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Full text of "Durch Bosnien und die Herzegovina kreuz und quer; Wanderungen"

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J 


Heinrich   Renner: 

Purch  Bosnien  und  die  Hercegovina. 


purch  Bosnien 

unppieLIeRCEGOVINA 


KREUZ  UNP  QUER 


WANDERUNGEN 

Vi  >\ 

HEINRICH  RENNER 

MIT  54  VOLLBILDERN 

300  ABBILDUNGEN  IM  TEXT  VON  W.  L.  ARNDT,   E.  ARNDT-CEPLIN  U.  A. 

SOWIE  NACH  PHOTOGRAPHISCHEN  AUFNAHMEN 

UND  EINER  GENERALKARTE  BOSNIENS 

MIT     ROUTEN      UND     STRASSENZÜGEN 

M  IT  C  A  RTC )  N  :    E  I  S  E  NBAH  N  VE  RBINDUNG  E  N   BOS  N  I  i 

MIT    EUROPA 


ZWEITE   IN  WORT   UND  BILD   ERGÄNZTE 
UND  VERMEHRTE  AUFLAGE. 


* 


BERLIN    1897. 
VERLAG  VON   DIETRICH  REIMER     ERNS1    VOHS 


J)as  %echt  der  Uebersetzung  in  frernde  Sprachen- 
ist  vorbehalten. 


,154^15 


Vorwort  zur  II.  Auflage. 


Wenig  über  ein  Jahr  ist  verflossen,  seit  das  vorliegende  Werk  in 
Oeffentlichkcit  hinaustrat,  um  die  landschaftlichen  Schönheiten  Bosniens 
und  der  Hercegovina,  die  Vergangenheit  des  Landes  und  seine  durch 
rastlosen  Fortschritt  gekennzeichnete  Gegenwart  der  Kenntniss  eines 
grösseren  Publikums  zu  vermitteln.  Bücher  und  besonders  Reisewerke, 
die  zufolge  ihres  hohen  Preises  nur  in  die  Bibliotheken  und  in  die  Hände 
weniger  Privaten  gelangen,  haben  grossentheils  ihren  Zweck  verfehlt,  daher 
war  es  unser  Bestreben,  das  Buch  in  der  Ausstattung  hochgediegen,  in 
grosser  Auflage  zu  billigem  Preise  herzustellen.  Der  in  der  Reiselitteratur 
fast  beispiellose  Erfolg  hat  uns  Recht  gegeben  und  bei  der  anerkennenden 
Kritik,  die  dem  Werke  von  der  Tages-,  wissenschaftlichen  und  Fachpresse 
aller  Länder  zu  Theil  wurde  —  der  hierdurch  der  beste  Dank  dargebracht 
sei  —  hegen  wir  die  feste  Zuversicht,  dass  auch  die  gegenwärtige  zweite 
Auflage  dem  schönen  Bosnien-Hercegovina  neue  Tausende  von  Freunden 
zuführen  wird. 

Ein  Jahr  ist  wohl  nur  eine  kleine  Spanne  Zeit  im  Menschen-  und 
noch  mehr  im  Völkerleben,  aber  gerade  in  einem  so  mächtig  aufstrebenden 
Lande,  wie  es  dieses  Balkangebiet  unter  der  Verwaltung  des  österreichisch- 
ungarischen Kaiserstaates  ist,  bietet  schon  eine  so  kurze  Periode  mannig- 
fache Neuerungen,  viele  Errungenschaften  auf  kulturellem,  wirthschaftlichem 
und  wissenschaftlichem  Leben.  Diese  mussten  der  neuen  Auflage  einver- 
leibt, statistische  Zahlen  bis  in  die  jüngste  Gegenwart  ergänzt  werden. 
Einige  neue  Reiserouten,  wie  die  in  das  Sandschak  Novibazar,  das  zwar 
nicht  unter  österreichisch -ungarischer  Verwaltung  steht,  aber  in  den 
Hauptorten  neben  den  türkischen  auch  österreichisch-ungarische  Garnisonen 
besitzt,  wurden  aufgenommen.  Gerade  das  Sandschak  zeigt  am  besten 
den  kulturellen  Einfluss  des  gegenwärtigen  Bosnien  auf  die  noch  türkischen 
Grenzlande.      Dann   fuhrt  uns   diesmal  der  Weg  auch    in   die    romantische. 


reiche  nordwestliche  Krajna,  das  von  zahllosen  Burgruinen 

n  Kroatiens  Grenzen  mit  seinen  berühmten  prähistorischen 

.  wurden  die  Abschnitte   über  die   deutschen  Kolonien 

-  und    Kohlendistrikt   reicher   illustrirt.     Der  Text   erweiterte 

lurch    um   fünf  Druckbogen,   die  Zahl  der    Illustrationen    stieg  um 

.     Ausserdem    wurde   der   2.    Auflage   eine   grosse  Karte   bei- 

di<     äämmtüche  Konten    und  Strassenzüge  enthalt   und  auch  die 

Üon   des  Terrains  durch    Höhenkurven  wiedergiebt,   sodass   jeder 

einen  vortrefflichen   Führer  sowohl  zur  Erreichung  des  Landes  in 

im  Karton  befindlichen  Eisenbahnkärtchen  von  Kuropa,  als  auch  zur 

sung  des   Landes  selbst  erwirbt. 

möge  denn  das  Werk  in  seiner  neuen  erweiterten  Gestalt  zum 
zweitenmale  dvn  Weg  in  die  Welt  antreten;  möge  es  für  Bosnien  werben 
in  den  Reihen  Aller,  tue  reisen  können  und  reisen  wollen,  möge  es  aber 
auch  ferner  wie  bisher  Eingang  finden  in  politischen,  wissenschaftlichen, 
[and-  und  forstwirthschaftlichen  wie  industriellen  Kreisen,  damit  sich  die 
nntniss  immer  mehr  Bahn  breche:  Bosnien  ist  unter  seiner  heutigen 
Verwaltung  nicht  nur  das  vorgeschrittenste  Land  des  Balkans,  es  ist  neben 
stolzen   Bosna«    auch  die    »glückliche  Bosna«   geworden! 


Berlin,  im  September   1897. 


Der  Verfasser 

und  die  Yerlae-sriandlung. 


Einführung  zur  I.  Auflage. 


terreich-Ungarn  kraft  des  im   Berliner  Vertrage  erhaltenen 

im    Jahre    1878   zur    Besetzung   Bosniens    und   der   Hercegovina 

•1    in    dem    seit  Jahrhunderten    wie  verschlossenen  Lande  nur 

R.«     ende  erschienen.     Diese  Wenigen   waren  meist  in 

halt   in   Bosnien   gewesen   und    sie  hatten  sich  redlich  be- 

ihn  fentlichten  Werken  die  Kenntniss  des  Landes  dem 

rmitteln.      Dem    grossen    Publikum    blieben  jedoch  diese 

vit;   da--  bosnische  Dornröschen    schlief  noch   den 

hlaf  und  es  fand  seine   Auferstehung  erst,   als 

die    Grenzen    überschritten   und   die   neue   Aera 

Dickicht,     das    um    Dornröschens    Schloss 

rastloser  und   schwerer  Arbeit  von  nicht  zwei 


vi 


Jahrzehnten  steht  Bosnien  bekannt  und  geachtet  vor  der  Welt.  Was  in 
diesem  Lande  geleistet  wurde,  ist  fast  beispiellos  in  <\cv  Kolonialgeschichte 
aller  Völker  und  Zeiten  und  die  nachfolgenden  Schilderungen,  wenn  sie 
auch  mehr  für  den  Touristen  geschrieben  sind,  der  die  land  chaftlichen 
Reize  der  »goldenen  Bosna«  kennen  lernen  will,  sollen  doch  auch  ein  Bild 
geben  von  dem  Bosnien  einst  und  jetzt.  Es  fehlt  heute  nicht  mehr  an 
umfangreichen  wissenschaftlichen  und  an  Reisewerken  über  die  htige 

Gebiet  der  Balkanhalbinsel.    Das  vorliegende  Werk  erhebt  daher  auch  keinen 
Anspruch  auf  besondere  Gelehrsamkeit,  es  soll  in  ihm  nur  in  zwangl< 
Geplauder    erzählt  werden,  was  ich  bei  oftmaligen   Reisen  in  dem   Lande, 
das  ich  wie  eine  zweite  Heimath  liebe,  gesehen  und  erlebt;  es  soll  Int< 
und    Verständniss    in    weiteren    Kreisen    erwecken,   die  beim   Antritt  einer 
Reise  nicht  ganze  Bibliotheken  durchstudiren  wollen  und  können. 

Eines  hat  mir  die  Feder  geführt:  Unauslöschliche  Liebe  zu  Bosniens 
Bergen  und  Thälern,  zu  seinen  grünen  Matten  und  romantischen  Städten, 
zu  seinem  kräftigen  Volke  und  dessen  Eigenart.  Sodann  aber  auch  un- 
begrenzte Hochachtung  vor  den  Männern,  die  als  Kulturträger  in  amtlicher 
Stellung  jene  Fortschritte  zeitigten,  die  heute  diese  Provinzen  so  hoch 
die  meisten  anderen  Länder  des  europäischen  Südostens  erheben.  Wenn 
ich  heute  hinausblicke  in  den  grauen  Nebel  des  nordischen  Winters,  denke 
ich  mit  Sehnsucht  an  Bosniens  Urwälder,  an  das  Paradies  jedes  Natur- 
freundes. Und  der  Bosna,  der  Drina,  der  Narenta  und  des  Vrbas  Wellen 
rauschen  mir  ein  verlockendes  Lied  von  Gottes  freier  Natur  in  der  Schweiz 
des  Balkans.  Möge  mein  Sehnen  recht  bald  von  Vielen  getheilt  werden, 
mögen  bald  Tausende  sich  jenes  eigenthümlichen  orientalischen  Lebens 
erfreuen,  das,  von  unsagbarem  Reiz,  früher  nur  wenigen  bevorzugten,  mit 
Glücksgütern  gesegneten  Sterblichen  zu  schauen  ermöglicht  war.  I 
führen  drei  Bahnlinien  mitten  in  diese  fremde  Welt,  die  sich  jedem  ins 
Herz  schmeichelt,  der  noch  Gefühl  für  Schönheit,  für  unverdorbene  Natur, 
dabei  aber  auch  Sinn  für  moderne  Thatkraft  besitzt. 

Ich    mache    jetzt    den    Führer    im  Lande.     Wer  Lust  hat  und  nicht 
immer  ausgetretene  Pfade  wandeln  will,   der  folge  mir! 

Berlin,   im  Winter    1895/96. 

Heinrich  Renner. 


Inhaltsverzeichniss. 


Seite 

Auf  «.                    ho i 

ienenwege 2S 

irke 37 

47 

und  Treiben  in  der  bosnischen  Hauptstadt 59 

Aus  dem  bosnischen  Leben  und   Lieben 84 

•    d  Sar      \" 07 

Bosniens 106 

I22 

da  nach  Foca j-^ 

An  der  Grenze  des  Paschaliks  Novibazar irr 

ak  Novibazar j6c 

fahrt  auf  der   1  >rin;i jgö 

:he   Bergwerksstadt ....  217 

Nach   Zwornik 227 

Idyllische  Fahrten 2-S 

unanja  und  der  Glasinac 25" 

ch  Mostar 272 

sehe  Hauptstadt 297 

und  die  Bonaqnelle ->!■- 

mischen   Grenze -2; 

Hercegovina org 

linatien  ins  Narentathal .372 

Durch   das   Ramathal   nach  Jajce 400 

Jajce 420 

in  der  Gegenwart 445 

Travnik  nach  Jajce 41-6 

Inka 470 

4s5 

_ 

■  jnica rl- 

tliche  Krajna c2- 

539 

nkt             .  --., 

•     " 55j 


Verzeichniss  der  Illustrationen. 


Denkmal  in  Bosnisch-Brod i 

In  der  Savegegend    

Eisenbahnbrücke  in  Bosnisch-Brod 

Dorfmoschee  mit  türkischem  Friedhof 

Schweinehirtin  an  der  Save  bei  Bosnisch-Brod - 

Kopf  eines  Mohammedaners 

Ansicht  von  Doboj 9 

Zuckerfabrik  Usora 13 

Nachtreiherkolonie  im   Bezirke  Tesanj 15 

Strasse  in  Maglaj 17 

Maglaj  von  der  Nordseite m 

Totalansicht  von  Zenica 21 

Vranduk 

Central-Strafanstalt  in  Zenica 2; 

Papierfabrik  in   Zenica 25 

Kohlenwerk,   nebst  Eisen-  und  Stahlwalzwerk  in  Zenica 2" 

Schlussvignette:   Namenszug  auf  einem  Diplom   des   Sultans   Ghazi  Ahmed   Chan      ...  27 

Kopfleiste:   Altbosnische  Inschrift 2!S 

Mühle   bei  Janjici 

•Siegel  aus  Sutjeska 

Ein   Hadzija  (Mekkapilger)  aus  Visoko 31 

Kloster  in   Fojnica $2 

Bauernbursche  singt  zur  Tamburica  (Motiv  aus  Kiseljak) ;  ; 

Katholisches  Kloster  in  Kresevo  (Winterbild) 34 

Vor  der  Kirche   in   Kresevo 35 

Altchristliches   Siegel  aus   Komusina .V' 

Bosnische  Eisenerzeugnisse .^7 

Anfangsvignette:   Bosnischer  Bauer 37 

Gewerkschaft  Dubostica 3$ 

.Stadtansicht  von  Vares 

Altbosnische   Erzaufbereitung  bei   Cevljanovic 4  • 

Eisenwerk   in   Vares 42 

Altbosnisches  Eisenwerk  (Majdan)  bei  Vares •  44 


IX 


Seite 

Zenica 45 

n 47 

49 

Kathedrale    in   Sarajevo 5° 

Nothmünze  aus  Kupfer  (Mangura) 52 

5^  u-  57 

urviertel 5* 

Männlicher  Einwohner 59 

'.   aus   der  <  'arsija 59 

Sarajevo OI 

ans  Sarajevo OI 

°2 

- 63. 

-ischen  Teppich-Webeateliers  in  Sarajevo 64 

imija °5 

-Dzamija °7 

■.  Sai          ' 68 

ilbasehi)     .           69 

Im  türkischen  Viertel 72 

:.ithal  mit  dem  Visegrader  Thor  in  Sarajevo 74 

lall  Skakavac  bei  Sarajevo 75 

-  Sinan-Tekija  in  Sarajevo 76- 

-;;;chterschule  in  Sarajevo 77 

risch 79 

Predigerstuhl]    in  der  alten  orientalisch-orthodoxen  Kirche  in  Sarajevo    ...  81 

die   in   Sarajevo S2 

atypen S4 

85 

uf  Alifakovac 86- 

...  - 87 

ina 89- 

iei   Sarajevo 96 

"  in  Initial  C 97 

aakler)  aus  Sarajevo 98 

101 

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m  Butmir 106 

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107 

109 

1 10 

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1 1 2 

on  im   Uidze 114 

1 1  ^ 

1 17 

1            d    r   Um                     in   Sarajevo.) 119- 

1 21 


Kopfleiste:   Einheimische  Typen [22 

^nfangsvignette :  Einh  rypen 

Kozija-Cuprija   (Ziegenbrücke}    bei   Sarajevo 

Tragthier  mit  Heu  beladen 

Blick  von  Pale  aui   die   Romanja-Planina 

Hau   bei   Tale 

Praca-Defile 

Bauer  im  Alltagskostüm   [Karolinensattel) 

Praca  mit  der  Ranjen-Planina 

Rast  bei  >ler   Feldarbeit  (Pale) 

Wölfe    vor   Beginn    des    Treibens    auf    der    Ranjen-1  'lanin  i 

Alter  Mohammedaner  aus   Gorazda 

Junger  Mohammedaner  aus   Gorazda 

Weber 

Korantext  auf  einem  Säbel 

Anfangsinitial:  Kaffeetrinkeuder  Bauer 

Bosnische  Bäuerinnen 

Moschee 

Holzverkäufer 

Städterin   aus  Foca 

Totalansicht  von  Foca 

Partie  aus  Foca 

Der  Uhrthurm  (Sahat-Kula)  in  Foca 

Dzenaza  (Todtengebet)   vor  der  Moschee 

Kopf  eines  Knaben 

Auf  der  Zelengora.     (Zwischen  Foca  und  Gacko) 

Bettler 

Picea  Omorica  Pancie 

Eckvignette:   Baumgruppe 

Alter   Bauer  aus   Cajnica 

Stadtansicht  von   Cajnica 

Siegel  des  Despoten  Stefan  auf  der  goldenen   Pulle  desselben 

Oesterreichischer  Soldat  auf  Patrouille  im  Sandschak  Novibazar 

Metalkasattel 

Totalansicht  von  Plevlje 

Fliegendes   Kaffeehaus   im   Sandschak 

K.  u.  K.  Kaserne  bei  Gotovusa 

Orientalisch-orthodoxes  Kloster  Sveti  Trojica  (Dreifaltigkeit)  bei  Plevlje 

Prijepolje  im  Sandschak 

Brücke  bei  Prijepolje 

Postfahrt  mit  Bedeckung  im  Sandschak 

Jerinaburgruine   bei   Bistrica  zwischen   Priboj   und  Prijepolje 

Priboj   (Militärlager)        

Türkische  Kaserne   in   Priboj 

Felspartie  an  der  Drina 

Flossfahrt  auf  der   Drina 

Stadtansicht  von   Visegrad 

Brücke  in  Visegrad 

Gemse  aus  de^  Gebirgen  an  der  Drina 


XI 


>eite 

rni  Vrh    l'iims  Leucodermis-Grnppe' 200 

201 

,'  :  :i 204 

inatha] 207 

Lammbraten  am  Spiesse 209 

Wäldern  an  der  Drina 211 

215 

.:   dem   Titelblatt  einer  Evangelien-Uebersetmng  aus  der  alten  Bergwerksstadt 

druckt  in  Venedig  in  altkroatischer  Sprache 217 

Srebrenica 220 

rfabrilc   in   Srebrenica 222 

rqaelle  bei  Srebrenica 224 

Mohammedaner 225 

bei  Oprasic 226 

I.eucodermis   (Antoine) 227 

über  die  Drinaca 22S 

insicht  von  Zwornik 229 

Zwornik,  am   Eingang  vom  Thor  aus  gesehen 231 

Strasse  bei  Divie  zwischen  Srebrenica  und  Zwornik 232 

mit  dem  Blick  nach  Serbien 233 

tanz 234 

:ines   Eingeborenen 237 

Prämiirte  Kalber 23S 

Flüchtige  Wildschweine  im   Urinacagebiet 239 

Darinkafelsen  zwischen   Xova-Kassaba  und  Drinaca 241 

Kuslat  zwischen  Nova-Kassaba  und  Drinaca 242 

nerknabe 243 

Im  Waldgebirge 244 

nica        246 

nica 247 

-nja 24S 

rlan  Pji  sak 249 

kolac 250 

rnmzdchen 251 

-Planina 253 

Rogatica 255 

:i   am    Glasinac  beim  Dorfe  Sokolac 256 

aischen   Waldgebiet 257 

iiina   (C)rlova  Stiena) 25S 

2r  Q 

dca 260 

oac 261 

_  2g2 

oß, 

uanja 264 

Rogatica        265 

est     Waschung  vor  dem  Gebet) 267 

26S 

269 


XII 


»Gute  Rast«.    (Bauer  aus  Mokro) 270 

Blick  von  der  Romanja-Planina  gegen  Mokro 271 

Im   Bazar  von  Sarajevo        272 

Station  Ivan  mit  Tunnel -  7  > 

Zwischen   dein   Ivan   und   Konjica 275 

Die  Lukaschlucht 277 

Mühle  bei  Konjica  in  der  Hercegovina 

Konjica 2°! 

Christliche  Bäuerin   aus   Konjica        

Im  Narenta-Defile  mit  dem  Blick  auf  den  Prenj 

Katholikin  von  der  Zec-Planina 

Am  Fusse  des  Prenj 2S7 

Landes-Hotel  in  Jablanica •  289 

Im  Narenta-Defile •     .     .  291 

Flussansicht  von  Mostar 295 

Hotel  Narenta  in  Mostar 295 

Im  Bazar  von  Mostar 297 

Die  alte  Brücke  in  Mostar 299 

Eingang  zur  alten  Mostarer  Brücke 3°2 

Im  Brückenviertel 3°3 

Partie  am  Flusse  in  Mostar 3°5 

Moschee  in  Predhum  (Mostar) 3°6- 

Karagjoz-Moschee  in  Mostar 3°& 

Im   Brückenviertel  von  Mostar 3'° 

Ein  Bild  aus  Mostar " 3 '  ' 

Partie  aus  Mostar 3 '  - 

Weinbaustation  bei  Mostar 3X3 

An  der  Narenta  (Mostar) 3  '4 

Schlussvignette:    Kopf  eines  Arbeiters 3n> 

Forellenfang  mit  der   Hand  im  Bunaflusse  bei  Blagaj 3' 7 

Bunaquelle         3'9 

Thekia  an  der  Bunaquelle 3-° 

.Särge   im   Innern   des  Türbe 32° 

Burg  Stjepanograd ,:l 

Kafedzija  in  Blagaj 323 

Militärpostvvagen  an  der  Grenze 32S 

Rückkehr  vom  Markte 3J,> 

Nevesinje  und  das  Nevesinjskopolje 32i> 

Fojnicka   Cuprija  bei  Gacko 329 

Ansicht  der  Stadt  Gacko 332 

Mohammedaner »34 

Arbeiten  an  der  Kline  bei  Gacko 335 

Cemerno •>•>' 

Aus   der  Sutjeskaschlucht 339 

Im  Sutjeska-Defile.      (Zwischen  Gacko  und  IW        342 

Stepen -^4-> 

Cisterne  in   der  Hercegovina 34/ 

Golobrdo  bei  Korito 34* 

Ansicht  von   Korito 


XIII 


Seite 

5  C  2 

°3 

J"'-:) 

354 

355 

35° 

•     -     •     •  35^ 

359 

3oi 

364 

ra  zur  Erinnerung  an  den  Besuch  des  Kronprinzen  Rudolf  365 

..  am  Wege  vom   Lastvathal  nach  Grab  in  der  Zubci     .     .     .  366 

I  irab  (Zubci) 3"7 

rinischen  Karst       372 

lette:     Mohammedaner  zu  Pferd        372 

376 

Neuin  in  der  Enklave  Kiek 379 

as  der  Umgebung  von  Metkovic 3S0 

Ine   bei   Metkovic 3^J 

Metkovic  an   der  Narenta 3^3 

387 

An  d<  ipljina 3°9 

!;ina,  von  der  Narenta  aus  gesehen 39° 

391 

misljic 392 

ic 393 

renta       395 

:  rabella 39° 

Icke   über  die   Buna)  unweit  Bla^aj 398 

15.  Jahrhundert 399 

400 

nathal 401 

tha]        402 

I 403 

thale  bei  1'rozor 405 

406 

»1        407 

409 

.     .     .     .  41 1 

4 1  ; 

m   Ramathale  bei  1'rozor 415 

.'   kuf 410 

line 417 

419 

420 

j.22 

4.26 

42S 

430 

j  3 1 


XIV 


Seite 

Lukasthurm  in  Jajce 

Metjef  (mohammedanische  Religionsschule  in  Jajce) \\- 

Am  Plivafall 450 

Ko/luk,   Vorstadt  von  Jajce 452 

Jezero  mit  dem  Touristen-Pavillon 1.53 

Siegel  des   Klosters   Labostin   in   Duvno 1.55 

Kopfleiste:  Altbosnische  Inschrift  bei   Kaostice 

Travnik 1^7 

Neue  Medresse  in  Travnik |.6l 

Livno.     (Partie  am  Flusse) 

Alpenhof  auf  der  Krug-Planina  (bei  Livno) 463 

Landwirtschaftliche  Station  Livno 

Livno.     (Partie  bei  der  Quelle) 

Station  Oborci  mit  dem  Komar 

Bauer       

Daphne  Blagayana 47° 

Auf  der  Strasse  Jajce-Banjaluka 47' 

Von  der  Strasse  Jajce-Banjaluka.     (Vor  dem  Tunnel.) 

Auf  der  Vrbasthalstrasse 

Partie  von  der  Strasse  im  Vrbasthal 475 

Von  der  Strasse  im  Vrbasthal 4  7'' 

Burg  Krupa 47  7 

Ruine  Krupa  von  Norden 17S 

Enge  Tjesno   an   der  Strasse  Jajce-Banjaluka 47'.' 

Zvecaj 

Auf  der  Strasse  im   Vrbasthal 

Am    Park  im   Banjaluka 

Totalansicht  von  Banjaluka 

Stadttheil   am   Vrbastlusse  in  Banjaluka 4S,) 

Vor  einem  Ducan  (Verkaufsgewölbe) 49  * 

Festung  in  Banjaluka 495 

Ferhad  Pascha-Moschee   in   Banjaluka 49<J 

Trnppistenkloster  Maria-Stern 

Vrbasbrücke  in   Banjaluka 5°° 

Auf   dem   Wege   zur   Stadt 5QI 

Die  Kolonie  Windthorst  im   Entstehen 5°3 

Kolonistenhaus   in   Windthorst 5°5 

Rindertypus  aus  Windthorst 

Bosnischer  Schweinehirt -■,1° 

Katholische  Kirche  in   Windthorst 511 

Deutscher  Kolonist  aus  Windthorst 5  '  - 

Sehulkindergruppe  aus   der  Kolonie   Windthorst 5  '4 

Titel vignette:   Süsse  Ruhe 

Ansicht  von   Prjedor 

Falkenjagd  auf  Wachteln 5*9 

Schlussvignette:   Schweinekoben -",-' 

Anfangsvignette:   Baumgruppe 

Kopfleiste:   Altbosnische  Grabinschrift 

Stadt  Krupa 


XV 


Seite 

527 

52§ 

53° 

tische   Pfahlbau   in   Bosnien) 531 

lac  bei   Bihac 533 

gefallenen  Soldal  nument  in  Zegar  bei  Bihac 534 

.ler  Quelle        535 

536 

«s  mit  Mühlen  in   Bakiaii 537 

m   Kohlenwerk  Kreka 539 

inica 541 

lern  Sprecatha] 543 

544 

Brennende  HaMe 545 

•  Spiritnsfabrik  Dolnja-Tozla 547 

Im   Kohlen  werk 54S 

lnja-Tuzla 549 

r     riamal]    in   Dolnji-Tuzla 551 

-thurm  im   Kohlenwerk  Kreka 553 

•   dem   Markte  in  Tuzla 554 

Dgrnbe  an  der  Kreka 556 

Totalansicht  des   Kohlenwerkes   Kreka  bei  Dolnja-Tuzla 557 

Siminhan  mit  Saline 550. 

rirthschaftliche  Station   Modric ;6o 

Gornja-Tuzla  zur  Türkenzeit 561 

i-Tuzla C63 

Reiter  beim   Wettrennen 564 

Waldgebiet 567 


e    im   Buche  wie  in    der  dem   Werke    beigegebenen  Karte    angewendete  Schreibweise 
hen  und   Eigennamen  ist  die  in  Bosnien-Hercegovina  gebräuchliche.    C  (c)  wird 
cnen  g  ."•  wie  tsch,   c  etwas  weicher,   mehr  an  tsj  anklingend,   s  wie  seh, 

a  französische  j  in  jardin. 


^aC 


Auf  der  Bosnabahn 


Ueber   die    gros 

Zug  der  ungarischen  -  hn   um  Mitternacht  in 

Bahnhof    von  Bosnisch-Brod    ein.       Ob  man   von 

Budapest  oder  Agram  kommt,  stets  hat  man 
lange  Strecken  Tieflandes  durchzufahren  und 
der  erste   Kindruck,    den    man   \  "ii   Bosnien 
empfangt,  ändert  in  landschaftlicher  Bezieh) 
nichts  an  diesem  Bilde.      Brod  liegt  noch  im 
ethale    und    der    etwa    2000    Bewohner 
zahlende   Ort    bietet    dem    R 
Interessantes.      Aber    die    ersten    Min.. 
weisen    wie    schlanke    Finger   zum    Himmel, 
sie  zeigen,   dass   wir  das   Gebiet 
betreten   haben.       Der  Bahnhof  liegt    et 
abseits  vom  Orte;  die  Waggons  müssen  hier 
gewechselt  werden,   denn  die  269  km  lai 
Strecke  Brod-Sarajevo    ist  schmalspurig 
baut  und  die  Wagen  sind  bedeutend  kleiner 
als  auf  den    normalspurigen   Bahnen,    d 
aber  -ehr  bequem  eingerichtet  und  von  | 
Hoher  Sauberkeit.      Es  bestehen  Plätze  I.,   II..   III.  und   IV.  Kla-  mde 

fahren   durch  r   zweiter  Klasse,    auch    die    bosnischen    K 

leute    und    die    mohammedanischen    Grundb« 

unter  ihrer  Würde  halten,   eine   niedrigere   Klasse  zu   benutzen.      Die  Fahr- 
preise sind  massig,   für  die  unteren  Klassen   geradezu   fabelhaft  bi' 
Verwaltung   wird    von    der   in  Sarajevo    etablirten    Direktion    d 
hercesfovinischen  Staatsbahnen   gefuhrt. 


Denkmal   in   Bosn.-Brod. 


In    Bosnisch-Brod,    das 
Türken  auch  Busud  nennen,  wahr- 
scheinlich weil  auf  den  ursprüng- 

n  türkischen   Karten    in  Folge   eines    zuviel   gesetzten  Punktes   in  der 

ii    Schrift    ein    Druckfehler    entstand,    überschritt    im    Jahre    1697 

Prinz  Eugen   vn  Savoyen  die  Save  auf  seinem  kühnen  Zuge  nach  Sarajevo. 

Hier    vollzog    sich    auch    am    29.   Juli    [878    der    Uebergang    der    österr.- 

hen   Truppen   unter   FZM.    Frhr.   v.   Philippovic   und   im  Jahre    1885 

•  Kaiser  Franz  Joseph  hier   den    bosnischen  Boden.      Ein    Monument 

diesen  geschichtlichen  Augenblick.      In  dem  Städtchen  zeigen 

ne   Moscheen    und    eine    neuerbaute   orientalisch-orthodoxe  Kirche 

hung    der    B      ilkerung   an.      Wer    aber    das    alte   Brod    gekannt 

einer   langen   schmutzigen    Gasse   bestand,    wird   doch    über- 

•1   er  heute    den   Ort  betritt,    die    modernen    Gebäude    amt- 

•  und    prival  mmung   sieht,    wenn    er   den    geschäftlichen    Auf 

ihrt.    der   sich    vollzogen   hat   und   noch  stetig  vollzieht.     Die 

•r  Mohammedaner  sind   /.war   noch  immer  die  gleichen,    sie    sind 

ll"l/  und  hier  in  der  Niederung,  die  Ueberschwemmungen  aus 

n   Pfählen   erbaut,  sie  zeigen   noch    immer  wenig  Sym- 

aber   das    :-t    türkische  Sitte    und  im   Einzelnen 

auch   schon  auf  europäisch   gebaute  Häuser  Werth 

jedoch  die  besondere  Frauenabtheilung  mit 

Fenstern    (Muscharabiehs)   fehlen,    ebensowenig, 

nannte  Divanhane,  ein  Balkon,  der  wieder 

;  hlosscn   ist   und   wohl   die   Aussicht,    nicht 

^nden  orientalischen   Leben  empfängt  der 

.  wo  er  gewöhnlich  eine  Stunde  Warte 

inzch  I    \  ölkerung:  I  )er  hoch- 

irtigen  breiten  I  losen, 


die  an  den  Unterschenkeln  eng  geschlossen  sind,  der  türkischen  farbigen 
Jacke,  dem  breiten  Shawl  (Pojas)  um  den  Leib,  um  den  Fez  das  Turban- 
tuch gewunden.  Neben  ihm  sieht  man  den  Mit  ho, luxen  Kaufmann,  der  sich 
in  der  Kleidung,  soweit  er  nicht  schon  gänzlich  europäisirt  ist,  ähnlich,  nur 
in  dunklen  Farben  trägt,  dann  den  Spaniolen,  die  verschiedenen  Vertret<  r 
des  Hauernstandes,   bei   denen  man  an  der  Kleidung  fa  die  Konfi 

erkennen  kann,  und  dazwischen  die  Uniformen  des  Militärs  und  der  Civil- 
beamten.  Vereinzelt  tauchen  auch  in  den  Wartesälen  türkische  Frauen  auf, 
tiefverschleiert  mit  Feredschi  und  Jaschmak,   in  plumpen  gelben  Stiefeln, 


Eisenbahnbrücke   in    Bosn.-Brod. 


einer  Kleidung,  die  alle  etwa  vorhandenen   Reize  peinlich  verhüllt.     1 
und    Trinken    ist  jedoch   schon   ganz   abendländisch    und    die  erste  Stunde 
auf    bosnischem   Boden    ist   noch  Niemandem    lan<rweili<r   geworden.     Wer 
der    Landessprache     nicht     mächtig      i-t,      kann     sich     deutsch     vorzüglich 
verständigen   und  dies  nicht  allein  auf  den   Bahnrouten,    sondern    bei    allen 
Behörden    des     bände-,    in    den    Gasthäusern,    bei    vielen    Kaufleuten    und 
schliesslich  bei  den  zahlreichen   Eingewanderten.     Unter  der  jüngeren   bos- 
nischen Generation   giebt  es  schon  eine  Anzahl  deutschsprechender  I'er- 
und  zwar,   ohne  dass  ein   behördlicher  Zwang  ausgeübt  worden   wäre. 
Von   Brod  aus  durchzieht  die  Bahn   das  Savethal   auf  2   Meter   In 
Dämmen    im    flachen    lehmigen   Boden    mit  ziemlich  starker  Humusschicht: 


Luch  Dampferstation  der  Saveschifffahrt 

Semlin)  und   Novoselo  und  gelangt  dann   ins  Ukrina- 

Hügelausläufern  der  Vucjak-Planina  durchzogen  ist. 

cht,   eine  an  der  Ukrina  gelegene  Stadt  von  beinahe 

.    'iade  während  der  Okkupation   im  Herbst  und  Winter 

samml  I    meilenweit  überschwemmt. 

Kahn      von   der  Save  bis  nach  Dervent  kommen   konnten.     Dervent 

bst   liegt   recht  malerisch  auf  zwei   Hügeln,   doch  ist  der  neue  Theil  der 

in    der   Ukrinaniederung   erbaut.      Bis   zum   Jahre    1886    befand    sich 

militärische  Direktion   der  Hosnabahn.   ehe  sie  nach  Sarajevo  ver- 

t  wurd  Dervent  befindet  sich  eine  landesärarische  Wein- und  Obst- 

•bstbau   wird  hier  bevorzugt. 

Von  Dervent  an   steigt  die  Bahn  in  zahlreichen  Windungen  die  Höhen 

n  durch  d  thal  gegen  Vrhovi.   1  :ic  ganze  Bahntrace Dervent-Vrhovi 

m    Rutschgebiete,    weshalb   grössere    Einschnitte   vermieden    werden 

;ten.     Von  Vrhovi   entwickelt  sich  dann  die  Hahn   in  dem  sehr  coupirten 

in   mittels  einer  Doppelschleife  und  Ausfahrung  der  Seitenthäler  derart 

auf  die  Wasserscheide  zwischen  dem  Save-  und  Hosnagebiet,  dass  sie  diese 

I  [an   Marica   erreicht.     Es    ist  ein  wundervoller  Anblick,    der  sich  von 

hier  auf  die  Saveniederung,   wie  auf  die  Gebirgszüge  der  Motaica  und  des 

ik    bietet.     Ueberall   ist   die  Gegend   gut   angebaut,    und  erfreulich  ist 

i  leiss    der  Bosnier,    die   bis    in    die  Höhen    die  Felder   bestellt  haben. 

arbeiten   ja   auch    heute    noch    viel    weniger   als  die   Hauern  in  unseren 

die  landwirthschaftlichen   Neuerungen  finden  aber  nach  und  nach 

bei  ihnen  und  die  Landesregierung  sorgt  durch  landwirthschaftliche 

Einführung  besserer  Arten  Rindviehes,  moderner  Pflüge  etc. 

der  liehen    praktischen   Unterricht.      Die  Hauern    schaffen    eben 

ils    ehemals,    wo    sie    der   Willkür   der    Grundherren    oder   der 

•t/.t   waren,   die   ihnen   anstatt  des  gesetzlichen  Drittels 

Zehnten    oft  mehr   als   die    Hälfte    des    Bodenertrages   abnahmen. 

vürlichkeiten    gar   nicht  zu  gedenken.     Die  bosnische  Agrar- 

m,    war    die   Ursache    der    steten  Unzufriedenheit    und 

irkischer   Herrschaft.     Nun   besteht  zwar  auch 

den  Türken  eingeführte,   bereits  reformirte  Agrargesetz 

der    Hedschra)    in    Kraft,    aber    die  Ausführung 

•rden   streng  überwacht.      An  und   für  sich  ist 

Auch  die  Begs  um\  Agas  (die  Grundherren) 

dhabung    zufrieden,    weil    ihnen    nicht    allein    der 

-   Bodi  icherer   zufliesst,    sondern    weil  die 

rationeller    arbeiten    und    immer   weitere 

werden.      Uebrigens   kaufen    sich    immer 

I  '    ibauern   mit  eigenem  besitz. 


Dnrfmoschee 

mit    türkischem 

F  r  i  e  d  h  o  f . 


I  )as  bosnische  <  rrundrechl  ist  ein  so 
eigenthümliches,  dass 
eine  kürzt-  Darlegung 
an  der  I  [and  der  v  or- 
züglichen  Ausführungen 
des  Sektionschefs  I  [errn 
Eduard  Ritter  von  Ho- 
rowitz  (  Die  Bezirks- 
Unterstützungsfonds  in 
Bosnien  und  der  I  Icrce- 
govina  i  gestattet  sein 
möge. 

Der    Grund    ui 

ist     Eigenthum    des    (irund- 
herrn,     der     mit    demselben 

durch   alle  Arten   der   I 
thumsübertragung  inier  vivos 

und    post   mortem    allerdings 
nur   unter   gewissen   Beschränkungen    verfügen    kann.     Trotz  dieser  Einschränkung  gleich) 
Eigentumsrecht  im  Allgemeinen  dem  europäischen  Rechtsbegriffe.    Die  Nutzung  sc;:. 
ist  dagegen  für  den  Grundherrn  an  eine  bestimmte  Form  gebunden.    Auf  dem  grundherrlichen 
Boden    sitzt    der  Kniet    oder  richtiger  die  Kmetenfamilie  (die  Zadruga,  die   Hauskommune)  als 
erbberechtigter   Pächter.    Solange   die    Zadruga  oder  erbberechtigte    Familiengenossensch;' 
Knieten  besteht,  bleibt  das  Pachtverhältniss  aufrecht,  es  sei  denn,   dass  gröbliche  Pflichtvernach- 
lässigung  seitens  des  Knieten  dasselbe  gewaltsam  bricht.     Her  Kniet  hat  dem  Grundherrn  gegen- 
über   die  Pflicht,    sein  Bauerngut  (Ciftlik'       ordnungsmässig  ,    d.  i.  als  guter  Hausvater  zu  be- 
wirthschaften    und    ihm    nach    der   Finte    einen    aliquoten  Theil    der    geernteten   Gewächse,    und 
zwar    meist    den    dritten   Theil  (Tretina)    in    natura    zu   übergeben.      Solange    der    Kniet 
beiden  Verpflichtungen  nachkommt,   kann  der  Grundherr  weder  ihn  noch  seine  Rechtsnachfolger 
von  dem  Gute   verdrängen.     Ebenso   kann   der  Grundherr  seinen  Einfluss   weder  auf  die  Art  der 
von  dem  Knieten  angewendeten  Wirthschaftsmethode  noch  auf  die  Bewirtschaftung  selbst  aus- 
üben.    Kr  kann   z.   IS.   nicht  verlangen,   dass   der   Kniet  eine   bestimmte  Getreideart  anbaue,   dass 
er   zweimal  pflüge   statt  einmal   u.   dgl.     Auf  seiner  Wirthschaft  ist  der   Kniet  sein   eigener  Herr. 
Fahrnisse    und  Vieh    bilden    sein   Eigenthum    und    letzteres    ist    mit    keiner  Giebigkeit    belastet. 
1  läutig  ist   auch   das  I  laus  mit  Nebengebäuden  Eigenthum  des  Knieten,   während  dasselbe 
oft  dem  Grundherrn  gehört  und  gleichfalls  ein  Pachtobjekt  bildet,  jedoch   ohne  dass  der  Kniet 
eine   besondere   Leistung   zu  geben  hätte.      Endlich   ist   die   einzelne   Bauern  wirthschaft  eine    un- 
theilbare,    sie    kann    nur   getheilt    werden,     wenn   Kniet    und    Grundherr    sich   zur  Theilui 
stehen   und   die   Behörde   die   Theilung  bestätigt.    (  >hne    Einverständniss   des  Knieten   kann   auch 
keine   Einzelparzelle    vom    Ciftlik    abgelöst    werden    und    bei  Vernachlässigung    der  Wirthschaft 
kann   nur  die   Behörde   die    Entfernung   des   Knieten   verfügen   und   durchführen. 

Aus   dem  Geschilderten   geht  hervor,   dass  in  Folge  der  Untheilbarkeit  der  Bauerngüter,   in 
Folge   der  namhaften   Beschränkungen,   die   das  bestehende   Recht   dem   Gutsherrn   auferb. 
Bildung  grösserer  Wirtschaften  auch  rechtlich  erschwert,   wenn  nicht  unmöglich  gemacht  wird. 
Grosse  Besitze   sind  allerdings   zahlreich,   allein   sie   bestehen   durchweg  nur  aus  ein    r 
Anzahl   zinspflichtiger   Bauerngüter,   welche   demselben   Grundherrn   gehören,    deren   einzelne   bis 
zu   400,    ja   (>oo  Kmetengiiter    ihr    eigen    nennen.      Neben    diesem    eigentümlichen 
besteht  aber  auch  freies  Grundeigenthum.      Nach  der  amtlichen  Bevölkerungsstatistik  von  ! 


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i  »er    kaufmännische    Kredit    bei    rein 
Aktionen    rechnete  mit    [8  pCt.  und 
Primasicherheit  konnten  vermögende  Leute 
mil    24  pCt.    mühsam  Geld    verschaffen.     Der 
zahlte  für  -einen  Personalkredit  beim  christ- 
lichen  Kaufmann   (meist  griechisch-orthodoxen   Bekennt- 
nd   im   Lande  nur      Serbe      genannt)    oder   beim 
ten  spanischer  Herkunft)  für  einen   Du- 
n  einen  Groschen  die  Woche.    Ein  Groschen  ist  ein 
türkisch,    etwa  9   Kreuzer.      Da-  macht  im  Jahre 
etwa   100  pCt.  und  dieser  Satz  ist  in  diesem  Geschäftsverkehr  noch   immer 
der  Bauer,  der  nicht  lesen,   schreiben  oder  rechnen  konnte, 
noch    über-  Ohr   gehauen    wurde,    wollen    wir   hier  nicht  erörtern,   es 
würde  den  Rahmen  dieser  Darstellung  weit  überschreiten,  doch  möge  Jeder, 
der   >ich    für   diesen   Tunkt  interessirt,    Belehrung  in  dem  oben  angeführten 
Werke  von  Ritter  von   Horowitz  suchen. 

kam    denn   die   Landesregierung  auf  die   Idee,    Bezirks-L  nter- 
stützungsfonds    zu    gründen.      Im  Jahre    1886    wurde    bei  dem    über    den 
Bezirk   Gacko  in  der  Hercegovina  hereingebrochenen   Nothstande  der  erste 
ich  gemacht.    Drei  Jahre  hindurch  hatte  die  Regierung  dem  vom  Noth- 
stande   heimgesuchten    Bezirke   grössere   Summen   zu    Darlehnszwecken   ge- 
spendet.   Als  Gacko  wieder  um  Staatshilfe  nachsuchte,   wurde  dem  Bezirke 
gemacht,    die    Regierung   werde    die   bereits  gespendeten  Hilfs- 
on   5000  fl.   zu  einer  Hilfskasse  hergeben,   sie  sei  auch  bereit,  durch 
re   fünf  Jahre  alljährlich    IOOO  fl.   in   diese  Kasse   einzuzahlen,    falls  auch 
rk   -ich   verpflichte,    die  gleiche  Summe  durch  dieselbe  Zeitperiode 
hind  eits   in   diese    Kasse   beizusteuern,    sodass   nach    fünf  Jahren 

Summe   von    1 5  000  fl.   zusammengebracht   wäre.     Dic-e   Kasse  kam   zu 
urde  ein  Statut  ausgearbeitet,    in  dem  genau  festgestellt  wurde, 
Bedingungen    die  eine-  Darlehn-  bedürftigen   Bauern   Gelder 
en    erhalten    können.      Es    werden   Darlehen  gegeben  zum 
B   Zahlung  von  Wucherschulden,  zur  Beschaffung  von 
ehfutter,   zur  Anschaffung  de-  unumgänglich   nothwendigen 
.  zur  Anschaffung  de-  Wirthschaftsgeräthes,    fall-  dasselbe 
Darlehen   werden   mit  4  v.  11..   diejenigen,   die  zur 
r  Wirthschaft,   Ameliorirung  de-  Bodens,  zum  Ankaute  von 
d,   werden   mit  ö  v.  11.   verzinst 
ich    in    Gacko    glänzend    bewahrte,    wurde   nun 
wurden    die    noch    aus  türkischer 
iden   Hilfskassen,  die  sogenannten     Menafi- 
mdesregierung  das  Gründungs- 
in    fast    allen   Bezirken    de-   Landes  vor- 


banden   und  haben  sich  als  ausserordentlich  segensreich  erwiesen.     Gerade 

der    kleinste    und    ärmste    Bauer    kann    sich    mit   <.\cn    Darlehen    in    seinem 
Wirthschaftsbetriebe  helfen   und  sich   auf  eine  höhere  Stute   bringen. 

Auf  Schritt  und  Tritt  drängen  sich  Wahrnehmungen  des  wirtschaft- 
lichen Fortschrittes  Demjenigen  auf.  welcher  das  Land  von  früherher  kennt 
und  darum  glaubte  ich  den  vorstehenden  Hinweis  nicht  unterlassen  zu 
sollen.  Der  fremde  zum  ersten  Male  in  Bosnien  Reisende  ist  ja  nicht  im 
Stande,  sofort  zu  sehen,  was  mit  grosser  Ueberlegung,  unter  Anpassung 
an  Landessitten  und  alte  Ueberlieferungen,  unter  Schonung  konfessioneller 
Eigenheiten,   in   so  kurzer  Zeit  geschaffen  wurde. 

Bosnien  und  die  Hercegovina  zahlten  zur  Zeit  der  Uebernahme  der 
Verwaltung  durch  Oesterreich-Lhigarn  i  336  091  Einwohner,  wahrend  die 
Volkszählung  des  Jahres  1895  1  568092  Seelen  aufweist.  Von  dieser 
Gesammt-Einwohnerzahl  entfallen  auf  diejenigen,  welche  sich  vorzugsweise 
mit  der  Landwirthschaft  befassen,  1  385  305  Seelen,  worunter  5832  Guts- 
besitzer (Begs  und  Agas)  und  27  642  als  deren  Angehörige,  86  869  Frei- 
bauern und  437665  als  deren  Angehörige,  88971  Pachter  (Knieten)  und 
510888  als  deren  Angehörige;  sonstige  bei  der  Landwirthschaft  thätige 
Personen  und  zwar  17256  Familienhäupter  und  33671  als  deren  An 
gehörige.  Von  dem  Gesammt-Flächeninhalte  Bosniens  und  der  Hercegovina 
von  5  102  700  ha  entfielen  zur  Zeit  der  Okkupation  schätzungsweise  auf 
Kulturboden  einschliesslich  Hutweiden  1  81  1  300  ha  und  auf  Waldland 
2727200  ha,  wogegen  heute  2335894  ha  Kulturland  und  2681  910  ha 
Waldland  vorhanden  sind.  Von  dem  Kulturland,  das  sich  sonach  seit 
jener  Zeit  um  rund  525  000  ha  vergrössert  hat,  entfallen  1  030  248  ha  auf 
Ackerland,  39413  auf  Gärten,  331  246  auf  Wiesen,  5760  auf  Weingarten 
und  929  226  ha  auf  Hutweiden. 

....  Von  Han  Marica  aus  senkt  sich  die  Bahn,  sie  tritt  in  das 
Velicanska-  und  dann  in  das  anmuthige  BosnathaJ  ein,  um  dieses  bis 
Sarajevo  nicht  mehr  zu  verlassen.  Zuerst  wird  das  nur  von  Mohamme- 
danern bewohnte  Städtchen  Kotorsko  erreicht,  dann  windet  sich  die  Bahn 
in  einem  engen  Defile,  knapp  zwischen  dem  Flusse  und  der  nach  Sarajevo 
führenden  Fahrstrasse,  bis  sie  am  linken  Bosnaufer  die  Station  Doboj  er- 
reicht. Gleich  beim  Austritt  aus  dem  Defile  steht  rechts  auf  einer  Anhöhe 
ein  grosses  eisernes  Kreuz,  das  FML  Graf  Szaparv.  Befehlshaber  des 
dritten  Armeecorps,  den  in  den  Kämpfen  bei  Doboj  gegen  die  Schaaren 
des  Mufti  von  TasTidvca  1878  Gefallenen  errichten  Hess.  Doboj  selbst  be- 
rührt wie  ein  Stück  Mittelalter.  Auf  hohem  steilen  Bergkegel  erhebt  sich 
die  alte  verfallene  Burg  der  einstigen  Bane  von  Usora,  mächtig  und 
malerisch.  Ein  Besuch  der  Ruine,  der  von  der  Car^ija  (dem  Marktviertel) 
aus  wenig  Mühe,  wenn  auch  einiges  Steigen  erfordert.  i>t  ungemein  lohnend. 
Nach  Osten  fällt    der  Blick    über    die   Bosna    in    die    malerische  Wald-  und 


Spreöathales;   nach  Süden   verfolgt  das  Auge  eine  Zeit 
lang  den  Schienenstrang,   von  dem  sich  die  Linie  nach  Tuzla  und  Siminhan 
hier  östlich  abzweigt,   nach  Westen    und  Südwesten  aber  thürmt  sich  eine 
dunkle  Gebirgskette  über  der  anderen  auf.      Eine  Kuppe  drängt   förmlich 
•  andere;   vom  lichten    Blau  bis  zum  dunkelsten   (dam   und  Schwarz  sind 
alle  Schattnungen   in    der    Färbung,    Spiegelung    und   Bewaldung   vertreten, 
isersten    Horizont    die     schneebedeckten    Kuppen     der    Vucija- 
und  Vlasic-Planina  in  der  Travniker  Gegend   das   prächtige  Panorama  be- 
:    nst   hatte  die  alte  bürg  als  Sperre  des  Bosna-  und  des  Spreca- 
thales   eine    hohe    Bedeutung;     [697    wurde    sie    vom   Prinzen    Eugen    von 
yen  auf  -einem   kühnen   Zuge    nach  Sarajevo    erobert,    1717    abermals 
vom  General  Petrasch  besetzt.     Die  alte  Türkenstadt   in   Doboj    mit   ihren 
drei    Mosche«         I  1    imija    Ist    der   richtige  Ausdruck)    hat   sich    noch    wenig 
ndert,    aber   in    der  Niederung    erheben   sich   überall  neue   europäische 
iude,   industrielle  Anlagen,    hinter   dem   Bahnhofe    ein  stattliches  Hotel 
mit  Restauration   und   lang-   der   ganzen  Bahnstrecke  bis  nach  der  nächsten 
1   glaubt    man  durch  ein   nettes    europäisches  Dorf  zu    fahren. 
Aar  einst  .anders  in  Doboj.   und  noch  im  Jahre  1886,   als  die  Bahn  nach 
Tuzla   eröffnet  wurde,   wusste  man  nicht,  wo  man  sein  Haupt  hinlegen  sollte. 
Die  Station   Usora  liegt  wenige  Kilometer  hinter  Doboj  an  der  Hin 
-  gleichnamigen   Flüsschens  in   die  Bosna.      Einst  standen  hier, 
ine  Brücke  als  Bindeglied  der  Brod-Sarajevoer  Hauptstrasse  über  die 
a  fuhrt,   zwei  einsame  Hauser  auf  einer  Berglehne,   nicht  weit  von  der 
ichen   Abzweigung  der  Strasse   nach   der  Kreisstadt  Tesanj.      Heute  ist 
den.      Usora  ist  ein  wichtiger  wirthschaftlicher  Mittelpunkt. 
kerfabrik   ist  gegründet  worden,   und  hier  und  in  Prnjavor 
sich  die   Hauptniederlassungen  der   »Bosnischen  Holzexploitation« 
Firma  Morpurgo  und  Parente.      Die  'letztere   schloss   mit   der 
[886   einen    langjährigen    Vertrag   wegen    Ausnutzung   der 
■  Knie,   die  sich   in   westlicher  Richtung  in  den  Wäldern 
und  Vrbas    finden.       Die  Stamme    werden    zu    Fassdauben 
•  ihren  Weg  meist  nach  Frankreich  nehmen.      Früher  lieferten 
1   Wälder  diese  Hauben;   gegenwartig  sind  sie  an  altem  Holz 
B  einigen   zu   können,   und  da   tritt  Bosnien  in 

•  überreife  Bestände  hat.      Hie  letzte  Wintererzeugung 
wurde    auf    S    Millionen    Stuck     franzosische   Fass 
1    •  Binderholz  geschätzt.     Die  Erzeugung 
Holzfirma    in    Bosnien    wird    gleichfalls    für   1895 
und   50 — 60000    Eimer    binderholz    geschätzt. 
Stellen    des    Landes    wurde    allerdings   schon 
'li<-   Ausnutzung  vorgenommen;    es  war  aber 
dem    Mangel    wirklicher    Forstorerane    wurden 


Zuckerfabrik     l'sora. 


die  Walder  in  Bausch 
und  Bogen  verkauft 
u\u\  rücksichtslos  nie- 
n.  ( rlück 
licherweise  hind( 
die  mangelnden  Ver 
kehrswegi  vvei 

tere  Verwüstung.  Jetzt 
dient  die  I  !n1  f<  rnung 
der  Waldriesen  zur 
Erhaltung  des  jungen 
Bestandes  und  gleich 
zeitig  zur  Schaffung 
von  Kommunikationen 
in  ( regenden,  die  noi  h 
lange  solcher  ent- 
behren  wurden.      Die 

genannte  Triester 
Firma  hat  nicht  allein 
eine  eigene  Linie  von 
l  Isora  mit  der  Station 
Doboj   hergestellt 
wie    es    ja    bei    allen 
grössenen  Fabriken  in 
unseren   Landern   der 
Fall  ist      -  sie  musste 
auch  sehr  solide  ausge 
führte  Schlepphahnen 
t'ur  Verfrachtung  de- 
Holzes nach   den 
I  lauptschlägen  hauen, 
und     diese      dringen 
immer     weiter     nach 
Westen     vor,     sodass 
sie  wohl  eine-  schönen 
Tages    die    Hahnlinie 
Banjaluka  I  )oberlin  er- 
reichenwerden. 1 leute 
hat  die  Usorabahn  - 
wie  sie  genannt  wird 
—  bereits  eine  Länge 
\  on  40.3  Kilometern. 


Endet  der   Kontrakt   mit   der  Firma,    so    fällt  die  Bahnanlage  der   Landes- 
regierung zu,   die  dann  schon  für  den   weiteren   Ausbau   -orgen  wird. 

Von  hervorragendster  Bedeutung  für  die  bo-aiische  Volkswirtschaft 
ist  jedoch  der  durch  die  angelegte  Zuckerfabrik  und  Raffinerie  bedingte 
Rübenbau  geworden,  eine  Kultur,  welche  der  bosnische  Bauer  gar  nicht 
kannte.  Im  Jahre  1894  aber  erstreckte  sich  der  Rübenbau  bereits  auf 
1  1  Bezirke  und  6  Exposituren,  d.  h.  auf  17  Distrikte  mit  einer  Anbaufläche 
von  über  2000  Hektaren  und  einem  Ernteergebnks  von  über  300000  q 
Rüben.  Jetzt  ist  der  Rübenbau  für  den  Einheimischen  kein  unbekannte- 
Gebiet  mehr;  wahrend  früher  nur  auf  das  Erträgniss  des  Kukuruz  und  der 
Zwetschke  gerechnet  wurde,  hat  sich  in  diesen  Landestheilen  der  Bauer 
schon  daran  gewöhnt,  wenigstens  so  viel  Rüben  anzubauen,  dass  er  für  ge- 
wisse Zwecke  ein  bestimmtes  Erträgniss  gesichert  hat.  Es  waren  bisher 
6  Oekonomiebeamte  und  gegen  40  Rübenvorarbeiter  zur  Anleitung  der 
Pflanzer  zu  einer  rationellen  Kultur  aufgestellt,  sind  auch  Prämien  für  jene 
Pflanzer  ausgesetzt,  welche  ihre  Rübenfelder  der  nothwendigen  Herbst- 
ackerung  zeitgemäss  unterworfen  haben.  Unter  die  Pflanzer  wurden  1894 
für  Rübenbau  320  000  fl.  ausgezahlt,  ein  Zeichen,  dass  die  Zuckerindustrie, 
wenn  die  Rübenkultur  stetig  fortschreitet,  zu  einer  hohen  Wichtigkeit  in 
Bosnien  gelangen  kann.  Mit  der  Zuckerfabrik  ist  eine  grosse  Mastvieh- 
anstalt verbünden,  welche  die  Thiere  auf  die  österreichisch -ungarischen 
Markte  liefert.  Die  Zuckerfabrik  -  Gesellschaft  (Aktien  -  Gesellschaft  für 
Verarbeitung  und  Verwerthung  landwirthschaftlicher  Produkte)  wurde  1892 
mit  einem  Aktienkapitale  von  1  Million  Gulden  ins  Leben  gerufen.  Durch  den 
Rübenanbau  vollzieht  sich  zwischen  Doboj  und  Zenica  auch  die  Ansiedelung 
von  400  bis  500  Äuswaridererfamilien,  unter  denen  sich  besonders  Tschechen 
befinden,  die,  weil  sie  in  Russland  das  Ziel  ihrer  Wunsche  nicht  fanden, 
-ich   in   Bosnien  eine  bessere  Zukunft  zu  gründen  hoffen. 

Ein  Ausflug  von  l'soia  oder  von  Doboj  aus  mit  der  Militärpost 
nach  Tesanj  ist  lohnend.  Auf  guter  Fahrstrasse  über  Turski-Malinovac, 
Trnovaca,  an  einigen  kleineren  mohammedanischen  Dörfern  vorüber,  wird 
die  ziemlich  ausgedehnte  Stadt,  die  nach  der  Volkszahlung  von  1895 
6736  Bewohner  zahlt  mach  der  Volkszählung  von  1885  5809  Ew.),  in  ihrer 
Mehrzahl  Bekenner  des  Islams,  erreicht.  Noch  sind  die  Walle  der  einstigen 
alten  Veste  gut  erhalten,  und  stolz  erheben  sich  auf  einem  steilen  Fels- 
kegel im  Süden  die  Reste  der  alten  Burg  der  Baue  von  Usora.  Zum 
■1  Male  eroberten  che  Türken  1463  die  Festung,  doch  wurde  sie 
ihnen  noch  im  selben  Jahre  vom  König  Mathias  Corvinus  entrissen,  und 
erst  1520  setzte  sich  der  Mohammedanismus  beständig  hier  fest.  Prinz 
Eugen,  der  edle  Ritter,  nahm  sie  zwar  am  1.  November  1007  durch 
lerrumpelung,  aber  er  konnte  sie  auf  seinem  Streifzuge  nicht  halten, 
er    konnte    nur  zerstören,    und  auch    da    widerstanden    ein   Wartthurm   und 


die  festen  Mauern  zum  Theile  bis  heute,  wo 
Tesanj  abseits  der  grossen  Verkehrswege  liegt. 
Hinter  Usora  übersetzt  die  Bahn  die  Bosna 
auf  eiserner  Brücke,  und  in  prachtvoller  Wald- 
und  Gebirgsgegend  tritt  sie  in  das  Defile  von 
Kosna.  Es  war  bei  meiner  letzten  Reise  gerade 
Morgen  geworden,  als  wir  die  inmitten  des 
Defiles  liegende  Station  Trbuk  erreichten.  Hier 
überblicken  wir  am  linken  Bosnaufer  den 
604  m  hohen  Trbacko-Brdo,  dessen  Abfalle  S 
dicht  an  die  Bosna  treten,  sodass  die  Strasse 
in  die  Felsen  gesprengt  werden  musste.  Wir 
übersehen  das  Terrain  de--  Gefechtes  von  Kosna 

am  4.  August  1878;  oberhalb  Lipac  jedoch,  wo  Graf  Szäpäry  am  5.  September 
den    Sturm    auf    das    Insurgentenlager    de-    Mufti    von    Tasli  reich 

durchführte,  kreisen  machtige  Adler.  Links  von  der  Station  Trbuk,  deren 
Gebäude  wie  eine  Schweizer  Idylle  in  der  YValdwildniss  liegen,  erblickt 
man  den  gegen  die  Thalsohlc  senkiecht  abfallenden  Schachinkamen  . 
den  Falkenstein.  Hier  nisteten  einst  Edelfalken,  die  übrigens  in  Bosnien 
auch  heute  noch  nicht  ausgestorben  sind  und  sogar  noch  von  einzelnen 
Begs  zur  Jagd  benützt  weiden.  Nunmehr  sind  am  Falkenstein«  nur 
mächtige  Adler  in  unzugänglichen   Horsten   angesiedelt. 


Auf  eiserner  Brücke  wechselt  die  Bahn  wieder  das  Bosnaufer;  sie  tritt 
in  eine  ziemlich  weite,  gut  angebaute  Ebene,  die  von  Höhenzügen  begrenzt 
wird.  In  Station  Maglaj  hält  der  Zug,  einem  in  Bosniens  neuester  Geschichte 
sehr  bekannten  Orte.  Die  malerisch  gelegene  Stadt  mit  3000  meist  moham- 
medanischen Bewohnern  liegt  am  rechten  Ufer  der  Bosna,  sich  an  den 
Fuss  des  Ozren  und  seiner  Auslauter  anschmiegend.  Schon  von  Weitem 
wird  ein    .  gut  erhaltenes  Kastell  mit  machtigen  Thürmen  auf  einem 

steilen  Bergkegel  über  der  Stadt  sichtbar.  Dann  aber  tritt,  ganz  am  Flusse, 
das  imposante  Minaret  einer  der  schönsten  Moscheen  des  Landes  vor 
Augen,  um  die  sich  freilich  türkische  Holzhäuser  in  alter  Schäbigkeit 
gruppiren.  Weiter  aufwärts  am  Flusse  erst  stehen  villenartige  Gebäude 
von  Grossgrundbesitzern.  Aber  gegen  einstmals  hat  sich  in  Maglaj  viel 
geändert.  Das  linke  Bosnaufer  ist  ganz  europäisch  geworden;  hier  steht  ein 
es  .Militär- Barackenlager,  von  dem  aus  eine  neue  Brücke  über  die 
Bosna  fuhrt.  Am  Brückenkopf  steht  ein  Obelisk,  das  Denkmal  für  die  am 
3.  August  1S7S  gefallenen  Husaren.  Doch  heute  wollen  wir  nicht  mehr 
düstere  Erinnerungen  wecken;  vorüber  sind  die  Zeiten  der  Stürme  und 
Kämpfe;  wir  freuen  uns  der  wirthschaftlichen  Arbeiten  einer  neuen,  fried- 
lichen Zeit. 

Und  weiter  führt  die  Bahn  zwischen  dem  grünen  Bergrücken  des 
Sikola-Brdo  und  der  im  steinigen  Bette  schäumenden  Bosna  nach  Süden. 
Es  ist  ein  malerisches  Defile,  begrenzt  von  dem  Blezna  und  dem  Pazaric, 
Hügeln  von  über  600  m  Höhe.  Dann  breitet  sich  ein  saftig-grünes  Thal 
aus,  an  dessen  Beginn  die  Station  Klobarica,  an  dessen  Ausgang  — 
1 1  km  weiter  —  die  Station  Zavidovic  liegt.  Links  von  ihr  ist  der  Ein- 
gang in  das  wildromantische  Krivajathal.  Dann  wird  Zepce  erreicht,  ein 
in  Bosniens  älterer  und  neuerer  Geschichte  oft  genannter  Ort,  bei  dem 
auch  1878  ein  Treffen  stattfand.  Es  ist  ein  wunderlieblicher  Kessel,  in  dem 
die  kleine  Stadt  liegt,  und  am  Bahnhofe  wird  ausgezeichnetes  Obst  verkauit. 
Spottbillig  sind  jene  Früchte,  die  Bosnien  jährlich  Millionen  Gulden  ein- 
bringen: die  Zwetschken,  welche  als  »türkische  Pflaumen«  in  gedörrtem 
Zustande  in  die  ganze  Welt  gehen.  Haupt-Ausfuhrort  ist  die  Stadt  Brcka 
an  der  Save,  die  neuerdings  durch  eine  Brücke  mit  dem  slavonischen  Ufer 
verbunden  wurde,  von  wo  Eisenbahnverbindung  besteht.  Die  Posavina,  die 
fruchtbare  Ebene  des  bosnischen  Nordostens,  liefert  die  höchsten  Erträg- 
nisse, doch  sind  die  Zwetschkengärten  —  oftmals  förmliche  Wähler  — 
im   ganzen    Lande   zu    linden. 

Die  Stadt  Zepce  bietet  wenig  Sehenswerthes,  dabei  aber  doch  etwa-. 
das,  eine  Errungenschaft  der  Gegenwart,  jetzt  in  vielen  Städten  und  Dörfern 
des  Lande-  als  ein  Wahrzeichen  gelten  kann:  eine  schöne  Volksschule. 
Wo  einst  ein  altes,  verfallene-  Kastell  als  Zwing-Uri  der  Feudalzeit  stand, 
erheb:  -ich  jetzt  ein  helle-,   freundliches  Gebäude,   mit  hohen  Zimmern  und 


t6 


Strasse  in  Maglaj. 


weiten  Fenstern,  da- 
mit Gottes  Sonnen 
Hellt  voll  hineinsehen 
kann   in  die  Klassen 

der   »Narodna 
osnovna   skola«    — ■ 

der  öffentlichen 
Volksschule.    In  ihr 
sitzen     die     Kinder 
mohammedanischen, 

orientalisch  -  ortho- 
doxen und  katholi- 
schen Bekenntnisses 
friedlich  neben  ein- 
ander; in  diesen 
Schulen  wird  der 
Keim  zu  jener  Ver- 
söhnung und  Ver- 
brüderung gelegt, 
die  dem  bosnischen 
Volke  von  jeher  man- 
gelte. Von  den  älte- 
sten christlichen 
Zeiten  an  zerrissen 
Religionskämpfe  das 
sonst  so  kerngesunde 
Volk,  und  als  in  den 
steten  Bekehrungs- 
kämpfen     zwischen 

Orthodoxen  und 
Katholiken  sich  die 
.Masse  des  Volkes 
den  Patarenern  oder 
Bogomilen  in  die 
Arme  warf  (die  man 
am    boten    als    die 

Protestanten 
Bosniens  bezeichnen 
kann),  weil  deren 
einfache  Glaubens- 
regeln und  ihr  jeder 
Ceremonie  abholder 


Maglaj    von    der    K 


ssdienst  dem  einfachen  Sinne  des  Waldvolkes  am  meisten  zusagten,  da 
wurden  Kreuzzüge  veranstaltet.  Ungarns  Könige  wurden  zu  Vollstreckern  des 
päpstlichen  Willens  ausersehen,  und  wenn  auch  stets  weltliche  Zwecke  mit 
verbunden  wurden,  konnte  es  doch  nicht  ausbleiben,  dass  das  bosnische 
Volk  geschwächt,  in  seiner  Widerstandskraft  immer  mehr  gelähmt  wurde. 
Die  Bane,  Zupane  und  Könige  des  Landes  standen  bald  auf  katholischer, 
bald  auf  bogomilischer  Seite;  im  Namen  des  Gottes  der  ewigen  Liebe 
wurde  das  Land  verheert,  Thronwirren  thaten  das  Weitere,  der  Hass  der 
Söhne  eines  Volkes  gegen  einander  nahm  immer  zu,  bis  schliesslich  die 
Osmanen  an  den  Grenzen  standen  und  nun  leichtes  Spiel  hatten,  in  Bosnien 
festen  Fuss  zu  fassen.  Der  langjährige  Widerstand,  den  einige  feste  Platze 
leisteten,  zeigt,  dass  es  den  Türken  kaum  gelungen  wäre,  das  Reich  zu 
unterjochen,  wäre  ihnen  eine  einheitliche  Nation  gegenübergestanden.  Aber 
froh,  den  steten  Verfolgungen  zu  entgehen,  traten  die  Bogomilen  meist 
zum  Islam  über;  der  im  Innern  seines  Herzens  und  auch  vielfach  äusserlich 
patarenisch  gesinnte  Adel  folgte  dem  Beispiele,  wo  er  nicht  selbst  voran- 
ging, und  so  vollzog  sich  die  Mohammedanisirung  Bosniens  und  der  Herce- 
govina  rascher  und  gründlicher,  als  in  jedem  anderen  Balkanlande.  Es 
ist  nicht  meine  Aufgabe,  hier  eine  Geschichte  der  Bogomilen  zu  schreiben, 
dies  ist  von  berufener  Seite  zum  Theil  geschehen,  aber  erwähnen  muss 
ich  diese  Periode,  denn  auf  allen  Wanderungen  im  Lande  stösst  man  auf 
die  Grabdenkmäler  der  Bogomilen,  grosse  sarkophagartige  Steine  von  oft 
kolossalen  Dimensionen,  bald  mit,  bald  ohne  Gravirungen.  Fast  alle 
Funde  sind  in  der  Sarajevoer  Museumszeitschrift  (»Glasnik  zemaljskog  muzeja 
u  Bosni  i  Hercegovini«),  von  der  auch  vier  Bände  in  deutscher  Ueber- 
setzung  vorhegen,  mit  Abbildungen  und  Beschreibungen  erschienen,  und 
Interessentenkreise  müssen  auf  diese  Quelle  verwiesen  werden.  Die  moham- 
medanische Zeit,  die  eine  Rajah  schuf,  die  rechtlos  war,  konnte 
die  religiösen  Grundsätze  nicht  ausgleichen,  sie  konnte  sie  nur  noch 
vertiefen.  Denn  der  zum  Islam  übergetretene  slavische  Bosnier  wurde 
ein  fanatischerer  Mohammedaner,  als  sein  osmanischer  und  asiatischer  Ge- 
nosse, und  gerade  Bosnien  blieb  bis  zur  Okkupation  der  Sitz  des  sogenannten 
Alttürkenthums.  Als  Sultan  Mahmud  in  den  zwanziger  Jahren  unseres 
Jahrhunderts  die  Janitscharen  niedermetzeln  liess  und  administrative  wie 
militärische  Reformen  einführen  wollte,  da  erhoben  sich  die  bosnischen 
Mohammedaner;  unter  Hussein  Berbirli  Aga,  dem  genialen  Kapitän  von 
Gradacac,  säuberten  sie  das  ganze  Land  von  den  osmanischen  Beamten 
und  Soldaten.  Mit  den  Albanesen  unter  Mustapha  Pascha  von  Skutari 
vereinigt,  zog  das  bosnisch-albanesische  Heer  gegen  den  Giaursultan  von 
Stambul,  und  es  wäre  vielleicht,  da  der  russisch-türkische  Feldzug  von 
I.X2N  —  29  erst  beendet  war,  der  verwegene  Plan  gegluckt,  wenn  nicht 
der   Grossvezier  Zwietracht   in    das  Lager   der  Aufständischen  gesät   hätte, 


sodass    Bosnier    wie    Albanesen    auf    getrennten    Wegen     wieder    in    die 
Heimath    zogen.     Aber    es    dauerte   Jahre,    ehe    die   bosnischen    Emp 
gebändigt  waren,  ehe  Hussein  Berbirli  Aga,  der    Zmaj  bosanski     (der  Drache 
Bosniens),   wie  er  sich  nannte,   auf  ungarischem  linden  eine  Zuflucht  suchte. 

Und  dann   kam  1839  unter  Sultan  Abdul  Medschid   die  Verkündi 
des  Hattischerifs  von  Gülhane,    der   die   Gleichberechtigung  der  Rajah  mit 
den   Mohammedanern    in    feierlichster   Weise    aussprach.      Wieder    loderte 
der  Aufstand  in  hellen   Flammen   auf;    der  Vali   wurde   vertrieben,    Bosnien 
regierte    sich    selbst!      Da    kam    [849    nach    der   Niederwerfung    Albaniens 


Vranduk. 


