon  eine  b  e  f  e- 


8ö 


stigte  Stadt.  —  Der  Ort  wDonau«  (Böhmen)  heißt  ansonst  auch 
»Hajek«  (=  Sicherungspuiikt). 

Jeder  Fliil^  bildet  einen  natürlichen  Qrenzwall;  von  den  meisten 
wissen  wir  aber  noch,  daß  sie  an  jenen  Stellen,  ^velche  für  einen 
Uferwechsel  günstig  schienen,  technisch  verstärkt  waren.  Auffallend 
ist  es,  daß  die  Donau  weder  im  Oberlaufe  (Bregc  und  Brigach)  noch 
(im  Altertume)  im  Unterlaufe  (Ister)  als  Donau  benannt  wurde. 
weil  die  anwohnenden  Völker  die  Grenze,  die  der  Fluß  bildet, 
längs  des  langen  Laufes  verschieden  bezeichneten. 

Der  Hoheitsname  ist  doch  wohl  «don«  (auch  «dorn«),  ^vie  er 
sich  bei  den  romanischen  Völkern  sowie  slavischen  Istrianern  er- 
halten hat  (lat.  dominus  =  Herr).  Der  deutsche  Gott  Donar,  auch 
T  h  u  n  a  r,  ist  also  in  seiner  Ursprünglichkeit  der  Befehlshaber  einer 
»Donii-Gegend  gewesen,  und  sind  auch  die  Berge  des  Namens: 
Donnersberg.  Donatiberg  u.  ä.  nichts  weiter,  als  befestigte  oder  in 
einen  Verteidigungsbezirk  einbezogene  Höhen.  —  Im  Festungsbau 
versteht  man  unter  «donion«.  welches  irisch  noch  immer  »befestigter 
Ort«  bedeutet,  den  höchsten  für  die  Verteidigung  hergerichteten 
turmartigen  Bau.  — 

Ein  weiterer  Hoheitnanie  ist  «Dynast«  (griech.  der  Mächtige, 
der  Vornehme):  d  r  !■  co  =  sich  in  den  Krieg  begeben,  d.  i.  jener, 
welcher  einst  den  «dun«  (kelt.  Berg),  die  Grenzhühen.  die  befestigte 
Grenze  verteidigte,  denn  die  wichtigeren  Grenzlinien  führen  stets 
entweder  längs  eines  Gewässers  oder  aber  über  die  höchsten  Teile 
eines  Gebirges.  — 

Selbstredend  gehören  auch  alle  Namen  mit  dem  anlautenden 
)(T)(  hieher.  wie:  Tuner  See.  Tunis,  Tungusen,  Tum.  Tom.  Toman. 
Tomi,  Tomsk,  Tonale,  Tondern,  Tönsberg  (Norwegen,  mit  alten 
Burgresten),  Tonna  (Gräfentonna)  u.  a.  sowie  Dom,  Dombe.  Doni- 
basle.  Dombrau.  Domazlice,  Dommitzch  (wendisch  noch:  Duminac), 
Domnau,  Domanovo.  Domanovic*)  u.  a.  ni.  — 


')  Domanovic,  ein  Weiler  an  der  Strecke  Mostar — Stolac — Mctkovic 
in  der  Herzegowina,  wurde  im  Jahre  1878  sofort  militärisch  besetzt,  und 
blieb  es  liis  heute  als  wichtiger  Punkt  einer  Etappenlinie:  als  solcher  jjajt 
CT  aber  auch  schon  in  früheren  Zeiten. 

In  den  russischen  «BilinenH  (=  Geschehenes,  d.  i.  epische  Erzählungen) 
sind  KDon»  und  «Dunaj«  (auch  »Voljga)-)  noch  Namen  von  Melden,  die 
nach  der  falschen  Xolksetymologie  ihrer  Verdienste  w  egen  in  die  benannten 
Pliisse  \er\\andelt  wurden,  um  so  unsterblich  und  unvergessen  zu  bleiben. 


Kreis.  Kres,  Krii,  Gric.  —  Ein  kreisftirniig  abjccschlossenes  Ver- 
waltuiigsgebiet  nennt  der  Slavc  noch  «okres«,  d.  i.  Bezirk,  Kreis. 
Ks  war  dies  aucii  einst  so.  nur  war  die  Periptierie  eines  solchen  Ge- 
hietes,  weil  sie  ziiglcicli  eine  Grenze  gegen  mehr  weniger  feind- 
lich gesinnte  Nachbarn  bildete,  auch  entsprechend  verteidigungsfällig 
hergerichtet.  Die  Ortsnamen:  Kresevo.  Kfesan,  Kresice.  Kreslice. 
Kresbach.  Kressenbrunn  u.  ä.  deuten  sonach  darauf,  daß  sie  als 
Qrenzorte  zugleich  für  den  Kampf  vorbereitete  Plätze  waren, 
denn  der  Slave  versteht  unter  «kresanie.  kresati«  Kampf,  Ge- 
plänkel, sich  prügeln.  —  Der  sprachlichen  Metamorphose  wie 
lokalen  Aussprache  zufolge  wurde  aus  «kres«  auch  xkrs"  und  «krst», 
sowie  ikfiz«  und  «gricx  (=  niederer  Hügel),  daher  die  so  häufigen 
Höhennamen  Krstac.  Kfiz.  Kfizeva  gora,  u.  ä.  —  Der  Begriff  «ki'izK 
(=  Kreuz)  kam  sonach  erst  dadurch  zur  heutigen  Bedeutung,  daß 
auf  einem  als  «Kfiz.  Kreuz.  Krst"  benannten  Kampfplatze  ein  Erinne- 
rungszeichen errichtet  vurde,  bezw.  daß  die  technische  Vorsorgen 
daselbst  so  benannt  wurden,  daher  auch  so  viele  Orte  dieser  Ge- 
nesis zugleich  Kapellen.  Kirchen.  Burgen,  Ruinen.  Klöster,  Meier- 
höfc.  Friedhöfe  sind.  —  Ein  typisches  Beispiel,  daß  «Kreuzx  aus 
kkfizK  wurde  und  nicht  umgekehrt,  bietet  der  Name  der  Burg  »Kreu- 
zenstein»  (bei  Wien),  weicher  Name  in  der  ältesten  erhaltenen  Ur- 
kunde (um  das  Jahr  1100  n.  Chr.)  noch  «Grizanestein»  lautet,  hier 
also  nicht  ai'S  »krajx  hervorgegangen  sein  kann.  Nachdem  «tinj« 
(=  Umfriedung)  im  Deutschen  meist  zu  «Stein"  transformiert  wurde, 
bedeutet  sonach  dieser  Name  soviel  als  «Grenzsicherungshöhe»,  und 
war  dies  w  ahrscheinlich  dereinst,  als  die  Donau  noch  näher  an  jener 
Höhe  vorüberfloß,  vollends  berechtigt. 

Es  fällt  nun  auf.  daß  unsere  heutige  politische  Einteilung  nur 
Begriffe  kennt,  die  etymologisch  auf  eine  gewisse  Abrundung  des 
Gebietes  weisen,  wie:  »kres.  okres«  ~  Kreis,  Kreiseinteilung;  «Be- 
zirk« ist  ein  durch  »cirkcv»  (lat.  circus.  circum)  abgegrenztes  Gebiet, 
wobei  die  einzelnen  Verteidigungspunkte  jene  slavischen  Namen  führ- 
ten, von  denen  heute  «cirkev«  schon  nur  mehr  als  K  i  r  c  h  e  (mit  Um- 
fassungsmauer) gebraucht  wird;  der  Franzose  hat  hiefür  das  «Arron- 
üissement«. 

Zam.  Sam.  Dieses  Wurzelwort  liegt  außerordentlich  vielen 
Grenz-  und  \"  e  r  t  c  i  d  i  g  u  n  g  s  p  u  n  k  t  e  n  zu  Grunde,  wobei 
augenscheinlich  «zam«  die  ursprünglichere  Sprech-  und  Schreibweise 


ist.  —  Die  Kontinuität  der  Bedeutung  hat  sich  im  Slavischen  in  »za- 
niek.  zamok«  (=  Schloß.  Burg,  sowie:  Schloß.  Sperre),  im  Deut- 
schen in  «Saum,  Säumer,  umsäumen«  erhalten.  —  Alle  Namen  dieser 
Richtung  zeigen  einen  deutlichen  Zusammenhang  mit  Q  r  e  n  z  e,  B  e- 
festigung.  Absperrung,  was  durch  Verbindungen  mit  ähn- 
lichen, sachlich  verwandten  Begriffen  noch  weiter  bestätigt  wird, 
wie  z.  B.  bei  Sambor.  Samobor,  Szomfcor,  Saumburg  u.  a.  Als  Ho- 
heitsname galt  xSamoi',  d.  i.  der  Kommandant  eines  solchen  Platzes, 
womit  sich  auch  der  sagenhafte  oder  unklare  Ursprung  des  slavi- 
schen Königs  iiSamO)!  von  selbst  dahin  berichtigt,  daß  dies  eben  ein 
Gattungsbegriff  der  Slaven  für  Herrscher,  Befehlshaber 
war;  sie  werden  wohl  mehrere  Fürsten  gehabt  haben,  d'e  sie  «samOH 
(oder  Kzamo»)  nannten,  aber  die  Geschichte  hat  uns  nur  die  Existenz 
des  einen  übermittelt,  daher  derselbe  gleich  als  Eigenname  aufge- 
faßt wurde. 

Hiemit  erhalten  wir  auch  eine  Klärung  für  folgende  der  älteren 
Geschichte  angehörende  Namen,  als:  Zama,  Same,  Samos,  Somo- 
thrake.  Samaria,  Samarobriva,  Samnium,  Samniter,  Zamora  u  a. 
Weiter  gehören  hieher:  Same  (-~  das  Volk  der  Lappen),  Samojedi. 
Samhara  {~  das  Küstengebiet  von  Erythräa,  Afrika).  Samland  (der 
Küstenstrich  an  der  Ostsee).  Samoa.  Samogitien  (Rußland).  Samsun 
(Stadt  am  Schwarzen  Meere).  Zamostie  (russ.  Festung),  Samokow 
(bulgarisch,  einst  befestigte  Stadt),  Samotschin  (Stadt  in  Preußen), 
Zamach,  Zamanje,  Zamasco.  Zainarsk  (hier  ist  also  keine  Präposition 
«za«  zu  suchen!).  Zambana,  Zarnberg  (deutsche  Analogie:  Schaum- 
burg). Zamek,  Zamez,  Zamky,  Zamost.  Zamrsk,  Zams,  Zamserberg, 
Samberg,  Samechov,  Samaden,  Saming,  Samone.  Samotin,  Samsin, 
am  Sand  u.  a.;  wahrscheinlich  gehören  hieher  auch  alle  nüt  »n«  ge- 
schriebenen Namen,  wie:  San,  Sann,  Sana,  Sanov,  Sandec,  Sany, 
Sanok,  Sand.  Sandau  u.  s.  w.  —  Den  Südslaven  wie  Osmanen  ist 
»Sandzak«  gleichbedeutend  mit  Grenzgebiet.  Das  Kloster, 
w  elches  den  Ursprung  meist  einem  einstigen  Verteidigungsplatze  ver- 
dankt, nennt  der  Südslave  «samostan«.  Sonstige  Hoheitsnamen  dürf- 
ten auch  «Samuel.  Samson«  sowie  vor  allem  «San«  gewesen  sein, 
woraus  sich  sodann  richtigerweise  «sanctus«  (=  heilig)  bildete,  denn 
der  höchste  im  Staate  gilt  überall  als  eine  geheiligte  Person. 
Eine  nähere  Beleuchtung  für  diese  Etymologie  gibt  auch  der  deutsche 
Begriff   «Samtgenieindci'.   worunter  man   die  \erbindung  mehrerer 


(lemciiiden  zu  einem  geineinschaftlichtii  Zwecke,  ohne  Aufhebung 
der  Flurverfassung,  versteht,  also  in  erster  Linie  wohl  zu  Verteidi- 
gungszwecken und  zur  nachdrücklicheren  Abwehr  eines  gemein- 
schaftlichen Feindes. 

Hiemit  sprachlich  innig  verwandt  sind  ferner: 

Sem,  Semit,  Semil,  Semur.  Semipalatinsk,  Sempione  (ital.  Sini- 
plon-Palj),  Semendria  (Smederevo).  Semlin  IZemun),  Semoy,  Sem- 
pach,  Semien  (abess.  Provinz),  Semirjecensk  (ist  kein  «Siebenstrom- 
land«, da  es  geradezu  zwischen  zwei  Seen  liegt),  Sentis  (Gebirgs- 
stock).  Senne,  Seine,  Sienica.  Zenica,  Sienna  u.  a.  die  durchwegs 
Namen  für  ürenzp  unkte  sind,  doch  gebrauchen  die  Slaven  das 
Grundwort  «sem,  zem«  heute  nicht  mehr  in  diesem,  sondern  nur  im 
übertragenen  Sinne.  «Zemlja«  ist  das  Land  im  allgemeinen;  «zem- 
lian«  der  Landsmann,  der  Nachbar;  «zemstvo«  ein  sich  selbst 
verwaltender  Kreis  in  Rußland;  «zeman«  ist  der  Älteste,  der 
Mächtigste  in  der  altslavischen  Verfassung;  iiSemernik«.  wie 
der  «SemmeringK  in  alten  Urkunden,  z.  B.  1221  als  «Mons  Semernik«. 
geschrieben  erscheint,  ist  sonach  sowohl  sprachlich  wie  auch  geo- 
graphisch der  Qrenzberg.  und  wird  in  südlichen  Ländern  oft  auch 
als  Cemer.  Cemerno,  Ceniernik  ausgesprochen  und  geschrieben  vor- 
gefunden. — 

Desgleichen  haben  andere  Sprachen  diesen  Stamm  in  gleicher 
Bedeutung,  wie:  «serni«  lat.  halb;  «Semmel«  im  deutschen,  «ze- 
mlja« im  Slavischen,  das  geteilte  Gebäck;  «senor«  im  Spanischen, 
«signore«  im  Italienischen  für  Herr,  Gebieter:  «senatus«  die 
gesetzgebandc  Körperschaft  in  Rom;  «Semuai«  griech.  die  Ehr- 
würdigen; «Semperfreie«  im  altdeutschen  Rechte  die  Fürsten 
imd  freien  Herren,  welche  für  die  Grenzsicherung  verantwortlich 
waren;  «Zenith«  ist  der  Scheitel-,  Durchschnitts-  oder 
Grenzpunkt;  «Semaphor«  ist  nach  dem  Griechischen  der  Zei- 
chenträger, aber  das  Zeichen  selbst  ist  eben  das  Grenz- 
zeichen  der  Station.  —  «Sem«  (der  Sintflutsage  und  der  biblischen 
Völkertafel)  war  sonach  ein  H  o  h  e  i  t  s  n  a  m  e  der  Semiten,  also  der 
Bewohner  jenseits  der  Grenze  eines  anderen  Volkes;  desgleichen 
sind  die  gallischen  Semnoni  oder  Senones  etymologisch  die 
Nachbarn,  die  Anrainer,  —  Ob  es  tatsächlich  eine  Königin 
Semiramis  gab,  ist  sehr  zweifelhaft;  augenscheinlich  war  dies 


90 


nur  der  Name  einer  Grenzstadt  {useiii«  und  «raiii«).  die  eine 
Zitadelle,  namens  «Vanw,  mit  noch  heute  sichtbaren  krenelierten 
Mauern  hatte  imd  tatsächlich  an  der  Grenze  (am  Ufer  des  Tigris) 
lag.  — 

Berg,  Breg.  Heute  \crsteht  man  danmter  zumeist  nur  Boden- 
erhebungen; ursprünglich  scheint  man  aber  damit  Qrenzpunkte 
bezeichnet  zu  haben  und  gelten  als  solche  namentlich  die  Fluß- 
ufer, die  der  Slave  gleichfalls  «breg.  bfeh»  nennt,  daher  auch  die 
vielen  Flußnamen  wie:  Brege,  Brigach,  Bregava.  Pregel  u.  a.  welche 
eine  Grenze  bildeten,  ebenso  wie  die  Ortschaften:  Breg,  Bregenz. 
Bregana.  Bi^ehor.  Bfehy.  Briga.  Brigidau.  Prekär  u.  a.  auf  ein  G  r  e  n  z- 
gebiet  anspielen.  Das  häufige:  Pobrez,  Pobrezje  ist  sonach  eine 
Qrenzgegend  im  allgemeinen.  Die  Ortsnamen  Breg.  Brezice 
u.  ä.  wurden  daher  folgerichtig  vielfach  im  Deutschen  in:  Rann. 
Rain,  Rein«,  übertragen.  (Siehe  Artikel:  Raj.)  Daß  diese  Etymologie 
richtig  ist.  ersieht  man  auch  daraus,  daß  es  Orte  «Berg.  Bergen, 
Bergenthal)'  u.  ä.  gibt,  die  gar  keine  Höhen  aufweisen. 

Weitere  Ortsnamen  dieser  Richtung  sind  z.  B.  Pressburg. 
Pressberg  (Prassberg).  Presa,  Preschkau.  Preska,  Preserje,  Pressano 
u.  ä..  die  hiemit  Grenzpunkte  festlegen,  welche  für  die  Be- 
obachtung oder  Verteidigung  technisch  vorbereitet  waren.  Jemand 
der  auf  einem  solchen  Punkte  Wache  hielt,  hieß  «prezam  (Lauerer), 
der  Punkt  selbst  «preza«  (—  Lauerstätte.  Hinterhalt),  »prezati«  (  = 
scharf  beobachten,  lauern).  —  Hieher  gehören  daher  vor  allem  alle 
mit  dem  anlautenden  »B«  geschriebenen  Namensformen,  wie:  Breza. 
Brezina.  Brescia  (mit  einer  Zitadelle),  Brzesc  (Brest-Litovsk),  Brest. 
La  Bresse.  Bresslau.  Bfeclava,  Brezovice,  Bfeznice.  Brzezany. 
Bfezolupy.  Nabrezina  (Grenzgegend  mit  drei  Wallringen,  gradisce, 
Castellieri  genannt,  und  reichen  prähistorischen  Funden)  w    v.  a.  — 

Die  bisherige  Annahme,  daß  z  B.  Brezina  als  Ortsname  von 
«brezax  (=  Birke)  stamme,  daher  eine  Birkengegend  bezeichne, 
hat  sich  als  unberechtigt  erw  lesen  und  verführte  vielfach  zur  etymo- 
logisch trügenden  Schreibweise.  —  In  deutschen  Gegenden  gibt  es 
vielfach  Höhen  des  Namens:  Kanzel.  Kanzelberg.  Predigtstuhl;  diese 
ungewöhnlichen  Bezeichnungen  sind  der  unrichtigen  Übersetzung 
des  slavischen  «prezuica«  (=  Lauerstätte),  welches  aber  als  «priz- 
nica.  priznik«  auch  Kanzel  bedeutet,  hervorgegangen.  Hieher  gc- 


91 


hören  auclit  die  Namen:  Frzno,  Przcnka.  l^rznica.  Moiitp  re  i  s  u.  ä. 
(Siehe  Abbildung  des  Schlosses  Montpieis  in  StLitrniark.) 

In  der  Herzegowina  gebraucht  man  noch  den  Begriff  »briga» 
als  ürenziinie;  z.  B.  an  der  Grenze  der  Bezirke  iMostar-Stoiac  legt 
man  den  Höhen  nebst  dem  Eigen-  auch  den  (iattungsnamen  «briga« 
bei.  Liings  des   Bf)dcnsees   wohnten   einst   die   HrigantlL-r;    ilnc 


Montpreis   in   Steiermarlc 


Hurgen  waren  Brigo  banne  (Breunlinge)  und  B  r  i  g  a  n  t  i  u  ui 
!Bregciiz);  das  Gebiet  bildete  eine  Grenzgrafschaft:  der  Grenz- 
Wächter  war  der  Brigadier  (jetzt  General:  in  Frankreich 
Gefreiter)  und  B  r  i  g  a  n  d.  welch  letzterer  allerdings  heute  schon  zur 
Bedeutung  Räuber  herabsank;  «briga«  bedeute  im  Mittellatei- 
nischen  Streit,  eine  »brigue«  ist  dem  Franzosen  eine  Rotte  (von 
Gleichgesinnten).  —  Dem  Slovenen  ist  «briga«  —  Sorge;  im  Kel- 
tischen bedeutete  es  aber  noch:  Ufer,  (jrenze:  «brig»  war  gleichbe- 
deutend mit  «Jäger«.  — 


Reka,  Rjeka.  —  Der  S'ave  versteht  heute  darunter  den  Fluß 
oder  ein  Gebiet  nut  mehreren  Wasserlinien,  doch  ent- 
spricht dies  augenscheinlicli  nicht  der  Urbedeutung,  denn  man  muß 
damit  einst  eine  natürliche  Grenzzone,  die  zur  Verteidigung  ge- 
eignet war,  bezeichnet  haben,  nachdem  es  viele  Ortlichkeitcn  dieses 
Namens  gibt,  die  überhaupt  an  keinem  Fluße  liegen.  Sprachliche  Be- 
weise hiefür  haben  wir  im  Slovenischen,  wo  «rega« :  Einschnitt, 
S  p  a  1 1  e,  G  r  an  z  z  e  i  c  h  e  n.  im  Kroatischen  das  Bedroh  e  n  kenn- 
zeichnet; namentlich  hat  sich  aber  das  Grundwort  im  Lateinischen 
in  rego  (=  beherrschen),  regio  (=  Grenze),  regnum  (=  Herrscher, 
Leiter)  erhalten.  Das  Lateinische  «rex«  hat  aber  auch  Analogien  im 
Slavischen  als  «rek«  (cech.  =  Held),  und  «Recke«  im  Deutschen. 
«Reguläre«  Truppen  waren  sonach  einst  dieOrenzsicherungs- 
t  r  u  p  p  e  n,  «Regent«  war  der  Kommandant,  «Regatta«  der  Wett- 
kampf derselben  (heute  nur  mehr  beim  Rudersporte). 

Bezügliche  topische  Namen  sind:  Regen.  Regensburg.  Regen- 
stein, Regenstauf,  Regnitz,  Regau,  Regersdorf,  Regnersdorf,  Recica. 
Reka  (=  Fiume),  Cerna  feka  (eine  Höhe),  Retz,  Reckovice,  Rehost. 
Crnorecje,  Rekawinkel  (mit  zwei  Grenzbegriffen:  «reka«  und  «vin«) 
Reggio  (Regium)  u.  a.  Desgleichen  kennzeichnen  die  vielen  Orts-  und 
Riednamen:  Zarzycze.  Zarjec,  Zeretse  (1250),  Zarjeco.  Sareitz,  Za.r- 
zitz  u.  a.  nicht  so  sehr  die  Gegend  hinterdemFlußi  («Zarjecje«) 
sondern  jene  hinterderGrenze,  sowie  auch  «Porecje,  Porjeka 
Pörtschach  (das  entstellte  «Porjecje«)  nur  die  Gegend  an  und 
nächst  einer  Grenze  andeuten;  desgleichen  ist  «Meseritsch« 
(«Mezirjecje«)  das  Gebiet  zwischen  zwei  Grenzen,  wobei 
man  bei  allen  die  Wahrnehmung  macht,  daß  his\\eilen  tatsächlich  ein 
ein  Fluß  da  ist.  aber  ebensooft  auch  nicht. 

Loka,  Lotika,  Liika,  Lug,  Loz,  Loznica,  Loosdorf,  Lausanne, 
Laak,  Lukovec,  Lugeum  u  ä.  bezeichnen  einen  mehr  oder  weniger 
gesicherten  G  r  e  n  z  p  u  n  k  t.  Unter  «lociti,  locilo«  versteht  der  Slo- 
vene:  sich  trennen,  die  Trennung,  das  Schisma;  lok  =  Bogen  (als 
Waffe);  lokav  =  hinterlistig;  logar  =  der  Hüter,  Heger;  «Loge, 
Loggia«  wie  «locus«  deuten  im  Romanischen  auf  einen  abge- 
grenzten Raum;  «luka«  ist  der  Hafen,  d.  h.  wo  die  Schiffe 
geschützt  sind;  «loka«.  «louka«  ist  im  weiteren  Sinne  als 
Wiese.  Anger  ja  auch  ein  gesicherter  Ort.  d.  h.  jene  abge- 
schlossene, umzäumte  Grasnutzungsfläche,  die  man  vorerst  mähen. 


also  liiclit  dem  W  cidexiuli  überlassen  will.  "Loki»  ist  sonach  der 
Kän)pfer  an  der  (iienze.  in  anderer  [''oini  aueli  als:  i^Lukas. 
Lucia». 

Weitere  Klärungen  hr'r^t  anch  das  i^riecliisclie  „k('.-/OL:' 
(=  Lager,  Hinterhalt,  Abteilung  Infanterie),  ,,lii-/ciy6g^  (=  Kom- 
mandant von  100,  bc'  den  Persern  von  24  Mann),  „Ao^ßw" 
(=  im  Hinterhalte  liegen,  deutseh:  locken).  Anch  die  Herzegovztn 
nennen  das  Lager  i'ulog«,  die  S'o\-encn  nloz,  loza«  wie  «loka«  (  = 
Zuflnchtsstätte).*) 

Wie  imbeholfen  einzelne  Forscher  noch  hernmtappen,  weil  sie, 
wie  auch  die  meisten  wissenschaftlichen  (Jescllschaften,  die  jeder 
Kontakt  mit  dem  Slavischen  gleich  konvnlsivisch  macht,  diese  ganz 
natürlichen  Forschnngsresnitate  iiartnäckig  ignorieren,  ersehe  der 
objektive  Leser  an  dieser  Stelle,  an  welcher  alle  die  hiezn  nötigen 
Verstiindnisprämissen  bereits  vorausgeschickt  sind.  Prof.  S.  Troja- 
novic  (Belgrad)  erzählt  in  den  Mitteilungen  der  Wiener  Anthrop. 
Ges.  ( 1909,  in.  u.  IV.  Heft),  er  habe  einen  Schalenstein  knapp  a  m 
Wege  beim  Dorfe  Lozani  (Serbien)  —  in  der  Nähe  des  Berges 
A'ojiiiciic  und  des  Hügels  »Bandera«  (Vandera)  —  gefunden,  auf 
dem  sich  56  künstliche  Vertiefungen  befinden.  Er  glaubt  mm,  daß 
dies  (Ipfersteine  oder  überhaupt  religiöse  Objekte  seien,  wundert 
sich  aber  doch  auch,  daß  ein  ganz  ähnlicher  Stein,  wie  in  Serbien 
bei  »Lozane«,  auch  in  Frankreich  beim  sprachlich  gleichstanmügen 
(^rte  «Losere»  gefunden  wurde,  und  scheint  dies  mit  dem  deutschen 
Begriffe  «Los«  in  Zu.sammenhang  zu  bringen.  —  Ich  hoffe  damit  doch 
einige  konstant  Ungläubige  zum  Nachdenken  aufzurütteln,  ob  wer 
einen   g  e  w  a  c  li  s  e  n  e  n   Felsen   längs   eines   (1  r  e  n  z  w  e  g  e  s   mit 


')  Rrw'iihiicnswL'rt  ist  hier  das  Zusaninieiitreffcii  einer  auffallenden 
interllniiualen  Kongruenz,  denn  sowie  das  sIcAenische  «loka,  loica«  Klcichbe- 
deutcnd  ist  mit  dem  Kriecliischen  »Ar;^ot,v  iK'deutct  dieses  zujtleich  auf  die 
(icbiirt;  aber  der  Slovene  bezeichnet  mit  »loza»  ledi.s^lich  die  Nachge- 
burt: den  Bo»>-n  nennt  dieser  «lok».  der  (irieche  »IvyoS"  (das  BIck- 
same';  »J.t'j'f«  ist  dem  (jriechen:  der  Sehende,  der  Seharfsehende,  der  Luchs, 
dem  Sl(>\enen  ist  »lue«  (--  Licht,  im  allicemeinen):  »^lyiTtü«  (=  biegen, 
riMKcn,  werfen),  slov.  ilueali»  (=  werfen,  ringen)  u.  s.  w^  —  Es  zeigen  so- 
rraeh  die  gleichen  Wiirzelbegriffe  in  den  zwei  äußerlich  giundverschiedenen 
StJrachen  noch  sehr  deutliehe  Spuren  ihrer  einstigen  geir.eir.scliaiüehen  (je- 
nesis  auch  hinsichtlich  der  Bedeutung, 


94 


kleinen  künstÜLhcn  luid  auffällig  gnippierten  \ertiefunger.  versehen 
wird,  um  dort  das  Opferblut  aufzufangen,  oder  aber  um  hiemit  eine 
schw  er  verwischbare  O  r  e  n  z  m  a  r  k  i  e  r  u  n  g  ersichthch  zu  machen ! 

Celle,  Zell.  Zcllnitz.  Celje  (Cilli).  Schelleberg.  Schelletau,  Schel- 
lenburg Schelleschitz,  Celo,  Vrh  Celo,  Cele  Kul?,  Czeladna.  Monte 
Celio,  Celovec  (Klagenfurt).  Zill.  Ziller.  Slll.  Sillein  u.  ii.  weisen  auf 
feste,  gut  \-  e  r  t  e  i  d  1  g  u  n  g  s  f  ä  h  i  g  e  G  r  e  n  z  p  u  n  k  t  e.  Das 
Grundwort  ist  das  slavische  Hcel»  (=  kräftig,  stählern)  wie  auch: 
cel  ~  Ziel,  Endziel.  Grenze.  Z  o  1 1  s  t  a  1 1  o  n.  Verw  andte  Re- 
griffe sind  noch:  celesn  (=  der  Tüchtige,  der  Hervorragende);  celad. 
ccled  (=  die  Waffenfähigen,  die  Angehörigen  einer  Verteidigungsge- 
meinde); celada  (slov.  der  Helm);  celka  (russisch  der  Roßschweif, 
die  Fahne  ="  als  Attribute  des  Kriegers);  celo  (=  Spitze,  der  steile 
Gipfel  eines  Berges);  das  italienische  «ce'la"  ist  die  Vorratskammer 
(in  einem  Verteidigungsraume);  celjni  (russ.  das  Stück  Lard,  welches 
unbebaut  ble'bt.  also  jenes  an  der  Grenze)  u.  ä. 

Auf  diesem  L'mw  cge  gelangt  man  endlich  zur  Klärung  des  viel- 
umstrittenen  Namens  «Celti»;  es  waren  dies  sonach  jene  Bewohner. 
die  ihre  Verteidigungs  Vorsorgen  an  den  Grenzen: 
«ctlo.  seloK.  und  die  sich  als  Kämpfer  und  Verteidiger  nceled.  celadx 
nannten  oder  von  den  Nachbarn  so  genannt  wurden.  Dem  Russen  gilt 
noch  heute  als  Kselö«  nur  jene  Ansiedlung.  die  eine  Kirche  aufweist, 
also  einen  festen  Kernpunkt  für  die  Verteidigung  besitzt.  —  Hiemit 
ist  wohl  auch  die  sprachliche  Zugehörigkeit  dieses  den  Gelehrten 
so  rätselhaften  \'olkes  sowie  die  ungewöhnliche  Verbreitung  dessel- 
ben klarer  geworden,  und  ist  es  nun  geradezu  zw  eifellos.  d  a  ß  a  I  1  e  s 
jene,  dem  der  keltische  Stempel  aufgedrückt  wird, 
eine  slavische  Grundlage  hat.  abgesehen  davon,  daß  ja 
auch  alle  Gebirge.  Gewässer  und  A  n  s  i  e  d  1  u  n  g  e  n  j  e- 
n  e  r  Gebiete,  die  den  v  K  e  1 1  e  n «  als  \\'  o  h  n  s  i  t  z  e  zuge- 
schrieben werden.  Namen  führen,  für  welche  nur 
die  s  1  a  v  i  s  c  h  e  n  Sprachen  eine  natürliche  und  sinn- 
gemäße Deutung  kenne  n.*) 


")  Typisch  für  die  Deukmethode  der  Gescliichtskritiker  ist  jedenfalls 
die  Fixierung  des  Zeitpunktes  für  die  KInwanderung  der  Slaven.  Man  sagte 
sich:  i.  J.  451  werden  die  Markomannen  zum  ietztenmaie  genannt;  i.  .1.  493 
ziehen  aber  schon  die  Meruler  über  das  slavische  Oebiet.  daher  der  logische 
SchluR :    in     der    Zwischenzeit     müssen     die    Slaven     e  i  n  g  e- 


t:s  ist  heute  w ohi  schon  eine  Notwendigkeit  das  s  1  a  \-  i  s  c  h  e 
Gebiet  zu  betreten,  wenn  man  seine  Bedürfnisse  nach  VergröBc- 
rung  des  Sprachwissens  befriedigen  w  iil.  und  es  ist  sicherlich  eine 
große  Unterlassung,  mag  sie  mm  der  Unkenntnis,  Antipathie  oder 
Gleichgültigkeit  entstammen,  wenn  man  bei  der  Forschung 
n  a  ch  den  U  r  b  c  w  o  h  n  e  r  n  Europas  dies  noch  immer 
nicht  berücksichtigt;  diese  Einseitigkeit  hatte  bedauerlicher- 
weise  nur  den  einen  Erfolg,  daß  man  bisher  eigentlich  keine  Ge- 
schichte der  Slaven  schreiben  konnte,  weil  sich  stets  das  Kelten- 
t  u  m  in  die  Quere  legte  und  der  Begriff  «k  e  1 1  i  s  c  h«  allein  jeden 
Geschichtsschreiber,  w  ie  die  Schlange  den  Vogel,  hypnotisierte.  E  s 
ist  und  bleibt  daher  unverständlich,  warum  die 
zünftige  «Historie«  den  ungeheuren  Qu  eilen  wert 
der  prähistorischen,  s  o  ax"  i  e  nun  auch  der  o  n  o  m  a- 
stischen  Forschungen  noch  i  ni  ni  e  r  nicht  anerken- 
nen und  verwerten  will! 

Man  versuche  es  nur  einmal  das  Keltische  mit  dem  slavischen 
Sprachschatze  zu  vergleichen  und  man  wird  überrascht  sein  über  die 
Identität  und  Verwandtschaft  der  Begriffe;  das  künstlich  aufgebaute, 
oft  nur  in  Bezug  auf  die  Begriffsbedeutung  dem  Gefühle  oder  der  Ver- 
mutung nähergebrachte  «Keltisch«  ist  lediglich  ein  Slavisch, 
welches  im  Sinne  der  heutigen  Auffassung  den  Titel  jener  Volks- 
stämme darstellt,  aus  deren  Summe  sich  eben  bis  heute  durch  die 
Wissenschaft  der  Qesammtbegriff  «Slaven«  gestaltet  hat.  —  Die 
K'eltomanie  hat  aber  mit  ihrer  intensiven  Einsetzung  aller  Kräfte 
eigentlich  selbst  und  unbewußt  die  Erkenntnis  an  den  Tag  gefördert, 
daß  wir  das  Keltische  mit  dem  Slavischen  zu  iden- 
tifizieren haben,  nachdem  die  Ähnlichkeit  und  organische  Ver- 
wandtschaft umso  schärfer  hervortreten,  je  mehr  Vergleiche  ange- 
stellt werden.  Unser  ganzer  Streit  und  die  w  issenschaftliche  Kontra- 
diktion ist.  gleich  dem  Nebel  in  der  Sonne,  in  jenem  Momente  zer- 
ronnen, wo  man  e  r  k  e  n  n  t  n  i  s  \^  o  1 1  zugibt,  daß  alles  als  kel- 
tisch  Angesehene    nichts   weiter    als   Slavisch    im 


wandert  sein!  Sonderbar:  wer  in  der  (jescliichte  unter  dem  heute  Kang- 
baren  Namen  nicht  existiert,  der  war  nie!  Und  diese  Folgerung  setzte  deni- 
entsprecliend  voraus,  daß  die  iVlarknmannen  zugleich  Gelten  waren,  daher 
am  Papiere  eigentlich  die  Rechnung  stimmt;  sonstige  Erfahrungs-  und 
Beweisgründe  sind  dabei  wertlos! 


9G 


li  e  u  t  i  K  c  n  a  1 1  g  e  in  c  i  n  l  n  S  i  n  n  e.  d  a  Ij  »K  e  1 1  i  s  c  h«  ii  ii  d 
«S  I  a  V  1  s  c  li«  identische  Begriffe  sind.  Nur  auf  die- 
sem 1  d  e  n  t  i  t  ä  t  s  z  u  g  e  s  t  ä  n  d  n  i  s  s  e  haben  die  bisheri- 
gen w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  1 1 1  i  c  h  t  n  Arbeiten  auf  keltischer 
(1  r  u  n  d  1  a  g  e  einen  S  e  1  b  s  t  k  o  s  t  e  n  \\  e  r  t :  andernfalls 
i  s  t  d  i  e  V  (■)  1 1  i  g  e  D  e  s  t  r  u  k  t  i  o  n  und  Vergessenheit  ihr 
unaufhaltbares  Los! 

Die  (jtschichtsschreibuug  hat  auch  den  Szenenwechsel,  wo- 
nach die  Kelten  schon  die  Wcltbi.hne  verlassen  hätten,  als  die  Sla- 
ven  auftreten,  sehr  plump  arrangiert,  denn  w  ie  können  dann  die  Sla- 
ven  nahezu  die  gleiche  Sprache  sprechen,  als  die  Kelten,  wenn  beide 
niemals  im  Kontakte  waren!  Auch  wäre  es  schade  um  die  Drucker- 
schwärze, wenn  ich  heute  etwa  noch  weitere  sprachvergleichcndL 
Beispiele  anführen  wollte,  wie  ich  es  bisher  getan! 

Der  Hoheitsbegriff  hat  sich  im  Slovenischen  noch  in  «nacelnik 
(=  Vorsteher)  erhalten.  Aus  der  Bezeichnung  für  die  Verte-diger 
scheint  auch  der  Begriff  «Zeloten«  hervorgegangen  zu  sein,  worunter 
man  heute  einen  Fanatiker  versteht,  einst  aber  hiemit  auch 
rücksichtslose  Kämpfer.  Revolutionäre  belegt  haben 
mag.  —  Der  primäre  Begriff  für  den  Ältesten  einer  Celten- 
Qemeindc  w ar  aber  wohl  « 'le^iDBiK'b,  clovek«,  welches  heute  schon 
nur  mehr  den  Menschen  im  allgemeinen,  als  höheres  Wesen  im 
Vergleiche  zn  den  übrigen  Geschöpfen,  hervorhebt. 

Trak,  Trakien,  Tragin.  Tragöss,  Tragwein  («trak«  und  «viu  ) 
Trasdorf,  Traa  (Drau).  Trausnitz.  Trakostjan,  Drak,  Draga,  Dragalj, 
Dragotus.  Drachenburg.  Drachenfels.  Draxl,  Drazence,  Drace  u.  ä. 
sind  Ansiedlungen  sow  ie  Verteidigungspunkte  an  der  (i  r  c  n  z  c.  denn 
trak  =  Band.  Orenzstrich;  draga  =  Engpaß.  Schlucht;  draka  = 
Kampfplatz.  Rauferei;  drace.  dracjc  ^  Dorngestrüpp,  das  auf  der 
Grenzlinie  wuchert.  -  Im  weiteren  Sinne  gehört  hieher:  der  Dra- 
c  h  e,  früher  meist  als  «track»  geschrieben,  d  i  das  feindselige 
Tier,  dann :  böses  Weib,  endlich  der  Feind  im  aiigemeinen ; 
«trach«  nannte  man  auch  die  ersten  (jeschütze  (tiauptbüchsen)  Von 
Personennamen  kennen  wir  vor  allem  den  strengen  Gesetzgeber 
«Drakon«,  dessen  Name  wahrscheinlich  erst  später  als  Typus  einer 
Person,  welche  ungewöhnlich  strenge  im  Dienste  der  Grenzvcrt.i- 
digung  auftrat,  auftauchte.  .Ansonst  konnnt  in  der  ältesten  Geschichte 


97 


der  Slaven  «Drog«  als  Fiirstentitel  ^viederholt  vor.  —  Alte  MiiHbctte 
heißen  noch  immer  «draga,  draha«,  aber  nur  dann,  wenn  sie  zugleich 
eine  Flur-  oder  Gemeindegrenze  bilden ;  der  Wächter  hieß 
augenscheinlicli  «Dragoner«;  die  Knechte,  Avelche  den  Gutsherrn  zu 
begleiten  und  zu  beschützen  hatten,  nannte  man  «Draben«  oder  «Tra- 
banten«. — 

Pol,  Polen.  Die  mit  der  Wurzel  «pol«  gebildeten  topischen  Na- 
men gehören  gleichfalls  zur  Gruppe  der  Grenzbezeichnun- 
gen, denn  «Pol«  ist  an  sich  die  Grenze,  «pol«  =  die  Hälfte, 
also  das  Geteilte;  im  Russischen  galt  jedoch  «pol«  im  altem 
Gebrauche  noch  vollkommen  als :  O  r  e  n  z  e.  R  a  n  d,  U  f  e  r,  K  ü  s  t  e. 
Vergleiche  auch:  nolvg  —  Staat,  ^ o l s ii n <;  =  Krieg,  der  Kampf 
mit  dem  Nachbar.  — 

Der  Volksname  der  Polen  deutet  sonach  durchaus  nicht  auf 
die  E  b  e  n  e  b  e  w  o  li  n  e  r  (polje  =  Ebene,  Feld),  wenn  sie  auch  zu- 
meist mindergebirgige  Gebiete  bewohnen,  aber  andere,  wie  Pol- 
lauer Berge,  Pollau,  P  ö  II  a  u  (in  den  alten  Urkunden  meist 
als  «polan«  geschrieben)  P  ö  1  s,  P  ö  1 1  e  r  b  e  r  g,  P  ö  1 1  b  e  r  g  u.  a. 
sind  geradezu  Namen  für  Höhen  in  Gebirgsländern.  Eine  Grenz-  weil 
Küstenstadt  ist  auch  Pola  (slav.  Pulj).  bei  Mela:  Pola;  Polom 
ist  ein  häufiger  Name  von  Grenzbergen  u.  s.  w.  Die  an  den  Grenzen 
aufgeführten  Schutzbauten  hießen  früher  auch  «Polgraben«,  sowie 
xPaligrabenK.  —  Die  russische  Grenzwehr  (Landwehr)  nennt  man 
iioch  im.mcr  «opolcenie«  (von  »opolcat«  —  sich  zum  Kampfe 
ausrüsten,  und  «opiot«  =  Schutzmauer,  Umzäunung, 
Grenzschutz).  —  Im  Inn-  und  Pustertalc  waren  einst  die  ein- 
zelnen Verteidigungsabschnitte  in  «Oblate«  (auch  «Obleien»)  einge- 
teilt und  war  diesen  zur  weiteren  Unterscheidung  noch  der  spezielle 
Ortsname  beigefügt,  wie:  Oblai  Rietz,  Oblay  zu  Bercliach,  Oblat 
Vierschach,  Oblat  im  Gartisch  u.  a.*)  —  Jene  Gruppe,  die  unter 
einem  Kommando  einen  solchen  Abschnitt  zu  sichern  beziehungs- 
weise zu  verteidigen  hatte,  bildete  einen  «polk«,  d.  i.  nach  der  heu- 

*)Daßdieserart  jene  Gemeinden  bezeichnet  wurden,  welche  der  Pfarr- 
kirche Oblaten  Zinsen  mußten,  wie  dies  einige  Etymologen  behaupten, 
dieses  ist  an  sich  widersinnig,  da  mitunter  dort  überhaupt  keine  Kirche  war, 
daher  völlig  unhaltbar.  —  Boguphalus,  der  älteste  polnische  Qeschicht- 
schreiher,  sagt  auch,  daß  der  Name  »Polen«  vom  Q  r  e  n  zschlosse  «Polan« 
stamme,  was  in  bezug  auf  die  Etymologie  zweifellos  richtig   ist.  — 


tigeii  militärischen  Auffassimg  ein  Regiment,  woraus  das  deut- 
sche iiVolk«  hervorging,  und  sonach  ursprünglich  ungefähr  dem  Ter- 
ritorium eines  Ergänzungsbezirkes  für  ein  Infanterieregiment  von 
heute  entsprach.  Diese  geradezu  famihäre  Zusammengehörigkeit  er- 
hielt sich  in  der  ehemaligen  Militärgrenze  bis  zum  letzten  Bestands- 
tage und  ist  dem  Kroaten  der  Begriff  npuk»  immer  gleichwertig 
sowohl  für  «Regiment»  wie  auch  «Volk».  —  Der  Konmiandant  hieß 
nun  »polkovnik,  pukovnik»  oder  «plukovnik«  (cech.  auch  «pluchaf»'; 
deutsch:  Blücher)  oder:  Polzer.  Oppolzer,  Apfoltern  (dann  »Abfai- 
tern«)  im  Dentschen,Polak,  Pukovic,  Bukovic.  Vukovic,  Boikovic  u. 
ä.  im  Slavischen. 

Als  Hoheitsbegriff  dieser  Richtung  ist  uns  bisher  nur  mehr  aus 
der  griechischen  Mythologie  der  Name  «Apollo,  ApoUon»  (ursprüng- 
lich daher  wahrscheinlich  in  der  Form  »Opolo»)  bekannt;  doch  auch 
über  diesen  wissen  wir,  daß  er  als  Beschützer  bürgerlicher  und 
staatlicher  Ordnung  galt,  sowie  daß  er  frevelhafte  Übergriffe  —  mit 
seinem  ferntreffenden  Bogen  —  zu  rächen  pflegte:  nichtsdestoweni- 
ger kommt  dieser  Name  aber  auch  auf  den  antiken  Patera-Figuren 
wiederholt  in  Verbindung  mit  slavischen  Texten  (vergl.  Fig.  21  der 
gelösten  Rimenschriften)  und  in  der  Bedeutung:  Ratgeber.  Be- 
schützer vor.  Sonstige  Personennamen  sind:  Apolonia.  A  p- 
p  o  1  i  II  a  r  i  s  sow  ie  die  Ortsnamen :  Opolan,  Opolany,  Opla- 
d  e  n.  O  p  o  c  11  o,  O  p  o  c  n  i  c  e,  O  p  p  e  I  n.  O  p  1  o  t  n  i  c  a,  O  b  a  1  i. 
A  p  u  I  i  e  n  u.  ä.  —  Die  Abgabe,  die  bei  der  Passierung  der  Grenze 
zu  entrichten  war.  nannte  man  aus  gleichem  Grunde:  obol,  obolos. 
Ein  »pol»  sprachlich  und  sachhch  verwandter  Begriff  ist  auch: 
Balkan.  Die  Bezeichnung  für  die  große  Halbinsel  galt  ursprüng- 
Hch  wohl  nur  kleineren  Gebietsteilen,  entwickelte  sich  aber  später 
zu  dem  Gesamtnamen,  der  im  allgemeinen  auch  den  Teilen  ent- 
spricht. —  Das  Grundwort  ist  »v  a  1»  (Wall.  Palisade,  vallum,  vallus) 
in  der  Bedeutung  eines  durch  Gräben  und  Palisaden  ver- 
stärkten Verteidigungsplatzes.  Dieser  Begriff  kann 
noch  bis  in  die  Zeit  der  Hirtenverfassung  zurückverfolgt  werden. 
denn  »balka»  bedeutet  im  Russischen  noch  heute  Schaf,  und  »vlah« 
ist  im  Altslavischen  gleichbedeutend  mit  H  i  r  t.  Damit  aber  der  Hirt 
seine  Herde  schütze,  wurde  durch  entsprechende  künstliche  Korrek- 
tur die  Bodenplastik  diesem  Zwecke  dienstbar  gemacht,  d.  h.  durch 
Aushebung  von  Hindernisgräben  ein  Materialw  all  geschaffen,  in  den 


sodann  Palisaden  eingebaut  wurden.  Der  Ceche,  Pole.  Russe  ge- 
brauchen den  Begriff  iivai«  in  diesem  \\  ie  auch  im  erweiterten  Sinne, 
namentlich  der  Ceche,  als  «valka«  (=  Krieg),  «valciti,  baljkati«  (= 
kämpfen,  «balgen«);  «val«.  Wall«  ~  der  technisch  verstärkte  Kampl- 
platz.  daher  auch  «Validus«  =  stark,  mächtig;  «Invalide«  =  schwach, 
nicht  kampffähig.  —  In  «Valjevo«  warfen  die  Serben  i.  J.  1909  wieder 
neue  «Wälle«  auf;  «Zavalje«  ist  ein  altes  türkisches  (!)  Sperriort  im 
kroatischen  Plitvica-Distrikte;  «Zavala«  ist  eine  alte  Burg  mit  Kula 
in  der  Herzegowina  u.  a.  — 

Eine  besondere  Art  von  solchen  Wällen  sind  die  S  c  h  1  a  c  k  e  n- 
wälle,  wo  das  aufgeworfene  Material  noch  durch  einen  Brand- 
prozeß verschlackt  wurde;  in  Schottland  fand  man  sogar  an  ver- 
schiedenen Punkten  verglaste  Wälle,  die  für  die  seinerzeitige 
Kriegführung  gewiß  unzerstörbar  waren. 

Jenes  Gebiet,  welches  viele  solche  Verteidigungsvorsorgen 
hatte,  nannte  man  daher  W  a  1 1  a  c  h  e  i,  die  Bew  ohner  V  1  a  h  i  (Lahi), 
\'  1  a  s  i,  V  1  a  s  i,  Wallachen.  Die  W  a  1 1  a  c  h  e  i  (an  der  Donau) 
besaß  z.  B.  schon  zu  Römerzeiten  eine  dreifache  Zone  alter  Wall- 
und  Wehrbauten.  —  Hiefür  ist  jedoch  der  verwandte  Begriff  «vlaciti 
(slov.).  BOJOHiiTB  {russ.)«  weiter  vorhanden,  denn  er  bedeutet: 
\erbindungsgräben  ziehen,  in  die  Länge  ziehen.  —  Im  Okkupations- 
gebiete gibt  es  viele  Höhen,  namens:  Volinje.  Volinjak.  Volujak,  Vo- 
losko.  Volkovina,  auf  denen  uralte  Schanzenreste  noch  heute  sichtbar 
sind,  und  die  zum  Teile  i.  J.  1878  erneuert  wurden.  —  Im  Polnischen 
versteht  man  unter  «wola«  einen  Freigrund. 

Die  Ortsnamen  dieser  Basis  sind  ungemein  zahlreich  und  dabei 
formverschieden,  wie:  Vale.  Valy.  Wall.  Valc.  Wahl.  Wahlen.  Wald. 
Waldegg,  Waldeck.  Waidenstein.  Walkenstein.  Wals  (Heide).  Wall- 
ste.  Walowice,  Walowa  Qöra,  Wallstein,  Walch,  Walchen,  Baljke. 
Balkow  .  Balkovina,  Balkovci,  Bai,  Baiin.  Balki,  Balta.  Volin.  Voiyne. 
Wolhynien,  Falkenberg,  Falkenau,  Falknow  u.  a..  sowie  die  Perso- 
nennamen, welche  den  Chefs  solcher  Verteidigungspunkte  einst  bei- 
gelegt wurden,  wie:  Vali,  (die  erste  Sultansfrau  heißt:  Valide).  Wal- 
tar  (Waltarilied),  Walther,  Falco,  Falk.  Bolko.  Baldas.  Bälden  Bal- 
tazar.  Volk.  Vuk  (d.  i.  Wolf),  Valkun  (Valhunus)  u.  a  m.  Hieher  ge- 
hört auch  der  Volksname  «V  o  I  s  c  i«  (Italien)*)  und  «Volci«  (Gallien). 


')  Hier  sei  eine  alkemeiii  bekannte  Sage  etymologisch  beleuchtet.  — 
Die  römische  Wölfin,  welche  Jas  ausgesetzte  Zwillingspaar  Ronmius  und 


Dagh,  Daker,  Dacier.  Unter  «dac,  daca«  versteht  der  Sloveiie 
den  Grenzzoll.  die  Accise,  die  Steuer;  «dacar«  ist  der 
Q  renzzoileinnehnier;  «dagh«  ist  dem  Osmanen  der  Berg,  na- 
mentlich ein  solcher  an  der  Grenze;  iidaggii  ist  dem  Holländer  das 
tndstücii  des  Taues  usw.  —  Diese  Beispiele  zeigen  an,  daß  die 
alten  Dakar  von  ihren  Nachbarn  eben  als  Grenzbewohner 
angesehen  wurden.  Wenn  man  daher  die  ^\  ilde  Felsschlucht  »Dazio 
grande»  in  der  Schweiz  (Tessin)  als  »großer  Zoll«  übersetzt,  so  ist 
dies  nicht  vollkommen  richtig,  sondern  soll  nach  der  Urbedeutung 
«große  Grenze«  lauten,  —  Dieser  Etymologie  sind  daher  augen- 
scheinlich die  Ortsnamen:  Dachau,  Dachy,  Dachstein,  Dachberg, 
Dachenberg.  Dachsberg,  Dacice,  Dahany.  Tacha,  Tachau,  Tachöw, 
Taggenbrunn,  Takern,  Takacovo  (1436  noch  «Takac«)  u.  ä.  —  Mo- 
heitsbegriffe  sind  z.  B.  D  a  g  a  n  (ein  semitischer  Gott),  dann  Dag- 
mar, Dagobert,  Dank  wart  u.  a.  als  Personennamen. 


Remus  in  der  Schilfwildnis  des  Tiberufers  gesiiugt  und  sich  durch  diese 
freiwillige  Übernahme  der  JVlutterpflichten  mittelbar  um  die  Gründung  der 
Stadt  Rom  und  die  Weltgeschichte  verdient  gemacht  hat.  ist  heute  noch  das 
populärste  \\'ahrzeichen  der  ew  igen  Stadt.  Zum  Gedächtnis  an  die  Amme 
des  Zwillingspaares  werden  bis  heute  auf  städtische  Kosten  lebende  Wolfe 
in  einem  Käfig  zur  Schau  gehalten.  —  Die  wissenschaftliche  Forschung 
pflegt  aber  selbst  vor  den  ehrwürdigsten  Sagen  keinen  Halt  zu  machen. 
Abgesehen  davon,  daß  sich  der  Oemeinderat  von  Rom  alle  diese  Futter- 
auslagen ersparen  könnte,  wissen  wir  auch,  daß  an  der  kapitolinischen 
Wolfsgruppe  die  Zwillinge  eine  spatere  Zufügung  sind,  daß  die  Beine  der 
Wölfin  im  10.  Jahrhundert  n.  Chr.  angeflickt  wurden  und  daß  nur  ihr  Kopf 
und  ein  Rumpfteil  unverfälschte  antike  .Arbeit  aus  vorchristlicher  Zeit  dar- 
stellen. Der  Archäologe  Pericle  Ducati  aus  Bologna  hat  nun  festgestellt,  daß 
die  Geschichte  von  der  säugenden  Wölfin  auch  keine  römische  Originalsage 
ist,  sondern  daß  sie  von  den  «Etruskernn  übernommen  wurde,  wenn  man 
auch  sonst  von  der  ungewöhnlichen  Appetitlosigkeit  dieses  gefräßigen 
Raubtieres  ganz  absieht.  Der  Ursprung  der  Sage  ist  nun  augenscheinlich 
folgender:  die  «Volsci,  Volci»,  ein  Urvolk  Italiens,  strebten,  ebenso  wie 
andere,  die  etymologische  Erklärung  ihres  Namens  an;  nachdem  aber  «Volci» 
im  Slavischen,  der  Sprache  der  Urbewohner  Italiens,  gleichbedeutend  ist  mit 
«Wölfe»  (volk  =  Wolf),  mußte  man  nun  auch  an  die  Formulierung  einer 
dies  beglaubigenden  Sage  denken,  welche  dann  ebenso  ernst  genommen 
wurde,  wie  etwa  der  Bär  für  Berlin.  —  Die  naive  Erklärungskunst  macht 
das  Unmöglichste  möglich,  aber  die  exakte  Wissenschaft  darf  sich  dadurch 
nicht  beirren  lassen! 


Dana,  Dane,  Danje,  Danek,  Danndorf,  Dankowitz,  Danz,  Danzig, 
Danzlau,  Dannenberg,  Tanzenberg  u.  ä.  sind  Orte  an  einer  Grenze, 
d.  h.  an  einer  Stelle,  wo  man  eine  Abgabe  entrichten  mußte,  denn 
«dani^  bedeutet  in  allen  slavischen  Sprachen  Steuer,  Tribut; 
im  Russischen  hat  sich  sogar  die  veraltete  Form  «cornaja  dann  (= 
Grenzsteuer)  erhalten.  —  Bei  diesem  Grundworte  ist  besonders  der 
Name  "Dänemark«  bemerkenswert.  Dieses  Land  benennen  die  Sla- 
ven  noch  immer  als  «Dansko«  (=  Grenzland),  während  die  Deut- 
schen noch  «mark«  hinzufügten,  also  eine  Tautologie  konstruierten, 
da  sie  das  Grundwort  wohl  noch  verstanden  aber  nicht  für  genügend 
prägnant  ansahen.  Desgleichen  bekräftigen  diese  Etymologie  auch 
die  "Danevirke,  Danevorke«  (=  G  r  e  n  zfo  rt  i  f  i  k  at  ion  e  n,  d.i. 
dan.  vir  und  bor),  die  als  alte  G  r  e  n  z  w  ä  1 1  e.  w  eiche  schon  i.  J. 
808  die  Dänen  gegen  die  Deutschen  aufgeführt  haben  sollen,  seit 
jeher  angesehen  werden;  der  Etymologie  nach  sind  aber  diese 
Werke  wohl  noch  weit  älter.  —  Als  Personennamen  sind  namentlich: 
Dan.  Danaos.  Dana  e,  Daniel  bekannt,  von  denen  der  erstere 
als  der  mythische  Ahnherr  der  an  der  Nordg  r  e  n  z  e  Palästinas 
w  ohnenden  Juden  gilt.  Die  D  a  n  a  e  r  (=  Bew  ohner  von  Argolis) 
waren  sonach   richtigerweise  auch   die  Nachbarn  der  Athener. 

Stairi,  Stein.  Die  nach  vielen  Hunderten  zählenden  topischen 
Namen  dieser  Kathegorie  sind  sonderbarerweise  nicht  deutschen 
Ursprungs,  sondern  haben  zum  Qrundworte  das  slavische:  «stan. 
sten.  stena«  d.  i.  Wand.  Grenze.  In  vielen  Fällen  hat  man  im 
deutschen  Gebrauche  gleich  die  Übersetzung  zugefügt,  daher  die 
zahlreichen  Orts-  und  Riednamen :  S  t  e  i  n  \v  a  n  d.  —  Solche  Punkte 
liegen  ausschließlich  an  mehr  oder  weniger  wichtigen  Grenzli- 
nien und  w  urden  je  nach  ihrer  Qualität  auch  zur  Qrenzverteidigung 
ausgenützt.  Mit  dem  deutschen  Begriffe  xStein»  decken  sie  s'ch  in 
vielen  Fällen  nicht,  da  der  Name  auch  in  nicht  steinigem  Gebiete,  ja 
in  der  reinen  Fbcne  (wie  z.  B.  Freistein),  vorkommt.  —  Die  Grenze 
bildet  eben  eine  gewisse  Wand,  daher  man  dort  auch  Halt  machen 
muß;  aus  diesem  Grunde  gelten  die  Ortsnamen:  Stan,  Stani,  Stanov, 
Stanovisko.  Stanoviste.  Standorf.  Stanestie,  Stanik.  Stanetinci,  Stann, 
Stanislau.  Stanislovice,  Stanosina,  Stanköw,  Stain.  Steinz.  Stenitz. 
Steiniiz  u,  ä.  als  dieser  Etymologie  angehörig.  Die  Haltsteile  heißt 
daher  auch  «stanice.  stancija«  im  Slavischen. 


102 


Bemerkenswert  ist  in  dieser  Hinsicht  der  alte  norddeutsche 
Ort  «Vadstena«  (=  die  verschanzte  Grenze),  wo  auch  der  «gernia- 
iiische«  Runenbrakteat  gefunden  wurde,  der  aber  auch  slavi- 
schen  Text  auKveist;  es  sprechen  sonach  sowohl  die  prähistori- 
schen Funde  w  ie  die  topische  Etymologie  für  die  slavische  Vorver- 
gangenheit. —  Daß  eines  Steines  wegen  ein  Ort  je  den  Namen 
erhalten  hätte,  ist  auch  logisch  ausgeschlossen.  —  Am  deutlichsten 
drückt  dieser  Etymologie  die  «Kavkazkaja  stjena«  den  Stempel  auf. 
denn  das  ist  die  mit  Toren  und  Türmen  versehene  lange  Grenz- 
mauer, welche  einst  von  den  Persern  gegen  die  Chazaren  aufge- 
führt wurde,  und  die  sich  vom  Kaspischen  bis  zum  Schwarzen  Meere 
über  Berge  und  Täler  hinzieht. 

Bog,  Boha.  Bug.  In  diesen  Namen  ist  der  slavische  Hoheitsbe- 
griff:  bog,  buh  (=  Gott)  enthalten  und  ist  derselbe  aus  der  primä- 
ren Bedeutung  von  Grenz  Verteidiger,  Held,  der  Höch- 
ste hervorgegangen.  In  der  Bewertung  vGrenze«  kennt  das  Grund- 
wort heute  nur  mehr  die  baskische  Sprache,  denn  sie  gebraucht  noch 
Mbuka«  für:  Ende,  Grenze,  «bukaera«  für:  Grenzgebiet.  Im 
Südslavischen  ist  «buga,  bugarx  =  Held,  Vorsteher,  Kbugariia« 
=  Heldenlied;  «bogati»  =  folgen.  Befehlen  (des  nbog«)  ent- 
sprechen; die  Cechen.  Polen,  Russen.  Mongolen  verstehen  noch  heute 
unter:  bohatyr,  bohater,  bogatir,  bagadir  den  Held,  den  Höch- 
sten. Da  der  Kommandant  an  einem  Qrenzverteidigungspunkte  alle 
feindlichen  Anschläge  überblicken  also  auch  abwehren  mußte,  wurde 
dem  iibogK  auch  die  Eigenschaft  des  A  1 1  s  e  h  e  n  s  und  A  1 1  w  i  s- 
sens  zugeschrieben.  Die  Ländernamen  «Bugariia«  (Bulgarien)  »Böh- 
men« (Bohemia)  «Bukovina.  Buchara«  sind  sonach  ebenso  als 
Grenzgebiete  im  großen  aufzufassen,  wie  die  Ortsnamen  B o- 
g  e  n,  B  o  g  e  n  a  u,  B  o  h  o  v  a.  B  o  h  u  n  i  c  e,  B  u  c  h  1  o  v.  Buch- 
berg. B  u  k  o  \-  o,  V  u  k  o  V  o,  B  ü  c  h  1  u.  ä.  im  kleinen,  haben  daher 
namentlich  mit  Buche  (bot.)  nichts  zu  schaffen.  —  Übrigens  ist 
es  augenscheinlich,  daß  «bog«  mit  «puk,  viik.  volk.  Volk«  organisch 
verwandt  ist.  — 

Anta.  Alle  auf  dieser  Begriffsbasis  gebildeten  einfachen  adtr 
zusammengesetzten  Ortsnamen  deuten  auf  ein  Grenzgebiet  hin. 
denn  «anta«  ist  dem  Balkanslaven,  namentlich  dem  Syrmier,  die  Be- 
zeichnung fürOrenzzeichen.  Orenzhaufen.  Auch  das  grie- 
chische  «anti«   deutet   auf  das  Gegenüberliegende.   Namen 


dieser  (lenesis  sind  sonach:  Aiitipater,  Antiochus,  Antigoiics.  Anti- 
machos,  Antilochiis.  Antaxerxcs  u  a.  w  eiche  auch  mit  ihrem  (jriind- 
worte  nur  noch  das  Bestimmungswort  ergänzen,  also  durchwegs 
besagen,  daß  dies  ursprünglich  (i  r  e  n  z  v  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  1\  o  m- 
m  a  n  d  a  n  t  e  n  waren.  Die  heute  gebräuchlichen  Namen  sind  vor 
allem:  Anton  und  Andreas,  sowie  die  vielen:  Ondra,  Ondruch,  On- 
drus,  Ondfejnik  (Qrenzberg  zwischen  Mähren  und  Schles'en),  Onta- 
rio,  Andromeda,  Andalusien  u.  a.  — 

»Andres,  Andreas«  hat  in  dem  griechischen  ^civdosg"  =  die 
Männer,  die  Waffenfähigen  noch  seine  Urbedeutung  für 
den  Verteidiger  (der  Grenze).  Die  Hafenstadt  «Antivarin  heißt 
im  Südslavischen  noch  immer  nur  «Bar«;  in  Kleinasien  erwähnt 
.Mela  auch  den  Volksstamm  der  «Antibarani«.  —  Diese  Etymologie 
klärt  uns  auch  den  Volksnamen  der  «Anten«  auf,  die  den  alten 
Schriftstellern  als  ein  großes  Volk  Westrußlands  bekannt  waren. 
Ebenso  sind  die  «Anden«  (Kordilleren)  ein  ausgesprochenes  Qrenzge- 
birge.  Der  Hoheitsname  war  «Andel,  Angel«,  d.  i  Beschützer, 
dem  man  zum  Überfluße  noch  «strazec,  strazan,  varuh«  u.  ä.  in 
jener  Zeit  beifügte,  als  man  die  Urbedeutung  von  «andel»  nicht  mehr 
kannte.  Die  verworfenen  Engel  der  Bibel  waren  sonach  jene  (Irenz- 
und  Landesverteidiger,  die  nicht  ihre  Pflicht  taten  oder  gar  Verrat 
übten.  — 

Nov,  Novi  (Kroatien,  Dalmatien,  Herzegovina,  Bosnien),  N  o- 
V  i  c  i  (Mähren),  N  o  v  s  k  a  (Kroatien),  E  r  c  e  g  Novi  (Castelnuovo), 
Noya  (Spanien),  Noyon,  Nyons  (Frankreich),  N  o  v  a  r  a,  N  o- 
vellara  (Italien)  sowie  die  zahlreichen  römischen  Namen  N  o  v  i- 
o  d  u  n  u  m  für:  N  e  v  e  r  s,  N  e  u  v  y  und  S  o  i  s  o  n  s  (in  Frankreich), 
Neuenburg  mit  dem  Schlosse  Chaumont  (Hum!).  Nyon  in  der 
Schweiz ;  dann  N  o  v  i  o  m  a  g  u  s  (für  N  i  m  w  e  g  e  n.  N  e  u  m  a  g  e  n, 
Speyer.  L  i  s  i  e  u  x)  sind  durchwegs  Festungen  oder  gut  verteidi- 
gungsfähige Punkte  mit  Burgen,  Ruinen  oder  Mauerresten;  ja  bei 
Novi  im  kroatischen  Küstenlande  steht  seit  undenklichen  Zeiten 
eine  Burgruine,  L  o  p  a  r  genannt,  auf  der  Stelle  eines  römischen 
Festungswerkes,  zum  Schutze  der  Straße  nach  Seina.  —  Es 
scheint,  daß  hiemit  in  erster  Linie  befestigte  Qrenzpunkte 
gekennzeichnet  wurden,  und  hieß  der  Befehlshaber  eines  solchen 
etwa  «novak«,  was  im  Slavischen  zu  einem  überaus  häufigen 
Familiennamen  wurde:  der  Verteidiger   war  der   «novic.   novinec». 


—  104  — 

w orunter  wir  lieute  den  zum  Soldaten  geeigneten  Mann,  den  R  e- 
kruten  verstehen;  die  Abgabe  an  der  Grenze  nennte  man  «novac. 
novcic  (=  Kreuzer).  —  Das  Grundwort  dürfte  im  Originale  «noi.  nuj« 
gelautet  haben,  hat  daher  mit  »nov«  (d.  neu)  nichts  zu  schaffen  und 
sind  die  Namen:  Novigrad.  Neuern,  Neuenburg.  Neuenahr  (mit  Ruine 
auf  dem  hohen  Basaltkcgel)  nur  spätere,  an  geläufigere  Begriffe  sich 
anschmiegende  Assimilierungen. 

Ein  Rest  des  alten  Begriffes  hat  sich  augenscheinlich  in  der 
Fortifikationswissenschaft  als  «noyau«  (franz.  Kernpunkt  einer  Fe- 
stung) erhalten,  welches  eben  jene  Stelle  bezeichnet,  wo  es  für  den 
Angreifer  am  schwersten  wird  dem  Verteidiger  beizukommen,  also 

^j.    \         die  u  r  s  p  r  ü  n  g  1  i  c  h  e  natürlich  und  künstlich  verstärkte  Steile.  — 
^  Dem  Slovenen  ist   wnoja,  nuja«   =  Not,  Plage,  also  möglicher- 

^ty/^ff       weise  «noj.  nuj«  jenen  Platz  andeutet,  welchen  man  in  der  Not,  bei 
feindlicher  Bedrängnis  aufsucht,  also  gleichsam  Zufluchtsor t.') 

^/+''f^***f^  Asberg,  Assling,  Assang,  Assach,  Asch.   Aschach  u.  ä.  haben 

nasK  zur  Basis,  womit  man  den  verteidigungsfähigen  Punkt  bezw. 
den  Befehlshaber  desselben  benannte.  Die  «AsenK  sind  die  Götter 
der  germanischen  Mythologie,  die  Beschützer  der  Menschen.  Die 
Slaven  kennen  diesen  Begriff  nicht  mehr,  außer  in  der  Form  «at« 
sowie  «ot«  ~  der  Vater,  das  Höchste;  hingegen  ist  «asan» 
den  Türken  der  Begriff  für  einen  hohen  Würdenträger.  Bei 
den  Semiten  war  der  Königsname:  Assar,  Assarhadon.  Sa'rr.?r"s:-v 
gangbar;  einen  hohen  Wüstengeist  nannten  sie  nAsaseix;  sie  kann- 
ten auch  die  n.^scherax.  die  Göttin  Astarte,  welche  sonach  den 
weiblichen  Hoheitsnamen  von  «as«  repräsentierte.  Die  HAsanen«. 
ein  tatarisches  Volk,  nennen  ihre  Häuptlinge  «As«;  kAsk  ist  auch 
im  Kartenspiel  die  höchstbewertete  Karte.  Dem  Südslaven,  wie  Os- 
manen  und  Araber  ist  «ask,  a.skar,  asker«  derSoldat,  dasMili- 
tä  r,  also  die  Stütze  des  «as«.  --  Die  Burg,  avo  die  «Äsen«  wohnten, 
hieß  der  Edda  zufolge  «Asgard«  (Asgrad.  analog,  \\-ie  «Stargard«  statt 
Stargrad).  «Asier,  Asiarchn  waren  bei  den  Griechen  Begriffe  für  be- 
stimmte Funktionäre;  «Asia«  ist  wie  «Azowh  identisch  mit  Grenz- 
gebiet, welches  «Asch  sichern.  —  Die  Münze,  welche  ein  solcher 
prägen  ließ,  hieß   »as«  u.  s.  w.  — 

')  Bei  Mostar  ist  eine  keselförmise  isolierte  Bergspitze  mit  altem 
IVlauerwerk.  die  «Nnvi»  heißt.  Siegal'  augenscheinlich,  da  sie  einen  weiten 
Ausblick  fcestattet.  mehr  als  vorgeschobener  Wachpunkt,  denn  die  Berg- 
spitze bietet  mir  etwa  .' — 4  Kämpfern  Raum  für  die  Verteidigung. 


In  Nicleii  Namen  macht  sich  aber  schon  der  Llbcrgana  des  «s« 
in  "t"  und  "d»  bemerkbar,  wie  bci:Atter,  Attcs,  Attnang.Atzgersdorf, 
Attendorf,  Athen,  daim:  Adamsberg,  Adamsthai,  Adamy,  Adau'.oxo, 
Adamierz,  Adaniövka,  Adamusa,  Admont  (Adamimt),  Ada  Kaleh, 
Ädda.  Aden,  Adalia.  Adal,  Adar  u.  ä  und  sind  dies  alles  befe- 
stigte Punkte,  denen  ein  »ata»  (Vater  des  lallenden  Kindes) 
«atamanii  (Führer  der  Kasaken)  cder  nada,  pdam«  vorstand.  —  Dies 
alles  berechtigt  zur  Annahme,  daß  «Adanix  ursprünglich  nur  als 
Ältester  oder  Führer  einer  bestimmten  Gemeinde  oder  Hir- 
tenkonföderation anzusehen  ist.  also  als  erster  im  sociale;', 
sicherlich  aber  nicht  als  erster  Mensch  der  Erde  i  m 
arithmetischen  Sinne.  Aus  der  «GeneslsK  müssen  \\ir  aber 
auch  schließen,  daß  diese  Gemeinden  schon  damals  intensiv  Ackerbau 
betrieben,  denn  gerade  die  Nebenumstände  in  der  Schilderimg  der 
Bibel  deuten  dahin,  daß  es  zu  «Adam's  Zeiten«  bereits  eine  relativ 
hohe  Kultur  gab.  Kain,  als  der  älteste  Sohn,  war  der  erste 
Ackerbauer,  Abel,  der  jüngere  war  unlogischerweise  erst  Vieh- 
züchter; Kain  bediente  sich  zu  seiner  Arbeit  bereits  metallener  Ge- 
rätschaften, war  also  schon  in  agrartechnischer  Hinsicht  dem  heu- 
tigen Bosnier  weit  voraus,  der  sich  noch  immer  mit  dem  Holzpfluge 
begnügt,  —  denn  Tubalkain  war  als  dessen  Zeitgenosse  schon 
Schmied  von  Profession.  Wozu  nun  ein  Schmied,  wenn  Kain  kein 
Latifundienbesitzer  war  und  sonst  wohl  mit  einem  Pfluge  auskam; 
eines  Pfluges  wegen  entsteht  aber  noch  kein  Schmiedehandwerk! 

—  Woher  nahm  übrigens  der  Schmied  das  Eisen,  welches  man  ja 
in  der  Natur  nicht  gediegen  vorfindet  —  ausgenommen  IVleteore-sen 

—  und  dazu  benötigt  man  wieder  der  Werkzeuge,  welche  die  Här- 
tung zu  Stahl  voraussetzen  usw.,  alles  in  wörtlicher  Auffassung 
unhaltbare  Hypothesen,  welche  innerhalb  eines  Menschenalters,  imd 
noch  dazu  des  ersten,  eine  derart  sprunghafte  Kulturhöhe  an- 
nehmen, die  heute  erst  ein  geringer  Teil  der  Erdbewohner  überholt 
hat.  — 

Überdies  spricht  verschiedenes  dafür,  daß  «Adam«  nur  ein  Ho- 
heitsname  ist*),  der  nach  dem  Vergessen  der  ursprünglichen   Be- 

')  Die  Legende  von  der  Erschafiuns:  des  Menschen  aus  der  Adams- 
rippe geleffentllch  eines  tiefen  Schlafes  ist  wohl  nur  ein  späterer 
Apiilog  auf  den  etymologischen  F.rkjiininssdrang  des  Namens  »Adam«,  denn 
altslovenisch  w  ie  russisch  heißt  »atani,  atama«  =  Schlaf,  Schlafsucht, 
das  tiefe  Atmen. 


Wertung  einen  ähnlichen  Charal<ter  annahm,  wie  etwa  heute  bei  den 
Serben  der  Hauspatron.  d.  i.  jener  Heilige,  dessen  Namen  der 
Stammvater  einer  bestimmten  Familie  trug.  »Adam»  ist  aber  ei- 
gentlich nur  ein  Geschlechtsname,  daher  die  angeführte  nahezu  1000- 
jährige  Lebensdauer  ähnlich  zu  nehmen  ist.  wie  die  heutigen  Namen 
der  Dynastengeschlechter,  bei  denen  man  ebensogut  z.  B.  noch  heute 
sagt:  Die  Habsburger  leben  schon,  historisch  festgestellt,  an  900 
Jahre,  und  wird  dabei  niemand  in  Zweifel  geraten,  wie  dies  aufzu- 
fassen sei. 

Die  in  der  Bibel  sowie  bei  den  alten  Griechen  oft  erwähnte 
Bezeichnung  der  Stammesväter  zeigt  offen  den  einstigen  Ahnherrn- 
kultus, dessen  Torsos  ja  in  den  heutigen  Patronymicis  der  Russen. 
Serben  und  orthodoxen  Juden  noch  sichtbar  sind.  —  Dasselbe  sind 
bei  den  Römern  die  Geschlechter  der  Fabier.  Scipionen  u.  s.  w..  daher 
jeder  dieses  Stammes  auch  den  Ahnherrnnamen  führte,  wodurch 
sich  äußerlich  die  Staniinvaterlinien  ausprägten,  ähnlich  wie  beim 
heutigen  Adel  die  Verbindung  mehrerer  Namen  gebräuchlich  ist  um 
Filiationen  und  Zweiglinien  bereits  äußerlich  zu  kennzeichnen. 

Man  nuiß  stes  die  heutigen  Verhältnisse  den  einstigen  gleich- 
halten und  nicht  glauben,  daß  sich  die  Denk-  und  Ausdrucksweise 
seither  sachlich  wesentlich  geändert  hat.  —  Überdies  wissen  wir. 
daß  die  Beduinen  (Bduis)  in  Arabien  auch  noch  heute  ihre  Ge- 
schlechter auf  gleiche  Art  zählen,  sowie  daß  Kain  «eine  von  den 
Töchtern  des  Landes«  heiratete,  die  doch  dessen  Schwester  ge- 
wesen sein  mußte,  w  enn  es  dazumal  nur  erst  e  i  n  e  F  a  m  i  1  i  e  gege- 
ben hatte.  —  Der  Hagiograph  schrieb  eben  in  natürlicher,  für 
seine  Zeit  verständlicher  Weise,  w  ährend  w  i  r  alles  unnatürlich 
auffassen  und  uns  über  den  einfachsten  modus  dicendi  den  Kopf  zer- 
brechen, als  ob  alles  Alte  auch  im  modernen  Sinne 
gekünstelt  sein  müßte! 

Weiters  gehören  aber  sachlich  zu  «as«  auch  alle  Namen 
mit  der  Wurzel  «os».  wie:  Ost.  Ostia.  Oskar  (askar  =  Krieger). 
Osci.  Osiris.  Osman.  Osma.  Oskol.  Ossa  (Fluß  und  Gebirge).  Osek 
(Osseg).  Osor.  Osora.  Ossiach,  Osowiec,  Osning,  Ostjaken  (nennen 
sich  selbst  As  -  Jak  (=  Uferbewohner).  Ostrov,  Ostrog.  Ostrich. 
Österreich  (Ostariha).  Osuna,  Oswald  u.  a. 

Die  March  bildete  einst,  wie  auch  heute,  eine  w  ichtige  Grenze: 
diese  zu  sichern,  daher  möglichst  stark  zu  befestigen,  war  die  natür- 


I 


liehe  Folge;  die  xMark«  (=  Grenze)  erhielt  viele  Wälle  (ost. 
ostrog),  daher  das  Gebiet  auch  den  Namen  «Ostmark«  wie  auch 
«Österreich«  («ost«  u.  «raj«)  führt;  beide  Namen  deuten  sonach 
sprachlich  auf  ein  Grenzgebiet,  das  technisch  gegen 
feindliche  Ei nf alle  gut  gesichert  war.  Längs  dieser 
Grenzlinie  befinden  sich  auch  etliche  «Ostrau«.  —  Übrigens  schrieb 
man  früher  auch  nicht  etwa  «Ostgothi»  sondern  «Ostrogothi«  wie 
z.  B.  Krantz  in  «Wandalia«  (1619). 

DalJ  die  Insel  im  Sla\ischen  «ostrov«  lautet,  ist  deshalb  be- 
grihidet.  weil  Inseln,  namentlich  solche  in  Flüssen,  den  feindlichen 
Überwechsel  erleichtern,  daher  zumeist  auch  verteidigungsfähig  her- 
gerichtet waren.  Man  kann  einen  größeren  Flufi  am  ehesten  an 
solchen  Stellen  forcieren,  wo  Inselbildungen  vorhanden  sind;  sind 
aber  diese  technisch  verstärkt,  so  wird  das  Bestreben  des  Gegners 
wesentlich  erschwert  oder  gar  \ereitelt.  So  lange  die  Donau  bei 
Wien  in  vielen  Armen  floß,  war  die  Stadt  vom  Norden  her  stets  in 
Gefahr;  aus  gleichen  iMotiven  übersetzte  Napoleon  i.  J.  1809  die 
Donau  unter  Benützung  der  Insel  Lob  au;  aus  demselben  Grunde 
waren  die  Inseln  bei  Kostajnica.  Slaxonisch  Hrod.  Passau  u.  a.  schon 
von  a!t:rsher  befestigt 

Der  lioheitsname  war  wahrscheinlich  «ostar,  ostara,  cStr«. 
(«ost«  =  Schärfe.  Strenge),  daher  die  Mythen  von  der  Frühlings- 
göttin «Ostara«  recht  prosaischer  Natur  zu  sein  scheinen,  und  ist 
dieses  mutmaßlich  im  Originale  überhaupt  ein  männlicher  Name.  — 
Analog  wurde  auch  «üstri  vrh«  zu  «Osterberg«  und  auf  d'ese  sonder- 
bare Art  mit  dem  Osterfeste  in  Zusammenhang  gebracht.  — 
Die  «osteria«  (=  Gasthaus)  w  ar  einst  nur  der  Versammlungs- 
ort, wie  auch  noch  heute  in  den  Dörfern  im  Gemeindcwirtsh''usc 
die  Ratssitzungen  abgehalten  werden,  daher  dieser  Begriff  nur  cii.c 
Analogie  zu  «gospoda.  gostilnica.  hostinec,  viit  u.  ä.  bildet  — 


C.  Militärische  Schutzorganisation  der  (Jrvölker. 
Topische    Namen    verteidigungstechnischen    Ursprungs. 


Diese  Gruppe  umfaßt  ausschließlich  die  topononiisch  erkannten 
und  erklärten  Begriffe  der  einstigen  V  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  v  o  r  so  r- 
g  e  n,  deren  Anzahl  jedoch  so  unerwartet  groß  ist,  daß  wir  uns  die- 
selben am  besten  veranschaulichen  können,  wenn  wir  ganz  Europa 
mit  einem  kleinmaschigen  Netze  bedecken,  denn  wir  können  dann 
an  jeder  Maschenknüpfung  einen  solchen  Verteidigungspunkt  anneh- 
men und  auch  finden,  da  solche  Vorsorgen  einstens  eben  aügeniein 
gew  csen  sein  mußten. 

Gleich  der  erste  oder  einzelne  Ansiedler  sicherte  sich  schon 
durch  Ausnutzung  des  Geländes  (Wasser,  Felsen)  oder  künstliche 
Schutzmittel  (Palisaden,  Mauern,  Wälle,  Gräben),  so  lange  er  und 
dessen  Herde  unter  Dach  war;  war  letztere  auf  der  Weide,  so  be- 
obachtete er  dieselbe  und  die  Umgebung  von  einem  hiezu  günstigen 
Punkte.  —  Vermehrten  sich  die  Ansiedler,  so  wurde  für  den  Schutz 
gemeinsam  gesorgt,  einem  hiezu  besonders  Fähigen  diese  Aufgabe 
übertragen,  imd  das  Entsprechende  vorbereitet.  Gestattete  das  Ter- 
rain einen  natürlichen  Schutz,  so  wurde  dieser  voll  ausgenützt, 
nötigenfalls  noch  ergänzt  und  verstärkt;  gestattete  es  diesen  nicht 
(Ebene,  Wald,  wenig  Übersicht),  so  wurden  künstliche  schutz- 
technische Vorsorgen  inszeniert.  Es  gibt  daher  auch  keine  isolirte 
Höhe  in  der  Ebene,  an  der  nicht  eine  einst  oder  jetzt  wichtige  Stadt 
liegen  w  ürde,  so  wie  es  auch  nicht  vorkommt  oder  wenigstens  vor 
etw  a  hundert  Jahren  nicht  vorkam,  daß  eine  namhaftere  Ansiedlung 
ungeschützt  irgendwo  gelegen  wäre. 


Solche  Sicheruiigsstätten  erkennen  wir  noch  !  eute,  da  sie  ent- 
weder noch  sichtbar  sind  oder  dies  durch  Denkmäler,  Schriften  oder 
Traditionen  bestätigt  wird;  in  anderen  Fällen  bringen  ausgegrabene 
Kulturesiduen  die  Beweise  über  die  einstige  Bestimmung;  bei  den 
allermeisten  ist  es  aber  nur  mehr  der  Name,  welcher  durch  Analogien 
in  Sprache  und  Kultur  unsere  Vermutung  glaubwürdig  legalisiert. 

Daß  Verteidigungs-Vorsorgen  einst,  ebenso  wie  heute  sehr  n<.t- 
wendig  waren,  ist  einleuchtend,  denn  Übergriffe  aus  vitalen  Inte- 
ressen auf  den  fremden  Besitz,  namentlich  wenn  er  der  Qualität 
wegen  besonders  begehrenswert  war,  haben  mit  dem  Beginne  des 
nienschiichen  Kulturstrebens  eingesetzt  und  werden  fortdauern,  so 
lange  der  Erdball  Menschen  beherbergen  w  ird.*)  Was  jedoch  jenseits 
dieser  ersten  Kuiturregung  liegt,  ist  nicht  Sache  dieses  Forschungs- 
gebietes, denn  hier  ist  die  Sprechfähi  gkeit,  die  Spra- 
che des  Menschen,  bereits  Grundbedingung. 

Die  Besitz-  und  Orenzstreitigkeiten  beginnen  mit  der  Morgen- 
röte der  Geschichte,  —  denn  schon  der  erste  Brudermord  ist  wohl 
nur  auf  eine  ökonomische  Differenz  zurückzuführen  — ,  und  solche 
Differenzen  ziehen  sich  ohne  Unterbrechung  und  bei  vermehrter 
Intensität  bis  heute  fort.  Oft  wurde  mit  Friedensgerichten  versucht, 
aber  stets  mit  ephemerem  Erfolge,  denn  wenn  der  eine  nicht  einver- 
standen ist,  so  muß  doch  wieder  der  Kampf  entscheiden;  und  die  fried- 
liche Beilegung  des  Weiderechtstreites  zwischen  Abraham  und  Lot, 
mit  dem  Links-  und  Rechtsgehen,  wie  sie  die  Bibel  schildert,  ist  doch 
eine  seltene  Ausnahme,  durch  welche  nur  die  Regel  bestätigt  wird. 

In  jener  grauen  Vorzeit,  als  die  Verteidigung  der  nährenden 
Scholle  sowie  der  Habe  nicht  in  militärischen  Händen  lag.  mußte 
sich  jeder  selbst  der  feindlichen  Übergriffe  erw'ehren  und  da  der 
Einzelne  hiezu  zu  schwach  war,  organisierten  die  Gemeinden  unter- 
einander die  nötigen  defensiven  Vorkehrungen;  die  älteste  Verfassung 
ist  daher  auch  die  allodale,  als  die  praktischeste  und  gerechteste 
gewesen,  denn  jederlebtefreiundunabhängigaufsei- 

")  Im  Paralipomenon  (II,  14)  wird  z.  B.  folgende  Ansprache  des 
israelitischen  Königs  Asa  an  sein  Volk  angeführt:  «Bauen  wir  diese  Städte, 
sichern  wir  sie  mit  Umfassungsmauern,  befestigen  wir  sie  mit  Türmen. 
Toren  und  Schlössern,  damit  unser  Besitz  im  Falle  des  Krieges  unversehrt 
verbleibe  usw.«  — 


i.er  Hufe,  aber  der  Besitz  war  Gemeindeland  und 
den  Schutz  besorgten  die  Genieindeangehörigen 
unterLeitungihresÄ'.testenselbst.  daher  das  Interesse 
des  Einzelnen  durch  den  Grundzug  der  Zusammengehörigkeit  nur 
noch  erhöht  wurde,  hingegen  der  Fleiß,  der  Khrgeiz  und  der  Nutz- 
effekt der  Arbeit  dem  Einzelindividuum  zugute  kam.  Das  heute  an- 
gestrebte Ideal  einer  sozialdemokratischen  Verfassung  ist  daher 
keine  Unmöglichkeit  oder  Utopie,  denn  sie  bestand  schon  in  \\irk- 
lichkeit,  allerdings  unter  anderen  Prämissen.  — 

Darin  gipfelt  aber  auch  der  immense  Kulturfortschritt  der  allo- 
dalen  Verfassung  vor  der  feudalen,  weil  bei  letzterer  alles  Streben 
lahmgelegt  wurde,  denn  der  Hörige  besaß  weder  eine  persönliche 
Freiheit  noch  nannte  er  sonst  etwas  sein  Eigen:  erwarb  er  etwas,  so 
w  urde  ihm  dies  vom  Gutsherrn  kurzerhand  abgenommen.  So  erklä- 
ren sich  die  traurigen  Verhältnisse  mit  der  Kulturstagnation  im  Mit- 
telalter; so  die  Rückkehr  der  Balkanvölker  zur  völligen  Kulturlosig- 
keit  nach  der  l'nterjochung  durch  die  Osmanen,  welche  den  «raja«. 
den  eingeborenen  M  i  r  t  e  n.  den  unterworfenen  Nachbar,  wie 
ein  Tier  behandelten  und  ihm  kaum  das  Dürftigste  beließen,  so  daß 
jtdes  Streben  sich  das  Leben  schöner  und  besser  zu  gestalten,  bald 
ersterben  mußte.*) 


°)  Übrigens  mag  über  die  Willkür  und  die  Übergriffe  auch  so  manches 
in  eine  Fassung  gebracht  worden  sein,  die  der  Wirklichkeit  gar  nicht  ent- 
sprach, d.  h.  man  hob  einmal  die  Licht-,  ein  andermal  aber  wieder  mehr 
die  Schattenseite  hervor.  So  behauptet  und  glaubt  man  allgemein,  daß 
das  ursprüngliche  Lehenswesen  z.  B.  in  Österreich  nicht  existiere  und  doch 
ist  dem  nicht  so.  —  In  meiner  Heimat  —  Untersteiermark  —  hat  sich  das- 
selbe in  der  patriarchalischen  Form,  wie  es  eben  normal  gewesen  sein 
mochte,  sporadisch  bis  heute  erhalten.  Der  wohlhabende  Grundbesitzer 
bindet  einige  ärmere  Familien,  welche  über  kein  Ackerland  verfügen,  unter 
gegenseitig  willensfreier  Vereinbarung  an  sich,  indem  er  jeder  ein  Stück 
Acker  zuweist,  denselben  mit  der  gewünschten  Frucht  bestellt  und  die 
Ernte  der  betreffenden  Familie  seinerzeit  selbst  heimführt;  hiefür  sind  diese 
Familien  verpflichtet  jede  Wirtschaftsarbeit  in  erster  Lnie  bei  ihm  zu  ver- 
richten, wozu  das  Dreschen,  Mühen.  Einführen  der  Kornfrüchte  u  ä.  gehört. 
Wiihrend  dies  die  Arbeit  der  Männer  ist.  müssen  die  arbeitsfähigen  weib- 
lichen Mitglieder  beim  Hecheln  des  Flachses,  beim  Spinnen,  bei  der  großen 
Wäsche  u.  ä.  Hausarbeiten  mithelfen.  Ansonsten  wird  der  Taglohn  nach 
ortsüblichen  Einheiten  bezahlt:  vom  ausgedroschenen  Getreide  erhält  der 
so   verpflichtete   Drescher   überdies   jeden    zwölften    Metzen:    nebstbei    er- 


Nach  der  tristen  Erfahnitiü  mit  der  Feudaiverfassuiig  sind  wir 
daher  heute  wieder  zur  aliodaitn  riickgekehrt,  d.  h.  der  Grund  und 
Boden  gehört  dem  Staate  und  steht  zur  ausschließlichen  Benützung 
gegen  gewisse  Abgaben  dem  Einzelnen  frei;  für  die  Sicherheit  des 
Bodens  und  der  Habe  ist  aber  jeder  Mann  zur  Heeresfolge  (Wehr- 
pflicht) verpflichtet;  es  hat  sich  sonach  die  Urverfassung  als  die 
beste,  gerechteste,  natürlichste  und  für  den  Fortschritt  als  die  gün- 
stigste erwiesen,  und  so  erklärt  sich  die  hohe  alte  Kultur, 
die  uns  die  Ausgrabungen  bieten,  im  Vergleiche 
zum  Mittelalter;  so  erhalten  w'ir  auch  das  Verständnis  dafür, 
daß  fast  jedem  männlichen  Skelette  oder  Brandgrabe  Waffen  bei- 
gegeben sind,  denn  dies  waren  nicht  Vertreter  einer  besonderen 
Kriegerkaste,  sondern  jeder  Mann  war  verfassungsgemäß  ein  Krie- 
ger, wie  dieses  Verhältnis  ja  heute  in  Montenegro.  Albanien.  Maze- 
donien noch  unverändert  fortbesteht. 

Abgesehen  davon,  daß  in  den  angeführten  Verhältnissen  ge- 
wisse soziologische  Grundlagen  der  prähistorischen  Epoche  mensch- 
licher Kulturentwicklung  offengelegt  werden,  muß  hier  auch   noch 


wächst  für  den  Grundbesitzer  noch  die  Verpflichtung,  falls  ein  langer  oder 
strenger  Winter  eintritt.  Vorschüsse  in  Geld  und  Naturalien  zur  Erhaltung 
der  Familie  auf  Rechnung  des  nächsten  Jahres  zu  bieten.  —  Dieses  keines- 
wegs drückende  sondern  geradezu  die  gewöhnlichen  Lebensbedürfnisse 
sichernde  Vertragsverhältnis  hat  das  Gute,  daß  einerseits  der  Arbeitsgeber 
stets  verpflichtete  Arbeiter  auch  in  der  ärgsten  Leutenot  für  die  Feldar- 
beit zur  Verfügung  hat,  und  daß  andererseits  der  Arbeitnehmer  das  ganze 
.lahr  hindurch  eine  solide  Reserve  hat.  also  ernster  Nahrungssorgen  ent- 
hoben ist. 

Dieses  Verhältnis  gilt  aber  stets  nur  für  ein  Jahr;  war  man  gegen- 
seitig zufrieden,  so  wird  der  Akkord  mündlich  bei  der  Schlußbilanz  erneu- 
ert: ansonsten  erlischt  das  Lehensverhältnis  zum  mindesten  für  das  nächste 
Kalenderjahr.  Diese  Vertragsfreiheit  schließt  daher  alle  Nachteile  und  Ve- 
xationen  bestmöglichst  aus.  Hiebei  spielte  auch  der  etymologisch  mißver- 
standene Begriff  »likov,  likova.  likovina«  eine  besondere  Rolle;  er  be- 
zeichnet die  Abrechnung  beim  Abschluß  des  einjährigen  Lehen  svertrages. 
Daß  dies  das  deutsche  Wort  «Leihkauf»  wäre,  ist  eine  widersinnige  Be- 
hauptung, denn  ein  natürlich  Denkender  wird  ein  solch  unlogisches  Wort, 
wie ;  etwas  zum  Leihen  kaufen  —  doch  niemals  konstruieren.  — 
Der  "likovii  (likati  =  ausebnen,  ausgleichen,  lika  =  Ausgleich,  Abgren- 
zung) ist  daher  nur  die  offizielle  Bilanz  über  die  gegenseitigen  Dienst- 
leistungen im  verwichenen  Vertragsjahre. 


eine  andere  Seite  dieser  m\\  erdenden«  Wissenschaft  berührt  werden, 
um  dein  Leser  die  Detaildeutungen  verständlicher  zu  machen. 

Es  fällt  hier  bald  arf  und  vurde  dies  aucli  bereits  angedeutet. 
daß  gewisse  Begriffe  des  idyllischen  Hirtenlebens  organisch  eng  ver- 
wandt sind  mit  jenen  der  Sicherungsvorsorgen,  d  h  d  a  ß  B  e  n  e  n- 
nungen  der  Hirtenorganisation  heute  gleichlau- 
tend sind  mit  solchen  für  V  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  m  a  ß  n  a  h- 
m  e  n.  So  gähnend  nun  diese  Kluft  zu  sein  scheint,  so  natürlich  ist  die 
oft  wiederkehrende  Hom.onymität  der  Begriffe,  und  werden  hiefür 
in  der  Folge  noch  zahlreiche  überzeugende  Beweise  der  primären 
Sicherungsvorsorgen  erbracht,  denn  darin  steckt  auch  das  bisher 
unbeachtete  Wesen  der  Verbreiterung  und  Bereicherung  der  Sprache 
selbst,  sowie  das  Kriterium  des  Kulturfortschrittes  des  Menschen, 
weil  dessen  Sprachelemente  in  gleichem  Verhältnisse  zunehmen,  als 
die  kulturelle  Notwendigkeit  hiezu  Anlaß  gibt.  Die  Geschichte 
der  Begriffsbildung  und  Begriffsentwicklung  ist 
daher  zugleich  auch  die  reellste.  \- erläßlichste 
Kulturgeschichte  unserer  Vorzeit*) 

Die  defensiven  \'orsorgen  zerfielen  in  zwei  liauptgrupp:n  u.  z. 
in  den  p  a  s  s  i  v  e  n  T  e  i  1,  den  Beobachtungs-  und  Signaldienst,  dann 
in  den  aktiven,  d.  i.  in  den  eigentlichen  Verteidigungsdienst,  nb- 
schon  auch  hier  eine  reinliche  Sche'dung  ausgeschlossen  ist.  —  £s 
ist  heute  für  den  einstigen  Verteidigungsdienst  selbst  ziemlich  gleich- 
gültig, ob  die  Einteilung  und  Rangordnung  dieser  technischen  Be- 
griffe hier  so  oder  so  getroffen  w  ird,  denn  die  Hauptsache  bleibt 
immer  die  pragmatische  Darstellung  derselben;  es  ist  übrigens 
auch  wahrscheinlich,  daß  solche  Vorsorgen  je  nach  Erkenntnis  und 
Notwendigkeit  einmal  eine  Widmungsänderung  erfahren  mußten, 
daher  hier  wesentlich  verstärkt,  dort  aber  auch  rrfgelassen  wurden, 
n  i  c  h  t  s  d  c  s  t  o  w  eniger  erhielt  sich  jedoch  der  ein- 
mal berechtigt  gewesene  Name.  Der  Grundzug  einer 
dauernden  Seßhaftigkeit  setzte  naturgemäß  Palliativmittel  voraus, 
um  die  Sicherheit  des  Lebens  und  den  tunlichst  ungestörten  Wirt- 
schaftsbetrieb zu  gewährleisten,  und  gipfelten  diese  in  der  allgemci- 


')  Zur  Weckung  und  Krforschuiiii  dieses  Wisscnszweises  ist  in 
Prankreich  eine  eigene  «Commission  d'Otude  des  enceintes  prehlstoriques 
et  fortifications  anhistoriques»  tätig;  bei  uns  hingegen  werden  solche  Be- 
strebungen mitunter  gerade  von  wissersehafiHchcn  Kreisen  niedergedrückt! 


neu  Verteidigiiiigspilicht  der  angestammten  Scholle,  d.  i.  in  der  Orga- 
nisation der  Bc\\aeliijng  des  privaten  wie  gemeindlichen  Besitzes. 
um  ihn  bei  feindlichen  Störungen  nicht  unvorbereitet  preisgeben  zu 
müssen.  Solche  Vorsorgen  bestanden  in  S  i  g  na  1  s  t  a  t  i  o  ii  e  n  und 
W  a  c  h  h  ä  u  s  e  r  n,  dann  mehr  oder  w  eniger  festen  \  e  r  t  e  i  d  i- 
g  u  n  g  s  p  u  n  k  t  e  n.  wenn  erstere  nicht  ohnehin  mit  letzteren  ver- 
einigt waren.  Bei  ersteren  handelte  es  sich  um  p  h  o  n  i  s  c  h  e  s  Auf- 
merksammachen auf  die  drohende  (iefahr  durch  Zurufe  oder  Lärm- 
schlagen, w  ie  z.  B.  Abschieden  von  Mörsern  in  späterer  Zeit,  dann 
um  optische  Signale,  wie  Rauch-  und  Feuerzeichen;  bei  den 
zweiten  um  die  B  e  w  a  c  h  u  n  g  irgendeines  hiezu  günstigen  Punk- 
tes. Verständigung  der  Umwohner,  nötigenfalls  auch  um  provisori- 
sches Halten  jenes  Punktes  bis  zum  Eintreffen  einer  Verstärkung; 
bei  letzteren  um  eine  feste  vorbereitete  Stelle,  wo  man 
sicii  bei  feindlicher  Gefahr  zur  Abw  ehr  versammelte  und  die  Vertei- 
digung je  nach  den  verfügbaren  Kraftpotenzen  führte. 

An  sich  unlogisch  ist  es  aber,  wenn  lum  fortgesetzt  erzählt 
wird.  daB  der  Hauptteil  aller  vorhandenen  alten  Befest'gungen  und 
Städtegründungen  in  Europa  ausschliefilich  den  Römern  und  Deut- 
schen zuzuschreiben  sei.  da  schon  die  römischen  Schriftsteller  dies 
selbst  entwerten,  wenn  sie  z.  B.  \ün  den  schwierigen  und  verlust- 
reichen Kämpfen  in  Rätien  erzählen,  ehe  die  vielen  Burgen  und 
Städte  daselbst  eingenommen  werden  konnten;  diese  konnten  aber 
doch  nur  \on  den  Stammbewohnern  herrühren,  denn  sonst  wäre  ja 
nichts  zur  Einnahme  oder  Zerstörung  da  gewesen.  Auch  Horatius 
bestätigt  dies  in  einer  Ode  (Buch  IV.  H).  indem  er  sagt:  «Milite 
nam  tuo  Drusus  Oenaunos,  implacidum  genus.  Breunosque  \eloces 
et  arces  Alpibus  impositas  tremendis  dejecit  .  .  .»  (Mit  deiner  — 
des  Augustus  —  Heeresiuacht  warf  Prusus  das  w  ilde  \'olk  der  Oe- 
nauner.  sow  ie  die  behenden  Brenner  und  deren  auf  den  furchtbarsten 
Eelsgipfeln  angebrachte  Burgen  nieder). 

Dr.  Planta  schreibt  in  seinem  Werke  xDas  alte  Rätien><  (Berlin 
1872)  folgend:  «Darunter  sind  wohl  unzweifelhaft  nur  Zufluchtstätten 
zu  verstehen,  wie  solche  sowohl  bei  italischen  wie  keltischen  Völ- 
kern üblich  waren,  nämlich  große  Plätze,  die  \on  einem,  aus  Erde, 
Steinen  oder  gefällten  Bäumen  bestehenden  Wall  nebst  Oraben  um- 
schlossen w  aren  und  in  welche  sich  die  Bevölkerung  der  Umgegend 
bei   kriegerischen   wie    räuberischen   Überfällen    flüchtete,    um    sich 

e 


114 


hier  gegen  den  Feind  sicher  zu  stellen.  Dafi  man  sich  mit  besonderer 
Vorliebe  imter  dem  Schutze  einer  solchen  Burg.  d.  h.  in  ihrer  un- 
mittelbaren Nähe  ansiedelte,  ist  leicht  begreiflich,  und  ohne  Zw  eifel 
war  dies  auch  eine  Hauptveranlassung  zur  Entstehung  sogenannter 
Städte,  so  daß  man  sich  unter  den  rätischen  und  vindelicischeii 
iiStädten«  zum  Teil  auch  nur  mit  einer  Burg  versehene  Orte  dentcen 
kann.')  Übrigens  %\aren  diese  Burgen  stets  auf  .Anhöhen,  wo  sich 
solche  befanden,  oder  an  sonst  unzugänglichen  Stellen  gebaut.  Dem- 
nach dürfen  \\  ir  annehmen,  daß  sie  sich  im  gebirgigen  Rätien  überall 
auf  .Anhöhen  befanden.  Über  .Anzahl.  Namen  und  Lage  dieser  Städte 
und  Burgen  in  Rätien  und  Vindelicien  geben  uns  die  Geschichtschrei- 
ber wenig  Auskunft.  Indes  spricht  die  Natur  der  Sache  dafür,  daß 
solche  Vesten  vorzugsweise  an  den  Grenzen,  d.  h  da,  wo  die 
Gefahr  der  feindhchen  Einfälle  am  größten  war,  wie  an  wichtigen 
Verkehrspunkten,  wo  die  Bevölkerung  sich  rasch  sammeln  konnte, 
errichtet  wurden.  Von  Helvetien  ist  uns  bekannt,  daß  sowohl  an  der 
Rheingrenze  als  im  Innern,  besoders  an  Taleingängen,  keltische  Bur- 
gen sich  befanden".  Dann:  «Fast  alle  von  Ptolemäus  angefühlten 
Namen  sind  unzweifelhaft  keltischen  Ursprungs.  Schon 
die  fremdartigen  Laute  verraten  ihre  nichtrömische  Herkunft.  Ebenso 
sind  die  in  einer  Anzahl  jener  Namen  enthaltenen  Silben,  wie:  mag. 
dun.  dur,  car,  brig  —  anerkannt  keltische  Wurzelwörter,  und 
endlich  treffen  wir  einige  dieser  Namen  auch  in  anderen  keltischen 
Ländern,  als:  Medullum  (Steiermark).  Brigantium  (Bregenz).  Ebro- 
durum**)  (Gallien)  sowie  in  Helvetien«.  —  Dieser  an  sich  ganz  natür- 
lichen Erklärung  ist  nichts  w  eiter  beizufügen,  und  sind  die  erwähn- 
ten Wurzelwörter  wie  Burgnamen  tatsächlich  «keltische,  d.  h.  s  1  a- 
V  i  s  c  h. 

\^'ie  zahlreich,  allgemein,  sorgfältig  und  taktisch  richtig  nun 
diese  \'orkehrungen  stets  angelegt  waren,  ersehen  wir  aus  den  noch 
unzweideutig  erhaltenen  topischen  Namen  dieser  Richtung,  d  h.  aus 
den  Vergleichen  der  bezüglichen  Lokalitäten  in  der  Natur,  für  die 

')  HStatiiy«  lieiüt  aber  im  Slavischen.  namentlich  Böhmischen  aucli: 
fest,  tapfer,  tiichtig. 

"")  Die  Wurzel  ist  ndch  uMiiekIprt:  >e\\er>  bedeutet  aber  im  Sen'iti- 
schen  noch  heute:  jenseitiges  Land,  Orenzland.  Die  slavische  Form  ist  daher 
wahrscheinlich:  Ivan,  iviiik,  l\anicica  u.  ä.,  die  ja  meist  Orenztreblrgen  oder 
<lrenzpunkten  beic:elei;t  sind. 


115 


wohl  niemand  im  Stande  ist  eine  bessere  Lösung  der  Anlage  zu  fin- 
den. —  Nachstehend  sollen  diese  Vorsorgen  einzeln  besprochen,  ety- 
mologisch gekennzeichnet  und  da  und  dort  auch  illustrativ  bekräf- 
tigt werden,  ^\obei  sich  aber  der  Leser  unentwegt  vor  Augen  halten 
wolle,  daß  diese  Qruppieniiigen  mehr  der  Übersichtlichkeit  des  Bu- 
ches als  der  sachlichen  Trennung  der  Begriffe  dienen  sollen,  denn 
es  steht  außer  Zweifel,  daß  sich  sowohl  die  Namen  für  die  Grenz- 
sichennig.  sowie  für  die  Wach-  und  Verteidigungsobjekte  sprachlich 
wie  technisch  ineinander  schieben,  daher  bestinnnte  Trennungsmerk- 
malc  nur  bedingungsweise  Geltung  haben. 

Vigo,  Vigil,  Wiegen,  Wigstein,  Wigstadti,  Vikno,  Wiköw,  Wiklek. 
Vykleky,  Wiklefskirche,  Viskov.  Visarie  i'.  ä.  sind  augenscheinlich 
technisch  verstärkte  und  bewachte  Zufluchtsorte  in  Grenzgebieten 
gewesen,  von  wo  aus  die  Wache  ihre  Schutzbefohlenen  mittels 
Stimme  alarmierte,  denn  das  Grundwort  ist  das  slavische  xvik« 
<=  Zuruf,  Alarmgeschrei),  das  im  Kussischen  als  «viklik«  dasselbe 
bezeichnet;  «vikar,  ist  sonach  gleichbedeutend  mit  Wächter  d.  i. 
derjenige,  w elchem  das  Aufmerksammachen,  der  Schutz 
obliegt.  Namentlich  besitzt  die  lateinische  Sprache  eine  Menge  orga- 
nisch verwandter  Begriffe,  wie:  «vigilia«  (=  die  Runde,  welche  sich 
durch  Zurufe  selbst  kontroliert  und  wach  erhält),  »vicus«  (=  Dorf, 
der  Ort.  wo  man  sich  auf  ein  Alarmsignal  versammelt).  «vicinuSK 
(=  der  Nachbar),  «vicis«  (=  der  Wechsel,  die  Grenze,  da  solche 
Fürsorgen  doch  hauptsächlich  an  Grenzzonen  lagen),  «Jupiter  Vice- 
linus"  (~  Jup   der  Wachsame)  u.  s.  w .  — 

Das  älteste  und  naheliegendste  Mittel  für  die  Alarmierung  der 
zum  Schutze  Anvertrauten  war  sonach  die  menschliche 
Stimme,  und  hat  dementsprechend  die  slavische  Sprache  in  «vik« 
auch  noch  die  ursprüngliche,  das  Lateinische  aber  schon  nur  mehr 
die  kulturell  erweiterte  Bedeutung  des  grundlegenden  Begriffes.  — 
Von  diesem  primitivsten  aber  niemals  versagenden  Verständigungs- 
mittel machen  alle  Naturvölker  noch  heute  ausgiebigen  Gebrauch; 
sie  rufen  ihren  Nachbarn  Warnungen  und  Direktiven  in  einer  Weise 
zu,  die  auch  jener  Unberufene  meist  nicht  versteht,  welcher  sonst 
derselben  Sprache  vollkommen  mächtig  ist.  —  Die  feindlich  ge- 
sinnten Bewohner  Bosniens  und  der  Herzegovina  bereiteten  in  den 
Jahren  1878  und  1882  den  öst  -ung.  Truppen  dadurch  \\e\e  Schwierig- 


keiten.  daß  sie  von  erhöhten  Punkten  alle  Bewegungen  derselben 
verrieten  tmd  dadurch  die  Operationen  wesentlich  verzögerten. 