Omcr  Pascha  nach  dem  revoltirenden  Lande.  Am  30.  Oktober  [850  schlug 
er  das  Heer  der  Begs  bei  Zepce  in  einer  entscheidenden  Schlacht;  alle 
Gefangenen  wurden  erbarmungslos  geköpft  oder  ertrankt,  ein  Theil  zierte 
die  Bäume  der  Strasse  nach  Maglaj.  Dann  wurde  das  Blutgericht 
in  allen  Theilen  des  Landes  fortgesetzt;  in  Sarajevo  wurden  selbst  die 
Unterhändler,  die  ins  Lager  kamen,  auf  der  Gorica  gehängt.  I  Jamals 
sank  die  Blüthe  des  alten  bosnischen  Adels  in  den  Staub  und  er  konnte 
sich  nie  mehr  zu  der  früheren  Macht  erheben.  Der  1  lat- i- Humayum 
vom  Jahre  1856  stiess  mehr  auf  passiven  Widerstand.  Sorgten  doch 
die  ottomanischen  Beamten  dafür,  dass  den  Christen  ihr  Recht  nicht 
wurde.  Dafür  griff  die  Hercegoviner  Rajah  1X75  zu  den  Watten,  sodass 
nie    Ruhe    und    Ordnung    in     dem     unglücklichen     Lande     eintrat.       1  >em 


Aufstande   in    der  Hercegovina   folgte    im   gleichen  Jahre  ein  verheerender 

Bürgerkrieg  in  Bosnien,  der  mehr  als  iooooo  Christen  veranlasste,  sich 
vor  den  Mohammedanern  in  die  österreichisch -ungarische  Monarchie  zu 
flüchten,  und  der  schliesslich  zur  Okkupation  im  Jahre  1878  führte.  Wohl 
beschritten  die  Mohammedaner  den  Kriegspfad,  sie  kämpften  an  ver- 
schiedenen Orten  mit  grossem  Heldenmuthe  gegen  die  kk.  Truppen,  aber 
ihr  Widerstand  wurde  gebrochen  und  für  Bosnien- Hercegovina  begann 
eine   neue  Zeit. 

Die  Erregung  hat  sich  längst  gelegt,  gerechte  Gesetze,  vollkommene 
Religionsfreiheit,  Achtung  der  Sitten  und  Gebräuche  haben  bei  den 
Mohammedanern  einen  grossen  Umschwung  hervorgebracht.  Sie  können 
heute  als  in  jeder  Beziehung  treu  und  verlässlich  bezeichnet  werden,  und 
wenn  sich  in  so  Manchem  noch  der  Groll  gegen  seine  einheimischen  chri>t 
liehen  Mitbürger  regen  mag,  die  jetzt  die  gleichen  Rechte  gemessen,  so 
i-t  auch  dies  nur  eine  Uebergangszeit,  und  die  Empfindungen  sind  erklärlich. 
In  die  jüngere  Generation  muss  der  Keim  der  Zusammengehörigkeit  gelegt 
werden  und  dazu  tragen  die  Schule  und  der  Militärdienst  bei.  Mit  der 
ersteren  ging  es  nicht  so  schnell,  denn  es  bestanden  und  bestehen  eine  An- 
zahl konfessioneller  Schulen,  auch  höheren  Grades,  und  die  Mohammedaner 
hatten  im  ganzen  Lande  ihre  mit  den  Moscheen  verbundenen  Lehranstalten. 
So  wurden  denn  nach  und  nach  öffentliche  allgemeine  Volksschulen  ein- 
gerichtet, an  denen  nur  der  Religionsunterricht  getrennt  ertheilt  wird. 
Anfangs  misstrauisch  aufgenommen,  hat  sich  diese  Einrichtung  sehr  segens- 
reich erwiesen,  und  heute  existiren  schon  zweihundert  solcher  Schulen,  ab- 
gesehen von  Gymnasien  und  Handelsschulen,  aut  die  wir  an  geeigneter 
Stelle  zu  sprechen  kommen.  Und  wo  man  immer  reist,  in  Ost  und  Süd, 
in  West  und  Nord,  überall  entstehen  neue  Schulen,  nicht  allein  als  Stätten 
der  Bildung,  sondern  auch  der  Ausgleichung  und  Versöhnung.  Wenn 
daher  auch  Zepee  eine  reizende  Umgebung  besitzt,  wenn  auch  der  597  m 
hohe  Orlovik  des  Besteigens  werth  ist,  --  die  für  mich  anregendste  Sehens- 
würdigkeit blieb  die  Volksschule. 

Die  Bahnstrecke  von  Zepee  bis  Zenica  wechselt  zwischen  wildroman- 
tisch und  lieblich  in  jäher  Folge.  Bald  kommt  ein  Stück  der  grünen 
Steiermark,  bald  ein  Theil  der  Tiroler  Alpen.  Dicht  hinter  Zepee  vollzieht 
die  Mahn  wieder  den  Wechsel  aufs  rechte  Ufer  der  Bosna.  Immer  höher 
erheben  Meli  die  Berge;  die  Rucanjska  Kosa  und  der  Orlovik  treten  ganz 
nahe  an  den  Fluss  heran:  die  Hahn  und  du-  Fahrstrasse  sind  buchstäblich 
in  die  Felsen  gesprengt.  Bei  Station  Han  Begov  wurden  beim  Hahnbau 
alte  Gräber  aufgedeckt  und  Münzen  aus  der  Zeit  Tvrtko  I.  (1353 — 1391) 
gefunden.  In  grossem  Bogen  umzieht  die  Hahn  den  reichbewaldeten  Tulak 
und  erreicht  Nemila  in  wundervollster  Gebirgsgegend.  Nach  wenigen 
Kilometern    wird    auf  hohem,    schroff  gegen    den    Fluss    abfallendem   Berge 

—     24    — 


Papierfabrik    in    Zenica. 


plötzlich  einevon  einem 
Kastell  überragte  (  >rt- 
schaft  sichtbar,  welche 
die  Stra  :rrt   und 

die    Bosna    beherrscht. 
Es  ist  das  berüchtigte 
Vranduk,  das  unzähli 
.Male  von  Ungarn,  b 
nischen  I  lerrschern  und 
Türken  erobert  werden 
musste.  Noch  1 503  ging 
hier  die  Grenze  zwischen  Ungarn  und  der  Türkei.     Prinz   Eugen   nahm 
das   Kastell,   nachdem  er  vorher  mit  seinen  Reitern  aut  dem  anderen  Bosna- 
ufer  eine  Umgehung  vorgenommen.      1 878    leistete   es   keinen  Widerstand, 
obschon    ursprünglich    die    Aufständischen    die  Vertheidigung    beschlo 
hatten.     Es  ist  ein  ansagbar  trostloser  und  verwahrloster  Ort  in  der  impo- 
santesten Gegend;  die  an  die  Felsen  geklebten  zerfallenen   Häuser  gleichen 
durchweg  Ruinen. 

Und  immer  hoher  erheben  sich  zu  beiden  Seiten  die  Berge.  Der  \  epar 
links  und  der  Lisac  rechts  engen  die  Bosna  gänzlich  ein,  die  im  schmalen 
steinigen  Bette  schäumt  und  rauscht,  bis  sich  auf  einmal  ein  breite-  und 
liebliche-  Thal  öffnet,  von  grünen  Hügeln  umschlossen:  Zenica.  liier  hatten 
wir  [878  in  der  gastlichen  Franziskanerpfarre  einen  gemüthlichen  Nach- 
mittag verlebt.  Aber  das  einstige  Zenica  ist  schon  lange  nicht  mehr  zu 
erkennen.  Nach  allen  Seiten  hat  es  seine  Glieder  gestreckt,  grosse  Rauch- 
fänge zeugen  von  industrieller  Thätigkeit.  Das  sehenswertheste  <  icbäude 
in  oder  richtiger  ausserhalb  Zenica  ist  die  grosse  Central -Strafanstalt,  die 
nach  dem  progressiven  (irischen)  System  eingerichtet  und  in  einer 
idyllischen  Landschaft,  umgeben  von  schönen  Anlagen,  gebaut  ist.  Die 
Sträflinge  werden  mit  industriellen  und  landwirthschaftlichen  Arbeiten 
beschäftigt.  Es  ge 
hört  der  Anstalt  ein 
bedeutender  Grund- 
komplex, der  ange- 
baut wird;  ausser- 
dem sah  ich  aut 
kahlen  Bergabhän- 
gen  den  Beginn  einer 
neuen  Waldkultur. 
In  künstlich  ge 
schaffene  Gruben 
wurden     Raumchen 


ral-S  traf  anstatt    in    Zenica. 


-5 


Kohlen  werk,    nebst    Eisen-    und 
Stahlwalzwerk   in    Z e n i c a. 


gepflanzt  und  dort  werden  sie  gepflegt  und  begossen.  Es  sind  bereits 
2000  Stück  Zwetschkenbäume  und  Nussbäume  gepflanzt  worden.  Arbeiter 
sind  die  Sträflinge,  die  sich  ihrem  Aussehen  und  ihrer  heiteren  Laune 
nach  in  sehr  erträglicher  Lage  zu  befinden  scheinen.  Freilich  sind  in  der 
Anstalt  alle  Errungenschaften  der  modernen  Kultur  in  sanitärer  Beziehung 
eingeführt. 

In  Zenica  besteht  eine  Papierfabrik,  die  zum  grossen  Theil  den 
Bedarf  der  Behörden  des  Landes  deckt,  aber  auch  anderweitige  Bestellungen 
annimmt  und  ausfuhrt.  Ein  Kohlenbergwerk,  das  ursprünglich  durch  den 
Kohlen-  Industrie  -Verein,  seit  1884  aber  von  der  Regierung  ausgebeutet 
wird,  besitzt  noch  grosse  Zukunft  (1895  betrug  die  Förderung  520000  q 
bei  einer  Arbeiterznhl  von  250),  da  die  Kohlenflötze  äusserst  ausgedehnt 
sind  und  die  Kohle  sogar  im  Bette  der  Bosna  offen  zu  Tage  tritt.  Auch 
hat  die  Regierung  ein  grosses  Walzwerk  errichtet.  Was  Zenica  jedoch  ein 
50  freundliches  Aussehen  verleiht,  ist  das  viele  frische  Grün  der  Gärten, 
welche  die  weissen  modernen  und  die  dunkeln  Holzhäuser  der  ein- 
heimischen Bauart  umschliessen.  Schlanke  Minarets  lugen  aus  buschigen 
Baumgruppen  hervor,  Gastwirthschaften  mit  netten  Gärten  sind  an  allen 
Ecken  und  Enden  zu  finden,  wie  auch  an  Hotelunterkunft  kein  Mangel 
ist.  In  Zenica  ist  sehr  viel  geschehen;  die  Stadt  dürfte  sich  bald  zu  einem 
industriellen  Mittelpunkte  entwickeln;  wenigstens  ist  viel  im  Werden  be- 
griffen  und   noch   mehr  geplant. 

Den  Hahnhof  Zenica  verlassend,  durchschneidet  die  Hahn  einen  Theil 
des  6  Kilometer  langen  Thaies,  das  im  Norden  und  Nordosten  von  den 
Ausläufern   des    Lisac.    im   Westen   von    der    1008   Meter   hohen   Rieica,    im 


26    — 


Süden  vom  Katun,  Zeracevic  und  Svecaj  begrenzt  wird.  An  der  Straf- 
anstalt vorbei  tritt  die  Hahn  in  das  Defile  der  Kukavica  und  erreicht  die 
Station  [anjici,  einen  hübschen  Ort  von  einem  halben  Tausend  Bewohnern 
mit  einem  guten  Gasthause.  Die  kommende  Strecke  ist  durch  die  bizarren 
Formen  der  Sandsteingebilde  an  den  rechtsseitigen  Bergabhängen  sehr 
interessant,  doch  dauert  die  Fahrt  nur  kurze  Zeit  bis  zur  Station  Lasva, 
wo  sich  ilie  Strecke  nach  Travnik,  Bugojno  und  Jajce  abzweigt,  jener 
Linie,  über  die  in  nicht  zu  ferner  Zeit  der  Verkehr  von  Dalmatiens  grösstem 
Seehafen,  von  Spalato,  in  das  bosnische  Netz  fluthen  wird.  Hinter  der 
Lasvabrücke  wird  der  einzige,  45  m  lange  Tunnel  der  Bosnabahn  passirt, 
dann  die  Stationen  Gora  und  Kakanj-Doboj  erreicht.  Von  der  an  der 
Einmündung  des  Trstenicathales  liegenden  Haltestelle  Catici  aus  bieten 
sich  lohnende  Ausflüge  nach  dem  ältesten  Franziskanerkloster  Bosniens, 
Sutjeska,  und  nach  der  Ruine  des  alten  Königsschlosses  Bobovac.  Bis 
Sutjeska  geht  eine  Fahrstrasse,  während  anderthalb  Stunden  weiter  nach 
Bobovac  nur  ein   Reitweg  führt. 


Die    Schlussvignette    ist    der    Namenszug    auf    einem  Diplom    des   Sultans  Ghazi  Ahme.. 
Chan     ii  27   n.  d.   Hedschra,   17 14  n.  Chr.) 


€  K/'U^M  t  M MIN  V» b      C  e  4  &j 

bot 4  H*ee 


Abseits  vom 
Schienenwege. 

Sutjeska   (Suceska)  liegt  unge- 
mein malerisch  am  südlichen  Fusse 
des    Tesevo.     Der    Ort    zahlt    etwa 
50  Häuser    und   doch  war    er   einst 
die  Residenz    bosnischer  Herrscher, 
die  sich  hier  in  dem  präch- 
tigen Thale,   das  im  Osten 
vom    Brojsinovac    und    der 
Vucja-Jama,      im     Westen 
nächst     dem     Tesevo     von 
einer  Reihe  mächtiger  Fels- 
wände begrenzt  wird,  einen 
prächtigen     Palast     erbaut 
hatten.  Durch  seine  Ruinen 
dringt     heute     bei     Regen- 
wetter  der    Urvabach;    aus 
den      öden      Fensterhöhlen 
sieht  das  Grauen,   und  hier 
wie  in  den  mächtigen  Qua- 
dern   von    Bobovac  hält  das  Kauzchen  nächtliche  Klage  über  die  glänzenden 
.    die  einst  das  Gemäuer  gesehen,   aber  auch  über  die  Unthaten,   über 


..»-> 


Mühle    bei   Janjici. 


enthält    eine  altbosnische   Inschrift    unter    üzipe.      (»Ase    ovoi   Kamenie 
uzvuce   Radovan   Bratol   s   Krstijaninom  Sradi  za  Zivota  im    sc..      Zu  deutsch:    t   Diesen  Stein   ' 
Radovan   Bratol   mit  einem   Christen  [d.  h.   Angehörigen   der  Boguinilensekte]   her.     Er 
an. 


—       2S 


Lüge  und  Verrath,  die  am  bosnischen  Königshofe  gebräuchlich  waren 
und  die  den  Sieg  der  Osmanen  mit  ermöglichten.  Nur  ein  Zeuge  der 
grossen  Vergangenheit  hat  sieh  erhalten:  das  Franziskanerkloster,  das, 
in  einem  dichten  Eichenhaine  gelegen,  durch  Berge  und  Hügel  von 
allen  Seiten  geschützt,  alle  Stürme  siegreich  überwunden  hat.  Im  14.  fahr 
hundert  dürfte  das  Kloster  gegründet  worden  sein,  jedenfalls  bald  nach- 
dem die  Jünger  des  heiligen  Franz  von  Assisi  ihren  Weg  nach  Bosnien 
genommen.  Nach  der  Eroberung  Bosniens  durch  Sultan  Mehmed  II.  und 
Zerstörung  der  alten  Königsburg  1464  erwirkten  die  Franziskaner  in  Su- 
tjeska  einen  Schutzbrief,  der  ihnen  das  fernere  Verweilen  gestattete.  Wie 
nun  Fra  Raphael  Barisic  in  den  Wissenschaftlichen  Mittheilungen«  des 
Sarajevoer  Museums  erzahlt,  zerstörten  unter  der  Regierung  Sulejmans  II. 
die  zum  Islam  übergetretenen  Patarener  unter  Führung  Hassan  Beys  (von 
1521  — 1531  Statthalter  in  Bosnien)  das  Kloster,  gleichzeitig  mit  denen  in 
Fojnica,  Kresevo,  Visoko  und  Konjica.  So  ganz  grundlich  scheint  die 
Zerstörung  nicht  vollzogen  worden  zu  sein,  denn  nach  30  Jahren  stand  es 
wieder  fertig  da,  wobei  eine  Bestechungssumme  von  900  Dukaten  an  die 
türkischen  Beamten  die  religiösen  Bedenken  der  Bekenner  Mohammeds 
beschwichtigte.  Aber  165S  brannte  das  Kloster  ab,  nur  die  Kirche  blieb 
erhalten.  Nach  sechs  Jahren  war  es  abermals  aufgebaut  und  eine  an  der 
westlichen  Pforte    befindliche   Steinplatte    giebt    heute   noch    davon    Kunde. 

»Hoc  Mo  ste.  Minor.  Babte  Dni  Dicatv .  A.  1658.  Solo  Ecvat. 
Reedificarvt  P.  P.  Svtiske  Anno  1664.  Gvardianatv  P.  Fra 
Michaelis  Bresanin.  Assistente  R.  P.  F.  Stephano  glvmichich. 

Die  schlimmste  Katastrophe  brach  jedoch  nach  der  Niederlage  der 
Türken  unter  den  Mauern  von  Wien  über  das  Kloster  herein,  als  es  in 
Folge  von  Steuern  und  Brandschatzungen  so  in  Schulden  versank,  dass 
Kirchenparamente  und  heilige  Gefässe  versetzt,  die  Beschläge  und  Schlösser 
der  Thüren  abgerissen  und  verkauft  werden  mussten.  Wegen  der  steten 
Verfolgungen  verliessen  die  Ordensbrüder  mit  Erlaubniss  des  Veziers  das 
Kloster,  umgaben  es  mit  einer  dichten  Dornhecke  und  Hessen  in  dem 
leeren  Gebäude  nur  einen  Wächter  zurück.  Sechszehn  Jahre  lebten  die 
Mönche  theils  in  Höhlen,  theils  als  Weltliche  verkleidet  unter  den  Bauern, 
denen  sie  die  Tröstungen  der  Religion  trotz  aller  Verfolgungen  spendeten. 
Elend,  Verfolgung  und  Hungersnoth  brachten  1686  eine  Anzahl  Patres  dazu, 
gegen  20  000  ihrer  Glaubensgenossen  über  die  Save  auf  kroatisches  Gebiet 
zu  flüchten.  Im  Klosterarchiv  zu  Sutjeska  finden  sich  in  der  Chronik  des 
Fra  Bono  Benic  sehr  interessante  Aufzeichnungen  über  jene  Leidensperiode: 
»Volk  und  Priester  nährten  sich  von  Gras  und  Baumrinden  und" verkauften 
ihr  letztes  Kleid  für  ein  Stück  Brot.     Viele  starben  vor  Hunger. 


—     29 


Siegel  aus  Sutjeska: 

S.  MINISTRI  GNLIS  TOTIUS  ORDS 

FRANC.    (Siegel  des  Generalministers  des 

gesammten  Franziskanerordens.) 

Wahrscheinlich  von   134°- 


Al^cr  es  kamen  auch  wieder  bessere 
Zeiten.  1698  wurde  das  Kloster  neuerdings 
bevölkert,  es  blieb  jedoch  arm,  denn  die 
Mehrzahl  der  katholischen  Pfarrkinder  hatte 
in  Kroatien  eine  neue  Heimath  gefunden. 
Die  Mauern  verfielen,  Erdbeben  und  herab- 
fallende Felsstücke  brachten  Schaden,  eiserne 
Schliessen  und  Zäune  mussten  vor  dem  Ein- 
fallen schützen.  So  blieb  es  bis  zum  Jahre 
182 1,  wo  der  in  Travnik  residirende  Vezier 
Dschellaleddin  Pascha  gegen  einen  Bakschisch 
von  15770  Groschen  eine  Erweiterung  und 
Ausbesserung  des  Klosters  gestattete;  eine 
abermalige  Erweiterung  wurde  1831  vor- 
genommen (Bestechung  8256  Groschen  20  Para).  1888  wurde  ein  Neubau 
aufgeführt,  der  wieder  viele  interessante  Reste  der  Vergangenheit  beseitigte; 
wenn  auch  nicht  in  architektonischer,  so  doch  in  geschichtlicher  Beziehung 
ein  Verlust. 

Die  Klosterbibliothek  ist  eines  Besuches  werth.  Da  finden  sich  einige 
tausend  Bände  alter  kroatischer  Werke,  italienische  und  lateinische  theo- 
logische und  klassische  Schriften,  die  griechischen  Klassiker  in  allen 
möglichen  Ausgaben  u.  s.  w.  Was  aber  das  künstlerische  Interesse  erregen 
muss,  ist  das  Originalportrait  des  bosnischen  Königs  Stefan  Tomasevic- 
Ostojic  in  geschnitztem  Rahmen.  Das  Bild  zeigt  den  König  im  Panzer, 
mit  silberdunchwirktem,  mit  Goldborten  eingefasstem  Mantel,  dessen  Schulter- 
theil  mit  Hermelin  verbrämt  ist.  Er  trägt  die  Krone  auf  dem  Haupte, 
das  Scepter  in  der  Hand.  Das  echt  südslavisch  markante  Gesicht  zeigt 
kräftige,  gesunde  Farbe,  schwarze  Augen  mit  schön  geschwungenen  Brauen, 
eine  hohe,  gewölbte  Stirn.  Lippen  und  Kinn  beschattet  üppiger  schwarzer 
Bartwuchs.  Am  rechten  Rande  des  Hildes  befindet  sich  eine  altbosnische 
Inschrift,  welche  den  Namen  und  Titel  des  Königs  anzeigt,  darunter  die 
lateinische  Uebersetzung:  »Tomae  Re  Bosne  et  Argentine.«  Links  über 
der  rechten  Schulter  befindet  sich  das  Wappen. 

Ausserdem  ist  im  Kloster  eine  Bleistiftcopie  des  Portraits  der  bos- 
nischen Königin  Katharina  vorhanden.  Das  Original  wurde  einstmals  am 
kroatischen  Boden  nach  Djakovar  geschickt.  Ausserdem  eine  Anzahl  sehr 
bemerkenswerther  Gemälde  auf  der  feinen  bosnischen  Leinwand  (Bez)  mit 
altbosnischen  Inschriften,  theils  die  Madonna  und  Christus,  theils  Provinziale 
der  Ordensprovinz  darstellend.  Andere  Bilder  und  Kunstgegenstände 
den  auf  Veranlassung  des  Bischofs  Strossmayer  von  Djakovar  am  Ende 
der  Fünfziger  [ahre  nach  Agram  .gerettet«  und  befinden  sich  jetzt  dort 
im    südslavischen   Museum.      Für   Bosnien    sind    sie    jedenfalls    verloren.      In 


der  nördlich  von  Sutjeska,  am  rechten  Ufer  des  Baches  Trstivnica  gelegenen 
Klosterkirche  St.  fohannes  der  Tauler  befinden  sich  sehenswerthe  alt- 
italienische Altäre  und  das  Grab  des  vorletzten  bosnischen  Königs  Stefan 
Tomas,  der  1460  auf  dem  Felde  von  Bilaj  von  seinem  eigenen  Sohne  und 
seinem  Bruder  Radivoj  erdrosselt  wurde.  Das  Skelett  wurde  bei  einem 
Umbau  1858  in  einem  Steinsarge  entdeckt:  neben  ihm  lagen  ein  eisernes 
Scepter  und  einige  alte  silberne  Brustknöpfe.  Der  Sarg  trägt  gegenwärtig 
die  Inschrift: 

»Urna  continens  ossa  Stephani 
Thomae  regis  Bosnae  (t  1460) 
ex  antiqua  ecelia  translata  a.  dn. 
1859  cura  custodis  antiquitatum 
patriae.     P.   M.   N.«. 


Ein    Hadzija    (Mekkapilger' 
aus    Yisoko. 


Und  an  der  Westseite  des  Presbyteriums 
steht  ein  kleiner  Thurm,  an  dem  ge- 
schrieben steht:  Prvi  u  Bosni  posta  de 
gg.  1860.«  (Der  erste  in  Bosnien  er- 
richtete [860.)  Vier  kleine  Glocken 
sind  in  ihm  untergebracht,  die  ihr  Ge- 
läut erschallen  lassen  durften,  als  der 
Gebrauch  von  Glocken  noch  bei  schwerer 
Ahndung  verboten  war.  Heute  ertönen 
diese  Klänge  im  ganzen  Lande;  die 
Mohammedaner  haben  sich  längst  daran 
gewöhnt  und  es  wäre  nur  zu  wünschen, 
dass    ihre    sonoren   Töne    auch    bis    in 

die    fernsten    Zeiten    Duldung    und    religiösen    Frieden    den    Kindern    des 
gleichen  Volkes  verkünden. 

Von  Catici  aus  führt  die  Bosnabahn  immer  in  prächtigster  bewaldeter 
Hügellandschaft  nach  Visoko,  einem  ausgedehnten  Städtchen  von  etwa 
3900  Bewohnern.  Der  Ort  mit  seinen  13  Moscheen  liegt  am  linken  Bosna- 
ufer,  während  die  Bahnstation  sieh  diesseits  befindet.  Bau  Stefan  Tvrtko 
ertheilte  von  hier  aus  am  I.September  1355  den  Ragusanern  das  Privi- 
legium der  Handelsfreiheit;  am  15.  Juni  1402  bestätigte  hier  Konig  Stefan 
Ostoja  die  Privilegien  von  Zara  und  Sebenico,  und  zwei  Jahre  später  fand 
in  Visoko  der  bosnische  Magnatentag  statt,  auf  welchem  Stefan  Ostoja 
abgesetzt  und  die  Königskrone  Tvrtko  II.  übertragen  winde.  Die  Ruinen 
der  Königsburg  und  eines  alten  Franziskanerklosters  liegen  auf  dem  Grad 
(»der  Festung«  im  Bosnischen),  zu  dessen  Ersteigung  beschwerliche 
anderthalb  Stunden  erforderlich  sind.  Visoko  ist  gegenwärtig  überwiegend 
mohammedanisch   und  besitzt  eine  blühende  Lederindustrie. 


Y<>n  hier  zweigen  sich  Fahrstrassen  nach  dem  Sauerbrunnen  Kiseljak 
(einer  altberühmten  bosnischen  Sommerfrische)  und  nach  dem  Franziskaner- 
kloster Fojnica  ab.  Der  erstere  (  Mi  liegt  ungemein  malerisch  an  der  Brod- 
Sarajevoer  Poststrasse.  Schon  in  türkischer  Zeit  fanden  sich  hier  die 
reichen  serbischen  und  spaniölischen  Familien  von  Sarajevo  ein,  um  den 
dem  Rohitscher  ähnlichen  Säuerling  zu  trinken,  der  für  Jedermann  umsonst 
aus  der  Erde  quoll.  Von  einer  Brunnenverwaltung  war  keine  Rede,  von 
besonderen  Anlagen  oder  einer  Kurtaxe  auch  nicht.  Die  reichsten  Kur- 
gäste  hatten    ihre    eigenen    Häuser,    andere    wohnten    in    den   zwei   grossen 

Hans  (türkische  Ein- 
kehr -Wirthshäuser), 
dritte  unter  Zelten. 
Eines  der  Gasthäuser 
konnte  sogar  euro- 
päischen Ansprüchen 
genügen,  und  es  im- 
ponirte    uns   bei   un- 


smmvmatm 


Kloster    in    Fojnica. 


serem  Vormarsche  gegen  Sara- 
jevo während  der  Okkupation 
nicht  wenig,  hier  gute  Ver- 
pflegung und  Getränke  zu 
finden,  wie  das  Hotel  auch 
folgende  deutsche  Inschrift 
neben  einer  türkischen  und 
bosnischen  aufwies:  >Das  ist 
des    Zuckerbäcker    Ali    Aga 

1  tötel.  Hier  bekommt  man  Wohnung,  gutes  Essen  und  Gerste.«  Ob  das 
letztere  Wort  nur  ein  Schreibfehler  für  Getränke  war,  oder  ob  es  sich  auf 
die  Verpflegung  der  Pferde  bezog,  konnte  ich  nicht  ergründen.  Aber 
Kiseljak  mit  den  bewaldeten  Hängen  der  Cvetnica,  der  Krusovska  Kosa 
und  der  Stogic-Planina  bildete  lange  einen  Lichtpunkt  in  meinen  Feldzugs- 
Erinnerungen.  Später  trübte  sich  das  Bild  etwas,  denn  bei  einem  zweiten 
Aufenthalt  bei  strömendem  Regenwetter  im  Oktober  fand  ich  wohl  in  einer 
von  einem  Prager  errichteten  provisorischen  Kneipe  eine  elende  Talg- 
-uppe,  aber  keinen   Platz,   wo  ich  hatte  mein  Haupt  hinlegen  können.     So 


Bauernbursche    singt   zur   Tamburica. 

Motiv  aus  Kiseljak  von  W.  Leo  Arndt.) 


übernachtete  ich,  nass  zum  Auswinden, 
der  schmalen  Hank  einer  Badekabine  a 
der  Fojnica  und  sehnte  mit  steifen  Glie- 
dern den  Morgen  herbei.     Jetzt  giebt 
es  ein  Kurhaus,  europäische  Logir- 
häuser  und  alle  möglichen  Be- 
quemlichkeiten.    Aber    das 
alte       gemüthliche       orien- 
talische    Sommerlager     ist 
verschwunden    und    das    ist 
in     gewisser     Richtung     zu 
bedauern.     Dass  das  Kisel- 
jaker     Sauerwasser     seinen 
.Markt  gefunden   hat  und  in 
Tausenden       von       grossen 

Flaschen  als  Tafelgetränk  versandt  wird,  ist  d^c^-n  eine  erfreuliche  Er- 
rungenschaft der  Neuzeit.  Nebenbei  erwähnt,  hat  Bosnien  einen  Ueberfluss 
an  Sauerwassern  im  ganzen  Lande,  doch  dienen  diese  meist  nur  dem  Be- 
dürfnisse der  in   der  Nähe  einer  Quelle  Wohnenden. 

Von  Kiseljak   führt   eine   Fahrstrasse   am   Ufer  der   Fojnica  nach   der 
gleichnamigen  kleinen  Stadt,    dem  Centrum  einer  alten   Eisenindustrie  und 
des  Quecksilber-Bergbaues.     Die  Lage  des  Ortes  direkt  unter  dem  Gebirgs- 
stocke  des  Stit   ist   reizend;    eine    wahre  Waldidylle.     Mohammedaner   und 
Katholiken  sind   hier  in   gleicher  Stärke  vertreten;    sie  hatten   sich    nie  be- 
fehdet,   was    dem    Einflüsse   der   Franziskaner   zuzuschreiben    war,    die   hier 
ein   berühmtes  Kloster   besitzen.      Am    einem  Felsen    am   Flusse,    von    dem 
man   eine   entzückende   Aussicht    über   das   ganze  Thal   geniesst,    liegt   das 
mächtige    Gebäude    zum    heil.    Geist.      Im    Klosterarchiv    befinden    sich    die 
interessantesten    bosnischen    und   türkischen    Dokumente,    unter    ihnen    der 
für  die  Katholiken  in  Bosnien  hochwichtige  Atname  (Freibrief)   des  Sultans 
Mahmud  II.     Ate   nach    dem  Niederbruch    der   bosnischen  Selbstständigkeit 
und    nach    dem    Falle    von  Jajce    der    letzte   König    Stefan    TomaSevic    ge- 
fangen   genommen,     geschunden    und    geköpft   worden    war,    als   die   grau- 
samsten Christenverfolgungen    eingeleitet  wurden,    wagte    es  der  Vorsteher 
:s  Klosters  von  Fojnica,  Angelus  Zvizdovic,  vor  den  furchtbaren  Eroberer 
zu  treten.     Im  Feldlager  von  Milodraz  (1463)  bat  er  um  Schonung  und  freie 
Religionsübung   für    die   Katholiken  und    er  erhielt    nachstehenden  Atname 
ausgestellt: 

Ich,    der  ich   bin   der  Sultan   Muharaed   Chan,    thue  zu   wissen    Allen   und  Jedem  ins- 
,esondere,   wie  sich  meine  Gnade  und   meine  Gunst   bezüglich  der  bosnischen   Möncl 
Inhaber  dieses   kaiserlichen  Fermans  —  manifestirt  hat.      Ich   habe   befohlen,   dass  Nien 
dieselben  beunruhigen   oder  hindern   dürfe,    oder  sich  in   die  Angelegenheiten   ihrer  Kirche 


einmengen.  Ich  befehle,  das-  sie  ungestört  in  meinem  Reiche  bleiben  und  das-  Jene, 
welche  davongegangen  oder  geflüchtet,  frei  und  sicher  seien  und  bei  ihrer  Rückkehr  ohne 
Furcht  in  meinem  Reiche  verweilen  und  ihre  Klöster  bewohnen  dürfen.  Weder  meine 
kaiserliche  Person  noch  meine  Minister,  oder  irgend  Jemand  von  meinen  Leuten  und 
Lkern  soll  sie  beunruhigen,  belästigen  oder  misshandeln  dürfen,  weder  an  ihren  Personen, 
noch  an  ihren  Gütern  und  Kirchen.  Wenn  sie  aus  dem  Auslande  welche  Person  immer 
hereinführen  wollen,  soll  es  ihnen  erlaubt  sein.  Aus  diesem  Anlasse  habe  ich  dieselben 
mit  meinem  grossherrlichen  Ferman  begnadigt  und  ich  leiste  den  feierlichen  Eid  und 
schwöre  bei  dem  grossen  Gotte,  dem  Schöpfer  des  Himmels  und  der  Erde,  bei  den 
sieben  Büchern,  bei  dem  grossen  Propheten,  bei  den  1 24000  Heiligen  und  bei  dem  Säbel, 
welchen  ich  trage,  dass  Niemand  im  Widerspruche  mit  Vorstehendem  handeln  dürfe,  so- 
lange  diese  Mönche  meinen  Befehlen   und  meinem   Dienste  gehorsam   sein   werden. 

Dieser  Freibrief  brachte  mancherlei  Begünstigungen  für  die  katholische 
Kirche  in  Bosnien,  und  wenn  er  auch  blutige  Ausbrüche  des  Fanatismus 
nicht  immer  verhindern  konnte,  ermöglichte  er  doch  die  Organisation  der 
Franziskaner  im  Lande  auch  in  den  schwersten  Zeiten.  Aber  das  Fojnicaer 
Kloster  besitzt  noch  ein  interessantes  Dokument,  die  alte  Copie  des  ehe- 
maligen Wappenbuches  der  bosnischen  Adeligen  von  1340.  In  dieser  Copie 
sind  die  Wappen  jener  Familien  erhalten,  welche  in  Folge  des  türkischen 
Einfalles  auswanderten  und   in   der  Fremde   den  Namen   und  das  Wappen 


Kathi  i  1    1  n    Kresevo.      [Wintei 


—     34 


:> 


Vor    der    Kirche    in    Kresevo.      Bauern    kehren    nach    dem    Gottesdienst    heim. 

W.   Leo  Arndt.) 

ihres  Geschlechtsadels  bewahrten;  weiteres  jener  Familien,  welche  nach 
dem  Uebertritte  zum  Islam  zwar  ihre  Familiennamen  in  den  Hintergrund 
treten  Hessen,  jedoch  die  Tradition  ihres  Adels  aufrecht  erhielten;  schliesslich 
auch  solcher  Familien,  deren  Andenken  sich  im  Laufe  der  Zeit  verloren  hat. 
Das  Wappenbuch  ist  auf  grobes  Papier  in  Gross-Quartformat  gemalt 
und  enthält  1 41  Blätter.  Auf  der  ersten  Seite  des  ersten  Blattes  ist  die 
Muttergottes,  von  Wolken  umgeben,  gezeichnet,  unterhalb  des  Bildes  ein 
grosser  Halbmond  und  quer  die  Wappenzeichen  zweier  kreuzweis  liegenden 
Balken;  oberhalb  dieser  je  ein  gekröntes  Mohrenhaupt.  Auf  der  anderen 
Seite  dieses  Blattes  befindet  sich  in  den  Wolken  das  Christusmonogramm 
und  unterhalb  desselben  die  Heiligen  Cosmas  und  Damianus.  Hie  erste 
Seite  des  zweiten  Blattes  trägt  den  Titel  des  Wappenbuches,  wahrend  auf 
der  zweiten  Seite  der  Heilige  Hieronymus,  vor  dem  Kreuze  knieend,  dar- 
gestellt ist.  Das  dritte  Blatt  giebt  ein  Tableau  der  Wappen  aller  slavischen 
Staaten  auf  dem  Balkan;  darauf  folgen  auf  separaten  Blättern  10  Wappen 
dieser  Länder  und   126  Blätter  mit  Adelswappen.      Auf  dem   letzten  Blatte 

3* 


35 


sind  wieder  die  Wappen  einiger  Familien  zu  einer  Gruppe  vereinigt.  Auf 
dem  Titelblatte  finden  wir  folgende  in  altbosnischer  Schrift  (in  der  Bosancica) 
verfasste  Zeilen:  »Rodoslovje  bosanskoga  aliti  ihrickoga  i  sarpskoga  vla- 
danja  zajedno  postavleno.  Po  Stanislavu  Rubcicu  popu;  na  slavu  Stipana 
Xemacnica  cara  Sarbclcna  i  BosCana  1340.«  (»Stammtafel  der  bosnischen, 
beziehungsweise  der  illyrischen  und  serbischen  Herrschaft,  zusammengestellt 
vom  Popen  Stanislaus  Rubele  zu  Ehren  des  Stefan  Nemanjic,  Kaisers  der 
Serben  und  Bosnier   1340.«) 

Es  haben  sich  über  das  Alter  des  Buches,  der  Copie  eines  früheren 
Werkes,  und  über  die  Authenticität  verschiedener  Wappen  schon  gelehrte 
Streite  entsponnen,  doch  haben  sie  zu  einem  abschliessenden  Urtheil  noch 
nicht  geführt.  Für  unsere  Darstellung  sind  diese  Erörterungen  müssig; 
wir  registriren  das  Vorhandensein  und  freuen  uns  des  interessanten  Doku- 
mentes. Thatsache  ist,  dass  manche  der  bosnischen  Begs  trotz  ihres 
mohammedanischen  Glaubens  noch  die  Traditionen  ihrer  christlichen  Yer- 
eanefenheit  bewahrt  haben  und  ihre  Adelsbriefe  und  Dokumente  von  einst- 
mals  besitzen.  Mir  selbst  sagte  Beg  Rajkovic  in  Sarajevo,  dem  ich  eine 
Copie  des  Wappens  aus  dem  Buche  von  Fojnica  zeigte:  »Ah,  moj  grb!« 
(Ah,  mein  Wappen!)  Ein  Zeichen,  dass  die  Kenntniss  desselben  in  den 
abgelaufenen  türkischen  Zeiten  nicht  verloren  ging. 

Südlich  von  Kiseljak,  in  ungemein  romantischer  Wald-  und  Gebirgs- 
einsamkeit  liegt  noch  ein  grosses  und  berühmtes  Franziskanerkloster: 
Kresevo,   das  gleichfalls  manches  wichtige  Dokument  aus  alter  Zeit  bewahrt. 


I)ic  Schlussvignette  zeigt  ein  altcliristlichcs  Siegel  aus  Komusina,  das  1S77  gefunden  wurde. 


Im  Eisenbezirke. 


in  fruchtbares  Thal  durchfährt  die  Bosnabahn  von  Yisoko 
nach  der  Station  Podlugovi.  Von  hier  führt  eine  im 
November  1895  eröffnete  Zweigbahn  von  24'  2  Kilo- 
*  meter  Länge  nach  dem  Städtchen  Vares  mit  seinem 
Eisenwerk.  In  dem  engen  Thal  der  Stavnja  i-t  es 
zwischen  machtigen,  sich  unaufhörlich  neben-  und  hintereinander  auf- 
thürmenden  Bergen  gebettet,  gleichsam  den  Mittelpunkt  bildend  in  dem 
Gebiete  der  unermesslich  reichen  Schätze,  die  in  dem  Innern  jener  Gebirgs- 
stöcke  ruhen.  Die  Schätze  sind  Eisenerze  von  besonderer  Güte,  und  da 
die  Katholiken  von  Vares  (dem  Mohammedaner  ist  der  Bergbau  antipathisch) 
es  von  Alters  her  versuchten,  Bruchstücke  jener  Schätze  zu  heben  und  zu 
verarbeiten,  so  heftete  sich  allmählich  der  Ruf  grosser  Betriebsamkeit  in 
der  Eisenindustrie  an  den  Namen   Vares. 

Als  die  Save  noch  den  hermetischen  Grenzverschluss  gegen  das 
Abendland  bildete  —  schreibt  die  bekannte  bosnische  Schriftstellerin 
Fräulein  Milena  Mrazovic  in  der  »Bosn.  Post«  — ,  war  das  Varesaner  Eisen 
hochberühmt  und  vielbegehrt.  Nicht  nur  im  Lande  selbst  und  auf  dem 
ganzen  Balkan  war  es  seiner  Güte  und  Billigkeit  wegen  ohne  Konkurrenz, 
es  fand  seinen  Weg  auch  nach  Asien  und  hatte  eine  bedeutende  Ausfuhr 
nach  Arabien  und  Aegypten.  Mit  der  Okkupation  fiel  diese  blühende 
Eisenindustrie  plötzlich  in  sich  zusammen.  Den  durch  die  Besetzung  ge- 
schaffenen neuen  Lebensbedingungen  konnte  sie  nicht  Stand  halten,  und 
auch  die  beispiellose  Genügsamkeit  des  bosnischen  Volkes  war  kein   Mittel 


37 


o-egen  die  plötzlich  hereinbrechende  Fluth  der  abendländischen  Gross- 
Lndustrie  und  in  den  unwirthlichen  Schluchten  der  Stavnja  zeigte  sich 
die  Noth. 

Dies  war  auch  nur   allzu    natürlich.      Während   bereits    ein    Schienen- 
strang die   Landeshauptstadt    mit   dem   Saveufer    und    dem    österreichisch- 
ungarischen Bahnnetze  verband,    führte   aus   dem  Bosnathal  über   mehr  al.- 
30   Kilometer    ein    mühsam    zu    erklimmender   Saumpfad    nach   Yares.      In 
diesem  Verstecke  hauste  einsam  für  sich  der  bosnische  Hüttenmann,   fremd 
allem    modernen  Handel  und  Wandel.      Er  gewann    und    schmolz   das  Erz 
mit  zäher  Beharrlichkeit  bis  auf  den   heutigen  Tag   genau    so,    wie    es   die 
Väter   vor  Jahrhunderten   gethan.      Das   bedächtige   Tragthier   brachte   das 
Erz  von  den  Abbaustellen  nach  den  längs  der  reissenden  Stavnja  erbauten 
unzahligen    »Majdans«,    wo    das   Eisen   auf  die   denkbar   primitivste   Weise 
gewonnen  wurde.     Solch  ein  Majdan  ist  nur  eine  russige  kleine  Holzhütte, 
vereinigt  aber   doch    einen  Hochofen,    einen  Erischofen    und   ein  Hammer- 
werk in  sich.     Der  aus  Lehm  gemachte  bosnische   »Hochofen«  —  Kalama 
genannt      -   ist  an  4  m  hoch  und  hat  einen  Inhalt  von  ungefähr  4'  •>  cbm. 
Man   füllte  ihn,    zündete   ihn    an,    und    nach    dem   Abstich   war   auch  schon 
der   Ofen    in    die   Brüche    gegangen    und    musste     wieder    frisch    gemacht 
werden.      Auf   diese   Weise    waren  in   Vares  zwei  Ofen-Campagnen  in    der 
Woche  usuell,    denn  je    3  Tage    benöthigte    man    stets    zum  Wiederaufbau 
des    .Hochofens   .      Das   Gebläse  besteht   aus   zwei    Blasbälgen,    die    durch 
ein    hölzernes  Wasserrad   bedient   wurden.       Der    »Frischofen«    ist    ein    ge 
wohnliches  Schmiedefeuer  und  das     Hammerwerk     ist  ein  gleichfalls  durch 
ein  kleines  Mühlrad  in  Bewegung  gesetzter,  gegen  3  m  langer  Hammer,  neben 
dem  der  Mann  auf  dem   Erdboden  kauert  und  auf  das  glühende  Eisenstück 
losklopfen  lässt.  Und 
doch    erzeugten   die 
Leute       auf      diese 

höchst  primitive 
Weise  Eisen  von 
vorzüglicher  Güte; 
allerdings  bedienten 
sie  sich  dazu  des 
leichter  schmelzba- 
ren Rotheisensteines, 
der  55  bis  65  pCt. 
Eisen  und  darüber 
enthalt,  und  Hessen 
die  grossen  Lager 
.011  Brauneisenstein 
unbenutzt.  ft    Dubos 


-     38 


Noch  stehen  diese  Majdans  in  Yares  und  wieder  wird  fleissig  darin 
gehämmert.  Aber  die  Kalamas  sind  daraus  verschwunden,  denn  ungefähr 
3  km  südlicher  stehen  heute  inmitten  einer  modernen  grossartigen  Hütten- 
anlage zwei  neue  gewaltige  Hochöfen,  die  nun  schon  seit  einer  Reihe  von 
Jahren  ununterbrochen  das  Eisener/,  aus  den  Hergen  7.11m  Schmelzen  bringen 
und  auch  all  die  gewerbfleissigen  Varesaner  mit  billigem  Roheisen  ver- 
sorgen. Von  der  Kalama  zum  modernen  Hochofen!  das  ist  einer  jener 
o-ewaltigen  Sprünge,  wie  man  sie  nur  in  Bosnien  auf  allen  Gebieten 
sehen  kann. 

Die  ersten  Arbeiten  zur  Feststellung  des  Erzreichthums  wurden  1886 
in  Angriff  genommen   und  ergaben  ein  geradezu  glänzendes  Ergebniss.     Die 


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Altbosnische    Erzaufbereitung   bei   Cevljanovic    (Vares). 

Hauptlagerstätte  befindet  sich  zwischen  den  Orten  Zvijezda  im  Osten  und 
Borovica  im  Westen  in  einer  Ausdehnung  von  15  km  Luftlinie.  Die 
Mächtigkeit  variirt  zwischen  20—25  m.  Die  Lagerstatte  besteht  zumeist 
aus  Rotheisenstein,  der  in  den  meisten  Fällen  durch  Eisenspath  unterlagert 
wird.  Nur  im  Osten  ist  Brauneisenstein,  der  45  —  5  5  pCt.  Eisen  enthält, 
eingelagert.  Es  ist  durchweg  gutes  reines  Erz,  hauptsächlich  Blauerz. 
Die  Quantität  wird  auf  viele  Millionen  Tonnen  geschätzt.  Im  Jahre  1 890 
wurde  die  Lagerstätte  in  Przici  im  Tagbau  in  einer  Mächtigkeit  von 
2;  Millionen  Metcrcentner  aufgeschlossen.  Wie  ein  gewaltiger  Steinbruch 
liegt  sie  da  inmitten  der  herrlichsten  Fichten-  und  Buchenwidder.  Die 
Förderung  hinab  zu  dem  Hochofen  geschieht  mittelst  einer  grossartigen 
Bremsberganlage,  die  auch  für  den  Export  ausreichend  wäre  und  die  ein 
Förderquantum    von    einer    Million    Metcrcentner    bewältigen    kann.      Die 


41     — 


Eisenwerk    in    Yares. 

Anlage  besteht  aus  4  km  Horizontalbahn  und  vier  Bremsbergen,  die  eine 
Gesammtlänge  von  800  m  haben.  Gegenwärtig  arbeitet  man  auch  auf  Eisen- 
steingewinnung bei  dem  kaum  einen  Kilometer  vom  Werke  entfernten,  in 
einem  schmalen  Seitenthale  der  Stavnja  gelegenen  Orte  Potoci,  woher 
auch  die  alten  Varesaner  Hütten  seit  400  Jahren  ihre  Erze  bezogen.  Das 
stark  manganhaltige  Erz  ist  wichtig  für  Weisseisenerzeugung. 

Zwischen  den  schönsten  Xadelholzbeständen  kommen  von  Przici  die 
beladenen  Hunde  von  den  Bremsbergen  herabgesaust,  um  knapp  hinter 
einem  weitläufigen  Fabriketablissement  zu  halten.  Auf  einer  schmalen, 
mühsam  dem  Flusse  abgerungenen  Terrainstufe  erhebt  sich  hier,  eng 
umschlossen  von  himmelanstrebenden  immergrünen  Berglehnen,  das  landes- 
ararische  Hüttenwerk  Yares.  Es  ist  eine  ganze  Stadt,  die  seit  dem 
Jahre  1890  erstanden  ist.  Seitdem  ist  die  träumerische  Waldruhe  von 
hier  verschwunden,  denn  Tag  und  Nacht  faucht  der  Hochofen,  pusten 
die  Dampfmaschinen,  klopft,  hämmert,  sägt  und  bohrt  es  in  den  ver- 
schiedenen Werkstätten,  und  ein  feiner,  dichter,  alles  durchdringender 
Kohlenstaub  trübt  die  sonst  balsamische  Luft.  Gleichsam  das  Centrum  des 
ganzen  Werkes  bildet  der  in  die  Giesserei  hineingebaute  erste  Hochofen, 
der  am  1  s.  August  [891  zum  ersten  Male  feierlich  angelassen  wurde.  Er 
liefert  bei  guter  Holzkohle  170  Metercentner  Weisseisen  pro  Tag.  Dazu 
gehört  eine  Anlage  von  zwei  eisernen  Lufterhitzern,  mittelst  welchen  eine 
Lufttemperatur    bis    500  Grad    erreicht    werden    kann    und  die   mit  den  Ab- 


42 


gasen  des  Hochofens  geheizt  werden.  Die  Abgase  dienen  überdies  noch 
zum  I  lei/en  der  zwei  je  54  qm  grossen  Kessel  der  Röstofen-Anlage.  Diese  hat 
die  Herausschaffune  des  Schwefels  aus  den  Erzen,  sowie  das  Mürbebrennen 
der  sehr  harten  Blauerze  zum  Zwecke.  Der  Hochofen  wird  mit  Holzkohle 
betrieben,  selten  nur  mit  Coaks;  die  nöthige  Verbrennungsluft  wird  durch 
ein  6opferdiges  Gebläse  mit  Compound-Maschine  mit  Kondensation  an{ 
saugt  und  so  den  Winderhitzern,  beziehungsweise  dem  Hochofen  zugeführt. 
Im  fahre  [895  wurde  eine  eigene  Vareser  Eisenindu>trie-Aktiengescllschaft 
gegründet,  die  vorhin  erwähnte  Flügelbahn  und  ein  zweiter  Hocholen  erbaut. 
Die  Hochöfen  erzeugen  Graueisen  und  zwar  tiefgraues  und  hellgraues 
manganfreies,  sowie  Giesserei-Rohei>en;  zu  dem  letzteren  gehört  das  hell- 
o-raue  maneanhaltige  und  das  halbirte,  zwischen  Weiss-  und  Graueisen 
stehende  Roheisen  für  Hartgusszwecke.  Von  Weisseisensorten  wird  erzeugt: 
hochmanganhaltiges,  spiegeliges  und  strahliges  Eisen,  rhittelstrahliges  ge- 
wöhnliches, sowie  lückiges  Weisseisen  für  Zwecke  der  zum  Betriebe  gehörigen 
Frischhütte  in  Dabravina.  Das  manganhaltige,  strahlige  und  gewöhnliche 
Weisseisen  wird  dem  Walzwerke  in  Zenica  für  seine  Puddelofen  zugeführt. 
Im  Jahre  1895  betrug  die  Produktion  37612(1  Roheisen  und  Guss- 
waare;  die  Produktionsfähigkeit  ist  auf  loooooq  jährlich  erhöht.  Heim 
Bergbau   und  bei   der  Hütte   waren  441    Arbeiter  beschäftigt. 

Unmittelbar  an  die  Hochofen-Anlage  schliesst  sich  der  zweite  Betrieb 
der  Hütte,  die  Giesserei,  an.  Diese  ist  in  einer  ungeheuren,  äusserst  solid 
konstruirten  Halle  untergebracht  und  genügt  für  ein  Produktionsquantum 
von  1 5  000  Metercentner  Gusswaare  verschiedenster  Art.  sowie  für  20000 
Metercentner  Rohrguss  (Wasserleitungsrohre).  Von  der  inneren  Einrichtung 
sind  nennenswerth :  2  Cupolofen-Anlagen  zum  Umschmelzen  des  Roheisens 
mit  3  Oefen  und  2  Wassertonnen-Aufzügen;  dann  ein  grosser  freistehender 
Drehkrahn  von  80  Metercentner  und  2  Laufkrähne  von  40  und  60  Meter- 
centner Tragfähigkeit.  Pur  die  Rohrgiessereien  sind  besondere  Krahnvor- 
richtungen  vorhanden.  Ausser  drei  doppelten  Gussgruben  für  Rohre  i>t 
noch  eine  tiefe  Gussgrube  für  Säulen-  und  Walzenguss  vorhanden.  Das  \\  erk 
hat  ferner  2  Tiegelöfen  für  Mctallguss  und  2  Temperöfen  für  Hartgussräder. 
Es  würde  zu  weit  führen,  alle  technischen  Vorrichtungen  einzeln  zu 
nennen;  es  sollte  nur  gezeigt  werden,  was  in  kurzer  Zeit  geschaffen  wurde. 
Die  Giesserei  ist  ungemein  beschäftigt,  und  es  lohnt  eine  Aufzählung  ge- 
wisser Arbeiten,  weil  sie  einen  Hegriff  von  anderen  industriellen  Anlagen 
im  Lande  geben,  die  entweder  schon  geschaffen,  oder  noch  im  Werden 
begriffen  sind.  So  fabrizirte  man  hier  die  Wasserleitungsrohre  für  die 
Saline  in  Dolnji-Tuzla,  die  Säulen  der  neuen  Travniker  Tabakfabrik,  die 
Rohre  für  das  Kohlenwerk  in  Zenica  und  für  die  Soda-  und  Ammoniakfabrik 
in  Bukinje,  die  Laternenträger  für  die  Bahnstrecken  Lasva-Travnik,  Travnik- 
Bugojno  etc.     Zum  Fein-  und  Kunstguss  der  Hütte  gehören  die  Balkonträger 


—     4." 


des    Touristenpavillons    in   Jezero,    die   Geländerstäbe    für    das   Sarajevoer 
Rathhaus  u.  s.  w. 

Der  dritte  Betrieb  des  Werkes  ist  die  Maschinen-Werkstätte,  die  sich 
bereits  zu  einer  Maschinenbau-Anstalt  entwickelt  hat.  Sie  beschäftigte  im 
fahre  1894  fünfzig  Arbeiter.  In  Verbindung  damit  steht  eine  Modell- 
tischlerei, eine  Modellir-  und  Ciselir-Werkstätte.  Trotz  der  kurzen  Zeit 
ihres  Bestandes  hat  die  mechanische  Werkstätte  schon  tüchtige  Leistungen 
aufzuweisen.  Die  in  der  Posavina  verwendeten  Cazenille'schen  Zwetschken- 
Dörröfen  wurden  sammt  den  nöthigen  Montirungsarbeiten  hier  erzeugt,  da 
die  .Werkstätte    auch   Kesselschmiede    und   Bördelarbeiten    auszuführen    in 


-      ^fc 


Altbosnisches    Eisenwerk    (Majdan)    hei  Varel. 
(Hammerwerk.) 

der  Lage  i-t.  Ferner  lieferte  sie  noch  komplette  Radsätze  und  ganze 
Sägewerks-Einrichtungen,  Armaturen  für  das  Kupferwerk  Sinjako  etc.  Zu 
den  Hauptanlagen  de-  Werkes  gehört  noch  ein  1  Kilometer  höher  an  der 
Stavnja  gelegener  grosser  Kohlenbarren  mit  einem  Fassungsraume  von 
24000  Kubikmeter,  der  mit  dem  Werke  durch  ein  Geleise  verbunden 
ist,  wahrend  hei  dem  Hochofen  selbst  zwei  kleine  Kohlenbarren  zu  je 
1200   Kubikmeter   Inhalt  sich   befinden. 

Das  Frisch-  und  Hammerwerk  Dabravina  kann  als  vierter  Betrieb  des 
Hüttenwerkes  Vai         elten.     Es  liegt   1272  Kilometer  von  diesem  entfernt, 
dort,    wo   die  Stavnja  aus   ihrem   Defile    heraustritt   und    sich   ihr  Thal    lang- 
sam  gegen    die  Bosna   zu    weiten   beginnt.     Maassgebend  war  für  die  Wahl 
<<(■-    drr    grössere    Bedarf   an   Wasser    für    den    Betrieb.      Das 


1 1 


kleine   Werk    besteht    aus   einem 
äumigen    Hauptgebäude    mit 
Kohlenbarren,    der    einen    Fas 
sungsraum  von  700  Kubikmeter 
hat,  und  Arbeiterwohnungen.    In 
der  I  Hute  sind   zwei   Frischfeuer 
und    ein    Vorwärmeofen    im    Be 
triebe,    in    denen    das   in    Vares" 
erblasene   lückige  Roheisen  mit- 
telst des  Grobhammers  und  eines 
...  s"llv       Streck-  und  Zeughammers  zu  ver- 
/'      schiedenen  Schmiedewaaren  ver 
arbeitet  wird.      Diese   Hütte   soll 
bedeutend  erweitert  und  zur  Her- 
stellung von   Pflügen,   Schaufeln. 
Krampen   und  Zeugwaaren   aller 
Art  eingerichtet  werden,  wahrend 
Frau  aus  der  Gegend  von  Zenica.  der   grössere    /-eug-  und    Streck- 

hammer zur  Erzeugung  von 
Schraubstöcken,  Ambossen.  Sperrhornen,  Schiffsankern,  von  Transmissions- 
wellen, Achsen,  Kurbeln  und  geschmiedeten  Maschinentheilen  bestimmt 
bleibt.  Um  Pflugbleche  erzeugen  zu  können,  wurde  ein  mit  Generatorgas 
geheizter  Glühofen  erbaut. 

Wie  erwähnt,  hat  der  immer  grösser  werdende  Betrieb  des  1  [üttenwerkes 
zur  Anlage  einer  ganz  neuen  Stadt  geführt.  Amts-  und  Administrations- 
gebäude, Arbeiterhäuser,  Magazine,  Laboratorium,  Spital.  -  alles  wachst 
aus  dem  Boden.  Für  die  Bevölkerung  von  VareS  und  die  der  ganzen 
unwirklichen  Berge  ringsum  ist  die  plötzlich  im  Stavnjathale  erblühende 
Grossindustrie  zu  einem  wahren  Segen  geworden.  Die  Haltte  der  Leute 
lebt  direkt,  die  andere  indirekt  von  ihr.  Von  den  alten  »Kalamas  findet 
man  kaum  eine  noch;  ihr  letzter  Abstich  war  gekommen  und  man  hat 
die  stürzenden  nicht  mehr  aufgebaut.  Aber  in  den  Maidans  wird  fleissig 
gearbeitet.  Sie  beziehen  jetzt  das  fertige  Roheisen  von  dem  Hüttenwerk 
und  dies  kommt  ihnen  unvergleichlich  billiger  zu  stehen,  als  truher,  wo 
Jeder  für  sich  das  Erz  gewann  und  schmolz.  Sie  hämmern  nach  wie  vor 
die  landesüblichen  Hufeisen  und  Hufnagel,  Stielpfannen  und  Deckel,  jetzt 
auch  Schienennagel.  Sie  schmieden  alle-  sauber  und  schon,  mit  jener 
.Sorgfalt,  welche  den  bosnischen  Arbeiter  auszeichnet,  und  obwohl  alles 
Handarbeit  ist,  sind  die  Gegenstände  wegen  der  unendlichen  Genügsamkeit 
des  Lrzeugers  konkurrenzfähig.  So  hat  der  flammende  Widerschein  de 
Hochofens  neues  Leben  in  die  dunkeln  Schluchten  der  Stavnja  gebracht, 
hoffentlich  bringt  er  für  immer  (duck  und   Wohlstand 


-     45 


Von  Vares  kann  man  in  sehr  bewaldeter  Gegend  nach  Dubostica 
gelangen,  wo  Chromerz  gewonnen  wird.  Die  Bosnabahn  aber  führt  von 
l'odlugovi  weiter  nach  Yogosca,  wo  sich  eine  22,5  Kilometer  lange  Montan- 
bahn zu  dem  in  Privatbesitz  befindlichen  Manganbergwerke  Cevljanovic  bis 
Ivancici  abzweigt.  Es  dürfte  nicht  uninteressant  sein,  gleich  hier  zu  er- 
wähnen, dass  seit  dem  Jahre  1880  ununterbrochen  weitere  Schürfungen  im 
Lande  vorgenommen  wurden  und  zwar  auf  Gold  bei  Travnik,  auf  Blei  und 
Silber  bei  Srebrenica,   Ljubija  und  Borovica,   auf  Ouecksilber  und  Antimon 

V 

bei  Fojnica  (Cemernica,  Pogorelica  und  Zec-Planina),  auf  Fahlerze  in 
Maskara,  bei  Gornji-Vakuf  und  Kresevo,  auf  Manganerze  bei  Ivanjska  und 
Konjica  und  auf  Chromerze  im  Krivajathale,  bei  Zepce  und  auf  der  Borja- 
Planina,  endlich  auf  Kohlen  in  der  Majevica  bei  ^ornja-Tuzla  und  bei 
Gacko.  Von  diesen  Schürfungen  stehen  zur  Zeit  im  Betriebe  jene  auf  Blei 
und  Silbererze  bei.  Ljubija,  auf  Fahlerze  in  Maskara  und  auf  Kohlen  in  der 
Majevica  und  bei  Gacko. 

Wir   verlassen    mit   der   Bahn    den  [Eisen distrikt;    zum    ersten 

Male  wird  vom  Zuge  aus  der  hohe  Trebevic  hinter  Sarajevo  sichtbar;  wir 
passiren  noch  einige  freundliche  Dörfer,  sehen  das  griechisch-orientalische 
Priesterseminar  Reljevac  rechts  liegen  und  dann  breitet  sich  vor  unserem 
Blicke  das  stundenlange  Sarajevskopolje  aus,  begrenzt  vom  Igman,  an 
dessen  Fusse  die  Bosna  entspringt,  der  Bjelasnica,  dem  Trebevic,  dem  Hum 
und  im  Hintergrunde  mit  dem  Blick  auf  den  Pasin  Brdo.  Bosniens  Haupt- 
stadt selbst  sieht  man  freilich,  wenn  man  mit  der  Bosnabahn  anlangt,  nicht 
von  Weitem.  Man  geniesst  nicht  den  wundervollen  Anblick  der  von  der 
Ebene  auf  drei  Seiten  hoch  in  die  Berge  ansteigenden,  von  100  Minareten 
überragten  Stadt,  die  von  der  Festung  (dem  Kastell)  im  Hintergrunde  ge- 
krönt wird.  Den  vollen  Eindruck  erhält  man  nur,  wenn  man  auf  der 
Poststrasse  von  dem  reizenden  Badeorte  Ilidze  durch  das  Sarajevskopolje 
sich  Sarajevo  nähert.  Aber  auch  bei  der  Bahnfahrt  längs  der  weiten  Ebene 
bemerkt  man  die  Nähe  der  grossen  Stadt.  Ueberall  Landhäuser  in 
türkischem  Stile.  Sommerfrischen  mohammedanischer  Grossgrundbesitzer, 
dazwischen  europaische  Gebäude  und  neue  Anlagen.  Auf  den  Fahrstrassen 
lebhatter  Wagenverkehr,  daneben  ganze  Karawanen  von  Tragthieren,  be- 
laden mit  allen  möglichen  Waaren,  mit  Erzeugnissen  des  Feld-  und  Garten- 
baues. Die  Volkstrachten  werden  immer  mannigfaltiger  und  bunter,  auch 
Frauen  sind  in  grösserer  Anzahl  zu  sehen,  zum  Theil  schon  türkische 
Hanums  in  Feredschi  und  Jaschmak.  Endlich  hält  der  Zug;  es  ist  Mittag 
geworden,     wir    befinden    uns    auf  einem    grossen    europäischen    Bahnhofe, 

in    unbeschreiblich  reges  Treiben  herrscht.    Es  beginnt  der  erste  Schritt 
ins     goldene  Bosna-Saraj   . 


^P 


m 


Sarajevo. 


nmuthiges  Sarajevo!   wie  ein  Diamant  aus  der 
'wjS0         i     1  Umfassung  von  Smaragden   liebst  du  dich 

Ü     \Jk        aus  dem  Grün  der  Ebene  zu  dem   deiner 
Berge    empor!«      Es    giebt    nicht    bald 
eine  schönere   Lage,    als   sie    Bosniens 
Hauptstadt  bietet.     Von    allen    Seiten    ist    sie 
gedeckt;    durch    den    Hum    und  Gradanj  im  Norden. 
den    Mab'    Orlovac    und    die    Hrastova     Glava     im 
Osten,  die  Kapa,    den   Dragulac  und  den  Debelo   Brdo 
im    Süden.       Hinter    diesen     Kuppen     erhebt    sich    das 
Gebirgsmassiv  des  Trebevic,    Sarajevo    förmlich  abschliessend,  sodass  meist 
nach   Südosten,   nach  den  türkischen    Ländern,   nur   ein    schmaler   Reitweg 
als    Verbindung    übrig    blieb,     der    sich    in    schwindelnder   Höhe    an    den 
Hangen   des  Trebevic,   auf  einer  Seite    begrenzt  von  dem  steil  abfallenden 
Flussbette    der   Miljacka,    hinzog.      Das    änderte    sich  im   Laufe  der  Zeiten 
so    weit,    dass  die  Häuser  sich  auch  nach  der  Ebene  im  Westen  hin    aus- 
dehnten,   aber   nie  weiter,    als    sie    noch    direkt   von  den   Gebirgen  flankirt 
and    gedeckt   wurden.     Heute    ist   das    ganz    anders.     Wenn  man   aus  dem 
Bahnhofsgebäude    tritt,     glaubt    man    sich    in    einer  modernen,   erst   im   Hau 
begriffenen  Stadt,   mit  wenig  Anklängen   an   den   Orient.     Der  Bahnhoi  der 
Bosnabahn    liegt   weit    draussen    vor  der  Residenz,   dort  wo  sich  noch   vor 
wenigen   Jahren   Wiesen    und    Felder   ausdehnten,   wo    an    der   Landstrasse 
nur  vereinzelte  Kaffeebuden    oder  einige   Bauernhauser  in   den  Zwetschken 
gärten    von   Pofalic    vorhanden     waren.      Heute    hat   der      Zug    nach    dem 
Westen«    hier   eine    fabelhafte    Ausdehnung   gewonnen.      Fürs    Erste    ist  für 
Fahrgelegenheit  gesorgt,     kaue  elektrische  Bahn  fuhrt  bis  ins  Herz  der  Stadt 


—     47 


.    saubere    europäische    Fiaker    harren    in   grosser 
nden,  die   Omnibusse  mehrerer  Hotels  warten  auf  Kund- 
in!  nur  von  Brod  aus  manchmal  ein  fremder  Reisender 
mit  der  allwöchentlich  verkehrenden  österreichischen  Post,  oder 
I     men  in  den  landesüblich  gewesenen     Arabas    mit  vorsündfluth- 
H         idern.     Sonst    vollzog   sich  der  Fremdenverkehr  zu  Pferd  und 
halbwegs  abendländischen  Begriffen  entsprechendes 
mich  Griechen   geleitet,  stand  au!  der  Stelle,   wo  sich  heute  das 
Hotel   Europe«    in  der   Franz  Josef-Strasse   erhebt,    sonst   waren 
nur  türkische  Hans  (Einkehr- Wirthshäuser)  vorhanden,  die  an  Bequemlichkeit 
nlichkeit  viel  zu  wünschen  übrig  Hessen.     Auf  die  dazu  gehörigen 
Stallungen  wurde  mehr  gesehen,   als  auf  die  Behausung  der  Menschen,   und 
nur  in   <\cn  gegenwärtig  nicht  mehr  vorhandenen,  dem  abgebrannten     Ta'di- 
m    und  dem     Makedonski  Hau«,   gab  es  besondere  nume- 
imer   für   tue    Gaste.     Sonst    machten    es  sich  alle  gemeinsam  auf 
den  -     ten    der    Wände    eines    Zimmers    einnehmenden    Minderluks 

eine  Pritschen,   mit  einem  Teppich  oder  einer  Decke  bedeckt)  bequem, 
•/eng  musste  jeder  Reisende  selbst  sorgen,  wie  es  ja  noch 
in  weiten  Gegenden   des  Orients  und  auch  in  abgelegeneren  Theilen 
und  der  Hercegovina  üblich  ist.     Gegenwärtig  findet  der  Reisende 
.•lbe  angenehme  Unterkunft  wie  in  allen  Hauptstädten  Europas;  »Hotel 
ten  Ranges),     Kaiser  von  Oesterreich«,    »Austria«,    »Radetzky 
und  dene    kleinere    Wirthschaften    befriedigen    alle   Ansprüche  und 

hiedensten  Klassen.     Für  des  Leibes  Nahrung  und 
vird   nicht  mehr  in  den   nach  der  Strasse  zu  offenen   Gar- 
mdern   in   guten   Restaurationen   und   Bierhäusern  gesorgt. 
Haben  wir  den  Bahnhof  der  Bosnabahn  verlassen,  so  bleiben  wir  zuerst 
n   Theil,  stets  auf  dem  rechten  Ufer  der  Miljacka  (der 
he    die   gesammte   Stadt   durchzieht   und   die   von  sieben 
theils  eisernen   Brücken   im  Stadtgebiet  überspannt   wird, 
i  infang  von  32  Hektaren  fassende  Militär-Baracken- 
Baumgruppen    und    Gartenanlagen,    dann    rechts    die 
abrik    mit    dem    Direktionsgebäude,    grossen    Werkstätten 
den    hier   Hunderte    von    einheimischen    Madchen 
der  Fabrik    nach  eingeholter  Erlaubniss 
ehl   das  Direktionsgebäude  der  Bosnabahn 
nüber  links  das  Militärspital  und  da- 
erspital.    Hier  ist  schon  Kampfterrain, 
r    Kaffees   und  Wirthshäuser  steht,  tobte 
ipf  am  heftigsten.    Wir  überschreiten 
h  auf  einer  Brücke  und  befinden  uns 
Punkte  unter  mächtigen  Luiden.     Halb 


Landesregierungs-Palais    i  n    Sarajev 


\<.T( lockt  von  ihnen, 
am  murmelnden 
Bache,  erhebt  sich 
die  Ali  Pascha- 
Moschee.  1  [ier  war 
erbittert  gekämpft 
worden. 

Und  immer  über- 
raschender wird  das 
Bild.  Auf  dem  alten 
Musallah-Platze  er- 
hebt   sich    der    in 

vornehmem 
Renaissancestil    er- 
baute     Palast     der 

Landesregierung,  daneben  ein  zweites  neues  grosses  Amtsgebäude  mit  der 
Regierungsdruckerei.  Gegenüber  zieht  sich,  eine  steile  Berglehne  hinan. 
(ier  Stadtpark,  einstmals  ein  weiter  türkischer  Friedhof.  Die  Grabsteine 
sind  auch  jetzt  noch  unter  üppigem  Grün  und  im  Gebüsch  verborgen. 
Erst  beim  weiteren^  Vordringen  in  die  Stadt  tritt  der  Orient  wieder  in 
>eine  Rechte.  Da  stehen  neben  europäischen  Ilausern  solche  türkischen 
Stiles,  eine  Moschee  inmitten  eines  pittoresken,  aber  verwahrlosten  türkischen 
Friedhofes,  und  von  Mauern  umschlossen  lugt  aus  einem  Garten  das  von 
der  englischen  Philanthropin  Miss  Irbv  geleitete  Waisenhaus  für  bosnische 
Mädchen  —  eine  Schöpfung  aus  osmanischer  Zeit  —  hervor.  Ein  Blick 
auf  den  Strassenverkehr  zeigt  jedoch  das  echt  morgenländische  Volker- 
und  Trachtengemisch.  Darin  hat  sich  Sarajevo  das  Gepräge  einer  orien 
talischen  Stadt  bewahrt.  Noch  heute  sieht  es  hier  viel  türkischer  aus  als 
in  Sofia  und  Philippopel;  noch  immer  überwiegt  die  Landestracht;  Turban 
und  Fez  haben  den  Vorzug,  Feredschi  und  Jaschmak  der  moham- 
medanischen Frauen  sind  in  den  Strassen  häufig,  trotz  der  stets  überhand- 
nehmenden europäischen  Frauenkleidung.  Diese  hat  die  meisten  Er- 
oberungen gemacht.  Die  bosnischen  Serbinnen  und  Kath  »likinnen  der 
besseren  Stande  legen  selbst  das  so  kokett  auf  den  dunkeln  Ilaaren  sitzende 
Fez  theilweise  ab  und  setzen  wahre  Ungethüme  von  Hüten  auf,  unter  denen 
ihre  eigenthumliche  Schönheit  gar  nicht  zur  Geltung  kommt.  Nur 
Mohammedaner  bleibt  der  Tracht  seiner  Väter  treu  und  auch  an  den  jüdischen 
Damen  spanischer  Herkunft  ist  dieser  schöne  konservative  Zug  zu  beobachten. 

Am  Ende  der  Cemalusa- Strasse,  die  wir  bisher  verfolgt  haben,   bi 
wir  rechts  in   die  Franz  Josef- Strasse  ab,   die  gegenwärtige  Hauptverkehr- 
ader der  nichtbosnischen  Bevölkerung.     Hier  erblicken  wir  zuerst  das  schöne 
kk.  Militär-Casino,   in  dem  während  des  Winters  Conccrte,   Balle  und  andere 

4 


49     — 


gesellige  Unterhaltungen  stattfinden.  Ein  hübscher  Garten,  der  sich  bi- 
zur  Miljacka  ausdehnt,  bietet  im  Sommer  bei  Miütärmusik  einen  an- 
genehmen Zusammenkunftsort  der  eleganten  Welt.  In  unmittelbarer  Nach- 
barschaft steht  der  imposante  Bau  des  Obergymnasiums  und  der  Präpa- 
randie,  die  leuchtenden  Zeugen  der  neuen  Kulturära.  Unfern  links  erhebt 
sich  der  massive,  aber  im  Ganzen  wenig  Interessantes  bietende  Kuppelbau 
der  griechisch-orientalischen  Kirche.  Durch  die  Rudolfsgasse  links  abbiegend 
befinden  wir  uns  nach  wenigen  Schritten  vor  dem  katholischen  Dom,  einem 
mächtigen  Steinbau  im  romanisch -gothischen  Stil.  Die  beiden  hohen  Thürme 
spitzen  sich  pyramidenförmig  zu,  die  beiden  rückwärtigen  Oratorien  sind 
mit  Eckthürmchen  versehen.     Das  Innere  ist  dreischiffig,  das  Sanctuarium 


LandesmuseuiD     und    katholische     Kathedrale     in    Sarajevo. 

schliesst  achteckig  ab.  Die  drei  Schiffe  sind  durch  je  vier  von  Säulen  ge- 
tragene Bogenöfifnungen  getrennt.  Der  Dom  wurde  1889  eingeweiht.  Die 
alte  katholische  Kirche  in  türkischer  Zeit  stand  in  einem  Hofe  im  so- 
genannten Latinluk  —  im  katholischen  Viertel  -,  dicht  an  der  Miljacka. 
Von  aussen  verrieth  die  umschliessende  Mauer  keineswegs  die  Bedeutung 
des  Gebäudes  und  das  niedrige  Kirchlein  bot  nur  spärlichen  Raum.  Da 
kam  der  furchtbare  Brand  des  Jahres  1879  und  mit  ihm  sank  auch  das 
Heiligthum  der  Katholiken  in  Asche.  Es  wurde  dann  neben  dem  so- 
genannten neuen  Konak  ,  der  Wohnung  des  Landeschefs,  auf  dem  Platze. 
wo  bis  dahin  der  alte  Konak  gestanden,  eine  kleine  Kirche  errichtet,  die 
auch  jetzt  noch  benutzt  wild. 


50    — 


Neben  dem  Dom  links  befindet   sich   das    ausgedehnte  Gebäude    des 
Pensionsfonds   der  bosnisch-hercegovinischen    Landesbeamten,    in    welchem 
das  Postamt  und  das  Landesmuseum  untergebracht  sind.    Das  für  Fremde 
stets,    für    Einheimische    dreimal    in    der    Woche    geöffnete    Museum    (für 
mohammedanische  Frauen  ist  ein   eigener  Besuchstag   eingeführt)    entstand 
aus  ganz  kleinen  Anfängen,   aus  einem  privaten  Museums  verein,  der  auf  An 
reo-uno-  des  sremeinsamen  Reichs-Finanzminister.s  v.  kallav  durch  Dr.  Makanc 
o-eeründet   wurde.     Gegenwärtig    ist    das  Museum    eine   der   ersten   Sehens- 
würdigkeiten,   und    die    1894   beim    Archäologcnkongrcss    in   Sarajewo    ver- 
sammelt   gewesenen    fremden   Gelehrten     haben    dieses  Zeugniss    in    allen 
Sprachen  bestätigt.     Dank  der  türkischen   Besetzung  des  Landes  blieb  die 
Erde  Bosniens,   über  die  unzählige  Völkerstürme   mit  ihrer  Kultur  im  Laufe 
ehr    Jahrtausende    dahinbrausten,    bis    in    die  jüngste   Zeit  jungfräulich    un- 
berührt.    »Hätte  Allah  wollen,  dass  die  Schätze  des  Innern   gehoben  werden. 
so  hätte  er  sie  auf  die  Oberfläche    gelegt, <?   sagt  der  Osmanli,    und    darum 
wurde  bis  vor  Kurzem  der  Bergbau   in   der  Türkei  nur  unter  den  grössten 
Schwierigkeiten  gestattet.     Ein  Aufwühlen    der  Erde    nach      alten  Sachen 
kennt  der  Mohammedaner  überhaupt  nicht,   es   müsste  sich  denn  um  einen 
vergrabenen  Schatz  handeln,    und    nur    in  Aegypten    sind   die  Araber   und 
Fellachen    zu    selbstständigen    Ausgrabern    geworden.     Bosniens    Boden    ist 
aus    diesen   Gründen    eine    unerschöpfliche  Fundgrube    für    Entdeckung 
aus   allen  Perioden.     Wir   wollen    gegenwärtig    nicht    auf   die    neolithischL;: 
Ausgrabungen  in  Butmir  und  Sobunar,   auf  diejenigen   in  Jezerine  u.  s.  v 
eingehen,   auch   nicht  auf  die  einzig  in  der  Welt  dastehenden  Aufdeckungen 
auf    dem   Gräberfelde    der   Hochebene    Glasinac,    wo    noch  Tausende   und 
Abertausende    vorgeschichtlicher  Graber    der    Oeffnung    harren.      Gelehrte 
Federn    haben    hierüber    lange    Abhandlungen     geschrieben     und     auf    - 
Manches    werden    wir    im    Laufe    unserer    Reiseschilderungen    umfassender 
zurückkommen.     So  viel    ist  gewiss,     dass    Bosnien   noch   durch    viele   Jahr 
zehnte    der  Wallfahrtsort   für   sämmtliche   Alterthumsforscher   bleiben    wird. 
Und   was  entdeckt  wurde,    ist  erst    ein  verschwindender  Bruchtheil    dessen, 
was   im  Lande  zu  finden  ist.      »Wo  Du  es  anrührst,    ist  es  interessant,   unter 
jeder  Scholle  findest  Du  eine   neue   Kulturschicht,«   könnte   man   angesichts 
der  steten  überraschenden  Entdeckungen   sagen,   die   hier  gemacht   werden. 
Von  allen   diesen  Schätzen  giebt  das  Landesmuseuni   einen    umfasset - 
den    Begriff".      Einst   aus   vier    Zimmern    bestehend,    nimmt    es    heute   schon 
das  Zehnfache    ein,  '  und    es     ist    zu    hoffen,    dass    der    Bau    eines   eigenen 
Museums  nicht  mehr  lange  auf  sich  warten   lässt.      Das  Landesmuseum  be- 
steht aus  zwei  Abtheilungen:   der  archäologisch-historischen   und  der  natur- 
wissenschaftlichen.    Die    erstere    gliedert    sich    in    die    prähistorische,    die 
römische,     die    mittelalterliche,     die    Münzen-,     Gemmen-    und   Siegelsamm- 
lung,   wie    in    die  ethnographische   Sammlung.     Die     naturwissenschaftliche 

—    51     — 


Türkische,    in    Sarajevo    geprägte 
Nothmünze  aus   Kupier    'Mangura  . 


Abtheilung  theilt  sich  in    die  anthropo 
logische,die  zoologischen,  die  botanischen 

und  die  mineralogisch  -  geologischen 
Sammlungen.  Aus  der  reinen  Bronze- 
zeit sind  Funde  aus  dem  Ramathale. 
aus  Tesanj,  Maglaj  etc.  besonders  be- 
merkenswerth,  dann  diejenigen  aus  der 
Hallstätter  Periode,  die  Tausende  von 
Funden  aus  den  Tumuli  von  Glasinac, 
die  aus  der  La-Tene-Zeit  etc.  Wenn 
auch  die  Sammlung  römischer  Alterthümer  an  Zahl  der  Gegenstände 
hinter  der  prähistorischen  Sammlung  zurücksteht,  so  bietet  sie  dennoch 
ein  übersichtliches  Bild  der  Kulturverhältnisse  des  Landes  zur  Zeit  der 
römischen  Herrschaft,  wo  Bosnien  eine  der  Hauptverbindungsadern  nach 
den  unteren  Donaugegenden  und  nach  dem  Goldenen  Hörn  bildete.  Die 
römischen  Strassenzüge  in  Bosnien  sind  vom  Baurath  Philipp  Ballif  in 
einem  umfangreichen  Werke  nach  seinen  eigenen  Erhebungen  und  Er- 
forschungen dargelegt  worden.  (»Römische  Strassen  in  Bosnien  und  der 
Herzegowina«  von  Philipp  Ballif,  bosn.-herzeg.  Baurath,  Wien,  Carl  Gerold.) 
Die  Münzensammlung  verleiht  dem  Museum  einen  besonderen  Werth.  Mit 
Ausnahme  einer  im  17.  Jahrhundert  in  Sarajevo  geprägten  türkischen  Noth- 
münze  und  der  während  der  Regierung  der  bosnischen  Baue  und  Könige 
geprägten  Münzen  war  das  Land  von  jeher  auf  den  Gebrauch  fremden 
Geldes  angewiesen.  Neben  den  sehr  seltenen  bosnischen  und  sonstigen 
südslavischen  Münzen  finden  sich  aber  auch  äusserst  werthvolle  Stücke 
der  Republik  Ragusa,  und  bei  Krupa  fand  man  karthagische  Münzen  von 
bedeutendem  numismatischen  Werthe.  Neben  den  zoologischen,  botanischen 
und  geologischen  Sammlungen  möchten  wir  aber  den  höchsten  Werth  auf 
die  ethnographische  Sammlung  legen,  die  nicht  nur  das  Volksleben  in 
Bosnien  und  Hercegovina,  sondern  auch  das  der  übrigen  Balkanländer  in 
lebensgrossen  Typen  in  naturgetreuer  Darstellung  zeigt,  ausserdem  aber 
die   Eigentümlichkeiten   der  Wohnungen   wiedergiebt. 

Es   ist  unmöglich,   auch   nur  einen  Begriff  von  der  Reichhaltigkeit  de.- 
Museums    zu    geben;    es    müsste    ein   Katalog    abgeschrieben    werden,    der 
schon   am   nächsten  Tage  lückenhaft  wäre,   denn   nicht  täglich,   nein  stünd- 
lich   mehren    sich    die  Schatze,     die   Bosniens   Boden    nach   Sarajevo    liefert 
Das   Museum    allein    ist   eine  Studienreise    werth.      Das  Sammeln    in  einen; 
Lande,    wo    die   Schätze    förmlich    auf  der  Strasse   liegen,    wäre    aber   noch 
nicht   das    Bemerkenswertheste.     Erstaunenswerth    ist   es   dagegen,    dass    in 
einer  ehemal-  türkischen  Provinz,   die  vier  Jahrhunderte  für  die  europaisch. 
Kultur  verschlossen     war.    eine    wissenschaftliche   Zeitschrift    erscheint,    die 
sich  ahnlichen   Veröffentlichungen  in  den   vorgeschrittensten  Ländern  kühn 


an  die  Seite  stellen  kann.  Der  »Glasnik  zemaljskog  muzeja  u  Bosni  i 
Hercegovini  erscheint  seit  [888  und  er  bietet  eine  Fülle  wissenschaftlichen 
Materials  mit  vorzüglichen  Abbildungen,  das  auch  den  nicht  Südslavisch 
verstehenden  Gelehrten  durch  eine  deutsche  Uebersetzung  zugänglich  ge- 
macht wird,  von  der  einstweilen  vier  Bande  vorliegen.  Leiter  dieses  Unter- 
nehmens und  Direktor  des  Landesmuseums  ist  Hofrath  Konstantin  Hörmann 
(auch  Ehrenmitglied  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Berlin  und  vieler 
anderer  gelehrter  Gesellschaften  Deutschlands),  Kustos  Dr.  Giro  Truhelka 
und  für  die  naturhistorische   Abtheilung  Kustos  Othmar  Reiser. 

Da  fast  alle  fremden  Reisenden  die  Bekanntschaft  des  Museums- 
direktors machen  werden,  ziemt  es  sich,  diesen  gleich  hier  vorzustellen. 
Hörmann,  die  Vorsehung  des  Archäologentages«,  wie  ihn  Professor 
Dr.  Virchow  nannte,  ist  seit  dem  Beginn  der  Besetzung  des  Landes  in  Bosnien 
thätig.  Genau  vertraut  mit  der  Sprache  und  den  bosnischen  Verhältnissen, 
voll  Liebe  zum  Lande  und  Volke  erfüllt,  leistete  Hörmann  in  allen  Zweigen 
der  Verwaltung  die  erspriesslichsten  Dienste.  Dabei  arbeitete  er  ununter- 
brochen litterarisch  und  heute  bewegt  sich  seine  Thätigkeit  vorwiegend 
auflitterarisch-wissenschaftlichem  Gebiete.  Seine  umfassende  Mitarbeit  an  der 
Museumszeitschrift  nur  erwähnend,  muss  auf  ein  Werk  von  ihm  hingewiesen 
werden,  das  eine  Perle  der  südslavischen  Litteratur  bildet.  Es  sind  dies  die 
Volkslieder  der  Mohammedaner  in  Bosnien  und  der  1  [ereegovina  (  Xarodne 
pjesne  muhamedovaca  u   Bosni   i    Hercegovini  ,  sabrao  ECosta  Hörmann). 

In  diesen  Landern  ist  es  das  Volkslied,  das  jene>  Empfinden  zum 
Ausdruck  bringt,  welches  die  Bosnier  in  den  letzten  Jahrhunderten  der 
türkischen  Knechtschaft  bewegte  und  bestürmte.  In  den  Liedern  tritt 
wohl  auch  die  epische  Breite  der  serbischen  Dichtung  hervor,  aber  doch 
sind  sie  wesentlich  verschieden  von  denen  der  Serben.  Sie  athmen 
Freiheitsdrang  und  Freiheitslust,  sie  rufen  zum  Klampfe,  sie  jubeln  beim 
Sieg.  Und  dabei  sind  sie  doch  wie  die  Waldblumen,  die  in  den  dunkeln 
Waldern  und  Schluchten  ihrer  schonen  Heimath  blühen.  Wer  sich  an  ihrem 
Dufte  erfreuen  will,  muss  sie  aufsuchen,  er  muss  die  oft  schwer  zugäng- 
lichen Stege  "und  Wege  wissen,  die  ihn  zum  Liederschatze  des  Volkes 
führen.  Den  Schlüssel  zum  Herzen  des  mohammedanischen  Volkes  aber 
fand  und  besitzt  auch  heute  noch  Hörmann,  und  seine  Gattin  Olga 
giebt  einer  Menge  mohammedanischer  Madchen  Unterricht  in  allen 
wissenswerthen  Gegenständen,  um  auch  das  weibliche  Element  des  Islam 
einer  höheren  Kultur  entgegenzuführen.  Die  bisherigen  Ergebnisse  sind 
hocherfreulich,  und  die  jungen  Madchen  hangen  mit  Verehrung  an  der 
lieben  gebildeten  Dame,  die  das  Ideal  einer  Hausfrau  i>t.  So  wirkt  in 
Bosnien  der  gebildete  Beamte  mit  seiner  Gattin  als  Kulturträger,  und 
Oesterreich-LTngarn  hat  in  seiner  Kolonialarbeit  Erfolge  aufzuweisen,  die 
beispiellos   in  der  Geschichte  der  Besetzung  eine-   fremden  Landes  sind. 


—     53     — 


Aber  auch  auf  direkt  journalistischem  Gebiet  ist  Kosta  Hör  mann 
thätig.  Er  leitet  die  seit  Anfang  1895  erscheinende  grosse  illustrirte 
Zeitschrift  »Nada«,  ein  belletristisches  Blatt  im  Stile  der  Leipziger  »Illu- 
strirten  Zeitung«.  Wohl  giebt  es  in  Kroatien  und  Serbien  Familienblätter, 
die  sich  höchst  anständig  repräsentiren,  es  fehlte  aber  immer  noch  ein 
Organ,  das  sich  nur  mit  Angelegenheiten  der  südslavischen  Länder  be- 
fasste.  Das  ist  mit  Gründung  der  »Nada«,  die  in  lateinischen  und 
cyrillischen  Lettern  erscheint,  glänzend  gelungen.  Es  ist  ein  Vereinigungs- 
punkt für  die  Schriftsteller  südslavischer  Zunge  geschaffen,  in  der  sie  voll 
zur  Geltung  kommen,  und  die  Illustrationen  des  Blattes,  an  denen  u.  A. 
die  Deutschen  Gebrüder  W.  Leo  Arndt  und  Ewald  Arndt-Ceplin  grossen 
Antheil  haben,  sind  mustergiltig.  Und  dieses  Unternehmen  rief  die 
bosnische  Landesregierung  ins  Leben  !  Jene  Regierung,  die  in  den  Dele- 
gationen von  jungtschechischer  Seite  oft  die  heftigsten  und  ungerechtesten 
Angriffe  erfuhr.  Es  genügt  nicht,  Bosnien  im  Fluge  in  ein  paar  Tagen 
zu  durchreisen:  man  muss  das  Land  früher  gekannt,  man  muss  dort  gelebt 
und  immer  wieder  verkehrt  haben,  um  die  Fortschritte  feststellen  zu  können, 
die  auf  Schritt  und  Tritt  zu  bemerken  sind.  Dann  erst  wird  man  der 
riesigen  reformatorischen  Thätigkeit  des  Ministers  v.  Kallay  und  seiner 
Mitarbeiter  gerecht  werden. 

Ein  Blick  auf  die  litterarische  und  journalistische  Entwicklung  des 
Landes  bietet  überhaupt  sehr  viel  Interessantes.  Die  erste  Buchdruckerei 
entstand  1866  in  Sarajevo  als  Privatunternehmung.  Sie  wurde  kurze  Zeit 
nach  ihrer  Gründung  von  der  damaligen  türkischen  Regierung  angekauft 
und  in  eine  Vilajetsdruckerei  umgewandelt.  Im  selben  Jahre  begann  die 
Regierung  die  Herausgabe  einer  Amtszeitung  »Bosna«  in  türkischer  und 
bosnischer  Sprache,  die  bis  zur  Okkupation  einmal  wöchentlich  erschien. 
Im  Jahre  1866  erschien  in  Sarajevo  auch  ein  unabhängiges  politisches 
Wochenblatt,  unter  der  Redaktion  des  ungarischen  Staatsbürgers  Sopron. 
unter  dem  Titel  Bosanski  Vjestnik«,  das  nach  kaum  einjährigem  Bestände 
einging.  Im  Jahre  [869  entschloss  sich  Schacir  Efendi  zur  Herausgabe 
eines  offiziösen  politischen  Blattes  »Gjulseni  Saraj«  (Sarajevski  Cvjetnik). 
Dieses  Blatt,  in  dem  die  türkische  und  bosnische  Sprache  paritätisch  ver- 
treten waren,  erlosch  mit  dem  1872  erfolgten  Tode  seines  Herausgebers. 
Von  sonstigen  litterarischen  Erzeugnissen  aus  der  osmanischen  Periode 
sind  nur  einige  türkische  Salnames  (Kalender),  dann  einige  cyrillisch  ge- 
druckte Fibeln,  einige  kleine  Volkslieder-Sammlungen  und  eine  bosnisch- 
türkische Grammatik  erwähnenswerth.  Mit  der  Uebernahme  des  Landes 
in  die  Verwaltung  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  musste  ein  neues 
Amtsblatt  geschaffen  werden.  Es  entstand  die  »Bosansko-Hercegovacke 
Xovine  ,  die  zweimal  in  der  Woche  in  bosnischer  Sprache  mit  lateinischen 
Lettern  erschien,    bis   1^79  auch   cyrillischer  Text   dazukam.      [88]    wurde 


—     54 


der  Titel  in  Sarajevski  List«  verändert  und  das  Blatt  erscheint  auch 
heute   in    lateinischen  und   cyrillischen    Lettern.      Schon    im  Oktober    [878 

war  auch  ein  Unternehmen  in  deutscher  Sprache  ins  Leben  getreten,  eine 
zunächst  nur  für  Zeitungen  bestimmte  »Bosnische  Correspondenz<  (Heraus- 
geber H.  Renner  und  J.  Luhes).  Anfangs  autographirt,  dann  gedruckt, 
erschien  sie  fast  ein  Jahr  und  sollte  dann  in  ein  deutsches  Tagblatt  um- 
gewandelt werden.  Es  blieb  aber  bei  einer  Nummer  der  Okkupation«, 
da  die  Verhältnisse  für  ein  solches  Unternehmen  noch  nicht  genügend 
konsolidirt   waren.       Erst    am    1.   Januar    1SS4   gründete    Dr.    Makanec    die 

Bosnische  Post«  in  deutscher  Sprache,  die  Anfangs  einmal,  dann  zweimal 
in  der  Woche,  seit  Mai  1896  täglich  —  auch  in  einer  bosnischen  Aus 
gäbe  —  erscheint.  Sie  war  stets  vorzüglich  redigirt,  und  die  bosnische 
Schriftstellerin  Fräulein  Alilena  Mrazovic,  in  deren  Besitz  das  Blatt  nach 
dem  Tode  des  Dr.  Makanec  übergegangen  war,  verstand  es  meisterhaft, 
Text  und  Feuilleton  anziehend  zu  gestalten.  letzt  ist  Eigenthümer 
Joh.  Bapt.  Schmarda.  1883  regte  sich  das  journalistische  Leben  auch  in 
der  Hercegovina.  In  Mostar  erschien  ein  Lokalblatt  in  bosnischer  Sprache, 
der  »Bosiljak«,  der  in  den  Novi  hercegovaöki  Bosiljak  und  schliesslich 
in  »Glas  Hercegovca*  umgeändert  wurde  und  jetzt  zweimal  wöchentlich 
erscheint.  Im  April  1S85  begann  in  Sarajevo  das  politische  Wochenblatt 
>Prosvjeta«  in  cyrillischer  Schrift  unter  Redaktion  eines  Lehrers  zu  er- 
scheinen. Das  Blatt  stellte  sich  die  Pflege  der  Interessen  des  orthodoxen 
Elementes  zur  Aufgabe,  hörte  jedoch  schon  1888  zu  erscheinen  auf.  Lei- 
Wettstreit  auf  dem  Gebiete  des  Geisteslebens  bewog  einige  moham- 
medanische Notable  von  Sarajevo,  im  Jahre  1884  ein  politisches  Blatt  in 
türkischer  Sprache  und  Schrift  zu  gründen.     Es  erscheint  unter  dem  Titel 

Vatan  (das  Vaterland)  als  Wochenblatt.  Zur  Vertretung  der  speziellen 
Interessen  der  bosnischen  Mohammedaner  erscheint  seit  1891  auch  ein 
politisches  Wochenblatt  in  bosnischer  Sprache  und  lateinischer  Schrift. 
der   »Bosnjak«. 

Die  früheren  Zustände  und  der  Mangel  an  Buchdruckereien  im  Lande 
hatten  das  Aufkommen  einer  heimischen  Litteratur  fast  vollständig  unter- 
bunden, doch  gab  es  schon  einzelne  Bosnier,  die  auf  litterarischem  Ge- 
biete Hervorragendes  leisteten.  Nach  dem  aus  der  Hercegovina  stammenden 
Fra  Andrija  KaMc-Mio^ic,  dessen  Razgovori  ugodni  naroda  slovind<oga« 
eine  Perle  in  dem  Schriftenschatze  der  südslavischen  Völker  bilden,  erschien 
•'on  Fra  Jukic  unter  dem  Pseudonym  Slavoljub  Bosnjak  eine  Geschichte 
Bosniens  ( 1 85 1 )  und  eine  Sammlung  von  Erzählungen  au-  dem  bosnischen 
Volksleben  (1858)  in  Agram.  Ihm  folgt  als  Dichter  der  noch  lebende 
Franziskaner-Ordenspriester  Fra  Grgo  Martic,  dessen  epische  Dichtungen, 
besonders  »Osvjetnici«  (Die  Rächer),  zu  hohem  Ruf  gelangten.  Line 
eigenartige  Erscheinung  von  ganz  hervorragender  Bedeutung  tritt  zu  jener 


55     - 


Zeit  hervor,  nämlich,  dass  die  Bewohner  Bosniens  und  der  Hercegovina 
in  Folge  jahrhundertelanger  Abgeschlossenheit  in  urwüchsiger  Reinheit  ihre 
Sprache  erhalten  und  eine  unvergleichlich  reiche  Yolkspoesie  bewahrt 
haben,  die  später,  als  sich  die  Verbindungen  mit  den  stammverwandten 
Landern  besserten,  das  Grundkapital  zum  Aufbau  zweier  Litteraturen, 
der  serbischen  und  der  kroatischen,  lieferten.*) 


Panorama    vo: 
(Ansicht   \  o  n    \  >  ■  rc  \vi 


Vuk  Steianovic-Karadzic,  Vuk  Vrcevic,  Petranovic,  Gjuro  Danicic, 
Ljudevit  Gaj  nebst  vielen  anderen  Sprachforschern  und  Sammlungen  der 
Produkte  der  Volkspoesie  förderten  unermessliche  Schätze  gerade  aus 
diesen    zwei    Ländern    ans   Tageslicht    und   die   gehobenen   Schätze   gaben 


□    u  n '  1    die    Hercegovina    auf    der  Millenniums -Ausstellung   in    Budapest    ii 
Jahre    [896.        Herausgegeben  vom  Ausstellungsbureau  der  b.-h.   Landesregierung. 


5" 


der  Sprache,  deren  sich  die  serbische  und  kroatische  Litteratur  bedient. 
das  gegenwärtige  Gepräge.  Eine  schriftstellerische  Regung  im  Lande 
beginnt  in  grösserem  Mäassstabe  erst  nach  dem  in  seinen  Wirkungen  für 
das  Okkupationsgebiet  segensreich  gewordenen  Jahre  [882  durch  das 
rasche  Entstehen  von  Druckereien  und  Buchhandlungen.  Zuerst  wurden 
mehrere  kirchliche   Blätter,    dann    die      ßosanska    Vila      als   belletristisches 


1  a  r  a  j  e  v  o 
egen  Südost). 


Organ  gegründet,  sodann  der  an  anderer  Stelle  in  seiner  wissenschaftlichen 
Bedeutung  bereits  gewürdigte  »Glasnik  zemaljskog  muzeja  .  In  rascher 
Folge  erschienen  wissenschaftliche  und  volksthümliche  Werke,  ganz  ab- 
gesehen von  den  vielen  für  die  Schulen  erforderlichen  Lehrbüchern  und 
den  orientalisch-orthodoxen  Kirchenbüchern,  und  mit  dem  Erscheinen  der 
oben  erwähnten    illustrirten    belletristischen   Zeitschrift      Nada«    kommt   ein 


57     — 


mächtiger  Schwung  in  Bosniens  litterarisches  Leben.  Mohammedaner  be- 
theiligen sich  hervorragend  mit  Beiträgen;  Namen  wie:  Mehmed  Beg 
Kapitanovid,  Osman  Mazhar  Pascha  Cengic,  Savfet  Mirza  Beg  Basagic, 
gewinnen  einen  guten  Klang.  Und  jeder  Monat,  jedes  Jahr  bringt  neue 
Bluthen  der  bosnischen  Litteratur  auf  allen  Gebieten  der  Wissenschaft 
und  Belletristik. 


^c 


Leben  und  Treiben  in  der 
bosnischen  Hauptstadt. 

ine  vorzügliche  Gelegenheit  zu  vergleichenden  Studien 
bietet  sich  in  Sarajevo,  wenn  man  vom  Museum  nur  ein 
paar  Schritte  in  der  Ferhadija-Gasse  weitergeht.  Da  ist 
man  im  spaniolischen  Viertel  der  Carsija  —  des  allge- 
meinen Bazars  —  und  man  erhält  den  ersten  Eindruck 
von  Sarajevo  als  Verkehrsmittelpunkt.  Hier  weiss  man  erst,  was  das 
Handelsviertel  einer  grossen  orientalischen  Stadt  bedeutet.  Die  neuen  Strassen 
werden  in  Sarajevo  breit  angelegt,  macadamisirt  oder  gepflastert,  selbst  mit 
Trottoirs  zu  beiden  Seiten.  Kaufläden  nach  europäischer  Sitte  mit  weiten 
Schaufenstern  zeigen  die  Waaren  des  Abendlandes,  grosse  Wiener  Kaffee- 
häuser (Cafe  Ewrope,  Cafe  Kune-rth),  in  denen  alle  möglichen  Zeitungen 
aufliegen,  laden  zum  süssen  Nichtsthun  ein.  Nur  die  Carsija  hat  sich 
unverfälscht  erhalten.  Die  sechszig  und  mehr  Gässchen,  aus  denen  sie 
besteht,  sind  noch  echt  tür- 
kisch. In  den  niederen,  nach 
der  Strasse  zu  offenen  Läden 
(Ducans)  sitzen  die  Geschäfts- 
leute und  die  Handwerker  wie 
früher  mit  gekreuzten  Beinen 
und  warten  auf  Käufer,  ob- 
wohl die  Spaniolen  sich  auch 
theilweise  in  grosse  Läden 
anderer  Stadttheile  gezogen 
haben.  Die  Mohammedaner 
hegen  noch  immer  keinen 
Konkurrenzneid,  und  wenn  die 
verlangte    Waare     nicht     vor-  Strassenbild  aus  der  Carsija. 


59     — 


handen    ist,     wird    der    Käufer    freundlichst    an    den    Nachbar    verwiesen. 

V 

In  die  Carsija  hat  sich  übrigens  meine-  Wissens  noch  kein  fremder 
Geschäftsmann  als  Miether  eines  Gewölbes  verirrt.  Es  heisst,  er  würde 
auch  schwerlich  eines  erhalten,  denn  {hier  hat  der  Vakuf  seinen  Grund- 
besitz und  im  Bazarviertel  würde  der  mohammedanische  Kirchenfond 
nicht  dulden,  dass  sich  Eindringlinge  festsetzen.  Da  müsse  jeder  Miether 
einheimisch  sein,  die  Religion  bleibe  Nebensache.  Ich  weiss  nicht,  wie 
weit  diese  Annahme  begründet  ist,  glaube  eher,  dass  es  einem  euro- 
päischen Geschäftsmann  nicht  passt,  sich  in  die  kleinen  engen  Gelasse 
zu  setzen,  die  [keinen  Raum  zur  Entfaltung,  nicht  einmal  zum  ordent- 
lichen Stehen  bieten.  Aber  selbst  wenn  die  Gerüchte  begründet  wären, 
würde  ich  dies  der  Vakufverwaltung  nicht  verdenken.  Mindesten-  in 
den  gedeckten  Gängen  des  Besistan  —  der  grossen  steinernen  Verkaufs- 
halle —  müssen  das  heimische  Gewerbe  und  die  heimische  Industrie  einen 
Schutz  finden.     Für  die  nicht  bosnischen  Geschäftsleute  sind  die  Franz  Josef- 

V 

Strasse  —  die  einstige  Galata  Sokak  — ,  die  Cemalusa-,  die  Ferhadija-, 
Rudolf-  und  andere  Strassen  da.  Wo  früher  nur  die  Wohngebäude  wohl- 
habender und  reicher  Leute  standen,  da  reiht  sich  jetzt  Laden  an  Laden. 
Das  ist  nicht  mähr  orientalisch,  denn  in  einer  echt  türkischen  Stadt  ist 
das  Handelsviertel  ganz  abgeschlossen,  wie  sich  auch  die  Gewerbe  nach 
einzelnen  Gassen  scheiden.  Der  Orientale  wird  nie  sein  Wohnhaus  mit 
dem  Geschäftshause  verbinden.  In  ersterem  will  er  gänzlich  ungestört, 
Herr  seiner  selbst  und  seiner  Familie  sein.     Die  Geschäfte  vollzieht  er  in 

V 

seinem  Ducan  in  der  Carsija.  Dort  sitzt  er  von  früh  bis  zum  Sonnen- 
untergang, bis  der  Muezzin  vom  Minaret  Akschäm  verkündet.  Dann  schliesst 
er  seine  Bude  und  wandert  nach  Hause.  Im  Laden  aber  empfängt  er  auch 
seine  Bekannten,  hier  bewirthet  er  mit  schwarzem  Kaffee  Kunden  und 
Freunde,  hier  wartet  er  mit  Cigaretten  oder  Tschibuk  auf.  Ein  aus- 
gebreiteter Teppich  ist  sein  Ruheplatz,  im  Winter  tritt  ein  Mangal,  ein 
metallenes  Becken  mit  glühenden  Holzkohlen  hinzu,  über  denen  er  sich 
von  Zeit  zu  Zeit  die  Hände  wärmt.  Eine  Katze  ist  häufig  der  Gesellschafter. 
Er  hat  stets  Zeit,  auch  beim  Verkauf  drängt  oder  beeilt  er  sich  nicht,  und 
das  beschauliche  Leben  wird  nur  durch  die  Gebetzeiten  unterbrochen,  w  i  er 
die  vorgeschriebenen  Waschungen  vornimmt  und  in  die  nächste  Dzamija  geht. 

V 

Dabei  ist  es  nicht  etwa  [still  in  der  Carsija;  es  pulsirt  und  hastet 
volles  Leben,  und  an  Markttagen  ist  ein  Drängen  und  Stossen  in 
den  engen  Gassen,  das  schier  beängstigend  wird,  wenn  Tragthiere  mit 
ihren  Lasten  oder  Fuhrwerke  den  Verkehr  hemmen.  Das  Pflaster  ist 
schändlich,  durchwegs  runde,  abgeschliffene  Steine,  sogenannte  Katzen- 
köpfe, bald  hoch,  bald  niedrig,  ausgetretene  Gruben,  in  die  der  Fuss 
tikt.  Ganze-  Strassen  enthalten  nur  Gemüseläden.  Da  sind  Berge  von 
Melonen,    Gurken,    Paprika,    Melengani,    Zwiebeln,    Krautsorten    und   Obst 

—    60    — 


S   '/ 


Lastträger   (IIa  mal). 


aufgeschichtet,  in  anderen  wird 
das  Fleisch  immer  offen  auf 
der  Strasse  verkauft,  überall 
hängen  abgebalgte  Lämmer; 
dazwischen  ist  wieder  ein  Brot- 
laden, in  dem  der  türkische 
Bäcker  der  Ekmekdzlja  — 

die  ungesäuerten  flachen  Brote 
vor  den  Augen  des  Publikums 
bäckt,  dann  kommt  eine  Gar- 
küche, "der  ein  kleines  dunkles 
Kaflee,  in  dem  gleichzeitig  ein 
Barbier  die  Köpfe  rasirt.  Von 
Zeit  zu  Zeit  schreien  wandernde 
Verkäufer  mit  lautem  Gebrüll 
ihre  Waaren  aus,  Händler  mit 
Getränken  drängen  durch  die 
Menge  und  der  Kafedzia  eilt 
mit    der    kupfernen    Kaffeekanne    und    einzelnen    Tassen    zu    seiner   Kund- 

V 

schaft,  die  ihre  Läden  nicht  verlassen  kann.  Die  Carsija  ist  auch  der 
Sammelplatz  der  Strassenbettler,  wie  sie  früher  der  Hauptvereinigungspunkt 
für  die  zahlreichen  herrenlosen  Hunde  war,  die  jetzt  so  ziemlich  beseitigt  sind. 
In  den  Kaufläden  überwiegen  die  europäischen  Waaren.  doch  sind 
auch  noch  orientalische  Stoffe,  bosnische,  türkische  und  persische  Teppiche 
zu   finden.     Von   grossem  Reiz  ist  die  feine  bosnische  Leinewand,  die   so 

genannten  Bez-Gewebe  mit  Gold  und 
Silberfaden  oder  durchbrochenen, 
prachtigen  Mustern,  die  sich  schon 
im  Auslande  einen  Markt  verschafft 
haben.  Ausserdem  die  Tauschir- 
und Filigranarbeiten,  die  hübschen 
Kupfergefässe  und  -Schüsseln,  die 
Kaffeekannen  und  Services,  Räucher- 
behälter u.  s.  w.  Sie  werden  meist 
verzinnt  und  mit  den  reizendsten 
Mustern  und  Arabesken  verziert,  sie 
können  aber  auch  versilbert,  vergoldet 
oder  in  der  reinen  dunklen  Kupfer- 
farbe geliefert  werden.  Alle  diese 
echt  bosnischen  Erzeugnisse  sind  von 
so  eigenartiger  Schönheit,  mitsolchem 
Junger  Zigeuner   aus   Sara  künstlerischen  Geschmack  gearbeitet. 


—     61 


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dass  sie  jedem,  auch  dem  stolzesten,  Haushalt  zur  Zierde  gereichen. 
Messer  und  Scheeren  sind  in  verschiedenen  Läden  in  vorzüglicher  Güte 
gearbeitet;  sie  sind  oft  damascirt,  mit  ausgelegten  Klingen  und  Beingriffen. 
Die  Scheere  ist  die  lange,  schmale  mittelalterliche,  die  Fingerringe  auf 
Federn,  mit  konkaven  Schneiden,  wie  sie  derzeit  nur  noch  im  Orient 
und  in  Norwegen  gebräuchlich  ist.  In  Bosnien  wird  sie  im  alltäglichen 
Verkehr  bereits  durch  unsere  Muster  verdrängt.  Von  besonderer  Güte 
sind  die  bosnischen  Lederwaaren  für  den  täglichen  Bedarf,  die  mit  Stickereien 
verziert  werden,  wie  auch  die  einheimischen  Kleidungsstücke  geschmack- 
volle  Schnüremuster  aufweisen. 

Es  liegt  in  der  Natur 
der  Dinge,  dass  viele  der 
bisherigen  bosnischen  Ge- 
brauchsgegenstände ihre 
Formen  ändern  müssen, 
dass  sie  durch  auslän- 
dische Waaren  verdrängt 
werden.  Da  ist  es  nicht 
genug  anzuerkennen,  dass 
die  Landesregierung  we- 
nigstens so  viel  als  mög- 
lich dafür  sorgt,  das  Kunst- 
gewerbe zu  erhalten  und 
neu  zu  beleben  und  diesen 
Artikeln  weitere  Absatz- 
gebiete im  Auslände  zu 
verschaffen.      Das   ist    ihr 

besonders  mit  den  Erzeugnissen  der  Tauschirkunst,  den  Inkrustationen  mit 
Gold  und  Silber  auf  Holz,  mit  den  Arbeiten  der  Treibe-  und  Gravirkunstin 
Kupfer  und  Edelmetallen  gelungen.  Die  Landesregierung  errichtete  eigene 
kunstgewerbliche  Regierungsateliers  in  Sarajevo,  Foca  und  Livno,  in  denen 
die  alte  Kunst  erhalten,  gepflegt  und  auch  für  Gegenstände  des  modernen 
Gebrauches  praktisch  zur  Anwendung  gebracht  wird.  D  urchweg  sind  es 
n  )h  im  njclanische  Jünglinge,  die  von  den  alten  Meistern  in  ihrer  Kunst  aus- 
gebildet werden.  Die  schönen  Arbeiten  haben  auf  der  Gewerbeausstellung 
in  Wien,  wie  auch  in  Berlin,  Paris  und  London  viel  Beifall  gefunden, 
und  auf  den  alljährlichen  Weihnachtsausstellungen  bosnischer  Erzeugnisse 
in  Wien  finden  sich  Gegenstände  von  höchster  Vollendung,  von  zartester 
Eleganz.  Man  staunt  über  die  feinen  Formen,  die  reizenden  Farben- 
zusammenstellungen, die  geschmackvollen  Zeichnungen  auf  den  Y 
Bonbonnieren,  Kassetten,  Spiegel-  und  Photographie-Rahmen,  Staffeleien 
Paravents,    Lc>e-  und  Koranpulten,  den  Tellern,  Tassen,   Leuchtern,  Bürsten, 


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—  62 


] ;  e  g  i 

1  )  Z  ;i  | 

in 
ijevo. 


Cigarettenspitzen,      1  tut 

nadeln,  den  droschen, 
Doppelnadeln,  Manschet- 
tenknöpfen, Besteckkassetten, 
Tintenzeugen,  Sonnenschirmen. 
Mantelschliessen ,  Falzmessern, 
Schirm-  und  Stockgriffen,  den 
Fächern,  Tischen,  Tabourets, 
den  Cigarrenetuis,  Feuerzeugen, 
hechern,  Uhrketten,  Aschenschalen. 
Becken,  Kannen,  Krügen,  Mokka-  und 
Punschservices  etc.  Auch  für  dieTeppich- 
weberei  hat  die  Regierung  am  Bistrik 
ein  eigenes  Atelier,  eine  Fabrik  errichtet,  in  der  Smyrna-,  Perser-  und 
bosnische  Teppiche  mit  prächtigen  einheimischen  Mustern  gewebt  werden. 
Eine  Menge  Madchen  aller  Konfessionen  linden  hier  Anleitung  und  lohnende 
Beschäftigung. 

Die  Teppichweberei  als  Gegenstand  des  Hausfleisses  stand  ehemals 
in  Bosnien  auf  bedeutender  Höhe.  Der  Teppich  bildet  bekanntlich  das 
Haupteinrichtungsstück  der  orientalischen  Wohnung,  auch  in  Bosnien  wurde 
daher  die  grösste  Sorgfalt  auf  die  Erzeugung  dieses  wichtigen  Artikels 
verwendet.  Der  allgemeine  wirthschaftliche  Verfall  unter  türkischer  Herr- 
schaft hatte  aber  auch  diesen  Industriezweig  nicht  unberührt  gelassen,  und 
seit  der  zweiten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  waren  gute  Arbeiten  eine 
Seltenheit.  Das  billigste  Wollmaterial  wurde  verarbeitet  und  Anilinfarben 
verdrängten  die  alten  guten  Wollfarbstoffe.  Die  Landesregierung  wendete 
diesem  Industriezweige    ihr   Augenmerk    zu.     Mit   Rücksicht    auf  die    nicht 


63 


zu  vermeidende  Konkurrenz  des  europäischen  .Marktes  musste  mit  weit- 
gehendster Vorsicht  vorgegangen  werden,  und  daher  wurde  die  Wieder- 
belebung der  Teppichweberei  nicht  sofort  auf  das  ganze  Land  ausgedehnt. 
sondern  vor  allem  nur  ein  Regierungsatelier  in  Sarajevo  gegründet,  das  einer- 
seits die  Aufgabe  hatte,  durch  Zurückgreifen  auf  die  alten  guten  Muster, 
durch  eine  sorgsame  Auswahl  des  besten  einheimischen  Wollmaterials  und 
guter  Farbstoffe  tadellose  Erzeugnisse  herzustellen,  sowie  unter  Benützung 
von    fremdländischem,     feinem    Materiale    durch    die  hervorragende  Kunst- 


Inneres    des    la  ndesär.irischen    Teppich-Webeateliers    in    Sarajevo. 
(Im  Vordergrunde  vertikaler  Stuhl  für  persische,  im  Hintergrunde  horizontaler  Stuhl  für  gewebte  Teppiche. 

fertigkeit  der  bosnischen  Weberinnen  auch  den  westeuropäischen  An- 
forderungen entsprechende  Erzeugnisse  auf  den  Markt  zu  bringen,  anderer- 
seits aber  Absatzgebiete  ausserhalb   des   Landes  zu   erobern. 

Der  Werth  der  bosnischen  Teppiche  liegt  hauptsächlich  in  deren 
orientalischem  Charakter.  Um  diesen  mit  Sicherheit  und  Raschheit  auf- 
zufrischen, erschien  es  am  zweckmässigsten,  auf  die  eigentliche  Heimstätte 
dieser  Kunst,  den  Orient  selbst  und  insbesondere  Persien  zurückzugreifen. 
Demzufolge  wurde  für  das  Regierungsatelier  für  Teppichindustrie  ein 
persischer  Maler  angeworben,  dem  die  Aufgabe  übertragen  ist,  nicht  nur 
die    alten   Muster    in    ihrer    ehemaligen    klassischen   Reinheit    herzustellen. 


-    64 


sondern  auch  neue,  echt  orientalische  Vorlagen  für  Teppiche  zu  ent- 
werfen. 

In  kürzester  Zeit  wurden  die  besten  Ergebnisse  erzielt,  sodass  die 
Zahl  der  Arbeiterinnen  von  Monat  zu  Monat  vermehrt  werden  musste. 
In  der  jüngsten  Zeit  hat  man  in  diesem  Atelier  auch  das  Knüpfen  von 
Teppichen  mit  bedeutendem  Erfolge  in  Angriff  genommen.  Das  Atelier 
ist  mit  allen  erforderlichen  Hilfsmitteln  ausgestattet;  an  der  Spitze  stehen 
fachmännisch  gebildete  Leiter  (Techniker  H.  Panitschek  und  Chemiker  Hoff- 
mann), und  Ende  1895  bestand  das  Personal  aus  2  Werkmeistern,  2  Unter- 
meistern, 4  Abrichterinnen,  6  Spulerinnen,  95  Arbeiterinnen,  3  Färber- 
gehilfen und  28  Anfängerinnen. 

Für  die  Hebung  und  Erhaltung  der  Bez-Fabrikation  und  der  Stickerei 
wird  in  der  Weise  Sorge  getragen,  dass  die  von  der  Landesverwaltung 
errichtete  Faktorei  den  einzelnen  tüchtigen  Arbeiterinnen  Webstühle  un- 
entgeltlich zur  Verfügung  stellt  und  ihnen  ausserdem  das  Material,  Garne 
und  Seide,  vorschussweise  an  die  Hand  giebt.  Die  fertiggestellten  Arbeiten 
werden,  ohne  Rücksicht  auf  den  Absatz,  von  der  Landesverwaltung  ab- 
gekauft, und  der  Weiterverkauf  erfolgt  wie  bei  den  Erzeugnissen  des  landes- 
ärarischen  Regierungsateliers.  Ende  1895  standen  466  von  der  ärarischen 
Faktorei  in  den  Bezirken  Sarajevo,  Mostar,  Bugojno,  Travnik,  Stolac  und 
Trebinje  an  Bez-Arbeiterinnen  vertheilte  Webstühle  in  Verwendung. 

V  ö 

In  der  Carsija,  sich  von  der  Franz  Josef- Strasse  bis  in  die  Fer- 
hadija  hinziehend,  liegt  der  vorhin  bereits  erwähnte  grosse  Besistan.  Er  ist 
bombenfest  gebaut  und  hat  alle  grossen  Brände,  von  denen  Sarajevo  heim- 
gesucht wurde,  siegreich  überstanden.  Nur  die  dazu  gehörige  Karawanserei, 
der  Tasli-Han,  wurde  1879  ein  Raub  der  Flammen,  und  noch  heute  liegt 
sie  in  Trümmern.  Wenn  wir  den  Eingang  von  der  Franz  Josef- Strasse  be- 
nutzen, stossen  wir  zuerst  auf  diesen  weiten  Trümmerplatz,  auf  dem  einige 
Stallungen  errichtet  wurden.  Rechts  treten  wir  sodann 
durch  eine  ziemlich  niedere  Thür;  einige  Stufen  geht 
es  abwärts,  und  es  empfängt  uns  ein  mystisches  Halb- 
dunkel, an  das  sich  das  Auge  erst  gewöhnen  muss. 
Dann  bemerkt  man  ein  Verkaufsgewölbe  neben  dem 
anderen,  im  Hauptgang  wie  in  zwei  Kreuzgängen,  wohl 
über  hundert.  Die  Miether  sind  nur  Mohammedaner  und 
spanische  Juden,  welche  meist  Textilstofife  feilhalten. 
Hier  kaufen  die  türkischen  Frauen  mit  Vorliebe,  und  an 
heissen  Tagen  oder  auch  bei  schlechtem  Wetter  lässt 
es  sich  in  diesen  kühlen  Räumen  prächtig  spazieren, 
plaudern,  feilschen  und  dazu  Kaffee  trinken.    I  )a  kommt, 

wenn  man  die  nöthige  Geduld   und  Ausdauer  besitzt,         Ti    • 

0  viotiv   aus   der 

beim    langsamen    Fragen    so    manches    kostbare    alte       Begova-Dzamija. 

5 


6c      — 


Gewebestück,  so  manche  wundervolle  Goldstickerei  aus  irgend  einem  Harem 
zum  Vorschein,  es  finden  sich  auch  noch  echte  duftige  Stoffe  von  Mossul 
und  Bagdad,  goldgestickte  Schuhe  wie  für  die  zarten  Füsschen  einer  Huri 
im  siebenten  Himmel  des  Propheten.  Aber  erst  nach  und  nach  breitet  der 
Mohammedaner  seine  Schätze  aus,  ein  Stück  nach  dem  anderen  holt  er  aus 
irgend  einem  Versteck.  Er  ist  auch  nicht  unwillig,  wenn  kein  Kaufabschluss 
erfolgt.  Er  wartet  ruhig  weiter,  während  die  Spaniolen  mit  lautem  Geschrei 
Kunden  anzulocken  suchen. 

Und  haben  wir  den  Besistan  durchquert,  so  empfängt  uns  wieder  das 
Gewühl  der  Strasse,  dem  wir  nun  zu  entrinnen  suchen,  um  das  stolzeste 
mohammedanische  Bauwerk  Sarajevos  zu  bewundern.  Es  ist  die  dicht 
beim  Besistan  gelegene  imposante  Begova-Dzamija,  das  mächtige,  von 
Ghazi  Husrev  Beg  erbaute  Gotteshaus,  das  nicht  nur  in  Bosnien  den 
ersten  Rang  einnimmt,  sondern  in  der  ganzen  Welt  des  Islam  hochgeschätzt 
wird.  Die  Moschee  steht  in  einem  von  niederen  Mauern  umschlossenen 
Vorhofe,  wo  sich  unter  einer  mächtigen,  Jahrhunderte  alten  Linde  der  für 
die  rituellen  Waschungen  bestimmte  monumentale  Brunnen  befindet.  Das 
Innere  der  Moschee  —  eines  gewaltigen  Kuppelbaues  —  zieren  nur  Koran- 
sprüche an  den  Wänden  und  orientalische  Arabesken.  Dem  Eingang 
gegenüber  in  der  Richtung  nach  Mekka,  befindet  sich  die  Kibla,  ein  Stein- 
block, der  das  Grabmal  des  Propheten  versinnbildlichen  soll.  Auf  dessen 
linker  Seite  die  Kanzel  für  den  Prediger,  auf  der  rechten  Seite  die  »Mimber«, 
d.  h.  die  Kanzel,  von  welcher  herab  das  Freitagsgebet  für  den  Chalifen 
und  bei  gewissen  Gelegenheiten  auch  das  Gebet  für  den  Kaiser  und  König 
Franz  Josef  gesprochen  wird.  Der  Boden  der  ganz  neu  restaurirten  Moschee 
ist  mit  einem  prächtigen  Teppich  bedeckt.  Direkt  neben  dem  Gotteshause 
steht  die  Grabkapelle  des  Erbauers.  Ein  Hodscha  führte  uns  in  das  Ge- 
mach, in  dem  der  Sarg  Husrev  Begs  und  seiner  Gattin  (nach  einer  anderen 
Version  seines  Dieners)  steht,  mit  schwarzen  goldgestickten  Tüchern  be- 
deckt. Ein  Teppich  überspannt  den  Boden,  die  Wände  sind  mit  Koran- 
sprüchen geschmückt.  Zwei  alte  Moslims  kauerten  am  Sarge  und  beteten. 
Sie  liessen  sich  nicht  einmal  durch  das  von  den  Stiefeln  hervorgebrachte 
Geräusch  stören,  obwohl  sie  hören  mussten,  dass  Ungläubige  das  Heiligthum 
betraten.  Im  Vorhofe,  nächst  dem  Brunnen,  befindet  sich  ein  säulenförmig 
gestalteter  Stein,  an  dessen  oberem  Ende  durch  die  Mitte  eine  Rinne  läuft. 
Es  ist  der  sogenannte  »Arschinstein«.  Ein  Pascha  soll  wahrgenommen  haben, 
die  Kaufleute  verschiedene  Arschine  (Ellenmaasse)  gebrauchten.  Diesem 
Unfuge  steuerte  er  dadurch,  dass  er  den  Arschinstein,  dessen  Rinne  genau 
die  Länge  einer  türkischen  Elle  hat,  als  Kontrolmaass  im  Hofe  der  Dzamija 
anbringen  Liess,  damit  die  Käufer  sich  überzeugen  können,  ob  sie  betrogen 
worden  sind.  Im  westlichen  Thcile  des  Hofes  steht  ganz  für  sich  der 
hohe   viereckige  Uhrthurm   mit   -einem   24  Stunden   zeigenden   Zifferblatt. 


66 


Gegenüber,  an  der  Nordseite  der  Moschee,  befindet  sich  die  Kursum- 
Medresse  (»bleierne  Hodscha-Schule«),  ein  altes  ebenerdiges  Gebäude  mit 
hübschem  Säulenhofe.  Die  Studirenden  erhalten  eigene  kleine  Zellen  von 
mehr  als  bescheidener  Einrichtung;  jedenfalls  wird  der  Geist  durch  nichts 
vom  Studium   abgelenkt. 

Schreiten  wir  weiter  nach  Osten  fort,  in  der  Richtung  gegen  das 
Kastell,  so  kommen  wir  zu  einem  grossen  neuen  Gebäude  maurischen  Stils 
in  rothen  und  gelben  Ziegeln  (roth  und  gelb  sind  die  bosnischen  Landes- 
farben), das  einen  im- 
ponirenden  Eindruck 
gewährt.  Es  ist  das 
Rathhaus,  in  dem  der 
Sarajevoer  Gemeinde- 
rath  seine  Sitzungen 
halt.  Nach  dem  Ge- 
meindestatut vom 
io.   Dezember    [883 


beruht  die  Verwaltung  der  Stadt 
auf  repräsentativer  und  auto- 
nomer Grundlage.  An  der 
Spitze  steht  ein  Bürgermeister 
nebst  einem  Vicebürgermeister, 
die  von  der  Landesregierung 
ernannt  werden  und  denen  ein 
Regierungskommissar  als  kon- 
trolirendes  Organ  zur  Seite  ge- 
geben ist.  Der  Gemeinderath, 
zu  einem  Drittel  ernannt,  zu  zwei  Dritteln  gewählt,  besteht  aus  24  Mit- 
gliedern, und  zwar  dem  Zahlenverhältnisse  der  Konfessionen  entsprechend 
aus  12  Mohammedanern,  6  Griechisch- Orthodoxen,  3  Katholiken  und 
3  Juden.  Die  Wahl  erfolgt  auf  drei  Jahre.  Wähler  ist  jeder  bosnische 
oder  österreichisch-ungarische  Staatsangehörige,  der  seit  einem  bestimmten 
Zeitraum  in  Sarajevo  wohnhaft  ist  und  nach  Immobilien  2  hl.  an  Erwerbs- 
steuer 9  El.  oder  vom  Schankrechte  25  Fl.  Steuer  zahlt.  Das  passive 
Wahlrecht  bedingt  das  Dreifache  dieses  Census.  Die  Intelligenz  übt  das 
Wahlrecht  ohne  Steuercensus.  Die  Konfessionen  wählen  nicht  unter  sich. 
sondern  jeder  einzelne  Wähler  kann  nach  dem  festgesetzten  Zahlenverhältniss 
für  alle  Wählenden  stimmen.  Die  Exekutivorgane  des  Bürgermeisters  in 
den  einzelnen   Stadtbezirken  sind  die  Bezirksmukthare. 


Motiv    an    der    Begova-Dzamjija. 


-     6: 


Gegenwärtiger  Bürgermeister  ist  Mehmed  Beg  Kapetanovic,  einer  der 
reicheren  Grundbesitzer  des  Landes,  der  sich  schon  ä  la  franca  kleidet 
Die  anlässlich  des  Archäologenkongresses  in  Sarajevo  weilenden  Gelehrten 
hatten  Gelegenheit,  ihn  in  seinem  Hause  bei  echt  orientalischer  Gast- 
freundschaft kennen  zu  lernen;  die  Wenigsten  aber  werden  gewusst  haben, 
dass  Mehmed  Beg  ein  Dichter  und  dass  auch  ein  Band  bosnischer  Sprüch- 
wörter von  ihm  unter  dem  Titel  »Xarodno  Blago«  erschienen  ist.  Diese 
Sammlung  von  4300  Sprüchwörtern  ist  ein  imponirendes  Stück  jahrelanger 


Rathhaus    in    Sarajevo. 

unverdrossener  Arbeit.  Die  Vorrede  zu  dem  Buche  ist  ein  litterarisches 
Meisterstück  voll  Kraft  und  Schönheit  des  sprachlichen  Ausdruckes;  sie 
selbst  gleicht  einem  Strausse  aus  heimischen  Blüthen  der,  mit  bosnischen 
Sprüchlein  gebunden,  den  Leser  erfrischt  und  zur  Lektüre  einladet.  Es 
dürfte  vielleicht  nicht  unangemessen  erscheinen,  einige  der  gebräuchlichsten 
Spruch  worter  hier  wiederzugeben,  da  sie  ein  Spiegelbild  des  Volks- 
charakters bieten. 

5t  selbstverständlich,  dass  das  Leben  und  Treiben  der  Thiere,  ganz  besonders  der 
Hausthiere,  zu  Beobachtungen  und  zu  Vergleichen  den  meisten  Anlass  giebt.  So  heisst  es  vom 
Hunde:  Der  Hund  bellt  auch  auf  den  Kaiser«  oder  »Auf  den  Armen  bellen  auch  die  Hunde  . 
Auch   sagt  man   vergleichsweise   vom  Geduldigen:    »Er  bellt  erst,   wenn  man  ihm  auf  den  Schweif 


68     — 


tritt«,  oder  wenn  von  kleinen  Hindernissen  grosses  Aufsehen  gemacht  wird:  l  eher  niedere 
Planken  springen  auch  die  Hunde.«  Ein  ganzes  Landschaftshild  liegt  in  dem  Ausspruch:  Wer 
viel  im  Dorfe  umgeht,  den  beissen  die  Hunde,  oder  er  trifft  auf  ein  Mittagsmahl.  Das  Kind 
kommt  in  allerlei  Varianten  vor:  »Es  ist  sehr  sehwer,  tollen  Kühen  die  Schweife  zu  binden. 
»Beim  Keichen  sind  auch  die  Ochsen  gescheidt.«  »Wer  den  Halfter  Bpart,  verliert  das  Kalb.« 
Weit  höher  im  Ansehen  steht  das  Pferd:  »Wo  man  Hengste  anspannt,  haben  Esel  nichts  zu 
thun.  »Wähle  ein  Pferd  mit  breitem  Hals  und  cm  Mädchen  von  schlankem  Wuchs.'  »Pflege 
das  l'ferd  wie  deinen  Bruder,  aber  reite  es,  als  ob  es  dein  Feind  wäre.  Der  beste  Käse 
ist  nach  der  Ansicht  des  Bosniaken  der  Schalkäse;  darum  sagt  er:  Den  Käse  nur  vom  Schaf, 
die  Milch  nur  von  der  Ziege,  die  Butter  nur  von  der  Kuh.  Die  Mohammedaner  in  Bosnien 
reden  nie  vom  Schwein,  aber  dafür  behaupten  die  Christen:  »Eine  reine  Sau  ist  niemals  fett  , 
oder  sie  sagen,  wenn  von  einem  Schmierfink  die  Rede  ist:  »Kleide  eine  Sau  in  Gold,  so  steigt 
sie  doch  in  die  Pfütze.«  Ein  sehr  charakteristisches  Wort  ist:  »Der  Gast  und  der  Fisch  taugen 
am  dritten  Tag  nichts  mehr.«  Von  Grünschnäbeln  sagt  man:  »Wenn  die  Eier  gackern,  müssen 
die  Hennen  schweigen.«  Am  originellsten  sind  die  Sprüchwörter,  welche  das  weibliche  Geschlecht 
betreffen:   »Frauen  sind  ein  Uebel,  das  man  nicht  entbehren  kann.  Frauen,  Feuer  und  Meer, 

man  weiss  nicht,  welches  das  Aergere  war'.«  Mit  beisseiidem  Spotte  sagt  das  Volk:  »Die 
Frau  ist  gut,  die  keine  Zunge  hat;,  und  »Was  die  Frau  nicht  hört,  wird  sie  auch  nicht  weiter 
erzählen.«  Dass  Weiberthräncn  auch  in  Bosnien  nicht  unbekannt  sind,  deuten  die  Worte  an: 
»Die  Frau  hat  stets  einen  Beutel  Thränen  bei  sich.«  »Die  Frau  vertraut  auf  ihre  Thränen, 
wie  der  Dieb  auf  einen  falschen  Eid«  und  »Die  Frau  lacht,  wenn  sie  kann,  und  weint,  wenn 
sie  will«.  Nachdem  es  heisst :  »Frauen  schelten,  wo  Männer  mit  dem  Säbel  dareinschlagen«, 
ist  es  nicht  zu  verwundern,  wenn  der  Volksmund  erklärt:  »Jung  heirathen  ist  zu  früh,  alt 
heirathen  ist  zu  spät.«  Dass  eine  gute  Mitgift  nie  verachtet  wird,  zeigt  der  Satz:  »Am  Freitag 
bist  du  mir  die  Schöne,  am  Samstag  die  Wackere,  am  Sonntag  frage  ich:  Wieviel  (leid  hast 
du?«  Die  Geschichte  hat  aber  ihren  Haken,  denn:  »Hat  die  Frau  Geld,  bleibt  der  Zank 
nicht  aus.«  Von  wenig  idealem  Sinn  zeugt  das  Sprüchwort:  »Weib,  Kind  und  Hund  muss 
man  schlagen«  doch  heisst  es  auch  wieder:  »Nur  ein  Zigeuner  sehlägt  sein  Weib,  ein  rechter 
Mann  thut  es  nicht.«  Dass  der  Teufel  selbst  einem  bösen  Weibe  nicht  gewachsen  ist,  ist  auch 
bei  uns  bekannt,  doch  sagt  der  Bosnier  noch:  »Eine  fürsorgliche  Hausfrau,  ein  Singvogel  und 
Ouellwasser,  nichts  Besseres  giebl's  auf  der  Welt«,  oder  etwas  einschränkender:  »krauen 
sind  wie  Blumen,  einige  duften,  andere  nicht.«  Nur  die  Mädchen  von  Sarajevo  scheinen  in 
allen  Punkten  eine  Ausnahme  zu  bilden,  denn  von  ihnen  sagt  das  Sprüchwort:  »Wer  Eine 
uns   Sarajevo   freit,   dem    thut's   nimmer  um   Vater  und  Mutter  leid.« 

Mit  diesem  tröstlichen  Ausspruch  nehmen  wir  Abschied  von  Mehmed 
Beg  und  dem  Sarajevoer  Rathhause,  statten  der  »Kiraet-Hane«,  der  hübschen 
mohammedanischen  Lesehalle,  einen  kurzen  Besuch  ab  und  lenken  dann 
unsere  Schritte  nach  Bendbaschi,  um  uns  Erholung  zu  gönnen.  Bendbaschi 
ist  ein  Kaffeehaus  mit  einem  vielbesuchten  Garten.  Die  Miljacka  tritt  dort 
zwischen  den  Felsen  ins  eigentliche  Stadtgebiet  ein  und  fliesst  dann  in 
breitem  Bette  gegen  Westen.  Vor  sich,  über  dem  Flusse,  hat  man  einen 
stillen  türkischen  Stadttheil,  im  Vordergrunde  eine  kleine  Moschee  mit 
prächtigen  Cypressen  und  Pappeln,  hinter  sich  die  Bäume  des  Gartens, 
rechts  hört  man  noch  gedämpft  den  Verkehr  des  Handelsviertels,  soweit 
er  sich  über  die  Schech-Schahinbrücke  vollzieht.  Im  Garten  und  direkt 
an  und  über  dem  Wasser  stehen  Pavillons,  wie  sie  die  Mohammedaner  zum 
Kefhalten    lieben    und  wie  sie   fast  überall  an  hübschen  Punkten  zu   finden 


—    71 


sind.  Hier  ist  eines  der  lauschigsten  Plätzchen  von  ganz  Sarajevo,  und  in 
alter  Zeit  habe  ich  unzählige  Male  hier  gesessen,  geträumt  und  auch  ge- 
arbeitet. Ueber  und  neben  dem  rauschenden  Wasser  sitzend,  flössen  die 
Gedanken  ganz  anders  als  in  der  dumpfen  Stube,  und  zu  jedem  Satze 
sangen  die  Vögel  ihr  Lied,  als  wollten  sie  Beifall  spenden.  Das  regste 
Leben  herrscht  jedoch  in  Bendbaschi  in  den  Nächten  des  Ramazan.  Da 
ist  der  Garten  durch  farbige  Lampions  erleuchtet,  arabische  Musik  und 
Gesang  ertönen,  und  die  so  ernsten  Moslims  werden  lebendig,  während  sie 
bei  Kaffee  und  Scherbet  sich  ergötzen,  Nargileh  (Wasserpfeife)  und  Tschibuk 
dazu  schmauchend.  Das  sind  die  Tage  und  Nächte,  die  sich  ins  Herz 
schmeicheln,  die  in  der  Erinnerung  fortleben  und  an  die  man  auch  in 
späterer  Zeit  mit  heisser  Sehnsucht  denkt.  —  Und  wenn  wir  längs  des 
Bergabhanges  weitergehen,  die  neue  Strasse,  die  später  in  Serpentinen  auf 
die  Höhe  zur  Festung  —  zur  sogenannten  »gelben  Bastion«  —  führt, 
entlang,  so  finden  wir  noch  einige  Kaffees  mit  Gärten,  aber  keiner  besitzt 
für  den  Fremden  jenen  intimen  Reiz,  wie  Bendbaschi. 

Wenn  ich  nach  Sarajevo  komme,  zieht  mich  mein  Herz  bald  immer 
aus  dem  geräuschvollen  Leben  und  Treiben  in  die  alte  Stadt,  den  »Grad«, 
den  man  von  Bendbaschi  aus  auf  einem  ziemlich  steil  ansteigenden  Wege 
schneller  als  auf  der  Serpentinenstrasse  erreicht.  Hier,  hoch  oben  am 
Berge,  kann  man  versichert  sein,  noch  einen  Theil  des  alten  Bosna-Saraj 
zu  finden.  In  dieser  von  Festungsmauern  umfriedeten  Stadt  durfte  sich 
einst  kein  Christ  ansiedeln;  heute  ist  das  anders  geworden,  aber  das 
unverfälschte  mohammedanische  Gepräge  hat  der  Ort  behalten,  wenn  auch 
schon  bei  einem  kleinen,  echt  türkischen  Kaffeehause  deutsch  aufgeschrieben 
steht:  »Hier  sind  Tabak 
und  Cigarren,  sowie  Bier 
zu  haben.«  Da  schreitet 
man  noch  durch  die  engen 
Gassen  mit  dem  holperi- 
gen Pflaster  und  weicht 
den  Pfützen  aus,  die  sich 
vor  einigen  Häusern  ge- 
bildet. Hin  und  wieder 
begegnet  man  einem 
Moslim,  der  verwundert 
und  misstrauisch  den 
Fremdling  mustert,  der 
ohnedies  nur  verstohlen 
die  Augen  auf  die  ver- 
gitterten Fenster,  auf  die 
Muscharabieh        richtet, 


türkischen   V  i  e  r  t  e  1 


■r-N 


—        72        — 


hinter  denen  vielleicht  dunkeläugige  Schöne  ihr  Haremsdasein  vertrauern. 
Selbst  die  Mädchen,  die  in  Sarajevo  bis  zum  heirathsfähigen  Alter 
unverschleiert  gehen,  ziehen  hier  ein  gestreiftes  Tuch  vor  das  Gesicht,  sobald 
sie  dem  Europäer  begegnen,  der  es  wagt,  die  Ruhe  zu  stören,  in  die  Ab- 
geschiedenheit des  muselmannischen   Mittelalters  einzudringen. 

Wie  jetzt,  muss  es  hier  auch  ausgesehen  haben,  als  die  Stadt  durch 
die  beiden  früheren  Edelleute  Sokolovic  und  Zlatarevic  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  gegründet  wurde.  Nicht  in  der  Ebene,  oben  am  Berge, 
geschützt  von  allen  Seiten,  entstand  das  heutige  Sarajevo,  das  sich 
erst  nach  und  nach  längs  der  Miljacka  erstreckte,  als  die]  türkische 
Herrschaft  schon  befestigt,  als  die  prächtige  Begova-Dzamija  erbaut  worden 
war.  Es  hat  zwar  schon  in  den  Zeiten  der  Römer  in  der  Ebene  von 
Sarajevo  eine  Stadt  »Ad  Matricem«  gegeben;  diese  lag  aber  wahrscheinlich 
in  der  Nähe  der  Bosnaquellen,  nicht  weit  vom  Bade  Jlidze,  und  das  mittel- 
alterliche Vrh-Bosna  soll  sich  ebenfalls  dort,  mehr  gegen  Blazuj  zu,  erhoben 
haben.  Es  war  der  Sitz  des  katholischen  Bischofs,  während  die  Zupane  ihre 
Residenz  aui  der  festen  Burg  Starigrad  hatten,  die  im  Osten  vom  heutigen 
Sarajevo  hoch  auf  dem  felsigen  Thalrande  der  wildromantischen  Miljacka- 
schlucht  sich  erhob  und  von  deren  einstigem  Glänze  nur  die  Ruinen  von 
Grundvesten  und  Mauern  zeugen.  Und  auch  als  längst  die  gegenwärtige 
Stadt  bestand,  da  war  sie  nicht  die  eigentliche  Hauptstadt  Bosniens,  nicht 
der  Sitz  der  türkischen  Vali.  Die  stolzen  und  trotzigen  Bewohner  ge- 
statteten dem  Pascha,  wenn  er  Sarajevo  berührte,  nur  einen  Aufenthalt 
von  zweimal  vierundzwatuig  Stunden;  sonst  residirte  er  in  Travnik.  Die 
weltliche  Verwaltung  Sarajevos  ruhte  in  den  Händen  des  einheimischen 
Adels.  Erst  nach  dem  Aufstande  von  1831/32  schlug  der  Vezier  Kara 
Mahmud  seinen  Sitz  in  der  Stadt  auf  und  liess  die  Goricahöhe  befestigen, 
doch  blieben  die  späteren  Gouverneure  wieder  in  Travnik,  bis  1850  Omer 
Pascha  für  immer  die  Macht  der  Begs  brach  und  Sarajevo  dauernd  zur 
Landeshauptstadt  machte. 

Und  alle  die  zahlreichen  Brände,  von  denen  Sarajevo  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  heimgesucht  wurde,  sie  vernichteten  nur  immer  dieTUnter- 
stadt  —  die  Varos.  Der  »Grad«,  die  Festungsstadt,  blieb  verschont, 
auch  dann,  als  1697  Prinz  Eugen  seinen  historisch'  denkwürdigen  Zug  bis 
Sarajevo  ausführte  und  die  Stadt  aus  Strafe  niederbrannte.  Dieselben 
alten  Häuser  sahen  damals  das  Flammenmeer  aufsteigen;  sie  sahen  ein 
gleiches  1879,  und  es  muss  sie  förmlich  ein  Gefühl  der  Unzerstörbarkeit 
überkommen  haben,  weil  sie  aus  allen  Nöthen  heil  hervorgingen.  Einen 
schönen  Anblick  bieten  diese  Häuser  nicht,  aber  im  Innern  sind  sie  stets 
saubc  gehalten.  Was  mich  aber  in  den  alten  Türkenhäusern  der  Festungs- 
stadt, die  ich  sehen  konnte,  wohlthuend  berührte,  das  waren  die  wohl- 
gepflegten Gärtchen,   die  lauschigen  Haine  und  Hecken,   die   man  nie  hinter 

—     73     — 


den  verfallenen  Mauern 
vermuthet  hätte.  Dazu 
Vogelgezwitscher  überall, 
in  jedem  Busch  eine  Nach- 
tigall —  »süss  flötet  der 
Bülbül  in  den  Rosen- 
gärten« ,  wie  der  arabische 
Dichter  singt.  Da  wäre 
es  gut  gewesen,  eine  Zeit- 
lang auszuruhen  von  der 
Erdenwanderung,  dem 
müden  Kopfe  Erholung 
Ig^  i^«.»  yj  /u   gönnen  und  von  einer 

ml  ^^9mf^     [  Fatma  oder  Mejra  bedient. 

/  '  bei  schwarzem  Mokka 

i  aus  Haschisch  süsses  Ver- 

gessen zu  trinken. 