Qrmada.  Nach  dem  heutigen  Sprachgebrauche  der  Slovenen 
ist  dies  ein  Haufen  Brennmaterial,  welches  bei  besonderen  Anläßen. 
z.  B.  als  Johannesfeuer,  angezündet  wird.  Früher  verstand  man  da- 
runter das  auf  übersichtlichen  Höhen  bereitgehaltene  Holz  und  Reisig, 
welches  bei  feindlicher  Gefahr  als  Feuer-  oder  Rauchsignal  ver- 
wendet wurde.*)  Damit  man  auf  das  Zeichen  auch  aufmerksam  w  erde, 
wurden  früher  phonische  Signale  zugefügt,  später,  nach  Erfindung 
des  Schießpulvers,  auch  Pöllerschüße  abgefeuert.  Um  dies  bei  jedem 
Wetter  zu  ermöglichen,  mußte  daselbst  auch  eine  Hütte  erbaut  sein, 
in  welcher  die  Wache  Unterkunft  fand  und  wo  auch  das  Unterzünd- 
und  Schießmaterial  verwahrt  wurde.  — 

Dieses  Sicherungs-  und  Verständigungsmittel  ist  uralt,  denn 
Herodot  fand  es  bei  den  Griechen  (481  v.  Ch.),  Xenophon  bei  den 
Karduchen,  Caesar  bei  den  Galliern  und  i.  J.  1878  bedienten  sich 
derselben  auch  die  österreichischen  Okkupationstruppen  in  Bosnien; 
auf  den  Trajanssäulen  in  Rom  sind  solche  Feuersignalposten  der 
Skythen  abgebildet;  die  Indianer  kennen  ebenso  diese  Feuerpost, 
wie  sie  zur  Zeit  der  Türkeneinfälle  in  ganz  Mitteleuropa  organisiert 
war.  Ein  ausgesprochen  klassisches  und  dabei  großzügiges  Bei- 
spiel enthält  Aeschylos  Tragödie  «Agamemnon«  (I.  Akt,  3.  Szene), 
in  welcher  Klji:ämnestra  ausführlich  beschreibt,  wie  ihr  Agamemnon 
binnen  einer  Nacht  den  Fall  Troia"s  signalisierte,  da  dies  jeden- 
falls vorbesprochen  oder  vorerprott  war.  wie  aufmerksam  dij 
V.'achen  waren  etc.,  denn  sie  erzählt  auf  die  Frage,  welcher  Bote 
so  behende  gewesen  sein  konnte,  folgendes: 

«Hephästos.  er.  der  hellen  Glanz  vom  Ida  schickt  — 
Von  Feu'r  zu  Feuer  flog  hieher  die  Flammenpost. 
Der  Ida  selbst  sandte  sie  dem  Hermesfels"*) 
Auf  Lemnos  zu;  vom  Eiland  nahm  den  vollen  Strahl 

*)  Als  neueste  Kinrichtuiig  zur  Anwendung  von  Rauchsignalen  gelten 
die  R  au  ch  k  u  ge  1  ö  f  e  n.  welche  die  Österreicher  im  Jahre  1908  und  1909 
an  der  serbischen  und  montenegrinischen  Grenze  zur  Anwendung  brachten. 
"')  Im  Namen  selbst  liegt  auch  schon  das  Grundwort  >'Krni.  germ>. 
sonach  hatte  die  Lokalität  die  ihrer  Bestimmung  entsprechende  Benennunv: 
auch  schon  bei  den  Griechen:  übrigens  galt  Hermes  als  der  Götterbote, 
d.h.  er  war  ursprünglich  der  Höchste  auf  einer  solchen  Feuersignalstation. 


i 


Sodann  der  zcusgeweihte  Athosgipfel  auf. 

Froh  prasselt  auf  die  Fichte,  \\eithin  überglänzt 

Forthüpfend  nun  den  Meeresriicken  das  W  anderfeu'r 

Und  wirft  sein  golden  Tageslicht  Makistos  zu. 

Der  Späher  auf  der  Warte  dorten  säumet  nicht 

Nachlässig  oder  schlafend  seines  Botenamtes, 

Und  fern  gegen  Furipus  Brandung  fliegt  der  Strahl 

Der  Fackel,  ruft  die  Wächter  auf  Messapion. 

Da  flammt  es  auf  zur  Antwort  —  dürre  Heide  lag 

Dort  längst  bereit  geschichtet:  veiter  geht  der  Ruf. 

Und  gleich  dem  Licht  der  klaren  Mondessichcl  eilt 

Das  Feuer  unumwölket,  noch  erstickt  von  Dampf. 

Von  Asopos  Triften  zu  Kithärons  Fels.  alKvo 

Den  nächsten  Posten  in  der  Flamnienkctt'   er  weckt. 

Nicht  weigert  sich  der  Weiterfördernng  des  Lichts 

Die  Wache,  größre  Lohe  noch  wird  angeschürt. 

Daß  längs  das  Sees  Qorgopis  blitzt  der  Widerschein, 

An  Aegiplanktos  Bergeskuppe  landend,  dort 

Die   Wärter  antreibt,  nicht  zu  säumen  ihrer  Pflicht. 

Die  sparen  nicht  der  Lohe,  prasselnd  steigt  empor 

Die  mächtige  Feuergarbe,  die  der  saronschen  Bucht 

Vorklipp  erleuchtet  und  noch  weit  herüberstrahlt. 

Bis  daß  die  letzte  Warte,  die  vor  unsrer  Stadt 

Noch  blieb,  erreicht  ist,  Arachnäons  Felsenturm. 

Nun  endlich   zu  des  Atreushauses  Zinnen   eilt 

Die  Flamme  her.  die  von  des  Idas  Feuern  stammt.  — 

So  ward  der  Fackelläufer  Ordnung  aufgestellt. 

So  schwang  von  Hand  zu  Händen  stets  die  Fackel  sich. 

Doch  Zwei,  der  Erst"  und  Letzte,  siegten  in  dem  Lauf. 

Ein  sichres  Zeugnis  wolltest  du;  ich  gab  es  dir. 

Mein  Gatte  selber  sandf  es  mir  \'on  Troja  her.»  — 

Diese  «grmada's«.  deutsch  auch  «Kreid-«  und  «GereutfeueDi  ge- 
nannt, weisen  ein  unregelmäßiges  Netz  auf.  dessen  Maschen  je  eine 
solche  Kgrmada«  bildete:  \'on  dieser  konnten  2 — .3  andere  das  Signal 
abnehmen  und  waren  die  Punkte  im  Terrain  derartig  vorteilhaft 
ausgesucht,  daß  es  z.  B.  möglich  war  einen  Türkeneinfall  im  Räume 
von  der  Kulpa  bis  an  die  weststeirische  Grenze  an  einem  Tage,  d.  h. 
in  einer  Nacht  zu  avisieren. 


In  Steiermark  war  dieser  Signaldienst  schon  im  Mittelalter  von 
den  Landständen  aus  organisiert.  So  wird  i.  J.  1480  einer  «Germada 
am  Skorlyn«  (Untersteiermark)  erwähnt;  überdies  weiß  man  auch, 
daß  zu  den  tüchtigsten  Organisatoren  dieser  Art  Johann  Adam  Baron 
Weisersheim  gehörte,  welcher  von  1662—1664  die  Leitung  dieses 
Sicherungdienstes  versah  und  die  «Ormadas«  im  Lande  zu  inspizieren 
hatte.  — 

Pas  Grundwort  ist  wohl  Kgrnix.  welches  heute  im  Sloveni- 
sehen  nur  mehr  Busch.  Gestrüpp  bezeichnet,  das  aber  einst 
die  Grenze  selbst,  die  ja  meist  durch  ein  Gestrüpp  kennbar  war. 
andeutete.  Man  sieht  dies  daraus,  daß  die  vielen  Ortschaften  wie 
z.  B.  Grni,  Grmovje.  Germans,  Crveni  grm.  Crnigmi  u.  ä.  stets  an 
einem  Grenzgebiete  hegen.  — 

Der  Leiter  einer  solchen  Signalstation  selbst,  die  mit  der  Zeit 
ebensogut  zu  einer  Burg  oder  zu  einem  starken  Tahor  erweitert 
worden  sein  konnte,  hieß  nun:  ger,  geros,  german,  geront,  Herr. 
Heros,  Herkul,  Herman,  Hermes,  gerob,  gerhab  (=  Vormund)  u.  ä. 
Das  lateinische  «gero«  bedeutet:  führen,  kämpfen,  «Hera«  ist 
identisch  mit:  Beherrscherin.  Götter mutter;  «herec«  ist 
im  Böhmischen  der  Heldendarsteller;  «Herzog«  =  der  A  n- 
führen  —  Die  Eigennamen :  Herg,  Herta,  Herakles,  Heraklea,  Her- 
culanum,  Hermdorf,  Hermanitz  (sehr  oft  im  böhmischen  Gebiete). 
Gera,  Oerasdorf,  Gersdorf,  Germersheim,  Germating  (Germadnik)  u. 
ä.  sind  daher  Begriffe,  denen  die  Hoheitsbezeichnung  «ger,  Herr 
etci(.  zugrunde  liegt.  Der  Name  «Herkul.  Herkle«  wiederholt  sich 
öfter  auf  den  etruskischen  Fundobiekten,  die  slavische  Texte  in 
Runenschrift  enthalten;  ebenso  «Eris«.  das  nur  die  nichtaspirierte 
Form  darstellt,  und  bei  den  Griechen  den  S  t  r  e  i  t  d.  i.  Kampf  perso- 
nifizierte; «Frka»  (germ.  Herche)  war  der  Sage  nach  die  erste  Ge- 
mahlin Attilas's;  «Erinnyen«  waren  die  Rächerinnen  des  Frevels  u.  a. 

Diese  Deutung  gibt  auch  einigen  Aufschluß,  warum  der  Name 
«Germanen«  von  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  bis 
zum  16.  Jahrhunderte  nicht  mehr  erwähnt  w  ird.  denn  er  hatte  früher 
mir  eine  krieg  Stechnische  Bedeutung.  Erst  als  man  sich  zu 
Beginn  der  Reformationszeit  für  die  alten  Klassiker  zu  interessieren 
begonnen,  da  entdeckte  man  in  Tacitus"  «Germania«,  daß  zu  jener 
Zeit  auf  dem  Gebiete,  das  nun  die  Deutschen  bewohnen,  die  «Ger- 
manen« saßen,  es  müssen  dieselben  daher  auch  Deutsche  gewe- 


-   119 


sen  sein,  was  aber  ebenso  ein  Trujischliiil  sein  i\ann.  weil  die  Wand- 
lungen dieses  Volkes  und  Namens  durch  etwa  zwölr  Jahrhunderte 
jeder  Kontrolle  entbehren.  —  Daß  Slaven  einst  in  dem  (iebiete  «Ger- 
mania" des  Tacitus  saßen,  beweist  eben  dieser  sowie  sonstige  to- 
pische Namen.  Ob  aber  die  Slaven  schon  zu  jenen  Zeiten  durch  die 
Deutschen  Acrdrängt  waren,  oder  erst  später,  ist  irrele\ant  und  für 
das  Alter  der  Slaven  in  Europa  nur  insofern  wichtig,  daß  sie  umso 
älter  sind,  je  früher  sie  verdrängt  wurden,  denn  ihre  Spuren  haben 
sie  für  jeden  Fall  unauslöschlich  durch  die  Namengabe  für  die  Q  e- 
birge.  Flüsse  undAn  Siedlungen  jener  Gegendan  Ort 
und  Stelle  aufgedrückt  und  nicht  etwa  von  ihren  heu- 
tigen Wohnsitzen  aus.  — 

Tacitus  hat  sonach  durch  seine  Schrift  später  eine  Phantasie 
angeregt,  die  jeder  logischen  Basis  entbehrte,  umsomehr  als  er  gar 
keine  Anhaltspunkte  für  die  dort  gangbare  Sprache  angibt,  ja  nicht 
einmal  den  Originalnamen  irgend  eines  germanischen  Gottes  nennen 
kann.  —  Und  mit  der  müßigen  Eventualität,  die  Slaven  waren  zur 
Römerzeit  bereits  verdrängt,  kamen  aber  etwa  im  2. — 5.  Jahrhim- 
dcrtj  wieder,  werden  wir  uns  doch  nicht  befassen  wollen,  denn  ein 
Volk,  welches  ein  so  großes  Gebiet  bewohnt,  wandert  nicht  herum, 
wie  ein  wandernder  Cirkus,  um  nur  \'orstellungen  zu  geben!  Es  ist 
also  zweifellos,  daß  die  Geschichtschreibung  in  Folge  der  ver- 
worrenen etrographischen  Nomenklatur  den  Slaven  auf  der  Welt- 
bühne einen  \  iel  zu  kargen  und  bescheidenen  Anteil  zugemessen  hat, 
daher  wir  an  so  viel  Stellen  unserer  Völker  und  Kulturgeschichte  vor 
Rätseln  stehen  bleiben  müssen.  —  Für  jeden  Fall  ist  es  daher  fraglich, 
ob  die  «GermanenK  vor  Christus  schon  mit  dem  ethnographischen 
Begriffe  ndeutsch»  von  heute  identifiziert  werden  dürfen.  —  Es  sei 
aber  auch  gleich  hier  der  Volksname  «Deutsche«  erklärt.  —  Der 
Südslave  nennt  einen  Fremden,  d.  h.  jenen,  dessen  W'ohnsitz  nicht 
in  seinem,  ihm  bekannten  Gebiete  liegt  «tuj.  tujc.  tujec«.  auch  »ptuji«; 
das  fremde  Gebiet  «tuje.  tujina,  tujcina»;  der  südwestliche  Kroate 
nennt  den  Deutschen  «tudesak»  (von  «tugj«  =  fremd),  woraus  sich 
auch  das  italienische  «todesco,  tedesci«  bildete.  —  Dies  bestätigen 
auch  die  altsprachlichen  deutschen  Formen,  denn  im  Althochdeut- 
schen schrieb  mau  «diutisc«,  im  Altsächsischen  «thiudisc»,  im  Alt- 
niederländischen «duitschx,  denn  alle  diese  Formen  klingen  auf  «tujc« 
aus,  und  war  der  so  Bezeichnete  dem  Sla\-en  durchaus  nicht  gerade 


—  120  — 

der  Deutsche  im  heutigen  Sinne,  sondern  der  jenseits  einer 
gewissen  Grenze  Wohnende  im  allgemeinen.  Der 
Slovene  sagt  dementsprechend,  wenn  er  nordw ärts  nach  Pettau  geht, 
«grem  na  Ptui«  (ich  gehe  auf  Pettau)  und  nicht  »vx  Ptui  (in  die 
Stadt  Pettau).  weil  ihm  die  richtige  Etymologie  noch  traditioneil 
unbewußt  anhängt.  —  Der  Hoheitsname  war  «Tuisco«;  dieser  galt 
als  der  Sohn  des  Kriegsgottes  Tiu.  der  auch  den  Beinamen  «Wodan« 
bildet,  und  gilt  der  deutschen  Genesismythe  zufolge  als  Stanun- 
vater  der  «TeutonenH:  tatsächlich  hieß  aber  der  Stammälteste  so 
und  ist  dies  gleichbedeutend  mit :  Beschützer.  Verteidiger. 
(^■ergl.  auch  das  lat.  tueor  —  beschützen,  verteidigen).*) 

Cic.  Dieser  urmilitärische  Begriff,  der  offenkundig  ai  ch  die 
Grundform  für  das  deutsche  Erbwort  «Schütze«  bildet,  ist  gleich- 
bedeutend mit  dem  deutschen :  Krieger,  Schildknappe.  Rei- 
sige. O  r  e  n  z  w  ä  c  h  t  e  r.  Man  muß  dieses  aus  einer  Stelle  der 
alten  slovenischen  \'olksdichtung  schließen,  wo  der  Held  Raubar 
zur  Abwehr  der  Krain  bedrohenden  Türken  seine  Kampfgehilfen  zu- 
sammenruft, denn: 

«auf  den  Ruf  des  Herrn  erschienen 
achtzehn  Tschitschen,  die  ihm  dienen.**) 

\\'eitere  Formen  gleicher  Bewertung  sind  wohl  auch  «2izka« 
und  »Siska«,  und  hieß  der  Fremde,  d.  i.  der  die  jenseitige  Grenze 
Bewachende,  darnach  der  «cizy«  (Königinhofer  -  Handschrift  noch 
»cnzy«)  der  Fremde,  analog  wie  der  »cic«  in  der  Herzegowina 
xcush,  im  Türkischen  schon  «caus«  (=  Unteroffizier)  lautet.  Grenz- 
punkte, die  durch  Kcice«  bewacht  und  daher  entsprechend  verteidi- 


')  Lange  fehlte  auch  die  Entscheidung,  ob  es  richtiger  sei  «teutsch« 
oder  «deutsch«  zu  schreiben.  Qrinim  endete  diesen  Streit  damit,  daß  er  ent- 
schied, «teuts'ch«  sei  niedersiichsisch.  «deutsch«  aber  hochdeutsch,  daher 
das  letztere  auch  das  richtigere  sei  —  wie  die  Etymologie  zeigt,  ein 
sprachlich  unrichtiges  SchluBwort. 

**)  Diese  Übersetzung  rührt  von  A.  (Iriin  her.  der  sie  in  seinem 
Buche  «Volkslieder  in  Kvaiii«  in  dieser  Fassung  bietet.  Der  Originaltext 
lautet  etwas  prägnanter: 

«Glas  guspodov  hlapce  klice 

Osemnaiste  svoie  c  i  c  e  .  .  .« 
«Tschitscheui-  nannte  man  die  abgehärteten,  kriegerischen  Bewohner  jenes 
Teiles  von  Kraiii.  wo  schon  der  Karst  beginnt. 


gungsfähig  hergerichtet  w  aren.  hießen  nun :  Ciccvo,  Tschitsehen- 
boden, Cicovice,  Cicöw,  Cizek,  Cizice,  Zizkov,  2izin,  Zizovec  u.  ä. 

VAn  organisch  verwandter  Begriff  ist  der  ziemUch  häufige 
Name  «Cihadlo,  2ihadlO)(  für  Höhenpunitte,  weiche  eine  gute  Be- 
obachtung gewährten.  Die  Slaven  tcennen  genug  stamnigieiche  De- 
terininatioiien  wie:  cigati,  cihati  (=  lauern,  auslugen),  cigar,  cigavec 
(=  Spion),  cihan,  cil^an,  cigan  {~  Ruhestörer,  Vagabund,  Zigeuner), 
imd  gehören  hieher  auch  die  deutschen  topischen  Namen,  wie:  Sieg, 
Siegdorf,  Siegersberg,  Siegersdorf  u.  ä.,  und  wurde  so  durch  die 
sprachliche  Metamorphose  der  Urbegriff  Kcigar».  d.  i.  der  K  ä  ni- 
p  f  e  r  im  allgemeinen  zum  «Siegenc.  also  dem  e  r  f  o  1  g  r  e  i  c  he  n 
Kämpfer.  —  Die  Slovenen  suchten  einst  den  günstigsten  Aussichts- 
puni\t  auf  dem  Bacher-Gebirge,  um  einen  Aussichtsturm  zu  erbauen; 
es  stellte  sich  schließlich  heraus,  daß  der  Punkt,  der  schon  seit  un- 
denklicher Zeit  den  Namen  «Zigert«  führt,  hiezu  am  entsprechend- 
sten sei.  —  Behufs  Alarmierung  der  Umwohner  benützte  man  höl- 
zerne Sprachrohre,  wie  solche  in  Ostschlesien  noch  heute  von  Hir- 
ten gebraucht  und  "fujarax  (vojara?)  genannt  werden.  Überdies 
\\'urden  Feuer-  oder  Rauchzeichen  gegeben,  später  auch  Polier  und 
Haubitzen  abgefeuert,    i 

Pozor  (Poser,  Posur),  Pozofice,  Prozor,  bezeichnen  einen  Hö- 
hepunkt mit  einem  weiten  Ausblicke;  z.  B.  der  spitze  Kegel 
nächst  der  Qleinalm  (Steiermark)  heißt:  Posur.  (Pozor,  pozorovati 
slav.  ~-  achtgeben,  beobachten).  Hiezu  gehört  auch  «Pozork«,  wel- 
ches im  Deutschen  zu  «Posruckx.  ja  sogar  «Bocksruck«  wurde. 

Motrice,  Modriach  (neben  Herzogberg),  Modra  (neben  Vele- 
hrad).  Media  (bei  Buchiovitz),  Modric,  Mödritz,  Modi'ice,  Möder- 
bruck  u.  ä.  bezeichnen  einen  B  e  o  b  a  c  h  t  u  n  g  s  p  u  n  k  t  (motriti 
slav.  —  beobachten).  In  der  Nähe  solcher  Punkte  findet  man  immer 
weitere  Lokalnamen,  die  auf  sonstige  Verteidigungsniaßnahmen 
schließen  lassen. 

Der  Hoheitsname  dieses  Stammes  hat  sich  in  »modern  (= 
weise),  «modrc,  modrijan»  f~  der  Weise,  der  Überlegende)  im  Slo- 
\cnischen  erhalten. 

Patfin,  Patriasdorf,  Patras,  Petrin,  Petersdorf,  Peterwald  u.  ä. 
überhaupt  mit  «Peter«  zusanmienhängende  Ortsnamen  deuten  auf 
Pimkte.  welche  zur  Beobachtung  dienten.  Das  Grundwort  ist 
anscheinend:  pr.trati.  patriti.  opatfiti  (—  forschen,  achtgeben,  sorgen). 


—  122  — 

wie  es  im  Cechischen  noch  im  Gebrauche  steht.  Der  Neraiiiw ortliche 
für  ein  solches  Sicherungsgebiet  war  der:  p  a  t  r.  wie  der  Slave 
noch  heute  icpater«  ausspricht,  woraus  sich  dann  »Patron«,  als  Be- 
schützer einer  Gemeinde,  und  «Patriarch«  als  Verweser  einer  Kir- 
chengemeinde und  «Patricier«  als  regierende  Partei  bildeten.  Die 
Sicherungswache  hieß  in  diesem  Falle:  Patrouille,  das  zu  si- 
chernde Gebiet:  patria.  und  die  Gemeindezugehörigen  wurden 
zu:  Patrioten. 

Im  Slovenischen  nennt  man  ein  Holz-,  namentlich  Bretter- 
gerüst: pctra,  petre.  und  bezieht  sich  dieses  möglicherweise  auf 
eine  bezügliche  \'orrichtung  für  den  Beobachtungsposten  in  Wald- 
gegenden, un!  vom  erhöhten  Standpunkte  die  Umgebung  besser  zu 
iiberblicken.  Der  Ceche  gebraucht  jedoch  noch  «patre«  für  Stock- 
w  e  r  k,  also  erhöhte  Aussicht.  —  Daß  nachher  aus  «patr«  allgemein 
»Peter«  wurde,  ist  wohl  nur  kirchlichen  Einflüssen  zuzuschreiben, 
denn  der  Mensch  inkliniert  bei  unverständlich  gew  ordenen  Begriffen 
später  naturgemäß  zu  solchen,  die  ihm  fallweise  näher  oder  geläufi- 
ger sind.  — 

Eine  gleiche  Entstehung  hat  auch  der  Name:  Petersburg.  — 
Das  Volk  nennt  die  Stadt:  Piter.  nach  irgendeinem  Pimkte.  der  zur 
Beobachtung  der  Meeresseite  sowie  der  Festung  Kronstadt 
diente,  denn  im  Litauischen  bedeutet  «pitrieti.  spitrieti«:  etwas  mit 
großer  Aufmerksamkeit  beobachten.  —  Würde  der 
Stadtname  ausschließlich  nur  von  Peter  d.  Q.  stammen,  so  hätte  sich 
das  Volk  wohl  den  Namen  «Pjotr«  zurechtgelegt.  —  In  Obersteier- 
mark gebrauchte  man  früher  »Pitter»  für:  Wächter.  Wachmann. 
Amtsdiener. 

Oglej.  Pogied  u.  ä.  bedeuten  im  Slavischen :  .A  u  s  b  1  i  c  k.  F  e  r  n- 
sicht  ((>gledati  slav.  ~  sich  umsehen;  pogledati  =  ansehen)  und 
sind  I1nhenpu;ikte.  welche  in  mehrfacher  Richtung  einen  günstigen 
Rundblick  gewähren.  Sic  liegen  meist  auf  niederen,  aber  für  diesen 
Zw  eck  günstigen  Erhebungen,  w  ie  Oglej  (Aquileja)  zur  Beobach- 
tung des  Okra-Passes;  Pohledy  an  der  Sazawa;  Pohled  bei 
Metz:  Pogied  in  Untersteiermark;  von  hier  aus  beobachtete 
man  das  Dranntal  bei  Gonobitz.  indes  das  gegenüberliegende  P  1  a  n- 
k  e  n  s  t  e  i  n  die  aktive  \'erteidigung  besorgte,  sich  aber  dabei  selbst 
keinen  günstigen  Ausblick  verschaffen  konnte:  Pogledak  befin- 
det sich  senkrecht  auf  der  Längenaxe  des  Ne\esinjsko  polje  (Herze- 


gowina)  mit  dem  üc>jenbeobachtmigspunktc  K  1  c  n  i.  während  die 
eigentliche  A'erteidigung  O  r  a  d  und  0  r  a  d  i  n  a  mit  einem  relativ 
beschränkten  Ausblick  führen  müssen. 

Alle  diese  Posten  hatten  einen  halbpermanenten  Bau.  damit  die 
Beobachter  und  Wächter  gegen  die  Wcttcrunbill  geschützt  seien. 
Der  Dienst  erstreckte  sich  zumeist  nur  vom  Frühjahre  bis  zum  Spät- 
herbste:  im  Winter  war  dies  unnötig,  da  in  dieser  Jahreszeit  erfah- 
rungsgemäß keine  feindlichen  Einfälle  zu  befürchten  waren. 

Gledavac  (bei  Metkovic;  glcdati  sla\'.  sehen,  beobachten)  be- 
findet sich  in  der  Umgebung  von  Ciradina.  Kostjela.  Oabela.  Carda- 
cina.  Vranja.  Norinska  kula.  welche  alle  etymologisch  auf  Fortifika- 
tionen  deuten.  —  Andere  Formen  dieses  Stammes  sind:  Ogled, 
Ogladnica.  F^otzlethöhe  (rozhled.  razgled  =  Aussicht). 

Pandurica  nennt  oder  nannte  man  einen  H  e  o  b  a  c  li  t  u  n  g  s- 
posten  auf  einer  gut  übersichtlichen  Höhe,  welchen  Dienst  «Pan- 
durenx  (pandur  slav.  =  Wächter)  versahen.  Das  österreichische 
Pandurenkorps  besorgte  einst  die  Bewachung  der  südöstlichen  Lan- 
desgrenze. Am  Balkan  heißt  der  Wachmann  häufig  noch:  Pandur. 

Strn  ist  die  Wurzel  häufiger  Ortsnamen,  wie:  Sternberg.  Stern- 
feld. Sternthal  u.  ä.  —  Das  Grundwort  ist  entweder  «strem.  streti» 
(=  beobachten)  oder  «strniti  (=  sich  versammeln,  zusammenrotten): 
Lokalitäten  dieser  Namensform  sind  daher  entweder  Beobach- 
tung s  p  u  n  k  t  e  oder  bestimmte  Alarmplätze  bei  Feindesge- 
fahr gewesen,  und  weisen  solche  noch  heute  Kirchen.  Burgen  oder 
I^uinen  auf.  —  Die  Siaven.  namentlich  Slovcnen.  nennen  heute  sol- 
che Punkte  meist  «Strmec«  d.  i.  die  steile  Höhe,  da  man  sich  zum 
erwähnten  Zwecke  begreiflicherweise  gute  Übersicht  bietende  und 
\or  allem  schwer  einnehmharc  Höhen  auswählte. 

Devin,  Divin,  Devina.  Podivin  u.  ä.  sind  B  e  o  b  a  c  h  t  u  n  g  s 
punkte.  —  Das  Orundwort  ist:  divati  (=  beobachten),  dev,  div 
(—  der  alles  Sehende,  Qott).  Devin,  Divin  kommt  als  topischer  Name 
in  allen  alten  Weltteilen  häufig  vor  und  scheint  überall  auf  eine  Bo- 
denplastik zu  deuten,  welche  die  Beobachtung  feindlicher  Anschläge 
begünstigt.  «Devinn  (Böhmen)  ist  in  der  Chronik  Kosmas  erwähnt 
als:  oppiduni  natura  loci  firmum,  cui  inditum  est  nomen  Diew  in.  — 
w  ar  sonach  schon  zu  Beginn  des  12.  Jahrhundertes  kein  bloßer  B  e- 
o  b  a  c  h  t  u  n  g  s  p  u  n  k  t  mehr,  sondern   schon  ein  fester  \'ertei- 


digun^splatz.  —  Auch  der  älteste  Name  von  \elehrad  (iMälireii) 
lautete:  Devin.  —  «Magdeburgi  hieß  früher  KÖevin»,  denn  man 
glaubte,  daß  dem  Namen  «devan  (slaw  =  Mädchen)  zum  Stanune 
diene,  daher  nn  Deutschen  das  Auftreten  von  so  vielen  Maidberg, 
Maidburg,  weil  auf  Basis  der  falschen  Etymologie  auch  eine  dcni- 
entsprechende  Übersetzung  folgte,  —  Auf  gleicher  Prämisse  ent- 
stand auch  die  völlig  mißglückte  Sage  des  cechischen  Chronisten 
Hajek  (16,  Jahrhundert!)  vom  «Böhmischen  Mägdekriege«,  der  von 
der  Burg  Devin  aus  in  Szene  gesetzt  ^vurdc,  was  auch  den  Stoif 
zw  einem  Heldengedichte  K.  E.  Eberts  bot,  —  Dieser  Übersetzungs- 
fehler zog  noch  weitere  Kreise,  denn  auch  die  vielen  «divci  skala«, 
die  zu :  M  ä  g  d  e  s  p  r  u  n  g,  J  u  n  g  f  e  r  n  s  p  r  u  n  g.  M  ä  d  c  h  e  n  f  e  1- 
s  e  n  u,  ä,  übertragen  \\  urden,  sind  nichts  weiter  als  hohe,  mitunter 
vorspringende,  namentlich  an  Gewässern,  wo  eine  gedeckte  Annä- 
herung auf  Wasserfahrzeugen  möglich  ist,  für  den  Ausblick  gewählte 
günstige  Punkte,  also:  Auslugfelsen.  —  Die  zahlreichen  dieser 
falschen  Etymologie  angepaßten  Sagen  über  Jungfrauen,  welche  sich 
bei  der  Verfolgung  von  einein  solchen  Felsen  herabstürzten,  sind 
daher  nichts  weiter  als  Sagen  und  haben  nur  den  einen  realen 
Wert,  daß  jener  Felsen  eben  einmal  ein  Aussichtspunkt  war  und 
deshalb  «devin.  divin«  u.  ä.  hieß.') 

Ortsnamen  dieses  Stammes  sind  überdies  alle:  Theben.  — 
So  erwähnt  der  Minnesänger  «der  Freudenleere«  (13.  Jahrh.)  in  dem 
Schwanke:  Die  Wiener  Meerfahrt  —  des  Burggrafen  von  Devin 
d.  i.  Theben  (an  der  Einmündung  der  March  in  die  Donau).  Dies 
war  aber  auch  bereits  i.  J.  864  eine  Feste,  und  wurde  schon  da- 
mals. —  was  gewiß  sehr  beachtenswert  ist  — .  der  Name  auf  Grund 
des  slavischen  Sprachschatzes  ausgelegt,  denn  die  Annal.  fuld.  Ru- 
dolf! sagen  schon:  Civitas  quae  lingua  gentis  illius  Do  vi  na.  id  est 
puella  dicitur  (das  Gebiet,  welches  in  der  Sprache  dieses  Volkes 
D  o  V  i  n  a.  d.  i,  Mädchen  genannt  wird),  —  In  der  Herzegowina 
gibt  es  ein  «Djevojacko  greblie«,  von  dem  man  sagt,  es  seien  dies 
vornehmlich  J  u  n  g  f  r  a  u  e  n  g  r  ä  b  e  r;  tatsächlich  sind  dies  Gräber 

")  So  hcilU  jener  Felsen  der  alten  Burg  Qösting  (bei  Graz),  vnn  dem 
sich  Anna  v.  Oösting  in  die  Mur  gestürzt  haben  soll,  der  »Jungfernsprung«. 
Tatsache  ist  es  aber,  daß  dieser  Punkt  für  die  N'este  die  günstigste  Beob- 
achtung des  engen  Felsentales  und  der  Zugänge  von  nordwärts  b;it,  und 
daher  idevin-  hieß,  was  erst  posthum  zur  Bildung  der  Sage  führte. 


I:i5 


der  Gefallenen  auf  einem  a  u  s  s  i  c  h  t  s  r  e  i  c  li  e  n  K  a  tn  p  f  p  1  a  t  z  c. 
denn  die  Nachbarlokalitäten  militärischen  W  ertes  heißen  auch  "Pan- 
durica«  und  «Svatovsko  greblje«.  —  Die  ägyptische  Stadt  Theben, 
die  «Hunderttorige«.  wurde  hingegen  von  den  Ptolemäern  als  Dios- 
polis  (Qottesstadt)  ins  (irichische  übertragen,  \\'eil  man  in  »dev, 
div«  —  Gott  vermutete  (deus.  d  e  n  g),  daher  die  Übersetzung 
wieder  auf  einen  slavischen  Begriff  im  weiteren  Sinne  basiert  er- 
scheint. —  Desgleichen  ist  das  böotische  Theben,  nachdem  es 
zerstört  wurde,  wieder  zu  «Thivae«  geworden,  das  identisch  ist  mit 
jener  Höhe,  auf  w  elcher  die  Burg  Kadmeia  stand. 

Hieher  gehören  auch:  Deva  (Spanien),  Deva  (Ungarn),  Deville 
(Frankreich,  Devizes  (England),  Devol  (Fluß  und  Ort  in  Albanien). 
Devolny  (Gebirge  in  Frankreich),  Dew  e-Bojun  (Höhe  in  Armenien, 
1877  von  den  Küssen  erstürmt),  Diva  (Insel  in  Indien),  Divaca  (Öster- 
reich). Dives  (Fluß  und  Grt  in  Frankreich);  Deutz  hieß  römisch 
«Divitio«  und  hatte  ein  starkes  Kastell  zwecks  Beobachtung  und 
Sicherung  der  Rheinbrücke  bei  Köln,  Dibio  (auch  Diviodunum  der 
Römer,  ein  befestigter  Platz  der  Lingonen,  jetzt  Dijon,  Frankreich); 
Dibon  (alte  Moabiterstadt);  Divonne  (Schloß  in  aussichtsreicher  Lage 
in  Frankreich);  Divodurum  (wurde  fälschlich  in  «QötterburgK  über- 
setzt, jetzt  Metz),  Dixak  (Aussichtsberg  bei  Pfibram)  u.  ä.  —  Son- 
stige Formen  sind  noch;  Tepa  (zwei  Brückenbeobachtungspunkte  in 
Mostar).  Tepina  (Beobachtungshöhe  über  das  Drannfeld,  Untersteier- 
mark, 1490  Depina),  Under  der  Tephen  (1381,  Steiermark),  Tiwer 
(jetzt  Tüffer,  mit  dem  hohen  ruinengekrönten  Bergkegel).  Teuffen- 
bach  (alte  Formen:  Tivfen,  Tewfen,  Tewbach),  Tywein  (Diwein). 
sowie  alle  Tivoli  (Tibur,  Divolje)  u.  ä.  —  Der  Hoheitsname  ist:  div. 
d  c  V,  w  elcher  vielfach  zu  «Divis«  wurde.*)  womit  der  Bewohner  an 
einer  solchen  Stelle  bezw.  der  Kommandant  oder  Älteste  eines  sol- 
chen wichtigen  Punktes  belegt  wurde.  —  Eine  analoge  Bewertung 
hat  daher  auch  der  Gott  «Tivac«  (^  Divac),  der  einzige,  der  angeb- 
lich von  allen  «germanischen«  Stämmen  verehrt  und  namentlich 
am  Niederrheine  hochgehalten  w  urde.  —  Dem  Slovenen  ist  «Tivra« 
—  der  Wauwau,  der  Strafende,  mit  dessen  Berufung  man  den  Kin- 
dern droht,  falls  sie  unfolgsam  sind.  In  England  gilt  «devon.  devon- 

")  Die  Familie  der  «SternbergeK  führte  früher  den  Namen  Divis  vun 
Divisov:  ..Sternber;;«  bedeutet  aber  etymologisch  auch  dasselbe,  ist  al.so 
nur  ein  Parallelname. 


shire«  noch  iiiiiner  als  Adelstitel.  —  Im  Persischen  ist  ndev,  div« 
die  Bezeichnung  für  den  bösen  üeist  (Zendavesta:  devas,  deutsch: 
ieufel,  diwi.  tuifel:  rom.  diable.  diavolo).  —  In  der  Türkei  heißt  der 
Staatsrat  «divan«,  das  ist  die  das  Wohl  des  Landes  beobach- 
tende Körperschaft.  In  Indien  ist  «devan«  der  erste  Minister,  der 
Kanzler.  —  Das  russische  Igor-Lied  kennt  den  «Div«  als  Vogel, 
sagt  aber  von  ihm.  daß  er  den  Polovcern  zuruft  sehr  wachsam  zu 
sein,  da  er  eben  von  der  Vogelperspekti\e  über  die  gegenseitige  Si- 
tuation besser  orientiert  ist. 

Ich  habe  mich  bei  diesem  Artikel  nicht  ohne  Absicht  geogra- 
phisch ungewöhnlich  verbreitet,  denn  ich  will  hitmit  zeigen,  wie 
wenig  Berechtigung  wir  haben.  \on  scharfbegrenzten  Sprachkasten 
zu  sprechen,  und  wirft  der  Sprachenhaß  nur  einen  tiefen  Schatten 
auf  de   Kenntnisse   unserer  X'ergangenheit   und   Kulturentwicklung. 

Vir,  Vyr,  Virje.  Virovitica,  Fürth,  Furt.  Fürstenberg,  Fürsten- 
feld, Württemberg  (früher  \\  irtemberg  geschrieben)  u.  ä.  sind  ur- 
sprünglich W  a  c  h  s  t  e  1 1  e  n  gew  esen,  die  später  zu  festen  Vertei- 
digungspunkten wurden.  —  Das  Grundwort  ist  jedenfalls  «vir«  (= 
Wachpunkt:  'in  Lateinischen  der  Mann,  Kämpfer  —  auf  einem 
solchen  Punkte),  doch  ist  der  Begriff  in  diesem  Sinne  im  Slavischen 
nicht  mehr  gebräuchlich;  hingegen  kennt  der  Slovene  noch  «vireti« 
(=  mit  unverwandten  Augen  ansehen,  spähen)  und  Kvirostovati»  (= 
wachen,  überwachen),  der  Kroate  «viriti«  (=  überblicken),  der  Ceche 
wveirati»  {=  große  Augen  machen).*) —  Im  Keltischen  bedeutet  »vr» 
soviel  als  M  a  n  n.  »ver«  =  der  Starke,  der  Mächtige. 

Der  Holieitsname  lautete  wohl:  «viros,  virost«  oder  ähnlich. 
geriet  aber  im  Slavischen  außer  Kurs,  hingegen  hat  er  sich  im  Deut- 
schen «Fürst)'  erhalten.  Ansonsten  haben  jedoch  die  slavischen  Spra- 
chen die  primären  Bedeutungen  dieses  Stammes,   welche  mit  den 

~)  Folgerichtiir  ist  «vyrn  der  Uhu,  der  im  Finsteren  sieht,  daher 
auch  alkemein  als  Symbol  der  Oelehrsamkeit  gilt,  da  er  eben  ins  Unbe- 
kannte (Finstere)  zu  sehen  vermaR.  —  Aus  einer  alten  poetischen  Sage  der 
deutschen  Kolonie  in  »Sette  Comuni»  (nördlich  Viceaza)  ist  noch  zu  hören, 
daß  »Wirt«  =  Tyrann  war.  denn  die  betreffende  Stelle  sagt:  Wir  sind 
Deutsche;  unsere  \  ater  kamen  von  den  Bergen  (jenseits  des  Tirol)  und 
flüchteten  aus  ihren  Landen,  um  nicht  unter  einem  schroffen  und  grimmigen 
Wirten  zu  bleiben  (im  Originale:  «Biar  sain  teutsche;  unzare  vetere 
kamen  aber  vun  auporz.  un  inkangen  vun  iarn  lentorn.  zwa  net  sianan 
untargaberft  anenie  schroffen  un  grinuiiegen   hiarte- 


Hoheitsnanien  organisch  verknüpft  sind,  vielfach  beibehalten,  so: 
»vira«  (=  üeidstrafe  für  einen  Mord,  die  also  nur  ein  vir,  Fürst 
verhängen  konnte),  »biric«  (~  (lerichtsdiener.  Scherge,  auch  Herold, 
also  ein  Hilfsorgan  des  Fürsten;  «birosx  (=  Rinderhirt,  ein  Begriff, 
der  noch  aus  der  Hirtenorganisation  datiert);  iibirt,  virt.  Wirt«  (= 
dem  die  Obsorge  der  Gemeinde  oblag);  «birka«  umfaßte  anschei- 
nend alle  Pflichten  an  den  Gemeindeältesten.  und  ist  heute  identisch 
mit  K  e  r  b  h  ol  z,  auf  \\  elchcm  sonach  die  Abgaben  verzeichnet  \\  ur- 
den.  — 

Vid.  Viilim  (bei  Melnik),  Vidin,  Viden,  Videm,  Vidak,  Vidov, 
Vidce,  Vidomina  (Wien).  Vitina.  Vitanje,  Wittingau.  Montevideo,  Vit- 
kov  (Wigstadtl),  Vizina,  Vizovice,  Vicence,  Vicov,  Vice,  Vicice  u.  ä. 
sind  günstige  B  e  o  b  a  c  h  t  u  n  g  s  p  u  n  k  t  e,  denn  \'  i  d  ist  =  Aus- 
sicht, V  i  d  e  t  i  =  sehen.  Solche  Punkte  weisen  für  die  Ausspähung 
der  feindlichen  Anschläge  günstige  Höhen  auf.  die  zumeist  noch 
heute  aus  einer  uralten  Zeit  Schlösser.  Burgen.  Klöster  und  Ruinen 
tragen. 

Ks  ist  z\\eifellos.  daß  die  Urbedeutung  auch  die  eines  g  e- 
sicherten  Weideplatzes  ist.  denn  das  deutsche  »Weide«  ist  wohl 
aus  Hvid"  hervorgegangen,  »vidula«  ist  die  Hirtenquerpfeife  (lat. 
vidula).  xvidalicei'  ist  zum  deutschen  «Fiedel«  (im  Slavischen  O  u  c  r- 
pfcife  bedeutend)  geworden;  »N'idem«  ist  der  Gemeinde-  oder 
Pfarrpfründegrund. 

Die  Ortsnamen  dieser  Gruppe  besagen  sonach  nichts  weiter, 
als  daß  sich  die  Bewohner  daselbst  durch  «vid«  —  Vorkehrungen 
gegen  feindliche  Anschläge  sicherten,  wobei  sich  die  Bedeutung 
dem  progressiven  Kulturfortschritte  und  Ausbaue  des  Punktes 
sprachlich  weiter  anschmiegte. 

So  hieß  Weiz  (in  Steiermark)  i.  J.  12-10  noch  immer:  «an  der 
Wides«  (vides  =  Aussichtspunkt),  wogegen  die  Kirche  daselbst 
schon  i.  J.  1188  »am  Tabor«  genannt  wird,  also  die  passive  und 
aktive  Verteidigungsvorsorge  stehen  bereits  paralell  nebeneinander, 
wie  das  ja  bei  jeder  Burg  der  Fall  war.  wo  das  erstere  der  Wart- 
turm, das  letztere  die  Ringmauern  besorgten.  —  Windenau  (bei  Mar- 
burg a/n.).  slov.  Vidnjava.  stand  an  der  Stelle,  die  man  noch  heute 
«Staro  mesto«  (Beobachtungspunkt  an  der  Nase  des  Bacher-Qeb ) 
nennt,  und  wo  bereits  viele  prähistorische  Funde  gemacht  wurden. 
—  Ähnlich  ist  es  bei  Wien,  wo  W  i  e  d  e  n.  Am  Tabor,  Hohe  Warte, 
Leopoldsberg  die  gleiche,  sich  gegenseitig  ergänzende  Rolle  spielen. 


128  - 


Javor.  Javorje,  Javorik.  Javornik,  Javorovy,  ,|a\vor6\v,  Jauern. 
Jauernigg,  Jauerbiirg  u.  ä.  btzeichnen  einen  Höhenpunkt,  \\  elcher 
als  B  e  o  b  a  c  h  t  u  n  g  s-  oder  A  1  a  rni  s  t  a  t  i  o  n  gegen  feindhche 
Einfälle  diente  (jav,  iaxiti  =  melden,  zurufen,  mitteilen).  Die  bishe- 
rige Etymologie,  als  würden  diese  Namen  von  njavor«  (Ahorn. 
Ahorngegend)  stammen,  hat  sich  als  ganz  unzutreffend  erwiesen. 
nachdem  eine  so  benannte  Gegend  oft  gar  keinen  Ahornbestand  auf- 
wcist.  hingegen  dies  in  sehr  vielen  Fällen  ein  Gebirgszug  oder  eine 
Höhe  mit  vorzüglichem  Fernblicke  wie:  Javorina.  Javornik,  Javorik. 
Javorowi.  oder  ein  Ort  mit  Verteidigungsanlagen  (ßurg.  Schloß)  ist, 
wie  Jauer,  Jauernigg.  Jaworöw  u.  a. 

Zdar  (heute  meist  in  der  Form  Mstam)  sind  jene  Höheniiunkte. 
welche  einst  für  die  Bewachung  der  Gegend  entsprechend  eingerich- 
tet waren;  das  Grundwort  ist  das  altslav.  zdati  =  warten,  e  r- 
warten,  beobachten,  das  auch  noch  in  der  Königinhofer 
Handschrift  im  verwandten  Sinne  vorkommt.  —  Ortsnamen  dieses 
Stammes  sind:  Stara  gora  (also  fälschlich:  Altenberg),  Sedlo  Stare 
(Altsattel),  Star  trg,  Stargard  (Stargrad).  Staric,  Starse,  Starovo. 
Zdarov.  Zdarec.  Zdarka.  Zdarac.  Starzingerberg.  Sterzing  u.  a. 

Es  ist  logisch  richtig,  daß  es  z.  B.  einen  Namen  nAltendorf«  auch 
ursprünglich  nicht  geben  kann,  da  niemand  eine  erste  Ansiedlung 
als  «alt»,  sondern  doch  viel  eher  als  «Neudorf«  benennen  wird;  eben- 
so ist  ein  «Alteuberg«  ganz  undenkbar,  da  man  ja  doch  die  Berge  in 
derselben  Gegend  nicht  in  Bezug  auf  die  geologische  Entstehung 
skalieren  kann. 

Pas  Urwort  ist  augenscheinlich  »zdar.  zdjar«  (=  abgebrann- 
tes Waldstück),  um  Aussicht  für  die  Beobachtung  der  Umgebung 
zu  gewinnen,  wie  es  im  Böhmischen  und  Sorbischen  (zdzar)  noch 
erhalten  ist  und  in  Mitteleuropa  überaus  häufig  vorkommt.  Im  Hoch- 
schwab-Zuge  liegen  z.  B.  die  Staritzen-Alpen;  sie  gelten  als  die 
schönsten  Alpenweiden  von  Steiermark.  Der  älteste  einer  solchen 
Gemeinde  hieß  daher  folgerichtig  «zdar,  starost,  starosta«;  in  Pom- 
mern wird  eine  Gemeinde  noch  immer  «Starostci«  (sprich:  Schta- 
rostei)  benannt;  unter  «schtarost«  x'erstand  man  daselbst  den  Schloß- 
oder Gutsherrn,  und  nachdem  diese  mitunter  sehr  unbeliebt  waren, 
gilt  noch  heute  der  Spruch,  »hei  is  schtarostisch«  in  der  Bedeutung: 
der  ist  eigensinnig,  unerbittlich,  w  ie  ein  »schtarost«. 


—  lao  — 

.Mis,  A^islik,  Alislowitz,  .Missiitz,  Mysliborice.  A\istek,  Myslik, 
Myslin,  iMiseno  (Cap),  Miszkolcz  ii.  ä.  sind  üegenden  und  Ansiedlun- 
jjcn  an  liülienauslauicn.  Gebirgsnasen,  Talöffnungen  (mys,  mis  = 
Vorgebirge.  Bergnase),  und  waren  naturgemäß  in  erster  Linie  für 
den  B  c  o  b  a  c  h  t  u  n  g  s-,  dann  auch  \'erteidigungsdienst  ausgenützt. 
Die  diesen  Dienst  \  erselienden  h'eßen  miiyslivec«.  wie  der  Ceche 
noch  heute  den  auf  Anstand  (ieheiiuen.  also  läge  r.  benennt.  — 
Dem  Küssen  bedeutet :  ni  i  s  e  c.  in  i  s  i  k  noch  heute:  i\leines  Vor- 
gebirge. Hergnasc. 

Kuk,  Kukiis.  Kukau,  Kukuksberg.  KuHena,  Kuklenberg,  Koke. 
Kochein.  Kckane.  Kokorina,  Kokofin  u  ä  hczOichnen  Auslugs- 
punkte.  —  Das  ürundwort  ist  "kuk.  kukati«  =  gucken,  auslugen. 
—  Am  Balkan  gibt  ls  eine  grolle  Zahl  von  Höhen  mit  vorzi'glicher 
Fernsicht,  die  Kuk.  Orlov  kuk.  Kukin  u.  ä.  lauten.  —  Der  Höhepunkt, 
welcher  die  beste  Umsicht  über  die  Umgebung  von  Znaim  gewährt, 
heißt:  Kuketaj.  —  (X'ergl.  die  beigegebene  Abbildung  von  Cocheini 
aus  dem  .1.  IbAb.  wo  icdc  Höhe  befestigt  erscheint.) 

V,  ahischcin'ich  sind  auch  viele  mit  nHcch«  zusammengesetzte 
Ortsnamen  d  eses  Ursprungs,  denn  z.  B.  «Hochwaldn  liabeu  die 
Cechen  nicht  in  xV'soke  val«  übersetzt,  sondern  gebrauchen  den 
ungefähr  ursprüngüchei;  Namen  "Hukxal"  (statt  i'Kuk\-al«). 

Sveta  g:^ra,  Svatä  hora.  Alle  topischen  Namen  d'eses  Ursprungs 
(deutsch  «Heiligenbergi )  sind  ursprünglich  mil'tärisehe  Beobach- 
tungspunkte gewesen,  denn  das  Grundwort  ist  «zvedeti«  (in 
Erfahrung  bringen,  erkundigen)  woraus  der  Hoheitsname:  svetnik 
=  Ratgeber,  dann  auch  Heiliger  wurde.  —  Die  Russen  ge- 
brauchen "svjedat".  die  Slovenen  nzvedct'«  für:  erfahren,  »zveden« 
=  der  Erfahrene.  -~  Augenscheinlich  ist  auch  «svet»  (die  Welt)  einst 
gleichbedeutend  mit  Grenze  gewesen,  denn  man  sagt  z.  B.  unter 
den  Slovenen:  grem  v  svet  =  ich  gehe  in  die  Fremde,  d.  h.  ich 
überschreite  die  Grenze.  —  Es  gibt  wohl  keinen  Ort  dieses  Namens, 
welcher  nicht  an  oder  auf  einer  gute  Aussicht  wie  auch  günstige 
Verteidigung  bietenden  Höhe  liegen  würde.  Bei  manchen  Ortsnamen 
ist  noch  der  Name  nicht  mit  iisvet«  (=  heilig)  identifiziert,  wie  z. 
B.  Sveca  gora.  (in  Obersteiermark  einmal  in  iiLichtmessberg«  über- 
setzt). Svitavka.  Svctina.  Svct'uje.  Zwetkofzen  i'  ä.  —  Die  «Heilig- 
keit« der  Lokalität  hat  sich  allmählich  aus  sich  selbst  entwickelt, 
weil  der  Punkt  durch  die  Kämpfe  daselbst  und  die  Begräbnisstätte 


der  Vorfall ren  zum  (jcgenstande  besonderer  Verehrung;  wurde;  die 
traditionelle  Pietät  machte  sie  jedoch  zu  W  a  1 1  f  a  h  r  s  o  r  t  e  n.  seit 
der  militärische  Charakter  derselben  verblaßte.'') 

Wahrscheinlich  gehören  hieher  auch  alle  Namen,  wie:  Svetia, 
Zwettl,  II.  ä.,  welche,  da  man  «s\etel"  für  »lichte  nahm,  sodann  als 
Liechtental,  Liechtenort,  Lichtenwald  in's  Deutsche  übertragtn 
w  urden. 

Analog  hat  das  Stift  Zw  e  1 1 1,  slavisch.  i'S\  etia«  seinen  ur- 
sprünglichen Namen  bis  heute  erhalten,  während  dessen  künstlicher 
Name  "Liechtentalic  längst  wieder  außer  Kurs  ist,  und  sind  dies  le- 
diglich etymologische  Spielereien,  die  in  den  allermeisten  Fällen  als 
\ollkommen   mißglückt  gekennzeichnet   werden   müssen. 

So  behandelt  J.  v.  Zahn  im  III.  Bande  seiner  i.Styriaca«  (Graz 
1905)  unter  dem  Titel:  nPoetische  Ortsnamen  und  andere»  ein  ähnli- 
ches Thema,  legt  aber  der  Entstehung  derselben  folgenden,  wesent- 
lich verschiedenen  Ursprung  zugrunde.  Er  schreibt:  »Wenn  ein 
Grundherr  an  der  Stätte,  die  ihm  vor  allen  anderen  lieb  und  an  das 
Herz  gewachsen  war,  eine  Gründung  vollzog,  dann  pflegte  er  aus 
dem  Borne  warmer  Empfindung  einen  Namen  hervorzusuchen,  um 
ihn  seiner  Gründung  beizulegen,  gleichzeitig  als  Ausdruck  seiner 
väterlichen  Liebe  und  auch  als  Empfehlung  der  Stiftung  an  kom- 
mende Geschlechter.  Dieser  allgemeine  Vorgang  findet  seine  be- 
sondere Anw  endung  bei  dem  naturfreudigen  Orden  der  Zisterzienser, 
w  elchcr  seine  Niederlassungen  in  Frankreich :  L  i  c  h  t  c  n  t  a  1,  G  o  I- 
d  e  n  t  a  1.  G  M  t  c  n  t  a  i.  G  u  t  L-  n  b  r  n  n  n.  H  c  1 1  b  r  o  n.  ( j  ii  t  e  n  f  e  1  d, 
L  i  e  b  e  n  f  c  I  d,  l.  i  c  h  t  e  n  o  r  t  etz  nannte».  Ich  kann  aber  nicht 
umhin,  die  gewiß  gutgemeinte  und  durch  den  äußeren  Schein  sugge- 
rierte Ansicht  des  Verfassers  rauh  zerstören  zu  müssen,  da  dies 
meine  Erkenntnis  sowie  die  mangelnde  Natürlichkeit  dieser  Ent- 
stehung erheischen.  -  Diese  Namen  sind  durchaus  nicht  aus  dem 
•Hnrne  warmer  Empfindung«  hervorgegangen,  sondern  sind  na- 
türlich begründete,  bereits  \-  d  r  g  e  f  u  n  d  e  n  e  s  1  a  v  i- 
s  c  h  e  N  a  m  e  n  gewesen,  w  eiche  die  D  e  u  t  s  c  h  e  n  übe  r- 

")  In  der  HcrzeK"\\ii'a  gjl)t  es  ein  «Svatovsko  iirreblje».  welches  die 
Sage  und  VolkFetyn-oloKle  dahin  erklürt.  es  seien  dies  Oräher  eines  ^  crun- 
.rliickten  Hiichzeitszuges;  tatsiichlich  ist  es  ein  Beoliaelitungspunkt.  auf  dem 
es  einst  7i\  einem  Mutigen  Gefechte  gekommen  sein  muß.  daher  auch  die 
meisten  (irabstcinc  dasclhst  mit  militiirischcn  Figuren  verziert  sind. 

it* 


—  132  — 

setzten  oder^anz  ohne  Rücksicht  auf  die  neue  Be- 
deutung anpaßten,  wobei  sie  es  allerdings  nicht  versäumten 
hoch-  und  wohlklingende  Namen  zu  konstruieren. 

\\  ie  man  aus  den  erwähnten  Beispielen  ersieht,  fassen  solclic 
unnatürliche  Namensbildungen  zumeist  keine  tiefen  Wurzeln  und 
holen  w  ir  uns  in  jenen  Fällen,  wo  die  Namensänderung  ge^\  altsam 
geschah,  die  Urform  aus  den  vergilbten  Urkunden  wieder  hervor. 
Wenn  man  daher  heute  vielfach  von  Slavisierung  der  Ortsnamen 
hört,  so  ist  dies  dadurch  begründet,  daß  man  die  slavische 
Urform  des  Namens  wieder  anwenden  und  dem 
w  a  h  r  e  n.  h  i  s  t  o  r  i  s  c  h  e  n  N  a  m  e  n  z  u  m  R  e  c  h  t  e  v  e  r  h  e  1  f  e  n 
will;  von  Neubildungen  ist  also  hier  keine  Rede,  sofern  es  sich  nicht 
iini  vereinzelte  geschichtswidrige  Zwangsformen  handelt.*) 

Caga,  Cakov,  Cakowitz,  Cakaturn  (=  Wartturm),  Saggau,  Sa- 
chendorf. Cekau  Cekov,  Cekanitz,  Cekyii.  Segne  u.  ä.  stanmien  alle 
von  cakati,  cekati  ~  abwarten,  auf  Anstand  sein,  acht- 
geben, sind  somit  auch  günstige  Beobachtungspunkte,  die,  w  enn 
sie  von  Natur  aus  nicht  genügend  günstig  waren,  künstliche  Ergän- 
zungen erhielten.  Alle  die  Türme  bei  Kirchen  und  Schlössern  hatten 
ursprünglich  wohl  nur  diesen  Zweck,  daher  es  auch  kein  altes  Schloß 
ohne  einen  ausgesprochenen,  etwaige  andere  Türme  überragenden 
Turmbau  gibt:  dasselbe  gilt  für  die  Kirchen,  welche,  wenn  sie  in 
d  e  r  K  b  e  n  e  s  t  a  n  d  e  n,  h  ö  h  e  r  e  T  ü  r  m  c  h  a  1 1  e  n.  a  1  s  s  o  I  c  h  c. 
welche  ohnehin  auf  einer  übersichtlichen  H  ()  h  e 
angelegt  waren.  —  In  cechischen  Gebieten  findet  man  noch 
häufig  Flurnamen  «na  cekarne«.  Die  Hoheitsnamen  sind:  Diakon^, 
nachdem  die  Griechen  das  slavische  »c«  nur  zerlegt  darstellen  konn- 
ten, dann  "zak.  djak.  dijak»  —  der  Studierende,  der  Acht- 
gebende; »djak«  (russ.)  der  Schriftkundige,  früher:  der  Geistliche. 

Laver,  Lavis,  Laverone,  Lavrovce,  Lavranovo,  Lovrana,  LoSer, 
Loferstein.  Loretto  (slav.  Lovreto)  u.  ä.  schein  c  n  f  ü  r  H  i  n  t  e  r- 

~)  Was  die  Deiitsclien  vor  etwa  acht  .lahrhuiiderteii  taten,  das  wie- 
Lcrholen  heute  die  Magyaren,  indem  sie  alle  nichtmagyarischen  topogra- 
phischen Namen  übersetzen,  verunstalten  oder  ihrer  Sprache  anpassen,  was 
aber  durchaus  nicht  hindert,  daß  einst  bei  geänderten  ethnographischen 
i'der  politischen  Verhältnissen  die  ursprünglichen  und  natürlichen  Na- 
i'jeii  aus  alten  Büchern  wieder  hervorgeholt  werden  kömien.  Die  Geschichte 
kann  uns  auch  in  dieser  Hinsicht  als  Lehrmeisterin  dienen! 


—  133  — 

halte,  also  f  ii  i-  \' er  steckte  Beobachtung  oder  über- 
haupt Ü  b  e  r  1  i  s  t  u  II  g  des  Gegners  geeignete  Terrainpunktc  ge- 
wesen zu  sein.  Das  Grundwort  ist  bereits  schwer  erkennbar.  niiiB 
aber  entweder  «iavi'  (slovcnisch  z.  B.  1  a  v  r  a.  1  a  v  r  a  t  i  =  L  a  u  e  r. 
lauern),  oder  «lov«  (=  Jagd.  Anstand)  zur  Basis  haben.  —  Der 
russische  Begriff  «lavraK  für  Kloster  bestätigt  dies,  wenn  man 
die  Entstehung  der  Klöster,  wie  dies  später  geschildert  wird,  allge- 
mein in  Relation  bringt.  Eine  endgültige  Klärung  wird  wohl  durch 
weitergetragene  Forschungen  erbracht  werden.  —  Das  berühmteste 
aller  Klöster  auf  dem  Berge  Athos  liegt  auf  dem  höchsten  Gipfel  und 
heißt  St.  L  a  V  r  a  (Laura). 

Lesno,  Lesaiiy,  Leskovec,  Lestno,  Lisno,  Lisen,  Lisky,  Lsteni 
u.  ä.  bezeichnen  Gegenden,  wo  sich  einst  Zufluchtsstätten  oder  vor- 
bereitete Kampfpl;:tze  befanden.  Das  Grundwort  ist  «les.  Ijeh.  iis. 
lis)'.  worunter  der  Slave  im  allgemeinen  etwas  mit  dem  Kampfe 
Zusanmienhängendes  versteht,  wie  z.  B.  »liskati«  {=  raufen),  «lisitiii 
("  berauben).  «lezaK  (=  das  Lager)  u.  ä.  —  Verwandt  ist  auch 
das  lat.  >ilisi<  ('-  Kampf),  wie  das  griechische  >?.t]aT}>gt  (=  Räuber. 
Kämpfer  im  Guerilla  Kriege). 

Der  Kommandant  eines  solchen  Platzes  hieß  nun  «IjehK  (Plural: 
lesi,  wie  dies  die  Grüneberger  Handschrift  aufw  eist),  w  ar  also  nichts 
weiter  als  der  .Älteste  einer  Verteidigungsgemeinde  der  Urverfassung. 
In  späterer  Folge  wnirden  solche  Ämter  von  einem  höheren  Führer 
(Lehensherr)  bestimmten  Personen  (Lehensträgern)  zugewiesen,  d. 
h.  der  Betreffende  versah  die  Sicherung  des  ihm  zum  Schutze  an- 
vertrauten Gebietes,  analog  wie  auch  z.  B.  der  Sicherungsdienst  in 
der  bestandenen  Militärgrenze  organisiert  war.  — 

Straza  ist  ein  Wach|X)Sten.  zumeist  auf  einer  Höhe  mit  guter 
und  weiter  Aussicht,  von  wo  aus  man  bei  feindlichen  Anlässen  auf 
phonetischem  Wege,  also  durch  laute,  nur  den  Eingeweihten  ver- 
ständliche Zurufe,  oder  auch  durch  Feuer-  und  Rauchzeichen,  den 
Umwohnern  die  drohende  Gefahr  ankündigte.  Die  Wache  hatte  eine 
Schutzhütte  und  w  ar  diese  auch  insoweit  verteidigungsfähig  gemacht 
(Zw  inger.  Schießscharten),  um  den  Posten  wenigstens  so  lange  hal- 
ten zu  können,  bis  die  nächsten  Ortsbewohner  eintrafen.  —  Der 
Name  xStraza«  kommt  in  Mittel-  und  Südeuropa  überaus  häufig  vor. 
und  sind  alle  mit  «Strassx  zusammengesetzten  Namen  dieser  Prove- 
nienz; so:  Strassberg.  Strassburg.  Strassengel.  Strassgang.  Strasser- 


perg,  zu  Strasy,  Strassnitz,  Hochstrass  (bei  Mödling.  Deutschlands- 
berg u.  a.).  Strosen.  Stragut  (in  Deutschland  vom  altsorb.  straza. 
straga)  u.  a. 

Sonderbar  ist  es  aber,  daß  z.  H.  der  Name  «Strassengciii.  der 
ii.  steirischen  Urkunden  v.  .1.  S60.  890.  982.  98-1.  1051  u.  s.  f.  stets 
in  der  Form  «StrazinolaK  angeführt  erscheint,  nie  ins  Deutsche  über- 
tragen \\urde,  wjilirend  bei  «Strassgang«.  das  i.  J.  1030  urkundlich  als 
»Strazcan«  vorkommt,  auch  noch  zugefügt  wird,  daß  dies  eigentlich 
der  Name  der  Befestigung  auf  der  Höhe  sei;  der  Name  mu  ß  dalier 
schon  von  den  slavischen  Vorbewohnern  herrühren. 

Karaula  ist  ein  gemauerter,  \iereckiger  Bau  für  eine  Wache, 
welche  sich  darin  auf  kurze  Zeit  verteidigen  konnte.  —  Auf  dem 
Balkan  sind  solche  Objekte  noch  sehr  häufig,  aber  nunmehr  schon 
meist  als  Ruinen  anzutreffen.  —  Bei  den  Russen  heißt  die  Wache 
selbst  "karaul". 

Kula  ist  ein  hoher,  solider,  mit  Schießscharten  \ersehener,  mit- 
imter  krenelierter  Run  dbau,  welcher  augenscheinlich,  da  er  für  eine 
Wache  nicht  eingerichtet  ist.  nur  als  vorgeschobenes  ülied  eines  fe- 
steren Verteidigungsplatzes  galt  oder  als  Aussichtspunkt  diente.  — 
Solche  Kulas  gibt  es  in  großer  Zahl  am  Balkan;  aber  auch  sonst 
findet  man  solche  Türme,  wie  z.  B.  bei  der  alten  Veste  Straitiberg. 
(richtiger  »Stranberg«),  welcher  «Kulatina»  genannt  wird.  (Siehe  Ab- 
bildung von  Stramoerg  in  Mähren).  Mit  der  Höhe  mußte  hier  so  w  eit 
gegangen  werden,  damit  vom  Turme  ans  keine  toten  Räume  für 
die  Beobachtung  verbleiben.  —  Im  Tatarischen  ist  nkola«  =  Vor- 
werk, im  Arabischen  =  Turm. 

Buda,  Budua.  Budine,  Btiilkov,  Budejovice.  Bude^ko,  Btidisiii 
(Bautzen),  Baude,  Bautsch  u.  ii.  haben  »bud.  buda.  budka  (=  Hirtcn- 
liütte),  budiste«  zur  Grundlage  und  weisen  eine  analoge  Bildung  wie 
«chod,  koc,  koca«  auf.  Im  Deutschen  ist  die  Fornt  buode  (mhd.). 
b  u  d  e  (nhd.)  bekannt  (vergl.  auch  b  u  w  e  n,  b  u  o  v  e  n  für  baue  n). 
—  Es  mag  ja  nun  der  ursprüngliche  Begriff  aus  »bus«  (bos,  bovis), 
also  einer  Weidetriftbenennung  her\orgegangen  sein,  nachdem  man 
sich  am  Weideplatze  auch  eine  Hütte  (Bude)  zum  Schutze  der 
Hirten  wie  des  Pferchs  erbaute.  Augenscheinlich  war  aber  dieser 
Unterstand  an  einem  solchen  Punkte,  von  wo  aus  man  die  Herde 
beobachten  wie  auch  durch  entsprechende  Wachsamkeit  rechtzeitig 


in  Sicherheit  brin;fcn  konnic,  daher  solche  Stellen  mit  der  Zeit  ver- 
teidigiingsfähig  gemacht  wurden,  denn  xbuditi«  heißt  im  Slavischen: 
erwecken,  aufwecken,  »bdcti.  bditi«,  litt,  budeti:  wach  sein. 
Wache  halten  (jetzt :  bei  den  Kranken),  litt,  b  u  d  r  u  s  s :  wach- 
sam. Nebstbei  sind  solche  Punkte  stets  auf  Höhen,  gekrönt  mit 
Kirchen.  Schlössern.  Burgen.  Ruinen,  alten  Friedhöfen,  wie  Budisin 
(Bautzen),  Buda  (-Pest).  Biidua,  Büdingen,  Budwitz  u.  ä. 

Das  \olk  der  15  ud  in  er,  welche  Hcrodot  in  das  heut'ge  Ruli- 
land  oder  in  das  nördliche  Griechenland  verlegt  und  sie  im  beson- 
deren als  blondhaarig  bezeichnet,  bilden  sonach  nur  ein  Analogen  zu 
den  G  o  1 1  s  c  h  e  e  r  n  in  Krain. 

Der  Hoheitsname  hat  sich  anscheinend  in  «Buddha«  konzen- 
triert; sonderbar  ist  es  jedenfalls,  daß  «buddha«  m  Sanskrit,  welcher 
Sprache  der  Name  ja  zugeschrieben  wird,  »der  F.rweckte«  (wohl  rich- 
tiger «der  Weckende«)  bedeutet. 

Strehov,  Strehau,  Strechwic  (heute  Strettweg),  Streckelberg  (auf 
Usedom),  dann  die  slavischen  Formen  Cresno.  Cresnjovec  u,  ä.. 
welche  in  Folge  dieser  äußeren  Form  auch  irrig  als  «Kirschdorf, 
Kirschbad«  ins  Deutsche  übertragen  wurden,  sind  Terrainpunkte,  wo 
ein  Schutzdach,  F  I  u  g  d  a  c  h  für  die  Wache  oder  die  Beobach- 
tungsposten vorbereitet  war,  denn  «strecha,  stresno«  (=  Dach)  deu- 
tet auf  diese  Etymologie.  (Hiezu  Abbildung  von  Strtchau  in  Steier- 
mark.) «Strezit»  heißt  im  Böhmischen  übrigens  auch:  hütten.  Wache 
halten,  daher  Strachov  und  Strechov,  wie  Strazov  und  Stfezov, 
indentisch  sind. 

Suh,  Sucliä,  Suchaii.  Suchen,  Suchodol,  Siihdol.  Suchohrdly  (d. 
Zuckerhaiidl).  Suchor,  Siichov.  Snkdol.  Sukowate.  Suky,  Zug,  Ziiki, 
Zukovo  u.  ä.  sind  Punkte,  wo  sich  eine  Laube,  d.  i.  «suhta.  suhta« 
befand,  welche  dem  «suh,  suk,  sok«  (=  altsl.  Krieger,  suhi  = 
kriegerisch)  für  die  Beobachtung  des  Feindes  Schutz  im  Kampfe  wie 
gegen  Ungewitter  bot.  Im  Russischen  bezeichnet  «suchotnik«*)  noch 
heute  den  Pfleger.  Fürsorger,  ^\ ie  als  solcher  einst  \\ohl  der 
Älteste  einer  solchen  Gemeinde  gegolten  liat;  überdies  erzählen  die 
russischen  «Bilinen«  \'iel  vom  Helden  «Suhan«. 


*)  Über  mehrfachen   Wunsch   habe   ich   Begriffe   russischer   Sprache 
mit  lateinischer  Schrift  w  icücriresiebeii.  nni  das  Lesen  zu  erleichtern. 


Der  im  Regierungsbezirke  Düsseldorf  gelegene  mit  pracht\olIer 
Fernsicht  ausgestattete  «Heiligenbergx  geiiürt  zur  Stadt  KSüchteln». 

Hiclicr  sind  aucii  alle  Namen  des  Grundwortes  «sok.  sokoh«  ein- 
zureihen, wie;  Sokai.  Sokale.  Sokol.  Sokolovac,  Sokolec.  Sokoli, 
Sokoinitz.  SokoJow.  Sokolowka  u.  ä.  Der  heutige  slavische  Hsokol«. 
d.  i.  der  den  Turnsport  geselHg  Betreibende,  hat  ursprünglich  mit  dem 
Falk  c  n  (slaw  sokol)  gar  nichts  zu  schaffen,  und  ist  das  Abzeichen 


Kitt.    11.   Strechau   in   Steiermark. 


der  F  a  1  k  e  n  f  e  d  e  r  erst  dieser  späteren  Ft>iiK)logle  zuzuschreiben. 
Die  1  sukoli.  sokolix  waren  sonach  einst  die  \'erteidiger,  die 
Soldaten,  die  sich  zum  Kampfe  ensprechend  vorübten.  Eine  orga- 
nische Verwandschaft  ist  aber  doch  vorhanden:  der  auf  Posten  ste- 
hende mußte  wie  ein  Falke  die  Umgebung  beobachten,  mußte  also 
s  e  h  r  g  u  t  e  Augen  haben.  Die  Volkslieder  und  Heldengedichte  der 
Sla\en  im  allgemeinen,  dann  der  Südslax'cn  und  Russen  im  beson- 
deren, welche  den  Geliebten  oder  Helden  stets  einen  Falken 
nennen,  müssen  daher  aus  jener  Zeit  herrühren,  als  der  rein  militä- 


risclie  ßciiriff  «sokolM  nocli  im  praktischen  (jebraiiclic  war  und 
H  L'  1  d.  k  r  ä  f  t  i  IC  e  r  M  a  n  n.  s  t  a  1 1 1  i  c  li  e  r  K  r  i  e  k  c  r  bczeichnctf^. 

Okrog,  Okrühlik,  Okroulilä,  Okruglitz,  Krungl,  (Iruiidlsee  ii.  a. 

iKinit  man  nKula«  artige  Wachtiirmt  in  Mitteleuropa.  Bei  Syraciis 
liief.-l  im  Altertume  ein  soiclier  Turm:  Akrai^os  (Okrn^;  nkrog.  okro- 
gel  ="-  rund).  Interessant  ist  es  liier  zn  zeigen,  wie  \iei  LuftstöBc 
man  zuvor  machen  kann,  ehe  itian  zur  richtigen  Etymologie  eines 
Ortsnamens  gelangt;  es  sei  dies  an  dem  Namen  »Grimdlseen  vorge- 
zeigt, w  ie  ich  selbst  erst  auf  dem  Um\vege  über  die  ältesten  Namens- 
formen  (II88  Chrungilsee,  \30()  Chrungelsee.  1386  Krungelsee)  auf 
nkrunkeljn  (~  Abstockung)  kam.  imd  von  dieser  erst  auf  die  obige, 
hoffentlich  bleibende  Erklärung,  wenn  ich  mir  stets  auch  die  Leitidee 
\-or  den  Augen  hielt,  daß  die  älteste  erhaltene  Na  ni  e  n  s- 
f  o  r  m  i  m  m  c  r  d  e  r  L'  r  f  o  r  m  am  ä  li  n  1  i  c  h  s  t  e  n  i  s  t  u  n  d  d  a  ß 
die  V  e  r  b  a  1  Ih  o  r  n  ti  n  g  e  n  in  dem  Maße  z  u  n  e  h  ni  e  n.  i  e 
g  e  r  i  n  g  e  I'  der  Einfluß  des  n  a  m  e  n  g  e  b  e  n  d  e  n  \'  o  1  k  s- 
s  t  a  m  ni  e  s  w  i  r  d.  ^\■eil  mich  das  im  deutschen  (Gebrauche  übliche 
Einschieben  des  «n«  beirrte.*)  Auch  Krieglach  (Obersteiermark)  hieß 
i.  J.  1148  noch  «Chnigelahe«;  hier  hat  sich  also  der  Originalname 
noch  w  enig  geändert. 

")  Die  neiituiie  des  Namens  "(jriiiidlsce»  wurde  bereits  vielseitic: 
versucht;  \v;ihret'd  aber  die  meisten  ob  ihrer  sprachlichen  Entgleisung  kei- 
ner Erörterung  wert  erscheinen,  erfordert  die  des  Universitätsprofessnrs 
Dr.  Strekelj  in  Graz  (im  «Casopisu  der  historischen  Gesellschaft  für  Utiter- 
stcierniark  p.  S6  19041  doch  der  Erw  ;ihnuns;.  Der  Erklärer  erkannte  ohne- 
w  eiters.  daH  der  Name  slavischen  Ursprungs  sein  müsse  und  deutet  ihn 
aus  dem  Altslovenischen  »kraglo«  (=  rund)  als  »kraglo  iezeroK  (—  runder 
See).  Nachdem  aber  gerade  dieser  tiickischerweise  obiger  Definition  nicht 
entspricht,  denn  er  ist  ungefähr  6  km  lang  und  1  km  breit,  meint  der  Aus- 
leger, daß  die  Slovenen  der  alten  Zeit  bei  solchen  Dingen  nicht  mit  dem 
Zirkel  umgingen.  .Aber  gerade  diese  Rechtfertigung  der  Auslegung,  daP 
unsere  Altvorderen,  mögen  sie  auch  welch'  Stanmies  immer  gewesen  sein, 
einen  so  verdorbenen  Blick  für  die  Natur  gehabt  hätten,  fordert  zur  Er- 
wiederung heraus,  denn  die  Erfahrung  lehrt  das  gerade  Gegenteil:  unsere 
Ahnen  hatten,  ie  weiter  die  Stufe  nach  rückwärts  geht,  ein  umso  ungetrüb- 
teres .Auge,  denn  das  beweist  uns  eben  ihre  gesamte  impressionistische 
Namensgebung.  —  Es  schwebt  mir  bei  dieser  Behauptung  die  allgemein 
herrschende  Ansicht  vor.  daß  der  Indianer  ein  besseres  physisches  Auge 
besitze,  als  die  Kulturmenschen.  Dies  ist  aber  ein  Trugschluß,  entstanden 
dadurch,  daß  der  Wilde  alles  mit  der  Seele  ansieht,  d.  h.  seine  Psyche  ist 
derart,  daß  sie  alle  Zerstreuung.  Belastung  und  Ermüdung  des  Gehirns  aus- 


Pec,  Petschke.  Pece,  Pecen,  Petschen,  Peckau  (1050  Pecah), 
Pecica,  Pecnek.  Pecendorf,  Pötzleinsdorf,  Pecjak,  Pesjak,  Bec(VVien), 
Becic,  Becice  (bei  Tabor).  Becva,  Beczarka,  Beckeiigrund  ii.  ä.  sind 
alte  V\  a  c  h  s  t  a  n  d  t)  r  t  e  (pec.  pcCa  —  IJewacluinsi,  Sorgsainkeit) 
und  kommen  meist  als  ergänzende  Vorsorgen  bei  festeren  Verteidi- 
i,Mingspunkten  vor. 

Nun  wird  es  auch  klarer,  weshalb  Wien  \erschiedene  Namen 
führt,  denn  es  handelt  sich  dabei  nur  darum,  w  e  1  c  h  e  ni  Sich  e- 
r  u  n  g  s  g  e  b  i  e  t  e  der  Name  e  ii  t  n  o  m  m  e  n  w  u  r  d  e ;  dem  Ce- 
chen  ist  es:  Viden.  dem  Romanen  Vienna.  Vienne.  dem  Deutschen 
Wien,  dem  Magyaren:  Ik'cs,  dem  Slovenen:  Duna.i. 

Bistrica.  [dieses  ist  ein  auffallend  häufiger  Name  \'ou  Flüssen. 
Bächen.  Ortschaften  wie  auch  Höhen.  —  Man  wäre  wohl  geneigt 
darin  das  Wort  «bister«  (~  rasch)  festzustellen  und  diese  Eigenschaft 
schnell  fließenden  Gewässern  als  äußeres  Merkmal  beizulegen, 
doch  ist  dem  nicht  so.  Jedes  fließende  Gewässer  hat  nahezu  die  glei- 
chen Grundbedingungen:  im  Oberlaufe,  also  in  der  Gebirgsgegend, 
fließt  es  rascher,  in  der  Ebene  angekommen,  langsamer,  müßte  also 
naturgemäß  wiederholt  den  Namen  wechseln.  Es  gibt  aber  auch  Hö- 
hen, welche:  Bistrica,  Na  bistriin.  Bystro  u.  ä.  lauten  und  kein  Was- 
ser bezeichnen  können,  weil  sich  dort  kein  Bach  oder  Fluß  vorfindet, 
oder  der  Wasserlauf  selbst  eine  abweichende  Benennung  hat.  Das 

schließt,  sobald  die  Aufmerksatukcit  auf  einen  bestimniteii  (jcvjcnstand  se- 
richtet  ist,  daher  auch  die  staimciid  iiatiirliche  und  unbeeinflußte,  daher 
bessere  Beobachtunic.  Der  Oebildete  kann  aber  dabei  nicht  so  leicht  alle 
beeiin'luRenden  Kebenunistände  ausschalten,  und  kann  ich,  cestiitzt  auf 
n:eine  tinipiric  in  dieser  Hinsicht  wohl  offenbaren,  welche  Energie  und 
welches  physische  Exerzitium  dazu  notwendig  ist,  um  nur  ein  JVloment 
einem  einzigen  Oegenstande  die  ganze  Aufmerksamkeit  zu  widmen,  wenn 
im  Gehirne  zugleich  die  verschiedenartigsten  Eindrücke,  Ideen  und  Spiegel- 
bilder Platz  genommen  haben. 

Obrigens  glaube  ich,  daß  niati  auch  heute  von  iedem  Bewohner  der 
Umgebung  des  Orundelsees,  dem  man  die  Anerkennung  desselben  als  eines 
runden  suggerieren  wollte,  in  ehrenrühriger  Weise  abgefertigt  werden 
würde,  denn  die  sehr  ungleichen  Dimensionen  lassen  sich  in  diesem  Falle 
bereits  von  den  Randkommunikationen  erkennen  und  die  geologischen 
Verhältnisse  gestatteten  in  den  letzten  tausend  .lahren  sicherlich  auch  keine 
andere  Gestaltung.  Es  erhielt  daher  der  See  den  Namen  erst  vom  Orte 
K  r  u  n  g  I,  wo  sich  ein  R  u  n  d  t  u  r  m  zur  Beobachtung  einst  befunden 
haben  wird. 


(jrundwort  ist  liier  wohl  «bisterM,  jedoch  in  der  Bedeutung:  scharf 
sehen,  gut  beobachten,  und  sind  dies  sonach  jene  Höhe- 
punkte in  Grenzgebieten,  welche  eine  sehr  gute  Beobachtung  der 
Umgebung  gestatten,  und  die  als  nBistricaic  (Feistritz,  Viustricz, 
Vustritz  u,  ä.)  gangbaren  Gewässer  erhielten  diesen  typischen  Namen 
nur  deshalb,  weil  sie  bei  solchen  wichtigen  Punkten  entspringen  oder 
vorüberfließen. 

Daß  «hnsii  und  «bistern  in  der  Urzeit  noch  identisch  waren,  ist 
leicht  verständlich,  denn  der  Hirt  beobachtete  eben  seine 
Herde  von  einem  hiezu  günstigen  Punkte.  —  Die  Ce- 
chen  haben  auch  noch  das  Originalwort  «bister«  in  «vystraha«  (  — 
Warnung)  im  Gebrauche;  es  waren  dies  eben  Punkte,  von  wo  aus 
man  die  Bewohner  w  a  rn  t  e.  und  gibt  es  Namensformen  dieser  Gat- 
tung in  alten  Urkunden  zur  Genüge:  so  schreibt  eine  steirische  Ur- 
kunde vom  Jahre  1154:  Wiztraha.  Wiztra  curtis,  eine  andere:  Wit- 
rach,  Wizdrach  u.  s.  w..  welche  zeigen,  daß  dies  zu  jener  Zeit  auch 
schon  technisch  verstärkte  Beobachtungshöhen  waren  —  Die  wech- 
selnde Aussprache  von  «y«  als  »i»  und  «u«  brachte  es  mit  sich,  daß 
xBistrica«  in  alten  Urkunden  wiederholt  als  «Bustricus.  Bustriciusx 
u.  ä.  wiedergegeben  erscheint,  daher  auch  die  Ortsnamen:  Bosak, 
Busak.  Busovaca,  Busento  u.  ä.  hieher  gehören.  —  Überdies  zeigt 
das  lat,  «vis«  (=  Kraft,  Gewalt),  daß  Höhenpunkte,  wie:  Visa,  Visina, 
^'isarje  u.  ä.  einst  vorbereitete  Kampfplätze  waren. 

Sot,  Sodnja  ves,  Sodinja  ves,  Söding.  Södingberg,  Sooden,  So- 
den u.  ä.  bezeichnen  W  a  c  h  p  u  n  k  t  e  meist  an  Oebirgskomimmi- 
kationen  (sot  =  Gebirgsweg)  oder  Talengen  und  Schluchten  (=  so- 
teska).  Der  Befehlshaber  über  eine  so  bewachte  Gegend  war  der 
«sodni.  sotnik,  sodnik»,  heute  gleichbedeutend  mit  Richter, 
Hauptmann;  der  Feld-  oder  Flurwächter  heißt  im  Slovenischen 
noch  liLUtc  i'sotar«.  Das  dalmatinische  «Sutomore«  ist  sonach  etymo- 
logisch :  die  bewachte  Grenze,  und  befindet  sich  daselbst 
auch  der  vorgeschobene  vorzügliche  Beobachtungspunkt  «SpicaK, 
dessen  Erwerbung  begreiflicherweise  einen  Hauptwunsch  der  Monte- 
I  cgriner  bildet. 

.Aber  auch  im  lateinischen  «soter,  socius,  sodalis«  (=  Kamerad. 
Waffengenosse)  ist  derselbe  Stamm  vorhanden,  wie  im  griechischen 
iaMTiO"   (=  Retter,  Beschützer)  urd  » rr  c'/ 1' o  «  (=  retten,  erlösen). 


141 


Die  Hsotnija«  (—  Kompagnie,  Kameradschaft)  ist  also  urspriing- 
lich  eine  Gruppe  von  Kampffähigen,  von  Waffengenossen  gewesen 
und  ist  es  noch  heute.  Daß  «sotnik,  stotnik«  =  Hauptmann,  d.  i.  Be- 
fehlshaber von  100  Mann  ist.  scheint  sonach  erst  eine  spätere  Anpas- 
sung zu  sein,  denn  der  Kichtcr.  der  z.  B.  «sodnik«  heißt,  hat  mit  der 
Zahl  lÜO  schon  nichts  n;ehr  zu  tun;  übrigens  bedeutete  im  Altslavi- 
schen «sotnja»  eine  Zunft,  Innung  —  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl. 

Schottland  (Scotia)  ist  sonach  wohl  nur  als  ein  von  Ksot'sx  ver- 
teidigtes Nachbarland  und  ist  »Scotia»  nur  die  latinisierte  Form,  ana- 
log w  ic  man  das  slavische  »sola«  im  Lateinischen  zu  »scola»  machte. 

Car,  Carigrad  (Konstantinopel),  Carii^i,  Carevic,  Careva  gomiia, 
Carevo  polje,  Carina,  Carine  u.  ä.  deuten  durchwegs  auf  einen  ein- 
stigen verteidigungsfähigen  Terrainpunkt  hin,  d.  h.  es  war  hier  eine 
genau  bestimmte  Stelle,  wo  man  sich  bei  feindlicher  Bedrohung  zum 
Kampfe  entgegenstellte;  dies  war  selbstredend  zugleich  die  Grenze, 
daher  auch  die  Slaven  unter  «cara»  den  Qrenzstrich  verstehen. 
Der  Kommandant  über  eine  oder  mehrere  Gemeinden  zum  Schutz- 
zwecke hieß  nun  xcar»;  die  Abgaben,  die  er  hiefür  erhielt,  nannte 
man  »carina»,  noch  heute  in  der  Bedeutung  Abgabe,  Zoll;  der 
Vcrteidigungspr.nkt  selbst  hieß  so  oder  ähnlich,  wie  die  oben  ange- 
führten Ortsnamen;  nur  die  russische  Sprache  kennt  noch  den  in  die 
Urverfassung  reichenden  Begriff  »carina»  in  der  Bedeutung:  Ein- 
friedung, H  ü  r  d  e.*)  Seine  Frau  hieß  folgerichtig  »cara»,  wird 
aber  in  dieser  Form  nur  mehr  im  Hebräischen  als  »Sara»  gebraucht 
in  der  Bedeutung  bezw.  Übersetzung :  angeseheneFrau.  Für- 
stin. —  Im  Baskischen  ist  nzar»  =  der  Älteste,  der  Alte,  der  Ehr- 
würdige. —  Der  Beginn  des  Namens  »caDi  als  Ältester  einer  Ge- 
meinde verliert  sich  bereits  im  Nebel  der  vorhistorischen  Zeit,  denn 
die  Ägypter  bezeichneten  mit  «Zar»  schon  den  Kommandanten  einer 
Festung  (z.  B.  Tyrus),  und  im  Kymbrischen  ist  »car»  auch  schon 
identisch  mit  Festung.  Sie  kannten  auch  eine  Stadt  am  Meere, 
namens  »Zar«,  und  verzeichneten  als  Eigentümlichkeit  derselben,  daß 
man  ihr  Süßwasser  mittels  Schiffen  zuführen  müsse,  was  bei  »Zara» 
einst  zutreffend  war,  wenn  die  vorhandenen  Zisternen  über  den 
Sommer  nicht  ausreichten.  —  Sonstige  topographische  Namen  glei- 

")  Bei  den  Guaiichen  (Kanarische  Inseln)  bedeutet  »carinasK  — 
Flechtwerk;  den  Berbervölkern  ist  »carian»  dasselbe,  also  natürlicherweise 
einen  eingefriedeten  Platz  andeutend. 


chcn  Ursprungs  scheinen  im  deutschen  »Saar«  (Fhil3.  der  an  einem 
Grenzgebiete  vorbeifließt)  und  die  mit  diesem  Begriffe  zusammen- 
gesetzten Ortsnamen  zu  sein;  dasselbe  gilt  für  «Saraievon  (Bosna 
Sarai  =  Verteidigungsplatz.  Festung  an  der  Bosna),  Saragossa,  Sarn- 
thein,  Saarbrücken,  Sardes,  Sarai  (Rußland)  u.  ä..  und  scheint  das 
Grundwort  «car.  sar«  im  innigen  organischen  Zusammenhange  mit 
«cardal<.  certak",  welches  mehr  als  Diminutivum  anzusehen  ist,  zu 
stehen.  (Vergleiche  den  Artikel  wcartak«  und  «cir«.) 

Die  Verteidiger  eines  solchen  befestigten  Platzes  hießen  nun 
iiSaraceni"  oder  ähnlich,  \\as  ja  natürlich  ist,  denn  hieß  z.  B.  die 
auf  60  km  sich  erstreckende,  mit  Forts  reich  besäte  Grenze  gegen 
die  Kirgisen  (Rußland)  die  «Zarizin'sclie  Linie«,  so  hatten  die  Ver- 
teidiger derselben  eben  auch  zur  Kennzeichnung  einen  dementspre- 
chenden  Namen,  analog  wie  der  Kommandant  eines  «ccrtak«  zu  «Ser- 
dar«  wurde. 

Die  wunderlichste  Blüte  völkererzeugender  Ftymologie  ist 
wohl  die  Entdeckung,  daß  einige  Täler  in  der  Schweiz  und  in  Süd- 
frankreich dereinst  von  arabischen  Sarazenen  besiedelt 
wurden,  weil  dies  untrüglich  einige  Pässe,  V  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s- 
und  Beobachtungspunkte  durch  ihren  Namen  w ie :  «Sara- 
zenenstein. Pierre  au.\  Sarassins.  La  jMotte  des  Sarrasins.  \'i  Sarra- 
zin. La  Came  aux  Sarrazins  u.  ä.  beweisen. 

Der  Ethnograph  B.  Reber  erzählt  (fi.  u.  7.  Heft  der  Mitt.  der 
geogr.  Gesellschaft  1907,  Wien),  daß  sich  in  jenen  Gegenden  \iele  mit 
sonderbaren  Zeichen  versehene  Steine  befinden,  die  augenscheinlich 
einst  als  Marksteine  oder  W  e  g  w  e  i  s  e  r  dienten.  Diese  Deu- 
tung ist  vollkommen  zutreffend;  sie  lagen  eben  an  der  Grenze 
(=  cara.  kleine  Grenze  =  carica)  und  die  Bewohner,  die  diese  Gren- 
ze zu  sichern  hatten,  waren  eben  überall  die  «Sarazenen«.  Bis  daher 
widersteht  Reber  tapfer  den  Lockungen  der  gangbaren  Ortsnamen- 
etymologie, die  unter  «Sarazenen«  ausschließlich  arabische  Emi- 
granten sieht;  aber  zum  Schlufic  stellt  er  fest,  daß  die  Anwesenheit 
der  Sarazenen  —  nämlich  der  arabischen  —  im  Alpengebiete 
doch  eine  historische  Tatsache  bleibt.  Es  zeigt  uns  dies, 
welche  dämonische  Kraft  ein  Name  ausüben  kann,  der  sich  in  unse- 
rem Gehirne  w  ährend  der  Studienzeit  eingenistet  hat,  denn  wir  kön- 
nen ims  davon  ebensowenig  trennen,  daß  die  Sarazenen  auch  noch 
wo  anders  sein  konnten,  chne  Araber  zu  sein,  wie  wir  anderer- 


—  14a  — 

SL'its  nicht  begreifen  \\f)llen.  dal'  zwei  grundverschiedeMC  Volksstäni- 
mc  oline  fühlbaren  Sprachkontakt  doch  denselben  Namen  führen  kön- 
nen, w  eil  wir  die  allgemeine  ii  r  s  p  r  a  c  h  1 1  c  h  c  Bedeutung  des 
(iriindwortes  nicht  anerkennen  oder  berücksichtigen  wollen. 

libenso  ist  über  die  Herkunft  und  Bedeutung  des  Begriffes  »car« 
schon  das  Verschiedenste  wie  auch  Unglaublichste  geschrieben  wor- 
den. Als  Beispiel,  w  ie  weit  die  vorstehende  Auslegung  und  die  An- 
sicht des  Hr.  lionegger  auseinandergehen,  folge  hier  des  letzteren 
Meinung  über  dieses  Thema:  «Die  Moskowiter  sind  keine  Slaven. 
Her  beste  Beweis  dafür  ist  der  Name  ihrer  Herrscher  (!).  Kein  Volk 
der  Welt  hat  je  seinen  Fürsten  mit  einem  Fremdworte  benannt,  aus 
dem  Worte  C  z  a  r  aber  konnten  die  vereinten  I5cmühimgen  aller 
panslavistischen  Philologen  kein  slavisches  machen.  Es  ist  ein  un- 
zweifelhaft tatarisches,  asiatisch  wie  die  Sitten  und  (jcbräuchc  am 
Hofe  \on  Moskau«. 

Der  Anlaut  «c«  wurde  jedoch  zugleich  oder  unter  bestimmten 
X'erhältnissen  auch  als  «k«  ausgesprochen,  daher  wir  auch  sehr  viele 
Namen  in  der  Form:  Kar.  K  a  r  a.  K  a  r  n.  C  a  r  n  u  n  t  u  m.  Kara 
Otok,  Kara  üjorgjevic,  Kara  Mustapha  u.  a.  besitzen. 
Sie  kennzeichnen  im  allgemeinen  fortifikatorische  Orenzpunkte.  wie 
z.  B.  im  Grusinischen:  Tor.  Engpaß.  —  «Kara«  bedeutet  dem 
Sla\en  im  allgemeinen  eine  Strafe  Ikarati  =  strafen.  \erw  eisen), 
bei  den  Südslaven  überdies:  Pranger.  Ortsnamen  dieser  Art  deu- 
ten daher  zugleich  auch  auf  einstige  R  i  c  h  t  p  1  ä  t  z  e,  und  solche 
Personennamen  auf  a  n  g  e  s  c  h  e  n  e,  mit  hohen  S  t  r  a  f  r  e  c  h- 
t  e  n  b  c  t  r  a  u  t  e  \'  e  r  t  r  e  t  e  r  \"  o  n  (i  e  m  e  i  n  d  e  n  o  d  e  r  B  e  z  i  r- 
k  e  n.  —  Der  erste  serbische  Fürst  Kara  (Ijorgjevic  ist  also 
durchaus  nicht  der  «schwarze  Georg«,  sondern  ein  Glied  jener  Fa- 
milie, welche  im  Volke  besondere  Ämter  innehatte,  darunter  auch 
mit  «kara«-Rechten  der  slavischen  Verfassung  ausgestattet  war.  Das 
türkische  «kara»  (=  schw  arz)  ist  daher  hier  unrichtig  ausgelegt  wor- 
den; hingegen  übersetzten  die  Osmanen  «Montenegro«  auch  in  »Ka- 
radagh«,  also  ebenso  falsch  in  »Schwarzer  Berg«,  wie  alle  übrigen 
Sprachen,  weil  sie  die  falsche  Namensauslegung  bereits  vorgefunden 
hatten. 

Der  Älteste  einer  solchen  Gemeinde  und  deren  (jcrichtsherr 
hielJ  bei  den  Slaven  «kralj«,  in  der  alten  Form  noch  «Charal«,  woraus 
dann  der  Name   «Karl«  hervorging;  die  Gemeinde,  der  ein   solcher 


vorstand,  sowie  dessen  Sitz,  hieikn  nun:  kralie\o.  kraliestvo.  krai- 
.ie\'ina. 

Übersetzt  wurde  «kralj»  als  «König»  ins  Deutselie.  was  iedocli 
unkonsequent  ist.  da  letzteres  »hon.  kon«  zum  Stannne  hat.  daher 
auch  die  Übertragung  von  »Kralovice»  in  »Karolinental»  richtig. 
»Kräiovc  Hradec.  Krälovo  pole»  in  »Königgratz,  Königsfeld»  hin- 
gegen etymologisch  falsch,  w  cnn  auch  in  der  Bedeutung  identisch  ist. 

Die  Neger  in  Afrika  nennen  auch  die  Sunniie  von  Hütten,  die 
einem  Häuptling  unterstehen:  K  i"  a  1  (K  r  a  a  1). 

Aus  der  bukolischen  Zeit  stammt  noch  der  (lebrauch  bei  den 
Cechen,  daß  zu  Pfingsten,  wenn  das  Vieh  zum  erstenmale  auf  die 
Trift  geführt  wird,  ein  Hirtenkönig  (krälicek)  und  eine  Köni- 
gin (krälovna)  gewählt  werden;  wahrscheinlich  ist  aber  dies  der 
Rest  der  jährlichen  Wahl  des  Verw  alters  für  die  Gemeindehutw  eide. 
ähnlich  wie  dies  beim  Artikel  «Zupa»  geschildert  wurde.  —  .Au^ 
Analogien  ist  es  daher  berechtigt  zu  schließen,  daß  sich  vom  primi- 
tiven Ciemeindeältesten  die  Würde  eines  «kralj».  wie  »Karl»,  zum 
höheren  Oerichtsherrn  und  im  Slavischen  speziell  zum 
Könige  erhöhte.  —  Bei  den  Hebräern  war  »kara»  der  Thoraleser. 
daher  gew  issermaßen  der  Gelehrte  und  geistige  Leiter  der  Gemeinde. 
—  Sonstige  Namen  dieses  Stammes  sind  weiter:  Harrau,  Karava. 
Garrach,  Gariak,  Garac,  Haraberg,  Harachsthal,  Karberg  u.  ä.  Die 
bekannte  alte  Adelsfamilie  «Harrach»  finden  wir  in  alten  Urkunden 
sowohl  in  Bayern,  als  auch  Gberösterrcich.  Steiermark,  Kroatien 
(hier  in  der  Form  «Garac»),  die  untereinander  ursprünglich  gar  nicht 
verw andt  waren,  denn  Inhaber  hoher  Gerichtspri\ilegicn  hießen  eben 
da  und  dort  gleich,  und  überall,  wo  sich  solche  Ortsnamen  erhalten 
haben,  finden  wir  auch  Burgen.  Ruinen  oder  verteidigungsfähige  Hö- 
hen, über  deren  einstige  Bestinmiung  oft  nur  mehr  eine  dunkle  Volks- 
tradition Kunde  gibt. 

Diese  bei  den  Forschungen  aufgefallenen  Daten  juristischer  Rich- 
tung wurden  hier  nur  deshalb  erwähnt,  weil  sie  iminerhin  kleine 
Beiträge  für  das  ältesteGerichts-undGefängniswesen 
liefern.  Ansonst  ist  jedoch  «kar.  kara«,  ebenso  wie  «kor.  gora.  hora« 
nur  ein  G  r  e  n  z  b  e  g  r  i  f  f,  daher  die  alten  Namen,  wie:  Karnische 
Alpen.  Camiolia.  Carantania.  Carnuntum,  Koralpe  (an  der  Grenze  von 
Steiermark  unk  Kärnten)  u.  ä.  nur  wieder  verteidigungsfähig  herge- 
richtete Grenzgebiete  kennzeichnen:  es  haben  daher  die  Ortsnamen: 


Karlin,  Karlovice,  Karadagh,  Charbin,  Charachata  (alte  Fcstungsstadt 
Asiens)  u.  ä.  augenscheinlich  den  gleichen  Ursprung.  Auch  die  häu- 
figen Namen  «Kartschowin«  —  heute  in  der  Bedeutung  Rodung. 
Aufwurf  —  sind  daher  nichts  weiter  als  D  ä  m  m  e  an  Grenzlinien, 
wobei  allerdings  mitunter  Wälder  gerodet  werden  mußten,  um  das 
Kampffeld  zu  lichten.  —  Im  «Keltischen«  bedeutete  «kar« :  die 
Höhe,  dasHaupt.  und  war  «kara«  eben  der  Wachhabende, 
der  V  e  r  t  c  i  d  i  g  u  n  g  s  k  o  ni  m  a  n  d  a  n  t ;  «karaul«  ist  die  W  a  c  h  e 
selbst,  «karaula«  das  W  a  c  h  h  a  u  s,  der  W  a  c  h  t  u  r  rn,  die 
W  a  r  t  e.*) 

Cir.  Darunter  verstellt  der  Russe  noch  heute  die  Grenze: 
«cirkaz,  cerkaz»'  ist  ihm  der  (j  r  e  n  z  w  ä  c  li  t  e  r.  —  Wir  erhalten 
hiedurch  auch  eine  Erklärung  für  das  slavische:  «cirkva,  cirkevK  = 
Kirche,  wie  das  lateinische  »circus«,  denn  dies  sind  ursprünglich 
feste,  verteidigungsfähige  Punkte  zur  Qrenzverteidigung,  also  kreis- 
förmig hergerichtete  Kampfplätze  gewesen.  Die  älteren  Kirchen 
weisen  noch  heute  feste  Umfassungsmauern  auf.  —  Im  Altböhmischen 
hieß  der  Nachtwächter  noch:  cerklif,  cirklir.  — 

Hiezu  gehören  die  Ortsnamen:  Tschirm  (vergl.  auch  das  deut- 
sche Kschirmen« !),  Cierliezko  (neue  Form:  Tirlitzko).  Cire,  Cirkno. 
Cirknik.  2irec.  2irje,  Zirovo,  Zirovisce.  Cerma,  Cernä,  Cerna  gora, 
Cerno  morje  («Schwarzes  Meer«),  Circhov  (Qrenzberg  zwischen 
Böhmen  und  Bayern),  Zernitz  (Grenzort  am  Inn,  Schweiz),  Cernuce, 
Cernovice  u.  a.  Die  \ielen  mit  «crn,  cerny«  u.  s,  w.  zusammenge- 
setzten Ortsnamen  haben  daher  mit  «schwarz«  nichts  zu  tun,  sondern 
sind  einstige  für  den  Kampf  vorgesorgte  Grenzverteidigungspunkte, 
und  v.erden  \\ ahrscheinlich  überall  die  Phi-siognomie  der  Lokalität 
oder  die  Tradition  und  Lokalgeschichte  dies  bestätigen. 

Besonders  bemerkenswert  sind  in  dieser  Hinsicht  «Crna  gora« 
(Steiermark)  und  der  F:uß  «Cerna«  im  alten  Dakien.  —  Wie  die  bei- 
gegebene Illustration  zeigt,  gewährt  der  relativ  niedrige  Berg  einen 
ungewöhnlich    günstigen    und    weiten    Ausblick    nach    allen    Seiten. 

")  Das  angehängte  «aul»  bezeichnet  für  sich  den  verteidigungsfähigen 
Vorraum  bei  Kirchen  und  größeren  Obiekten,  was  wir  noch  heute  als  «aula» 
benennen.  Die  Vorriiume  der  Hituser  am  Balkan,  namentlich  die  türkischen, 
sind  stets  mit  einer  «avliia»  versehen,  die  auch  Schienscharten  (jetzt  Guck- 
löcher), Maschikulis  u.  drgl.  aufweisen.  Dem  Kasaken  ist  eine  Summe  von 
solchen  Obiekten  der  'aul".  d.  i.  das  Dorf. 


w  elchcr  sich  vom  Kircliturme  aus  begreiflicherweise  noch  wesentlich 
hebt;  die  Knppe  selbst  bildet  ein  Konglonieratfelsen,  der  allseits  na- 
hezu senkrecht  geböscht  ist;  gegen  Osten  ist  überdies  ein  tiefer  Ein- 
schnitt, an  den  sich  wieder  ein  schmaler  Bergrücken  mit  beiderseits 
steilen  Hängen  anschließt;  und  dieser  Kamm  führt  heute  den  sprach- 
lich ganz  unverständlichen  Namen:  Form  in,  was  wohl  richtig: 
bormin,  borminje  (=  Verteidigungsplatz)  lauten  sollte.*) 

Es  wird  kaum  welche  Punkte  geben,  die  eine  durch  die  Natur 
selbst  so  günstig  kombinierte  Verteidigungsstellung  nach  zwei  Fron- 
ten mit  derart  schwer  zugänglichen  natürlichen  Flügelstützpunktcn 
hätten,  als  hier.  (Die  beigebene  Abbildung  stellt  nur  den  Tabor-Berg 
dar,  wie  derselbe  im  17.  Jahrhunderte  aussah.) 

iiCrna  gora«  war  sonach  ursprünglich  ein  bewachtes  Grenz- 
gebiet, somit  die  Übersetzungen  in  «Schwarze  Berge,  Montenegro. 
Karadagh«  vollkommen  falsch  sind.  Die  Slovenen  benennen  nach 
einem  bisher  nicht  erklärlichen  Sprachgebrauche  den  Landsturm 
als  «crna  vojska«.  Nun  \\  ird  auch  dieser  Begriff  klar,  denn  man  sagte 
damit,  dies  ist  jenes  Aufgebot,  welches  vor  allem  die  Grenze  zu 
sichern  hat,  also  nicht  das  eigene  Land  verläßt.  Dieses 
wird  weiter  durch  das  polnische  icczern«  erhärtet,  denn  darunter 
verstand  man  jene  Irregulären,  meist  Bauern,  welche  allenthalben  den 
Kasaken  als  Kämpfer  zu  Fuß  heisprangen.  Der  historische  und  ety- 
mologisch richtige  Begriff  der  Slaven  für  den  Landsturm  ist  sonach: 
c  a  r  n  a  oder  cirna  vojska.  Die  Russen  nannten  früher  die  Ab- 
gabe für  die  Grenzverteidigimg  auch:  cornaja    d  a  n. 

Besonders  auffallend  ist  aber  der  Name  des  Flußes  «Cerna«, 
den  schon  lierodot  (44S  v.  Chr.)  nennt,  und  welcher  Name  daher  ein 
ehrwürdiges  Alter  haben  muß,  denn  die  Römer  übersetzten  ihn  auch 
schon  in  «Aqua  nigra«,  weil  in  jener  Zeit  die  richtige  Etymologie 
dieses  slavischen  Namens  gleichfalls  schon  verwischt  gewesen  sein 
muß.  —  Dieses  «Cerna«,  w  elches  auf  Votivsteinen,  Ziegeln,  auf  der 
Tab.  Peutingeriana,  dann  bei  Ptolemäus,  Ulpianus,  also  im  2.  und  .3. 


')  So  erklärte  man  »Cerna  liora«  in  Mähren,  ein  Schloß  auf  einem 
mächtigen  Konglonieratfelsen,  dahin,  daß  der  Nadelwald  (Schwarzwald), 
der  die  Höhe  schmückt,  namengebend  gewesen  sei.  Wie  mir  aber  der  Be- 
sitzer (Oraf  August  Fries)  mitteilte,  ist  obige  Erklärung  richtig,  denn  der 
Felsen  war  früher  kahl  und  bestehe  die  Anpflanzung  erst  seit  dem  .Tahre 
1863,  indes  dieser  Name  schon   viele  Jahrhunderte  urkundlich  bekannt  ist. 

Kl- 


Jalii'luinderte  u.  Chr.  wiederholt  zu  lesen  ist,  war  seit  jeher  in  spraeli- 
licher  Hinsicht  den  schw  indsiichtiRen  Behauptungen  der  Antiauto- 
chthonisten  höchst  ungefügig,  ob  dasselbe  nun  als  «Statio  Tsiernen". 
als  «Dicrnax  oder  uTiernax  geschrieben  erscheint.*)  —  Man  sagte 
sich:  Daß  dieser  Name  zvar  slavisch  klingt,  ist  zweifellos,  aber 
man  müßte  zuvor  beweisen,  daß  dort  je  Slaven  wohnten.  Das  ist 
eine  höchst  absurde  Vorbedingung!  —  Der  slavische  Name  kann  noch 
da  sein  und  ist  noch  da,  wenn  schon  seit  Jahrtausenden  die  Slaven 
daselbst  das  Feld  geräumt  haben  und  die  topographischen  Sprach- 
fragmente  sind  doch  das  reellste  Leitfossil  für  die  Erforschung  frühe- 
rer ethnographischer  Positionen.  —  Auf  Sizilien  gibt  es  slavische 
Namen  in  Fülle  und  deshalb  dürfen  sie  nicht  slavLsch  sein,  weil  wir 
einstweilen  historisch  das  Vorhandensein  der  Slaven  dort  nicht  nach- 
weisen können!  — 

Der  Fluß  «Tierna«  bildete  sonach  die  Grenze  der  »Statio 
Tsiernen,  colonia  Zernensiimi,  municipium  Dierna.  res  publica  Dierna'« 
und  ist  dieser  Ortsname  %\ahrscheinlich  identisch  nut  der  heutigen 
rumänischen  Militärstation  »Cernavoda»  (daher  «.Aqua  nigra«)  an  der 
unteren  Donau.  Hiebei  wäre  es  auch  falsch  etwa  zu  glauben,  dali 
"vodaii  hier  wie  in  Ortsnamen:  Velika  \oda,  Bele  vode,  Suha  voda. 
Dobra  voda  u.  ä.  etwa  »Wasser«  kennzeichnet,  denn  darin  ist  ledig- 
lich das  Grundwort  «vod,  voditi«  (=  Führer,  führen)  enthalten,  womit 
man  festlegen  wollte,  daß  sich  hier  der  Kommandant  der  Grenze,  oder 
jener  eines  Abschnittes  derselben  aufhält,  daselbst  sonach  irgendeine 
Kommandozentrale  postiert  ist.  —  Ortsnamen  wurden  eben  einst  ge- 
nau so  wie  heute  in  gewissenlosester  \Veise  übersetzt,  venmstaltet 
und  neukonstruiert,  und  wäre  es  schon  vom  kulturhistorischen  Stand- 
punkte notw  endig,  diesem  Unfug,  soweit  er  wenigstens  die  Jetztzeit 
betrifft,  endlich  eine  entschiedene  Grenze  zu  setzen  und  die  Namen 
auf  einen  einzigen,  d.  i.  den  historischen  zu  reduzieren. 
Würde  man  damit  nicht  große  Konfusionen  bei  der  Bahn,  Post  und 
.sonstigen  Ämtern  beseitigen  und  sich  selbst  die  Arbeit  erleichtern? 
Wenn  nützt  dies  etwas,  wenn  man:  Gorica,  Gorizia,  Goritzen  und 

")  -Man  .sieht  au.s  den  alten  Naniensfnrmen.  daß  ncir»  das  (jrinidwurt 
\\ar.  und  daß  der  Nanie  spitter  in  »CernaK  überging,  weil  der  Betriff  «cir.' 
mit  der  Zeit  seine  Bedeutung  einbüßte,  d.  h.  weil  das  ähnlich  lautende 
Kcern«  bekannter  war.  Vielleicht  ist  .Cynis.  ebenso  wie  «Sirn  der  daraus 
•gewordene  Hoheitsname. 