Doch  bald   ist  man 
wieder  ins  europäische  Da- 
sein versetzt.    Das  Militär 
erinnert  an  das  Abendland, 
und  am  Visegrader  Thor 
steht   ein   städtischer   Be- 
amter, der  von  den  Bauern, 
die  Vieh  zum   Markte  bringen,  die  Verzehrungssteuer  einhebt.     Wir  gehen 
schnell    einige    Schritte   ins   Freie,    um   wieder    echt   bosnisches   Leben    zu 
athmen.      Am  Wege  liegt  ein  altes  türkisches   Kaffeehaus,   ein  Lieblingsort 
der  Muselmanen.     Eine  Veranda  hängt  förmlich  über  einem  Abgrund  und 
eine  vielhundertjährige  Linde  beschattet  den  ganzen  Platz.    Der  Blick  fällt 
von    hier   weit   ins  Miljacka-  und    in    das    Moscanicathal,    wo    sich    bei    den 
Quellen    der   Moscanica   die    technischen   Anlagen    der   Sarajevoer  Wasser- 
leitung -  -  auch  einer  ganz  neuen  Schöpfung  —  befinden.     Dann  schweift 
das  Auge  über  die  wundervolle  Gebirgsgegend,    durch    die  sich  tief  unten 
die  neue  Strasse  nach   Mokro,   am  jenseitigen  Bergabhange  die  alte  Strasse 
über  Alifakovac  nach  der  Kozija  Cuprija  —  der  Ziegenbrücke  —  schlängelt. 
Dort    ist    es    angenehm,    »Kef«    zu    halten    und,    während   die  Rauch- 
wolkchen   des    feinen  Trebinjers    in  die  Lüfte  steigen,   zu  träumen.      Von 
der   »Gelben  Bastion«   oder  noch  besser  von   der  im   nordöstlichen  Winkel 
des  Kastells  gelegenen   »Weissen  Bastion«   aus,  oder  auch  von  Alifakovac 
am   linken   Miljackaufer    muss    man    aber  Sarajevo   sehen    in  einer  Bajram- 
nacht.     Sobald   Aksam    verkündet,    der  Glaubensspruch    »La   ilah  il  Allah. 
Mohammed   rasül   ullalv<    von   den    Minarets    in   Minoren   Tönen  verhallt  ist, 


Milj 


l  c  k  a  t  h  a  1    mit    dem  V  i  s  e  g  r  a  cl  e  r  Thor 

in   Sarajevo. 


74 


da  flammen  überall  die  Lichterkränze  an  den  Moscheen  und  Minarets  aut. 
Förmliche  Guirlanden  kleiner  Lampchen,  oft  türkische  Schriftzeichen  bildend, 
ziehen  sich  von  einem  Mauernkranz  zum  anderen,  und  Sarajevo  bietet  mit 
seinen  mehr  als  hundert  Dzamijen  den  Anblick  eines  Märchens  aus  Tausend 
und  eine  Nacht.  Weit  hingestreckt  sieht  man  von  der  Höhe  die  ohnedies 
sehr  ausgedehnte  Stadt;  man  glaubt  sie  um  ganze  Stunden  verlängert. 
Ringsum  aut  allen  Berglehnen  dasselbe  Bild.  Inmitten  grüner  (/arten  immer 
wieder  die  Lichter  einer  Moschee,  die  Häuser  nur  so  weit  beleuchtend, 
dass  man  ihre  Umrisse 
sieht.  Wer  diesen  An- 
blick einmal  genossen, 
wird  ihn  nie  vergessen; 
er  wird  ihm  eine  der 
schönsten  Erinnerungen 
für  das  ganze  Leben  sein. 
Durch  die  Ploca-Ulica 
vom  Kastell  absteigend, 
statten  wir  der  Schcriats- 

Richterschule,  einem 
wundervollen  maurischen 
Bau,  der  von  der  gegen- 
wartigen Verwaltung  er- 
richtet wurde,  einen  Be- 
such ab.     Hier  wird  das 

mohammedanische 
Recht  studirt,  das  heisst 
die  auf  das  Lhe-,  Fa- 
milien- und  Frbrecht  der 
Islamiten  bezüglichen  Be- 
stimmungen des  Scheri, 
die  in  Bosnien  nach  der 
geltenden  Gerichtsver- 
fassung noch  zur  An- 
wendung "■elantren. 


Wasserfall   Skakajvac    bei    Sarajevo. 


Das  Scheri  —  das  Gesetz  —  ist  Wer  Inbegriff  aller  die  Dogmatik,  den  Ritus,  das  öffent- 
liche und  private  Leben  der  Mohammedaner  betreffenden  Vorschriften.  Die  Grundlage  des 
Scheri,  die  Urquelle  des  moslemischen  Rechtes,  ist  der  Koran  als  die  Verkörperung  aller  Vor- 
schriften für  sämmtliche  Lebensbeziehungen  der  Mohammedaner  in  ihrer  Gesammtheit,  sowie 
eines  jeden  Einzelnen  im  privaten  wie  im  öffentlichen  Leben.  Den  einfachen  patriarchalischen 
Verhältnissen  des  Volkes,  dem  der  Religionsstifter  entstammte,  angepasst,  erscheint  es  selbst- 
verständlich, dass  mit  der  allmählichen  Verbreitung  des  Islam  die  Vorschriften  des  Koran 
nicht  ausreichend  sein  konnten,  um  in  allen  auftauchenden  dogmatischen,  rituellen  und  rechts- 
wissenschaftlichen  Fragen    als    leitende   Xorm    zu   dienen.      Es   wurde    demnach    auf  die    Ueber- 


75 


a 


_      76      - 


Scheriats- Richter  schule    in    Sarajevo. 

lieferung  aus  dem  Leben  des  Propheten,  nämlich  auf  dessen  nicht  schriftlich  niedergelegte, 
nur  mündlich  gegebene  Lehren  und  dessen  Handlungen  (Hadis  und  Sunnet)  als  zweite  Rechts- 
quelle zurückgegangen.  (Das  »Justizwesen  Bosniens  und  der  Hercegovina«  von  Eduard 
Eichler,  Regierungsrath  der  Landesregierung  in  Sarajevo.  Wien,  kk.  Hof-  und  Staats- 
druckerei. )  Hierzu  kommen  als  dritte  Rechtsquelle  die  einstimmigen  Entscheidungen  und 
Beschlüsse  der  ersten  Imame,  d.  i.  der  vier  ersten  Nachfolger  Mohammeds  (Cbalifen  Abubekr, 
Omer,  Osman  und  Ali)  und  der  Mutschtehiden,  zu  denen  insbesondere  die  Stifter  der  einzelnen 
Sekten  und  ihre  vorzüglichsten  Schiüer  gehören  (Idschmai  uminet  und  wurde  endlich  in  vierter 
Linie  auf  die  Rechtsquelle  »Kijas«,  das  heisst  auf  die  in  analogen  Fällen  ergangenen  Ent- 
scheidungen der  Rechtsgelehrten  des  Islam  zurückgegangen,  welche  im  Geiste  der  vorigen  drei 
Quellen  bis  auf  die  Fetwasammlungen  (Responsensammlungen)  der  letzten  Jahrhunderte  er- 
lassen sind.  Diese  speziell  von  der  Sekte  der  Sunniten  anerkannten  Quellen  moslemischen 
Rechtes  laufen  aus  in  den  Lehren  des  grossen  Imam  Abu  Hanife  und  seiner  ebenfalls  be- 
rühmten Schüler  Jussuf  und  Mohammed,  welche  im  8.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  lebten 
und  welch  ersterer  der  Gründer  des  nach  ihm  benannten  Zweiges  der  Sunnitensekte,  der 
Hanefiten  (auch  Azemiten  genannt),  jener  Sekte  ist,  welche  im  osmanischen  Reiche  zur 
herrschenden  ward.  Es  kann  nicht  im  Rahmen  dieser  Darstellung  liegen,  die  Einzelheiten  des 
Scheriatgesetzes  noch  näher  zu  erörtern;  es  genügt,  anzuführen,  dass  die  Scheriats-Richterschule 
in  Sarajevo  also   die   mohammedanische   Rechtsakademie   i>t. 

Von  hier  aus  empfiehlt  es  sich,  zur  Logavinahöhe  hinaufzusteigen 
und  dem  Kloster  der  heulenden  Derwische  —  der  Sinan-Tekija  —  einen 
Besuch    abzustatten.      Diese    Fanatiker,    die    in    Bosnien    wenig    Achtung 


77 


gemessen,  sind  an  europäischen  Besuch  gewohnt,  und  sie  geben  an 
Donnerstagen  Abends  ihre  religiösen  Uebungen  gegen  Eintrittskarten  selbst 
den  Augen  fremder  Damen  preis.  Das  alte  Derwischkloster  liegt  in  einer 
stillen  Gegend  und  es  sieht  baufällig  und  zerfallen  aus.  Man  wird  still, 
ohne  Fragen  empfangen,  eine  Holztreppe  in  die  Höhe  geleitet  und  nun 
aufgefordert,  ruhig  auf  einer  breiten  hölzernen  Gallerie  Platz  zu  nehmen. 
Sobald  sich  der  Blick  etwas  an  das  herrschende  Dunkel  gewöhnt  hat, 
sieht  man  sich  in  einer  weiten  kuppelgedeckten  Halle,  die  nur  durch  einige 
Kerzen  matt  erleuchtet  ist.  Vor  der  Kibla,  der  Gebetsnische,  steht  ein 
hagerer  Greis  mit  weissem  Barte,  in  gelblichem  Kaftan  und  im  grünen 
Turban  der  Scheichs.  Vor  ihm  im  Kreise  etwa  zwanzig  Anhänger  in 
der  gewöhnlichen  bürgerlichen  Kleidung  der  bosnischen  Mohammedaner. 
Plötzlich  beginnt  die  Andacht,   der   »Zikr<:   (ausgesprochen  Sikr). 

Der  Scheich  —  Edhem  P2vancikovic  mit  Namen  —  singt  mit  schneiden- 
der, lang  tremolirender  Stimme  das  Glaubensbekenntniss,  welches  auch 
der  Muezzin  fünfmal  des  Tages  von  der  Höhe  des  Minarets  verkündet. 
Dreimal  nacheinander,  immer  eindringlicher,  geht  der  Ruf:  »Allah  akbarU 
—  Gott  ist  der  Grösste  —  nebst  dem  Glaubensspruch  durch  Mark  und 
Bein.  Die  Derwische  bewegen  kurz  und  langsam  den  Kopf,  jede  Neigung 
mit  einem  schweren  Athemzuge  begleitend.  »Hajja  al  es-salat!«  (Kommet 
zum  Gebete),  ruft  der  Alte.  »Hajja  al  el  fahla!«  »Auf  zum  Heile  (zur 
Befreiung)!«  »Allahu  akbar,  la  ilahe  ilT  Allah!«  Alle  Sätze  werden  wieder- 
holt und  die  Derwische  gerathen  in  ein  immer  schnelleres  Tempo.  Tiefer, 
schleuniger  bewegen  sie  die  Köpfe,  denen  schon  der  ganze  Oberkörper 
folgt;  die  Athemzuge  werden  immer  lauter.  Noch  ein  Ruf,  —  das  Athmen 
wird  zum  Keuchen.  Athmen  und  Bewegungen  geschehen  bei  allen  gleich- 
zeitig auf  einmal,  ganz  im  Takte.  Schon  berühren  die  herabhängenden 
Arme  den  Boden,  das  Keuchen  wird  zum  lauten  »Hu«,  soviel  als  »Er«, 
Gott.  Die  Extase  beginnt.  Einige  Fez  und  Turbane  fliegen  weg,  über  den 
Kopf  und  wieder  zurück  werfen  sie  die  langen,  auf  dem  rasirten  Schädel 
in  der  Mitte  stehengebliebenen  Haarsträhnen.  In  das  »Hu«  des  Chores, 
das  immer  ächzender  wird,  mischt  sich  das  »Allaha«  eines  oder  des  anderen 
Verzückten.  Der  Schweiss  rinnt  vom  Gesicht,  manchem  steht  der  Schaum 
vor  dem  Munde;  einer  wird  hochroth,  der  andere  leichenblass.  Nun  springt 
ein  Jüngling  in  die  Mitte  des  Halbkreises  und  beginnt,  sich  mit  aus- 
gestreckten Armen  wie  eine  Spindel  im  Kreise  zu  drehen.  Immer  rascher 
und  rascher.  Der  Halbkreis  unterbricht  die  Verneigungen,  einen  .Augen- 
blick verschnauft  die  Gesellschaft.  Dann  drehen  die  Derwische  zuerst  den 
Kopf,  dann  den  ganzen  Oberkörper  ruckweise  abwechselnd  nach  rechts 
und  links.  Diese  Bewegungen  vollziehen  sich  mit  steigender  Geschwindig- 
keit, begleitet  von  wilden  »Hu-Hu  Kufen,  wahrend  sich  der  Jüngling  un 
ausgesetzt    mit  gegen   den   Himmel  gerichteten  Blicken   und  ausgebreiteten 


7S     - 


osnischer    Derwisch.        Von  W.   Leo   Arndt 


Armen  um  seine  eigene  Achse 
dreht.  Bleicher  und  immer 
bleicher  wird  er.  Schon  ist 
er  fahl  wie  der  Tod.  Die 
Augen  schliessen  sich.  Den 
Zuschauern  schwindelt,  denn 
länger  als  eine  halbe  Stunde 
dauert  das  grausame  Spiel. 
Jetzt  und  jetzt  glaubt  man, 
müsse  der  Fanatiker  zusam- 
menbrechen, aber  immer 
wieder  ertönt  der  monotone 
Gesang  des  Scheich.  Da  hört 
das  Geheul  gleichzeitig  mit 
den  Bewegungen  auf;  einige 
der  Derwische  stürzen  zu 
Boden  —  der  »Zikr<  ist  zu 
Ende.  Wahrend  nun  einer 
der  Derwische  die  Lichter 
der  Reihe  nach  auszulöschen 
beginnt,  nähern  sich  die 
Uebrigen,  einer  nach  dem 
anderen,  mit  dem  Zeichen 
der  innigsten  Verehrung  dem 
noch  immer  vor  der  Kibla 
stehenden  greisen  Scheich 
und  verbeugen  sich  tief  vor 
ihm.  Nach  der  Verbeugung 
wird  Jeder  von  ihm  zweimal 
umarmt,  und  während  der 
Verabschiedete  sich  still  ent- 
fernt, tritt  der  Nächste  an 
den  Scheich  heran.  Die  einfache  Natürlichkeit  dieser  stummen  Scene  ist 
unbeschreiblich.  Und  immer  düsterer  wird  es  in  der  Halle;  ein  Licht 
nach  dem  anderen  ist  erloschen,  ein  Derwisch  nach  dem  anderen  hat  sich 
entfernt,  bis  nur  noch  der  Scheich  zurückbleibt,  der  oberste  Vertreter 
seines  Ordens.  Noch  lange  gellt  uns  der  Ruf:  Hu  hu,  Allah  akbar!  in 
den  Ohren. 

In  der  östlichen  Fortsetzung  der  Cemalusa-Strasse  liegt  ganz  versteckt 
hinter  einer  festungsartigen  Mauer  die  alte  serbische  Kirche  der  heil.  Erz- 
engel. Sie  stammt  aus  der  Zeit  der  Gründung  Sarajevos  durch  die  Türken 
und    sie    zei<7t    wie    der    christliche  Glaube  sich  beulen,    wie  er  sich  scheu 


Ambona      Predigerstuhl)    in    der   alten 
orientalisch-orthodoxen    Kirche    in    Sarajevo 


—     8i      — 


hinter  dicken  Mauern  verbergen  musste.  Da  ist  nichts  von  dem  äusseren 
Prunk  der  modernen  Gotteshäuser;  fast  in  den  Boden  gesunken,  jedenfalls 
tiei  in  den  Grund  gebaut,  ist  das  Kirchlein,  als  wolle  es  sich  noch  kleiner 
machen,  um  ja  nicht  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zu  lenken,  nicht  die 
Begehrlichkeit  der  Türken  oder  ihren  Fanatismus  zu  reizen.  Der  Bau 
ist  ganz  aus  behauenen  Steinen  aufgeführt;  er  hat  die  Form  eines  unregel- 
mässigen Quadrates  und  weist  keinerlei  Schmuck  auf.  Der  Fussboden 
liegt  einen  Meter  tiefer  als  das  Niveau  der  Umgebung,  das  Gewölbe  er- 
hebt sich  nicht  über  S  Meter.  Im  Innern  der  Kirche  herrscht  Dunkel; 
nur  sieben  kleine  übereinanderliegende  Fenster  lassen  einen  Lichtschimmer 


Markthalle    in    Sarajevo. 


einfallen.  An  das  Kirchlein  knüpft  sich  ein  interessanter  alter  Brauch, 
der  wohl  auch  bald  in  Vergessenheit  gerathen  wird.  Im  Yorhofe  finden 
sich  am  Ostermontag  die  heirathsfähigen  serbischen  Mädchen  in  vollem 
Putz  ein,  geziert  mit  dem  ganzen  Schmucke  aus  Gold-  und  Silbermünzen, 
aus  dem  ihre  Aussteuer  besteht.  Es  ist  ein  Heirathsmarkt  in  offener  Form 
und  er  erklärt  sich  aus  der  früher  nothwendigen  Abgeschlossenheit,  denn 
schöne  Mädchen  durfte  man  vor  den  Türken  nicht  sehen  lassen.  Auf  der 
Strasse  verhüllten  die  meisten  ihr  Gesicht  wie  die  Mohammedanerinnen,  und 
so  war  es  nicht  gerade  leicht,  eine  Bekanntschaft  zum  Heirathen  zu  machen. 
Bei  den  reichen  Klassen  sorgte  dafür  allerdings  die  Geschäftsbekanntschaft 
de>  Vaters  <>der  eine  alte  Verwandte,  welche  die  Vermittlerin  machte. 

In  derselben  Strasse  steht  auch  der  Tempel  der  spanischen  Juden, 
in  dessen  Besitz  sich  ein  kostbarer  Thora-Talmud  und  viele  werthvolle 
Teppiche  befinden.  Die  Spaniolen,  wie  sie  genannt  werden,  gelten  als  die 
Nachkommen    der    aus  Spanien    vertriebenen   Israeliten,    die    1576  von   der 


türkischen  Regierung  auch  in  Bosnien  angesiedelt  wurden.  Es  kamen  da- 
mals 30  Familien  nach  Sarajevo,  doch  vermehrten  sie  sich  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  ganz  bedeutend  und  gründeten  auch  andere  Niederlassungen 
in  Travnik,  Tuzla,  Mostar,  Banjaluka  etc.  Ihre  Sprache  ist  noch  immer 
das  Spanische,  doch  sind  sie  —  wenigstens  die  männlichen  Mitglieder  — 
auch  der  Landessprache  und  anderer  europäischer  Idiome  mächtig.  Ihr 
Geschäftsgeist  hat  ihnen  meist  Wohlstand  verschafft,  auch  gemessen  sie 
eines  guten  Rufes  bei  der  nndersgläubigen  Bevölkerung.  Frauen  und 
Mädchen  kleiden  sich  noch  orientalisch  und  zeichnen  sich  oft  durch 
hervorragende  Schönheit  aus. 

Erwähnt  möge  hier  noch  die  dem  Stadtbahnhofe  gegenüberliegende 
neue  Markthalle  sein,   ein  Gebäude  von  sehr  gefälliger  Bauart. 

Wie  bereits  gesagt,  scheidet  die  Miljacka  —  gewöhnlich  ein  lamm- 
frommes Wasser,  zu  Zeiten  ein  wilder  Bergstrom  —  Sarajevo  in  zwei  un- 
gleiche Hälften.  Das  Geschäftsviertel  befindet  sich  auf  dem  rechten  Ufer,  wo 
jetzt  ein  solider  Quai  —  der  Appel-Quai  —  den  Fluss  eindämmt  und  wo  eine 
elektrische  Bahn  den  Verkehr  nach  der  Ebene  vermittelt.  Die  Elektricitäts- 
werke  sorgen  zugleich  theilweise  für  Beleuchtung  der  Stadt  und  Gebäude. 
Ueber  die  sogenannte  »Lateinerbrücke«  (Latinski  most)  wenden  wir  uns 
auf  die  linke  Uferseite,  wo  einst  der  Sitz  sämmtlicher  türkischen  Behörden 
war.  Da  sehen  wir  zuerst  die  Careva-Dzamija  —  die  Kaiser-Moschee  — 
eines  der  ältesten  Gotteshäuser  Sarajevos,  wenngleich  architektonisch  keine 
Besonderheiten  bietend.  Es  war  stets  die  offizielle  Moschee,  auf  deren 
Minaret  an  Freitagen  die  Halbmondsflagge  wehte.  In  ihrem  Rücken,  durch 
einen  hübschen  Garten  mit  weitem  Vorhofe  getrennt,  steht  der  neue  Konak, 
der  gewesene  Palast  des  Vali  von  Bosnien,  erst  1868  erbaut.  Heute  ist  er 
die  Residenz  des  Landeschefs  und  kommandirenden  Generals.  Dem  Konak- 
hofe  gegenüber  erhebt  sich  das  stilvolle  Palais  des  Obergerichtes  mit  einem 
schönen,  von  offenen  Korridors  umgebenen  gedeckten  Hofe,  welcher  das 
Oberlicht  durch  ein  Glasdach  mit  gelben  Scheiben  erhält.  Unweit  davon 
befindet  sich  am  Bistrik  das  bereits  erwähnte  Regierungsatelier  für  Teppich- 
weberei. Die  grosse  von  Omer  Pascha  1 85 1  erbaute  Militärkaserne  steht 
unweit  des  Konaks  auf  dem  Philippovic- Platz  ■ —  einst  At-Mejdan  — ,  und 
hinter  ihr  beginnt  der  Aufstieg  in  die  stillsten  aller  Türkenviertel,  in  die 
aber  europäische   Familien   auch  bereits  einzudringen  beginnen. 


6* 


Aus 
dem  bosnischen 
Leben 
und 
Lieben. 


)\ 


An  der  »Tekija 
der    sieben    heiligen 
Brüder«    —    einem    Der-      "**v 
wischkloster  mit  den  Grab- 
mälern    von   sieben   Brüdern, 
die  angeblich  in  alten  Zeiten 
auf  Befehl    eines  Paschas   ge- 
köpft wurden  —  vorüber  führt 

ein  halsbrecherischer  Weg  längs  des  Bistrik-Baches  in  die  Bergeshöhen  hinauf. 
Es  ist  die  orientalische  Kalderma,  auf  der  man  schreitet,  die  mit  grossen 
Steinen  gepflasterten  Wege,  die  im  Laufe  der  Jahrhunderte  ausgetreten,  durch 
die  Tragthiere  mit  förmlichen  Gruben  versehen  wurden.  Die  Steine  schliffen 
sich  ab,  und  es  ist  ein  waghalsiges  Turnen  erforderlich,  eine  solche  Berg- 
strasse zu  Fuss  zu  passiren.  Daran  haben  sich  die  Bosnier  längst  gewöhnt; 
nachgebessert  ist  an  den  Strassen  in  früherer  Zeit  nichts  worden,  und  auch 
die  Sarajevoer  Stadtverwaltung  hat  bisher  weder  Zei"  noch  Geld  gefunden, 
einen  erträglichen  Weg  in  jene  Höhen  anzulegen,  auf  denen  Hausbesitzer 
wohnen,  die  aus  Armuth  keine  Steuern  zahlen  können.  Es  ist  eines  der 
interessantesten  Quartiere,   die  man  in  Sarajevo  besuchen  kann,  allerdings 


84 


\V;u 


mit  Beschwerden  verbunden,  aber  es 
bietet  Einblick  in  Verhältnisse,  die 
sich  schwerlich  anderswo  finden,  in 
Häuserbauten,  wie  man  sie  in  dieser 
Gebrechlichkeit  in  einer  Hauptstadt 
kaum  vermuthen  würde,  und  doch 
auch  wieder  in  lauschige  Winkel  voll 
wundervoller  landschaftlicher  Schön- 
heit. Und  ein  Blick  von  der  Höhe  ent- 
schädigt für  alle  Mühen  und  Strapazen. 
Nicht  allein  auf  die  Stadt,  meilenweit 
schweift  das  Auge  in  die  Ebene  und 
die  sie  umsäumenden  Berge.  Es  ist  eine 
entzückende  Phantasie  in  Grün, 
zuerst  dem  Fremden  auf  allen  Gängen  in  und  um  Sarajevo 
auffällt,  sind  die  vielen,  mitten  zwischen  den  Häusergruppen  liegenden 
türkischen  Friedhöfe.  Es  dürfte  ihrer  wohl  ein  halbes  Hundert  geben,  und 
da  sie  in  keiner  Weise  gepflegt  werden,  machen  sie  meist  den  Eindruck 
einer  trostlosen  Wildniss.  Es  fehlen  die  Cypressen,  die  in  südlicheren 
Ländern  des  Islam  den  Verfall  mit  harmonischem  Schatten  verschleiern,  und 
kahl  und  nackt  stehen  die  Steinpfeiler,  die  sich  schief,  krumm  oder  ganz 
eingesunken  an  beiden  Schmalseiten  der  Gräber  befinden.  Jeder  Stein 
zeigt  an,  welchem".  Stande  der  Verstorbene  angehörte.  So  bezeichnet  aui 
den  alten  Friedhöfen  der  eiförmige  Turban  das  Grab  eines  Janitscharen, 
der  gespitzte  das  eines  Derwisch,  der  niedere  Turban  jenes  eines  Kauf- 
mannes. Einzelne  Denkmälei  enthalten  zeilenlange  Inschriften  und  selbst 
kleine  Säulentempel  sind  über  den  Grabstätten  berühmter  Persönlichkeiten 
errichtet.  Der  Friedhot  auf  Alifakovac  ist  in  dieser  Beziehung  sehenswerth. 
Immer  gleich  bleiben  sich  aber  die  Denksteine  für  weibliche  Personen. 
Ein  oben  spitzzulaufender  bezeichnet  die  Ruhestätte  irgend  einer  Gattin 
oder  Mutter,  selten  nur  wird  ihr  ein  Wort  liebevoller  Erinnerung  gewidmet. 
Und  doch  wäre  es  verkehrt,  daraus  auf  Gefühllosigkeit  der  bosnischen 
Mohammedaner  schliessen  zu  wollen.  Es  giebt  vielleicht  kaum  ein  innigeres, 
ein  mehr  auf  das  Häusliche  gerichtetes  Familienleben,  als  bei  den  dortigen 
Moslims.  Vielweiberei  ist  gestattet,  aber  in  Wirklichkeit  kaum  bekannt. 
Es  dürfte  kaum  einige  Dutzend  Mohammedaner  in  Bosnien  geben,  die  mehr 
als  eine  Frau  besitzen,  und  wo  dies  der  Fall  ist,  muss  jeder  Frau  ein 
eigener  Hausstand  eingerichtet  werden.  Das  verursacht  Kosten,  und  am 
Ende  hat  auch  der  Mohammedaner  meist  mit  einer  Frau  mehr  als  genug. 
Gardinenpredigten  sind  durchaus  nicht  unbekannt;  im  Hause  führt  die 
Frau  das  Regiment;  meist  ist  sie  sehr  fleissig  und  wirthschaftlich,  und 
diejenigen  Türkinnen,    die    auf  seidenen  Polstern   dahinträumen,    Scherbet 


-    85 


trinken,  Cigaretten  rauchen  und  im  süssen  dolce  far  niente  den  Tag  ver- 
bringen, sind  seltener  zu  finden,  als  bei  uns  jene  Frauen,  die  nicht  nöthig 
haben,  sich  um  die  Wirthschaft  zu  kümmern.  Die  Mohammedanerinnen 
in  Bosnien  sind  jedoch  schlimmer  daran  als  ihre  europäischen  Schwestern; 
ihnen  fehlen  Theater  und  Concerte,  sie  haben  keine  öffentlichen  Ver- 
gnügungen. Nur  gegenseitige  Besuche  können  die  Langeweile  ausfüllen 
und  Ausflüge  auf  schön  gelegene  Punkte  der  Umgebung,  wo  dann  »Teferic« 
(mit  Picknick  zu  übersetzen)  gehalten  wird.  Was  aber  an  den  bosnischen 
Mohammedanerinnen  zu  loben  ist,  das  ist  ihre  Ordnungsliebe,  Arbeitsam- 
keit, ihre  Fertigkeit  in  Handarbeiten,  besonders  Stickereien  und  —  nicht 
zuletzt   -  -    die    musterhafte    Erziehung,    die   sie    ihren   Kindern    angedeihen 

lassen.  Besser  erzogene 
Kinder  als  die  türkischen, 
und  zum  grössten  Theil 
gilt  dies  auch  für  die 
christlichen  Kinder  in  Bos- 
nien, können  in  keinem 
Lande  gefunden  werden. 
Unbedingter  Gehorsam, 
Achtung  und  Ehrfurcht 
vor  den  Eltern  bis  ins 
späteste  Alter  sind  die 
Grundbedingungen,  und 
Verletzung  eines  dieser 
Grundsätze  ist  ein  Ver- 
brechen, das  den  Be- 
treffenden von  jeder  Ge- 
sellschaft ausschliesst.  Die 
Schulbildung  ist  noch  verhältnissmässig  selten,  die  Bildung  des  Herzens 
und  Gemüthes  meist  vorhanden,  und  es  scheint,  als  ob  in  dieser  Richtung 
der  Islam  eine  sehr  erziehende  Wirksamkeit  ausgeübt  hätte. 

Ueberhaupt  macht  man  sich  in  PLuropa  —  auf  dem  Balkan  spricht 
man  von  den  über  der  Donau  und  Save  liegenden  Ländern  stets  als  von 
Europa  —  von  dem  internen  mohammedanischen  Leben  ganz  falsche  Vor- 
stellungen. .Man  glaubt  den  Schilderungen  irgend  welcher  Touristen,  die, 
oberflächlich  oder  garnicht  sehend,  ihre  Erzählungen  mit  nicht  erlebten 
Abenteuern  ausschmücken,  lieber,  als  den  wirklichen  Kennern,  die  freilich 
so  manches  Geheimnissvolle  ihres  Nimbus  entkleiden  und  ohne  Weiteres 
schreiben,  dass  auch  die  Muslims  trotz  der  Polygamie  und  der  Ab- 
geschlossenheit der  PYauen  Fleisch  von  unserem  Fleisch  sind,  dass  sich  bei 
ihnen  alles  das  findet,  was  wir  in  unserem  Volksleben  beobachten.  Nur 
ein  grosser  Theil  der  Laster  mangelt,  und  das  ist  entschieden  kein  Fehler.    In 


Friedhof    auf    Alifakovac. 


—      S6      — 


Bosnien,  wo  sich  türkische  und  altslävische  Sitten  mit  einander  mischen, 
wo  man  im  Mohammedanismus  noch  unsere  mittelalterlichen  Gebrauche 
findet,  ist  ein  Studium  entschieden  am  lehrreichsten.  Es  wird  sehr  er 
schwert  durch  die  Abgeschlossenheit  und  Verschlossenheit  der  betreffenden 
Kreise  und  es  bedarf  weiblicher  Mithilfe,  um  hinter  die  eigentümlichen 
Sitten  und  Gebrauche,  besonders  in  Frauenkreisen  zu  kommen.  Eine  der 
schönsten  Sitten,  sicherlich  ein  Ueberrest  aus  christlicher  Zeit,  ist  aber  das 
»Aschyklik«,  der  Damendienst  oder  die  »süsse  Minne«.  Es  ist  das  in 
österreichischen  oder  bayerischen  Ländern  gebräuchliche  » Fensterin  <  ,  und 
wenn  es  auch  weniger  am  Fenster,  meist  an  Gartenzäunen  stattfindet,  so 
erfüllt  es  doch  den  gleichen  Zweck.  Zur  Landessitte  —  zum  Adet  — 
gehört,  dass  türkische  Frauen  und  Mädchen  am  Freitag  oder  auch  am 
Montag  immer  in  grösserer  Anzahl  und  ohne  männliche  Begleitung  die 
vorhin  geschilderten  Teferic-Ausflüge  unternehmen.  Mit  Akschäm  (Sonnen- 
untergang) ist  die  Rückkehr  geboten,  und  jetzt  entwickelt  sich  in  den 
Hausgärten,  an  den  Hinterthüren  der  Häuser  oder  von  den  vergitterten 
Muscharabiehs  aus  (»Muschebak«  sagt  der  Bosnier)  ein  geheimnissvolles 
Treiben.  Am  Tage  der  »süssen  Minne«  ist  es  dem  jungen  Manne  gestattet, 
sich  der  Dame  seiner  Bekanntschaft,  die  er  vielleicht  als  unverschleierten 
Backfisch  flüchtig  geschaut,  in  allen  Ehren  zu  nahen  und  ihr  in  Form 
rechtens  den  Hof  zu  machen.  Das  geschieht  so  züchtig,  so  zart,  dass  man 
die  Mohammedaner  wegen  ihres  Anstandes  bewundern  muss.  Ueber  ein 
ganz  leises  Flüstern  kommt  das  Aschyklik 
nie  hinaus,  ein  Kuss  ist  fast  unmöglich, 
und  nur  wenn  die  Leidenschaft 
die  Grenzen  überschreitet,  wenn 
sich  einer  Verehelichung  Hin- 
dernisse in  den  Weg  stellen, 
dann  wird  eine  Entführung 
verabredet,  die  der  Landes- 
sitte entspricht,  aber  nicht 
mehr  recht  gebräuchlich  ist. 
Und  es  ertönen  hin  und  her 
süsse  Liebeslieder,  die  den 
schönsten  Klängen  des 
Abendlandes  nichts  nach- 
geben. Da  ist  das  bosnische 
Volk,  wenn  auch  religiös, 
doch  nicht  national  geschie- 
den, und  die  Frauen-  und 
Liebeslieder  gelten  für  Mo- 
hammedaner  wie   Christen. 


G  u  s  1  a  r 


«7 


Ueberhaupt  ist  das  südslavische  Volk  reich  an  Liedern.  Während  aber 
die  Epik  wenig  Gefälle  hat,  die  Handlung  meist  verflacht  oder  im  Sande 
verläuft,  ist  der  lyrische  Schatz  ein  wunderbarer.  Die  epischen  Stücke, 
wie  sie  von  den  bosnischen  Barden  zur  Gusla  in  einer  fremdartigen,  halb 
singenden  Weise  mit  eigenthümlichem  Rhythmus  recitirt  werden,  handeln 
vom  Alltagsleben  und  den  Thaten  der  Helden;  die  Siege,  wie  die  Nieder- 
lagen werden  mit  Breite  geschildert,  aber  keine  Freude  schwell1-  die  Brust 
des  Sängers,  kein  Kummer  zerdrückt  ihm  das  Herz.  Wie  anders  die 
Volkslyrik!  Es  ist  fast  unglaublich,  dass  diese  duftenden  Blüthen  auf  dem- 
selben Boden  wuchsen.  Schelmische  Laune,  pathetische  Leidenschaft, 
ausgelassener  Freudenüberschwang,  süsse  Melancholie,  muthiger  Trotz  und 
hingebungsvolles  Anschmiegen :  für  jede  Regung  des  Gemüthes  hat  diese 
Lyrik  ihre  eigenen  süssen  Melodien.  Welche  innige  Empfindung  kommt 
nicht  in  dem   Gedichte  zum  Ausdruck: 

»O  Du  Mädchen  wunderschön! 
Wasche  nicht  die  Wange  Dein, 
Dass  sie  schneeig  glitze  nicht! 
Hebe  nicht  die  Braue  fein, 
Dass  Dein  Auge  blitze  nicht! 
Hüll'   den  weissen  Nacken  ein, 
Dass  mir  nicht  das  Herze   bricht. -< 

Und  welche  eigenthümliche  Liebessehnsucht  klingt  nicht  aus  dem  Liede: 

»Wenn  ich  denke,  süsses  Liebchen, 
An  die  Röthe  Deiner  Wangen, 
Dann,  mein  Seelchen,  hab'  ich  immer 
Nur  nach   rothem  Wein   Verlangen. 

Doch  wenn  Deine  dunkeln  Augen 
In   den  Sinn  mir,   Liebchen,  kommen, 
Wird  um  keinen  Preis   ein  and'rer 
Als  der  dunkle  Wein  genommen. 

Und   aus   Trauer,   auch  aus  Freude, 
Trinke,  singe  ich  und  weine, 
Wanke   endlich  heim,   beseligt 
Von   der  Liebe   —  und  vom    Weine.« 

Und   wie  feurig  klingt  es  nicht,  wenn  der  Geliebte  spricht: 

»So  ein  Kuss  von  Deinen  Lippen, 
Wenn  dieselben  feurig  küssen, 
Kann,   mein  holdes,  theures   Mädchen, 
Selbst  ein  Wermuthsmeer  versüssen. 

Darum  küsse,  holder  Engel! 
Küsse  endlos!    Nicht  versage! 
Dass  je  eher  Du  versüssest 
All  das   Herbe  früh'rer  Tage!« 


—     SS 


Liebesidyll    in    der    H  erce<ro  vi  na. 


Oder  welche   Gefühlswärme   kommt   nicht   zum  Ausdruck,    wenn 

Verehrer  singt: 

Wenn  ich  heimlich   Dich   begleite, 

Hinter   I  >ir   beseligt   sehr 

Geh'   ich  meines  Glückes  Spur,  — 

Aber  selten,  selten  nur! 

Wenn   Du   mich   ans   Her.:   gezogen, 
Deinen    Arm    um   mich   gebogen: 
Lag  ich  in  der  Edenflur,  — 

Aber  selten,   selten   nur! 

Wann    werd1    ich    Dich    immer    küssen. 
Herzen   können,   nicht  mehr   missen? 
—  So   wie  ich  es  heute  kann?   — 
Sage,  Liebchen,  sage  wann? 

Und  der  bosnische   Sänger    mohammedanischen   Ursprungs    lässt  -ein 

Mädchen  sprechen: 

Meine  Augen    —  Falkenaugen   sind  es, 
Jeder  lobt  und  liebet  diese   Augen  ! 
Doch  vor  Allen  liebt  sie  Osman   Aga. 
Also   spricht  dann   Osman   Aga's   Mutter: 
»Mädchen,   schöne   Hula   Du,   o   Mädchen! 
Schmink'   nicht   weiss   und  rosig   mehr   die   Wangen, 
Nicht  verlocke  fürder  meinen   Osman! 
Ins   Gebirge  will  ich  geh'n   —    ins   grüne. 
Will  aus   Fuhren   dunkle   Höfe  bau'n   dorl 
Will   den   Sohn   einsperren   in   den   Höfen! 

Darauf  antwortet  das  Mädchen: 

»Immerhin,  o  Theure,   Osman' s  Mutter! 
Meine   Augen   —   Falkenaugen   sind    es, 
Die  erschliessen  Deine  Föhrenhöfe, 
Führen  mich  zu  Osman   Aga   dennoch! 

Und  wie  süss  klingt  nicht  die  Liebesklage  El-Abd-Mustafa's,  gedichtet 
von  Potur  Uskufi  aus  Dolnji-Skoplje,  die  der  ehemalige  preussische  Konsul 
in  Sarajevo  Dr.  Otto  Blau  in  den  »Abhandlungen  für  die  Kunde  des 
Morgenlandes«   übersetzt  hat: 

Wo   bist   Du   gehlieben,   mein   trautestes    I 
Lang'   schon  ist's  her  und  ich  sah  Dich   nicht! 
Bei  Allah,  Du  bist  mehr  als  das  Leben  mir  lieb. 
Lang'   schon  ist's  her  und  ich   sah  Dich  nicht! 

Lang'   schmacht'    ich,   o   Herz,   Dich   einmal  zu   umfah'n, 
Ich  seufze,  seit  Dich   meine  Augen  nicht  sahn: 
Mein   Herz  sehnt  nach    Dir  sich,   o  glaube   daran! 
Lang:'    schon   ist's   her  und   ich    küsste   Dich   nicht! 


9' 


Ich  sag'  Dir:  o  Du  meine  Seele  und  Wonne, 
Du  bist  wie  ein  Sträusslein  von  Rosen  so  schön. 
O  flieh'   nicht  von  mir,  meine  strahlende  Sonne ! 
Lang'   schon  ist's  her  und  ich  sah  Dich  nicht! 

Dem  Blatte  gleich   welk'   ich,   mein  Herzblatt,  um  Dich. 
Mein  Auge  weint  Ströme  von  Zähren  um  Dich. 
O  Kaduna  (Herrin),  vor  Kummer  verzehre  ich  mich! 
Lang'   schon  ist's  her  und  ich  herzte  Dich  nicht! 

Die  Wange  Dein  blüht  wie  ein  Waldröslein  roth, 
Schwarzdrossel  zum  Schmuck   ihren  Frohsinn  Dir  bot. 
Wer  Dich  liebt,   dem  thät'  eine  Schlinge  wohl  noth! 
Lang'  schon  ist's  her  und  ich  umschlang  Dich  nicht! 

Verbirg  Dich  vor  mir   nicht,   o  komm'   doch  heraus, 
Sonst  hauch'   ich   mein  Leben   noch   ohne  Dich  aus! 
Wo   bis!-.  Du  mein  Schatz,  sprich,  wo  hältst  Du  jetzt  Haus? 
Lang'  schon  ist's  her  und  ich  küsste  Dich  nicht! 

Uskufi  wird  für  den  bedeutendsten  der  älteren  mohammedanischen 
bosnischen  Dichter  gehalten.  In  Konstantinopel  sind  seine  Dichtungen  in 
türkischer  Sprache  und  Schritt  erschienen.  In  Skoplje  am  Vrbas  zeigt  man 
noch  sein  ehemaliges  Heim  und  auf  der  Ruine  von  Prusac,  von  der  man 
einen  prachtvollen  Ausblick  auf  das  blühende  Thal  und  die  Höhen  der 
Cardak-Planina  geniesst,  sein  Lieblingsplätzchen.  Und  welcher  Zauber 
liegt  nicht  in  jenen  Versen,   die  gleichfalls  türkischen  Ursprungs  sind: 

Ich  will  nicht,  dass  der  Mond  Dein  AnÜitz  sieht, 
Wenn   er  zur  Nacht  an  Dir  vorüberzieht, 
Und  dass  des  Tages   Sonne  Dich   erwärmt, 
Indess  sich  Mehmed  weinend  um  Dich  härmt. 

Ich  will  nicht,  dass  der  Regen  Dich  ergötzt, 
Wenn  alle  andern  Blumen  er  benetzt. 
Ich  will  nicht,    dass  Dich  Deine  Mutter  liebt, 
Und  dass  sie  ihrem   Kinde  Küsse  giebt! 

Ich  will  Dein  Mond  und  Deine  Sonne  sein, 
Und   dürstet  Dich,   bin  ich  der  Mundschenk  Dein. 
Ich   will  Dich  lieben,  Jetzt  und  immerdar, 
Und    will  allein   Dir  küssen  Mund  und  Haar. 

Oder  in  jenen: 

Du  waschendes  Mädchen  am  plätschernden  Fluss, 

Nur  eine   Minute   mir  schenke 

Und  lüfte  den  Schleier  zum  freundlichen  Gruss, 

Damit  ich  der  Einen  gedenke- 

Die  meiner  Seele  Glück. 


—     92 


Ich  reise  so  traurig  durch's  blühende  Land, 

Die  Schritte  zur  Ferne  ich  lenke. 

Lass'  drücken  die  hennarothfärb'ge  Hand, 

Damit  ich   der  Einen   gedenke: 

Die  meiner  Liebe  Glück. 

Erschrick  nicht,   du  Spröde,   und  grolle  mir  nicht, 

Zu   Boden  die  Augen  nicht  senke, 

Wenn  zärtlich  ich  küsse  Dein  rosig'   Gesicht, 

Damit  ich  der  Einen  gedenke: 

I  >ie  meiner  Seele  Glück. 


Die  Kleidung  der  verschiedenen  bosnischen  Bevölkerungsklassen 
wird  dem  Fremden  manche  Räthsel  zu  lösen  geben.  Wie  jedes  Naturvolk, 
hat  auch  das  bosnisch-hercegovinische  einen  besonderen  Hang  zu  prunk- 
vollen Gewändern,  und  ist  das  Bedürfniss  nach  Schmückung  beim  Manne 
in  gleicher  Weise  entwickelt  wie  bei  der  Frau.  Die  Kostümformen  sind 
ebenso  zahlreich,  als  malerisch;  die  Unterschiede  werden  durch  religiöse, 
klimatische  und  traditionelle  Gründe  bedingt.  Vor  Allem  müssen  die  Stadt- 
kostüme von  denen  des  Landvolkes  unterschieden  werden.  Die  ersteren 
sind  feiner  ausgeführt,  reicher  ausgestattet  und  zeigen  merkliche,  durch 
Standesverhältnisse  bedingte  Verschiedenheiten.  Am  meisten  zeichnet  sich 
•durch  Prunkhaftigkeit  die  Kleidung  der  Mohammedanerin  aus.  Die 
Richtung  der  Mode  geht  hier  nicht  dahin,  die  Körperformen  zur  Geltung 
zu  bringen,  sondern  sie  möglichst  zu  verhüllen  und  mit  reichen,  in  Farben 
und  im  Schmuck  bunt  schillernden  Stoffen  zu  umgeben.  Die  wichtigsten 
Kleidungsstücke  sind  dabei  die  Dimije,  eine  weitfaltige,  oft  aus  den  kost- 
barsten Stoffen  hergestellte,  mit  Goldborten  und  Stickereien  verzierte 
Pluderhose,  die  bis  zu  den  Knöcheln  reicht;  die  Jecerma,  ein  kurzes, 
ärmelloses  Leibchen,  das  den  Busen  eng  umschliesst,  und  der  Fennen, 
ein  ebenfalls  ärmelloses,  jedoch  vorn  offenes  Leibchen,  das  mit  reicher 
ornamentaler  Goldstickerei  derart  übersäet  ist,  dass  man  mitunter  kaum 
-den  eigentlichen  Stoff  erkennen  kann.  Diese  Kleidungsstücke  tragen  sowohl 
Madchen  als  Frauen;   die  folgenden  aber  dienen  als  Unterscheidung. 

Jede  mohammedanische  Frau  besitzt  in  ihrer  Toilette  mindestens  eine 
Anterija,  die  ihr  bei  der  Hochzeit  vom  Bräutigam  übergeben  wird  und  die 
sie  bei  festlichen  Gelegenheiten  benützt.  Fs  ist  dies  ein  langer  Mantel 
mit  schmalen,  langen,  unten  geschlitzten  Aermeln,  gewöhnlich  aus  Seide, 
Sammet  oder  Brokat  und  so  reich  mit  Gold  ausgenäht,  dass  der  Metallwerth 
eines  solchen  Stückes  oft  mehrere  hundert  Gulden  beträgt.  Ausser  der 
Anterija  besitzt  die  verheirathete  Frau  auch  die  Curdija,  eine  kurze,  pelz- 
verbrämte Jacke  mit  langen  Aermeln.  Ein  besonders  wichtiges  Unter- 
scheidungsmerkmal    zwischen     der     mohammedanischen     Frau     und     dem 


—    93    — 


Mädchen  bildet  der  Kopfputz.  I  Jas  Madchen  lässt  ihr  Haar  in  Zöpfen 
frei  über  den  Nacken  hängen  und  schmückt  es  mit  Blumen,  Goldmünzen 
und  dem  üblichen  Fez  (der  rothen  türkischen  Kappe).  Die  Frau  hingegen 
tragt  das  Haar  halbverhüllt.  Der  Fez  bekommt  oben  einen  tellerartigen, 
mit  Perlen,  Gold,  Münzen  oder  anderem  Schmuck  reichverzierten  Scheitel- 
deckel, den  sogenannten  Tepeluk.  Von  diesem  herab  hängt  ringsum  über 
das  Haupt  eine  breite  Seidenfranse,  und  um  das  Ganze  wird,  den  Tepeluk 
freilassend,  ein  dunkles  Tuch  -  -  die  Jemenija  —  geschlungen.  Niedere 
Schnabelschuhe,  Pantoffeln  oder  weite  gelbe  Saffianstiefel  vollenden  die 
Haustoilette  der  Mohammedanerin. 

So  prunkvoll  die  Kleidung,  so  reich  ist  oft  der  übrige  Schmuck. 
Ein  wichtiges  Stück  ist  der  Gürtel  mit  einer  grossen,  schöngeformten,  mit 
Perlen  oder  Filigranarbeit  geschmückten  Schliesse.  Sonst  sind  noch  Ringe, 
Armbänder,  Ohrgehänge,  Colliers,  Diademe  etc.  gebräuchlich.  Nie  ist  der 
Mohammedanerin  der  Schmuck  reich  und  schwer  genug.  Sie  zeigt  aber 
diesen  Reichthum  nie  auf  der  Strasse,  sie  ist  gänzlich  verhüllt  durch  einen 
langen,  meist  schwarzen,  bis  zur  Erde  wallenden  Mantel  (Feredza),  der 
selbst  die  Fingerspitzen  nicht  sehen  lässt,  denn  auch  diese  dürfen  einem 
fremden  Auge  nicht  gezeigt  werden.  Der  Kopf  wird  derart  in  weisse 
Tücher  eingehüllt,  dass  nur  vor  den  Augen  ein  schmaler  Schlitz  zum 
Durchblicken  übrig  bleibt. 

Die  Kleidung  der  Frauen  der  anderen  Religionsbekenntnisse  ist  von 
der  mohammedanischen  Frauentracht  abgeleitet.  Die  spanischen  Jüdinnen 
unterscheiden  sich  nur  wenig  von  den  Mohammedanerinnen;  nur  die  Haar- 
tracht ist  insofern  verschieden,  als  sie  die  Fransen  des  Kopftuches  lang 
über  die  Schultern  wallen  lassen.  In  früheren  Zeiten  trugen  die  Spaniolinnen 
auch  einen  der  Feredza  ähnlichen  Strassenmantel  aus  rother  Seide  und 
verhüllten  das  Gesicht  mit  weissen  Tüchern.  Die  Tracht  der  Christinnen, 
wenn  sie  auch  aus  ähnlichen  Bestandtheilen  besteht,  ist  einfacher  und 
wenngleich  kostbar  im  Stoffe,  in  der  Farbe  bedeutend  matter  und  ruhiger. 
Die  katholischen  Frauen,  die  mit  Mohammedanerinnen  immer  in  regem 
Verkehr  stehen,  nähern  sich  auch  in  der  Kleidung  mehr  diesen,  während 
die  orientalisch -orthodoxen  sich  etwas  von  den  ursprünglichen  Trachten- 
vorbildern entfernen  und  namentlich  die  Dimije  (Pluderhosen)  nur  bei 
Mädchen  oder  jungen   Frauen  gestatten. 

Die  Bestandtheile  des  Männerkostüms  sind  die  weite  Pluderhose 
i  Salvare)  mit  daran  befestigten  oder  separaten  Gamaschen  (Tozluke),  der 
Dzemadan,  ein  ärmelloser  Leib,  der  die  Brust  bis  zum  Halse  bedeckt; 
unter  diesem  eine  Gjecerma,  ein  Aermelleib  aus  leichtem  Stoffe;  dann  ein 
kurzer  reichverzierter  ärmelloser  Rock  (Fennen)  und  darüber  in  der 
rauhen  Jahreszeit  ein  kurzer,  mit  Pelz  verbrämter  Mantel  (Gunj).  Ein  be- 
sonderes   Prachtstück  des  reiferen  Mannes  ist  die  Dolama.    ein  bis   zu  ^n 


—     94     — 


Knien  reichender  weiter  reichfaltiger  Schoossrock.  Charakteristisch  ist 
bei  den  Männern  die  Kopfbedeckung.  Burschen  und  junge  Manner  oder 
europäisirte  Mohammedaner  tragen  nur  den  Fez.  Aeltere  Männer  winden 
ein  Turbantuch  darum.  Die  Farbe  eines  solchen  ist  verschieden.  Der 
Hodza  (Geistliche)  und  Schriftgelehrte  tragen  es  schneeweiss,  die  Mekka- 
pilger gelblich-weiss  mit  reicher  Seidenstickerei  (Achmedija);  die  Derwische 
grün.  Der  Reiche  nimmt  einen  seidenen  Trabolos,  der  Aermere  benutzt 
ein  rothes  oder  einfach  geblümtes  Wolltuch.  Bei  Christen  ist  der  Turban 
roth  oder  dunkelfarbig  und  selten  geblümt. 

Während  sich  beim  Kostüm  des  Städters  immer  der  gleiche  Typus 
mit  ganz  geringen  Unterschieden  wiederholt,  zeigt  die  Kleidung  der  Land- 
bevölkerung die  mannigfachsten  Lokalverschiedenheiten,  auch  bei  Frauen, 
doch  lassen  sich,  wenn  von  den  slavonischen,  dalmatinischen  und  monte- 
negrinischen Grenzgebieten  abgesehen  wird,  wo  fremde  Bekleidungsformen 
ihren  Einfluss  geltend  machen,  folgende  drei  Hauptgebiete  unterscheiden: 
Die  Krajna  (Nordwesten  Bosniens),  wo  die  Frau  ein  langes,  am  Brustlatz 
und  an  den  weiten  Aermeln  reichgesticktes  Hemd  und  darüber  einen 
dunkeln  Zobun  —  eine  oft  bis  zu  den  Knien  reichende,  mit  Schooss- 
theilen  versehene  Jacke  aus  Loden  —  trägt  und  den  Kopf  mit  einer 
grossen  weissen  Okruga  (Kopftuch)  verhüllt.  Den  Mangel  an  Reichthum 
in  der  Bekleidung  ersetzt  ein  oft  fabelhaft  gewichtiger  Münzenschmuck, 
der  in  Form  von  Brustlätzen  (Gjerdan),  von  Zopfgehängen  am  Gürtel 
oder  an  der  Mütze  getragen  wird.  Das  mittelbosnische  Frauenkostüm 
unterscheidet  sich  durch  die  Anwendung  der  Pluderhosen,  die  nur  bei 
alten  Frauen  durch  eine  bis  zur  Erde  wallende  Anterija  ersetzt  werden; 
ferner  durch  den  kürzeren,  je  nach  der  Gegend,  schwarz,  roth  oder  braun 
gefärbten  Zobun.  Der  Kopfputz  ist  ähnlich  dem  der  Mohammedanerin, 
nur  ist  der  Tepeluk  tellerartig,  die  Fransengarnitur  reicher,  oft  mit  Gold- 
quasten, und  um  die  Jemenija  —  das  um  den  Fez  geschlungene  Kopftuch  — 
werden  unzählige  Blumen,  Flitter  und  Silberagraffen  gehangen.  Die  herce- 
govinische  Frauentracht  zeichnet  sich  durch  blendende  Weisse  aus.  Der 
Zobun  ist  nur  kurz,  wie  der  ärmellose  Rock;  die  Pluderhosen  vertritt  ein 
bis  zur  Erde  reichender  schwerer  weisser  Lodenrock.  Dazu  tritt  reicher 
Münzen-undMetallschmuck.  Eigenthümlich  gestaltet  sich  in  den  verschiedenen 
Gegenden  die  Schürze.  Am  schönsten  ist  sie  in  der  Krajna,  wo  sie 
Teppichmuster  als  Stickerei  zeigt  und  mit  langem  Fransenbesatze  verziert 
ist.  In  Mittelbosnien  ist  sie  einfach,  in  der  Hercegovina  ein  schmaler 
brauner  Wollstreifen.  Im  Sprecathal  trägt  man  gar  zwei  Schürzen,  vorn 
und  rückwärts,  während  im  Drinagebiete  die  Schürze  zu  einem  schmalen, 
mit  Fransen  besetzten   Streifen  zusammenschrumpft. 


95 


Und  so  schreiten  wir  aus  den  Höhen  Sarajevos  wieder  in  die  Strassen 
zur  Miljacka  hinab  und  statten  dem  Ghazi-Isa-Bade  einen  Besuch  ab.  Hier 
ist  Alles  neu  und  modern,  aber  die  Einrichtung  des  türkischen  »Hamam« 
ist  geblieben.  Ein  anderes  Bad  befindet  sich  unweit  der  katholischen 
Kathedrale  und  dieses  ist  noch  gänzlich  im  ehemaligen  Zustande.  Von 
aussen  betrachtet,  ist  dieses  Badehaus  nur  durch  seine  über  verschiedenen 
Theilen  der  Bedachung  sich  erhebenden  Kuppeln  und  durch  ein  grösseres 
Portal  von  einem  gewöhnlichen  besseren  Wohnhaus  zu  unterscheiden.  Durch 
eine  mit  einem  schweren  Vorhange  bedeckte  Thür  betritt  man  das  Vor- 
gemach oder  die  Vorhalle,  welche  sehr  geräumig  und  hoch  ist.  Rings  an 
den  Wänden  ist  eine  durch  mehrere  Stufen  zu  ersteigende  hölzerne  Estrade 
angebracht,  die  durch  senkrecht  gestellte  hölzerne  Gitterwände  in  mehrere 
Räume  getheilt  ist.  Diese  Abtheilungen,  deren  Boden  für  die  ärmere 
Klasse  bloss  mit  einem  Teppich  bedeckt  ist,  dienen  zum  Auskleiden.  Bade- 
gäste, die  einem  höheren  Stande  angehören,  und  deren  Aeusseres  eine 
bessere  Bezahlung  hoffen  lässt,  finden  in  dem  angewiesenen  Auskleideraume, 
der  auch  auf  Wunsch  durch  eine  hölzerne  Gitterthür  abgeschlossen  werden 
kann,  einen  Divan.  In  der  Mitte  der  Vorhalle  befindet  sich  ein  Bassin 
mit  einem  Springquell.  Ist  nun  der  Badegast  in  den  Auskleidekäfig  ge- 
treten, so  wird  ihm  durch  den  Badediener  eine  weite  farbige  Schürze  und 
ein  grosses  weisses  Tuch  gereicht,  das  zur  Bedeckung  des  Ober-  und  Unter- 
leibes dient.  Ein  paar  Pantoffeln  —  sogenannte  »Nanule«  — ,  die  nur 
aus  einer  zolldicken,  hölzernen  Sohle  und  aus  daran  genagelten  zollbreiten 
ledernen  Riemen  bestehen,  vervollständigen  die  Badetoilette.  Dei  Gebrauch 
det  hölzernen  Pantoffeln  ist  unbedingt  nothwendig,  da  die  Baderäumlich- 
keiten mit  Steinplatten  bedeckt  sind,   die  unterirdisch  erhitzt  werden. 


Alter    jüdischer    Friedhof    bei    Sara 


i3$m 


bTa\  II    ir^onsequent  vi 
i*T|^>— «^   Gehen  wir  v 


Die  Neuzeit  in  Sarajevo. 


onsequent  verfolgen  wir  wieder  den  Weg  nach  \\  i 

on  dem  Ghazi-Isa-Bade  über  den  Phüippovic 


Platz,  so  kommen  wir  in  die  Terezija-Strasse,  in 
der  sich  das  k.  k.  Militär-Knaben-Pensionat  befin- 
det, in  dem  bosnische  Zöglinge  und  solche  von 
Beamten  und  Offizieren  die  Grundlage  zum  Be- 
suche von  Truppenschulen  und  Kadettenanstalten 
des  österreichisch-ungarischen  Heeres  erhalten 
Die  Anstalt,  die  auch  mit  einem  Externat  ver- 
bunden ist,  hat  bisher  sehr  segensreich  gewirkt. 
Und  schreiten  wir  weiter,  so  kommen  wir 
längs  des  Wassers,  durch  neue  im  Entstehen 
begriffene  Stadttheile  an  Stelle  ehemaliger  baufälliger  Hütten,  nach  einem 
etwa-  abseits  gelegenen  kühlen  Grunde  -  -  nach  Kovacic.  Dieser  Punkt 
ist  für  alle  Biertrinker  (und  welcher  Deutsche  wäre  dies  nicht)  von  histo- 
rischer Bedeutung,  er  ist  die  Geburtsstätte  der  bosnischen  Bierbereitung. 
Und  das  Bier  hat  in  Bosnien  schnelle  Verbreitung  gefunden.  Die  Herce- 
govina  produzirt  vorzüglichen  Wein;  in  Bosnien  macht  man  aus  den 
Zwetschken  Slivovitz,  den  meist  leichten  Branntwein  (Rakija),  das  Bier 
musste  aber  erst  eingeführt  und  zu  einem  der  Nationalgetränke  erhoben 
werden.  In  den  Städten  ist  dies  gelungen,  und  zwar  datiren  die  Anfange 
schon  aus  türkischer  Zeit.  Wer  heute  erfährt,  dass  in  Sarajevo  drei 
Brauereien  bestehen,  die  jetzt  als  Aktienbrauerei  in  ein  grosses  Unternehmen 
vereinigt  sind,  wird  kaum  an  eine  frühere  türkische  Stadt  denken.  Und 
andere  Brauereien  sind  in  Mostar,  Banjaluka,  Tuzla  u.  s.  w.  entstanden, 
selbst  in  dem  kleinen  Visegrad  hatte  ein  aus  Serbien  gekommener  Deutscher 
eine  kleine  Brauerei  gegründet.  Sarajevo  aber  war  schon  eine  Bierstadt. 
ehe  die  schwarzgelben  Fahnen  auf  dem    Kastell  wehten. 


—    97     — 


Zigeu'ner-Dzambas     Pferjde  makler)   aus  Sarajevo. 

Fünfzehn  Jahre  vor  der  Okkupation  etwa  errichtete  ein  unterneh- 
mender Israelit  aus  Gradiska,  Feldbauer,  die  erste  Brauerei  in  Kovacic. 
Das  erzeugte  nicht  geringe  Aufregung;  alle  religiösen  Bande  des  Islam 
schienen  gelöst,  der  Vali  von  Bosnien  war  der  erste  Gast  in  der  Brauerei, 
der  das  vom  Koran  nicht  verbotene  Getränk  mit  einem  Becher  voll  goldener 
Liras  bezahlte.  Und  sie  kamen  alle  nach  und  nach  und  kosteten  das 
internationale  Getränk.  Es  wurde  ein  Drängen  in  den  beschränkten 
Räumen  der  Brauerei  und  im  Freien,  und  alle  nationalen  und  religiösen 
Streitigkeiten  wären  vielleicht  ertränkt  worden  im  goldenen  Gerstensaft, 
wenn  die  bosnischen  Christen  sich  in  die  Gläser  so  versenkt  hätten,  wie 
die  Mohammedaner.  Da  kam  das  Verhängniss.  Der  Bach,  welcher  der 
Brauerei  das  Wasser  lieferte,  wurde  abgeleitet.  Die  Streitigkeiten  dauerten 
lange  Zeit,  Feldbauer  konnte  den  Prozess  nicht  zu  Ende  führen,  —  so  ging 


98    - 


das  Brauhaus  ein  und  der  Pionier  zog  von  dannen.  Nun  kam  aber 
die  schreckliche  bierlose  Zeit  über  das  stolze  Bosna-Saraj.  Erst  als  in 
Lukavica  jenseits  des  Trebevic  ein  noch  heute  bestehendes,  mehr  als  primi- 
tives Brauhaus  errichtet  wurde  (das  Getränk  ähnelte  dem  Kärtner  »Stein- 
bier«), besserten  sich  die  Verhältnisse  etwas.  Dann  kam  ein  Slovene, 
Gerdoutsch,  der  im  Jahre  1870  die  Brauerei  in  Kovacic  wieder  eröffnete. 
Für  die  Biertrinker  von  Sarajevo  begannen  nun  goldene  Zeiten.  Am  Tage 
sassen  die  türkischen  Offiziere  und  Beamten  im  kühlen  Grunde  des  Kovacic- 
Brdo,  am  Abend  kamen  die  verschiedenen  Konsule  und  Konsulatsbeamten, 
am  Sonntag  aber  sorgte  die  Fremdenkolonie,  hauptsächlich  die  ziemlich 
starke  österreichisch-ungarische,  dafür,  dass  das  Brauhaus  nicht  in  Ver- 
gessenheit gerieth.  Und  wenn  die  Tage  der  Fastnacht  kamen,  da  ertönte 
aus  den  oberen  Wohnräumen  Musik,  da  drehte  sich  Alles,  was  europäisch 
war,  im  lustigen  Reigen.  Man  kannte  damals  noch  nicht  den  Kastengeist. 
Jeder  Fremde  war  dem  anderen  gleich,  die  Konsule  standen  mit  ihren 
Staatsangehörigen  auf  gutem  Fusse,  und  die  gesammte  Fremdenkolonie 
bildete  eine  grosse  Familie,  die  sich  gegenseitig  unterstützte  und  sich  ge- 
meinschaftlich unterhielt. 

Das  waren  die  Glanztage  des  Brauhauses  von  Kovacic,  und  wenn 
auch  der  mehrjährige  Aufstand  in  Bosnien  und  der  Hercegovina,  wie  der 
russisch-türkische  Krieg  manchmal  einen  grellen  Misston  in  das  harmonische 
Zusammenleben  warfen,  so  hatten  die  Fremden  doch  weniger  darunter  zu 
leiden,  und  die  Krajna  sowohl,  wie  die  Zubci  und  die  Suttorina  waren  ja 
weit  von  Sarajevo  entfernt.  Was  brauchte  man  sich  beim  Bier  um  die 
Schlächtereien  zu  kümmern,  die  an  den  Grenzen  vorkamen:  Die  Truppen- 
durchzüge nützten  dem  Brauhause.  Bald  war  arabischer,  bald  anatolischer 
oder  rumelischer  Besuch  da.  Die  Brüder  Albanesen  stellten  sich  so 
gut  ein  wie  die  bulgarischen  Pomaken,  und  die  Xubier  verschmähten  ebenso- 
wenig das  braune  , schwäbische^  Getränk,  von  dem  der  Prophet  noch 
nichts  wusste.  Hier  verkehrten  Mustafa  Assim  und  Mazhar  Pascha,  Hafiz 
und  Osman  Pascha,  der  »Löwe  von  Plewna«,  Sulejman  Pascha,  der  durch 
seinen  blutigen  Zug  durch  Montenegro  und  seine  Forcirung  des  Schipka- 
passes  bekannt  gewordene  General.  Hier  war  aber  auch  vor  seinem  bei 
Muratovica  erfolgten  Heldentode  der  melancholische  Mustafa  1  )>chellal- 
Eddin  Pascha  täglicher  Gast.  Xie  sprach  er  mit  Jemand.  Vielleicht  dachte 
er  an  sein  polnisches  Vaterland,  vielleicht  ahnte  er  sein   Ende  voraus! 

Da  kam  die  Okkupation !  Die  kaiserlichen  Truppen  überschritten  die 
Save,  in  Sarajevo  organisirte  der  Revolutionsausschuss  den  Widerstand. 
Die  Wogen  der  Bewegung  gingen  hoch.  Niemand  dachte  an  einen  Be- 
such des  Brauhauses;  Hadzi  Lojo  war  der  Volkstribun  der  Hauptstadt. 
Oeffentlich  wurde  ausgetrommelt,  dass  ein  Christenkopf  nur  noch  einen 
Para  koste,  Tag  für  Tag  gingen   die   angeblichen  Vertheidiger  ihres  Vater- 


99     — 


landes  nach  Vrandruk  und  Zenica  ab.  Das  österreichisch-ungarische  General- 
konsulat hatte  man  schon  am  30.  Juli  1878  gezwungen,  die  Stadt  zu  verlassen, 
sich  mit  den  Staatsangehörigen  über  Mostar  nach  Metkovic  zu  wenden. 
Wer  konnte,  schloss  sich  der  Karawane  der  gezwungenen  Auswanderer  an 
und  unser  Brauer  von  Kovaöic  war  unter  den  Fliehenden.  Gleich  den 
anderen  Geschäftsleuten  verschluss  er  einfach  die  Gebäude  und  empfahl 
seinen  Besitz  dem  Schutze  des  Himmels.  Als  aber  der  Besitzer  nach  der 
Besetzung  Sarajevos  zurückkehrte,   fand  er  zerstörte  Braupfannen  und  nur 

die    Trümmer   seiner   Habe Da   kam    der   Winter.      Das   Brauhaus 

wurde  wieder  eröffnet,  und  eine  wahre  Wallfahrt  begann  auf  dem  damals 
elenden  Wege  mit  seinen  Löchern  und  Untiefen,  seinen  schadhaften 
Brücken  und  dem  bodenlosen  Schmutz.  Da  ging  es  lustig  zu,  und  wenn 
die  Dunkel  der  Nacht  sich  über  Kovacic  herabsenkten,  wenn  die  meisten 
der  Gäste  nach  Hause  gegangen  waren,  weil  sie  den  Weg  fürchteten,  da 
blieb  in  einem  der  oberen  Eckzimmer  noch  oft  eine  fröhliche  Gesellschaft 
zusammen  —  eine  Gesellschaft,  die  heute  über  alle  fünf  Welttheile  zerstreut 

ist Und  im   nächsten  Sommer  verschönerte  sich  der   Garten,    und 

es  wurde  gebaut,  Militärmusik  spielte  und  Sonntags  strömte  halb  Sarajevo 
nach  Kovacic.  Heute  ist  das  Brauhaus  als  solches  verschwunden;  es  ist 
eine  Mälzerei  der  Aktienbrauerei  und  die  Sonntagsvergnügen  würden  nicht 
mehr  so  angenehm  sein,  weil  Steinbrüche  und  Ziegelbrennereien  in  der 
Nähe  angelegt  sind.  So  schreitet  die  nachkommende  Civilisation  immer 
über  eine  frühere  Kulturepoche,  aber  man  braucht  dies  in  Sarajevo  nicht 
zu  bedauern,  denn  hier  blüht  wirklich  neues  Leben  aus  Ruinen,  und  die 
Erbschaft    von   Kovacic    ist    auf   Aschenbrenners    Brauerei   in    der   Kosova 

übergegangen  

Und  draussen  in  der  Ebene  von  Sarajevo  liegt  noch  eine  Anstalt, 
die  in  ihrer  Gesammteinrichtung  vorläufig  wenig  Konkurrentinnen  in  Europa 
hat.  Es  ist  das  neue  Landesspital.  Geht  man  die  Strasse  nach  Kosevo 
entlang,  so  taucht  auf  einmal  zwischen  dem  Laubwerk  der  niedrigen  Sträucher 
und  Bäume  eine  ganze  kleine  Villenstadt  auf,  die  in  nichts  den  düsteren 
Eindruck  hervorruft,  den  man  gewöhnlich  mit  dem  Begriffe  Spital  in 
einer  Grossstadt  verbindet.  Die  Anlage  geschah  zwischen  Feldern  und 
einem  Bache  in  höchst  gesunder  Gegend,  von  der  Peripherie  der  Stadt 
etwa  einen  Kilometer  entfernt.  Xeuangelegte  Strassen  sind  mit  Alleen 
bepflanzt  und  für  Erweiterungen  ist  mehr  als  genügend  Terrain  vorhanden, 
hie  Anstalt  ist  im  Pavillonsystem  erbaut,  und  zwar  ist  die  Decentralisation 
vollkommen  durchgeführt,  nur  das  Aufnahmegebäude  ist  in  Folge  des 
Operationssaales  mit  der  chirurgischen  Abtheilung  einerseits  und  der  Sym- 
metrie halber  mit  einem  internen  Pavillon  andererseits  durch  Promenaden- 
gange verbunden.  Die  Gebäranstalt  ist  abseits  von  dem  nächsten  Pavillon 
am   höchsten  gelegen.    Der  weite,   zwischen  und  um  die  einzelnen  Gebäude 


verbliebene  Flächenraum  ist 
durchwegs  zu  Gartenanlagen 
umgestaltet,  doch  sind  die 
Anpflanzungen  nirgends  bis 
unmittelbar  an  die  Aussen 
mauer  der  Pavillons  heran- 
gerückt; überall  ist  ein  einen 
Meter  breites  Trottoir  und 
vor  den  Eingängen  ein  genü- 
gender Kiesplatz  zum  Hinaus- 
stellen von  Kranken  in  den 
Betten  freigelassen.  Die  An- 
lagen zwischen  den  Pavillons 
haben,     abgesehen    von    den 

einfachen  Baumreihen 
sämmtlicher  Strassen,  keine 
grosseren,  die  Luftbewegung 
hemmenden  Bäume,  sondern 
bestehen  aus  Rasenflächen, 
Ziersträuchern  und  niedrigen 
Bäumen,  welche  verschieden- 
förmig  zu  laubenartigen  Sitz- 
plätzen angeordnet  sind.  Die 
grösseren  freien  Plätze  sind 
mit  Waldbäumen  bepflanzt. 
1  )as  Leichenhaus  ist  durch 
Einfriedigung  sowohl  nach  der 
Strasse,  wie  auch  nach  der 
Anstalt  abgesondert  worden. 
Ueber  die  Lösung  aller  archi- 
tektonischen und  konstruk- 
tiven Aufgaben  urtheilen  zu 
wollen,  wäre  gewagt,  doch 
darf  man  wohl  sagen,  dass 
wir  einer  von  ungewöhnlich 
reicher  technischer  Erfahrung 
zeugenden  Arbeit  gegenüber- 
stehen. Die  Schönheit  der 
Formen,  die  Gestaltungskraft 
der  grossen  Auffassung  und 
ilie  Pracht  in  der  Gesammt- 
wirkunsr    muss    man    den    Er- 


Landesspital   in    Sara 


bauern  zuerkennen.  Durch  die  Wirkung  der  kontrastvollen  Horizontal- 
linien, der  Silhouetten,  der  gleichgeneigten  Flächen  der  Dächer  und  der 
proportionirten  Giebel  ist  ein  Effekt  erzielt  worden,  welchen  vielleicht 
keine  zweite  ähnliche  Anlage  der  Neuzeit  aufzuweisen  hat.  Die  ver- 
bauten Flächen  betragen  ca.  6500  qm,  und  die  Mitte  der  Anlage  bildet 
das  Aufnahmegebäude  mit  einem  schön  gestalteten  Vorsprung  von  drei 
Giebeln,  mit  einem  Schlaguhrthürmchen  gekrönt  und  von  drei  Giebeln 
flankirt.  Die  zu  beiden  Seiten  des  Mittelbaues  angeordneten  Verbindungs- 
gänge treten  um  ein  Bedeutendes  zurück  und  werden  einerseits  vom  internen, 
andererseits  vom  chirurgischen  Pavillon,  die  mit  Risalitgiebeln  geschmückt 
sind,  flankirt.  Gegenüber  steht  das  Wohnhaus  der  Aerzte,  und  pylonen- 
artig nach  rechts  und  links  abzweigend  entwickeln  sich  die  übrigen  vier 
Krankenpavillons,  das  Wärterinnen-Wohnhaus  und  parallel  zum  Aufnahme- 
gebäude die  drei  Oekonomie-  und  verschiedene  Wirthschaftsgebäude. 
Abseits  gelegen  ist  das  Leichenhaus  und  das  Verbrennofen-Häuschen; 
südlich  und  nördlich  je  ein  Portierhaus.  Die  Anstalt  ist  für  250  Kranke 
berechnet.  In  der  inneren  Ausstattung  ist  eine  Menge  Neuerungen  zu 
finden.  Hervorzuheben  ist  die  Kanalisirung  in  Betonrohrkanälen  mit 
Monierwänden  und  eigenartigen  Syphons  gegen  Rückschlag  der  Kanalgase. 
Niederschlag,  Wasch-  und  Spülwasser  wird  in  besonderen  Kanälen  abgeführt, 
und  sämmtliche  Abläufe  und  Kanalverschlüsse  sind  mit  Syphons  gegen 
das  Aufsteigen  der  Gase  versehen.  Die  Heizung  geschieht  in  den  Kranken- 
sälen mittelst  Ventilations-Füllreguliröfen  mit  Aussenluftzufuhr  in  Kanälen, 
sonst  mittelst  Kachelöfen;  in  den  drei  Oekonomiegebäuden  mittelst  Dampf. 
Die  Trink-  und  Nutzwasserleitung,  von  der  städtischen  Leitung  abgezweigt, 
liefert  pro  Tag  und  Kopf  500  Liter.  Als  Beleuchtung  wurde  elektrisches 
Licht  gewählt.  Die  Warmwasserbereitung  für  die  Wannenbäder  [in  den 
Pavillons,  mit  Ausnahme  jener  im  Badehause,  geschieht  durch  Patent- 
öfen, in  welchen  gleichzeitig  die  Batterie  anmontirt  ist.  Für  die  Wasch- 
tische, Spülgefässe,  fahrbaren  Wannen  und  Operationstische  geschieht  dies 
mittelst  Reservoir-Mantelöfen  mit  Expansions-Reservoir  direkter  Speisung; 
die  Warmwasserbereitung  für  die  Oekonomiegebäude  in  Reservoirs,  die  mit 
Dampf  gespeist  werden.  Es  wäre  noch  Vieles  zu  erwähnen  über  die  eigenartige 
Ausführung  der  Operationssäle,  die  vorzüglich  ventilirten  und  geräumigen 
Krankenzimmer,  über  die  Küchenräume,  die  Leichenhausräume,  besonders 
über  die  Prosectur-Maceration  und  Entfettung,  über  das  bakteriologische 
Zimmer,  die  amerikanischen  Eiskeller  mit  den  Kühlräumen,  die  Apotheke  mit 
dem  Laboratorium  u.  s.  w.,  doch  möge  es  bei  dem  Vorstehenden  bewenden. 
Um  den  Botendienst  zu  erleichtern,  führt  das  Telephon  zum  neuen  Polizei- 
gebaude  in  der  Stadt.  Das  Mobiliar  besteht  fast  nur  aus  Glas  und  Eisen. 
Das  neue  Landesspital  ist  an  Stelle  des  früher  bestandenen  Vakuf- 
spitals  getreten,  das  den  gesteigerten  Bedürfnissen   nicht  mehr  entsprechen 


—     102    — 


konnte.  Es  dient  selbstverständlich  den  Ansprüchen  aller  Konfessionen, 
und  für  Mohammedaner  ist  ganz  gesonderte  Küche  eingeführt. 

Und  von  was  soll  ich  noch  erzählen  von  Sarajevo?  Von  seiner 
Handels-  und  seiner  vorzüglichen  technischen  Mittelschule,  die  bereits  im 
Jahre  1889  gegründet  wurde,  oder  von  dem  Klosterpensionat  der  Tochter 
der  göttlichen  Liebe?  Von  den  neugegründeten  Wohlthätigkeitsvereinen, 
dem  Gesangverein,  dem  Frauenverein,  den  Volksküchen  oder  dem  Touristen- 
verein? Es  fehlt  nichts  in  der  bosnischen  Hauptstadt,  und  sogar  eine 
heimische  Volksbank  ist  gegründet  worden,  die  Spareinlagen  übernimmt 
und  bisher  recht  segensreich  wirkt.  Vor  zwei  Jahren  wurde  auch  eine  privi- 
legirte  Landesbank  für  Bosnien  und  die  Hercegovina  mit  20  Millionen 
Kronen  Gründungskapital  errichtet.  Die  verschiedenen  im  Lande  ge- 
gründeten Sparkassen  sind  von  bestem  Einfluss  auf  das  Volk  gewesen, 
das  eine  fruchtbringende  Anlage  seiner  Gelder  —  mit  Ausnahme  der 
wucherischen  Geschäftsleute  —  gar  nicht  kannte.  Besonders  die  Spar- 
kasse in  Brcka  an  der  Save  hat  sich  zu  einem  namhaften  Geldinstitut 
entwickelt. 

Die  Privat-Bauthätigkeit  ist  in  Sarajevo,  das  nach  der  Volkszählung 
von  1895  41 173  Einwohner  zählt,  ungemein  rege;  sie  war  aber  auch  sehr 
nothwendig,  da  der  Wohnungsmangel  für  die  europäische  Bevölkerung 
schon  zu  einer  Kalamität  geworden  war  und  die  Miethszinse  eine  kaum 
glaubliche  Höhe  erreicht  hatten.  Bemerkenswert!!  sind  besonders  die 
Bauten  des  Pensionsfonds  der  Landesbeamten,  der  auch  am  Dzidzikovac 
ein  förmliches  Villenviertel  aus  stockhohen  Wohnhäusern  in  ländlicher 
Architektur  aufführen  lässt.  Gegenwärtig  bestehen  in  Sarajevo  elf  Ziegeleien, 
welche  theils  in  Ring-,  theils  in  Feldöfen  jährlich  zusammen  ungefähr 
18  Millionen  Ziegel  brennen.  Obenan  steht  hier  die  industrielle  Anlage 
des  Ingenieurs  Braun,  von  dem  im  Jahre  1884  der  erste  Ringofen  in 
Bosnien  erbaut  wurde.  Sein  bedeutendes  Unternehmen  umfasst  ausser 
der  Herstellung  von  Dach-  und  Mauerziegeln  (zwei  Ringöfen)  Thonwaaren, 
Klinker  und  Steingutröhren,  auch  eine  Sägemühle,  Parquetböden-Erzeugung, 
Bautischlerei  und  ein  Zimmermeister-Geschäft.  Ueberall  herrscht  reges 
Leben,  ein  kräftig  pulsirender  Verkehr,  der  in  den  steigenden  Zittern  des 
städtischen  und  des  Landesbudgets  zum  Ausdruck  kommt. 

So  hätten  wir  unseren  Rundgang  durch  Sarajevo  beendet.  Wir  steigen 
nun  beim  alten  Magistratsgebäude  vorüber  auf  einem  etwas  steinigen  Fuss- 
wege  noch  auf  die  Hridhöhe,  die  auch  »Stadtwäldchen«  genannt  wird. 
Gegen  die  Miljacka  zu  steht  hier  auf  einer  vorgeschobenen  Kuppe  ein 
kleiner  Aussichtsthurm ;  weiter  aufwärts  befindet  man  sich  auf  der  Kamm- 
linie der  die  Miljacka  begleitenden  Höhen,  und  nun  wechseln  Wiesen  mit 
grösseren  oder  kleineren  Gebüschen  ab,  dazwischen  ein  eingefriedetes 
Gehöft  —   eine  Idylle  inmitten  rauher  Berge.     Auf  dem  Wege  zum  Stadt- 


waldchen    ist   ein   türkisches   Kaffeehaus,    das    vorzüglichen    Mokka    braut. 
Die  Aussicht  von  dort  ist  überraschend  schön. 

Den  sogenannten  Appehveg  verfolgend,  der  sich  rechts  hinter  dem 
Magistratsgebäude  in  die  Berge  zieht,  erreicht  man  in  i1  2  Stunden  die  Velika 
Kapa,  einen  der  lohnendsten  Aussichtspunkte,  einen  hohen  spitzen  Kegel. 
Dann  gelangt  man  an  die  Schlucht  des  Bistrik-Potok,  die  den  Gebirgs- 
stock  des  Trebevic  von  den  ihm  vorgelagerten  Höhen  scheidet.  Von  der 
Kapa  aus  führt  ein  Reitweg  auf  den  Gipfel  des  Trebevic,  1629  Meter 
über  dem  Meere.  Der  Aufstieg  von  der  Stadt  dauert  über  vier  Stunden, 
mi    seinem    letzten    Theile    durch  Wald    und  Wiesen    mit    Hochgebirgsflora. 


Touristenhaus    am     Trebevic. 

Die  Fernsicht  vom  Trebevic  gegen  Norden  und  Westen  ist  fast  unbegrenzt: 
gegen  Süden  breitet  sich  das  Hochplateau  der  Jahorina  aus,  umschlossen 
von  einer  Kette  bewaldeter  Berge.  An  den  spitzen  Kegel  des  Kmor  bei 
Foca  reihen  sich  die  ungeheuren  Wellenformationen  des  Volujak,  der 
massive  Stock  des  Maglic,  die  zerklüftete  Kammlinie  der  Treskavica  und 
die  Umrisse  der  Bjelasnica.  In  weiter  Ferne  sieht  man  bei  klarem  Wetter 
den  dreitheiligen  Gipfel  des  Dormitor  in  Montenegro.  Im  Norden  und 
(  >sten  fallt  der  Blick  auf  die  dunkeln  Waldungen  der  Romanja  -Planina. 
die  wir  bei  weiteren  Reisen  noch  des  Näheren  kennen  lernen  werden. 
rouristenklub  in  Sarajevo  hat  auf  dem  Trebevi6  ein  Schutz  hau-  er- 
baut und  Reisende  sind  am  besten  berathen,  wenn  sie  sich  vor  Antritt 
der  Tour    an    den  Klub   wenden.      Zum   Abstieg    kann   man   einen   anderen 


104 


Weg  auf  dem  linken  Hange  des  Bistrikbaches  wählen.  Da  geniesst  man 
noch  einmal  ilcn  vollen  Ueberblick  über  Sarajevo  und  kann  sich  das  wunder- 
volle  Bild   für  ewig  ins  Gedächtniss  prägen. 

Ein  weiterer  für  Touristen  sehr  empfehlenswerther  grossartiger  Aus- 
sichtspunkt ist  von  der  Station  Pazaric  der  Bahnstrecke  Sarajevo •  Mostar 
aus  auf  Reitwegen  in  wenigen  Stunden  zu  erreichen:  es  ist  das  im  Jahre  [894 
errichtete  meteorologische  Observatorium  auf  dem  2067  Meter  hohen  Gipfel 
der  Bjelasnica,  in  welchem  sich  auch  Touristenzimmer  befinden.  Das 
Observatorium  ist  die  einzige  meteorologische  Höhenstation  auf  der  Balkan- 
Halbinsel.  Es  bietet  sich  hier  eine  Fernsicht,  wie  auf  wenigen  affderen 
Gebirgsspitzen  des  Landes,  bis  weit  nach  Montenegro  und  in  das  Paschalik 
Novibazar,  abgesehen  von  den  prächtigen  Panoramen  der  näheren  Io- 
nischen Gebirgs-  und  Waldwelt.  Von  Bad  Ilidze  oder  vom  Dorfe  Hrastnice 
aus  kann  der  Ausflug  auf  die  Bjelasnica  auch  ganz  zu  Pferde  oder  zu  Fuss 
auf  romantischen  Pfaden  unternommen  werden,  doch  erfordert  diese  Tour 
zwei  Tacre. 


Observatorium  auf  der   Bjelasnica.. 


IcX    ■' 

- 

Hut  nur. 


Eine  Perle  Bosniens. 


einen  Theil  von  Sarajevo  muss  man  heute  das  in 
der  Nähe  gelegene  prächtige  Bad  Ilidze  be- 
trachten. Während  der  Badesaison  vom  15.  Mai 
bis  15.  September,  aber  auch  früher  und  später, 
finden  förmliche  Wallfahrten  dorthin  statt,  und  die 
Züge  der  Lokalbahn,  die  fast  ununterbrochen  verkehren,  sind  meist  gut 
besetzt.  Die  Fahrt  dauert  1 5  Minuten,  mit  Wagen  eine  Stunde.  Rechts 
und  links  der  Strecke  schweift  der  Blick  über  Felder  und  Wiesen  zu  den 
Abhängen  der  Berge;  Landhäuser  türkischer  Grundbesitzer  wechseln  mit 
kleineren  Bauernhäusern,  die  hier  schon  einen  europäischen  Anstrich  tragen, 
und  mit  Interesse  ruht  das  Auge  auf  all  den  Neuanlagen  der  Ebene  von 
Sarajevo.  Dann  kommt  links  die  landwirtschaftliche  Station  Ilidze  oder 
Butmir,  weltberühmt  geworden  durch  die  dort  gemachten  neolithischen 
Funde,  die  das  Erstaunen  der  europäischen  Gelehrten  erregen  und  über 
welche  die  Zeitschrift  des  Landesmuseums  die  umfassendsten  Auskünfte 
giebt.  Die  landwirthschaftliche  Anstalt  ist  eine  ganze  Häusergruppe.  Der 
eigentliche  Wirthschaftshof  umfasst  die  beiden  Viehstallungen  sammt  Futter- 
kammern und  Schüttböden,  ein  Molkereigebäude  mit  angebautem  Eiskeller 
sammt  Dampfkessel,  Futterdämpfapparaten,  Wasserreservoirs  u.  s.  w.  Für 
die  Beamten  und  die  einheimischen  landwirthschaftlichen  Zöglinge  ist  ein 
hübsches   Wohnhaus    errichtet,    an    dem  letztere  gleich   lernen  können,    wie 


—     106    — 


<mm 


ad     1 1  i  d  z  c. 


man  eigentlich  wohnen  soll, 
wenn  man  des  Tages  Last 
und  I  Iit/.e  getragen  hat,   Von 

hier  und  aus  den  übrigen 
landwirtschaftlichen  Anstal- 
ten des  Landes,  auf  deren  ein- 
zelne wir  noch  gelegentlich 
zu  sprechen  kommen,  sollen 
jene  Pioniere  hervorgehen, 
die  Bosnien  auf  eine  höhere 
wirtschaftliche  Stufe  zu 
bringen  bestimmt  sind.  Hier 
wird  der  praktische  Unter- 
richt aber  nicht  nur  an  Lehr- 
linge ertheilt,  er  wird  auch 
den  erwachsenen  Hauern 
durch  Unterweisung  gege- 
ben; es  werden  ihnen  zur 
Kreuzung  Nutzthiere  besorgt 
und  auch  umsonst  über- 
mittelt, Möllthaler,  Wipp- 
thaler  oder  ungarische  Kühe, 
Zuchtochsen  und  hauptsäch- 
lich auch  bessere  Pflüge,   die 

an  die  Stelle  der  bisherigen  antediluvianischen  treten  müssen.  Daneben 
wird  auch  die  Gärtnerei  berücksichtigt  und  in  Ilidze-Butmir  sind  ein  nettes 
Gärtnerhaus,  ein  Glashaus  und  eine  sehenswerthe  Bewässerungsanlage  für 
die  Gemüsegärten  errichtet  worden.  Die  Anstalt  besitzt  einen  guten  Ab- 
nehmer für  ihre  Erzeugnisse  an  dem  Bade  Ilid/.e  selbst  und  an  Sarajevo. 
Butter  und  Milch  -  einst  zwei  sehr  rare  Artikel  in  Sarajevo  -  werden 
in  grossen  Quantitäten  geliefert. 

Und  wenn  man  weiterfahrt,  erblickt  man  nicht  weit  von  der  Station 
Ilidze  einen  neuen  Beweis  des  Fortschrittes:  eine  Volksschule  und  ein 
Wohngebäude  für  Lehrer  und  Lehrerinnen.  Beide  Häuser  sind  im  Re 
naissancestil  sehr  geschmackvoll  erbaut.  Das  eigentliche  Schulgebäude 
besteht  aus  einer  Abtheilung  für  Knaben  und  getrennt  hiervon  aus  der 
Mädchenabtheilung.  Jede  Abtheilung  enthalt  zwei  grosse  Klassenzimmer. 
Da  diese  Schule  für  die  im  Sarajevsko-Polje  wohnenden  schulpflichtigen 
Kinder  mit  bestimmt  ist,  wurde  für  die  vom  Schulgebäude  entfernter 
wohnenden  Kinder  durch  LJnterkunftsräume,  Küchen  und  Vorrathskammern 
Sorge  getragen.  Kaum  eröffnet,  wurde  diese  interkonfessionelle  Schule 
bereits  von  über    100  Kindern  besucht. 


Bauer   aus   dem    Sarajevsko-Polje. 


109 


Der  Zug  überschreitet  vor  seiner  Ankunft 
in  der  Station  die  Zeljeznica  auf  einer  Brücke 
und  hält  endlich  vor  einem  hübschen  Bahn- 
gebäude. Wir  sind  in  Bad  Ilidze, 
in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt 
eine  Schöpfung  des  Reichs- 
finanzministers v.  Källäy. 
Die  Quelle  selbst  war 
schon  den  Römern  be- 
kannt, die  hier  grössere 
Badeeinrichtungen  be- 
sassen.  In  der  Türken- 
zeit wurde  das  Wasser 
ebenfalls  benutzt,  doch 
waren  die  Anlagen  mehr 
als  primitiv.  Ueber  dem 
Bassin  erhob  sich  ein  ein- 
facher Bau,  der  in  nichts 
verrieth,  dass  man  sich 
in  einem  Badeorte  be- 
finde. Für  Unterkunft 
sorgten  einige  türkische 
Hans  (Einkehr  -Wirths- 
häuser),  doch  fehlte  jede 
Bequemlichkeit.  Ich  lernte  das  Bad  noch  in  seiner  Ursprünglichkeit  kennen 
und  am  Morgen  der  Erstürmung  von  Sarajevo,  am  19.  August  1878, 
während  die  Kanonen  von  den  Höhen  gegen  die  Stadt  und  die  Stellungen 
der  Insurgenten  donnerten,  nahm  ich  mit  zwei  Kollegen  in  Ilidze  ein  Bad. 
Eine  Stunde  später  überfiel  eine  fliehende  Streifkolonne  der  Aufständischen 
den  Ort,  und  wir  konnten  Gott  danken,  der  Niedermetzelung  entgangen  zu 
sein.  Die  nach  der  Okkupation  eingetretene  Entwicklung  von  Sarajevo 
und  der  Zuzug  fremder  Bevölkerung  äusserten  auch  ihre  Wirkung  auf  das  Bad. 
Es  wurden  einige  Bauten  durch  Dr.  Kötschet  und  einen  serbischen  Kauf- 
mann ausgeführt,  die  von  der  Landesregierung  das  Bad  gepachtet  hatten, 
es  wurden  einige  Anlagen  geschaffen,  aber  bald  genügte  der  vorhandene 
Raum  nicht  den  gesteigerten  Ansprüchen  und  so  nahm  die  Regierung 
die  Angelegenheit  in  ihre  Hand. 

I  leute  kann  sich  Ilidze  getrost  den  besseren  europäischen  Badeorten 
an  die  Seite  stellen.  Seine  Lage  inmitten  eines  schönen  Parkes  am  Ufer 
der  Zeljeznica,  überragt  von  dem  1248  Meter  hohen,  dicht  bewaldeten 
Igman,  ist  unvergleichlich.  Unmittelbar  aus  dem  Parke  fuhrt  eine  3Y2  km 
lange  Promenade    mit   Fahr-    und  Reitallee    zu    den    wunderbar    romantisch 


Die    Quelle   in    Bad   Ilidze. 


< 


gelegenen  Quellen   der  Bosna  am   Fusse  des   [gman.    Eine  Unzahl   Quellen 

-  nach  Einigen  etliche  dreissig,   nach  Anderen   mehr  als  doppelt  so  viel 
vereinigen    sich    und    wenige  Schritte    abwärts    bilden    sie-  bereits  einen    an- 
sehnlichen Fluss.    Unter  prächtigen  ahm  Bäumen   ist  ein  türkisches  K 
haus  errichtet  und  hier  können  die  Besucher  in  unverfälschter  Gebirgsnatur 
schwelgen.    Eine  spottbillige  <  »mnibusverbindung  vermittelt  einen  bequemen 
Verkehr  mit   Ilid/e.    Auch  ein  Aussichtsthurm  ist  am  Ende  der  Fahrsti 
erbaut.     Ein    anderer   genussreicher   Ausflug   ist   zu    dem    am  Bergabhange 
gelegenen  mohammedanischen  Orte  Hrastnice  und  der  gleichnamigen  Quelle, 
einem    Idvll    im   Wähle.      An    der  Quelle    wurde    ein    reizender  Punkt    zum 


Bosnaque  lle. 

Ausruhen  geschaffen.  Für  Nimrode  bietet  der  Igman  noch  immer  genügend 
Wild,  und  in  den  entfernteren  Parthien  sollen  noch  Bären  zu  finden  sein. 
Einige  zahme  Exemplare  zeigt  der  Bärenzwinger  im  Badepark,  wo  auch 
eine  Voliere  riesige  Exemplare  einheimischer  Adler  und  Raubvögel  enthält. 
Im  Jahre  1893  wurde  durch  Bohrungen  eine  neue  Quellenspalte  er- 
schlossen, aus  der  ein  mächtiger  Sprudel  zu  Tage  tritt,  der  in  24  Stunden 
eine  Wassermenge  von  13  800  Hektolitern  liefert.  Das  Wasser  besitzt  eine 
Temperatur  von  58 °  C.  und  ist  nach  der  vom  Hofrath  Proiessor  Dr.  Ludwig 
in  Wien  vorgenommenen  Analyse  charakterisirt  durch  einen  beträchtlichen 
Gehalt  an  Glaubersalz,  Chloriden,  doppeltkohlensaurem  Kalk  und  freier 
Kohlensäure.  Von  Schwefelwasserstoff  und  unterschwefliger  Säure  enthalt 
es  nur  wenig.  Zur  Erzielung  der  für  die  Bäder  erforderlichen  Temperatur 
des  naturheissen  Thermalwassers  wurden  zwei  grosse  Kühlbassins  angelegt, 
in   die    das  Thermalwasser  geleitet  wird.     Die  Therme  von  Ilidze,    die  bis 


auf  den  Eisengehalt  dem  Wasser  der  Quelle  Ficoncella  in  Civitavecchia 
(540  C.)  ähnlich  ist,  muss  zweifellos  zu  den  werthvollsten  heissen  Mineral- 
quellen gerechnet  werden.  Ihr  Wasser  ist  nach  seiner  chemischen  Zu- 
sammensetzung nicht  nur  für  Bäder,  sondern  auch  vortrefflich  für  den 
inneren   Gebrauch  geeignet. 

An    Bade -Etablissements    bestehen:    das    sogenannte    »Altbade    mit 
14  modernen  Cabinen,  die  16  Porzellan-Badewannen  enthalten;  das  »Neubad«, 


Sonntag-Nachmittag    au    der    Bahnstation    in    Ilidze. 

welches  am  1.  September  1893  eröffnet  wurde,  besteht  aus  einem  Mittel- 
bau mit  zwei  symmetrischen  Flügeln,  in  denen  sich  je  ein  Thermal- 
Vollbad  und  14  Einzelbäder  befinden.  Es  ist  die  Einrichtung  derart 
getroffen  worden,  dass  der  eine  Flügel  für  Männer,  der  andere  für  Frauen 
bestimmt  ist.  Nächst  dem  Neubade  befindet  sich  noch  ein  Bad  mit 
6  Cabinen  für  mohammedanische  Frauen.  Ohne  direkte  ärztliche  Ordination 
darf  ein  höher  graduirtes  Thermalbad  als  280  C.  nicht  verabfolgt  werden. 
Auch  ist  ein  Moorbad  eröffnet  worden,  das  mit  einer  von  kaum  einer 
zweiten  Kuranstalt  übertroffenen  Eleganz  ausgestattet  ist.  Das  Badehaus 
enthalt  2  heizbare,  vornehm  eingerichtete  Wartesalons  und  10  heizbare, 
mit  allen  erforderlichen  Utensilien  versehene   geräumige  Badelogen,   wovon 


—     1 14 


zwei  mit  anstossenden  eleganten  kleinen  Salon-.  Die  verwendete  Moorer.de, 
welche  am  Moorfelde  bei  Zepce  gestochen  wird,  ist  nach  der  chemischen  Ana 
Lyse  des  Hofrathe's   Professor  Dr.  Ludwig  ein  ausgezeichnetes  Pfianzenmoor 


Schliesslich  verfügt  Ilidze  zum  Gebrauche  der  kalten  Bäder  über  ein 
kaltes  Voll-  und  Schwimmbad  mit  zwei  grossen  gesonderten  Bassins  für 
Damen   und   Herren.      Beide  Bassins  sind   betonirt   und   für  Schwimmer  und 


Nichtschwimmer,  sowie  für  Kinder  eingerichtet.  Das  krystallklare  Wasser 
(\cv  Zeljeznica,  mit  welchem  die  Bassins  gespeist  werden,  hat  während  des 
Sommers  eine  beständige  Temperatur  von  i6°— I9°R.  Zur  Vervollständigung 
der  Mittheilungen  über  die  Einrichtungen  der  Bade -Etablissements  kann 
noch  beigefügt  werden,  dass  auch  Massagekuren  und  elektrische  Behandlung 
ermöglicht,  ein  Verkauf  aller  Arten  in-  und  ausländischer  Mineralwässer 
eingerichtet  ist,  aus  der  landwirthschaftlichen  Station  frische  und  saure 
Milch,  sowie  Kuh-  und  Schafmolke  verabreicht  wird  und  dass  für  eine 
etwaige  Traubenkur  täglich  die  prächtigsten  Hercegovinaer  Trauben  aus 
Mostar  zugeführt  werden. 

Drei  grosse  Hotels,  »Austria«,  »Hungaria«  und  »Bosna«  mit  106 
Fremdenzimmern  und  Salons  bieten  genügend  Raum,  da  auch  sonst  Wohn- 
gelegenheit zu  haben  ist.  Elegante  Restaurationsräume  mit  Parkterrassen 
und  Wandelbahnen,  Kegelbahnen,  Stallungen  und  Wagenremisen  sind 
vorhanden,  billige  Fahrgelegenheiten  zu  jeder  Zeit  zu  haben,  und  eine 
ungarische  Kurkapelle  sorgt  für  musikalischen  Genuss.  Für  Zerstreuung 
der  Kurgäste  ist  aber  auch  sonst  in  reichlichem  Maasse  Vorsorge  getroffen: 
Croquet-  und  Lawn-Tennisplätze,  ein  Carrousel,  mechanische  Schiessstätte, 
Schaukeln  etc.   lassen   Langeweile  nicht  aufkommen. 

Ein  Sonntag  in  Ilid^e  ist  aber  ganz  besonders  anregend;  auch  die 
schönste  Unterhaltung  für  die  Sarajevoer  Bevölkerung,  besonders  wenn 
auf  der  eine  halbe  Stunde  vom  Bade  entfernten  Rennbahn  eines  der 
landesüblichen  Pferderennen  abgehalten  wird,  zu  denen  die  Regierung 
recht  ansehnliche  Preise  bewilligt.  Seit  drei  Jahren  finden  auch  grosse, 
vom  uno-arischen  und  vom  österreichischen  Jokeyklub  mit  europäischen 
Pferden  veranstaltete  internationale  Rennen  statt,  über  welche  die  fremden 
Zeitungen  farbenprächtige  Schilderungen  veröffentlichten.  Der  Bosnier  ist 
ein  besonderer  Pferdeliebhaber,  die  kleinen  Gebirgspferde  sind  ausdauernd, 
unermüdlich  und  unbedingt  verlässlich,  auch  auf  den  schwindeligsten  Pfaden. 
Durch  Zuchtanstalten,  durch  Errichtung  des  Hengstendepöts  in  Sarajevo, 
sorgt  die  Landesregierung  für  Veredelung  der  Rasse,  Pferdeschauen  mit 
ausgesetzten  Preisen  animiren  die  Bevölkerung,  und  es  sind  bisher  vor- 
zügliche Erfolge  zu  verzeichnen.  Ausser  den  Rennen  werden  in  Ilidze  auch 
noch  internationale  Taubenschiessen  und  Falkenjagden  (mit  abgerichteten 
Jagdfalken),  sowie  auch  Volksfeste  mit  Tombola  und  Feuerwerk  veranstaltet, 
die  aus  der  ganzen  Umgebung  die  eingeborene  Bevölkerung  versammeln. 
Nicht  wenig  trägt  zum  Aufschwünge  des  Bades  die  Anwesenheit  Ihrer 
Fxcellenz  der  Frau  Minister  v.  Kallay  bei,  die  seit  einigen  Jahren  den  ganzen 
Sommer  mit  Familie  in  Ilidze  verweilt.  Hier  empfängt  sie  die  Notabilitäten 
der  Stadt  und  des  Landes,  und  ihrer  herzgewinnenden  Liebenswürdigkeit 
ist  es  gelungen,  auch  die  mohammedanischen  Frauen  aus  ihrer  Zurück- 
gezogenheit hervorzulocken. 


iiS     — 


llid'.c  besitzt  aber  auch  noch  den  Vorzug  der  Billigkeit.  Ua  die 
Hotels  ebenso  wie  das  Bad  der  Landesregierung  gehören  und  nur  verpachtet 
sind,  werden  die  Preise  behördlich  festgesetzt.  Es  bestehen  vier  Klassen 
von  Fremdenzimmern:  zu  So  kr.,  i  iL,  i',2  fl.  und  2  fl.  für  den  Tag,  ein- 
schliesslich Bedienung.  Bei  Aufnahme  eines  Zimmers  für  länger  als  eine 
Woche  werden  10  pCt.,  bei  langer  als  drei  Wochen  20  pCt.  der  nach  dem 
Tagespreise  berechneten  Miethe  in  Abzug  gebracht.  Wer  also  einmal 
einen  von  der  gewöhnlichen  Route  abweichenden  Badeaufenthalt  genit 
will,  ohne  die  europäischen  Bequemlichkeiten  und  Annehmlichkeiten  zu 
entbehren,  der  gehe  nach  Ilidze.  Sarajevo  ist  leicht  und  billig  erreichbar, 
und  ein  Ausflug  in  neunstündiger  genussreicher  Bahnfahrt  führt  über  den 
[van  nach  Mostar  in  die  romantische,  einst  mit  Recht  blutig  genannte 
Hercegovina. 


Schlussvigiicltc :    Crocus   Vilmae  (Fiala). 


Ins  Drinagebiet. 

s  war  an  einem  Freitag  Anfang  September, 
als  unser  von  Vejsil  Sarajcic  im  Tasli-Han  in 
Sarajevo  gemietheter  Fiaker,  mit  zwei  tüch- 
tigen Pferden  bespannt,  die  bosnische  Hauptstadt  ver- 
liess.  um  uns  nach  Südosten  zu  führen,  jene  Strasse, 
die  trotz  ihrer  einstigen  Unwegsamkeit  durch  Jahr- 
hunderte den  Haupthandelsweg  nach  Novibazar  und 
nach  Salonichi  bildete.  Zur  Zeit  der  Kontinentalsperre 
unter  Napoleon  I.  hatte  diese  nur  mit  Tragthieren  zu  begehende  Strasse 
ihre  Blüthezeit  erlebt;  die  Kolonialprodukte  nahmen  ihren  Weg  von 
Salonichi  nach  Sarajevo,  von  hier  gingen  sie  nach  Brod  und  wurden 
dann  weiter  in  die  Binnenländer  eingeführt  und  eingeschmuggelt.  Damals 
hiess  es,  die  Strasse  sei  mit  Kaffeebohnen  gepflastert;  von  Viertelstunde  zu 
Viertelstunde  stand  ein  Han,  und  griechische  wie  serbische  Kaufleute  legten 
den  Grund  zu  grossen  Vermögen.  Aber  die  Kontinentalsperre  erreichte 
mit  dem  Zusammenbruch  der  napoleonischen  Herrschaft  ihr  Ende,  die 
zahllosen  Tragthierkolonnen  nahmen  ab,  die  Hans  und  Karawansereien  ver- 
ödeten und  verfielen,  nur  einzelne  prächtige  Brunnen  erinnern  noch  an 
die  goldenen  Zeiten. 


* 


>& 


Kozija-Cuprija   (Ziegenbrücke}   bei   Sarajevo. 


Und  heute  braucht  man  nicht  mehr  auf  dem  Rücken  des  Pferdes 
den  schmalen  und  beschwerlichen  Weg  über  Alifakovac  am  linken  Ufer 
der  Miljacka  einzuschlagen,  heute  führt  eine  neue  prächtige  Fahrstrasse 
am  rechten  Ufer  unter  dem  Kastellberge,  an  dem  Ausflugorte  Da  Riva 
vorbei,  mitten  in  die  Berge  und  Felsen.  Langsam  steigt  der  Weg,  wir 
haben  die  Kozija-Cuprija  (die  Ziegenbrücke)  erreicht,  ein  Meisterwerk  tür- 
kischer Baukunst.  Zwei  die  Miljacka  verengende  Steinklippen  wurden  als 
natürliche  Pfeilerfundamente  benutzt  und  dann  die  Brücke  in  einem  einzigen 
kühnen  Bogen  über  den  Abgrund  geschlagen.  Zur  Entlastung  derselben 
ist  beiderseits  des  Rundbogens  ein  grosses  kreisförmiges  Loch  im  Baue  ge- 
lassen, sodass  auch  die  abenteuerliche  Form  desselben  der  wildromantischen 
Umgebung  entspricht.  Tief  unten  im  felsigen  Bette  schäumt  die  grüne 
Miljacka;  jenseits  des  Flusses  steigen  fast  senkrecht  die  Hänge  des  Trebevic 
in  die  Höhe,  von  der  Brücke  nur  gerade  einen  kleinen  Spalt  offen  lassend, 
der  zur  sogenannten  »Johanna-Ruhe«  führt.  Auf  der  rechten  Seite  aber 
schliessen  zerrissene  Wände  die  Strasse  ein,  die  sich  jetzt  in  langen 
Serpentinen  die  Höhe  hinanzieht.  Ein  Kaffeehaus  mit  primitivem  Garten 
bietet  im  Sommer  Ausflüglern  einen  erwünschten  Ruheplatz.  Und  weiter, 
wo  das  rechte  Ufer  etwas  sanfter  ansteigt,  liegt  ein  alter  türkischer  Fried- 
hof, dessen  mächtige  Grabpfeiler  nicht  in  der  Erde,  sondern  in  Unterplatten 
aus   weicherem  Stein   stecken.     Es    ist    das   der  Schehidler-,    der  Märtyrer- 


—     123 


friedhof,  weil  hier  die  im  Glaubenskampfe  des  Islam  gefallenen  Blutzeugen 
ruhen.  Als  das  christliche  Denkmal  desselben  Kampfes  aber  erhebt  sich 
gegenüber  am  linken  Flussufer  eine  Burgruine,  Starigrad  genannt,  die 
(nach  Hoernes)  einst  Chodidjed  hiess  und  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts ein  Stützpunkt  der  türkischen  Waffenmacht  war,  von  wo  dieselbe 
das  noch  dem  christlichen  Herrscher  gehörige  Bosnien  zu  bedrängen 
pflegte.  Im  Jahre  1459  schreiben  die  Ragusaner  an  den  König  von  Ungarn, 
der  König  von  Bosnien  habe  den  grossen  wohlbewohnten  Stadtplatz  von 
Chodidjed  niedergebrannt  und  belagere  die  Veste.  Damals  oder  früher 
schon,  als  Starigrad  durch  Beschiessung  von  der  Höhe  des  Trebevic  den 
Christen  entrissen  wurde,  fielen  die  auf  dem  Schehidler-Friedhofe  ruhenden 
Koranstreiter.  Der  Burggipfel  trägt  heute  nur  ein  wüstes  Konglomerat  von 
Schutt  und  Mauerresten  auf  schroffen  Felszinnen. 

Die  Abhänge,  durch  welche  die  Strasse  führt,  sind  bewaldet,  und  zwar 
zeigt  sich  der  Nutzen  der  eingeführten  Forstschonung;  wo  einstmals  an 
grösseren  Verkehrswegen  eine  grenzenlose  Raubwirthschaft  betrieben  wurde, 
ist  heute  alles  im  besten  Stande.  Bei  Han  Derventa  wird  kurze  Rast  ge- 
macht. Hier  ist  die  Abzweigung  der  neuen  Strasse  nach  Mokro  und  auf 
die  Romanja-Planina.  Der  Verkehr  auf  der  Strasse  ist  bedeutend;  Fuhr- 
werk über  Fuhrwerk,  mit  Mehl,  Bier,  auch  Maschinentheilen  beladen,  über- 
holten wir,  während  Tragthierkolonnen,  meist  mit  Holz  und  Heu  beladen, 
nach  der  Stadt  zogen.  Zur  Seite  der  Thiere  oft  eine  Bäuerin,  die  emsig 
auf  der  Spindel  spann,  dabei  aber  sorgte,  dass  die  Thiere  rechtzeitig  aus- 
wichen. Auf  schwindelnden  Pfaden  am  linken  Miljackaufer  kletterten 
Schaf-  und  Ziegenheerden,  gehütet  von  Kindern,  die  mit  gemsenartiger 
Geschicklichkeit  von  Stein  zu  Stein  sprangen,  oft  laute  Jodler  ausstossend. 
Han  Derventa  ist  ein  ganz  erträgliches  Einkehrhaus  für  die  Fuhrwerke,  und 
das  Geschäft  scheint  glänzend  zu  gehen,  denn  sechs  frisch  geschlachtete 
Hammel    hingen    am    Stallthor.      Der   Besitzer,    ein    Hercegovce,    hat    sich 

schon  ein  schönes,  mehr- 
stöckiges steinern  esHaus 
an  der  anderen  Seite  der 
Strasse  als  Familienwoh- 
nung gebaut  und  einen 
recht  netten  Garten  an- 
gelegt. Wieder  neue  Zeit! 
Dann  passiren  wir 
I  [an  Ljubogosta  und 
treten  in  prächtigen  Na- 
delwald, zum  grossen 
Theil  eingezäunt,  ein.  1  )ie 
landschaftliche  Scenerii 


124 


Blick    von    Pale    auf   die    Rom anja-Planina. 


wechselt  ganz  überraschend;    die  hohen  kahlen  Berge  sind  verschwunden, 

an  ihre  Stelle  treten  sanft  gerundete  Kuppen,  durchwegs  dicht  mit  Nadel 
holz  bestanden.  Inmitten  der  sanften  lieblichen  Landschaft  liegt  der  Ort 
Pale,  heute  eine  Sommerfrische  für  viele  Bewohner  Sarajevos.  Auf  einem 
isolirten  Hügel  erhebt  sich  eine  burgartige  Kaserne,  längs  der  Strasse,  zu 
beiden  Seiten  aber  stehen  villenartige  Gebäude  im  Schweizer  Stil,  oft  an- 
muthig  im  Grün  halb  versteckt.  Auch  der  englische  Konsul  Freemann 
besitzt  hier  ein 
Landhaus.  Ein 
gutes  Gasthaus 
sorgt  für  des 
Leibes  Nahrung 
und  Nothdurft, 
eine  kleinere  be- 
scheidenere, 
aber  recht  sau- 
bere Wirthschaft 
ist  ausserdem 
mehr  ausserhalb 
des  Ortes  vor- 
handen. 

Und    immer 
prächtiger   wird 
die  Gegend.  Uni   bei   Pale. 


125 


i 


Ueber  Hau  Kadin  und 
Gorovic  erreichen  wir 
die  Höhe  von  1050  Me- 
tern an  den  Abfällen 
des  Vitez,  ein  mächti- 
ger Eichenwald  dehnt 
sich  zu  beiden  Seiten 
aus,  dem  stundenlang 
hundertjährige  Buchen 
folgen.  Wir  sind  der 
jg,  Grabovicka,  dann  dem 
Pracabache  gefolgt,  bis 
wir  die  wichtigste  Sta- 
tion zwischen  Sarajevo  undGorazda, 
Praca,  erreichen,  das  wundervoll 
in  einem  weiten  Thalkessel  liegt.  Die  Witterung 
hatte  sich  mittlerweile  verschlechtert,  es  war 
Regen  eingetreten,  und  gerade  als  unser  Kut- 
scher Musan  vor  der  »Gostionica  kod  Andrie« 
hielt,  brach  das  Unwetter  mit 
aller  Gewalt  los.  Wir  waren 
aber  unter  Dach  und  Fach, 
und  in  dem  bescheidenen,  aber 
reinen  Gastzimmer  konnten 
wir  die  Beruhigung  der  himm- 
lischen Gewalten  abwarten. 
Es  war  für  die  drei  Offiziere  der  Station  gedeckt;  der 
\\  irth  legte  für  uns  noch  zwei  Couverts  auf,  und  bald 
machten  wir  die  Bekanntschaft  der  drei  Herren,  die  in 
liebenswürdigster  Weise,  wie  fast  immer  die  Offiziere  der 
k.  k.  Armee,  die  erwünschten  Auskünfte  ertheilten  und  in 
deren  Gesellschaft  die  Ruhezeit  nur  zu  schnell  verging. 
Praca  besteht  heute  aus  wenigen  Häusergruppen,  die  sich 
längs  des  Baches  hinziehen.  Einst  soll  hier  aber  eine 
grosse  Stadt  von  60000  Bewohnern  gestanden  haben, 
und  schon  unter  Ban  Ninoslav  wird  sie  in  einem 
Dokumente  von  1244  als  Bischofssitz  erwähnt.  In 
dem  Hofe  der  baufälligen  Moschee  soll  noch  ein 
römischer  Sarkophag  stehen,  den  ich  aber  nicht  zu 
Gesich^  bekam.  Dagegen  finden  sich  in  der  Gegend 
sehr  viele  mittelalterliche  Grabsteine  mit  Ornamenten  Bauer  1IU  Allta?s- 

,      t^-  t-\-  r  -i  kostüni. 

und    Figuren.       Die    grössten    linden    sich    —    nach  ,,-     ,.       ...» 


Praca-Defile. 


126     — 


Asböth  i1  ■>  Kilometer     südöstlich    von    Praöa    aul    dem    ^-ic - 1 1 1  * 

Pavlovac,    unter   welchem    der  Weg   in    einer   !  nge  weiterführt.      Die 

Ruinen  von  Pavlovac  stehen  auf  dem  I  Iugel  unterhall)  d^v  Felsenvvand 
Vla'ska  Stjena  am  linken  Ufer  der  Praöa.  Die  Burg  war  einst  ein  Hauptorl 
des    »comitatus   Berec     (Boraö),    Dominiums   des    Fürsten    Paul    Radinovic, 


■du     *S 


** 


Rast   bei    <ler    Feldarbeit    Tale). 

zu  welchem  Praöa,  Dobrunj,  Ustikolina  an  der  Drina,  Vlasenica,  Olovo,  ja 
eine  Zeit  lang  selbst  die  Burg  Vrhbosna  gehörte.  Novi  in  Praza«  nennen 
sie  die  Gesandten  von  Ragusa,  die  den  Sohn  Pauls,  Radoslaw,  im  Jahre  1423 
besuchten.      1550  lag  die  Burg  bereits  in    Ruinen. 

Das  Wetter  hatte  sich  wieder  aufgeheitert,  und  in  wundervoller  staub- 
freier Luft  ging  es  an  fruchtbaren  Feldern  die  Praöa  entlang,  an  einer 
grossen  Dampfsäge  vorüber.  Dann  verlassen  wir  das  Flüsschen,  das  sich 
geradenwegs    nach   Osten    durch    dichte  Walder   und  Schluchten    den   Pfad 

9 


1 29 


Wölfe    vor    Beginn    des    Treibens    auf   der   Ranjen-Planina. 

zur  Drina  bricht.  Unsere  Strasse  wende4-  sicli  scharf  nach  Süden  und 
steigt  in  kühnen  Serpentinen  den  Ranjen  hinan.  Es  ist  ein  hoher  Gebirgs 
sattel  mit  Hochgebirgsflora.  Dichter  Eichen-  und  Buchenwald,  hin  und 
ier  untermischt  mit  Silberpappel,  Nadelholz  und  in  den  höheren  Lagen 
mit  Birken,  empfangt  uns  in  ewigem  Schweigen.  Prächtige  Glockenblumen 
und  eine  Genzianenart  schauen  aus  dem  grünen  Teppiche  des  Waldes, 
überall  liegen  durch  die  Gewalt  des  Sturmes  gebrochene  Riesenstämme, 
über  denen  schon  wieder  neu-.  Vi  g«.  lation  wuchert.  Ausblicke  eröffne  n 
sich  von  Zeit  zu  Zeit  in  ti  legene  Schichten;  es  ist,  ab  wogte  überall 

ein    grünes   Meer.     Hier    ist    es   still   und  einsam,    und  ehe  sich  noch   nicht 
di€    neue    Fahrstrasse    durch    diese    Gebirgswildniss   zog,    war    die   Gegend 


130 


Alle r  M  oha m  m e <lan e  r 
ans  Gorazda. 


ein  berühmter  Schlupfwinkel  für 
Haiduken,  weshalb  auf  dem  alten 
Saumpfade  mit  werthvolleren  Gütern 
beladene  Tragthierkolonnen  nur  unter 
Militärbedeckung  reisten.  Ich  hatte 
1879  die  alte  Strasse  zweimal  passirt 
und  damals  war  ich  noch  ernstlich 
gewarnt  worden.  Die  bosnische  Ver 
waltung  hat  dein  Unwesen  ein  Ende 
bereitet,  und  heute  reist  man  in  voller 
Sicherheit. 

Endlich  ist  die  Passhöhe  er- 
reicht; ein  weites  ebenes  Schussfeld, 
von  Farrenkraut  bestanden,  zeigt  sich, 
über  das  der  Wind  schneidend  kalt 
fährt,  —  wir  haben  die  Ranjen- 
Karaula  (das  Wachthaus  der  Ver- 
wundeten) erreicht,  1  196  Meter.  Dort 
steht  auch  bereit-  das  weitläufige 
■eingefriedete  Gehöft,  in  dem  die  bewaffnete  Macht  ihre  Tage  verbringt.  1 
•ein  einsamer  rauher  Punkt  und  doch  einer,  der  in  Betreff  der  Aussicht  seines 
Gleichen  nicht  leicht  findet.  Kuppe  erhebt  sich  neben  Kuppe,  alle  be- 
waldet, aber  terrassenförmig  zur  Drina  abfallend,  deren  Silberband  sich 
in  der  fernen  Ebene  schlängelt.  Dahinter,  hinter  dem  Flusse  aber  steigt 
eine  Gebirgswand  nach  der  anderen  in  immer  kühneren  und  wilderen 
Umrissen  auf.  Da  stehen  im  Vordergrunde  dunkle  bewaldete  Berge, 
hinter  ihnen  schroffe  graue  Felsenmassen  und  wieder  weiter  eine  braune 
Wand,  als  wolle  sie  den  Horizont  abschneiden.  Das  sind  schon  die  Gebirge 
an  der  montenegrinischen  Grenze,  und  dahinter  noch  schimmern  Kuppen 
schneeweiss,  das  Braun  ilec  Vorgebirge  wie  mit  einem  Silberturban  ver- 
zierend: das  sind  die  trotzigen  Höhen  an  Albaniens  Grenzen,  die  Wohn- 
stätten der  tapferen  Skipetaren,  denen  schon  an  der  Mutterbrust  die  Lieder 
von  wildem  Kampf,  von  steter  Blutrache  gesungen  werden.  Und  so  wie 
dort,  war  es  einst  hier,  in  der  gesegneten  Bosna;  wo  wir  gegenwärtig 
stehen,  ist  der  Boden  von  Blut  gedüngt.  .  .  .  Vor  einem  kleinen  Wirthshause, 
das  von  einem  Birkenwäldchen  geschützt  wird,  machen  wir  kurzen  Halt. 
Wir  blicken  nach  Norden,  nach  dem  scharfen  Profile  der  Romanja-Planina, 
wir  grüssen  noch  im  Süden  den  Fürsten  der  Schwarzen  Berge,  den  9000  Fuss 
hohen  Dormitor,  und  dann  geht  es  in  scharfem  Trabe  in  machtigen 
Serpentinen   abwärts. 

Die   (legend    ist    gut  angebaut,    überall   zeigen   sich    einzelne   Gehöfte, 
auch   weidende   Ileerden,  — ■  wir  sind   aus  der  Wildniss  in  die   Civilisation 

9* 


—     ui 


eingelenkt.  Das  Wasser  der  /Victorquelle«  bei  Han  Jabuka  wird  ge- 
kostet; immer  wieder  erhalten  wir  den  Ausblick  auf  die  Drina  und  das 
sich  längs  derselben  hinziehende  Gorazda,  aber  der  Weg  zieht  sich, 
und  erst  eine  Stunde  nach  Aksam  erreichen  wir  den  langgestreckten 
(  'rt.  der  recht  viele  Neubauten  aufweist.  Wir  halten  vor  dem  » Hotel 
Olehla«,  wo  wir  als  alte  Bekannte  des  Besitzers  in  freundlichster  Weise 
empfangen  werden  und  sehr  gute  Unterkunft  finden. 

Der  Markt  Gorazda  zahlt  nach  der  Volkszählung  von  1895  1460  Ein- 
wohner, von  denen  zwei  Drittel  Mohammedaner  sind.  Der  Ort  ist  ungemein 
betriebsam,  und  unter  seinen  Bewohnern  giebt  es 
viele  Fabrikanten,  Handel-  und  Gewerbetreibende. 
Eine  Lokalsage  will  wissen,  dass  Gorazda  einst 
18  OOO  Häuser  besessen  habe.  Das  ist  entschieden 
zu  hoch  gegriffen,  aber  auf  der  langen  Zeile  am 
breiten  Flusse,  wo  sich  das  heutige  Gorazda  an 
die  steil  ansteigenden  bewaldeten  Gebirgshänge 
lehnt,  kann  leicht  eine  fünf-  und  zehnfache  Häuser- 
zahl stehen.  Bekannt  ist,  dass  Gorazda  im  15.  Jahr- 
hundert einer  der  Haupthandelsplätze  war,  als 
noch  die  Theilfürsten  im  nahen  Samobor  residirten. 
Hierin  machte  auch  die  türkische  Eroberung  wenig 
Unterschied.  In  den  Jahren  1529 — 1531  bestand 
hier  sogai  eine  Druckerei  cyrillischer  Kirchen- 
bücher. 1  568  baute  Mustafa  Pascha  von  Ofen  an 
Stelle  der  ehemaligen  Ueberluhr  eine  solide  Stein- 
brücke über  den  1  50  Schritt  breiten,  zwar  seichten, 
aber  gefährlichen  Strom.  Von  dieser  waren  nur 
mehr  die  Pfeiler  an  den  Ufern  und  vier  schmale 
sechseckige  im  Flussbett  erhalten,  die  Brücken- 
bogen   waren    den    gewaltigen    Hochwässern    zum 

Opfer  gefallen.  Jetzt  ist  eine  neue  Brücke,  die  »Kaiser  Franz  Josefs- 
brücke«, erbaut  worden.  An  der  Brücke  stand  einst  eine  grosse  Kara- 
vvanserai,  die  den  von  Osten  kommenden  Kaufmann  und  seine  Waaren 
unmittelbar  nach  dem  Ueberschreiten  des  Flusses  gastlich  aufnahm.  Sie 
war  schon  in  türkischer  Zeit  verfallen,  wie  so  vieles  in  diesen  Landern. 
und  in  den  Mauern  der  ausgedehnten  Ruine  wurden  Stallungen  einge- 
richtet. Die  Moscheen  von  Gorazda  sind  nur  unbedeutend,  die  Carsija 
bietet  keine  besonderen  Sehenswürdigkeiten.  Von  Interesse  war  mir  da- 
gegen eine  neue  Volksschule,  die  sehr  gut  besucht  wird,  und  der  hübsche 
Garten  des  Militärstations-Gebäudes.  Von  den  zahlreichen  Neubauten  ge- 
hören  die  meisten  einheimischen  Geschäftsleuten,  die  den  fremd  zugezogenen 
I  ingst    überlegen    sind    und    diesen   immer  mehr  die  Kundschaft  entziehen. 


Junger    Mohammedaner 
aus    Gorazda. 


So  klagten  die  Kaufleute,  ohne  zu  bedenken,  dass  dies  nur  das  ganz 
natürliche  Verhältniss  ist,  denn  zuerst  muss  der  Boden  eine,  Landes  seine 
eigenen  Kinder  ernähren,  so  schmerzlich  diese  Erfahrung  auch  für 
fremden  Geschäftsmann,  der  sich  jahrelang  redlich  geplagt  hat,  sein  mag, 
und  vorläufig  finden  n.»ch  immer  die  Eingewanderten  in  Bosnien  ein  ganz 
erträgliches   Fortkommen. 


Ai 


Schlussvignette :    Weber. 


Von  Gorazda  nach  Foca. 

ci  Beginn  des  Morgens  wurde  ein  Ausflug  nach  Foca  auf 
der  wundervollen  Fahrstrasse  unternommen,  die  sich  am 
linken  Ufer  der  Drina  hinzieht.  Fs  ist  erst  einige  Jahre» 
dass  diese  Strasse  gebaut  wurde;  früher  war  das  wichtige, 
ausgedehnte  und  gewerbsreiche  Foca  von  allen  Seiten  nur 
auf  beschwerlichen  Reitwegen  zu  erreichen.  Jetzt  geht  es  in  schlankem 
Trabe  vorwärts.  Zuerst  an  Zwetschkengarten  vorbei,  deren  Bäume  so  dicht 
mit  den  dunkelblauen  Früchten  behangen  sind,  dass  man  fast  keine  Blätter 
mehr  sieht;  dann  zeigen  sich  Tabakfelder  und  viele  riesige  Nussbäume, 
sonderbarer  Weise  auch  auf  einem  Felde  Lupinen.  Die  Strasse  führt  längs 
(\vv  Drina  immer  an  Höhenzügen  entlang;  das  Flussbett  ist  breit  und  ver- 
sandet, das  Wasser  scheint  den  Minimalstand  erreicht  zu  haben.  Unsere 
Uferseite  ist  sehr  belebt,  gut  angebaut,  und  viele  freundliche  Gehöfte  lugen 
aus  dem  frischen  Grün.  Es  ist  bei  den  Gebäuden  bereits  eine  ganz  andere 
Bauart;  an  Stelle  der  Holzhauser  treten  neue  Ziegelbauten  und  bezeich- 
nender Weise  fast  stets  dort,  wo  Tabak  an  langen  Schnüren  zum  Trocknen 
aufgehängt  ist  oder  wo  solcher  noch  auf  den  Fluren  auf  dem  Stengel  an- 
geblattet steht.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  zwischen  dem  Tabak- 
und  dem  Häuserbau  ein  Zusammenhang  besteht.  Die  Bauern  haben 
bessere  Einkünfte,  sie  werden  naturgemäss  an  höhere  Bedürfnisse  gewohnt, 
und  dazu  gehört  auch  eine  angemessene  Wohnung.  Welche  Bedeutung 
die  stete  Vermehrung  des  Tabakbaues  für  die  beiden  Provinzen  besitzt, 
zeigt  der  Ausweis  der  Finanzverwaltung  für  das  Jahr  [894.  Danach  sind 
die   Einnahmen  für   das  Tabakgefälle  mit   4606000  fl.    eingestellt;   gegen- 


Kopfleiste:    Korantext  auf  einem  Säbel. 


134 


über  dem  Vorjahre  ein  Mehr  von  620000  t!.  [n  erster  Linie  steht  der 
Tabakbau  der  Hercegovina,  wo  er  hauptsächlich  in  den  Bezirken  Trebinje, 
Stolac  und  Ljubuski  gepflegt  wird;  in  Bosnien  um  Foca  und  Srebrenica 
In  der  Hercegovina  wurden  auf  2700  Hektaren  45000  Doppelcentner  ge- 
wonnen, wofür  den  Produzenten  1  800  OOO  fl.  ausgezahlt  wurden.  Der 
Tabak  wird  durchwegs  zu  Cigaretten-  und  zu  Tschibuktabak  vei 
die  Erzeugnisse  der  Regie  gehen  grösstentheils  nach  Oesterreich  und 
Deutschland,  und  ist  die  Nachfrage  in  steter  Zunahme  begriffen.  Dass  das 
Land  selbst  ein  starker  Konsument  ist,  ist  begreiflich.  Wie  gewinnbringend 
der  Anbau  ist,  zeigt  sich  darin,  dass  in  der  Hercegovina  der  Uebergang 
der  Knieten  zu  den  Freibauern  sich  am   raschesten  vollzieht. 

V 

Auf    dem    Wege    berühren     wir    nur    wenige    Ortschaften:     Covcici, 
Mravinjac,   Ihm   Osanica    und    das  Stadtehen    Ustikolina;    dafür    finden    sich 

verschiedene  kleine  tür- 
kische    Strassen-Kaffee 
häuser,  denen  -     jeden- 
falls   von    S  »ldaten 
recht     anmuthende    Na- 
men  an   die  Wände  ge- 
pinselt    wurden:       <  !afe 
Hertha-,      »Cafe     Julie 
und      Cafe   Mizi«,    wahr- 
scheinlich in  Erinnerung 
an  Lieben    in  der  fernen 

Heimath.  Ustikolina 
macht  einen  ungemein 
freundlichen  und  wohl- 
habenden Eindruck.  Sei- 
nen Namen  erhielt  der 
Ort  vom  Flüsschen  Ko- 
luna,  das  hier  in  die 
Drina  mündet.  (LTsce  = 
Mündung.)    Zur  Zeit  der 

Eroberung  Bosniens 
durch  die  Osmanen  war 
dieser  Ort  bedeutender: 
damals  blühte  die  Gold- 
-n,  schmiedekunst,  der  I  hm 
del  war  umfangreich,  und 
in  der  Umgebung  bestan- 
den ausgedehnte   Wein 


/ 


Bosnische    Bäuerin  n  e 


kulturell,     deren     Platze 


noch  heute  :  Loze«  (Reben)  und  A'ina  (Weine)  genannt  werden.  Im 
Orte  stand  eine  aus  Stein  gebaute  Kirche,  deren  Fundamente  noch 
sichtbar  sind.  In  unmittelbarer  Nähe  derselben  fanden  Arbeiter  beim  Baue 
der  neuen  Strasse  unter  der  Erde  ein  mit  Mauerwölbungen  versehenes  Grab 
und  in  diesem  menschliche  Knochen.  Das  Volk  behauptet,  dass  hier  die 
zur  Kirche  gehörigen  Mönche  bestattet  worden  seien.  Dass  die  Gegend  von 
Ustikolina  schon  viel  früher  gut  bevölkert  war,  beweist  die  grosse  Zahl 
vorhistorischer  Grabstätten,  die  sich  auf  dem  Cvilinskopolje  neben  Ustikolina 
und  unmittelbar  am  linken  Drinaufer  befinden,  ferner  für  eine  spätere 
Periode  die  grosse  Zahl  alter  Burgruinen  in  der  Umgebung  des  Ortes.  In 
der  Mitte  des  Cvilinskopolje  sieht  man  den  Grundbau  eines  alten  Kastells; 
die  Stelle  wird  noch  heute  Gradina  oder  auch  »Cvilinski  Grad«  genannt. 
In  einem  Hudzet  (Urtheil),  welches  vor  1 50  Jahren  für  eine  Frau  aus 
Curevo  geschrieben  wurde,  wird  erwähnt  (Miron  R.  v.  Zar/.ycki  im  »Glasn. 
zemaljs.   muzeja*  ),    dass  der   betreuende    Prozess    vor    dem  Mutesarif  Omer 

V 

Pascha  Cengic  in  Dolnji-Odzak  bei  Ustikolina  verhandelt  wurde,  woraus 
hervorzugehen  scheint,  dass  der  Mutesarif  zu  jener  Zeit  dort  seinen  Sitz 
hatte.  In  einem  alten  Ferman  wird  Ustikolina  als  Scheher  (Stadt),  Foca 
hingegen  als  Kassaba  (Marktflecken)  bezeichnet,  woraus  hervorgehen  würde, 
dass  Ustikolina  damals  eine  wichtige  Stadt  war.  Als  Sultan  Mehmed 
Fatih  im  Jahre  1463  mit  seinem  Heere  in  diese  Gegend  kam,  stieg  er 
den  Bergrücken  am  linken  Ufer  des  Flüsschens  Josanica  (rechts  von  der 
Drina)  hinab,  wo  sich  der  Kampf  mit  den  Bosniern  entspann.  Die  Schlacht 
war  blutig,  es  fielen  auf  beiden  Seiten  zahlreiche  Soldaten  und  Führer, 
die  auf  dem  Kampfplatze  begraben  wurden.  Damals  entstand  der  Fried- 
hof an  der  Josanica  mit  seinen  zahlreichen  steinernen  Grabdenkmälern, 
auf  denen  Morgensterne,  Säbel,  Fahnen,  Bogen  und  Pfeile  eingemeisselt 
sind.  Man  erzählt,  dass  ein  türkischer  Anführer  den  grössten  bosnischen 
Helden,  Ivko  von  Josanica,  bis  zum  Cvilinski  Grad  verfolgt  habe,  wo  er 
ihn  erreichte  und  niederschlug.  Ivko  wurde  auf  der  Stelle,  wo  er  gefallen, 
begraben,  und  der  Stein,  den  man  auf  sein  Grab  legte,  wird  noch  heute 
Ivkov  kamen'  (Stein  des  Ivko)  genannt.  Der  erwähnte  türkische  An- 
führer kehrte  hierauf  wieder  auf  den  Kampfplatz  an  der  Josanica  zurück, 
wo  ihm  ein  Bosnier  den  Kopf  abhieb.  Dies  geschah  unmittelbar  am  Ufer 
des  Flüsschens.  Der  Getödtete  nahm  -  -  so  erzählt  das  Volk  —  seinen 
Kopf  unter  den  Ann  und  begab  sich  an  das  rechte  Ufer  des  Flüsschens, 
wo  er  auch  begraben  wurde.  Auf  dem  Steine,  den  man  diesem  Anführer 
zu  I  [äupten  des  Grabes  setzte,  ist  eine  Aushöhlung,  aus  welcher  das  Volk 
Wasser  zu  trinken  pflegt,  und  es  soll  Jeder,  mag  er  an  welcher  Krankheit 
immer  leiden,  sofort  genesen,  sobald  er  von  diesem  Wasser  getrunken  und 
am  Grabe  sein  Gebet  verrichtet  hat.  Diese  »Heilstätte  wird  am  letzten 
Dienstag  vor  Gjurgjev-dan  (Georgstag)  am  zahlreichsten  besucht. 


1  56 


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Zu  jener  Zeit,  als  Sultan  Mehmed  Fatih  mit  den  Bosniern  den  obigen 
Kampf  bestand,  Lebten  in  Ustikolina  drei  Brüder  Namens  Miroje,  Ljuboje 
und  Dragoje  Kujunddc,  deren  Familie  die  angesehenste  in  der  ganzen 
Gegend  war.  Auch  die  Kirche,  deren  Ruinen  oben  erwähnt  wurden, 
stand  unter  ihrer  Leitung.  Einige  Mitglieder  der  Familie  waren  Mouche 
und  ihnen  gehörten  auch  alle  drei  Ueberfuhrcn  an  der  Drina,  und  zwar 
in  Ustikolina,  Foca  und  Gorazda.  lauer  von  den  genannten  drei  Brüdern 
-  nach  anderen  deren  Mutter  -  ging  dem  Sultan  entgegen  und  führte 
ihn  über  die  Drina  nach  Ustikolina.  Als  der  Sultan  in  der  Mitte  des 
Flusses  war,  versank  sein  Pferd  in  den  Fluthen,  worauf  er  ausrief:  »Bu  sü 
derin!«  (Das  Wasser  ist  tief!)  Vom  Worte  »derin  soll  der  Name  des 
Flusses  Drina  herrühren.  Aus  Dankbarkeit  dafür,  dass  sie  ihn  über  die 
Drina  geführt,  schenkte  der  Sultan  den  Brüdern  Kujunduc  Spahiluks 
(Lehensgüter),  gab  ihnen  Fermane  und  Bujruntijas  (Verleihungsurkunden), 
und    seit    jener   Zeit    wurden    die    Kujundzici   auch    Spahici    genannt.      Die 


—     i37 


Brüder  Miroje  und  Ljuboje  nahmen  den  mohammedanischen  Glauben  an 
und  von  ihnen  sollen  die  bosnischen  Begs  Mirici  und  Ljubovici  abstammen. 
Der  dritte  der  Brüder,  Dragoje,  blieb  dem  Glauben  seiner  Vater  treu, 
dennoch  wurde  auch  er  vom  Sultan  mit  dem  Spahiluk  und  der  Bujruntija 
betheilt.  Auf  Grund  dieses  Fermans  haben  die  Nachkommen  des  Genannten, 
die  Kujundaci-Spahici,  bis  in  die  letzte  Zeit  den  Zehent  in  der  Gemeinde 
Ustikolina  für  sich  eingehoben.  Als  die  beiden  ersterwähnten  Brüder 
zum  Islam  übertraten,  übersiedelte  der  christliche  Bruder  in  das  nahegelegene 
Dorf  Ligati,  wo  noch  heute  seine  Nachkommen,  die  Kujundzici-Spahici, 
leben.  Zwei  von  dieser  Familie  abstammende  Brüder  übersiedelten  nach 
Foca,  wo  sie  zu  den  angeseheneren  Bürgern  gezählt  werden  und  im  Rufe 
der  geschicktesten   Goldarbeiter  stehen. 

Nachdem  der  Sultan  in  Ustikolina  einzogen  war,  liess  er  dort  eine 
1  teeresabtheilung  unter  Turhani  Emin,  der,  wie  erzählt  wird,  die  Moschee 
in  Ustikolina  erbaute.  Von  hier  aus  sandte  der  Sultan  eine  Wache  gegen 
das  heutige  Foca,  welches  zu  jener  Zeit  Radovina  geheissen  habe,  um  zu 
erforschen,  was  es  dort  gäbe.  Als  die  Truppe  zurückkehrte,  erzählte  sie 
dem  Sultan,  dass  sie  in  jener  Gegend  einen  Ort  angetroffen  habe,  wo  es 
grosse  Weingärten  und  viele  Fässer  (hepsi  fuci)  gebe.  Das  türkische  Wort 
»fuci«  bedeutet  »Fass«,  und  so  sei  der  Name  der  späteren  Stadt  Foca 
entstanden.  Wie  Andere  wieder  erzählen,  soll  Foca  seinen  Namen  von 
dem  vielen  Obst  (bosnisch  voce)  erhalten  haben,  das  dort  und  in  der 
Umgegend  vortrefflich  gedeiht. 

Am  nordöstlichen  Ausgang  des  Städtchens  Ustikolina  erhebt  sich  die 
Moschee,  die  in  den  Jahren  866  bis  869  nach  der  Hedschra,  also  gleich  in 
den  ersten  Jahren  nach  der  Eroberung  Bosniens  durch  die  Osmanen 
erbaut  wurde  und  somit  zu  den  ältesten  Moscheen  im  ganzen  Lande  zählt. 
Das  Minaret,  das  an  der  rechten  Seite  des  Gebäudes  steht,  ist  wie  dieses 
selbst  aus  behauenen  Quadern  aufgeführt  und  besitzt  unterhalb  der  Scherefa 
(Gallerie  für  den  Ausrufer)  ringsum  fein  gemeisselte  Stalaktiten-Ornamente. 
Die  Moschee  wie  das  Minaret  sind  mit  Blei,  die  Vorhalle  mit  Ziegeln 
gedeckt.  Bei  der  Moschee  steht  ein  altes  Türbe  (Mausoleum),  in  welchem 
Kadri  Alajbeg  Cengic,  der  Urahn  der  in  Odzak,  eine  Viertelstunde  von 
l  Fstikolina  lebenden  Familie  Cengic  vor  1 50  Jahren  bestattet  wurde.  Die 
Bewohner  von  Ustikolina  erzählen,  dass  einmal  ein  Pferd  auf  den  Friedhof 
gekommen  sei  und  mit  dem  Fusse  die  Decke  dieses  Grabes  durchbrochen 
habe.  Als  die  Ustikoliner  diesen  Schaden  bemerkten,  liefen  sie  rasch 
herbei,  um  das  Grab  pietätvoll  zu  restauriren.  Bei  dieser  Gelegenheit 
fanden  sie  drei  Platten  im  Grabe,  welche  derart  aufgestellt  waren,  dass  zwei 
davon  an  den  Enden  aufrecht  standen,  während  die  dritte  als  Deckplatte 
diente.  Der  Todte  war  also  nicht  in  jener  Weise,  wie  die  Mohammedaner 
heute    ihre  Todten    zu    bestatten    pflegen,    der    Erde    übergeben    worden. 


I38 


Turhani  Emin,  der  nach  der  Volkstradition  dieses  Gotteshaus  erbaute, 
soll  auf  Presjeka   bestattet    sein.      Dieser   I  >rt   liegl    i  '  2  Stunden    nördlich 
von  Ustikolina  und  soll  seinen  Namen 
daher  haben,   weil  dort  das  türkische 
I  [eer  das  bosnische  »entzweigehauen« 
(presjeei:  entzweihauen),  also  geschla- 
gen habe.     Auf  einem  Ilaehen  Xisehan 
(mohammedanischer  Grabstein),    der 
oben   zugespitzt   ist,     sieht    man    den 
I  [albmond     mit     dem 
Stern  und  darüber  eine 
Spirale.    Man  sagt,  dies 
sei   das  Grab  eines  Ta-  .. 

taren  oder  Persers.  Die  'y    ■ 

alten  Gräber  sind  auf 
einem  Bergrücken  zer- 
streut; links  sieht  man 
eine  Ebene  und  einen 
kleinenSee,  Unterallen 
Gräbern,  die  man  dort 
findet,  zeichnen  sich 
zwei  durch  Schönheit 
aus;  ihre  Nischans  sind 
aus  Marmor,  aber  ge- 
brochen. Auf  dem 
einen  finden  sich  die 
Ueberreste  einer  In- 
schrift: ...  Emhi 
li\  ai  herceg«,  d.  i.  Emir 
oder  Gouverneur  der 
Hercegovina;  von  der 
Jahreszahl  nur:  >Sene 
tisa  ve  sittin e  ,  d.  i.  im 
Jahre  .  .  .  69.  Auf 
der  dritten  Seite:  »Kad  intekalel 
merhumu  ibni«,  d.  i.  Uebersiedelt 
(gestorben)  der  geliebte  Sohn.  1  )as 
Stück,  auf  dem  das  Jahrhundert 
der  Jahreszahl  und  der  Name  des 
Vaters  des  Verstorbenen  eingegraben  standen,  ist  vom  Steine  abgeschlagen 

V 

worden.      Der  alte  Muhammed  Beg  Cengie  aus  Odzak  erzählte,   dass,   als  er 
vor  40  Jahren   zum   letzten  Male   bei   den  Gräbern  war,   die  Denksteine  ganz 


139 


gewesen   seien,   und   dass  er  damals  die  Inschrift  auf  dem  einen  Grabsteine 
noch  sehr  deutlich  habe  lesen  können.     Sie  hatte  gelautet:   »Turhani  Emin 
mit  dem   Sterbejahr  869.      In   der  Nahe   der    erwähnten   Grabstätten  finden 
sich    auch    viele    Bogomilengräber    mit    grossen    viereckigen   Steinen    und 
Platten,   von   denen   aber  keiner   Ornament  oder  Inschrift   aufweist. 

Jedenfalls  /eigen  die  Ueberreste  der  Vorzeit,  dass  Ustikolina  einst 
eine  bedeutendere  Stadt  war;  heute  ist  es  ein  kleiner  Ort,  der  sich  durch 
regen  Tabakbau  auszeichnet.  Kein  Haus  ist  ohne  die  grünen  Schnüre,  und 
im  üppigsten  Flor  standen  auf  den  Feldern  die  saftig- 
grünen Pflanzen  mit  den  mächtigen  Blattern.  Die 
Bewohner  gemessen  einen  besonderen  Ruf  als  ge- 
schickte Tabakpflanzer,  der  Anbau  nimmt  im  ganzen 
Dzemat  von  Jahr  zu  Jahr  zu  und  die  betreffenden 
Grundstücke   sind  wahre  Musterplantagen. 