üörz  schreibt,  denn  der  IJrnanie  ist  und  bleibt  docli  iigorica»  (—  iiie- 
derei"  Berg),  und  erscheint  trotz  dieser  Entstelhingcn  die  angepaßte 
Naniensform  der  betreffenden  Sprache  doch  fortan  als  ein  Fremd- 
ling! ) 

Hielier  gehören  auch  die  folgenden  Namen: 

Cartak,  Cardak,  Cerdak,  Cardaci  ist  ein  stärkerer  Wachposten 
an  einem  Grenz-  oder  Gebirgswege  oder  an  einem  Passe,  mit 
"der  Bestimmung  den  vordringenden  Gegner  \\  enigstens  so  lange  auf- 
zuhalten, bis  eine  l'nterstiitzung  eintreffen  kann.  Als  Unterkunft 
diente  gewöhnlich  ein  auf  vier  Pfeilern  ruhendes  Blockhaus  (siehe 
beigegebene  Skizze),  welches  15 — 20  Mann  als  Besatzung  aufnehmen 
konnte.  Es  war  nach  Tunlichkeit  auf  einem  solchen  Terrainpunkte 
erbaut,  wo  dem  Gegner  nur  die  Passage  knapp  beim  Blockhause  zur 
\'erfügung  war.  Die  Leiter  wurde  nötigenfalls  eingezogen.  Damit 
der  Gegner  nicht  etwa  die  Säulen  absäge,  konnte  man  auch  durch 
den  Boden,  der  mit  Schußlöchern  versehen  w'ar.  schießen.  Das 
[~>urchgangstor  w  urde  selbstredend  geschlossen  oder  verrammelt.  — 
Solche  Cartak's  gab  es  bis  in  die  jüngste  Zeit  an  der  österreichischen 
Miiitärgenze.  Einzelne  Höhen  in  Nordbosnien  und  in  Kroatien  führen 
diesen  Namen,  weil  daselbst  eimal  ein  solches  Blockhaus  stand. 

Betreffs  der  Etymologie  dieses  Wortes  kann  nur  gesagt  werden, 
daß  die  allgemeine  Ansicht,  «cartak"  sei  türkischen  Ursprungs, 
unbedingt  falsch  ist.  «Cardak»  bedeutet  heute  im  Russischen : 
Dachstube,  Raum  unter  dem  Dache.  Erker;  certa  =  die  Grenzlinie, 
daher  ein  «Blockhaus  an  der  Grenze«;  der  jenseits  der  Grenze  Woh- 
nende, galt  als  P  e  i  n  d;  der  Ceche  gebraucht  noch  immer  den  Begriff 
«cert«.  allerdings  heute  nicht  mehr  für  den  physischen,  sondern  für 
den  «höllischen«  Feind.  —  Derselben  Wurzel  sind  auch  im  Latei- 
nischen: certus  =  entschieden,  entschlossen,  certamen  =  Streit,  certo 
=  kämpfen,  streiten.  Ob  nun  «certak«  (wie  man  früher  schrieb)  oder 
«cardak«  richtig  ist,  erscheint  nebensächlich,  denn  auf  jeden  Fall  ist 
dies  ein  Blockhaus  zur  Grenzw  ehr,  aber  kein  türkisches  Wort,  denn 

*)  Hingesren  war  zu  lesen,  daß  man  in  Deutschland  slavische  Orts- 
namen auszumiirzen  beabsichtigt  und  bereits  einifre  umgewandelt  hat; 
so  z.  B.  Onrczenka  in  i'Qorschau»;  Stanislawken  in  «Bergwalde«;  Czer- 
winsk  in  «Schmentau»  u.  a.  ni.  Daß  alle  neuen  Namen  nun  rein  »deutsch» 
klingen  würden,  wird  doch  niemand  behaupten,  und  wozu  einen  wertvollen 
Köder  auswerfen,  um  dann  einen  Weißfisch  zu  ziehen! 


z.  B.  die  ObersteircT  \v  frdcn  nicht  erst  die  Türken  gefragt  haben,  w  ie 
jene  ein  solches  fortifikatorisches  Objekt  benennen,  abgesehen  davon, 
daß  die  ersten  »cartak^s«  ja  gar  nicht  gegen  die  Osmanen  errichtet 
waren.  —  Bekannt  waren  sie  aber  auch  schon  den  alten  Dakiern. 
den  die  haiberhabenen  Arbeiten  an  der  Trajanssäule  (114  n.  Chr.)  in 
Rom  zeigen  als  Verteidigungs  -  Schutzbauten  derselben  gleichfalls 
solche  Blockhäuser. 


S=  Wachzinimer. 
l'  ~  Palisaden. 
Z  =  Leiter. 
K  =  Tor. 


Kig.   13.   Kin  Cartak  in  Obersteiermark   im  .(ahre   16.iO. 


Eine  Schilderung  der  Sicherungsniaßnahinen  und  Alarmbestini- 
mungen  für  die  österreichische  Militärgrenze  aus  dem  Jahre  1816 
sagt:  xUnsererseits  sind  außer  den  Festungen  an  der  trockenen 
Grenze  sowohl  als  auch  am  linken  Saveufer  Wachthäuser.  welche 
man  «Csardaken«  nennt,  in  gewissen  bald  größeren  bald  geringeren 
Entfernungen  von  einander  aufgestellt,  doch  so.  daß  ein  jedes  Wacht- 
haus  seine  beiden  Nachbare  stets  im  Auge  habe,  oder  wenigstens, 
wo  dies  in  Gebirgen  nicht  tunlich  ist.  kein  Fleck  unbewacht  bleibe. 
Sie  stehen  teils  zur  leichteren  Beobachtung  wegen  der  häufigen  und 


stark  Ncrhcercndcii  Aiistrttiingen  der  Save  auf  mehreren  Cichen- 
pfählen.  Pie  wachthabenden  ürenzer  bleibtn  da  eine  ganze  Woche 
lang,  und  müssen  sich  selbst  verkosten.  Es  treten  oft  Fälle  ein,  wo 
man  zu  den  Csardakcn  nicht  anders  als  auf  Nachen  hinschwimmen 
kann.  Die  Schuldigkeit  der  Kordonswache  ist  genau  darauf  zu  sehen, 
daß  auBcr  den  uRastelln-Tagen  (Markttage),  welche  zum  Verkehr 
mit  den  Türken  bestimmt  sind,  kein  Mensch,  sei  er  Christ.  Türk  oder 
.lüde,  aus  Bosnien  herbeikommen.  —  Dann  weiter:  «Piir  den  Fall 
eines  feindlichen  Einbruches  sind  in  der  ganzen  Grenze  die  zweck- 
mäßigsten Anstalten  getroffen.  Mögen  die  Muselmänner  wo  immerhin 
einfallen,  so  ist  die  ganze  Grenze  höchstens  in  4  Stunden  in  Alarm 
gesetzt  und  bereit,  dort  wo  es  nötig  ist,  zu  operieren.  Bei  einer  jeden, 
an  der  Haupstraße  längs  der  Grenze  liegenden  Offiziersstation  sind 
sogenannte  Alarmstangen.  mit  Stroh  umwickelt,  aufgestellt,  und  da- 
neben steht  beständig  ein  Mörser,  w  elcher  in  einem  Nu  geladen  und 
losgebrannt  werden  kann.  —  Im  Fall  des  Türkeneinbruches  geben 
daher  zuerst  die  Csardaken  Feuer,  in  der  nächsten  Station  w  ird  die 
Alarmstange  angezündet  und  der  Mörser  losgebrannt.  Die  nächsten 
Stationen  tun  das  Nämliche  und  so  geht  der  Lärm  in  der  ganzen 
Grenze  mit  der  größten  Schnelligkeit  los.  Jeder  dienstbare  Grenzer 
begibt  sich  nun  bewaffnet  und  in  seiner  Montur  zur  nächsten  Offi- 
ziersstation. Ordonnanzen  benachrichtigen  das  Regimentskommando, 
dieses  die  Brigade  und  so  ist  die  ganze  Grenze  in  möglichst  kurzer 
Zeit  schlagfertig  und  im  Aufstände».  —  In  ähnlicher  Weise  w  ird  dies 
auch  in  den  sonstigen  Gegenden  \'orbereitet  gew  esen  sein. 

Ein  etymologisch  sonderbarer  Ortsname  ist  Podcetrtek  (deutscli: 
Hörberg)  in  Untersteierniark.  Dem  deutschen  Namen  nach  zu 
schließen,  nannte  man  den  isolierten  Berg  zuerst:  gora  (=  Berg); 
als  später  am  Fuße  des  Berges  eine  Ansiedlung  entstand,  die  sich  auf 
dem  Felsberge  mit  einem  «certak,  cartak»  sicherte,  hieß  diese  »Pod- 
certak«;  nachdem  mit  der  Zeit  dieser  Name  unverständlich  wurde, 
machte  man.  da  in  der  Nachbarschaft  auch  ein  «Podsreda»  (Mont- 
preis)  existierte,  ein  Podcetrtek  (=  U  n  t  e  r-Donncrstag)  daraus. 

Der  Kommandant  eines  «cartak»  hieß  sinngemäß  ursprünglich 
wohl  i'cart.  cert".  und  galt  dies  dereinst  als  Hoheitsname  für  den 
Befehlshaber  eines  festen  Platzes,  wie  man  dies  auch  dem  Römer- 
steine von  Videm  (Untersteiermark)  entnehmen  kann,  der  wohl  \on 
den  Ruinen  der  Stadt  Nevioduiuim,  jetzt  »Duncj»  bei  Gurkfeld,  her- 


rührt.  Dif  Aufschrift  lautet:  »Invicto  Tcu  Charto  Nuviod.  Suiiiiii.  . 
was  wohl  als:  dem  iinbezw  iingcncn  Ootte  Cart,  dem  Höchsten  von 
Nev.K  übersetzt  w  erden  muß.  —  Ansonst  heißt  ein  solcher  Funktionär 
nicht  nur  bei  den  Balkansla\en.  sondern  auch  hei  den  Türken.  Persern 
so  wie  allen  mittelasiatischen  Völkern  «serdar«  (richtiger  »cerdar«. ) 
und  «cerikas«  {=  Cerkez;  im  Spanischen:  «dela  Gerda«  als  läufiger 
Famiüenname)  in  der  Bedeutung:  Häuptling.  Feldherr. 

Wahrscheinlich  ist  der  deutsche  Begriff  «Scharwache»  auch 
dieses  Ursprungs. 

Ansonsten  konniien  oft  noch  Namen  wie:  c  e  r  t  o  \-  kamen, 
c  e  r  t  o  V  a  s  k  a  1  a  für :  Grenzstein,  ürenzfels.  c  e  r  t  o  v  a  b  r  a  z  d  a 
für:  Grenzwail  (nicht  «Teuf eisfurche)  u.  ä.  vor. 

Palanka.  Diesen  Namen  führen  viele  hölzerne  Blockhäuser  auf 
dem  Balkan,  deren  Verteidigungsstärke  ursprünglich  feste  Palisaden- 
hindernisse bildeten.  Der  Südslave  versteht  unter  «palanka.  planka« 
den  Zaun  pfähl,  den  Eichenpfosten  in  einer  Holzumfriedung;  im 
Russischen  ist  »Palanka«  schon  zum  Begriffe:  Befestigimg.  Pfahl- 
werk, ein  durch  Palisaden  gesicherter  Ort  geworden  («paija  =  Pfahl). 
Ortschaften  wie:  Pal,  Pale,  Paiievdol,  Lom-Palanka,  Palcic,  Palitz. 
Palic.  Palovic.  Plankcnstein,  Plankenwart,  Plankstadt.  Blankenbnrg 
u.  ä.  sind  dieses  Ursprungs  —  Diente  zur  Sicherung  einer  Ansiedlimg 
ein  derartiges  Verteidigungsobjekt,  ein  Bau  aus:  pal,  pala,  palka  (das 
deutsche  «Pfahl«  ist  dasselbe),  so  wurde  daraus  der  Name:  palat. 
palac,  palat  a,  palaca,  palas.  Palast,  also  ein  festes  Ob- 
jekt, in  welchem  auch  der  Verteidigungskommandant:  Pallas,  P  a- 
1  a  d  i  n  d.  i.  in  der  «Pfalz«  w  ohnte. 

Der  älteste  geschichtliche  Name  dieser  Art  ist  der  «Mons  Pa- 
latinus«,  der  zugleich  als  der  älteste  Teil,  als  die  Uransiedlung  Roms 
gilt.  Die  einstige  starke  Uinwalhmg  aus  mächtigen  Tuffblöcken  hat 
sich  zum  Teile  bis  heute  erhalten. 

Die  griechische  «Phalanx«  hat  ursprünglich  wohl  nur  vom 
Kampfe  hinter  den  Palisaden  ihren  Namen  erhalten,  ebenso  wie  die 
deutschen  Begriffe  p  I  ä  n  k  e  1  n.  P  1  ä  n  k  1  e  r  dieses  Ursprnngs  sind.*) 

Tur,  Tuf,  Turje,  Turan.  Türingen,  Türken,  Tauris.  Taurisker. 
Tour,  am  Thiiry  (Wien).  Dornau  u.  ä.  haben  alle  «tur.  dur,  tor,  dor« 


*)  Es   ist   aller   wahrscheinlich,   daß    «pal»    luit    »pnl«    or^^anisch  ver- 
\\:iiKlt  ist.  üeiiii  solche  NOrkehruiiRen  befanden  sich  cbcu  an  der  Grenze. 


zur  ( Jni!idlay.X'  und  weisen  auf  l'inikte,  die  diiivli  1' ii  i  in  e.  Tore. 
['  in  f  r  i  e  d  ii  n  ^  e  ii,  k  r  e  i  s  f  ö  r  ni  i  k'  ji  e  i  ü  li  r  t  e  M  a  u  e  r  n  und 
dr'.il.  ;^csieliert  waren.  Diese  oder  wenigstens  eine  or^aniseh  \ei'- 
w  andte  Bedeutung  haben  alle  Begriffe  dieser  Wurzel  in  den  meisten 
Spraehcn.  In  den  scinit'sehen  Spraehen  ist  «tur«  =  Berg.  Gebirge, 
die  V  e  rle  id  i  gu  n  gs  f  ä  h  i  g  g  e  ni  a  e  h  t  e  Höhe;  die  gleiche 
Bewertung  hat  es  auch  im  Keltischen.  IMe  romanischen  Sprachen  ge- 
brauchen «turris,  tiieor  (beschützen),  tnnr,  torre« ;  griechisch  »n'^rrft,-« 
and  )ir('ppos«  (befestigtes  Hans,  [5urg).  Der  Siovenc  kennt:  «tori.sce« 
(~  Kampfplatz),  »tiircatix  (=  wettkämpfen),  «turkati«  (=  bedrängen), 
«turlatix  (=  durchbohren,  «turatin  (~  sich  balgen),  «duriw  (=  Türe), 
womit  auch  die  innige  ^■erw  andtschaft  mit  dem  deutschen  «T  ü  r« 
hergestellt  ist,  und  war  der  erhöhte  Platz  «am  Thury«  in  Wien  so- 
nach einst  lediglich  ein  wichtiges  Stadttor.  Die  »Hohen  Tauern» 
nennt  der  Slovene  heute  «Visoki  Turi«,  die  man  aber  i.  J.  705  n.  Chr. 
r.och  als  «Mons  Durus«  bezeichnete.  Derselben  Bedeutung  ist  das 
deutsche  «turnenic  (~  kämpfen,  sich  zum  Kampfe  stärken),  wie  das 
französische  «tour»  (=  der  Platz  zwischen  zwei  Mauern  oder  längs 
einer  Mauer),  «tourneeK  (=  Rundreise),  dann  das  lateinische  iidurus« 
(=  Festes,  Andauerndes),  denn  was  fest  ist.  d  a  u  e  r  t.  d.  h.  hält  sich 
lange. 

Unter  »Türken«,  —  früher  oft  auch  «'I'orken«  geschrieben  — . 
Iiabcn  wir  durchaus  nicht  die  Osn'.anen  von  Heute  zu  verstehen, 
die  erst  im  Mittelalter  Kuropa  betraten,  denn  das  von  ihnen  dermalen 
bewohnte  Gebiet  hieß  schon  so  vor  Christi  Geburt,  wie  dies  eine 
Stelle  aus  Melas  Schriften  (I.  116)  beweist:  «Budini  Geionion  urbem 
ligneam  habitant;  iuxta  Thyssagetae  Tu  reaeqtie  \'astas  Silvas  oc- 
cupant  alunturque  venando.« 

Bei  den  römischen  Schriftstellern  findet  man  noch  die  T  a  u  r  i- 
n  e  r  (in  Piemont)  und  T  u  r  i  a  in  Spanien.  Plinius  sagt  auch:  »Carni. 
ciuondam  T  a  u  r  i  s  c  i,  tunc  Norici«,  was  nur  beweist,  dali  man  von 
den  Wohnsitzen  der  damaligen  Völkerschaften  nur  \age  geogra- 
phische Kenntnisse  hatte  oder  daß  die  Volksnamen  keine  festen 
waren,  daher  umso  verschiedener  aufgefaßt  wurden,  je  \'ielfacher 
die  namenbietenden  Momente  waren.  —  Die  Stadt  Z  ü  r  i  c  h  nächst 
dem  Turgau  hieß  im  Altertume  «Turiacum«,  wobei  es  auffällt, 
daß  das  anlautende  «t«  seit  den  älteren  Zeiten  u.  z.  in  der  Richtung 
\on  Süden  gegen  Norden,  \-ielfach  in  »z»  überging.  Die  italienische 


Stadt  Djrrachiuin  dürfte  ursprünglich  auch  /rurjak«  gelautet  habcji. 
—  Hiezu  gehören  auch  der  Provinzname  T  y  r  o  1.  dann  Schloß  T  y- 
rol,  Tyrol  (Böhmen),  im  Tyrol  (Gegend  im  Steiermark),  T  y  r- 
ra.  Tyrii  (Schlesien),  Tyraw  a  (Oalizien).  Tyrnau  u.  ä. 

Der  Hoheitsbegriff  dieses  Stammes  hat  sich  in  der  nordischen 
Mythologie  als  Qottname  "Tyr»  (auch  »Thor«),  sowie  ansonst  als 
MTyrann»  erhalten,  worunter  man  ursprünglich  eine  königliche  Per- 
son meinte,  im  modernen  Sinne  aber  einen  gewalttätigen  Herrscher 
\'ersteht.  —  Aber  schon  in  der  vorrönüschen  Zeit  galt  «turan«  als 
Kennzeichnung  für  einen  hervorragenden  Mann,  für  einen  Heros, 
wie  dies  aus  den  Runenaufschriften  verschiedener  alter  Fundobjekte 
hervorgeht,  und  hat  sich  derselbe  in  der  Form:  Tur.  Turk.  Turek. 
Thür.  Türk,  Taurer  u.  ä..  je  nachdem  er  für  die  Ältesten  und  Führer 
einst  angewendet  m  urde.  auch  in  zahlreichen  Familiennamen  erhalten. 

Der  Gott  «Thor«  gilt  auch  als  \\  a  g  c  n  1  e  n  k  e  r.  der  das  Ein- 
spannen der  Rinder  einführte  und  deshalb  das  altgermanische  Attri- 
but «valdi  kiola«  erhielt.  Doch  dieses  «altgcrmanischex  Wort  ist  eben 
das  rcinslavische  «Wagenlenker«,  denn  «vlada.  vladati«  bedeutet: 
lenken,  regieren,  und  «kola«  =  Wagen.  Räder,  obschon 
dieses  wieder  nur  eine  mißglückte  Übersetzung  für  das  homonyme 
«kolox  in  der  Bedeutung  Kreis  ist.  «valdi  kola«  daher  eigentlich 
einen  K  r  e  i  s  v  o  rs  t  e  h  e  r  in  der  Urverfassung  bezeichnet  haben 
nuiß.  —  Solche  sprachlich-chemische  Reinigung  wird  der  germani- 
schen Mythologie  noch  manche  Enttäuschung  und  Überraschung  brin- 
gen, wenn  es  einmal  zur  gründlichen  Prüfung  der  Grundelemente 
kommt. 

xTur«  bedeutet  im  Slavischen  heute  nur  mehr  den  A  u  e  r  o  c  h  s, 
also  das  Sym.bol  der  Stärke,  und  wurden  in  diesem  Sinne  topi- 
sche Namen  auch  ins  Deutsche  übersetzt  (z.  B.  «Turjak«  in  «Auers- 
perg«),  ein  Beweis,  daß  die  Translation  erst  in  jener  vorgerückten 
Zeit  vorgenommen  \\  urde.  als  man  die  primäre  Bedeutimg  von  «tur« 
nicht  mehr  kannte. 

Ähnlich  ist  es  mit  den  Namen:  Tor.  Im  Tor.  T  o  r  f  c  1  d. 
Torka.  Torovo.  Thorn.  Torstätten.  Thörl,  Dor.  Dor- 
nau.  Dorisce  u.  ä..  welchem  «tor«  zugrundeliegt.  «Tor«  heißen 
bei  den  Balkanslaven  jene  Weideplätze,  welche  mobil  umzäunt 
sind.  d.  h.  die  Herde  wird  in  einem  mit  geflochtenen  Hürden  umgrenz- 


teri  Weideraunie  eiiiKeschlossen  gehalten;  nach  der  Abgrasung  der 
einen  Stelle  werden  die  Zaunteile  w  ieder  w  eiter  umgestellt.  Es  ge- 
schieht dies  beluifs  Erspaning  einer  permanenten  Aufsicht  in  jenen 
üegenden,  \\o  sonst  Feldschäden  schwer  hintanzuhalten  wären.  In 
solchen  (legenden  entstanden  aber  gleichfalls  S  c  h  u  t  z  h  ii  1 1  e  n  für 
die  Hirten,  —  denn  die  Herde  war  ja  dadurch  vor  Raub  nicht  sicher 
— .  die  mit  der  Zeit  zu  festen  Aussichtsobickten  w  urdcn.  welche  wir 
als  )it  u  r  n.  T  u  r  m.  t  o  u  r,  t  u  r  r  i  s.  t  o  r  r  c.  T  o  r«  kennen,  und  w  ei- 
che Bauw  erke  auch  Aiisiedlungen.  w  ie :  T  o  u  r  s.  T  u  r  n  i  s  e.  1"  u  r  n 
am  Hart,  T  u  r  n  a,  1"  u  r  n  a  u.  T  u  r  n  i  t  z,  T  ü  r  n  i  t  z  u.  ä.  einen 
bleibenden  Namen  gegeben  haben.  —  Der  sukzessive  Übergang  die- 
ses Begriffes  vom  bukolischen  ins  fortifikatorische  Gebiet  ist  hier 
noch  recht  anschaulich;  desgleichen  ist  es  augenscheinlich,  daß  der 
primäre  Begriff  den  Slaven  angehörte,  weil  er  in  dieser  Fassung 
noch  heute  nur  ihnen  verständlich  ist. 

Grad,  Oradina.  Qradiste,  Qradiska,  Grades,  üratz,  Grätz,  Grade, 
Hrad,  Hradek,  Hradisko,  Hradiste  und  ähnliche  sind  überaus  zahl- 
reiche mehr  oder  w  eniger  schwer  ersteigbare  Höhen, 
auf  welchen  sich  die  Kampffähigen  sammelten,  sobald  feindliche 
Gefahr  signalisiert  war.  -  In  den  meisten  Fällen  scheinen  dies  zu- 
gleich Friedhöfe  gew csen  zu  sein,  den  »grad,  hrad«  bedeutet  das 
«Umfriedete)!,  daher  auch  der  deutsche  Begriff  kaum  von  «Friede«, 
sondern  vom  «umfrieden»  stammt.  —  Solche  Plätze  sind,  abgesehen 
von  den  bis  nun  erhaltenen  Namen,  meist  darnach  leicht  zu  erkennen, 
daß  auf  dem  höchsten  Punkte  oft  noch  jetzt  Steinschutt  liegt,  denn 
«gradina«  bedeutet  auch:  Ruine,  Schutthaufen,  weil  sich 
die  Bezeichnung  in  der  Bedeutimg  dementsprechend  metamorpho- 
sierte,  als  das  benannte  Objekt  auch  einer  Änderung  unterlag; 
überdies  ergeben  (jrabungen  an  solchen  Stellen  in  den  meisten  Fällen 
Funde  aus  prähistorischer  Zeit. 

Böhmen  hat  viele  Himderte  diesen  Namen  tragender  Lokali- 
täten; das  gleiche  ist  aber  auch  in  allen  sonstigen  Provinzen  Öster- 
reichs wie  am  Balkan  der  Fall.*')  —  Der  slavische  Name   i'hradek« 

')  In  dieser  Hinsicht  k'ibt  das  Werk:  Ȇber  Schutz-  und  Wehrbauten 
aus  der  vorgeschichtlichen  und  älteren  geschichtlichen  Zeit«  (Prag  1885) 
viim  Konservator  Bretislav  Jelinek  geradezu  überraschend  stimmenden 
und  meine  Forschungsergebnisse  voll  hestütigcnden  .Aufschluß.  Der  Ver- 
fasser ziihlt  mit  zu  den  Wenigen,  die  bisher  den  Mut  hatten,  auf  Basis  ihrer 
eigenen  Forschungsresultate  die  Slaven  offen  als  Autochthone  zu  er- 
klären. 


wurde  mitiiiiter  \crballhonit  in.  f:  r  d  b  c  r  g.  H  a  r  d  e  g  K.  "lirad« 
zu:  Hart,  Hartberg.  Stargard  u.  ä.  --  Der  6ft  ni  hohe  felsige 
Verteidigungsplatz  bei  Syrakus  hieß  bei  den  üriechen:  A  c  h  r  a  d  i  ii  a 
(ohradina);  die  zwei  damals  bekannten  Steinbrüche  (Latoniia)  in 
der  Nähe  lieferten  wohl  die  Steine,  um  damit  von  der  Höhe  die  etwa 
anlandenden  feindlichen  Ruderschiffe  zu  beschädigen  oder  fernzu- 
halten. —  Sonstige  Namensformen  sind  noch:  Cirotschke  (bei 
Querfurt).  O  r  o  d  i  s  t  e.  Hradisfany  (woraus  »Radelstein« 
wurde).  0  rod  no  u.  s.  w.  Im  polnischen  Gebiete  wird  es  meist  als: 
G  r  6  d.    G  r  u  d.    G  r  u  d  e  k  u.  ä.  geschrieben. 

Jene  Punkte,  die  eine  Tal-,  Fluß-  oder  Paßsperre  bilden,  füiuen 
oft  den  Namen  «pregrada«  (=  Absperrimg).  Pregratten,  Prä- 
garten u.  ä. 

Bemerkenswert  ist  noch  der  Begriff  iiVinohrady«.  der  sonach 
etymologisch  gleichbedeutend  ist  mit  G  r  e  n  z  f  e  s  t  u  ng  («vinK  und 
«hrad«).  Man  versteht  im  Slavischen  darunter  auch  den  Wein- 
garten —  die  u  m  f  r  i  e  d  e  t  e  Rcbenanpflanzung  -  aber  sprachlich 
kann  nur  die  ersterwähnte  Erklärung  die  richtige  sein,  weil  es  auch 
«Weingarten«  und  «Vinohrady«  in  Gegenden  gibt,  wie  z.  B.  Ober- 
stcicrmark,  Oberösterreich,  wo  es  in  historischer  Zeit  mit  Rücksicht 
auf  das  Klima  nie  eine  Weinpflanzung  gegeben  haben  konnte.  Des- 
selben Ursprungs  ist  «FinniandK  und  wahrscheinlich  auch  «Winland-^ 
auf  Labrador,  wo  in  historischer  Zeit  gewiss  kein  Weinbau  war.*) 

')  Eine  itanz  neuartine  AusleguiiK  des  Namens  «Graz«  bringt  Guido 
List  in  der  Broschüre:  Die  Namen  der  Völkerstiimnie  Germaniens  und  deren 
Deutuns  (Wien  19(i9).  indem  er  sagt  (p.  6(i):  »Aber  auch  in  dem  Gebiete 
der  heutigen  Steiermark,  welches  durch  seinen  Namen  »Styria«  und  sein 
uraltes  Wappen  sicli  als  ein  ariogermanisches  Urland  erweist,  erhebt  der 
Slave  seine  raubliisterne  Hand  nach  urheiligem  germanisch-deutschem  f:rb- 
besitz.  hl  erster  Linie  handelt  es  sich  um  die  Hauptstadt  Graz  an  der  deut- 
schen Mur  wie  oben  in  Böhmen  an  der  deutschen  Moldau  um  die  Haupt- 
stadt Prag,  auf  deren  deutschen  Namen  und  deutschen  Ursprung  wir  noch 
eingehend  zurückkommen  werden.  Der  in  Graz  verstümmelte  deutsche 
Name  lautet:  Creuz  und  war  i.  J.  17.35  noch  unvergessen.  Die  heutige 
Namensform  ist  einfach  durch  lautliche  Abschleifung  aus  Kreuz  entstan- 
den und  hat  mit  dem  slavischen  «gradec«  gar  keinen  Zusammenhang.  Aber 
unsere  h^irschcr  der  alten  Schule,  die  keinen  Begriff  von  einer  Ur- 
sprache haben  und  über  das  Althochdeutsche  nicht  hinauskonnten,  verwie- 
sen jeden  unverständlichen  Ortsnamen  aus  Bequemlichkeit  entweder  in 
das  Slavische  oder  Keltische,  um  so  seiner  los  zu  werden  und  nicht  sagen 


Bor.  Die  Ortsnamen  dieses  Stammes  bezeichnen  eine  Höhe, 
welche  einst  als  Verteidigungspunkt  diente  («bor«  slav.  Kampf, 
«boritiii  =  kämpfen).  Alle  Ürtlichkeiten  wie:  Bor.  Borac, Borak. 
B  o  r  0  V  o.  B  o  r  a  11.  B  o  h  r  a  u.  B  o  r  k  i.  B  o  r  c  k,  B  o  f  e  ti  c  e. 
B  o  r  g  o,  B  o  r  i  e.  B  o  r  o  v  u  i  c  a.  B  o  r  o  \-  .1  e.  B  o  r  o  \-  c  a.  Bor  o- 
\'  a  n.  Bor  ö  \'.  B  o  r  o  w  a.  B  o  r  o  w  Ina.  B  o  r  o  w  i  e  c.  Bor  y. 
15  (>  r  >■  s  1  a  w .  B  «  r  sehe  n.  H  o  c  h  b  o  r  r  e,  M  o  c  h  b  o  r  n.  V  o- 
r  a  II,  \  o  r  d  e  r  n  b  c  r  g  ii.  ä.  sind  dieser  Abstammung.*)  —  Die  erste 
Fixierung  dieser  nun  so  einfacli  scheinenden  Erklärung  war  außer- 
ordentlich schwierig,  da  die  sonstigen  gleichlautenden  Begriffe,  als: 

/.u  iiiiisseii.  dal.'i  sie  uiifiiMi;^'  wiircii,  ihn  zu  erklären.  Welch"  traurige  Folgen 
sie  damit  heraufbeschworen  das  bedarf  wahrlich  keiner  besonderen  Kr- 
wahiiu'ig.  Auch  die  modernen  Koiiversations-Lexika.  wie  Brockhaus,  Meyer 
usw..  schreiben  unkritisch  den  verderblichen  Unsinn  der  slavischen  .Ab- 
stammung von  Graz  und  vieler  anderer  Ortsnamen  nach;  und  gerade 
deren  Redaktionen  hatten  die  nationale  Pflicht,  derartigen  Wahnsinn  nicht 
unkritisch  ins  Volk  zu  tragen.  —  Es  würde  für  sich  ein  Buch  allein  füllen, 
die  h'luO-,  Berg-,  Flur-  und  Ortsnamen  der  schönen  deutschen  Steiermark 
auf  ihren  ausnahmslos  a  r  i  o-g  ermanischen  Namens  Ur- 
sprung zurückzuführen  usw.«  Der  Kepochemachende»  Etymologe  erzählt 
auch.  daf:i  «Creutz«  die  mundartliche  Bildung  aus  »Krajan«  ist  und  Kreid- 
feuer (.Alarmzeichen)  bedeutet;  nun  ist  aber  «kraian«  erst  recht  slavisch. 
denn  es  bezeichnet  den  (1  r  e  n  z  n  a  c  h  b  a  r.  auch  Lands  m  a  n  n,  und  die 
nKreidfeiier«  sind  eben  teuersignale  an  der  bedrohten  Grenze.  —  Mit 
dieser  Beweisart  kommt  Guido  List  auf  keinen  grünenden  Zweig,  es  wäre 
denn,  dal!  er  hiemit  lediglich  eine  andere  .Art  von  .Auslegung  der  »Freiheit 
in  dei  Forschung»  einführen  ■:.'ill.  —  Das  zur  Deutung  angekündigte  »Prag« 
bildet  gleichfalls  eine  Überraschung,  denn  es  sei  nicht  slavischen  Ursprungs, 
sondern  ein  aus  Urzeiten  herüberragender  ariogermanischer  Urort,  namens 
Parhaag»,  entstanden  aus  «par»  =  Wald,  Park,  und  «haag«  =  e  i  n- 
'„beschlossen,  sonach :  der  heilige  Bannwald  des  Halga- 
Uoms  (Heiligtums!)  —  Es  seien  hier  noch  einige  etymologische  Geistes- 
blitze angeführt,  wie:  Kikinda  -  ein  kindergebender  Ort,  eine 
Zeug  u  n  g  s  s  t  ä  1 1  e :  Krems  =  Stätte  eingeschlossener  Ver- 
mehrung; Wien  ="-  Männer  des  freudigen  (iewinnes;  Lai- 
bacli  ^-  \' (1  m  Sonnenfeuer  umstrahltes  Gesetz;  .Agram  (Za- 
greb )  =  die  von  der  Sonne  aus  der  Erde  Her  \orge  brach- 
ten: Volci  =  Wissenskeim  usw.  —  Gutmütigkeit  kann  man  den  Mit- 
gliedern der  Guido-List-Gesellschaft  gewiß  nicht  absprechen,  wenn  sie 
solche  «\\  issenschaft»   geduldig  ertragen. 

'■)  Auch  Burgund  lautet  in  den  ältesten  Nameiiifornien  micli:  B  o  r- 
ringja  (Saxo  Gramat.).  —  Barkau  (bei  Lübeck)  hieß  i.  J.  I..^I6  noch: 
B  o  r  e  o  w  e. 


bor  -  Föhrcnwald,  vor  =  Überfuhr,  borovnica  =  Heidebeergegend, 
irreführend  waren  oder  doch  zur  Vorsicht  mahnten.  Erst  als  an  ver- 
schiedenen Punkten  Europas  festgestellt  wurde,  daß  sich  einzelne 
Namen  in  solchem  Terrain  vorfinden,  wo  von  Föhren,  Fähren  oder 
Meidelbeeren  nie  die  Rede  sein  konnte,  dabei  aber  stets  Burgen. 
Ruinen,  Friedhöfe  u.  drgl.  vorfindbar  waren,  konnte  endlich  die  Deu- 
tung offen  ausgesprochen  werden,  und  dürften  die  Nachprüfungen 
allerorts  dasselbe  Resultat  ergeben. 

\iele  Namen  dieser  Richtung  gibt  es  aber  auch  in  der  Form; 
Orel,  Orlik  (meist  \orHk  ausgesprochen),  Orlow,  Orlovac.  Orlinka, 
Orlamünde.  Arlberg  u.  ä.  —  Während  im  Südslavischen  und  Roma- 
nischen das  anlautende  kB«  sprachgebräuchlich  verloren  ging,  nahm 
es  in  den  sonstigen  Gebieten  bisweilen  infolge  der  gangbaren  alten 
Schreib\\  eise  (b  und  v  als  —  u)  gleichfalls  die  abgeschliffene  Form 
an.  — 

In  dieser  Bedeutung  ist  aber  «bor«  auch  schon  in  der  ältesten 
angelsächsischen  Sprache  bekannt,  in  welcher:  Borhoe,  Borgh, 
Borge,  Byrig  identisch  ist  mit  dem  deutschen  Burg,  ursprüng- 
lich einen  geschützten,  zur  Zuflucht  vor  feindlichen  Angriffen 
dienenden  Platz  bezeichnend.  An  der  Spitze  einer  solchen  Gemeinde 
stand  der  «portgerefa«  (=  Burggraf).  —  In  der  Verfassung  Englands 
nach  der  Eroberung  durch  die  Normannen  hießen  diese  Verteidigungs- 
bezirkskommandanten, die  unmittelbar  dem  Könige  unterstellt  \\aren, 
«borough«.  und  erkennt  darin  der  Slave  sofort  sein  «porok«  (Slovene) 
«poruka«  (Russe),  das  auch  im  Deutschen  richtig  zu  «Bürgen,  d.  i.  der 
Verantwortliche  wurde :  «Bürger«  sind  daher  anfänglich  d  i  e 
.Ältesten  oder  die  Mitkämpfer  solcher  Gemeinden  gewesen. 

Des  Stanmies  «bor«  sind  auch  die  Formen  »port.  porta.  portus, 
Pforte«,  also  Punkte,  wo  man  Schutz  sucht  oder  Einlaß  heischt,  sei 
dies  nun  ein  Hafen  oder  sonstiger  sicherer  Bau  (Tor).  —  Die  slove- 
nischen  Fischer  an  der  Adria  nennen  jene  kleine  Buchten,  die  ihren 
Fahrzeugen  bei  stürmischer  See  Schutz  bieten,  «portic«,  und  ist  die 
bekannte  Burg  «Malepartus«  in  dem  7ierepos  «Reineke  Fuchs«  nichts 
weiter  als  der  befestigteSchutzort  sowie  die  «Hohe  Pforte« 
—  diehöchste  Staatsgewalt. 

Als  Vorsorgen  für  die  \'erteidigung  entstanden  auf  hiezu  gün- 
stigen Punkten  einfache  Schutzhütten  und  Deckungen:  diese  wurden 
aümählig  verstärkt,  mit  krenellierten  Mauern  versehen,  schwer  zu- 


yänglich  gemacht  und  schließlich  zu  festen  Burgen  und  Schlössern 
ausgebaut,  welche  oft  mit  mehrfachen  Ringmauern  umgeben  waren; 
für  die  Lebensbedürfnisse  (Wasser.  Proviant,  Munition)  wurde  der- 
art vorgesorgt,  daß  man  für  einige  Zeit  auch  ohne  Verbindung  mit 
auswärts  die  Verteidigung  führen  konnte. 

Der  ursprüngliche  Wach-  und  Beobachtungsdienst  wurde  mit 
der  Zeit  permanent;  der  Älteste  der  Gemeinde  oder  des  Schutzbe- 
zirkes nahm  schließlich  sein  Quartier  ständig  im  Verteidigungsbau, 
und  auf  diese  natürliche  Art  bildete  sich  das  Burgenwesen  auf  den 
durch  die  Bodenplastik  begünstigten  Funkten  in  ganz  Kuropa  aus. 
Das  ist  die  komprimierte  Geschichte  der  Entstehung  und  Entw  icklung 
der  Ritterburgen  und  des  Adels,  sowie  der  allmähligen  Umwandlung 
der  patriarchisch-allodalen  \'erfassnng  in  die  feudale. 

Hiemit  finden  auch  Ortsnamen,  wie:  Maribor  (Marburg), 
Straßburg.  Ratbor.  Chotebof,  Branibor  (Brandenburg), 
S  i  e  g  e  r  s  b  u  r  g  u.  s.  w.  endgültige  Erklärung. 

Ebenso  sind  die  heutigen  \'ornamcn.  wie:  B  o  r  c  s.  Boris, 
B  o  r  u  t.  B  o  i"  i  t  a,  B  o  f  i  v  o  j,  B  o  r  o  j  e,  B  o  r  i  s  I  a  v  u.  a.  einst  nur 
die  verschiedenförmigen  Berufsnamen  für  die  Ältesten  einer  solchen 
Gemeinde  gew  esen,  und  ist  der  heutige  Adelsgrad  i<Baron«  (=  Frei- 
herr) wohl  nur  einer  vorausgegangenen  Form  «boro,  boron«,  so^\  ie 
die  Bezeichnung  für  die  Verteidiger  selbst  als:  «bortasi,  portasi«  (z. 
B.  in  der  Gegend  von  W.  Meseritsch)  zuzuschreiben.  —  Auch  die 
Basken  gebrauchen  «borii  in  gleicher  Weise  wie:  «borma»  =  Mauer- 
werk, «bortchav   =  Kraft,  wborroka»  =   Kampf,  das  Ringen. 

Eine  weitere  Spezialität  sind  die  Tief-,  Moos-  und  Was- 
serburgen, bei  welchen  ein  Wasserlauf  als  Annäherungshindernis 
verwertet  w  urde,  wenn  in  der  Nähe  keine  oder  keine  günstige  Höhe 
für  eine  Verteidigungsanlage  vorhanden  war.  —  Die  Kastelle  in 
Ungarn  gehören  fast  durchwegs  in  diese  Kategorie.*)  (Hiezu  Abbil- 
dimg der  Wasserburg  Fe  ist  ritz  in  Steiermark.) 


'')  Der  Etymologie  wie  der  BedeutunK  nach  mit  »hör,  vor»  verwandt 
sind  auch  das  französische:  Fort  (Feste),  force  (Macht),  das  lateinische 
Kfortls«  (kräftig),  «fortitudo»  (Tapferkeit),  das  italienische  «forza«  (Kraft) 
und  andere  stamm-  und  sinniihnliche  Begriffe. 


161 


Trojaburgen.  Im  nördlichen  Europa  gibt  es  zahlreiche  labyrin- 
thische Steinsetzungen,  welchen  die  Wissenschaft  die  sonderlichsten 
Entstehungen  und  Verwertungen  zuschreibt,  wie,  daß  dies  Zauber- 
stätten, prähistorische  Observatorien  (obschon  sie  verschieden  orien- 
tiert sind)  oder  Plätze  für  heilige  Tänze  nackter  Jünglinge  und  Jung- 
frauen seien.  Mir  ist  zwar  keine  solche  «Trojaburg»  von  Augenschein 
bekannt,  (siehe  Abbildung),  aber  ich  halte  dieses  Steinarrangement 
lediglich  für  einen  Sammel-   und  Qrenzverteidigungsplatz,   welcher 


Fig.  15.  Grundriß  einer  Trojaburg. 


deshalb  so  angelegt  war,  um  für  die  eigene  Rettung  einen  Vorsprung 
zu  haben,  wenn  einmal  der  Gegner  nicht  mehr  gehalten  werden 
konnte.*)  Es  handelte  sich  dabei  um  die  Erreichung  eines  Vorteiles 
für  die  letzte  Verteidigung,  denn  der  Kundige  war  darin  wohlorien- 


')  Das  griechische  i'jQooQ"  bedeutet  auch:  versammelt,  ver- 
eint. —  Die  Etymolosie  ist  noch  unklar,  doch  kann  die  griechische  Spra- 
che bei  den  Namen  auf  slavischem  Boden  nicht  allein  entscheidend  gewesen 
sein.  — 

11 


—  162  — 

tiert,  indes  der  fremde  Eindringling  in  den  verworrenen,  eingeschnit- 
tenen und  mit  «erratischen«  Blöcken  begrenzten  Gängen  in  eine 
höchst  gefährliche  Situation  und  dabei  beim  Handgemenge  zum  Nach- 
teile kam.  da  er  von  allen  Seiten  bedroht  war.  Es  sind  diese  sonach 
nichts  weiter,  als  die  Uridee  der  Labyrinthe,  deren  wir  mehrere  aus 
dem  Altertume  kennen,  die  ja  auch  nur  Verteidigungszwecken  dien- 
ten, und  scheint  es,  daß  die  Irrgänge  lediglich  den  Zweck  hatten,  den 
Verfolgern  den  Weg  zu  erschweren  und  den  Geschlagenen  Zeit- 
gewinn zu  bringen,  denn  solche  Trojaburgen  liegen,  ebenso  wie  die 
Labyrinthe,  fast  durchwegs  in  der  Nähe  von  Meeren,  Seen  oder  Ge- 
wässern; es  handelte  sich  daher  bei  diesem  Baue  vielleicht  weniger 
um  den  hartnäckigen  Widerstand  selbst  als  um  den  dadurch  gesi- 
cherten Rückzug  und  die  Pesorientierung  des  Gegners.  *) 

Viele  Orte  dieses  Namens  liefen  aber  auf  verteidigungsfähigen 
Punkten,  so:  Troja  (am  Idaberge).  Troja  (Italien,  auf  einer  .Anhöhe). 
Trojan  (Bulgarien,  auf  einem  Balkanpasse).  Troja  (bei  Prag).  Troia- 
novice  (am  Radhost),  Trojana  (Krain)  u.  a.**) 

Obri.  Oherdcrf  Oherklee  Oberhöhe.  Oberfeld,  Obereck,  Obern- 
dorf, Oberstdorf,  Obernan,  Obora,  Obris.  Obfistvi,  Obrh,  Obrsje, 
Obrovac,  Obrlln  u.  a.  deuten  auf  eine  v  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  f  ä  h  i  g  c 
oder  technisch  \'  e  r  s  t  ä  r  k  t  e  H  ö  h  e,  wobei  «bor«  die  Wurzel 
zu  bilden  scheint  und  sich  zum  Sammelbegriffe  «obora«  entwickelte. 
—  Unter  »Obri«  sind  die  Verteidiger  zu  verstehen,  wozu  be- 
greiflicherweise die  größten  und  stärksten  Männer  herangezogen 
wurden,  daher  der  Slave  unter  «obr«  stets  einen  starken  Mann. 
Riesen  versteht.  Die  Hoheitsbegriffe  waren  «Obrist«  (Oberst), 
wobei  die  Bedeutung  des  Großen,  des  Riesen  später  vom  p  h  y  s  i- 
schenzumsocialen  Standpunkte  umgewertet  wurde.  Die  Vor- 
steherin eines  Klosters  wurde  folgerichtig  zur  «Oberin«. 

Die  alten  Deutschen  benannten  Leute  von  hohem  Wuchs  als 
«Hünen«  (Hewn.  Hennen  im  Nibelungenliede),  woraus  in  jenen  Spra- 


*)  Das  intensive  Bestreben  von  heute,  genaue  Zeichnungen  von  Fe- 
stungen fremder  Staaten  zu  erreichen,  hat  den  gleichen  Zweck;  wo  sie 
stehen,  wissen  wir  ia,  aber  die  Orientierung  im  Innern,  wie  namentlich  das 
Kennen  der  Schwächepunkte,  ist  zunächst  erwünscht. 

**)  Dr.  Hörnes  kam  dieser  .Auffassung  (HUrgeschichte  der  bildenden 
Kunst  in  Europa)  auch  am  nächsten,  denn  ihm  scheint  es.  daß  die  «Troja- 
burgen« den  Umrissen  mehrfacher  Ringwälle  gleichen. 


chen,  die  keinen  Umlaut  kennen,  «Hunnen«  wurde;  die  als  Hünen- 
gräber bezeichneten  alten  Grabstätten  sind  daher  nichts  weiter  als 
Gräber  hervorragender  Männer,  die  einst  im  Kampfe  gefallen  sind, 
und  da  man  Helden  gewöhnlich  dort  begrub,  wo  sie  zusanunenbra- 
chen,  erklärt  sich  der  Umstand  urnsoleichter,  weshalb  solche  Hünen- 
gräber meist  nur  Einzelskelette  enthalten.  Der  Begriff  «obr«,  der 
latinisiert  zu  «Avar«  wurde,  ist  sonach  gleichwertig  mit  «Hüne«,  wo- 
bei wieder  das  slavische  «hon«  (Jagd),  kon  (König,  Kunig)  den  sprach- 
lichen Zusammenhang  vermittelt. 

Der  vermeintlich  deutsche  Ursprung  von  «ober«  wird  auch  da- 
durch entwertet,  daß  in  Bosnien,  Montenegro  und  Nordalbanien  einst 
bei  größerer  Gefahr  aus  den  einzelnen  «knez«  (den  Kommandanten 
einer  «knezina«)  ein  «obor-knez«,  also  ein  starkerFührer,  d.  h. 
der  Fähigste  als  Oberbefehlshaber  gewählt  wurde. 

Die  geschichtliche  Behauptung,  es  hätten  erst  die  Avaren  ihr 
«Dienstvolk«  —  die  Slaven,  nach  Westeuropa  gebracht,  ist  daher 
eine  völlig  unbegründete,  und  hat  nur  den  Zweck  und  die  sehr  durch- 
sichtige Tendenz,  sie  in  dem  Momente,  als  deren  Existenz  schon 
nicht  mehr  geleugnet  werden  konnte,  wenigstens  als  inferior  hinzu- 
stellen.*) Die  «Obri«  (Avaren),  «Hunnen«  wie  «Slaven«  sind  Teile 
desselben  slavischen  Volkes,  und  sind  die  Namensunterschiede  le- 
diglich als  differenzierende  Gattungsbegriffe  anzusehen,  was  ja  auch 
aus  alten  Schriften  hervorgeht.  —  So  schreibt  Porphyrogenetes  noch 
i.  J.  949«  «Sclavi,  qui  et  Abari  nuncupati«,  dann  an  anderer  Stelle: 
«Sclavi  sive  Abari«  und  «Abari  sive  Hunni«. 

Schon  die  ganze  Geschichte  der  Völkerwanderung  ist,  wie  sie 
heute  dargestellt  wird,  eine  vom  Grunde  aus  mißglückte,  kritiklose 
und  einseitige  Schilderung  einer  Zeitepoche,  die  es  in  Wirklichkeit 
solcherart  nicht  gegeben,  wo  anscheinend  ein  und  dasselbe  Volk 
unter  verschiedenen  Namen  geschichtliche  Aktionen  ausgeführt  hat, 
von  denen  es  selbst  keine  Ahnung  haben  mochte.  Wir  wissen  ja 

*)  Auch  der  Name  xAttiia«  klingt  slavisch  und  scheint  so  viel  als 
»Väterchenn  zu  bedeuten;  zum  mindesten  klingt  aber  der  Name  eines  der 
Söhne  Attilas,  Dengesic.  slavisch.  —  Als  kleiner  Beweis  für  die  Oberfläch- 
lichkeit diene  der  Umstand,  daß  die  zeitgenössischen  Geschichts- 
schreiber Attilas  nicht  einmal  bestimmt  sagen  können,  in  welchem 
Jahre  und  wo  die  in  ganz  Europa  gefürchtete  «Geißel  Gottes«  gestor- 
ben ist. 

11* 


auch,  daß  bis  zur  Zeit  des  Äneas  Silvias  (geb.  1405,  gest.  1464)  in 
der  damaligen  Wissenschaft  von  der  sogenannten  \ölker\vanderung 
nichts  bekannt  war  und  fiel  es  keinem  Geschichtsschreiber  oder  Chro- 
nisten bei  zu  verneinen,  daß  die  Slaven  von  altersher  jene  Gegenden 
bewohnten,  welche  sie  auch  heute  innehaben,  oder  daß  sie  ausgerot- 
tet worden  wären.  Äneas  Silvius  mutmaßte  aber,  da  er  sich  gleich- 
falls die  ethnographische  Situation  in  Europa  nicht  erklären  konnte, 
es  müssen  im  V.  oder  VI.  Jahrhunderte  unter  den  damaligen  Völker- 
schaften große  Unruhen  geherrscht  haben,  was  ein  Wandern  einzel- 
ner Stämme  von  Ort  zu  Ort  verursachte,  und  auf  diese  Weise 
seien  die  Slaven  in  ihre  heutigen  Wohnsitze  ge- 
langt. —  Weil  es  ein  P  a  p  s  t  gesagt,  mußte  die  Sache  auch  richtig 
sein,  und  hat  sich  bis  heute  fast  niemand  die  Mühe  genonunen,  über 
das  Unlogische  und  Unnatürliche  der  Behauptung  nachzudenken. 

So  lange  man  daher  nicht  den  Mut  aufbringt,  eine  ganze  Reihe 
scheinbar  gelehrter  Traditionen  als  das  anzusehen,  was  sie  wirklich 
sind,  d.  i.  als  ein  Gewebe  von  Selbsttäuschung  und 
flacherLüge;  so  lange  man  sich  ruhig  dazu  versteht,  unlogische 
Angaben  ohne  Rücksicht  auf  den  Charakter  ihrer  Quelle  auch  nur 
zum  Teile  zu  glauben,  so  lange  wird  sich  auch  die  Geschichte  von  der 
sogenannten  Völkerwanderung  aus  der  willkürlichen  Verwirrung,  in 
der  sie  durch  «berühmte h  Autoritäten  künstlich  erhalten  wird,  nicht 
loslösen. 

Für  die  sprachliche  Klassifikation  der  Völker  sowie  die  Schei- 
dung der  ethnographischen  Namen  soll  aber  ebensowenig  wie  für 
die  Axiome  der  beliebten  Wandertheorien  eine  Autorität  maßge- 
bend sein.  Die  einzig  rettende  Methode  im  Labyrinthe  der  falschen 
Differenzienmg  der  Volksnamen  kann  doch  nur  die  allgemeine 
natürlicheVergleichung  sein,  und  diese  sagt  uns  umgekehrt 
daß  gerade  an  der  Seßhaftigkeit  der  Ureinwohner- 
schaft  so  lange  zu  halten  sei,  bis  aus  den  unzweideutigsten 
Quellen  oder  durch  nüchterne  Kombination  die  überzeugenden  Be- 
weise des  Gegenteiles  einmal  für  jede  einzelne  Frage  und  einmal  im 
Zusammenhange  möglichst  vieler  solcher  Fragen  an  den  Tag  ge- 
bracht werden. 

Zur  Verwirrung  führten  aber  eben  die  verschiedenen 
Namen  für  die  gleichen  Volks-  und  Sprachstämme  und  in  die- 
sem falschen  Netze  sitzen  w  ir  bis  heute  in  starrer  Unbeholfenheit  ge- 


fangen.  So  kann  z.  B.  heute  in  Krain  jedermann  leicht  Folgendes  fest- 
stellen, wenn  er  einzelne  Personen  um  ihre  Nationalität  fragt:  der 
erste  sagt,  daß  er  ein  xKrainer»  sei,  der  zweite,  er  ist  ein  «QorenjCK 
(wenn  er  zufälligerweise  in  Oberkrain  geboren  ist),  der  dritte  stellt 
sich  als  »Slovene»  vor  und  alle  drei  benennt  ein  hinzugekommener 
Deutsche  als  «Windische«;  und  doch  können  alle  aus  demselben 
Dorfe,  ja  auch  Brüder  sein.  Lediglich  solche  äußerliche 
Widersprüche  sind  es,  die  zu  den  unreinen  Zeug- 
nissen führten,  als  ob  einzelne  Völkerschaften, 
deren  Paralellnamen  zufällig  außer  Kurs  kamen, 
ausgewandert  wären,  weil  deren  Name  seit  einer 
gewissen  Zeit  verstummt  ist.  —  Hiebei  haben  aber  im 
subjektiven  Sinne  trotzdem  alle  eine  richtige  Antwort  gegeben,  denn 
die  Unterschiede  haben  nur  darin  ihren  Grund,  daß  der  einfache 
Mann  eine  beschränktere  Grenze  für  seine  geographischen,  nationalen 
oder  politischen  Definitionen  zieht  als  der  gebildete.  In  genau  der- 
selben Lage  waren  aber  die  einstigen  Geographen  auch,  die  uns 
derartiges  Material  lieferten:  auch  bei  ihnen  regulierte  die  Erkennt- 
nis der  geschilderten  Sachlage  lediglich  der  eigene  größere  oder 
geringere  Gesichtskreis,  die  eigene  Selbsterfahrung  sowie  der  Grad 
der  kritischen  Behandlung  der  niedergeschriebenen  Materie. 

So  kann  es  vorkommen,  daß  verschiedene  Schriftsteller  ein 
und  dasselbe  Volk  verschieden  benennen,  und  ist  dafür  der  Beweis 
heute  geradeso  erbringlich,  wie  von  ehedem;  wer  würde  z.  B.  in 
1000  Jahren,  wenn  alle  sonstigen  Behelfe  verloren  gingen,  daraus  klug 
werden,  falls  er  eine  Zeitung  von  heute  fände,  die  von  «Cechen« 
spricht,  und  eine  zweite  dasselbe  von  den  «Böhmen«  erzählt,  daß 
beide  gleiches  bezeichnen? 

Wenn  alles  dies  heute  bewußt  geschieht,  weshalb  soll  es  einst 
nicht  in  erhöhtem  Maße  auch  unbewußt  geschehen  sein!  —  Solcher 
Art  können  daher  die  Quellen  sein,  aus  denen  wir  unsere  Geschichte 
schöpfen,  und  solche  sollen  nicht  ungeprüft  zum  Dogma  erhoben 
werden;  von  solchen  Kannegießereien  und  Willkürlichkeiten  hängen 
dann  unsere  Überlieferungen  ab  und  gelten  nachher  als  Mark- 
steine der  Wissenschaft! 

Über  die  Hunnen  sind  wir  überdies  gewohnt  stets  zu  lesen,  daß 
sie  die  ärgsten  Barbaren  waren,  die  sich  ihr  Genußfleisch  auf  dem 


—  16f)  — 

Sattel  mürbe  ritten,*)  klein  von  Gestalt,  häßlich  u.  drgl.  aussahen,  — 
also  durchwegs  abträgliche  Beschreibungen  — ,  und  sollen  dabei 
Hünen,  Riesen  genannt  worden  sein,  da  dies  im  Deutschen  doch 
synonyme  Begriffe  sind! 

Es  ist  eigentümlich,  daß  die  Geschichte  über  die  Hunnen  le- 
diglich jenen  schriftstellernden  Zeitgenossen  Attilas  Daten  entnahm, 
die  über  ihn  und  seine  Scharen  nur  das  Gräulichste  zu  erzählen 
w  ußten,  während  andere,  wie  Priscus,  der  die  Verhältnisse  wesent- 
lich lichtvoller  schildert,  unberücksichtigt  blieben.  Tatsache  ist,  daß 
uns  da  Vorfälle  geschildert  werden,  die  sich  niemals  mit  der  Kritik 
und  Logik  werden  vereinbaren  lassen.  Wie  ist  es  z.  B.  erklärlich, 
daß  ein  solcher  Barbar  par  excellence,  wie  Attila,  die  Burgunder- 
türstin  Kriemhilde  zur  Gattin  erhält,  daß  das  Hochzeitsfest  in  Wien 
durch  17  Tage  gefeiert  wird,  daß  die  Burgunder  den  Hof  Attilas  be- 
suchen, dessen  Residenz  große  Paläste  bildeten,  daß  er  um  Honoria, 
die  byzantinische  Kaiserstochter  werben  läßt,  trotzdem  die  Ge- 
schichte erzählt,  Attila  habe  wenig  Kriegsglück  gehabt,  sei  aus  Italien 
unverrichteter  Dinge  zurückgekehrt,  ist  i.  J.  451  auf  den  Catalauni- 
schen  Feldern  fast  vernichtet  worden,  indes  er  allgemein  gefürchtet 
war.  ihm  der  Kaiser  von  Byzanz  den  jährlichen  Geldtribut  namhaft 
erhöhen  mußte  u.  a.  —  alles  ein  Beweis,  daß  man  es  hier  mit  einem 
Qeschichtsirrtum  oder  einer  Geschichtsfälschung  plumpster  Art  zu 
tun  hat.  Überdies  hat  es  stets  Standesunterschiede  gegeben,  und  doch 
kann  sich  niemand  dermalen  bei  modernen  sozialen  Ansichten  etwa 
eine  ernste  Brautwerbung  eines  besiegten  Indianerhäuptlings  bei 
einer  europäischen  Herrscherfamilie  vorstellen.  War  aber  Attila  ein 
solcher  Wüstling,  wie  ihn  die  Geschichte  hinstellt,  so  hätte  er  sich 
eine  ausgewählte  Braut  wohl  mit  Gewalt  geholt  oder  hätte  selbe 
rauben  lassen;  etikettmäßige  Brautwerbungen  sind  aber  in  diesem 
Milieu  ganz  undenkbar. 


")  Diese  RehaiirtnBg:  enthält  an  sich  etwas  ganz  Unmögliches,  deini 
auf  unResatteltem  Pferde  reibt  das  aufgelegte  Fleisch  sehr  bald  das  Pferd 
auf:  hinsresren  ist  doch  niemand  so  dumm,  daß  er  sich  auf  den  Sattel  Fieisch- 
stiicke  (am  Fnde  noch  mit'  unausgelösten  Knochen!)  aufbinden  wird,  um 
seli  si  auffftritten  zu  werden:  wer  praktische  Erfahrungen  im  Reiten  liat, 
weilt  schon,  wie  bald  die  geringste  Falte  der  Bekleidung  Schmerzen  und 
offene  Wunden  er/engt:  und  da  macht  auch  der  »Hunnen  keine  Ausnahme; 
trotzdem  wird  so  ein  Nonsens  weiter  in  genauer  Evidenz  gehalten! 


Gibt  man  auch  zu,  daß  manches  nur  eine  Sage  sein  mag,  so  ist 
es  befremdend,  daß  gerade  die  Sage  schöne  Worte  und  humane 
Handlungen  für  einen  «Barbaren«  findet,  da  sich  dies,  wenn  es  nur 
annähernd  so  arg  gewesen  wäre,  im  Volksmunde  und  in  der  Sage  nur 
noch  dunkler  gestaltet  hätte.  — 

Es  fällt  weiter  auf,  daß  die  Geschichte  erzählt,  nach  dem  Tode 
Attila's  habe  dessen  jüngster  Sohn  Irnak  (Ende  des  5.  Jahrh.)  die 
hunnischen  Horden  wieder  nach  den  Wolga-Steppen  zurückgeführt, 
wo  sie  unter  anderen  Nomadenvölkern  aufgingen. 
—  Es  ist  allerdings  so  am  einfachsten  ein  Volk  von  der  Völkertafel 
auszuwischen,  aber  der  Natürlichkeit  entspricht  dies  nicht.  Daß  je 
ein  ganzes  Volk  auf  einmal  aufgebrochen  wäre,  um  sich  neue 
Wohnsitze,  zu  suchen,  ist  nicht  denkbar,  denn  die  Sache  ist  viel  zu 
gewagt  und  ist  kein  Grund,  daß  ein  Volk  als  solches  jenen  Boden 
verläßt,  von  dem  es  sich  bisher  ernährt  hat,  weil  es  in  der  Geschichte 
auch  kein  Pendant  dafür  gibt.*)  Hingegen  hat  jederzeit  der  Popula- 
tionsüberschuß, der  in  der  Heimat  keinen  Lebensunterhalt  finden 
kann,  nach  auswärts  gravitiert  und  spielt  sich  in  der  Jetztzeit  die 
größte  Völkerwanderung  ab,  ohne  daß  die  Geschichte  dieselbe  ver- 
zeichnet, denn  die  Auswanderungen  aus  Europa  und  Asien  nach 
Amerika  berechtigen  vollkommen  zum  Gebrauche  dieses  Begriffes, 
und  gibt  es  in  Amerika  bereits  geschlossene  Provinzen,  die  von 
Deutschen,  Cechen,  Kroaten,  Slovenen  u.  a.  bewohnt  werden;  und 
diese  Völkerwanderung  geschieht  nur  einzeln,  oder  familienweise, 
aber  doch  nicht  nach  Art  der  Heuschreckei  «(fkwärme! 

Auch  ist  es  nahezu  ausgeschlossen,  daß  ein  Noniadenvolk. 
welches  doch  nur  ein  bestimmtes  Maximum  von  hidividuen  ernähren 
kann,  so  ohneweiters  noch  ein  neues  Volk  in  Kost  übernehmen 
könnte.  Wäre  aber  der  Fall  eingetreten,  daß  die  Hunnen,  nachdem 
sie  kurz  vorher  angeblich  nahezu  vernichtet  wurden,  plötzlich  wieder 
erobernd  auftraten,  so  mußten  sie  die  ansäßigen  Bewohner  vorerst 
besiegen,  und  dies  war  auch  einstens  nicht  so  einfach,  denn  alle  Ge- 
genden weisen  ganz  hervorragende  Verteidigungsvorsorgen  arif,  und 
standen  die  Hirtenvölker  sozusagen  immer  unter  Waffen;  waren  nun 
die  Hunnen  siegreich,  so  gingen  die  Stammbewohner  zu  Grunde,  war 


*)  Der  Auszug  der  Juden  aus  ÄRjpten  hatte  wnhl  wesentlich  andere 
Gründe,  ganz  abgesehen  von  sonstigen  historischen  Unrichtigkeiten,  die 
dabei  unter  dem  Titel  «Geschichte«  figurieren. 


168 


es  umgekehrt,  so  gelangten  die  Hunnen  überhaupt  nicht  in  ein  frem- 
des Gebiet.  Auf  diese  Art  Vollmer  zu  eskamotieren  ist  im  gewissen 
wissenschaftUchen  Dilemma  ja  willkommen,  aber  es  fragt  sich,  ob  auf 
die  Dauer  für  solche  Taschenspielerkünste  Gläubige  zu  finden  sein 
werden. 

Wir  kennen  aber  eine  andere  Quelle,  die  über  die  Existenz 
der  Hunnen  noch  im  8  Jahrh.  Aufschluß  gibt;  es  ist  dies  der  i.  J.  735 
verstorbene  englische  Kirchenschriftsteller  Beda,  welcher  (Hist.  Eccl. 
I.)  schreibt,  daß  die  erste  Spur  von  den  Slaven  im  nördlichen 
Deutschland  anzutreffen  ist;  er  nennt  sie  «Hunnen«  und  läßt  sie 
in  der  Nachbarschaft  der  Dänen,  Sachsen  und  Rugier  wohnen.  —  Die- 
ses ist  weit  glaubwürdiger  und  ist  die  ganze  Geschichte  über  die 
Hunnen  kurz  dahin  zu  präzisieren,  • —  wenn  dies  überhaupt  nicht  eine 
ganz  andere  Völkergruppe  war,  wie  es  ja  zugleich  viele  von  einander 
ganz  unabhängige  Volksstämme  von  Wenden,  Kroaten,  Serben  u.  a. 
gab  unb  gibt  —  daß  diese  mit  bewaffneter  Macht  von  ihren  Sitzen 
aus  Raubzüge  gegen  Südosten  (Byzanz),  Süden  (Österreich  und 
Italien)  sowie  gegen  Westen  (Gallien)  unternahmen,  ähnlich  wie  die 
Osmanen  durch  Jahrhunderte  gegen  Westen  und  Nordwesten  zu 
häufige  Einfälle  ausführten,  wobei  es  sich  im  Prinzipe  weniger  um 
Ländererwerb  als  vielmehr  um  Raub  von  beweglichem  Gute  han- 
delte. —  Übrigens  erfahren  wir  noch  Positiveres  durch  den  Ge- 
schichtsschreiber Widukind  (10.  Jahrh.),  welcher  erzählt,  daß  König 
Heinrich  I.  an  die  Unterjochung  der  Sorben  schreiten  mußte,  weil 
sie  ihn  als  beständig;"  Verbündete  der  Hunnen  gefährlich  zu 
werden  begannen.  Nachdem  er  vorerst  die  Unruhen  in  Deutschland 
gestillt,  schloß  er  mit  den  Hunnen  einen  neunjährigen  Waffenstill- 
stand, griff  dann  die  Heveler  (an  der  Havel)  an  und  nahm  darauf 
deren  Hauptstadt  Brennabor  (Brandenburg)  ein  u.  s.  f.  —  Es  gab  also 
im  10.  Jahrhunderte  im  nördlichen  Europa  noch  immer  «Hunnen«, 
mit  denen  Bündnisse  zu  schließen  es  deutsche  Könige  nicht  unter 
ihrer  Würde  hielten! 

Man  muß  immer  genau  unterscheiden,  was  ein  Einzelner  als 
Autorität  ohne  Begründung  behauptet,  oder  was  jemand  bei  logi- 
schem Gedanken-  und  naturgesetzlichem  Aufbau  herausgefunden  hat. 
So  fragt  Wimmer  («Die  Runenschrift«,  Berlin  1887),  der  die  Runen- 
schrift lediglich  als  eine  Schrift  «nordischer«  Völker  bezeichnet,  «was 
denn  mit  den  Völkern  geschehen  sein  mag,  die  im  Völkerwanderungs- 


—  169  — 

kämpfe  unterlagen?  So  lange  man  nicht  zu  beantworten  vermag, 
wo  die  vielen  Millionen  von  Menschen  hingekommen  sind, ist  die  Völ- 
kerwanderungstheorie nur  ein  Mittel,  wie  man  einen  Knoten  zerhaut, 
den  man  sonst  zu  lösen  nicht  imstande  ist;  man  führt  einfach  ein 
neues  Volk  vor,  sobald  man  sich  größere  Kulturveränderungen  nicht 
zu  erklären  vermag,  und  dabei  verwischen  sich  Dichtung  und  Ge- 
schichte!» —  Letztere  lehrt  aber  gerade,  daß  kein  Volk  infolge  einer 
Niederlage  dauernd  oder  spurlos  zu  Grunde  gegangen  ist,  sondern 
daß  es  nach  einer  entsprechenden  Erholungszeit  erst  recht  seine  la- 
tenten Kräfte,  wenn  auch  unter  veränderten  Äußerlichkeiten,  an  die 
Oberfläche  kommen  läßt.  Die  einstigen  Slaven  besitzen  z.  B.  im 
Russenreiche  noch  immer  den  besitzmächtgsten  Staat  der  Welt  als 
Urbestand;  das  kleine  Griechenland  des  Perikles  hat  nach  2000  Jahren 
wieder  ein  neues  Griechenland  geboren:  das  i.  J.  13S9  vernichtete 
Serbien  ist  heute  wieder  ein  bemerkenswerter  Machtfaktor,  und 
Frankreich  steht  finanziell  heute  weit  höher  als  vor  dem  Jahre  1871! 

Jur,  Jura,  Juran,  Jurov,  Jurköw,  Jurköwka,  Jufinka,  Jurcici, 
Jurjevice,  Jurdani,  Jurjevsk,  Jordan,  Jordanöw  u.  ä.  sind  Namen  von 
Höhen  und  Punkten,  welche  für  die  Verteidigung  von  Natur 
aus  günstig  gestaltet  sind.  Die  historische  Entwicklung  d'eser  Deter- 
mination ist  die  analoge  wie  bei  sonstigen  Benennungen  deser  Art. 
Das  russische  «jur»  bezeichnet  noch  einen  besitzlosen  Gras- 
anger, einen  freien  Platz;  «jurt«  ist  das  Gesamtgebiet  eines 
Stammes.  Der  Vorstand  einer  solchen  Gemeinde,  war  der:  Juri,  Juraj, 
Gjuro,  Jifi,  Jörg  u.  ä.,  der  in  derselben  auch  das  Recht  sprach  und 
die  Verteidigung  leitete,  w^ie  auch  der  hl.  Georg  als  Krieger  und 
Bekämpfer  des  Feindes  (des  Drachens)  dargestellt  wird.  —  Gang- 
bare Ausdrücke  dieser  Wurzel  haben  sich  noch  erhalten  in:  jus 
(Recht),  Jury  (franz.  und  engl.)  als  rechtsprechende  Kommission; 
für  die  Verteidigung  und  den  Kampf  hat  der  Balkanslave  noch: 
juris  =  Sturm ;  j  u  r  i  s  i  t  i  =  stürmen  (im  Kampfe),  j  u  r  n  i  t  i  = 
angreifen,  j  u  r  i  t  i  =  treiben  u.  ä.  Tatsächlich  sind  so  benannte  Orte 
meist  Festungen  oder  befestigte  Städte,  oder  ansonst  stark  gebaute 
Klöster,  Burgen,  Wallgräben  u.  drgl.  —  Ein  ausgesprochener  Hoheits- 
begriff dieses  Stammes  ist  «York«,  der  im  Englischen  dem  Titel  eines 
Herzogs  gleichkommt. 

Stepen,  Stefan.  Auf  dem  Balkan  heißen  sehr  viele  Burgruinen,  — 
erhaltene  Burg  gibt  es  daselbst  meines  Wissens  keine  einzige  — , 


Stepen.  Stiepangrad  u.  ä.  —  Dieser  Name  hat  ursprünglich  mit  dem 
gleichnamigen  Heiligen  nichts  zu  tun.  sondern  so  bezeichnete  man 
eben  einen  Punkt,  der  rings  herum  eine  Brustwehr  (griech. 
a  T  ecpävT])  hatte,  bezw.  rings  herum  dicht  umschlossen  war 
(griechisch  arefio  =  dicht  umgeben).  Der  Kommandant  eines  sol- 
chen Punktes  hieß  sodann:  Stepan.  Stefan.  Stipo.  Die  Slaven  haben 
eine  Menge  sinnverwandter  Begriffe  gleicher  Wurzel  und  sind  Orts- 
namen, wie:  Stefanau.  Stefansberg,  Stebno.  Stibno.  Stibnik  u.  ä. 
weder  dem  griechischen  noch  auch  dem  kirchlichen  Einflüsse  zuzu- 
schreiben. — 

Gaj,  Gaisberg,  Gaisruck,  Gairach,  Geiselberg,  Haj,  Hajov,  Hajen, 
u.  a.  gehören  auch  in  die  Gruppen  der  Verteidigungsvorsorgen.  Im 
Altsiovenischen  wie  im  modernen  Gebrauche  ist  «gaj«,  ein  einge- 
friedeter lichter  Wald,  (im  Deutschen  desselben  Stammes: 
Hain),  eben  so  im  Russischen;  im  Cechischen  ist  «haiiti«  =  vertei- 
digen, wehren.  Es  waren  dies  zur  Verteidigung  günstige,  daher  auch 
eingefriedete  Terainpunkte,  zumeist  auf  Höhen.  Jene  Personen, 
welche  hiebei  den  Wachdienst  versahen,  nannte  man  «haiduk«,  eine 
Bezeichnung,  die  zuerst  den  Grenzsoldaten,  später  auch  der  unga- 
rischen Infanterie  beigelegt  wurde,  aber  später  die  berechtigte  Be- 
wertung «Räuber,  Plünderer«  annahm.  Darin  liegt  auch  die  Erklärung 
für  «Heiden«,  die  feindlich  gesinnten  Grenznachbarn, 
und  hatte  dieser  Name  sonach  mit  Religionsunterschieden  ursprüng- 
lich nichts  zu  schaffen.  Es  zeigen  daher  topische  Namen,  wie:  Hei- 
delberg (Stadt  und  viele  Bergkuppen),  Heiden  schanze,  Hei- 
demauer, Heidenkirchhof,  Heidenschaft,  Heideck. 
H  a  i  d  i  n  u.  ä..  welche  stets  auch  prähistorische  Funde  aufweisen, 
vor  allem  an,  daß  sie  uralte  Zufluchsteätten  waren. 

«Hai«  ist  im  Harz  die  Benennung  für  eine  ausgeschlagene  Stelle 
im  Walde,  was  auch  dem  obigen  Zwecke  am  besten  entspricht.  — 
Ein  häufiger  Höhennam.e  ist  «Heuberg«,  dessen  Grundwort  «haj«  ist. 
und  haben  solche  Punkte  oft  einen  ausgesprochen  felsigen  Charakter, 
eigneten  sich  daher  niemals  zur  Heukultur.  —  Ansonsten  wurde  ein 
Berg  mit  einem  «gaj«  im  Deutschen  zumeist  zu  «Geisberg,  Gaisberg«. 
Der  zugehörige  Hoheitsname  ist  augenscheinlich  «Kaiser«,  d.  i.  wer 
die  Untergebenen  schützt.  So  ist  es  auch  erklärlich,  weshalb 
wir  so  viel  Träger  des  Familiennamens  Kaiser.  Kajzar,  Hajzar.  Gajsar 
u.  ä.  haben,  denn  dies  sind  Nachkommen  von  Personen,  welche  einst 
in  der  patrialchalischen  Verfassung  diesen  Funktionsnamen  führten. 


—  171  — 

Njegos,  Njegus,  Negau,  Negova'),  Negonje,  Negers,  Nechutin, 
Nechanice,  Negoi  (Berg).  Negotin  u.  ä.  sind  oder  waren  einst  für 
Verteidigungszweci^e  ausgenützte  Punkte.  Das 
Grundwort  ist  im  Slovenischen  noch  erhalten  in  «negovati«  =  h  e- 
gen,  schützen.  —  Der  Ahnherr  der  montenegrischen  Fürsten- 
familie hatte  das  Prädii<at  «Njegus«.  d.  i.  der  Herrscher;  ebenso 
ist  derselbe  Gattungsname  in  Abessinien  im  Gebrauche,  wo  «Negus« 
=  König  bedeutet.  Die  Deutung  der  «altgermanischen«  Göttin  N  e- 
halenia  als  «Hilfreichnahende«  ist  daher  ganz  zutreffend,  sowie 
ihre  Attribute:  ein  Hund  und  zwei  Körbe,  womit  sie  anzeigt, 
daß  sie  den  Wachhabenden  Proviant  herbeischafft ;  es  war 
dies  möglicherweise  die  Frau  des  Befehlshabers,  welcher  nach  den 
heutigen  Vornamen  zu  schließen.  Njegos.  Njegovan.  Neko. 
N  i  k  0.  N  i  k  o  1  a.  Nikita  u.  a.  genannt  wurde,  die  sich  bei  krie- 
gerischen Ereignissen  auch  nach  Tunlichkcit  mitbetätigte,  und  schließ- 
lich auch  jede  Frauensperson,  die  den  Kampf  passiv  förderte. 

Längs  des  Neckar  gibt  es  außerordentlich  viele  Burgen  und 
verteidigungsfähige  Punkte;  der  Umstand,  daß  der  Fluß  zahlreiche 
solche  Stellen  berührt,  führte  auch  bei  ihm.  wie  in  vielen  Analogien- 
fällen, zu  dieser  charakterisierenden  Benennung,  d.  i.  das  Wasser, 
das  längs  der  Burgen  fließt,  sonach  die  Grenze  bildet. 

Ceta,  Cetinje,  Zeta,  Zetce,  Zice.  Zezz,  Mons  Cetius,  Zec  planina, 
See,  Sice,  Setnik,  Setzdorf,  Sette  communi**)  u.  ä.  zeigen  an,  daß  sich 
dort  feste,  verteidigungsfähige  Positionen  befinden. 
Dem  Slaven  ist  «ceta»  eine  Abteilung  Bewaff neter,  «ceta  r«  ist  der 
Führer  einer  solchen  Gruppe,  «setnik«  =  Hauptmann  (Komman- 
dant von  100  Mann);  das  franz.  «citc«  bezeichnet  die  befestigte 
Altstadt,  das  englische  C  i  t  e  den  ältesten,  d.  i.  einst  befestigten 
Stadtteil  Londons;  das  italienische  «c  i  1 1  ä«  ist  die.  mit  Mauern  um- 
gebene Stadt  (cito  =  lat  sicher")  «citnyen»  ~  der  Bürger.  Vertei- 
.digcr.  «eitleren«  —  rniin,  K'tii  ii  i/nm  Kampfe)  u.  s.  w.  --  Eine  Vor- 
burg oder  der  kleine  vorpfelc^te  'l'eti  einer  Festling  führte  vielfach 
den  Namen:  Zitadelle  Aus  «cctiM«  wu'üe  c'-is  slovcni'sche  «cesar« 
und  das  lateinische  «caesarx.' 

')  Hier  wurden  auch  die  bekannten  bri)nzenen  »Negauer  Helme» 
(26  Stück)  i.  J.  1811  ausgegraben.  Von  denen  tragen  zwei  eine  bisher  un- 
gelöste, wie  man  meist  annimmt  »etruskische«  Umschrift. 

")  Daß  »Sette«  hier  »Sieben«  bedeuten  würde,  ist  sehr  unwahr- 
scheinlich. 


Spy,  Na  spy,  Spichern,  Spiessberg,  Spitz,  Spica,  Spezzia,  Spino, 
Spiny,  Spinnelsdorf,  Spinnliof,  Zbenice,  Spesov  u.  ä.  sind  günstige 
V  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  p  u  n  k  t  e,  welche  für  eine  bestimmte  Gegend 
zugleicli  als  Beobachtung  s-  und  Alarmplatz  galten,  ähn- 
lich oder  gleich,  wie  ja  dies  beim  Militär  noch  heute  in  jeder  Station 
sofort  ins  Klare  gebracht  werden  muß.  Verwandte  Begriffe  sind: 
«spinatii  (=  eine  Gegend  versperren,  absperren,  lat.  impe- 
dire  iter,  locum),  «nasipn  =  Wall,  Aufwurf;  unter  «spytix  versteht 
man  erforschen,  also:  beobachten,  spähen,  nachspü- 
r  e  n,  daher  auch  jene  Punkte,  wo  es  sich  zugleich  um  die  Ausfor- 
schung des  Gegners,  also  um  das  Aviso  zur  Ralliierung  handelte,  als 
Spita,  Spita  I  (wo  man  heute  nur  noch  Kranke  beobachtet), 
Spittelberg,  Spytinov  u.  a.  benannt  wurden.  *) 

Analog  gehören  hiezu  alle  wSpuz«  und  wissen  wir,  daß  „ct/to  i"" 
auch  im  Griechischen  Auge  bedeutet,  aber  ein  «scythischesu  Wort 
sein  soll. 

Noricum,  Noreja,  Narislier,  Narona.  Auch  diese  Namen  deuten 
auf  eine  verteidigungstechnische  Vorsorge,  denn  «nora»  bedeutet  im 
Slavischen:  Versteck,  Schlupfwinkel,  Höhle,  Asyl,  Lager;  «norje»  = 
bergig,  steil  gelegen;  imorovit"  —  aufpassen,  lauern;  man  nannte 
daher  die  Bewohner  jener  Gegenden,  welche  sich  bei  feindlicher  Be- 
drohung auf  «nora,  norje«  sicherten,  als  «Norici,  Narisci«  u.  ä.  —  Die 
Hauptstadt  der  Noriker  soll  «Norejax  gewesen  sein,  deren  Lage  man 
sowohl  bei  Neumarkt  (Steiermark)  wie  bei  Friesach  (Kärnten)  ver- 
mutet; die  genaue  Stelle  ist  aber  nicht  bekannt,  weil  es  eben  viele 
solche  «noreia«  gab,  daher  wir  auch  nicht  wissen,  wo  die  Römer 
i.  J.  113  V.  Chr.  von  den  norischen  Tauriskern  geschlagen  wurden, 
da  dies  augenscheinlich  nur  ein  Gattungsbegriff  für  einen  Vertei- 
digungspunkt im  allgemeinen  war. 

Auf  Sardinien  gibt  es  an  tausend  feste  Rundtürme  aus  prähi- 
storischer Zeit,  die  man  «nuragho«  nennt.  Die  Archaeologen  meinen, 
daß  dies  sonderbare  Königspaläste  seien;  dieses  ist  mit  Rücksicht  auf 
die    Bauart    und    die  unbequeme  Unterkunft  völlig  ausgeschlossen; 


**)  Desselben  Ursprungs  sind  wahrscheinlich  auch  die  sonderbaren 
Namen  xSpinnerin  am  Kreuz«  (bei  Wien  und  Wiener-Neustadt),  welcher 
Höhenpunkt  einmal  «na  spi«  oder  «na  spini»  gelautet  haben  wird  und  später 
im  Erklarungsbedürfnis  in  der  bekannten  Sage  seine  unnatürliche  Deutung 
fand.  — 


es  waren  dies  lediglich  Wach-  oder  VerteidigungsoLjekte.  Beim  Fort 
Opus  (Dalmatien)  steht  die  «Norinska  kulax,  welche  die  Passage 
zwischen  der  Narenta  und  dem  dort  auslaufenden  Gebirgsrücken  ab- 
zusperren hatte. 

Brana,  Branka,  Branky,  Branzoll,  Vransko,  Vranduk  u.  ä.  sind 
im  besonderen  jene  h  r  a  d  i  s  k  o,  g  r  a  d,  g  r  a  d  i  n  a  u.  s.  w.,  die  ein 
Tal  an  der  schmälsten  Stelle  verteidigen  sollen.  —  Frain  bei 
Znaim,  Branky  bei  Troppau,  Vranduk  an  der  Bosna  sind  in 
dieser  Hinsicht  Muster  einer  künstlich  verstärkten  Naturtalsperre. 
Man  findet  daher  auch  an  solchen  Punkten  meist  Burgen  oder  Rui- 
nen, oft  erinnert  aber  an  solche  nur  mehr  ein  Steinhaufen,  eine  Orts- 
sage oder  volkstümliche  Frzählung.  Alle  Objekte  dieser  Namensform 
deuten  schon  nach  ihrer  äußeren  Beschaffenheit  und  Lage  auf  einen 
fortifikatorisch  ausgenützten  Punkt  der  ältesten  Landesverteidigung 
hin  (bran  =  Verteidigung,  branik  =  Verteidigungsmauer,  Hüftmauer). 
Man  vergleiche  nur  den  B  r  a  n  k  Ja-Wald  bei  Nächod  (1866),  den 
natürlichen  Zwinger  Branzevci  bei  Töplitz  in  Krain.  P  r  a  n  c  k 
in  Obersteiermark  und  die  natürlich  feste  Stellung  am  B  r  a  n  y  s  z- 
k  o,  dem  Passe  aus  der  Zips  nach  Eperies,  wo  sich  am  5.  Februar 
1849  ein  blutiges  Gefecht  abspielte,  weil  die  Österreicher  die  unge- 
mein günstige  Verteidigungsstellung  daselbst  sofort  erkannten. 

Sonstige  Namensformen  gleichen  Ursprungs  sind  oft  schon 
stark  entstellt.  Dazu  gehören  z.  B.  Franken,  Frankstadt  (bra- 
niste  —  und  nicht  Frenstät),  Frankfurt,  Frankenberg, 
Frauenberg,  Frauenburg  (Obersteiermark,  mit  röm.  Bau- 
resten), Franzdorf  (Krain),  Frohndorf,  Frohnleiten, 
B  r  a  u  n  b  e  r  g  u.  ä  —  So  gab  es  bei  Schönstein  in  Steiermark  eine 
Ruine,  namens  Frauenburg,  welche  aber  das  Volk  »Tabor«  nennt; 
die  daran  liegende  Besitzung  heißt  noch  Braunberg,  aber  jene 
Ergänzung  des  «tabom,  weiche  einst  brana,  branka  hieß,  ist  der 
heutigen  Kenntnis  entschw-unden,  d.  h.  deckt  sich  mit  dem  Namen 
Braunberg,  woraus  in  der  Urkunde  ein  F  r  a  u  e  n  b  u  r  g  w  urde, 
—  Im  Polnischen  ist  die  Form  xbron,  Broni,  Borania  (Barania)«  ge- 
bräuchlich, das  aber  im  Deutschen  oft  «Frohne,  Frohndienst«  war, 
daher  ursprünglich  der  Verteidigungsdienst  und  bestand  in  persönli- 
cher Mittätigkeit  oder  in  Deputaten  (Beistellung  von  Nahrungsmit- 
teln, Baumaterial,  Fuhrwerken  u.  drgl.).  ist  daher  dasselbe  wie 
i<  Robot». 


Das  Grundwort  xbran«  hat  sich  im  deutschen  Gebrauche  meist 
zu  Brand,  Brandeis,  Brandstatt.  Brandberg  u.  ä.  ver- 
wandelt.  hat  sonach  mit  nbrennen«  i\einen  direkten  Zusammenhang. 
Am  aufiälügsten  ist  dies  z.  B.  nordösthch  von  Olmütz  der  Fall,  wo 
sich  zwischen  zwei  KWachhübelnn  und  mehreren  «Wachbergen« 
unter  dem  Namen  «Bran«  ein  gut  verteidigungsfähiger  Längen- 
rüciven  befindet,  dem  eine  tiefe  Schlucht  («Tiefer  Grund«)  vorliegt.  In 
weiterer  Umgebung  heißen  aber  ähnliche  Punkte  schon:  Brand. 
Im  Brand  u.  ä.  —  Die  Ältesten  solcher  Punkte  hießen  sonach: 
Branko.  Brankovic,  Vranec,  Franz,  Franko  (Franken). 
Brandtner,  Brandstätter  usw.  —  Wahrscheinlich  gehören 
auch  alle  Namen  mit  dem  «e«  in  der  Wurzelsilbe,  wie:  Brenner, 
B  r  e  n  n  o,  B  r  e  n  t  a  u.  ä.  hieher. 

Vrat,  Vrata,  Vratno,  Vratlo.  Fratting  u.  ä.  sind  Namen  für  t  o  r- 
ähnliche  Sperren,  welche  vielfach  zum  Schutze  von  Gebirgspässen. 
Sattelgegenden  und  Talengen  dienten,  denn  dem  Slaven  ist  im  allge- 
meinen Sprachgebrauche  «vrata«  (w  ie  auch  «brana«)  großesTor. 

Mir,  Mirna,  Miröw,  Mirov,  Mirovice,  Miröschau,  Miroslava, 
Mlrotin  u.  ä.  deuten  auf  einen  Verteidigungspunkt,  welcher 
durch  eine  Mauer  begrenzt  und  später  zugleich  auch  Friedhof 
war.  —  «Mir«  ist  im  Slovenischen  noch  heute  Mauer  (namentlich 
Trockenmauer).  Umfriedung,  Hmirje«  =  Mauerwerk,  auch 
Ruine,  «m  irodvor«  =  Friedhof  (also  eingefaßter  Hof).*)  — 
Im  R  u  s  s  i  s  ch  e  n  bedeutet  «mir«  bereits  die  Gemeinde, 
Bauerngemeinde,  auch  Gemeindeversammlung,  also 
jene  Korporation,  welche  schon  für  sich  eine  Verteidigungs-Organi- 
sation besaß;  «mirski«  =  weltlich  (zu  einer  Bauerngemeinde  ge- 
hörig), »mirscina«  =  Gemeindegut.  —  Der  Gemeindeälteste 
hieß  nun  wohl  «mir«,  welchen  Begriff  aber  heute  nur  mehr  die  Türkei 
in  der  Bedeutung  Fürst,  Aufseher  (auch  «emir«)  kennt,  indes 
er  sich  mi  Deutschen  zu  Mair,  Maier  (Gutsverwalter)  umgebildet 
zu  haben  scheint.  Im  Tatarischen  ist  «mirza«  =  Anführer.  Den  Zoll, 
die  Abgabe  nennt  der  Kroate  noch  «mirija«. 

Krem.  Kreml,  Krems  Kremberg.  Kremsdorf.  Kremen.  Kfemeni, 
Kremsegg.  Kremnitz,  Kfemenac.  Kremenc   u.   ä.  sind  v  e  r  t  e  i  d  i- 

')  hl  Laibach  heiBt  noch  heute  jener  Teil,  der  einst  das  Standlager 
(das  befestigte)  der  Römer  bildete:  mir  je. 


175 


giingsfähig  hergerichtete  Punkte.  Das  ürundwort  ist  das 
siavische  xkrem»  in  der  Bedeutung :  derbeste,  festeste  Teil. 
Hkrenil«  =  die  Zitadelle.  Burg  in  befestigten  Orten  (der  Kern  in  alten 
russischen  Städten),  «kremen«  =  dasFeste,  dieKraft  —  Tat- 
sächlich haben  alle  so  benannte  Orte  eine  günstige  verteidigungs- 
fähige Höhe,  oder  waren  noch  in  historischer  Zeit  befestigt. 

Die  alte,  starke  Festung  und  einstige  Hauptstadt  des  Car's  von 
Kachetien  (Kaukasus)  «Qremi»,  schrieben  die  Russen  immer  «Krini« 
oder  »Krimii,  welches  sonach  auch  »krem,  kreml»  zur  Basis  hat.  — 
Im  Tatarischen  ist  die  Form  >'krim"  (=  Festung)  auch  noch  erhalten; 
verwandt  ist  auch  unser  «CriminalK.  d.  i.  Festungshaft. 

Die  Stadt  K  r  e  m  s  i  e  r  (Mähren)  ist  dieses  Ursprungs  und 
bezeichnet  sonach  in  der  slavischen  Form  Kromefiz  —  richtiger 
«Kremefiste«  —  den  festesten  Platz  in  jener  Gegend,  und  bildete  der 
Barbar  a-B  e  r  g  (varvar)  daselbst  wohl  den  Kern  desselben.  — 
Hieher  gehören  auch  alle  Ortsnamen  mit  dem  anlautenden  xC«,  wie: 
Crema.  Cremeo  (Schweiz  mit  imposanten  Ruinen),  Gremien 
(Frankreich),  Creme  na,  welche  alle  fortifikatorischen  Charakter 
haben.  —  Unter  «creme«  versteht  man  heute  die  vornehmste  Gesell- 
schaft, also  vermutlich  einst  die  Höchsten  in  einem  solchen  Orte, 
«Gremium«  die  ausgewählte  Körperschaft,  «cremailere«  und  crene- 
aux»  (krenelieren)  sind  fortifikatorisch-technische  Begriffe. 

Teschen,  Tesanj,  Tesice,  Teschnowitz,  Tessin,  Tesinja,  Tesino 
(Castello),  Tesov,  Tesswitz,  Tisnov,  Tissa  (Theiss),  Ticino,  Tisno- 
vice,  Tisek,  Tisens,  Tischtin  u.  ä.  deuten  auf  technische  Vorkehrungen 
bei  e  n  g  e  n  Terrainpunkten,  Talverengungen,  Engpässen,  Schluchten. 
Das  Grundwort  ist  «tes«  =  Enge,  «tesno«  =eng,  «soteska«  =  Eng- 
paß, das  Zusammengeschobene.  Eine  lokale  Besichtigung  wird  wahr- 
scheinlich allerorts  feststellen,  daß  die  mit  diesen  Namen  belegte 
Terrainplastik  auch  obiger  Etymologie  entspricht. 

Kljuc  deutet  auf  Sperren  von  Fluß-  und  Taldefiles.  —  Im  Deut- 
schen gebraucht  man  die  Form :  Klause,  ahd.  c  I  u  s  a,  welche  der- 
selben Abstammung  ist,  denn  kljucat,  zakljucat  bedeutet: 
abschließen,  absperren;  der  moderne  Begriff  ist  auch  Sperre, 
lat.  claustrum.  —  Die  vielen  Orte  namens  C  h  i  u  s  a  (in  Italien)  liegen 
alle  an  den  Mündungen  von  Entgtälern;  manche  hievon  hießen 
ehedem:   Clusium;   Klausenburg's   ältester  Name   ist:   C 1  u  s,   u. 


Das  sich  die  Urbewohner  von  Südeuropa,  wo  diese  Namen  und 
Verteidigungspunkte  hauptsächlich  vorkommen,  von  den  Römern  oder 
Deutschen  den  Namen  geholt  hätten,  ist  schon  deshalb  ausge- 
schlossen, weil  xkljucK  dem  Slaven  für  alle  Begriffe  des  Sperrens 
als  Grundwort  gilt. 

Darin  steckt  auch  augenscheinlich  der  Ursprung  der  Klöster. 
Es  waren  dies  einst  jene  Gebirgs-,  Tal-,  Paß-  und  Flußs  p  e  r  r  e  n, 
welche  einen  wichtigen  Teil  der  Landes-  und  Qrenzverteidigung  bil- 
deten, daher  die  älteren  Klöster  auch  stets  eine  dementsprechende 
Anlage  haben.  Um  ihrem  Zwecke  zu  entsprechen,  wurden  sie  tech- 
nisch verstärkt,  mit  \  erteidigungsmauern  umgeben  und  mit  perma- 
nenter Besatzung  versehen.  Besorgte  die  Bewachung  einer  solchen 
Klause  nur  e  i  n  Mann,  so  war  dies  der  Klausner  oder  E  i  n  s  i  e  d- 
1  e  r,  waren  es  deren  mehrere,  so  war  es  eine  MordOH  (xReihex).  Die 
Einseitigkeit  des  Lebens,  die  Abgeschlossenheit,  welche  sich  für  die 
Besatzung  eines  fortifikatorischen  Werkes  naturgemäß  ergibt,  for- 
derte ein  eigenes  Reguläre,  welches  besonders  das  Verlassen  des 
Klosters  erschwerte,  zu  strenger  Einhaltung  der  Hausordnung  ver- 
pflichtete, zu  besonderen  Lebensregeln,  ja  zur  Askese  führte,  denn 
man  mußte  für  den  Fall  der  feindlichen  Einschließung  mit  allen  men- 
schlichen Eventualitäten  rechnen.  —  Die  Beschäftigungslosigl-eit 
zwang  zum  Ergreifen  verschiedener  Nebenberufe,  denn  die  Verteidi- 
gung und  der  Kampf,  welche  ja  von  .Äbten  und  Prioren.  wie  dies 
die  Geschichte  der  meisten  alten  Klöster  erzählt,  oft  sehr  energisch 
und  heldenmütig  geführt  wurden,  war  doch  keine  alltägliche  Be- 
schäftigung. —  Der  Älteste  hieß  Prior,  der  Vorgesetzte,  oder  «quar- 
dian«,  der  Leiter  des  Wachdienstes. 

Ortsnamen  wie :  Klötze,  C  1  o  t  z  i  n,  K  •  ü  t  z.  K 1  ü  t  z  o  w  u. 
ä.  in  heute  reindeutschen  Gebieten  sind  dieses  Ursprungs.  —  Hieher 
gehören  auch  die  Namen  K  1  i  s  (Befestigung  bei  Saloniki),  K 1  i  s  u  r  a 
(in  Bulgarien),  K  1  i  s  t  i  c  a  (Herzegow  Ina;  ein  Fluß,  der  bei  der  Burg- 
ruine Borak  entspringt)  u.  a.  und  sind  dies  wahrscheinlich  durch 
Lautwechsel  (xux  zu  xyx)  aus  xkljucx  gebildete  Namensformen  für 
VerteidigungspunktebeiFelsdefiles  (Vergl.  auch  das 
griechische  //.ü:  lat.  clavis,  ital.  chiusa  —  Schlüssel). 

Melje,  Meinik,  Melinje.  Melm.  Mpla,  Maia  Strara,  Mala  Breza. 
Mala  Gera,  Male,  Malinje  u.  ä.  zeugen  durchw  egs  auf  eine  verteidi- 
gungsfähig vorbereitete  Anhöhe.  Im  Slavischen  bedeutet  xmelx  noch 


heute  eine  abschüssige  Stelle,  während  das  Hebräische 
Hinella«  (vergl.  Bücher  der  Könige  III.,  9)  darunter  direkte  eine 
Feste,  eine  Burg  versteht.  Überdies  kennt  der  Slave  den  Be- 
griff »nialik»  ""  Götze,  Feind,  Teufel,  sowie  »maletin  =  brandschat- 
zen, herumvagieren.  «Maleventum«  war  daher  ursprünglich  ein  Si- 
cherungspunkt  an  der  Grenze.  —  Alle  Lokalitäten  der 
Form:  JVlelnik,  Melling,  Melos,  Melk,  Melbourne  («mel»  und  »bom), 
Melkart-Säulen  (Gibraltar*)  u.  a.  sind  zugleich  immer  steile  Höhen 
mit  einstigen  oder  noch  heute  bestehenden  Schutzbauten.  —  Ver- 
gleiche noch:  «Malepartus»  (Raubhöhle  des  Reineke  Fuchs),  «Mala- 
bam  («mal«  und  «var«)  ein  indobritischer  Küstenstrich,  bewohnt  von 
den  «dravidischen«  M  a  1  a  b  a  r  c  n,  «Malaga  (Spanien  mit  der  Zita- 
delle), iiMalakov  (die  wichtigste  Bastion  Sebastopols),  «Malchen«, 
auch  «Melibokus«  (Gipfel  des  Odenwaldes),  «Malta«  (früher  «Melite«) 
u.  a.  m.  — 

Ris.  Dieser  Begriff,  der  bei  den  Slovenen  noch  heute  in  der 
Bedeutung  Zauberkreis,  Kreis,  den  niemand  Unberu- 
fener betreten  darf,  gebraucht  wird,  bezeichnete  ursprünglich 
wohl  den  behufs  Verteidigung  abgeschlossenen  Platz,  doch  kennen 
ihn  nur  mehr  die  Cechen  als  «fise«,  d.  i.  in  der  Bedeutung  der 
Staat,  mithin  als  ein  größeres,  genau  umgrenztes  Gemeinwesen; 
dem  Russen  hingegen  ist  «riznica«  bereits  die  Schatzkammer, 
d.  i.  der  Raum,  wo  er  bei  Feindesgefahr  seine  wertvollere  Habe 
sichert,  also  auf  dem  gemeinsamen  Kampfplätze.  —  Als  Hoheitsname 
gebrauchen  die  Slovenen  in  einigen  Gegenden  noch  »ris,  risan«  für 
die  Kennzeichnung  eines  bärenstarken  Mannes,  wofür  aber  der 
Deutsche  auch  den  Begriff  «Riese«  besitzt. 

Ortsnamen  dieses  Stammes  sind:  Risano,  Rise  Starä  Riste, 
Risola,  Rizan,  Riese,  Riesenberg,  Riesenburg,  Riesach,  Ryzany  u.  ä. 
—  Auf  der  «Reisscheibe«  —  emem  Felskopf  am  Wallen-See  — 
wurden  noch  ziemlich  sichere  Spuren  einer  alten  Veste  entdeckt. 

Var,  Varda,  Warta,  Warthe,  Wartestein,  Wartenberg  u.  ä. 
weisen  auf  einen  für  die  Verteidigung  hergerichteten 
T  e  r  r  a  i  n  p  u  11  k  t.  In  der  Urzeit  bezeichnete  «var,  varda,  vardisce« 
wohl  nocli  den  günstigen  Aussichtspunkt  für  die  Beobachtung  dei 

")  Mela  bezeichnet  Gibraltar  noch  als:  Skala  Hannibalis.  («skala« 
slav.  K  c  1  se  n). 


weidenden  Herden,  denn  manche  Begriffe,  wie  z.  B.  das  slovenische: 
varuh  (=  Hüter),  vardevati  (=  Vieh  hüten,  beaufsichtigen),  varde- 
vavec  (=  Schafhirt)  haben  die  bukolische  Urbedeutung  noch  immer 
nicht  völüg  eingebüßt.  —  Auf  der  ägyptischen  Una-Aufschrift  finden 
sich  Kuar«  und  «uart«,  welche  bereits,  wie  die  Ägyptologen  meinen, 
auf  eine  große  Stadt,  große  Festung  deuten. 

Dieser  Stamm  dient  ungezählten  topischen  Namen  als  Grund- 
lage und  treffen  wir  gerade  ungewöhnlich  viele  typische  Beispiele 
aus  der  Zeit  vor  dem  Beginne  unserer  jetzigen  Zeitrechnung. 

So  erwähnt  Mela  (III.  15):  \ardulli.  una  gens  hinc  ad  Py- 
rennaei  iugi  promunturiuni  pertinens  cludit  Hispanias;  dann: 
\arum  flumina  utraque  ab  Alpibus  delapsa.  sed  V  a  r  u  m  quia  Italiam 
finit  aliquanto  notius  (III,  72);  Varus  flumen  (II,  74);  Vardei 
(Ardei)  in  Dalniatien;  Varini  werden  von  Plinius  und  Tacitus  wie- 
derholt angeführt.  Es  fällt  hiebei  auf,  daß  so  viele  Flüsse,  wie: 
W  a  r  t  h  e,  V  a  r  d  a  r,  W  a  r  t  b  a  c  h  u.  ä.  diesen  Namen  führen,  trotz- 
dem der  organische  Zusammenhang  scheinbar  dabei  nicht  vorhanden 
ist;  und  doch  ist  dem  so:  die  Flüsse  bildeten  entweder  selbst  eine 
0  r  e  n  zverteidigungslinie  oder  erhielten  diese  Namen,  weil  sie  an 
verteidigungsfähigen  Objekten,  die  man  ja  mit  Vorliebe  an  natürliche 
Annäherungshindernisse  anschmiegt,  vorüberflossen. 

Die  «Pharisäerw  der  Bibel  waren  nur  die  Bewohner  einer  durch 
«varn  gesicherten  Gegend;  desgleichen  die  «VarjagH  (Waräger)  in 
Rußland.  —  Die  befestigte  Grenzstadt  «VenccH  (Südfrankreich)  hieß 
bei  den  Römern  «Ventia»  und  zugleich  auch  «Var«.  also:  Festung 
anderOrenze.  —  Im  Slovenischen  heißt  KvarcenK  —  behutsam. 
Kvarati«  —  beobachten,  «varvati«  aber  schon  beschützen; 
auch  im  Althochdeutschen  bedeutet  «wara«  noch:  Acht.  Auf- 
merksamkeit; im  Polnischen  «obwarowacx  befestigen. 

Hieher  gehören  auch  die  meisten  Namen  von  der  Form:  «v  a  r. 
bar«  und  xpam  («v,  b«  und  «pii  wechseln  fortgesetzt,  namentlich  im 
Anlaute),  wie :  T  e  m  e  s  v  a  r.  V  u  k  o  v  a  r.  P  e  t  e  r  w  a  r  d  e  i  n.  V  a  r- 
na,  Varazdin.  Bar,  Barice.  Barmen.  Bari.  Parma, 
P  a  r  i  s,  P  a  r  i  z  1  j  e.  dann  F  a  h  r  n.  Fahren.  G  a  i  n  f  a  h  r  n  u.  v.  ä. 

So  muß  Paris  selbst  eine  uralte  bewachte  oder  befe- 
stigte Ansiedlung  gewesen  sein,  denn  bei  den  jüngsten  Ausgra- 
bungen für  die  Stadtbahn  hat  man  eingenartige  Altertümer  an  den 


Tag  gefördert.  —  Die  tieferen  Schichten  lieferten  ungewöhnlich  grob 
gearbeitete  Messer  aus  Kiesel,  daneben  lag  ein  vollkommen  erhal- 
tener Mamniutzahn.  sowie  der  Backenzahn  eines  Rhinozeros.  —  Aber 
auch  schon  vor  40  Jahren  wurden  diverse  Werkzeuge  des  stein- 
zeitlichen Menschen,  dann  Knochen  des  Mammut,  Rhinozeros,  der 
Urform  des  Rindes.  Pferdes,  Hirsches,  Renntieres  und  Nilpferdes  ge- 
funden, was  den  sicheren  Schluß  zuläßt,  daß  der  Mensch  schon  vor 
ungezählten  Jahrtausenden  an  der  Stelle,  auf  der  jezt  Paris  steht, 
ständig  gewohnt  haben  muß.*) 

Der  Hoheitsbegriff  hat  sich  als  «far«  (=  Pfarrer),  Kfara«  (= 
Pfarre)  bei  den  Slovenen  noch  fast  unverändert  erhalten;**)  die 
iifara«  ist  heute  die  Gemeinde  im  kirchlichen  Sinne  und  ist  der 
«far«  nunmehr  der  Seelenhirt  seiner  Gemeinde.  Einstens  war  er 
jedoch  die  weltliche  und  kirchliche  Autorität  unter  einem  für  seine 
Qemeindeinsaßen,  was  ja  heute  vielfach  (z.  B.  in  Montenegro)  noch 
fortbesteht,  und  ist  schließlich  ja  jetzt  in  den  meisten  Fällen  G  e- 
m  e  i  n  d  e  und  Pfarre  ein  katastral  sich  deckender  Begriff.  —  Im 
Spätlateinischen  ist  «paroch«  —  der  Pfarrer,  «parochia»  —  die  Pfarre, 
im  Slovenischen  der  Wohnsitz  derselben  «farov«  {=  Pfarrhof).  Ein 
häufiger,  sprachlich  verwandter  Familienname  ist  «Baruch«,  den  aber 
auch  schon  das  alte  Testament  erwähnt.  — 

Die  Ägypter  nannten  ihren  Ältesten,  welcher  die  Gemeinde 
gegen  feindliche  Angriffe  zu  sichern  hatte,  «pharao«,  und  kam  dieser 
litel  nach  Vereinigung  größerer  Territorien  in  gleichem  Fortschreiten 
des  Ansehens  sogar  der  heutigen  Königswürde  gleich.  —  Im  Bulgari- 


*)  Unter  Paris  (ursprünglich  vielleicht  «varis,  varesic  lautend)  ist 
ausenscheinlich  ein  geschlossenes  Gemeinwesen  zu  verstehen,  wie 
es  sich  noch  in  England  erhalten  hat.  denn  z.  B.  London  selbst  war  bis  zum 
Jahre  1888  noch  in  lauter  «Parishes»  (=  Kirchspiele,  Pfarren)  eingeteilt. 

**)  Man  sprach  und  schrieb  einst  «varn,  denn  im  althochdeutschen 
Alphabete  ist  das  »f«  noch  unbekannt;  die  Schreibweise  ufar»  dürften  die 
Siaven  erst  angenommen  haben,  als  sich  die  deutsche  Form,  nachdem  die 
.Amtierung  durch  Jahrhunderte  deutsch  war.  einbürgerte.  —  Die  Bezeich- 
nung «far«  war  noch  im  17.  Jahrhunderte  (ebenso  wie  «Pfaff«)  eine  ehrende 
für  den  Priester;  seither  hat  jedoch  eine  Umwertung  ins  Verrächtliche 
platzgegriffen  und  \\'ird  überdies  allgemein,  aber  fälschlich,  als  Germa- 
nismus angesehen.  —  Die  häufigen  Flurnamen:  Pfarrberg,  Pfarrvviese. 
Pfarrgrund  u.  a.  haben  alle  «var.  far«  zur  Grundlage,  und  befand  oder 
befindet  sich  der  betreffende  Boden  nur  zufälligervxeise  einmal  im  kirch- 
hchen  Besitze. 

12* 


sehen.  Albanischen  und  Rumänischen  bedeutet  «fara»  =  Stamm. 
Sippe,  d.  i.  die  Korporation  eines  unter  gemeinsamen  Schutze  ste- 
henden Gemeinwesens.  In  gleicher  Bedeutung  stand  xfara«  auch  bei 
den  Longobarden  und  Römern.  —  Dieser  Qegendname,  der  sich  z. 
B.  auffaleiid  oft  auf  Kreta  wiederholt,  ist  fast  überall  in  der  Nähe  der 
größeren  Ansiedlungen  in  mehr  oder  weniger  entstellten  Formen  zu 
finden,  und  ging  im  Deutschen  allmählig  in  die  Form  und  Bedeutung 
"Warte«  über,  weshalb  der  böhmische  Begriff  »varta«  (für  Wache) 
durchaus  nicht  als  Germanismus  angesehen  werden  darf. 

Der  Begriff  "varx  hat  die  Umwertung  vom  bukolischen  zum 
militärischen  Grade  frühzeitig  erfahren,  denn  die  Namen  ersterer 
Richtung  sind  heute  nur  mehr  äußerst  selten  etymologisch  feststell- 
bar, hingegen  jene  letzterer  überaus  zahlreich.  So  bedeutet  «faro«  im 
Italienischen  den  Wachturm  (Leuchtturm)  am  Meere,  und  sind 
alle  xfaro«  (als  Ortsnamen)  entweder  übersichtliche  und  befe- 
stigte Punkte,  Vorgebirge,  Häfen  oder  Gewässer,  die  an  solchen 
vorbeifließen. 