Nach  einer  Stunde  erreicht  man  von  Ustikolina 
aus  die  bedeutende  Stadt  Foca  am  Zusammenfluss 
der  Cehotina  mit  der  Drina.  Schon  der  erste  An- 
blick beim  Herankommen  an  die  Stadt  ist  ein  im- 
ponirender.  Zu  beiden  Ufern  des  Flusses  grosse 
neue  Gebäude,  militärische  Anlagen,  als  ob  man  das 
Weichbild  einer  Festung  beträte.  Eine  neue  eiserne 
Brücke  führt  über  die  Drina,  und  wir  passiren  zu- 
erst das  Militärlager  mit  seinen  mächtigen  Defensiv- 
befestigungen.     Dann  fahren    wir  durch    einen  Theil 

der  Carsija,  an  Moscheen  und  Kaufläden  vorbei,  durch  enge  und  holperige 
Gassen,  und  halten  endlich  vor  einem  sehr  hübschen  europäischen  Gebäude, 
das  sich  als  »Hotel  Gerstl«  präsentirt.  Gegenüber  liegt  das  geschmackvoll 
gebaute  Bezirksamt.  Die  Restauration  war  ganz  nach  Wiener  Muster,  Küche 
und  Keller  Hessen  nicht  das  Mindeste  zu  wünschen  übrig,  nur  klagte  der 
Wirth  über  die  angeordnete  Verminderung  der  Garnison,  da  ihm  dadurch  ein 
grosser  Theil  seiner  täglichen  Gäste  entgehe.  Ich  begrüsste  dies  als  ein 
Zeichen  der  Ruhe  und  Ordnung  auch  in  jenem  Gebiete,  das  noch  1882 
zu  den  aufruhrerischsten  und  turbulentesten  gehörte.  Die  Forts,  oder 
wie  sie  hier  genannt  werden  »Defensivkasernen«  rings  um  die  Stadt  auf  den 
verschiedenen  liehen  geben  ein  recht  kriegerisches  Bild.  Hier,  eingekeilt 
zwischen  Xovibazar  und  Montenegro,  kam  die  Bevölkerung  nur  mit  der 
Büchse  und  dem  Handschar  in  der  Hand  zu  ruhiger  Arbeit,  vorausgesetzt, 
dass  sie  sich  nicht  selbst  in  Aufständen  erging.  Im  Beginn  der  Insurrektion 
von  [88]  [882  hatte  die  kleine  Garnison,  die  damals  nur  200  Mann  betrug, 
schwere  Kampfe  zu  bestehen,  und  es  mag  nicht  heimlich  in  Foca  gewesen 
sein,  wenn  von  allen  Bergen,  welche  die  Stadt  wie  ein  grüner  Kranz  um- 
säumen, die  Wachtfeuer  der  Aufständischen  loderten.    Heute  ist  das  anders 


Städterin    aus  Foca. 


—      140 


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geworden,  und  alle  Persi  men, 
mit   denen    ich    in    Berührung 

kam,  drückten  ihre  Zufrieden 
heit  mit  den  gegenwärtigen 
Verhältnissen   aus. 

Nach  kurzer  Rast  begann 
ich  meinen  Rundgang  durch 
die    Stadt  eine    eigentlich 

hereegovinische  Stadt  — ,  doch 
wurde  der  Bezirk  Foca  seit 
dem  Jahre  [880  vom  herce- 
govinischen  Kreise  Mostar  ab- 
getrennt und  dem  Kreise  Sa- 
rajevo zugewiesen.  Ich  kannte 
Foca  von  früher  her  noch  nicht, 
sodass  -ich  der  Unterschied 
zwischen  einst  und  jetzt  für 
mich  nur  an  den  neuen  Ge 
bänden  und  europäischen  Ver- 
besserungen ermessen  Hess. 
Es  war  gerade  Markttag,  daher 
Gelegenheit,  die  prächtigen  Ge- 
stalten der  Gebirgsbewohner 
zu  bewundern,  die  aus  der 
Zelengora,  selbst  au-  Monte- 
negro und  Novibazar  gekom- 
men waren.  Es  ist  ein  stolzer 
Menschenschlag,  diese  Hercegoviner.  Schlank  gewachsen  wie  die  Tannen 
oder  wie  die  bosnischen  Buchen,  mit  Muskeln  von  Stahl  und  Sehnen  von 
Eisen,  der  Haltung  eines  geborenen  Befehlshabers,  mit  dem  schonen  süd- 
slavischen  Profil,  Adlernase  und  Falkenblick  bildet  jeder  den  echten  Typus 
de-  Junak  -  des  Helden.  Dabei  ist  die  Kleidung  weit  knapper,  netter  als 
bei  den  bosnischen  Hauern  und  zum  Theil  auch  reinlicher.  Die  schwarze, 
schirmlose  seidenumränderte  Kappe,  auf  deren  rothem  Deekel  sich  meist 
ein  gesticktes  Wappen  befindet,  steht  den  kühnen  Gesichtern  gut.  Auch  die 
Frauen  sind  von  hoher  stolzer  Haltung  und  haben  oft  recht  hübsche  G< 
sichter.  Foca  i-t  berühmt  wegen  seiner  Woll-  und  Lederwaaren,  ganz 
besonders  aber  wegen  -einer  Eisenarbeiten.  Einstmals,  als  noch  die  1  [andzare 
eine  Hauptwaffe  der  Bevölkerung  bildeten,  war  diese  Industrie  bedeutend 
ausgedehnter;  heute  beschränkt  sie  sich  auf  Messer  mit  eingelegten  Griffen. 
Dafür  ist  das  Kunstgewerbe  durch  wundervolle  Arbeiten  in  Hold-  und 
Silberfiligran    glänzend  vertreten  und  in  einem   von  der  Resrierunsr     -  ähn- 


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Partliie    aus    Foca. 


M. 


lieh   wie  in  Sarajevo  und  Livno  —  errichteten  Atelier  werden  alle  Zweige 

der  sogenannten     Foöaner  Kunstarbeit     durch  einige  alte  Meister  jüngeren 

Kräften   gelehrt. 

Der  Haupttheil  der  Stadt  liegt  am  linken  Ufer  der  Cehotina,  über  die 

zwei  hölzerne  Brücken  führen.    Einige  Strassen  ziehen  sich  in  sehr  malerischer 

Weise   die  Berge  hinan,    und  einzelne    der   alten  Häuser  zeigen    eine  recht 

originelle  Bauart.     Am   rechten   Ufer  liegen  einige  stille  Viertel;    hier   sind 

die   schönsten    und   ältesten    Moscheen    des    Landes,    monumentale   Bauten 

aus    der   Glanzzeit    der   Osmanen,    mit   Bleidächern,    die    im  Sonnenschein 

wie  Silber   glänzen,    mit  Kuppeln  von    riesigen  Dimensionen    und  Minarets 

von    imposanter  Höhe.     Vor  allen   zeichnet   sich   die  Aladza-Moschee  aus, 

v 
die    ungefähr   2000  Schritte  vor   der  Mündung   der  Cehotina   in    die  Drina 

gelegen  ist. 

Den  Namen  Aladza  (»die  Bunte«)  erhielt  das  Gotteshaus  von  seinem  reichen  Farben- 
schmuck. Oberhalb  des  Einganges  nennt  eine  arabische  Aufschrift  den  Erbauer  und  die  Zeit 
des  Baue-: 

c_ä^4)    "y\  /.—'-  o^ >-U  olj<i-l  >^»-L=j  iJL.'U  j^-~Ma  t_o^-Ü\  **\>~\  JkA  ^>j& 

i\~j>-  J^"  J1-*"  *y$  u  <£j\i  «_~*J\  t_oTl*  jUU 

; Dieses  schöne  Gotteshaus,    den  Ort  des  Gebets,    erbaute  der  barmherzige  Hassan,    Sohn   des 

Jussuf,   und   eine  unbekannte  Stimme   setzte  ihm  den  Tarih  (Tarih  =  Zeitpunkt  der  Erbauung"  : 

O  Alleinherrscher  der  Welt,   dies  Werk   soll  dir  genehm  sein!« 

Das  Jahr  der  Erbauung  ist  977  n.  d.  Hedschra  (1549  n.  Chr.).  Vom  Erbauer  Hassan 
Nazir  weiss  das  Volk  nur,  dass  er  Celebija  (Hofjunker)  im  Dienste  des  Sultans  war  und  dass 
er  in  dem  Orte  Vakuf  bei  Celebic  (Gemeinde  Tetima)  geboren  wurde.  Man  sagt,  dass  er 
sein  ganzes  Vermögen  dieser  Moschee  vermacht  habe,  worauf  auch  der  Name  seines  Geburts- 
ortes zurückgeht.  Heute  gehören  der  Moschee  nur  zwei  Kmetenansässigkeiten  in  diesem 
Orte;  das  übrige  Vermögen  sollen  sich  die  Verwandten  des  Hassan  Nazir  und  andere  ihm 
nahestehende  Personen  vor  200  Jahren  angeeignet  haben. 

Rechts  von  der  Moschee  —  wir  folgen  der  eingehenden  Beschreibung  des  Gottes- 
hauses in  den  vom  Landesmuseum  herausgegebenen  »Wissenschaftlichen  Mittheilungen  aus 
Bosnien  und  der  Hercegovina«  —  steht  ein  in  sehr  schönem  Stile  erbautes  Turbe  (Grab- 
denkmal), in  welchem  der  Sohn  des  Erbauers,  Ibrahim,  der  noch  bei  Lebzeiten  seines  Vaters 
starb,  begraben  liegt.  Die  Aufschrift  auf  dem  Denkmal  lautet:  »Hier  ruhet  der  gefallene 
getödtete'  Ibrahimbeg,  Sohn  des  Hassan  Nazir-Celebija,  gestorben  im  Jahre  ....  (hier  fehlt 
ein  Stück  des  Steines  und  neunhundert.  An  der  Südseite  der  Moschee  befindet  sich  ein 
gut  erhaltenes,  aus  weissem  Marmor  hergestelltes  Grab,  in  welchem  der  Erbauer  der  Aladza- 
Dzamija  ruht.      Die  türkische  Aufschrift  lautet: 

»Mit   Hilfe   der  Engel   hat  den   bitteren   Kelch   geleert,    von    dem   Jeder    aui   dieser  Welt    kosten 

muss,  und  ist  aus   dem  Hause  des  Elends  in  jenes  der  Seligkeit  und  Zufriedenheit  übersiedelt: 

der  gottbegnadete,   gottselige  Nazir  Hassan,  Sohn  des  Sinan,    Ende  des  Monats  Zilhidze  960.« 

t  hat  der  Erbauer  der  Moschee  drei  Jahre  nach  deren  Vollendung  das  Zeitliche  gesegnet. 


M4 


Der  hohe  Titel  »Celebije«,  welchen  von  Anfang  an  die  Sultan.-  selbst  führten,  sowie 
der  ganze  künstlerische  und  kostspielige  Lau  deuten  nach  der  Meinung  des  Volkes  darauf  hin, 
dass  der  Erbauer  eine  hochgestellte  und  vermögende  Persönlichkeit  gewesen  ist.  Deshalb 
vermuthet  der  Kadi  von  Foca,  Ibrahim  Efendi  Mulavdic,  dass  Hassan  Nazir  der  Sohn  jenes 
Sinan  gewesen  sei,  der  nach  der  türkischen  Eroberung  des  Landes  zweimal  (an  fünfter  und 
an  elfter  Stelle)  unter  den  Vezieren  Bosniens  erscheint.  Zwischen  dem  Wirken  dieses  Veziers 
und  dem  des  Hassan  Nazir  liegt  ein  Zeitraum  von  34  Jahren,  sodass  es  leicht  möglich  ist,  er 
sei  der  Sohn  des  Veziers  Sinan  gewesen  and  dass  er  selbst  mit  jenem  Vezier  identisch  ist, 
■der  als   der  siebzehnte   genannt   wird. 

Wer  und  woher  der  Baumeister  und  die  Maler  der  Moschee  waren,  weiss  Niemand  an- 
zugeben; auch  giebt  es  keine  Aufschrift,  die  darüber  belehrt.  Ebensowenig  existirt  ein  Volks- 
lied über  den  Bau  der  Moschee,  und  die  L'eberlieferung  weiss  nur,  dass  Hassan  Nazir  die 
Baumeister  habe  aus  Asien  kommen  lassen.  Die  Hauptzierde  der  Moschee  ist  der  Minber« 
—  die  Kanzel  — ,  die  in  schönem  Stile  aus  weissem  Stein  hergestellt  ist.  Im  mittleren  Felde 
{Orta)  an  der  Hauptfront  des  Minber  beiludet  sich  eine  Halbkugel  aus  geglättetem,  buntem 
Stein  mit  bräunlich-grünen  und  weissen  blecken  wahrscheinlich  ein  Serpentin),  von  der  das 
Volk  sagt,  sie  wäre  so  kostspielig,  dass  um  das  Geld,  was  sie  gekostet  hat,  ohne  Weiteres 
■eine  zweite  Aladza-Dzamija  gebaut  werden  könnte.  Von  dieser  Kugel  behaupten  die  Leute 
ferner,  dass  sie  einstens  gleich  einem  Diamant  gefunkelt  habe,  bis  einmal  ein  Ungläubiger  sie 
berührte,   worauf  sie   sofort  ihren   Glanz    verlor. 

Unter  den  Mohammedanern  hat  sich  folgende  l'eberlieferung  vom  Gründer  Hassan  Nazir 
■erhalten:  Hassan  war  der  Sohn  armer  Eltern  aus  Vakuf,  welcher,  als  er  mit  seinen  Eltern  in 
Streit  gerathen  war,  in  die  Welt  hinauszog  und  beim  Sultan  Aufnahme  fand.  Hier  beendete 
er  seine  Studien  und  ward  beim  Kaiser  Nazir«,  d.  h.  Aufseher,  Inspektor,  also  eine  ver- 
trauenswerthe  Person.  Mehrere  Jahre  stand  er  im  Hofdienste  beim  Sultan,  begleitete  diesen 
auf  Reisen  und  Kriegszügen,  und  als  nun  viele  Jahre  vergangen  waren  und  Hassan  Nazir  sich 
ein  grosses  Vermögen  erworben  hatte,  da  bat  er  den  Sultan,  er  möge  ihm  gestatten,  nach 
Hause  zurückzukehren,  damit  er  seine  Mutter  wiedersehe.  Auch  bat  er  den  Kaiser  um  einen 
Ferman,  in  Foca  eine  Moschee  als  Andenken  erbauen  zu  dürfen.  Der  Kaiser  willfahrte  seiner 
Litte  und  Hassan  Nazir  machte  sich  mit  »drei  Gürteln  voll  Gold«  auf  den  Weg  nach  der 
Heimath.  Unterwegs  nahmen  ihn  vierzig  Räuber  gefangen,  fesselten  ihn,  beraubten  ihn  seiner 
Schätze  und  brachten  ihn  in  einen  Han,  wo  sie  übernachteten.  Hier  betranken  sich  die 
Räuber  und  schliefen  ein.  Hassan  Nazir  sprach  ein  Gebet  und  in  demselben  Augenblick 
lösten  sich  die  Ketten  von  seinen  Händen.  Er  ward  frei,  raffte  seine  drei  Goldgürtel  zu- 
sammen, bestieg  ein  Pferd  und  entkam  glücklich  nach  Foca.  Als  er  in  die  Gegend  der  heu- 
tigen Aladza-Moschee  kam,  fand  er  dort  seine  alte  Mutter,  welche  Kornfrucht  an  der  Sonne 
trocknete.  Kr  frug  sie,  wie  sie  heisse,  und  sie  hub  an  zu  erzählen,  dass  sie  einen  einzigen 
Sohn  LIassan  gehabt,  mit  dem  sie  sich  einmal  gezankt  habe,  worauf  dieser  in  die  Welt  hinaus- 
gezogen sei.     Seit  jener  Zeit  habe  sie  nie  wieder  etwas  von  ihm  gehört. 

Hassan  Nazir  fragte  die  Mutter,  ob  sie  im  Stande  wäre,  ihren  Sohn  jetzt  noch  zu  er- 
kennen, und  sie  erwiderte,  dass  ihr  Sohn  ein  Muttermal  am  Arme  gehabt  habe;  an  diesem 
Zeichen  würde  sie  ihn  leicht  erkennen.  Hassan  schlug  den  Aermel  zurück,  zeigte  ihr  das 
Mal  an  seinem  Arme  und  frug,  ob  sie  ihren  Sohn  erkenne.  Sie  aber  umarmte  ihn  und  starb 
vor  grosser  Freude.  An  der  Stelle,  wo  dies  geschehen,  begann  Hassan  Nazir  die  Aladza- 
Moschee  zu  bauen.  Die  Baumeister  Hess  er  aus  Asien  kommen,  und  er  selbst  begab  sich 
eines  Tages  in  ihrer  Begleitung  in  das  Dorf  Vikoc,  um  dort  einen  Steinbruch  zu  suchen. 
Als  sie  nach  Vragolovo  kamen,  nächtigten  sie  bei  der  Yranjaca  unter  dem  Felsen  Sokolovica. 
Um  Mitternacht  löste  sich  in  einiger  Entfernung  von  ihrem  Nachtlager  der  Felsen  ah  und 
stürzte  mit  Donnerschall  zur  Erde,  worüber  sie  alle  erwachten  und  heftig  erschraken.  Der 
Lauleiter  beruhigte    sie,    indem    er    sagte:     »Fürchtet    euch    nicht,    die   Moschee    wird    sicher    zu 

10 
—      145      — 


Ende  gebaut  werden,  denn  es  sprang  irgen  Iwo  in  der  Nähe  der  Felsen,  wodurch  Gott  selbst 
uns  den  Steinbruch  aufthat  und  die  Stelle  zeigte,  wo  wir  den  Stein  zu  suchen  haben.  Als 
es  wieder  Tag  wurde,  gingen  sie  zu  jenem  leisen,  wo  der  Absturz  stattgefunden  hatte,  und 
fanden  dort  abgelöste  Steine,  so  gross  wie  ein  Haus.  Da  fingen  nun  die  Meister  an,  sogleich 
jene  grossen   Säulen  zu  behauen,   von   denen    vier   Stücke,  jedes   ,5   Meter   hoch   und    1,27    Meter 

im  Umfange  messend,  vor  dem  Eingange  in  die 
Uadza-Moschee  stehen.  Nachdem  die  Säulen 
fertiggestellt  waren,  führte  man  sie  und  die 
übrigen  Hausteine  nach  Foca,  über  das  Gebirge 
Bac,  über  welches  in  alter  Zeit  eine  breite 
ging,  von  der  man  noch  heutigen  Tages 
stellenweise  Spuren  findet.  Eine  von  den  da- 
mals zugehauenen  Steinsäulen  befindet  sich  noch 
heute  am   Fusse   der  Sokolovica. 

Als  der  Bau  der  Moschee  schon  so  weit 
gediehen  war,  dass  die  Hauptmauern  fertig 
standen,  rief  der  Hair-sahibija  (Wohlthäter,  hier 
Bauherr)  dem  Neimarbasi  (Bauleiter)  zu,  er  solle 
sich  beeilen  und  mit  der  Herstellung  der  Kuppel 
beginnen.  Der  Bauleiter  nahm  hierauf  von  den 
Mauern  das  Maass,  gab  davon  dem  Bauherrn 
Hassan  Nazir  ein  Exemplar,  während  er  das 
andere  für  sich  behielt  und  entfloh  aus  der 
Nähe  seines  Gebieters,  um  sich  ein  volles  Jahr 
verborgen  zu  halten.  Da  erzürnte  der  Bauherr 
heftig  wider  den  Bauleiter,  der  sich  so  lange 
seiner  Pflicht  entzog,  und  als  dieser  nach  einem 
Jahre  zurückkehrte,  wollte  er  ihn  tödten  lassen. 
Der  Bauleiter  bat  den  Bauherrn,  seinen  Zorn 
einen  Augenblick  zu  bemeistern  und  ihm  jenes 
Maass,  das  er  ihm  vor  einem  Jahre  übergeben 
hatte,  zurückzugeben.  Zugleich  zog  er  das  Maass. 
das  er  bei  sich  behalten  hatte,  hervor  und  ver- 
glich damit  die  unbedachten  Mauern  der  Moschee. 
Als  er  damit  fertig  war,  zeigte  er  dem  Bauherrn, 
dass  die  Mauern  um  einen  ganzen  Arschin  (tür- 
kische Elle)  niedriger  geworden  seien,  da  sie 
sich  im  Laufe  des  Jahres  gesetzt  hätten,  und 
er  sagte  zu  Hassan  Nazir:  »Wenn  ich  damals 
nach  deinem  Willen  die  Kuppel  auf  den  frischen 
Mauern  errichtet  hätte,  wäre  die  Moschee  in 
wenigen  Jahren  eingestürzt;  jetzt  aber,  wenn  ich  die  Kuppel  aufstelle,  kann  ich  dir  verbürgen, 
dass   die   Moschee   sicher  bis   in   alle   Ewigkeit   stehen   und  dass  ihr  nichts   fehlen    wird.« 

Als  die  Kuppel  und  das  Minarel  fertig  waren,  pflanzte  der  Bauleiter  den  Alem  (Schluss- 
aufsatz und  die  Spitze)  auf  dem  Dache  des  letzteren  auf;  dann  verfertigte  er  sich  selbst 
Bretterflügel  und  (loi;  vom  Minaret  über  den  Cehotinafluss  auf  einen  Rain  gegenüber  dem 
i,  ohne  sich  im  Geringsten  zu  verletzen.  Nach  Vollendung  der  Moschee,  und  als  die 
Herstellung  des  Säulenganges  vor  derselben  im  Zuge  war,  landen  die  Meister  eines  Morgens 
zur  rechten  Seite  des  Einganges  einen  grossen  schwarzen  Stein,  den  die  Engel  an  dieser  Stelle 
"•setzt    hatten.      Dieser    Stein    steht    noch    heute  auf    demselben   Platze,    und    es    ist    noch 


Der  Uhrthurm    (Sahat-Kula] 
in   Foca. 


146 


heutigen    fages  Sitte,  dass  Frau  Steine 

ihr  i  rebel   verrichten. 

\ni   der   !  ;  i    der   Kanzel     hudba  al  eine 

:      i    aus    grüne  n   Nazir,    nachdem    die    Moschi  stellt    war, 

\  ■:-    diesem   Stein  kann   eine  ganz  gleiche   Mo  iil    werden,   wenn 

diese  einmal    einstürzen    oder    I  werden    sollte.        Das   Volk    glaubt  jedoch,    dass  an 

dieser  Stelle    ein    grosser  Schatz    vergraben    od   i  nert  sei.      \n   den   [nnenwändi 

Moschee  sieht  man  fünf  grosse  weisse  Krei    :,   deren  Radius    14  cm  beträgt.     Man  erzähl 
dass     u    jener  Zeit,   als   die    Moschee   gebaut   wurde,   ein   Somun   (landi  Laib    Bro 

der  gleichen   Grösse   einen    Para   gekoste!    habe    und    dass    die   Meister  jene  Kreise    in   der  Ab- 
sicht gemacht    haben,    um    den  Nachkommen    das   Andenken    an    die   Billigkeit    zurückzul 
die  zur  Zeit  des   Baues   in   Foca  geherrscht   habe. 

Die   Moschee    zeigt    uns    den    reinen  Typus    des  mohamm  a   Gotteshauses.     Aul 

quadratischer  Basis  stehen  die  Hauptwände,  über  diesen  das  Oktogon  und  auf  diesem  die  Kuppel. 
Von  aussen  ist  das  prismatische  Minaret  angebaut.  An  der  Hauptfront  der  Moschee  befindet 
sich  der  Portikus  mit  drei  Kuppeln,  welche  auf  gemauerten  Kielbögen  und  schlanken  Säulen 
ruhen.  Vor  dem  Portikus  steht,  wie  üblich,  die  Cesma  der  Auslaufbrunnen  zu  rituellen 
Waschungen'  und  um  die  Moschee  herum  die  Grabdenkmäler.  Die  innere  Einrichtung,  welche 
im  engsten  Zusammenhange  mit  ihrer  äusseren  Form  <teht,  ist  folgende:  Bis  zur  Höhe  von 
8>3S  m  geht  der  Anlauf  der  Bögen,  deren  es  acht  giebt  und  welche  die  Form  einer  Columba 
haben.  Vier  von  ihnen  stehen  auf  den  Hauptwänden  und  ragen  nur  unbedeutend  heraus, 
während  vier  andere  zwischen  ihnen  stehen  und  einer  über  die  Ecken  des  inneren  Raumes 
situirt  sind.  Auf  diese  Weise  entsteht  am  Anlauf  der  Bögen  ein  Achteck,  welches  dem  ol 
Oktogon  der  Moschee  entspricht.  Auf  die  Bögen,  welche  quer  über  den  Ecken  stehen,  stützen 
sich  die  Halbkuppeln,  welche  sich  an  zwei  benachbarte  Wände  anschliessen,  deren  Winkel 
verdeckend.  Unter  der  Halbkuppel  in  den  Ecken  giebt  es  stalaktitische  Konsolen,  sodass  der 
g  mg  des  Baues  aus  seiner  quadratischen  in  die  polygone  und  in  die  Bogenform  voll- 
kommen harmonisch  ausgeführt  erscheint.  Oberhalb  und  zwischen  den  besprochenen  Bögen 
spannen  sich  acht  Pendentifs,  die  in  das  Kranzgesimse  übergehen.  Dieses  ist  aber  die  Basis 
des  mehrerwähnten  <  (ktogons,  welches  die  Kuppel  trägt.  Drei  von  den  Hauptwänden  haben 
je  fünf  Fenster,  zwei  unten  in  rechteckiger  Form,  über  diesen  zwei  mit  Spitzbögen,  und  endlich 
über  diesen  eines,  gleichfalls  mit  spitzer  Wölbung.  In  der  vierten  Wand  an  der  Nordseite 
befindet  sich  die  Thür,  welche  mit  Marmor  eingerahmt  ist.  Das  Oktogon  für  sich  hat  auf 
jeder  Seite  ein  Spitzbogenfensterchen. 

Leider  wird  der  Gesammteindruck  der  Dzamija,  die  so  überaus  malerisch  liegt,  etwa-. 
durch  das  zum  Schutze  der  Malerei  in  der  Vorhalle  angebrachte  Schutzdach  gestört.  Aller- 
dings war  eine  derartige  Vorrichtung  nothwendig,  doch  hätte  sie  bereits  vor  Jahrzehnten  an- 
gebracht werden  sollen,  denn  die  Malerei  hat  sehr  durch  Wind  und  Wetter  gelitten,  und  nur 
farblose  Fragmente  bezeugen,  dass  hier  einstmals  eine  Künstlerhand  ersten  Ranges  geschaffen 
hat.  Namentlich  die  eine  Wandfüllung,  welche  die  Fläche  zu  beiden  Seiten  der  Fenster  be- 
deckt, verräth  eine  durchweg  meisterhafte  Behandlung  des  <  »rnamentes.  Der  mittlere  Theil 
zeichnet  sich  besonders  durch  die  Vornehmheit  seiner  Linien  und  durch  geschickte  Vertheilung 
der  Formen  aus,  deren  Ueppigkeit  durch  eine  elegante  Zergliederung  gemildert  wird.  Das 
Auge  entdeckt  hier  keine  Lücken  in  der  Komposition,  frei  und  ungezwungen  schliessen  sich 
die  Linien  dem  Räume  an.  Ein  Fries,  welcher  in  demselben  Charakter  gehalten  ist,  um- 
rahmt den  mittleren  Theil  und  bildet  ein  gefälliges  Uebergangsglied  zwischen  dem  mittleren 
Stück  und  dem  äusseren  Theil,  einem  Flachornament,  das  musterartig  die  innere  Füllung  mit 
Fries  umrahmt.  Leichter,  mehr  in  schlanken  Linien  laufend,  zeigt  auch  dieses  die  unverkenn- 
bare Meisterhand.  Keine  Magerkeit  der  Formen,  keine  Ueberladung  macht  sich  hier  geltend. 
Las  Ganze  wird  durch  einen  halbkreisförmigen  Aufsatz,  ebenfalls  Flachornament,  gekrönt.     Die 

10* 

—    147    — 


Ausführung  der  ganzen  Arbeiten  zeigt,  dass  der  Meister  nicht  nur  die  Komposition  des 
Ornaments  beherrschte,  sondern  sich  auch  in  der  technischen  Ausführung  gleichwertig  zeigte. 
Sauber  und  korrekt  ist  die  Pinselführung  in  der  Kontur,  hier  ist  kein  Strich  mechanisch  kopirt, 
selbst  an    den   nebensächlichsten  Theilen   zeigt  sich  volle   Empfindung  für  die  Formen. 

Hat  man  bereits  am  Eingang  einen  so  gediegenen  Eindruck  von  der  künstlerischen 
Ausstattung  erhalten,  so  hofft  man  auch  im  Innern  der  Dzamija  einer  gleichen  Befriedigung 
theilhaftig  zu  werden.  Leider  ist  dies  nicht  der  Fall.  Während  draussen  Sturm  und  Wetter 
an  der  Vernichtung  gearbeitet  haben,  ist  im  Innern  die  Zerstörung  wohl  der  Feuchtigkeit  und 
sonstigen  schädlichen  Einflüssen  zuzuschreiben.  Der  Eindruck  ist  deshalb  durchaus  nicht  er- 
hebend; statt  farbenprächtiger  Ornamente  zeigen  sich  Fragmente  der  früheren  Dekorationen 
zwischen  Stockflecken,  Kalkrissen  u.  s.  w.  und  zeugen  von  dem  Unverständniss  der  letzten 
Generationen,   die  mit  geradezu  stumpfsinniger  Gleichgiltigkeit  der  Vernichtung  zugesehen  haben. 

Schlank  und  aufwärts  strebend,  rein  in  der  Architektur,  zeigt  sich  der  Aufbau  der 
Kanzel  (minber).  Bei  näherer  Betrachtung  der  Einzelheiten  ergeben  sich  aber  beträchtliche 
Lücken  in  der  Ausführung.  Theilweise  sind  die  Ornamente  meisterhaft  und  können  mit  der 
ornamentalen  Malerei  konkurriren,  theilweise  sind  sie  aber  in  ihrer  Anlage  wie  Ausführung 
vollständig  ungeschickt.  Die  arabischen  Aufschriften  im  Innern  der  Moschee  geben  wir  nach 
der  Niederschrift  und  Uebersetzung  des  Kadi  von  Foca.  Die  Thür  der  Moschee  hat  zwei 
Flügel  mit  je  vier  Feldern;  auf  dem  obersten  der  letzteren  befindet  sich  links  die  Inschrift: 
»Addzilu  bissalati  kable  el  feuti«,  d.  i.  »Eilet  zu  beten  vor  dem  Tode!«  Auf  dem  rechten 
Flügel  dagegen:  »Addzilu  biteubeti  kable  el  meuti«,  d.  i.  »Beeilt  Euch  mit  der  Reue  vor  dem 
Tode!;;  Auf  der  Wand  oberhalb  der  Thür  steht:  »We  innel  mesadzide  l'illah  fela  ted'  u  nie' 
allahi  ehaden«,  d.  i.  »Die  Moscheen  (Gotteshäuser]  gehören  Gott,  und  so  rufet  neben  Allah 
nicht  einen  anderen  an!«  Oberhalb  der  Kuppel:  »Cullemah  dehale  alejha  zekerija  el  mihrabe«, 
d.  i.  die  Koran-Sure  »Ali  imran«.  Um  den  Scheitel  der  Kuppel  steht  die  Aufschrift:  »Esmaul 
husna«,  d.  i.  »Die  99  schönen  Gottesnamen«.  Am  Eingange  zur  Kanzel  steht  der  Spruch: 
»Es  giebt  nur  einen  Gott  und  Mohammed  ist  sein  Prophet.«  Zum  Schlüsse  seien  auch  noch 
die  Worte  erwähnt,  welche  vor  etwa  200  Jahren  ein  persischer  Reisender  an  der  Aussenmauer 
der  Moschee  unterhalb  des  Gesimses  niederschrieb:  »Sefer  kerdem  beher  sehri  residem  — 
We  lakin  encunan  dzaji  nedidem«,  d.  i.  »Ich  bin  viel  gereist  und  kam  in  jede  grössere  Stadt, 
aber   einen   Ort   wie   diesen   sah  ich  noch  nie!« 

Von  der  Besichtigung'  des  Gotteshauses  die  lange  Strasse  läno-s  des 
Flusses  gegen  die  Cehotinabrücke  gehend,  bemerkten  wir  rechter  Hand 
ein  sehr  originelles  Cafe.  »Cafe  Luft«  stand  mit  grossen  Buchstaben 
aufgeschrieben,  und  wirklich  spielte  sich  der  gesammte  Verkehr  im  Freien 
ab,  sogar  der  Kaffee  wurde  im  Garten  gekocht.  U eberall  aber  standen 
Bänke  und  Tische  ganz  nach  Art  der  Heurigengärten  um  Wien  und  der 
Verkehr  war  ein  sehr  reger.  Das  Getränk  war  ganz  vorzüglich.  Die  eine 
den  Garten  abschliessende  Wand  war  mit  Bildern  aus  illustrirten  Blättern 
beklebt  und  die  Focaner  konnten  auf  diese  Weise  die  Bekanntschaft  des 
damaligen  Wiener  Bürgermeisters  Grübl  und  einer  ganzen  Reihe  von 
Schauspielern   machen. 

Während  sich  die  Fürsorge  der  Landesregierung,  wie  bereits  erwähnt, 
der  Erhaltung  des  Focaner  Kunsthandwerks  zuwendet,  hat  sie  auch  in  der 
weiteren  Umgebung  sehr  segensreiche  Einrichtungen  geschaffen.  Da  liegt 
westlich  von  Foöa,  auf  dem  Wege  nach  Kalinovik,  tief  eingebettet  zwischen 
den  Ausläufern  der  Zelengora  und  der  Lelija-Planina,  der  Ortjelec,  dessen 


—    14S 


Dzenaza     Todtengebet)    vor   der    Moschee.      Aon  Ewald  Arndt.) 


Bewohner  seit  undenklichen  Zeiten 
Lederfabrikation  betreiben.  Die  Alpen- 
weiden ringsum  auf  den  mächtigen  Gebirgen 
liefern  alljährlich  Tausende  von  Schaf-  und 
Ziegenfellen,  die  hier  an  dem  schnellen 
Wasser  des  Gjafer-Potok  zu  dem  im  ganzen 
Lande  gerühmten  Jelecer  Leder  verarbeitet 
werden.  So  wie  jede  Industrie  in  Bosnien 
früher  auf  eine  äusserst  ursprüngliche  Weise 

I  »etrieben  wurde,  s<  >  v\  aren  auchdie(  rerl  »ereien 

II  Jelec  nicht  im  Stande,  -ich  nach  der  Okku- 
pation im  geschäftlichen  Leben  zu  be- 
haupten. Die  Erzeugnisse  entsprachen  dcw 
modernen  Anforderungfen  nicht,  der  Handel 
selbst  schlug  andere  Wege  ein,  und  so  ver- 

te    plötzlich    die    einzige   Erwerbsquelle 
für  die  Bewohner  von  Jelec,  die  sich  natur- 

gemäss  in  die  neuen  Verhältnisse  so  rasch  nicht  finden  konnten.  Als  einziges 
Mittel  gegen  diesen  wirthschaftlichen  Ruckschritt  erwies  sich  die  Errichtung 
einer  Lederfabrik  in  Jelec  auf  Landeskosten,  durch  welche  nicht  nur  für 
eine  Beschäftigung  der  Bevölkerung,  Mindern  auch  für  eine  entsprechende 
Verwerthung  der  Rohhäute,  dieser  finanziellen  Hilfsquelle  des  Hütervolkes 
des  ganzen  umliegenden  Gebirgsdistriktes ,  gesorgt  würde.  Im  Jahre  1892 
wurde,  nachdem  zuerst  versucht  worden  war,  die  Gerber  zu  einer  Genossen- 
schaft zu  vereinigen,  die  landesärarische  Fabrik  erbaut,  die  1894  bedeutend 
erweitert  und  für  die  neueste  Produktionsweise  eingerichtet  wurde.  Dazu 
gehört  auch  die  neue  Art,  das  Enthaaren  der  Felle  durch  ein  Schwitz- 
verfahren zu  bewerkstelligen,  das,  entgegen  der  früheren  Giftkalk-Enthaarung, 
durch  welche  nur  die  minderwerthige  Gerberwolle  gewonnen  wird,  die 
sogenannte  Schwitzwolle  liefert,  die  der  reinen,  von  dem  lebendigen 
Schafe  geschorenen  Wolle  an  Qualität  gleichkommt.  Die  Betriebskraft 
besteht  aus  einem  Dampfmotor  von  130  Pferdekräften.  In  neuester  Zeit 
wurde  die  Anlage  auch  durch  eine  Färberei  und  Appretur  erweitert,  und 
die  angestellten  Versuche  in  der  Erzeugung  von  Galanterie-  und  anderem 
Luxusleder  fielen  befriedigend  aus.  Die  Fabrik  erzeugt  vor  allem  sumach- 
gares  Leder  in  allen  gangbaren  Sorten,  ferner  sämmtliche  Arten  von 
Saffianleder,  Corduanleder,  Buchbinderleder,  Oberleder  für  Schuhmacher, 
Tapezierer-  und  Galanteriewaarenleder.  Ausser  dem  Schaf-  und  Ziegen- 
leder wird   auch  türkisches  dolmirtes  Rockleder  verfertigt. 

Alljährlich  werden  im  Durchschnitt  bei  80  OOO  Stück  Schaf-  und 
Ziegenfelle  verarbeitet,  was  ein  Quantum  von  etwa  70000  Kilogramm 
Wolle   ergriebt.     Die  Felle    werden    im    ganzen   Lande    je    nach    den  Markt- 


Verhältnissen  aufgekauft,  und  kommen  grundsätzlich  nur  die  Felle  aus- 
gewachsener, über  ein  Jahr  alter  Thiere  schwerer  Gewichtssorten  zur 
Verwendung.  Da  Bosnien-Hercegovina  beiläufig  300000  Stück  Felle  im 
Jahre  liefern  kann  und  der  Bedarf  im  Lande  selbst,  sowie  die  Nachfrage 
von  auswärts  ziemlich  bedeutend  ist,  so  kann  bei  einer  rationell  betriebenen 
Gerberei  auf  einen  guten  Geschäftserfolg  gerechnet  werden.  Rindsleder 
wird  derzeit  in  Jelec  noch  nicht  verarbeitet;  dasselbe  wird  jetzt  aus- 
schliesslich in  Visoko  und  Travnik  für  die  Opankenmacher  erzeugt.  Auch 
werden  Rindshäute  jetzt  nach  Italien,  Dalmatien  und  Kroatien  ausgeführt, 
und  da  die  Fabrikation  von  Rindsleder  sich  dem  Anschein  nach  als 
lohnend  erwei-t,  so  gedenkt  man  auch  in  Jelec  sich  später  damit  zu 
beschäftigen.  Das  Jelecer  Leder,  dessen  Qualität  von  Fachleuten  lobend 
anerkannt  wurde,  wird  auch  in  bedeutenden  Mengen  nach  Oesterreich 
ausgeführt,   desgleichen  Wolle. 

Die  Fabrik  beschäftigt  bei  ihrem  inneren  Betriebe  fast  alle  Gerber 
von  Jelec,  welche  die  Ausübung  ihres  selbstständigen  Gewerbes  willig  auf- 
gegeben haben,  da  sie  durch  die  Accordarbeit  in  der  Fabrik  lohnenderen 
Erwerb  finden.  Die  Beschaffung  der  wichtigsten  Betriebsmaterialien,  wie 
Kalk  und  Sumach,  bildet  für  Hunderte  von  Menschen  eine  gute  Einnahme- 
quelle. Besonders  ist  das  Sammeln  des  Sumachs,  der  in  dem  ganzen  süd- 
lichen Grenzgebiete  wild  wächst,  sehr  lohnend,  da  sich  auch  Kinder  damit 
beschäftigen  können.  Die  Fabrik  benöthigt  ein  Quantum  von  200  OOD  Kilo 
und  werden  für  das  Kilo  trockenen  Sumachs  4  kr.  gezahlt.  Um  die 
Einlösung  des  Sumachs  zu  erleichtern,  wurden  von  der  Regierung  acht 
Sumach-Hütten  errichtet;  zwei  davon  befinden  sich  in  der  Sutjeskaschlucht, 
zwei  am  Hum  bei  Bastahi,  zwei  bei  Predrazje  und  eine  in  Perovic. 

Die  Anlage-  und  Betriebskosten  der  Lederfabrik  in  Jelec  waren  nicht 
unbedeutend;  die  Opfer  mussten  aber  gebracht  werden,  um  dem  durch 
Zeit  und  Umstände  gänzlich  zu  Grunde  gegangenen  Gewerbe  der  Gerberei 
nicht  nur  aufzuhelfen,  sondern  um  daraus  einen  gesunden  Industriezweig 
zu  schaffen,  der  lebens-  und  konkurrenzfähig  der  verarmten  Bevölkerung 
Ersatz  für  die  verlorenen  Hilfsquellen  schafft.  Es  ist  daher  erfreulich,  dass 
das  Unternehmen  gedeiht  und  bereits  einen  ansehnlichen  Reingewinn  liefert. 

Von  Jelec  führt  ein  Reitweg  in  wilder  Gebirgsgegend  auf  die  Zelen- 
gora,  wo  sich  die  prächtigsten  Alpenweiden  befinden.  Hier  herrscht  im 
Sommer  ein  idyllisches  Hirten-  und  Sennerleben,  und  für  der  Ruhe  Be- 
dürftige wäre  diese  wundervolle  Landschaft,  die  sich  der  Schweiz  kühn 
an  die  Seite  stellen  kann,  wohl  geeignet,  wenn  bessere  Verbindung  vor- 
handen und  die  Unterkunft  in  den  hereegovinischen  Bauernhäusern  nicht 
mehr  als  primitiv  wäre.  Es  soll  jedoch  eine  Fahrstrasse  von  Foca  aus 
über  die  Zelengora  nach  Gacko  hergestellt  werden,  wodurch  die  Drina- 
gegend    auf  dem    kürzesten  Wege   mit  Ragusa  und  dem   Meere  verbunden 


152 


würde.  Alle  diese  Gebirgssteige  sind  übrigens  uralte  Handelsstrassen,  aul 
denen  sieh  durch  Jahrhunderte  und  Jahrtausende  der  Waaren-  und  Personen 
verkehr  zwischen  Ragusa  und  dem  Osten  der  Balkänhalbinsel  vollzog  und 
über  die  schon  grosse  gelehrte  Abhandlungen  geschrieben  wurden.  Uns 
hat  in  der  Zelengora  mehr  die  Gegenwart  zu  interessiren,  und  die  ist  durch 
eine  von  der  Landesregierung  errichtete  landwirthschaftliche  Station  ver- 
treten, die  hauptsachlich  Käse  und  Butter  fabri/.irt  und  versendet.  Auch 
die  Senner   liefern    bedeutende   Mengen   Schafkäse  für  die  nächstgelegenen 


Auf   der   Zelengora.     (Zwischen    Foca   und    Gacko.) 

Städte.  Dieses  ganze  Gebirgsterrain,  südlich  bis  zur  montenegrinischen 
Grenze,  westlich  über  die  Lelija-Planina  bis  Ulok  und  über  die  Morinje  bis 
zur  Cevanj-Planina  am  Nevesinjsko-Polje  reichend,  nördlich  über  Kalinovik, 
die  sogenannte  Zagorje  und  die  Treskavica-Planina  umfassend,  war  bis  vor 
anderthalb  Jahrzehnten  berüchtigtes  Rauberterrain;  und  hier  rekrutirten  sich 
auch  meist  die  Aufständischen.  In  den  fast  unzugänglichen  Gebirgen  und 
Felsennestern,  in  den  Schluchten  und  dunkeln  Wäldern  fanden  sie  genügend 
Verstecke  und  Zufluchtsorte.  Die  türkische  Verwaltung  unternahm  nur 
Streifungen,  wenn  zufälligerweise  einmal  ein  vornehmer  Beg  niedergeschossen 
wurde,  sonst  liess  sie  die  »freien  Sohne  der  Berge«  ziemlich  unbehelligt, 
und  so  erhielt  sich  jene  Räuberromantik,  die  sich  in  Balladen  und  Volks 
liedern  recht  schön  ausnimmt,  die  in  Wirklichkeit  aber  verteufelt  un- 
angenehm für  die  betroffene  Bevölkerung  ist.     Die  gegenwärtige  Verwaltung 


—     i53 


verstand  es  tlcnn  auch,  dem  1  [aidukluk,  vom  dem  die  Guslare  noch  un- 
zählige Gesänge  recitifen,  ein  Ende  zu  bereiten.  Es  war  keine  leichte 
Aufgabe,  besonders  als  der  Aufstand  von  1882  dem  Räuberwesen  einen 
politischen  Anstrich  verlieh.  Aber  die  Truppen  verstanden  es,  die  Räuber 
in  ihren  Verstecken  aufzusuchen,  sie  zur  Unterwerfung  zu  zwingen  oder 
nach  Montenegro  zu  jagen.  Mitten  in  ihrem  Gebiet,  in  Kalinovik  und 
Ulok  wurden  befestigte  Lager  errichtet,  unil  als  der  Aufstand  unterdrückt 
war,  da  sorgten  die  Gendarmen  für  gänzliche  Ausrottung  des  Räuberwesen-. 
Die  »Strafuni«,  wie  sie  von  der  Bevölkerung  genannt  wurden  —  aus  Frei 
willigen    gebildete    Gendarmerie-Streifkorps  entdeckten    auch    die   ent- 

legensten Schlupfwinkel;  kein  Unwetter,  keine  Bora  konnte  sie  in  ihrer 
Pflicht  aufhalten,  und  das  Haidukenthum  wurde  so  gründlich  ausgerottet, 
dass  keine  Spur  mehr  davon  geblieben  ist.  Die  unvergleichlich  tüchtige 
Gendarmerie  die  Streifkorps  sind  längst  aufgelöst  --  sorgt  auch  dafür, 

dass  ein  neuer  Versuch  zur  Belebung  aussichtslos  bleibt,  und  es  ist  eine 
Thatsache,  dass  Bosnien-Hercegovina  zu  den  sichersten  Ländern  gehören, 
dass  der  Reisende  auch  in  den  abgelegensten  Gegenden  für  Leben  und 
Kigenthum  nicht  das  Mindeste  zu  fürchten  hat.  Das  ist  auch  eine  Kultur- 
that  und   wahrlich   nicht  die  gerinsrste! 


I 


-  'V  *'* 


> 


An  der  Grenze  des 
Pasehaliks 

Novibazar. 


Von  Foca  nach  dem  an 
der  Grenze  des  Pasehaliks 

Novibazar  gelegenen 
Cajnica  —  dem  serbischen 
Mariazell  —  führt  ein  Reit 
weg  über  mittelhohes,  spär- 
lich   bewohntes    und    reich 
bewaldetes  Bergland.     An 
fangs  im  Cehotinathale  ge 
hend,   steigt  der  Weg  bald 
nordostwärts  in  die  Berge, 
welche    das     Dreieck    zwi- 
schen   der   Drina    und    der 

V 

Cehotina  ausfüllen.  Halb- 
wegs zwischen  Foca  und 
Cajnica,  vier  Stunden  von  beiden  Städten  entfernt,  bietet  der  Berg  Preluca 
eine  schöne  nördliche  Fernsicht  auf  zahlreiche  Kuppen,  Wände  und  blaue 
Hügelketten.  Von  hier  ab  geht's  am  Rande  einer  tiefen  Thalschlucht  durch 
majestätischen  Hochwald.  Riesige  Bäume,  die  über  den  Weg  gestürzt  sind, 
bilden  manchmal  hohe,  mit  Schlingpflanzen  verzierte  Triumphbogen.  Eine 
Stunde  vor  Cajnica  geht  rechts  ein  näherer  Weg  nach  Plevlje  ins  Paschalik. 
Die  Aussicht  ins  Drinathal  ist  von  hier  an  frei,  aber  kalt  weht  der  Wind 
von  den  Schneegipfeln  Montenegros  herab. 


Picea    Ora  ori  ca    Pancie. 


—      155     — 


Das  ist  der  beschwerliche  Weg,   der  in  Kürze  durch  eine  Fahrstrasse 

v 
ersetzt  sein  wird,    wie    eine  solche   von   Gorazda    nach   Cajnica  führt.     Aul 

unserer  letzten  Reise  verfolgten  wir  die  letztere,  weshalb  wir  von  Foca 
nach  Gorazda  zurückkehrten.  Ueber  die  neue  eiserne  Drinabrücke  gelangten 
wir  ans  rechte  Ufer  des  Flusses  und  folgten  mit  der  Strasse  eine  Zeitlang 
dessen  Lauf  durch  ungemein  gut  angebaute  Felder  und  zwischen  Zwetsch- 
ken-Gärten. Dann  trafen  wir  auf  ein  Zigeunerlager.  Vier  elende  Zelte, 
durch  die  Wind  und  Wetter  pfiff,  dienten  einer  zahlreichen  Gesellschaft 
als  Wohnung,  eine  Menge  Kinder  tummelte  sich  nackt  im  thaufrischen 
Grase  mit  einigen  halbverhungerten  Hunden,  im  Kessel  über  einem  mäch- 
tigen Feuer  aber  summte  und  brodelte  es.  Wir  wurden  nicht  angebettelt, 
was  ich  darum  anführe,  weil  mir  dies  bei  Zigeunern  in  anderen  Ländern 
stets  passirt  ist.  Es  giebt  mehrere  Tausend  Zigeuner  in  Bosnien,  die  sich 
zu  den  Mohammedanern  zählen,  denen  aber  das  Betreten  der  Moscheen 
nicht  o-estattet  ist.  Meist  leben  sie  als  Nomaden  in  der  Nähe  der  Ort- 
schaften,  verdingen  sich  manchmal  als  Feldarbeiter,  öfter  als  Kutscher, 
fungiren  als  Schmiede,  die  Weiber  als  Wahrsagerinnen,  Ouacksalberinnen 
u.  s.  w.  Oft  genug  ist  ihr  Nahrungserwerb  kein  lauterer,  doch  gemessen 
sie  im  Ganzen  eines  besseren  Rufes,  als  die  meisten  ihrer  Stammesgenossen 
in  den  christlichen  Ländern  Europas.  Die  Musik  ist  auch  in  Bosnien 
eines  ihrer  Erwerbsmittel;  sie  spielen  auf  Märkten  und  bei  hohen  Festen, 
doch  reichen  sie  mit  ihren  Fertigkeiten  in  keiner  Weise  an  die  künstlerischen 
Leistungen  der  ungarischen  Zigeuner  heran. 

Nach  kurzem  Verlaufe  in  der  Ebene  steigt  die  Strasse  prächtige  be- 
waldete Höhen  hinan.     Hier  stehen  Buchenwaldungen  von  der  mächtigsten 
Ausdehnung;    mitten   zwischen    ihnen   Birken   von    gigantischer   Höhe,    wie 
sie    der  Norden    gar   nicht    kennt,    und    zahlreiche 
Nussbäume.  Die  vorzügliche  Fahrstrasse  beschreibt 
ziemlich    steile   Serpentinen    und    kreuzt   mehrfach 
den  alten  ausgetretenen  Reit-  und  Saumweg,  dessen 
Abkürzungen  auch  heute  noch  von  den  Tragthier- 
treibern    und    den    Fussgängern    vielfach    benutzt 
werden.      Dann    senkt    sich    die    Strasse   ins   Thal 
der  Janina,   die,  aus  tiefer  Schlucht  hervortretend, 
lachende  Wiesen   be- 

4 


-pult.  Bei  Han  Mil- 
janow  wendet  sie  sich 
östlich  der  Drina  zu. 
An  ihrer  Mündung 
liegen  die  Ruinen  der 
altberühmten  BurgSa- 
mobor   auf   einem   zu 


156 


beiden  Seiten  steil  abfallenden  Vorsprung  der  Gostonj-Planina.  Ein  halb  ver- 
fallener Thurm,  eine  Moschee  innerhalb  der  Schlossmauern  und  vier  Brunnen 
in  kühler  Felsengrotte,  das  sind  die  geringen  Wahrzeichen  der  Statte,  wo 
einst  Chlums  mächtigster  Vojvode  Sandalj  und  sein  Sohn  Stefan  ihre  Sommer 
zugebracht.  Wie  der  Burgname  Sokol,  am  Zusammenflusse  der  Tara  und 
Piva,  so  ist  auch  der  von  Samobor  nach  dem  Verfalle  des  Schlosse-  auf 
den  nächstgelegenen  höheren  Berg  übergegangen.  Die  Ortssage  erzahlt, 
dass   zur   Zeit    des    Falles    von    Samobor   Herzog   Stefans    jüngste  Tochter 


Alter    Hauer    aus    C  a  i  n  i  c  a. 


auf  der  Burg  geweilt,  welche  den  eindringenden  Feinden  erklärte,  dass 
sie  sich  nur  in  vollem  Schmucke  ihren  Händen  überliefern  wolle.  Die 
Türken  gewahrten  ihr  deshalb  eine  kurze  Frist,  wahrend  der  sie  ihr  Zimmer 
bewachten.  Sie  aber  sprang  in  festlichem  Anzüge  aus  dem  Fenster  von 
dem  hohen  Burgfelsen  hinab,  um  durch  den  Tod  der  Schmach  zu  ent- 
gehen. Aber  ihr  langes,  freiwallendes,  an  den  Enden  mit  goldenen  Knöpfen 
verziertes  Haar  blieb  an  einem  Felszacken  hängen,  und  so  schwebte  sie 
in  qualvoller  Angst,  bis  die  Kraft  der  Haare  nachliess  und  sie  sterbend 
in  den  Abgrund  fiel.      Die  goldenen  Haarknöpfe  blieben  am  Felsen  hangen 


und  wurden  zum  Beweise  der  Sage  noch  lange  Zeit  gezeigt.  Herzog  Stefan 
lebt  noch  an  mehreren  Punkten  des  oberen  Drinathales  in  der  Erinnerung 
des  Volkes.;  die  Sage,  welche  sich  dergestalt  in  einen  geschichtlichen 
Rahmen  einfügt,  ist  aber  mit  verschiedenen  Variationen  über  ganz  Bosnien 
und  die  angrenzenden  Länder  verbreitet.  Die  Geschichte  —  schreibt 
Dr.  M.  Hoernes  in  seinen  »Dinarischen  Wanderungen«  —  weiss  nichts  von 
einer  Tochter  des  genannten  Fürsten,  die  auf  Samobor  endete.  Wohl 
aber  war  die  durch  ihr  tragisches  Geschick  berühmt  gewordene  Gattin  des 
vorletzten  bosnischen  Königs,  Katharina,  eine  Tochter  Stefans,  und  auf  sie 
zielt  wahrscheinlich  die  mitgetheilte  Sage.  Denn  zu  Prozor  im  Ramathale, 
wo  die  bosnischen  Konige,  wie  urkundlich  feststeht,  hin  und  wieder  ver- 
weilten, lässt  die  Lokalsage  ebenfalls  die  letzte  Königin  Bosniens  auf  dem 
dortigen  Schlosse  Studenac  von  den  Türken  belagert  werden  und  um- 
kommen. In  Wirklichkeit  floh  Katharina,  nachdem  sie  vergeblich  versucht, 
sich  gegen  ihren  vatermörderischen  Sohn  in  Bosnien  zu  behaupten,  nach 
Italien  in  den  Schutz  des  Papstes  und  starb  als  Nonne  in  Rom,  wo  in  der 
Kirche  Ära  coeli  ihr  Grabdenkmal  noch  heute  gezeigt  wird. 

Nach  dieser  Abschweifung  vom  Wege  kehren  wir  auf  unsere  Strasse 
zurück,  die  durch  landschaftlich  ungemein  malerische  Gefilde  führt.  Im 
Han  Soka  (Velic),  einem  Ausflugort  der  Serben  von  Cajnica,  machen  wir 
Rast  und  laben  uns  in  der  oberen  Putzstube  der  Wirthin  an  einem  aus- 
gezeichneten Kaffee.  Dann  geht  es  weiter,  durch  kleine  Ortschaften,  vor- 
über an  vielen  einzelnen  Häusern,  die  wunderhübsch  an  den  Berglehnen 
liegen.  Die  Felder  sind  gut  angebaut,  und  alles  lässt  auf  Wohlstand 
schliessen.  Zwei  Brunnen  am  Wege:  »Fönte  d'Antonietta«  und  »Erz- 
herzog Josef-Ouelle«  erinnern  an  die  Erbauer  der  Strasse.  Immer  dicht 
an  der  Janina  entlang,  die  im  tiefen  Bette  rauscht,  zieht  sich  die  Strasse 
die  Berglehnen  hin,  und  erst  dicht  vor  der  Stadt,  wo  sich  in  der  Fluss- 
niederung militärische  Baracken,  hoch  oben  auf  der  Höhe  aber  die  Kuppeln 
der  serbischen  Wallfahrtskirche  mit  einem  mächtigen  goldenen  Kreuze 
zeigen,  wird  man  gewahr,   dass  man  sich  einem  grösseren  Orte  nähert. 

Cajnica  ist  durch  seine  wundervolle  Lage  eine  Perle  unter  den  vielen 
schon  gelegenen  Orten  Bosniens.  Es  ist  bei  2000  Fuss  hoch  am  oberen 
Rande  einer  fast  senkrecht  abfallenden  Felsschlucht  erbaut,  in  deren  Tiefe 
der  Fluss  schäumt.  Dicht  gegenüber,  jenseits  des  Abgrundes,  ist  eine 
imposante   Felsparthie,    von   riesigen   Ufwatdtannen   gekrönt.      Darüber   er- 

V 

heben  sich  in  trotziger  Nähe  die  nie  gelichteten  Gipfel  des  Civci-Brdo, 
wahrend  im  Süden  über  Cajnica  der  gewaltige  kahle  Cicel  doppelt  so 
hoch  emporragt,  als  sein  von  den  Wellen  der  Janina  gebadeter  Fuss  zur 
Höhe  der  Stadt  anstrebt.  Seine  oberen  Abhänge  sind  reich  bebaut  und 
nach  allen  Richtungen  von  Wegen  durchzogen.  Im  Westen,  zwischen 
'  i<'l   und   Civci,   öffnet  sich  eine  blaue   Fernsicht  weit  über  die  Drina  hin- 

—     [<:8    — 


weg.  Die  Stadt  konnte  sich  nur  nach  oben  entwickeln  und  gewährt  den 
Anblick  eines  vor  uns  aufgerollten  plastischen  Ortsplanes.  Im  Mittelpunkt 
des  Ganzen  befinden  sich  zwei  Gotteshäuser:  auf  der  Höhe  die  serbische 
Wallfahrtskirche,  in  der  am  tiefsten  gelegenen  langen  Carsija  eine  berühmte 
alte  Moschee. 

V 

Es  war  Sonntag,  als  wir  in  Cajnica  ankamen,  die  meisten  Läden 
des  Marktviertels  gesperrt,  dafür  aber  ungemein  viel  liauernbevölkerung 
anwesend,  die  dem  Gottesdienste  beigewohnt  hatte.  Dadurch  schien  es, 
als  ob  das  Städtchen  von  300  Häusern  und  etwa  1800  Bewohnern  sich 
mindestens  verdreifacht  hätte.  In  einem  netten  Gasthause  fanden  wir  so- 
fort einige  Serben,  die  sich  erboten,  uns  in  ihr  Heiligthum  zu  geleiten. 
Cajnica  ist  eine  Art  von  Mariazell  für  die  serbische  Bevölkerung  in  Bosnien, 
der  Hercegovina,  Montenegro  und  dem  Paschalik  Xovibazar.  Auch  aus 
dem  benachbarten  Königreiche  Serbien  kommen  am  Tage  Maria  Himmel- 
fahrt, am  27.  August  (15.  a.  St.)  Hunderte  von  Wallfahrern  hierher.  So 
war  es  schon  unter  türkischer  Zeit,  und  gegenwärtig,  wo  vollste  Sicherheit 
herrscht,  wo  die  Christen  keinerlei  religiösen  Beschränkungen  unterliegen, 
sind  die  Wallfahrtstage  grossartige  Volksfeste  geworden.  Die  Kirche 
selbst  sieht  mit  ihren  vierzehn  Blechkuppeln  eher  einem  türkischen  Bade, 
als  einem  Gotteshause  ähnlich,  und  nur  die  zahllosen  Kreuze,  die  nach 
der  Okkupation  überall  angebracht  wurden,  lassen  die  Bestimmung  erkennen. 
Mit  Recht  schreibt  daher  Dr.  M.  Hoernes,  dem  wir  bei  der  sachlichen 
Schilderung  der  Wallfahrtskirche  folgen,  »sie  sei  eines  jener  Produkte  neu- 
serbischer Kirchenbaukunst,  denen  die  Ehre  einer  kritischen  Beleuchtung 
versagt  werden  müsse;  sie  sei  nur  dadurch  merkwürdig,  dass  sie  von 
einem  einheimischen  Meister  gebaut  wurde.«  Ueber  dem  reich  bemalten 
Portale  der  Ostfront  liest  man  in  serbischer  Sprache  folgende  Inschrift, 
die  uns  belehrt,  dass  wir  in  diesem  Gotteshause  eine  Frucht  des  Hat-i- 
Humayum  vor  Augen  haben:  »Mit  Gottes  Hilfe  ward  diese  Kirche  zu 
Ehren  der  Gottesmutter  am  28.  Juni  1857  begonnen  laut  Erlaubniss  des 
grossen  Kaisers  Sultan  Medschid  und  Einwilligung  des  hereegovinischen 
Metropoliten  Gregorius.  Beendet  aber  und  eingeweiht  wurde  sie  von  dem 
bosnischen  Metropoliten  Ignatius  im  Jahre  1863.  Die  Aufsicht  über  den  Bau 
hatten  der  Klostervorsteher  Anton  Postic,  der  Priester  Tanas  Nekomadanovic, 
der  Priester  Josef  Tanovic  und  der  Schriftführer  Priester  Dmitri  Popovic. 
In  der  Stadt  Cajnica  am  15.  August  geschrieben  von  Peter  Neimartodorovic.  - 
Der  Baumeister  und  die  Werkleute  haben  sich  in  Gestalt  primitiver  Relief- 
skulpturen an  den  Ecken  des  Gebäudes  verewigt.  An  einer  derselben 
liest  man  in  cyrillischer  Schrift:  »Stanisa  Krul,  geboren  zu  Ljubinje, 
begann  im  Jahre  1857  mit  Gottes  Hilfe  den  Bau  dieser  Kirche  der  Gottes- 
gebärerin.«  Daneben  sieht  man  ein  gesatteltes  Ross,  das  über  ein  Hinderniss 
hinweg  auf  ein  Ziel  zu  sprengt. 

11 

—     161     — 


Das  Innere  des  geräumigen  Gotteshauses  bietet  ein  Gemisch  von 
neuen  und  alten  Kostbarkeiten,  reich  geschmückten  und  trostlos  kahlen 
Stellen.  Die  grösste  Merkwürdigkeit  ist  ein  uraltes  Gnadenbild  Maria,  das 
bis  zum  Ende  des  16.  Jahrhunderts  im  Kloster  Banja  bei  Priboj  am  Lim 
bewahrt  und  nach  Einäscherung  desselben  hierher  gerettet  wurde.  Es  ist 
der  Sage  nach  ein  Werk  des  Evangelisten  Lukas  und  soll  völlig  gleich 
sein  mit  den  beiden  anderen  Bildern  desselben  Meisters,  die  sich  auf  dem 

V 

Berge  Athos  und  in  Jerusalem  befinden.  Das  Bild  in  Cajnica  —  oder  viel- 
mehr die  beiden  Bilder,  denn  die  Holztafel  ist  auf  beiden  Seiten  bemalt  — - 
zeigt  vorn  Maria  mit  dem  Kinde,  hinten  den  Täufer  Johannes,  bärtig, 
Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  Hand  zusammendrückend.  Soviel 
zu  erkennen,  sind  es  sehr  alte,  aber  keineswegs  vorzügliche  byzantinische 
Gemälde.  Man  sieht  zwar  unter  dem  Glas  nur  die  geschwärzten  Gesichter 
der  Originale,  doch  sind  auf  den  massiv  silbernen  und  theilweise  vergoldeten 
Platten,  welche  das  Uebrige  schützend  verhüllen,  die  darunter  liegenden 
Theile  der  Bilder  in  getriebenem  Basrelief  nachgeformt.  Das  schön 
geschnitzte  Stufenzelt  des  Bildes,  sowie  die  Kanzel  und  der  Bischofsstuhl, 
endlich  die  zierliche  Bemalung  der  mittleren  Kuppel  sind  von  einem 
renommirten  griechischen  Meister  aus  Veles  in  Makedonien  um  den  Preis 
von    iooo  Dukaten  hergestellt. 

Die  Ikonostas,  die  dreithürige  Zwischenwand,  welche  nach  orthodoxem 
Ritus  den  Altarraum  (Tempion)  vom  Mittelschiff  der  Kirche  trennt,  ist 
dicht  mit  Bildern  von  sehr  verschiedenem  Werth  und  Alter,  einer  Auswahl 
aus  den  massenhaft  aufgespeicherten  Yotivgaben  der  früheren  Klosterkirche, 
behängt.  Merkwürdig  wegen  der  schönen  und  feinen  Ausführung  ist  ein 
Bild,  welches  zwei  Brüder  Taskalovic  aus  Novibazar  1875  vollendet  und 
gewidmet  haben.  Es  stellt  den  Tod  der  heil.  Maria  in  Verbindung  mit 
einer  Legende  dar,  wonach  ein  habgieriger  Jude  den  Mantel  der  vom 
Sterbebett  zum  Himmel  entrückten  Jungfrau  erfasste  und  nicht  losliess, 
bis  ihm  der  Erzengel   Gabriel  mit  dem   Schwerte  die  Hand  abhieb. 

Die  alte  Wallfahrtskirche,  dicht  neben  der  neuen,  ist  ein  nur  wenige 
Fuss  über  dem  Erdboden  erhabener  kellerartiger  Bau  von  ganz  schmuck- 
losem Aeussern  und  eigentlich  beispiellos  verwahrlostem  Innern.  Durch 
ein  enges  und  niederes  Pförtchen,  auf  ausgetretenen  halsbrecherischen 
Steinstufen,  gelangt  man  in  das  einstige  Heiligthum,  das  heute  nur  eine 
Art  Rumpelkammer  bildet.  Ms  ist  ja  richtig,  dass  die  Baubewilligung  für 
christliche  Kirchen  in  Bosnien  an  die  Einhaltung  gewisser  sehr  beschränkter 
Dimensionen  gebunden  war,  wodurch  die  Erbauer  genöthigt  wurden,  ihre 
Gotteshäuser  halb  unterirdisch  anzulegen,  damit  wenigstens  der  Innenraum 
eine  entsprechende  Höhe  erreichte;  es  konnte  also  kein  besonderer  Glanz 
entfaltet  werden,  selbst  wenn  die  Mittel  vorhanden  gewesen  wären.  1  >ass 
man    aber   das   alte  Gotteshaus,    das  Jahrhunderte  lang  die  Christen  unter 


162    — 


den  schwersten  Bedrängnissen  in  seinen  Mauern  versammelte,  das  die 
flehenden  Gebete  ganzer  Generationen  um  Errettung  und  Hilfe,  nicht 
selten  die  flammenden  Racheschwüre  zum  Kampf  gegen  den  Erbfeind 
ausziehender  Tscheten  vernahm,  so  verwahrlost,  zeugt  von  einer  Pietät 
losigkeit,  von  einem  Mangel  an  Gefühl,  der  den  Cajnicaer  Orthod 
kein  gutes  Zeugniss  ausstellt.  Die  alte  dunkle  Kirche  enthalt  einige  alte 
Kirchenstühle,  eine  Menge  Votivgeschenke,  Bilder  und  alte  Bücher,  aber 
das  Meiste  in  Kisten,  bestaubt  und  zerfressen  —  ein  wahrer  Jammer.  Nur 
die  alten  Brustgürtel  aus  dreifachem  Leder,  ringsum  mit  Messing-  oder 
Silberplatten,  vorn  mit  Achatstücken  oder  farbigen  Steinen  besetzt,  haben 
der  Zerstörung  widerstanden.  Oft  über  ein  Kilogramm  schwer,  sind  diese 
Gürtel  auch  Widmungsgeschenke,  an  die  sich  blutige  Erinnerungen  knüpfen. 
Diese  Gürtel  wurden  von  serbischen  Frauen,  denen  die  Türken  den  Mann 
getödtet,  angelegt,  Handschar  und  zwei  Pistolen  hineingesteckt  und  dann 
zogen  die  rachsüchtigen  Wittwen,  getreu  den  Gesetzen  der  Blutrache,  auf 
Schleichwegen  umher,  bis  es  ihnen  gelang,  den  Mörder  oder  einen  von 
seiner  Sippe  zu  erlegen,  worauf  der  Gürtel  als  Weihegeschenk  dem  Kloster 
Cajnica  gestiftet  wurde. 

Um  beide  Kirchen  zieht  sich  ein  unregelmässiger  Hof,  der  weitläufige 
K!o>tergebäude  mit  Holzgalerien  in  seine  Steinmauern  einschließt.  Die 
Anlage  war   festungsartig  und  gut  zur  Yertheidigung  geeignet,   doch  erwähnt 

V 

die  Geschichte  nichts  von  besonderen  Bedrängnissen,  denen  die  Cajnicaer 
Orthodoxen  von  den  heimischen  Mohammedanern  ausgesetzt  gewesen 
waren.  Nur  erzahlte  der  Küster,  zwei  Jahre  vor  der  Okkupation  wären 
die  Türken  ins  Kloster  gekommen  und  hätten  gegen  500  Kilo  Pergament- 
schriften und  Bücher  weggenommen  und  verbrannt.  Man  wird  gut  thun, 
gerechte  Zweifel  in  diese  Angabe  zu  setzen,  denn  von  anderer  Seite  wird 
behauptet,  die  Geistlichkeit  habe  aus  Unverstand  und  Unkenntnis?  selbst 
Kisten  voll  halbvermoderter  1  [andschriften  auf  den  Mist  werfen  lassen. 
Wer  die  durchschnittliche  geringe  Bildung  der  orthodoxen  Popen  und  der 
Kaludjer  (Mönche)  kennt,  wird  diese  Barbarei  für  leicht  möglich  halten. 
Von  dem  Wallfahrtskloster,  dem  jetzt  ein  Thurm  angebaut  wird, 
stiegen  wir  wieder  in  die  untere  Stadt  hernieder,  vorüber  an  einer  sehr 
hübschen  Volksschule,  einem  Casino  und  netten  militärischen  Anlagen. 
Auch  eine  besondere  orthodoxe  Schule  besteht  seit  Langem,  an  der  ein 
Lehrer  aus  Süd-Ungarn  wirkt.  Wir  statteten  nun  der  Moschee  einen  Besuch 
ab,  die  vor  vier  Jahrhunderten  von  Ghazi  Sinan  Pascha,  dem  aus  Cajnica 
gebürtigen  berühmten  Vezier  Bosniens,  erbaut  wurde.  Er  zerstörte  das 
Kloster   Banja    und    gab    durch    Uebertragung    des    wunderthätigen    Marien- 

V 

bildes  nach  Cajnica,  ohne  es  zu  wollen,  den  Anstoss,  dass  seine  Vaterstadt 
ein  christlicher  Wallfahrtsort  wurde.  Die  Moschee  i-t  ein  prächtiger  Kuppel- 
bau,  im  Innern   neu   restaurirt.     Der  Hodscha  (Geistliche)  führte   uns  selbst 

11* 

-     103    - 


ins  Gotteshaus  und  erklärte  uns  dessen  Geschichte.  Neben  der  Moschee 
befindet  sich  das  Türbe  (Mausoleum)  Sinan  Paschas  nebst  den  Grabstätten 
seiner  Frau  und  seiner  Söhne. 

Durch  die  Marktstrasse  fliesst  in  einem  schmalen  Graben  eiskaltes 
klares  Gebirgswasser;  am  Ausgange  der  Stadt,  auf  einer  Höhe,  steht  aber 
über  einer  Quelle  ein  schöner  moderner  Brunnen,  ein  Bauwerk  der  jetzigen 
Zeit.  Durch  seine  entzückende  Lage,  seinen  Wald-  und  Wasserreichthum, 
durch  seine  erfrischende  Gebirgsluft  wäre  Cajnica  zu  einem  Sommer- 
aufenthalt oder  zu  einem  klimatischen  Kurort  wie  geschaffen,  allerdings 
gehören  solche  Pläne  einstweilen  noch  zu  den  Träumen. 


Schlussvignette:    Siegel  des   Despoten   Stefan   auf  der  goldenen   Bulle   desselben. 


Im  Sandschak 
Novibazar. 


Von  Cajnica  führt  eine  prächtige 
Fahrstrasse  in  romantischster  Wald- 
und  Hochgebirgsgegend  nach  dem 
noch  in  türkischer  Verwaltung  be- 
findlichen Sandschak  Novibazar,  ob- 
wohl seit  1879  österreichisch-unga- 
rische Truppen  gemeinsam  mit  tür- 
kischen den  Garnisondienst  versehen. 
Das  Limgebiet  —  wie  es  in  Bosnien 
meist  genannt  wird  —  ist  ein  interessantes  Stück 
Land,  nicht  nur  in  landschaftlicher  Beziehung. 
Staatsrechtlich,  politisch,  militärisch  und  gesell- 
schaftlich herrschen  hier  die  eigenthümlichsten 
Zustände,  und  es  verlohnt,  einen  Blick  dorthin  zu 
thun.  Die  täglich  verkehrende  Fahrpost  zwischen  Sarajevo  und  Plevlje 
über  Cajnica  macht  einen  Besuch  leicht  und  angenehm.  Als  wir  Anfang 
September  1879  unter  General  Killic  zur  Besetzung  des  Sandschaks  auf- 
brachen, sah  es  hier  allerdings  ganz  anders  aus  als  heutzutage.  Die  Strasse 
nach  der  Grenze  Hess  Alles  zu  wünschen  übrig,  alle  Augenblicke  sperrten 
gefallene  Baumstämme  —  wahre  Riesen  des  Waldes  —  den  Weg,  und  an 
unzähligen  Stellen  wütheten  Waldbrände,  was  als  Urbarmachung  des 
Bodens  für  Ackerbau  bezeichnet  wurde.  Die  entzückende  Urwaldvegetation 
ist  geblieben;  stundenlang  erfreuen  Nadelholzwälder  Auge  und  Herz,  aber 
auf  glatter  Fahrstrasse  rollt  der  Wagen  ohne  jedes  Hinderniss  der  »türkischen 
Grenze«   am  Metalkasattel  zu. 