In  «var«  haben  wir  einen  Begriff,  welcher  schon  dem  Urwort- 
schatze  des  Menschen  angehört  haben  muß,  umsomehr  als  er  auch 
in  fast  alle  Sprachen  in  ähnlicher  Form  und  gleicher  Bedeutung  auf- 
genommen erscheint;  z.  B.  deutsch:  Warte,  w  arten  (in  der  Be- 
deutung pflegen).  Sternwarte;  franz.  garder,  ital.  guarda,  guardare 
u.  s.  w.  —  So  gelangt  man  zwanglos  zu  Ur-  und  Grundbegrüffen.  — 
Allerdings  haben  dabei  die  S  1  a  v  i  s  t  e  n  selbst  den  großen  Fehler 
begangen,  daß  sie  solche  Urformen,  die  sich  mit  den  heutigen  sla- 
vischen  meist  noch  vollkommen  decken,  bedingungslos  als  solche 
deutschen  Ursprungs  kennzeichneten,  w  as  die  des  Slavischen  un- 
kundigen Forscher  gerne  und  überzeugtermaßen  glaubten,  weil  es 
iadieSlavenselbstsagten.  So  wurde  namentlich  Mikiosicli 
dafür  der  «große  Slave«  und  der  «Unsterbliche«  benannt,  weil  er 
alle  slavischen  KulturAvorter  als  d  e  u  t  s  c  h  e  L  e  h  n-  u  n  d  F  r  e  m  d- 
wörter  erklärte.  Dieser  nun  so  schwer  gutzumachende  Fehler 
war  aber  nur  deshalb  möglich,  weil  diese  Auslegung  die  sympati- 
scheste  war  und  der  Erklärer  als  große  Autorität  umso  ernster  gc- 
rommen  werden  musste.  — 

Eine  spezielle  Erörterung  verdient  der  Begriff  «Barbar«,  wel- 
cher ursprünglich  «varvar«  gelautet  haben  mag,  denn  in  älteren 
Schriften  findet  sich  noch  häufig  diese  Schreibweise  vor;  so  wird  z. 


181 


B.  in  einem  Briefe  des  Kaisers  Leopold  I.  (169Ü)  noch  der  «varva- 
ri  sehen  türi<ischen  Tyrannei«  Erwähnung  getan.  «Barbaren» 
waren  sonach  ursprünglich  die  bodenständigen,  gegen  fremde  Be- 
lästigungen sich  sichernden  Bewohner,  welche  durch  die  Griechen 
wie  Römer  dadurch  in  einen  minderen  Ruf  gerieten,  daß  diese  alle 
ihre  Feinde  und  namentlich  jene,  deren  Sprache  sie  nicht  verstanden, 
darunter  besonders  die  Szythen  und  Germanen  so  benannten.  Daß 
ursprünglich  der  Begriff  «Barbar«  nicht  das  Odium  der  heutigen  Auf- 
fassung trug,  ersieht  man  aus  verschiedenen  älteren  Anwendungen 
dieses  Begriffes.  —  nphor,  Sohn  des  Isokrates,  erzählt  z.  B.,  daß  die 
Barbaren  älter  sind  als  die  Griechen,  und  daß  diese  von  jenen  alle 
Künste  und  Kenntnisse  erhielten.  —  Venantius  Fortunatus,  Ende  des 
6.  Jahrh.  Bischof  zu  Poitiers,  schrieb  einen  Brief  an  einen  gewissen 
Flavus,  worin  er  diesen  auffordert,  ihm  entweder  lateinisch  oder  in 
einer  anderen  Sprache  zu  antworten;  wenn  er  etwa  nicht  lateinisch 
schreiben  wolle,  könne  er  ja  z.  B.  mit  «barbarischen  Runen« 
auf  Molztafeln  oder  auf  einem  glatten  Holzstabe  schreiben.*)  Fortu- 
natus wollte  damit  andeuten,  daß  ihm  einerseits  diese  Schrift  auch 
geläufig  sei,  andererseits  wollte  der  Bischof  sicherlich  auch  nicht 
unter  «barbarisch«  andeuten,  daß  damit  eine  Schrift  der  Ungebilde- 
ten und  Rohlinge  gemeint  sei,  da  er  ihn  damit  nur  beleidigt  hätte.  — 
Ebenso  spricht  er  auch  von  «interpres  barbarus«  (=  der  Dolmetsch 
für  das  Barbarische),  «barbara  carmina»  (=  barbarische  Lieder,  also: 
Volkslieder),  wozu  er  noch  «leudos«  (=  Volk,  Leute,  Ijudi)  beifügt; 
«barbarus  karpa«  (=  barbarische  Harfe)  u.  a.,  also  alles  Kennzeich- 
nungen der  S  t  a  m  m  b  e  w  o  h  n  e  r  im  Vergleiche  zu  den  eingewan- 
derten und  herrschenden  Römern.  Tacitus  erwähnt  auch,  daß  der 
berühmte  «germanische«  Markomannenkönig  Marobod  (marovod  = 
Qrenzverteidigungs-Kommandant)  ebenso  wie  der  Chattenfürst  Ad- 
gandester  Briefe  an  den  römischen  Senat  geschrieben  haben,  und 
wunden  sich  gar  nicht  darüber;  daß  diese  unbedingt  lateinisch  ge- 
schrieben waren,  ist  zu  bezweifeln,  denn  es  gab  eben  auch  «inter- 
pretes  barbaros« !  Als  Hoheitsname  kommt  außer  «far«  (=  Pfarrer. 
Priester)  meines  Wissens  nur  «Barbe«  vor,  welcher  Begriff  in  den 
französisch-v.aldensischen  Gemeinden  des  15.  Jahrhundertes  iden- 
tisch war  mit:  Vorsteher,  Meister.  —  «Baraba«  nennt  sich  noch  heute 


')  Daß  diese  «barbarische«  Sprache  in  Runenschrift  offenkundig 
die  slavische  war,  wird  im  IV.  Abschnitte  dargelegt. 


ein  Hirtenvolk  im  Gouvernement  Tomsk;  jene  Männer,  die  als  Qrenz- 
wächter  verwendet  wurden,  nannte  man  «baraba«,  was  aber  mit 
der  Zeit  die  Bedeutung  Wegelagerer,  Plünderer,  Rauf- 
bold annahm,  da  diese  Anstellung  wahrscheinlich  auch  zu  privaten 
Exkursen  ausgenützt  wurde. 

Chod,  Choden,  Hotinje,  Hotzenplotz,  Hoce  (alte  Schreibweise 
»Chotse«),  Hodose,  Chocznia.  Kot,  Kodanj,  Koce,  Kocno  u.  ä.  deuten 
auf  befestigte  Plätze.  Der  X'orstand  einer  solchen  Gemeinde, 
die  er  zu  b  e  s  c  h  ü  t  z  e  n  hatte  (altslav.  »hodati«  =  verwalten.  Pro- 
kurator sein,  ein  bevorstehendes  Unglück  verhütten;  cech.  «chovati« 
=  pflegen,  beschützen;  russisch  «kotorä«  =  Feindschaft,  Fehde)  war 
chod,  chot  (heute  böhmisch  in  der  Bedeutung  Ehemann.  Ehe- 
weib), das  aber  bei  den  Deutschen  zu  «Gott«,  bei  den  Osmanen  zu 
hodza  (=  Priester)  wurde.  —  Nestor  erzählt  überdies,  daß  «Hoca« 
ein  altrussischer  Götze  war,  dem  Großfürst  Vladimir  einen  Tempel 
erbaut  haben  soll.  —  «Koc,  koca,  kuca,  chata«  ist  ursprünglich  eine 
Hirtenhütte;  «hoch,  hosi«  bedeutet  noch  heute  im  Cechischen 
einen  Hirten  oder  Knaben,  «kocovatix  ist  gleichbedeutend  mit 
nomadisieren.  —  Während  nun  das  deutsche  «Götze«  auch  nur 
eine  spracheigentümliche  Anpassung  an  «choc.  hoca.  hodza«  u.  ä.  ist, 
bedeutet  aber  «gocah,  kocak«  im  Tatarischen  noch  immer  den 
tapferen  Krieger,  bezw.  den  Ort,  wo  tapfere  Männer  wohnen, 
also  fester  Punkt,  Fortifikation.  —  Im  Chinesischen  ist 
«kücik«  =  wohnen.  —  Im  ältesten  Denkmale  der  indischen  Literatur, 
dem  «Rigveda«,  in  welchem  die  Sprache  noch  älter  ist  als  das  klas- 
sische Sanskrit,  heißen  die  Priester  noch  allgemein  «chotar«.  Im 
Indischen  ist  «kotval«  heute  der  oberste  Polizeibeamte  (vergl.  «Hoch- 
wald« und  Gottwald«);  «cote«  selbst  gilt  dort  als  die  befestigte 
Höhe,  das  Fort.  —  Der  Übergang  von  der  Hirtengemeinde  zu 
einer  namhaften  Verteidigungsgruppe  ist  hier  leicht  organisch  zu 
verfolgen,  denn  «chotar.  kotar,  kotor«  (franz.  «Cote  d'or)«  ist  ur- 
sprünglich die  von  einem  «chod«  geleitete  Gemeinde,  welche  aber 
durch  Vereinigung  von  mehreren  Gemeiden  zu  einer  Kreis-  oder 
Bezirksvereinigung  führte,  die  im  Südslavischen  noch  immer  «kotor« 
lautet,  und  war  der  Verteidigungschef  eben  der  noch  heute  an  das 
Militärische  anspielende  Bezirkshauptmann;  im  15.  Jahrhunderte  ver- 
stand man  im  Böhmischen  unter  «chod«  noch  den  Grenz  Wäch- 
ter; ein  Erd-  oder  Steinaufwurf  zur  Kennzeichnung  einer  Grenze 


heilit  im  neutschcii  noch  heute  liotterhauien  (=  (jrenzhügel). 
—  «Hody»  (=  Kirchweifest)  ist  anscheinend  nur  mehr  der  Reflex 
der  einstigen  Versamnilungspfiicht  auf  dem  Qemeindesammelplatze 
zu  gewissen  Zeiten  bchiifs  Kontroie  oder  Waffenübung,  analog  wie 
in  der  bestandenen  Militärgrenze  militärische  Übungen  an  Sonntagen 
stattfanden,  um  die  Leute  nicht  in  ihren  Wirtschaftsarbeiten  zu  ver- 
kürzen. 

Die  Namen  «Kotor»  für  Ansiedlungen  kommen  in  Europa  überaus 
häufig  vor,  sind  aber  auch  in  anderen  Erdteilen  reichlich  zu  finden. 
Wir  wissen  z.  B.  daß  Island  einst  politisch  in  39  «Godarde«  (Bezirke) 
eingeteilt  war,  welchen  als  Ältester  je  ein  «Oode«  (God.  Göd  =  Pate) 
vorstand. 

Von  den  topischen  Namen  seien  hier  noch  besonders  erwähnt: 
Goti  (Volksname).  Gotha,  Gottes.  Göttingen  (das  slav.  Hotinje),  Qo- 
tenburg  (mit  Bohas-Län).  Gotaland,  Godula.  Kottlas.  Kot  (z.  B.  Kot- 
Alpe,  die  zu  W  i  n  k  1  e  r-Alpe  übersetzt  w  urde.  w  eil  «kot«  später  die 
Bedeutung  Winkel,  Ecke,  Grenze  annahm).  Kottbus.  Koccvje 
(Gottschee).  Kocubej.  Kosiibi.  Kocno.  Chodi  (ein  Volk  in  Böhmen,  das 
die  Einbruchstcllen  von  bayerischer  Seite  her  zu  bewachen  hatte), 
Chodcr.  Chodavendikjar  (Türkei).  Chodschar-Saleh  (Dorf  in  Afgha- 
nistan). Chodshent  (Turkestan).  Chodziesen  (Kolmar  in  Posen).  Chot- 
zen,  Chotebof.  Chotina.  Chotiesiny.  Cottage  (eine  Gruppe  von  liirten- 
hütten,  jetzt  Villen)  u.  a.  m.  —  Hieher  gehört  \\ohl  auch  der  vielum- 
strittene Name  "Quadiw. 

Den  vielfachen  Erfahrungen  zufolge  entspricht  das  «Qu«  in 
der  lateinischen  Transkription  andersprachiger  Wörter  dem  «H»  oder 
)cCh)(  (z.  B.  Haloze  w  urde  «Qualose«  geschrieben),  wofür  die  Grie- 
chen wieder  durchw^egs  ein  «K«  setzten.  Die  «Quadi«  (Tacitus)  und 
»Äoi'ädot«  (Strabon)  sind  demnach  nichts  weiter  als  die  Chodi  der 
slovakischen  Aussprache  («chuodi,  kuodi«)  in  der  schriftlichen  An- 
passung. —  Tacitus  erzählt  auch,  daß  sie  im  Gebiete  der  March  und 
Gran,  also  als  Nachbarn  der  heutigen  Slovakei,  w  ohnten.  und  zu  jener 
Zeit  den  König  Vannius  (Vana)  als  Herrscher  hatten;  sie  nuißten 
daher  schon  damals  eine  alte  und  vorgeschrittene  Kultur  gehabt 
haben,  wenn  ihr  Gemeindeältester  bereits  namentlich  und  in  der 
Königs  würde  den  Römern  bekannt  wurde.  —  Die  jetzige  Ge- 
schichte weiß  über  die  Quaden  zu  erzählen,  daß  sie  ein  mächtiges 
«germanisches«  Volk  waren,  die  oft  in  das  römische  Gebiet  einfielen. 


184 


aber  im  4.  Jahrhunderte  n.  Ch.  aus  der  Geschiehte  verschwinden.  — 
Selbstredend  sind  sie  nicht  verschwunden  und  auch  nicht  «in  den 
Bayern  aufgegangen»,  wie  man  dies  vermutet,  sondern  ihr  Volks- 
name wurde  im  Namen  «Slovaken«  oder  «Mährer,  Moravani«  zu- 
sammengefaßt, als  man  einmal  die  geographischen  Begriffe  zu  gene- 
ralisieren begann. 

Prokopins  (De  bello  gothico  I.  7)  nennt  Qothen  und  Slaven  noch 
nebeneinander;  desgleichen  führt  der  König  von  Schweden  den 
Titel:  »König  der  Gothen  und  Wenden». 

Hiehcr  gehören  auch:  Kacin,  Kacji  vrh.  Kaczmary,  Katschitz, 
Katzenberg,  Katzendorf.  Katzenelenbogen  u.  ä.  sow  ie  alle  scheinbar 
«kozaii  (=  Ziege)  zur  Wurzel  habenden  Ortsnamen,  wie:  Kozje, 
Kozji  vrh,  Kozlöw,  Kozarki,  Kozjak,  Kozina,  dann  Kosor,  Kosel,  Ko- 
sice, Kosovo,  Kositz,  Kosice  usw.  Sie  alle  kennzeichnen  einen  schutz- 
fähig hergerichteten  Platz  und  läßt  sich  diese  Behauptung  auch 
sprachgebräuchlich  festlegen,  denn  die  «Katze«  ist  bei  den  alten 
Festungsanlagen  immer  eine  wichtige,  meist  vorgeschobene  Bastei 
(oder  ein  T  u  r  m)  wie  z.  B.  in  Rotenburg  a.  T.,  in  Soest,  in  Passau. 
in  Würzburg  u.  a.  —  Das  eigentliche  Grundwort  ist  wahrscheinlich 
das  slavische  «kac«  =  steiler  Abfall,  steile  Höhe,  denn 
es  gibt  eine  Menge  von  Begriffen  dieses  Stammes,  die  alle  in  ver- 
teidigungstechnischer Hinsicht  mit  jenem  organisch  zusammenhängen, 
wie:  kacaga  (=  Überfall,  Wegelagerer),  kazarma  (=  Kaserne),  kaz- 
jonka.  kazna  (=  Pulverkammer.  Waffenplatz),  kat  (=  Scharfrichter), 
kazak.  meist  als  «kozak»  ausgesprochen,  als  Bezeichnung  für  den 
Verteidiger.  Krieger,  auch  freier  Mann,  stattliche 
Gestalt.  —  In  der  «Choden«  —  Tragödie  spielt  auch  ein  «Kozina« 
die  Hauptrolle.  —  Die  Begriffe  «chod,  kot,  kat.  kac.  kaz«  stehen  im 
sprachlichen  Zusammenhange  mit  dem  nachfolgenden  «kost«. 

Kost,  Kostel,  Kostelec,  Kostelka,  Kostelany,  Kosten,  Kosten, 
Kastav,  Host,  Hosti,  Hostice,  Hostyn  (d.  Hochstein),  Hostivaf,  Hostyn. 
Gastein,  Gösting  u.  v.  a.  weisen  auf  gut  v  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s  f  ä  h  i  g  e 
Punkte,  die  anscheinend  auch  zumeist  als  Friedhöfe  dienten.  — 
An  manchen  Stellen  dürfte  «kostel«  eine  Art  vorgeschobener  Befe- 
stigung gewesen  sein,  um  dem  Gegner  schon  vor  der  Erreichung  des 
eigentlichen  Angriffspunktes  Verluste  beizubringen,  ihn  zur  Zersplit- 
terung zu  nötigen  oder  Zeit  zu  gewinnen,  damit  die  Zentrale  Muße 


habe  ihre  Verteidigungsvorsorgen  zu  vervollständigen,  sich  zu  ver- 
proviantieren usw.  —  Bei  den  Katarakten  von  Brekovica  (Bosnien) 
durchbricht  die  Una  gewaltsam  das  vorgelagerte  Felsmassiv;  dicht 
daran  ist  die  Kuppe  K  o  s  t  e  1  (kroat.  Kosteo),  welche  einst  als  Ergän- 
zungsglied der  anschließenden  Qrenzveste  Brekovica  bildete.  — 
K  o  s  t  e  I  bei  Lundenburg  scheint  als  Abwehr  gegen  den  feindlichen 
Uferwechsel  der  Thaya  gedient  zu  haben;  daneben  ist  die  Höhe: 
Podivin.  —  Ein  häufiger  Name  ist  auch  «KostajnicaK.  Auf  einer 
Insel  der  Una  befindet  sich  ein  Kastell  zur  Beobachtung  der  beiden 
Flußufer,  daher:  Bosnisch-  und  K  roa  t  i  sc  h-Kostajnica.  Daß 
K  o  s  t  a  j  n  i  c  a  einen  fortifikatorischen  Sicherungspunkt  bezeichnet, 
ersieht  man  auch  daraus,  daß  in  einem  Falle  (Krain)  der  Name  in 
nLandstraß«  ins  Deutsche  übertragen  wurde,  also  als:  Wache  an 
der  Grenz  e.*) 

»Kosteljeii  bedeutet  im  Slavischen:  die  Knochenstelle,  d.  i.  den 
Friedhof,  welcher  überall  verteidigungsfähig  hergerichtet  war; 
die  Cechen  verstehen  heute  unter  nkostel«:  Kirche.  —  Daß  »kost, 
koste!)!  erst  vom  lateinischen  «castellumx  herrühre,  ist  deshalb  un- 
möglich, weil  ganz  Europa  diesen  Namen  unter  ausschließlich  slavi- 
scher  Namensumgebung  kennt,  hingegen  niemand  weiß,  daß  der 
Name  tatsächhch  Höhenbefestigungen  beigelegt  ist.  weil 
die  Urform  «kost,  kostel.  kostelje»  ihre  einstige  Bedeutung  einge- 
büßt hat.  Es  ist  geradezu  sicher,  daß  die  Römer  hievon  ihr  »castellum« 
bildeten,  denn  in  Mitteleuropa  war  früher  lateinisch  die  Amts- 
sprache; war  aber  Kcastellum«  ein  ursprüglich  lateinisches  Wort, 
so  hätte  es  ja  nicht  seine  Kontinuität  eingebüßt,  denn  Konstanz, 
ein  doch  geschichtlich  vielgenannter  Ort,  ist  bis  zum  15.  Jahrhunderte 
immer  nur  als  «Kostencz,  Costnitz«  verzeichnet  und  niemals  als 
«Castellum«.  —  Auch  hätten  die  später  gekommenen  Slaven.  wenn 
sie  den  Begriff  «Castellum«  irgendwo  übernommen  hätten,  denselben 
nur  sporadisch  gebraucht,  so  ist  er  aber  überall  und  inmitten  von 
sonst  reinslavischen  Verteidigungsbegriffen  anzutreffen,  als:  Kost 
(Böhmen),  Hostyn  (Mähren),  Konstanz  (Baden),  Costa  (Ti- 
rol). Castagna  (Istrien),  Kastanica  (Griechenland),  K  o  s  t  r  e  i- 
nitz  (Steiermark),  Kosten  (Posen).  Quastala  (Italien).  Ca- 


')  Loka  (=  Grenze)  wurde  oft  zu:  ionk,  lank,  lang  —  und  hier  zu 
»land«  —  der  Straße  wegen,  wie  man  »straza«  eben  phonetisch  nieder- 
schrieb, um  ein  (janffbares  deutsches  Wort  zu  erhalten. 


—  186  — 

s  t  i  1  i  e  11  (Spanien).  Kastenholz  (Siebenbürgen,  früher  Kostolatz). 
Uhosti  (Burgberg  bei  Kadan,  also  beim  «Kost«);  Kostolany 
vrh  (Slovakei);  Castallische  Quelle  (Griechenland);  ober 
der  letzteren  befindet  sich  ein  Felsberg  mit  einer  Kapelle;*)  der 
durchaus  der  Mythologie  zugeschriebene  und  bekannte  Aussichts- 
punkt xRadhost«  (in  Mähren)  gehört  auch  dieser  Etymologie  an; 
dort  stand  kein  Tempel  des  slavischen  Gottes  «Radegost»  sondern 
ein  »Wachobjektii  auf  dem  »rat«,  von  wo  eine  weitreichende  Beob- 
achtung sowie  eine  erhöhte  Möglichkeit  war  dem  Gegner  das  Vor- 
dringen zu  verwehren,  falls  er  der  Tallinie  ausweichen  sollte;  es 
würde  in  dieser  auffällig  ausgeprägten,  geschlossenen  Verteidigungs- 
zone sonst  der  unbesetzte  Höhenrücken  eine  Lücke  gebildet  haben, 
welche  alle  sonstigen  Maßregeln  illusorisch  gemacht  hätte.  —  Ähn- 
liche Verhältnisse  sind  bei  Hosteradice  (Mähren)  und  R  a  d- 
hostovice  (Böhmen). 


*)  Die  Lösung  der  Wasserfrage  ist  stets  ein  Wertmesser  für  die 
absolute  Widerstandskraft  einer  Fortifikation.  —  Da  nun  die  einstigen 
Burgen  und  Tabor's  zumeist  auf  Bergkiippen,  ja  sehr  oft  auf  hohen  Fels- 
kegeln  standen,  mußte  für  eine  sichere  Wasserversorgung  gleichfalls  vor- 
bedacht werden.  —  Die  hohe  Veste  Wurmberg  (Steiermark)  besaß  z.  B. 
nebst  einer  großen  Zisterne  im  Haupthofe  noch  innerhalb  der  Umfassungs- 
mauern einen  72  m  tiefen,  in  Felsen  gehauenen  Brunnen;  die  Burg  Rosenau 
(Siebenbürgen)  hatte  sogar  einen  solchen  von  152  m,  der  daher  durch 
den  ganzen  Juraielskegel  ausgestenuut  war.  —  Mit  der  Unterbrechung  der 
Wasserversorgung  konnte  der  Belagerer  hier  also  nicht  rechnen  und  zeigen 
diese  technisch  äußerst  schwierigen  Bohrungen  nur  allzudeutlich,  wie  ernst 
man  die  Sache  der  Verteidigung  genommen.  —  Hingegen  war  z.  B.  die  sonst 
sehr  starke  Burg  Sniolenik  (Slovakei)  in  der  Sommerzeit  bald  überwunden, 
weil  der  Fels  nicht  bis  zur  eigentlichen  wasserführenden  Schichte  durch- 
bohrt war,  der  Wassermangel  daher  selbst  den  grimmigsten  Feind  der 
Besatzung  bildete.  Befand  sich  jedoch  eine  nahe  Quelle  oder  ein  Wasser- 
lauf außerhalb  der  \erteidigungsz(>ne,  so  wurde  ein  unterirdischer  Gang 
hiezu  hergestellt  und  an  der  Schöpfstelle  ein  starkes  Verteidigungsobjekt 
(z.  B.  bei  der  Burg  Hissar  in  Serbien  der  Wasserturm)  erbaut,  oder  wurde 
aber  die  Quelle,  wie  beim  Tabor  Maria  Neustift,  von  außen  vermauert  und 
maskiert.  In  Deutschland,  wie  auch  anderswo,  fand  man  auch  bei  den  Wäl- 
len. Schanzen  u.  drgl.  Spuren  von  Brunnen.  —  Große  moderne  Städte,  die 
stundenweit  ihren  Wasserbedarf  herleiten  lassen  z.  B.  Wien,  sind  daher 
gegen  feindliche  Bedrohungen  schon  aus  diesem  Grunde  sehr  empfindlich, 
wenn  nicht  zugleich  für  den  Tiefquellwasserbezug  im  engeren  Weichbilde 
vorgesorgt  ist;  desgleichen  wird  schon  der  Wasserfrage  wegen  niemand 
große  Festungen  in  wasserarmen  Gebieten  (z.  B.  Karst)  anlegen. 


Desselben  Ursprungs  wie  Kcastelluin»  ist  auch  Kcastrumic  (= 
Heerlager),  welclies  doch  zumeist  befestigt  und  stets  gesichert  war. 
—  Als  Hoheitsname  ist  Castrin,  Castiraot  bekannt ;  so  be- 
nannte man  nämlich  die  griechischen  Kommandanten  jüdischer 
Städte  in  vorchristlicher  Zeit;  ansonst  hieß  der  Gemeindeälteste 
«Kosta»,  wie  man  im  Siidslavischen  den  Namen  Constans,  Con- 
sta n  t  i  n  u.  ä.  gebraucht.  Überdies  nannte  man  die  Kommandanten 
solcher  Zufluchtsorte  auch;  «gos«,  woraus  dann  «gost,  gospod,  ho- 
spodaf,  gosudar,  kostelnik,  Castellan,  custos,  hospes«  —  wurde.  Im 
Böhmischen  wurde  sprachanalog  «gos«  zu  kHush,  woraus  hervor- 
geht, daß  z.  B.  «Hussit»  nicht  speziell  den  Anfänger  des  Reforma- 
toren Johannes  Mus  bezeichnete,  sondern  dies  war  längst  vorher 
der  Name  jener,  denen  der  Schutz  irgendeines  Verteidigungspunktes 
oblag,  daher  "husit,  husar.*)  huissieri'  den  Krieger,  den  Wa- 
che haltenden,  den  Hütter  im  allgemeinen  andeutet.  Nach- 
dem aber  die  Gans  (gos.  hus)  auch  zur  Ergänzung  des  Wachdienstes 
herangezogen  wurde,  fungiert  dieser  "Vogel  zugleich  als  Attribut  der 
Wachsamkeit  (z.  B.  bei  allen  Darstellungen  des  Radegast).  —  Das 
«Huss-Ausläuten».  daß  früherer  Zeit  in  vielen  österreichischen  Städ- 
ten meist  um  9  Uhr  abends  stattfand,  galt  später  als  Gebetstunde 
zur  Abwehr  der  Hussiten.  war  aber  ursprünglich  nichts  weiter,  als 
das  phonische  Zeichen,  daß  die  Bürger  jetzt  zur  Ruhe  gehen,  dafür 
beginne  aber  der  Dienst  der  Nachtwache  für  die  hiezu  Bestimmten, 
ähnlich  wie  jetzt  der  Dienst  der  Feuerwehr  angetreten  wird.  — 
Ebenso  ist  es  unwahrscheinlich,  daß  alle  die  vielen,  als  «Hussiten- 
schanzen«  bezeichneten  Wälle  wirklich  den  historischen  Hussiten 
zuzuschreiben  sind.  — 

Tabor  nannte  man  jene  feste  Verteidigungspunkte,  die  nebst 
der  naturbegünstigsten  Lage  auch  eine  weite,  feste  Mauer 
und  für  den  äußersten  Kampf  innen  noch  einen  soliden  Bau  zur 
Hinterlegung  von  Waffen,  Proviant  und  sonstigen 
Bedürfnissen,  sowie  zur  Pflege  der  Verwundeten 
hatten.  —  Ortsbezeichnungen  dieser  Art  sind  sehr  häufig;  der  Berg 
Tabor  ist  schon  aus  der  Biblischen  Geschichte  bekannt,  auf  dem 


*)  Man  behauptet  zwar,  daß  Husar  vom  niagjarischen  «husz»  (= 
zwanzig)  stamme  d.  I.  jeder  zwanzigste  mußte  Soldat  oder  Reiter  sein,  aber 
diese  Deutung  ist  ganz  unhaltbar,  wenn  man  weiß,  daß  doch  in  den  Urzeiten 
jeder  junge  Mann  dem  Waffendienste  obliegen  mußte.  — 


tatsächlichlich  wiederholt  Lager  waren;  im  II.  Bezirke  Wien^  gibt 
es  ein  «Am  Tabor»,  welches  m.utmaßlich  ein  alter  Verteidigungs- 
punkt gegen  eine  feindliche  Landung  an  der  Donau  war;  in  Böhmen 
und  Kroatien  gibt  es  zahlreiche  Punkte  dieses  Namens;  in  Nord- 
ungarn ein  T  a  b  o  r  i  s  k  o;  in  den  Alpenländern  dienten  die  auf  Berg- 
kuppen erbauten  Kirchen  und  Kapellen  als  «Tabor'sii  oder  stehen  auf 
einstigen  Tabor-Plätzen.  und  ist  es  sicher,  daß  diese  zugleich  auch 
Friedhöfe  waren,  um  unter  einem  mit  der  väterlichen  Scholle 
auch  die  Begräbnisstätte  der  \'orfahren  zu  verteidigen.  —  (Siehe 
Abbildung  des  Tabor  Feldbach  in  Steiermark.) 

Baden,  Badnje,  Badia,  Badorf,  Waadt,  Vada  u.  ä.  deuten  auf 
verteidigungstechnische  Punkte,  die  durch  Verschan- 
zungen oder  künstliche  Wassergräben  verstärkt  waren,  denn  «bada« 
ist  im  Südslavischen  der  Graben,  die  Verschanzung;  «ba- 
dati)i  hn  Cechischen  s  p  ä  li  c  n.  im  Kroatischen  leise  gehen; 
«vadle«  ist  dem  Slovenen  der  Strohwisch  als  Qrenz- 
zeichen,  dem  Russen  «badoviak«  der  Qrenzbaum;  imter 
xvaditi  se«  versteht  der  Slovene  (wie  der  Böhme  noch  in  der  Grüne- 
berger Handschrift):  zanken,  streiten.  Die  Kroaten  gebrau- 
chen auch  den  Begriff  «bede,  bedenm  für  den  Grenzwall.  — 
Es  handelt  sich  hier  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  um  technische 
Vorkehrungen  an  Grenzzonen  (z.  B.  Pedenionte  a.  d.  Brenta), 
wobei  es  auffällt,  daß  solche  Vorkehrungen  vielfach  an  Punkten  mit 
heißen  Quellen  vorkonnnen;  liingegen  kommen  aber  wieder  viele 
Orte  gleicher  Namenswurzel  vor,  die  keine  heißen  Quellen  besitzen, 
sowie  viele,  die  letztere  wohl  aufw  eisen,  aber  einen  anderen  Namen 
führen.*)  —  Mazedonien  weist  allein  an  30  Namen  «Banja,  Badnja« 
auf,  welche  stets  Orte  mit  warmen  aber  auch  kalten  Quellen  be- 
zeichnen; es  scheint  daher,  daß  sich  die  alten  Völker  solche  Quellen, 
die  sie  zur  Kuren  benutzten.  \or  unberufenen  Belästigungen  be- 
sonders sicherten. 


'■')  So  hieß  Baden  bei  Wien  unter  Mark  Aurel  noch  «Aquae  Panno- 
nicae»;  Baden  (Baden)  «Aquae  Aureliae«,  weiches  Bad  angeblich  unter 
Hadrian  (nicht  unter  «AureliuSH)  gegründet  wurde;  wahrscheinlicher  ist  es 
aber,  daß  die  Römer  nur  das  slavische  »vrela  voda«  (=  heißes  Wasser) 
oder  »vrelo«  (=  heiße  Ouellc)  in  aquae  »Aureliae«  anpaßten  (vergl.  auch 
.Aachen). 


Der  Hoheitsuarne  ist  anscheinend:  «batja,  batjuska,  Vater« 
und  Kvatesic  (=  Seher).  — 

Klad.  Ortsnamen  dieser  Wurzel,  wie:  Klada,  Kladan,  Kladje, 
Kladno,  Kladrub,  Kladsko  (Glatz),  Klattau  u.  ä.  deuten  auf  einen 
Kamp  f-  oder  W  a  f  i  e  n  p  I  a  t  z.  —  Organisch  verwandte  Begriffe 
slavischer  Provenienz  sind  noch:  «kiatin  (südsl.  =  schlagen,  töten), 
«kladbisce«  (russ.  =  Friedhof),  «kladara«  (kroat.  =  Blockhaus), 
iikladka"  (russ.  =  Mauerwerk),  «kladovna«  (russ.  =  alter  Kirchen- 
platz), «kladisce  (russ.  ^  Gemeindeversammlung),  «kladenecK  (russ. 
—  Schwert),  «kladivo«  (allgemein  slav.  =  Hammer,  Axt),  «klatiti, 
klatezH  (slov.  vagabundieren,  Strauchritter),  xzaklad«  (slov.  =  der 
gesicherte  Schatz).  —  Eine  analoge  Bedeutung  hat  aber  die  gleiche 
Wurzel  auch  in  anderen  Sprachen,  wie  z.  B.  "klad«  (schottisch  =^ 
Friedhof,  irisch  —  Graben,  keltisch  ~  Hacke),  «gladium«  (lat.  = 
Schwert),  «gladiator«  (der  Kämpfer,  namentlich  der  berufsmäßige), 
«clades«  (lat.  =  Kriegsunglück),  «clathri«  (lat.  =  Schutzvorrich- 
tung, Gitter)  u.  s.  w.  —  Diese  Beispiele  zeigen,  daß  das  gleiche  Wort 
in  allen  Teilen  Europas  in  gleichem  Sinne  angewendet  wurde  und 
noch  heute  angewendet  wird,  wenn  auch  die  Origialbedeutung  nicht 
mehr  prägnant  hervortritt. 

Jasen,  .Jasy,  Jasno,  Jasnik,  Jasenka,  Jasenica,  Jasionka,  Jasna 
gora,  Jasne  pole,  Jastrebci,  JastrzQbie,  Jesec.  Jeschin,  Jeseni,  Jese- 
nice  u.  ä.,  wobei  in  der  Aussprache  vor  den  vokalischen  Anlaut  ein 
«i«  bezw.  "JH  gesetzt  wurde.  So  naheliegend  es  ist,  hier  «jasen»  (= 
Esche)  als  etymologische  Grundlage  anzusehen,  erwies  sich  bei  wei- 
terer Forschung  doch,  daß  diese  Deutung  falsch  ist,  denn  solche 
Lokalitäten  weisen  oft  gar  keinen  Eschenwuchs  auf;  an  vielen  Stel- 
len dieses  Namens  gibt  es  überhaupt  nur  Nadelholz  imd  ist  es  un- 
bedingt ausgeschlossen,  daß  etwa  die  Forstkultur  dort  den  Wechsel 
geschaffen  hätte.  Das  mährisch-schlesische  «Gesenke«  (richtig:  Ja- 
senik,  Jesenik,  früher  «Gesenik«  geschrieben)  ist  daher  nur  ein  Ge- 
birge mit  vielen  für  die  Sicherung  und  Verteidigung 
günstigen  Punkten  an  Einbruchsteilen.  Überdies  ge- 
brauchen die  sibirischen  Völker  noch  den  Begriff  «jasak«  für  den 
Zoll,  Tribut,  den  die  Fremden  der  Behörde  zu  entrichten  haben, 
sobald  sie  deren  Gebiet  betreten;  es  ist  dies  sonach  wieder  eine 
mit  der  Grenze    im  Zusammenhange    stehende    Namensgruppe. 


Das  ürundwort  ist  offenkundig  «jaz,  jez»  {=  Wehr,  Damm).  —  Der 
Pole  nennt  heute  den  Adeligen  «jasni  panH,  also:  Schutzherr 
(nicht  aber  blonder  oder  heiterer  Herr!). 

Sol.  Sohl,  Soline,  Solonka,  Solta,  Soltystvo,  Solcano,  Solce, 
Solan.  Soll,  Sölk,  Sölling,  Zoll,  Zola,  Zolldorf,  Zollfeld,  Zollern,  Zoll- 
nern, Zotkiew,  Zotnöwka,  Zöllnel  u.  ä.  sind  verteidigungsfähig  vor- 
bereitete, an  der  Grenze  gelegene  Punkte,  deren  Wachmannschaft 
mit  dem  heutigen  Begriffe  i<Soldat«  und  «Zöllnern  identifiziert  er- 
scheint. 

Der  sprachliche  Stamm  ist  in  allen  diesen  Namen  das  slavische 
Mzol,  zolii,  dessen  Existenz  sich  bei  den  Polen  und  namentlich  Slo- 
venen  bis  heute  in  verwandter  Bedeutung  erhalten  hat,  denn  erste- 
rem  ist  «zolnierzu  =  Soldat,  letzterem  «zold«  =  Krieg,  «zol- 
ner,  zolnir«  =  Soldat,  »zoliti«  =  lärmen,  Alarm  schlagen. 
Eine  anklingende  Deutung  hat  auch  das  lateinische  Msolidex  (= 
sicher),  xsolidoM  (=  befestigen),  «soldus,  solidusM  (=  fest,  reell,  ge- 
diegen), daher  die  von  den  Römern  her  bekannte  Münze  «solidus« 
nichts  weiter  ist,  als  der  heutige  hZoII«,  den  man  an  der  Grenze 
entrichten  muß  oder  «Sold«,  d.  i.  der  Beitrag  zu  den  Qrenzbe- 
w  achungskosten.  Der  Hoheitsname  hat  sich  in  «Sultan«  (=  höchster 
Befehlshaber)  und  xZoltanii  (magyarischer  Vorname)  erhalten. 

Veles,  Velez,  Velehrad,  Velja,  Vellach,  Bjelina,  Beljak  (Villach), 
Bilovice,  Bell  potok.  Belgrad,  Belovar,  Belotin,  Bela.  Bilek,  Bilsko, 
Biala,  Bilin,  Vill,  Villa,  Vilovo.  Villce,  Viletta,  Vilenjak,  Vils,  FUz, 
Filzmoos  u.  ä.  deuten  auf  verteidigungsfähig  hergerichtete  Punkte, 
die  man  ihrer  Festigkeit  wegen  «vel«  (=  Superlativ  von  einer  Ei- 
genschaft) nannte;  der  Kommandant,  der  das  Recht  hatte  zu  be- 
fehlen, d.  i.  «veleti«,  hieß  dann:  Vele,  Velar,  Belar,  Vilar,  Vilem 
(Wilhelm),  Veles,  Velpan  u.  ä.  —  In  der  türkischen  Verwaltung  ist 
iiVilajet«  gleichbedeutend  mit  Provinz.  Die  Frau  oder  die  Töchter 
eines  solchen  Befehlshabers  nannte  man  dann  «vila«,  worunter  die 
slavische  Mythologie  die  Berg-,  Wald-  und  W  a  s  s  e  r  n  y  m- 
p  h  e  n,  d.  h.  hervorragend  schöne  Mädchengestalten  versteht,  wo- 
bei in  der  Wirklichkeit  mitunter  mehr  der  Respekt  als  die  Schön- 
heitsgründe, analog  wie  heute,  maßgebend  waren.  Die  Wohnung, 
das  Haus  des  Höchsten  nannte  man  aus  gleichem  Grunde  «villa». 
also:  besseres  und  isoliertes  Gebäude,  wovon  sich  der  Name  auch 


—  193   — 

noch  im  Begriffe  W  e  i  1  e  r  ei-lialten  hat.  Die  germanische  Sybille 
«Veleda«.  die  angeblich  vom  hohen  Turme  aus  prophezeite,  war  in 
der  Wirklichkeit  augenscheinlich  ein  Mann  von  Rang,  der  auf 
einem  liochgelegenen  Punkte  wohnte  und  von  dort  aus  die  ihm  Un- 
terstellten sicherte  und  leitete. 

Ves.  Darunter  versteht  der  Slovene  heute  das  Dorf  im  all- 
gemeinen (auch  in  der  falschen  Form  Kvas«  gebräuchlich),  d.  i.  die 
Gemeinde,  welche  einst  auf  eine  eigene  Sicherung  gegen  feindliche 
Einfälle  bedacht  war.  Der  Älteste  einer  solchen  Gemeinde  war  der 
)iBes«  (die  Form  «Ves»  hat  sich,  wenigstens  in  den  Schriften,  nicht 
erhalten);  seine  Frau  war  die  «Vesna»,  welche  die  Dichter  später 
zur  Friihlingsgüttin  avancieren  Hel3en;  die  Bewohner  eines 
größeren  Gebietsteiles,  welcher  sich  mit  »ves»  sicherte,  hießen  dann 
i(Bessi)i ;  «PesoglavM  ist  daher  nicht  ein  »Hundskopf»,  sondern  das 
M  a  u  p  t,  der  Älteste  mehrerer  «Ves«  =^  Gemeinden.  Ob  die  «Pe- 
soglavci«  je  einen  Hundskopf  im  Banner  führten,  ist  kaum  zu 
beweisen,  und  ist  dies  gesichert,  so  geschah  es  eben  auf  Basis  der 
falschen  Etymologie,  wie  sich  der  Volksmund  unverständliche  Be- 
griffe selbst  ohne  tiefere  Begründung  zurechtlegt.  Die  Umwertung 
des  Begriffes  «bes«  in  Teufel,  der  «Böse«  (!)  geschah  auf  dem- 
selben Wege,  wie  dies  bei  «cert,  cart«  dargelegt  wurde:  bei  den 
eigenen  Leuten  war  der  «Bes«  der  Führer,  der  Beschützer, 
beim  Gegner  der  Feind,  der  Böse;  nachdem  den  ersteren  der 
fremde  «Bes«  auch  ein  Feind  war.  nahm  mit  der  Zeit  der  Begriff  all- 
gemein die  Personifikation  des  feindlich  gesinnten  Prinzipes,  also 
des  widerwärtigen  Nachbars  an,  von  dem  nur  Nachteiliges, 
B  ö  s  e  s  zu  erwarten  sei. 

Der  Begriff  «ves«  ist  im  Slavischen  von  der  Bedeutung  «Dorf« 
ganz  absorbiert  worden;  hingegen  hat  die  magyarische  Sprache, 
welche  überaus  reich  an  slavischen  Wörtern  ist,  noch  die  Form 
Mvesz«  für  Not,  «veszely«  für  Gefahr  rein  erhalten;  allerdings 
besitzen  die  Slaven  dieses  Grundwort  auch  im  verwandten  Ge- 
brauche, aber  eben  in  der  äußerlich  veränderten  Form  «bes«.  Im 
«Keltischen«  hat  «vas«  noch  die  Bedeutung:  Turm. 

Die  zahlreichen  Grte  des  Namens:  Ves,  Vesca,  Vescc.  Veselä, 
Veseii,  Veselka,  Veste  (deutsch  «Feste«),  Vestin,  Veznice,  Vezky, 
Vezenice,   Vas,   Vasja   ves,   Vassach,   Vsetin,   Wassie,   Wasendorf, 

13 


Wasseno,  Wasser,  Wasserau,  Wasgora,  Wassersuppen  (Tautologie 
von  )ivaS)i  und  «zupa«),  Wassertlieuer  («vaSK  und  «turK),  Wasylöw. 
Waszkoutz,  Wes.  Wesce.  Wesselä,  Wessely,  Wesetz,  Weska.  Wcs- 
kau,  Wesselitz.  Wessnitz  ^cech.  Form  von  «vesu  ist  auch  «ver::ce»). 
Westetz,  Westendorf,  Fessnach  u.  v.  a.  lassen  ihre  Etymologie  aus 
diesen  Beispielen  leiclit  erkennen. 

Ansonsten  gehören  hieher  nebst  den  KBeskidemi,  d.  i.  das 
Qrenzgebirge  gegen  Ungarn,  auf  dem  die  Übergänge  durch  «ves« 
gesichert  waren,  noch:  Bessarabien,  die  römische  Provinz  «Bessicai' 
(im  nordöstlichen  Thrakien),  Besermjanen  (tatarisches  Volk  in  Ruß- 
land), Fes  (arab.  Fas,  Provinz  in  Afrika),  Wessen  (Tschuden  in  Ruß- 
land), Wessex  (angelsächsisches  Reich),  Kap  Wessel  (Südaustra- 
lien) u.  a.  —  Als  Hoheitsname  haben  sich  KVezim  (türk.  Würdenträ- 
ger), Vesta  (die  Göttin  des  Hauses),  Vestalinnen  (die  das  Feuer  am 
Mons  Palatinus  b  e  \\  a  c  h  t  e  n,  Feuerbereitschaft  hielten),  Bessos 
(pers.  Satrapenname,  der  auch  als  Gattungsbegriff  galt),  «vescovin 
(der  Bischof,  jetzt  der  kirchliche  Leiter  eines  Bistums)  erhalten. 
Daß  es  sich  hier  um  eine  Verteidigungsvorsorge  handelt,  ersieht 
man  aus  den  ins  Deutsche  übergegangenen  Begriffen:  Fest,  Feste 
(Veste).  Festung,  namentlich  aber  aus  dem  Böhmischen  «veza»  (= 
Turm). 

Tribus,  Tribun.  Es  gibt  eine  ungewöhnlich  hohe  Zahl  von 
Lokalitäten,  deren  Namenswurzel  aus  «tri,  tre,  trib,  treb,  trez«  u.  ä. 
besteht,  die  alle  auf  einen  Verteidigungspunkt  oder  vor- 
bereiteten Kampfplatz  anspielen,  wobei  jedoch  der  eigent- 
liche und  grundlegende  Begriff  in  seiner  Urform  nicht  mehr  klar  er- 
kennbar ist.  —  Alle  alten  Formen,  wie  das  altslavische  «trizna«  (= 
Kampf,  Gefecht),  «trizniste«  (=  Kampfplatz),  das  slovenische  «dre- 
zatix  (-  lauern,  aufpassen),  Kdregati"  (=  stoßen,  anspornen),  «trib- 
IjatJK  (hin-  und  herstoßen),  das  lateinische  »Tribun«  (=  Befehls- 
haber, Ältester  eines  Tribus),  welches  im  Slavischen  wieder  als 
«Trifun«  gebräuchlich  ist,  dann  das  deutsche  «Treffen«  (=  Ge- 
fecht), «treten«  (=  unterdrücken),  «trischaken«  (=  prügeln,  nieder- 
kämpfen), «tribulieren«  (=  quälen,  bedrängen)  u.  a.  zeigen  alle  eine 
interlinguale  Verwandtschaft  sowohl  in  Bezug  auf  Form  wie  Be- 
deutung. —  Die  Berechtigung,  dieses  Grundwort  als  slavisch 
der  Genesis  nach  hinzustellen,  geben  aber  eben  wieder  die  Ortsna- 


nien.  denn  zahlreiche  solche  Punkte  befinden  sich  inmitten  von  sonst 
untrüglich  slavischen  Lokalnanien,  können  daher  nicht  fremden  Ur- 
sprungs sein,  abgesehen  von  dem  Umstände,  daß  vielen  davon  noch 
historische  Beweise  der  slavischen  Provenienz  anhängen.  Ob  nun 
die  Punkte:  Trebinje  (röm.  Terbunia,  Travunia),  Trencin  (alt.  Tricin), 
Trient  (Trento),  Trifcls.  Trbovije  (Trifail),  Tring,  Trikkala,  Trivia, 
Triptis  (alte  Sorbenburg),  Triplis,  Tirnovo,  Trnovo,  Tersat,  Trst 
(Triest),  Tresternitz  u.  ä.  oder:  Drezno,  Dreznica,  Drcnovik,  Dren- 
sko  rebro,  Dervent.  Derbent,  Drbalov,  Drbalovice  u.  ä.  lauten,  fast 
überall  zeigen  d'e  Bodenplastik  oder  wenigstens  die  Überlieferung 
wie  auch  die  Erdfunde  daselbst,  daß  sich  hier  irgendein  wichtiges 
Kampfobjekt  befunden  hat,  denn  davon  rühren  ja  noch  die  Begriffe 
«trdnjava«  (slav.  Festung)  her,  sowie  das  lat.  «Tribunal«  (=  der 
erhöhte  Richterplatz),  daher  man  im  Deutschen  auch  noch  immer 
sagt,  daß  ein  Verbrecher  «auf  die  Festung«  kommt,  wenn  dies 
ansonst  auch  nur  ein  einfaches  Gefangenhaus  ist. 

Die  Flüsse:  Drin,  Drina,  Drinovaca,  Trent,  Drava  (Drau), 
Dravnja  (Drann,  Dränn,  Tränn),  Trefen,  Traisen  u.  a.  haben  daher 
diesen  Namen,  weil  sie  längst  einer  Linie  mit  solchen  festen  Punkten 
flössen  und  diese  noch  natürlich  verstärkten,  also  eine  Grenze 
bildeten.  Die  Abgabe,  die  man  beim  Passieren  entrichten  mußte, 
nannte  man  demnach  «Tribut«.  Daß  der  Begriff  «trebiti«  —  roden, 
abstocken  zugleich  bedeutet,  zeigt  nur  auf  den  natürlichen  Zu- 
sammenhang des  auserwählten  Kampfplatzes  mit  dem  vorgefun- 
denen Urterrain,  welches  zu  diesem  Behufe  erst  hergerichtet  und 
wenn  bewaldet,  vorerst  abgeholzt  werden  mußte.*) 

Brück,  Prugg.  Namen  dieser  Form  befinden  sich  zumeist  in 
Gegenden,  wo  heute  eine  Brücke  vorhanden  ist;  es  kommen  aber 
auch  Zusammensetzungen,  wie  Moderbruck,  Mohenbruck,  Brücken- 
berg vor,  wo  es  sich  vorerst  um  keine  Brücke  handelt.  Es  drehte 
sich  hier  im  Anfange  nur  um  eine  Verteidigungsvorsorge  bei  einem 
günstigen  Grenz-  oder  Uferwechselpunkte  oder  einem  sonstigen 
Zugange,  denn  die  Bewohner  mußten  stets  darauf  bedacht  sein,  daß 


*)  Bacmeister  glaubt  (Alemannische  Wanderungen,  Stuttgart  1867, 
p.  87),  daß  vtrebir«  altirisch  sei.  und  klug  bedeute.  Dieses  soll  auch  die 
Etymologie  der  Treviri  (Urbs  Treviorum)  sein!  Er  setzt  deshalb  zu. 
daß  manche  gallische  Volksnamen,  echt  gallisch,  etwas  prahleri- 
sche Prädikate  in  sich  schließen.  —  Recht  hat  jedoch  keiner! 

13* 


ihre  Brücken,  Furten,  Viadukte  auch  der  Gegner  benutzen  wird,  man 
mußte  daher  auch  in  dieser  Hinsicht  vorbereitet  sein.  Alle  Pruk, 
P  r  u  c  h  a,  B  r  u  c  k  u.  ä.  sind  daher  im  allgemeinen  als  Brücken- 
köpfe ältesten  Systems  anzusehen,  und  ging  daraus  erst  der  Be- 
griff «Brücken  für  das  Objekt  selbst,  welches  gesichert  wurde,  her- 
vor. Normal  waren  das  a  m  oder  nächst  dem  Ufer  aufgeworfene 
Dämme,  denn  im  Russischen  ist  «prudka«  =  Damm,  pruzit,  pru- 
dit  =  a  u  f  d  ä  m  m  e  n,  anschwellen,  pruzenie  =  das  D  ä  m- 
men,  brukat,  bruhat  =  werfen,  aufwerfen.  —  War  ein  sol- 
cher Terrainpunkt  von  größerer  strategischer  Bedeutung,  weil  er 
sozusagen  für  den  Gegner  ein  Einfallstor  bildete,  so  war  auch  die 
Sicherung  eine  verstärkte,  daher  sich  an  solchen  Stellen  meist  auch 
feste  Burgen,  Schlösser  oder  Ruinen  vorfinden,  wie  z.  B.:  Brück 
a.  L.,  Brück  a.  M.,  Klosterbruck,  Waidbruck,  Bruckhausen  u.  a.  — 
Im  Deutschen  findet  sich  oft  die  Form  «Brühl«  für  «bruhla«  vor; 
z.  B.  die  Vorder-  und  Hinter-Brühl  w-aren  wohl  einst  nur 
ergänzende  Fortifikationen  der  Veste  Mödling  (bei  Wien). 

Most,  Mosty.  —  Analog  wie  «Brück«  ursprünglich  nicht  die 
Brücke  selbst  bezeichnete,  bedeutete  einst  auch  »most«  nur  einen 
Übergang  im  Terrain,  der  verteidigungsfähig  hergerichtet  war. 
Daß  dies  zumeist  eine  Brücke  oder  ein  Viadukt  war,  ist  wohl  nahe- 
liegend; aber  ebenso  gibt  es  z.  B.  bei  Teschen  wie  am  nahen  Jablun- 
kau-Passe  je  ein  M  o  s  t  y,  wo  sich  kein  Bedürfnis  nach  einer  Brücke 
je  einstellen  konnte,  da  beide  Orte  auf  der  Höhe  liegen.  Mosty 
bei  Jablunkau  weist  noch  heute  zahlreiche  Schanzen  auf.  denn  es 
sperrte  den  Grenzübergang  gegen  Ungarn  ab. 

In  etymologischer  Hinsicht  erscheint  der  Begriff  schon  sehr 
verschwommen;  der  Stamm  ist  aber  jedenfalls  «moz«  =  das  Mark, 
die  Stärke,  im  Böhmischen  «moc«;  der  Verteidiger  eines  solchen 
«most«  \\ar  der  «moz«  =  der  kräftige  Mann,  der  Starke, 
xmozik.  muzik«  (=  der  starke  Bauersmann.  Die  «Moschen«  dien- 
ten nach  Herodot  im  Heere  des  Xerxes  und  stammten  aus  der  Um- 
gebung des  Schwarzen  Meeres. 

Augenscheinlich  benannte  man  einst  «most»  jenen  Übergangs- 
punkt, der  für  den  Kampf  technisch  vorbereitet,  also  verstärkt  war. 

Namen  dieser  Genesis  sind  daher  vor  allem  die  vielen: 


Moos,  Moosbach,  Moosburg,  Mooskirchen,  Moosleithen,  Mozole, 
Mozirje,  Mostenice,  Mossa,  Mössl,  Mosel,  Mosel,  Moszczenica, 
Moskva,  Moskau,  Moser,  Mosern  u.  a.  — 

Hieher  ist  auch  der  Name  «Mostarx  einzureihen.  —  Der  Name 
der  herzegowinischen  Hauptstadt  w  ird  zumeist  als  «most  star»  (= 
alte  Brücke)  ausgelegt,  \vas  jedoch  ein  Nonsens  ist,  denn  bis  zum 
Jahre  1884  bestand  nur  diese  einzige  Brücke,  und  es  wird  doch  nie- 
mand eine  einzelne  Brücke  vom  Neubaue  an  als  «alte  Brücke«  be- 
zeichnet haben.  —  Mostar  liegt  zwischen  dem  Podvelez  und  Hum 
eingeengt  und  muß  diesen  Engpaß  jedermann,  der  vom  Meere  ins 
Land  oder  umgekehrt  gelangen  will,  passieren,  denn  es  gibt  weder 
für  den  Kaufmann  mit  den  Tragtieren,  noch  für  den  Eroberer  einen 
anderen  gebahnten  Weg.  An  diesem  Defile  zum  Meere  entstand 
auch  natürlichermaßen  eine  Ansiedlung  und  wurden  die  Bewohner 
bei  der  vom  Meere  bis  Konjica  einzigen  Brücke  über  die  Narenta 
als  iiMostarji«  (=  Ansiedler  an  der  Brücke)  benannt,  woselbst  sich 
aber  behufs  Verwehrung  des  Uferwechsels  Verteidigungsobjekte 
befanden,  denn  die  beiden  heute  noch  vorhandenen  Brückenvertei- 
digungstürme sind  eben  nichts  weiter  als  ein  Brückenkopf 
alten  Systems. 

Zenjak,  Dzenjak,  Senarka,  Senjak,  Senica,  Sienica  u.  ä.  be- 
zeichnen alle  einen  technisch  mehr  oder  weniger  vorbereiteten 
Kampfplatz,  und  hat  im  Kroatischen  «dzeniak«  noch  heute  diese 
Bedeutung.  Die  deutsche  Namensform  lautet  heute  äußerlich  meist 
als :  S  c  h  ö  n  n  i  a  k,  S  c  h  ö  n  n  e  g  g,  S  c  h  ö  n  s  e  e.  —  Es  ist  auf- 
fallend, daß  i.  J.  1878  bei  der  Okkupation  von  Bosnien  und  der  Her- 
zegowina sofort  alle  Ortschaften  namens:  Zenica,  Senica, 
S  j  e  n  i  c  a  militärisch  besetzt  wurden,  da  sie  jedenfalls  durch  ihre 
Lage  einen  erhöhten  taktischen  Wert  aufwiesen.  ^  Auf  dem 
)(2enjaki(  (Hügel  in  Untersteiermark)  wurden  im  Jahre  1811  die 
berühmten  26  Negauer  Bronzehelme  ausgegraben,  von  denen 
zwei  «etruskische»  Inschriften  tragen.  —  Die  Etymologie  zeigt  nun, 
daß  hier  auf  dem  317  m  hohen  Berge  einst  eine  Verteidigungsstellung 
war,  und  daß  es  hier  Kämpfe  gab,  ersieht  man  eben  daraus,  weil 
die  Gefallenen  samt  ihrer  Rüstung  am  Kampfplatze  bestattet  wurden. 
Eine  weitere  Bestätigung,  daß  es  sich  hier  um  verteidigungstech- 
nische Vorsorgen  handelt,  ersieht  man  auch  daraus,  daß  man  vor 
dem   17.  Jahrhunderte  diese  Gegend  noch  in  den  Urbarien  als  «an 


der  Voyt«  verzeichnet  findet  und  verstehen  die  Slovenen  unter 
MVOid)i  den  Dorfältesten,  den  Führer  des  «voj«.  d.  i,  des 
Kampfes,  der  Verteidigung,  woraus  das  deutsche  «Vogt«  hervor- 
ging. «An  der  voyt«  bedeutet  sonach  den  Kampfplatz,  a  u  f  oder  a  n 
dem  auch  der  Leiter  der  Verteidigung,  der  Qemeindeälteste,  wohnte. 

Der  Hoheitsname  war  «zen.  zenin,  zenih«,  welches  noch  seine 
Spuren  in  «gens,  Qendarme,  Genie«  zurückgelassen  hat  und  im 
Deutschen  heute  den  häufigen  Famieliennamen  «Schön«  bildet,  denn 
«zenem«  heißt  im  Slovenischen  auch  heute:  führen.  —  Aus  «2en- 
jak«  wurde  oft  ein  «Schönacker»,  was  wieder  zur  Rückübersetzung 
«Lepa  njiva«  (=  schöner  Acker)  führte. 

Ortschaften  dieses  Namens  sind  wohl  durchwegs  gute  Über- 
sicht gewährende  Punkte,  wie  z.  B.  die  Burg  Schenna  (Tirol),  Schön- 
stein (Steiermark)  u.  ä. 

Lcpa.  Loba,  Lobau,  Lobnitz.  Lobenstein,  Lobenwein,  Leoben, 
Lecpo'dsau,  Leopoldskirchen,  Lupa,  Ljubno,  Ljubecno,  Ljubinje, 
Ljubuski,  Lublin,  Lübbenau  u.  a.  sind  vorbereitete  Kampfplätze, 
meist  mit  einer  Wachhütte  versehen.  Das  Grundwort  ist  lopati.  lupati 
(=  schlagen,  prügeln);  die  Begriffe  für  die  Kämpfenden  auf 
solchen  Punkten  waren  «lopez,  lupez.  lopov«.  welche  aber  heute 
nur  mehr  im  schlechten  Sinne  d.  i.  für  Räuber  und  Wege- 
lagerer gebraucht  werden.  "Lopa«  bezeichnet  überdies  nicht  nur 
den  Verteidigungsplatz  selbst,  sondern  auch  das  daselbst  befindliche 
W  a  c  h  h  a  u  s  (deutsch :  Laube),  welches  ursprünglich  wohl  eine  pri- 
mitive, auf  einer  Seite  der  leichteren  Beobachtung  wegen  offen 
gelassene  Hütte  war.  aus  der  sich  aber  mit  der  Zeit  auch  Burgen, 
Kapel'en,  Kirchen,  ja  Festungen  entwickelten. 

Der  hl.  Leopold  führt  gewiß  nicht  ganz  i-nbegründet  eine  Kirche 
als  Attribut,  und  ist  z.  B.  der  Leopoldsberg  bei  Wien  tatsäch- 
lich ein  uralter  Bcobachtungs-  und  Verteidigungspunkt,  der  ja  auch 
i.  J.  1683  bei  der  Türkenbelagerung  eine  besondere  Rolle  spielte, 
denn  dies  bestätigen  auch  die  von  der  Leogesellschaft  veranstal- 
teten Ausgrabungen.  Man  hat  auf  dem  Verbindungsrücken  zwischen 
dem  Leopoldsberg  und  Kahlenberg  die  Reste  einer  «kelti- 
schen« Ansiedlung  gefunden.  Durch  Schlackenfunde  ver- 
anlaßt, wurden  die  Nachforschungen  daselbst  fortgesetzt,  welche 
etwa  25  Bronze-  und  Eisenstücke  von  Werkzeugbestandteilen,  fer- 


iicr  ein  20  cn\  langes,  vierkantiges  Stilet  mit  Hirschliorngrl'f,  dann 
Bronzeknöpfe  und  eine  silberne  keltische  Münze  mit  Vergoldungs- 
spuren, einen  lorbeerbekränzten  Manneskopf  darstellend,  zu  Tage 
förderten.  Weiters  fand  man  Hüttenanwurf  mit  dem  Abdrucke  von 
Flcchtwerk.  Alle  Gegenstände  lagen  nur  etwa  einen  halben  Meter 
tief  unter  der  schwarzgefärbten  Erdoberfläche.  An  der  Fundstätte 
lagen  auch  Knochen  und  Zähne  von  Tieren,  dann  Bruchstücke  von 
sehr  hart  und  gut  gebrannten,  bereits  auf  der  Drehscheibe  ver- 
fertigten Tongefäßen;  überdies  wurden  mehrere  Bronzeringe  aus- 
gegraben, die  als  Halsschmuckringe  angesehen  werden.  —  Die  Zeit, 
welcher  diese  Funde  angehören,  kann  mit  Sicherheit  nicht  angege- 
ben werden,  aber  alle  Anzeichen  sprechen  dafür,  daß  man  es  eben 
mit  Überresten  einer  ukeltischen»  Ansiedlung  zu  tun  habe. 

Strat,  Straden,  Stradonitz,  Stradov,  Stradom,  Stradomka,  Stra- 
dioten,  Strath,  Stratdorf,  Stratos  u.  ä.  sind  Namen  für  bewachte 
und  verteidigungsfähig  hergerichtete  Terrain- 
punk t  c.  —  Das  Grundwort  ist  «strad«  (oder  «strat«).  Die  Russen 
nannten  «strad»  —  den  Kampfplatz,  «stradalec«  —  den  Kämpfer; 
heute  versteht  man  darunter  nur  mehr  den  Hungernden,  den 
an  Entbehrungen  Gewohnten,  womit  sich  schließlich  ruch  der  Be- 
griff Soldat  deckt.  Am  vollständigsten  hat  dieses  Grundwort  im 
Griechischen  Wurzel  gefasst,  denn :  Strategie,  arQattyfj^ia,  (Kriegs- 
list). (TTgareyng  (Feldherr)  u.  s.  w .  sind  für  uns  nur  mehr  rein- 
griechische Begriffe.  Die  vielen  topischen  Namen  in  Nordeurcpa 
zeigen  aber,  daß  das  Wurzelwort  nicht  altgriechischen,  sondern 
slavischen  Ursprungs  sein  muß.*)  —  «Stradone«  (im  dalmatinischen 

~)  Die  Kritik  hat  mir  den  Vorwurf  gemacht,  daß  ich  altgriecliische 
Begriffe  im  Slavischen  nicht  als  Gräzismen  anerkannt  habe.  Nun  fällt  aber 
die  Sache,  ob  die  Slaven  von  den  Griechen  Wörter  genommen  haben  oder 
umgekehrt,  zu  Ungunsten  der  Griechen  aus,  und  führe  ich  außer  der  Tat- 
sache, daß  sich  im  heutigen  Griechenland  viele  Ortschaften  zweifellos 
slavischen  Namens  vorfinden,  und  den  sonst  zerstreut  im  Buche  vorkom- 
menden Bedenken  für  die  gegenteilige  Ansicht  noch  folgendes  an,  was  uns 
Plinius  (Hist.  nat.)  erzählt:  Das  Schuhmachen  habe  Boöthius  erfunden;  wer 
denkt  dabei  nicht  an  «bot«  (böhmisch  und  französisch:  Stiefel),  bucar, 
obucar  (kroat.  Schuhmacher);  die  Wahrsagung  stamme  von  einem  ge- 
wissen )<Car»;  dem  Slaven  ist  aber  «car«  —  Zauberei,  carnik  =  Zauberer; 
die  Töpferei  habe  Choröbus  erfunden;  dem  Slaven  ist  «crep»  =  Topf;  das 
Ptliigen  mit  Ochsen  begann  Buzyges;  dem  Bosnier  ist  «busak,  busak»   = 


200 


Küstengebiete)  erinnert  an  die  militärischen  Sieherungspunkte,  an 
den  «Strand«,  daher  auch  der  Qrenzgürtel  mit  »Strand «-hatte rien 
versehen  wird. 

Rat.  Dieses  Grundwort  kennzeichnet  im  Altslavischcn,  wie 
auch  heute  noch  im  Russischen  n.  Südslavischen:  Krieg,  Kampf, 
Streit;  «ratnikii  ist  der  Kämpfer,  Krieger;  «ratisce»  —  der 
Kampfplatz.  Günstige  Kampfplätze  waren  naturgemäß  zunächst 
die  Höhenkuppen,  die  meist  durch  Zusammensetzungen,  wie:  O  s  t  r  i 
rat,  Dugi  rat,  Goli  rat,  Stonski  rat  u.  ä.  näher  gekenn- 
zeichnet wurden.  —  Topische  Namen  dieser  Genesis  sind  überaus 
zahlreich;  es  seien  daher  hier  nur  einige  typische  erwähnt,  wie: 
Rath,  Rathen,  Rattenberg,  Ratzenberg,  Ratit,  Rat- 
hausberg,  Radno  (deutsch  «Rückenstein«),  R  a  d  e  1  s  t  e  i  n, 
Radgona,  Radomirje,  Racice,  Rataj  u.  a.  —  Ein  etymo- 
logisch zweifelhafter  Name  ist  jener  des  Dorfes  «Kranichsfeld«  auf 
dem  Pettauer  Felde,  der  im  Slovenischen  «Race«  (richtiger  «Racje«) 
lautet  und  sonach  einen  vorbereiteten  Kampfplatz  be- 
zeichnen muß.  Dies  trifft  aber  auch  in  vollem  Maße  zu,  denn  das 
heutige  umfangreiche  Schloß  ist  noch  immer  von  einem  tiefbreiten 
Graben  umgeben,  der  nötigenfalls  durch  Ablassung  der  höher  lie- 
genden Teiche  sofort  mit  Wasser  gefüllt  werden  konnte;  hieher 
zogen  sich  also  die  Umwohner  zurück,  wenn  ernste  Gefahr  drohte 
und  die  inferioren  Verteidigungspunkte  bereits  preisgegeben  werden 
mußten. 

In  vielen  Fällen  wurde  das  «a«  der  Stammsilbe  zu  «ä«  und  «e« 
(analog  wie  «gradec«  zu  «Grätz«,  «granica«,  zu  «Gränze,  Grenze« 
wurde). 

Der  Hoheitsname  ist:  Rat,  slav.  rada,  radni  (der  die  Ver- 
teidigung Leitende,  der  Ratgeber,  jetzt:  Gemeinderat).  —  In  Form 


Ochs;  der  Kampf  mit  Knütteln  hieß  bei  den  Griechen  »phalangaH;  der 
slovenische  Bauernbursche  rächt  eine  derbe  Verbaiiniurie  noch  immer  mit 
der  «plankax  (=  Zaunpfahl)  u.  a.  Die  landläufige  .Ansicht,  dies  seien  ein- 
fache Zufälligkeiten,  wird  aber  doch  durch  die  Masse  der  Beispiele  allmählig 
erschüttert.  So  weiß  der  Grieche  für  »Salamis«  keine  naturgemäße  sprach- 
liche Deutung;  hingegen  gebraucht  der  Russe  »salma«  für:  schmale  Meer- 
enge, Bucht;  «salmas«  ist  ihm  der  Hirtenälteste,  also  der  primitive  Hoheits- 
name, wie  er  sich  weiter  in  den  Personennamen:  Sahn,  Salomon,  Solman 
(Soliman),  Salmanassar  u.  ä.  erhalten  iiat. 


und  Bedeutung   verwandt   mit    «rat«   (=    Kampf)   ist   das   deutsche 
«Radau IC  (=  Streit). 

Der  Erbauer  der  Habsburg,  Oraf  K  a  t  b  o  d,  («Bischof  Werner 
gab  das  Geld,  Graf  Ratbod  hat  sie  hingestellt«)  war  sonach  etymo- 
logisch einst  lediglich  der  Funktionsname  des  Verteidigungskom- 
niandanten,  des  Kampfleiters  («rat«  und  «vod«)  daselbst,  und 
heißt  der  Hauptturm  jener  Burg  auch  der  «Rattod-Turm«,  d.  h.  dort 
hielt  sich  der  jeweilige  Kommandant  auf. 

Spas,  Kommt  am  Balkan  wie  in  Galizien  oftmals  vor  und  deu- 
tet einen  Sicherungspunkt  an,  denn  «spas«,  «spasiti«  heißt 
im  Südslavischen :  Rettung,  retten,  sich  in  Gewahrsam 
bringen.  —  Eine  solche  Höhe  befindet  sich  z.  B.  nordwestlich 
Bosnisch-  Kostajnica.  einer  Gegend,  die  überaus  zahlreiche  Siche- 
rungspunktc,  namentlich  mehrere  Karaula's  aufweist.  — 

Boj,  Voj.  Unter  dieser  Bezeichnung  versteht  der  Slave  Zug, 
Korps,  Heer;  «vojna,  vojska«  —  Krieg,  Militär;  «vojak, 
vojin«  =  Soldat,  Kämpfer;  «bojisce,  bojiste»  =  Kampf- 
platz, Verteidigungsplatz;  «vodej,  vodnik,  voditi«  = 
Führer,  führen;  «vojvod«  =  der  Führer  größerer  Ab- 
teilungen, und  führte  dieses  zum  Begriffe  «veliki  vojvod«  (= 
Großwoiwode),  wenn  er  Oberfeldherr  war,  d.  h.  mehrere  Ver- 
teidigungsbezirke unter  seinem  Kommando  vereinigte,  daher  auch 
die  Titulatur  «Großwoiwodschaft«  einigen  Provinzen  (z.  B.  Serbien, 
Siebenbürgen)  zukam. 

Jene  Punkte,  welche  als  Kampfplätze  in  voraus  in  Aus- 
sicht genommen  waren,  führten  auch  diese  charakterisierende  Na- 
men, wie :  Bojan,  Bojanovice,  Bojanowitz,  Bojanowo, 
Boitzenburg,  Bojiste,  Bojar y,  Bojenice,  Bojöwka, 
V  o  j  k  o  V,  V  o  3  n  o,  V  o  j  s  k  o  V  o  j  n  i  k.  V  o  j  s  }  a  v  i  c  e,  W  o  j  t  e- 
schitz,  Wojtitz  u.  ä.  —  Derselben  Entstehung  sind  nun  auch 
die  alten  Namen:  Boji,  Bojuvari  (bei  welchem  schon  «boj«  und 
Kvar«  zusammengeschmolzen  erscheint),  womit  auch  die  Etymolo- 
gie dieses  Volksnamens  näher  beleuchtet  erscheint.  Überdies  ge- 
hören hieher:  «bojar«  =  der  Kämpfer,  der  Adelige,  der 
Führer  im  Kampfe,  und  «vojvod«  in  der  Bedeutung :  Heer- 
führer, Herzog.  —  Daß  es  einst  Herzogswahlen  gab,  bei 
welchen  noch  ein  Bauer  gewählt  wurde,  wissen  wir  von  Unrest. 


einem  kärntnischen  Geschichtsschreiber,  welcher  erzählt,  daß  es  in 
Kärnten  um  820,  d.  i.  nach  dem  Einfalle  der  «Hewn«  {=  Hunnen) 
keinen  Herrn  und  keinen  Herzog  gab.  Und  nun  \vählte 
das  Volk  «und  nanien  für  ainen  gemamen  man  von  paurn  geschlac'it. 
den  machten  sy  zum  herrn  und  hertzoge  im  Land  Quarantano«.  — 
Die  Hauptfunktion  desselben  war  sonach  offenkundig  die  Leitung  der 
Landesverteidigung,  damit  ein  einheitlicher  Vorgang  gewährleistet 
sei.  also  durchaus  kein  pflichtenloser  Ehrentitel! 

Bod,  Vod.  —  Alle  Ortsnamen  der  Form:  Bode.  Bodenbach. 
Bodensee,  Bodisch.  Böding  (vodnik),  Voda,  Woditz.  Voderad.  Wod- 
iia,  Vodice.  Wödling  u.  ä.  zeigen,  daß  an  dieser  Stelle  die  Ortsver- 
teidigung einem  Führer  oblag,  der  als  «vod,  vodnik,  vodej"  be- 
nannt wurde.  —  Während  dies  bis  heute  im  Slavischen  dieselbe 
Bedeutung  beibehielt,  bildete  sich  im  Deutschen  daraus  der  Name 
für  die  höchste  «urgermanische«  Gottheit,  den  «Wodk,  Wode.  Wo- 
den,  Wodan,  Wuotan.  Othin«.  —  Daß  dieser  Name  aus  dem  Slavi- 
schen hervorgegangen  ist.  ersieht  man  nicht  nur  daraus,  daß  die 
alten  slavischen  Pommern.  Slovinzen  u.  a.  auch  eine  Gottheit  dieses 
Namens  hatten,  sondern  ist  der  Umstand  besonders  bemerkenswert, 
daß  die  alten  Bücher  ja  die  Funktion  des  Wodan  als  Führer,  B  e- 
fehlshaber  noch  ausdrücklich  anführen.  Masch  («Die  gottes- 
dienstlichen Altertümer  der  Obotritten«.  Berlin  1771)  sagt  p.  64: 
«Der  Name  «Woda«  ist  ein  altes  scythisches  Wort,  und  heißt 
so  viel  als  ein  Anführer,  sonderlich  im  Kriege  oder  bei  einer 
Versammlung  einer  Menge  Volkes.  Dieser  Name,  der  eigentlich  ein 
A  m  t  s  n  a  m  e  ist.  ist  so  allgemein  geworden,  daß  wie  sich  dieser  An- 
führer den  Namen  Othin  gegeben,  der  Name  W  o  d  a  in  Meklen- 
burg  geblieben,  und  ihm  nach  seiner  Vergötterung  beigelegt  wor- 
den«. —  Diese  Ans'cht  ist  noch  natürlich,  und  entspricht  auch  sach- 
lich der  etymologischen  Entv  icklung.  —  Im  Deutschen  schrieb  man 
diesen  Begriff  im  18.  Jahrhunderte  oft  als  «Waidu«  oder  «Waidawut«. 
kannte  aber  noch  die  richtige  Etymologie,  denn  Hartknoch  (um  1750) 
fügt  hinzu :  dieser  Götze  war  ein  Gott  des  Krieges, 
welcher  durch  seine  kluge  Führung  den  Sieg  \-  e  r- 
sch  äfft«. 

Dieser  Hoheitsname  scheint  übrigens  sehr  \erbreitet  gewesen 
zu  sein,  denn  z.  B.  die  ChlapanezI  auf  Yukatan  nennen  ihren  Stamm- 
\"ater  auch  «Wodan». 


203 


Nem,  Nim.  —  Diesen  beiden  Begriffen  liegt  die  Kennzeichnung 
von  Verteidigungspunkten  zur  Grundlage,  doch  ist  das  Wurzelwort 
»neniK  nur  mehr  im  «Keltischen»  als:  eingefriedeter  Platz 
nachweisbar;  die  «Keltenn  nannten  überdies  jene  Gebäude,  die  mit 
eichenen  Palisaden  inngeben  waren:  nemet;  desgleichen  hat  das 
lateinische  «nemus»  die  Bedeutung  von:  Hain,  Einfriedung.  —  Hin- 
gegen deuten  topische  Namen  zahlreich  darauf  hin.  daß  einen  solchen 
Namen  nur  jene  Lokalitäten  führten,  die  auch  einen  verteidgungs- 
fähig  hergerichteten  Punkt  besaßen.  So  war  N  e  m  i  (im  Albanerge- 
birge nächst  Rom)  ein  altes  Kastell  auf  einem  Felsvorsprunge;  Ne- 
man s  u  s  (jetzt  N  i  m  e  s)  war  der  befestigte  Hauptort  der  keltischen 
«Volcae«;  Nim  bürg  hat  alte  Wälle  und  Festungstore;  N  i  m- 
wegen  war  eine  alte  Festung  der  Bataver;  Nemours  (lat.  N  e- 
m  u  s)  ist  ein  altes  Schloß  in  Frankreich;  so  lautet  auch  eine  alge- 
rische Stadt,  die  lange  den  Korsaren  als  Zufluchtsort  diente.  Die 
meisten  (Jrte  Ungarns,  welche  uNemet«  lauten  oder  deren  Namen 
dieses  Attribut  führt,  besitzen  meist  noch  heute  Kastelle.  Ansonsten 
finden  sich  folgende  Ortsnamen  sehr  häufig:  Nemiz.  Nemanice,  Ncm- 
cice,  Nemetitz,  Nemschen,  Nemojan.  Nemska  Vas,  Niemcy,  Niem- 
tschau,  Niemica,  Niemen  u.  ä.  —  Als  ethnographischer  Name  ist 
iiNemeti"  bekannt  für  einen  gallischen  Volksstamm;  überdies  be- 
zeichnen die  Slaven  wie  Magyaren  den  Deutschen  als:  Nemec.  Ne- 
met. —  Unter  «nem,  nemec,  nemcik  u.  ä.  verstand  der  Slave  einst 
den  Feind,  den  Gegner  ohne  Rücksicht  auf  die  Nation  oder 
Sprache,  und  bezeugt  dies  nicht  nur  der  alte  italienische  Begriff 
»nemici«,  sondern  auch  das  lateinische  »inimicus»  und  das  franzö- 
sische «ennemi«,  worunter  man  den  Feind  im  allgemeinen  zu 
verstehen  hat,  sondern  es  läßt  sich  derselbe  Schluß  auch  aus  ein- 
zelnen Stellen  der  Königinhofer  Handschrift  ziehen,  wo  es  z.  B. 
heißt:  xVezdy  nam  süsiede  niemci«  —  d.  h.  immer  sind  uns  die 
Nachbarn  feindlich  gesinnt,  denn  die  Deutschen  können 
damit  nicht  direkte  gemeint  sein,  da  die  Cechen  wie  die  Mährer 
doch  zum  mindesten  längs  der  langen  Ortsgrenze  wie  auch  gegen 
Norden  und  Süden  wieder  Slaven  zu  Nachbarn  hatten.*)  Auch  der 
Russe  verstand  früher  unter   «NjemecK    lediglich   den   Fremden, 


*)  -Aus  dem  ganzen  Zusammenhange  dieses  Teiles  der  Handschrift 
geht  klar  hervor,  daß  Hniemci«  hier  nur  im  allgemeinen  Sinne  als  »Feinde« 
aufzufa.ssen  ist,  denn  wojite  der  Dichter  speziell  feindlich  gesinnte  Nachbarn 


den  Ausländer,  den  N  i  c  h  t  r  u  s  s  e  n.  Ebenso  dürfte  das  la- 
teinische xnemoK  (=  kein  Mensch)  einst  jenen  beigelegt  worden 
sein,  die  man  als:keinervonunsererArtoderSprache. 
kein  Freund  —  kennzeichnen  wollte ;  von  gleichem  Werte  ist 
überdies  auch  das  griechische  «Nemesis«,  das  jedoch  schon  den 
Homeriden  nur  mehr  als  Abstraktion  derRachefürerlittene 
Unbill,  als  das  feindliche  Schicksal  angesehen  wurde. 

Als  Hoheitsbegriffe  kennen  wir:  Nimrod  und  Neman  ja. 
Ersterer  galt  als  ein  uralter  Machthaber,  der  sich  besonders  durch 
Bau  befestigter  Städte,  wie:  Ninive,  Resen,  Kalach  hervortat,  und 
werden  überhaupt  alle  großen  Ruinen  Mesopotamiens  als  von  ihm 
aufgeführte  Bauten  bezeichnet.  «Nimrod«.  auch  «Nimrud«  war  so- 
nach nur  ein  Gattungsbegriff  für  den  H  er  r  s  c  h  e  r,  wie  dies  auch 
bei  «Nemanja«  oder  «Nemanic«*)  der  Fall  ist,  denn  so  hießen  die 
ältesten  Fürsten  Serbiens.  — 

Taras.  Im  Südslavischen  bezeichnet  «taras«  einen  E  r  d  w  a  1 1, 
ein  Bollwerk,  eine  Bastei,  und  bildet  eine  solche  daher  eine 
T  e  r  a  s  s  e.  Das  russische  «tarasa«  ist  ein  P  f  a  h  1  w  e  r  k.  —  Tara 
ist  ein  Grenzfluß;  Taras.  Tarasp.  Tarancon.  Tarascon. 
T  a  r  a  z  o  n  a,  T  a  r  d  e  s,  T  a  r  a  n  t  o  u.  ä.  sind  Städte.  Kastelle,  Aus- 
sichtstürme u.  drgl. 

Kopanina.  Ist  ein  sehr  häufiger  Name  für  A  u  f  w  ü  r  f  e  zu  Ver- 
teidigungszwecken (kopati  =  graben,  aufwerfen).  In  manchen  Ge- 
genden, z  B.  an  der  Strecke  Teschen — Friedeck.  hat  fast  jede  Höhe 
einen  schanzenartigen  Aufwurf. 

Lombardei.  Gegenden,  welche  durch  Bewässerungsanlagen 
fruchtbar  gemacht  werden,  nennt  man  auf  dem  Balkan  «lumbarda« : 
«lumbati«  bedeutet  sonach:  Gräben  ziehen.  Schutzdämme  machen. 
Diese  technischen  Arbeiten  hatten  aber  einst  vor  allem  einen  militäri- 
schen Zweck,  denn  sie  dienten  zur  Deckung  im  Kampfe  sowie  zir 
Erschwerung  der  Annäherung  des  Gegners,  denn  «lumbardati«  heißt 
im  Südslavischen  zugleich  :beschießen,  aus  einerDeckung 
schießen;  «lumbarda«  ist :  schweres  Geschütz,  also  so'.- 

hervorheben,  so  hätte  er  bezügliche  Voiksnamen  angeführt.  Überdies  hätte 
sich  Hanka  als  Fälscher  wohl  sicher  verleiten  lassen  den  Begriff  »niemci», 
der  immer  mit  kleinem  .Anfangsbuchstaben  dargestellt  erscheint,  groß  zu 
schreiben,  umsomehr  als  Hanka  selbst  xniemciK  als  xDeutscheK  übersetzte. 
'')  »Nemanic«  wurde  in  der  deutschen  Übersetzung  zu  KHabenichts« 
(z.  B.  Walter  von  Habenichts),  was  nach  der  heutigen  Sprachauffassung 
wohl  zutreffend,  aber  sprachhistorisch  doch  unrichtig  ist.  — 


ches  in  Festungen  und  Forts.  —  In  Gebieten,  welche  über  wenig 
Übersichtspunkte  verfügen  und  wo  das  Steinmaterial  zu  Schutzbau- 
ten mangelt,  wie  eben  z.  B.  in  der  Lombardei,  behalf  man  sich  bei 
der  Verteidigung  durch  Anlage  von  Gräben,  deren  Material  dann 
zu  Schutzdeckungen  verwertet  wurde. 

Hausberg,  Unter  diesem  Namen  versteht  man  allgemein  prä- 
historische, heidnischer  Gottesverehrung  gewidmete  Stätten,  weiche 
zu  diesem  Zwecke  ein  Haus  oder  eine  Burg  gehabt  haben  sollen, 
und  wurden  bei  Nachgrabungen  tatsächlich  vielfach  Scherben  von 
Freihandgefäßen,  Bronzegegenstände  und  allerlei  sonstige  Kultur- 
belege gefunden.  Im  allgemeinen  waren  aber  die  «Hausberge«  nur 
vorbereitete  Alarm-  und  Kampfplätze  der  einzelnen  Ansiedlungen; 
die  bezüglichen  Höhen  wurden  zu  diesem  Zwecke  entsprechend  her- 
gerichtet und  namentlich  mit  Erdwällen  und  Gräben  versehen,  sowie 
oft  steil  abgeböscht. 

Der  Name  nHauS"  hat  aber  hier  mit  einem  Wohn  bau  we- 
niger zu  schaffen,  sondern  das  Wurzelwort  ist  «kavs«  (spr.  xkaus«), 
wie  es  noch  der  Slovene  in  der  Bedeutung  Rauferei,  Kampf 
gebraucht,  denn  die  Redensart:  danes  gremo  na  kavs  (—  wir  gehen 
heute  auf  den  Kampfplatz,  d.  h.  heute  ist  angesagte  Rauferei)  hat 
sich  noch  vollgültig  erhalten. 

Der  Kommandant  einer  solchen  Zufluchtsstätte  einer  Gemeinde 
hieß  mm:  Kavc,  Kautz,  Kavcic,  Kaucic,  Kavas  (türk.  Schutzsoldat), 
Kavaler  (Ritter,  auch  Erdwerk,  kleine  Bastion),  Kafka  u.  ä.  —  Solche 
Punkte  heißen  oft  auch  «Galgenberg«  und  befinden  sich  mitunter  bei 
ganz  inferioren  Ortschaften,  wo  es  nie  eine  höhere  Gerichtsbarkeit 
gegeben  haben  mag,  die  aber  immer  zugleich  die  günstigste  Vertei- 
digungslokalität bildeten,  denn  «Oalgen«  ist  augenscheinlich  nur 
eine  Verstümmelung  von  «kavke,  kauke«,  wie  der  Slovene  noch 
heute  den  Galgen  nennt;  hingegen  ist  es  wahrscheinlich,  daß  man 
den  Alarmplatz  gelegentlich  auch  zugleich  als  Richtstätte  benützte. 

Die  vielen  Ortsnamen,  wie :  Haus,  Hausbach,  Hauslei- 
ten, Hautzenberg,  Hautzendorf,  Hausmoos,  Kaut- 
z  e  n,  K  a  u  t  h,  K  a  u  k  a,  K  a  v  c  e,  K  a  v  a  c,  K  a  v  c  i  c  e  u.  a.  sind 
dieses  Ursprungs.  Hieher  gehören  auch  der  Gebirgsname  Kaukaz 
(Kavkaz),  sowie  der  alte  Volksname  »Cauci«  des  Tacitus,  bezeich- 
net sonach  Gegenden,  in  denen  sich  die  Bewohner  auf  »kauke, 
kavke»  bei  feindlichen  Bedrohungen  verteidigten. 


206 


Die  Summe  aller  hier  erklärten  Begriffe  gibt  nun  das  Schluß- 
urteil, daß  die  Namen  sämtlicher  dieser  Sicherungsvorsorgen  und 
Verteidigungspunkte,  also  der  Schlösser,  Burgen,  Türme.  Wälle. 
Schanzen  u.  drgl.,  sowie  der  Kommandanten  über  diese,  —  des  Adels 
im  patriarchalischen  Sinne  — ,  etymologisch  als  s  1  a  v^  i  s  c  h  —  in 
moderner  Auffassung  —  erscheinen,  somit  alle  samt  und  sonders 
einer  Zeit  entstammen,  die  vor  dem  römischen  und  germa- 
nischen Kinflusse  liegt,  denn  die  Nomenklaturen  dieser  Richtung 
weisen  gar  keine  fremdsprachige  Störung  auf,  und  haben  die  Deut- 
schen, die  doch  so  manche  Benennung  umwarfen,  in  dieser  Hinsicht 
alles  nahezu  unverändert  übernommen,  weil  sie  die  Bedeutung  nicht 
mehr  erfaßten,  die  Spuren  oft  nicht  mehr  vorfanden,  oder  richtiger, 
seinerzeit  noch  kein  Bedürfnis  zur  Änderung  empfanden. 

Es  wird  allenthalben  auch  unnatürlich  erscheinen,  wie  so  es 
möglich  ist.  daß  es  überall  so  zahlreiche  Benennungen  für  die  ein- 
stige Landesverteidigung  in  der  Natur  gibt,  und  trotzdem  ist  dies 
sehr  naheliegend.  Es  ist  hiemit  der  Beweis  erbracht,  daß  einst  schon 
jedes  Dorf  für  sich  sorgte,  damit  es  nicht  überfallen  werde; 
daß  aber  jeder  Marktflecken  und  namentlich  jede  Stadt  noch  im 
Mittela'tcr  befestigt  war.  das  wissen  wir  doch  aus  den  Ortschroni- 
ken. Erst  die  Bildung  größerer  Länderkomplexe  zu  Staaten,  sowie 
die  Einführung  stehender  Heere  machte  die  Sicherheitsvorsorgen  im 
Inneren  überflüssiger.  —  bis  etwa  auf  das  Zentrum  des  Staates,  die 
Metropole  — .  dafür  wurden  aber  an  der  Peripherie 
des  Landes  umso  stärkere  feste  Plätze  angelegt. 
—  Allerdings  dürfen  wir  nicht  annehmen,  daß  in  der  prähistorischen 
Zeit  der  gesamte  Siehe  rungsdienst  in  Permanenz  war, 
sondern  daß  eben  alle  wichtigen  Punkte  bereits  sprachlich- 
militärisch vorbestimmt  waren,  die  gegebenenfalls  zu  beobach- 
ten oder  zu  besetzen  sind,  welche  Familie,  welches  Dorf  diese  oder 
jene  Partie  in  Obhut  erhält;  ansonst  wurde  die  Besetzung  erst  ad 
hoc  durchgeführt,  wenn  einmal  Alarmnachrichten  kamen.  Daß  vor- 
bereitete feste  Punkte  trotzdem  oft  überfallen,  durch  Verrat  oder 
List  genommen  wurden,  zeigt  eben,  daß  in  einem  Falle  dieser  Dienst 
sehr  gewissenhaft,  in  einem  anderen  aber  auch  äußerst  nachlässig 
betrieben  wurde. 

Wer  einige  militärische  Kenntnisse  besitzt,  wird  sich  sagen 
müssen,  daß  dies  ja  auch  heute  nicht  wesentlich  anders  ist.  Wird  ein 


Gebiet  niilitärisch  besetzt,  so  läßt  man  die  Umgebung  durch  vorge- 
schobene Posten,  durch  Feldwachen,  mobile  oder  stehende  Patrouil- 
len beobachten,  um  rechtzeitig  über  die  Anmarschrichtung  des  Geg- 
ners unterrichtet  zu  sein  und  darnach  die  Dispositionen  treffen  zu 
können.  Genau  dasselbe  zeigt  aber  auch  hier  die  Topoomie  an,  und 
würde  ein  moderner  Verteidiger  daran  kaum  etwas  Wesentliches 
ändern.  —  Überdies  hat  heute  auch  jede  Garnison  in  der  ständigen 
Stationswache  eine  Vorsorge  mit  gleicher  Aufgabe,  wie  in  prähi- 
storischer Zeit,  denn  auch  diese  beobachtet  und  bewacht  die  Um- 
gebung, alarmiert  die  Besatzung  und  verteidigt  den  Posten,  bis  die 
Unterstützung  kommt,  sei  dies  nun  ein  offener  Platz  oder  eine  Fe- 
stung ;  es  wacht  daher  kontinuierlich  mindestens 
eine  P  e  r  so  n. 

Auf  diese  Art  werden  auch  manche  Namen,  wie  sie  z.  B.  Cae- 
sar und  Tacitus  anführen,  verständlicher  und  wissen  wir  nun,  was 
wir  unter :  Brannovici,  Morini,  Limnones,  Nemeti,  Va- 
rini.  Fenni,  Veneti,  Triboci,  Treviri,  Bellovaci  u.  a. 
etymologisch  zu  verstehen  haben.  Überdies  erzählen  uns  aber  auch 
beide  in  mehr  oder  weniger  ausführlicher  Weise,  wie  ausgeprägt  der 
technische  Sinn  für  die  Landesverteidigung  bei  den  erwähnten  Völ- 
kerschaften war,  und  beweist  dies  nur  wieder,  wie  berechtigt  es  ist, 
die  allgemeine  Genesis  der  topischen  Namen  dieser  Tendenz  zu- 
zuschreiben. 

Die  Studien  ergaben  überdies  das  Resultat,  daß  diese  auf  Auto- 
psie und  Nachgrabungen  begründete  topographische  Etymologie 
auch  heute  in  militärischer  (zum  Teile  auch  touristischer)  Hinsicht, 
namentlich  in  unbewohnten  Gegenden,  wie  im  Hochgebirge  oder 
besonders  im  Karstgebiete,  ganz  willkommene  Angaben  bie- 
ten kann,  vorausgesetzt,  daß  man  eine  Militärkarte  besitzt.  Liest 
man  diese,  so  möchte  man  oft  gerne  wissen,  wie  es  an  einem  er- 
wünschten Punkte  in  Bezug  auf  Hilfsquellen  und  taktische  Verhält- 
nisse aussehen  mag  und  gibt  in  vielen  Fällen  schon  der  Name  jener 
Gegend  eine  reelle  Andeutung.  —  So  ist  es  dem  Kommandanten 
eines  Nachrichtendetachements  im  Karstgebiete  sehr  wissenswert, 
ob  er  an  einem  zu  passierenden  Punkte  z.  B.  Futter  für  Pferde  und 
Tragtiere  finden  werde,  ob  genügend  Wasser  vorhanden  sei  u.  drgl. 
—  Liest  er  in  der  Karte  z.  B.  «Pasina  livada«,  so  sagt  ihm  der 
Name,  daß  es  dort  eine  fette  Weide  gibt;  überdies  ist  daselbst 


^08 


Baumwiichs;  die  Sttlle  muß  konstantes  Wasser  haben,  denn 
«livadaii  deutet  auf  eine  bewässerte  Weide.  Weist  die  Karte 
eine  nlokva«  (=  hervortretendes  Grundwasser)  auf,  so  kann  man 
ausnahmslos  überzeugt  sein,  daß  man  dort  Wasser,  wenn  auch  kein 
hygienisch  zum  Trinken  geeignetes,  finden  wird.  —  Wer  eine  Höhe 
naniens:  Straza,  Straznica,  Pandurica,  Grmada,  Pogledak,  Oglej, 
Ogladnica,  Ogrodzon,  Grad,  Gradina,  Straßburg.  Straßberg,  Tabor, 
Vesely.  Kljuc,  Brana  und  drgl.  zu  besetzen  oder  anzugreifen  hat, 
kann  in  voraus  überzeugt  sein,  daß  dies  ein  Punkt  ist,  welcher  nicht 
nur  sehr  gute  Übersicht  bietet,  sondern  der  auch  schwer  einzu- 
nehmen ist.  denn  die  Naturvölker  suchten  sich  für  ihre  Sicherheit 
die  günstigsten  Beobachtungs-  und  Verteidigungspunkte  aus,  und 
wir  können  mit  absolut  er  Bestimmtheit  solche 
Punkte  als  die  taktisch  wichtigsten  in  einem  ge- 
wissenUmkreiseansehen,  dennunsereälteste  Ge- 
schichte ist  einmal  ausschließlich  Kriegsge- 
schichte, daher  folgerichtig  unsere  älteste  Ter- 
rain-Nomenklatur nur  solche  kriegstechnischen 
Ursprungs  sein  kann. 

Kenntnise  dieser  Art  können  im  Ernstfalle  immerhin  einen  mo- 
mentanen taktischen  Vorteil  bieten  und  ist  z.  B.  für  die  Balkanländer, 
wo  die  topographischen  Begriffe  noch  sprachlich  rein  erhalten  sind, 
hiezu  nicht  mehr  als  die  Bedeutung  von  etwa  hundert  einschlägigen 
Begriffen  wissenswert  und  einige  Kenntnis  des  Karstcharakters:  auf 
Basis  der  dargebotenen  Etymologien  kann  aber  dieser  Vorteil  nun 
fast  auf  ganz  Europa  ausgedehnt  werden.  — 

Man  kann  daher  eine  Karte,  welche  auch  nichts  weiter  als  die 
Orts-,  Gegend-  oder  Riednamen  enthält,  namentlich  in  Bezug  auf  die 
militär-t aktische  Bewertung  ziemlich  sicher  lesen,  ohne  das 
Terrain  zu  kennen;  allerdings  gehören  sprachwissenschaftliche  Vor- 
kenntnisse dazu,  die  dermalen  noch  vollkommen  fehlen.*) 


*)  Meinen  Kameraden  von  der  Truppe  kann  ich  eröffnen,  daß  mir 
diese  Kenntnisse  wiederholt.  —  allerdings  mangels  ernster  Gelegenheit  nur 
bei  Friedensiibungen  — ,  sehr  zu  statten  kamen,  denn  sie  üben  eine  sehr 
verläßliche  und  reelle  Suggestion  auf  die  taktischen  Maßnahmen  aus  und 
verleihen  eine  erhöhte  Sicherheit  beim  Auftreten  in  einer  völlig  frem- 
den Gegend.  Ich  hatte  selbst  wiederholt  praktische  Gelegenheit  nach- 


Beilade  zur  TexUeile  20^. 


Generalkarte  des  Komitates  Turöcz  Szt.  Märton  mit  den  Nachbargebieten. 


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K.u.k.  militär-geographisches    Institut. 

VervielfäiufiiniS  vorbelialien 


Die  Naturvölker  haben  sonach  ihren  für  die  Sicherung  und 
Verteidigung  gewählten  Plätzen  je  nach  Art  der  Ver%vertungs- 
eignung  immer  auch  das  sprachliche  Stigma  aufgedrückt.  Die  topo- 
nomische  Sprache  verheimlicht  uns  daher  nichts  und  weshalb  sollen 
w ir  nun  nicht  jenes,  was  den  Einheimischen  zweckdienlich  ist,  auch 
für  uns  verw'erten,  nachdem  wir  einmal  hinter  ihre  offenen  Geheim- 
nisse gekommen  sind!*) 

Als  demonstratives  und  beweiskräftigstes  Mittel  für  diese  I3e- 
hauptungcn  diene  die  am  Schluße  eingefügte  Karte  eines  Teiles  des 
Waaggebietes  in  der  Siovakei,  welche  zeigt,  wie  zahlreich  die  Na- 
men für  Beobachtungs-  und  Verteidig  ungs  punkte 
sind  und  wie  sich  diese  gerade  an  den  natürlichen  Grenzen 
häufen,  denn  da  folgen  die  bereits  etymologisch  bekannten  Namen, 
wie:  Straz,  Straznica,  Bor.  Vidin,  Tabor,  Breznica.  Vah,  Tur  u.  ä.  in 
konstanter,  wenn  auch  unregelmäßiger  Folge.  Doch  so  ist  es 
überall,  nur  lassen  sich  alle  hier  ersichtlichen  topischen  Namen 
in  Bezug  auf  ihre  Etymologie,  wenn  sie  auch  subjektiv  bereits  ge- 
klärt scheinen,  aus  Gründen  der  noch  nötigen  Verbreiterung  der 
Nachprüfung  dermalen  noch  nicht  in  bestinunter  Weise  aussprechen. 

In  diesem  Sinne  kann  aber  nun  jeder  Interessent  auch  weiteren, 
entlegeneren  Bew  eisen  nachgehen  und  namentlich  jene  Gebiete  ety- 
mologisch überprüfen,  deren  Lage  und  Physiognomie  er  genau  kennt. 

zuweisen,  daß  die  Naturtaktik  der  rein  papierenen  immer  weit  voraus  ist, 
und  beweisen  dies  auch  alle  Kriege  der  Qroßstaaten  gegen  kleine  Natur- 
völker, denn  letztere  unterliegen  nie  der  gegnerischen 
Kriegskunst,  s  1 1  n  d  c  r  n  schlimmstenfalls  nur  der  0  b  e  r- 
ni  acht. 

*)  Als  vor  Jahren  eine  neue  Festung  angelegt  wurde,  erforderten  die 
Kalkulationen,  wo  die  Forts  anzulegen  seien,  begreiflicherweise  eine  ge- 
raume Zeit,  bis  das  Schlußwort  gesprochen  werden  konnte;  aber  siehe  da; 
alle  für  die  Anlage  von  Werken  endgültig  bestimmten  Höhepunkte  führen 
liereits  seit  altcrsher  verteidigungstechnische  Namen,  deren  Lage  noch  den 
heuligen  Distanzen  imd  den  modernen  .Ansprüchen  zusagt,  was  jedoch  nie- 
mand beachtete  und  auch  nicht  beachtet  hätte,  wenn  man  die  Bedeutung 
der  topischen  Namen  auch  erkannt  hätte,  weil  man  die  Naturtaktik  unserer 
Altvorderen  stets  für  inferior  anzusehen  gewohnt  ist.  Erwähnenswert  ist 
aber  noch  der  Umstand,  daß  ein  solcher  durch  den  Namen  prädestinierter 
Punkt  ursprimglich  unberücksichtigt  blieb;  doch  später  zeigte  es  sich,  daß 
es  vorteilhaft  wäre  auch  diesen  in  den  Festungsgürtel  einzubeziehen,  was 
auch  nachträglich  durchgeführt  wurde 

14 


So  wird  der  Nachforschende  in  der  nördhchsten  Provinz  Dänemarks 
viele  gleiche  Namen  wie  in  der  beigeschlossenen  Karte  finden 
und  dabei  erfahren,  daß  auch  dort  die  namengebenden  Bedingungen 
die  gleichen  sind.  Das  Gebiet  heißt  z.  B.  Vendsyssel  (ven);  dasselbe 
ist  vom  übrigen  Festlande  durch  den  L  i  m-Fjord  getrennt;  dort 
sind  auch:  Grenen  (gran,  das  nördlichste  Kap).  Vors  Aa  und  Borgum 
(bor),  Vaar  (var),  Lökken  (loka,  Uferort).  Mose,  Mosbierg  (moz. 
breg).  Brönderslev  (bron.  bran).  Veslös  (ves)  u.  a.  m. 

Widmet  man  z  B.  den  topischen  Namen  der  Insel  Korfu.  wie 
diese  von  Thukydides,  Xenophon  und  Diodoros  angegeben  werden, 
einige  Beachtung,  so  gelangt  man  abermals  zu  gleichem  Resultate, 
wie  folgende  Beispiele  bezeugen.  xAkraja«  (=  okraj)  mit  einer  Stein- 
säule, \\  eiche  zugleich  den  Grenzstein  des  Hera-Heiligtums  bil- 
dete; Garitsa,  Gasturi.  Hrais,  Kardak  (=  Cardak;  Tem- 
pel mit  Quelle),  K  y  1 1  e  n  e  (Berg  mit  «kula^s«),  Leukas  (=  loka,  luka), 
Wese,  Pylos,  Pylides  (Hafen  und  Berg),  Venitsa.  Vido  u.  s.  w.  — 
Ebenso  finden  sich  an  der  Nordküste  Afrikas,  auf  Cypern,  im  einsti- 
gen Phönizien  wie  auch  in  Kleinasien  eine  Menge  topischer  Namen 
vor,  deren  Ftymologie  uns  bereits  aus  europäischen  Analogien  be- 
kannt ist.  Nun  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  durch  unbeabsichtigte, 
daher  ganz  zufällige  Laut-  und  Silbenkombinationen  ja  auch  solche 
Begriffe  Zustandekommen  müssen;  dies  ist  gewiß  zutreffend,  aber 
es  handelt  sich  nun  in  der  Hauptsache  darum,  was  denn  solche  «Zu- 
fälligkeitsbegriffex  gegenständlich  bezeichnen:  doch  da  stellt  es  s'ch 
heraus,  daß  sie  auch  hier  gleichen  Terrainobjekten  beigelegt  sind, 
wie  in  Europa.  —  H.  A.  Hamaker  hat  in  seinen  Werke  KMiscellanea 
Phoenicia«  (Leyden  1828)  wohl  alle  Namen  jener  Gegend  als  phö- 
n  i  z  i  s  c  h  erklärt,  d.  h.  semitisch  ausgelegt;  aber  die  beigefügte 
Kennzeichnung  der  Lokalität  hat  sachlich  ihre  volle  Berechtigung 
nach  unserem  Sinne;  z.  B. :  C  i  rn  a  («mons  Zeugitanae,  cornu, 
Vertex  montisiO  ist  ein  Grenzberg;  (vergl.  «cir,  cerna);  Cote, 
Cotta,  Cotte  (Kextremum  Africae  occidentalis  Promontorium«) 
ist  auch  eine  E  c  k  e,  G  r  e  n  z  e;  als  wichtiger  Punkt  —  Kote  —  auch 
in  der  Kartographie  bekannt  (vergl.  «chod,  koU);  Babba  (xporta, 
mons  angustus«),  also  eine  schmale,  leicht  absperrbare  Stelle 
(vergl.  xbaba«);  Maxala,  Maxula,  Mascula  war  eine  befe- 
stigte numidische  Stadt  (vergl.  «mahalax);  der  gleiche  Name  kommt 
aber  in  Untersteiermark  als  «Makole«  (deutsch  «Maxan«)  in  nahezu 


gleichen  Formen  vor  und  hatte  dort  hn  Vereine  mit  der  Burg  Statten- 
berg  das  Dranntal  abzusperren;  Burca  war  auch  eine  befestigte 
numidische  Stadt  (verg!.  »bor.  bur»);  Misna,  Missua  (»urbs 
Zeugitanae,  vicina  promontorio  Mercurii«)  war  eine  Grenzstadt 
(vergl.  iimisii);  Pha  ra  (befestigte  Stadt  zwischen  Uttica  und  Thap- 
sus)  war  sonach  ein  abgeschlossener  Ort,  Festung  (ver- 
gleiche xvar,  faraic);  Rusadir  («Promontorium,  oppidum  et  portus 
Mauretaniaex).  R  u  s  a  c  u  s,  R  u  s  c  i  n  o  n  a,  R  u  s  c  o  n  i  a,  R  u  s  c  o- 
n  i  u  m,  R  u  s  i  c  a  d  e,  R  u  s  i  c  i  b  a  r  u.  a.  ä.  sind  durchwegs  Namen 
von  Vorgebirgen  in  den  eingangs  erwähnten  Gebieten  (vergl. 
«ros,  rus,  rog.  roz«);  Ataburium  (mons  Tabor);  Succabar  (und 
Z  u  c  h  a  b  a)  («municipium  Mauretaniaex)  war  eine  befestigte 
Stadt  (vergl.  «suh«  und  «var»);  Zetha  («Promontorium  regionis 
Syrticae»)  also  Grenzgebiet  (vergl.  «ceta«  sowie  «cir,  sir«  be- 
treffend die  Syrte)  u.  v.  a.*)  —  Desgleichen  tragen  die  ältesten 
Burganlagen  in  Amerika  Namen,  die  sich  jenen  in  Europa  etymolo- 
gisch anschmiegen. 

Ebenso  sind  die  Behauptungen  der  Etymologen,  daß  Ortsna- 
men, wie:  «Gajovci.  Markovice.  Vidin«  u.  ä.  so  lauten,  weil  sie  einst 
Hauskommunionen  —  zadruga  —  waren,  denen  ein  «Gaj.  Marko, 
Vid«  u.  s.  w.  vorstand,  vollends  hinfällig,  denn  es  waren  dies  ledig- 
lich Orte,  wo  ein  Z  u  f  1  u  c  h  t  s  p  u  n  k  t  (gaj).  G  r  e  n  z  p  u  n  k  t  (mar, 
mark).  Übersichtspunkt  (vid)  diesn  Ortsnamen  suggerierte. 
Wer  aber  die  Oberaufsicht  darüber  hatte,  der  erhielt  darnach 
seinen  F  u  n  k  t  i  o  n  s  n  a  m  e  n.  denn  vorerst  war  die  be- 
zügliche Lokalität  da  und  dann  stellte  sich  erst 
das  Bedürfnis  ein.  jemandem  die  nun  sich  ergeben- 
den Pflichten  zu  ü  b  e  r  a  n  t  \\- o  r  t  e  n. 

Der  Funktionsname  deckte  sich  aber  in  den  seltensten  Fällen 
mit  dem  Personen-  oder  Familiennamen,  und  ist  es  ja  heute  auch 
nicht  Sitte,  die  Regierenden  etwa  mit  den  Familiennamen  zu  nennen, 
sondern  es  genügt  doch  vollkommen,  wenn  man  sagt:  unser  Kai- 
ser, euer  König  u.  drgl.  Diese  irrige  Ansicht  über  die  Entstehung 
der  Ortsnamen  datiert  namentlich  seit  der  Schrift  des  Slavisten  Mi- 

')  Der  mecklenburgische  Geschichtsschreiber  Latomus,  der  sein  Werk 
i.  J.  1610  vollendete,  erzählt  traditionell,  daß  einstens  auch  in  Afrika  im 
ägyptischen  Heere  wendisch  gesprochen  wurde. 

14* 


klosich:  «Die  Bildung  der  Ortsnamen  aus  Personennamen  im  Slavi- 
schen«  her,  denn  gerade  das  Umgekehrte  der  darin  aufge- 
stellten Behauptungen  ist  das  richtige,  und  ist  der  Irrtum  leicht  be- 
w  lesen,  \vie:  "Brdjani«  sind  merkwürdigerweise  immer  dort,  wo  es 
(.in  i(brdO)i  (=  Berg)  gibt,  anzutreffen;  der  Berg  bildete  sich  aber 
doch  nicht  erst,  als  die  «Brdjani«  dort  festen  Fuß  faßten!  —  «Stu- 
dencani«  sind  die  Bewohner  bei  einem  «studeneoi  (Quelle,  Brunnen); 
soll  hier  die  Quelle  erst  später  entstanden  sein,  als  die  «Studencani« 
schon  da  Maren.  —  denn  jede  Ansiedlung  setzt  die  Erledigung  der 
Wasserfrage  voraus:  gewiß  nicht,  denn  der  Name  sagt  ja:  die  Be- 
wohner bei  der  Quelle!  —  Ist  eine  «zupa«  einmal  da.  dann 
stellt  sich  von  selbst  auch  das  Bedürfnis  ein.  einen  «zupan«  zu  wäh- 
len; so  lange  eine  Gemeinde  keine  Kirche  hat.  erhält  sie  auch  kei- 
nen Pfarrer  u.  s.  w. 

Hingegen  sind  die  einst  gebräuchlichen  Funktionsnamen  und 
Hoheitsbegriffe  später  zu  Vor-  und  Familiennamen  geworden;  es  ist 
daher  der  Ursprung  der  letzteren,  wie  dies  ja  aus  den  vorausgegan- 
genen Erklärungen  ersichtlich  ist.  in  seiner  A\ehrheit  ein  sehr  vor- 
uehiiier. 