-     165 


Hier  beginnt  der  sonderbare  Eindruck  der  gemischten  MilitärA  er- 
waltung.  Eine  österreichisch-ungarische  Kaserne  blickt  auf  eine  türkische; 
neben  der  Halbmondsfahne  hockt  der  osmanische  Zolleffendi  mit  seinen 
Zaptiehs  (Gendarmen);  sie  sehen  zu,  wie  ungarische  Soldaten  exerziren. 
Hier,  wo  einst  eine  einsame  Grenzkaraula  stand,  ist  jetzt  ein  ganzes  Grenz- 
dörfchen mit  niedrigen  Holzhäusern  entstanden,  in  denen  Geschäftsleute 
hausen,  die  für  alle  Bedürfnisse  der  beiderseitigen  Truppen  und  auch  der 
Reisenden  sorgen.  Hier  werden  die  Pässe  revidirt  und  die  Zollabfertigungen 
vorgenommen.      Warfen,    Uniformen    und   Tabak    für   die    Soldaten    dürfen 


M  etalkasattel. 

zollfrei  von  Bosnien  eingeführt  werden,  alle  anderen  Waaren  unterliegen 
dem  81  oprozentigen  Werthzolle.  Auch  Bosnien  bringt  dem  Sandschak 
gegenüber  den   österreichischen  Zolltarif  für  die  Türkei  in   Anwendung. 

So  romantisch  Metalka  im  Sommer  erscheint,  wo  es  den  schönsten 
Luftkurort  bildet,  so  rauh  ist  es  im  Winter.  Auf  iooo  m  Seehöhe  fällt 
der  Schnee  zeitig  und  der  Wind  heult  mit  oft  vernichtender  Gewalt.  Da 
heisst  es  ununterbrochen  Schnee  schaufeln  für  die  österreichisch-ungarischen 
Truppen,  damit  die  Post  den  Weg  frei  findet,  eine  Beschäftigung,  um  die 
sich  die  Türken  natürlich  nicht  kummern.  »Ueberhaupt  müssen  die  Soldaten 
in  diesen  Gegenden  Alles  sein:  Erbauer  von  Strassen  und  Brücken,  Ka- 
sernen, festen  Blockhäusern  und  Wasserleitungen,  Kunst-  und  Gemüse- 
gärtner, Post-  und  Telegraphenbeamte,  Gendarmerie  und  Strassenpolizei, 
Köche  und  Musiker,  Bäcker  und  Fleischer,  daneben  auch  durch  Zufall 
landwirtschaftliche  Wanderprediger,  die  den  Bewohnern  des  Sandschaks 
nutzliche  Winke  geben.      So  urtheilte  mit    Rieht  der  militärische  Bericht- 


166     — 


erstatter  der  »Kölnischen  Zeitung«  im  Orient,  Herr  von  Mach,  der  im 
Herbst  1896  diese  Gebiete  bereiste  und  der  die  vorzüglichen  Eigenschaften 
der  kaiserlichen  Truppen,  ihren  Takt  im  Verkehr  mit  der  Bevölkerung, 
die  Liebenswürdigkeit  des  Offizierkorps  und  die  allgemeine  Gemüthlichkeit 
nicht  genug  loben  kann. 

Selten  verirrt  sich  ein  europäischer  Civilreisender  in  diesen  Erden- 
winkel, dafür  wird  jeder  Fremde  von  den  liebenswürdigen  Offizieren  der 
Besatzungstruppen  mit  um  so  grösserer  Zuvorkommenkeit  empfangen.  Es 
wird  nicht  leicht,  sich  dem  angenehmen  Kreise  zu  entziehen,  der  am  liebsten 
Dauerbesuch  sehen  möchte.  Vom  Metalkasattel  an  wird  die  Gegend  kahler, 
später  fast  Karstgebiet,  aber  Alles  ist  sehr  gut  angebaut,  auch  erst  seit 
dem  Einflüsse  des  Nachbarstaates.  Im  Blockhanse  Boljanic  ist  wieder 
eine  Offiziersklippe  zu  umschiffen.  Es  liegt  hier  eine  Halbkompagnie,  die 
eine  förmliche  kleine  Festung  gebaut  hat,  aber  auch  mit  Baumgruppen 
und  Gartenanlagen.  Herr  von  Mach  schreibt  über  diese  Thatigkeit  der 
österreichisch-ungarischen  Offiziere,  die  mit  dem  Nützlichen  stet-  das  An- 
genehme verbindet: 

Wer  die  ersten  Bäumchen  setzte,  hat  gewusst,  dass  er  ihre  Blüthen 
nicht  mehr  sehen  würde,  und  wer  die  ersten  Blumenanlagen  schuf,  hat 
gewusst,  dass  er  sie  nur  im  ersten  Jahre  gemessen  konnte.  Und  dennoch 
möchte  man  glauben,  dass  ein  einziger  Wille  hier  gewaltet  hat.  Und  das 
ist  auch  der  Fall.  Nur  hat  derselbe  Wille  bei  Vielen,  wenn  nicht  bei 
Allen,  bestanden  und  besteht  weiter.  Auch  das  Symbol  hierfür  fehlt  nicht. 
Gegenüber  Boljanitsch  auf  der  steilen  Lehne  eines  kahlen  Berges,  steht 
es  geschrieben.  Dort  liest  man  die  in  weissen  Steinen  sauber  ausgelegten 
riesengrossen  Buchstaben  F.  J.  I.  Die  Gleichmässigkeit  des  österreichisch- 
ungarischen Offizierkorps  in  Pflichtgefühl,  in  ernster  Auffassung  des  Dienstes 
und  heiterer  Auffassung  des  Lebens  hat  Angesichts  des  wilden  Kampfes 
der  Oesterreicher  in  Civil  etwas  geradezu  Rührendes,  weil  vor  ihren 
Trägern  die  Welt  gross  und  weit  liegt,  während  tief  unten  in  mürrischem 
Gedränge  kleines  Volk  um  Kleines  schreit.  Wo  immer  man  die  Offiziere 
des  verbündeten  Landes  bei  Ernst  und  Heiterkeit  unter  ihnen  beobachten 
kann,  dort  begreift  man  von  neuem,  dass  Oesterreich  nur  in  ihrem 
Lager  ist.  Man  spottet  im  Deutschen  Reiche  nicht  selten  über  die 
österreichische  »Gemüthlichkeit«;  wir  glauben,  mit  Unrecht.  Hier  in 
Bosnien,  und  namentlich  im  Sandschak,  bedurfte  man  ganzer  Manner,  um 
das  zu  leisten,  was  man  in  Krieg  und  Frieden  geleistet  hat.  Das  Leben 
ist  ernst  in  dieser  weltfernen  Ecke,  und  ein  kleiner  Vorrath  von  »Gemüth- 
lichkeit« kann  im  Verkehr  mit  den  Türken  nur  nützlich  sein.  Wenn  wil- 
dem Gefühle  des  Neides  gegenüber  den  österreichisch-ungarischen  Kame- 
raden Raum  geben  könnten,  so  würden  wir  sie  um  diese  geschmähte  Ge- 
müthlichkeit beneiden.« 


167 


Boljanic  war  einst  ein  einsamer  Han,  ein  türkisches  Einkehr- 
Wirthshaus,  wo  man  zur  Xoth  bescheidenen  Ansprüchen  Erfüllung  ver- 
schaffte. Jetzt  ist  um  das  Blockhaus  eine  kleine  Ortschaft  entstanden. 
Eingeborene  und  Leute  von  jenseits  der  Save  haben  sich  angebaut  und 
leben  von  den  Truppen.  Hier  und  dort  hört  man  einen  Eingeborenen 
Deutsch,  Ungarisch  oder  Rumänisch  radebrechen,  und  die  Bauart  der 
Häuser,    die   Lebensführung    der   Bewohner    beginnt   europäische   Einflüsse 


Totalansicht  von  Plevlje.     (Xacl 


zu  verrathen.  Hin  und  wieder,  besonders  wo  Strassenausbesserungen  vor- 
genommen werden,  findet  sich  ein  fliegendes  Strassen-Kaffeehaus,  das  sich 
stets  guten  Zuspruches  erfreut.  Und  nun  kommen  wir  zu  einem  Punkte, 
der  uns  von  1S79  in  lieber  Erinnerung  geblieben  ist  durch  einen  Rasttag 
und  eine  gemuthlichc  Kneiperei  in  lustiger  Gesellschaft.  Das  »Lager  an 
der  GotovuSa«  hiess  es,  und  ein  Han  hiess  »Han  Kovac«.  Jetzt  ist  Goto- 
vuSa  eine  Station  der  kaiserlichen  Truppen,  welche  die  Strasse  sichert. 
Dem  Blockhaus  gegenüber  stein  die  Schenke,  die  auch  dem  Komman- 
danten unterstellt  ist.  Früh  Morgens  geht  eine  Patrouille  halbwegs  nach 
Plevlje,  eine  andere  halbwegs  nach  Boljanic,  um  die  Post  zu  erwarten  und 
die  Strasse  zu  beobachten.  Abends  rücken  sie  wieder  ein,  —  das  ist  das 
Leben  in  <  r<  »to\ 


[68 


Immer  an  Hügellehnen  entlang  wird  endlich  Plevlje  erreicht,  das 
türkische  Taslid£a,  das  durch  seinen  streitbaren  Mufti,  der  mit  Freiwilligen 
.  nach  Tuzla  zog,  sich  im  Okkupationsfeldzuge  einen  Namen  erwarb.  Es 
ist  eine  in  der  Ebene  an  der  Cehotina  gelegene  Stadt,  die  von  niedrigen 
Kuppen  begrenzt  wird.  Einst  von  ganz  türkischer  Bauart,  ist  sie  heute 
schon  von  einzelnen  modernen  Häusern  durchsetzt;  um  die  militärischen 
österreichischen   Gebäude  hat  sich   eine  eigene  europäische  Stadt  gebildet, 


r  Photographic   von    A.   Rückert.) 


wo  man  im  Gasthof  »Taslidza«  eine  erträgliche  Unterkunft  finden  kann. 
Sind  die  Offiziers-Fremdenzimmer  nicht  besetzt,  so  wird  dem  ankommenden 
Fremden  mit  grösster  Zuvorkommenheit  dort  ein  Logis  angeboten,  was 
mit  vielen  Annehmlichkeiten  verbunden  ist.  Es  ist  ein  sehr  hübsches 
Casino  gebaut  worden,  von  dessen  Standort  man  über  den  ganzen  Ort 
blickt,  und  in  dessen  von  jedem  neuen  Regimente  vervollständigten  Garten 
kein  Mensch  die  Nähe  der  Türkei  ahnen  wird.  Das  Kasino  ersetzt  hier  den 
Offizieren  das  Haus  und  die  Familie,  denn  im  Allgemeinen  ist  es  nicht 
beliebt  und  durch  eine  verjährte  Vorschrift  sogar  verboten,  die  Offiziers- 
damen ins  Limgebiet  mitzunehmen.  Eine  Ausnahme  machen,  wie  es 
scheint,  die  dauernd  im  Sandschak  angestellten  Offiziere  des  Stabes.  Das 
Casino    ist    mit  Zeitungen    reichlich    versehen,    Küche    und  Keller   sind    auf 


i 


das  Billigste  bestellt,  denn  da  Oesterreich-Ungarn  keinen  Zoll  für  die 
Durchgangswaaren  nach  dem  Sandschak  erhebt,  so  stellt  sich  bei  dem 
niedrigen  türkischen  Zoll  der  Preis  der  ausserösterreichischen  Weine  und 
anderer  Waaren  viel  billiger  als  in  Oesterreich-Ungarn.  Dazu  kommt,  dass 
die  Gehälter  im  Sandschak  in  Gold  ausgezahlt  werden  und  für  Verheirathete 
doppeltes  Wohnungsgeld  berechnet  wird,  so  dass  die  materielle  Lage  der 
Offiziere  eine  sehr  gute  ist.  Auch  den  türkischen  Truppen  geht  es  hier 
besser  als  im  gesammten  I  lalbmondsgebiet.  Gute  Beispiele  haben  die 
lässigen  ottomanischen  Sitten  geändert,  und  so  wird  hier  dem  Militär  der 
Sold  wirklich  regelrecht  gezahlt;  die  Verpflegung  ist  gut,  sogar  die  Uni- 
formirung  in  Ordnung. 

Weil  diese  Vortheile  den  türkischen  Soldaten  Dank  der  Anwesenheit 
der  österreichisch-ungarischen  Truppen  zu  Gute  kommen,  ist  vielleicht  das 
Einvernehmen  so  gut.  Aber  auch  mit  allen  Behörden  und  mit  der  Be- 
völkerung die  zum  Theil  schon  albanesisch  ist  —  kommen  fast  nie 
Mißverständnisse  vor.  Besonders  der  Mutesarif  von  Plevlje  und  gleich- 
zeitig türkischer  Militärkommandant  des  Sandschaks,  Ferik  Sulejman  Pascha, 
der  seit  Beginn  der  gemeinsamen  Besatzung  seinen  Posten  bekleidet,  hat 
jederzeit  den  richtigen  Takt  bewiesen.  Die  Zahl  der  von  Oesterreich- 
Ungarn  im  Sandschak  zu  haltenden  Truppen  ist  durch  Vereinbarung  auf 
5000  Mann  festgesetzt;  thatsächlich  beträgt  die  Zahl  etwa  2000  Mann. 
An  türkischen  Truppen  stehen  in  dem  besetzten  Limgebiet:  2  Bataillone 
in  Plevlje,  1  Bataillon  in  Prjepolje,  1  Kompagnie  in  Priboj;  im  Ganzen 
ebenfalls  höchstens  2000  Mann.  Die  Anordnung  ist  keinesfalls  derart,*) 
dass  in  jedem  besetzten  Orte  eine  Scheidelinie  zwischen  den  beiderseitigen 
Truppen  besteht;  im  Gegentheil,  ausserhalb  des  eigentlichen  »Lagers«, 
wo  die  Kommandanten  und  die  Behörden  ihren  Sitz  haben  und  die  Haupt- 
masse  der  Truppen  liegt,  giebt  es  inmitten  der  türkischen  Stadt  öster- 
reichisch-ungarische Kasernen  und  Anstalten.  Voll  Staunen  sieht  der 
anatolische  Rekrut  die  schmucken  Ungarn  vom  2.  Regiment  unter  Horn- 
musik  durch  die  holperigen  Gassen  marschiren  und  auf  das  Kommando 
Habt  Acht!  die  Steine  stampfen,  als  ob  sie  zerschmettert  werden  sollten. 
i Gefallt  Euch  das  nicht?«  fragen  wir  einen  grauen  Tschausch,  der  sich  seine 
Stiefel  auf  der  Strasse  flicken  lässt  und  barfüssig  neben  dem  Schuster 
hockt.  Ohne  sein  Gesicht  zu  verziehen,  erwidert  er:  »Her  memleketin 
adetine"  riajet  etmeli.  (Man  muss  eines  jeden  Landes  Gebräuche  achten.) 
Das  ist  die  Weisheit  des  Türken;  Andere  achten,  ohne  sich  die  Mühe  zu 
geben,  sie  kennen  zu  lernen,  — -  und  im  Uebrigen  —  achte  auch  mich  und 
lass  mich  in  l\uh'l  Und  doch  ist  der  arbeitende  Türke  ein  braver,  brauch- 
barer   Kauz,   den   man  —  freilich   auf  besondere  Weise  - —  und  nicht  durch 

Bosnisi  he   Wanderbriefe.       Kölnische  Zeitung,  6.  Dezember  1896. 


170 


Fli 


egendes    Kaffeehaus    im    Sandschak.     (Von   W.    Leo  Arndt.) 


Reformpläne  am  grünen  Tisch,  vorwärts  schleppen  kann.  Die  Offiziere 
der  türkischen  Garnison  haben  allmählich  Manches  von  ihren  Kameraden 
von  der  Donau  angenommen.  Nur  in  Stambul  haben  wir  noch  so  gut 
gekleidete  Offiziere  angetroffen.  Nicht  selten  sieht  man  die  Türken  in  dem 
Casino  zu  Gaste;  freilich  geben  sie  sich  keiner  lauten  Fröhlichkeit  hin, 
denn  das  Bewusstsein,  die  Einladung  nicht  erwidern  zu  können,  drückt 
sie.  Vertrauten  Umgang  meiden  sie;  man  scheint  ihn  nicht  gern  zu  sehen. 
Die  österreichisch-ungarischen  Soldaten  grüssen  jeden  türkischen  Offizier; 
nicht  das  Gleiche  geschieht  von  Seiten  der  türkischen  Soldaten  gegenüber 
den  österreichischen  Offizieren,  ja  sogar  nicht  gegenüber  ihren  eigenen . 
Vorgesetzten,  obgleich  die  Vorschrift  es  verlangt.  Hierin  absichtlichen 
Ausdruck  mangelnder  Achtung  zu  sehen,  wäre  weit  gefehlt.  Der  Musel- 
man denkt  so:  »Wie  kann  ich,  der  Untergebene,  mich  in  so  roher  Weise 
einem  Hochstehenden  bemerkbar  machen!  Störe  ich  nicht  seine  Gedanken 
oder  seinen  Kef,  wenn  ich  ihn  veranlasse,  mir  zu  danken!  Giebt  er  mir 
ein  Zeichen,  dass  er  mich  sieht  und  erkennt,  so  werde  ich  ihm  den 
schuldigen  Selam  nicht  vorenthalten!«  So  gehen  also  der  unbegreifliche 
Türke  und  der  österreichische  Offizier  aneinander  vorüber,  ohne  sich  zu 
kennen. 

Eigentlich  war  schon  vom  ersten  Tage  des  Einmarsches  an  ein  er- 
trägliches Einvernehmen  vorhanden.  Wir  waren  auf  Widerstand  gefasst 
gewesen,  und  als  ein  solcher  bis  Plevlje  nicht  erfolgte,  fürchtete  man  ihn 
hier,  wo  damals  eine  weit  grössere  Garnison  als  heute  in  einem  Zeltlager 
am  südlichen  Ausgange  der  Stadt  auf  einem  Hügel  lag.  Der  Kommandant 
kam  mit  Offizieren  dem  kaiserlichen  Befehlshaber  v.  Killic  entgegen,  über- 
reichte einen  Protest  gegen  die  Besetzung,  machte  aber  keinerlei  Miene 
zur  Eröffnung  von  Feindseligkeiten.  Wir  marschirten  damals  durch  die 
ganze  Stadt,  rechts  und  links  von  wildblickenden  Bewohnern  flankirt,  zum 
grossen  Theile  Arnauten,  weil  es  Markttag  war,  und  die  Situation  war  gar- 
nicht  behaglich.  Es  geschah  jedoch  nichts,  und  nach  Abhaltung  eines  Feld- 
gottesdienstes im  Angesicht  des  türkischen  Lagers  erfolgte  der  Rückmarsch 


K.    u.    K.    Kaserne  bei  Gotovnsa. 


—      W: 


nach  dem  Lagerplatz  an  der  Cehotina,  wo  wir  leider  nur  Regengüsse  aus- 
zuhalten hatten.  Mit  der  serbischen  Bevölkerung  war  ein  Verkehr  bald 
angebahnt,  aber  sonderbarer  Weise  hat  gerade  sie  im  Sandschak,  der  die 
Anwesenheit  der  österreichisch-ungarischen  Truppen  erst  die  Möglichkeit 
geistiger  Entwicklung  und  ungestörter  Arbeit  verschafft  hat,  sich  am 
wenigsten  diesen  genähert.  Es  wirken  da  verschiedene  Einflüsse  aus  Serbien 
und  Montenegro,   auf  die  wir  uns  hier  nicht  einlassen  wollen 

Besondere  Sehenswürdigkeiten  bietet  Plevlje  nicht,  ausser  einer  schönen 
Moschee  mit  einem  mächtigen  Minaret.  Das  Leben  ist  wie  in  jeder  tür- 
kischen Stadt,  der  Strassenverkehr  ausserordentlich  mannigfaltig.  Die  ver- 
schiedensten Volkstypen  kommen  da  zusammen,  und  wer  Kostümkunde 
studiren  will,  findet  hier  reiche  Gelegenheit;  selbst  die  Fustanella  fehlt 
nicht.  An  Alterthümern  ist  Mangel,  es  ist  zu  viel  in  den  Völkerstürmen 
vernichtet  worden,  und  die  türkischen  Behörden  sehen  die  Durchforschung 
ihres  Gebietes,  wie  es  durch  Geographen,  Archäologen,  Ethnologen  und 
andere  Männer  der  Wissenschaft  geschieht,  nicht  gern.  Sie  befürchten 
Unheil  aus  der  nie  ganz  verstandenen  Thätigkeit  der  Forscher  und  suchen 
sich  durch  seltsame  Mittel  zu  helfen.  Einem  Archäologen,  der  nach 
Plevlje  kam,  ist  -  -  wie  v.  Mach  erzählt  —  folgendes  tragikomische  Ge- 
schichtchen zugestossen:  Mit  vieler  Mühe  und  nach  langen  Schreibereien 
wird  endlich  von  der  türkischen  Behörde  dem  Gelehrten  die  Erlaubniss 
gegeben,  Ausgrabungen  vorzunehmen.  Leute  werden  angeworben,  Geräthe 
angekauft,  Pferde  gemiethet,  und  eines  schönen  Morgens  setzt  sich  der 
Zug  unter  dem  Befehl  des  Gelehrten  in  Bewegung.  Von  Weitem  sieht 
man  hinter  dem  Zuge  die  rothen  Fes  einiger  Zaptiehs  auftauchen.  Man 
trifft  auf  dem  Platze  ein;  der  Gelehrte  misst  die  Entfernungen  aus,  steckt 
die  Linien  ab,  entwirft  eine  Skizze.  Die  rothen  Fes  sind  näher  gekommen. 
Endlich  ist  Alles  fertig,  die  Arbeiter  sind  angestellt  mit  dem  Spaten  in 
der  Hand;  der  Mann  der  Wissenschaft  giebt  das  Kommando  zum  Beginn 
der  Arbeit,  nachdem  er  noch  einmal  grösste  Behutsamkeit  eingeschärft 
hat,  da  plötzlich  tauchen  die  Fes  ganz  in  der  Nähe  auf.  Die  Zaptiehs 
treten  hervor:  »Dur!  Jassäk!«  (Halt!  Verboten!)  Der  erstaunte  Gelehrte 
zieht  lächelnd  die  ihm  ertheiltc  schriftliche  Erlaubniss  aus  der  Tasche; 
doch  der  Tschausch  der  Zaptiehs  entscheidet  mit  der  Würde  eines  Salomo: 
Effendim,  wir  wissen,  dass  du  graben  darfst,  aber  jene  dort«  — er  deutet 
auf  die  Arbeiter  —  »haben  keine  Erlaubniss  und  werden  nicht  graben.' 
Und  dabei   ist   es  auch  geblieben. 

Nur  der  verdienstvolle  Archäolog  des  Landesmuseums  in  Sarajevo, 
Dr.   Carl  Patsch,  hat  im  Jahre  1894  im  Auftrage  der  Museunisdirektion  und 

rüstet  mit  den  nöthigen  behördlichen  Bewilligungen,  die  epigraphischen 
und  archäologischen  Denkmale  dieses  Gebietes  neu  aufgenommen.  I  >ie 
Alterthümer  der  durchforschten  Gegenden  befinden  sich  in  der  kläglichsten 


174    — 


Verfassung  (Bericht  in  den  »Wissensch.  Mitth.  des  bosn.-herc.  Landes- 
museums«, 4.  Bd.).  Als  ein  (duck  muss  es  für  sie  bezeichnet  werden, 
wenn  sie  in  eine  Dzamija  oder  in  ein  mohammedanisches  Haus  gekommen 

sind.  Dort  sind  sie  wenigstens  vor  jenem  brutalen  Vandalismus  sicher, 
dem  sie  sonst  oft  genug  ausgesetzt  sind.  Grabplatten,  Reliefs  und  Statuen 
werden  zu  einem  Baue  zusammengetragen,  um  zerschlagen  und  ihres 
Schmuckes    entkleidet    in    die   Mauern    eingefügt   zu   werden   oder  als  Tritt- 


Orientalisch-orthodoxes    Kloster   Sveta   Trojica     Dreifaltigkeit     bei    l'levlje. 

steine  oder  Thürpfosten  im  Stalle  zu  dienen.  Seit  einiger  Zeit  haben  sich 
die  Offiziere  der  so  arg  misshandelten  Zeugen  einer  besseren  Vorzeit  an- 
genommen; was  halbwegs  transportirt  werden  kann,  wird  in  das  Lager 
von   Plevlje  gebracht  und  dort  im  Parke  aufgestellt. 

Der  Sandschak  Novibazar  war,  wie  die  Ueberreste  zeigen,  in  romischer 
Zeit  gut  besiedelt,  und  italische  Kultur  hat  auch  hier  den  äusseren  Lebens- 
formen ihre  Signatur  aufgedrückt.  Er  besass  romisch  geordnete  Städte. 
aber,  wie  die  illirischen  Namen  beweisen,  mit  einem  grossen,  an  den  alten 
Sitten  festhaltenden  Prozentsatz  der  alteinheimischen  Bevölkerung.  Diese 
verehrte  römische  und  orientalische  Götter,  unter  denen  sich  jedoch 
epichorische  bargen,   und  errichtete  einer  Panto,   Testo,  Yendo  oder  Tritano 


—     '75 


römisch  geformte  Grabmäler.  Der  Hauptfundort  bei  Plevlje  ist  drei  Viertel- 
stunden entfernt  am  Veleznicabache  gelegen;  die  Stelle  führt  noch  heute 
den  Namen  »Alt-Plevlje«  (Staro-Plevlje)  und  befindet  sich  auf  einem  vom 
Dorfe  Komine  sich  sanft  senkenden  fruchtbaren  Hügelhange.  Ruinen 
durchsetzen  auf  eine  beträchtliche  Ausdehnung  hin  die  Aecker  und  Wiesen. 
Dass  sie  römischen  Ursprungs  sind,  hat  Hoernes  nachgewiesen,  es  stand 
hier  ein  römisches  Municipium  S  .  .  .  .  Wie  der  Name  vollständig  ge- 
lautet hat,  ist  unbekannt.  Mommsen  und  Hoernes  sind  geneigt,  hierher 
das  Stanecli  der  Peutinger'schen  Tafel  zu  verlegen,  Tomasek  suchte  hier 
das  vom  Ravennas  genannte  Sapua.  Was  richtig  ist,  kann  sich  erst  ein- 
mal zeigen,  wenn  entscheidende  Funde  gemacht  werden.  Einstweilen 
musste  man  sich  damit  begnügen,  die  an  den  verschiedensten  Punkten 
zerstreuten  und  theilweise  eingemauerten  Fundstücke  abzubilden  und  zu 
beschreiben,   was  in   der  Sarajevoer  Museumszeitschrift  geschehen  ist. 

Dicht  hinter  Plevlje  verlässt  die  Heerstrasse  die  Ebene  und  zieht 
sich  einen  verkarsteten  Felsrücken  hinan.  Dann  durchschneidet  sie  das 
sogenannte  Vogelfeld,  einst  einer  der  berüchtigtsten  Winkel  des  Sandschaks 
durch  die  Flinfälle  der  montenegrinischen  Kolaschinzen,  jetzt  ganz  sicher, 
und  steigt  über  die  Babinje-Planina  bis  zum  Blockhause  Jabuka  (1291  m); 
von  dort  senkt  sie  sich  schnell  über  800  m  in  das  Thal  der  Seljasnica 
und  führt  neben  diesem  Flüsschen  bis  zum  Lim,  wo  sie  sich  scharf  nördlich 
wendet  und  das  Limufer  bis  Prjepolje  verfolgt.  Der  Ausblick  ist  überall 
ein  wundervoller  und  die  Bewaldung  aller  Höhen  nimmt  zu,  je  mehr  man 
sich  dem  Lim  nähert.  Jabuka  ist  die  einzige  österreichisch-ungarische 
Station  zwischen  Plevlje  und  Prjepolje,  von  einer  halben  Kompagnie  be- 
setzt. Einst  war  hier  ein  türkisches  Zeltlager,  und  in  früheren  Zeiten  hatten 
wir  die  Gastfreundschaft  des  kommandirenden  Jusbaschi  genossen.  Jetzt 
eine  wahre  Kulturidylle  mit  parkartigen  Anlagen  auf  der  mehr  als 
luftigen  Hohe.  Alle  Stationen  sind  unter  einander  mit  Fernsprecher  ver- 
bunden, dessen  Verwendung  auch  für  ausserdienstliche  Plaudereien  gestattet 
ist,  um  die  einsamen  Offiziere  nicht  ganz  ohne  Gedankenaustausch  mit 
Ihresgleichen  zu  lassen,  v.  Mach  erzählt  sogar  in  der  .Kölnischen  Zeitung« 
von  telephonisch  gegebenen  Konzerten,  und  am  18.  August,  dem  Geburts- 
tage des  Kaisers  Franz  Josef,  soll  die  Volkshymne  telephonisch  allen  musik- 
n  Stationen  übermittelt  worden  sein. 
Von  Jabuka  hat  man  einen  wundervollen  Fernblick  über  das  rechte 
Limufer  und  weit  ins  Land  bis  zu  den  nordalbanesischen  Alpen,  die  trotzig 
ihre  Häupter  ins  Blaue  Strecken.  Hübscher  Eichenwald  nimmt  uns  zu 
<-iten  der  Strasse  auf,  zur  Linken  öffnet  sich  das  schmale  felsige 
Seljanithal  unter  dicht  bewaldeten  Höhen,  vor  uns  liegt  das  breitere, 
!  1  er  Seljaänica  und  in  der  Ferne  schimmert  das 
Silberband   des  Lim,  teilen   Höhen    begrenzt.     Je    mehr   der  Weg  in 


171 


;v 


die  Niederung  sich  zieht,  um  so  bebauter  wird  die  Gegend;  die  Ein- 
wohner  scheinen  durchwegs  wohlhabend  zu  sein,  die  I  [äuser  der  Ortschaften 
sind   rein   und   freundlich,    was  schon  wieder  dem   fremden  Einflüsse  zuzu- 


■--•"---"—:-•.!. 


Brücke    bei    Prijepolje.       Von   Ewald  Arndt. 

schreiben  ist.  luidlich  ist  der  Lim  erreicht,  der  stolze  Fluss,  der  im 
montenegrinisch-albanesischen  Wetterwinkel  bei  Gusinje  seinen  Ursprung 
nimmt  und  nun  im  mächtigen,  weitzerklüfteten  Bette  seine  Wässer  der 
Drina  zuwälzt,   die  er  vor  Visegrad  erreicht. 

12* 


-     179 


Man  ist  schon  ziemlich  nahe  an  Prijepolje,  ehe  man  den  Ort  in  seiner 
Ausdehnung  vor  sich  sieht.  Zuerst  einige  Minarets  und  ein  paar  hoch- 
gelegene Häuser,  das  eine  von  einem  Wall  umgeben  und  unscheinbar  in 
der  Farbe,  das  andere  grell  weiss  getüncht.  Unterhalb  des  ersten  Hauses 
grüssen,  wie  überall  bei  den  Stationen  im  Sandschak,  die  weissen  Buch- 
staben F.  J.  I.,  die  Initialen  des  Kaisers  Franz  Josef.  Hier  ist  die  so- 
genannte »Jägerwacht«,  die  äusserste  Stellung  der  österreichisch-ungarischen 
Truppen  nach  Osten.  In  dem  weissen  Hause  liegt  die  türkische  Garni- 
son, ein  Tabor  Nizam.  Arn  linken  Ufer  des  Flusses  ist  seit  der  Be- 
setzung eine  österreichische  Soldatenstadt  entstanden,  mit  Gartenanlagen 
geschmückt.  Hier  sind  Kommandantur,  Hauptwache,  Post-  und  Telegraphen- 
amt, Spital,  Kaserne  und  Magazine.  Von  hier  führt  eine  grosse  hölzerne 
Brücke  über  den  Lim  nach  dem  rechten  türkischen  Ufer.  Am  Brücken- 
kopf gähnt  ein  breites  Thor,  dessen  beide  Seiten  aus  thurmartigen  Häusern 
o-ebildet  werden,  die  über  der  Thüröffnung  miteinander  durch  einen  Mittel- 
bau verbunden  sind.  Rechts  steht  die  türkische,  links  die  kaiserliche 
Wache.  Prijepolje  ist  eigentlich  nur  eine  einzige  lange  Strasse,  zu  beiden 
Seiten  mit  Verkaufsgewölben  und  Kaffeebuden  besetzt.  Es  ist  ein  ungemein 
reger  Verkehr,  noch  immer  wird  mit  Tragthieren  die  Verbindung  nach 
Süden,  nach  Salonichi,  unterhalten,  d.  h.  nur  bis  zu  den  nördlichsten 
Stationen  der  Mitrovica-Salonichi-Eisenbahn.  Fanden  wir  doch  in  Prijepolje 
in  einem  serbischen  Verkaufsgewölbe  schon  1879  Dreher'sches  Flaschen- 
bier,  das  über  Salonichi  eingeführt  worden  war. 

Auf    dem    rechten   Ufer   liegen    noch   drei    kaiserliche   Kasernen,    der 

-weisse«,  »blaue«  und  der  »gelbe  Han«;  ihre  Hinterfronten  blicken  auf 
den  Lim,  wo  noch  ein  kleiner  Platz  zu  militärischen  Uebungen  bleibt. 
Um  die  Verbindung  mit  dem  jenseitigen  Ufer  abzukürzen,  ist  eine  militärische 
Fähre  vorhanden.  Limabwärts  liegt  das  Casino  der  österreichisch-ungarischen 
Offiziere,  ihre  eigentliche  Heimath  in  diesen  Gefilden,  wo  sie  einen  Haus- 
stand   nicht    führen   können.     Hierher   werden    die    türkischen  Offiziere  ge- 

aden,  mit  denen  ein  gut  kameradschaftliches  Verhältniss  besteht,  während 
die  mohammedanische  Bevölkerung  sich  geradeso  wie  die  serbische  sehr 
zurückhaltend  benimmt. 

Etwa  C)  km  östlich  von  Prijepolje  liegt  in  dem  schönen  Thale  der 
Miloseva  das  altberühmte  serbische  Kloster  Milosevo,  das  Jahrhunderte  lang 
in  Ruinen  lag,  und  die  Burgruine  Hissardschik.  Ich  habe  beide  nicht  be- 
suchen können  und  gebe  daher  die  Schilderung  v.  Mach's,  dem  es  nach 
erwindung  mannigfacher  vom  türkischen  Kajmakam  gemachter  Schwierig- 
keiten 1896  möglich  wurde,  dorthin  zu  gelangen  und  zwar  in  Begleitung 
des  Kajmakams.  Der  Weg  führt  im  Thale  der  Miloäeva  dahin;  hinter 
dem  sauber  und  reich  in  die  Waldberge  blickenden  Kloster  steigt  man 
die    Uferhöhen    der    Miloseva    hinan.      Bald    ist   das    Dorf   Hissardschik    er- 


1S0 


reicht.  Die  Bewohner,  durchweg  Mohammedaner,  haben  sich  schon  ver- 
sammelt und  blicken  missmuthig  auf  die  Ankömmlinge.  Nicht  leicht  wird 
es  dem  Kajmakam,  die  Leute  zu  beruhigen.  Sie  wollen  durchaus  nichts 
davon  wissen,  den  Wanderern  die  Besteigung  des  Burgberges,  auf  dessen 
hoher  Spitze  die  romantische  Ruine  in  dem  Milosevathale  thront,  zu 
gestatten.  Erst  nachdem  klingende  Münze  die  Worte  des  Kajmakams  er- 
läutert, willigen  sie  ein.  Ein  steiler  Ziegenpfad  windet  sich  den  überaus 
zerklüfteten  Kegel  hinan.  Terrassenförmig  liegen  Burgmauern  übereinander. 
Mehrere  recht  gut  erhaltene  Thürme  schauen  altersgrau,  wie  das  Gestein, 
über   die  Mauertrümmer   und   weit  hinein  in  das  Thal.     In  einem  Graben 


Postfahrt   mit   Bedeckung   im    Sandschak. 

liegen  zwei  eiserne  Steinmörser,  Bombarden  mit  langem  Pulverraum  und 
kurzem,  breitem  Geschossraum.  Sie  stammen  anscheinend  aus  der  Zeit 
des  vierzehnten  Jahrhunderts.  Schildzapfen  sind  nicht  vorhanden,  dagegen 
eiserne  spiralartig  um  die  Rohre  gezogene  Reifen  und  an  diesen  Ringe. 
Vielleicht  haben  die  beiden  alten  Kameraden  die  Burg  gegen  die  Türken 
vertheidigt,  als  diese  auf  ihrem  Eroberungszuge  nach  der  Schlacht  auf  dem 
Amselfelde  sich  auch  bald  gegen  die  Hercegovina  und  Bosnien  wandten, 
Selten  hat  ein  Fremder  die  alte  prächtige  Ruine  besucht;  auch  unser 
Kajmakam  gestand,  dass  ihm  ohne  die  Wanderer  niemals  in  den  Sinn  ge- 
kommen wäre,  von  hier  oben  sein  Reich  zu  überblicken. 

Um  von-Prijepolje  nach  Priboj  -  in  den  dritten  Garnisonsort  —  und 
damit  wieder  an  die  bosnische  Grenze  zu  kommen,  muss  die  Strasse  am 
rechten  Limufer    eing-eschla<<vn    werden.      Sie   steht   unter   türkischer   Ver- 


1S1     — 


Jerinaburgruine   bei    Bistrica   zwischen    Priboj    und    Prijepolje.     (Ewald  Arndt 

V  IT 

waltung,  ist  daher  nicht  entfernt  so  gut  als  die  von  Cajnica  nach  Plevlje 
führende,  doch  für  leichteres  Fuhrwerk  passirbar;  auch  sorgt  das  kaiser- 
liche Militär  für  Verbesserung  und  Beseitigung  etwaiger  Hindernisse.  Un- 
mittelbar am  Lim  läuft  die  Strasse  entlang,  an  steilen  Hängen,  zwischen 
dichtem  Waldesgrün.  Die  Gegend  ist  zu  Ueberfällen  wie  geschaffen,  aber 
türkische  und  österreichische  Patrouillen  gehen  die  Strasse  ab  und  die  Post 
fahrt  unter  Bedeckung.  Der  Reisende  wird  als  Poststück  behandelt.  Zwei 
Mann  vorauf,  zwei  Mann  mit  dem  Führer  hinterdrein,  wird  durch  die  Stadt 
marschirt  Am  Ausgange  hält  der  Zug;  der  Führer  kommandirt  »Laden! 
und  mit  20  Schuss  in  den  Gewehren  geht  es  bergauf  in  die  Wälder  am 
Lim.  Die  Einheimischen  sehen  das  Laden  der  österreichischen  Gewehre 
und  sie  sollen  es  jedenfalls  sehen.  Dadurch  ist  die  Sicherheit  der  Strasse 
verbürgt,  und  es  weiss  sich  auch  Niemand  auf  einen  Angriff  zu  erinnern. 
Aber  Vorsicht  ist  auf  ottomanischem  Gebiete  nie  ausser  Acht  zu  lassen. 
In   zahlreichen   Windungen   senkt  sich    die  Strasse    gegen   Hau   Bistrica,   wo 


182 


der  Bach  gleichen  Namens  in  den  Lim  mundet.  An  ihm  entlang  führt 
ein  Reitweg  nach  Nova-Varos.  Neben  dem  Man  haust  ein  türkischer 
Wachtposten,  Albanesen,  prächtige  Gestalten.  Auf  hohem  Bergkegel  sieht 
man  die  alte  Ruine  der  Jerinaburg.  luidlich  wird  in  einer  fruchtbaren 
Ebene  der  kleine  Ort  Banja  mit  einer  vielbenutzten  heissen  Quelle  und 
den  Ruinen  des  Klosters  gleichen  Namens,  das  1876  im  serbisch-türkischen 
Kriege  zerstört  wurde,  sichtbar.  In  den  Trümmern  »garnisoniren«  türkische 
Soldaten,  während  die  österreichisch-ungarische  Station  aus  einem  festen 
Blockhause  besteht.  Von  hier  führt  eine  ebene  Fahrstrasse  nach  I'riboj, 
dem  nördlichsten  Standort  der  Türken.  Die  kaiserlichen  Anlagen  bestehen 
aus  mehreren  leichten  Baracken,  in  denen  die  Mannschaften  wohnen,  die 
Kanzleien  und  die  Pferde  untergebracht  sind.  Für  die  Offiziere  giebt  es 
eine  besondere  Baracke,  die  ausser  den  Wohnräumen  auch  die  Fremden- 
zimmer und  das  Kasino  enthält.  Ein  sauberer  Garten  schliesst  sich  an 
den  Bau;  das  Ganze  ist  von  einem  Holzgitter  umgeben.  Ueber  dem 
Städtchen  liegt  ein  Posten  in  einem  Blockhause  und  ein  anderer  bewacht 
am  Lager  die  Fähre  über  den  Lim.  An  dem  Grenzpunkte  Uvac  wird 
Abschied  vom  Sandschak  genommen;  an  der  Limbrückc  steht  der  letzte 
türkische,  jenseits  auf  bosnischem  Gebiet  der  kaiserliche  Posten,  —  man 
ist  wieder  in  einem  wirklichen  Stück  Europa,  in  das  die  prächtige  Fahr- 
strasse nach  Visegrad  führt. 


Türkische    Kaserne    in    Priboj. 


Eine  Flossfahrt 

auf 

der  Drina. 

Die  Drina  ist  einer 
der  mächtigsten  Ströme 
Bosniens,  der  Grenzfluss 
zwischen  Serbien  und  dem 
Okkupationsgebiete.  Sie  ent- 
steht etwa  vier  Stunden  südlich 
von  Foca,  aus  dem  Zusammen- 
flusse der  Tara  und  Pliva  dicht  an 
der  montenegrinischen  Grenze,  bei  dem 
Dorfe  Hum,  wird  durch  die  Sutjeska,  die 
Bjelava,  Bistrica  und  Cehotina  nach  kurzem 
Laufe  verstärkt,  nimmt  ihren  Weg  anfangs 
nach  Nordosten  und  dann  direkt  nach  Norden,  bis  sie  bei  Raca  in  die 
Save  mündet.  Von  der  Mündung  bis  nach  Zwornik  hinauf,  ist  sie  einen 
beträchtlichen  Theil  des  Jahres  für  grössere  Fahrzeuge  schiffbar,  und  die 
bosnische  Landesregierung  hat  einen  besonderen  Dampferverkehr  von 
Brcka  an  der  Save  bis  nach  Zwornik  eingerichtet.  In  ihrem  Oberlaufe 
verhindern  Felsbänke,  Klippen  und  Stromschnellen  einen  geregelten  Schiffs- 
verkehr. Es  können  wahrend  des  höheren  Wasserstandes  wohl  Flachboote 
und  Fl  »sse  verkehren,  einen  Theil  des  Jahres  jedoch  nur  unter  grossen 
Schwierigkeiten.  Schon  im  Jahre  1865  liess  die  türkische  Vilajetsregierung 
Studien  wegen  Sprengung  der  hauptsächlichsten  Verkehrshindernisse  an- 
stellen, es  wurden  auch  Geldmittel  angewiesen,  aber  die  Ausführung  der 
Arbeiten  unterblieb,   die  erst   die  Gegenwart  wird  vornehmen   müssen. 

Der  Fluss  durchströmt  landschaftlich  hochinteressante  Gegenden  und 
darum   ist   c-iin-   Fahrt    auf  der  Drina    ein    Genuss,    wie    er    sich    in    solcher 


He 


—  1- 


Eigenart  nicht  so  leicht  wieder  bietet.  Das  Fahrzeug  ist  aber  nur  das 
gewöhnliche,  aus  Baumstämmen  zusammengefügte  Floss  und  auf  besondere 
Bequemlichkeit  muss  von  vornherein  verzichtet  werden.  Unsere  Drina- 
fahrt  fiel  Anfang  September,  in  die  Zeit  sehr  niedrigen  Wasserstandes,  und 

daher  dehnte  sich  die  sonst  auf  zwei  bis  drei  Tage  berechnete  Tour  von 
Gorazda  nach  Lubovija  auf  fünf  Tage  aus.  Sie  bot  aber  mit  ihren  Zwischen- 
fallen einen  so  eigenen  Reiz,  dass  sich  kein  Tourist  von  einer  Wieder- 
holung der  Fahrt  abschrecken  lassen  sollte. 

Dank  der  Zuvorkommenheit  der  bosnischen  Behörden  hatte  der  Leiter 
der  Bezirksexpositur  in  Gorazda  die  Zusammenstellung  eines  Flosses  ver- 
anlasst, und  so  konnte  die  Reise  eines  Montagsmorgens  in  Gesellschaft 
eines  liebenswürdigen  Forstadjunkten  angetreten  werden;  meine  brau  als 
die  erste  europaische  Dame,  welche  die  gesammte  Flossfahrt  auf  der  Drina 
unternahm.  Auf  dem  Flosse,  das  aus  machtigen  Baumstammen  bestand, 
war  aus  Brettern  eine  Art  erhöhten  Podiums  mit  zwei  Hanken  und  einem 
Tisch  errichtet  worden,  das  Gepäck  war  so  gut  als  möglich  vor  Nässe 
geschützt,  und  am  Steuer  wehte  die  bosnische  rothgelbe  Flagge  lustig  im 
Morgenwinde.  Die  Verpflegung  hatte  Hotelier  Ohlela  in  Gorazda  in  vorzüg- 
licher Weise  besorgt.  Eine  Anzahl  gebratener  halten,  Schinken,  Käse, 
ganze  Brote,  Flaschenbier,  eine  Batterie  von  Bouteillen  Wein,  Obst,  wie 
mehrere  Büchsen  Conserven  sollten  für  des  Leibes  Nahrung  und  Xothdurft 
sorgen. 

Ein  leichter  Nebel  lagerte  über  dem  Flusse,  als  wir  gegen  ;  Uhr 
früh  unser  Fahrzeug  bestiegen.  Die  beiden  Flösser,  echte  Mohammedaner 
aus  Cajnica,  waren  bereits  seit  Langem  beschäftigt,  die  letzte  ordnende  Hand 
anzulegen  und  noch  immer  einen  schwarzen  Kaffee  zu  trinken.  Unter 
herzlichen  Abschiedsworten  der  Beamten  und  Offiziere  von  Gorazda,  die 
uns  das  Geleitc  zum  Flussufer  gegeben,  wurde  die  Fahrt  angetreten.  Fast 
lautlos  glitt  unser  Floss  dahin  und  es  schien,  als  würden  wir  nur  langsam 
vom  Flecke  kommen.  Mit  peinlichster  Aufmerksamkeit  wurde  von  den 
Flössern  das  Fahrwasser  beobachtet  und  es  war  ein  hoher  Genuss,  wenn 
wir  zwischen  Felsblöcken  in  eine  tiefere  Rinne  einlenkten,  das  gebrechliche 
Fahrzeug  tief  in  den  weissen  Gischt  tauchte,  wenn  die  Wellen  hoch  über 
den  Stämmen  zusammenschlugen.  Immer  höher  erhoben  sich  Ufergebirgc. 
meist  bewaldet;  von  Zeit  zu  Zeit  wurden  einzelne  Häuser  sichtbar,  einige 
Reiher  strichen  über  das  Wasser,  sonst  herrschte  geheimnissvolle  Stille.  Bei 
Musici  erfolgte  auf  einmal  von  steiler  Höhe  ein  Zuruf,  ein  weisses  Tuch  wird 
zum  Gruss  geschwenkt  —  es  ist  ein  befreundeter  Hauptmann,  der  uns  zu 
Pferde  auf  dem  Landwege  bis  hierher  noch  das  Geleite  gegeben.  Da  kommt 
eine  Biegung  des  Flusses;  wir  tauchen  in  einen  Strudel,  ein  letztes  »Zivio!« 
und  wir  sind  wieder  allein.  So  währte  die  Fahrt  stundenlang.  Gegen 
II1/«  Uhr  —  wir   befanden    uns    gerade    an    einer    wildromantischen    Stelle 


-      t87 


zwischen  schroffen  Felsen,  aus  denen  nur  hin  und  wieder  einzelne  mächtige 
Bäume  und  niederes  Gestrüpp  sprossten  —  gab  es  einen  mächtigen  Knall, 
wie    von    einem    Kanonenschusse,    das   Floss  krachte   in    allen   Fugen,    die 


festen  Verbindungen  zwischen  den  einzelnen  Stammen  waren  am  Hinter- 
thcil  gesprungen,  und  es  hatte  den  Anschein,  als  sollten  wir  ein  unfrei- 
williges Bad  in  der  Drina  nehmen.    Wir  waren  auf  eine  verborgene  Klippe 


iS8     — 


aufgefahren,  aber  gleich  wieder  flott  geworden.  Unsere  Flösser  sorgten  so- 
fort mit  bewundernswerter  Schnelligkeit  für  Wiederbefestigung  der  einzelnen 
Stamme,   und  weiter  ging  die  Fahrt. 

Hoch    oben   in   einer  Kamm -Einsattlung   wurde   das    Dorf  DraboSilje 

sichtbar,    überall    auf  den   Abhangen    weideten   Heerden,    und    laute   Jodler 
stiegen  von    den   kleinen   Hirten    in  die   Lüfte,    entferntere  Kameraden   auf 
das  Floss  —  eine  Abwechslung  im  ewigen  Einerlei  —  aufmerksam  machend. 
Mit  doppeltem  Appetit  wurde  das  Mittagessen  eingenommen,  und  mehr  als 
ein   (das    stieg   auf   das  Wohl    des  schönen   Landes,    das    sich    im   Sonnen- 
glanze   an    beiden    Ufern    ausbreitete.      Die    Felsen  waren    oft   so    glatt   ab- 
geschliffen,   als    ob   sie  bearbeitet  und   polirt  wären;    unten   waren   sie   vom 
Wasser    unterwaschen    und   bildeten    mächtige  Höhlen.     Manchmal  engten 
sie    den  Strom  von  allen  Seiten   ein,    dass  man  sich  auf  einem  Binnensee 
zu    befinden    glaubte.      Bei    Gradina   zeigten    sich    interessante    geologische 
Schichtbildungen.      Auf  einmal    ertönen    laute    »Merhaba«   auf  dem    linken 
Ufer;  Felder  und  Häuser  werden  sichtbar,   eine  Moschee  mit  Minaret  steht 
in  malerischer  Lage  und  in  beherrschender  Position  eine  neue  Gendarmerie- 
Kaserne.     Es   ist   der  mohammedanische  Ort  Megjegje.     Kaum  waren  wir 
an   ihm  vorübergefahren,   als  wir  festsassen.     Wir  waren  auf  eine  Schotter- 
bank   gerathen    und    obwohl   unsere    Fährleute   ins   Wasser    sprangen    und 
das  Floss  flott  zu   machen  suchten,   gelang  ihnen   dies  nicht.     Aber  schon 
nahte  Hilfe.     In  Megjegje  hatte  man  unsere  Noth  bemerkt;   ein  Türke  legte 
die  Kleider  ab,  sprang  ins  Wasser  und  schwamm  auf  uns  zu.     Er  tauchte 
unter   das  Floss    und    mit   einem    mächtigen  Ruck    schob    er  dasselbe  von 
der  verhängnissvollen  Stelle.    Wir  hatten  wieder  tieferes  Fahrwasser;  unser 
Helfer   aber  war,    ohne  erst  einen  Dank  abzuwarten,    zurück  ans   Ufer  ge- 
schwommen. 

Kurz  hinter  Megjegje  öffnet  sich  rechts  ein  wundervoller  Blick  ins 
Limthal,  wo  der  Lim  in  die  Drina  mündet,  dann  geht  es  an  dem  schön 
am  Berge  gelegenen  Dorfe  Orahovci  vorüber  in  flotter  Fahrt  bis  Visegrad. 
Es  war  bereits  dunkel  geworden,  denn  wir  hatten  über  zwölf  Stunden  zu 
dieser  Strecke  gebraucht.  Hier  empfing  uns  der  Bezirksvorsteher  nebst 
einigen  anderen  Herren,  wir  wurden  —  ein  Hotel  giebt  es  nicht  -  -  im 
Offiziersfremdenzimmer  untergebracht,  in  dem  ein  behagliches  Feuer  im 
Ofen  loderte  und  bald  sassen  wir  inmitten  einer  gemüthlichen  Gesellschaft 
im  einzigen  Gasthause.  Für  den  nächsten  Tag  hatte  uns  der  Bezirksvor- 
steher seine  Begleitung  angekündigt,  da  er  im  Gebirge  einen  amtlichen  Besuch 
abzustatten  hatte.  Auch  ein  Oberlieutenant  wollte  von  der  Parthie  sein,  des- 
gleichen ein  Gendarmerie-Wachtmeister,  der  nach  Syrmien  auf  Urlaub  ging 
und  der  den  Umweg  über  Sarajevo  durch  die  Flossfahrt  zu  ersparen  hoffte. 
Visegrad  macht,  wenn  man  sich  der  Stadt  nähert],  einen  sehr  statt- 
lichen Eindruck.     Die  quaiartigen  Uferränder,   der  breite  majestätisch  dahin- 


-     1 89 


fliessende  Strom,  eine  mächtige  alte  Brücke  über  denselben,  unmittelbar 
jenseits  die  Reste  der  Ruinen  einer  alten  türkischen  Karawanserai,  daneben 
eine  Kaserne,  von  der  Stadt  selbst  nur  zahlreiche  hohe  Giebel  zwischen 
Baumwipfeln,  dahinter  der  stolze  Ruinenkegel  der  Burg  Starigrad,  all  das 
verspricht  einen  interessanten  Ort,  der  aber  nur  in  seiner  Marktstrasse 
einen  rein  städtischen  Charakter  trägt,  wo  jetzt  auch  ein  schönes  Amts- 
gebäude steht.  Visegrad  liegt  in  seinen  Haupttheilen  zu  beiden  Seiten  der 
Rzava,  eines  im  Winter  und  Frühling  gewaltig  anschwellenden  Flusses. 
der  unterhalb  Visegrad  in  die  Drina  fällt;  alle  Bergkuppen  und  Felswände 
umher  sind  noch  mit  ehemals  türkischen  Forts  (Karaulas)  gekrönt,  die 
nach  Serbien  ebenso  Respekt  einfiössend  hinübersehen,  wie  die  YVachthäuser 
vom  Javor  und  Zlatibor  auf  Visegrad  herunterschauen.  Einstmals  war 
Visegrad  nur  ein  Uebergangspunkt  an  der  Drina,  den  sich  die  christlichen 
Landesherren  durch  Erbauung  eines  festen  Schlosses  sicherten.  Seine  Be- 
deutung wuchs,  als  die  Türken  zur  Herrschaft  kamen.  Damals  entstand  die 
berühmte  Brücke  und  dies  jetzt  in  Ruinen  liegende  Karawanserai,  ein  Pracht- 
bau mit  luxuriösen  Badeanlagen,  Wohnräumen  und  Stallungen:  beides 
Werke  des  Mehmed  Pascha  Sokolovic,  der  als  Grossvezir  Sokolly  zu  den 
hervorragendsten  Staatsmännern  des  osmanischen  Reiches  gehörte.  Seine 
Amtszeit  fällt  in  die  Jahre  979—991  der  Hedschra,  die  Erbauung  der 
Brücke  979.  Visegrad  lag  nicht  nur  in  der  Nähe  seiner  Stammburg  Sokol, 
sondern  auch  an  der  grossen  Heeresstrasse,  die  von  der  Provinzhauptstadt 
nach  der  Reichsresidenz  führte,  und  war  der  erste  grössere  Ort,  den  der 
Osmane  von  Stambul  aus  auf  bosnischem  Boden  betrat.  So  waren  Brücke 
und  Palast  —  wie  Hoernes  sich  ausdrückt  —  gleichsam  Denkmäler  des 
patriotischen  Stolzes,  mit  welchem  der  Bosnier  seine  geliebte  Heimath  den 
herrschenden  Osmanen  gegenüber  in  ein  günstiges  Licht  zu  stellen  suchte. 
Dass  er  es  erreicht  hat,  sehen  wir  mindestens  aus  der  Erwähnung  der 
Brücke  im  geographischen  Werke  des  Hadzi  Chalfa  (»Rumeli  und  Bosna«, 
deutsch  von  Hammer)  und  daraus,  dass  die  Unerschütterlichkeit  dieses  Bau- 
werkes in  südslavischen  Ländern  sprichwörtlich  geworden  ist,  wie  die  Redens- 
art: ostade  kao  cuprija  na  Visegradu«  (das  steht  wie  die  Brücke  auf  Vise- 
grad) bezeugt. 

Die  Brücke  überspannt  mit  elf  Spitzbögen,  die  gegen  die  Mitte  be- 
deutend ansteigen,  in  einer  Länge  von  170  und  einer  Breite  von  6,3  m 
die  Drina.  Die  Spannweite  der  Spitzbögen  schwankt  zwischen  13,7  und 
18,6  m.  Ein  auf  gründliche  Studien  basirtes  Gutachten  spricht  sich  dahin 
aus,  dass  der  Brückenbau  von  Visegrad  volle  Bewunderung  verdiene, 
die  noch  durch  die  Erwägung  gesteigert  werde,  dass  den  damaligen  Bau- 
meistern, meistens  Ragusanern,  nicht  jene  Hilfsmittel  der  Technik  zu  Ge- 
bote standen,  welche  heute  dir  Bewältigung  der  schwierigsten  Arbeiten  er- 
leichtern.   Aelter  sei  zwar  die  Narentabrücke  in  Mostar,  erbaut  1566,  schöner 


190 


I  1  ■•» 


1!  rücke    in    Visegrad. 

und  grossartiger  aber  jedenfalls  die  Drinabrücke  in  Visegrad.  (»Das  Bauwesen 
in  Bosnien  und  der  Hercegovina«,  herausgegeben  von  der  Landesregierung, 
Wien  1887.)  Inmitten  der  Brücke,  oberhalb  der  noch  erhaltenen  Ruhebänke, 
stand  bis  zum  Jahre  1886  ein  aus  Eichenholz  erbautes  stockhohes  Häuschen. 
Dieses  früher  als  Unterkunft  der  Brückenwache  verwendete  Gebäude  wurde 
im  bezeichneten  Jahre  wegen  Baufälligkeit  entfernt,  was  übrigens  auch  aus 
ästhetischen  Gründen  gebilligt  werden  kann. 

Der  in  der  Brücke  eingemauerte  Inschriftstein  giebt  Kunde  davon, 
dass  die  Brücke  vom  Grossvezier  Mehmed  Pascha  Sokolovic  im  Jahre 
979  n.  d.  H.  (1571  n.  Chr.)  erbaut  worden  sei.  Die  in  türkischer  Sprache 
abgefasste  Inschrift  lautet  in  der  Uebersetzung: 

»Mehmed  Pascha,  zur  Zeit  dem  Asaf*)  vergleichbar, 

Hat  durch  seine   erhabene  Persönlichkeit   die   Welt  verherrlicht. 

Er  verwendete   sein  Vermögen  auf  Stiftungen   zur  Ehre  Gottes. 

Niemand  wird  behaupten  wollen,    dass    das   Vermögen,    so  verwendet,    verschleudert 

worden  sei. 
Lebenslang  hat  er  Gold  und  Silber  zu   Stiftungen  gewidmet, 
Denn  es  war  ihm  bekannt,   dass  diese   ein  schönes   Andenken   hinterlassen. 
Ueber  die  Drina  in   Bosnien   erbaute  er  eine  grossartige   Brücke. 
Eine  Reihe  von  Bögen   spannte   er  über  diesen   Fluss, 
Diesen  tiefen  Fluss,  dessen  Gewässer  reissend  sind. 


ss:    Asaf  war   Rathgeber  Salomons   des  Weisen. 


13 


19: 


Seine   Vorgänger  konnten  Aehnliches  nicht  erbauen; 
Nnch  Gottes  Rathschluss  that  es  aber  der  Pascha, 
Damit  sein  Name   mit  Ehrfurcht  und  Dank  genannt  werde. 
Er  baute  diese  Brücke,  die  ihres  Gleichen  nicht  hat  auf  der  Welt. 
Gewiss  wird  Niemand  sagen,  dass  das  Geld,  so  verwendet,  vergeudet  sei! 
Von  Gottes  Gnade  erhoffe  ich,  dass  des  Erbauers 

Leben   im   Glück   verlaufen  und   durch   keinerlei  Ungemach  getrübt  sein  werde. 
Badi*)   welcher  sah,  wie   der  Bau  beendet  wurde,   schrieb  nieder  den  Tarih;**) 
Gott  möge  diesen  Bau,  diese  wunderbar  schöne  Brücke  segnen! 
979«   (=  1571). 

Die   zweite,  gegenwärtig  ziemlich  beschädigte  und  an  einigen  Stellen 
nicht  zu   entziffernde  Brückeninschrift  lautet  nach  dem  Türkischen: 
»Zur  Zeit  Sultan  Murads,  des  Sohnes  Sultan  Selims, 
fasste   der  Wohlthäter   Mehmed  Pascha 
den  Entschluss  und  hat  auf  dem  Flusse  Drina 

eine  grosse  Brücke  mit  vieler  Mühe  unter  eigener  Aufsicht  (Leitung)  erbaut. 
Gott  gebe,  dass  sein  Bau  fest,  das  Glück  seines  Lebens  ihm  aber  immer  treu  bleibe, 
und  dass  seine  Wünsche  auf  beiden  Welten  fruchtbar  sind. 

(unleserlich)     . 
Solche  Werke     .     .     .     (unleserlich)     .     .     .     die  Bewunderer  dieses 
soll  für  den  Erbauer  zu  Gott  beten. 

.      .      .      (unleserlich)      .      .      .      Brücke  erbaute,  möge  Gott  segnen. 
Im   Wasser     .     .     .     (unleserlich)     .     .     .    hielt  er  die  Perle  der  Perlmutter  gleich: 
Ich   erbaute  die  Brücke  auf  diesem   Gewässer,   ich  Mehmed  Pascha. 
985«   (=    1577). 

Die  Reste  des  Geburtshauses  von  Mehmed  Pascha  Sokolovic  sind 
noch  heute  im  kleinen  Dorfe  Ravanci  zwischen  der  grossen  und  der  kleinen 
Varda  unweit  des  Städtchens  Rudo  sichtbar.  Als  Baumeister  der  Brücke 
wird  ein  Meister  Mitar  oder  Rade  genannt,  und  es  knüpfen  sich  an  ihren 
Bau  eine  Menge  Volkssagen,  die  sich  zum  grössten  Theile  auf  die  Bau- 
opfer bei  den  Südslaven  —  auf  die  Einmauerung  menschlicher  Wesen  — 
beziehen.  Eine  der  schönsten  gereimten  Sagen  veröffentlicht  Hofrath 
Hörmann  in  seinen  »Narodne  pjesne  Muhamedovaca  u  Bosni  i  Her- 
cegovini« : 

»Dreien  Kaisern   diente   Mehmed  Pascha, 
Drei  der  Thiirme  voll  mit  Gold   erwerbend. 
Ueberlegend  nun   dacht  er  im   Innern, 
Was  er  mit  dem  grossen  Schatz  beginne: 
(  >b   er  ihn   den   Armen   schenken  solle 
Oder  gar  dem   Flusse   Drina  opfern, 
1  »der  Bosnien  damit  beschenken. 
I  ad  nachdenkend,  hat  er  dies  beschlossen: 
Bosnien  will  ich  damit  beglücken, 
Eine   Brücke  ihm  zuerst  erbauen!« 


Badi  ist  der  Name  des   Dichters  dieses  Chronogrammes. 
**)  Tarih   ist  Zeitangabe.      Die   türkischen  Schriftzeichen   des   letzten  Verses  geben   durch 
Addition   ihres  Zahlengehaltes  als   Summe  das  Jahr  979   nach  der  Hedschra. 


194 


Und  er  beginnt  die  Ausfuhrung  seines  Entschlusses,  indem  er  dem. 
Baumeister  Mitar  den  Befehl  sendet,  derselbe  möge  Alles  /.um  Bau  einer 
Brücke  über  die  Drina  bei  Visegrad  vorbereiten  und  hierauf  den  Bau  be- 
ginnen.    Ausserdem 

»Hundeitdrei  der  besten  Meister  sammele 
i  n.l  auch  tausend  frischer  Werkgesellen, 
Die   den   kalten   Stein   beschaffen   werden. 

Dieser  Befehl  findet  aber  bei  dem  Meister  Mitar  keinen  Beifall,  da 
er  ihn   für  unausführbar  hält: 

»O  bei  Gott,  du  Soko  Mehmed   Pascha, 

\\  i  im   am    weiten   Yisegrader   Fehle 

Tovar  du   an   Tovar  Goldes  häuftest 

Und  auf  jede   Last  drei  Beutel  Goldes, 

Und   dein   Schatzmeister  versuchen   wollte 

Diesen   unschätzbaren   Schatz  zu  zählen, 

Kaum    würd'   für  den   Bau   der  Brück'   er  reichen.« 

Der  Pascha  jedoch  beruhigt  ihn  und  versichert,  dass  er  alle  Kosten 
des  Brückenbaues,  und  wenn  sie  noch  so  ungeheuer  wären,  tragen  und  be- 
schaffen werde.  Auf  dies  hin  schreitet  Meister  Mitar  an  das  [grosse  Werk, 
indem  er  Bauleute  sammelt  und  alles  Nöthige  an  Ort  und  Stelle  schaffen 
lässt.     Er  selbst  aber 

»Schwingt  sogleich   sich   auf  den   starken   Rappen 
Und  erscheint  vor  Visegrad  der  Veste. 
In   den   Fluss  treibt  er   den   starken   Rappen 
Um   der  Drina  Tiefe  auszuforschen: 
Ob  es  möglich  sei,  die  Brücke  bauen. 
Doch   als  nun   der  Rapp'   inmitt  des   Flusses, 
Nicht  kann   er  sich  von   der  Stelle  rühren. 
Mitar  treibt   mit  Peitsche  und   mit  Sporen, 
Doch  das  Ross,  es  steht  wie  angewurzelt. 
Mitar  schlägt  mit  dreifach  starker  Geissei, 
Doch   das  Ross,   es  steht  wie  angewurzelt.« 

Vom  Ufer  aus  bemerkt  der  Pascha  das  unerklärliche  Ungemach  des 
Meisters,  und  er  wirft  ihm  einen  Talisman  zu,  den  der  Meister  auch  glück- 
lich auffängt  und  seinem  Pferde  um  den  Hals  bindet,  worauf  dasselbe  so- 
gleich das  Ufer  erreicht.    Jedoch 

Mit  sich  zieht  er  eine  weisse  Vila,*) 
Deren  goldig  Haar  sich   umgeschlungen 
Um  des  Rappenrosses  Vorderfüsse, 
Denn  den  Meister  wollte  sie  ertränken 
Und  mit  ihm   den  edlen  starken   Rappen. 
Sie   nun   zog  der   Rappe   auf  das  Festland, 
Und   als  Meister   Mitar  sie   erblickte, 
Riss   er  rasch   das  Schwert  von  seinem  Gürtel, 
Um   das   Haupt  ihr  von   dem    Rumpf  zu   trenn 

*)  Vila  ist  eine  südslavische  Fee. 

13* 

—     195     — 


Doch  die  Vila  beschwört  ihn,  sie  am  Leben  und  frei  zu  lassen, 
dafür  verspricht  sie  ihm  ihre  Hilfe  beim  Baue  der  Brücke.  Mitar  lässt 
sich  überreden  und  schenkt  ihr  die  Freiheit.  Er  beginnt  den  Bau  und 
hat  schon  sieben  lange  Jahre  darauf  verschwendet,  ohne  auch  nur  den 
mindesten  Fortschritt  erzielt  zu  haben.  Was  er  am  Tage  erbaut,  das 
wird  ihm  Nachts  durch  unsichtbare  und  unbekannte  Macht  wieder  zer- 
stört, sodass  endlich  der  Pascha  selbst  ungeduldig  wird  und  ihn  auf- 
fordert, er  möge  doch  die  Vila,  die  ihm  ihren  Beistand  versprochen,  an- 
rufen und  sie  um  Abwendung  der  dem  Baue  entgegentretenden  Hinder- 
nisse bitten.  Mitar  befolgt  diesen  Rath;  die  Vila  erhört  auch  seinen  Ruf, 
antwortet  ihm  aber: 

»Gott  mir  helfe,  Bruder  Meister  Mitar, 
Aber  ich  kann  Dir  nicht  Beistand  leisten, 
Denn  es  dulden's  nicht  die  Vilen-Schwestern.« 

Sie  giebt  ihm  jedoch  einen  Rath,  dessen  Befolgung  den  Bau  der 
Brücke  ermöglichen  werde:  er  möge  zwei  Jungfrauen  in  die  Grundpfeiler 
der  Brücke  einmauern.  Mitar  thut  dies  und  siehe,  das  Tags  über  Erbaute 
wird  nicht  mehr  Nachts  vernichtet,  die  Arbeit  kann  ohne  Unterbrechung 
und    Störung    fortgesetzt    werden;    im    neunten  Jahre    steht    das    Bauwerk 

vollendet  da. 

»Trüb  und  brausend  aber  kam  die  Drina 
Und  vom  Berg  brach  sie  die  schlanke  Fichte. 
Diese  stürmte  gen  die  Brückenpfeiler, 
Und  die  Brücke,   —  sie  begann    zu  wanken.« 

Mehmed  Pascha  erschrickt;  er  befürchtet  den  Einsturz  der  Brücke. 
Mitar  meint,  die  Drina  sei  empört,  weil  man  ihr  noch  keine  Gaben 
dargebracht  habe,  und  werde  sich  sicher  beruhigen,  wenn  man  dieses 
Versäumniss  gut  mache.  Hierauf  häuft  Mehmed  Pascha  einen  Haufen 
Goldes  inmitten  der  Brücke  auf  und  opfert  ihn  dem  Flusse.  Mit  einer 
silbernen  Schaufel  schüttet  er  den  Schatz  »nach  allen  vier  Seiten«  in 
die  Wogen.  Mitar  aber  lässt  sich  an  einem  Seile  über  die  Brüstung 
der  Brücke  hinab  und  zerschmettert  mit  einem  kraftvollen  Axtschlage 
die  Fichte. 

»Aus  der  Fichte  aber  sprang  ein   Blutstrahl, 
Aus  der   Fichte  tönte   eine   Stimme: 
»bleiben   wird  die   Brücke  auf  der  Drina, 
Bleiben   wird   sie   bis  zum   End'    der  Zeiten!« 

Und  der  Fluss  nahm  wieder  seinen  gewöhnlichen  Lauf.  Da  nun  also 
die  Brücke  vollendet  und  keine  Gefahr  mehr  für  sie  besteht,  übergiebt  sie 
der  Pascha  dem  Verkehre,  nicht  aber,  ohne  einen  Brückenzoll  bestimmt  zu 
haben.     Die:    Bosnier   wissen   den   Schatz,    den   sie   erhalten,    zu   würdigen, 


196 


aber  der  Zoll  behagte  ihnen  nicht,  und  so  apostrophirt  bald  ein  Fuhrmann 
den  Pascha: 

»Höre  mich,  o  Soko  Mehmed  Pascha! 
Wohl   hast   Wunderbares    I  >u    verrichtet, 
Eine  Brücke  hast  gebaut   Du,  Pascha, 
Aber  einen  Fehler  auch  begangen: 
Angeordnet  einen   Zoll,   den   harten, 
Für  den  Wand'rer  zwei  Dinare, 
Für  den   Reiter  aber  vier   Dinare. 
Und  wer  vier   Dinare  nicht  besitzet, 
Dem   wird   Ross  und  Sattelzeug  gepfändet. 
—   Als   dies   hörte   Soko   Mehmed  Pascha, 
Hat  mit  Recht  den  Zoll  er  aufgehoben.« 

Hier  heisst  es  bei  der  Darbringung  des  Bauopfers  nur,  dass  zwei 
Jungfrauen  eingemauert  wurden.  In  einem  anderen  Volksliedc  wird  über- 
haupt nur  von  einer  Frau  gesprochen.  Die  erste,  welche  sich  Morgens 
dem  Baue  nähern  würde,  sollte  in  die  Pfeiler  eingemauert  werden.  Un- 
glücklicherweise war  es  die  junge  Frau  des  Meisters  selbst,  die  trotz  alles 
Flehens  von  den  Bauleuten  ergriffen  wurde  und  das  furchtbare  Schicksal 
erlitt.  An  alle  Burgen  und  Brücken  des  Landes  knüpfen  sich  ähnliche 
Sagen,  und  noch  Anfang  der  siebziger  Jahre  unseres  Jahrhunderts,  als  die 
Trebinjaner  eine  Brücke  über  die  Trebinjcica  bauen  wollten,  stahlen  sie 
aufRagusaner  Gebiet  eine  Kindesleiche,  um  sie  in  das  Fundament  zu  ver- 
mauern ! 