Die  fortschreitende  Ausprägung  und  Vervollkommnung  des 
Landesverteidigungswesens  zeitigte  aber  auch  stufenweise  Adels- 
detcrminationen.  deren  soziale  Gradation  stets  mit  der  Größe  und 
Wichtigkeit  des  Kommandobereiches  einherging;  war  jedoch  dij 
Fi  nktion  nur  eine  fiktive,  so  traten  noch  w  eitere  Titel  und  Prädikate 
hinzu.  Im  Prinzipe  findet  man  daher  bei  jedem  Volke,  also  auch  beim 
primitivsten,  eine  Art  Adel,  nur  treten  die  Rangabstufungen  luid 
Standessezessioiien  in  den  produktiveren  Gegenden  früher  und  präg- 
nanter hervor,  und  haben  mehr  Beiwerk  von  Formalitäten,  als  in 
den  ressourcenarmen,  wo  die  patriarchalischen  Sitten  keine  beson- 
ders fühlbare  Differenz  erung  aufkonnnen  lassen. 


Es  ist  vohl  kein  Zweifel,  daß  das  Erforschen  und  die  graphi- 
sche Darstellung  des  alten  Verte'digungsnetzes  in  jeder  Provinz  sehr 
willkommene  Resultate  ergeben  würde,  da  wir  dadurch  einen  grc- 
ßen  Schritt  zur  Erkenntnis  der  ältesten  Landesgeschichte  nach  vor- 
wärts tun  könnten  und  auf  diese  Weise  über  so  manches  ein  Licht 


—  213  — 

käme,  was  jetzt  noch  als  Sage  oder  Mythe  im  Umlaufe  ist  Auch 
sind  noch  Behelfe  genug  vorhanden,  denn  es  bieten  hiezu  die  grie- 
chischen wie  römischen  Schriftsteller,  das  babylonische  Tonpris- 
menarchiv, die  alt'ndischen  Epen,  wie  namentlich  die  Geschichte  des 
Alten  Testamentes,  worunter  besonders  die  Bücher  der  Könige,  Pa- 
ralipomenon  und  das  Buch  Esdras,  ganz  hervorragende  Beweise; 
ja  letztere  erzählen  ziffermäßig  von  jedem  israelitischen  Könige, 
welcher  um  die  Festigung  seines  Reiches  einigermaßen  besorgt  war, 
wie  viel  Städte  und  offene  Orte  er  von  neuem  befestigt  habe,  wie 
viel  Türme  und  Wachhäuser  er  errichtete  oder  instandsetzte,  wie 
viel  Zisternen  er  baute  u.  ä.  —  Die  Römer  erbauten  zum  Schutze 
Rhätiens  von  Norden  den  »limes  rhäticus«,  einen  langen  Grenz- 
wall.  der  noch  jetzt  in  seinen  Spuren  besteht:  so  sagt  heute  die 
Geschichte.  —  Die  Etymologie  hingegen  sowie  die  Volkserzählung 
berichtigen  aber  diese  Aussage  dahin,  daß  dies  eine  Mauer  unbe- 
kannten Ursprungs  sei  und  KTeufelsmauer«  genannt  wurde.  Nun 
entstand  aber  dieser  Name  überall  dort,  wo  sich  eine  Grenz- 
mauer  befand,  und  da  «certa«  —  Grenze,  «cert«  —  Teufel. 
Feind  bedeutet,  wurde  diese  s  1  a  v  i  s  c  h  e  Form  ncertov  zid,  cer- 
tov  valx  zur:  T  e  u  f  e  1  s  m  a  u  e  r  statt  zur:  G  r  c  n  z  m  a  u  e  r.  Laut 
der  wNotitia  Dignatorum«,  einer  Art  römischen  Staatskalenders  um 
das  Jahr  400  n.  Chr.  führte  der  «Herzog  von  Rhät'en»  (dux  Rhätiae) 
ein  gemaltes  Wappenschild  mit  10  rhätischen  Kastellen,  was  also 
beweist,  daß  die  Wappeneinführung  nicht  erst  im  Mittelalter  er- 
folgte. —  Die  Namen  der  vielen  Wach-  und  Signaltürme,*)  dann 
der  zahlreichen  Kastelle  und  Standlager  haben  äußerlich  wohl  die 
lateinische  Form  aber  die  sprachliche  Bedeutung  ist  im  Lateinischen 
unbewertet;  es  muß  daher  die  erste  Anlage  auch  noch  in  die  vor- 
römische Zeit  rückdatiert  werden,  denn  die  ältesten  Kastelle  heißen 
z.  B.  —  den  späteren  Inschriften  nach  —  «Pföring«  und  »Kösching«, 
also  den  Analogien  entsprechend  «Bornik«  und  «Kocnik«,  deren 
sprachliche  und  sachliche  Bewertung  wir  bereits  kennen. 

Ähnlich  war  es  beispielsweise  auch  in  Mösien  und  Dacien.  Der 
Donau-Limes  zog  sich  von  Taurunum,  Tricornium,  Margum,  Vimi- 


*)  Vegetius  (De  re  milit.  III.  5)  erzählt,  daß  von  diesen  Türmen  bei 
der  Nacht  durch  Feuer,  beim  Tag  durch  Aufrichten  und  Senken  eines  Bret- 
tes signalisiert  wurde;  es  war  dies  sonach  eine  Art  Festungssignaldienst, 
wie  er  zum  Teile  noch  heute  besteht. 


naciuni,  Dierna,  Zerna,  Drobetae  u.  s.  \v.  also  an  Lokalitäten,  deren 
lateinische  Interpretation  ent\\eder  erfolg- oder  aber  sinnlos  ist.  deren 
slavische  Bedeutung  aber  fast  durchwegs  leicht  erkennbar  ist,  da 
sie  zugleich  der  Naturlage  entspricht.  —  Einen  ähnlichen  »Limes.« 
bildete  der  serbische  xMoravax-Fluß.  welcher  dem  ganzen  Laufe 
nach  mit  Wachtürmen,  Schanzen,  Kastellen  und  Standlagern  besät 
war,  von  den  Römern  aber  obendrauf  als  «Margusic,  also  wieder  als 
Grenzfluß  bezeichnet  \\urde. 

Wo  immer  man  nun  eine  solche  Forschungsarbeit  einsetzt, 
überall  findet  man  dieselben  Prämissen  und  dieselben  Resultate. 

Über  die  heutigen  Burgen  in  Siebenbürgen  schreibt  z.  B. 
Ackner:*)  «Wir  finden  die  deutschen  Burgen  durchaus,  wo  es 
nur  sein  konnte,  auf  den  Oipfeln  hoher  Berge  und  hauptsächlich  auf 
den  Vorgebirgen  und  am  Fuße  der  südlichen  und  östlichen  Q  re  n  z- 
a  1  p  e  n  gegen  die  Moldau  und  Wallachei,  dem  eigentlichen  Lande 
der  Sachsen,  welche  in  früheren  Zeiten  zur  Beschützung  der  durch 
die  wilden  Völkerstürme  höchstgefährdeten  und  stets  bedrohten 
Landesstriche  und  Engpässe  berufen  waren. 

Von  den  deutschen  Burgen  Siebenbürgens  können  wir  leicht, 
wenn  wir  die  zum  Teile  mit  Türmen,  Bastionen  und  Wassergräben 
stark  befestigten  Kirchen-Kastelle  mitzählen,  über  300  nachweisen, 
von  welchen  einige  noch  sehr  gut  erhalten,  andere  in  Schutt  und 
Trümmer  gelegt  sind;  ^\ eitere,  von  denen  nur  noch  spärliche  Über- 
bleibsel von  Mauerwerk  und  Wällen  sich  zeigen,  und  noch  andere 
endlich,  von  welchen  auf  mehreren  zu  Schlössern  sehr  geeigneten 
Burgkuppen  und  mit  Wald  dicht  bewachsenen  Berghöhen  nur  die 
Benennung  der  Burg  noch  übrig  geblieben  ist.«  Dann  weiter:  «Die 
deutschen  Burgen  sind  nicht  von  Adeligen  erbaut;  Bürger  waren  es. 
die  sie  erbauten.  Kein  Ritter  hauste  in  ihnen,  sie  umfaßten  keinen 
Ahnensall  adeliger  Geschlechter ;  ihre  Trümmer  erinnern  nicht  an  den 
Stolz  und  die  Macht  der  Feudalherrschaft;  um  ihre  Habe  besorgte 
Bürger  und  Landleute  bauten  in  emsigen  Fleiße  und  mit  großen 
Aufopferungen  diese  Schlösser,  um  in  ihnen  in  Tagen  der  Not  und 
Gefahr  Zuflucht  und  Schutz  zu   finden.  Sie  fanden   ihn,  und  diese 


')  Römische  Altertümer  in  Siebenbürgen.  —  Jahrbuch  der  Central- 
kunimission  zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Baudenkmale.  J.    1856. 


Burgen  gewährten  oft  später,  bei  drangsalvollen  Zeiten  selbst  frem- 
den Nationen  ein  sicheres  Asyl. 

Von  diesen  Bergschlussern  beherrschten  sie  die  Umgegend  und 
den  ganzen  Landesstrich,  und  nachdem  sie  nach  und  nach  an  Zahl 
zunahmen,  an  Kraft  erstarkten,  behaupteten  sie  mutig  sich  auch  im 
Flachlande.  Blühende  Städte,  Marktflecken,  Dörfer  erhoben  sich; 
die  Städte  wurden  mit  Alauern,  Türmen  und  Außenwerken  umgeben, 
die  Märkte  und  Dörfer  durch,  um  ihre  Bethäuser  und  Kirchen  ange- 
legte Kastelle  gesichert.  Die  Burgen  und  Kastelle  bestanden  meist 
aus  einer  oft  doppelten,  nicht  selten  dreifachen  Ringmauer  und  waren 
mit  hohen  Türmen,  starken  Basteien.  Wassergräben.  Fallgittern  und 
Aufziehbrücken  versehen. 

Unsere  Bauernkastelle  und  Bürgerburgen  waren  nicht  nur  in 
strategischer  Hinsicht  für  die  damaligen  Zeiten  sehr  stark  und  zweck- 
mäßig zur  Überwachung  und  Sicherstellung  dieser  südöstlichen 
Landesstrecke  Siebenbürgens  gegen  feindliche  Anfälle  und  Streif- 
züge, welchen  sie.  ^\  ie  gesagt,  am  meisten  ausgesetzt  waren,  ange- 
legt, sondern  auch  im  Innern  mit  vielen  kleinen  Wohnkammern,  ge- 
wölbten Kellerräumen  zu  einer  zahlreichen,  möglichst  bequemen  Auf- 
nahm; gebrechlicher,  alter  und  schwacher,  dann  wehrloser  und  un- 
mündiger Familienmitglieder  eingerichtet.  Diese  Burgfesten  standen 
früher  unter  strenger  Hut  und  Bewachung  bürgerlicher,  sich  ab- 
wechselnder Zehentschaften.  Die  kleinen  Hütten.  Gewölbe  und  Kä- 
sten in  diesen  Burgen  ^\aren  fortwährend,  selbst  in  friedlich  schei- 
nenden Zeitiäufen,  im  Falle  eines  plötzlichen  Überfalles  und  uner- 
warteter feindlicher  Belagerung  verproviantiert,  und  die  Bastionen 
und  Türme  mit  Gewehren,  Waffenrüstungen  und  Kriegsmunition  ver- 
sehen. Wasserbehälter  und  tiefe,  unzerstörbare  Zisternen  und  Brun- 
nen mit  frischem  gesunden  Trinkwasser.  Roß-  und  Handmühlen  u 
drgl.  Unentbehrliches  fehlten  dabei  nie». 

Alle  diese  Angaben  und  Beobachtungen  sind  vollkommen  zu- 
treffend, jedoch  nicht  nur  für  Siebenbürgen  allein,  sondern  eigentlich 
für  die  ganze  feste  Erdoberfläche  und  mit  sehr  ge\\altiger  \'ordatie- 
rung.*) 


*)  Allgemein  wird  behauptet,  daß  Siebenbürgen  von  den  sieben  Haupt- 
burgen des  Landes  den  Namen  habe;  dies  ist  jedoch  dahin  richtigzustellen. 
daß  »Sieben«  nur  eine  Anpassung  des  ürenzwassers  xCibin«  an  das  deutsche 
ist.  wo  sich  auf  dem  scheinbar  geborstenen  Felsenberge  die  feste  Grenzburg 


Betrachten  wir  z.  II  die  Wurzelsilbe  xiSH  vom  allgemeinen 
toponomischen  Standpunkte,  so  fehlt  vorerst  die  Erklärung,  wie  so 
es  möglich  ist,  daß  sich  Ortsnamen  dieser  Begriffsbasis  über  alle 
Weltteile  erstrecken,  und  müssen  für  den  ersten  Augenblick  bezwei- 
feln, daß  das  namengebende  Motiv  überall  dasselbe  gewesen  sein 
konnte;  und  doch  ergibt  die  sprachliche  Destillation  das  Resultat,  daß 
i(isi(  im  Urbeginne  nur  einen  gesicherten  ni  solierten«  Platz  be- 
zeichnet haben  konnte,  unbekümmert  darum,  ob  nun  die  Namens- 
form: 

I  s,  I  s  1  e,  I  s  o  1  a,  I  s  c  h  i  a,  I  s  k  a  v  a  s,  I  s  e  1  Berg,  I  s  1  y, 
I  s  1  e  \\  o  r  t  h,  I  s  1  i  m  j  e,  I  s  V  e  1  i.  I  s  1  a  y,  I  s  k  e  r,  I  s  c  h  1, 
Isclima,  Izevskoje,  Isaak,  Isabella  (Insel),  Isakca, 
I  s  a  1  a,  I  s  a  r,  I  s  c  r,  I  s  e,  I  s  s  e  t.  I  s  a  u  r  i  e  n,  I  s  c  h  i  m,  I  s  s  o  s. 
I  s  s  u  m,  I  s  s  y,  I  s  t  r  i  e  n.  I  s  t  r  e  s,  Isonzo,  Islam  (Ortschaf- 
ten in  Dalmatien),  Isthmos  u.  ä.  lautete,  denn  das  Grundwort  "is« 
läßt  sich  durch  alle  Sprachen  dahin  verfolgen,  daß  es  sich  überall 
selbst  zu  der  Urbedeutung  eines  Sicherungsbegriffes  re- 
duziert; z.  B  :  im  Swanetischen  ist  niskar«  =  ein  zentral  gelegener 
Punkt;  im  Grusinischen  ist  «is»  =  Tor,  «is-kar«  =  Engpaß;  jener 
Teil  von  Tiflis,  der  die  eigentliche  Burg  auf  dem  linken,  felsigen  und 
abschüssigen  Kura-Ufer  bildet,  heißt  daher  auch  «Isnin;  im  Osseti- 
schen ist  "istakx  bereits:  Friedhof;  im  Hebräischen  ist  «esrax  = 
Hilfe,  iilsraelx  =  Helfer;  im  Slavischen  bedeutet  Histiti«  =  sichern, 
schützen;  >ils«  ist  ein  häufiger  Familienname  im  Böhmischen,  dessen 
Bedeutung  man  aber  erst  aus  dem  Hebräischen  deduzieren  kann, 
wo  es  icMann«,  also  einen  Wehrfähigen,  Kräftigen  bedeu- 
tet, was  auch  dem  griechischen  v  i'^  «  (=  Körperkraft)  organisch 
entspricht.  «Is«  ist  eine  befestigte  Stadt  am  Euphrat;  «Iseranx 
war  ein  Alpenpaß;  «isba«  nannte  man  den  Qerichtssaal  des  Car's 
in  der  alten  Zeit;  «ispan«  —  Richter,  Gespann  im  Magyarischen; 
iiispravnikK   =  Kreisvorsteher  im  Russischen;   Jesum  nennt  der 


Mons  Cibinii,  welche  anscheinend  mit  dem  i.  J.  1327  genannten  sächsischen 
icWinsbergK  identisch  ist.  befand.  —  Ebenso  ist  der  Ansatz  der  «deutschen» 
Burgen  Siebenbürgens  viel  älter,  was  ja  die  Namen,  wie:  Kronstadt  (gron 
—  Grenze).  Rosenau.  Törzburg.  Branis.  Rakovvitz  (auch  Tsetatye,  vergl. 
Cedad  in  Italien).  Budislav.  Negoj,  Mehburg  u.  a.  bezeugen,  deren  Etymo- 
logie bereits  an  anderer  Stelle  behandelt  erscheint.  —  Im  Slavischen  heißt 
Siebenbürgen  tatsächlich  «Sibinju. 


Koran  «Isa«,  die  Siidslaven  «Isusk  und  dürfte  dies  ursprünglich  der 
Holieitsbegriff  für  den  Ältesten  oder  Führer  einer  Gemeinde  gewe- 
sen sein;  ja  «Esus.  Hesus«  hieß  ein  keltischer  Gott,  dem  man  angeb- 
lich Menschenopfer  darbrachte,  was  sich  aber  sonach  nur  auf  eine 
führende  Persönlichkeit  zurückleiten  läßt,  ebenso  wie  bei  Je- 
sus Christus,  sonach  der  erstere  Name  nur  ein  Funktionsbegriff 
gewesen  sein  kann,  analog  wie  man  König  Karl,  Cäsar  Augu- 
stus.  V  o  j  V  o  d  e  Ghika  u.  ä.  gebraucht. 

Überdies  gibt  es  eine  Menge  von  Höhen.  Städten  und  Burgen, 
die  »His»  (z.  B.  Stadt  bei  Bagdad  früher  »Is«),  «liisar«  (viele  Hoch- 
burgen oder  aussichtsreiche  Höhen  in  Serbien,  dann  russische  Stadt 
und  Provinz  in  Zentralasien),  xHissarlik«  (türk.  =  Burg;  Höhe  in 
der  Skamander-Ebene,  wo  Troja  lag)  u.  a.  —  Die  moderne  Ono- 
mastik sagt  nun,  dies  bedeut  ■  tatsächlich  Burg,  festesSchloß. 
Feste  —  aber  nur  im  Arabisch-Türkischen.  Für  die  heutigen  Ver- 
hältnisse ist  dies  allerdings  zutreffend,  aber  der  ursprünglichere  Be- 
griff ist  augenscheinlich  doch  «his«,  wie  der  Slovene  noch  heute  ein 
kleines  Häuschen  für  den  Wächter  im  Weingarten  benennt,  das 
begreiflicherweise  nur  auf  dem  Punkte  mit  der  besten  Aussicht  an- 
gelegt wird;  hingegen  ist  ihm  »hisa«  (=  bozja)  bereits  das  Gottes- 
haus, die  Kirche,  der  irdische  Sitz  Gottes.  —  Nach- 
dem aber  solche  Sicherungspunkte  doch  nur  wieder  an  Grenzli- 
nien notwendig  waren,  dürften  die  vielen  Flußnamen,  wie:  Hist.r 
(bezw.  Ister),  Ise,  Isar,  Isere,  Isle,  Isonzo,  Isker,  Issel,  Isly,  Iza, 
sowie:  Esk,  Esla,  Essel,  Este  u.  ä.  einst  zugleich  Qrenzbegriffe  ge- 
wesen sein.  —  «Isthmus«  ist  daher  auch  jener  Punkt,  der  für  die 
Verteidigung  am  günstigsten  ist,  weil  die  Landenge  eine  Konzei  trie- 
rung  der  Kräfte  nur  begünstigt. 

Die  Erkenntnis,  daß  sich  wurzelgleiche  Begriffe  mit  organisch 
verwandter  Grundbedeutung  sonach  durch  eine  endlose  Zahl  von 
äußerlich  scharf  getrennten  Sprachen  weiterziehen  und  verfolgen 
lassen,  wurde  nun  an  zahlreichen  Beispielen  entweder  klargelegt 
oder  doch,  als  einer  tieferen  Beachtung  wert,  angedeutet. 


Soweit  dieses  ursprachlich  niihtärisch-soziale  Wissensgebiet 
nun  durchforscht  ist.  —  eigentüch  ist  aber  dies  alles  noch  im  Be- 
ginnen — ,  bietet  es  ein  ungewöhnlich  lehrreiches  Bild,  wie  geschickt 
der  Mensch  der  Vorzeit  in  der  Ausnutzung  der  Bodenplastik  für  die 
eigene  Wohlfahrt  war  und  wie  natürlich  er  die  Wahl  des  günstigsten 
und  wichtigsten  Punktes  traf;  die  Fortifikationsw  issenschaft  findet 
hier  durchwegs  mustergültige  Beispiele,  die  selbstredend  eine  re- 
trospektive Auffassung  der  einstigen  Kampfmittel  voraussetzen.  — 
Diese  so  richtige  Fürwahl  der  Beobachtungs-  und  Verteidigungs- 
punkte ist  allerdings  für  den  Naturmenschen  nichts  Schwieriges  oder 
Bewunderungswürdiges,  der  in  seiner  näheren  Heimat  sozusagen 
jeden  Stein  kennt,  aber  überraschen  muß  uns  unbedingt  die  uner- 
wartet vielseitige  und  gediegene  Vorsorge  für  den  Schutz  der  eige- 
nen Scholle,  ein  weiteres,  sehr  gewichtiges  Zeichen,  daß  die  Hirten- 
völker keine  Nomaden  waren,  denn  gerade  bei  diesen  erscheint  in 
ganz  Europa  das  \'erteidigungssystem  am  vollkommensten  ent- 
wickelt, sowie  daß  unsere  Gegenden  in  dieser  Hinsicht  einst  ebenso 
militärisch  organisiert  waren,  wie  heute  Montenegro,  hatten  da- 
her eine  weit  empfindlichere  Wehrpflicht,  als  es 
die  moderne  ist.  —  Es  Avar  dies  eine  überzeugte,  auf  Selbst- 
erhaltung basierte  und  gewissermaßen  berufliche  Lebenspflicht  des 
Mannes,  welche  ideal  und  ernst  aufgefaßt  wurde,  denn  dieses  ist 
wohl  auch  die  Zeit,  welche  uns  nicht  nur  die  uralte  Kultur,  sondern 
auch  die  herrlichen  Heldengesänge  und  die  epische  Volksdichtung 
schuf,  für  welche  dem  modernen  Dichter  nicht  nur  die  Inspiration, 
sondern  vor  allem  das  reale  Milieu  fehlt. 

Für  Zw  eifler  dieser  Aufschlüsse  wurden  aber  auch  Ansichten 
anderer  Schriftsteller  u.  z.  solcher  verschiedener  Zeiten,  Nationen 
und  Stände  hier  mehrfach  angeführt,  falls  gerade  mir  als  Offizier 
der  Vorwurf  krankhafter  Standespanegyrik  gemacht  werden  sollte, 
damit  die  Überzeugung  umso  nachdrücklicher  sei,  daß  die  ältesten 
Staatengebilde  tatsächlich  rein  militärisch  organisiert  gewesen  sein 
müssen.  —  Als  handgreiflichster  Beweis  diene  wieder  Montenegro, 
das  noch  heute  allgemein  als  ein  patriarchalisch  regiertes,  den  Ur- 
verhältnissen  nicht  allzu  ferne  stehendes  Land  gilt,  denn  gerade  hier 
ist  jeder  Mann  ein  Krieger  vom  18. — 62.  Lebensjahre,  und  fühlt  eben 
darin  seinen  höchsten  Stolz  und  Ehrgeiz,  sozusagen  die  eigentliche 
Urmission  des  Mannes.  So  w'  a  r  es  aber  einst  allgemein! 


Wir  befinden  uns  heute  allerdings  schon  stark  im  Abstiege  von 
diesem  Bewußtsein,  weil  die  Kultur  eine  Arbeitsteilung  heischte,  aber 
die  allgemeine  Wehrpflicht  ist  und  bleibt  der  altbewährte, 
schöne,  auf  Selbsterhaltung  und  Freiheit  basierte  Zug  jeder  nicht 
sklavisch  fühlenden  Gesellschaft.  Und  sonderbar:  gerade  das 
kleine,  in  dieser  Hinsicht  mustergültige  Monte- 
negro hat  bisher  noch  niemand  erobert,  obschon 
es  an  Aspiranten  hiezu  im  Laufe  der  Zeiten  gewiß 
nie  mangelte! 

Die  im  20.  Jahrhunderte  intensiv  hervortretende  antimilitäri- 
sche Strömung  zeigt  jedoch  nur  das  gänzliche  Verkennen  der  staats- 
erhaltenden Prämissen  sowie  der  sozialökonomischen  Präventiv- 
Notwendigkeiten,  obschon  uns  die  Völkergeschichte  unwiderleglich 
zeigt,  daß  der  Aufschwung  eines  Staates  sowie  dessen  Verfall  stets 
Hand  in  Hand  mit  dem  Aufschwünge  und  dem  Verfalle  der  Wehr- 
macht desselben  geht,  daher  jeder  umsichtige  Staatsmann  seit 
jeher  seine  politischen  Konjunkturen  mit  Erfolg  nur  auf  die  militäri- 
schen Potenzen  aufbaute.  Einen  großgewordenen  Staat  ohne  Kampf 
und  Krieg  kennt  die  Geschichte  nicht,  und  ist  die  Idee  vom  e  \\  i- 
gen  Frieden  nur  eine  Ausgeburt  jener  logisch  Unmündigen,  die 
im  naiven  Glauben  leben,  als  ob  es  je  zur  Einstellung  von  Realin- 
jurien zwischen  Einzelindividuen  kommen  könnte. 

In  der  Verteidigung  seiner  Scholle  hat  sich  demnach  für  den 
kampffähigen  Mann  seit  dem  Dämmerlichte  der  menschlichen  Kultur 
bis  heute  nichts  geändert;  früher  war  er  freiwillig  Krie- 
ger aus  Selbsterhaltungsgründen,  jetzt  ist  er's 
wehrgesetzmäßig  aus  Staatsnotwendigkeiten,  u. 
müßte  sich  abermals  freiwillig  selbst  schützen, 
falls  es  je  wieder  zu  dem  bedauerlichen  Kultur- 
rückschlage käme,  daß  der  bewaffnete  Staats- 
schutz als  entbehrlich  angesehen  werden  und  je- 
der Einzelne  Mieder  auf  die  Selb  st  wehr  angewie- 
sen sein  sollte. 

Das  idealste  Resultat  aller  Friedensbestrebungen  kann  daher 
nur  die  stete  Kampfbereitschaft  sein,  denn  wie  das  Einzelindividuum 
unterliegt,  wenn  es  unvorbereitet  angegriffen  wird,  kann  auch  ein 
ganzes  Volk  oder  selbst  ein  großer  Staat  unterliegen.  —  Die  alte 


220 


Kultur-  und  die  einstige  auf  Selbstverteidigung  basierte  soziale  Or- 
ganisation zeigen  uns  daher  empirisch  klar  jene  Situation  an,  welche 
uns  einzig  den  ersehnten  Friedenszustand  hn  edelsten  Sinne  ge- 
währleistet; ja,  von  den  ältesten  Zeiten  her  fehlte  es  doch  nie  an 
Sehern,  die  unentwegt  an  die  Lebensregel  der  Völker:  Si  vis  pacem, 
para  bellum  —  erinnerten,  und  die  sich  auch  in  der  Königinhofer 
Handschrift  widerspiegelt,  wo  der  Elbefürst  seinen  Edlen  und  Ge- 
treuen rät :  >(W  eise  i  s  t's  des  Kriegs  gewärtig  zu  sein 
—  i  m  F  r  i  e  d  c  n!«  d'V  mire  \äiku  mi'idro  zdäti»  ) 


c:i^2is^^ 


D)  Sonstige  topische  Namen. 

Man  glaubte  bis  heute,  daß  die  breite  Grundlage  der  Ortsna- 
menmotive  namentlich  Tiere,  Pflanzen  und  Mineralien,  dann  Rodun- 
gen geboten  hätten,  doch  ist  diese  Ansicht  als  eine  äußerlich  trü- 
gerische zu  nehmen,  seitdem  sich  die  bestimmte  Tendenz  des  Natur- 
menschen hervorhebt,  daß  ihm  v  o  m  Urbe  ginne  an  die  Si- 
cherung seiner  physischen  wie  materiellen  Exi- 
stenz stets  die  Hauptsache,  das  Um  und.  Auf  seiner 
Lebenssorge  war.  Die  nicht  dieser  Impression  zuzuschreiben- 
den Ortsnamen  sind  daher  relativ  sehr  spärlich  und  werden  wahr- 
scheinlich noch  spärlicher,  je  weiter  die  etymologische  Entkernung 
der  topischen  Begriffe  gedeihen  wird. 

Nachstehend  seien  einige  Ortsnaniengruppen  angeführt,  welche 
mit  mehr  oder  weniger  Sicherheit  nicht  zu  den  bereits  vorausgesen- 
deten eingereiht  werden  können. 


a)  Namen  für  Rodungslokalitäten. 

Wo  jemand  einen  Wald  ausrodet,  sich  daselbst  eine  Hütte  baut 
cdLr  einen  Weideplatz,  Acker  oder  Weingarten  anlegt,  dort  ist  er 
eben  der  erste  Bewohner  gewesen,  denn  hat  er  sich  wo  ständig  nie- 
dergelassen, so  niulltc  er  in  einem  mäßigen  Umkreise  für  seine  Be- 
dürfnisse Vorsorgen.  Hat  nun  diese  Ansiedlnng  nach  der  hier  vorge- 
nonmienen  Rodung  den  Namen,  so  muß  dieser  Ansiedler 
ein  S  1  a  V  e  g  e  \\  e  s  e  n  sein,  wenn  der  topographische 
Begriff   des    B  e  s  i  c  d  lu  n  g  s  g  c  h  i  e  t  e  s    ein    zweifellos 


222  

slavischer  oder  nur  dem  Slaven  verständlicher 
i  s  t.  Nachdem  aber  in  ganz  Mitteleuropa  —  und  auch  viel  weiter  hin- 
aus —  fast  ausschließlich  slavische  Ortsnamen  vorkommeri,  so  müs- 
sen die  ersten  Ansiedler  Siaven  ge^\■esen  sein,  da  ja  Europa  seit  der 
historischen  Zeit,  wie  wir  es  der  Völkergeschichte  doch  zweifellos 
entnehmen  können,  stets  mehr  oder  minder  dicht  bewohnt  war  Da 
aber  alle  Namen  dieser  Kategorie  nur  eine  rein  lokale  Bedeutung 
haben,  kennen  selbst  die  gangbarsten  Bezeichrumgen  für  Rodungen, 
wie:  lisa,  laz,  plesa  u.  a.  im  großzügigen  Sinne  keinen  dauernden 
Wert  behalten,  denn  wird  später  die  Rodung  zum  Walde,  so  verliert 
sich  allmählig  auch  der  bezügliche  Name,  weil  ihm  hiemit  zugleich 
die  Qebrauchsgelegenheit  benommen  wurde.  —  Dem  Namengeber 
handelte  es  sich  aber  dabei  auch  nicht  um  die  Fixierung 
der  AbStockung  selbst,  sondern  um  den  dadurch  gewonnenen 
Nutzungsplatz,  den  er  sich  nun  auch  dauernd  sichern  wollte.  I  m 
Sprachgebrauche  fließen  daher  viele  Rodungs- 
namen mit  s  o  Ic  h  e  n  von  V  e  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g  s-  oder  Siehe- 
r  u  n  g  s  p  u  n  k  t  e  n  zusammen,  weil  gerade  diesem 
Zweckeoftdas  Roden  \orausgehen  mußte,  daher 
hier  gleichfalls  sehr  häufig  homonyme  Begriffe 
\'  o  r  \\  a  1 1  e  n. 


b)  Namen  orographischer  Richtung. 

Die  Bodenerhebungen  stimmen  zumeist  auch,  da  sie  in  erster 
Linie  für  Verteidigungszwecke  günstig  sind  mit  der  No- 
menklatur der  letzteren  überein.  So  können  z.  B.:  Vrh,  Verhole, 
\'efovice,  Vergorac,  Werchow,  Vrhbosna,  Vrhpolje,  Verzeje  u.  ä. 
sowohl  eine  Höhe,  eine  Ansiedlung,  aber  auch  eine  technisch  vor- 
bereitete Vorsorge  für  die  \'erteidigung  auf  einer  Bodenerhebung 
andeuten,  die  aber  auch  schon  zum  Teile  unter  dem  Wurzelworte 
«vir«  näher  gekennzeichnet  wurden.  Ausgesprochene  Höhennamen 
ohne  defensiven  Charakter  sind  selten,  und  können  hiefür 
einstweilen  nur  folgende  zwei  Beispiele  angeführt  werden. 

Podirac.  In  Frankreich  trägt  ein  Berg,  welcher  die  Eigentüm- 
lichkeit hat.  daß  er  immer  niederer  wird,  seit  undenklichen  Zeiten 
diesen  Namen,  und  führte  diese  Wahrnehmung  wohl  einst  die  Um- 


wohncr  dazu  ihn  xPodirac«  (slav.  i'podirati  se »,  verb.  durat.  =  lang- 
sam einstürzen)  zu  benennen.  Erst  vor  kurzem  gelang  es  einem 
kühnen  Forscher  der  Sache  auf  den  Grund  zu  kommen.  Er  ließ  die 
trichterförmige  Kuppe  öffnen  und  entdeckte  darunter  eine  große 
90  m  tiefe  Höhle.  Die  Bergkuppe  muß  einmal  aus  irgendeinem  Grunde 
eingebrochen  sein,  wobei  sie  sich  ober  der  Höhle  verkeilt  hat;  Teile 
davon  stürzten  allmählig  in  die  Höhle,  die  Atmosphärilien  sorgten 
von  außen  für  die  Nachfüllung  mit  Erosionsmaterial  und  so  kam  der 
Berg  zu  diesem  vollkommen  berechtigten  Namen  schon  in  jener  Zeit, 
als  dort  noch  Slaven  gewohnt  haben  mußten. 

Dhnniki,  Dimnice.  So  bezeichnet  man  die  erst  vor  wenigen 
Jahren  bei  Markovscina  (nächst  Triest)  entdeckten,  sehr  sehenswür- 
digen Grotten.  —  Hätte  man  ehedem  der  toponomischen  Etymologie 
die  verdiente  reelle  Bedeutung  zuerkannt,  so  wäre  diese  Entdeckung 
schon  längst  geschehen.  In  slovenischer  Bedeutung  sind  nämlich 
iidimniki«  —  die  Rauch  röhren;  es  sind  dies  jene  bei  warmer 
Temperatur  die  kalte  Grottenluft  durchlassenden  Felsspalte,  welche 
den  Umwohnern  auffielen,  weil  die  Gegend  zu  gewissen  Zeiten  den 
Eindruck  vieler  Kamine  machte.  Es  hätte  sonach  der  Name  selbst 
dahinführen  können,  daß  diese  Luftsäulen  unterirdischen  Hohlräumen 
entstammen  müssen. 


c)  Namen  hydrographischer  Richtung. 

Viele  Nanien  dieser  Gruppe  bieten  dem  Weiterforschenden  ein 
ungemein  weites  Feld,  wie  und  wann  dieselben  enstanden  sein 
mögen,  weil  sie  meist  kunsttechnischen  Ursprungs  sind.  — 

Suez  (slav.  svez,  —  Verbindung)  klingt  im  ersten  Momente  in 
Bezug  auf  die  slavische  Bedeutung  unglaublich,  aber  die  Geschichte 
selbst  zeigt,  daß  dem  doch  so  ist.  —  Im  14.  Jahrh.  v.  Chr.  war  der 
112  km  breite  Isthmus  von  Suez  bereits  durchstochen  und  wurde 
später  wiederholt,  da  er  stets  versandete,  ausgebaggert.  —  Nachdem 
aber  diese  immense  Arbeitsleistung  doch  nur  zum  Zwecke  der  Schif- 
fahrt inszeniert  worden  sein  kann,  hat  es  große  Berechtigung  an- 
zunehmen, daß  der  erste  bekannte  Durchstich  noch  gar  nicht  der 
erste  ist,  denn  die  Ägypter  waren  doch  kein  so  ausgeprägtes 
Handelsvolk  ^\'ie  etwa  die  Phönizier;  es  ist  somit  wahrschein- 


h.^h,  daß  sich  dieses  Bedürfnis  bereits  den  letzteren  (richtiger:  Ve- 
netier) aufdrängte,  daher  auch  der  s  1  a  v  i  s  c  h  e  Name  für  die  Ver- 
bindung des  Mittelländischen  Meeres  mit  dem  Roten.*)  —  Daß 
Afrika  zur  Zeit  des  Königs  Ncchao  (610 — 595  v.  Chr.)  umschifft 
wurde,  ist  einer  gravierten  Inschrift  aus  jener  Zeit  zu  entnehmen, 
also  das  erstemal  offiziell  bestätigt,  daß  damals  der  Schifffartskanal 
von  Suez  bereits  benützt  wurde. 

Pferov,  Prerau  gibt  es  in  Mähren.  Böhmen.  Deutschland  usw . 
Die  Etymologie  deutet  auf  einen  Wasserkanal.  Bei  Prerau  in 
Mähren  war  dies  w  ahrscheinlich  ein  quer  durch  das  Becva-Tal 
gezogener  Damm  mit  tiefem  Graben  zu  Verteidigungszwecken.  Die 
Becva  wurde  hier  zur  Verstärkung  des  auf  einer  mäßigen  Höhe 
(heute  noch  Schloß)  befindlichen  Hauptpiuiktes  für  die  Abwehr  feind- 
licher Angriffe  einbezogen.  Es  fällt  hier  besonders  auf,  daß  im  be- 
nachbarten Predmost  (=  vorgeschobenes  Werk)  massenhaft  Reste 
der  verschiedenartigsten  prähistorischen  Tiere,  darunter  sehr  zahl- 
reich jene  des  Mammut  gefunden  wurden,  daher  es  wahrscheinlich 
ist.  daß  diese  Küchenabfallhaufen  von  den  einstigen  Kanalgräbern, 
namentlich  aber  von  den  Wachen  und  Verteidigern  stammen. 

Bei  Prerovec  (nächst  Troppau)  scheint  es.  daß  die  technische 
Verstärkung  der  «Straznica«  dadurch  bewirkt  wurde,  daß  man  das 
Vorbrechen  des  Clegpers  aus  dem  Stettiner  Walde  durch  einen  sta- 
ken Damm  (mit  entsprechendem  Graben)  erschweren  wollte. 

Perekop.  Die  7  km  breite  Landenge,  welche  die  Halbinsel 
Krim  m  t  dem  Fcstlande  verbindet,  muß  schon  einmal  durchstochci 
worden  sein,  denn  dies  besagt  der  Name  «Durchstich-Kanal«.  Die 
Verbindung  der  Karkinit-Bai  mit  dem  Azov"schen  Meere  ist  schon 
lange  projektiert,  aber  es  blieb  bis  nun  beim  Projekte.  In  einer  weit 
hinter  rns  gelegenen  Zeit  muß  aber  der  Durchstich  schon  vorgenom- 
men worden  sein,  weil  in  der  augenscheinlichen  Trace  des  Kanals 
jetzt  noch  an  30  Salzseen  liegen,  und  die  Stadt  «Perekop«  daselbst 
erhielt  doch  nur  deshalb  diesen  Namen,  weil  sie  eben  an  einem 
Schiffahrtskanale  entstand. 


')  Aus  dem  »Buche  der  KönigCK  ist  auch  zu  entnehmen.  daP  Könis: 
Ezechias  (um  700  v.  Chr.)  einen  Berg  durchbohren  ließ,  um  durch  denselben 
die  Wasserleitung  zu  führen;  es  ist  dies  der  erste  historisch  besrlaubiste 
Tunnelbau.  —  Die  tecl  nischen  Künste  w  aren  caher  einst  gar  nicht  so  iiu'erv  . 
\\en;i  man  derartig  großangelegte  Arbeiten  ausführte. 


225 


Provüka.  Am  schmälsten  Teile  der  Landzunge  Akte  auf  Chal- 
kidike  liel'  angeblich  Xerxes  einen  Kanal  graben,  damit  seine  Flotten 
nicht  genötigt  seien,  den  Berg  Athos  zu  umschiffen.  Di^  stellenweise 
noch  heute  mit  Schilf  bewachsene  Kanaltrace  heißt  noch  immer 
«provüka».  bei  den  dortigen  Bewohnern  in  der  Bedeutung:  Durch- 
stich. Nun  ist  aber  dies  auch  ein  slavisches  Wort,  welches  auf 
etwas  Durchgezogenes.  Traciertes  (provleci  =  durch- 
ziehen) hinw  eist  und  so  etwas  baut  man  nicht  erst,  wenn  man  das 
einmalige  Umschiffen  eines  Berges  ersparen  soll,  denn  der  Kanalbau 
und  das  Umschiffen  eines  Vorgebirges  stehen  doch  sicherlich  im  \er- 
kchrten  Zeitverhältnis. 

Stagno.  Von  Interesse  ist  hier  der  Umstand,  daß  die  \3  km 
breite  Landenge  der  Halbinsel  Sabioncello  einst  auch  schon  durch- 
stochen gewesen  sein  konnte,  denn  an  den  beiden  Isthmusenden  be- 
finden sich  die  beiden  Sicherungs-  und  Verteidigungspunkte  »Stagno 
piccolo«  und  «Stagno  grande«.  Während  nun  das  slavische  »stan« 
(hier  «Ston«)  einen  Hafen.  Zufluchtsort  für  Schiffe,  auch  Schutz- 
hütte bezeichnet,  deutet  das  romanische  stagnum,  stagno  in 
seiner  Bedeutung  schon  auf  ein :  k  ü  n  s  tl  i  c  h  angelegtes  B  a  s- 
s  i  n.  einen  Kanal. 

Ich  kenne  zwar  diese  Gegend  nicht  vom  Augenscheine,  aber 
ausgeschlossen  ist  es  nicht,  daß  auch  hier  schon  einmal  die  Unter- 
brechung einer  Seestraße  zwischen  dem  nördlichen  und  südlichen 
Dalmatien  beseitigt  war,  die  aber  später  wieder  versandete  oder  mit 
der  Zeit  sich  verschüttete,  so  daß  dermalen  dieser  Umstand  ohne 
fremde  Inspiration  nicht  mehr  näher  beachtet  w  ird.*) 

Jezero  (=  See)  kommt  als  Ortsname  in  verschiedensten,  leicht 
erkennbaren  Formen  als:  Jezera,  Jezerni,  Jezernice,  Jczirko,  Ozero. 
u.  ä.  vor.  In  den  meisten  so  lautenden  Gegenden  ist  aber  heute  der 
Name  nicht  zutreffend,  da  der  zugehörige  See  bereits  lange,  mitunter 
seit  undenklichen  Zeiten,  fehlt,  wenn  dieses  die  Bodenformation 
oft  auch  rechtfertigt  oder  geologisch  bestätigt.  So  gibt  es  auf  dem 


')  Es  ist  bekannt,  daß  die  Durchstechung  des  Isthmus  von  Stagno 
schon  die  Republik  Ragusa  und  später  auch  der  Marschall  Marmont  planten; 
momentan  trägt  sich  auch  das  österreichische  Marinekonimando  mit  dieser 
Idee  um.  Wie  man  sieht,  sind  unsere  prähistorischen  Väter,  die  den  Kanal 
von  Suez.  Perekop.  Athos  u.  a.  angelegt  haben,  uns  in  dieser  Beziehung 
doch  bedeutend  vorausgewesen! 

15 


Pettauer  Felde  ein  «5v.  Stefan  ob  jezeru«  (deutsch  ist  der  Name  gar 
nicht  im  Gebrauche).  Diese  Benennung  könnte  nur  in  jener  Zeit  ent- 
standen sein,  als  das  Pannonische  Meer  mit  seiner  großen  Bucht 
bei  Pettau-Marburg  zu  weichen  begonnen.  Nun  hat  aber  Kaiser  Octa- 
vian  bereits  im  Jahre  35  v.  Chr.  Pettau.  die  große  pannonische  Stadt, 
zerstört,  nachdem  er  zuvor,  weil  er  die  Verproviantierung  der  Ver- 
teidiger nicht  rationell  verhindern  konnte,  alle  Waldungen  der  Um- 
gebung niederbrennen  ließ.  Hier  war  damals  und  schon  Tausende 
von  Jahren  vorher  unmöglich  ein  See.  "Sv.  Stefan  ob  jezeru«  liegt 
aber  auf  derselben  Ebene  im  Niveau  etwas  höher,  es  nniß  daher 
dort  der  Seecharakter  umso  eher  geschwunden  sein.  Überdies  kann 
dort  auch  zu  jener  Zeit  kein  lokaler  See  gewesen  sein,  nachdem  sich 
in  der  Nähe  von  Pulsgau  die  .Marmorsteinbrüche  befanden,  woher 
alle  römischen  Steine  Pettau's  ihre  Provenienz  haben,  dort  die  rö- 
mische Poststraße  führte,  und  diese,  falls  der  See  auch  umgangen 
wurde,  dann  bei  Pragerhof  erst  wieder  in  ein  Seegebiet  gekommen 
sein  mußte,  da  jene  Gegend  noch  heute  sehr  durchweicht  und  moorig 
ist.  —  Die  Berechtigung  zur  slavischen  Benennung  eines  Sees,  der 
seit  mindestens  2000  Jahren  nicht  existiert,  kann  doch  nur  derjenige 
gehabt  haben,  der  ihn  gesehen  hat!  —  Übrigens  ist  im  benachbarten 
Dranntale  dasselbe  Analogen  mit  «Sv.  Andraz  ob  jezeru«  zu  finden, 
wo  ein  rechtschaffener  See  nie  gewesen  sein  konnte. 

Man  kann  sich  dies  anders  nicht  logisch  erklären,  als  mit  der 
Vordatierung  der  Slavenexistenz  in  Mitteleuropa,  oder,  was  einzig 
und  allein  richtig  ist,  daß  «jezero«  ursprünglich  nicht  See  sondern 
«jez«  bedeutete,  wie  heute:  Abgrenzung,  Stauung,  d.  h.  Grenze 
im  allgemeinen.  «Sv.  Stefan«  und  «Sv.  Andraz  ob  jezerun  sind  so- 
nach Kirchen  am  Grenz  wall,  an  der  Grenzlinie,  und  be- 
zeichnet der  überaus  häufige  Ortsname  «ujezd«  eben  den  gesi- 
cherten, eingefriedeten  oder  umwallten  Punkt,  also 
eine  technisch  hergerichtete  Lokalität.*)  —  Der  Rückschluß,  daß 
sich  dort,  wo  der  Ortsname  «jezero«  existiert,  einst  tatsächlich  ein 
See  befunden  hat,  kann  daher  richtig  aber  ebensogut  falsch  sein. 
wenn  nur  eine  etymologische  Begriffsannäherung  vorliegt. 


*)  Die  Verwandtschaftsbegriffe  gingen  gleichfalls  aus  Hoheitsnamen 
hervor,  wie  z.  B.:  »uiec».  der  Kommandant  eines  »ujezd».  heute  =  Onkel; 
»otec»  (—  Vater)  ist  derjenige,  der  jemand  beschützt  (oteti  =  retten) 
u.  s.  w. 


Brod  (=  Furt),  Brodek  (=kleine  Furt).  Vergleiche  noch: 
Böhmisch-,  Bosnisch-,  Serbisch-,  Slavonisch-,  Ungarisch-  Brod, 
Brodau,  Brody,  Brotkowitz,  Qrossenbrode,  Prode,  Prodenöw,  Pro- 
tivin  u.  ä.  —  xBrod»  kennzeichnet  aber  eigentüch  in  den  seltensten 
Fällen  die  Furt  selbst,  sondern  lediglich  jene  Stelle,  welche  für  einen 
Uferwechsel  sehr  günstig  ist,  also  keine  Schnellen,  Felszacken 
oder  seichte  Stellen,  sondern  einen  ruhigen  Charakter,  wenn  möglich 
Inselbildungen  aufweist.  —  So  bildete  bei  Slavonisch-Brod  die  mäch- 
tige Save  wohl  zu  keiner  Zeit  eine  durchgängige  Furt,  wohl  aber 
einen  günstigen  Punkt  für  den  Uferwechsel  in  Form  von  Über- 
fuhr (brod  =  Fähre).  Nachdem  aber  an  solchen  Stellen  die  Gefahr 
des  feindlichen  Einbruches  auch  am  wahrscheinlichsten  ist,  so  wur- 
den diese  besonders  beobachtet  oder  gar  befestigt,  daher  an  vielen 
Punkten  dieses  Namens  Festungen,  Forts.  Verteidigungstürme  oder 
Ruinen  von  solchen  anzutreffen  sid.  —  Da  «protitin  —  sich 
wehren,  verteidigen,  entgegenstellen,  xoproda«  im 
Slovenischen  noch  heute  den  Mitkämpfer,  Waffengefähr- 
ten andeutet,  (z.  B.  Protivin  =  ein  Verteidigungspunkt  an  dsr 
G  re  n  z  e)  ist  es  auch  erklärlich,  daß  wir  oftmals  ein  «Brod«  finden, 
wo  es  gar  kein  nennenswertes  Gewässer  gibt,  sich  also  um  eine 
Furt  niemand  Sorgen  macht,  sondern  wo  es  sich  lediglich  um  eine 
Stelle  handelt,  die  man  nötigenfalls  zum  Widerstände  ausgewählt 
hat.  —  Der  Hoheitsname  ist  «Prot«,  wie  die  Russen  den  Prior, 
S  u  p  e  r  i  o  r  eines  Klosters  benennen.*) 

Slatina.  Ein  überaus  häufiger  Name  für  Lokalitäten,  wo  ein 
Säuerling  oder  überhaupt  ein  Wasser  mit  mineralischen  Sub- 
stanzen entspringt;  die  Grundsilbe  ist  hsoI«  (=  Salz).**) 

')  Miklosich  erklärte  diesen  Stamm  als  von  den  Magyaren  entlehnt, 
wonach  er  klein  bedeuten  soll.  —  Man  macht  fortgesetzt  die  Erfahrung, 
daß  die  Slavisten  mit  Vorliebe  slavische  Begriffe  als  Fremd-  und  Lehn- 
wörter erklären,  wenn  sie  nur  den  ungefähr  gleichen  Stamm  in  irgendeiner 
anderen,  d.  h.  nichtsiavischen  Sprache  entdeckt  haben.  —  Allerdings  hätten 
die  bisherigen  Forscher  auf  diesem  Gebiete  nicht  so  viel  geirrt,  wenn  sie 
der  praktischen  f:ntstehung.  konkreter  Begriffe  nähergetreten  wären;  doch 
konnte  mit  Rücksicht  auf  die  geschilderte  ungeahnte  militärische  Urorgani- 
sation  naheliegenderweise  zu  dieser  Erkenntnis  am  ehesten  ein  Offizier  ge- 
langen. 

'")  Es  sei  hier  ein  interessantes  Beispiel  angeführt,  wie  man  den  Ge- 
genbeweis erbringen  kann,  daß  ein  Name  tatsächlich  in  der  Natur  begrün- 
det und  nicht  aus  der  Phantasie  geholt  ist.  Ich  fand  im  Okkupationsgebiete 

15» 


Kissingen  hieß  im  J.  15-44  nocli  «Kiseclvü»  (slav.  kiseljiia  = 
Sauerwasser),  bedeutet  sonach  eine  Quelle  mit  Sauerwasser),  oder 
ein  Wasser  mit  Beigabe  von  salzigen  Substanzen  im  allgemeinen. 
Deutsche  Anpassung  meist  in  der  Form:  iiüieshübel«. 

Toplice  heißen  jene  Lokalitäten,  wo  sich  warme  Quellen 
(toplo  =  warm)  befinden.  —  Dieser  Name  ist  ebenfalls  sehr  häufig. 
wenn  auch  vielfach  entstellt,  wie  z.  B.:  Tobelrisse  (Qastein),  Tobl- 
bad  (bei  Graz),  Tepl  (in  Böhmen).  Töplitz  (in  den  verschiedenen 
Provinzen);  Römerbad  (bei  Cilii)  am  Toplitzbache  hieß  früher  "To- 
plice n  u.  ä.*) 

d)  Namen  botanischer,  zoologischer  und 

geologischer  Richtung. 

In  \erhältnismäßig  verschwindend  kleiner  Zahl  treten  topische 
Namen  botanischer,  zoologischer  und  geologischer 


eine  Ansiedlung.  die  »Siatina«  genannt  wird,  konnte  aber  jahrelang  daselbst 
keinen  Säuerling  finden,  und  wußten  mir  die  Landesbewohner  diesbezüglich 
auch  keinen  Bescheid  zu  geben.  Doch  ich  benutzte  jede  Gelegenheit,  um 
herauszufinden,  ob  der  Name  hier  doch  nicht  natürlich  begründet  ist.  End- 
lich fand  ich  in  einem  Kukuruzfelde  eine  ergiebige  schwefelhaltige,  kalte 
Quelle,  welciie  sich  bereits  nach  vier  Metern  eigenen  Abflußes  in  einen 
Süßwasserbach  ergießt.  —  Die  Auffindung  war  erschwert,  weil  sich  die 
Quelle  in  einem  bebauten  Acker  befand;  anderseits  ist  der  Bevölkerung  die 
Bedeutung  für  den  Begriff  «siatina«  bereits  entschwunden,  denn  sie  nennen 
eine  schwefelhaltige  Quelle  in  jener  Gegend  heute  «smrdelj«  (=  übelrie- 
chendes Wasser);  aber  diese  Quelle  kannten  die  Umwohner  sehr  gut, 
denn  sie  benützen  das  Wasser,  da  es  radiumhältig  zu  sein  scheint,  äußerlich 
zur  Heilung  von  allerlei  Hautausschlägen  und  innerlich  gegen  Gicht  sowie 
als  Purgativ  —  angeblich  allseitig  mit  großem  Erfolge.  —  Ich  machte  gele- 
gentlich Kreise,  welche  dies  interessieren  müßte,  aufmerksam  auf  diesen 
Naturkurort  für  Qichtleidende.  aber  —  wenigstens  bis  heute  —  war  mein 
menschenfreundliches  Bestreben  erfolglos. 

")  Anläßlich  des  Baues  der  Südbahn  ersuchte  der  damalige  Besitzer 
die  Bahnverwaltung  um  eine  Haltestelle  mit  dem  imposanteren  Namen  kRö- 
inerbad»  statt  des  gangbaren  «Toplice".  was  ihm  auch  gewährt  wurde, 
weil  die  Quelle  angeblich  zuerst  von  den  Römern  (?)  benützt. wurde.  Es  gibt 
aber  vereinzelt  auch  Namen  dieser  Form,  ohne  daß  sich  daselbst  eine  warme 
Quelle  vorfinden  würde;  es  sind  dies  jene  Namen,  die  sich  durch  ungenaue 
Aussprache  oder  Wiedergabe,  dann  durch  den  Rotazismus  lautlich  ver- 
wandter Buchstaben  aus  «dob«  entwickelt  haben. 


Richtung  auf.  was  naheliegend  ist,  nachdem  sich  das  naniengebende 
Obiei<t  leicht  verändert  oder  auch  gänzlich  verwischt. 

Die  Pflanze  übt  als  die  hervorragendste  Bedeckung  der 
Erdrinde  wohl  einen  nennenswerten  Einfluß  auf  die  Namengebung 
aus,  denn  um  einen  Terrainpunkt  näher  kennzeichnen  zu  wollen,  na- 
metlich  beim  Fehlen  sonstiger  typischer  Merkmale,  sagt  man:  dort 
bei  der  großen  Eiche,  beim  Birken  w  aide,  am  Erlen- 
bache. beimSchilfteicheu.  ä..  w  obei  es  sich  aber  doch  nur 
um  Riednamen,  also  um  Terraintc'le  inferiorer 
Natur  handelt. 

Wird  so  ein  Gebiet  ausnahmsweise  einmal  zum  Wohnorte, 
so  wird  der  alte  Name  in  seiner  bisherigen  Bedeutung  umgewertet. 
Es  gibt  z.  B.  ungezählte:  Dob,  Dobrava.  Dober  dol,  Dobro  selo, 
Dub.  Dubina.  Dubrovnik  (Ragusa)  u.  ä..  welche  im  Prinzipe  anzeigen, 
daß  es  sich  hier  um  einen  Eichenwald  (dob,  dub  =  Eiche) 
handelt;  viele  solche  Ortsnamen  wurden  aber  später  in  sinnlosen 
Neubildungen,  als:  Qutenhaag,  Gutendorf,  Gutenberg,  Gutenfeld,  Gu- 
tenbiichl.  Gutenstein  u.  ä.  ins  Deutsche  übertragen,  wobei  bereits 
das  slavische  "dobro«  (=  gut)  fälschlich  als  Grundwort  (und  nicht 
i-dob.  dubx)  angesehen  wurde. 

Zahlreiche  Lokalitäten  dieser  Art  führen  jedoch  zum  berech- 
tigten Schluße.  daß  sie  zugleich  Verteidigungspunkte 
waren,  denn  zum  großen  Teile  haben  sie  Schlösser,  Ruinen,  Kirchen, 
Friedhöfe  oder  alte  Gräber  auf  dominierenden  Punkten,  oder  falls 
sie  ganz  in  der  Ebene  liegen,  feste  Bauten,  Aufwürfe  u.  drgl.  —  Bei 
diesen  Namen  (wie:  Gutenstein,  Gutental  u.  ä)  ist  sonach  der  ab- 
strakte Begriff  «gut"  statt  des  konkreten  «günstig  gelegen"  aus 
"doberii  deduziert  worden,  daher  man  darunter  lediglich  für  die  Ver- 
teidigung gute,  günstige,  feste  Plätze  zu  verstehen  hat,  ja 
den  lüchovischen  Wenden  waren  die  Begriffe  g  u  t  und  tapfer  noch 
identisch  (=  dibre). 

Analoges  läßt  sich  über  die  Ortsnamen:  Nußdorf.  Nußbaum. 
Oresje.  Orahovac.  Orehovo  u.  s.  w.  sagen.  Man  möchte  kurzweg 
glauben,  daß  der  Name  daher  rühre,  w  eil  sich  daselbst  Nußbäume 
(sla\'.  oreh.  orah)  vorfanden.  Hingegen  kommen  solche  Namen  auch 
in  Gebieten   vor.   wo  der  erwähnte  Baum  gar  nicht   gedeiht.*)  — 

'')  Man  behauptet  allsjeniein.  daß  die  Wallnuß  erst  im  Mittelalter  aus 
Asien   nach   Europa   gebracht  wurde;   dieses  ist  unbedingt  unrichtig,   denn 


Augenscheinlich  ist  hier  das  Grundwort:  «vor.  bor»,  oder  «hora«. 
wie  z.  B.  das  griechische  »loQctoj'-  (=  beobachten)  auch  zu  dieser 
Deutung  leni^t. 

Andere  Ortsnamen  äußerlich  botanischen  Ursprungs  wurden 
an  sonstigen  Stellen  crörtet  und  ihrer  wahren  Entstehung  näher- 
gebracht. 


Ortsnamen  zoologischen  Ursprungs  können  begreiflicher- 
weise, falls  sie  überhaupt  vorkommen,  auch  nicht  zahlreich  sein, 
nachdem  die  Tiere  eine  zu  labile  Bodenständigkeit  haben,  deshalb 
das  Kriterium,  d.  i.  der  konstant  gleich  wirkende  Eindruck,  für  die 
Namengebung  mangelt.  Namen,  welche  an  die  Riesensäugetiere  oder 
an  die  jetzt  in  den  Tropen  lebende  Fauna  erinnern  würden,  sind 
bisher  auch  keine  wahrgenommen  worden;  die  toponomischen  An- 
spielungen an  die  Saurierzeit  sind  lediglich  täuschende  Qieichklänge. 
die  bestenfalls  mit  ähnlichen  Ortssagen  im  losen  Zusammenhange 
stehen,  aber  keine  realen  Beweise  bieten. 

Bei  der  Etymologie  der  Namen  dieser  Richtung  ist  besondere 
Vorsicht  nötig,  da  unter  den  bekannten  Grundbegriffen  leicht  solche 
mit  phonetischem  Gleichklang  aber  mit  wesentlich  anderer,  für  die 
Lokalität  sprechenderer  Bedeutung  verborgen  sein  können.  —  So  gibt 
es  Höhen,  die  «Srnjak»  (=  Rehberg)  lauten;  diese  Namensentstehung 
ist  aber  ganz  unnatürlich,  und  muß  der  Name  wohl  als  «Zmiak«  (= 
Beobachtungspunkt)  oder  «Cernjak«  (=  Grenzpunkt)  aufgefasst 
w^erden. 


man  findet  in  den  prähistorischen  Erdhöhlen  in  N-jderösterreich  und  Mähren 
oft  abgebrannte  Nußkerne,  welche  einst  als  Beleuchtungskörper  gedient 
haben  mußten.  Tatsächlich  brennt  ein  getrockneter  Nußkern,  auf  die  Spitze 
gestellt,  an  12 — 15  Minuten,  und  dieses  Beleuchtungsmaterial  werden  sich 
die  Leute  von  damals  wohl  nicht  aus  Asien  haben  bringen  lassen.  Über- 
dies ist  die  Wallnuß  ein  Waldbaum,  welcher  am  Balkan  noch  700  m  hoch 
vorkommt.  —  Unter  dieser  Voraussetzung  ist  es  aber  erst  recht  ausgeschlos- 
sen, daß  man  etwa  einem  Orte,  der  schon  ein  «Dorf«  war,  eines  jungen 
Nußbaumes  wegen  nun  einen  neuen  Namen  beigelegt  hätte. 


231 


Ortsnamen  geologischen  Ursprungs  kommen  w  chl  vor. 
sind  aber  doch  verhältnismäl.^ig  selten.  Vereinzelt  sind  z.  B.  die 
Namen  für  Eisenerzlager,  wie:  2elezniki  (zelezo  =  Eisen),  Eisenberg, 
Eisenkappel  u.  ä.;  ebenso  kommen:  Srebrenica  (srebro  =  Silber), 
Mramori  (=  Marmor)  u.  ä.  vor,  obschon  die  Etymologie  auch  hier 
nicht  immer  mit  der  Natur  stimmt,  da  sicherlich  in  einzelnen  Fällen 
Wortformtäuschungen  vorliegen,  denn  die  Ortsnamen  schmiegen 
sich  den  bekannteren  Qebrauchswörtern  leicht  an,  ohne  daß  hiebei 
der  geologischen  Berechtigung  Rechnung  getragen  würde.  —  Son- 
derbar ist  es,  daß  der  Slave  die  Gegenden  mit  Asphaltlagern 
«pakljina«  benennt,  somit  darunter  etwas  Gebranntes  versteht, 
obschon  die  wissenschaftliche  Theorie  über  die  Entstehung  des  As- 
phaltes noch  nicht  klargelegt  ist,  wenn  sie  auch  zu  gleicher  Ansicht 
neigt.  — 


Hypothese  über  die  Zeit  der  Verteilung 
der  Dorffluren. 

Einen  Arhaltspiinkt  für  das  nnunterbrochene  Bewohnen  des- 
selben Gebietes  durch  dieselben  Bewohner  seit  der  vorrö- 
niischen  Zeit  gibt  uns  auch  das  Studium  des  Zeitpunktes  der  Ver- 
teilung der  Dorffluren. 

Schon  in  meiner  etymologisch-kulturhistorischen  Studie:  i'Die 
Ortsnamen  des  Oberen  Pettauerfeldes«  (Marburg  a./D.  1902)  deutete 
ich  auf  den  augenscheinhchen  Zeitirrtum  hin,  daß  die  Dorffiuren 
Untersteiermarks  in  der  karolingischen  Zeit  ihre  bis  heute  gültigen 
Gemarkungen  erhalten  hätten,  denn  es  hat  den  motivierten  Anschein, 
daß  die  \erteilung  des  Genieindereales  nach  den  heutigen  Umrissen 
längst  vor  dem  Eindringen  der  Römer  stattgefunden  haben  m  ü  s  s  e. 
Ich  kann  für  diese  fSehauptuug  wohl  nur  ein  typisches  Beispiel  an- 
führen, da  ich  mich  eigenhend  mit  den  Studien  der  Dorffluren  nicht 
befassen  konnte;  es  wurde  aber  ebenso  in  anderen  Gegenden,  na- 
mentlich in  Oberitalien,  der  Beweis  erbracht,  daß  seit  zwei  Jahr- 
tausenden die  grofkn  Heeresstraßen  ihre  Trace  nicht  w  esentlich  ver- 
ändert, ja,  daß  sich  sogar  die  Feldwege  der  römischen  Zenturiation 
bis  heute  nahezu  unverändert  erhalten  haben.  Ob  sich  aber  jener 
Zeitabschnitt  auch  schon  mit  der  Entstehung  und  Fiurverteilung 
zugleich  deckt,  bleibt  weiterhin  fraglich;  für  jeden  Fall  ist  aber  die 
gangbare  Ansicht,  daß  die  Vernichtung  der  bestandenen  Flurvertei- 
lungen den  «Stürmen  der  Völkerw  anderungx  zuzuschreiben  sei,  da- 
durch \'öllig  unhaltbar  geworden. 


—  233  — 

Wie  aus  der  beiliegend, p  Skizze  zu  ersehen  ist,  isanii  die  rö- 
niische  Straße,  welche  von  Windiseh-Feistritz  in  Untersteitrniark 
(an  den  römischen  Mannorbriihen  vorbei)  gegen  Haidin  (damals 
Poetovio)  führte,  \on  Schikola  bis  Pettaii  getreu  verfolgt  werden, 
d.  h,  die  1  racc  dtr  heutigen,  die  beiden  erwähnten  Ortschaften  ver- 
bindenden Landstraße  deckt  sich  vollkommen  mit  der  einstigen  rö- 
mischen Poststraße.  Ich  behaupte  mm,  daß  z.  F3.  die  Gemeinden 
Pongerzen  und  Unter-Jabling  bei  der  Verteilung  des  Bodens  nicht 
relativ  so  kleine  Teile,  Ober-Jabling  aber  gar  nur  einige  Quadrat- 
meter jenseits  der  römischen  Straße  zugemessen  erhalten  hätten, 
wenn  diese  Kommunikation  zur  Zeit  der  Verteilung  schon  bestanden 
hättj,  während  aber  die  Fluren  von  Drasendcrf  und  Micheldorf  an 
der  berannten  Straße  enden,  bei  denen  uns  die  Skizze  auf  den  ersten 
Blck  ze'gt.  daß  ts  später  aufgeteilte,  aus  dem  arrondieiten  Fiur- 
besitze  von  Zirkowitz  herausgeschnittene  Partien  sind;  nun  ist  es 
aber  bekannt,  daß  der  ganze  nördlich  der  Schikola-Haidiner-Straße 
gelegene  Teil  em.st  zum  Domin  rm  der  Herrschaft  Studenitz  gehörte, 
und  später,  wie  die  Tradition  behauptet,  von  den  Inwohnern  von 
Zirkowitz  riickerworben  wurde.  Bei  der  ersten  Abtrennung  war 
also  die  römische  Poststraße  schon  maßgebend,  da  die  Einwande- 
rung der  Deutschen  mit  ihrem  «deutschen  Rechten  in  diese  Gegend 
ältestcns  in  der  karolingischen  Zeit  stattfand;  ansonsten  ist  es  aber 
wahrscheinlich,  daß  der  Block  von  Zirkovitz  nördlich  der  römischen 
Straße,  che  er  Dominialgrund  wurde,  auch  an  die  drei  Gemeinden 
Zirkow  itz,  Drascndorf  und  Micheldorf,  analog  wie  bei  den  sonstigen 
Gemeinden,  in  der  Längenrichtung  des  bezüglichen  Besitzes,  also 
gleichfalls  unbekümmert  um  die  rcnüsche  Straßenanlage,  auslief. 

Es  ist  daher  mit  Berechtigung  anzunehmen,  daß  die  heutige 
Flurcintcilung  schon  vor  dem  Eindringen  der  Römer  die  gleichen 
Konturen  hatte,  und  daß  derselbe  Volksstamm  ununterbrochen  darauf 
gewohnt  haben  mußte,  weil  es  höchst  unwahrscheinlich  ist,  daß  bei 
einer  späteren  \'erdrängung  des  Stammbewohncrs,  oder  bei  einem 
größeren  Ipterkalare  der  Bebauung  dieses  Bodens  die  Straßenzüge 
für  die  Besitzgrenzen  nicht  maßgebend  gewesen  wären,  zumal  es 
sich  darunter  um  Geringfügigkeiten  handelt;  hingegen  folgen 
die  G  e  m  e  i  n  d  c  w  e  g  e  überall  genau  den  F  1  u  r  g  r  e  n- 
zen  Überdies  ist  es  bekannt,  daß  die  römischen  Heeresstraßen 
ziemlich   breit   waren   und  daß   entlang  derselben   vielfach   die   Bc- 


234 


slattung  der  Toten  erfolgte;  es  ist  daher  die  Annahme  begründet,  daß 
die  Bildung  und  Verteilung  der  Dorffluren  früher  stattgefunden  hat, 
als  die  römische  Straße  bestand,  daßdaherdieheutigensla- 
vischen  Bewohner  daselbst  —  die  Slo\'enen  —  un- 
unterbrochen diesen  Bodöii  innegehabt  haben 
mußten. 

Sollte  man  etwa  bezweifeln,  daß  der  genannte  alte  Straßenzug 
der  richtige  sei,  so  braucht  dagegen  nur  erwähnt  zu  werden,  daß 
niemand  in  der  weiten  500  km'  umfassenden,  fast  einem  Tische 
gleichen  Ebene  eine  den  Lisieren  der  Dorfflur  folgenden  Straßentrace 
—  möge  es  nun  welches  Volk  immer  gewesen  sein  —  angelegt 
hätte,  da  dies  nach  der  Flurskizze  eine  mäanderartige,  die  Straßen- 
entwicklung unsinnig  verlängernde  Linie  ergeben  hätte,  und  eine 
römische  Poststraße  führte  doch  bestimmt  von 
Süden  her  (Rom)  nach  Pcttau. 

Es  ist  daher  ausgeschlossen,  daß  erst  im  Mittelalter  —  nament- 
lich in  Mitteleuropa  —  die  DorSfluren  die  heutigen  Konturen  erhalten 
hätten,  sondern  augenscheinlich  schon  weit  in  vorrömischer  Zeit. 


IV. 


Zur  Sprache  der  alten,  ungelösten 
Inschriften. 

Vergleicht  man  die  Slaven  von  heute,  die  noch  immer  dem  Ein- 
flüsse einer  fremden  Sprache  auffallend  leicht  unterliegen,  weil  sie 
sich  sprachlich  schnell  akkomodieren,  so  begreift  man  es  wohl,  wieso 
unter  den  verschiedenen  slavischen  Gruppen  die  Deutschen,  Magy- 
aren, Italiener,  Osmanen  dort  die  Hegemonie  an  sich  gerissen  haben 
konnten,  wo  sie  selbst  noch  heute  in  Minorität  sind.  Aber  so  muß  es 
schon  im  Altertume  gewesen  sein,  denn  die  Gemeinsprache  der  Völ- 
ker Mitteleuropas  vor  Beginn  einer  höheren,  sprachlich,  staatlich 
und  sozial  differenzierten  Kulturstufe  war  wohl  die  slavische. 
denn  es  ist  unter  der  unleugbaren  Weichheit  und  Anpassungsfähig- 
keit der  Slaven  geradezu  undenkbar,  daß  die  Slaven  Europa  je  be- 
völkert hätten,  wenn  sie  sich  erst  von  einem  kleinen  Kerne  im  fremd- 
sprachigen Milieu  aus  entwickelt  hätten,  denn  sie  spielten  bis  jetzt 
im  Kampfe  zwischen  Krug  und  Stein  stets  den  weicheren  Teil:  den 
Krug.  —  Ziemlich  sicher  ist  es  daher,  daß  ein  slavischer  Block  einst 
den  massiven  Grundstock  der  landwirtschaftlichen,  gewerblichen  und 
industriellen  Bevölkerung  (z.  B.  Bergbau.  Metallbearbeitung,  Kera- 
mik) bildete,  die  notwendige  Basis,  auf  welche  sodann  erst  die  fort- 
schreitende Kultur  scheinbar  fremde  Reiser  aufpfropfte.  Wir  besitzen 
hiefür  auch  sehr  moderne  Analogien.  Mit  der  Okkupation  Bosniens 
und  der  Herzegowina  wurden  die  Österreicher  bezw.  Ungarn  zu  Re- 
gierenden daselbst;   das  Deutsche   wurde  zur   \'er\\altungssprache. 


236 


obschon  die  Beamten  selbst  zumeist  Slaven  waren  oder  wenigstens 
slavisch  kennen  mußten.  Die  Stammbewohner  sind  auch  ausschließ- 
lich Slaven,  nennen  sich  aber  selbst  Türken,  Kroaten.  Serben  oder 
Katholiken,  in  seltensten  Fällen  Bosnier  oder  lierzegovzen;  die  mitt- 
lerweile naturalisierten  Österreicher  oder  Magyaren  nennen  sich 
auch  weiter  so,  da  sie  sich  noch  durchaus  nicht  etwa  als  Bosnier 
fühlen,  worunter  der  Eingewanderte  —  der  Nomade  par  excellence 
—  stets  nur  den  Eingeborenen  versteht.  Wer  daher  dieses  ethno- 
graphische Sammelsurium  nicht  selbst  näher  kennt,  wird  auch  aus 
den  Zeitungen,  die  doch  stets  mit  bestimmten  Vorkenntnissen  des 
Lesers  rechnen,  auch  dermalen  nicht  klug,  umsomehr  als  auch  noch 
religiöse  Unterschiede  die  ethnographischen  weiter  verwirren.  — 
Was  soll  man  nun  glauben,  w  er  hier  lebte,  wenn  man  nach  etwa  tau- 
send Jahren  den  heutigen  israelitischen  Friedhof  oder  den  der  Spa- 
niolen  in  Sarajevo  tief  verschüttet  entdecken  würde?  Das  Nahelie- 
gendste wäre  die  Annahme,  daß  hier  einst  die  Israeliten  herrschten! 
Man  kann  aber  ebensogut  mit  dem  Spaten  auf  Friedhöfe  mit  deut- 
schen, kroatischen,  serbischen,  italienischen  Qrabschriften  stoßen; 
da  setzt  nun  gewöhnlich  der  grundfalsche  Schluß  der  Gelehrten  ein: 
hier  herrschte  oder  lebte  zuerst  dieses  Volk,  dann 
w  a  n  d  c  r  t  e  e  s  a  u  s  o  d  e  r  \\  u  r  d  e  d  u  r  c  h  e  i  n  a  n  d  e  r  e  s  V  e  r- 
n  i  c  ii  t  e  t ;  nun  folgte  in  ähnlicher  Weise  ein  drittes, 
und  s  f)  e  n  t  \\  i  c  k  e  1 1  sich  aus  eitel  Trugschlüssen 
und  Phantasicgebilden  der  völlig  verschobene 
Plan  für  eine  Völkerwanderung,  obschon  diese  Volks- 
stännnc  alle  ruhig  mit-  und  nebeneinander  lebten,  dieselbe  Sprache 
im  Verkehre  gebrauchten,  nur  setzten  sie  ihren  Toten  spezielle  Ge- 
dächtniszeichen  in  der  ihnen  sympathischeren  Sprache  und  Schrift. 
Das  ist  auch  die  Wurzel  aller  Unstimmigkeiten  und  Unverständ- 
lichkeiten  der  älteren  Phase  unserer  Völkergeschichte!  Daher  kommt 
es  auch,  daß  wir  uns  darüber  wundern,  unter  den  Schriften  römi- 
scher Provenienz  eine  Menge  solcher  anzutreffen,  die  nicht  lateini- 
sche Schriftzeichen  aufw  eisen,  oder  wenn  ja,  keine  lateinische  Inter- 
pretation zulassen.  Es  sind  dies  die  Münzen,  Grabsteine,  die  Kultus- 
und  Gebrauchsgegenstände  der  Bauern.  Gewerbetreibenden.  Indu- 
striellen u.  ä.  an  den  verschiedensten  Orten  aus  einer  Zeit,  als  die 
Stammbewohner  selbst  wohl  in  Majorität,  aber  nicht  zugleich  die 
Regierenden  waren.  Ähnliche  \erhältnisse  finden  wir  ebenso  noch 


237 


heute  genug.  In  Österreich-Ungarn  ist  die  Kegierungssprache  deutsch 
bezw.  magyarisch,  obschon  die  Slaven  nummerisch  in  Majorität  sind, 
ja  die  mihtärische  Dienstsprache  ist  in  beiden  Gebieten  die  deutsche; 
nichtsdestoweniger  sind  aber  z.  B.  die  Orabschriften  in  allen  gang- 
baren Sprachen  des  Reiches  gehalten,  und  wird  es  niemandem  ein- 
fallen, dieses  etwa  zu  verbieten.*) 

Wie  kommt  es  aber,  daß  wir  so  viele  alte  Schriften  mit  noto- 
risch lateinischen,  griechischen  oder  diesen  ähnlichen  Zeichen  auch 
nicht  lesen  und  lösen  kennen,  indes  wir  die  Hieroglyphen  und  Keil- 
schriften längst  entziffert  haben!  —  Die  Antwort  ist  sehr  leicht: 
w  e  i!  wir  uns  an  jedes  einzelne  Schriftzeichen 
ängstlich  anklammern,  nie  mit  L  a  u  t  u  m  s  c  li  r  e  i  b  u  n- 
g  e  n  r  c  c  h  n  c  n.  a  1 1  e  s  a  n  d  a  s  K  I  a  s  s  i  s  c  h  e  a  n  p  a  s  s  c  n  w  o  1- 
1  e  n  und  niemals  dabei  das  S  1  a  v  i  s  c  h  e  in  den  Kalkül 
z  i  e  h  e  n.**) 

Aber  gerade  das  letztere  muß  einmal  eine  ganz  außerordent- 
liche Rolle  gespielt  haben,  wenn  es  doch  einem  großen  Teil  der  Erd- 
oberfläche den  Stempel  slmucs  uralten  Daseins  in  den  Namen  der 
Terraindetails  aufgedrückt  hat  und  gerade  dieses  sogenannte  s  1  a- 
\ische,  augenscheinlich  europäische  Urvolk  soll 
gar  keine  Schrift  besessen,  daher  absolut  keine  schriftlichen  Denk- 
mäler zurückgelassen  haben?  Hier  liegt  eben  jene  falsche  Hypothese 
vor,  von  der  Gotha  so  treffend  sagt,  daß  sie,  sobald  sie  sich  befestigt 
und  allgemeine  Annahme  findet,  zu  einem  Glaubensbekenntnis  wird, 
woran  niemand  mehr  zw eifelt  und  welches  dann  auch  niemand  w ei- 
ter  untersuchen  darf.  Und  doch  wird  eine  rücksichtslose  Nachprü- 
fung in  dieser  Richtung  erst  wieder  ein  Licht  in  jenes  dunkle  Gebiet 
bringen,  und  ich  will  damit  rationell  den  Anfang  machen,  wobei  ich 
damit  rechne,  daß  sich  im  großen  Forscherkreise  der  Welt  doch 
etliche  natürlich  und  hell  denkende  Köpfe  finden  werden,  welche 
diese  Anregungen  weiter  verfolgen  dürften. 


")  Daß  man  einst  so  gemiitsroh  gewesen  wäre  und  der  bodenständi- 
gen Zivilbevölkerung  nicht  eine  Qrabschrift  in  der  eigenen  Muttersprache 
gegönnt  hätte,  ist  überhaupt  undenkbar.  Erst  die  neueste  »Kulturzeit»  hat 
dies  zuwegegebracht  und  haben  sich  einige  Stadtgemeinden  Österreichs  in 
dieser  Hinsicht  bereits  eine  fragliche  Berühmtheit  erworben. 

**)  Dem  Russen  wird  z.  B.  das  sonst  geläufige  Wort  «Sei»  (=  Kohl- 
suppe) völlig  fremd  und  unleserlich,  wenn  er  es  auf  einmal  als  «schfschi« 
dargestellt  findet. 


—  238  — 

Die  Objekte  dieser  Nachprüfung  sind:  Aufschriften  auf  alten 
Münzen,  die  Gravierungen  auf  ausgegrabenen  prähistorischen 
Schmuckgegenständen  und  Waffen,  die  Grab-  und  sonstigen  Inschrif- 
ten aus  der  vorrömischen  Zeit,  die  man  gewöhnlich  als  Runen,  rhä- 
tische,  keltische,  oskische,  etruskische  u.  drgl.  Schriften  bona  fide 
klassifiziert  hat. 

Es  ist  nämlich  völlig  undenkbar,  daß  die  Slaven  keine  eigene 
Schrift  gehabt  hätten,  da  es  in  der  Natur  eines  jeden  Volkes,  zumal 
mit  einer  solchen  Kultur,  wie  man  sie  gerade  an  den  Gegenständen 
der  Grabstätten  vorfindet,  liegt,  allgemein  oder  relativ  Wichtiges  in 
irgendeiner  Weise  festzuhalten,  umsomehr  als  doch  einzelne  India- 
nerstärnme,  die  Urbewohner  von  Celebes,  Java,  Äthiopien,  der  Philip- 
pinen u.  a.  ihre  eigene  Schrift  besitzen,  ohne  in  kultureller  Hinsicht 
je  eine  nennenswerte  Rolle  in  der  historischen  Zeit  gespielt  zu  haben. 
—  Die  Slaven  hatten  in  alter  Zeit  jedensfalls  eine,  heute  als  «Runen» 
benannte  Schrift,  welche  derart  eingebürgert  gewesen  sein  muß. 
daß  selbst  die  christlichen  Missionäre,  um  Lehrbüchern  bei  den  Sla- 
ven Eingang  zu  verschaffen,  ohneweiters  auch  deren  Schriftzeichen 
aimahmen.  Am  treuesten  scheint  dies  durch  den  dalmatinischen  Prie- 
ster liieronymus  im  3.  Jahrhunderte  geschehen  zu  sein,  von  dem  das 
glagolitische  oder  hieronymische  Alphabet  (Bukivica,  Bukvica)  der 
slavischen  Kirchenbücher  herrühren  soll,  während  sich  Cyrill  und 
Method  im  9.  Jahrhunderte  mehr  an  die  griechische  Schrift  lehnten, 
wenn  dies  nicht  umgekehrt  der  Fall  war.  d.  h.  diese  längst  vorhan- 
dene Schrift  von  den  Griechen  selbst  weitergebildet  worden  ist,  denn 
die  ältesten  griechischen  Schrifttexte,  wie  sie  z.  B.  auf  Melos,  in 
Korinth  u.  a.  vorgefunden  wurden,  sind  den  primitiven  Runen  weit 
ähnlicher,  als  dem  heutigen  griechischen  Alphabete.  — 

Wir  wissen  aber  auch  schon  von  Strabo,  daß  die  Bewohner 
Massiüa's  mit  Kgriechischen«  Zeichen  schrieben.  Desgleichen  er- 
zählt Caesar  (De  bello  gallico),  daß  »im  Lager  der  Helvetier  mit 
griechischen  Lettern  geschriebene  Tafeln  vorgefunden  wurdenK. 
Wären  diese  Texte  tatsächlich  griechisch  gewesen,  so  hätte  sie 
Caesar  oder  jemand  aus  dessen  Umgebung  gelesen,  so  war  ihnen 
aber  woh!  die  Schrift  äußeriich  bekannt  nicht  aber  der  Inhalt,  welcher 
jedenfalls  der  den  Römern  unverständlichen  «gallischenx  Sprache  an- 
gehörte. Zum  Vergleiche  folgt  hier  die  Reproduktion  einer  solchen 
Schriit.  w  ic  sie  auf  einem  Steine  im  Departement  Dröme  in  Frank- 


reich  (jetzt  in  Avignon)  gefunden  wurde.  Der  Text  ist  absolut  nicht 
griechisch,  ist  aber  auch  sonst  noch  nicht  verläßhch  oder  glaub- 
würdig entziffert  worden.  —  Mein  Entzifferungsversuch  gelang  ety- 
mologisch einstweilen  erst  für  die  erste  Zeile,  welche  i<se  gomaros« 
d.  i. :  dieses  Grab,  dieser  Grabstein  —  lautet.*)  Das  französische  «cc« 
ist  bekannt;  «gom«  ist  der  Stamm  für  Hügel,  Erdaufwurf,  wie  z.  B. 
slov.  »gomiiaii  (=  Grabhügel),  griech.  >  y/ö^ta  >  (-  Wall,  Grabmal), 
slav.  »hom.  hum«  (=  Hügel),  altfranz.  «coma«  (=  Schlafsucht,  also 
schon  auf  die  Ruhe  im  Grabe  anspielend),  slov.  xgomaritii«  (=  hocken, 
auf  Vieren  gehen).  Die  obige  Schrift  kann  sonach  auch  als:  Hier  liegt, 
hier  hockt,  hier  schläft  .  .  .  gelesen  werden.  —  Obschon  man  nun 
erst  zwei  Wörter  kennt,  entnimmt  man,  abgesehen  von  der  Stein- 
form selbst,  doch  schon  daraus,  daß  es  sich  hier  um  eine  Grabschrift 
handelt.  Welcher  Sprache  im  heutigen  Sinne  diese  jedoch  angehört, 
ist  nach  den  dürftigen  Anhaltspunkten  noch  schwer  zu  sagen,  zumal 
die  technische  Wortscheidung  fehlt,  man  daher  die  Suffixe  nicht 
kennt,  die.  wenn  sich  auch  sonst  inferioren  Wert  haben,  doch  die 
Sprachzweige  äußerlich  charakterisieren.  Es  scheint  aber,  daß  in 
diesem  Schriftdenkmale  bereits  die  Abschwenkung  der  französischen 
Sprache  von  der  primären  Allgemeinsprache  eine  fertige  Tatsache 
bildet.**) 

Auch  hier  bleibt  die  leidige  Ursprungsfrage  so  lange  offen,  bis 
man  nicht  die  Erkenntnis  rücksichtslos  ausspricht,  daß  alle  Schriften 
der  alten  Welt  auch  nur  eines  Ursprungs  sind,  und  scheinen 
da  gerade  die  «Runen»,  als  diejenigen  primitivster  Form  und  als  eine 
Art  vereinfachter  Bilderschrift,  für  den  ersten  Ansatz  zur  sichtbaren 
Wiedergabe  der  menschlichen  Laute  grundlegend  gewesen  zu  sein. 
—  Es  ist  daher  als  sicher  anzunehmen,  daß  die  älteste  Schrift  der 
Slaven  identisch  ist  mit  der  sogenannten  Runenschrift,  was 
auch  schon  die  Etymologie  des  Begriffes  «Runen  erklärt,  denn  der 
Stamm  hiezu  ist  wohl  «ritin  (=  eingraben,  einmeißeln),  woraus  dann 


*)  Es  ist  aber  nicht  unwahrscheinlich,  daß  «ros«   schon   nicht  mehr 
zu  Hgoma«  gehört. 

•')  Auffallend  ist  es.  daß  die  sogenannten  Bogumilengräber  auf  dem 
Balkan  zumeist  mit:  c|  C  £  (=  hier)  beginnen,  sowie  daß  die  zwei  letzten 
Buchstaben  vollkommen  in  der  Form  ienen  des  Avignon-Qrabsteines  glei- 
chen, sonach  diese  hzv  rillische»  Schrift  einst  über  ganz 
Europa  verbreitet   gewesen   sein   muß. 


240 


das  deutsche  «Rinne«  [^  rijna)  hervorging,  denn  wir  Ivennen  der- 
malen tatsächlich  nur  Runenschriften  auf  Stein  und  Aletall.  da  sich 
solche  auf  Wachstafeln  oder  weniger  dauerhaftem  Mcterial  selbst- 
redend nicht  erhalten  konnten.  Der  Wechsel  von  «Rine«  zu  «Rune« 
ist  in  der  konstant  labilen  Lesung  des  «y«  sowohl  a.s  «i«  wie  als  »u« 
begründet,  ganz  abgesehen  da\  on.  daß  «rujem.  ruti«  z.  B.  im 
Slovenischen  auch  ausreißen,  eine   Vertiefung  machen 


OY-A/\-A 


bedeutet.  —  Nebstbei  ist  es  aber  nahezu  sicher,  daß  der  Begriff 
«rune«  überhaupt  nur  für  jene  Schriftzeichen  eingewendet  wurde, 
die  eingeritzt  waren;  die  sonstigen  nannte  man  wieder  an, 
dcrs.  w'ie:  care,  crke  (=  Striche).  pisu:enky  (=,  Schriitzeichen). 
bukva  (=  Buchstabe)  u.  s.  w.  —  M  a  n  d  a  r  f  d  a  h  e  r  d  f  e  R  u  n  e  n 
auch  nicht  als  eine  exotische  oder  gänzlich  f  r  e  in- 
dc  Schrift  bezeichnen,  sondern  sie  nur  als  die  Ur- 
sprung s  f  o  r  m  e  n  unserer  gangbarsten  Schriften 
ansehen. 

Die  ganz   überraschende    Behauptung,   daß   die   Runensciirift 
sla  vischen  Ursprungs  sei,  soll  aber  nun  gew  issermaßen  h  o  m  ö- 


I 


opa  tisch  behandelt  werden,  ehe  zur  Lesung  einiger  Runeudenk- 
inäler  selbst  geschritten  werden  kann,  und  möge  hiezu  vor  allem  die 
iiEddaic  dienen.  Diese  enthält  Götter-  und  Heldenlieder,  welche  man 
teils  als  «nordisch»  teils  als  »gemeingermanischx  teils  als  «deutsch« 
erklärt.  Sie  war  ursprünglich  wohl  nur  ein  Lehrbuch,  was  ja 
die  Kapitel  xWas  Lodfafner  lernte«,  die  Schöpfungsmythe 
und  «Wodan's  Runenkunde«  dartun,  denn  Edda,  —  richtig  Ueda, 
Veda  —  deutet  an,  daß  dies  ursprünglich  ein  Lehrbuch  (=  «Das 
Wißen«)  war  und  nicht  —  «die  Großmutter«,  wie  die  Germanisten 
den  Buchtitel  etymologisieren. 

Von  hervorragender  Bedeutung  für  die  sprachliche  Zugehörig- 
keit der  Runen  ist  überdies  der  Abschnitt  «Runatals  thättr  Odhins« 
(=  Wodan's  Runenkunde),  denn  es  wird  darin  in  einem  Gedichte  die 
Beschreibung  einer  jeden  Rune  in  Bezug  auf  ihre  Bedeutung  gegeben. 
Merkwürdigerweise  haben  aber  diese  Runen  gegenständlich 
genau  dieselben  Namensbegriffe  sowie  dieselbe  Reihenfolge,  wie  das 
altslavische  Alphabet,  die  «Azbuka«,  denn  diese  hat 
für  jeden  Buchstaben,  ähnlich  wie  im  Griechischen,  einen  Begriff  fest- 
gelegt, in  dessen  Nennung  der  betreffende  Buchstabe  den  Anlaut 
bildet,  und  scheint  dies  ein  mnemotechnischer  Lernbehelf  in  der 
Schule  gewesen  zu  sein,  denn  das  Gedicht  klingt  auch  nachstehend 
aus: 

Heil  ihm,  der  es  lehrt. 

Heil  ihm,  der  es  lernt. 

Das  Heil,  all  ihr  Hörer, 

Nehmt  euch  zu  Nutz!*) 
Die  «Edda«  kennt  im  Ganzen  18  Runen.**)  Vom  ersten  Buch- 
staben heißt  es: 

Hilfreich  zu  helfen  verheißt  dir  das  Eine 
In  Streit  und  in  Jammer  und  jeglicher  Not. 


*)  Die  Daten  aus  der  «Edda«  sind  der  deutschen  Ausgabe  Hans  v. 
Wolzogen's  entnommen. 

**)  Das  vollkommenste  altslavische  Alphabet  hat  bereits  43  Buch- 
staben, zeigt  also  auf  eine  ungewöhnlich  hohe  Entwicklung  in 
der  Sprach-  und  namentlich  Schriftpflege.  So  viel  Buch- 
staben hatte  das  »altslavische«  .Alphabet  schon  ungefähr  im  10.  Jahrhun- 
derte; welche  Zeit  mag  aber  von  der  Bildung  der  18  Buchstaben  bis  zu  43 
dazwischen  liegen! 

16 


242 


Dies  ist  der  erste  Buchstabe  »az«,  worunter  Gott,  der  höchste 
Beschützer  des  Menschen  gemeint  ist.  «Äsen»  sind  der  Edda  zufolge 
Q  ö  1 1  e  r.*) 

Die  zweite  Strophe  lautet: 

Ein  Anderes  lernt  ich,  das  Leute  gebrauchen. 
Die  Ärzte  zu  werden  wünschen. 

Es  ist  dies  der  zw  eite  Buchstabe  des  Alphabetes,  namens  wbukix 
(=  das  Buch); 

die  dritte  Strophe: 

Ein  Drittes  kenn'  ich,  das  kommt  mir  zu  gut 
Als  Fessel  für  meine  Feinde; 
Dem  Widerstreite  verstumpf  ich  das  Schwert, 
Ihm  hilft  keine  Wehr  und  keine  Waffe. 

Dies  ist  der  dritte  Buchstabe:  »vedi«  (=  das  Wissen,  die 
überzeugende  rhetorische  Kraft); 

die  vierte: 

Ein  Viertes  noch  weiß  ich,  wenn  man  mir  wirft 

Die  Arm  und  die  Beine  in  Bande; 

Alsbald  ich  es  singe,  sobald  kann  ich  fort, 

Vom  Fuße  fällt  mir  die  Fessel. 

Der  Haft  von  den  Händen  herab. 

Wer  denkt  dabei  nicht  sofort  an  den  vierten  Buchstaben  «gw, 
der  «glagolii  genannt  wird;  und  dieses  bedeutet  Gesang,  was  die 
Cechen  am  besten  wissen,  die  ihre  Gesangsvereine  als  »Hlahol«  be- 
nennen. 

Die  fünfte  Strophe: 

"Ein  Fünftes  erfuhr  ich:  wenn  fröhlichen  Flugs 
Ein  Geschoß  auf  die  Scharen  daherfliegt. 
Wie  stark  es  auch  zuckt,  ich  zwing  es  zu  stehn. 
Ergreif  ich  es  blos  mit  dem  Blicke«. 


finden. 


*)  Weiteres  ist  in  dieser  Hinsicht  heim  Artikel   »Asberg.  Adam«   zu 


Dies  ist  der  fünfte  Buchstabe:  «dobro«  (=  tapfer,  mutig,  vor- 
sichtig). 

Die  sechste  Strophe: 

KÜin  Sechstes  ist  mein,  wenn  ein  Mann  mich  sehrt 

Alit  wilden  Baumes  Wurzel; 

Nicht  mich  versehrt,  den  Mann  verzehrt. 

Das  Verderben,  mit  dem  er  mir  drohte«. 

Es  ist  dies  nj,  je»  als  «jed»  (auch  «jet«),  das  «Gift«  bedeutet, 
und  ist  dieses  auch  heute  noch  der  sechste  Buchstabe  des  russischen 
Alphabetes,  der  aber  zwei  verschiedene  Zeichen  führt. 

Die  weiteren  Strophen  folgen  augenscheinlich  nicht  der  arith- 
metischen Reihenfolge,  was  ja  natürlich  ist,  da  dieses  Alphabetpoöm 
eben  nur  18  Buchstaben  besingt,  die  Azbuka  selbst  aber  40  Laute 
zählt.  Überdies  wissen  wir  ja  heute  nicht  mehr  verläßlich  die  syn- 
chronistische Bedeutung  der  einzelnen  Buchstabenbegriffe,  da  sich 
diese  (wie  z.  B.  iidobrox)  im  Wandel  der  Zeiten  organisch  verschob. 

Man  behauptet  überdies  ziemlich  allgemein,  daß  die  Runen- 
schrift eine  Geheimschrift  war,  weil  «runo«  gleichbedeutend 
sei  mit  Geheimnis,  denn  das  deutsche  «raunen«  bedeute:  Ge- 
heimnisse zuflüstern,  welche  Ansicht  allerdings  nur  richtig 
w äre,  wenn  «raunen«  Geheimnisse  verhüllen  bezeichnen 
würde.  Diese  Etymologie  ist  aber  hier  zweifach  widerlegbar.  —  Als 
Geheimnisse  können  die  Runen  allerdings  auch  angesehen  werden 
u.  z.  vor  allem  für  den  Analphabeten,  genau  so  wie  die  heutige 
Schrift  einem  solchen  ein  Geheimnis  ist;  überdies  bildeten  die  Runen 
wohl  auch  seit  jener  Zeit,  als  man  sie  nicht  mehr  zu  lesen  verstand, 
und  dieses  währt  bis  heute,  ein  allgemeines  Geheimnis. 
—  In  ganz  analoger  Weise  entwickelte  sich  im  Slavischen  der  Be- 
griff; carodej,  carodelnik,  carodelec,  carovnik,  d.  i. 
derjenige,  der  «care«  {=  Striche)  macht,  mithin  schreiben  kann, 
was  aber  heute  schon  der  Bedeutung:  Zauberer,  Zauber- 
künstler gleichkommt.  Was  er  schrieb,  verstand  der  des  Lesens 
Unkundige  einst  natürlich  nicht,  daher  solche  Zeichengruppen  für  den 
Analphabeten  eine  geheime  oder  apokryphe  Bewertung  annehmen 
mußten. 

16* 


—  -244  — 

Andererseits  kann  aber  eine  öffentlich  verwertete  Schrift  keine 
Geheimnisse  enthalten,  die  man  in  Bronze,  Eisen,  Stein  und 
Holz  mühsam  einmeißelt  oder  in  gebrannten  Ton  eingräbt  und  so 
der  Welt  offen  darbietet,  wie  z.  B.  auf  \\'affen,  Schmuckstücken, 
Weihobiekten  und  sogar  Naturfelsblöcken  längs  einer  für  den  allge- 
meinen Verkehr  bestimmten  Kommunikation.  —  Die  sogenannten 
«B  u  c  h  e  ns  t  ab  ex  waren  sonach  auch  keine  geschnitzten  Einzel- 
runen oder  Typen,  sondern  enthielten  einen  gedankengemäß  ge- 
ordneten Text  größeren  oder  kleineren  Umfanges,  also  zwecks  Fixie- 
rung von  Gedanken,  die  man  erhalten  oder  jemand  anderem  mitteilen 
will,  waren  also  eine  primitive  Form  von  Briefen. 
Daß  man  daher  solche  beschriebene  wBuchenstäbex  wahllos  hin- 
geworfen und  daraus  geweissagt  hätte,  ist  daher  schon  im  Prinzipe 
nicht  ernst  zu  nehmen  und  ist  das  sogenannte  «Stäben«  der  Runen 
nur  eine  etymologische  Entgleisung,  u.  z.  ein  «sdobit«,  wie  es  der 
Slovene  statt  «zdolbit«  (=  ausmeißeln)  im  Jargon  noch  heute  ge- 
braucht, denn  die  Runen  wurden  eben  in  hartes  Material  mühsam 
eingegraben,  daher  wir  in  der  «Edda«  selbst  vielfach  Stellen 
dieser  Anspielung  finden,  wie:  «Urredner  ritzte,  Urgötter  gruben, 
Asenhaupt  schnitt  sie  ein«,  dann:  «Weißt  du  zu  ritzen,  weißt  du  zu 
raten«  usw.*)  Daß  es  aber  einst  auch  Leute  gab,  die  auf  diese  Weise 
ihre  Zukunft  erfahren  wollten,  das   soll  hiemit  durchaus  nicht   in 


*)  Die  «EddaK  ist  auch  sonst  vom  hervorragendem  Interesse  für  die 
slavische  Urgeschichte;  leider  hat  sich  meines  Wissens  bisher  kein  Forscher 
slavischer  Provenienz  gefunden,  den  die  Sirenentöne  xYggdrasil«  (richtig 
«Ustrasil«),  xSkogul»  (richtig  xSkokal«).  «Modhix  (richtig  «moc)  u.  a.,  die 
auch  richtig  als:  «Schreclxfuß,  Sprungfertig»  und  «Mut«  (eigentlich  «Kraft») 
ins  Deutsche  übertragen  wurden,  herangelockt  hätten,  denn  diese,  sowie 
namentlich  die  poetische  Runensignierung  kann  unbedingt  nur  jemand  be- 
werkstelligt haben,  der  sehr  gut  slavisch  verstand.  —  Auch  der 
Stein,  mit  dem  sich  Freya  schmückte,  war  der  «brisingamen«  (=  Bern- 
stein), also  «brizen  kamen«,  d.  i.  der  Uferstein,  der  Stein,  der  am  Meeres- 
ufer gefunden  wird,  denn  das  slavische  «kamen«  ist  dabei  schon  gar  nicht 
wegzuleugnen. 

Guido  V.  List  hat  auch  dieses  Gebiet  in  «Das  Geheimnis  der  Runen« 
—  «aufgeklärt«.  Beispielsweise  löst  er  «Yggdrasil«  in  die  drei  Wurzel- 
wörte  «ig,  dra,  sil«  auf,  welche  folgende  dreistufige  Bedeutung  haben  sollen, 
L  Ich,  das  Heil  im  Urf>'r  zeugend.  2.  Kampfträger  des  Gesetzes,  3.  Ver- 
Dichtungsschreckensziel.  —  Ich  glaube,  daß  dieses  Beispiel  vollkommen  ge- 
nügt, sich  darüber  ein  abschließendes  Urteil  zu  bilden. 


Zweifel  gezogen  werden,  denn  zwischen  den  Enthusiasten  für  die 
Wünschelrute,  das  Kartenaufschlagen  und  das  Zahlenlotto  von  Einst 
und  Heute  dürfte  gleichfalls  kaum  ein  wesentlicher  Unterschied  fest- 
gestellt werden,  wenn  wir  uns  auch  heute  noch  so  aufgeklärt  und 
unsere  «gute  alte  Zeit»  für  noch  so  beschränkt  halten! 

Die  älteste  Schrift  mögen  die  Runen  auch  deshalb  gewesen 
sein,  weil  sie  dem  Steinmetz  oder  Graveur  infolge  ihres  eckigen  Cha- 
rakters für  die  Einmeißelung  am  willkommensten  waren,  daher 
jene  Schriften,  welche  nur  noch  eckige  Runen  gebrauchen,  älter  sind 
als  jene  mit  Bogenteilen;  doch  umging  der  Graveur  auch  diese 
Schwierigkeiten,  indem  er  solche  Buchstaben  einfach  nur  punktierte, 
wie  dies  z,  B.  auf  den  Bronzehelmen  von  Negau  zu  sehen  ist. 

Im  Grundzuge  der  Runen  liegt  wohl  schon  die  Anlage  für  die 
heutigen  lateinischen  Schriftzeichen,  welche  sich  möglicherweise  in 
Italien  entwickelt  haben  und  schon  von  jenen  Völkern  stammen,  die 
vor  den  historischen  Römern  dieses  Gebiet  bewohnten,  denn 
Titinus  (ap.  Festum)  erzählt  uns,  daß  jene  o  b  s  k  i  s  c  h  und  v  o  1- 
skisch  redeten,  nachdem  sie  lateinisch  nicht  kannten  («qui 
Obsce  et  Volsce  fabulantur.  nam  Latine  nesciunt«).  —  Überdies  sagt 
auch  die  Geschichte,  daß  die  Römer  fremdsprachige  Völker  vor- 
fanden, und  wenn  deren  topische  Namen  s  1  a  v  i  s  c  h  waren,  wer  soll 
dann  sonst  dort  gewohnt  haben  als  —  S  1  a  v  e  n  !*) 

Die  Sage  erzählt  wohl,  daß  Kadmus  von  den  Phöniziern  (Ve- 
neti!)  die  Schriftzeichen  zu  den  Griechen  brachte;  letztere  präpa- 
rierten diese  nun  ihrem  Geschmacke  zu,  wie  die  Slaven  ihre  Glago- 
lica  und  Cirilica.  und  unterscheiden  sich  diese  Alphabete  mit  ihren 
äußeren  Abweichungen  fast  ebensowenig  oder  ebensoweit  vonein- 
ander, wie  etwa  eine  heute  moderne  sezessionistische  Schrift  von 
der  normalen  Fraktur-  oder  Lateinschrift:  überdies  ist  die  Einhaltung 
derselben  Grundform  bei  den  meisten  Buchstaben  in  den  verschie- 
denen Alphabeten  nicht  unschwer  zu  erkennen.  —  Es  scheint  auch, 

*)  In  Unteritalien  gibt  es  noch  heute  ein  größeres  Gebiet,  wo  sich 
eine  der  kroatischen  sehr  ähnliche  Sprache  noch  gut  erhalten  hat;  es  sind 
dies  wohl  die  letzten  Reste  jener  Sprache  in  Italien,  die  einst  aligemein 
verbreitet  war  und  durch  die  romanische  bis  heute  nicht  vollends  verdrängt 
oder  aufgesogen  werden  konnte.  —  Auch  die  bleiernen  römischen  Schleuder- 
geschosse tragen  lateinische  aber  auch  Runeninschriften,  je  nachdem  sie 
jüngeren  oder  älteren  Erzeugungsdatums  sind. 


daß  in  einer  bestimmten  Vorzeit  das  Schreibtn  nicht  gar  so  rar  war. 
wie  man  allgemein  annimmt,  und  w  er  weiß,  ob  es  zu  jeder  Zeit  so 
viel  Analphabeten  gab.  wie  heute;  wenigstens  weisen  die  Papyrus- 
funde dahin,  daß  man  im  alten  Ägypten  selbst  beim  Verkaufe  einer 
Kuh  eine  Bescheinigung,  einen  kurzen  schriftlichen  Vertrag  ausstellte, 
wir  daher  heute  trotz  alledem  noch  immer  nicht  im  tintcnklecksend- 
sten  Zeitalter  zu  leben  scheinen.  Alles  dieses  lenkt  aber 
zur  Berichtigung  unserer  dermaligen  Ansichten 
dahin,  daß  wir  uns  a  1 1  m  ä  h  1  i  g  werden  dazu  herbei- 
lassen müssen  in  Hinkunft  mit  einer  höheren  Span- 
nung der  K  u  1 1  u  r  e  m  a  n  a  t  i  o  n  e  n  der  S  1  a  \'  c  n  in  v  o  r- 
d  e  n  k  1  i  c  h  e  r  Z  e  i  t  z  u  rechnen. 


Betrachten  wir  nun  vor  allem  jene  alten  M  ü  n  z  e  n.  w  eiche 
bisher  gar  nicht  entzifferte  oder  unnatürlich  ausgelegte  Texte  tragen. 
Die  Münze  bezweckt  die  Erleichterung  des  Qüterwechsels. 
repräsentiert  daher  überall  eine  festgesetzte  W'erteinheit  im  Tausch- 
handel und  wird  aus  diesem  Grund  seit  dem  Uranfange  auch  mit  ir- 
gend einem  konventionellen  Wertzeichen  signiert  gewesen  sein,  um 
vor  Benachteiligung  zu  bewahren.  Daß  der  Höchste,  welcher  Münzen 
herstellen  ließ,  auch  sein  Kopfbild,  seine  Attribute,  eine  Gottheit,  eine 
Idealgestalt  und  drgl.  darauf  zur  Darstellung  bringen  ließ,  ist  ja 
naheliegend  und  natürlich,  und  haben  sich  die  Münzen  (wie  Brak- 
teate)  seit  dem  Uranfange  bis  heute  wesentlich  ebenso  wenig  ge- 
ändert —  was  übrigens  die  Funde  beweisen.  —  als  der  Hauptzweck 
der  Münze  selbst,  die  doch  den  Tauschhandel.  —  denn  jeder  Kauf  ist 
ja  nur  der  Umtausch  einer  Ware  gegen  eine  äquivalente  Münze 
— ,  erleichtern  soll. 

Vor  allem  seien  jene  Goldmünzen  erw  ahnt,  w  eiche  das  unga- 
rische «Museum  Hedervari«  verwahrt,  und  die  C.  Michael  ä  Wiczai 
i.  J.  1814  beschrieb  mit  der  Schlußklassifikation,  sie  seien  »barba- 
rische«, nachdem  die  Lesung  der  Aufschrift  absolut  nicht  gelingen 
wollte.  —  Im  J.  1838  versuchte  Franz  Bozcek  in  der  Zeitschrift 
«Moravia«  (Brunn)  eine  neue  Lösimg  derselben  und  kam  zum  Resul- 
tete.  daß  dies  «slavische  Goldmünzen,  wahrscheinlich  aus  der  Zeit 
des  großmährischen  Reiches  seien«.  Er  entdeckte  in  der  Schrift  das 


Wort  »pegnazeii  (cech.  und  poln.  =  (ield)  und  nalini  an,  nachdem  die 
Münzen  den  mazedonischen  gleichen,  daß  sie  durch  Cyrili  und 
Method  nach  Mähren  gekommen  seien,  oder  von  diesen  hier  nach 
jenem  Muster  ueitergeprägt  wurden,  sowie  daß  die  griechi- 
schen Buchstaben  darauf  einen  slavischen  Text  darstellen.*) 


CiriMY 


.  Wie    die    P'iguren    zeigen,    ist    die    Aufschrift    auf    Fig.    J9 
LErNV  und  HZ  oder  Z3,   bei  Fig.  20  LIEELW  und  EZ  oder  ZE. 


CHE 


Boczek  vereinigte  nun  beide  Teile  zu  einem  Worte,  und  erhielt 
daraus  «pegnazex,  wozu  er  allerdings  eine  Reparatur  vorausgehen 
ließ,  indem  er  den  Anlaut  E  um  90"  nach  rechts  drehte  und  das 
erwünschte  \~\  erhielt.  —  R.  Forrer  (Jahrbuch  der  (jesellschaft  für 


')  Henri  de  la  Tour,  Atlas  des  monnaies  gauioises,  kam  der  Sache 
bereits  weit  näher,  indem  er  diese  Münzen   als  k  e  1 1  i  s  c  h-r  h  ii  t  i  s  c  h  e 

bezeichnete,  ohne  auch  die  Schrift  entziffert  zu  haben. 


lothringische  Cu.schichte  etz..  1902)  glaubt  hingegen,  es  sei  dies  ein 
bedeutungsloses  Monogramm.  Wieder  andere  schrieben  die  Schrift 
dem  rätorömischen  Geschlechte  Caecina  zu.  und  sei  auf  der  Münze 
der  Name  ihres  Oberhauptes  Ciecinnos,  Ciecinus  eingeprägt.  —  An- 
derseits stellten  jedoch  Cohen  und  Babylon  fest,  daß  es  bis  Ende  des 
1.  Jahrh.  kein  so  vornehmes,  für  das  römische  Münzwesen  maßge- 
bendes Geschlecht  xCaecina»  gegeben  habe,  sondern  es  sei  eher 
«Caecilia«  zu  lesen,  aus  welchem  Qeschlechte  ein  römischer  Münz- 
meister, namens  Anlus  Caecilius  (um  189  v.  Chr.)  existiert  habe  usw., 
—  durchwegs  bestgemeinte  Vermutungen,  die  phonetisch  der  Sache 
auch  nahe  kamen,  aber  jeder  natürlichen  oder  motivierten  Basis 
fernestehen,  denn  die  rätselhafte  Inschrift  ist  kurz  gesagt  s  1  a  v  i  s  c  h 
(wenn  man  will,  auch  kelto-rhätisch!)  und  heißt  «en  cekin«  (=  ein 
Goldstück),  wie  der  Slovene  (als  «zecchinox  auch  der  Italiener) 
noch  heute  jede  Goldmünze  im  allgemeinen  benennt.  Die 
phonetische  Lesung  ist  bei  Fig.  19  etwa:  cegnj,  bei  Fig.  20:  ciekinj.  In 
den  mir  vorliegenden  Darstellungen  sind  die  Schlußlaute  recht  un- 
deutlich und  entweder  von  den  Originalen  ungenau  kopiert  oder 
dort  selbst  schon  schwer  leserlich.*) 

Geht  man  nun  der  Etymologie  des  Begriffes  «cekin«  nach,  so 
kommt  man  auf  das  slavische  «sekati"  (=  schlagen,  hauen,  hacken), 
daher  auch  ital.  «zecca«  (—  Münzpräge),  deutsch  icZeche«  (=  Berg- 
baugesellschaft), und  benannte  man  einst  jene  aus  Gold,  —  mag  dies 
nun  Berg-  oder  Waschgold  gewesen  sein  — ,  zu  Münzen  geschla- 
genen Stücke  (man  sagt  noch  immer:  Münzen  schlagen)  «se- 
kin,  cekin«;  daß  «ex  und  «s«  in  den  slavischen  Schriften  oft  wech- 
seln, ist  jedermann,  der  die  slavischen  Alphabete  kennt,  genügend 
bekannt.  —  Es  hat  daher  auch  keines  dieser  alten  Münzexemplare 


*)  Eine  solche  Originalmiinze  konnte  ich  bisher  leider  weder  käuflich 
erwerben  noch  leihweise  zu  Studienzwecken  erhalten:  alle  Angaben  sind 
daher  nur  auf  Abbildungen  jener  Münzen  aufgebaut.  —  Die  Lesung  des  kCk 
(oder  xg«)  als  «k»  darf  weiter  nicht  irritieren,  denn  auch  der  Lateiner 
kannte  kein  xk«,  umschrieb  es  daher  mit  «c«.  —  Aber  auch  später  machte 
man  keinen  genauen  Unterschied  zwischen  iic«  und  xkn.  —  Die  älteste 
deutsche  Miinzaufschrift  (um  das  Jahr  1170)  lautet:  Marcgrave  Otto 
(vfin  Brandenburg),  während  zu  gleicher  Zeit  sein  Nachbar  und  Kollege 
von  Köpenick,  der  Wendenfürst.  seinen  Münzen  slavische  Aufschrift  gab: 
.lAKZA  COPTNIK  CNE.  (Jaksa  Koptnik  knez),  wobei  gleichfalls  «c/  wie 
vk»  regellos  als  «k»  angewendet  \\erden. 


—    5I4H  — 

dasselbe  Gewicht,  die  gleiche  Stärke,  noch  auch  äußerlich  eine  kon- 
sequent gleiche  Aufschrift,  weil  sie  einzeln  und  fallweise,  je  nach 
Einlauf  des  Qoldnietails,  erzeugt  wurden.  —  Eine  solche  Münze  ist 
daher  schon  sprachlich  nichts  weiter  als  ein  Stück  geschlage- 
nes Gold,  also  »ein  Goldstück«,  und  gibt  es  irgendwo  eine  Münze 
mit  der  Aufschrift  «en  cckinn.  die  nicht  aus  Gold  ist.  dann 
ist  diese  eher  als  Falsifikat  anzusehen. 

Übrigens  mußte  bei  der  Entzifferung  gleich  von  vornherein  der 
Umstand  besonders  auffallen,  daß  auf  jeder  Münze  das  »tn«  g  e- 
t  r  e  n  u  t  steht  und  sich  in  einer  anderen  Lcselage  präsentiert,  als 
das  folgende  «cckinH. 


Nun  wird  es  auch  leichter  den  widerlichen  Streit,  den  etliche 
Professoren,  infolge  mangelhafter  Weitsicht  wie  Überprüfung,  mit 
den  18  Goldmünzen  des  Böhmischen  Nationalmuseums  vom  Zaune 
gebrochen  haben,  wobei  schließlich  der  arme  Wenzel  Hanka  wieder 
als  Falsifikator  herhalten  mußte,  im  Interesse  der  Wahrheit  und  der 
skrupellos  geraubten  Ehre  des  Genannten  beizulegen. 

Diese  Goldmünzen  (siehe  Fig.  21)  erwarb  Hanka,  der  ja  seiner- 
zeit diesbezüglich  eine  vielseitige  Korrespondenz  führte,  von  einem 
Taglöhner  aus  Tfemosna,  2'A  Stunden  Gehweges  südwestlich  von 
Leitomischl,  auf  welche  letzterer  beim  Ausgraben  eines  Baumstrun- 
kes gestoßen  ist,  für  das  böhmische  Nationalmuseum. 

Den  Streit  entfachte  jedoch  namentlich  die  Auslegung  der  Auf- 
schrift auf  der  zweiten  Seite:  PACTHCA.  welche  Hanka  (bezw. 
Boczek)  allerdings  griechisch  als  «Rastisa«  las  und  daraus  dedu- 
zierte, es  seien  Prägungen  des  großmährischen  Fürsten  «Rastislav«. 
—  Nun  würde  es  von  großer  Unvorsichtigkeit,  ja  Beschränktheit 
eines  Fälschers  zeigen,  der  die  eine  Seite  der  Münze  damit  b3- 
schreibt  («en  cekin«),  was  er  selbst  nicht  lesen  und  deuten  kann,  da 


er  direkt  Gefahr  läuft  als  Schwindler  entlarvt  zu  werden,  sobald  je- 
mand mit  einer  positiven  Lesung  der  Schrift  auftritt,  denn  der  Be- 
griff «pegnaze«  Itann  erst  gelesen  werden,  wenn  man  auf  allen  Mün- 
zen das  Q  zu  PI  umlegt,  und  solche  «Druckfehler«  wird  auch  ein 
prähistorischer  Münzwardcin  nicht  derart  konsequent  gemacht  ha- 
ben, daß  er  jedesmal  die  Stanze  gleich  beim  ersten  Buchstaben  mit 
dem  gleichen  falschen  verwechselte  oder  jedesmal  auf  die  n  ä  m- 
liehe  Seite  verdrehte. 

Ich  behaupte  aber,  daß  die  vermeintliche  Schrift  »Rastica«  fol- 
gerichtig ebenso  lateinische  Schriftzeichen  habe,  wie  «en  cekin».  und 
als  «pasca.  pasa«  zu  lesen  sei.  —  Der  beigeprägte  behelmte  Kopf 
ist  der  eines  konkreten  oder  idealisierten  Herrschers  oder  Heerfüh- 
rers eines  Slavenvolkes,  vermutlich  am  Balkan,  denn  die  Ähnlich- 
keit mit  den  mazedonischen  Münzen,  die  Einmengung  griechi- 
scher Buchstaben,  und  der  slavische  Hoheitsbegriff  »pasa«  (siehe 
Artikel:  Pasa),  wie  dort  der  Statthalter  eines  "Pascalik«  noch  heute 
genannt  wird,  berechtigen  ernstlich  zu  dieser  Deutung.*)  —  Was 
hier  die  Etymologie  betrifft,  so  stimmt  diese  auch,  denn  der  Südslave 
sagt  ja  zum  eingefriedeten  Weideplatz.  Garten  ja  nicht  )ipasai<.  son- 


')  Vergleicht  man  eine  mazedonische  Münze  (siehe  Fig.  22),  so  sieht 
man.  daß  die  allegorischen  Figuren  der  slavischen  JV\ünzen  derber  als  diese 
sind,   ohschon   die   Darstellunt;   dieselbe   ist.   Der   fjattungsname   des   Herr- 


s  jtn 


Sehers  Ist  hier  auch  beigegeben,  und  ist  «Basileos«.  wobei  ja  auch  dasselbe 
Grundwort  »pas.  bas»  wie  hei  «Pasa»  vorliegt,  vermutlich  bereits  ein  aus 
dem  Slavischen  übernommener,  was  darauf  schließen  läßt,  dal;  die  Prä- 
gung der  slavischen  Goldmünzen  weit  älter  ist  als  jene  der  mazedonischen. 


dem   «basca,  pasca»  (latein.  pasciia),  daher  auch  einst  analog  de; 
Hohcitsnaine  ausgesprochen  \\  urde.  '') 

Im  Ans-hlusse  will  ich,  da  die  Sache  doch  nicht  gleichgültig 
ist.  noch  einige  Argumente,  die  für  die  Fälschung  Hankas  sprechen 
sollen  und  ungeprüft  ins  Land  gerufen  werden,  natürlich  aufklären 
und  entwerten. 

Man  sagt:  weshalb  hat  Hanka  nicht  sofort  den  Fundort  ge- 
nannt; wie  kommt  es,  daß  der  Pfarrer  des  Fundortes  darüber  nichts 
erfuhr!  —  Das  sind  Spitzfindigkeiten,  die  hier  mehr  als  naiv  sind. 
—  Wer  verrät  denn  gerne  einen  Platz,  wo  Münzen  thesauriert  sind, 
ehe  man  überzeugtermaßen  die  letzte  ausgehoben!  —  Man  vermutet 
in  der  Nähe  vielleicht  noch  einen  weiteren  Fund,  wozu  noch  einen 
Mitwisser!  —  Weshalb  muß  es  der  Pfarrer  wissen?  —  Wer  kennt 
das  Mißtrauen  unseres  Landvolkes  nicht,  wie  geheimnisvoll  es  vor- 
geht, —  zu  eigenem  Schaden  — ,  w  enn  es  einen  Schatzfund  gemacht, 
weil  ihm  die  Fundgesetze  leider  unbekannt  sind,  und  glaubt,  es 
werde  ihm  alles  vom  Fiscus  abgenommen  werden!  —  Es  wird  weiter 
bezweifelt,  wieso  Manka  auf  einmal  zu  18  gleichen  Münzen  kommt, 
ohne  daß  er  deshalb  etwas  ausplaudert;  doch  auch  das  ist  begreiflich: 
Hanka  wollte  wieder  im  Stillen  alle  diese  seltenen  Münzen,  die  der 
Finder  möglicherweise  ja  schon  zum  Teile  verschleudert  hat.  für 
das  Museum  gewinnen;  vielleicht  wäre  dies  aus  den  Musealrechnun- 
gen über  Ankäufe  noch  zu  entnehmen!  —  Daß  man  den  Münzenver- 
vielfältiger Wilhelm  Killian  als  Betrugsgenossen  Hanka's  heranzieht, 
ist  nicht  recht  begründet,  denn  es  handelt  sich  ja  hier  nicht  um  die 
Zahl  der  Münzen,  sondern  um  die  erste  Münze,  die  aber  wohl  als 
echt  angenommen  werden  muß,  ob  sie  nun  dem  oder  jenem  gehörte. 
denn  s  o  b  a  I  d  m  a  n  von  Falsifikaten  spricht,  muß  man 
auch  das  Bestehen  eines  Originales  zugeben!  — 
Überdies  hat  dieses  Konsortium  ja  auch  nicht  Flunderte  von  solchen 
Münzen  etwa  aus  falschem  Golde  oder  aus  reiner  Gewinnsucht  ge- 
prägt; und  der  nationalen  Eitelkeit  kann  dies  gleich  sein,  ob  man 
nun  1  oder  18  solcher  Münzen  besitzt.  —  Schließlich  könnten  dann 


')  Die  Anhäufung  von  Buchstaben  für  «sc»  mag  einst  dem  Schreiber 
die  Kleichen  Schwierigkeiten  gebiiten  haben,  wie  etwa  heute  dem  Deutschen 
oder  Franzosen,  denn  für  diesen  Doppellaut  haben  die  einzigen  Russen  ein 
einheitliches  Zeichen. 


die  Münzen  im  ungarischen  Museum  auch  Fälschungen  sein,  aber 
dazu  war  ein  Hanka  doch  noch  zu  jung !  Übrigens  können  doch  nicht 
alle  Menschen,  welche  alte  Münzen  finden,  zugleich  Münzenfabri- 
kanten sein,  denn  gar  so  einfach  ist  die  Sache  doch  nicht! 

Weiters  wird  behauptet,  die  Herrscher  des  großmährischen 
Reiches  prägten  keine  Münzen  ( !)  und  daraus  deduziert,  daß  Hanka's 
Münzen  deshalb  gemeine  Nachahmungen  sein  müssen;  die  Mün- 
zen sind  aber  eben  nicht  vom  großmährischen  Rei- 
che, sondern  vielleicht  1000  Jahre  früher  geprägt, 
können  daher  keine  Falsifikate  Hanka-Kilian's  sein!  Hanka  beging 
gerade  selbst  unbewußt  den  Fehler,  daß  er  sie  einer  Zeit  zuschrieb, 
—  eigentlich  tat  dies  Boczek  — .  die  —  angeblich  —  keine  eigenen 
Münzen  besaß,  wodurch  er  sich  eben  verdächtig  machte,  denn  des- 
sen Lesung  «Rastica«  ist  lediglich  eine  selbst  suggerierte. 

Vielleicht  wäre  es  doch  korrekter  noch  einmal,  wenigstens  auf 
diese  Anregung  hin.  die  Sache  zu  überprüfen,  als  alles  gewissenlos 
als  eine  Fälschung  zu  stigmatisieren,  was  die  historischen  Grund- 
sätze der  Slaveneinwanderung  zu  erschüttern  droht.*) 

Sprechen  wir  nun  einmal  über  die  ganze  häßliche  Affaire  die 
völlig  ungeschminkte  und  nackte  Wahrheit  aus:  Sobald  ernste  Be- 
weise des  Autochthonismus  der  Slaven  auftauchen,  rückt  auch  schon 
die  Hermandad  der  Wissenschaft  heran,  gebietet  «Halt«  und  nimmt 
die  neuen  Belege  sofort  unter  ihren  Verschluß,  w'orauf  die  Sache 
wieder  bis  zum  nächsten  Anstoße  ruht.  Ob  dabei  wirkliche  Unwis- 
senheit oder  aber  lediglich  Mißgunst  und  Augurentum  die  Oberhand 
, haben,  darüber  herrscht  keine  volle  Klarheit;  der  Schein  sagt  aber, 
daß  sich  beide  ungefähr  die  Wage  halten.  Symptomatisch  ist 
es  für  jeden  Fall,  daß  sich  gerade  die  sla  vischen 
V  e  r  t  r  e  t  e  r  d  e  r  W  i  s  s  e  n  s  c  !i  a  f  t  j  e  d  e  r  K  1  ä  r  u  n  g  a  u  f  d  i  e- 
s  e  m  Gebiete  am  energischesten  in  den  Weg  s  t  e  I- 
1  e  n.**)  — 


")  In  letzter  Zeit  hat  sich  Josef  Smolik  in  der  Broschüre:  Zlate  mince 
s  domelym  opisem  "Pegnaze»  (Prag  1906)  wieder  bemüht  die  ganz  unmo- 
tixierten  Verdächtigungen  gegen  Hanka  weiter  wachzuerhalten. 

'"~)  In  verwichener  Zeit  stellten  sich  verschiedene  Hochschulprofes- 
soren gegen  mich  und  beanständeten  namentlich  meine  Berufstellung,  wel- 
che angeblich  nicht  darnach  angetan  sei,  auf  wissenschaftlichem  Gebiete 
Ersprießliches  zu  leisten.  Diese  Kritiker  übersehen,  daß  auf  den  verschie- 


Es  gibt  weiter  auch  Goldmünzen,  welche  die  Aufschrift  kBIATh 
und  kBIATECii  tragen.  Diese  Texte  wurden  gleich  anfangs  richtig 
gelesen  und  gedeutet,  denn  «biti,  bijati«  bedeutet  im  Slavischen  wie- 
der das  Schlagen,  die  obigen  Schriften  «biat«  und  Kbiatec»  also 
das  Geschlagene,  die  Münze.  —  Ob  sich  nun  dieses  Schla- 
gen darauf  bezog,  daß  die  Münze  bestimmte  Zeichen  einge  schla- 
gen erhielt  oder  daß  sie  geschlagen  wurde,  um  eine  erwün- 
schte, für  den  Gebrauch  handliche  Form  —  rund  oder  oval  —  anzu- 
nehm.en,  ist  nicht  von  tieferer  Bedeutung;  auffallend  ist  es  aber,  daß 
nicht  nur  die  hier  erwähnten  Alünzen  etymologisch  etwas  G  e- 
schlagenes.  Festes  bedeuten,  sondern  daß  dasselbe  auch  bei 
):soldus«  der  Fall  ist,  sowie  daß  der  deutsche  Begriff  )(Münze«  (lat. 
munitus  =  fest,  ital.  moneta,  monetäre  =  prägen,  schlagen) 
dieselbe  Grundbedeutung  hat.  Überdies  bedeutet  das  russische  «denj- 
gix  (=  Geld)  auch  dasselbe,  und  hat  sich  sogar  im  Deutschen  der 
innig  verwandte  Begriff  ><d  e  n  g  e  1  n«  erhalten. 

Daß  aber  ein  Fürst  je  xpegnazex  auf  seine  Geldstücke  prägen 
ließ,  ist  höchst  unwahrscheinlich,  denn  «peniz«  bedeutet,  wie  es  die 
Cechcn  und  Polen  gebrauchen,  das  Strafgeld,  d.  i.  den  Betrag, 
welcher  fallweise  für  eine  strafbare  Handlung  als  Sühne  auferlegt 
wurde,  nachdem  in  der  ältesten  Zeit  meist  Geldstrafen  verhängt 
wurden.  Dem  Russen  ist  die  Geldstrafe  xpenja«,  dem  Lateiner  xpo- 
enax  sowie  «Pönalex.  Hatte  aber  die  Münze  nur  den  Zweck  des 
Strafgeldes  und  nicht  den  des  Kaufmittels,  dann  ist  sie  an 
sich  ein  Pasquill  auf  die  Aufschrift,  weil  ja  der  Bestrafte  zuvor  eine 
solche  Münze  erst  hätte  eingehändigt  erhalten  müssen,  —  sie  erhielt 
aber  diesen  Namen  eben  erst  aus  der  Praxis!  —  Ebenso  ist  «dollarn, 
woraus  «Taler«  wurde,  etymologisch  die  Schuld  für  eine  Sache 
(im  Lateinischen  «dolum«),  und  gebraucht  der  Russe  noch  «dolja« 
(=  bestimmte  Abgabe),  der  Slovene  «dolg«  (=  Schuld  im  allgemei- 
nen). Es  haben  aber  auch  andere  Münzsorten  die  gleiche  sprachliche 
Bedeutung;  so  ist  der  slovenische  Begriff  «vinar«  (=  Heller)  aus 
Hvina«  (=  die  Schuld,  auch:  Grenze)  hervorgegangen;  die  russische 


densten  Wissensgebieten,  namentlich  aber  bei  geographischen  Forschungen. 
die  Offiziere  meist  die  ersten  Pioniere  wie  auch  Opfer  waren  und  darf 
ihnen  eine  gewisse  Vielseitigkeit  und  vor  allem  die  Fähigkeit  der  Beobach- 
tung mit  offenem,  durch  Politik  und  Parteilichkeit  nicht  getrübtem  Auge 
billigerweise  nicht  abgesprochen  werden. 


Silbermünze  «grivenka,  ii:nvenikn  ist  ein  Reugeld.  S  ü  h  n  g  e  1  d, 
denn  im  slovenischen  Jargon  hat  sich  das  Grundwort  «grivati«  {  = 
bereuen),  «grivengaii  (=  Reue)  in  diesem  Sinne  noch  voll  erhalten, 
und  war  diese  Münzsorte  wohl  auch  bei  den  übrigen  Slaven  im  Um- 
laufe; so  hatte  z.  B.  Wenzel  der  Heilige  jährlich  «300  hriven  sti'ibra" 
(300  solche  Silbermünzen)  als  Tribut  ans  Deutsche  Reich  zu  zahlen.*) 

Im  allgemeinen  zeigen  aber  die  Münzbenennungeu.  und  nament- 
lich die  Münzeinheiten,  auch  etymologisch  an,  daß  sie  vor  allem  als 
Zoll  an  der  Grenze  galten,  denn  dieses  ist  z.  B  bei  den  Mün- 
zen: Mark.  Kreuzer  (kraj).  vinar,  metal,  obolus  u,  ä.  unverkennbar. 

Erwähnenswert  ist  noch  der  «wissenschaftlichen  Terminus  «Rc- 
genbogenschüsselchen«  für  die  ältesten  Goldmünzen.  Ein  deutscher 
Numismatiker  glaubte  in  den  Einprägungen  und  Eindrücken  die  Ähn- 
lichkeit mit  einem  Regenbogen.  —  tatsächlich  ist  eine  Ähnlichkeit 
eher  mit  dem  Halbmonde  herzustellen — .  gefunden  zu  haben,  und 
prägte  nun  diese  skurile  Determination  selbst  weiter  aus,  welche 
sodann  unbedacht  übernommen  wurde,  denn  Münzen  dieser  Spezies 
weisen  noch  keine  Schrift  auf.  Solche  Münzen  wurden  aber  in  den 
verschiedensten  Gegenden  und  oft  in  großen  Mengen  an  e  i  n  e  r  Stelle 
thesauriert  gefunden  (z.  B.  bei  Bodenbach  in  Böhmen  ein  Schatz 
im  Werte  von  ungefähr  120.000  K).  —  Wahrscheinlich  sind  aber  die 
«Regenbogenschüsselchen«  nur  ein  Kleider-  und  Pferdegeschirr- 
Schmuck  gewesen,  wie  solchen  ja  auch  der  Balkanslave  auf  sei- 
ner «torba«  (Unihängledertasche),  dann  auf  dem  Zaum-  und  Sattel- 
zeuge reichlich  anbringt,  und  in  ähnlicher  Weise  auch  der  Slovake, 
Russe,  Litauer  u.  a.  verwendet.  Die  Eindrücke  auf  den  Zierbuckeln 
können  zum  Teile  auch  von  zufälligen  mechanischen  Schlägen  her- 
rühren, sind  sonach  bei  dieser  Entstehung  ganz  bedeutungslos.  — 
Dr.  Basanovic  fand  in  Südwestrußland  wie  auf  dem  Balkan  eine 
Menge  solcher  knopfartiger  Zierrate,  denen  noch  Seide  oder  Leder- 
stückchen anhingen;  ob  darunter  auch  solche  von  Gold  waren,  ist 
mir  nicht  bekannt.  —  Daß  dieser  Schmuck  nur  bei  den  Reicheren 
aus  Gold  bestand,  ist  naheliegend;  bei  den  Ärmeren  mußte  hingegen 


*)  Ansonst  gilt  im  Altslavischen  «grivria«  als  Halsband,  Spange, 
d.  i.  als  Frauenschmuck  durch  Anreihuiig  mehrerer  solcher  Münzen  auf 
einem  Faden. 


Silber,  Bronze.  Messing  oder  Zinn  genügen,  und  sind  Funde  dieser 
Art  aus  den  ältesten  Nekropolen  genug  bekannt.*) 

Das  Vorfinden  von  Münzen  gleicher  Prägung  an  den  verschie- 
densten Punkten  beweist  aber  zur  Genüge,  daß  es  einst  sehr  bedeu- 
tende Handelsverbindungen  gab,  daß  der  Bergbau  blühte,  daß  die 
Schrift  allgemein  verbreitet  war,  und  daß  die  Träger  dieser  Kultur, 
die  ihre  Münzen  mit  slavischen  Texten  versahen,  doch  nur  S  1  a  v  e  n 
gewesen  sein  konnten.  —  Es  fällt  überdies  auf,  daß  sich  solche  Mün- 
zen meist  an  Punkten  vorfinden,  wo  sich  sozial  höher  gestellte  Per- 
sonen aufgehalten  haben  mußten,  also  auf  Verteidigungsplätzen, 
Burgbergen,  alten  Wachpunkten,  die  noch  heute  un\'erkennbar  sla- 
vische  Namen  urrnilitärischer  Provenienz  tragen,  wie:  Bodenbach 
(\od,  vodnik),  liradiste  (wiederholt),  Stradonice,  Straznica  u.  ä.'*) 

Ansonst  möge  in  dieser  Sache  die  Numismatik  im  Vereine  mit 
der  Sprachwissenschaft  weitere  Klärung  bringen. 


*)  Die  Verwendung  solcher  Schmuckstücke  aus  Edelmetall  mag  früher 
bei  eingetretenem  Geldmangel  auch  Versatzzwecken  gedient  haben.  Ich  ent- 
sinne mich  hiebei  einer  der  ältesten  Jugenderinnerungen.  Die  Männer  trugen 
in  IJntersteiermark  einst  an  der  Veste  große,  enganeinandergereihte  halb- 
kugelförmige  Silberknöpfe.  Da  sah  ich  einmal  in  einem  Qasthause,  wie  ein 
Mann,  augenscheinlich  schon  in  Weinlaune,  den  obersten  Knopf  von  seiner 
\\'e.ste  abriß  und  ihn  dem  Wirte  zuwarf  mit  den  Worten:  «Noch  eine  Maß!« 
—  Setzte  jener  Zecher  diese  Prozedur  so  fort,  so  hat  er  jedenfalls  auch  alles 
«bis  auf  den  letzten  Knopf«  vertrunken,  daher  diese  Redensart  einst  wört- 
lich und  bildlich  vollkommen  berechtigt  war. 

"')  Unter  Reserve  gebe  ich  auch  meine  Ansicht  über  die  sechs  ge- 
stielten Kugeln  (bei  Fig.  21)  frei,  die  in  der  Zahl  6  oder  3  auch  bei 
einzelnen  «Regenbogenschüsselchenx  vorkommen;  vielleicht  führt  die  brei- 
tere Kenntnis  derselben  doch  zu  einer  positiven  Klarung.  Ich  glaube,  daß 
wir  hier  das  Urbild  unserer  Adelskronen  zu  suchen  haben.  Türkischer- 
seits  wissen  wir  es  noch  genau,  daß  der  R  o  ß  s  c  h  w  e  i  f  seinerzeit  den 
höchsten  militärischen  Würdenträgern  als  äußeres  Rang-,  wie  auch  Feld- 
zeichen galt.  Es  bestand  aus  einem  von  einem  vergoldeten  Halbmonde  her- 
abwallenden Pferdeschweife,  der  an  einer  Stange  mit  aufgesetzter  goldener 
Kugel  getragen  wurde.  Der  Pferdeschweif  war  jedoch  durch  Seiden-  oder 
Wolliäden  ersetzt,  welche  entweder  wirr  herabhingen  oder  zu  einer  Quaste 
\ercinigt  waren;  die  Verlängerung  derselben  führte  dann  vermutlich  zu 
Standarten.  Wimpeln  und  Fahnen.  —  Die  goldene  Kugel  war  hohl  und  ent- 


über  die  Sprachzugeliörigkeit  der  bisher  ungelösten  Schriften 
in  Runen,  lateinischen,  griechischen  und  altslavischen  Zeichen  läßt 
sich  aber  auch  schon  ein  positives,  wenn  auch  noch  kein  allgemeines 
Schlußurteil  fällen,  denn  man  kann  denselben  sprachlichen  Text 
schließlich  in  jeder  Schrift  niederschreiben,  nur  mangeln  oft  hiezu  die 
erforderlichen  Buchstaben,  die  man  daher  durch  ähnlich  bewertete 


hielt  Steinchen  oder  jVietallstiicke,  w  eiche  beim  Tragen  schellenartiges  Ge- 
räusch verursachten  und  lediglich  den  Zweck  hatten  aufmerksam  zu  machen, 
daC  ein  Hoher  nahe  und  daß  man  den  Platz  freihalten  müsse.  —  Der 
Höchste,  der  Sultan,  hatte  als  Rangszeichen  sechs  RoBschweiie.  die 
ihm  entweder  vorangetragen  oder  im  Kriege  vor  dessen  Zelte  aufgesteckt 
wurden;  andere  hohe  Militärs  hatten  sodann  absteigend  drei,  zwei  und  ein 
solches  Feldzeichen.  Dieses  Altrihut  wurde  nun  vermutlich  auch  auf  den 
Münzen  ersichtlich  gemacht,  und  sind  die  sechs  gestielten  Kugeln 
eben  die  sechs  RoBschweiie,  das  Sjmbol  oder  Wappen 
des  Prägeherrn  dieser  Münzen  in  einer  Zeit,  die  ungefähr  1000 
Jahre  vor  Mohamed  liegt.  — 

Der  Anachronismus,  der  sich  hier  einstellt,  nachdem  die  Osmanen  erst 
im  1-1.  Jahrhunderte  n.  Chr.  in  Europa  festen  Fuß  faßten,  die  erwähnten 
Münzen  aber  etliche  Jahrhunderte  v  o  r  Chr.  geprägt  scheinen,  ist  bald  auf- 
geklärt, denn  es  ist  doch  naheliegend,  daß  die  Türken  als  Regierende  ihre 
Münzen  nicht  mit  s  1  a  v  i  s  c  h  e  n  Texten  werden  versehen  haben.  —  In 
der  vorchristlichen  Zeit  wohnten  aber  als  Herrschende  die  Slaven  in  Jer 
jetzigen  europcüschen  Türkei.  Der  Grundstock  der  Bevölkerung  besteht  da- 
selbst ja  noch  immer  aus  Slaven  und  bilden  die  Türken,  namentlich  solche 
vom  mongolischen  Typus,  nur  einen  sehr  kleinen  Bruchteil  der  Qesamtbe- 
völkerung.  Den  Einfluß  über  die  Slaven  gewannen  aber  später  die  Osmanen 
durch  die  Religion  sowie  die  politisch  kluge  Organisation  einer  wohlge- 
schulten Kriegsmacht  und  der  Gründung  des  ersten  stehenden  Heeres, 
wobei  sie  den  übertritt  der  Christen  zum  Islam  durch  allerlei  \'orrechte 
beschleunigten,  die  erbliche  Dienstpflicht  der  Soldaten  aber  mit  Einkünften 
einzelner  Dörfer  in  den  neueroberten  Gebieten  belohnten.  Daß  sie  anfäng- 
lich dabei  die  Sprache,  Sitten  und  Gebräuche  der  Stair.mbewohner  schonten 
und  manches  übernahmen,  um  die  Slaven  rascher  für  sich  zu  gewinnen, 
ist  wohl  naheliegend.  Auf  diese  Art  kamen  nun  auch  die  urslavischen  Feld- 
zeichen, sowie  das  südslavische  Wappen  —  der  Halbmond  mit  dem  Sterne  — 
auf  einmal  in  das  türkische  Milieu.  —  Die  ganze  Nomenklatur  politischer 
Richtung  ist  im  Türkischen  offenkundig  auf  das  Slavische  aufgebaut,  ia 
das  Slavische  muß  in  der  ersten  Zeit  als  zweite  Staatssprache  gegolten 
haben,  denn  es  gibt  eine  Menge  Urkunden  aus  den  Jahren  von  1-421 — 1566. 
die  in  slavischer  Sprache  verfaßt  sind,  und  zugleich  cen  «Turga.'.»  (=  Sul- 
tanssiegel) als  Zeichen  des  Originaldokumentes  tragen  (z.  B.  in  den  Archi- 
ven von  Ragusa). 


n  ÜLin  iicücbenen  Alphabete  ersetzt  oder  unischreibt.*)  —  Nachste- 
hende Beispiele  zeigen  jedoch  klar,  daß  es  weiterhin  unmöglich  wird 
die  Behauptung  zu  verteidigen,  daß  die  alten  Slaven  keine 
Schrift  gekannt  oder  besessen  und  deshalb  auch 
keine  schriftlichen  Denkmäler  aus  ihrer  Urzeit 
zurückgelassen  hätten.  Die  Gegenbeweise  sind  entschie- 
den da,  und  wenn  darunter  Steine  sind,  die  seit  dem  Jahre  79  n.  Chr. 
imter  harter  Lavadecke  in  Herculanum  und  Pompeji  ruhten,  so  war 
es  w  enigstens  durcli  ungefähr  1900  Jahre  nicht  möglich,  daß  sie  etwa 
schon  ein  antiker  Hanka  gefälscht  hätte,  denn  die  Geschichte  von 
heute  sagt,  daß  die  Slaven  vier  Jahrhunderte  später 
kamen,  und  überdies  in  Süditalien  nie  waren.  Hof- 
fentlich werden  die  folgenden  Beweise  die  Klärung  dieses  Geschichts- 
und Gelehrtenirrtums  besiegeln. 

Es  ist  aber  sicherlich  nicht  leicht  heute  den  Schrifttext  auch 
einer  bekannten  Sprache  zu  entziffern,  wie  sie  vor  etwa  zweitausend 
Jahren  gesprochen  und  geschrieben  wurde,  da  man  nicht  mehr  den 
Artikulationsmodus  und  die  schriftliche  Darsteilungsmethode  der 
Aussprache  von  Einst  nachprüfen  kann,  und  bilden  namentlich  die 
Zischlaute  und  die  Sibillanten  dabei  die  größten  Lösungsschwierig- 
keiten. Wir  müssen  uns  daher  bei  den  Entziffern  n- 
genandie,  wenn  auch  nicht  ganz  klare  Buchstabie- 
rung derLautfolge  im  kleinen  einerseits,  anderer- 
seits aber  an  den  logischen  Inhalt  im  großen  an- 
lehnen, denn  auch  unsere  ältesten  Vorfahren  werden  auf  einem 
bestimmten  Objekte  nur  das  aufgeschrieben  haben,  was  mit  diesem 
organisch  zusammenhängt,  wie  ich  dieses  auch  an  Ortsnamen  in 
tausend  Beispielen  nachgewiesen  habe,  denn  das  entscheidende 
Machtwort  spricht  dabei  doch  immer  die  Impression! 


')  Die  böhmischen  Urkunden  und  Werke  sind  durch  mehrere  Jahr- 
hunderte hindurch  in  Kurrent  und  Fraktur  dargestellt.  —  Bis  zum  Jahre 
1848  gab  es  in  Untersteiermark  etliche  Volksschulen,  in  denen  die  Schüler 
wohl  slovenischen  Text  schrieben,  aber  nur  in  Kurrentschrift,  nachdem  der 
Lehrer  die  lateinische  Schrift  nicht  kannte  und  nebstbei  die  Sprache  der 
Schüler  nicht  beherrschte  —  die  richtigste  Methode  aus  einer 
Sprache  ein  Kauderwälsch  zu  m.  achen  und  der  Jugend 
die  Schule  zu  verleiden! 

17 


Es  sei  aber  hieniit  keineswegs  behauptet,  daß  alle  vorgefunde- 
nen Runendenkmäler  s  1  a  v  i  s  c  h  e  Texte  haben  müssen,  denn 
ebenso  wie  wir  mit  der  lateinischen  Schrift  Lateinisch,  Deutsch. 
Französisch,  Magyarisch  u.  s.  w.  schreiben,  können  auch  die  Runen 
verschiedenen  Sprachen  zugleich  als  Schrift  gedient  haben.  Wir  ken- 
nen doch  epigraphische  Runenschriften  von  Rhätien,  Skandinavien, 
Ungarn,  Etrurien,  Griechenland,  Phrygien,  Äthiopien,  Amerika  (Mis- 
sissippital) u.  a.,  wissen  aber  nicht,  welcher  Sprache  sie  zuzuschrei- 
ben sind,  so  lange  uns  die  sprachliche  Qesamtdeutung  der  mühsam 
entzifferten  Einzellaute  ein  Rätsel  bleibt.  —  Ich  kann  daher  auch  in 
den  folgenden  Beispielen  keine  in  jeder  Richtung  unanfechtbare  Le- 
sungen bieten,  wohl  aber  etwas,  was  durch  den  Inhalt  wie 
das  zugehörige  Objekt  oder  Bild  selbstals  natür- 
lich begründet  oder  doch  naheliegend  erscheint. 


Etruskische  Runeninschriften. 

I.  Bei  Perugia  (alt:  Perusia  in  Italien)  wurde  ein  marmorner, 
etwa  1  m  hoher  und  noch  etwas  breiterer  Sarkophag  gefunden,  in 
dem  mutmaßlich  einst  eine  hohe  Persönlichkeit  beigesetzt  wurde. 
Auf  einer  Breitseite  befindet  sich  in  Relief  eine  nackte  männliche 
Figur,  welche  von  fünf  Kriegern  römischer  Tracht  gemartert,  d.  h. 
lebendig  zerstückelt  wird.  Die  sprechende  Szene  klärt  oberhalb  noch 
die  Aufschrift  «Mutjina  krul»  —  auf,  was  als  «Marterung  der  KönigSK 
(oder  «des  Königs")  zu  übersetzen  ist,  denn  «muciti«  bedeutet  im 
Slavischen  noch  heute  martern,  quälen,  und  xkral,  krul»  ist: 
König,  Anführer.  —  Tatsächlich  spielt  sich  in  der  Geschichte 
Perusia's  eine  ähnliche  Episode  ab,  denn  im  Perusinischen  Kriege 
habe  Oktavian  am  15.  März  40  v.  Chr.  nach  der  Kapitulation  der 
Stadt  vierhundert  vornehme  Perusiner,  und  darunter  wohl  auch  den 
König,  d.  h.  die  Führer,  martervoll  hinrichten  lassen;  es  ist  daher 
nicht  ausgeschlossen,  ob  diese  Darstellung  nicht  direkte  an  jenes 
Ereignis  anspielt  (siehe  Fig.  23),  denn  die  Stammeinwohner  Perusia's 
dürften  damals  noch  nicht  latinisiert  gewesen  sein. 


—  259  — 

Die  Schrift  selbst  ist  offeni<undig  von  rechts  nach  links  zu  lesen, 
was  daraus  erleuchtet,  daß  alle  nichtsymetrischen  Schriftzeichen 
nach  links  gekehrt  erscheinen  und  den  Eindruck  machen,  als  hätte 
der  Graveur  hier  eine  Schriftvorlage  zuerst  abgedrückt  und  dann 
gleich  das  Negativum  ausgemeißelt.*) 


II.  Auf  etrurischem  Gebiete  wurden  zahlreiche  Urnen  ausge- 
graben, welche  Runenschriften  aufweisen.  Eine  solche  zeigt  Fig.  24. 
Sie  ist  mit  der  Aufschrift  «lacnemi«  (=  dem  Hungrigen)  versehen 
und  dokumentiert  damit,  daß  die  Urne  nicht  zur  Aufnahme  der  Asche 
selbst,  sondern  als  ein  Gefäß  zum  Aufbewahren  der  Wegzehrung  für 
den  Toten  diente,  sowie  meist  auch  ein  weiteres  Gefäß  für  Getränke, 
dann  ein  solches  für  Salben  und  die  Grablampe  beigegeben  war. 


')  Umgekehrte  Inschriften  kommen  auch  später  vor.  So  besitzt  Viska 
(bei  Boskowitz  in  Mähren)  uralte  Glocken  mit  Inschriften,  die  lange  nie- 
mand enträtseln  konnte.  Endlich  gelang  dies  dem  H.  Sloväk  (Kremsier). 
der  als  Buchdrucker  darauf  verfiel,  es  könne  die  Schrift  ein  Negativum  sein, 
was  dann  sofort  die  Klärung  brachte,  denn  ein  solcher  Text  lautet  z.  B.: 
svata  marja.  matko  bozi  .  .  .  Der  Glockengießer  hat  den  von  einem  Mön- 
che erhaltenen  U  idmungstext  aus  Unwissenheit  verkehrt  angebracht,  oder 
lag  dies  schon  in  der  bestimmten  Absicht  des  Mönches,  um  die  Widmung 
mystischer  erscheinen  zu  lassen.  — 

17* 


—  260  — 

Auch  diese  Aufschrift,  die  der  Slovene  heute  als  «lacnemun 
ausdrüclten  würde,  zeigt,  als  hätte  der  Töpfer  sein  Modell  in  den 
weichen  Ton  als  Negativum  eingepreßt,  und  sowohl  Fig.  23  wie  24 
lassen  die  Vermutung  aufkommen,  daß  die  Lesung  möglicherweise 
vom  Innenstandpunkte,  vom  Toten  ausgehend,  gedacht  war,  oder 
man  schrieb  und  las  in  der  ältesten  Zeit  aligemein  von  rechts  nach 
links.  — 


Fig.  2i. 


III.  Beim  Dorfe  Novi  nächst  Rocchetta  (im  alten  Etrurien) 
wurde  ein  Grenzstein  mit  einer  Aufschrift  gefunden  (Fig.  25). 
die  auch  von  rechts  nach  links  zu  lesen  ist.  da  namentlich  die  e,  m 
und  n-  Laute  verkehrt  gestellt  sind,  und  «mezu  ne  munjus«  d.  h. 
«ändere  nicht  die  Grenze»,  oder:  «versetze  nicht  den  Grenzstein« 
besagen  will  (meza  =  Grenze,  ne  =  nicht,  mungati  =  mangen,  hin- 
undherschieben).  —  Für  jeden  Fall  entspricht  diese  Lesung  auch 
praktisch  dem  Zwecke  und  der  Absicht  desjenigen,  der  auf  ei- 
nem Grenzsteine  eine  Warnung  anbringen  will, 
welche  aber  heute  nur  mehr  der  Slave  versteht,  und  eine  Warnung 
kann  doch  nur  dem  gelten  oder  gegolten  haben,  der  sie  befolgen  oder 
beachten  soll,  und  dabei  auch  des  Lesens  kundig  ist.  — 


—  261 


Dieser  Grenzstein  \\urde  an  einem  Punkte  ausgegraben,  der 
noch  heute  in  der  Grenzlinie  zweier  Besitzungen  liegt.*) 

IV.  In  Italien  sind  viele  antike  Metalltassen  mit  Gravierungen 
gefunden  worden,  welche  auf  der  Innenfläche  altklassische  Mytho- 


logiemotive aufweisen,  zugleich  aber  Aufschriften  enthalten,  die  so- 
wohl lateinische  und  griechische  Qötternamen  als  auch  reinslavische 
Begriffe  wiedergeben.  Figur  26  zeigt  z.  B.  vier  Personen,  die  als: 

')   iiRocchettaii  bedeutet  im  Slavischen:  kleine  Grenze. 


262 


Laran,  Turan,  Menrva,  Apul  —  in  Runenschrift  näher- 
gekenntzeichnet  sind.  Die  Namen  «Menrvax  (Minerva)  und  «Apul« 
(Apollo)  sind  allgemein  bekannt;  «Turan«  ist  gleichfalls  beim  Artikel 
«tur«  etymologisch  erklärt;  «Laran«  ist  jedoch  im  Slavischen  gleich- 
bedeutend mit  Beschützer,  wird  aber  heute  nur  mehr  für  einsn 
solchen  von  wertvollen  Schriften,  also  in  der  Bedeutung  Archivar 
gebraucht.  Im  Lateinischen  sind  die  «Lares«  die  Schutzgeister; 
im  Keltischen  ist  «lar«  gleichbedeutend  mit  Burg  und  galt  auch  im 
Griechischen  als  identisch  (z.  B.  bei  Larissa)  mit  Akropolis;  im 


Fio-,  26. 


Etruskischen  hatte  «lar«  jedoch  die  Bedeutung:  Herr,  Fürst. 
Herrscher.  —  Der  zugehörige  Name  ist  hier  nächst  jeder  Figur 
angebracht. 

Fig.  21  zeigt  gleichfalls  drei  männliche  und  eine  weibliche  Per- 
son, die  mit  «Apulu«  und  «Zemla«  beschrieben  sind;  ein  weiterer 
Name,  der  sich  noch  sonst  wiederholt  vorfindet,  ist  nicht  lösbar,  d.  h. 
nicht  verständlich  (vuvluis?);  der  vierten,  sitzenden  Gestalt  ist  kein 
Name  zugefügt.  —  Neu  ist  hier  der  Begriff  «Zemla«  (slav.  Erde,  die 
fremde  Erde,  die  Grenze)  für  die  Frauengestalt;  es  scheint  jedoch, 
daß  dies  die  ursprüngliche  Form  der  mythologischen  «Semele«  — 
die  zu  Staub  Gewordene  —  war,  wobei  der  Slave  eine 
überraschende  etymologische  Übereinstimmung  wahrnimmt,  denn 
«zmeljem«  (=  ich  mache  zu  Staube)  «semleti«.  rechtfertigt  tatsäch- 


—  263  — 

lieh  den  sagenhaften  Untergang  der  »Seniele»,  denn  sie  wurde  von 
den  Blitzen  des  Zeus  zu  Staub  verzehrt.  —  Man  muß  daraus  schüe- 
ßen,  daß  die  griechische  Sage  bereits  ein  posthumer  etymologischer 


Erklärungsversuch  des  Namens  iiZemla«  ist,  denn  dieser  selbst  ^\ar 
in  Anbeginne  nur  der  weibliche  Hoheitsname  des  «Sem,  Zem«.  Es 
scheint  also,  daß  die  griechischen  Theogenetiker  aus  den  vorgefun- 
denen Hoheitsnamen  der  Urbevölkerung  unter  Mitwirkung  der  un- 
verstandenen sprachlichen  Basis  ihren  Olymp  konstruierten,  ebenso 
wie  sich  der  gleiche  Vorgang  später  bei  den  Germanen  nachweisen 
läßt.  — 


Fig.  2S  zeigt  den    «Herme«    und  die    «Menerva» 
iiMenrka«  und  den  Genius  oder  Engel   «Lazax'eku«. 


Fig.  29  die 


Letzterer  Begriff  ist  wieder  slaviscli  und  bedeutet  ulaza«. 
welcher  auch  in  vielen  anderen  Verbindungen  vorkommt,  V  e  rk  ü  n- 
d  e  r.  Ü  b  e  r  b  r  i  n  g  e  r,  S  p  i  o  n,  «vijek«  =  R  a  t,  B  e  s  c  h  1  u  ß,  E  n  t- 
scheidung.  sonach  ist  xlazavekun  =  Überbringer  einer 
Botschaft,  Verkünder  eines  Beschlusses  o.  ä.  und 
ist  in  allen  bekannten  Darstellungen  als  eine  Jugendgestalt  mit  Flü- 
geln zu  sehen  (Verg.  Hermes  =  Qötterbote.) 


Fig.  28. 


Fi!?.  29. 


Fig.  30.  stellt  Gestalten  dar,  die  —  von  links  nach  rechts  — 
als :  E  r  i  s,  M  e  n  r  k  a,  H  e  r  k  u  1,  E  r  i  s  beschrieben  sind.  — 

Hier  fällt  besonders  der  Name  «Herkiil»  auf,  der  aber  schon 
beim  Artikel  »Ormadax  behandelt  wurde. 

Die  römische  Schwurformal:  «me  Hercle«  (mehercle)  ist  daher 
nur  die  Anführung  eines  Mächtigen,  eines  Schützenden, 
kann  aber  sonach  nicht  als  reinrömisch  anerkannt  werden,  denn  die 
Form  »HecicK  weist  auch  ein  etruskischer  Skarabäus  (Kamee  aus 
Karneol)  auf  (s.  Fig.  31).  Die  Figur  des  Herakles  ist  hier  an  dem 
Felle  des  Kithäronischen  Löwen  erkennbar;  er  schlägt  mit  der 
Keule  den  Kyknos,  den  berüchtigten  Wegelagerer  nieder;  dieses  er- 
fahren wir  aus  der  beigesetzten  Schrift  «kukneii,  was  aber  auch  die 
Heraklesmythe  bestätigt.  — 

Alle  diese  Momente  lassen  den  Rückscliaiß  zu,  daß  die  ange- 
führten Namen  nicht  zufällig  mit  dem  Slavischen  zusannnenhän- 


gen  können,  d.  h.  sie  zeigen.daß  sie  älter  sind,  als  die  Zeit  der  Kultur- 
b!üte  der  Griechen  und  Römer,  denn  in  letzterem  Falle  hätte  man 
die  griechische  oder  lateinische  Schrift  angewendet,  und  gewiß  nicht 
die  Runen.  Sind  also  diese  Tassen  etrurischen  Ursprungs,  so  wohn- 
ten schon  weit  früher,  als  die  Römer  mächtig  geworden  sind,  S'aven 


in  Etrurien,  und  da  die  bildlichen  Darstellungen  eine  hohe  Kunstfer- 
tigkeit aufweisen,  müssen  diese  Bewohner  zugleich  eine  hohe  Kultur 
besessen  haben;  ansonst  ist  es  ganz  unerklärlich,  wie  reinslavische 


—  d.  h.  einzig  nur  dem  heutigen  Slavcn  verständliche  Begriffe  hier 
eingegraben  w orden  sein  konnten,  denn  alles  Unverständ- 
liche kann  und  darf  man  doch  nicht  konstant  als 
Fälschung   brandmarke  n.*)   So   haben    w  ir   bis   jetzt   nur 

')  In  der  alten,  dem  IX.  Jahrhundert  entstaninienden  Enzyklopädie 
xMater  verborum«  soll  auch  Hanka  zum  Schlasworte:  «Venus«  (dea  libi- 
dinis.  cytherea)  ein  «lada«  zugefügt  haben,  woraus  deduziert  wurde,  daß 
«Lada»   ein  gefälschter   Originalbegriff  für   die  Liebesgöttin   sei. 


den  griechischen  xApolI«  gekannt,  sehen  aber  jetzt,  daß  es 
schon  vor  der  Bildung  der  griechischen  Theogonie  bei  den  Slaven 
einen  »Apul«  in  menschlicher  Fassung  gab,  daher  er  in  erstere  bereits 
als  fertiger  Gott  aufgenommen  worden  sein  mußte.  Wir  wissen  auch, 
daß  «keltische«  Völkerschaften  in  vorrömischer  Zeit  apolloähnliche 
Darstellungen  kannten,  denen  sie  jedoch  einen  «barbarischen«.  Na- 
men, wie:  Belenus.  Grannus  u.  a.  beilegten,  wobei  sich  aber  wieder 
der  «Zufall«  einstellt,  daß  der  Slave  als  der  einzige  das  klärende  Ver- 
ständnis auch  für  alle  diese  Götternamen  in  seinem  Sprachschatze 
besitzt  und  daß  diese  Etymologie  zugleich  organisch  und  logisch  da- 
mit im  Einklänge  steht.  —  Bemerkenswert  ist  es  überdies,  daß  alle 
diese  Schriften  —  ausgenommen  den  Skarabäus  —  noch  von  rechts 
nach  links  zu  lesen  sind,  ein  weiterer  Beweis,  daß  die  Fundobjekte 
noch  nicht  unter  römischen  oder  griechischen  Kultureinfiusse  standen, 
aber  ebenso  wenig  von  den  «eingewanderten«  Slaven  herrühren 
können,  denn  diese  werden  sich  bei  ihrem  vermeintlichen  Barbaren- 
tum, da  man  sie  doch  nur  als  Hilfsvölker  und  Gepäckträger  der 
Hünen  anerkennt,  nicht  sofort  eine  eigene  Schrift  zurechtgelegt  und 
gleich  ohne  Vorentwicklung  eine  derartige  kulturelle  Selbständig- 
keit geschaffen  haben,  daß  sie  alle  vorgefundenen  Bildungsmittel 
unbeachtet  gelassen  hätten.  Übrigens  rühren  viele  dieser  Funde  aus 
jenen  etrurischen  Städten  her.  die  von  den  Römern  zerstört  wurden, 
also  sicherlich  bis  zu  ihrer  Auffindung  ohne  Unterbrechung 
vergraben  lagen,  sonach  Fälschungen  ausgeschlossen  erscheinen.  — 

V.  Eine  —  angeblich  —  etruskische  Kamee*)  (Fig.  32)  trägt  die 
Inschrift    «sihan,  cikan,  cihan«    neben  einer  darauf  ausgeschnittenen 


Ol)  nun  Hanka  das  Wort  zugesetzt  hat  oder  nicht,  ist  für  die  Sache  gleich- 
gültig, da  nutzlos,  denn  trotzdem  steht  es  fest,  daß  alle  Slaven  «ladai. 
für  Liebe,  Oeiiebte,  Verlobte  seit  undenklichen  Zeiten  gebrauchen. 
Dies  ersieht  man  aus  den  uralten  russischen  wie  südslavischen  Volkslie- 
dern, wo  sich  der  Refrain:  «Oj  lado.  Did  Lado«  (=  o  Geliebte)  immer  wie- 
deri'olt  und  sich  in.'  Igor-Epos  (»Slovo  o  polku  Igorevje«),  das  aus  dem  12. 
Jahrhunderte  schon  als  Schrift  rtammt.  auch  im  nämlichen  Sinne  als: 
Geliebter.  \'erehrer,  Gatte,  vorfindet.  —  Die  Slaven  gebrauchen 
auch  für  die  Bezeichnung  Verlobungsanzeige  »Lada«,  sowie  zum 
Teile  für  alles  Herzige  den  Begriff  «ladno«.  Desselben  Ursprungs  ist 
im  Englischen  die  «Lady«,  d.  i.  jene  Dair.e.  der  man  ihres  Ranges  wegen 
Achtung  zollen  muß. 

')  Vergl.  das  slavische:  kamen  (--  Stein). 


—  267  — 

Bettlerfigur.  Die  Slaven  verstehen  unter  »cigati,  cihati"  —  auf 
etwas  warten,  lauern,  also  hier :  auf  Almosen.  Der  be- 
sonders aufdringliche  Bettelcharakter  verschaffte  sonach  den  Z  ig  e  u- 
nern,  welche  von  den  Slaven  ja  als  «cigan,  cikan«  bezeichnet 
werden,  diesen  berechtigten  Namen,  der  sich  seine  vermutliche  Ur- 
form sonach  im  Slavischen  bis  heute  reinerhalten  hat.  —  Ebenso  ist 
es  aber  möglich,  daß  hier  xsiganx  vorliegt,  wie  der  Slovene  aen 
schwer  Atmenden,  den  Astmatischen  nennt,  und  wofür 
auch  der  Deutsche  den  Begriff  «siech«  hat,  denn  zu  betteln  pflegt 
nur  jener,  der  nicht  arbeitsfähig  ist.  Der  so  gravierte  Stein  kann 
sonach  einst  auch  irgendeinem  Wohltäter  der  leidenden  Menschheit 
gew  idmet  worden  sein. 


Die  Schrift  geht  hier  schon  von  links  nach  rechts,  ist  also  augen- 
scheinlich jünger,  als  jene  der  vorangehenden  Beispiele,  ja  die  Buch- 
staben weisen  nahezu  schon  die  lateinische  Majuskelschrift  auf,  was 
also  rückschließen  läßt,  daß  sich  die  Runen  nicht  aus  der  lateinischen 
Schrift  gebildet  haben,  sondern  daß  dies  offenkundig  umgekehrt  der 
Fall  war.  — 


Rhä  tische  Runeninschriften. 

Im  Jahre  1838  wurde  im  Zimrnertale  (Südtirol)  eine  kupferne 
Situla  ausgegraben.  Dieselbe  hat  einen  soliden  Henkel,  eine  rund- 
ausgebogene,  oben  bauchig  erweiterte  Platte,  deren  Enden  durch 
eine  Reihe  von  genieteten  Nägeln  über  einander  befestigt  sind,  und 
eine  zweite  ähliche,  den  Boden  bildende  Platte.  Das  Gefäß  weist 
eine  längere  Runeninschrift  auf.  die  zum  Teile  schon  auf  dem  Henkel, 
zum  Teile  aber  auf  dem  oberen  Deckelrande  in  Blei  eingegraben  ist 


—  268  — 

(siehe  Fig.  33).  Aui  dein  Henkel  steht:  Lavisenieli.  —  Nachdem  auf 
den  Oefäßhenkehi  erfahrungsgemäß  der  Erzeugungsort,  der  Erzeuger 
oder  der  Spender  ersichtlich  gemacht  wird,  denn  in  manchen  Ge- 
genden werden  z.  B.  die  Tonkrüge  noch  heute  mit  dem  Namen  des 
Erzeugungsortes,  oder  wenn  sie  fest  bestellt  sind  selbst  mit  dem 
Namen  des  künftigen  Besitzers  versehen,  lese  ich  hier  unbedingt 
den  Ortsnamen  «Lavis«,  denn  »Lavis«  ist  tatsächlich  die  größte  Ort- 
schaft nächst  der  Fundstelle.  Die  weitere  Schrift  lautet:  bugu  nu 
gihiave  velpanu  del  na  vinuh  ali  na  kusenku  tiri  nape  d.  i.  Gott 
und  dem  führenden  Oberherrn  ein  Gefäß  auf  Wein  oder  als  Kost- 
probe ...  ;  die  Lesung  «tiri  nape«  ist  unsicher  daher  auch  für  eine 
A'errnutung  zu  entfernt.  Die  Situla  ist  sonach  anscheinend  eine  Wid- 

/  Rand' 

Fi=:.  33. 

nuiiig  der  Bewohner  \on  Lavis  an  eine  hohe  Standesperson.  «Gihi- 
ave« ist  vermutlich  desselben  Stammes,  wie  das  französische  «gu- 
iderx  (~  führen),  wofür  die  vielen  slavischen  Verteidigungspunkte 
wie:  Qicin  (Jicin),  Kicer,  Kicerka  u.  a.  Zeugnis  geben,  daß  das  Grund- 
wort einst  auch  den  Slaven  geläufig  war.  —  Das  wichtigste  und 
prägnanteste  Wort  in  der  ganzen  Widnumgsaufschrift  ist  jedoch 
«velpanu»  (dritte  Zeile),  über  dessen  Bedeutung  dem  Slaven  wohl 
kein  Zw  cifel  nahetreten  kann.  — 

Die  meisten  Runenschriften  erhöhen  leider  infolge  des  Mangels 
der  organischen  \\ortscheidungen  in  der  Darstellung  auch  die  Lö- 
sungsschwierigkeiten und  mahnt  auch  dieser  Umstand  zur  steten 
Vorsicht  bei  den  Deutungsversuchen.*) 


')  Wie  falsche  Trennungs-  und  Darstelluiiffsarten  irreführen  können. 
zeige  folgendes  Beispiel.  —  Vor  etlichen  .Jahren  brachte  eine  große  Tages- 
zeitung die  Notiz,  der  Türke  wende  hiufig  den  fatalistischen  Spruch  «neb 
o>-sse«  an.  Die  gesamte  üelehrtenwelt  müßte  dieser  Darstellung  ratlos  ge- 


Germanische  Runeninschriften. 

I.  Auf  der  bei  Freilaubersheim  ausgegrabenen  Kleiderspange 
befindet  sich  auf  der  Innenseite  eine  Runeninschrift,  von  der  bisher 
nur  die  letzte  Zeile  gelöst  ist,  da  sie  für  den  Slaven  keinerlei  tieferes 
Studium  erfordert ;  sie  lautet :  B  o  z  o  v  r  a  e  t  r  u  n  a,  d.  h.  Bozo  ritzte 
die  Runen  ein.  —  Es  ist  dies  selbstredend  eine  Art  Dokument,  wer 
die  vorausgehende  Widmung  in  die  Spange  gravierte,  ähnlich  \\ie 
auch  der  Maler,  Bildhauer  oder  Erzgießer  zu  seinem  Namen  an  irgend- 
einer Schlußstelle  noch  sein  «pinxit,  sculpsit«  oder  «fecitn  am  ferti- 
gen Werke  anbringt. 

Die  Germanisten  kamen  nun  sonderbarerweise  zu  gleicher 
Translation  des  Textes,  nur  mit  dem  Unterschiede  in  der  Behauptung, 
daß  dieser  deutsch  sei,  was  man  aber  deshalb  bezweifeln  nuiß, 
w  eil  iivraet"  der  altslavische  Aorist  von  xvriti«  (eingraben,  einritzen) 
ist,  und  wenn  auch  das  einfache  Verbum  «riti«  identisch  und  phonisch 
gleichlautend  ist  mit  dem  altdeutschen  »ritan«  (=  ritzen),  so  ist  aber 
hier  die  Zusammensetzung  mit  "v«  (slav.  =  in,  hinein),  einer  aus- 
schließlich slavischen  Präposition,  doch  für  die  deutsche  Provenienz 
unhaltbar,  und  wird  darüber,  wenn  einmal  der  übrige  Textteil  ent- 
ziffert ist,  das  maßgebende  Schlußwort  für  jene  fallen,  welche  sich 
zur  slavischen  Texterläuterung  dermalen  noch  skeptisch  verhalten. 

)iBozO)i  (von  )(bog)i  oder  «voz»  =  der  Führende,  voziti  = 
führen)  ist  wahrscheinlich  gleichbedeutend  mit  I^  r  i  e  s  t  e  r,  der  die 
Spange  gravierte  und  weihte,  denn  ebenso  wie  die  Waffen  der 
Männer  wurden  einst  die  Gürtel,  Spangen  und  sonstiger  Schmuck 
der  Frauen  zuvor  geweiht,  che  sie  zur  ernsten  Vcrvertung  kommen 
sollten;  sie  galten  als  wertvoller  Familienbesitz  und  wurden  schon 
als  eine  Art  Devotionalien  erworben,  wofür  noch  heute  bei  .Kirch- 
w^eihfesten  und  berühmten  Gnadenorten  genug  Analogien  zu  finden 
sind.  —  Überdies  galten  die  Priester  und  Mönche  beim  Landvolke 


geniiberstehen,  denn  der  Spruch  ist  vor  allem  gar  nicht  türkisch,  sondern 
rein  slav  i  seh,  welchen  aber  der  slavisch  sprechende  Türke  in  der  Form 
»ne  boj  se»  (=  fürchte  dich  nicht)  tatsächlich  oft  gebraucht.  —  Ich  hätte 
in  jener  exotischen  Schreibvveise  auch  niemals  die  Sprachzugehörigkeit  und 
die  Bedeutung  erkannt,  wenn  ich  beim  Lesen  jenes  Artikels  nicht  zugleich 
festgestellt  hätte,  daß  der  Verfasser  in  dem  Irrtume  lebt,  der  Moham- 
medaner im  Reichslande  spreche  türkisch,  was  aber  eben 
nicht  zutrifft. 


seit  vielen  Jahrhunderten  bis  in  die  jüngste  Zeit  als  die  einzigen 
IC  Schrift-Gelehrten». 

Wäre  aber  nun  «bozo  vraet  runa«  —  deutsch,  dann  stamint 
die  Schrift  aus  einer  Zeit,  als  deutsch  und  slavisch  noch 
identisch  war,  doch  da  ist  es  w ieder  sonderbar,  daß  sich  hiebei 
die  slavischen  Formen,  —  trotz  aller  Unterdrückung  des  Slavischen 
— ,  gramatisch  unverändert  richtig  bis  heute  erhalten  haben,  während 
im  Deutschen  dies  absolut  nicht  zutreffend  oder  nachweisbar  ist. 
Angenommen  jedoch  den  Fall,  daß  die  Deutschen  wirklich  einmal 
so  sprachen :  wie  kommt  es  nun,  daß  die  im  5.  Jahrhun- 
derte einwandernden  Slaven  schon  genau  so  spre- 
chen, wie  es  auf  der  erwähnten  Spange  steht,  nach- 
dem sie  ja  nicht  deutsch  sprachen!  —  Rührt  aber 
die  Schrift  aus  der  Zeit  nach  der  Einwanderung 
d  e  r  S  1  a  V  e  n  her,  dann  ist  sie  u  m  s  o  m  e  h  r  slavisch,  als 
sich  das  Deutsche  zu  dieser  Zeit  mit  der  slavi- 
schen Sprache  doch  nicht  mehr  deckte;  haben  aber 
die  Slaven  das  Deutsche  aus  dieser  Zeit  übernom- 
men.  dann  gäbe  es  heute  kein  Slavisch,  und  dieses 
läßt  sich  doch  auch  nicht  wegleugnen! 

Nun  ist  aber  ein  analoger  Schlußpassus  in  anderer  Form,  aber 
gleicher  Bedeutung  auch  auf  anderen  »germanischen«  Runendenkmä- 
lern zu  lesen,  wie  z.  B.  auf  dem  Stein  von  Varnum:  »runoh  varitu« 
=  .  .  .  hat  die  Runen  geritzt;  ein  andermal,  wie  z.  B.  auf 
dem  Steine  (Grabsteine?)  von  Tune  auf  der  einen  Seite:  «vorah  to 
runotc"  =  derBeschützer(Priester!)hatdiesgeritzt; 
auf  der  anderen  Seite :  iivoduride»  =  Meisterritzer  (analog  un- 
serem: Schriftenmalermeister).  Einen  ähnlichen  Text  haben  auch  die 
Maeshover  Inschriften,  wo  zu  lesen  ist:  »pisar*)  (oder:  tisar;  tesati 
=  meißeln)  runar»  =  Runenschreiber,  Runenmeißler.  Bei  allen  die- 
sen Beispielen  wird  aber  die  deutsche  Sprache  —  im  heutigen  Sinne 
—  doch  schwerlich  ihre  Paternität  nachweisen! 

II.  In  Pommern  wurde  ein  kleiner  Tonkopf  gefunden,  der  unten 
mit  einem  kurzen  fünfseitigen  Prisma  endet;  auf  jeder  Seite  ist  ein 
Buchstabe  eingekerbt;  überdies  auch  ein  solcher  am  Scheitel.  Man 

')  Plsatl  -  schreiben.  —  Im  .Assyrischen  heißt  der  beschrie- 
bene Tonzylinder  auch  «pisanu»,  d.  i.  das  Geschriebene. 


weiß  nun  nicht,  wo  man  zu  lesen  beginnen  soll,  um  einen  Sinn  heraus- 
zubekommen; beginnt  man  aber  bei  ~|  (g),  liest  nun  ringsherum, 
so  erhält  man  das  Wort  "glavnu"  oder  iiglavny«,  wodurch  man 
sofort  orientiert  ist,  denn  die  Kopffigur  stellt  jedenfalls  das  vor,  was 
die  Schrift  sagt :  das  Oberhaupt,  den  Führer  oder  irgendeine 
die  Hauptrolle  spielende  Person,  analog  wie  wir  uns  die  Fäusten  von 


^  \^  q  Ä  4 


Herrschern,  von  großen  Feldherrn,  Dichtern,  Musikern  usw.  anschaf- 
fen. —  Einen  ergänzenden  Wink  für  die  slavische  Lesung  dieser 
Runen  gibt  uns  auch  der  Umstand,  daß  der  Tonkopf  in  jenem  Pom- 
mern gefunden  wurde,  welches  bis  vor  mäßiger  Zeitfrist  noch  ganz 
slavisch  war.*)  Der  Tonkopf  befindet  sich  jetzt  in  Berlin. 


")  Zur  obigen  Lösiiiiy  und  Erklärung  führte  mich  H.  Sloväk  In  Krem- 
sier,  ein  hervorragender  Archiiologe.  welcher  auch  an  den  Fortschritten 
dieses  Werkes  stets  das  lebhafteste  Interesse  bekundet  hat,  wofür  Ihm  an 
<lleser  Stelle  aufrichtig  gedankt  sei. 


Slavische  Runentnschriften. 

Unicr  Jicsem  litcl  WLicicn  jene  Cenkmäier  mit  Runenschriiten 
zusammengefaßt,  deren  Provenienz  man  bisher  den  Slaven  beließ, 
bezw.  deren  Lesung  zu  i<einen  sprachlichen  Zweifeln  führte.  Hiezr 
j;ehörcn: 

I.  Auf  dem  Smrcnik,  einem  der  liöchsten  Punkte  des  Kremnitzer- 
Gebirges  in  der  Slovakei  wurde  i.  J.  1861  durch  Paul  Krizko  auf 
Grund  von  märchenhaften  Erzählungen  der  Unnvohner  ein  etwa 
15  langer  Stein  mit  der  in  der  Abbildung  (Fig.  35)  ersichtlichen 
Schrift  entdeckt.  Eine  glaubwürdige  Entzifferung  des  Textes  gelang 
bis  jetzt  niemandem,  wenigstens  so  weit  dies  bekannt  wurde.  — 


Mein  Versuch  den  Text  zu  erklären,  gab  folgendes  Resultat:  «rubi 
chury  kryje  mugila«,  d.  h.  «Die  Grenze  des  Berges  bedeckt  das 
Grab«,  was  tatsächlich  stimmt,  denn  dort  läuft  die  Komitätsgrenze 
und  dort  übersetzt  auch  der  Weg.  welcher  Kremnitz  mit  Neusohl  in 
der  kürzesten  Linie  verbindet,  das  Gebirge.  Ob  sich  daselbst  auch 
ein  Grab  befand,  ist  heute  schwer  zu  entscheiden,  da  sich  nach  dem 
Bekanntwerden  des  Schriftfundes  sofort  habsüchtige  Leute  fanden, 
welche  den  Stein  von  der  ursprünglichen  Stelle  verschoben  und  dort 
herumgruben.  —  Die  Begriffe:  rub,  hora,  kryti,  mugila  —  sind  jedem 
Slaven  bekannt.  —  Das  äußerste  Zeichen  rechts  ist  augenscheinlich 


ein  «s«.  doch  ist  die  Bedeutung  einstweilen  niclit  bekannt;  niögliciier- 
weise  gehört  es  aber  noch  zu  «niugila«  also:  nnigilas.  Als  höchstes 
oberstes  Zeichen  ist  ein  Kreuz  angebracht,  worüber  ein  Zweifel  be- 
steht, ob  es  eine  sakrale  Bedeutung  hat.  oder  ob  es  die  Kreuzungs- 
richtung der  Grenze  mit  dem  Karrenwege  andeutet.  Für  jeden  Fall 
ist  dieser  Stein  in  erster  Linie  ein  (j  r  e  n  z  s  t  e  i  n,  und  damit  dieser 
pietätvoll  behandelt,  also  nicht  verrückt  werde,  diente  er  allenthal- 
ben zugleich  als  (irabstein  für  eine  daselbst  oder  auf  dem  nahen 
Velestur.  Hradek  oder  der  Divci  skala  im  Kampfe  gefallenen  Krieger, 
denn  alle  diese  uns  schon  bekannten  Namen  zeigen  an,  daß  sich  auf 
diesem,  mit  einer  ungewöhnlich  weiten  Aussicht  nach  allen  Seiten 
gewährenden  Punkte,  einst  ein  w ichtiger  Wach-  oder  Verteidigungs- 
posten befimden  haben  muß.  —  Ebensogut  ist  es  aber  möglich,  daß 
hier  überhaupt  kein  Grab  war.  sondern  daß  der  Stein  ausschließlich 
als  Grenzstein  diente,  denn  der  Slovene  \'ersteht  unter  «muga«  auch 
die  Grenzlinie,  den  Grenzstreifen  für  sich,  daher  die 
Inschrift  auch  als:  "die  Kante  (die  Krete,  die  Kanmilinie)  des  Gebir- 
ges deckt  der  Grenzstreifen«  gelesen  w  erden  kann,  zumal  dies  auch 
heute  noch  zutrifft. 

Diese  Inschrift  konnte  noch  \on  niemandem  als  eine  Fälschimg 
erklärt  werden,  weil  liiezu  bisher  die  \'orhedini,fimg  der  ersten  Lö- 
simg fehlte. 

II.  Auf  dem  höchsten  Pimkte  des  Kremnitzer-Gebirges,  «Velesturn 
genannt,  w  urdc  vier  .lahre  später  eine  Kuneninschrift  auf  einem  Fels- 
blocke, gleichfalls  von  Paul  Krizko  entdeckt,  wozu  ihm  sagenhafte 
Erzählungen  der  Bauern  den  Impuls  gaben.*)  Die  beigegebene  Figur 
.36  zeigt  die  Inschrift  selbst,  die  schon  Krizko  lautlich  richtig  unter 
Zuhilfenahme  \oii  Kollär"s  iiStaroitalija  Slavjanska»  (Wien,  1853), 
welches  Werk  die  verschiedenen  italischen  Kunenalphabete  enthält, 
entzifferte,  jedoch  zum  großen  Teile  unrichtig  deutete.  Der  Text  lau- 
tet: «Prjechach  silian  od  morane  zrumich  kremenitju  te  turu  i  vsia 
grada  i  bje  gode  po  turu  dvjestje  te  osemdst«  —  d.  h.  «Es  kam  der 
Silleiner  von  der  Grenze,  zerstörte  Kremnitz  und  Tur,  sowie  alle 
Burgen  und  alle  befestigten  Punkte  im  Turgebiete  an  ZSÜ.« 

')  Krizko  fand  bei  dieser  Gelegenheit  auch  noch  auf  einem  schiefer- 
taiclartisen  Bruchstücke  eine  Runenschrift,  die  aber  weiter  textlich  nicht 
von  BedeutunK  ist.  weil  erst  üas  fehlende  Stück  eine  ;.,'laubwiirdige  Lesun.ic 
ermöKlichen  könnte. 


274 


Dieser  zur  Oey:Lnd  vollkomnien  passende  geschichtliche  Text 
ist  vor  allem  deshalb  \on  hohem  wissenschaftlichen  Werte,  weil  er 
umfangreich  ist.  daher  die  meisten  Laute  des  Alphabets  enthält  und 


überdies  für  etliche  meiner  längst  vorausgegangenen  etymologischen 
Begriffserklärungen,  wie:  inorana,  tur,  god  —  die  Bestätigung  er- 
bringt, daß  dieselben  schon  in  jener  Zeit  richtig  ausgelegt  w  urden, 
als  mir  diese  Inschrift  noch  völlig  unbekannt  war. 


Der  obige  Text  bildet  für  das  Verständnis  des  Slaven  sonach 
keine  besonderen  Schwierigkeiten,  nanienthch  wenn  er  folgendes 
weiß : 

Kprjechacli"  ist  der  Aorist  von  «jehati«  (=  kommen,  marschie- 
len)  mit  der  Präposition  "pri«  (—  zu.  bei),  welche  aber  z.  B.  der 
Slovene  als  npr«,  also  mit  dem  stummen  «e«  in  gewöhnlicher  Rede 
gebraucht ; 

«Silian»  ist  der  Machthaber,  der  Herr  von  Sillein  an  der  Waag. 
Ganz  ähnliche,  ja  lautlich  sich  nahezu  deckende  Texte  kann  man  im 
Slovenischen  vom  »Celjan«,  d.  i.  dem  »Cillier«,  dem  Grafen  von 
Cilli,  in  den  alten  Chroniken  lesen.  Sillein  befindet  sich  am  linken 
VVaagufer,  also  nicht  im  Tur-Komitate; 

wKremenitju,  turu,  grada,  niorana,  god«  (unter  «Chodw)  sind  im 
II.  Abschnitte  etymologisch  erklärt; 

«tC'i  bedeutet  dem  Slo\-enen  wie  Kroaten  «und«,  welche  Par- 
tikel sonach  auch  bei  den  Slovaken  früher  im  Gebrauche  war; 

«bje«  ist  offenkundig  ein  Schreibfehler,  wobei  eben  das  «Sk 
ausgefallen  ist.  was  aus  dem  (jesamttexte:  «i  vsia  grada  i  vsje  («b» 
wird  zugleich  als   «v«  ausgesprochen)  gode«  deutlich  hervorgeht.*) 


")  Die  beiKegebene  Karte  bietet  hiezu  eine  nähere  geographische  Ori- 
entierung über  den  Zug  des  nSilian»  von  Sillein  über  Turöcz-Szt.  JVlarton 
nach  Kreninitz.  Sie  zeigt  weiter,  wo  sich  der  Runenstein  befindet  (7  km 
ONO  von  Kreninitz);  überdies  soll  sie  beweisen,  daß  die  militär-technischen 
Vorsorgen  der  Bewohner  dieses  Gebietes  zwecks  ihrer  Sicherheit  sehr  be- 
deutend waren,  denn  gerade  die  Erwähnung  dieses  konkreten,  wenn  auch 
geschichtlich  nicht  näher  aufgezeichneten  Vorfalles,  drängt  uns  doppelt  die 
Bestätigung  auf.  wie  außerordentlich  gerüstet  unsere  Altvorderen  gegen 
gegnerische  Einfälle  waren.  —  Das  große  Brandschatzungsgebiet  ist  hier 
nur  im  Maße  1  :  200.000  dargestellt,  daher  die  «godi»  zuiu  großen  Teile 
nicht  ersichtlich  gemacht  sind;  immerhin  zeigen  aber  die  zahlreichen  ver- 
teidigungstechnischen Namen,  die  hier  r  o  t  unterstrichen  sind,  deutlich, 
daß  es  hier  viele  größere  und  noch  mehr  kleine  befestigte  Punkte  gab, 
welche  im  erwähnten  Gebiete  ganz  gut  die  für  den  ersten  Augenblick  über- 
raschende Zahl  von  2N)  erreichen  konnten,  da  schon  auf  der  Generalkarte 
des  Turocz-Stz.  Marton  Komitates  alleiti  an  80  solche  Punkte  festgestellt 
sind.  Dem  ist  aber  weiters  zuzufügen,  daß  abgesehen  von  der  noch  aus- 
ständigen etjinologischen  Entkernung  der  übrigen  auf  der  Karte  erwähnten 
Ortsnamen,  zahlreiche  ergänzende  Belege  namentlich  die  Katastralmappen 
bieten. 

18» 


276 


Der  Konsequenz  halber  wurde  auch  dieses  slavische  Runen- 
ütnknial  gleich  \\  ieder  als  eine  Fälschung  bezeichnet,  ja  sogar  schon 
i.  J.  1865  von  mißgünstigen  Gegnern  zerkratzt,  was  jedoch  den 
wissenschaftlichen  Teil  nicht  weiter  stört,  da  rechtzeitig  mehrere 
(jypsabklatsche  angefertigt  wurden. 

Für  die  Fälschung  spricht  nichts,   gegen   dieselbe  Folgendes; 

a)  Der  Entdecker  Paul  Krizko  wurde  erst  durch  Erzählimgen 
der  Bauern,  daß  es  auf  dem  Veiestur  nicht  geheuer  sei,  daß  dort 
gcheinmisvolle  Zeichen  eingegraben  seien,  daß  man  dieser  Stelle 
ausweichen  müsse  u.  ä..  auf  die  Schrift  aufmerksam  gemacht; 

b)  ist  dieses  unzutreffend,  dann  ist  es  \v  idersinnig,  wenn  Krizko 
die  Schrift  selbst  eingeritzt  hätte,  daß  er  dann  nicht  weiß,  was  sie 
besagt,  denn  er  las  sie  wohl  lautlich  richtig,  aber  seine  Erklärung 
derselben  ist  unrichtig,  da  er  folgenden  Te.xt  ermittelte:  «Es  kam 
der  Silian  vom  Norden,  zerstörte  Krenmitz  und  Tur  und  alle  Bur- 
gen; es  war  dies  280  Jahre  nach  dem  Tun«,  wobei  namentlich  der 
den  Zeitpunkt  ergänzende  Satz  weder  dem  Texte  entspricht,  noch 
sonst  etwas  besagt.  Es  ist  aber  doch  anzunehmen,  daß  der  Fälscher 
einer  so  umständlichen  Arbeit  etwas  aufschreibt,  was  er  vor  allem 
selbst  versteht,  denn  es  wird  doch  niemand  eine  sinnlose  Kratzerei 
auf  einem  \ier  Stunden  Gehweges  entfernten.  1266  ni  hoch  im  Ge- 
birge befindlichen  Felsen  vornehmen; 

c)  will  jemand  Moderner  etwas  aus  eigenem  oder  nationalem 
Ehrgeiz  in  historischer  Hinsicht  fälschen,  so  wird  er  wohl  einen 
Text  wählen,  der  einen  Forschungseffekt  bilden  soll;  diese  Inschrift 
erzählt  uns  allerdings  ein  lokales  Ereignis,  läfit  uns  aber  in  Bezug 
auf  die  handelnde  Person,  namentlich  aber  betreffs  des  Zeitpunktes 
vollkommen  im  Unklaren;  ja,  der  Entdecker  rechnete  autosuggestiv 
damit,  daß  die  Zahl  280  eine  Jahreszahl  sein  müsse; 

d)  den  Fälschungscharakter  vernichtet  aber  vollends  der  Um- 
stand, daß  im  Texte  Begriffe,  wie:  morana.  god.  tur  —  vorkommen, 
deren  Bedeutung  der  Fälscher  selbst  nicht  versteht,  die  aber  jetzt 
durch  diese  toponomischen  Klärungen,  welche  übrigens  der  Kenntnis 
dieser  Felsinschrift  weit  \ orausgegangen  sind,  zeigen,  daß  sie  in 
dieses  Milieu  voilkonmien  passen,  beziehungsweise  gerade  dadurch 
deren  richtige  Etymologisierung  bestätigt  wird. 


277 


Für  jeden  Fall  ist  es  bedaiierücli,  daß  alle  diese  Auf-  und  In- 
S(.-hriften,  -•  es  ist  die  Existenz  vieler  weiterer  im  Lande  bei<annt  — . 
keine  für  die  Vorgeschichte  selbst  orientierende  Daten  bieten;  im- 
merhin ist  aber  ihre  Existenz  allein  ein  l<räftiger  Beweis  der  hohen 
Kultur  wie  der  intensiven  militär-politischen  Vorsorgen  der  Altsla- 
\en  jener  (legend,  denn  w  ahrscheinlich  ist  es,  da  auf  dem  Velestur 
jedenfalls  ein  wichtiger,  ständiger  Wachposten  etabliert  war,  daß 
die  Felsinschrift  daselbst  die  Diensthabenden  wie  auch  die  Vorüber- 
gehenden stets  an  die  Yv'achsamkeit  und  die  gewissenhafte  Pflicht- 
erfüllung erinnern  sollte,  damit  sich  das  einstige  Unglück,  das  der 
«Silian«  über  diese  Gegend  brachte,  nicht  ^\iederhole. 

III.  Einen  ununistcißlichen  Beweis,  daß  auch  die  nordischen 
Slaven  die  Runenschrift  kannten  und  anwendeten,  bieten  die  soge- 
nannten, jetzt  im  Museum  zu  Neu-Strelitz  aufbewahrten  «gottes- 
dicnstlichen  Altertümer  der  Obotriten  zu  Rhetra«.  —  Wie  aber  alle 
Belege  für  das  historische  Alter  der  Slaven  gewohnheitsmäßig  vor- 
erst als  Falsifikate  erklärt  zu  werden  pflegen,  so  war  es  auch  hier: 
man  will  herausgefunden  haben,  daß  sie  Fälschungen  eines  Qelb- 
gießers  von  Neu-Strelitz  selbst  seien.  Doch  diese  Verdächtigung  ist 
nicht  nur  unbegründet,  sondern  geradezu  albern,  wenn  schon  nicht 
boshaft,  was  leicht  bewiesen  werden  kann,  denn: 

a)  ist  bis  jetzt  nirgends  etwas  annähernd  Gleiches  gefunden 
worden,  und  zum  Falsifikate  gehört  doch  ein  Original; 

b)  ist  es  bekannt,  wo  und  unter  weichen  Verhältnissen  der 
Fund  in  der  Zeit  von  1687 — 97  gemacht  wurde,  wie  ebenso,  daß  er 
erst  i.  .1.  1769  aus  der  Dunkelheit  gezogen  und  über  Anregung  des 
Herzogs  Carl  von  Mecklenburg-Strelitz  endlich  einer  wissenschaft- 
lichen Beachtung  teilhaftig  wurde; 

c)  wird  sich  kein  Gelbgießer  dazu  hergeben  etwa  50  verschie- 
dene Figuren,  noch  dazu  fast  jede  mit  einer  anderen  Metallnüschung, 
nach  den  oberflächlichen  Beschreibungen  der  mittelalterlichen  Schrift- 
steller, wie:  Saxo,  Helmold,  Adam  v.  Bremen  u.  a.  zu  modellieren 
und  zu  gießen,  sodann  durch  den  Edelrost  zersetzen  imd  schließlich 
auf  gut  Glück  zu  vergraben,  ganz  abgesehen  von  der  kostspieligen 
künstlerischen  Leistung; 

d)  handelt  es  sich  bei  jeder  Fälschung  doch  um  die  Frage,  wer 
hiebei  ein  ix)siti\'es  Interesse  hat,  denn  wollte  jemand  \or  etwa  150 


Jahren  die  Kcniitiüs  von  der  alten  Kultur  der  Slaven  verbreiten  und 
beweisen,  daß  die  Slaven  im  Norden  auch  die  Runenschrift  ge- 
brauchten, so  mußte  er  doch  die  Runen  der  südlichen  Slaven  kennen, 
um  das  Märchen  glaubwürdig  zu  machen;  damit  wäre  aber  indirekt 
bewiesen,  daß  \\  enigstens  die  Slaven  im  Süden  die  Runen  anwen- 
deten. Übrigens  besaß  man  zu  dieser  Zeit  noch  eine  hohe  Meinung 
von  der  siavischen  Kultur,  wie  die  zeitgenössischen  Schriftsteller 
beweisen,  es  war  daher  damals  kein  zwingender  Grund,  den  Nimbus 
durch  Pälschungen  zu  erhöhen.  —  Oder  soll  ein  Gelbgießer  nur  mit 
divinatorischer  Eingebung  oder  gar  zufällig  Runeninschriften  auf  den 
Bronzefiguren  augebracht  haben,  die  nun  sonderbarerweise  den  spä- 
ter ausgegrabenen  Fundstücken  mit  etruskischen  Runen  sehr  ähn- 
lich und  textlich  nur  dem  Slaven  verständlich  sind?  Woher  hatte  nun 
der  Mann  diese  Wissenschaft,  denn  bis  heute  glaubt  niemand,  ja 
nicht  einmal  irgendeine  s  1  a  v  i  s  c  h  e  Akademie  daran,  daß  die  Ru- 
nen je  eine  slavische  Schrift  waren!  Und  trotzdem  weisen  die  Sta- 
tuetten, die  mit  starker  Patina  überzogen  sind  und  wohl  viele  Hun- 
derte \"on  Jahren  in  der  Erde  lagen,  zum  dargestellten  Gegenstande 
immer  die  richtigen  textlichen  Kommentare  in  Runenschrift  auf; 

e)  wen  schließlich  diese  Vernunftsgründe  nicht  überzeugen, 
der  sei  auf  Dietmar  v.  A^erseburg  (geb.  975)  ver\\'iesen,  der  selbst 
als  Domkapitular  erzählt,  daß  er  Götzen  zu  Rhetra.  welche  mit 
Runenschriften  versehen  waren,  mit  eigenen  Augen  gesehen  habe, 
und  diese  Angabe  kann  doch  keine  Phantasterei  gewesen  sein,  da 
Götzen  solcher  Art  daher  sicherlich  \'orhanden  waren,  sonach  we- 
nigstens im  Laufe  der  verwichenen  1000  Jahre  nicht  gefälscht,  son- 
dern höchstens  vervielfältigt  worden  sein  konnten.  —  Von  den  ver- 
schiedenen «Götzen  zu  Rhetra«  wird  zum  Beweise  hier  «Radegast 
(Radegost,  Ridegast)«,  wie  diese  Statue  allgemein  gekennzeichnet 
wird,  dargestellt  (Fig.  37).  Die  Vorderansicht  zeigt  eine  Menschen- 
gestalt nüt  einem  Löwenkopf;  auf  diesem  sitzt  eine  Gans: 
auf  der  Brust  ist  ein  S  t  i  e  r  k  o  p  f  dargestellt.  Auf  der  Vorderseite 
finden  sich  wohl  Schriftzeichen  vor.  die  aber  einen  bis  auf  «cern  .  .« 
nicht  mehr  verläßlich  lesbaren  Text  aufweisen;  hingegen  sind  auf 
der  Rückseite  (Fig.  37b)  deutlich  von  oben  nach  unten  zu  lesen: 
»Radegast,  Beibog  (Belbocg*)  und  «Rjetra«.  also  etwa  in  der  Be- 

*)  kQk  schrieb  man  früher  am  SchluBe  eines  Wortes  ziemlich  allge- 
mein als  KCg«;  z.  B.  Krinnewecg»  (=  Rennweg  i.  J.  1259). 


deutiing :  K  r  i  c  y  s  li  e  r  r,  Überführe  r.  B  e  s  e  h  ü  t  z  e  r.  Diese 
drei  Qottnanien  sind  älinlieh  aufzufassen,  \\  ic  etw  a  Zeus  oder  Jupiter, 
deren    einheitiieher    Person    die    verschiedensten    Funktionen,    wie: 


Donnerer,  Beherrscher  der  Welt,  Beschützer  der  staatlichen   Ord- 
nung, Schirnier  des  Rechtes  u.  a.  übertrafen  waren. 

Man  nimmt  meist  an,  daß  diese  Statuetten  den  alten  Wenden 
als  Feldzeichen  dienten.  Diese  Verwendungsart  hat  jedoch,  wenig- 
stens in  unserem  heutigen  Sinne,  w  enig  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 


da  die  Figuren  kaum  20  cm  Höhe  erreiehteu,  uud  hatten  die  Aus- 
uehinungen  am  Boden  w ahrscheinlich  nur  den  Zweck  des  Erzerspar- 
nisses.  Hingegen  ist  es  glaubwürdiger,  daß  sie  eine  Art  Devotionalien 
oder  Talismane  waren,  welche  man  im  Kampfe  mit  sich  trug,  die 
aber  dann  an  einer  hervorragenden  Kultusstätte,  vernuitlich  in  einer 


Art  Schatzkanmier.  anaUig  wie  dies  z.  B.  in  Maria  Zell,  Lourdes. 
Czenstochau,  Kazanj  u.  a.  der  Fall  ist,  aufbewahrt  wurden.  —  Hiebei 
fällt  es  auf,  daß  es  sich  hier  schon  durchwegs  um  symboHsierte  Dar- 
stellungen der  Eigenschaften  von  Hoheitspersonen  handelt  und  nicht 
mehr  um  das  menschliche  Original  selbst,  was  nur  beweist,  daß 
zwisclien  der  Zeit  des  irdischen  Wandels  des  Originals  und  dessen 


bürgerlich-kriegerischer  Benennung  bis  zu  dessen  Qottwerdung,  ja 
bis  zur  völligen  Transsubstantation  in  attributive  Symbole  eine  sehr 
bedeutende  Epoche  liegen  muß.  Hingegen  haben  andere  «Radegast«- 
Figuren  derselben  Sammhuig  noch  menschliche  Gesichtszüge;  ja 
ein  anderer  »Radegast«.  wie  ihn  Saxo  Grammaticus  bildlich  über- 
liefert hat.  Aveist  \\ohl  auch  die  Attribute  des  Stierkopfes  und  der 
Gans  auf,  zeigt  aber  sonst  eine  proportionierte  kräftige  Mannes- 
gestalt, die  überdies  mit  einer  Hellebarde  ausgerüstet  ist  (Fig.  38).''0 

Die  erwähnten  wGötzennamen«  beglaubigen  von  neuem  die 
vorausgeschickte  Entstehung  der  Hoheitsbegriffe,  denn  die  «Götzen « 
von  Rhetra  geben  uns  nur  Wiederholungen  von  längst  bekannten 
Namen  der  alten  militärischen  Hierarchie,  wie:  vod.  vodia.  \odaka. 
heibog.  cernibog,  mita,  svantc\'iti  u.  ä.  — 

Es  ist  hier  wühl  nicht  der  Platz  für  eine  ausführliche  Bespre- 
chung der  Altertümer  zu  Rhetra,  innnerhin  sei  aber  an  dieser  Stelle 
Folgendes  zur  Klärung  der  gangbaren  Ansichten  über  jene  nieder- 
gelegt. —  Vor  allem  ist  der  Begriff  «Rhetra«  (auch  «Rethra«),  wo- 
runter man  ausschließlich  eine  Stadt  N-erstehen  will,  richtigzustellen, 
denn  dem  anlautenden  R  folgt  kein  stummes  «h><  (als  Rune)  sondern 
ein  halbtönendes  «j«  (bezw.  «i«),  denn  auf  einer  anderen  Figur  der- 
selben Provenienz  ist  noch  die  Schreibweise  «Rietra«  angewendet, 
ein  Beweis,  daß  die  Entstehung  der  Figuren  gar  nicht  aus  gleicher 
Zeit  und  von  gleicher  Hand  stammen  muß,  sondern  daß  sie  nur  eine 
Sammlung  verschiedener  Weihobiekte  bilden.**)  Aber  auch  Tiethmar 
v.  Merseburg  (t  975)  wie  Adam  v.  Bremen  (t  1076)  schreiben  den 
Namen  schon  nicht  mehr  phonisch  richtig;  ja.  sie  wußten  damals 
schon  nicht  mehr,  daß  die  Aufschrift  «Rhetra«  auf  den  Statuen  eine 
Hoheitsperson  oder  (jottheit  bezeichne.  Hingegen  erzählt  aber  Tieth- 
mar, daß  im  Gau  der  «Redarier«  eine  Burg,  namens  «Ridegast«  ge- 
standen sei,  was  jedoch  wieder  zeigt,  daß  dies  zuerst  nur  eine  Kenn- 
zeichnung für  einen  Verteidigungspunkt  bezw,  dessen  Befehlshaber 

'■)  Dieses  Bild  findet  sich  aber  schein  in  Conrad  Butlui's  «Chrnneken 
der  Sassen  aus  dem  .lalne  ll.l?;  wolier  sie  wieder  dieser  hatte,  weiß  man 
weiter  nicht. 

**)  Die  Schreibweise  »Rhetra«  eiitstamnu  nur  der  falschen  Lesung  des 
altslavischen  Schriftzeichens  «H«.  das  aber  niclit  als  «li»  sondern  als  «i« 
galt.  — 


war.  später  aber  zum  ansscliließlichen  Oottesbegriffe  imigewertct 
wurde.  Hiezu  bildet  aber  gerade  der  Name  »Rjetrax  ein  .Analogoii. 
Es  gab  einst  bestimmt  eine  als  Zufluchtsstätte  hergerichtete  Höhe 
und  Ansiedlung  in  jener  Gegend,  die  «Rjetra  hieß,  denn  daselbst  be- 
finden sich  tatsächlich  noch  immer  der  »Rhetrerberg«  sowie  die 
Wälle  der  «Rhetrerberge».  —  Übrigens  gebrauchen  wir  fortifika- 
torische  Begriffe  dieses  Stammes  noch  heute,  denn  imser  «redan« 
(=  sägeartiges  Befestigungswerk),  xredoute«  (=  Schreckschanze) 
und  «reduit«  (=  enger  befestigter  Raum)  sind  in  jeder  Hinsicht  ver- 
wandte technische  Bezeichnungen.  Die  «Redarieri-  waren  sonach  die 
Wächter  und  Verteidiger  solcher  Punkte,  und  versteht  der 
Südslave  unter  «redarx  noch  immer  den  Schutz-  oder  Wach- 
mann. Der  höchste  Befehlshaber  wurde  aber  mit  der  Zeit  zum 
Heroen  «Rjetra«  (=  Befreier.  Erlöser.  Retter),  wodurch  es  klar 
wird,  weshalb  «Rjetraic  auf  den  genannten  Skulpturen  fortgesetzt 
mit  anderen  zweifellos  slavischen  Qötzennamen  vermischt  vor- 
kommt, es  sonachindiesem  Milieu  absolutkcinOrts- 
n  a  m  e  sein  k  a  n  n.") 

Daß  sonach  die  Slaven  in  Süden  wie  Norden  die  Runenschrift 
kannten  und  sich  derselben  bedienten,  darüber  kann  kein  Zweifel 
mehr  bestehen,  und  zeugen  hiefür.  wenn  man  schon  den  alten  Schrift- 
stellern, wie  z.  B.  Adam  von  Bremen,  nicht  glauben  will,  doch 
die  noch  sichtbaren  Rimendenkmäler.  dennesgehtdochnicht 
weiter  an  alle  diese  Belege  immer  kurzweg  und 
ausschließlich  als  Fälschungen  zu  brandmarken, 
um  sie  unter  dieser  Prämisse  als  B  c  w  c  i  s  o  b  i  e  k  t  e 
dauernd  fernhalten  zu  wollen!  — 


')  In  inilit;irjscher  Hinsicht  erw  iihnensw  ert  ist  noch  das  Attribut  der 
Oans.  die  allen  narstelhmiten  des  -Radegast«  bcigeKeben  ist  —  Die  (laus 
ist  außerordenthch  empfindlich  jjetcen  ungewohnte  nächtliche  Geräusche  und 
gibt  ihre  Empfindungen  durch  ein  andauernd  bedächtiges,  jedoch  mit  der 
fortschreitenden  Gefahr  zunehmendes  Gackern  kund.  Es  scheint  nun.  daß 
dieser  \ogel  einst  den  \\achdienst  in  Eortifikationen  gegen  nächtliche  Über- 
fälle ergänzen  mußte,  nachdem  der  Mensch  hiezu  doch  nicht  vollkommen 
verläßlich  ist.  der  Hund  jedoch  seinen  Dienst  zu  lärmend  besorgt.  Die  Gänse, 
welche  das  Kapitolium  durch  ihr  Geschnatter  vor  dem  iJberfalle  durch  die 
Gallier  retteten,  dürften  daher  eine  bewußte  Ergänzung  des  Festungswach- 
dienstes in  Rom  gebildet  haben.  —  Ob  sich  sonstwo  in  der  Kriegsgeschichte 
eine  ähnliche  Bestätigung  vorfindet,  ist  nur  bisher  nicht  aufgefallen. 


Man  saRt  überdies,  dal.i  zum  mindesten  die  Schrift  bei  den 
Rhetra-Statuetten  eine  spätere  Zutat  sei,  weil  sie  sich  so  gut  leser- 
hch  erhalten  habe;  doch  auch  dieses  ist  natürlich  erklärbar,  denn 
der  Graveur  oder  Runenschneider  hat  sich  zur  Anbringung  der 
Schrift  eben  die  glattesten  Stellen  ausgesucht,  da  es  sich  dort  leichter 
graviert,  wie  über  Falten;  solche  Stellen  unterliegen  aber  auch  we- 
niger der  Oxydation,  da  sie  meist  stärker  gehalten  sind  als  die  ein- 
oder  ausspringenden  Flächenteile;  es  ist  sonach  auch  die  Annahme 
für  die  teilweise  Fälschung  nicht  begründet.  — 


Die  Riiiienalphabetdenkmäler. 

Man  glaubt  allen  Ernstes,  daß  viele  Runendenkmäler  lediglich 
Runenalphabete  darstellen,  welche  man  daher  nach  ihren  Anfang- 
lauten als  «fudark«  kennzeichnete.  Nun  ist  aber  diese  Annahme  an 
sich  höchst  unnatürlich,  denn  daß  jemand  einen  Grabstein  zur  Fibel 
machen  A\ird,  oder  daß  man  auf  Münzen,  wie  auf  den  sogenannten 
Brakteaten  vor  Tiörkö  und  Vadstena,  —  eigentlich  sind  diese  schon 
als  Frauenschmuckmünzen  anzusehen  — ,  auf  denen  im  Mittcischilde 
auch  eine  heraldische  Figur  angebracht  ist.  ein  Alphabet  einge- 
graben haben  wird,  ist  auch  höchst  unwahrscheinlich.  Übrigens  ent- 
wciret  sich  «fudark«  als  Alphabet-.Analogon  durch  «Wodan"s  Runen- 
kunde«  der  Edda  selbst,  denn  keine  Sprache  hat  zwei  grundver- 
schiedene Alphabete  in  denselben  Schriftzeichen;  außerdem 
werden  in  einem  Alphabete  von  16  oder  18  Buchstaben  nicht  z.  B. 
zwei  «a«-Laute  aufgenommen  sein,  wie  hier;  jedoch  am  beweiskräf- 
tigsten ist  die  Lesung  dieser  Aufschrift  selbst,  die  ohne  spitzfindige 
Lautänderungen  auf  dem  Brakteat  vom  Tjörkö  besagt:  uvudjar  y 
hnias«,  also:  Führer  und  Fürs  t.*)  -  -  Es  ist  kaum  anzunehmen, 

')  Ich  fühle  wohl,  daß  der  Leser  gerne  an  dieser  Stelle  behufs  Nach- 
prüfung der  gebotenen  Runentexte  die  nötigen  Runenalpliabete  beigegeben 
finden  würde,  doch  ist  dieses,  abgesehen  von  der  Verteuerung  des  Werkes 
und  dem  Umstände,  daß  ja  Faulmann  («Das  Buch  der  Schrift»),  Kollär,  W. 
Orimm,  Wimnier,  Frisch  u.  a.  eine  melirw  eniger  entsprechende  Orientierung 
bieten,  schwer  durchzuführen,  da  die  Runen  ebenso  von  jedermann  indivi- 
duell angewendet  wurden,  wie  sich  ja  auch  unsere  Handschriften  bei  glei- 
chem Texte  niemals  gleichen,  es  daher  auch  eine  Anzahl  von  Buchstaben- 
formen gibt,  die  für  die  bildliche  Darstellung  sehr  viele  Tabellen  erheischen 
würden.  — 


dal.-l  it  iMünzen  mit  der  Absicht  und  dem  Nebeiiz\\  ecke  geprägt  wur- 
den,  um  auf  diesem  Wege  die  Schriftkunde  zu  popularisieren,  denn 
jeder  Münzherr  hat  bis  jetzt  auf  seinen  Münzen  ausnahmslos  nur 
entweder  seinen  Namen,  seinen  Titel,  sein  Bild,  sein  ^^'appen,  eine 
Allegorie  oder  die  Wertzifier  der  Münze  ersichtlich  gemacht,  abge- 
sehen davon,  daß  sich  einst  die  Münzen  schließlich  auch  in  den  Qeld- 
säcken  der  Reichen  vereinigten,  die  meisten  Menschen  sonach  kul- 
turell davon  nichts  haben  konnten. 


Es  handelte  sich  hier  durchaus  nicht  darum,  gleich  alle  Runen- 
denkmäler mit  Hast  und  üew  alt  entziffern  zu  wollen,  vielmehr  soll 
hiemit  nur  wieder  der  Beweis  erhärtet  werden,  daß  die  Slavcp 
u  n  m  ö  g  1  i  c  h  E  i  n  w  a  n  d  e  r  e  r  s  i  n  d.  Allerdings  wollte  ich  nebst- 
bei  hiemit  den  Runenschrift-Interessenten  den  Wink  geben,  es  mit 
der  Enträtselung  auch  einmal  auf  slavischer  Sprachbasis 
zu  versuchen,  zumal  alle  Exkurse  in  andere  Sprachgebiete  bisher 
negativ  endeten. 


Dichtung  und  Wahrheit  in  der 
Wissenschaft. 


In  der  w  isscnscliaftUchen  Deutiiiii;'  vieler  NaturvorKäii^fe  findet 
man  oftmals  eine  Interpretation,  die  sich  nur  durch  die  konstant  ur- 
teillose, Ktdani<enträge  Nachbetung  konsolidieren  konnte,  welche  aber 
schon  einer  einfachen,  ungezwungenen  und  ungekünstelten  Nach- 
|irüfung  sofort  weicht,  wie  der  Morgennebel  der  Sonne.  —  Nachste- 
hend werden  einige  solche,  schon  zu  Axiomen  gewordene  Satzungen 
erwähnt,  um  paralelle  Beweise  vorzuführen,  daß  auf  die  nämliche 
Art,  Mie  die  Vorstellungen  von  der  alten  Barbarei,  der  Entstehung 
der  Rassen,  der  Keligionssysteme,  der  Pfahlbauten  u.  a.  eine  ab- 
schliefknde  Erklärung  gefunden  haben,  die  aller  logischen  Naturvor- 
gänge spottet,  auch  die  geschichtlichen  Konklusionen 
über  die  V  ö  1  k  c  r  w  andern  n  g.  das  Auftreten  der  S  1  a- 
\'  e  n  auf  de  r  W  c  1 1  b  ü  h  n  e.  ja  die  g  a  n  z  e  c  t  li  n  o  g  r  a  p  h  i- 
s  c  h  e  Wissenschaft  des  Altertums  zum  großen  T  e  i- 
1  e  n  i  c  h  t  s  w  e  i  t  e  r  a  1  s  P  h  a  n  t  a  s  i  cg  c  b  i  1  d  c  s  i  n  d,  w  e  I  c  h  e 
w  o  li  1  D  i  c  h  t  e  r  n  a  1 1  e  E  h  r  e  m  a  c  h  e  n.  a  b  e  r  h  e  i  d  e  r  S  u  c  h  e 
nach  der  Wahrheit  schonungslos  ausgeschaltet 
w  e  r  d  c  n  m  ii  s  s  e  n. 

So  dürfen  wir  uns  schon  einmal  in  Bezug  auf.  unsere  Kultur- 
fortschritte nicht  \'on  einem  Orößenwahne  befangen  lassen,  denn  der 
Einfluß  der  Kultur  auf  die  Massen  ist.  namnitlicli  in  ethischer  Bezie- 


hung.  kein  so  tiefgreifender,  daß  wir  von  profunder  Umwertung  der 
Erziehungserfolge  sprechen  konnten,  und  obwaltet  in  den  ärmsten 
Klassen,  dann  in  den  von  Kulturzentren  entfernten  Gegenden  noch 
heute  ein  Zustand,  der  von  dem  vorgeschichtlichen  gar  so  wesentlich 
nicht  abweichen  kann:  ja  der  natürliche  Kunstsinn,  der  dem  urwüch- 
sigen Bewohner  innewohnt,  ist  entschieden  im  Rückschritte,  weil 
sein  Bedarf  durch  die  billigere  Massenerzeugung  der  Stadt  weniger 
mühevoll  wettgemacht  werden  kann.  —  Betrachten  wir  uns  nur  den 
in  der  Einöde  wohnenden  Herzegowzen  oder  Albanen  ärmster  Ka- 
tegorie! —  Alle  Kulturgegenstände,  die  wir  in  alten  Gräbern  finden, 
besitzt  er  auch;  die  vitalen  Bedürfnisse  als:  Milch  und  Fleisch  bieten 
ihm  die  paar  Ziegen  und  Schafe;  in  einer  Karstdoline  wachsen  auch 
einige  Krautköpfe  —  sein  Gemüse  — ,  die  meist  der  Überwinterung 
im  Freien  Trotz  bieten;  aus  der  Wolle  seiner  Haustiere  erzeugt  er 
sich  selbst  seine  Kleidung  und  färbt  sie  mit  echten,  sehr  haltbaren 
Naturfarben;  die  Kleider  sind  im  Sommer,  den  Wärmegesetzen  ent- 
sprechend, fast  durchwegs  weiß  und  meist  tadellos  rein  gehalten: 
von  einem  Nacktgehen  ist  keine  Rede;  die  Bekleidung  richtet  sich 
ganz  nach  der  Jahreszeit  und  dem  Klima;  daß  er  dabei  praktischer 
und  hygienischer  vorgeht,  als  der  Kultumiensch,  darüber  ist  kein 
Zweifel,  denn  er  bleibt  dabei  gesund,  weil  er  sich  konstant  der  Natur 
anzupassen  trachtet.  Er  genießt  keine  schädlichen  Getränke,  lebt  sehr 
mäßig;  kennt  weder  Diebstahl  noch  geschlechtliche  Ausschweifun- 
gen; er  baut  sich  selbst  seine  Hütte  und  erzeugt  sich  selbst  seine 
Hausgeräte;*)  sogar  sein  Musikinstrument  ist  samt  Besaitung  meist 
sein  eigenes  Fabrikat.  Er  besitzt  hohen  Familiensinn;  bei  Krankhei- 
ten bedarf  er  weder  des  Arztes  noch  der  Apotheke,  und  seine  Haus- 
arzneimittel sind  durch  viele  Jahrhunderte  wohlerprobt,  wenn  sie 
auch  dem  Ferncsteliendcn  wie  Roßkuren  aussehen.'*)  —  Er  kennt 

')  Ks  mangelt  uns  heute  meist  die  VorstelluiiK,  wie  ieniand  aus  einem 
Handstücke  Syenit,  Jadeit,  Nephrit  oder  Eklogit  eine  Axt  mit  der  Aus- 
nehinung  für  die  Handhabe  ohne  mechanische  Hilfsmittel  herstellen  könnte: 
diese  \'orstellung  ist  aber  deshalb  eine  falsche,  weil  wir  dem  Urmenschen 
keinen  Hausverstand  und  praktischen  Sinn  zumuten,  daher  glauben,  daß  er 
keine  niechanisch-technischen  Vorteile  kannte,  was  eben  ein  Trugschluß  ist. 
"")  So  wird  z.  B.  der  Scharlach  bei  Landleuten  folgend  behandelt: 
seknetener  Töpierton  wird  teisartig  ausgewalkt  und  das  fiebernde  Kind  in 
denselben  eingepackt.  Hat  die  Hitze  den  Teig  hart  getrocknet,  so  wieder- 
holt man  die  Prncedur.  bis  das  Fiber  aufhört.  Nach  drei  Tagen  wird  angeb- 


287 


keine  Frömmelei;  sein  Gebet  ist  äulierst  l\urz:  Totscliläse  oder  ]V\or- 
de  sind  eine  jjroße  Seitenlieit  tmd  gehen  meist  aus  religiösem  Fana- 
tismus cder  den  Begriffen  über  die  Blutrache,  nie  aber  aus  der  Hab- 
gier oder  Aikoholwirkung  hervor.  —  Kretins  sind  eine  grofk  Selten- 
heit, ebenso  Krüppel;  allerdings  stoßt  das  Naturleben  alle  jene  Ob- 
jekte vom  Leben  aus.  welche  den  nötigen  Widerstand  nicht  auf- 
weisen können.  —  Und  dieses  alles  ohne  Schule!  Und  doch  ist  der 
Naturmensch  mit  einem  großen  Mausverstande  begabt  und  besitzt 
einen  Stolz  und  ein  Selbstbe%\ußtsein.  die  aber  durchaus  in  keinem 
Mißverhältnisse  zu  seiner  Situation  stehen,  denn  er  ist  einmal  ein 
freier  Mann  seiner  Berge  und  fühlt  sich  stets  als  Krieger,  daher 
auch  seine  große  Liebe  zu  schönen,  prunkhaft  verzierten  Waffen, 
da  er  außer  Ffause  stets  in  voller  Manneswürde,  also  reich  bewaffnet, 
auftritt.  —  Und  welcher  bewunderungswürdige  Naturkunstsinn  ist  in 
diesem  Volke  geborgen,  Axas  uns  in  beschämender  Weise  dessen  Er- 
zeugnisse an  herrlichen  Spitzen,  schöngemusterten  Teppichen,  feinen 
Schafwollgew  eben  (bez)*)  und  stilvollen,  der  klassischen  Ornamen- 
tik gar  nicht  nachstehenden  Muster  bei  Einlegearbeiten  dartun,  denn 
alles  dies  ist  aus  dem  kräftigen  Natursinne  für  Schönheit,  Ebenmaß 
und  Zartheit  ohne  Fachschulen,  Wanderlehrer,  Museen  und  Aus- 
stellungen hervorgegangen.  —  Der  Urmensch  kannte  auch  die 
Schrift,  also  lesen  und  schreiben,  wie  uns  die  alten  Steine  und  Funde 
\on  Metallgegenständen  beweisen;  wir  kennen  wohl  die  Hierogly- 
phen und  die  Tonbibliothek  von  Babylon,  sind  aber  heute  leider  noch 


lieh  jedes  Kind  gesund  ohne  weitere  Folffeerscheinuiisen,  die  den  Scharlach 
zu  begleiten  pflegen.  Vielleicht  steckt  in  dieser  Heilmethode  doch  etwas, 
worin  dieselbe  der  modernen  voraus  ist;  zum  mindesten  ist  dies  ein  ver- 
kürztes Verfahren  bei  gleichem  Schlußerfolge. 

*)  Unter  Bez-Qeweben  versteht  man  die  zarten,  durchsichtigen  üe- 
webe  aus  Schafwolle,  oft  mit  Seidenfäden  durchzogen,  welche  aus  der  Haus- 
industrie am  Balkan  hervorgehen.  Der  Name  »bez«  ist  alt  und  sachlich  wie 
sprachlich  mit  »Byssos«  der  Alten  identisch,  worunter  man  kostbare  Ge- 
webe verstand;  die  römischen  Damen  übenützten  es  zu  Festkleidern  und 
Haarnetzen,  es  mußte  also  sehr  zart  und  durchsichtig  gewesen  sein.  —  Der 
Slovene  keinu  noch  die  «bize».  die  aus  der  Hausleinwand  erzeugte  w'eiße, 
weite  Hose  mit  Fransen.  (Bez,  vez  slav.  =  Gewebe,  Gebundenes.)  —  Ob 
bei  den  alten  Bjssos-Gew  eben  auch  Muschelseide  verwendet  wurde, 
ist  weiter  gegenstandslos,  denn  es  handelt  sich  stets  nur  um  die  technisch 
fertigen  Gewebe. 


—  2Wi  — 

nicht  so  weit  den  Inhalt  dieses  uns  Znnächsthegendcn  voll  enträtselt 
zu  \\'issen. 

f:s  jribt  nocli  heute  \'ölkerschaften.  die  nur  noch  den  Tausch- 
handel kennen.  Hingegen  erzählt  schon  Moses,  daß  es  bereits  zu 
.Abrahams  Zeiten  GeFd  und  Münzen  gab.  Der  jüdische  Geschichts- 
schreiber Josephus  behauptet  sogar,  dalJ  es  Geld  schon  vor  der  Sint- 
flut gegeben,  und  war  Kain  der  erste  Bergmann;  er  war  an  Eisen  und 
Kupfer  reich,  und  sein  Enkel  Tubal-Kain  habe  ihm  Rüstungen  und 
allerlei  Waffen  erzeugt;  letzteren  nennt  Moses  deshalb  auch  schon 
einen  Meister  in  allerlei  Erz-  und  Eisenerzeugnissen. 

Man  behauptet  auch,  daß  der  Urmensch  äußerst  abergläubisch 
war;  auch  dieses  erscheint  nicht  stichhältig,  denn  der  Urmensch,  der 
alles  natürlich  sieht,  erlangt  bald  die  Erklärung  über  etwas,  was 
ihm  die  jahrelange  Beobachtung  ununterbrochen  vor  die  Augen  stellt. 
Ich  erwähne  hier  nur  die  \'orkehrungen  des  Naturmenschen  gegen 
Blitzschlag,  der  nicht  erst  eines  Prokop  Divis  oder  Benjamin 
Franklin  bedurfte,  um  sich  einen  Blitzableiter  zu  konstruieren;  man 
pflanzte  sich  einfach  zu  seiner  Behausung  eine  Pappel,  Linde.  Fichte. 
Tanne,  Lärche  oder  Eiche  (niemals  eine  Buche,  weil  es  in  diese  er- 
fahrungsgemäß nicht  einschlägt),  damit  der  Blitz  durch  die  höhere 
Spitzenwirkung  von  der  Hütte  abgelenkt  werde.  Noch  in  meinen 
Knabenjahren  hörte  ich  bisweilen  die  Kritik,  ein  Bauernhaus,  das 
nicht  einmal  einen  hohen  Baum  als  Blitzschutz  besitze,  gelte  als 
vcrw  ahrlost  und  minderwertig.  —  Die  eigentliche  Anregung  zur  Kon- 
stiuktion  von  künstlichen  Blitzschutzvorrichtungen  dürfen  sich  die 
zwei  erwähnten  Erfinder  wohl  auch  aus  der  Beobachtung  der  kon- 
kreten Maßnahmen  des  Naturmenschen  geholt  haben.*)  Und  heute? 
Der  Wert  des  natürlichen  Blitzschutzes  durch  Bäume  hat  seine  tra- 
ditionelle Unterbrechung  erfahren  und  die  künstlichen  Blitzableiter 
schafft  man  sich  nicht  an;  bestenfalls  wird  gebetet,  wenn  ein  schwe- 
res Gewitter  losbricht.  —  Was  leisten  wir  aber  heute  in  der  »aufge- 

')  BiitzschiitzvorrichtunKeii  gebrauchten  aber  auch  schon  üie  Ägypter 
]5(M)  .lahre  v.  Chr.,  deiui  wie  die  Tcmpelauischriit  von  Kdfu  (Oberägypten), 
sowie  sonstige  Pjlonen-  und  Obeliskeiiinschriften  bestätigen,  brachte  man 
Blitzableitungsstangen  neben  und  Kupferspitzen  auf  den  Obelisken  an. 
um  so  die  Skulpturen  vor  der  Zerstörung  durch  Blitzschlag  zu  schützen.  — 
Ebenso  kannten  den  Blitzableiter  die  Irider  und  die  Juden,  wie  lic  '  ■ 
Schriften  erzählen. 


klärten«  Zeit  an  Aberglauben,  Kurpfuscherei,  (lesundbeten?  Die 
Wünschelrute  geht  noch  herum,  wie  im  finstersten  Mittelalter;  die 
Weissagung,  Ciieiromantie.  Sterndeuterei  und  das  Kartenaufschla- 
gen soll  noch  für  so  manchen  Charlatan  eine  eintragliche  Erwerbs- 
quelle bilden!  —  Wenn  unsere  Vorfahren  heute  aufstünden  und 
nur  die  Vcrw  ertung  des  W  e  1 1  e  r  1  ä  u  t  e  n  s  und  W  e  1 1  c  r- 
Schießens  beobachten  könnten !  Ihnen  w  aren  dies  noch  phonische 
Signale  für  die  Umwohner,  wenn  ein  feindlicher  Einfall  drohte;  heute 
soll  aber  irgendein  verrosteter  Mörser  mit  aufgesetztem  Schall- 
trichter Wunder  Nvirken  und  den  Hagelwolken  Halt  gebieten,  w  enn 
es  auch  naheliegend  ist,  daß  die  ganze  Artillerie  der  Welt  kaum  im 
Stande  ist,  einem  hohen  Wolkenzuge  auch  nur  eine  mikrometrische 
Derivation  zu  geben.  Und  solche  Ansichten  über  Naturvorgänge  und 
Naturkräftc  tragen  heute  ernsten  Charakter  in  den  Köpfen  der  «de- 
bildeten«,  und  verdunmien  das  sonst  natürlich  denkende  Landvolk. 

Der  Aberglaube  steht  ursächlich  mit  dem  Elend  der  ärmsten 
Volksschichten,  welche  sich  stets  eine  Umwälzung  zu  Besserem  auf 
mystschem  W(.ge  erhoffen,  im  organischen  Zusanmienhange;  der 
Naturmensch  bedurfte  jedoch  dieser  latenten  Erlösung  nicht,  da  er 
materiell  allzeit  glücklicher  situiert  und  dabei  weniger  verwöhnt 
war,  deim  er  besaß  vor  allem  seine  eigene  Hütte  und  eigenen  Boden, 
war  also  frei  und  unabhängig,  und  bot  ihm  die  Natur  im  Anschluße 
an  sein  eigenes  Zutun  auch  unentw  egt  das  notwendige,  wenn  auch 
äußerst  bescheidene  Existenzminimimi. 

Fragen  wir  uns  nun  auch,  ob  heute  wohl  ein  Prozent  dar 
ganzen  lebenden  Menschheit  die  Zusammensetzung  der  Bronze,  die 
Gewinnung  des  Eisens,  die  Herstellung  des  Glases  kennt;  die  eiser- 
nen Pflugscharen,  die  man  aus  dem  Laibacher  Moor  ausgegraben, 
zeigen  einen  unvergleichlichen  Fortschritt  gegen  den  heutigen  Bauer 
in  der  Herzegowina,  der  noch  jetzt  kein  Stück  Eisen  am  Pfluge  oder 
Wagen  kennt;  die  in  den  verschiedenen  Nekropolen  vorgefundenen 
Qürtelschießen  und  Situlae  mit  Reliefarbeiten  sind  weit  kunstvoller, 
als  sie  auf  dem  Balkan  heute  von  den  einheimischen  Gold-  und 
Silberschmieden  erzeugt  werden  können.  Wie  viel  Arzneipflanzen 
kannte  ein  jedes  Bauernweib  noch  vor  einem  Menschenalter,  die 
heute  nicht  mehr  ein  zünftiger  Pharmaceut  kennt;  die  (jeologie  ist 
oft  in  Verlegenheit  ein  Gestein  bestinmiter  Struktur  zu  determinieren. 

19 


—  2W  — 

aber  ein  alter  Winzer  weiß  hiefür  sehr  dctailHerte  Unterschiede  und 
nennt  alle  Abstufungen  der  Gesteine  seines  Weingartens  mit  zu- 
treffenden, altererbten  Namen,  die  aber  leider  schwinden,  weil  die 
Theorie  auf  allen  Linien  die  Praxis  verdrängt.  —  Auf  Morinje. 
einem  unheimlich  öden  Weidegebiete  in  der  Herzegowina,  findet 
man  alte  Gräbergruppen,  mit  &) — 70  Ein-Block-Qrabsteinen  in  sol- 
chen Dimensionen.  dalJ  jede  Erklärung  mangelt,  wie  diese  Kolosse 
hieher  geschafft  N\urden,  da  es  keinen  Fahrweg  gibt,  und  wer  sich 
hier  begraben  ließ,  da  nach  allen  Weltrichtungen  hinaus  viele  Kilo- 
meter weit  keine  Ansiedlung  anzutreffen  ist.  .A^ber  die  Erklärung 
hiefür  ist  eben  die,  daß  sie  aus  jener  Zeit  stammen,  als  die  Gegend 
noch  nicht  so  abgeholzt  und  kahl,  daher  begehrenswerter  war.*)  Der 
grimmigste  Feind  des  Waldes  war  wohl  der  Bergbau,  und  eben  diese 
wichtige  Kulturregung  trug  zugleich  den  Keim  des  eigenen  Verder- 
bens in  sich,  nachdem  für  die  Feuerung  der  Schmelzöfen  ledigl-ch 
Holzkohle  benützt  wurde,  daher  man  mit  den  Öfen  wanderte,  sobald 
in  einem  ge%\issen  Umkreise  das  Heizmaterial  aufgebracht  ^\■ar;  die 
Steinkohlenfeuerung  im  Montanbetriebe  ist  aber  noch  eine  relativ 
junge  Errungenschaft;  überdies  dachte  hernach  niemand  an  eine  ra- 
tionelle Wiederaufforstung,  daher  solche  Gebiete  zum  nunmehrigen 
Karstbilde  werden  mußten. 

Auffallend  ist  es  auch,  daß  die  meisten  montanistischen  Fach- 
begriffe sowie  die  zahlreichen  Daten  über  den  Bergbau,  so  schwierig 
auch  derselbe  ist.  ein  ehrwürdiges  Alter  aufweisen. 

Man  stößt  in  Obersteiermark,  Salzburg,  Kärnten  und  Tirol  auf 
ungezählte  alte  Bergbaue.  In  den  Mitterbergalpen  bei  Bischofshofcn 
sind  reiche  Kupfererzfundorte  vorhanden,  ^\•o  inan  noch  auf  alte 
Stollen  kam.  Auf  den  außen  sichtbaren  Halden  hat  man  festgestellt. 


'~)  Die  Ansicht,  daß  auf  diese  \\  eise  die  nBora«  (richtiger  «Bura«)  ent- 
stand, ist  eine  landläuiii;e  Fabel,  denn  sie  wird  schon  bei  Homer  als  der 
scharfe  Nordwind  '5  n  o  /  a  i.-  erwähnt,  welcher  aus  dem  unvermeidiiciien 
Ausgleiche  der  Luft  in  der  Alpenzone  mit  der  Seeluft  hervorgeht.  —  In 
den  waldlosen  Ebenen  Nordasiens  herrscht  gleichfalls  der  gefürchtete 
kalte  Wind,  Kburian«  genannt.  —  .Iciies  Morinje  wurde  aber  einstens  als 
Grenzgebiet  auch  gut  gesichert,  denn  dies  beweisen  eben  die  niilitär- 
technischen  Namen :  Pandurica.  Djevojacko-.  Svatovsko  grebije  u.  a.  da- 
selbst: an  diesen  Punkten  fanden  einst  blutige  Künipfe  statt,  aus  welcliem 
Grunde  auch  die  Grab-Monolithe  zum  groMen  Teile  Skulpturen  kriegerischer 
Richtung  zur  Schau  tragen. 


291 


daß  hier  der  Bergbau  auf  einer  Höhe  vun  15UU  ni  betrieben  wurde; 
außerdem  öffnete  man  hier  viele  Gruben,  deren  Verhaue  nicht  einjjc- 
stiirzt  sind,  in  denen  man  noch  die  Schlögel-  und  Eisenarbeit  ersehen 
kann.  In  diesen  Verhauen  hat  man  nicht  nur  vom  Gestein  mit  Kraft 
abgesonderte  Erzkhimpen  gefunden,  sondern  auch  eine  Anzahl  von 
Kienfackehi.  Holzbühnenbestandteile,  hölzerne  Tröge,  kupferne  und 
bronzene  Schlögel,  w  eiche  von  den  einstigen  Bergleuten  herrühren. 
Es  sind  sogar  Steingeräte  zum  Vorschein  gekommen,  die  zum  Auf- 
bereiten der  Erze  gebraucht  \vurden.  —  In  der  Nähe  der  Gruben 
sowohl  wie  auch  entfernt,  in  der  Mitte  des  Waldes,  stößt  man  auf 
Ruinen  von  Schmelzöfen:  auf  einem  Platze  fand  man  einen  ganz 
wohlerhaltenen  Schmelzherd.  —  In  den  hohen  Tauern  kamen,  als 
ein  Gletscher  teilweise  abschmolz,  an  der  Stelle  Ruinen  von  Knap- 
penhäusern und  alten  Bergwerkstollen  zum  Vorscheine. 

Die  außerordentlich  reichen  Funde  an  Gold-.  Bronze-  und  Eisen- 
gegenständen aus  der  prähistorischen  Zeit  bestätigen  daher  direkte, 
daß  der  Bergbau  einst  ganz  bedeutend  gewesen  sein  muß.  daß  die 
Kenntnisse  der  Metallmischimgen  (Bronze),  die  Zubereitung  der  Roh- 
stoffe, die  technische  Gew  andtheit  und  Vielseitigkeit  in  den  Mustern. 
die  Modellierkunst  (z.  B.  Strettweger  Opferwagen.  Nordendorfer 
Schmuck)  auf  einer  hohen  Stufe  standen.*) 

Das  sattbekaiintc  Bezweifeln,  als  hätten  die  alten  Bewohner 
unseres  Erdteiles  —  ausgenommen  die  Griechen  und  Römer  —  keine 
eigene  rechtschaffene  Kultur  besessen,  ist  eine  natürliche  Ungerech- 
tigkeit, denn  jede  Kultur  ist.  sobald  sie  diesen  Namen  trägt,  nichts 

■)  Eine  vermutlich  mehrere  Tausend  Jahre  alte,  im  (iräherielde  zu 
Watsch  (Krain)  gefundene  Schußverletzung  zeigt  uns  bereits  die  einstige 
geniale  Erfindungsgabe  in  der  Konstruktion  wirksamer  und  gefährUcher 
Waffen.  Dort  wurde  ein  Oberschenkelknochen  ausgegraben,  in  welchem  auf 
2'5  cm  eine  dreikantige,  mit  grüner  Patina  bedeckte  Bronzepfeilspitze  einge- 
keilt war.  Das  Projektil,  rückwärts  mit  einer  runden  Öse,  anscheinend  zum 
Mineinstecken  des  l^ieilschaftes  versehen,  durchschlug  glatt  die  Knochen- 
rinde und  ragt  in  die  Markhöhle  hinein.  Das  glatte,  nicht  splitternde  Durch- 
schneiden des  Knochens  zeigt  einerseits  von  der  großen  Durchschlagskraft 
und  der  enormen  .Anfangsgeschwindigkeit,  andererseits  aber  auch  von  einer 
der  modernen  Präzisionsarbeit  ebenlnirtigen  .Ausführung,  denn  die  Spitze  ist 
haarscharf  und  nirgends  deformiert  oder  scl;artig.  weil  das  Geschoß 
s  c  li  o  n  nach  .Art  unserer  S  t  a  h  1  b  r  o  n  z  c   gehärtet  w  a  r. 

19* 


weiter  als  eine  Sammlung  des  Kulturschuttes  aus  allen  Zeiten  und 
Welten,  welche  umsobesser  ausfällt,  je  größer  die  Auswahl  und  je 
rigoroser  die  \\  ahl  ^\ar. 

Es  darf  uns  daher  nicht  befremden,  daß  z.  B.  die  alten  Völker 
des  Alpengebietes  in  der  Gewinnung  des  Eisens  sehr  bewandert 
waren,  wenn  wir  lesen,  das  selbst  bei  afrikanischen  Negerstämnien 
eine  eigene  Eisenindustrie  vorgefunden  wurde,  die  es  auch  verste- 
hen in  primitiven,  kegelartigen  Lehmgebilden  das  Brauneisenerz 
zweckentsprechend  zur  Schmelze  zu  bringen.  Desgleichen  ist  es  fest- 
gestellt, daß  die  Herstellung  des  Eisens  zu  Stahl  schon  längst  vor 
unserer  Zeitrechnung  bekannt  war,  und  wenn  (nach  der  Genesis) 
Tubalkain  als  der  Stammvater  der  Schmiede  gilt,  so  muß  doch  der 
Bergbau  und  die  Kenntnis  eines  wenigstens  primitiven  Hochofen- 
betriebes unbedingt  w  eit  \orausgegangen  sein. 

Es  ist  aber  auch  Tatsache,  daß  viele  Schriftsteller  die  Slaveii 
als  die  ältesten  Bergleute  in  Europa  bezeichneten,  und  bringe  ich 
hier  nur  jene  Stellen  an,  die  schon  Jan  Kollär  in  seinen  «Erklärungen 
zu  SIävy  dcera«  (1S32)  älteren  deutschen  Schriftstellern  entnommen 
hat.  So  sagt  Henze  (Gesch.  des  Fränkischen  Kreises,  p.  96):  «Früh- 
zeitig legten  sich  die  Slaven  auf  den  Bergbau.  Die  ergiebigen  unga- 
rischen Bergwerke  wurden  von  ihnen  erfunden,  die  böhmischen  er- 
hoben sich  jedenfalls  sehr  bald,  und  unsere  Voraltcrs  in  ausnehmen- 
der Blüte  gestandenen  Bergwerke  stanniien  wahrscheinlich  \on 
ihnen  her.  Weil  die  Sla\  en  die  ersten  waren,  welche  sich  mit  dem 
Bergbau  vorzüglich  beschäftigen,  sind  noch  so  viele  slavische  Wör- 
ter im  Bergbau  gebräuchlich,  als:  Flötz.  Kuks,  Kies.  Kipricht. 
Schacht.  Schwaden.  Kobalt,  Schicht.  Seiffen.  Späth.  Stollen.  Meiler 
u.  s.  w.K  —  Herder  (Ideen.  T.  IV.  1792,  p.  37)  sagt:  «In  Deutschland 
trieben  die  Slaven  den  Bergbau,  verstanden  das  Schmelzen  und 
(jießen  der  Metalle«.  —  Adelung  (Vorw.  zu  Thanis  böhm.  Lex.  Prag 
178S,  p.  5)  schreibt:  «Wir  finden  den  Bergbau,  die  Handlung  und 
■nanche  mechanische  Arbeiten  bei  den  Slaven  sehr  frühe  im  (jange 
i'.nd  zwar  früher  als  in  dem  mittleren  und  nördlichen  Deutschlande, 
welches  sich  nicht  schämen  darf,  manches  in  diesem  Stücke  \on 
den  Böhmen  erlernt  zu  haben.  In  dem  südlichen  Deutschland  ist  der 
Bergbau  unstreitig  ein  Überbleibsel  der  römischen  Kultur;  allein  in 
dem  mittleren   und  nördlichen   ist  er  allein   Ansehen  nach   ein   Ab- 


köiiimling  der  Slavisclien«  —  Isis  (18X2,  Heft  5.  p.  1)  führt  an:  »Cie 
Slavcn  taten  sich  sehr  frühzeitig  im  Berg-  und  Hüttenwesen  hervom. 

Diese  Urteile  deutscherseits,  die  meist  nicht  weiter  diircli  ein- 
leuchtende Beweise  fundiert  sind,  seien  nastehend  als  berechtig  dar- 
gelegt. Vor  allem  haben  alle  Oebirge  Europas,  sow  eit  sich  deren  Ety- 
mologie verfolgen  läßt,  slavisclien  Ursprung  und  sind  gerade  jene 
Gegenden,  welche  einst  Berg-  und  Hüttenwerke  hatten,  umso  reicher 
an  slavischen  Namen  topographischer  Richtung.  Man  vergleiche  nur 
die  erzführenden  Gebirge  in  Siebenbürgen,  Nordungarn,  Schlesisn, 
Böhmen,  Steiermark.   Tirol,  Schweiz,  Pyrenäen.  Apeninnen  u.  s.  w. 

—  Einen  weiteren,  sehr  massiven  Beleg  gibt  die  Prüfung,  ob  die 
bergtechnischen  Begriffe,  wie  sie  zuvor  angeführt  wurden,  tatsächlich 
slavischer  Genesis  sind,  w  as  aber  zutrifft,  denn  der  Slave  hat  für 
jeden  Begriff  den  lautlich  verwandten  w  e  i  t  k  ü  r  z  e  r  e  n,  daher  pri- 
mären Ausdruck,  wohingegen  der  römische  und  deutsche  im  Wege 
der  Übernahme  und  Anpassung  länger  geworden  ist  imd  meist  schon 
durch  imgewöhnlichen  Klang  das  Stigma  des  Fremden  an  sich  trägt. 

—  So  wurde  aus  dem  Slavischen  »cad»  (=  verdorbene  Luft)  das 
vom  Plinius  II.  (Historia  naturalis  1.  XXXIV)  erwähnte  «cadniium« 
im  Deutschen  zu  iSchwaden«;  der  scharlachfarbene  Traubenkobalt 
heifit  bei  Plinius  »brotrytis" ;  der  Slave  nennt  den  roten  Farbstoff 
"broc«:  «Scharsach"  ist  dem  Deutschen  der  weiche  Stahl,  dem  Sla- 
ven  «zarica«  d.  i.  das  Eisen  aus  der  Rotglühhitze,  aber  auch  »Schar- 
lachic;  das  «cassiteron«  gilt  schon  Homer  als  Helnmietall;  der  Kroate 
nennt  aber  den  Helm  "kacida«;  auch  die  Käferfaniilie  «Cassidae«  hat 
diesen  Ursprung,  nachdem  sie  sich  mit  ihrem  unverhältnismäßig 
großen  Halsschilde  den  Kopf  vollkommen  deckt:  «kok,  kolk«  (spr. 
kuk)  bedeutet  dem  Slaven  «einen  Teil  des  erzhaltigen  Berges,  d.  i. 
den  ideeilen  Anteil  an  einem  Bergwerke,  im  Deutschen  als  «Kuks« 
benannt:  zik,  deutsch  «Schicht«,  zeigt  eine  schwache  Erz-  oder 
Kohlenmächtigkeit  an:  «scoria«  (bei  Plinius)  bedeutet  Schlacke; 
im  Slavischen  bezeichnet  dies  die  K  r  u  s  t  e.  welche  sich  an  der  er- 
starrenden Schlacke  bildet:  sip  (=  Geschiebe)  d.  Seifen  u.  s.  w., 
alles  Begriffe,  denen  besonders  ein  sprachlich  gebildeter  Bergtech- 
niker nähere  Beachtung  widmen  könnte. 

Es  fällt  auch  auf.  daß  das  Rasieren  schon  eine  sehr  alte  Sitta 
ist.  luid  scheint  es  schon  in  uralten  Zeiten  Mode  gewesen  zu  sein,  die 


(iesichtsliaare  zu  entfernen.  Die  Marniorstatuc  des  babylonischen 
Königs  David,  der  nm  das  Jahr  4500  v.  Ch.  zu  Adab  regierte,  stellt 
denselben  glattrasiert  dar,  indes  die  Könige  um  das  Jahr  3000  v.  Chr. 
schon  mit  gekräuseltem  Barte  dargestellt  erscheinen.  Es  muß  also 
zu  jener  Zeit  schon  der  Stahl  bekannt  gewesen  sein,  wenn  die 
Haare  damals,  wie  dies  zum  Teile  bei  den  Orientalen  noch  heute, 
nicht  auf  chemisch-mechanischen  Wege  entfernt  wurden,  wogegen 
aber  dessen  Ausrüstung  mit  dem  Schwerte  spricht. 

Es  gibt  überdies  eine  Menge  anderer  Dinge,  die  sich  dem  unbe- 
einflußt beobachtenden  Laien  oft  wesentlich  anders  bieten,  als  sie 
wissenschaftlich  erklärt  werden.  Ich  führe  hier  nur  meine  Ansicht 
über  die  Pfahlbauten  an,  die  ich  bei  den  Studien  der  Bodenbe- 
schaffenheit in  verschiedenen  Gegenden  gewonnen,  und  glaube,  daß 
man  der  P  f  a  h  1  z  e  i  t  eine  bei  weitem  nicht  zukommende  Bedeutung 
seitens  der  Archäologen  zumißt,  weil  man  hauptsächlich  die  Moor- 
f  u  n  d  e  eingehend  studiert,  nicht  aber  die  Möglichkeiten  und  Prämis- 
sen, w  i  e  diese  Gegenstände  dahin  gelangt  sein  konnten.  Sobald  man 
aber  in  einem  Moore  eiserne  Pflugscharen,  Bronzeschmuck,  kera- 
mische Produkte,  Zerealien,  Hopfen  u.  ä.  findet,  muß  man  annehmen 
daß  die  «Pfahlbauern«  seßhafte  Leute  waren,  die  unmöglich  auf  dem 
Wasser  gelebt  haben  konnten,  und  halte  ich  folgende  Hypothese  für 
w'eit  natürlicher.  Wohnte  jemand  an  einem  See  oder  im  Inunda- 
tionsgebiete,  so  erbaute  er  sich  seine  Wohn-  und  Wirtschaftsge- 
bäude derart,  daß  er  dem  Hochwasserstande  zugleich  Rechntmg 
trug,  also  auf  Pfählen;  und  diese  erhielten  später,  durch  die  ^'er- 
änderungen  des  Wasserspiegels,  erst  den  Schein  von  Wasserbauten. 

Daß  der  Mensch  direkte  auf  dem  See  gewohnt  und  dort  den 
schwierigen  Pilotenschlag  ausgeführt  hätte,  ist  sehr  unwahrschein- 
lich, denn  schließlich  mußte  er  seine  Herden,  also 
seinen  Lebensnerv,  doch  auf  dem  Festlande  hab  cn. 
und  die  sogennanten  «Pfahlbauern«  w^aren,  wie  die  Funde  aufweisen, 
sowohl  Ackerbauer  als  Viehzüchter.  Daß  ^\•ir  aber 
heute  die  Phähle  unter  dem  Wasser  finden,  hat  einen  ganz  anderen 
Grund.  Alle  Seen  mit  Pfahlbauten  sind  von  Bergen  umgeben;  der 
Wasserspiegel  des  Sees  steigt  aber  allmählich,  wenn  ein  natürlicher 
Abfluß  nicht  vorhanden  ist.  weil  die  Erosionsprodukte  der  Atmos- 
phärilien, das  Alluvium,  den  Boden  des  Sees  stetig  heben:  der 
Mensch  mußte  daher  öfter  mit  seiner  Hütte  bergwärts  weichen  und 


sich  eine  neue  Unterkunft  schaffen.  Bei  allen  Naturvölkern  be- 
obachtet man  aber,  daß  sie  das  Material  der  alten  Wohnstätte  aus 
Aberglauben  wie  aus  praktischen  Gründen  (z.  B.  Wanzen)  nicht  mehr 
zum  Neubaue  verwerten;  so  z.  B.  in  der  Herzegowina;  entsteht  ein 
Hausbrand,  so  wird  —  auf  dem  Lande  —  gar  nicht  gelöscht;  die 
Ruine  bleibt,  wie  sie  aus  dem  Feuer  hervorging,  und  der  Besitzer 
siedelt  sich  nahe  davon  von  neuem  an;  daher  stammen  auch  am 
Balkan  die  auffallend  vielen  Hausruinen.  Wo  das  Baumaterial  teuer 
ist,  findet  es  allerdings  wieder  Verwertung;  hier  wird  es  aber  nie- 
mand beifailen.  die  festgekitteten  Bausteine  lösen  zu  w  ollen,  da  sich 
ja  neue  Bausteine  im  unangenehmen  Überflusse  daneben  befinden. 
ebesow  enig  wie  jemand  in  einer  holzreichen  Gegend  etwa  einen  tief 
im  Seegrunde  steckenden  Pfahl  ausgraben  wird,  da  er  sich  einen 
besseren  Ersatz  .w  eit  müheloser  im  nahen  Walde  verschaffen  kann. 
Auf  diese  Weise  ist  auch  der  Ihnstand  erklärlich,  daß  sich  im 
Lac  de  Chalain  (Jura)  der  Wasserspiegel  bereits  3  m  über  den  Pfahl- 
bauten befindet.  Im  Laibacher  Moore  sind  Einbäume  ausgegraben 
worden,  die  über  4  m  tief  lagen;  wie  soll  nun  ein  120  m-  unn'assender 
horizcntal  liegender  Kahn  anders  so  tief  gelangen,  da  er  doch  sicher 
als  Wasserfahrzeug  diente,  als  daß  er  seinerzeit  im  Wasser  gesunken 
und  später  durch  die  Veränderung  der  Wasserstandsverhältnisse  so 
hoch  mit  Torf  und  Moor  überdeckt  wurde. 

Der  verstorbene  bos.  herz.  Berghauptmann  W.  Radimsky  brachte 
in  den  «Wissenschaftlichen  Mitteilungen«  des  Landesnuiseums  in 
Sarajevo  unbewusst  für  diese  meine  Behauptungen  auch  durch  einen 
konkreten  Fund  die  orientierende  Bestätigung.  Er  schreibt:  "Im 
Jahre  1890  war  bei  Ruznici,  unterhalb  Ripac  (Bosnien),  ein  Kalktuff- 
katarakt, wie  solche  in  der  Una  häufig  vorkonnnen,  durchbrochen 
worden,  wodurch  bei  Ripac  ein  um  15  m  tieferer  Wasserstand  er- 
zielt und  den  häufigen  Überschw  emmungen  der  Ufergclände  ein  Ziel 
gesetzt  wurde.  Durch  diese  Melioration  verloren  aber  die  Mühlenbe- 
sitzer  von  Ripac  einen  Teil  ihrer  Wasserkraft,  und  um  diese  wieder 
zu  heben,  gingen  sie  daran,  einige  trockenliegende  Katarakte  ober- 
halb ihrer  Mühlen  zu  durchstechen,  wobei  unter  einer  stellenweise 
bis  1  m  mächtigen  Tuffschichte  ein  Pfahlbau  entdeckt  wurde.  Es 
scheint,  daß  wir  es  in  Ripac  nüt  einem  der  seltenen  alten  Flu  B- 
pfahlbaudörfer  zu  tun  haben,  denn  es  sind  nicht  nur  die  Pfahl- 
köpfe, sondern  an   einzelnen   Stellen  auch   die   Plattformen,  jedoch 


nur  bei  sehr  niedrigem  Wasserstande,  über  dem  Flußspiegel  siclitbar. 
Der  Wasserstand  muß  also  in  alter  Zeit  niedriger 
gewesen  sein  als  heute  und  eine  Anschwellung  des  Una- 
wassers  bei  Ripac  zu  einem  förmlichen  See  dürfte  damals  kaum  be- 
standen haben.  Aber  später,  als  sich  das  Flußbett  hob,  st'eg  arch  das 
umliegende  Inundationsterrain  in  gleichem  Maße,  weil  auch  der 
Fluß  sein  Bett  wechselte,  wie  eben  Grabungen  gezeigt  haben.  Der 
Pfahlbaugrund  weist  nämlich  an  einer  Stelle  oben  eine  15  m  starke 
Schichte  von  Lehm  und  Erde,  darunter  etwa  50  cm  Flußgerölle  und 
Kalktuff,  die  ^^•ieder  auf  einer  50  cm  starken  Kult\irschichte  lagern 
und  erst  unter  dieser  ist  fester  Untergrund.  An  einer  zw  eit;n  Stelle 
lag  unter  dem  50  cm  starken  Kalktuffe  schon  die  Kulturschichte  und 
darunter  der  gewachsene  Boden.  Die  schwarze  Kultursch'chte  be- 
stand aus  Holzkohle,  Asche  und  Schlamm;  die  große  Masse  der  Holz- 
kohlenstücke deutet  dahin,  daß  das  einstige  Pfahldorf  durch  Feuer 
zugrunde  gegangen  sei.  Die  Pfähle  sind  unten  zugespitzt;  sie  be- 
stehen ausschließlich  aus  Eichenholz  von  10 — 30  cm  Durchmesser 
und  sind  in  unregelmässiger  Abständen  von  0-5  —  _'  m  einge- 
rannnt.  Auch  die  an  mehreren  Stellen  noch  erhaltenen  Plattformen 
sind  aus  gespaltenen  Eichenstämmen  hergestellt.  In  der  Kultur- 
schichte, sowie  in  den  unteren  Partien  des  Tuffes  kommen  zwischen 
den  Pfählen  massenhaft  Tongefäßscherhen.  Hirschgeweihe,  Eber- 
zähne und  Tierknochen  \or. 

Man  muß  sich  nun  fragen,  w  ie  man  sich  die  Pfahlbauten  und  die 
Funde  daselbst  zu  erklären  habe.  Die  Antw  ort  ist  sehr  einfach  und  die 
Deutung  jedermann  sofort  einleuchtend.  Das  vermeintliche  F  I  u  ß- 
pfahlbaudorf  findet  man  an  der  Una  heute  in  ganz  gleicher 
Weise;  es  sind  dies  die  Mühlen  und  auch  Kaufläden  (ducani),  welche 
die  dortigen  Bewohner  auf  Pfählen  in  den  Fluß  hineinbauen;  die  Fuß- 
böden sind  aus  Eichenbohlen,  damit  sie  nicht  so  leicht  nachgeben  und 
vom  Wasser  nicht  so  bald  angegriffen  werden;  nunmt  heute  ein 
Hochwasser  die  Mühlen  und  Verkaufsbuden,  welche  übrigens  als 
Wohnstätte  gar  nicht  dienen,  fort,  so  bleiben  dieselben  Pfähle  und 
Plattformen  zurück,  und  wir  haben  ein  prähistorisches 
P  f  a  h  I  d  o  r  f  ni  o  d  c  r  n  e  r  E  n  t  s  t  e  h  u  n  g,  w  omit  sofort  der  phan- 
tastische Nimbus,  den  die  Gelehrten  der  Pfahlbauzeit  zugedichtet 
haben,  in  reale  Prosa  übergeht.  —  Der  Wechsel  der  Kulturschichte, 
welche  hier   direkte   auf   gewachsenem   Boden    liegt,   ist   eben    der 


Wanderung  des  Flußbettes  der  Una  zuzuschreiben  und  ist  dasselbe 
bei  ailtm  Flüssen  der  Fall,  denen  die  Uferforiiiation  eine  seitliche 
Bewegungsfreiheit  gestattet.  —  Ähnlich  sind  die  Verhältnisse  bei 
S  e  e  p  f  a  h  I  b  a  u  d  ö  r  f  e  rn.  Da  es  hier  keine  Mühlen  gibt,  können 
die  Pfähle  entw  eder  von  Uferschutzbauten.  Anlegerainpen  für  Kähne 
und  Boote,  Hütten  für  Reservevorräte  herrühren.  DalJ  aber  die 
\\  ohnstätten  selbst  auf  dem  Wasser  gewesen  wären,  ist  höchst  un- 
wahrscheinlich, sondern  die  Häuser  standen  aufkrhalb  des  Wasser- 
bereiches, und  zwar  so  hoch  auf  Pfählen,  als  es  empirisch  der  höchste 
Wasserstand  bei  Regenperioden  oder  Wolkenbrüchen  diktiert  hat. 
Sf)lche  \'orsorgen  waren  in  jenen  Gegenden,  wo  Ansicdlungen  in 
Inundationsgebieten  lagen,  somit  natürlich  begründet,  und  findet  man 
z.  B.  bei  Bosnisch-Novi  noch  heute  genug  solcher  Bauten.*)  —  Daß 
wir  an  einem  Punkte  hohe  Schichten  \'on  Kohlenresten  und  Asche 
finden,  obschon  jedermann  die  Asche  notw  endigerw  eise  entfernt,  ehe 
er  ein  Feuer  anmacht,  damit  der  noch  schwache  Brand  nicht  durch 
die  Asche  erstickt  wird,  dies  verursacht  das  Wasser,  das  alle  leichte- 
ren Gegenstände  an  das  Ufer  u.  z.  inmier  gegen  eine  Bucht  zutreibt 
—  und  dort  finden  w  ir  ja  auch  stets  die  Pfähle.  Die  Knochen  der  ver- 
zehrten oder  verendeten  Tiere  sind  aus  hj'gienischen  Gründen,  die 
Hirschgeweihe  und  Fberzähne,  soweit  sie  nicht  \'erwendung  fanden, 
als  wertlos  ins  Wasser  geworfen  worden;  dasselbe  geschah  mit  den 
Scherben  zertrümmerter  Gefäße,  um  FuBverletzungen  zu  vermeiden, 
daher  man  so  selten  einen  g  e  b  r  lc  h  I  i  c  h  e  n  Gegenstand  in 
ganzem  Zustande  auffindet;  trifft  man  aber  solche  an.  so  können 
sie  ebenso  durch  Kinder  dahingelangt  sein,  die  sich  wohl  seit  den 
prähistorischen  Zeiten  nicht  geändert  haben  werden  und  nach  wie 
vor  alle  zur  Himd  befindlichen  Gegenstände  ins  Wasser  zu  werfen 
pflegen.  — 

Weshalb  wundern  wir  uns  überhaupt  über  die  Fntstehung  großer 
Scherbenfunde?  —  Jeder  Bauer  besitzt  ein  Gestrüpp  oder  eine  son- 
stige Stelle,  wohin  er  alle  wertlos  gewordenen  Hartgegenstände  wie: 
Porzellan-,  Topf-  und  Glasscherben,  alte  Messer,  Sicheln  und  Blech- 
abfälle, zahndefekte  Kämme,  Knochen  u.  ä.  schafft  oder  vergräbt, 

")  Brismt  es  der  Zufall,  dal.i  man  daselbst  zur  Zeit  des  Hnchwassers 
tiittrifft.  So  kann  man  auch  durch  die  (lassen  \<m  Novi  in  etwa  10  m  langen 
Kanoes  (Kinbauni-Kähnen)  fahren  und  so  die  »mSrchenhafte»  Ptahlzeit  ver- 
trecenv  iirtiict  sehen. 


damit  sich  iiieniand  daran  \'erletzcn  i\önne.  Ein  Müller  wirft  sie 
selbstredend  ins  Wasser,  der  Karstbewohner  in  eine  Höhle  (><ra- 
sovnjaw).  der  Gebirgler  in  eine  Schlucht.  Dasselbe  geschieht  mit  einem 
Tierkadaver:  der  Bauer  vergräbt  ihn.  der  Müller  läßt  ihn  weiter- 
schwimmen, der  Karstbewohner  wirft  ihn  in  die  Höhle  und  der  Ge- 
birgler in  einen  Wasserriß  oder  in  eine  Schlucht.  So  ist  die  Erklärung 
da,  w  eshalb  so  unterschiedliche  Tierknochen  in  einer  Höhle  beisam- 
men sind,  denn  nicht  d  e  r  M  e  n  s  c  li  hat  darin  dauernd  ge- 
wohnt, sondern  seine  Abfälle  hat  erdort  deponiert, 
weil  das  Bewohnen  von  Höhlen  auf  die  Dauer  für  jedes  Nackthaut- 
Wesen  gesundheitsschädlich  wird.  —  So  ein  Abfallshaufen,  z.  B.  bei 
einer  großen  Stadt,  wie  Wien,  wird  einst  ein  Dorado  für  die  Alter- 
tumsforscher werden,  wenn  unsere  Gegend  wieder  einmal  eine  Eis- 
periode passiert  hat.  —  Sonderbarerw"eise  bekämpfen  mich  aber  auch 
die  Archäologen,  die  doch  erfreut  sein  könnten,  daß  sie  endlich  ihre 
Berge  von  ausgegrabenen  Scherben  jemand  Bestimmten  zuschreiben 
können,  und  daß  gerade  durch  meine  Entdeckungen  auf  dieses  Gebiet 
einiges  Licht  kommt.  Der  schönste  Topf,  die  kunstvollste  Situla,  die 
seltenste  Münze  hat  keinen  Vollwert,  wenn  man  deren  Erzeuger 
oder  ersten  Besitzer  nicht  kennt.  Die  Scherben  sind  in  Egypten.  in 
Spanien.  Ungarn,  Mecklenburg,  Rußland  u.  s.  w.  die  gleichen;  die 
Fundstellen  haben  slavische  Namen;  die  gleiche  Ornamentik  findet 
man  noch  heute  bei  den  Slaven;  wo  haben  wir  also  die  zu  suchen, 
welche  jene  Scherben  erzeugten  tmd  gebrauchten? 

Eine  wie  wesentliche  und  notwendige  Ergänzung  hiebei  die 
Etymologie  gerade  für  die  Archäologie  bietet,  ersieht  man  aus  folgen- 
dem Beispiele.  Konservator  A.  Rzehak  zeigte  i.  J.  1909  der  Wiener 
Anthropoligischen  Gesellschaft  an.  «daß  im  Walde  bei  Wedrowitz 
(Mähren)  im  Lößboden  mehrere  flaschenförmige,  bis  35  m  tiefe,  im 
Volksnuuide  Nskryse«  bezeichnete  Höhlungen  vorhanden  seien,  die 
wohl  kaum  in  die  prähistorische  Zeit  zurückweichen«.  —  Hiemit 
wurde  die  Sache  abgetan,  obschon  sie  mit  dieser  kurzen  Schilderung 
in  der  Hauptsache  noch  gar  nicht  erledigt  ist,  denn  nun  drängt  sich 
unvermittelt  die  Frage  auf,  welchen  Zweck  diese  künstlichen,  verti- 
kalen Erdröhren  hatten,  und  was  man  mit  «skryse«  besagen  will. 
Der  Berichterstatter  -  anscheinend  ein  Ceche  —  konnte  sich  diesen 
Begriff  doch  gut  erklären,  denn  er  bedeutet  ihm:  Versteck,  Schlupf- 


•2i<i) 


Winkel.'-)  —  Die  Lokalität  im  Xcreiric  mit  der  Sprachw  isseiischaft 
sagt  uns  hiemit  unwiderleglich,  daß  diese  Erdröhren  dereinst  zu 
irgendeinem  S  i  c  h  e  r  u  n  g  s  z  w  ec  k  e  ausgehoben  wurden,  u.  z. 
entweder  als  Depot  für  Feidirüchte,  wenn  die  oberirdischen  Baulich- 
keiten gelegentlich  nicht  ausreichten,  was  noch  jetzt  mit  Wasser- 
rüben. Alöhren,  Erdäpfeln  u.  drgl.  in  vielen  Gegenden  geschieht,  oder 
als  Versteck  bei  feindlichen  Einfällen  sowohl  für  die  bewegliche 
Habe  als  auch  für  die  Menschen,  nachdem  man  darin  auch  Brand- 
stellen vorfindet:  die  Kampffähigen  stellten  sich  dem  Feinde  ent- 
gegen, ihre  Familienmitglieder  brachten  sie  hingegen  in  einem 
solchen  ^'erstecke  unter  und  verdeckten  in  unauffälliger  Weise  die 
Einlaßöffnimg  auf  die  Gefahrdauer.  Nicht  ausgeschlossen  ist  es  über- 
dies, da  die  Tiefe  auffällt,  daß  man  bei  feindlichen  Einbrüchen  an 
voraussichtlichen  Annäherungspunkten  solche  Fallen  anlegte,  um 
den  Gegner  automatisch  hineinfallen  zu  lassen,  von  wo  er  sich  mit 
Rücksicht  auf  das  ungünstige  Profil  der  Grube  —  das  einer  Flasche 
—  einzeln  schwer  retten  konnte;  es  waren  dies  sonach  eine  Art  von 
Wolfsgruben,  wie  man  sie  auch  heute  nulitärischerseits  in  der 
Zone  der  Hindernisse  anzulegen  pflegt. 

Jene  Gruben  nun,  welche  unten  Brandstellen  aufw  eisen  und  ke- 
ramische Reste  ältester  Provenienz  enthalten,  sind  jedenfalls  auch 
uralt,  also  vermutlich  prähistorisch;  es  kann  aber  der  Anthropologie 
doch  auch  nicht  gleichgültig  sein  zu  erfahren,  wer  diese  Gruben  her- 
gestellt und  in  denselben  fallweise  gewohnt  hat:  doch  nur  der- 
jenige, der  sie  ihrer   Bestimmung   gemäß  auch   b  e- 

)  In  der  böhmischen  AiKsgabe  der  »Bücher  der  Könige  v.  .1.  1869  ist 
diese  Verw  endung  ausdrücklicli  und  mit  gleichen  Begriffen  dargestellt,  denn 
es  heißt  (I.  13:16):  «Coz  kdyz  videll  muzi  izraelsti,  zeby  byli  postaveni  v 
üzkosti,  s  k  r  y  1  i  se  V  iesk\nich  a  v  s  k  r  y  s  i  c  h,  v  skaläch  take  a  v  doupa- 
tech  i  v  cisternach«.  (Als  die  JVlänner  Israels  sahen,  daß  sie  bedriingt  werden, 
versteckten  sie  sich  in  Qrotlen.  Erdlöchern  sowie  Felsen,  Baumhöhlen  nnd 
Zisternen).  —  übrigens  haben  die  Böhmen  auch  den  Begriff  »skrinei«.  also 
ein  abschließbares  Möbelstück,  das  et>in()logisch  als  »Kasten«  (  = 
kost),  »Spind«  (=  spina).  "omara»  (=  Abschließung)  überall  etwas  andeu- 
tet, was  die  Sicherheit  der  Aufbewahrung  voraussetzt.  Dasselbe  Wort 
gebrauchen  aber  auch  schon  Sallust.  Horaz  u.  a.  in  gleicher  Bedeutung  als 
»scrinium«.  doch  versagt  hier  bereits  die  Etymologie,  ein  Beweis,  daß  es 
für  das  Lateinische  schon  ein  Lehnwort  war.  —  Im  Althochdeutschen  lau- 
tete das  heutige  «Schrein»  noch  «sciini«.  — 


3fKl 


n  a  n  n  t  h  a  t.  a  1  s  o  '.x'  i  e  d  e  r  —  d  e  r  S  1  a  \'  c !  Solche  Momente  sind 
es.  die,  wenn  irgend  etwas,  den  Forscher  verläßlich  über  das 
Gebiet  der  Kulturgeschichte  auf  jenes  der  Völkergeschichte  hinüber- 
führen. 

Daß  einmal  eine  l'feransiedlung  durch  eine  Klenientarkata- 
strophe  (Wolkenbruch,  Torrenten,  Erdrutschung,  Erdbeben)  zu- 
grunde ging  und  dabei  alle  Gegenstände  des  Hauses  sofort  oder  mit 
der  Zeit  in  den  See  gelangten,  ist  auch  natürlich,  da  dies  ja  heute 
ebenso  zutrifft;  aber  eingerammte  Pfähle  bleiben  in  den  meisten 
Fällen  stehen,  da  sie  dem  Wasser  eine  geringe  Querschnittsbelastung 
bieten;  außerdem  werden  die  Pfähle  später  nur  noch  mehr  fixiert, 
wenn  neues  Alluvium  hinzukommt.  —  Andererseits  sind  Seen  ganz 
verschwunden  oder  zu  Mooren  geworden,  w enn  der  See  einen  ober- 
irdischen .Abfluß  hatte  und  sich  dieser  durch  die  Eroslen  ein  immer 
tieferes  Rinnsal  schaffte  oder  sich  der  Seeboden  durch  stetig  zukom- 
mendes Seifenmaterial  hob,  so  daß  der  Seewasserspiegel  naturgemäß 
sinken  mußte  und  auf  diese  Art  auch  der  See  selbst  mit  der  Zeit 
verschw  and.  Es  müßte  daher  in  verschwundenen  Seen 
d  e  r  K  u  1 1  u  r  g  r  a  d  d  e  r  F  u  n  d  s  t  ü  c  k  e  gegen  die  Mitte  zu 
— .  bei  noch  bestehenden  Seen  aber  abnehmen:  ob 
dies  auch  zutrifft  oder  überhaupt  beobachtet  wurde,  ist  mir  nicht 
bekannt.*)  Limnographische  Beobachtungen,  Untersuchugen  über  die 
Sedimentation  und  die  Wandlugen  des  zugeführten  Alluviums,  sowie 
Notizen  über  die  kulturellen  Veränderungen  der  Uferobjekte  geben 
jedoch  reichliche  positive  Daten.  Es  ist  nämlich  längst  bekannt,  daß 
z.  B.  die  Seen  in  Trockengebieten  Westsibiriens.  Turkestans  und  in 
den  amerikanischen  Felsengebirgcn  an  Abzehrung  zugrundegehen. 
Ebenso  ist  in  den  niederschlagsreichen  Tiefebenen  und  Mittelgebir- 
gen, z.  B.  in  der  Mark,  deren  Zahl  im  Abnehmen,  ja  in  Thüringen 
sind  im  Laufe  der  letzten  Menschcnalter  ohne  welchen  Kultureingriff 
viele  Seen,  darunter  der  recht  beträchtliche  Schwanensee.  gänzlich 
verschw  unden.  In  Tirol  sind  innerhalb  eines  Jahrhunderts  nicht  we- 
niger als  118  Seen  eingetrocknet.  Nach  August  von  Böhm  hat  sich  in 

')  Es  gibt  allerdings  noch  heute  Pfahlbauten,  die  ganz  im  Meere 
liegen  (z.  B.  an  der  Insel  Celebes);  ob  dies  der  Raubtiere,  Giftschlangen, 
Springfluten,  aus  hygienischen  Gründen  oder  ungünstiger  Festlandsboden- 
verluiltnisse  wegen  geschieht,  ist  schwer  zu  entscheiden,  wenn  man  lie 
lokal-maßgebenden  Gründe  nicht  durch  Augenschein  Kennt. 


—  301  — 

hundert  Jahren  die  Zahl  der  kleinen  Hochseen  im  Gebiete  der  Ost- 
alpen, vom  Splügen  an  betrachtet,  von  3278  auf  2466  verringert.  Ein 
gleiches  gilt  auch  von  den  Mochseen  des  Riesengebirges,  «Teiche k 
genannt,  denjenigen  des  Bö^mer^\aldes  und  den  «Meeraugen«  der 
Tatra.  Es  handelt  sich  also  hier  lediglich  um  eine  geophysikalisch; 
Erscheinung,  bei  der  alle  früher  angeführten  natürlichen  Vorgänge 
zusammenwirken. 

Es  mutet  auch  d'c  Behauptung  inmier  eigentümlich  an.  daf]  die 
vorgeschichtlichen  Kulturepochen  in  eine  eigene  Stein-,  Bronze-  und 
Eisenzeit  gruppiert  werden,  und  dies  daraus  deduziert  wird,  weil 
man  an  e  i  n  e  r  Stelle  die  Spuren  aller  dreier  zusammenfindet.  Es  ist 
ja  selbstverständlich,  daß  es  einst  ausschließlich  Steinwaffen  gegeben 
hat,  aber  diese  Zeit  wurde  in  dieser  Gegend  früher,  in  der  zweiten 
später,  in  der  dritten  noch  bis  heute  nicht  von  der  Metallzeit  abge- 
löst. Liegen  aber  Werkzeuge  aus  Stein,  Bronze  und  Eisen  in  einem 
gemeinsamen  Grabhügel  oder  in  einem  Kjökkenmöddinger  beisam- 
men, so  standen  sie  bereits  im  gleichzeitigen  Gebrauche. 
Weshalb  soll  nicht  jemand  eine  Steinwaffe  gebrauchen,  indes  der 
Nachbar  eine  solche  aus  Eisen  besitzt?  Der  Dampfpflug  arbeitet 
heute  neben  dem  Holzpfluge;  es  gibt  noch  genug  Leute,  die  Zündhölz- 
chen aber  zugleich  auch  Stahl,  Schwannn  und  Feuerstein  in  der 
Tasche  tragen,  um  sich  im  Falle  des  Naßwerdens  der  Streichhölzer 
noch  immer  ein  Feuer  beschaffen  zu  können.  In  derselben  Gesell- 
schaft trägt  einer  eine  goldene,  der  andere  eine  silberne,  der  dritte 
eine  Nickeluhr;  die  eine  Dame  einen  echten,  die  andere  einen  fal- 
schen Schmuck;  armen  Leuten  genügt  ein  Trauring  von  versilber- 
tem Blech,  dem  Reichen  nur  ein  goldener;  ein  Hirte  trägt  noch  in  der 
Kürbisflasche  sein  Getränk  mit,  der  andere  schon  im  Tonkruge;  der 
primitivere  ist  der  erste,  aber  dabei  der  praktischere,  weil  sein  Be- 
hältnis weniger  gebrechlich  ist;  der  erstere  kann  dabei  sogar  der 
vermögendere  sein,  aber  dies  diktiert  ihm  die  Sparsamkeit.  In  alten 
Gräbern  findet  man  oft  nichts,  als  paar  Tonscherben,  w  enn  es  arme 
Leute  waren,  und  die  Gegend  selbst  kulturarm  ist;  in  reichen  Ge- 
genden werden  hingegen  die  wertvollsten  Funde  gemacht.  —  All 
dies  hängt  und  hieng  zu  allen  Zeiten  vom  Vermögen,  dem  Ge- 
schmacke  und  den  praktischen  Anschauungen  ab.  Es  ist  gar  kein 
Zweifel,  daß  der  arme  Bosnier  seine  Egge,  die  er  sich  ad  hoc  aus 
einem  Querholz  konstruiert,  in  das  er  einige  frische  Äste   steckt. 


—  .302  — 

gerne  durch  eine  eiserne  substituieren  würde,  aber  diese  kostet  eben 
—  Geld!  —  Die  Tlieorie  braucht  für  jedes  Ding  eine  eigene  numme- 
rierte  Schublade,  die  Praxis  macht  aber  die  Theorie  auf  allen  Linien 
zuschanden! 

Wenn  w  ir  den  richtigen  Blick  für  die  Urzeit  gewinnen  wollen, 
so  müssen  w  ir  den  bedenklichen  Mangel  an  Widerstandskraft  gegen 
die  Wahngebilde  des  Aberglaubens  endlich  erkennen  und  alle  die  sku- 
rilen  Vorstellungen  abstreifen,  als  ob  sich  der  Mensch  seither  phy- 
sisch, biologisch  oder  sozial  geändert  und  es  (.inst  nur  Menschen- 
drolmen  gegeben  hätte,  die  arbeitslos  vegetierten,  Mythologien  kon- 
struierten, Mystik  betrieben,  auf  Bärenhäuten  liegend  pokulierten 
und  lediglich  als  Helden  Balladenstoffe  boten.  —  Die  Urzeit  des  Kul- 
turmenschen ^\'ar  ebenso  abwechslungsreich  und  im  allgemeinen 
nicht  anders,  als  die  Gegenwart.  Die  wilde  Rebe  gibt  keinen  genieß- 
baren Wein,  sie  muß  gepflegt  werden,  und  diese  Pflege  erfordert 
eine  harte,  verständnisvolle  Arbeit;  und  doch  wird  des  Weines  seit 
der  Dämmerung  der  Geschichte  oftmals  Erwähnung  getan,  und  des- 
halb haben  fast  alle  Sprachen  für  diesen  Begriff  dieselbe  Sprach- 
wurzel, ein  Zeichen,  daß  wir  es  mit  einem  uralten,  offenkundig  von 
einer  Zentrale  ausgegangenen  Worte  zu  tun  haben.  Die  schönen 
Bronze-  und  Eisenwaffen,  die  Reliefarbeiten  und  Schmuckgegen- 
stände, alle  die  Objekte  der  Keramik  in  den  Gräbern  erforderten  die- 
selbe Arbeit  wie  heute,  ehe  aus  den  Rohprodukten  ein  solcher  Ge- 
genstand hervorging.  Es  muß  einst  auch  ganz  bedeutende  Handels- 
verbindungen gegeben  haben,  denn  z.  B.  der  Bernstein  ist  überall  als 
Grabschmuck  zu  finden,  und  die  Fundorte  desselben  sind  doch  sehr 
rar;  auch  einer  Vergnügungsfahrt  wegen  hätte  wohl  niemand  den 
Isthmus  bei  Suez  oder  auf  der  Halbinsel  Krim  durchstochen;  und 
die  allgemeine  Landes-  und  Küstenbefestigung,  die  bewunderungs- 
würdig organisiert  war,  läßt  doch  in  bestimmter  Weise  darauf  schlie- 
ßen, daß  man  feste  Wohnsitze  hatte  und  sie  auch  nicht  ohne  äußer- 
ste Gegeuw  ehr  preiszugeben  willens  wai'. 

Diese  Etymologie  führt  uns  überdies  dahin,  daß  man  auch  die 
Entstehung  der  etnographischen  Begriffe  den  allgemeinen  Gesetzen 
des  unbeeinflußten  historischen  Geschehens  unterwerfen  nuiß, 
wodurch  die  Prärogative  der  differenzierten  Abstanniiung  von  selbst 
in  Brüche  geht.  —  So  hat  die  Rassenlehre  einen  Kurs  eingeschlagen, 
der  schon  \'oni  Standpunkte  des  nüchternen  Den.kens  niemals  zum 


ersehnten  Hafen  führen  kann,  denn  während  sich  die  objektive 
Wissenschaft  mühsam  tastend  fortbewegt  und  sichere  Merkmale  gar 
nicht  laut  anzugeben  wagt,  stürmt  der  Chorus  mit  inhaltslosem 
Geschrei  über  die  wissenschaftlichen  Bedenken  skrupellos  hin- 
weg und  setzt  mit  dem  R  a  s  s  e  n  k  a  m  p  f  c  ein.  ohne  welchen  festen 
Boden  hiezu  zu  haben.  Wenn  nicht  alles  trügt  und  der  gesunde  Ver- 
stand in  zw  ölfter  Stunde  nicht  die  Oberhand  gew  innt,  so  gehen  wir 
nach  den  glückhch  beendeten  Religionskriegen  der  noch  zersetzen- 
deren und  blutigeren  Ära  der  Rassenkämpfe  entgegen,  weil  wir  einer 
gewalttätigen  Fseudo-Wissenschaft  nur  einen  zaghaft  kombahischen 
Widerstand  entgegensetzen. 

Es  ist  doch  jedem  denkenden  Laien  unfaßbar,  ^\■ie  die 
Anthropologie  nach  einigen  alten  Schädeln  schon  genau  begrenzte 
Gesetze  für  Rassen  und  Sprachen  aufsteilen  konnte,  wo  w  ir  doch 
alle  \\issen,  w  eiche  Differenzierungen  es  schon  in  einer  Familie 
in  Bezug  auf  Schädelbau,  Typus,  Größe,  Haut-  und  Haarfarbe  geben 
kann,  und  welche  Unterschiede  sich  diesbezüglich  schon  dem  Be- 
obachter der  Bewohner  eines  einzigen  Dorfes  ergeben,  wo  fast  nur 
\on  einer  Inzucht  gesprochen  werden  kann.  —  Wie  unbedacht,  ja  ge- 
radezu unglaublich  gewissenlos  oft  Behauptungen  aufgestellt 
w  erden,  deren  Entstehung  in  der  Folgezeit  oft  schwer  kontrolierbar 
ist,  uiid  wie  Rassengeschichte  xgemacht«  wird,  zeige  folgende  Tat- 
sache. —  Dr.  Biedermann  schrieb  in  seiner  Abhandlung  kDIc  Serben- 
ansiedlinigen  in  Steiermark«  (p.  3.3):  idmmerhin  ist  es  jedoch  richtig, 
daß  in  der  Pfarre  Haidin  (bei  Pettau)  ein  Menschenschlag 
wahrgenommen  wird,  der  vom  Typus  der  einheimischen  Slovenen 
merklich  abweicht,  indem  dessen  Repräsentanten  durch  ihre 
kleinen  schwarzen  und  geschlitzten  Augen,  durch  aufgeworfene  Lip- 
pen, eine  plattgedrückte  Nase  und  stark  vortretende  Backenknochen, 
häufig  auch  durch  schwarzes,  gekraustes  Haar  sich  von  ihrer  Um- 
gebung abheben.«  —  Es  berührt  eigenartig,  wieso  ein  ernster 
Forscher  etw  as  als  Tatsache  hinstellen  konnte,  was  er  selbst  u  n- 
möglich  wahrgenommen  hat.  oder  wie  er  eine  so  bedenkli- 
che Mitteilung  ungeprüft  in  einer  wissenschaftlicher  Publikation 
darzulegen  imstande  war.  denn  es  nuißte  ihm  auffallen,  daß  somit 
Hajd'n  das  Dorado  für  alle  Anthropologen  wäre,  weil  hier  geradezu 
die  w  c  i  ß  g  e  w  o  r  d  e  n  e  n  Äthiopier  wohnen  müßten.  —  Es 
ist  gewiß  kein  Zweifel.  daR  sich  hier  einzelne  Vertreter  finden,  die 


304 


vom  Äußeren  des  Gros  der  Bewohner  in  dieser  oder  jener  Hinsicht 
abweiclien;  wer  sich  aber  die  Mühe  nimmt  und  sich  den  Typus  der 
Pfarrinsaßen  von  Haidin  griindhch  ansieht,  w  as  man  am  besten  sum- 
marisch und  unauffäüiii  sonntags  anläßlich  des  Kirchenganges  der 
Bevölkerung  abtun  kann,  der  wird  sich  unbedingt  sagen  müssen, 
daß  die  R  a  s  s  e  n  a  b  w  c  i  c  Im  n  g  e  n  hier  in  gleichem 
M  a  ß  e  \-  o  r  1  i  e  g  e  n.  w  1  c  in  jede  ni  a  u  deren  Orte.  —  Nim 
wie  kam  Biedermann  zu  dieser  sonderbaren  Entdeckung?  —  Ihm 
schwebte  lediglich  der  Ortsname  "Haidin«.  als  aus  «Heiden»  her- 
vorgegangen, vor.  und  nur  diese  Prämisse  hat  ihm  d;n  Schluß  sug- 
geriert, die  Haidiner  zum  Teile  als  Abkönmilinge  von  gefangenen 
Türken  (Mongolen),  also  «Heiden«,  anzusehen.  Nun  stinnnt  aber  dies 
in  der  Praxis  auch  nicht,  denn  die  türkischen  Soldaten  waren  zum 
großen  Teile  ohnedies  auch  Slaven.  ja  die  Garde,  die  Janitscharen. 
ist  größtenteils  aus  importierten  Slavenkindern  ergänzt  worden.  — 
woher  also  eine  ausgesprochene  R  a  s  s  e  n  d  i  ff  e  r  e  n  z!*) 
—  Oberdies  haben  die  Slovenen  in  ihrem  seinerzeit  berechtigten 
Hasse  gegen  die  Osmanen  es  kaum  zugelassen,  daß  sich  ein  g  e  f  a  n- 
gener  Türke  mitten  unter  ihnen  nach  dem  mohammedanischen 
Muster  etwa  auch  einen  Harem  gründet,  oder  ihm  schw  erlich  eine 
Gnadenfrist  gewährt  an  eine  Famihenrestauration  zu  denken,  w  eiche 
noch  heute  unter  sich  keinen  israelitischen  Krämer  auf  die  Dauer 
dulden,  wenn  er  nicht  in  entsprechender  Frist  den  Weg  zum  Tauf- 
becken findet:  und  die  paar  Türkenkinder,  welche  bei  einem  ungün- 
stigen Gefechtsverlaufe  zurückgelassen  werden  mußten,  und  die  spä- 
ter als  «natus  in  Saracenis«  ganz  vereinzelt  in  Taufmatriken  aufge- 
nonmien  erscheinen,  oder  die  von  \'ergewaltigungen  herrühren,  kön- 
nen doch  nicht  in  der  Folge  \c)n  derartigem  Einfhiße  gewesen  sein, 
daß  sie  gerade  den  Typus  der  «Haidiner«  merklich  beeinflußt 
hätten. 

Desgleichen  brachte  die  Kraniologie  in  die  L'rgeschichte  des 
Menschen  eine  heillose  \'erwirrung  und  hat  selbst  nüchterne  For- 

")  Aus  verschiedenen  Quellen  wie  Überlieferungen  geht  überdies  her- 
vor. daR  sich  z.  B.  die  Slovenen  mit  dem  Oesiner  leicht  verständigten.  In 
den  meisten  Füllen  waren  die  Räuber  daher  nur  slavische.  der  Türkei 
unterstehende  Bewohner  jenseits  der  Savegreiize.  mag  man  sie  heute  nun 
als  Raitzen,  Serben.  Bosnier  u.  drgl.  liczeichneii.  Ihre  Haiipttendenz  war 
Menschenraub,  infolge  Leutemit,  nnd  die  Geraubten  können  nur  wieder 
Slaven  gewesen  sein! 


zweifelhafte  Abdruck  eines  Meiischenfiißes  festgestellt.  *)  Professor 
E.  Stasi  behauptet  Beweise  gewonnen  zu  haben,  daß  in  den  Erd- 
höhen der  Provinz  Terra  d'  Otranto  schon  zur  Zeit  der  Riesen- 
säugetiere in  Italien  Menschen  gelebt  haben. 

Auch  der  Begriff  «Drache«  muß  von  einer  homogenen  Sprache 
ausgegangen  sein,  da  in  Europa  alle  Sprachen  diese  Tierfamilien 
in  der  ungefähren  Form  «drak«  kennen,  während  z.  B.  die  slove- 
iiische  Sprache  nebstbei  mehrere  Spezies  unterscheidet;  außer  «drak« 
als  allgemeine  Bezeichnung  für  ein  feindlich  gesinntes  Wesen, 
kennt  sie  noch  den  «zmaj«.  d.  i.  jenen  Drachen,  der  in  Berghöhlen 
wohnt  und  bisweilen,  wenn  er  böse  wird,  den  Berg  erschüttert; 
es  ist  darin  wohl  die  primäre  Erklärung  des  Erdbebens  enthalten; 
sie  kennt  den  «ses«,  den  Drachen,  der  dem  Menschen  nur  das  Blut 
aussaugt;  den  «pozoj«,  ein  Drachenungeheuer,  den  «molavar«  einen 
Drachen  mit  Schlangengestalt,  und  vielleicht  noch  andere,  die  mir 
nicht  bekannt  geworden  sind. 

Die  Wahrnehmung,  daß  ein  \olk  so  viele  Unterscheidungen 
eines  Tieres  kennt,  ein  anderes  aber  nur  einen  Ausdruck  hiefür  hat, 
welcher  obendrauf  dem  ersteren  eigen  ist.  läßt  vermuten,  daß  eben 
diese  Sprache  die  Unterschiede  aus  eigener  Beobachtung  seit  un- 
denklichen Zeiten  Kennt  und  in  Kontinuität  erhält. 

Das  erste  bekannte  und  illustrierte  Werk  über  die  Drachen 
(«Schlangenbuch«  von  Konrad  Qesncrn)  ist  bereits  im  Jahre  1589  in 
Zürich  gedruckt  erschienen,  also  zu  einer  Zeit,  als  die  Geologie 
noch  keine  Ahnung  von  einer  Saurierzeit  hate,  und  doch  sind  die 
verschiedenen  Typen  dieser  «Trakken«,  \\\e  sie  dort  genannt  wer- 
den, den  Spezies  der  später  ausgegrabenen  und  rückkonstruierten 
Saurier  und  fliegender  Reptilien  im  allgemeinen  ähnlich  dargestellt. 
Der  Verfasser  meint  auch,  daß  sie  »allerorten  diese  schlimme  Erde 
unsicher  machen,  besonders  aber  India  und  Morenland,  aber  auch 
im  lieben  Alpengebirge  sind  sie  anzutreffen,  wo  sie   sich  am  Ein- 


')  Ich  gebe  hier  Gelesenes  wieder,  obsehon  mir  eine  natürliche  Er- 
klärunsr,  wieso  der  versteinerte  Abdruck  eines  Menschenfußes  zustande 
kommen  kann,  mangelt.  Hat  der  Fuß  im  weichen  Boden  einen  .'\bdruck  hin- 
terlassen, so  ebnet  sieh  die  Plastik  aus.  wenn  der  Boden  wieder  einmal  er- 
weicht ist.  Daß  ein  Mensch  stehend  zum  Petreiakte  werden  könnte,  ist 
mir  nicht  einleuchtend:  es  mögen  da  wohl  sonstige  täuschende  Zufälligkeiten 
vorliegen! 

21 


gange  von  südwärte  gelegenen  Höhlen  zu  sonnen  pflegen«.  Tat- 
sächlich ist  dies  auch  eine  typische  Eigenschaft  der  Krokodile  und 
Eidechsen,  was  sonach  wohl  der  ganzen  Sippe  eigentümlich  war. 

DalJ  sich  daher  solche  Sagen  und  Schilderungen  so  ad  hoc. 
ohne  welche  vorbildliche  Anregung  entwickelt  hätten,  daran  ist 
nicht  zu  glauben. 

Was  einst  Natur  war.  daraus  wird  heute  Kunst,  und  noch  diese 
Kunst  wird  schließlich  zur  Künstelei  herabgedrückt;  uns  gelten 
noch  immer  Phantasie  und  strenge  Forschung  als  Gegensätze  schärf- 
ster Art  und  trotzdem  machen  wir  immer  wieder  die  Erfahrung, 
daß  die  Phantasie  Dinge  denkt,  die  der  Forscher  später  staunend 
in  der  Wirklichkeit,  in  der  Natur  entdeckt,  denn  j  e  d  e  P  h  a  n  t  a  s  i  e- 
tätigkeit  hat  auch  ihr  tiefinnerliches   Gesetz. 

Prüfen  \\ir  einmal  einige  Sagen  in  Bezug  auf  ihre  natürliche 
Entw  icklung.  —  So  glaubt  man  allgemein,  daß  man  in  eine  Wiege, 
in  welcher  ein  Kind  gestorben  ist,  kein  zweites  mehr  hineinlegen 
dürfe,  da  sodann  auch  dieses  wieder  sterbe.  Das  ist  aber  ur- 
sprünglich kein  Aberglaube,  sondern  die  nüchterne  Prophy- 
la.xis  gegen  weitere  Erkrankungen,  nachdem  das  Kind  ja  an  Schar- 
lach. Masern.  Typhus.  Meningitis  u.  drgl.  gestorben  sein  kann.  Man 
setzt  bei  uns  daher  die  Wiege  außer  Gebrauch.  Dem  Naturmenschen 
ist  aber  dieses  nicht  genug,  sondern  er  stellt  die  Wiege  selbst  auf 
das  Grab  (z.  B.  in  manchen  Gegenden  der  Herzegowina),  indem  er 
hiemit  in  rigoroser  Weise  und  doch  unbewußt  den  Gegenstand  der 
Ansteckung  entfernt,  aber  auch  zugleich  das  Grab  symbolisch 
schmückt,  wie  es  natürlicher,  s  i  n  n  \'  o  1 1  c  r  und  zutref- 
fender nicht  der  kostbarste  Grabstein  \ermag.  — 
DieserAberglaube  enthält  sonach  eine  sehr  wich- 
tige hygienische  Maßregel,  verdient  also  jene  Be- 
zeichnung durchaus  nicht.  —  Ein  weiteres  Beispiel  bietet 
uns  die  fast  bei  allen  Völkern  verbreitete  Werwolf-  und  Vampyr- 
sage  (bei  den  Slaven:  vukodlak  =  Wolfshaar).  —  Der  Werwolf 
(Mannwolf),  meist  der  verstorbene  Mann,  sucht  nachts  am  liebsten 
sein  Todeshaus  auf  und  pflegt  dort  geschlechtlichen  Verkehr  mit 
seiner  Frau,  und  zwar  m  e  r  k  w  ü  r  d  i  g  e  r  \\-  e  i  s  e  nur  dann, 
wenn  sie  s  c  h  ö  n  und  jung  ist.  —  Während  w  i  r  darüber 
nicht  lange  nachgrübeln  und  es  ohneweiters  als  einen  müßigen  Volks- 


-    333  - 

jilaiihcn  hiniiehincn,  die  Gelehrten  dies  allenthalben  auf  die  Tollw  iit 
basieren,  erklärt  sich  der  Montenegriner  in  seinem  geraden  und 
freien  Sinne  die  Sache  sehr  natürlich,  denn  er  weiß,  daß  junge, 
schöne  Witwen,  welche  die  Frucht  eines  Liebes\'erhältnisses  vor 
der  Welt  beschönigen  w  ollen,  mit  Entsetzen  zu  verbreiten  trachten, 
daß  nächtens  der  Selige  zu  ihnen  komme  und  sie  beschlafe.  Wäh- 
rend nun  die  einen  den  Popen  holen,  die  andern  Dornpfähle  bereit 
halten,  um  den  Werwolf  zu  durchbohren,  lachen  die  dritten  als  die 
wissenden  Unwissenden  still  über  die  weibliche  Schlauheit  und 
Erfindungsgabe  in  Verlegenheisnioinenten.  —  Der  Name  selbst  wird 
wohl  dadurch  entstanden  sein,  daß  sich  der  Geliebte  ein  Wolfsfell 
über  den  Kopf  stülpte,  um  beim  Verlassen  des  Hauses  unter  dem 
Schutze  dieser  N'ernuminnmg  nicht  erkannt  zu  A\erden. 

Dieser  Aberglaube  ist  daher  auf  ein  frühzeitiges  Witwcntum 
berechnet,  was  namentlich  in  jenen  Ländern,  wo  das  Heiraten  der 
Witwen  verpönt  oder  nicht  gebräuchlich  ist,  enstanden  sein  dürfte, 
um  auf  diese  Weise  dem  \'erzichte  jugendlicher  Witwen  auf  jeden 
weiteren  geschlechtlichen  Verkehr  einen  motivierten  Ausweg  vor- 
zubereiten, nachdem  unmoralischer  Wandel  einer  strengen  Kritik 
und  oft  sehr  harter  Dorfiustiz  unterworfen  war.  Wenn  nun  der  Kultur- 
mensch diesen  Aberglauben  rundweg  negiert,  ohne  zu  wissen,  daß 
demselben  eine  reale  Basis  zugrundeiiegt,  so  kennt  hingegen  der 
Naturmensch  die  wahre  Entstehung  und  glaubt  doch  an  den  Wer- 
wolf, da  ihm  die  Möglichkeit  des  vereinzelten  Erscheinens  eines  sol- 
chen nicht  ganz  ausgeschlossen  erscheint.  -  Ungefähr  so  sind  alle  un- 
sere Sagen,  Märchen  Mythen  und  volksgläubigen  Erzählungen  zu  neh- 
men; sie  alle  haben  einen  sehr  prosaischen  Kern,  den  aber  poetische/ 
Flirter  mehr  oder  weniger  in  das  Dunkel  verdrängt  hat. 

Es  fällt  überdies  auch  auf,  daß  sich  die  gleichen,  an  sicli  sehr 
ungewöhnlichen  Sagen  auf  den  verschiedensten  Punkten  vorfinden. 
—  So  ist  die  Lenorensage  der  Bevölkerung  Istriens  in  ähnlicher  Fas- 
sung bekannt,  wie  wir  sie  aus  Bürgers  Ballade  kennen.  Auf  dem 
Bacher-Gebirge  (Steiermark)  erzählen  die  alten  Leute  noch  Sagen, 
die  sich  mit  denen  über  Achilles.  Ale.xander  d.  Gr.,  die  Kirke  und 
die  HcsperJden-.Äpfel  vollkommen  decken.  —  Die  Sage  vom  hölzer- 
nen Pferde  in  Troja  existiert  auch  bei  Dobrunj  (nächst  Pribcj  im 
Sandschak  Novipazar);  die  Rolle  der  Helena  spielt  auch  hier  eine 


Königin  gleichen  Namens,  u.  z.  Elena,  die  Gemahlin  des  Königs 
Brankovic.  —  Ebenso  suchen  die  Serben  einen  Nibelungenhort,  d.  i. 
den  Goldschatz  des  Königs  Radovan  u.  ä.  —  Wer  kann  nun  etwas 
Bestimmtes  darüber  sagen,  wo  die  Wiege  dieser  Erzählungen  stand, 
und  wie  dieselben  in  so  isolierte,  heute  äußerst  kulturarme  Gegenden 
gelangten!  —  Eine  reinliche  Scheidung  solcher  origineller  Vorstel- 
lungen ist  heute  ein  aussichtsloses  Wagnis;  die  ziemlich  gleich- 
lautende Form  in  den  verschiedensten  \\'eit  von  einander  entfernten 
Gegenden  ist  aber  immerhin  ein  Wink,  daß  sie  einem  ähnlichen 
wahren  Vorkommisse  entstammen,  wobei  sich  aber  das  Gebiet  ihrer 
heutigen  Verbreitung  durchaus  nicht  mit  dem  der  Entstehung  zu 
decken  braucht.  Ein  ähnlicher  Vorgang  spielt  sich  gleichfalls  bei  der 
Entstehung  und  Entwicklung  der  Gottesbegriffe  ab.  —  Wenn  man 
erwägt,  was  alles  dem  Urmenschen  in  Bezug  auf  die  Bildung  des 
Kultusgebietes  und  der  religiösen  Vorstellungen  zugemutet  wird,  und 
wie  ureinfach  und  natürlich  die  Entwicklung  in  der  Wirklichkeit 
war,  so  müssen  wir  uns  unserer  Unbeholfenheit  im  objektiven  Kriti- 
zismus ernstlich  schämen,  denn  erst  diese  toponomischen  Forschun- 
gen mußten  das  völlig  unerwartete  Resultat  bringen,  daß  der  Ur- 
mensch kein  Heide  im  heutigen  Sinne,  sondern  ein  natürlicher  M  o- 
n  o  t  h  e  i  s  t  war.  so\\ ie  daß  die  großen  Götterwelten  nichts  weiter 
als  irdische,  erst  später  durch  Fhantasiegebilde  konstruierte 
erdentrückte  Hoheitsfamilien  sind,  und  herrscht  bis  heute  in  dieser 
Hinsicht  noch  keine  Läuterung  oder  Konsequenz.  So  nennen  wir 
die  katholische  Religion  trotz  Marienkult,  Jleiligenanbetung  und 
Engelverehrung  eine  monistische;  weshalb  aber  die  ägyptische, 
griechische  oder  römische  eine  polytheistische,  deren  Hinmiel 
sogar  weniger  bevölkert  ist.  und  wobei  doch  alle  nur  einen  ober- 
sten Gott  verehren!  —  Betet  nicht  der  strenggläubige  Katholik  mit- 
unter bei  Zahnschmerz  zum  hl  Antonius  und  nicht  direkte  zu  Gott, 
ebenso  wie  der  römische  Kaufmann  zu  Mercur  und  nicht  zu  Jupiter 
flehte,  wenn  es  sich  um  ein  wichtiges  Geschäft  handelte!  —  Die  Re- 
ligionen sind  sich  daher  im  P  r  i  n  z  i  p  e  alle  gleich,  weil  sie  den 
ifleichen  Entwickhmgsgang  hinter  sich  haben,  und  sind  in  allen  die 
Nebengottheiten  lediglich  nur  Gehilfen  und  sozusagen  Spezialrefe- 
renten  der  Hauptgottheit.  Wir  dürfen  daher  auch  in  dieser  Hinsicht 
ebensowenig  von  tiefgehenden  Dissonanzen  sprechen,  wie  w  ir  takt- 


voll  die  religiösen  Gefühle  des  Einzelnen  als   subjektiven   Glauben 
gegenseitig  nicht  verletzen  sollen.*) 

Allerdings  haben  die  meisten  Religionsgebäude  auch  viel  Künst- 
liches und  Aufgedrungenes  später  hinzuerhaiten.  So  wissen  wir  ja, 
daß  die  germanische  Mythologie  lediglich  von  J.  Grimm  und  Simrock 
aufgebaut  wurde,  wobei  es  besonders  auffält,  daß  kein  römischer 
oder  griechischer  Schriftsteller  noch  irgendeines  germanischen  Qöt- 
ternamens  erwähnt.  —  Grimm  w  ar  bei  dieser  Arbeit  mehr  von  idealer 
Begeisterung  als  vom  ernsten  Forschertriebe  geleitet,  und  sind  seine 
bezüglichen  Aufstellungen  lediglich  eine  geistreiche  Kompilation  aus 
verschiedenen,  kritisch  ungeprüften  Volkssprüchen  und  Gebräuchen, 
die  aber  allen,  von  der  fremden  Kultur  unberührt  gebliebenen  sla- 
vischen  Völkerschaften  gleichfalls  u.  z.  meist  viel  genauer  bekannt 
sind;  und  ebenso  hat  Simrock  einen  geschlossenen  deutschen  Olymp 
nach  eigener  Phantasie  aufgestellt,  wozu  ihm  bestenfalls  etliche  zer- 
streute Daten  über  heidnische  Feste  und  Opfer  eine  fragwürdige 
Basis  bieten  konnten. 

Wie  schon  gelegentlich  Beispiele  angeführt  wurden,  hat  die 
germanische  Mythologie  entweder  die  slavische  zur  Grundlage,  oder 
ist  sie  zum  mindestens  von  der  letzteren  wesentlich  beeinflußt  w^or- 
den.  So  erzählen  Saxo  Grammaticus  um  1200  n.  Ch.  (Hist.  danica) 
sowie  spätere  Schriftsteller  im  allgemeinen,  daß  Odin's  Ankunft  in 
Dänemark  ungefähr  auf  50  Jahre  vor  der  christlichen  Zeitrechnung 
angesetzt  wird;  daß  er  sich  schon  in  seinem  Leben  für  einen 
Gott  ausgegeben;  daß  dies  der  «Othinx  sei,  der  unter  den  Dänen 
und  Mecklenburgern  als  "Woden«.  d.  i.  der  Heerführer  genannt 
wurde;  daß  sich  derselbe  wohl  nicht  lange  in  diesen  Gegenden  auf- 
gehalten habe,  hatte  aber  dennoch   auf  die  \\'endische  Götterlehre 


■')  Daß  eüie  Religion  mehr,  die  andere  weniger  Anhang  und  Ver- 
breitung gefunden  oder  ganz  in  Konkurs  kam.  das  hing  von  der  Qualität 
ihrer  sittlichen  Werte  und  der  vorausblickenden  gün- 
stigen Lösung  sozialer  Fragen  ab.  welche  die  Zukunft  unaus- 
Irleiblich  und  gebieterisch  zur  Entscheidung  bringen  muß.  So  hat  z.  B.  der 
Religionsstifter  JVlohamnied  nicht  klug  vorausgesehen,  daß  die  durch  die 
religiösen  Satzungen  zurückgesetzte,  sklavisch  gehaltene  Frau  einmal  eine 
soziale  Gleichwertigkeit  mit  dem  Manne  erreichen  könnte,  was  nun  zu  einer 
Kraftmessung  zwischen  dem  Konservatismus  der  Religion  und  dem  Zeit- 
geiste führen  und  mit  einer  das  Ansehen  der  Religion  schädigenden  nach- 
tuiglichen  Berichtigung  des  Koran  endigen  muß. 


-^  326  - 

einen  ^^roßen  Einfluß,  da  er  nicht  nur  dem  »Radegast«  den  Ursprung 
gegeben,  sondern  noch  eine  andere  sarinatische  Gottheit  mit  nach 
Alecklenburg  brachte  und  dann  selbst  Götze  wurde  etz.  *) 

Es  gab  wohl  einige  Heiidentcende,  welche  freimütig  zugaben. 
daß  die  germanische  Mythologie  nicht  mit  deutsch  identi- 
fiziert werden  dürfe,  denn  bis  zur  Hälfte  des  Mittelalters  ist  nicht  die 
geringste  Spur  einer  deutschen  Götterlehre  zu  finden,  und  habe  ich 
an  anderer  Stelle  selbst  genügend  glaubwürdig  nachgewiesen,  daß 
die  Edda  selbst  zum  großen  Teile  von  jemand  verfaßt  A\urde,  der 
slavisch  kannte,  obschon  derselbe  den  slavisch-etymologischen  Ein- 
schlag für  mehrere  Jahrhunderte  gut  \'er\\ischte,  wenn  auch  nicht 
für  —  alle  Zeiten! 

So  schreiben  deutsche  Forscher,  wie  Golther,  Schönbach  u. 
a..  von  denen  z.  B.  der  erstgenannte  meint:  «Mehr  als  die  Hälfte  des 
durch  J.  Grimm  zum  Aufbaue  der  germanischen  Mythologie  ange- 
häuften Materiales  ist  hiezu  unverwendbar,  weil  es  einem  späteren 
und  jüngeren  Zeitalter  entnommen,  für  diese  Epoche  daher  ana- 
chronistisch ist.  Und  noch  mehr:  vieles  darunter  ist  überhaupt  nicht 
deutsch,  weil  zum  Teile  die  heidnischen  Gebräuche  von  den 
christlichen  verdrängt  wurden,  zum  Teile  haben  sich  aber  Mythen 
alter  nordischer  Völker  als  solche  deutschen  Ursprungs  eingereiht. 
Bei  der  Untersuchung  mythologischer  Quellen  ist  es  Hauptsache, 
sich  der  unzutreffenden  und  unbrauchbaren  Beweise  zu  erwehremc 

Schönbach  geht  noch  weiter**):  xJene  sozusagen  naive  Freude 
zu  suchen  und  zusammenzusetzen,  welche  seinerzeit  J.  Grimm 
fühlte,  ist  heute  zum  großen  Teile  schon  geschwunden  und  mußte  einer 
nüchternen  Kritik  Platz  machen.  Wir  ersehen  bereits,  daß  der  germa- 
nische Himmel  nicht  viele  Bewohner  besitzt  und  wissen,  daß  die  üppig 
wuchernde  Mythologie  der  nordischen  Völker  und  Inseln  die  ziemlich 
ärmliche  Kenntnis  über  die  germanische  Qötterwelt  ergänzen  mußte: 
wir  sind  jetzt  überzeugt,  daß  unsere  dem  Namen  nach  bekannten 
Gottheiten  nicht  genügend  umschrieben  sind,  wir  erkennen  nicht 
mehr  ihre  Gesichtszüge,  dürfen  daher  auch  nicht  als  Wahrheit  aus- 
legen, was  uns  die  christlichen  Epigonen  im  Volksglauben  zurück- 
ließen«. 


')  Diese  Daten  enthiiit  auch  noch  das  i.  J.  1771  in  Berlin  gedruckte 
Werk:  Masch.  Die  gottesdienstlichen  Altertümer  der  Ohotriten.  — 
")  Zeitschrift  des   deutschen   und  österr.   Alpenvereines.   190(1 


—  3-I 


Der  (jclelirte  M.  Koch  schrieb  sogar  darüber  sclioii  vor  einem 
vollen  halben  Jahrhunderte  ):  »(Jenaii  besehen  erscheint  die  ger- 
manische Alle-Welt-Taufe  als  der  größere  Übelstand,  teils  wegen 
seines  zähen  Festhaltens  und  teils  deshalb,  weil  er,  begünstigt  von 
großen  Gelehrten,  tief  in  die  Anschauung  des  Volkes  eingedrungen 
ist.  Findet  aber  ein  Mißbrauch  aus  Irrtum  statt,  so  hat  ihm  das  bes- 
sere Wissen  zu  steuern.  Die  meisten  haben  sich  in  die  germanische 
Anschauung  so  tief  hineingearbeitet,  daß  sie  d  e  r  T  r  c  n  n  u  n  g  v  o  n 
ihr  das  ü  e  h  a  r  r  e  n  im  I  r  r  t  u  m  c  \'  o  r  z  i  t  h  e  n « . 

Was  diese  Forscher  behaupten,  ist  sicherlich  richtig,  nur  ist 
da  eine  Zeitmetathesis  eingedrungen,  die  vor  allem  richtiggestellt 
werden  muß.  denn  nicht  so  sehr  die  Einflüsse  der  christlichen  Zeit 
sind  diejenigen,  w  eiche  am  w  irksamsten  für  den  Aufbau  der  germa- 
nischen Mythologie  w  aren,  sondern  zum  größten  Teile  die  U  r  v  e  r- 
fassuiig  des  bodenständigen  Volkes  aus  der  Ur- 
zeit. —  derSlaven;  aber  diesen  Namen  hiebei  offen  genannt  zu 
hören,  dazu  hatte  noch  niemand  weder  Mut  noch  Überzeugung!  **) 

Eine  analoge  Entstehung  wie  die  germanische  Mythologie  hat 
auch  de  griechische,  von  der  wir  ja  gleichfalls  wissen,  daß  sie  von 
Hesicd  rnd  den  Homeriden  zusammengetragen  wurde  und  in  wel- 
cher sich  die  antike  Thegonie  noch  urzuständlich  wiederspiegelt.  Die 
Basis  für  die  Herkunft  der  Götter  sind  den  Griechen  die  Heroen, 
jene  männlichen  Ideale  von  hoher  physischer  Kraft  wie  auch  geisti- 
ger Überlegenheit,  welche  ihre  Mitmenschen  beschützten  oder 
verteidigten;  sie  erfreuten  sich  daher  bei  Lebzeiten  einer  ho- 
hen sozialen  Achtung  und  w  urden  nach  ihrem  Tode,  nachdem  die  Er- 
innerung an  ihre  gesellschaftliche  Stellung  rege  blieb,  zu  Kuitusob- 
jekten,  zu  Halbgöttern  und  schließlich  auch  zu  Göttern,  analog  wie 
man  ja  noch  heute  Menschen  zu  Heiligen  macht.  Ihre  Familien- 
mitglieder erfreuten  sich  naturgemäß  gleichfalls  einer  erhöhten  Be- 
achtung und  genossen  unter  solchen  \'erhältnissen  analoge  religiöse 
V'erehrung,  weil  man  sie  als  Förderer  und  Gehilfen  der  Verdienste 

*)  Mathias  Koch,  t'bcr  die  ähcste  Bevölkerunsc  Österreichs  und  Ba^'- 
enis.  —  Leipzig  1856. 

''")  Gewisse  Kreise  wollen  heute  ihr  U  r  g  e  r  ni  a  n  e  ii  t  u  m  dadurch 
dokumentieren,  daß  sie  zum  «.Allvater  Wodan»  beten:  es  berührt  dies  etwas 
sonderbar,  daß  sie  sich  gerade  an  jenen  Gott  wenden,  dessen  slavische 
KReinkultur«  noch  am  deutlichsten  nachweisbar  ist! 


—  3ä8  — 

des  Heroen  ansehen  mußte,  so  daß  schließlich  aus  einer  angesehenen 
irdisch-realistischen  Familie  eine  geschlossene  Qötterfamilie  her- 
vorging. 

Bei  den  Griechen  beginnt  die  Transsubstantlation  histori- 
scher Personen,  wie  Ahnherrn.  Stifter  und  Gründer  von  Städten. 
Volksführer,  heldenmütiger  Verteidiger  des  \'aterlandes  eigentlich 
erst  nach  der  späthomerischen  Zeit,  indem  solche  unmittelbar  nach 
ihrem  Tode,  oft  auch  schon  bei  Lebzeiten,  formell  zu  göttlichen  Eh- 
ren erhoben  wurden.  Die  vorzeitige  Diffusion  der  irdischen  Ver- 
ehrung eines  Menschen  in  eine  überirdische  unterlag  in  letzterem 
Falle  einem  verkürzten  Prozesse. 

Die  Grenze  zwischen  hochgestellten  Menschen  und  Göttern  ist 
immer  verschwommen  gewesen  und  umso  verschwommener  ge- 
worden, je  weiter  sich  die  Zeit  von  ihrer  Existenz  entfernte.  Die 
mythischen  .Ahnherrn  der  einzelnen  \'olksstämme  sind  da- 
her in  ihrer  Ursprünglichkeit  lediglich  prosaische  Gemeinde- 
älteste,  und  die  Forschung  zeigt  uns  auch  die  fortschreitende  Um- 
w  andlung  dieser  Funktionen  vom  Realen  und  Demokrati- 
schen zum  Theokratischen  und  Mystischen,  aber 
durchaus  nicht  umgekehrt  oder  ohne  diese  Ent- 
wickln n  g  s  p  h  a  s  e.  —  Wie  z.  B.  «boh,  bog«  (=  Gott)  vom  Qe- 
meindeältesten  progressiv  zu  Gott  w  erden  kann,  ist  auch  heute 
leicht  zu  beweisen.  Wird  der  Vorsteher  einer  Gemeinde  dann  Älte- 
ster einer  Gemeindegruppe,  einer  Provinz  oder  noch  größerer  Ge- 
bietsteile, so  kennt  ihn  der  größte  Teil  der  Bewohner  gar  nicht: 
hatte  er  obendrauf  Gelegenheit  sich  im  Kampfe  um  den  Schutz  des 
ihm  anvertrauten  Gebietes  auszuzeichnen,  so  bilden  sich  um  ihn 
Sagenkreise  und  legendäre  Vorstellungen,  die  ihn  schließlich  als  hö- 
heres Wesen,  begabt  mit  den  besten  Eigenschaften  des  Geistes  und 
Willens,  als  Träger  übermenschlicher  Stärke  und  übernatürlicher 
Gewalt  darstellen,  und  weil  er  für  die  Mehrheit  nie  sichtbar  ist,  wird 
er  mit  der  Zeit  zu  einer  transzedenten  Größe,  was  sich  bereits  mit 
dem  gangbaren  Gottesbegriffe  im  allgemeinen  deckt.  Tatsächlich  ist 
auch  in  allen  nicht  römisch-katholischen  Staaten  die  höchste  kirch- 
liche Würde  zugleich  in  der  Person  des  Herrschers  vereinigt.  — 
Man  frage  aber  nur  einmal  einen  primitiven  Gebirgler,  der  nie  sein 
Weichbild  verlassen,  wie  er  sich  einen  Kaiser  oder  den  Papst  vor- 
stellt, und  ist  da  wohl  jener  Soldat  typisch,  der  vor  der  Kaiserin 


Anna  deshalb  nicht  präsentierte,  weil  sie  keine  Krone  auf  dem 
Kopfe  trug;  ja  bei  den  Chinesen  ist  es  geradezu  Vorschrift,  daß  sich 
der  Herrscher  keinem  zeigen  darf;  ist  es  daher  ein  Wunder,  wenn 
dieser  dann  als  0  e  i  s  t  u  n  d  (lo  1 1  —  weil  für  jedermann  unsichtbar 
—  angesehen  wird! 

Daß  solche  in  liohem  Ansehen  stehende  Personen  sodann  auch 
nicht  gewöhnlichen  Todes  sterben  können,  sondern  auf  einem  son- 
stigen Umwege  der  Erde  entrückt  werden,  ist  ja  naheliegend,  weil 
der  Volksglaube  dies  ja  gar  nicht  fassen  will,  daß  eine  solche  Qlanz- 
gestalt  der  banale  Tod  erfassen  könnte.  So  kommt  es,  daß  Religions- 
stifter, Nationalhelden,  weise  Herrscher,  als  konstant  fortlebend  an- 
gesehen werden,  oder  daß  man  gar  nicht  glaubt,  daß  sich  der  Be- 
treffende im  designierten  Grabe  befinde,  wie  z.  B.  Elias,  Christus, 
Mohammed,  Alarich.  Atilla,  Barbarossa,  Kaiser  Josef  II.  u.  a. 

So  haben  auch  die  Götter  des  griechischen  Olymps  ansonst 
eine  sehr  prosaische  Entstehung.  Der  Olympos  ist  ein  G  r  e  n  z  g  e- 
b  i  r  g  e,  was  ja  auch  der  ursprachliche,  noch  heute  bei  den  Slaven 
gebräuchliche  Begriff  »lim«  (Grenze),  «olim,  olinije»  (Grenzgebiet) 
bezeugt.  Die  Grenze  zwischen  Thessalien  und  Makedonien,  d.  h.  die 
Pässe,  mußten  militärisch  bewacht  werden.  Der  Kommandant  eines 
Teiles  dieser  Linie  war  der  K  r  o  n  o  s  (gran,  gron  ~  Grenze),  eines 
anderen  Teiles  Uranos  (Vranos,  brana,  vrana  =  Verteidigungs- 
stelle), eines  dritten  Zeus  i&nnc,  deus.  dev,  div,  divimis,  dien 
u.  s.  w.),  der  Beobachter  feindlicher  Vorgänge.*)  So  ist  es  auch 
erklärlich,  daß  Kronos  den  Uranos  entthronte  und  dieser  wieder  vom 
eigenen  Sohne  Zeus  um  die  Herrschaft  gebracht  wurde;  es  sind  dies 
wohl  nur  Kämpfe  um  die  höchste  Kommandostelle  und  Gewalt  in 
jenem  Grenzgebiete,  welches  zum  Schlüsse  auch  zum  Göttersitze 
einer  solchen  Heroenfamilie  wurde,  was  die  Epiker  und  die  Volks- 
dichter dann  noch  poetisch  ausprägten  und  erweiterten. 

Diese  Deutungen  werden  wohl  als  ungeheuerlich  angesehen 
werden,  denn  schon  die  Verquickung  mit  dem  Slavischen  allein 
gilt  als  ein  Kriterium  des  Unmöglichen.  Doch  wird  sich  dagegen 
nicht  mehr  viel  ausrichten  lassen,  denn  es  tritt  immer  klarer  und 
entschiedener  der  Grundzug  hervor,  wonach  alle  G  ö  1 1  e  r  w  e  1- 

'')  Der  Olj-mp  heißt  jetzt  xLachaH.  was  wieder  zeiet.  daß  ein  dorti- 
ger Punkt  einst  auch  »Loka«  geheißen  haben  nuiß. 


t  e  n  in  jener  Zeit  zu  keimen  begonnen  haben,  als 
n  o  c  h  d  i  e  U  r  s  p  r  a  c  h  e  m  a  ß  g  e  b  e  n  d  \\  a  r.  u  n  d  K  a  m  p  f  u  n  d 
Krieg  noch  das  eigentliche  Lebenselement  uns  er 
r  e  r  Vorfahren  ausmachten.  Man  muß  daher  bei  dieser 
Beweisführung  wieder  die  sozial-militärischen  Urzustände  in  eine 
logisch-harmonische  und  genetische  Wechselwirkung  mit  der  Sprach- 
wissenschaft bringen,  denn  niemand  gebraucht  für  ein  b  e  k  a  n  n  t  e  s 
Objekt   ein   unbekanntes   oder   unverstandenes   Wort. 

Betrachtet  man  in  diesem  logischen  Sinne  auch  kurz  die  Kos- 
mogonic  der  Edda,  so  wird  man  sofort  zugeben  müssen,  daß  dieser 
Qalimathias  nicht  der  Gedankensphäre  eines  natürlich  den- 
kenden Menschen  entstammen  kann,  sondern  nur  die  künst- 
liche Verballhornung  einer  vorgefundenen  Naturreligion  ist.  in  wel- 
cher man  die  noch  zum  Teil  erkannten  Begriffsbedeutungen  sprach- 
lich falsch  interpretierte,  und  auf  dieser  fehlerhaften  Etymologie 
einen  planlosen  Bau  ausführte.  —  Es  diene  zum  Beweise  hiezn  nur 
folgender  Auszug  aus  der  germanischen  Weltschöpfungsmythe:  Das 
Weltall  ist  ein  mächtiger  Baum,  die  W  e  1 1  e  s  c  h  e  KAskr  Ygg- 
drasil«; in  ihrem  Gezweige  weidet  der  Windgott  Odin  sein  Roß  (ein 
Pferd  auf  einem  Baume!),  sowie  auch  die  Ziege  «Heidrun«.  —  Die 
MAsenx  (=  Götter)  schufen  im  Uranfange  aus  zwei  Bäumen  das 
erste  JVlenschenpaar.  den  Askr  und  die  Embla.  Die  Erde  heißt 
Midgard;  sie  ist  von  der  großen  Midgardschlange  umschlossen 
und  gegen  Anfälle  der  Riesen  und  Einbrüche  des  IVleeres  durch 
Wälle  geschützt.  Die  Kuh  Andumia  speist  die  Meerriesen:  aus  ihr 
geht  «Buri«  hervor,  der  den  «Bor«  und  die  «Vestla«  zu  Kindern  hat 
etz.  Die  Begriffe:  «Äsen.  Buri.  Bor.  Vestla«  sind  schon  an  anderer 
Stelle  erklärt;  «Midgard«  ist  ein  Q  r  e  n  z  v  e  r  t  e  id  i  g  u  n  g  s- 
p  u  n  k  t  (mid-grad)  und  mit  solchen  ist  die  ganze  Grenze  «umschlun- 
gen«; die  Wälle  ergänzen  noch  diese  Erklärung.  —  Die  Welt- 
esche "Askr  Yggdrasil«  ist  jedoch  etymologisch  der  gefürch- 
tete Krieger,  der  Held,  also  kein  Baum.  Die  slavischen 
Balkanvölker  wie  die  Osmanen.  Perser  u.  ä.  verstehen  unter  «asker« 
=  Krieger.  Armee.  Militär  überhaupt,  denen  ein  «as«  vor- 
steht; «Yggdrasil«  ist  ein  mäßig  verändertes  slavisches  Wort  (ustra- 
sil.  ustrasljiv!)  in  der  Bedeutung:  derFurchterregende,  der 
Gefürchtet  e.  oder  der  Beschützer,  der  Wachhabende 
(ustrazil).  also  der  mächtigste  Befehlshaber  über  irgendein  größeres 


—  331  -- 

Gebiet.  Wieso  aber  der  Zuschneider  der  Edda'scheri  Kosrnogonie 
zum  Eschenba  11  me  kam.  ist  auch  nicht  schwer  zu  verfolgen, 
denn  «jasenn  ist  eben  in  allen  slavischen  Sprachen  der  Begriff  für 
die  Esche,  und  die  große  fürchterliche  (Yggdrasil)  Esche 
wurde  in  seiner  falschen  Translation  zur  W  c  i  t  e  s  c  h  e,  statt  zur 
obersten  Schutz  —  ( =  s  t  r  a  z  a)  Person.  Jener  K  o  m- 
P  i  1  a  t  o  r  ni  u  i.i  sonach  noch  ganz  annehmbare  Kennt- 
nisse des  Slavischen  besessen  haben,  da  er  außer  dem  Be- 
griffe )Asciii'  nrch  noch  «jascn«  kannte,  welcher  Begriff  in  den  ver- 
schiedenen Dialekten  noch  heute  ohne  Fräiotation  gehraucht  \\  ird.*) 

Alle  mythischen  Erzählungen  entpuppen  sich  schließlich 
als  solcherart  entstanden;  allerdings  erleidet  dabei,  wenn  man  sie 
der  poetischen  Zutaten  entkleidet,  die  holde  Sagenwelt,  die  gefestigte 
Überlieferung  und  das  in  der  Jugend  Angelernte  eine  derbe,  empfind- 
liche Störung.  Namentlich  \\eicht  man  der  %\issenschaftlichen  .Auf- 
iollung  religiöser  Forschungsfragen  gerne  aus,  da  solche  dann  meist 
nicht  kritisch  sondern  g  e  f  ü  h  1  s  g  em  ä  ß  aufgefaßt  w  erden,  da- 
her es  eben  kommt,  daß  sich  Glaube  und  Wissenschaft  heute  noch 
immer  schroff  entgegenstehen  und  sich  gegenseitig  ihre  Fundamente 
i  rtergrat-en,  statt  die  Khift  gemeinschaftlich  zu  überbrücken.  Jeder 
Schritt  aber,  der  das  Wissen  und  Glauben  der  Wahrheit  naher 
bringt,  vermindert  den  Abstand  zwischen  beiden  und  führt  uns  zu 
dem,  was  wir  bis  nun  noch  nicht  kennen :  zur  reinen,  n  a  t  ü  r  1  i- 
chen  Offenbarung!  —  Allerdings  muß  aber  auch  der  Theologe 
den  Tatsachenbeweis  der  Wissenschaft  rückhaltslos  anerkennen  und 

*)  Um  überzeugender  zu  wirken,  sei  noch  folgendes  aus  der  Edda 
angeführt:  der  von  iihodrn  (chod,  chodar)  getötete  Bai  der  wird  von 
dessen  Bruder  «bous«  (Saxo  nbothn,  altdänisch  «vali».  »all«  —  isländisch) 
gerächt.  Diese  Exekutoren  der  Blutrache  sind  uns  etymologisch  durch- 
wegs schon  bekannte  Namen  (bos.  vod.  vali),  welche  uns  überdies  den 
äußerst  wichtigen  Fingerzeig  geben,  daß  die  Darstellung  von 
Stierköpfen  (als  Sj-mbol  der  menschlichen  Stärke)  in  der  reich  vor- 
gefundenen alten  Skulptur  (z.  B.  Mithras,  hl.  Lukas  u.  a.)  schon  in  der  Zeit 
nach  der  falschen  E  t  j.-  m  o  I  o  g  i  e  von  b  u  s,  bos,  t  u  r,  t  o  r.  etz. 
hervorgegangen  sein  müssen,  denn  zur  Zeit  des  ungetrübten 
Verständnisses  wird  niemand  seinen  Herrscher  oder  Befehlshaber  mit  dem 
beleidigenden  Ochsenkopfsymbol  haben  ungestraft  »ehren«  wollen.  —  Der 
isländische  Ase  «Vidarx  bedeutet  im  Nordischen  soviel  als  Beobachter, 
aber  erst  die  s  I  a  v  i  s  c  h  e  Etymologie  sagt,  daß  diese  Deutung  richtig  ist. 


darf  dabei  nie  den  roten  Faden  verlieren,  daß  die  Hauptaufgabe  der 
Religion  doch  dieErziehungderMenschheitz  urMoral 
ist  und  dies  bleiben  wird;  bedient  sich  dieselbe  hiezu  sol- 
cher Mittel,  w-elche  mit  dem  Glauben  allein  auch  die  Beweisführung 
erschöpfen,  so  kann  dies  jedermann  willkommen  oder  doch  gleich- 
gültig sein,  nachdem  der  subjektive  Glaube  ja  weiter  niemanden^ 
einen  Schaden  zufügen  kann;  nimmt  aber  die  Religion  zur  Stütze 
ihrer  Lehren  jene  Momente  hinzu,  deren  Glaubwürdigkeit  durch  die 
Hilfsmittel  der  Spekulation,  als:  Bewußtsein,  Erkenntnis  und  Über- 
zeugung erschüttert  werden  kann,  so  entsteht  der  unvermeidliche 
Zusaiimienstoß  der  Meinungen,  wobei  alternierend  einmal  die  Wis- 
senschaft, ein  andermal  die  Religion  den  Rückzug  antreten  muss.  — 
So  lange  sich  also  die  Religion  auf  die  anerkannten  moralischen 
Grundgesetze  der  menschlichen  Lebensbetätigung  und  deren  Gel- 
tendm.achung  basiert,  —  denn  sie  war  ja  tatsächlich  überall  der  erste 
Träger  der  Wissenschaft  — ,  sind  Differenzen  ausgeschlossen;  so- 
bald sie  aber  kosmische  Vorgänge  lediglich  der  Diktatur  des  Glau- 
bens unterwirft,  bilden  sich  dort  scharfe  Gegensätze,  wo  die  indi- 
viduelle oder  fremde  überzeugende  Logik  zu  anderen  Schlüssen  ge- 
langte. —  Prinzipielle  Kollektivideen  sind  daher  auf  diesem  Gebiete 
ausgeschlossen,  denn  sowohl  von  enem,  dem  die  Religion  eine  wert- 
volle Sache  ist,  wie  von  jenem,  der  ihr  feindlich  gegenübersteht, 
ist.  —  sofern  sie  nicht  umhin  können  sich  gegenseitig  zu  beunruhi- 
gen — .  eine  vorurteilslose  Überprüfung  nicht  zu  erwarten;  wer 
aber  indifferent  ist.  der  weicht  dem  Thema  überhaupt  aus  prakti- 
schen Gründen  aus.  Es  machen  daher  die  äußerste  Rechte  wie  die 
äußerste  Linke  hier  gemeinsame  Sache:  sie  diskreditieren 
beide  den  wahren  Wert  der  Religion. 

Die  dargelegte  Entstehung  der  Gottesbegriffe 
zeigt  uns  jedoch  klar,  daß  jede  Religion  in  ihrem 
Beginne  nur  ein  Produkt  natürlicher  Vorgänge 
ist:  sie  zeigt  uns  aber  andererseits  auch,  wie  jede 
Religion  allmählig  ihre  Objekte  der  \'erehrung 
dem  i  r  d  I  s  c  h-p  rofanen  Milieu  entzog,  mit  der  Zeit 
Ranz  auf  das  mystische,  substanzlose  Gebiet  ab- 
schwenkte und  solcherart  behufs  Ausschaltung 
der  Möglichkeit  c  in  e  r  Nachkontrolle  alle  Grenzen 
f  ii  r  Z  c  i  t  u  n  d  R  a  u  m  entfernte. 


333 


Es  gibt  beim  primitiven  Volke  eben  keine  Vorstellung,  die 
nicht  einen  ursächlichen,  naturgemäßen,  auf  logischer  Gedanken- 
arbeit fußenden  Anfang  hätte,  und  Avird  es  einem  Helldenkenden  nie- 
mals einfallen,  auf  die  Dauer  Sagen,  Mythen  und  Legenden  lediglich 
als  Produkte  spielender  Phantasie  anzusehen,  wenn  sich  auch  der 
wahre  Kern  infolge  \icler  brriter  Umhüllungen  gut  verborgen  erhält; 
aber  die  höchste  Humanität,  das  profundeste  Wis- 
sen, dieidealsteK' eligion  ruh  tdoch  inderErkennt- 
n  i  s  und  'Verbreitung  der  reinsten  Wahrheit! 


mi<gms^mmmrfiimä^ 


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Schlusswort. 


Es  ist  uineniieidlicli.  daß  in  einer  so  uiiifaii^reichen  s  j  n  t  h  e- 
ti  sehen  Arbeit,  zu  w  elelier  wohl  viele,  aber  meist  verwitterte 
Bausteine  zugetragen  werden  mußten,  nicht  nur  da  und  dort  Irrtü- 
mer und  falsche  Fundierungen  unterlaufen,  sondern  auch  ebenso  un- 
vorhergesehene Mißdeutungen  Eingang  finden  können;  der  große 
Bereich  des  in  Erwägung  gezogenen  Stoffes  erheischt  daher  noch  eine 
intensive  Detailarbeit,  denn  die  endgültige  und  überzeugende  Klä- 
rung so  manches  toponomischen  Begriffes  und  so  mancher  land- 
läufiger Erklärung  weit  entrückter  Vorgänge  wird  sich  dem  Einzel- 
nen erst  anschaulich  ergeben,  wenn  allseits  und  überall  Vergleiche 
angestellt  und  Überprüfungen  auf  Basis  dieser  Grundgesetze  vorge- 
nommen werden.  —  Wir  befinden  uns  aber  hier  erst  im  Beginne  des 
Hebens  einer  total  verfahrenen  und  vernachlässigten  Wissenschaft, 
welche  bisher  nur  als  falsche  Münze  im  Parteigetriebe  kursierte 
oder  lediglich  als  politische  Vogelscheuche  in  Dienst  gestellt  war.*) 


*)  Man  verKleiche  einmal  die  Broschüre  des  Münchner  Utnversitäts- 
professnrs  Dr.  Sepp:  nAnsiedlunK  KriesfsijefanKener  Slaven  oder  Sklaven  in 
Altbayern  und  hre  letzten  Spuren:  (München  1897).  welche  Slaven  nur 
als  Sklaven  und  Kriegsgefangene  kennt,  die  man  «gnadenhalber 
in  den  wertlosen  Sumpfgebieten  ansiedelte,  zu  den  wilden  Tieren  in  eine 
Bergwildnis  verpflanzte  und  sie  dort  ihrem  Schicksale  überließ.«  —  Was 
nützt  die  äußerste  Konzentration  der  Bücherweisheit,  w  enn  bei  der  Verwer- 
tung derselben  die  Objektivität,  die  Logik  wie  auch  das  Oedächtnis  vol- 
Itnds  versagen,  denn  an  anderer  Stelle  sagt  w  ieder  Dr.  Sepp,  daß  von  den 
Slaven  Hunderte  von  Ortsnamen  in  Bayern  herrühren  und  daß  der  deutsche 
Adel  deshal!i  so  viel  slavische  Namen  führt,  weil  er  sich  den  Namen  nach 


Alles  bisher  Gesagte  ist  daher  nur  eine  wissenschaitliehe  Klein- 
arbeit, der  eigentUch  die  Forschung  nach  der  Urgeschichte  der  Sla- 
ven  nur  zur  Folie  dient,  die  aber  doch  den  Leser  leicht  zu  dem  vor- 
eiligen Urteile  bewegt,  als  ob  es  sich  hier  nur  um  eine  Liebhaberei 
oder  Qlorifizierung  des  Slavischen  im  allgemeinen  gehandelt  hätte, 
und  wurde  mir  in  dieser  Hinsicht  viel  schweres  Unrecht  getan.  Ich 
muß  daher  dem  Leser,  welcher  den  Grund  und  Schluß  so  mancher 
dieser  Detailbehauptungen  nicht  sofort  zu  erkennen  vermag,  dadurch 
entgegenkommen,  daß  ich  nun  alle  diese  kleinen  Lichter  in  einem 
großen  Reflektor  vereinige  und  zeige,  mit  welchem  m  ä  c  h- 
t  i  g  e  n  L  i  c  h  t  e  f  f  e  k  t  e  sie  nun  alle  zusammen  das  bis- 
herige Dunkel  unserer  historischen  L  e  b  e  n  s  g  e  - 
h  e  i  ni  n  i  s  s  e  überstrahlen. 


den  eroberten  slavischen  Burgen  und  Besitzen  beigelegt  hat.  Merkwürdige 
Leute  —  diese  S  1  a  v  e  n-S  k  1  a  v  e  nl  —  Wohin  sie  kommen,  überall  gaben 
sie  neue  Namen  aus  ihrem  Schilf  und  Moor,  und  das  Herrenvolk  beugt 
sich  dieser  .Anmaßung  geradezu  sklavisch;  der  Adel  nimmt  ihnen  ihre 
Burgen  und  Latifundien  weg  und  legt  sich  den  bezüglichen  Besitznamen  bei: 
aber  diese  Besitzung  konnten  doch  nur  wertlose  Filze  und  Sümpfe  ge- 
wesen sein!  —  Ja  man  überläßt  die  »Sklaven«  ihrem  Schicksale  unter  den 
wilden  Tieren,  aber  im  Orte  »Taufkirchen»  soll  man  sie  summarisch 
zum  Christentum  präpariert  haben;  wozu  also  diese  übertriebene  Sorge 
für  deren  Seelenheit!  —  Mit  dem  kleinen  Maßstab  der  Gehässigkeit  und 
Parteilichkeit  läßt  sich  die  große  Welt  doch  nicht  messen,  und  man  kommt 
da  bald  mit  der  Wissenschaft  bald  mit  der  Wahrheit  in  Konflikt,  und  bald 
mit  beiden  zugleich!  —  Doch  hiemit  ist  die  Sache  noch  nicht  abgetan.  Dr. 
Sepp  kannte  vermutlich  jene  Stelle  des  Pseudo-Maurikios.  augenscheinlich 
eine  .Art  arabischen  Münchhausens,  welcher  berichtet,  daß  bei  den  entsetz- 
'ichen  .lagden  auf  die  Slaven  diese  schließlich  auf  die  Idee  kamen  «sich  bei 
urplötzlichen  Überfällen  ins  Wasser  zu  stürzen  und  viele  Stunden 
lang,  aus  Schilfrohren  atmend,  die  Räuber  zu  täuschen».  Während 
nun  Dr.  Sepp  vorsichtig  genug  ist  diese  Quelle  nicht  anzuführen,  glaubt 
Professor  J.  Peisker  (Graz)  allen  Ernstes  daran,  denn  in  dem  Vorberichte 
zum  Werke;  »Neue  Grundlagen  der  slavischen  .Altertumskunde»  (1910)  fügt 
er  hinzu:  »So  wurde  er  (der  Slave)  zu  einem  elenden  .Amphibium.  Diese 
Slavenjagden.   bei   denen   es  ungleich   mehr  Tote  als  Gefangene  gab,  sind 


—  337  — 

Es  läßt  sich  die  Tatsache  nicht  abltuüiieii.  daß  die  Spracliior- 
schung  bisher  sehr  einseitig  arbeitete,  weil  die  Forscher  meist  die 
erforderlichen  Sprachkenntnisse  nicht  besaßen,  und  namentlich 
die  sla  vischen  Sprachen  fast  gar  nicht  in  den  Kal- 
kül  zogen;  was  aber  diese  Adepten  als  Dogma  hinstellten,  das 
führte  die  späteren  Forscher  zum  Irrtume,  denn  diese  setzten  wieder 
ihre  Studien  dort  ein,  \\o  sie  bereits  ein  geläutertes  Gebiet  vorzu- 
finden glaubten.  Und  darin  steckt  der  Hauptteil  unserer  geschicht- 
lichen Irrtümer,  daß  wir  ein  Volk  immer  erst  die  Weltbühne  betreten 
lassen,  sobald  dessen  geschriebene  Geschichte  beginnt,  —  ein 
Fehler  vergleichbar  mit  dem,  \\"ie  wir  auch  alle  einst  im  naiven 
Kindersinne  glaubten,  daß  die  Sonne  unmittelbar  hinter  dem  nächsten 
Gebirge  unseres  Horizontes  aus  dem  Ozean  steige.  In  der  Ent- 
wicklung eines  Volkes,  welches  plötzlich  agierend  auftritt,  muß 
aber  eine,  nicht  einmal  annähernd  in  Zahlen  bestimmbare  vorberei- 
tende Zeit  vorangegangen  sein,  und  daran  denkt  man  oftmals  nicht. 

—  Und  gerade  für  das  hohe,  ehrwürdige  Alter  der  Slaven  in  Europa 

uralt  etc.«  —  Man  sieht,  daß  selbst  die  größte  Unnatiirlichkeit  Professoren 
nicht  vor  Gehässigkeit  zurückhält,  wenn  dies  nur  bei  Herabsetzung  der 
Kultur  der  Slaven  seinen  Zweck  erfüllt!  —  Kaim  sich  Prof.  Peisker  die  Situ- 
ation Norstellen,  daß  ein  Mann  viele  Stunden  lang  unter  Wasser 
liegt  und  nur  aus  Schilfrohren  atmet?  Der  Aniphibien-Slave  wird  urplötzlich 
überfallen,  wirft  sich  platt  auf  den  Rücken  in  den  Sumpf,  schneidet  oder 
bricht  sich  ein  Schilfrohr  ab,  bohrt  sich  das  Diaphragma  an  den  Knoten- 
punkten sauber  aus.  —  natürlich  alles  unter  Wasser!  —  sucht  sich  beim 
Überfalle  nur  iene  Sumpfstelle  aus,  die  eine  bestimmte  Tiefe  hat,  sinkt 
im   Sumpfe   nicht   weiter   ein.   als   das    Schilfrohr    lang    ist   und    atmet   so 

—  stundenlang!  Bei  alledem  sind  aber  die  Räuber  so  einfältig,  daß 
sie  nicht  wissen,  wo  er  liegt,  zumal  das  Schilfrohr  heraussteckt,  oder  sind 
plötzlich  so  human  ihn  weiter  nicht  in  seinem  Elemente  zu  belästigen.  — 
Das  ungekündigte  Werk  soll  auch  folgende,  tatsächlich  vollkommen  neue 
Grundlage  für  die  Ermittlung  der  Slavenwiege  bringen:  »Die  Slaven  haben 
keinen  Ausdruck  für  Buche  aber  einen  für  den  Horubaum;  daher 
lag  ihre  Wiege  außerhalb  der  Buchenregion,  Linie  Königsberg-Odessa,  und 
innerhalb  der  Hornbaumgrenze,  welche  im  weiten  Bogen  die  Pripjat- 
Sümpfc  —  Poliesje  —  umspannt».  Diese  Idee  ist  jedenfalls  noch  nicht  da 
gewesen,  sowie  man  auch  hier  das  erstemal  hört:  »Der  Sumpf  bildet  keinen 
Kriegsschauplatz,  daher  die  slavische  Kriegsuntüchtigkeit  und  keine  Schlacht- 
ordnung!» —  Auch  das  ist  neu.  daß  die  Slaven  als  Soldaten  nichts  taugen! 

—  Nach  alledem  müßte  der  letzte  Slave  doch  schon  längst  nur  mehr  in 
einem  Panoptikum  zu  sehen  sein! 


selbst  sprechen  verschiedene  lebende  wie  tote  Zeugen,  und  ist 
der  wichtigste  lebende  Zeuge  vor  allem  die  Sprache,  denn  die 
Summe  so  vieler  ethno-  und  topographischer  Namen  in  Europa 
allein  mit  ihrem  s  1  a  v  i  s  c  h  e  n,  d.  h.  dem  S  1  a  v  e  n  sachlich 
\'  e  r  s  t  ä  n  d  1  i  c  h  e  n  W  u  r  z  e  1  w  o  r  t  e  spricht  wohl  beredt 
darili'.  daß  die  slavische  Sprache  als  eine  Art 
Grundsprache  angenommen  werden  m  u  ß.  Aber  diese 
Grundsprache  kann  ebensogut  mit  einem  anderen  Namen  belegt 
werden,  wie  man  ja  bis  heute  dafür  auch  «indogermanischK  im  wei- 
teren Sinne  aber  ebensowenig  prägnant  anwendete,  sofern  die  Be- 
nennung «ursprachlichic  dermalen  noch  nicht  für  opportum  gehalten 
wird,  denn  man  kann  sich  bei  der  wissenschaftlichen  Terminologie 
nur  an  jene  Begriffe  halten,  die  den  Gegenstand  mit  Rücksicht  auf 
die  heutigen  Verhältnisse  in  gehaltvollster  Weise  umgrenzen.*)  Tat- 
sächlich müssen  Kenner  der  slavischen  Sprache  zugeben,  daß  ein- 
zelne Sprachzweige  dem  Altsla  vischen,  das  man  aber  wissen- 
schaftlich noch  als  A  1 1  s  lo  v  e  n  i  sc  h,  wie  auch  A  1 1  b  u  1  g  a- 
r  i  s  c  h  näher  kennzeichnet,  umso  ähnlicher  erscheinen,  je  ältere 
Sprachproben  zu  dessen  \'ergleiche  verwendet  werden. 

Andererseits  ist  es  aber  selbstverständlich,  daß  alle  im  Buche 
angeführten  Naniensbildungen  nicht  als  slavische  im  heutigen 
politischen  Sinne  aufzufassen  sind,  aber  die  Mehrzahl  derselben 

*)  Die  vergleichende  SpracliforscliuiiR  fiilirt  auch  zu  der  Hypothese, 
als  wenn  die  s  I  o  v  e  n  i  s  c  h  e  Sprache,  w  eiche  vnu  den  Spracheelehrten 
ohnehin  als  die  Grundsprache  der  großen  slavischen  V'ölkerfaniilie  ange- 
schen wird,  mit  diesem  alten  Wortschatze  die  meiste  Identität  oder  doch 
Verwandschaft  hätte.  Diese  hat  sich  in  ihrer  vermutlichen  Urspriinghchkeit 
erstaunlich  unbeeinflußt  erhalten.  Die  etymologische  Sclireibweise  ist 
durchaus  beibehalten  und  diese  ist  zugleich  phonetisch.  Die  0  r  a  m- 
ni  a  t  i  k  bietet  nahezu  keine  Ausspracheregeln;  es  gibt  keine  Akcente,  keine 
Diphtonge  und  keine  Doppellaute.  Viele  Begriffe  konkreter  Richtung  ent- 
halten noch  heute  keine  Vollvokale,  w.  z.  B.  crn,  drn,  krt.  krst,  prt,  prst. 
rt.  rz.  u.  a.  und  bieten  diese  mit  ihrem  beihabenden  stummen  e,  das  ja  allen 
Konsonanten  (ausgenommen  h  und  k)  naturgemäß  anhaftet,  noch  lange  keine 
so  zungenschwierige  .Aussprache,  wie  etwa  die  deutschen  Begriffe:  nichts. 
Pflicht,  pfropfst,  stampfst  u.  ä.,  sowie  in:  ank  erst,  stolp  e  r  s  t  ja  die  gleich- 
lautenden Silben  auch  vorkommen,  daher  die  landläufigen  Ansichten,  daß 
die  slavischen  Sprachen  hart  seien,  schon  bei  diesen  wenigen  Vergleichen 
wesentlich  entwertet  erscheinen,  und  behauptet  dies  wohl  tuu^  derjenige, 
welcher  keine  solche  Sprache  gründlich  kennt. 


I 


gehört  eben  zum  U  r  v  o  r  s  c  h  a  t  z  e  des  präliistorischeii  f^ewohners 
unseres  Weltteiles,  und  eben  der  Umstand,  daß  sich  diese 
S  p  r  a  c  li  e  1  e  m  e  n  t  e  gerade  bei  den  S  1  a  v  e  n  in  Form 
und  Bedeutung  nahezu  unverändert  erhalten  ha- 
ben, eröffnet  uns  ein  neues  Feld  für  die  Lösung 
dieses  Rätsels,  daß  es  nämlich  zwischen  den  verschiedensten 
Sprachen  unleugbar  latente  Beziehungen  gibt,  die  sich  ohne  Unter- 
brechung um  den  ganzen  Erdball  zu  spannen  scheinen, 

Darin  ist  wohl  auch  die  erstaunliche  Aufnahnisfähigkeit  des 
Slaven  für  andere  Sprachen  natürlich  begründet,  denn  er  besitzt 
nicht  nur  einen  vielfältigen,  sondern  vor  allem  einen  von  der  Urform 
noch  wenig  abweichenden  Qrundwortbestand,  welclier  Vorzug  ihn 
eben  befähigt,  das  Wesen  einer  jeden  anderen  Sprache  rascher  und 
gründlicher  zu  erfassen,  daher  die  Slaven  auch  dem  Gebiete  der 
Sprachforschung  trotz  mancher  Ungunst  der  Verhältnisse  so  Hervor- 
ragendes geleistet  haben.  Die  slavischen  Sprachen  weisen  nämlich 
einen  erstaunlichen  Reichtuiu  an  Formen  und  Begriffen  in  einer 
Skala  auf,  für  die  uns  heute  bereits  die  Erkenntnis  der  subtilen  Be- 
deutungsunterschiede mangelt.  Namentlich  sind  die  konkreten  Be- 
griffe, wie  dies  schon  aus  den  Benennungen  der  Grenzzonen,  der 
\\'ach-  und  Verteidigungspunkte  hervorleuchtet,  ungemein  zahlreich, 
indes  die  abstrakten  Wortformen  nicht  so  vielseitig  sind,  wenn  sie 
auch  dem  normalen  Bedarfe  vollauf  genügen.*) 


'~  Es  füllt  auch  auf,  daß  z.  B.  die  Slovenen  noch  alte  Begriffe  für 
Kleidungsstücke  kennen,  die  schon  längst  mit  dem  Schwinden  der  Trachten 
alle  praktische  Anwendung  verloren  haben,  aber  man  findet  dieselben  in 
anderen  Sprachen  u.  z.  modernisiert,  wieder;  so  »zupanc«,  ein  iirnielloses 
Kleid,  als  ,1  o  p  p  e  im  Deutschen,  als  «jupon«  im  Französischen,  als  Schlaf- 
rock (zupan)  im  Böhmischen  und  Russischen;  «niohaj«  war  ein  schwarzes 
weibliches  Oberkleid  mit  breitem  grünen  Saume  (ähnlich  der  Schlesierinnen- 
Tracht).  als  »moiiair»  im  Englischen;  «rüb,  robaca«,  ein  Kleidungsstück  mit 
einem  Saume  (statt  auslaufender  Fransen),  als  »robe«  im  Französischen; 
»bregese«,  eine  Kniehose  aus  starkem  Hausleinen,  als  «breechesii  (Reithose) 
im  Englischen;  «burnus",  ein  Schutzkleid  gegen  Wind  und  strenge  Kälte 
(bura),  ist  auch  den  Arabern  und  Marokkanern  bekannt;  «godeze«  erwähnt 
Lichtenstein  (in  »Prauendank» )  als  »ein  windisch  wibes  kleit»;  heute  unbe- 
kannt, aber  anscheinend  ein  Miederkleid  und  im  Französischen  als  »cottes», 
oben  enge,  unten  weite  Kleider  des  Mittelalters,  erhalten.  — 


Es  kann  aber  eine  Sprache,  die  einfach  und  natürlich  geblieben 
ist,  auch  nur  unter  der  Voraussetzung  einfach  und  natürlich  geblie- 
ben sein,  wenn  sie  von  fremdwärts  unbeeinflußt  war  und  ihr  die 
Gelegenheit  mangelte  ihre  Originalität  einzubüßen;  jede  andere  Er- 
klärung ist  prinzipiell  anfechtbar,  nachdem  eine  Sprache  im  er- 
weiterten Gebrauche  —  vielleicht  Gewaltmittel  ausgenommen  — 
niemals  kompendiöser  sondern  nur  stetig  breiter  wird. 

So  kommt  es  auch,  daß  die  konkreten  Begriffe,  je  weiter 
man  zur  Urzeit,  die  sich  begreiflicherweise  noch  wenig  mit  Abstrakt- 
heiten befaßte,  zurückgeht,  in  allen  Sprachen  nahezu  gleichlautend 
sind,  und  fließen  alle  jene  Begriffe,  die  dem  Urmenschen  augenschein- 
lich bekannt  gewesen  sein  mußten,  je  weiter  man  in  die  Urver- 
hältnisse  dringt,  umso  konzentrischer  zusammen. 

Wir  wissen  allerdings  nichts  Exaktes  darüber,  welche  Wand- 
lungen die  Begriffe  von  der  Grenze  der  historischen  Zeit  bis  zu  den 
Uranfängen  der  Sprachmechanik  durchgemacht  haben,  ob  und  inwie- 
weit sie  verblaßt,  verschwommen  oder  entstellt  sind,  verfügen  aber 
immerhin  über  genug  Anhaltspunkte  für  das  Erkennen  der  Urform, 
denn  sind  wir  nur  einmal  bei  einem  einsilbigen  Worte  angelangt,  so 
berechtigt  dies  zur  Annahme,  daß  diesem  nicht  mehr  viel  Schlacken 
anhängen  können,  denn  schließlich  erschöpfen  sich  die  Lautperniu- 
tationen  einfacher  Silben  immer  noch  eher  als  die  Reihe  jener  Ob- 
jekte, die  der  Urmensch  zu  benennen  hatte. 

Die  eingehende  Untersuchung  ergibt  aber  eben,  daß  jene  Ge- 
genstände, welche  seit  der  ältesten  Zeit  vorhanden  waren,  fast 
durchwegs  einsilbige  Bezeichnungen  aufweisen  —  soweit  wir 
deren  Urform  kennen  — .  indes  die  der  späteren  Epoche  entstam- 
menden nahezu  imer  zwei-  oder  mehrsilbig  sind  —  Es  ist  doch  un- 
denkbar, daß  die  Menschen  im  Urzustände,  sobald  sie  der  Sprache 
mächtig  waren,  für  jene  Objekte  oder  konkreten  Handlungen,  mit 
denen  sie  in  unvermeidlicher  Berührung  standen  oder  die  ihnen  auf- 
fallen mußten,  keine  Ausdrücke  gehabt  hätten,  wie:  Sonne,  Mond. 
Erde.  Wasser,  Stein,  Baum,  Zaum,  Wein,  Beere,  Salz,  Drache,  Ochs. 
Tag.  Nacht,  Licht,  Wunde,  Grab,  arbeiten,  flechten,  melken  u.  a.: 
aber  gerade  diese  sind  noch  heute  als  Wurzelwörter  fast  durchwegs 
einsilbig,  wie  die  vielen  Hoheitsbegriffe,  als:  as.  ot,  car,  chod,  grau, 
knez,  Ijeh  u.  s.  w.  und  gerade  diese  haben  zumeist  in  allen  indoeuro- 
päischen   Sprachen   dieselbe   Grundform   und   die- 


selbe  Bedeutung  im  allgemeinen  behalten,  ein 
sprechender  Beweis,  daß  sie  alle  von  einer  Zen- 
trale, einer  Sprachquelle  und  einem  Sprach- 
schatze ausgegangen  sind,  daher  man  die  Syn- 
glosse,  d.  h.  den  gemeinsamen  Ursprung  der  ein 
zelnen  Sprachgruppen  durchaus  nicht  als  ein 
Phantasiegebilde  hinstellen  darf.  Es  erscheint  uns 
dies  wohl  anfangs  rätselhaft,  aber  wie  alle  Dinge  so  lenkt  auch 
dieses  unentwegt  auf  eine  monistische  Lösung  hinaus,  denn  die 
Vereinigung  der  Empirie  und  Spekulation,  d  i.  der  sinnlichen  Er- 
fahrung und  des  logischen  Denkens  neigt  auch  bei  dieser  Frage  zur 
Naturphilosophie   der  Einheit  des  Ursprungs.*) 

Die  erstaunlichen  Fortschritte  in  der  Naturkenntnis  des  ver- 
wichenen  Jahrhunderts  haben  die  Entwicklungsgänge  aller  Lebe- 
wesen, die  Stammes-  und  Schöpfungsgeschichte,  ja  selbst  die  Re- 
ligion auf  eine  monistische  Basis  geleitet,  und  liegt  nicht  das 
geringste  Bedenken  vor,  weshalb  die  Sprache  nicht  auch  den 
gleichen  Naturgesetzen  folgen  sollte,  denn  auch  für  die  Entstehung 
dieser  gibt  es  nur  einen  einheitlichen  und  natürlichen 
Anfang,  und  ist  das  Intermezzo  der  Sprachenverwirrung  beim 
Turmbaue  von  Babel  hiefür  gewiß  sehr  lehrreich,  denn  es  zeigt  uns 
nur.  daß  das  ursprüngliche  Sichverstehen  lang- 
sam verloren  ging,  je  entfernter  die  Heimat  der 
daselbst   beschäftigten   Arbeiter   lag. 

Man  beginnt  in  neuester  Zeit  dieser  Erkenntnis  auch  schon 
mehrseitig  nälierzutreten.  So  sagt  z.  B.  Dr.  Täuber  (Zürich)  in  einem 

'■)  Man  vergleiche  einmal  nur  voriiberKehend  die  Sprache  der  asyrisch- 
babj'lonischen  Mythen  und  Epen  aus  den  keilinschriftlichen  Tonarchiven  su- 
merischer Provenienz;  auch  diese  diskreditieren  durchaus  nicht  obige  Be- 
hauptung. So  ist  dort  »Bein  schon  ein  Gott,  in  der  Urverfassung  noch  Chef 
eines  Verteidigungspunktes;  «bili»  Kleider,  Zeug;  im  Slavischen:  Leinen- 
kleider, Wasche  (bilidlo,  belidlo  =  VVäschebleiche  im  Cechischen);  «sibia« 
=  Hirtenstab;  im  Slavischen:  Hirtenrute,  Kinderrute;  «suba,  subat«  = 
Kleid;  im  Slavischen:  zubun,  subun  =  Frauenkleid,  suba  =  Pelz,  Winter- 
kleid: »itku»  =  weben  (tkati  =  weben);  Kutulati»  =  Kuhhirt;  im  Cechischen 
ütuina  =  Schutzhütte,  (vermutlich;  Hirtenhütte);  »ultima  Thule»,  daher: 
letzte  Schutzhijtte  u.  s.  w.  —  Eine  weitere  Vergleichung  jener  Texte  unter 
Beobachtung  der  Synglosse  dürfte  aber  noch  beweiskräftigere  Klärungen 
bringen. 


Aufsatze:  «Die  Ursprache  und  ihre  EntNxicklung.»  (.ülobus,  1910)  ganz 
analog:  «Die  Frage  nach  den  Anfängen  der  menschlichen  Sprache 
ist  eines  jener  Probleme,  die  wie  die  Schöpfungsgeschichte,  die  Ab- 
stammungslehre, die  Flugversuche  seit  langem  die  Sinne  der  den- 
kenden Menschheit  gefangen  hielten.  Erst  nahm  man  angesichts  des 
unentwirrbar  scheinenden  Rätsels  göttlichen  Ursprung  an,  später 
stellten  die  Philosophen  verschiedene  Theorien  auf,  wobei  die  zum 
Vergleich  herangezogenen  sprachlichen  Äußerungen  von  Tieren  und 
Kindern,  Oefiihlslaute  und  Schallnachahmungen  eine  große  Rolle 
spielten.  Es  scheint  mir  indessen  noch  einen  anderen  Weg  zu  geben, 
der  rascher  und  praktischer  zum  Ziele  führt:  abstrahieren  wir  aus 
einem  genügend  durchforschten  Sprachstamme  nur  das  Wesentlich- 
ste, d.  h.  streifen  ^\■ir,  wie  aus  den  etymologischen  Wörterbüchern 
zu  ersehen,  in  erster  Linie  die  zur  Differenzierung  der  Begriffe  die- 
nenden Formen  und  Laute  ab  und  behalten  die  bloße  W  n  r  z  e  1.  d  e  n 
Kern,  und  versuchen  wir  dann  noch  einen  Schritt  weiter 
zu  gehen,  indem  wird  die  auf  diese  Weise  verbleibenden  Wurzel- 
wörter  neuerdings  auf  gemeinsame  Sprachelemente  und  Begriffe 
untersuchen.«  Dann:  «Wenn  alle  Sprachen  und  Sprachfamilien  auf 
einen  gemeinsamen  Ursprung  zurückgehen,  so  können  wir  mit  irgend- 
einer von  ihnen  die  Untersuchung  anfangen,  und  wir  müssen  überall 
zum  gleichem  Endresultate  kommen)i.  —  Dr.  Täuber  fügt  nun  etliche 
Tabellen  an  und  geht  dabei  z.  B.  folgend  vor:  er  fand  den  Wortkern 
«bar«  (identisch  mit  «var«)  für  Unterschlupf.  Höhle,  sagt 
aber  nicht,  daß  das  Slavische  diese  Wurzel  in  \cr\\andter  Bedeu- 
tung —  als  S  c  h  u  t  z  p  u  n  k  t  —  kennt,  hingegen  legitimiert  er  eine 
Menge  davon  abgeleiteter  Begriffe,  wobei  es  besonders  auffällt,  daß 
er  alle  möglichen  Sprachen  in  Betracht  zieht,  aber  die  slavische, 
welche  die  einfachste  Form  in  der  Urbedeutung  kennt,  mit  keiner 
Silbe  erwähnt,  obschon  seine  Deduktionen  dadurch,  sowie  durch 
die  Anführung  der  nachgeborenen,  organisch  verwandten  Begriffe, 
wie:  Barre  (Schranke),  Barrierre.  Barrikade,  Barreau,  Barrage  {= 
Wegmaut).  Warte  usw.,  noch  weit  überzeugender  wirken  müßten. 
—  Unsere  landläufige  Erziehung  zur  Nichtbeachtung  des  Slavischen 
hat  eben  zur  Folge,  daß  die  sprachwissenschaftliche  Forschung  nie 
über  den  toten  Punkt  hinauskommt;  macht  man  aber  einmal  darauf 
aufmerksam,  so  wird  man  sofort  zum  Phantasten.  Nörgler  oder 
Hetzer  gestempelt. 


Was  jedoch  den  allgemeinen  Grundsatz  betrifft,  so  ist  dieser 
leicht  faßlich,  denn  der  Mensch  benennt  die  Oegenstände  immer 
nach  dem  Eindrucke,  den  sie  auf  ihn  machen,  und  diese  Empfin- 
dung und  Wahrnehmung  ist  allerorts  nahezu  die  gleiche. 
Aber  diese  Ursprache  hat  bei  der  Weiterverbreitung  Änderungen 
erfahren,  welche  mit  der  Entfermmg  wuchsen;  und  dieses  kann  uns 
nicht  befremden,  da  wir  ja  noch  heute  wahrnehmen,  daß  sich  schon 
in  zwei  benachbarten  Dörfern  geringe  Wortunterschiede  finden; 
welche  Differenzen  ergeben  sich  aber  bereits  zwischen  gleichspra- 
chigen Bewohnern,  die  ein  größerer  Gebirgszug  trennt!  Welche 
Wandlungen  sind  in  den  Sprachen  im  Laufe  der  historischen  Zeit 
vorsichgegangen,  w  eiche  die  Wissenschaft  noch  festgestellt  hat.  und 
was  geschah  erst  in  den  Zeiträumen,  die  sich  der  Nachprüfung  ent- 
ziehen!*) 

Und  trotz  allem  ergeben  die  etymologischen  wie  auch  phoni- 
schen Vergleiche  der  verschiedenen  Sprachen  miteinander  frappie- 
rende Verwandtschaften  und  Qleichklänge;  wer  sich  da  einer  be- 
sonderen Mühe  unterzieht,  wird  unerwartete  Harmonie  finden  und 

')  Walter  v.  d.  VogeKveide  hat  vor  sieben  Jahrluinderten  auch  in 
deutscher  Sprache  ;<eschrieben.  aber  dieses  Geschriebene  versteht  heute 
niemand  mehr  ohne  besondere  Vorbereitung;  oder  versteht  etwa  der  heutige 
Italiener  als  direkter  Nachkomme  des  Römers  noch  den  Cicero?  —  Die 
modernen  Bestrebungen,  ein  einheitliches  sprachliches  Verständigungsmittel 
—  eine  Kunstsprache  (wie  z.  B.  Volapiik,  Esperanto)  —  zu  schaffen, 
können  nur  auf  vorübergehenden  Erfolg  rechnen,  denn  alle  lebendige  Rede 
verändert  sich  beständig  im  Gebrauche,  und  ist  es  eine  Täuschung  an 
die  Erhaltung  einer  dauernden  Originalität  zu  glauben.  —  Wozu  konstruiert 
man  aber  neue  Spraclien.  wo  wir  ja  nur  wieder  der  Urform  unserer  Idiome 
näherzurücken  brauchen,  und  da  besitzen  \\lr  bereits  eine  allen  sympathi- 
sche, organisch  verwandte  Gemeinsprache I  —  Man  findet  die  eigene  Sprache 
zu  schwerfällig  und  will  dafür  eine  einfachere  neue!  Ja.  wer  zwingt  denn 
den  Polen  ein  «o»  zu  schreiben,  das  als  «u»  ausgesprochen  wird,  und  den 
Russen  ein  geschriebenes  »e«  als  »jox  auszusprechen;  schreib  er  gleich  den 
Laut,  welchen  die  Aussprache  erheischt!  —  Werfen  wir  den  unnatürlichen 
Sprachenflitter  ab,  zu  dem  es  ja  schließlich  doch  kommen  muf'.  und  der 
Drang  nach  der  Vereinfachung  wird  sich  von  selbst  einstellen!  —  Die  ge- 
waltsame Verbreitung  einer  Kunstsprache  bedeutet  aber  zugleich  die  Ver- 
kümmerung und  MiChandlung  des  natürlichen  Sprachgefühls,  die  Ertötung 
des  Geistes  der  Sprache  seihst  und  einen  bedauerlichen  Kulturrückschritt  im 
allgemeinen.  — 


—  344  — 

schließlich  den  Eindruck  gewinnen,  daß  wir  eigentlich  gar  kein 
Recht  haben  so  viel  von  Latinismen,  Slavismen,  Germanismen,  Gal- 
lizismen u.  ä.  zu  sprechen,  denn  dieses  sind  nicht  entlehnte,  son- 
dern lediglich  in  der  fremden  Form  gangbar  ge- 
wordene Begriffe.  N\"eil  die  gleichen  eigenen  be- 
reitscineandere  verwandte  Bewertungerhielten. 
Hier  einige  Beispiele.  —  Strabo  er\\'ähnt  die  «Büro!«  in  der 
heutigen  Slovakei;  daraus  ist  der  deutsche  Begriff  «BauerK  gewor- 
den, der  dem  Slaven  als  urdeutsches  Wort  gilt;  der  Lausitzer 
Wende  gebraucht  aber  noch  immer  die  Originalform  «burw  für 
Bauer.  Die  erwähnten  xBuroi«  (Peutinger  Tafel.  3.  Jahrh.)  sind 
aber  die  Bewohner  einer  gut  befestigten  Gegend,  welchen  ein  «bor« 
(bour)  vorstand,  und  ist  dasselbe  auch  im  «Burzenland«  (Siebenbür- 
gen) der  Fall,  wo  der  Älteste  «borec«  (bourec)  gelautet  haben  mag. 
Desgleichen  gebraucht  man  auch  an  der  ostafrikanischen  Küste,  in 
Hinterindien,  in  Australien,  bei  den  Samojeden  «bur,  borgi«  für  den 
Berg.  d.  i.  den  für  die\'erteidigung  geeigneten  oder 
hie  zu  vorbereiteten.  —  Der  Irländer  nennt  den  Alpdruck 
«phuka«;  dem  Slaven  ist  aber  dies  der:  vuk,  vlk,  vukodlak(=  Vam- 
pyr).  —  «Mec«  ist  dem  Slovenen.  Magyaren.  Türken.  Perser  u.  a. 
das  Schwert,  dem  Deutschen  nur  mehr  das  «Messe  r«.  der  Bre- 
neserin  (bei  Ragusa)  die  dolchartige  Haarnadel.  —  Wegen 
meiner  Deutung  von  «Suez«  werden  sicherlich  gegen  mich  Pfeile 
abgeschossen,  ehe  die  Skeptiker  die  Lektüre  des  Buches  beendet 
haben  werden;  ich  kann  aber  vielleicht  beruhigend  wirken,  wenn 
ich  anführe,  daß  das  anklingende  französische  «suite«  auch  Ver- 
bindung bedeutet;  ebenso  ist  das  deutsche  «schweißen«  nur  das 
Verbinden  zweier  Eisenstücke.*)  —  Jeder  reinsprechende  Slo- 


°)  Zur  weiteren  Beruhigung  möge  noch  folgendes  beitragen.  Vor 
etlichen  Jahren  wurden  in  Rsyten  zwei  Qrabkaitunern  geöffnet,  die  mit  Ein- 
richtungsstücken. Bettzeug  und  sonstigem  Hausrat  eines  altägyptischen  Inge- 
nieurs vollgefüllt  waren.  Die  Papyrusrollen,  welche  die  Beschreibung  hiezu 
bieten,  nennen  das  dort  hinterlegte  flache  Brot  «pogace».  oder  «fokaccieH. 
wie  dies  jetzt  in  Turin,  wo  die  Funde  im  Museum  aufgestellt  sind,  in  italie- 
nischer Anpassung  gekennzeichnet  ist.  —  Welcher  Slave  kennt  nicht  dieses 
Gebäck  niederer  Form,  das  aber  als  Mehlspeise  slavischen  Ursprungs  unter 
►  Pogatscherln«  oder  «Poganzen«  auch  dem  Deutschen  bekannt  ist!  —  Ob 
nun  dieser  Begriff  in  Fgypten  vor  etwa  400r) — 6000  Jahren  ein  heimischer 
oder  ein  importierter  war.  ist  gegenstandslos:  Tatsache  ist.  daß  er  nur  hei 
den  Sla\en  allgemein  im  praktischen  Oebraiiche  steht.  — 


Ö 


SS' 


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345 


vene  entsetzt  sich,  wenn  jemand  für  das  deutsche  »Mehl«  etwa 
«melJK  gebraucht,  weil  er  dies  für  einen  unverzeihhchen  Germanis- 
mus hält;  daß  er  aber  für  mahlen  »meljemii  sagt  und  mit  «meljn 
das  fein  gebröckelte  Gestein,  das  Steinmehl  sprach- 
lich korrekt  anwendet,  das  fühlt  er  nicht  mehr.  —  Das  slovenische 
Ktrebuhii  (=  Bauch)  hat  sich  im  Französischen  «trcbucher«  (=  vor- 
gewichtig sein)  in  Form  und  Bedeutung  nahezu  unverändert  erhalten. 
—  Unter  besonderer  Reserve  sei  hier  der  Begriff  «Lungensucht»  an- 
geführt, an  dem  doch  niemand  zum  Zweifler  wird,  als  ob  er  nicht 
urdeutsch  wäre.  Es  mag  ja  sein,  aber  die  Etymologie  wie  die 
Logik  erschüttern  dies  doch,  denn  «Lungensucht»  ist  an  sich  ein 
sinnloses  Wort,  indes  das  slavische  Hlonsucha«  sprachlich  das 
aussagt,  was  die  Krankheit  äußerlich  charakterisiert,  d.  i.  d  a  s  E  i  n- 
trocknen  der  Brust,  die  Brustdarre  (lona  =  Brust,  suh, 
susa  =  trocken,  Darre,  Trockenheit).  Ist  es  aber  nicht  rätsel- 
haft, daß  der  Pole  (in  benachbarten  Gebieten  auch 
derCeche),  eindeutschesWortinGebrauchnimmt, 
das  erst  in  seiner  Sprache  etymologisch  sowie 
sachlich  richtig  und  verständlich  wird!  —  Dasselbe 
gilt  für  «zagruta».  Es  kennzeichnet  dies  das  laute  Schreien  und  An- 
spornen der  kämpfenden  Araber  seitens  ihrer  Weiber  und  Mädchen 
in  der  entscheidenden  Phase  des  Kampfes,  um  sie  zur  Standhaftigkeit 
aufzumuntern.  —  Dies  soll  aber  ein  semitisches  Wort  sein  und 
ungefähr:  aufschreien,  aus  voller  Brust  schreien  — 
bedeuten.  Es  mag  dies  ja  ganz  zutreffend  sein,  aber  nach  der  sprach- 
lichen Morphologie  ist  dies  nur  dem  Slaven,  namentlich  dem  Slove- 
nen  verständlich,  denn  diesem  bedeutet  Hzahruti»  eben:  aus  vol- 
ler Brust  plötzlich  aufschreien  (grud  =  Brust). 

Diese  Beispiele,  die  sich  endlos  fortspinnen  lassen,  führen  zu 
dem  Schluße,  daß  die  Ursprache  eine  gewisse  typische 
Gesetzmäßigkeit  aufweist,  d.  h.  jedermann  hat  im 
Urzustände,  ähnlich  wie  sich  die  Anfangsstadien 
desSprechensfastaller  Kindergleichen,  von  dem- 
selben Gegenstände  denselben  Eindruck,  benennt 
ihndaherunbeeinflußtüberallgleichoderähnlich. 

Ob  die  höhere  Differenzierungsstufe  des  Kehlkopfes  — 
also  der  Sprache  —  beim  Menschen  sofort  eintrat  oder  erst  das 
Resultat  einer  weiteren  Entwicklung  war,  ist  hier  gleichgültig;  es 


hat  aber  die  \\  ahrscheinlichkeit  unbedingt  für  sich,  daß  die  ersten 
Laute  zu  B  e  g  r  i  f  f  s  11  e  n  n  u  n  g  e  n  o  n  d  ni  a  t  o  p  ö  i  s  c  h  e  r  Na- 
tur w  u  r  d  e  n  und  als  solche  an  allen  Punkten  nahezu 
die  gleichen  waren.  Und  so  erklären  wir  inis,  weshalb  die  Be- 
griffe bar.  bor.  mar,  var.  log.  sem  u.  s.  \\ .  in  ganz  Europa  —  und 
auch  viel  weiter  hinaus,  ja  die  Sprachen  der  Indianer  nicht  völlig 
ausgeschlossen  —  verbreitet  sind  und  merkwürdigerweise  überall  un- 
gefähr dasselbe  bezeichnen.  —  Die  heutigen  Abstände  ergaben  sich 
eben  erst  durch  den  gesteigerten  \erkehr.  durch  ungenaues  Erfassen. 
Hören  und  Aussprechen,  wie  zum  Teile  auch  durch  die  Wissenschaft. 

Die  Sprache  des  Urvolkes,  die  Natursprache,  hatte  in  ihrem 
Kindesalter  allerdings  einen  beschränkten  Wortschatz,  wie  ja  auch 
das  hinterlassene  Inventar  mit  verhältnismäßig  wenigen  Begriffen 
erschöpft  ist.  Aber  diese  wenigen  Urbegrifte  zogen 
weitere  Kreise.  \'  e  r  I  o  r  c  n  dabei  das  ursprüngliche 
Aussehen  wie  die  Bedeutung  in  dem  Maße,  als  sie 
sich  im  Gebrauche  von  ihrem  Stammboden  entfern- 
ten, ahn  lichdem  Stein  e.  derins  Meergeworfen,  eine 
Kreisbewegung  h  e  r  \-  o  r  r  u  f  t,  die  sich  in  immer 
schwächeren  Wellen  in  der  Unendlichkeit  des 
Meeres  verliert,  so  daß  schließlich  der  Erreger 
dieserBewegungnichtmehrerkanntoderbeachtet 
w  i  r  d.*) 

Obendrauf  differenzierte  sich  die  Natursprache  durch  die  Wis- 
senschaft, welche  die  einfach-natürliche  Rede  sozusagen  verfeinern 
wollte,  was  bei  mäßigen  Vorteilen  sehr  viele  Nachteile  hervorbrachte, 
denn  durch  die  scholastische  Behandlung  haben  die  Sprachen  viele 
Entstellungen  erfahren.  Schnörkel  und  Bizarrereien  angenommen, 
die  ihnen  nicht  nur  die  ästhetische  Einfachheit  raubten,  sondern  ge- 
radezu für  die  allgemeine  Bildung  nachteilig  wurden,  zumal  heute 


*)  Hiezu  luir  paar  recht  drastisetie  Beispiele.  —  In  Niederösterreich 
(namentlich  Wien)  nennt  man  einen,  dessen  Äußerem  man  eine  gewisse, 
meist  ironisch  zu  nehmende  Anerkennung  zollen  will,  «Fex«:  südlich  des 
Semmering,  also  im  benachbarten  Steiermark,  ist  »VexH  aber  der  krop- 
fige Cretin.  —  Dem  Slovenen  sind  »gegei«  die  engen,  kurzen  Hosen; 
der  Träger  solcher  heißt  dann  »gegec.  gigec»;  im  Deutschen  wurde  daraus 
schon  der  ver;ichtliche  Begriff  «Geck«,  der  nur  mehr  allgemein  auf  das 
.Äußere  anspielt,  wiihrend  das  Diminutivum  hievon  in  der  Form  »Giegerl» 
schon  wieder  eine  weniger  bedenkliche  Charakteristik  ergibt.  —  Der  Sio- 


jedermann  genuR  WichtiKcrcs  zu  lernen  hat,  als  diffizile  Akzente, 
zarte  Aussprachenuanzen  und  sinnlose  Dehnimgszeichen,  die  wir  ja 
doch  mangels  von  Phonogrammen  aus  der  Vorzeit  niemals  als  je  be- 
stehend kontroiieren  können.  Es  hatten  daher  jene  Sprachen  sozu- 
sagen ein  fragliches  Glück,  w  eiche  wissenschaftlich  wenig  begünstigt 
waren,  denn  sie  erhielten  sich  dadurch  ihre  Natürlichkeit  imd  Ur- 
sprünglichkeit. 

Viele  solcher  Auswüchse  in  Sprache  luid  Schrift  bilden  aber 
heute  ein  unbedachtes  Bildungshindernis  und  könnten  Dei  einigen' 
einsichtsvollen  Nachdenken  kurzweg  beseitigt  werden,  wodurch  die 
freigewordene  Lernzeit  von  der  Jugend  auf  reellerem  Gebiete  ver- 
wertet werden  könnte.*) 


vene  versteht  unter  »zapomiüti«  —  sich  etwas  merken,  der  Ceelie 
unter  «zapomenouti»  —  vergessen,  also  genau  die  Extreme;  tnid  doch 
ist  da  ein  inniger  Zusamnienhan'.;,  denn  der  eine  meint:  vergiß  nicht  dir 
es  zu  merken,  der  andere :  m  e  r  k  es  dir,  um  es  nicht  zu  v  e  r- 
ff  essen!  —  Fast  alle  Slaven  verstehen  unter  »brak«  —  die  Vereini- 
gung, die  Ehe;  das  deutsche  »Brakwasser«  deutet  jedoch  schon  nur  mehr 
die  Vereinigung  des  Süßwassers  mit  dem  salzigen  an,  d. 
i.  den  Beginn  der  seichten  Stelle  wo  das  Schiff  zum  iiWrackii  kommt,  bezw. 
w  i  r  d.  —  Die  lebende  Sprache  ist  eben  eine  elastische  Eeder  und  kein 
starrer  Eisenklumpen  I 

')  Daß  die  Sprachen  \  iel  wertlosen  Kram  mit  sich  führen,  welcher 
etymologisch  wie  historisch  an  sich  unrichtig,  in  der  Praxis  aber  ein  Ballast 
ist,  ersieht  man  am  besten  an  der  französischen  Sprache,  die  sich  doch  jahr- 
hundertelang besonderer  Bevorzugung  erfreute.  Die  Begriffe  sind  oft  gren- 
zenlos verballhornt;  die  Aussprache  stellt  die  Schreibweise  geradezu  auf  den 
Kopf;  die  Syntax  wird  immer  komplizierter;  und  in  welchem  Mißverhältnis 
stehen  die  französich  Lernenden  und  die  französisch  Erlernenden! 
—  Ebenso  könnten  die  Russen  ihre  Halbvokale  ausmärzen,  die  vier  i-Laute 
auf  einen  reduzieren,  und  brauchen  bei  dieser  Reinigung  nichts  weiter,  als 
ihre  z  y  r  i  1 1  i  s  c  h  e  Schrift  in  einem  prunkvollen  Reliquienschrank  zu 
deponieren,  und  eben  jetzt,  gelegentlich  des  Neuaufbaues  des  Volksschul- 
wesens, die  lateinische  einzuführen.  —  Die  ietzige  Schrift  ist  vor  allem 
für  die  Russen  ein  Kultur-  und  Verkehrsimpediment  schwerwiegender  Art; 
daß  sie  je  die  lateinische  verdrängen  wird,  ist  nicht  vorauszusehen,  und  wäre 
es  auch  nicht  wünschenswert,  da  sie  für  die  Praxis  zu  wenig  deutlich  und 
zu  viel  überflüssige  Laute  hat.  Die  Serben  sind,  trotz  derselben  Schrift,  schon 
weit  besser  daran,  weil  sie  die  unnötigen  Laute  längst  abgestoßen  haben, 
hingegen  sind  die  Albanesen  radikaler,  denn  diese  sind  in  jüngster  Zeit 
bestrebt,  die  zy rillische  Schrift  ganz  gegen  die  lateinische  auszuwechseln; 
t  a  t  s  ;i  c  h  I  i  c  h    weisen    auch    die    Völker    mit    z  \-  r  i  II  i  s  c  h  e  r 


Die  Wahrheit  zu  hören  ist  meist  unangenehm;  das  Altge- 
wohnte auf  einmal  aufzugeben,  fällt  schwer;  man  wirft  sich  daher 
über  die  Kausalität  einer  althergebrachten  Sache  auch  niemals  gerne 
selbst  eine  Frage  auf;  aber  die  Sprache  wollen  auch  an- 
dere lernen,  denn  sie  ist  doch  ausschließlich  eii. 
\'  e  r  k  e  h  r  s-,  V  e  r  s  t  ä  n  d  i  g  u  n  g  s-  und  B  i  1  d  u  n  g  s  m  i  1 1  e  1. 
nicht  aber  der  Spielplatz  für  Schultheoreme  mit 
dem   falschen   Schein  der  NotAxendigkeit! 

Es  handelt  sich  nun  auch  um  die  hypothetische  Erklärung, 
daß  der  Mensch  im  Tertiär  nicht  nur  gelebt  haben, 
sondern  auch  schon  sprachbegabt,  ja  sogar  relativ 
kunstverständig  gewesen  sein  muß,  \\'ieso  er  die 
Glazialzeiten  überdauert  hat.  so^\ie  daß  die  glei- 
chenSprachelementeaufeinersogroßenZonedas- 
selbe  Objekt  bezeichnen  und  daß  sich  schließlich 
auch  das  gleiche  Kulturbewußtsein  überall  gel- 
te ndmacht. 

Dies  alles  ist  auf  Basis  der  Präzession  der  Erde  erklärlich.  — 
Daß  der  Neigungswinkel  der  Erdachse  gegen  die  Ebene  der  Erdbahn 
nicht  konstant  ist.  gilt  als  erwiesen;  die  Anziehungskraft  des  Mon- 
des wie  auch  der  Sonne  auf  die  äquatoriale  Anschwellungszone  bringt 
es  mit  sich,  wie  dermalen  die  Hypothese  sagt,  daß  in  einem  Zeiträume 
von  25.000  Jahren,  dem  man  aber  ruhigen  Gewissens  noch  mindestens 
eine  Null  anhängen  kann,  die  beiden  Hemisphären  das  Perihelium  und 


Schrift  trotz  Schulen  die  meisten  Analphabeten  auf. 
was  wohl  zu  denken  gibt!  In  ähnlicher  Weise  mögen  die  Deutschen 
ihre  undeutliche  Kurrentschrift  für  immer  hinterlegen  und  dieser  noch  die 
großen  Anfangsbuchstaben  beischließen,  denn  kommen  alle  anderen  Sprachen 
ohne  diesen  hohen  Respekt  vor  den  Substantiven  aus.  und  sind  die  Deutschen 
bis  Luther  damit  ausgekommen,  so  wird  es  heute  wohl  auch  gehen.  Vielleicht 
genügt  noch  ein  Anlauf  zum  phonetischen  System,  wie  er  schon  vor  etlichen 
Jahren  partiell  gemacht  wurde,  damit  der  deutsche  Schüler  von  der  Volks- 
schule bis  zur  Matura  nicht  mehr  so  viel  kostbare  Zeit  lediglich  für  diese 
scholastische  Kleinkriimerei  verliert.  —  In  neuester  Zeit  haben  sogar  schon 
etliche  einsichtsvolle  Redaktionen  politischer  Zeitschriften,  nachdem  ja  wis- 
senschaftliche Werke  bereits  seit  langem  die  Kurrenttypen  gänzlich  meiden, 
die  Lateinschrift  eingeführt,  denn  heute  kennt  z.  B.  in  Ungarn  die  iüngere 
deutschsprechende  Generation  nicht  mehr  die  Kurrentschrift,  da  sie  in  der 
Schule  nicht  mehr  gelehrt  wird;  ebenso  lassen  die  immer  größere  Verbrei- 
tung nehmenden  Schreibmaschinen   diese  Typen  fast  gänzlich  unbeachtet. 


349 


das  Aphclium  \ollends  w  echseln.*)  Dali  dies  schon  niindestcns  ein- 
mal der  Fall  ge\\esen  sein  muß,  darüber  glaubt  die  Wissenschaft 
allen  Zweifels  enthoben  zu  sein,  weil  in  der  tropischen  Zone,  wie 
z.  B.  in  Afrika,  in  den  Kordilleren,  die  Vergletscherung  und  die  Eis- 
zeit in  den  f:rdschichtcn  ebenso  vorhanden  und  nachgewiesen  er- 
scheinen, wie  in  der  gcmäß.gten  Zone.  Die  Kälteperioden,  die  man 
daher  in  allen  Formationen  der  Erde  zu  erkennen  meint,  sind  durch 
diePräzessionsrhythmen  in  den  großen,  turnusartig  wiederkehrenden 
Zeiträumen  vollkomiiK-n  begründet.  Es  ist  daher  ziemlich  sicher,  daß 
der  Mensch  schon  die  Tertiärzeit  unserer  Erdgeschichte  miterlebt. 
daß  er  die  Epoche  zwischen  dem  Tertiär  und  Diluvium,  d.  i.  die  Zeit 
eines  geschlossenen  Präzessionsturnusses  der  Erde,  überdauert  hat. 
weil  er  der  für  ihn  gefährlichen  Eiszeit  unbewußt  auswich  und  so 
samt  der  Fauna  wie  Flora  um  die  Erde  wanderte. 

Dieser  Umstand  bietet  uns  aber  weitere  wichtige  Klärungen. 
Vor  allem  ersieht  man  daraus,  daß  es  tatsächlich  eine  Völkerwan- 
derung, aber  im  großen  Stile,  u.  z.  eine  automatische  gab,  gibt  und 
aus  zweierlei  Gründen  geben  muß,  denn  erstens:  weicht  der  Mensch 
vernunftgemäß  der  heranrückenden  Eiszeit  aus,  wandert  daher  stets 
mit  dem  angewöhnten  Klima  weiter;  zweitens:  kann  er  ohne  Fühl- 
barwerden klimatischer  Einflüsse  auch  nicht  immer  auf  demselben 
Erdflecke  sitzen,  weil  sowohl  die  mechanischen  wie  chemischen 
Wirkungen  der  Atmosphärilien  in  Gemeinschaft  mit  den  Flüssen  und 
Meeren,  dann  die  vulkanischen  \v\c  tektonischen  Erdbeben  den  trok- 
kenen  Teil  der  Erdkruste  konstant  umformen.  Der  Mensch  kann  da- 
her aus  diesen  Gründen  auch  bei  bestem  Willen  nicht  stabil  bleiben. 
was  sich  allerdings  mit  Rücksicht  auf  die  großen  Zeiträume  für  den 
Einzelnen  oder  mehrere  Generationen  nicht  fühlbar  macht,  da  Ka- 
tastrophen, die  einen  sofortigen  Besiedlungswechsel  diktieren,  schließ- 
lich doch  eine  Seltenheit  sind. 

Daß  jedoch  die  Erdoberfläche  in  einer  gewissen  Zeit  ihre  Fest- 
landskonturen völlig  ändern  muß.  kann  man  aber  doch  schon  aus 


')  In  den  6000  Jahren  der  Geschichte  ist  noch  keine  entschiedene 
Änderun,ac  wahrgenommen  worden.  Man  glaubt  wohl,  daß  die  Wärme  jetzt 
gegen  Norden  vorrücke,  weil  man  festgestellt,  daß  die  Oletscher  in  Riick- 
hildung  seien;  manche  Wandervögel,  welche  vor  Dezennien  noch  den  Süden 
aufsuchten,  nicht  mehr  fortziehen  u.  a.,  doch  sind  dies  nur  Momente,  welche 
noch  zu  keinem  positiven  Schluße  berechtigen. 


den  Beobachtungen  weniger  Menschenalter  ersehen,  denn  wir  wis- 
sen z.  B.,  daß  sich  die  Küste  Hollands  sowie  die  Westküste  Grön- 
lands gegenwärtig  senkt,  indes  sich  die  ganze  skandinavische  Halb- 
insel binnen  100  Jahren  bereits  um  einen  Meter  gehoben  hat.  Es  kön- 
nen sogar  massenhafte  Namen  von  Städten  und  Ortschaften  aufge- 
zählt werden,  die  an  historisch  genau  zu  bestimmenden  Tagen  in  den 
Meereswogen  der  Nordseeküste  ihren  Untergang  gefunden  haben. 
—  Durch  das  Erdbeben  i.  J.  1750  in  Südamerika  wurde  die  Küste 
von  Chile  gleich  um  8  m  gehoben;  das  Erdbeben  i.  J.  1861  in  Grie- 
chenland verursachte  eine  sehr  fühlbare  Senkung  der  Küste  von 
Achaja.  —  Man  sucht  Vineta  knapp  an  der  Küste,  ist  aber  enttäuscht, 
daß  von  dem  großen  Steinlager  am  Vineta-Riffe  auch  nicht  ein  ein- 
ziges Stück  die  Spur  eines  menschlichen  Eingriffes  aufweist,  weil 
man  immer  annimmt,  daß  die  Reste  noch  knapp  am  Ufer  liegen  müs- 
sen. Gab  es  aber  eine  solche  Stadt,  so  können  deren  Trümmer  nun 
schon  kilometerweit  von  der  heutigen  Küste  entfernt  liegen,  umso- 
mehr  als  wir  wissen,  daß  sich  an  der  fraglichen  Stelle  erst  i.  J.  1872 
das  Meer  das  Vorw  erk  Damerow  auf  Usedom  wieder  als  Opfer  holte. 

Überdies  macht  auch  das  Seifenmaterial  der  Flüsse  das  Durch- 
zugland immer  niederer,  erhöht  aber  damit  den  Boden  im  Mündungs- 
gebiete; die  Höhen  werden  daher  immer  abgetragen,  die  Tiefen  hin- 
gegen eingeebnet;  das  Alluvium  bildet  im  Meere  selbst  neue  Inseln 
und  Berge,  das  freigewordene  Wasser  dringt  aber  dafür  wieder  in 
das  entstandene  Festlandsvakuum,  ein  Beweis,  daß  der  geotektoni- 
sche  Prozeß  in  Permanenz  ist. 

Es  ist  daher  auch  gar  keine  Sage  im  allgemeinen,  wenn  ein 
ägyptischer  Priester  Solon  erzählt  habe,  daß  es  einst  im  Atlantischen 
Ozean  eine  Insel,  .Atlantis  (auch  Lemuria)  genannt,  von  der  Größe 
Asiens  gab,  die  aber  in  Folge  eines  Erdbebens  verschwunden  sei. 
Das  letztere  ist  wohl  kaum  wörtlich  zu  nehmen,  sondern  sie  senkte 
sich  allmählig,  das  Meer  überflutete  schließlich  die  ganze  Land- 
masse, die  Gebirge  bildeten  noch  Inseln,  aber  anderswo  wurde  hie- 
für wieder  ein  Festland  frei.  Ein  solcher  durchgängiger  Wechsel  der 
festen  wie  flüssigen  Erdoberfläche  bildet  sonach  ein  eigentliches 
geologisches  Zeitalter  nach  unserer  derzeitigen  wissenschaftlichen 
1  erniinologie,  die  aber  in  großzügiger  Auffassung  doch  wieder  un- 
haltbar ist,  weil  der  Glaube  an  die  Schichtenpermanenz  der  Erdrinde 
u'crade  dadurch  wieder  seine  Stütze  \'erliert. 


351 


Die  gleiche  Beobachtung  gibt  uns  auch  einen  natürliclien  Auf- 
schluß über  die  Sintflut.  Die  traditionellen  Erzählungen  des  Menschen 
knüpfen  sich  unbedingt  an  natürliche  Vorgänge,  d.  h.  an  einen  sich 
unerwartet  eingestellten,  oder  noch  nicht  erhofften  Pestlandsverlust 
durch  Wassereinbruch  in  größerem  Stile;  ja.  die  Biblische  Geschichte 
sagt  doch  selbst,  daß  Oott  den  Menschen  noch  120  Jahre  Besserungs- 
frist zuvor  gab.  w  as  dahin  auszulegen  ist,  daß  man  das  Gefühl  hatte, 
in  dieser  Zeit  müsse  die  Katastrophe  in  einer  bestimmten  Gegend 
eintreten,  aber  die  Menschen  glaubten  eben  nicht  daran,  daß  diese 
Berechnung  eine  richtige  sei,  wie  ja  schheßlich  der  Bauer  seine 
Bachbrücke  auch  nicht  früher  für  gefährlich,  daher  reparatursbedürf- 
tig erkennt,  bis  sie  nicht  unter  dem  Fuhrwerke  selbst  einstürzt. 

Die  Mythe  von  der  Sintflut  zieht  sich  daher  durch  alle  Zonen, 
weil  schließlich  der  Mensch  überall  den  verderblichen  Einfluß  des 
Wasserelementes  auf  seine  Existenz  am  eigenen  Leibe  erfahren 
koinite.  —  Aus  diesem  Grunde  ist  auch  die  Forschung  nach  der  Lage 
des  Paradieses  eine  erfolglose  und  müssige,  weil  der  eigentliche 
Schauplatz  unserer  traditionellen  Schöpfungsgeschichte  wohl  schon 
längst  umgeformt  und  momentan  gerade  auch  vom  Meere  bedeckt 
sein  kann. 

Daß  aber  die  Eiszonen  auch  nicht  stabil  sind  und  sein  können, 
das  beweisen  die  Kohlenlager  sowohl  am  Südpol,  wie  dies  bei  der 
Expedition  des  englischen  Leutnants  Shackleton  (1907 — 1909)  fest- 
gestellt wurde,  als  auch  am  Nordostkap  Asiens,  also  am  nördlichen 
Eismeere,  wo  sich  beim  Dorfe  Dudinskoje  vorzügliche  Glanzkohle 
in  reichen  Mengen  und  am  Tage  liegend  vorfindet.  Wie  kommt  nun 
dorthin  ein  Lager  von  Kohlen  ältester  Formation,  wo  es  ja  fast  keinen 
Baumwuchs  gibt?  —  ein  Beweis,  daß  es  aber  einst  hier  bei  einem 
weit  milderen  Klima  einen  sehr  üppigen  Baumw  uchs  gegeben  haben 
muß.  — 

Gerade  die  Kohlenlager  sprechen  aber  beweiskräftig  gegen  die 
wissenschaftlich  festgelegte  Schichtenpermanenz  der  Erde,  denn  z.  B. 
durch  Mittel-  und  Untersteiermark  zieht  sich  augenscheinlich  ein 
ununterbrochenes  Lager  von  Schwarz-  und  Braunkohle.  Daß  dies 
vermoderte  Pflanzensubstanzen  sind,  ist  zweifellos,  denn  man  gräbt 
oft  noch  Holzstrünke  heraus,  deren  Struktur  am  meisten  dem  Holze 
der  Esche  oder  Edelkastanie  ähnelt,  aus  denen  man  sogar  noch  Mö- 
bel zu  erzeugen  \ersuchte.  Diese  Bäume  müssen  aber  einmal  frei 


3ö2 


gewachsen  sein,  und  doch  sind  heute  schon  ganze  üebirgszüge,  wie: 
Posruck.  Bachern,  Sanntaler  Alpen  auf  diese  einst  lebende  Flora  auf- 
gesetzt; ja  die  Kreideformation,  die  doch  als  älter  gilt  wie  das 
Neogen  (jüngere  Braunkohlenzeit),  sitzt  an  der  steirisch-krainischen 
Grenze  in  mächtigem  Massiv  auf  dem  Kohlenbecken  von  Trifal- 
Hrastnik  auf.  ein  Argument,  durch  \\  elches  die  gegenwärtige  An- 
nahme der  geologischen  Formationen  erschüttert  werden  dürfte. 

Als  weiterer  Be\\  eis  für  die  turnusartige  Wanderung  des  Polar- 
eises wird  auch  die  wahrgenommene  Veränderung  der  Lage  der  ma- 
gnetischen Pole  angesehen,  denn  es  wird  allen  Ernstes  angeführt, 
daß  sich  zwischen  einer  Messung  im  J.  1700  und  einer  solchen  i.  J. 
1895  für  die  Nordpolgegend  bereits  eine  nennenswerte  Divergenz  er- 
geben hat.  Ebenso  w  urde  eine  geänderte  Lage  am  Südpole  festge- 
stellt. Doch  brauchen  wir  uns  gar  nicht  an  solche  Angaben,  die 
mangels  von  Nachkontrolle  auch  auf  falsche  Prämissen  gestellt  sein 
können,  zu  halten,  da  ja  noch  handgreiflichere  Beweise  zur  Verfü- 
gung stehen.  —  Schon  an  vielen  Stellen  wurden  Funde  aus  der 
älteren  und  jüngeren  Steinzeit  gehoben,  w obei  es  aber 
stets  auffiel,  daß  beide  Fundlagen  tote,  kulturlose,  oft  bis 
drei  Meter  mächtige  geologische  Sedimente  tren- 
nen. —  Die  Erklärung  hiefür  ist  wohl  die,  daß  die  ersten  Kultur- 
residuen von  Menschen  herrühren,  welche  aus  klimatischen  oder 
sonstigen  Gründen  ihre  Wohnstätte  aufgeben  mussten,  daher  ein  Kul- 
turinterkalare  eintrat.  Ja,  dieses  Bild  läßt  sich  sogar  noch  weit  klarer 
darstellen.  —  Bei  Grabungen  künstlicher  Aufwürfe  wurde  wiederholt 
bemerkt.  —  so  jüngst  auf  Guinea  und  dem  Bismarck-Archipel  — ,  daß 
der  Spaten  aus  der  Erde  Objekte  fördert,  die  auf  frühere  Be- 
wohner mit  weit  höherer  Kultur  schließen  lassen, 
weil  die  heutigen  Insulaner  eigentlich  die  Steinzeit  noch  nicht  völlig 
hinter  sich  haben.  -  In  Troja,  Pergamon,  Babylon  u.  a.  wurden 
mehrere,  äußerlich  wesentlich  verschiedene  Kulturschichten  über- 
einander festgestellt.  Dieser  Beweis  würde  übrigens  als  geschlossen 
anzusehen  sein,  wenn  man  z.  B.  am  Südpole,  den  nicht  wie  den  Nord- 
pol ein  tiefes  Meer,  sondern  ein  durchschnittlich  3100  m  hohes  Tafel- 
land umgibt,  bei  Tiefgrabungen  auf  Original-Kulturreste,  wie:  Topf- 
scherben. Steinwaffen,  Bernstein-  oder  Bronzeschmuck  u.  drgl. 
stoßen  w  ürde.  denn  diese  können  doch  nur  von  einstigen  Bewohnern 
V  o  r  der  Eiszeit  daselbst  herrühren,  da  der  Mensch  dieses  Gebiet 
unter  dem  momentanen  Klima  doch  nicht  mehr  bew  ohnt  hsbcn  krnn. 


—  353  — 

Die  Erklärung  für  diese  Kuitiirschichten  ist  eben  folgende:  es 
rotiert  mit  der  Präzession  auch  die  Kultur,  deren  Höhepunkt  sich 
ausschließlich  an  die  gemäßigte  Zone  hält.  Nachdem  aber  diese  Zone 
einmal  jeden  Punkt  der  Erdoberfläche  passiert,  sind  dieselben  Funde, 
wie  es  z.  B.  Sphynxe  in  Ägypten.  Babylon  und  Sibirien  gibt,  die- 
selben Sprachelemente  sowie  dieselben  topischen  Namen  überall  zu 
finden.  Löst  jedoch  einmal  die  tropische  oder  kalte  Zone  einen  sol- 
chen Punkt  ab.  so  tritt  eine  Kulturebbc  ein,  denn  das  heiße  Klima 
hat.  ebenso  wie  die  Polarzoncn.  für  höheren  üeistesflug  keine 
Schöpfungskraft;  sie  bringt  auch  keine  tiefen  Denker,  Forscher. 
Dichter  oder  Musiker  hervor.  Auf  die  reiche  Kulturschichte  setzt 
sich  daher  alternierend  stets  wieder  eine  kulturarme  auf,  und  so  \\  än- 
dert die  Kultur  in  Hausse  und  Baisse  äonenperiodisch  im  Kreislaufe 
um  den  Erdball. 

Hatte  aber  der  Mensch  schon  in  den  früheren  geologischen  Epo- 
chen eine  solche  Kultur,  wie  sie  ja  beweiskräftig  tief  in  der  Erde  ein- 
gelagert ist,  so  muß  er  die  Sprache  schon  in  einer  weit  früheren  Zeit 
besessen  haben,  denn  man  kann  ohne  Sprache  niemand  etwas  mit- 
teilen, \\  eil  selbst  die  schriftliche  Übermittlung  nur  durch  die  Sprache 
festgelegte  Begriffe  voraussetzt,  um  Dagewesenes  und  wieder  Ver- 
schwundenes durch  die  Schrift  überliefern  zu  können.  Es  ist  daher 
schon  aus  diesem  Grunde  die  viel  bestrittene  und  doch  richtige  An- 
nalime.  daß  der  Mensch  als  sprachbegabtes  Wesen  schon  mit  dem 
Beginne  der  Quartärzeit  anzusetzen  sei.  dahin  zu  erweitern,  daß  er 
zum  mindesten  schon  im  Anfange  des  Tertiärs  —  im  Sinne  der  heu- 
tigen geologischen  Nomenklatur  —  auch  sprechfähig  war.  denn  dies 
beweisen  eben  die  Namen  und  im  allgemeinen  richti- 
gen Vorstellungen  über  einzelne  Saurier,  dann  die 
KenntnissevonVulkanen.  fürwelchedemQuartär- 
menschen  augenscheinlich  jedes  Paradigma  in 
ganz  Zentrale  uropa  mangelte,  sowie  schließlich 
auch  die  in  unberührten  Tertiärschichten  vorge- 
fundenen, weit  überdie  Anfangsstadien  der  Übung 
reichenden  Zeichnungen  und  manuellen  Fertig- 
keiten. 

Alle  diese  Beispiele,  Hypothesen  und  Belege  rechtfertigen  aber 
wohl  zur  Genüge  die  schonungslose  Bekämpfung  eines  offenkundig 

23 


354 


gioßen  geschichtlichen  Irrtums,  da  sie  zeigen,  daß  der  verläßlichste 
Führer  in  die  Urzeit  des  Menschengeschlechtes  wohl  nur  unsere 
Sprache  sein  Itann.  und  bildet  die  Summe  jener  Begriffe,  die  der 
Mensch  einst  seinen  Ansiedlungen  und  Zufluchtstätten,  Bergen  und 
Flüssen,  Tieren,  Pflanzen  und  Mineralien,  Hoheitspersonen  und  Qott- 
heit'.-n  beigelegt  hat.  dessen  Ursprachschatz,  welcher  zugleich  dessen 
Urgeschichte  repräsentiert.  Jenes  Volk  aber,  das  auf  ürund  dieses 
noch  heute  besitzenden  Sprachschatzes  schon  die  Urbenennung 
jener  Objekte  und  namentlich  der  noch  innehabenden  oder  schon  ver- 
lorenen Terrainpositionen  durchzuführen  die  Gelegenheit  hatte,  kann 
nicht  eingewandert,  sondern  auf  diesem  Boden  nur  ein  Urvolk  sein 
Man  braucht  sich  daher  auch  gar  nicht  zu  wundern,  wenn  man 
so  viele  prähistorische  Funde  macht,  die  slavischen  Kunstcharai<ter 
tragen,  oder  alte  Schriften  findet,  die  slavische  Texte  verbergen. 
Die  Erklärung  hiefür  geht  vor  allem  aus  Analogien  hervor,  denn  der- 
selbe Prozeß,  der  sich  in  Mexiko  und  Peru  mit  den  Azteken  und  den 
hochkultivierten  Inka's  abspielte,  und  der  sich  uns  heute  wieder  in 
Amerika  bietet,  wo  die  autochthone  indianische  Urbevölkerung  mit 
ihrer  mäßigen  Kultur  durch  die  Zuwanderer  fremder  Weltteile  ver- 
schwindet, vollzog  sich  seit  Jahrtausenden  in  gleicher  Art  an  der 
slavischen  Urbevölkerung  Europas.  Diese  Ureinwohner  oder 
richtiger,  diese  Träger  jener  alten  Kultur,  sinddaherdurchaus 
nicht  zugewandert,  sondern  sie  sind,  soweit  eben 
deren  Kulturwiderstand  nicht  ausreichte,  ledig- 
lich a  u  f  g  e  s  o  g  e  n  w  o  r  d  e  n.  So,  aber  nur  so  sind  die  zahlreichen 
«altslavischen«  Sprach-  und  Kulturreste  in  einem  so  großen  geo- 
graphischen Räume  logisch  natürlich  erklärbar!  — 

Es  ist  einmal  Tatsache,  daß  wir  bereits  mit  Strahlen  nach  allen 
Richtungen  feste  Körper  durchleuchten;  das  Licht  des  Auges  späht 
tausendfach  verstärkt  in  unendliche  Himmelsgefilde  hinaus;  aber 
d  en  Schatten,  de  rauf  unsere  rVergangenheitliegt. 
s  i  n  d  w  i  r  n  i  c  h  t  i  m  s  t  a  n  d  e  z  u  d  u  r  c  h  d  r  i  n  g  e  n.  ^  Soll  daher 
diese  wichtige  Frage  gelöst  werden,  so  muß  vor  allem  die  Qelehr- 
tenwelt  den  untrüglich  vorhandenen  Widerspruch  gewisser  Natur- 
gesetze zu  den  derzeitigen  Ansichten  zugeben,  die  starren  Satzungen 
ihrer  despotischen  Doktrin  entkleiden  und  die  Gesamtforschung  dem 
Geiste  natürlicher,  s  c  h  r  a  n  k  e  n  1  o  s  e  r  W  a  h  r  h  e  i  t  unter- 
werfe n.  — 


355 


Alles  Wissen  ist  dtni  \\  eseii  nach  nichts  weiter  als  die  Offen- 
barung individueller  Beobachtungen  und  Erfahrungen;  und 
sind  diese  richtig  und  abgeklärt,  so  werden  sie,  unbekümmert  darum. 
wer  sie  verkündet  hat,  auch  ihren  Wert  finden  und  behalten!  — 
Und  solche  Erfahrungen  verkünde  ich  hier;  sie  sind  zum  großen  Teile 
Ergebnisse  einer  neuartigen  Forschung,  denn  den  Autochthonismus 
der  Slaven  haben  schon  andere  vermutet  aber  mit  unzulänglichen  Be- 
legen gestützt;*)  die  Völkerwanderung  haben  schon  manche  als  ein 
iVlärchen  erkannt,  sie  aber  nicht  vom  Kerne  gelöst;  über  Nomaden- 
völker spricht  man  von  jedem  Katheder,  aber  nicht  vom  Turnusver- 
kehre derselben;  man  vermutet  in  den  alten  Inschriften  jede  Sprache, 
nur  nicht  die  slavische;  man  forscht  unseren  Volks-,  Hoheits-  und 
Goitesbegriffen  nach,  indem  man  ihre  Erklärung  in  der  Mythologie. 
Sage  und  Mystik  sucht,  indes  sie  sich  jedem  offenen  Auge  sichtbar 
auf  dem  gewachsenen  Boden  darbieten  u.  s.  w.  — 

Die  mit  dem  Titel  dieses  Buches  zur  Beweisleistung  ühernoni- 
mene  Pflicht  erscheint  hiemit  nach  allen  Seiten  und,  soweit  die 
menschliche  Denk-  und  Urteilskraft  reicht,  gewissenhaft  erfüllt,  denn 
wer  jemand  in  die  Wüste  des  Zweifels  führt,  muß  ihm  auch  den  Weg 
in  ein  Kanaan  \\  eisen.  — 

Immerhin  mag  aber  bereits  morgen  jemand  mit  der  Entdeckung 
kommen,  daß  dies  noch  immer  nicht  die  erste  Etappe  der  Kulturema- 
nationen  sei;  trotzdem  haben  wir  vorläufig  doch  reichlich  genug 
Arbeit  unsere  wissenschaftlichen  Verirrungen  gründlich  zu  berich- 
tigen und  uns  wenigstens  bis  zu  dieser  geklärten  Phase  unserer  Ge- 
nesis nachsinnend  durchzuarbeiten. 

Mögen  nun  diese  Forschungsresultate  als  ein  ernster  Beitrag 
zur  Klärung  und  Erweiterung  unserer  ältesten  kulturellen  wie 
sprachlichen  Regungen  aufgenommen  werden;  mögen  sie  aber  auch 
beitragen  zur  großzügigeren  Auffassung  des  der  Dezentralisierung 
immer  mehr  verfallenden  organischen  Monismus  sowie  zur  Erkennt- 
nis der  überall  und  ewiggleich  wirkenden  Naturgesetze! 


")  Oelehrte  und  Forscher,  von  welchen  die  Slaven  als  AutocI-thone 
in  Furopa  erkannt  wurden,  w  aren  außer  den  Slaven  M.  v.  Kalina,  Jan  Kol- 
lär,  Alois  Sembera,  Dr.  H.  Wankel.  P.  Karl  Sicha,  H.  Schulz,  Alfons  Müllner. 
Bi'etlslav  Jelinek,  Dr.  J.  W'oldfich  u.  a.  auch  viele  Deutsche  von  bestem 
Klange  in  der  Wissenschaft,  wie:  .Aug.  Schlüzer  (1771).  Dav.  Popp  (1820). 
Aug.  Wersebe  (1S26),  Heinrich  Schulz  (1826).  J.  H.  Müller  (IS-lfl).  O.  A  Sten- 
zel  (185.3),  Viktor  Jacobi  (1856,  J.  Landau  (1862)  u.  a. 

28- 


Um  jedoch  alle  Mißdeutungen  tunlichst  zu  zerstreuen,  zumal 
sich  meine  wissenschaftlichen  Gegner  zumeist  an  dem  Begriffe  «sla- 
vischx  stoßen,  sei  die  Summe  und  der  Effekt  der  verschiedenen  Be- 
weiselemente hier  am  Schlüsse  noch  in  verdichteter  Form  wiederge- 
geben: In  den  slavischen  Sprachen  finden  wir  heute  noch  fast  alle 
schon  im  ältesten  Gebrauche  gestandenen  Begriffe  in  derselben  oder 
wenigstens  organisch  verwandten  Form  und  Bedeutung  wieder,  in 
den  übrigen  jedoch  nnr  mehr  oder  weniger  zahlreiche  und  prägnante 
Fragmente  hievon,  was  sonach  untrüglich  beweist,  daß  die  slavischen 
Sprachen  aus  dem  Urquell  und  nicht  erst  aus  einem  sekundären  Re- 
servoir schöpften,  da  sie  sonst  unmöglich  die  Urbedeutung  der  unbe- 
kannten Urbegriffe  hätten  wieder  richtig  erfassen  können,  es  daher 
unbedingt  ausgeschlossen  ist,  daß  die  Slaven  überhaupt  oder  gar  am 
Ausgange  des  Altertums  nach  Europa  eingewandert  wären.  Jedem 
objektiv  Denkenden  wird  es  aber  unter  Zusammenfassung  aller  ge- 
botenen Beweismittel  doch  einleuchten  müssen,  daß  es  sich  hier 
hauptsächlich  um  die  Feststellung  der  gemeinsamen  Verständigungs- 
sprache in  einer  gewissen  Urkulturzeit  handelt,  die  aber  eben  an  die 
heutige  slavische  Sprache  mehr  anklingt  und  mit  ihr  eine  weit  nähere 
Verwandschaft  aufweist,  als  alle  die  übrigen,  daher  die  Anwendung 
des  Begriffes  «slavisch«  zweifellos  eine  relative  Berechtigung  hat. 
—  Dieser  Gesichtspunkt  ist  es,  der  unentwegt  den  essentiellen  Grund- 
zug des  ganzen  Buches  bildet,  daher  auch  den  Titel  desselben: 
«Die  Slaven,  ein  Urvolk  Europas»  logisch  begründet. 

Daß  aber  dieser  Erkenntnisweg  kein  unrichtiger  oder  phanta- 
stischer ist,  ersehen  wir  doch  daraus,  daß  sich  nun  die  Antwort  auf 
so  manche  Frage,  die  uns  bis  nun  ein  Rätsel  war,  von  selbst  beant- 
wortet, denn  wir  erkennen  nun  die  Ursprungseindrücke  für  die  Bil- 
dung der  Orts-  und  Personennamen;  wir  sehen  vor  uns  die  einstige 
soziale  Organisation  mit  dem  demokratischen  Adel  an  der  Spitze, 
der  später  die  Basis  für  die  Theogonien  bildet;  wir  fühlen  allmählig 
das  Verständnis  für  die  Einheit  der  Sprachen;  die  Erdgeschichte  zeigt 
uns  sogar,  wie  wir  die  Völkerwanderung  und  die  damit  verbundene 
Kulturrotation  aufzufassen  haben;  ja  uns  projiziert  sich  nun  das  na- 
türliche, wenn  auch  stark  in  Oran  gehaltene  Spiegelbild  der  wahren, 
vnii!  homo  sapiens  bereits  beherrschten  Urzeit. 


Alphabetisches  Verzeichnis 

öer  im  Texte  etymologisch  erklärten   Begriffe. 

Ot=iO 


Anmerkung:  Um  im  •Verzeichnisse<  nicht  wieder  alle  Ortsnamen  erwähnen 
zu  müssen,  sind  solche  zusammengesetzter  F'orm  hier  nicht  durchwegs  aufge- 
nommen worden,  da  sie  beim  Stammworte,  wie  z.  B.  Adamsberg  bei  >Adam'< 
(S.   105).  .Mooskirchen  bei   »Moos«   (S.   197)  im  Texte  leicht  zu  finden  sind. 


Seite 

Al)sbach       68 

Abtsdorf 68 

Ada   Kaleli       105 

Adal         105 

Adam 105 

Adamöwka       105 

Adda        105 

Aden       105 

Admont        105 

Akraja 210 

Amerika       14 

.■\nitmannsdorf       69 

Andalusien        103 

Anden 103 

Andreas       103 

Andromeda       103 

Anta 102 

Antibarani        103 

Antivari        103 

Anton       103 

Apcja    ves        103 

Apollo 98 

Apulien         98 

As        10-1 

Äsen 10-1 

Asker       10-1 

Ask  Yggdrasil 244 

Atabariuni 211 


Seite 

Athen       105 

Attendorf 105 

Atter        105 

Attnang       105 

.Atzgersdorf 105 

Auersperg        25 

aul        146 

Aula 146 

Avaren 163 

Baba        48 

Babel       48 

babo 48 

Babyiom       48 

Babylon        48 

Baden       190 

Bai       99 

Baldas 99 

Balder 99 

Baljke 98 

Balkan 98 

Balta        99 

Baltazar       99 

balvan 50 

Bar 178 

Bärental       55 

Bafice 178 

Barmen 178 


Seite 

Baschkiren       35 

Basken 35 

ßastarni       35 

basta       33 

Baska       35 

baita        35 

hastija 35 

bazar       33 

Bazany         35 

Bautsch        13-1 

bavec       ^S 

Beckengrund 135 

Bec 139 

Becva 139 

Belar        192 

[?ellovaci 270 

Berg 90 

Bes         193 

Beserianen       19-1 

Beskiden 19-4 

l^essi        193 

Blankenburg 152 

Bod 202 

Bodenbach       202 

Böding 202 

Bodisch        202 

Bog 102 

Bogenaii       1112 

Boha 102 

■)öhtnen        102 

Boitzenburg 201 

Boj       201 

Boian       201 

bojar        201 

Bniiste 201 

Bojuvari       201 

Bolko       99 

Bor 157 

Borak       157 

Boris 159 

Bofita 159 

Borki        157 

Borovlje       157 

Borowiec 157 

Borut       159 


Seite 

Boryslav 157 

Bosak       140 

Brada       Sl 

Brana       173 

Brandberg 174 

Brandeis 17-1 

Brandenburg 159 

Biandstatt        17-4 

Branka 19 

Brankovic        I7-t 

Branky 173 

Brannovici        207 

Branzoll       173 

Braunberg        173 

Breg 90 

Bregava       90 

Bregenz       90 

Brenner        17-1 

Brenta 174 

Brescia 90 

Bresse  La 90 

Breslau         90 

Brest        90 

Breza       90 

Briga        90 

Brigidau       90 

brisingamen 244 

Brod        227 

Brody      227 

Broni        173 

Brotkowitz       227 

Brück       195 

Briickenberg         195 

Brühl        196 

Buchara       102 

Buchberg 102 

Buda        134 

Buddha        136 

Budapest 136 

Budecko       134 

Büdingen 136 

Budisin 134 

Budua      134 

Budwitz       136 

Bug 102 


Seite 

Bühel       102 

Buhlov 102 

Bukovina 102 

Bulgarien 102 

Burca       211 

Biisak       HO 

Buseiito        140 

Biisovaca 14(l 

Caesar 171 

Car 141 

Carantania       144 

Careva  gomila 141 

Carigrad      141 

carina      141 

Carniolia          144 

Carnuntum       144 

Castagna 185 

Castallische  Quelle      ....  186 

castellum 185 

Castilieii       185 

Castirant 188 

Cauci        205 

Celje 94 

Celle        94 

Celovec        94 

Celti 94 

Cerda       152 

cerdar 152 

Cernjak        171 

Ceta         171 

cetar        171 

Cetinie 171 

Cetius   Mons 171 

Cham        76 

Chapelle  Ais  le 71 

Charachata       146 

Charbin        146 

Chelm       77 

Chlen        67 

Chluni      77 

Chocznia 182 

Chod        182 

Chodi       183 

Cliodziesen       183 


Seite 

chDtar 182 

Chotebof 159 

Chotzen        183 

Chumetz       77 

cihan        146 

Circhov        146 

Cire 146 

cirkev       146 

Cirknik         146 

Cirna        210 

Chitziii 176 

eins 175 

Constantin        188 

Costa       185 

Cote 210 

Cottage        183 

Crema 175 

Cremona 173 

Crna   gora       174 

crnnilcch 52 

Caga        132 

Cakov 1.32 

cara 243 

cardak 149 

carna    vojska       147 

Carnuce        14(i 

cartak 149 

Cekan      132 

cekarne,  na 132 

Cekov 1.32 

Cele  kula 94 

Celn 94 

Cerkcz 1?2 

Cernia 146 

Cerna       146 

Cernovice         146 

cert 151 

certa        149 

ccrtov    zid       213 

Oetar         171 

Cic       120 

Cicovice       120 

Cir       146 

Cizek       120 


—  360 


Seite 

coriiaja  dan 1-17 

Criia   gora 146 

Czeladiia 94 

Dachau         lÜO 

Dachstein 100 

Dacier 100 

Dacice .         .  100 

Dagan      100 

Dagh        100 

Dasniar 100 

DaKobert 100 

Dan lOI 

Dana 101 

Danek 101 

Dänemark         101 

Del       82 

Delavare 82 

Deli 82 

Dehne       S2 

denjgi 253 

Derbent        195 

Deva        125 

Devin       125 

Devizes        125 

Devol       125 

Devolns'-       125 

Deve-Bojun          125 

Dibon       125 

Dimmiki       22.^ 

Diva         125 

Divaca          125 

Dives       125 

Divina 125 

Divonne       125 

dob 229 

Dob!         25 

Dober   dol 229 

Dobrava       229 

dobro       229 

Dobro    selo 229 

dolar        253 

doiia         253 

Dom         ..,.,.,,.  86 

Ddnianovic       86 


Seite 

Domazlice         86 

Dombasle 86 

Donibrau 86 

Dommitscli       86 

Don 82 

Donau       82 

Donec       82 

Dorisce         154 

Dornau          154 

Drachenburi": 96 

Drag         96 

Dragali         96 

Drava    (Drau) 195 

Dravnja  (Drann) 195 

Drazence 96 

Dreimarkstein       46 

Drenovik 195 

Dreznica       195 

Drin 195 

Dub 229 

Dubrovnik        229 

Dunaj       82 

Dzenjak        197 

Edda         ,    .  241 

Esla ,    ....  217 

esra          216 

Essel        217 

Esus         217 

Este 217 

Fahrn       178 

Falco        99 

Falk 99 

Falkenau      99 

Falknöw       99 

Fant 66 

Fenesleute        60 

Fenni        207 

Fenshöhe 60 

Fes       194 

Fessnach 194 

Feste        194 

Filz 192 

Formin 14" 


Seite 

Franken        .,,,,,,.  173 

Fraiikenwald         , 19 

Franz       17-4 

Frauenburg       ..,,,,,  173 

Frohndorf 173 

Fürth        6C 

Fiirstenberg 66 

Qabel        67 

Qaber       ,     .     .     .  68 

Oabernik ,     .  68 

gabiuii 67 

Qablanach        68 

Qablonz        67 

Ciainfahrn          .,,,.,.  178 

Oairach        170 

Qaishera       170 

Oai       170 

Qajovci         170 

Oajsar 170 

Qaritsa         210 

Qastein         184 

Qasturi         210 

Qeiselberg        170 

Qeisberg       170 

ger       IIS 

Gera         118 

Qennanen         ..,,,.,  119 

Qermating        118 

Qermersheim        118 

gerob       118 

geront 118 

Qieshübel 228 

Oleiii        67 

Qlin 67 

Qodarde       183 

Qode        183 

Oolomac       77 

Qösting        124 

Gotaland       183 

Gotha       183 

Qoti 183 

Gott 18.3 

Qöttingen 183 

Gottschee         ia3 


Seite 

Grad         155 

gradina         155 

Qradiska      155 

Grado      .  155 

Grajische  Alpen 78 

Gran        70 

Granada       70 

granicar        71 

Granikos 70 

Qranollers        70 

Gransec        70 

Grant       70 

Granus 70 

Granville 70 

Granz       ,    .  70 

(jränzendorf 70 

Graz        70 

Grein        70 

Greiz        78 

Grenadier 71 

Orenen         210 

Gric 86 

grivna ,    ,    .    .  254 

Grizanestein 87 

Grod        156 

Gronau         71 

Grossenbrode       227 

Grot.schke         1-56 

Grud        156 

Grünau         71 

Grundlsee         131 

Gninwald 71 

Gutenstein        229 

Habelschwerdt 68 

Habr        68 

Habsburg          69 

Habs   el   Messiach 69 

Habstein       68 

Haidin 170 

Hai       170 

Hajov       170 

Haizar 170 

Han 77 

haiiak       77 


Seite 

Hanau      77 

Hannover 77 

Hansa       SS 

Haraberg 144 

Harrach        144 

Haus        225 

Hausberge        225 

Hausleithen      225 

Hautzenberg         225 

liav 68 

Havel       68 

Havranna  Skala       68 

Heideck        170 

Heidelberg        170 

Heiden 170 

Heidenmauer        17ii 

Heidenschaft         170 

Hera         118 

Herakiea      118 

Herche 118 

Hercuianum 118 

Herg         118 

Herkul HS 

Herman        118 

Hermdorf 118 

Hermes 118 

Heros       118 

Herta       118 

Heuberg       170 

Hippnkrene       78 

His       217 

Hissarlik       217 

Hister .  217 

hisa 217 

Hlinsko         67 

Hnchborn 157 

Hnce         182 

Hodoäe 18 

hodza       182 

Hohenbruck 195 

Hohe   Venn       59 

liolm         77 

Hani 77 

Homberg 77 

Horreum  Margi 72 


Seite 

Host 184 

Hosteradice 186 

Hostivaf       184 

Hostice 184 

Hostinie        182 

Hotzenplotz 182 

Hrad        155 

Hradisko 155 

hrana       70 

Hranice        70 

Hum         77 

Hundsdorf         77 

Munkowitz        77 

HiMHien         166 

Is 216 

Isa        217 

Isaak        216 

Isabella        216 

Isakca 216 

isar 217 

isba 216 

Ischia       216 

Ischl         216 

Ischma 216 

Ise        216 

Iset  Berg 216 

Iskar 216 

Isker        216 

Isle       216 

Isly 216 

Isni      216 

Isola         216 

Isonzo 217 

Israel        .    .    .    , 216 

Issos 216 

Ister 216 

Isthmos 216 

Istrien 216 

Is 216 

Iska  vas 216 

Izevskoje 216 

Iz  Veli 216 


Seite 

Jablanica 68 

.lablunkau 67 

Jan      84 

Janica 85 

Janiculum 85 

.lankov 85 

Janow 85 

Japodeti       68 

Jasen       191 

.lasna  gora 191 

Jastrebci 191 

Jasy 191 

.lauer        128 

.lavor       128 

.lavorina  (Ahornbrunn)     .    .     .  128 

Jena 85 

Jenissei        85 

Jesen        191 

Jesus        217 

Jesec       191 

jez        226 

Jezero 225 

Jungferiisprung 124 

Jur       169 

Jura 169 

Jurdani        169 

Jury 169 

Kacin        184 

Kacji  vrh 184 

Kafka       205 

Kaiser      175 

Kam 76 

Kania       76 

Kamen 76 

Kanäle 77 

Kanna      77 

Kanzeiberg       87 

kapitan 68 

kapsa       69 

kara 143 

Karadagh 143 

Kara   Qjorgievic       143 

karaula         134 

Karavlahen       143 


Seite 

Karlin       146 

Karlovice 146 

Karnische  Alpen 144 

Karolinenta! 144 

Kastanica 185 

Kastenholz        185 

Katze       184 

Katzenherg      184 

Kaukasus 205 

Kautli       205 

Kavaler        205 

Kavas      205 

Kavcic 205 

Kissingen 228 

Klad 191 

Kladan 191 

Kladrub        191 

Kiattau 191 

Klause 175 

Kien 67 

klenot       67 

Klini 67 

Klistica 176 

Klisura 176 

Kiiuc        175 

Klosterbruck 196 

Klötze       176 

Kochern        130 

Koca       182 

Kocevje       183 

Kocubej        183 

Kodani 182 

Koke        130 

Kokorina 1.-..0 

Koniar 76 

Komarova 76 

Komofany        76 

Kon n 

Königgrätz        144 

Konjice 77 

Konjski   potok       77 

Konstanz         185 

Kopanina 204 

Koralpe        144 

Kosel        185 


364  — 


Seite 

Kosice 1S5 

Kosor        185 

Kosovo 185 

Kost 185 

Kostajiiica         185 

Kostel       185 

Kostreinitz       185 

Kosice 185 

Kosubi 183 

Kot      182 

Kottbus 183 

Kozarki        18-1 

Kozina 184 

Kozie       184 

Kozlöw 184 

Krain        53 

Kraj 53 

Krajina 78 

Kral 144 

Kralove  hradec 144 

Kralüv  stül 51 

Kranenberg      71 

Kranichberg 71 

Kranzberg        70 

Kremberg 174 

Kreml       174 

Krems 174 

Krenisier       175 

Kreis       87 

Kres 87 

Kresiice        87 

Kressenbrunn       87 

Kresevo        87 

Kreuzen        78 

Kreuzer        254 

Krungl 138 

Kuhn 77 

Kuk 130 

Kukuksberg 130 

Kula 134 

Kuna 77 

Kuncice 77 

Kyllene 210 


Seite 

Laak         92 

Ladan       262 

Lämberg 68 

Lausanne 92 

Lavis       132 

Lavra       132 

Lavrovce 132 

Lehmbach         75 

Leine        75 

Leiningen 75 

Leitha 85 

Lemove        75 

Lentia 75 

Leoben 198 

Leopoldsberg       198 

Lesany 133 

Lesno       133 

Leukas        210 

Leuthen        85 

Lichtenwald 131 

Lim 74 

Litnagne       74 

Limbarska   gora       74 

Limburg        74 

limec        74 

Lim-Fjord 210 

Limnones 53 

Limoge 74 

Linie        75 

Lisefi        133 

Liäno        133 

Litija        85 

livada       208 

Ljubinje        198 

Liubiio 198 

Ljubuski       198 

Ljiidovik       85 

Loba 198 

Lobenstein        198 

Lobnitz 198 

Lokd        92 

Lökken 210 

lokva       308 

Lombardei        204 

Loosdorf      92 


365  — 


Seite 

Lopa         198 

lopez 198 

lopov        I9S 

Loretto 1.32 

Louka      92 

Lovrana       132 

Loz 92 

Lublin      198 

Lübbenau 198 

Lus: 92 

Lugeuin        92 

Luka        92 

lunibarda 204 

Lupa 198 

Macocha      15 

Mädclienfelsen 124 

.Majrdeburs       124 

tiialiala 55 

Mähren 72 

Mak 55 

Mala 176 

Malakov       177 

.Mala  Strana 176 

Male 176 

Malepartus 177 

Malinje 176 

Malta       177 

Mar ,53 

Manche 72 

Margus 72 

Maria       ...  73 

Maribor        159 

Marius 73 

Mark .53 

Markomanen 53 

Markus 73 

Martinsteine ^2 

marun       72 

Marus       72 

.Mauer      '4 

.Maxau 210 

Medardus 57 

Medea 57 

Medebor       55 


Seite 

.Medi si 

Medici 55 

Mcdina 55 

.Medjugorje       56 

Medovo  selo .55 

-Meduna 57 

.Medusa 57 

.Mcdvedü\o   selo            ....  55 

Medziskäla       56 

Mehadia       55 

ii:ehala     ....         ....  55 

Meissen 55 

nieja 42 

niejdan 55 

Mekka 56 

.Meklenburg        57 

Melbourne        177 

Melibokus 177 

Melinie 176 

Melje        '76 

.Melk 57 

.Melling 177 

Melnik 177 

Melüs       177 

nienhir 52 

.Mese        210 

Messala        56 

.Messbergen 57 

Messena 36 

jMessina        .    .              ....  56 

nietal        56 

Metalka  Sattel 56 

Metellus        57 

Meten    vrh 56 

Meteora       57 

Methusalem 57 

.Metkovic 56 

Metohija       57 

Mettau 56 

.Metz 56 

nieza        55 

Mezzolonibardü    .          .          .     .  56 

nieza        .    .  55 

.Mir      in 

itiirie    ...  174 


—  366  — 


Seite 

Mirntiil 17-4 

Mirovice       - 17-1 

Mis 130 

Misenum   (Kap) 13(1 

Mislik       130 

Misiia       211 

Mistek 130 

Mita 56 

Möderbruck 195 

Modla       121 

Mndra 121 

Mödritz 121 

Moesia 57 

Mönch 52 

Montpreis 91 

Mor 73 

Mi)rava        73 

Morenland 1^ 

Morgentia 1^ 

Mnri /3 

Moschen       196 

Moos 197 

Mose 210 

Mosel       197 

Moskva 197 

Most 196 

Mostar 197 

Moszczenica    .     .         ....  197 

Mozirje 197 

Mozole 197 

Mur 73 

Miliz 73 

muzik       196 

Myslibofice 130 

.Mysliii 130 

Mza 55 


Nabrezina 

Namare 

Namedy 

Narisker 

Narona     . 

Nechanice 

Nechutin 

Neffaii 


90 


171 

171 


Seite 

Negoi        171 

.Negotii!    . 171 

Neko        171 

Nerti 203 

Nenianic       204 

Nemcice       203 

Nemec 203 

Nemeti 203 

Nemojan       203 

Nemours       203 

Nemska  vas 203 

Neuenahr 104 

Neuern 104 

Neusatz        11 

Neuvy 103 

Niemen 203 

Niemtschau       203 

Nikita        171 

Niko 171 

Nimburg       203 

Ninirod 204 

Njegovan 171 

Njegus     ....         ....  171 

Noreja 172 

Norikum       172 

Nov 103 

Novi 103 

Novici 103 

Novigrad 104 

Novipazar 33 

Novosad       11 

Noya        103 

Nussdorf       229 

Ohalj        98 

Oberdorf 162 

Oberlin 162 

Oberst 162 

Oblat                 162 

Obol.             93 

Obora 162 

Obrovac       162 

Obrsje 162 

Oderberg 53 

Oglej        122 


Seite 

OkroK 138 

OkiUKÜtz 138 

Olmiitz n 

Ondra       11)3 

Oiidfejnik 1(13 

Ontaiiü 103 

Oplotiiica 98 

Opociio         9S 

Opolan 98 

üppeln 98 

nproda 221 

Orahovac 229 

Orel 158 

Oresje 229 

Orlamiiiide        158 

Orlik        158 

Orlow 158 

Osci 10(1 

Osek liKi 

Osiris       1(1(1 

Oskar       1(16 

Oskol       lOh 

Osman Kid 

Osning 1(16 

Osora       106 

Osowiec       106 

Ossa 106 

Ossiach 106 

Ost       106 

Üsterreich 106 

Ostia        106 

OstroK 106 

Ostrov 106 

Osuna      106 

otec 226 

Ozero       225 

Pakliiiia        231 

Pal       152 

Palanka        152 

Pandurica \2?i 

Paris         178 

Parma 178 

Pasarovic l^ 

Pascha 35 


Seite 

Pass i?. 

Passeier       33 

Pasterze       .......  35 

Pastvisko          ?tT< 

patria        , 121 

Patriasdorf       121 

Patfin       121 

Patrouille !21 

pa/ar             ii 

paziiik 35 

Pecen 1.59 

Peckau 139 

Pec 139 

peiiiz         253 

Perekop       22A 

Pesjak I.?9 

Pesoslav 103 

Petersdorf 121 

Petrin       121 

Phara       211 

Phönizier      .......  60 

Piast        2>?> 

Plankstadt        152 

Plankenwort         152 

Pobrezje 90 

Podbaba       48 

Podcetrtek        151 

l^idirac        222 

Podivin i23 

PoKled 122 

Pohunie        66 

Pol       97 

Polen        97 

Polgraben         .    .         ....  97 

Pöllaii        97 

Poloni            97 

Pols          97 

r^oniniern 65 

Pötzleinsdorf 1.59 

Pozin-       97 

Prachherg        83 

Prachov        84 

Prag 83 

Prägarten ITS 

Prasin 83 


368 


Seite 

Prazeiikova      .     .         ....  83 

Predigtstuhl 90 

Predniost 22A 

Pregel 9Ü 

Pregratten        156 

Prerau 22-1 

Pressano 90 

Pressburg 90 

Preza       90 

Prode       227 

Protivin        227 

Provlika       225 

Prozor 97 

Priicha          196 

Priik ,    ,    .    ,  196 

Prziio       91 

Pylos 210 

Quadi       183 

Uua.slallu 183 

Raab        81 

Rab 81 

RaC-e ,,    ...  200 

Radelstein 200 

Radgona      200 

Radno 20(1 

Radliiist        186 

Rain          .58 

Raj       58 

Rajin-ad        58 

Rania       81 

Ranusau         81 

Rann        58 

Rat       200 

Ratbod ,    .    .    .  201 

Rathausberg 200 

Ratzen 200 

Reich       58 

Rein 58 

Rccica 92 

Regau       92 

Regen      92 

Regersdorf       92 

Reggio ,  92 


^eite 

Reifenegg         92 

Reka        92 

Ribe ,    .  $0 

Ribna  glava SO 

Rilmica SO 

Riese 177 

Ritnik       SO 

Ripa        SO 

Ripuarii        80 

Ris        !77 

Risano ,    ,    .  177 

Riste  Stara 177 

Riva         80 

Rivale SO 

Riviera ,    ,  SO 

Rivoli       SO 

Rizan       177 

Rob ,    ,    .  SO 

Robidenberg 80 

Rocca       79 

Rog ,    .    .    .  79 

Rogatec        79 

Rogovolod        79 

Roguzno       79 

Roh 79 

Rohas       ....,.,,,  79 

Rohlau 79 

Rok 79 

Roma       82 

Roniagna 82 

Rörnerstadt      S2 

Ropcze 80 

Rosrnan        79 

Ross         79 

Rasstrappe       23 

Ro.skar 79 

Rotzlethöhe 123 

Rozau       79 

Riibeland 80 

Rubi         SO 

Rubico SO 

Rune 243 

Rupa SO 

Rusalka        79 

Russen 7S 


—  369  — 


oaaz    .    .    . 

Saarhriickoii 

^achsenberg 

Sadec       .    . 

Sarn         .    . 

Sainaria 

Same 

Saiiiliara 

Samniter 

Samo 

Sainojeclen 

Sanios 

San      ,    . 

Sana 

Sand,  am 

Sandschak 

Saracenen 

Saragossa 

Sarajevo 

Sardes 

Schelleberg 

Schelleschitz 

Schenna 

Schön 

Schönsec 

Seine 

Sem     .     . 

Semele     . 

Semit 

Semlin 

Semoy 

Senarka 

Senica 

Sentis 

Sette  communi 

Setzdorf 

Sice     . 

Sienna 

Sklen 

Siatina 

Slaven 

Söding 

Sodnja  vas 

S^>oJeii     . 


Seile 

II 

\A2 
53 
11 
,  8/ 
53 
53 
53 
53 
53 
53 
53 


142 
142 

142 
142 
94 
94 
198 
198 


89 
262 
89 
89 
89 
197 
197 
89 
171 
171 
171 
89 
67 
23 
17 
140 
140 
140 


Seite 

Sokal        137 

Sokdl        137 

Sokolnitz 137 

Sohl 192 

Sol        192 

Sülliiig 192 

Solonka 192 

Sot       192 

Spas         201 

Spfiäov 172 

Spezzia        172 

Spichern        172 

Spiessberg       172 

Spitz         172 

Spy,  na 172 

Srebrenica       231 

Srnjak 230 

Stagno 225 

Stain       101 

Stan 101 

Stanislau 101 

Stara  gora 128 

Stargard       128 

Starzinger  Berg 128 

Stebno 169 

Stefan      169 

Stein        101 

Steinwand         101 

Stepan 169 

Stibnik 169 

Stjepangrad 169 

Stockholm        69 

Stfechov      136 

Strechwitz        136 

Streckelb-rg 136 

Straden       199 

Stradonitz 199 

Stragut         134 

Strand 200 

Strass       133 

Strassengel       133 

Strasnitz 134 

Straia 133 

Strossen       134 

24 


Seile 

Suez 223 

Suh      .    .     .              136 

Suhdol 136 

Sukdol 136 

Sukovate 136 

Sultan      192 

Svata  gora 130 

Sveca       130 

Sveta  gora 130 

Svetina 130 

Svitavka 130 

Syrte       211 

Tabor       188 

Taborisko 188 

Tachau 100 

Takaiievn .100 

Taler        253 

Tanzeiibere                   ....  101 

Tara 20-1 

tarasa      204 

Tarascon                        ....  20-1 

Tarazona      ......  204 

Tardes 20-1 

i'auris 132 

Taurisker     . 152 

Ternesvar 178 

Tepa 125 

Tepina      ...                  ...  125 

Teplitz 25 

Teschen        175 

Teschnowitz 175 

Tessin 175 

TeSanj 175 

Teufelsmauer        213 

Teuffenbach 125 

Theben         124 

Ticino 175 

Tissa        175 

Tisnovice 175 

Tivac       125 

Tivoli       125 

Tiwer       125 

Tobelrisse        25 


Seite 

Tobl         25 

Tom 86 

Tomsk 86 

Tniiale 86 

Tonsberg 86 

tor       154 

Torfeld 154 

Torka       154 

Torstätten 154 

Tragöss        96 

Trak 96 

Trakien 96 

Trakostjan       96 

Trasdorf       96 

Trausnitz 96 

Trebinie       195 

Trefen 195 

Trencin 193 

Tresternitz       ......  195 

Treviri 195 

Triboci 207 

Tribun      194 

Tribunal 195 

Tribus 194 

Tribut       195 

Tricnt       195 

Triest       195 

Trifail 193 

Trifun       194 

Triglav 46 

Trikkala       195 

Trimurti       46 

Triptis 195 

Tiivia      195 

trizna       194 

Trnovo 195 

Troja       162 

Trojaburgen 161 

Trojanovice 162 

Troicno 46 

Trojica 46 

Trsat 193 

Trst     .    .■ 195 

Tum 86 


Seite 

l'uilis 86 

Tunnersee 86 

Tiir      152 

Tuian       262 

Tiiringen      152 

Türken 152 

Turn  am  Hart 155 

Turnau 155 

Turniäe 155 

Türnitz    ....         ....  155 

Tyrann 15-4 

Tyrol        154 

Uckermark       78 

ujec 226 

ujezd 226 

Ukrajna 78 

Um       77 

Uman       ■    .    .  11 

Vaar 210 

Vadstena 162 

Va? 66 

Vagabund 66 

Vagant 66 

Valjevo 99 

Valkun 99 

Van 64 

Vanca       64 

Vandalen 64 

Vanek       66 

Vanicek 66 

Vanino 66 

Vantacic       64 

Var 177 

Varda       177 

Vardar 178 

Varus       178 

Vassach        193 

Vel       192 

Veleda 193 

Velehrad      192 

Veles        192 

Velja 192 


Seite 

Velpan          192 

Ven 12 

Vendsyssel       210 

Venedi 59 

Venedig       59 

Venitsa 210 

Vennsleute        59 

Venosa 59 

Ventia 59 

Venusberg 59 

Ves 193 

Vesca       193 

vescovi 194 

Veselä 193 

Vesna      194 

vesnice 194 

Vesta       194 

Vestalin        194 

Veste 194 

Vestin 193 

Vezir       194 

veza         194 

Vezky 193 

Veznice        193 

Vicov       127 

Vicice     ..             127 

Vid       127 

Vidce       1^7 

Videm 127 

Videii       127 

Vidin       211 

Vido 210 

Vidomina 127 

Vigil 115 

Vigo 115 

Vila 192 

Vilajcl 192 

Vilar 192 

Vilenjak       192 

Viletta 192 

Viiice       192 

Vill      192 

Villach 192 

Vils   .   .        .     .              ....  192 

24* 


372 


Seite 

Vin       58 

vinar        253 

Viiidelicii        59 

Vineta 59 

Viiije 59 

Vinkovci       59 

Vinodol         59 

Viiiohrad\' 59 

Vir       126 

Virje 126 

Virovitica 126 

Virpazar       33 

Visarje 115 

ViSkov 115 

Vitina       127 

Vizina 127 

Vizovice       127 

Vlahi 99 

Vlasi 99 

vod 202 

Voda        202 

Voderad       202 

vodnik 202 

Vogt 198 

void 198 

Vojkov 201 

Vojnik 201 

Vojsko 201 

vojvod 201 

Voie 99 

Volinje 99 

Volk 99 

Volkovina 99 

Volosko        99 

Volsci        99 

Vnlujak 99 

Vorau       157 

Vorderiiberg 157 

Vors  Aa      210 

Vranduk 173 

Vransko 173 

Vrat 174 

\'rata       174 

\ratIo       174 


Seite 

Vsetin      193 

Vuk 99 

Vukovar       ...         ....  178 

Waad       178 

Waag       66 

Wachau 67 

Wachtel 67 

Wagendorf       67 

Wagrein       67 

Wagstadt 67 

Waidbruck       196 

Waidu 202 

Walch 99 

Waldeck       99 

Waidenstein 99 

Wall 99 

Wallachci                                    .  99 

Wallsee 99 

Walowiec 99 

Waltar 99 

Wan         64 

Wanda 66 

Wanen 64 

Wang      64 

Wanitz 64 

Wanzen 64 

Warta 177 

Wartenstein 178 

Waschka 35 

Wasendorf 193 

Wasgora 193 

Wasser 193 

Wassie 193 

Wasylöw 194 

Wawel 48 

Weimar                         ....  59 

Weinleiten 59 

Wenden 53 

Wenigeniena 85 

Wes 194 

Wesce 194 

Wcsselv ^^i 


Seite 

VVesse 19-4 

Wessnitz 19-1 

Wieden 6t) 

Wiegen 115 

Wien 59 

Wigstadtl 115 

Wikiek 115 

Wikf'nv 115 

Willielm       19i 

Willigrad 57 

Winden 53 

Wittingau 127 

Woda       202 

Wodan 202 

Wödling       202 

Wojteschitz 201 

Wolhynien 99 

Wolöwa   gora 99 

Württemberg 126 

York K,0 

Zam        53 

Zama       88 

Zamek 69 

Zainostje 88 

Zams 88 

Zavaia 99 

Zdarec 128 

Zec  planina 171 

Zeche       248 

Zell 94 

Zeloten 93 


Seite 

Zemla       262 

Zenica 197 

Zcrnitz 146 

Zetce 171 

Zetta 171 

Zice 171 

Zill       94 

Zips 10 

Zola 192 

Zollfeld 192 

Zölnel       192 

Zuchaba       211 

Zug 136 

Zürich 153 

Zwetkofzen       130 

Zwettl 131 

Zambcrg       88 

Zatec        11 

2dar 128 

Zelezniki       231 

Zenjak 197 

Zigert       121 

Zihadio 121 

Zirec 146 

Zirovisce 146 

Zizka        1211 

?.izkov 121 

Zolkiew        192 

2uki 1.^6 

zupa 39 

Ziipanjac 39 


20^^   '^ 


D      Ztuücovic,  Martin 
IUI  Die  Slaven 

Z85 

1911 


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