Am  rechten  Ufer  der  Drina  steht  auf  einem  kegelförmigen  Berg- 
gipfel am  Nordende  eines  Höhenzuges,  der  die  Drina  begleitet  und 
mit  dem  gegenüber  liegenden  senkrechten  Abfall  der  700  Meter  hohen 
Butkova-Stjena  ein  enges  Flussdefile  bildet,  die  alte  Burg  Starigrad,  das 
heisst,  die  geringen  Ueberreste  der  einstigen  Akropolis  von  Visegrad.  Ein 
von  Gebüsch  umwucherter  Schutthaufen  und  ein  zackiger  geborstener 
Mauerrest  etwas  tiefer,  das  ist  von  jenem  Bollwerk  übrig  geblieben,  welches 
der  Stadt  den  Namen  gab.  Fast  alle  Mauern  zeigen  sich  als  Fortsetzungen 
natürlicher  Felswände.  Auf  einer  Felsenklippe  unterhalb  steht  aber  ein 
alter  Thurm,  den  die  Volkssage  mit  dem  serbischen  Nationalhelden,  dem 
Königssohne  Kraljevic  Marko  in  Verbindung  bringt.  Der  Thurm  ist  kreis- 
förmig gebaut,  die  Mauern  1,90  m  stark,  die  Höhe  heute  noch  8  m,  aber 
dem  Erdgeschoss  ist  die  Plattform  erhalten,  und  da  der  untere  Theil  keinen 
eigenen  Zugang  hat,  so  musste  der  Weg  zu  demselben  nothwendig  über 
die  Plattform  führen.  Mit  dem  oberen  Theile  von  Starigrad  stand  der 
Thurm  durch  eine  1  m  breite  festgemauerte  Gallerie,  deren  Reste  noch 
sichtbar  sind,  in  Verbindung.  Der  Zweck  des  Thurmes  war  offenbar  der 
Auslug  in  das  Drinathal.  Unterhalb  des  Bauwerkes  werden  einige  Ver- 
tiefungen   in   der  Felswand,    als    »Markosstuhl      (Markovo    sjedalo),    Markos 


197    — 


»Fusstapfen«  (Markove  stope)  und  ganz  nahe  an  der  Drina  die  Hufspuren 
seines  Pferdes  »Scharac«  gezeigt.  Der  Durchmesser  der  Hufspuren  ist  30 
und  35  cm  und  die  Breite  zwischen  den  Vorderbeinen  I^am.  Marko 
soll  im  Thurme  neun  Jahre  als  Gefangener  geschmachtet  haben.  Als  ihm 
endlich  die  Stunde  der  Befreiung  schlug  —  so  erzählt  die  Sage  —  durch- 
brach er  das  Dach  des  Thurmes  und  schwang  sich  in  einem  Satze  hinüber 
aufs  jenseitige  Ufer  der  Drina. 

Eine  andere  Burgruine,  an  die  sich  viele  Sagen  knüpfen,  liegt 
unweit  des  Weges  nach  Priboj.  Wenn  man  diesen  Weg,  die  Rzava  10  km 
lang  von  Visegrad  aufwärts  verfolgt,  sieht  man  jenseits  des  Flusses 
auf  einem  bei  500  Fuss  hohen  Felsen  die  verfallenen  Reste  einer  aus- 
gedehnten Baulichkeit.  Darunter,  diesseits  des  Flusses,  die  Grundmauern 
einer  zerstörten  christlichen  Niederlassung  und  etwas  entfernt  die  einer 
Moschee  oder  christlichen  Kirche.  Es  sind  die  Ruinen  von  Dobrunj,  einer 
Burg,  die  sammt  ihrem  Suburbium  sotto  Dobrunj  in  der  ersten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  als  Handelsplatz  öfter  genannt  wird.  Als  die  Türken 
vor  der  Veste  erschienen  -  -  so  erzählt  Hoernes  —  befand  sich  auf  der- 
selben Jerina  (Irene),  die  Gemahlin  des  Despoten  Georg  Brankovic 
(1427 — 1455)1  welche  sich  in  den  Führer  der  Belagerungstruppen  verliebte 
und  demselben  heimlichen  Einlass  in  die  Burg  versprach,  wenn  er  sie  zum 
Weibe  nehmen  und  gegen  seine  bisherigen  Waffenbrüder  vertheidigen 
wolle.  Der  Türke  willigte  scheinbar  ein  und  begehrte  nur,  sammt  seinen 
Schätzen  in  die  Burg  aufgenommen  zu  werden.  Auf  200  Rossen  wurden 
die  letzteren  bei  Nacht  heimlich  gebracht;  doch  als  sich  das  Thor  hinter 
ihnen  geschlossen,  entstiegen  den  vermeintlichen  Schatzkisten  200  bewaff- 
nete Feinde,  welche  die  schwache  Besatzung  überwältigten,  dass  Schloss 
den  Ihrigen  öffneten  und  die  verrathene  Verrätherin  gefangen  hinweg- 
führten. Die  Geschichte  weiss  von  diesem  Vorfalle  natürlich  nichts.  Georg 
Brankovic  gelangte  erst  mit  sechzig  Jahren  in  den  Besitz  des  Despotats. 
Seine  Gemahlin  Jerina,  eine  griechische  Prinzessin,  überlebte  ihn  und 
sollte  während  der  Minderjährigkeit  ihrer  Söhne  die  Regentschaft  führen, 
wurde  jedoch  von  dem  jüngsten  derselben,  Lazar,  mit  Gift  beseitigt.  Das 
Volkslied,  in  dem  Jerina  öfter  vorkommt,  behandelt  sie  mit  entschiedener 
Ungunst  als  eine  verhasste  Person,  der  alle  möglichen  Frevel  angedichtet 
werden,  darunter  auch  Landesverrath  durch  Vermählung  ihrer  Tochter 
mit  dem  Sultan  (Karadzic  IL,  80  und  499).  Als  ihre  Heimath  wird  Ragusa 
angegeben;  ihre  Vermählung  mit  Georg  Brankovic  erscheint  als  ein  grosses 
nationales  Ereigniss. 

Doch  aus  der  geschichtlichen  Vergangenheit  reisst  uns  die  lebendige 
Gegenwart,  und  wir  sehen  in  Visegrad  überall  neues  Leben  aus  den 
Ruinen  blühen.  Der  bisher  geringe  Geschäftsverkehr  nach  Serbien  und 
dem   Paschalik   Novibazar  beginnt   sich   zu  heben,   und  es  ist  bezeichnend 

—     19S    — 


199 


Auf  den  Ausläufern  des  Crni  Vrh. 
(Pinus  leucodermis-Gruppe.) 

für  die  verschiedenen  Sicherheitsverhältnisse  in  den  beiden  Grenzländern, 
dass  die  Serben  aufathmen,  wenn  sie  bosnischen  Boden  unter  den  Füssen 
haben. 

Wir  hatten  für  den  nächsten  Morgen  die  Weiterfahrt  auf  dem  Flusse 
beschlossen,  doch  regnete  es  in  Strömen,  sodass  eine  ernste  Berathung 
stattfand,  ob  nicht  ein  Warten  geboten  sei.  Gegen  7  Uhr  schien  sich 
das  Wetter  zu  bessern,  und  so  ging  es  denn  mit  frischem  Muthe  vorwärts. 
Unser  Floss,  das  am  Abend  unterhalb  Starigrad  hatte  anlegen  müssen, 
war  früh  bis  zur  Drinabrücke  'vorgedrungen,  und  hier  vollzog  sich  die 
Einschiffung  der  wesentlich  vergrösscrten  Reisegesellschaft.  Wir  hatten 
schon  einige  Male  auf  eine  glückliche  Fahrt  angestossen,  als  sich  plötzlich 
wieder   der   Himmel   zu    verfinstern   begann    und    ein  Unwetter   niederging, 


—    200    — 


Schluchten iindung   des   Zepaflusses. 


wie  es  ärger  nicht  sein  konnte.  Aber  um  so  wildromantischer  zeigte  sich 
die  Gegend.  Rechts  und  links  traten  die  Felswände  immer  naher  an  den 
Fluss,  immer  stiller  wurde  es  in  der  Natur,  nur  hoch  oben  in  den  Lüften 
kreisten  einige  Adler.  Wie  unser  forstmännischer  Begleiter  sagte,  ist  hier 
überall  Bären-  und  Gemsenrevier.  Anderthalb  Stunden  von  Visegrad 
entfernt,  mündet  ein  mächtiger  warmer  Bach  am  rechten  Ufer  in  die 
Drina.  Es  ist  der  Banjski-Potok,  der  Ausfluss  einer  starken  Quelle  von 
28  Grad  Reaumur  mit  schwach  salzigem  Geschmack,  aber  ganz  reinen  und 
geruchlosen  Wassers.  Ein  altes  steinernes  Brunnengehäuse  überwölbt  ein 
aus  massiven  Quadern  hergestelltes  Bassin.  Die  Anlage  ist  uralt,  und  die 
Bewohner  der  Umgebung  hegen  noch  heute  das  grösste  Zutrauen  zur 
Heilkraft  dieser  Naturspende;  sie  benutzen  die  Quelle  bei  den  ver- 
schiedensten Anlässen  zur  Bade-  oder  Trink-Kur.  Der  508  m  hohe  Berg, 
in  welchem  die  Thermenschlucht  liegt,  heisst  bei  den  Anwohnern  Banjsko- 
Brdo,  der  Badeberg.  Eine  zweite  Therme  von  gleicher  Temperatur  und 
Mächtigkeit  findet  sich  eine  halbe  Stunde  von  der  ersten  entfernt  in  der- 
selben Schlucht. 

Hoch  oben  auf  einem  Berge  wird  das  türkische  Dorf  Milosevic  sichtbar; 
in  einer  Einsattlung  zeigen  sich  Adlerhorste,  an  den  Felswänden  sieht 
man  Höhlen,  einige  mit  künstlichem  Gemäuer,  die  von  der  Bevölkerung 
für  alte  Gefängnisse  erklärt  werden.  So  ging  es  bei  andauerndem  Regen- 
wetter stundenlang  fort.  Links  hatten  wir  die  Ausläufer  des  Crni  Vrh 
und  der  1288  m  hohen  Snjeznica,  dann  passiren  wir  die  sogenannte 
Metnaluka,  eines  der  wildreichsten  Terrains  der  Gegend,  auch  von  Bären 
bevölkert.  Sodann  kommen  wir  zur  Einmündung  des  Baches  Suchidol 
und  bald  darauf  hatte  unsere  Fahrt  für  diesen  Tag  ihr  Ende  erreicht. 
Das  Wetter  besserte  sich  nicht,  und  da  unsere  Flösser  erklärten,  beim 
Mali  Bug  —  einem  Katarakt  —  müssten  wir  aussteigen,  da  möglicher- 
weise das  Floss  zerschellen  könne,  sie  würden  allein  versuchen,  durch 
die  wilde  Fluth  zu  kommen,  so  beschlossen  wir,  die  Umgehung  über 
Staribrod  anzutreten.  Das  Dorf  liegt  auf  einem  Plateau,  über  das  die 
Drinastrasse  nach  Visegrad  führt.  Es  ist  ein  alter,  vielbenutzter  Weg, 
wahrscheinlich  schon  in  römischen  Zeiten  angelegt  worden,  aber  nur  für 
Reiter  und  Fussgänger  passirbar.  Doch  ist  die  Anlage  einer  Fahrstrasse 
projektirt.  Unser  Aufstieg  nach  Staribrod  bei  strömendem  Regen  über 
Steingeröll  war  gerade  nicht  angenehm,  aber  bald  fanden  wir  in  einem 
bosnischen  Bauernhause  gastliche  Unterkunft.  So  sassen  wir  um  das  stets 
offene  Heerdfeuer  in  dem  einzigen  grossen  Räume,  der  Wohn-  und  Schlaf- 
zimmer wie  Küche  zugleich  bildet,  und  der  in  der  Höhe  bis  unter  das  steile 
Dach  reicht,  wo  dem  Rauch  durch  einige  Luken  ein  Ausweg  gelassen  ist. 

Da  keine  Aussicht  auf  Besserung  der  Witterung  war.  beschlossen 
wir,    hier   zu    übernachten.     Unser    Wirth    war    ein    ziemlich    wohlhabender 


Mann,  er  besass  viel  Vieh,  das,  von  den  Kindern  gehütet,  sich  auf  der 
Weide  befand.  Seine  Frau  Ljubica  hatte  eine  hohe  prächtige  Gestalt 
nebst  einem  geradezu  klassischen  Profil,  und  sie  suchte  in  jeder  Weise  für 
das  Wohlbefinden  ihrer  Gäste  zu  sorgen.  Stühle  gab  es  nicht.  Die  Pritsche, 
die  einen  grossen  Theil  des  Küchen-  und  Wohnraumes  in  einem  bosnischen 
Hauernhause  einnimmt  und  die  Nachts  als  Lagerstätte  dient,  wurde  frisch 


■ 


:#* 


Alte    Brücke    über    die    Z e p a. 


—      204     — 


gewaschen,  mit  Stroh  und  dann  mit  neuen  Decken,  die  im  Hause 
angefertigt  waren,  belegt.  Hier  sass  ein  Theil  der  Gesellschaft.  Eine 
Truhe  diente  einem  anderen  als  Ruheplatz,  und  nur  meine  Frau  erhielt 
einen  niedrigen  Schemel  nach  Art  der  Schusterstühle.  Es  wurde  von 
unserem  mitgebrachten  Proviant  gegessen,  getrunken,  schwarzer  Kaffee 
gekocht.  Die  Unterhaltung  war  sehr  lebhaft,  da  immer  neue  Besucher 
aus  den  umliegenden  Häusern  kamen,  die  sich  die  Fremden  ansehen  wollten. 
Unsere  Flösser  waren  auch  eingetroffen  und  lagerten  auf  dem  Erdboden 
am  Feuer,  das  mit  starken  Scheiten  stets  genährt  wurde.  An  allen 
Wänden  und  auf  Stangen  über  dem  Feuer  aber  hingen  die  nassen  Kleider, 
Regenmäntel  und  Plaids,  die  Luft  durch  die  nassen  Dünste  nicht  gerade 
verbessernd.  Hier  mussten  der  Bezirksvorsteher  und  der  Oberlieutenant 
Abschied  nehmen.  Ihr  Dienst  erlaubte  kein  Uebernachten;  sie  hatten  noch 
einen  dreistündigen  Gebirgsmarsch  vor  sich,  ehe  sie  zu  dem  Orte  gelangen 
konnten,  wohin  sie  Pferde  vorausgesandt  hatten.  So  trennten  wir  uns 
denn  mit  lebhaftem  Bedauern  von  den  liebenswürdigen  Herren  und  ver- 
suchten dann,  uns  die  Zeit  durch  Rauchen  und  Erzählen  zu  verkürzen. 
Unser  Wirth  brachte  aus  dem  Garten  frische  Zwetschken  und  Wallnüsse, 
und  es  liess  sich  eigentlich  ganz  behaglich  hausen,  wenn  die  Gesammtlage 
auch  einen  etwas  feldmässig  wilden  Anstrich  hatte. 

Um  unseren  Proviant  für  die  nächsten  Tage  zu  schonen,  wurde 
zwei  Haushühnern  der  Garaus  gemacht  und  sie  am  Spiesse  gebraten,  dazu 
vorzügliche  Kartoffeln  in  der  heissen  Asche  gebacken.  Ein  Kochen  der 
Kartoffeln  oder  eine  andere  Zubereitungsart  kennt  der  bosnische  Bauer 
nicht.  Und  dann  kam  die  Ruhe!  Der  Hausherr,  der  sich  neben  das 
Feuer  niedergestreckt,  unterhielt  dieses  die  ganze  Nacht.  Auf  der  Pritsche 
lagen  wir  Mann  neben  Mann,  selbstverständlich  angezogen  und  mit  eigenen 
Sachen  zugedeckt;  am  Feuer  schnarchten  die  mohammedanischen  Flösser. 
Draussen  aber  regnete  es  unaufhörlich  weiter.  Ich  musste  an  die  armen 
Kinder  unseres  Gastfreundes  denken,  die  am  Abend  mit  dem  Vieh  nach 
Hause  gekommen  waren,  in  Wasser  gekochte  kohlschwarze  Nudeln,  ein 
Stück  Brot  und  ein  paar  Pflaumen  bekommen  hatten,  und  die  dann  in  das 
Kukuruzfeld  gehen  mussten,  um  die  Frucht  vor  Wildschweinen  zu  be- 
wahren. Sie  hatten  nur  Leinenhosen  und  Hemd,  ein  Stück  einer  aus 
Ziegenhaaren  gewebten  Decke  und  damit  genug.  Ein  Beil  war  zur 
Verteidigung  bestimmt.  Es  ist  unbeschreiblich,  wie  genügsam  Menschen 
und  Thiere  in  Bosnien  sind.  Auch  die  Thiere  haben  nur  in  seltenen 
Fällen  beim  Bauer  Ställe;  sie  bleiben  Sommer  wie  Winter  im  Freien. 
Erst  in  neuerer  Zeit  beginnen  die  Landleute  nach  und  nach  Ställe  oder 
wenigstens  nothdürftige  Unterkünfte  herzurichten. 

Der  Morgen  tagte  nicht  besonders  hoffnungsreich.  Dicker  Xebel  lag 
auf  den  Bergen  und  in  der  Richtung  des  Flusses,   aber  es  regnete  wenigstens 


—     20;     — 


nicht.  So  nahmen  wir  Abschied  von  Staribrod,  drückten  unseren  Haus- 
wirthen  die  Hand  und  begannen  den  Umgehungsmarsch  zur  Drina. 
Unsere  Bemannung  sprang  mit  dem  Gepäck  über  Stock  und  Stein.  Aus 
Vorsicht  hatten  wir  schwere  Kotzen  geborgt,  um  erforderlichenfalls  ein 
Wetterdach  errichten  zu  können.  Unser  Fahrzeug  hatte  den  Katarakt 
ohne  Unfall  passirt,  um  6  Uhr  früh  ging  es  abwärts  vom  Malibug.  Die 
Gegend  war  entzückend.  Schroff  hoben  sich  hinter  uns  die  Hänge  der 
Rujnik  Planina  empor,  vor  uns  rechts  den  1341  m  hohen  Rogopek,  links 
die  Zlatärica  und  die  Tesla  Planina.  Hoch  oben  aber  in  den  Schluchten 
wurde  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Dorf  oder  einzelne  Häuser  sichtbar,  über  den 
Staragorske  Stjene  Razdolje,  rechts  in  bezaubernder  Lage  Dolnji-Stitarevo. 
Aber  unsere  Fahrt  dauerte  nur  einige  Stunden,  dann  musste  sie  wieder  unter- 
brochen werden.  Vor  uns  lag  der  Slap,  eine  Felsenenge  von  gigantischen 
Formationen,  wo  das  ganze  Flussbett  von  Felsklippen  starrt.  Nur  ein 
schmales  Rinnsal  ermöglicht  bei  gutem  Wasserstande  das  Passiren,  und 
doch  kommt  es  häufig  vor,  dass  .  das  Floss  in  dem  brausenden  Gischt 
zerschellt,  dass  die  einzelnen  Stämme  weiter  unterhalb  aufgefangen  und 
das  Floss  neu  zusammengesetzt  werden  muss.  Die  Flösser  lassen  hier 
meist  ihr  Fahrzeug  leer  laufen,  sie  selbst  schlagen  den  Landweg  zur 
Umgehung  des  Slap  ein.  Es  ist  dies  ein  bedeutendes  Hinderniss  für  die 
Schifffahrt,  und  die  Regierung  beschäftigt  sich  mit  dem  Gedanken  der 
Sprengung  der  hauptsächlichsten  Verkehrshindernisse.  Die  Kosten  sind 
allerdings  ziemlich  bedeutend. 

Auch  wir  mussten  vor  der  Einmündung  der  Zepa  in  die  Drina  am 
linken  Ufer  aussteigen.  Unser  bisheriges  Floss  blieb  bis  zu  höherem 
Wasserstande  liegen,  denn  jenseits  des  Slap  erwartete  uns  bereits  ein 
anderes  Fahrzeug  mit  steirischen  Flössern.  Zwei  Flösser  aus  der  grünen 
Steiermark  haben  sich  in  diesem  Theile  Bosniens  angesiedelt;  sie  schlagen 
Bauholz  aus  den  unermesslichen  Urwaldungen  und  bringen  es  zum  Verkauf 
nach  den  Savegegenden,  meist  nach  Schabatz  und  Belgrad.  Da  sie  über 
kein  grösseres  Kapital  verfügen,  die  Stämme  der  Forstverwaltung  aber 
baar  bezahlen  müssen  (freilich  wenig  genug),  so  ist  ihr  Geschäft  mühsam 
und  nicht  besonders  lohnend.  Erst  der  Bau  einer  grossen  Holzriese  wie 
in  den  heimischen  Bergwäldern  könnte  es  ertragreicher  machen.  Die 
bosnische  Bevölkerung  nennt  die  beiden  Steirer  »Sterci«,  jedenfalls  ab- 
o-eleitet  von  »Stajerci«,  so  aber  mehr  an  den  steirischen  Sterz  erinnernd 
und    daher    auch    nicht    schlecht   gewählt.      Diese   Flösser   erwarteten    uns 

selbstverständlich  ohne  ihr  Fahrzeug  —  vor  der  Zepamündung,   und  da 

sie  einen  Weg  längs  des  Ufers,  auf  dem  von  einem  Stein  auf  den  andern 
gesprungen  werden  muss,  für  »Europäer«  mit  ihren  Fussbekleidungcn  als 
absolut  unpassirbar  bezeichneten,  hiess  es  die  Höhe  hinanklettern.  Es 
war    ein    entsetzlicher    Geröllweg,    kaum    für    Gemsen    oder   Ziegen    einen 


206 


E9?oty 


»Frohe    läge.«       (Lammbraten    am    Spiesse.) 

sicheren  Tritt  bietend.  Auf  der  linken  Seite  eine  Felswand,  rechts  fast 
stets  Abgründe  und  Abstürze,  dazu  das  Gestein  vom  Regen  nass  und 
glitschig.  Es  war  ein  unangenehmer  Aufstieg,  und,  wie  wir  später  erfuhren, 
hätte  es  etwas  vorher  erträglichere  Punkte  gegeben,  um  die  Strasse  auf 
dem  Gebirge  zu  gewinnen.  Unsere  Begleiter  halfen  aber  mit  Kraft 
und  Geschick  über  die  schwierigen  Stellen  hinweg.  Endlich  erreichten 
wir  einen  Fusspfad,  die  Reste  einer  gepflasterten  Strasse,  und  da  bot  sich 
ein  wundervoller  Anblick.  Mitten  in  der  Wildniss  führt  eine  prächtige 
steinerne  Brücke  in  einem  einzigen  kühnen  Bogen  über  die  Zepaschlucht. 
Tief  unten  wälzt  der  wilde  Gebirgsbach  seine  reissenden  Fluthen  der  Drina 
zu,  oben  aber  zeisrt  das  Gebilde  von  Menschenhand  die  einstige  türkische 
Baukunst,  Sokolovic  Pascha  hat  auch  diese  Brücke,  wahrscheinlich  zu 
der  gleichen  Zeit  wie  diejenige  in  Visegrad  errichten  lassen,  und  noch 
heute  geht  über  sie,  so  schlecht  der  Reitweg  ist,  die  Hauptverbindung  der 
Drina -Ufergegenden. 

Auf  einem  Plateau  liegt  das  zerstreute  Dorf  Zepa,  wo  wir  bei  einer 
Quelle  ruhten,  um  dann  den  Abstieg  längs  der  Ausläufer  der  Sjemae-Planina 
anzutreten.  Es  dauerte  geraume  Zeit,  bis  wir  unser  zweites  Floss  er- 
reichten, das  erst  etwas  bequem  hergerichtet  werden  musste.    So  errichteten 

14 


—     209    — 


wir  zuvor  eine  Art  Freilager  am  Flusse  und  hielten  ein  lukullisches 
Mahl,  zu  dem  uns  die  Sonne  von  oben  ihre  wärmsten  Strahlen  sandte. 
Vergessen  waren  alle  Strapazen  und  Beschwerden  der  letzten  Stunden. 
In  der  Berg-  und  Waldeinsamkeit  fühlten  wir  uns  glücklich  und  die  smaragd- 
grünen Wellen  der  Drina  rauschten  ein  Schlummerlied.  Hier  nahmen  wir 
Abschied  von  unseren  Gorazdaer  Flössern,  die  noch  das  Gepäck  auf  das 
neue  Fahrzeug  übertragen  hatten  und  die  nun  den  Marsch  in  die  Heimath 
zu  Fuss  antraten.  Sie  hatten  sich  in  jeder  Beziehung  bewährt;  und  es  that 
uns  förmlich  leid,  sie  scheiden  zu  sehen.  Dann  bestiegen  wir  wieder 
unser  »Schiff«,  und  vorwärts  ging  es  in  die  hier  rauschende  Fluth.  Die 
Gegend  ist  hoch  interessant,  an  den  Kazanpass  der  unteren  Donau  er- 
innernd. Vier  Stunden  lang  fährt  man  zwischen  steilen  Felswänden,  die 
oft  unterwaschen  sind  und  tiefe  Höhlen  zeigen.  Todtenstille  herrscht  in 
der  Natur,  nur  Geier  und  mächtige  Adler  schweben  in  den  Lüften,  während 
hin  und  wieder  ein  Fischreiher  über  dem  Wasser  streicht  oder  auf  einer 
Sandbank  ohne  jede  Scheu  ausruht.  Die  Felswände  selbst  sind  wenig  be- 
waldet, doch  wachsen  Schwarzkiefern,  riesige  Nussbäume  und  auch  Silber- 
linden oft  mitten  aus  dem  Gestein,  an  Stellen,  wo  das  Auge  nicht  den 
mindesten  Halt  gewahrt.  Auf  den  Höhen  aber  ist  dichte  Waldvegetation, 
meist  Steinbuche,  Kiefer  und  Weissdorn. 

Wir  haben,  von  der  Einmündung  des  Bausnickabaches  angefangen, 
rechterseits  jetzt  das  Königreich  Serbien,  dessen  Ufergebirge  auf  weite 
Strecken  sich  ziemlich  kahl  zeigen.  Anfangs  hat  der  Fluss  noch  einen 
streng  nördlichen  Lauf;  links  wird  er  von  dem  1094  m  hohen  Jasenovac, 
dann  von  der  1246  m  hohen  Zvjezda,  hinter  der  sich  der  Igrisnik  (1518  m) 
erhebt,  begrenzt.  Dann  springt  die  Javor-Planina  scharf  gegen  den  Strom 
vor,  der  einen  weiten  Bogen  nach  Osten  beschreibt.  Es  war  schon  ziemlich 
spät  am  Tage  geworden,  als  wir  an  der  mächtigen  Kuppe  der  Ljutica 
(1243  m)  vorüber,  deren  äusserste  Hänge  eine  umfangreiche  Burgruine  mit 
zwei  zerfallenen  Wachtthürmen  tragen,  gegen  Klotievac  zulenkten.  Eine 
gefährliche  Stelle  wollten  unsere  Flösser  nicht  bei  Dämmerung  passiren, 
und  so  legten  sie  vorzeitig  am  Ufer  an,  während  es  für  uns  hiess,  einen 
Marsch  von  dreiviertel  Stunden  nach  der  Finanzwach-Kaserne  in  Klotievac 
zurückzulegen.  Fremde  Reisende,  die  von  der  Regierung  empfohlen  sind, 
finden  in  solchen  Gegenden,  wo  keine  Gasthäuser  oder  nur  die  landes- 
üblichen Hans  vorhanden  sind,  in  den  Gendarmerie-  oder  Finanzwach- 
Kasernen  Unterkunft  und  Verpflegung  gegen  einen  billigen  Tarif.  Es  ist 
dies  eine  nicht  genug  anzuerkennende  Vergünstigung,  und  besonders  bei 
der  Gendarmerie  ist  man  ganz  vorzüglich  aufgehoben.  Wir  hatten  einen 
unangenehmen  Aufstieg  vom  Ufer  zur  Höhe,  fanden  dann  aber  einen  Fuss- 
weg,  den  wir  nicht  verfehlen  konnten.  Hierauf  überschritten  wir  einen  Bach 
auf  einem   einfachen  Bauinstamme  als  Brücke,   über  einen   zweiten   konnten 


Auerhahnbalz    in    den    Wäldern    an    der    Drina. 


wir  erst  setzen,  nachdem  aus  einer  nahen  türkischen  Mühle  einige  Balken 
requirirt  worden  waren.  Nicht  lange  darnach  erreichten  wir  unser  Tages- 
ziel. Die  Finanzkaserne  war  ein  schönes,  grosses  Gebäude,  da>  einen 
Hügel  krönte  und  weithin  auf  das  serbische  Drina-Ufer  einen  Rundblick 
erlaubte.  Die  Aufnahme  war  freundlich,  Zimmer  und  Betten  rein  und  gut, 
aber  ausser  Milch  war  zur  leiblichen  Stärkung  nichts  zu  bekommen,  auch 
war  keine  Köchin  vorhanden.  Wir  hatten  jedoch  noch  Enten  und  Gulyasch- 
Konserven,  Wein  und  Trauben,  sodass  ein  köstliches  Mahl  hergerichtet 
wurde.  Dann  stieg  der  Duft  vorzüglicher  bosnischer  Cigaretten  in  die 
kühle,  aber  würzige  Nachtluft,  bis  uns  endlich  der  Traumgott  umfing. 

Der  nächste  Morgen  sah  uns  mit  dem  Tagesgrauen  auf  den  Beinen. 
Einen  steilen  Pfad  ging  es  durch  thaufrische  Wiesen  und  niedriges  Ge- 
strüpp ziemlich  senkrecht  zur  Drina  hinab,  wo  unser  Floss  bereits  an- 
gelegt hatte.  Wir  hatten  heute  kaum  15  Minuten  gebraucht.  Die  Sonne 
tauchte  gerade  hinter  den  serbischen  Grenzgebirgen  auf,  als  unser  Floss 
sich  in  Bewegung  setzte.  Das  Ufer  ist  hier  anfangs  auf  bosnischer  Seite 
niedriger  als  auf  serbischer;  das  Wasser  hat  wenig  Gefälle  und  schleicht 
ziemlich  träge  dahin.  Unsere  Flösser  hatten  eine  schlechte  Unterkunft 
gehabt,  auch  früh  noch  keinen  Sterz  machen  können,  sodass  sie  gries- 
grämig in  die  Welt  sahen.  Diesem  Missmuth  wurde  aber  bald  abgeholfen. 
Unser  forstmännischer  Begleiter,  selbst  ein  Steirer,  errichtete  aus  einigen 
grossen  Steinen  einen  provisorischen  Herd  auf  dem  Hintertheile  des 
Flosses;  die  Hälfte  eines  leeren  blechernen  Petroleumbehälters  wurde  dar- 
auf gestellt  und  in  diesem  Feuer  angemacht,  das  lustig  flackerte.  Dann 
bewies  der  eine  der  Flösser  seine  Kochkunst,  sodass  auch  ihr  Magen  sich 
bald  gesättigt  zeigte,  besonders  als  wir  durch  einen  Liter  Wein  dafür 
sorgten,  dass  der  fette  Sterz  besser  verdaut  werden  konnte. 

Die  serbische  Seite  ist  dem  äusseren  Anblick  nach  weit  civilisirter; 
dort  sieht  man  überall  Anbau  und  Felder,  sogar  eine  Fahrstrasse  längs 
des  Ufers.  Die  Befreiung  von  türkischer  Herrschaft  hat  ihre  Früchte  ge- 
tragen. Wenn  man  freilich  der  Sache  tiefer  auf  den  Grund  gehen  wollte, 
würde  man  bald  erkennen,  wie  trügerisch  diese  serbische  Civilisation  ist 
und  wie  viel  mehr  die  bosnische  Bevölkerung  Grund  hat,  mit  ihren  Ver- 
hältnissen zufrieden  zu  sein.  Nach  einigen  Stunden  Fahrt  erreichten  wir 
Gjurgjevac,  dessen  neue  Gendarmeriekaserne  schon  von  weither  sichtbar 
ist.  Hoch  über  dem  Orte  liegen  ausgedehnte  Mauerreste  einer  alten  Burg; 
am  serbischen  Ufer  in  den  Felsen  das  Dorf  Branovina,  wo  einstmals  Weinbau 
betrieben  wurde.  Bei  Pernocac,  unweit  davon,  aber  nahe  am  Flusse  gelegen, 
ist  dies  heute  noch  der  Fall.  Dort  steht  eine  stattliche  Säge  nebst  einer 
Holzriese.  Die  Gegend  wird  beiderseits  belebter;  die  Berge  treten  mehr 
zurück,  die  jähen,  schroffen  Abstürze  sind  seltener,  die  sanfteren  Ab- 
dachungen häufiger.     Hin  und  wieder  tritt  auf  bosnischer  Seite  eine  Moschee 


in  den  Vordergrund,  besonders  malerisch  in  dem  Dörfchen  Gornji-Peci. 
Bei  Barakovac  starrt  der  Fluss  voll  Klippen;  nur  eine  kleine  Fahrrinne 
blieb  bei  dem  niederen  Wasserstande,  doch  entging  unser  Fahrzeug  allen 
Fährlichkeiten.  Längs  des  serbischen  Ufers  wäre  leichteres  Fahren  ge- 
wesen, doch  scheuten  unsere  Flösser  diese  Seite,  da  Chikanen  serbischer 
amtlicher  Organe  nicht  gerade  zu  den  Seltenheiten  gehören.  Das  Gelände 
ist  rechts  und  links  niedrig  und  schön  bewaldet,  in  Serbien  wie  ein  ge- 
pflegter Park.  Hier  bekamen  wir  seit  Tagen  den  ersten  Wagen  zu  Gesicht, 
der  in  schlankem  Trabe  dem  Städtchen  Bajna-Basta  zustrebte.  Der  Ort 
selbst,  der  dem  bosnischen  Skeliani  gegenüber  liegt,  ist  nicht  sichtbar,  er 
liegt  etwas  landeinwärts,  am  Ufer  steht  nur  eine  serbische  Karaula  (Wacht- 
haus)  und  eine  Mehana  (Gasthaus).  Auf  bosnischer  Seite  ist  eine  neue 
Gendarmerie-Kaserne  erbaut,  und  da  hier  eine  Ueberfuhr  besteht  —  wie  der 
Name  des  Ortes  anzeigt  —  ist  auch  eine  Finanzwache  stationirt.  Auf  den 
Feldern  stand  Tabak,  der  übrigens  auch  schon  um  Klotievac  angebaut  wurde. 

»Deutsche  Worte  hör'  ich  wieder!«  konnten  wir  auf  einmal  ausrufen; 
nur  kamen  sie  nicht,  was  weniger  zu  verwundern  gewesen,  vom  bosnischen, 
sondern  vom  serbischen  Ufer.  Unsere  Begleiter  waren  von  einem  kleinen 
lebhaft  gestikulirenden  Herrn,  der  gerade  einigen  Serben  das  Gegentheil 
von  Schmeicheleien  an  den  Kopf  geworfen  hatte,  erkannt  worden.  Es 
war  ein  Wirth  aus  Srebrenica,  den  Holzgeschäfte  hierher  geführt  hatten 
und  der  sich  mit  uns  auf  Distanz  lebhaft  unterhielt.  Immer  lieblicher 
wurden  die  Ufer,  saftig  grüne  Matten  dehnten  sich  bis  zum  Wasser  aus, 
reizende  Baumpartien,  in  denen  serbischerseits  hübsche  Ziegelhäuser  standen, 
konnten  an  Schweden  erinnern.  Da  der  Abend  hereingebrochen,  landeten 
wir  eine  halbe  Fahrstunde  unterhalb  Fakovic,  in  dessen  Finanz-Kaserne 
wir  auf  gastliche  Unterkunft  hofften.  Es  stand  uns  aber  noch  ein  wenig 
angenehmer  Nachtmarsch  bevor.  Ueber  einen  schlechten  Geröllweg  hatten 
wir  die  Anhöhe  erklommen,  aber  nun  trat  die  Dunkelheit  mit  aller  Macht 
ein,  der  Fusspfad  war  nicht  mehr  sichtbar,  zudem  begann  es  zu  regnen. 
Ueber  Stock  und  Stein,  immer  in  der  ungefähren  Richtung  der  Kaserne 
ging  es  vorwärts,  über  Stoppelfelder,  an  langen  Trockenschuppen  für 
Tabak  vorüber.  Einmal  stolperten  wir  über  Stricke,  mit  denen  Rinder  im 
Freien  angepflockt  waren,  aber  wir  erreichten  eine  breite  Fahrstrasse  und 
damit  hatten  wir  gewonnen.  Bald  befanden  wir  uns  unter  Dach,  doch 
mussten   wir  von   unseren  Vorräthen  zehren. 

Trübe  brach  der  fünfte  Morgen  unserer  Argonautenfahrt  herein.  Ein 
leichter  Sprühregen,  der  sich  bald  in  einen  ausgiebigen  Guss  verwandelte, 
schien  uns  eine  wenig  angenehme  Fahrt  zu  versprechen.  Nach  dem 
üblichen  Frühmarsch  zum  Floss  versuchten  wir,  ein  Regendach  zu  impro- 
visiren,  was  theilweise  gelang.  Erst  gegen  8  Uhr  traten  wir  die  Fahrt  an. 
Es  herrschte  etwas  gedrückte  Stimmung,  besonders  da  unsere  Weinvorräthe 


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ihrem  Ende  nahten  und  wir  aut  Sparsamkeit  angewiesen  waren.  Die 
Gegend  wurde  auf  beiden  Seiten  flacher,  gut  bebaute  Felder,  zahlreiche 
Häuser,  hie  und  da  kleine  Kirchen  neuer  Bauart  wurden  sichtbar,  oft 
grüsste  uns  freundlicher  Zuruf  der  Bewohner,    und  auch  Serben  riefen  uns 


Im    Drina-Defile. 

ihr:  »Sretan  put!«  (Glückliche  Reise!)  zu.  Im  Flusse  traten  immer  mehr 
Sandbänke,  kleine  Inseln  und  Schotterbänke  auf,  und  unsere  Flösser  be- 
gannen besorgte  Gesichter  zu  machen.  Dafür  besserte  sich  das  Wetter, 
und  um  10  Uhr  leuchtete  die  Sonne  in  voller  Klarheit.  So  wurden  die 
Schlangenwindungen    der   Drina    bei    Tegare    überwunden;    links    grüssten 


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uns  die  Waldgebirge  der  Srebrenicaer  Gegend,  rechts  winkten  die  hohen 
Häupter  der  Azbukova-Planina.  So  waren  wir  glücklich  bis  in  die  Nähe 
von  Voljevica  gelangt,  als  unser  Floss  auf  einmal  auf  einer  Schotterschicht 
festsass.  Flugs  sprangen  unsere  Flösser  ins  Wasser  und  versuchten,  das 
Fahrzeug  flott  zu  machen,  aber  dieses  wich  und  wankte  nicht.  Da  war 
guter  Rath  theuer,  besonders  als  die  angestrengten  Bemühungen  sämmt- 
licher  Fahrenden  zwei  Stunden  lang  vergeblich  blieben.  So  nahe  am  Ziele 
zu  scheitern,  wäre  doch  ein  zu  schmerzliches  Ende  der  prächtigen  Wasser- 
partie gewesen.  Das  Schicksal  hatte  es  auch  anders  beschlossen,  es  war 
uns  noch  einmal  günstig.  Es  wurde  mit  vereinten  Kräften  ein  Drehen 
des  Flosses  versucht.  Lange  rührte  es  sich  nicht,  dann  ein  plötzlicher 
Ruck,  ein  Krachen  und  Knirschen  in  den  Stämmen,  und  langsam  glitten 
wir  von  der  Stelle.  Noch  einige  kleine  Hemmnisse  suchten  uns  zwar  auf- 
zuhalten, aber  bald  befanden  wir  uns  in  besserem  Fahrwasser  und  nach 
3  Ihr  Nachmittags  legten  wir  am  Ufer  in  Ljubovija  an.  Die  Wassertour 
war  trotz  des  niedrigen  Wasserstandes  geglückt!  Das  Floss  wurde  am 
Lande  befestigt,  da  es  hier  vorläufig  liegen  bleiben  musste,  wir  aber  suchten 
die  auf  einer  kleinen  Erhöhung  an  der  Fahrstrasse  Zwornik-Srebrenica 
liegende  Gendarmerie-Kaserne  auf,  wo  wir  mit  offenen  Armen  empfangen 
wurden.  In  den  schön  gepflegten  Gartenanlagen  sassen  wir  bald  bei 
schäumendem  Bier,  und  die  Köchin  bereitete  einen  vorzüglichen  Mailänder 
Risotto. 

Ljubovija  besitzt  eine  ungemein  malerische  Lage.  Die  Drina  ist  sehr 
breit,  und  am  serbischen  Ufer  in  einer  ausgedehnten  Ebene  liegt  der 
serbische  Ort  gleichen  Namens,  im  Vordergründe  ein  Wachthaus,  Zoll- 
gebäude  und  eine  Mehana.  Hier  findet  ein  ziemlich  reger  Verkehr  zwischen 
beiden  Ufern  statt,  weshalb  auch  in  Bosnisch-Ljubovija  eine  Finanzkaserne 
und  umfangreiche  Lagerräume  erbaut  sind.  LTeberhaupt  macht  der  Ort 
mit  seinen  vielen  neuen  Gebäuden  —  darunter  ein  grosser  türkischer 
Han  -  -  einen  wohlhabenden  und  freundlichen  Eindruck.  Wir  blieben  bis 
zum  Einbruch  der  Dämmerung,  dann  bestiegen  wir  einen  mittlerweile  be- 
sorgten Wagen  und  rollten  in  schlankem  Trabe  unserem  nächsten  Ziele, 
der  alten  Bergwerksstadt  Srebrenica  zu,  die  in  zwei  Stunden  erreicht  wurde. 
Am  Wege  liegen  einige  gut  gebaute  ausgedehnte  Dörfer  mit  Läden,  Cafes, 
Kirchen  und  Moscheen,  rechts  und  links  der  Strasse  wohlbestellte  Felder, 
zum  Theil  mit  Tabak  bepflanzt.  Bewaldete  Höhen,  über  die  sich  immer 
höhere  Kuppen  erheben,  begrenzen  auf  allen  Seiten  den  Blick.  Es  ist 
ein  entzückendes  Meer  von  Grün.  Endlich  verengt  sich  das  Thal  —  wir 
sind   in   Srebrenica! 


■5?C 


Eine  alte  bosnische  Bergwerksstadt. 

Srebrenica  ist  ein  kleines,   etwa   1 500  Bewohner  zählendes,   malerisch 

V 

gelegenes  Gebirgsstädtchen,  durch  das  sich  die  Krizevica  und  der  Cicevac- 
Bach  schlängeln.  Hoch  über  der  Stadt  steht  auf  einem  Trachytgrate  ein 
kleines  türkisches  Fort  und  noch  höher  eine  schöne,  ausgedehnte,  mittel- 
alterliche Burgruine  mit  zwei  Thürmen.  Wem  die  Stadt  ihre  Entstehung 
verdankt,  ist  unbekannt;  1376  wird  sie  (wie  Professor  Dr.  Jirecek  in  seinem 
Werke:  »Die  Handelsstrassen  und  Bergwerke  von  Serbien  und  Bosnien 
während  des  Mittelalters«,  Prag  1879,  angiebt)  zuerst  genannt,  wo  sie  bereits 
ein  lebhafter  Handelsplatz  war  und  eine  ragusanische  Ansiedlung  besass. 
Im  Jahre  1410  wird  Srebrenica  von  den  Ungarn  erobert.  141 1  — 1440 
ist  es  in  serbischem,  1440 — 1443  in  türkischem  Besitze  und  wird  1443 
wieder  von  den  Bosniern  eingenommen.  Dies  gab  jedoch  Veranlassung 
zu  einem  langen  Kriege  zwischen  Serbien  und  Bosnien  um  den  Besitz  des 
wichtigen  Bergwerksortes,  wobei  die  Stadt  durch  wiederholte  Eroberungen 
sehr  viel  zu  leiden  hatte.  Seit  141 7  bestand  in  dem  Silber,  Blei  und  Kupfer 
produzirenden  Srebrenica  (die  Silberstadt)  eine  Münzstätte.  Das  Franziskaner- 
kloster, einst  das  Hauptkloster  des  Ordens  und  mitten  in  der  Stadt  gelegen, 
erscheint  schon  1425  in  Ragusaner  Urkunden  und  wurde  1686  zerstört.  Von 
ihm  erhielt  die  bosnische  Kirchenprovinz  den  Namen  »Bosna  Argentina  . 
Ragusaner  gab  es  hier  noch  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts.  Im  An- 
fange des  16.  Jahrhunderts  ging  der  Bergbau  vollständig  ein.  Im  Jahre 
1881   wurde    der    alte  Bergbau    durch    die   Gewerkschaft   »Bosnia«   wieder 


Kopfleiste :      Vignette    auf    dem   Titelblatt    einer   Evangelien-Uebersetzung    aus    der    alten 
Bergwerksstadt  Olovo  von   1586,  gedruckt  in  Venedig  in  altkroatischer  Sprache. 


217      — 


erweckt  und  die  vorgenommenen  Detailstudien,  die  Untersuchung  der 
überall  vorhandenen  Schlackenhalden,  erbrachten  den  Nachweis,  dass  bei 
Srebrenica  ein  räumlich  ausgedehnter  und  sehr  lebhafter  Bergbau  betrieben 
worden  sei,  dessen  Mittelpunkt  sich  in  dem  heutigen  Dorfe  Gradina  befand. 
Hier  war  das  Centrum  unter  der  römischen  Kaiserzeit,  während  das  Dorf 
Sase  und  die  Stadt  Srebrenica  die  Hauptansiedlungen  der  Bergleute  des 
Mittelalters  waren. 

Zur  Kenntniss  der  alten  römischen  Ansiedlung  kam  man  ganz  zufällig 
durch  Münzen-  und  Inschriftenfunde.  Im  Jahre  1883  wurde  der  Bergmeister 
Ludwig  Pogatschnig,  der  die  Untersuchung  der  alten  Gruben  am  Kvarac 
leitete,  aufmerksam,  dass  in  Gradina  zur  Eindämmung  des  Wassergrabens 
bei  einer  [kleinen  Hausmühle  ein  kannelirter  Gesimsstein  verwendet  war, 
den  der  Mühlenbesitzer  einem  in  der  Nähe  gelegenen  Steinhaufen  ent- 
nommen hatte.  Bei  weiterer  Umschau  fand  er  Bruchstücke  eines  Inschrift- 
steines, die  zusammengestellt  eine  Ära  mit  folgender  theilweise  verstümmelter 
Inschrift  ergaben: 

»I(ovi)  o(ptimo)  m(aximo)  et  Genio  loc(i)  pro  salute  imp(eratoris)  M(arci) 
A(ntonii)  Gor(diani)  Pii  Fel(icis)  Aug(usti)  n(ostri)  .  .  .  tus  v(ir)  e(gregius)  proc(urator) 
eius   devotus  numini  ruaiestatique  eius.« 

Gelegentlich  der  Vorarbeiten  für  eine  Freifahrung  der  grossen  Blei- 
schlackenhalde in  Gradina  entdeckte  der  Bergmeister  1884  einen  Denkstein 
von  hohem  archäologischen  Werthe.  Derselbe  bildet  einen  Würfel  von 
1,14  m  Höhe,  0,69  m  Breite  und  0,45  m  Dicke.  Die  Schriftfläche  ist  von 
einem  einfach  profilirten  Rahmen  eingefasst  und  lautet  nach  der  Lesung 
des  Professors  Dr.  v.  Domaszewski: 

»L.  Domitio  .  .  Eroti  viro  ex  equestribus  turmis  egregio  procuratori  metallorum 
Pannoniorum  et  Delmatiorium,  mirae  integritatis  et  bonitatis  M.  Aur.  Rusticus  v.  e. 
ducenarius  amico   praestantissimo«. 

Der  Stein  ist  demnach  ein  Ehrendenkmal  des  Lucius  Domitius  Eros, 
procurator  metallorum  Pannoniorum  et  Delmatiorum.  Domitius  war  nach 
dem  angeführten  Titel  der  oberste  Leiter  der  Bergbaue  von  ganz  Dalmatien 
und  Pannonien,  d.  h.  der  heutigen  Länder  Dalmatien,  Bosnien  und  des 
Landes  westlich  der  Donau  vom  Einflüsse  der  Theiss  bis  an  den  Wiener- 
wald, dann  der  östlichen  Theile  von  Steiermark  und  Krain.  Es  muss  so- 
mit Srebrenica  während  der  römischen  Kaiserzeit  ein  Hauptpunkt  des  Berg- 
baues in  diesem  ausgedehnten  Gebiete  gewesen  sein.  Nun  galt  es  aber,  die 
genaue  Lage  der  römischen  Niederlassung  selbst  zu  entdecken.  Die  Gewerk- 
schaft »Bosnia«  liess  durch  Monate  Grabungen  in  Gradina  veranstalten,  und 
da  stiess  man  bald  auf  ein  Mauerfundament,  das  an  einigen  Stellen  bis  zu 
2  72  m  unter  der  Grasdecke  lag.  Es  wurden  die  Umrisse  eines  rechteckigen 
Gebäudes  von  51  m  Länge  und  19,5  m  Breite  aufgeschlossen,  dessen  Haupt- 
front  gegen    Norden   gerichtet    war    und   welches   an   der  Südseite  in  der 

—    218    — 


Mitte  eine  halbrunde  Apsis  und  an  jeder  Seite  derselben  einen  recht- 
eckigen Anbau  besass.  Aus  der  Form  des  Mauerwerkes  konnte  man 
ferner  ersehen,  dass  an  der  Westseite  des  Gebäudes  ein  späterer  Zubau 
vorgenommen  wurde,  welcher  die  ursprüngliche  Symmetrie  des  Ganzen 
störte.  Der  Bau  bedeckt  eine  Fläche  von  910  qm  und  besitzt  drei  Ein- 
gänge, nämlich  ein  breites  Thor  an  der  nördlichen  Hauptfront  und  zwei 
schmale  Thüren  an  der  Südseite.  Man  fand  bei  der  weiteren  Grabung 
zwei  grosse  Inschriftsteine,  die  zum  ersten  Male  den  Namen  des  alten 
römischen  Municipiums  erkennen  liessen: 

»Imp.  Caes.  M.  Aurel.  Severo  Alexandro  pio  fei.  invicto  Aug.  pont.  max. 
trib.  pol.  X.  pat.  p.  cos  I  indulgentissimo  prineipi  ordo  raun.  Dom.  d.  d.  p.  p. 
dedicante  Jul.  Tacitiano  v.  e.  proc.  Aug.  n.  numini  eius  devotissimo  et 
dicatissimo«. 

»Juliae    Mamaeae    Aug.    matri   Imp.    Caes.    M.  Aur.    Severi  Alexandri    pii  fei. 
invic.  Aug.  et  cast.  et  Senat  ac  patr.  ordo  mun.  Domav.  d.  d.  p.  p.  dedicante  Jul. 
Tacitiano  v.  e.  proc.  Aug.  (n.)  devotissimo  numini  eorum«. 
Es    sind    dies   zwei  Ehrensteine   des   Kaisers  Alexander   Severus    und 
seiner  Mutter  Julia  Mammaea,  errichtet  von  dem  Municipium  Domav.  .  .  aus 
öffentlichen    Geldern   und   geweiht   von    dem   Prokurator  Julius   Tacitianus, 
welcher  wahrscheinlich  Prokurator   der  Bergwerke   war.     Stellenweise   sind 
die  Inschriften   dieser  zwei  Steine    durch    nachträgliche  Ausmeisselung   un- 
deutlich geworden,  und  es  mag   diese  Verstümmelung   im  Jahre  235   nach 
dem    Sturze     des    Kaisers    Alexander    Severus     durch     seinen    Nachfolger 
Maximus  erfolgt  sein,    zu  welcher  Zeit  nach  römischem  Brauche  alle  dem 
Ersteren    geweihten   Denkmale    umgestürzt    werden    mussten.       Der    Fund 
dieser  zwei  Steine  war  wichtig,    weil    aus  ihnen    sich  der  Name  des  Muni- 
cipiums, wahrscheinlich  Domavia,   ergab,  das  bis  dahin  gänzlich  unbekannt 
war.      Man    fand   noch    eine    12  cm  hohe,    gut  erhaltene  Broncestatue  der 
Venus  sammt  dem   dazu  gehörigen  Postament  aus  Bronce.     An  der  Statue 
sah  man  Stellen,  wo  noch  der  Formsand  angebrannt  war  und  am  Postamente 
solche,    welche    nicht   gut   ausgelaufen   waren.      Es   hatte    daher    den    An- 
schein, dass  diese  beiden  Gussstücke  als  Ausschuss  verworfen  worden  seien, 
und    Bergmeister   Pogatschnig    schloss   daraus,    dass    entweder   in    dem    ge- 
öffneten Gebäude  selbst  oder  in  dessen  nächster  Nähe  eine  Metallgiesserei 
beziehungsweise  eine  Hütte  bestanden  habe.    Westlich  vom  Haupteingange 
stiess   man    auf  einen   Bleikuchen    im    Gewichte   von    6700  g,    auf    dessen 
Oberfläche  die  Zahl  XX  eingeschlagen  stand,  offenbar  jene  Form,  in  welcher 
die    römische   Hütte   in   Domavia    das   Blei    zur   Versendung   brachte.     Die 
Zahl  XX  bedeutet  wahrscheinlich  20  römische  Pfunde  und  dürfte  dies  das 
Normalgewicht  für  die  Bergwerksprodukte  gewesen  sein.     Zwanzig  römische 
librae  entsprechen  zwar  nur  einem   Gewichte  von  6549  g,    aber  das  kleine 
Uebergewicht  des  Kuchens  von    151g  dürfte  theils  auf  eine  Ungenauigkeit 
der  Gussform,    theils  auf  die  Oxydation  des  Bleies   an    der  Oberfläche  zu- 


219    — 


Stadtansicht    von    Srebrenica. 

rückzuführen  sein.  Ausserdem  wurden  Münzen,  die  bis  zum  Jahre  340 
reichen  und  sonstige  Gegenstände  in  reicher  Zahl  gefunden,  sodass  der 
Beweis  erbracht  war,  man  habe  hier  eine  bedeutende  römische  Bergwerks- 
stadt entdeckt. 

Erst  im  Jahre  1890  ermöglichte  die  bosnische  Landesregierung  durch 
Bewilligung  von  Geldmitteln  die  Fortsetzung  der  Ausgrabungen  in  Gradina 
in  grösserem  Umfange,  und  wurde  Bergrath  Radimsky  mit  der  Leitung 
der  Arbeiten  betraut.  Vor  allem  war  es  nöthig,  einen  Ueberblick  des 
Umfanges  der  alten  römischen  Ansiedlung  zu  erhalten,  was  natürlich,  da 
das  Terrain  bebaut  war,  nur  mit  grosser  Vorsicht  und  Geduld  zu  erreichen 
war.  Im  Osten  und  Südosten  des  sogenannten  Grad  wurden  ausgedehnte 
römische  Gebäuderuinen  entdeckt  und  auf  einem  Plateau  am  rechten  LTfer 
des  Sa^ebaches,  unweit  von  seinem  Zusammenflusse  mit  dem  Majdanski 
Potok,  ein  Rechteck  von  etwa  2500  Quadratmetern  PTäche,  an  dessen 
Umfan^v  häufiges  Mauerwerk  mit  dem  ziegelgemischten  römischen  Mörtel 
beobachtet  werden  konnte  und  in  dem  ein  römisches  Castrum  vermuthet 
wurde.  Im  Jahre  1891  wurden  weitere  Ruinenhügel  sowohl  in  den  Thälern 
de-  Majdan-  und  Sasebaches,  als  auch  auf  der  Anhöhe,  welche  das  heutige 
Dorf  Gradina  trägt,  entdeckt,  und  eine  Aufnahme  aller  dieser  Punkte  er- 
gab einen  vollständigen   Plan  der  Römerstadt  Domavia. 


—     220 


Es  war  ein  wundervoller  Septembermittag,  als  wir  von  Srebrenica  aus 
die  Fahrt  nach  Domavia  antraten.  Der  Weg  fuhrt  auf  der  Strasse  liegen 
Ljubovija  fast  anderthalb  Stunden,  dann  zweigt  er  rechts  ab  und  fuhrt 
in  schnurgerader  Richtung  zwischen  gut  bebauten  Feldern  zu  einem  Ihm  und 
mehreren  Häusern,  wo  der  Wagen  stehen  gelassen  und  der  Weg  zu  Fuss 
angetreten  werden  musste.  .Anfangs  zwischen  prächtigen  saftigen  Wiesen, 
an  einigen  Bogomilensteinen  vorbei,  führt  er  dann  an  den  Abhängen  des 
Kvarac  entlang,  alle  Augenblicke  einen  Bach  kreuzend,  der  entweder  auf 
einem  Baumstämme  überschritten  oder  durchwatet  werden  muss.  Soviel 
ist  gewiss,  dass  der  etwa  fünfviertelstündige  Weg  nach  Gradina  an  Bequem- 
lichkeit viel  zu  wünschen  übrig  lässt  und  dass  nach  dem  alten  Domavia 
einst  eine  bessere  Strasse  geführt  haben  muss.  Die  Gegend  selbst  aber 
ist  wunderschön;  überall  dunkle  Laubwälder,  üppige  Matten  und.  wo  sich 
ein  Fernblick  bietet,  die  Aussicht  auf  die  Höhenzüge  an  der  Drina  und 
die  in  dunklen  Tinten  sich  abhebenden  serbischen  Grenzgebirge.  Bald 
konnten  wir  unseren  Fuss  auf  den  Boden  Domavias  setzen,  das  gänzlich 
verschollen  war,  dessen  Namen  keine  Geschichte  nennt,  wenn  nicht  jetzt 
die  Steine  selbst  für  sein  einstiges  Bestehen  Zeugniss  ablegen  würden. 
Die  Erhöhung  zum  alten  Castrum  hinansteigend,  begrüsste  eine  junge 
Bäuerin  unsern  Begleiter,  Herrn  Bergverwalter  Kolb,  der  ihr  wohl  bekannt 
war,  und  sie  versprach,  uns  bald  Kaffee  dorthin  zu  bringen,  wo  ernst  die 
alten  Römer  sich  dem  dolee  far  niente  hingegeben:  nach  den  Ruinen  des 
Bades.  Dort  begrüsste  uns  der  heutige  Leiter  der  Ausgrabungen,  Herr 
Worliczek,  der  uns  bald  als  sachkundiger  Führer  diente.  Die  öffentlichen 
Gebäude,  die  Curia,  das  Tribunalsgebäude,  die  öffentlichen  Bäder  sind 
vollkommen  freigelegt,  und  das  Hypocaustum  —  die  grosse  Heizanlage 
ist  vorzüglich  erhalten.  Man  wandert  heute  in  den  Strassen  der  alten  Stadt, 
die  Umrisse  der  Gebäude  sieht  das  Auge,  das  Ganze  selbst  muss  die 
Phantasie  gestalten. 

Wann  Domavia  zerstört  wurde,  erzählt  keine  Chronik;  dass  es  nach 
340  geschah,  bezeugen  die  gefundenen  Münzen.  Gründlich  war  die  Zer- 
störung jedenfalls,  denn  die  Ausbeute  an  kleineren  Funden,  an  Metall- 
objekten ist  nur  gering.  Entweder  haben  sich  die  römischen  Provinzialen 
vor  den  andringenden  Barbaren,  den  Avaren  und  später  den  Gothen, 
freiwillig  zurückgezogen,  und  dann  nahmen  sie  sicher  ihr  bewegliches 
Eigenthum,  namentlich  ihre  Habe  an  Metallgegenständen  soweit  als  mög- 
lich mit,  oder  sie  wurden  von  den  Feinden  mit  Gewalt  verdrängt.  Im 
letzteren  Falle  folgte  zweifellos  eine  vollständige  Ausraubung  und  Zer- 
störung der  Gebäude.  Wie  in  Domavia  gewüthet  wurde,  zeigen  die  sämmt- 
lich  umgestürzten  und  theilweise  zerschlagenen  Ehrensteine  in  der  Curia, 
von  welchen  der  des  Kaisers  Septimus  Severus  sogar  in  seinen  Bruch- 
stücken   aus    verschiedenen   Räumlichkeiten    des    Gebäudes   zusammen  ge- 


sucht  werden  musste.  Auch  die  vielen,  aber  sämmtlich  kleinen  Fragmente 
der  lebensgrossen  Broncestatue,  die  auf  dem  Piedestale  der  Apsis  stand, 
sprechen  für  einen  gewaltsamen  Untergang.  Der  Schwerpunkt  der  er- 
zielten Resultate  liegt  darin,  dass  der  Bestand  und  die  Ausdehnung  einer 
unbekannten  römischen  Bergwerksstadt  in  Gradina  nachgewiesen  ist,  welche 
eine  Burg,  sowie  eine  Ober-  und  eine  Unterstadt  besass.  Unter  den  bis- 
her gefundenen  Inschriftsteinen,  wovon  6  leider  nur  in  Fragmenten  erhalten 
sind,  finden  sich  zwei  Aren,  deren  eine  dem  Jupiter  und  der  Juno,  die 
andere  dem  Jupiter  und  dem  Genius  des  Ortes  geweiht  war,  6  Ehrensteine 
von   Kaisern   und  deren  Verwandten,    2  Ehrensteine  von  kaiserlichen  Pro- 


Ockerfabrik    in    Srebrenica. 

kuratoren,  2  Steine,  die  sich  auf  die  Wasserversorgung  und  eine  Restau- 
rirung  der  öffentlichen  Bäder  beziehen,  endlich  ein  Grabstein.  Ferner  sind 
die  Namen  von  sieben  hohen  Würdenträgern  bekannt  geworden:  Marianus 
Julianus,  procurator  Augusti;  L.  Domitius  Eros,  procurator  metallorum 
Pannoniorum  et  Delmatiorum;  M.  Aurelius  Rusticus,  Ducennarius;  Julius 
Tacitianus,  procurator  Augusti;  C.  Julius  Silvianus  Melanio,  procurator 
Augusti;  Valerius  Super,  procurator  argentariarum;  Aurelius  Verecundus, 
procurator  argentariarum.  Den  Funden  in  Domavia,  die  sich  jetzt  grössten- 
theils  im  Museum  in  Sarajevo  befinden,  ist  daher  eine  besondere  Wichtig- 
keit beizumessen  und  die  fortgesetzten  Ausgrabungen  dürften  noch  manche 
Ueberraschung  bringen. 

Und  als  die  Barbaren  über  Domavia  dahingebraust  waren,  herrschte 
Jahrhunderte  lang  Stille  auf  der  Stätte  des  einst  so  grossen  Verkehres.  Auf 
den  Ruinen  wuchs  Gras,  es  wuchs  Wald,  und  schliesslich  verdeckte  eine 
Wildniss  die  Bergwerksstadt.  Aber  selbst  in  den  Zeiten  der  steten  Völker- 
wanderungen,   in    denen   Bosnien   unzählige  Male    verheert   wurde,  bis  sich 


—       222       


schliesslich  die  Stämme  der  Kroaten  und  Serben  festsetzten,  muss  sich 
die  Tradition  von  Mineralschätzen  erhalten  haben.  Ein  halbes  Jahrtausend 
nach  der  Vernichtung  Domavias  lassen  die  bosnischen  Baue  wieder  schürfen 
am  Kvarac  und  um  Srebrenica.  Sie  trafen  nicht  die  alten  Stellen,  aber 
es  ist  nur  ein  Zufall,  dass  nicht  sie  bereits  wieder  Domavia  entdeckten. 
Deutsche  Bergleute  waren  es  hauptsächlich,  die  in  jener  Zeit  des  Mittel- 
alters dem  bosnischen  Bergbauc  ihre  Dienste  widmeten.  Sachsen  sind  es 
gewesen,  und  der  Name  des  heutigen  Ortes  »Sase«  (Sachse)  hat  ihr  Ge- 
dächtniss  bewahrt.  Sie  kamen  theils  aus  Siebenbürgen,  theils  aus  der 
Gegend  von  Freiberg  in  Sachsen,  wenigstens  ist  eine  Urkunde  erhalten,  in 
welcher  von  dort  gekommenen  Bergleuten  besondere  Vergünstigungen 
zugestanden  werden.  Ebenso  jwaren  sächsische  Bergwerksansiedlungen  in 
Olovo,  wo  auf  Blei  geschürft  wurde,   entstanden. 

Da  kam  die  Eroberung  des  Landes  durch  die  Osmanen.  Der  Berg- 
bau schlief  ein,  und  immer  stiller  wurde  es  in  dem  schönen  Winkel  zwischen 
Drina  und  Jadar.  Nicht  einmal  die  Kriegsunruhen  belästigten  dieses  Ge- 
biet. Es  lag  abseits  von  der  grossen  Heerstrasse  und  in  den  Wäldern 
suchte  man  weder  Schätze,  noch  die  Nachkommen  der  alten  Bergleute,  die 
ohnedies  kein  Metall  mehr  verborgen  [hatten.  Nur  Schlackenhalden  er- 
zählten von  der  alten  gewerbsreichen  Zeit,  und  als  die  neue  Aera  anbrach, 
als  Oesterreich-Ungarn  Bosnien  zu  einer  neuen  Auferstehung  verhalf,  da 
erstanden  auch  die  Bergwerke  von  Srebrenica  aus  ihrem  halbtausend- 
jährigen  Schlafe.  Die  Ausbeute  lohnte  sich  aber  nicht;  der  Betrieb  wurde 
nach  mehrjährigen  Bemühungen  wieder  eingestellt  und  nur  die  staatliche 
Ockerfabrik  liefert  ein  gutes  Erträgniss. 

Dafür  hat  aber  Srebrenica  durch  ein  anderes  flüssiges  Produkt  seiner 
Berge  einen  Weltruf  gewonnen,  durch  das  Wasser  der  Guberquelle.  Früh 
Morgens  war  es,  als  wir  uns  von  der  Stadt  aus  auf  den  Weg  machten, 
um  eine  der  interessantesten  neuen  Anlagen  in  Bosnien  zu  besichtigen. 
In  südlicher  Richtung  führt  eine  gutgebaute  Fahrstrasse,  immer  bergan 
steigend,  durch  eine  entzückende  Waldlandschaft  nach  der  Heilquelle  des 
Crni  Guber,  des  einzigen  natürlichen  arsen-eisenhaltigen  Wassers  in 
Europa.  Immer  zur  Rechten  den  Gebirgsbach,  zur  Linken  den  West- 
abhang der  Ausläufer  des  Kvarac,  zieht  sich  der  Weg  etwa  3/i  Stunden 
zu  Fuss  in  einen  förmlichen  Gebirgskessel,  der,  von  drei  Seiten  durch  steile 
Hänge  umschlossen,  ein  massiges  Plateau  von  überraschender  Lieblichkeit 
bildet.  Die  üppigste  Waldvegetation,  von  der  jungen  Birke  bis  zur  viel- 
hundertjährigen Buche  und  Eiche,  entzückt  das  Auge,  und  in  das  Rauschen 
der  Waldriesen  mischt  sich  das  leise  Flüstern  der  Tannen  und  Fichten, 
die  einen  berauschenden  bruststärkenden  Wohlgeruch  ausströmen.  Im 
Waldteppich  aber,  ganz  im  Gegensatze  zum  sonstigen  bosnischen  Urwald, 
eine   Fülle    der  schönsten  Blumen   in  allen  Farben,   von  der  Erica  bis  zur 


223     — 


Crni    G  über  quelle    bei    Srebrenica. 


Genziana.  Darüber  eine  leuchtende  Sonne,  Vogelgezwitscher  von  allen 
Zweigen.  Und  in  dieser  das  Herz  berückenden  Gegend  erhebt  sich  eine 
Reihe  von  Gebäuden,  die  eine  grosse  Kuranstalt  darstellen.  Hoch  oben 
am  Berge  befindet  sich  die  Arsenquelle,  die  nach  dem  Füllhause  geleitet 
ist,  von  wo  das  Wasser  zur  Versendung  nach  Europa  gelangt.  In  langen 
Sälen  wird  von  unzähligen  einheimischen  Mädchen,  Frauen  und  auch 
Männern  gearbeitet.  Hier  werden  nur  Flaschen  mit  besonderen  Apparaten 
gespült,  dort  wird  das  Wasser  gefüllt,  jede  Flasche  genau  geprüft  und, 
falls  das  Wasser  nicht  Krystallklarheit  zeigt,  zurückgestellt.  In  einem 
anderen  Saale  wird  nur  etikettirt,  eingepackt  und  schliesslich  Kisten  zur 
Versendung  bereit  gemacht.  Es  ist  ein  grossartiges  Fabriksunternehmen, 
und  wenn  man  erwägt,  dass  schon  jetzt  eine  Million  Flaschen  des  segen- 
bringenden Wassers  zur  Versendung  gelangt,  das  grossentheils  durch  die 
bekannte  Firma  Heinrich  Mattoni  (Wien,  Karlsbad,  Franzensbad)  bis  in 
die  entferntesten  Gegenden,  hauptsächlich  auch  nach  Amerika,  England. 
Dänemark,  Holland  und  Schweden,  verschickt  wird,  lässt  sich  leicht  er- 
messen,  welche  Zukunft  dieser  Quelle  noch  beschieden  ist. 

1  )as  Guberwasser  enthält  nach  der  vom  k.  k.  Professor  der  medi- 
cinischen  Chemie  und  k.  k.  Obersanitätsrathe  Dr.  Ernst  Ludwig  in  Wien 
vorgenommenen    chemischen    Analyse    in     10000   Theilen:     Chlornatrium 


—    224 


0,017,  schwefelsaures  Kalium  0,166,  schwefelsaures  Natrium  0,037,  schwefel- 
saures Calcium  0,209,  schwefelsaures  Magnesium  0,219,  schwefelsaures 
Eisenoxydul  3,734,  schwefelsaures  Mangan  0,009,  schwefelsaures  Zink 
0,078,  schwefelsaures  Aluminium  2,277,  freie  Schwefelsaure  0,093,  säur. 
phosphorsaures  Calcium  0,010,  Arseniksäureanhydrid  0,061,  Kiesel- 
säureanhydrid 0,648,  Lithium,  Kupfer-Spuren,  organische  Substanzen  0,074. 
Summe  der  festen  Bestandtheile  7,539.  Gebraucht  wird  das  Wasser  gegen 
Krankheiten,  die  auf  abnormer  Zusammensetzung  des  Blutes  beruhen 
(Anämie,  Chlorose);  Schwächezustände  nach  erschöpfenden  Krankheiten, 
ferner  Malaria,  Wechselfieber  und  den- 
selben folgenden  Kachexien;  Krank- 
heiten des  weiblichen  Genitaltraktes 
und  deren  Folgezustände;  Hautkrank- 
heiten; Nervenkrankheiten;  gewisse 
Formen  von  Neubildungen  (Lym- 
phome). 

Hat  nun  die  Brunnenanstalt  Crni- 
Gubcr  schon  jetzt  eine  grossartige 
Bedeutung  erlangt,  so  miisste  dieselbe 
noch  mehr  wachsen  und  sie  könnte 
Srebrenica  zu  einem  bedeutenden  Kur- 
orte machen,  wenn  der  Brunnen  direkt 
als  Trinkquelle  eingerichtet  würde.  In 
dieser  idyllischen  Gegend  würde  bald 
Leib  und  Herz  des  Kranken  gesunden, 
Srebrenica  aber  könnte  jenen  Auf- 
schwung nehmen,  den  es  seiner  Lage 
nach  in  jeder  Weise  verdient.  Aller- 
dings ist  dies  Zukunftsmusik,  denn  heute 
ist  die  Verbindung  noch  zu  beschwerlich. 
Erst  wenn  von  Brcka  an  der  Save  die 

Bahn  nach  Tuzla,  von  dort  eine  Zweigbahn  nach  Zwornik  geführt  würde,  wäre 
ein  solcher  Plan  zu  realisiren  oder  wenn  die  Regulirung  der  Drina 
einen  beständigen  Dampferverkehr  nach  Zwornik  oder  besser  nach  Ljubovija 
ermöglichte.  Die  bosnische  Landesregierung  hat  schon  so  viel  unmöglich 
Scheinendes  in  Thatsachen  übersetzt,  dass  wir  auch  der  obigen  Idee  die 
Verwirklichung  nicht  absprechen.  Wie  sagte  doch  ein  Gendarm  auf  einem 
einsamen  Gebirgsposten:  »Gott  und  unserer  Landesregierung  ist  nichts  un- 
möglich!« Nach  unseren  Erfahrungen  im  Lande  sind  wir  derselben  Ueber- 
zeugung,  daher  wünschen  wir  Srebrenica,  dass  es  bald  ein  besuchter  Kurort  sei. 
Die  heutige  kleine  Stadt  hat  etwas  an  sich,  das  sich  ins  Her/, 
schmeichelt.     Nicht   die   pittoreske  Lage   allein    macht  dies,    sondern  auch 

15 


Bosnischer    Mohammedaner. 


225 


die  Eigenart  ihrer  Bewohner,  die  ausserordentlich  zuthunlich  sind.  Für 
uns  fand  sich  eine  wundervolle  Oase  im  Gasthause  Edbauer  im  »Kegelklub«, 
dem  Kasinozimmer.  Es  ist  nur  ein  einziger  kleiner  Raum  und  Abends  sitzen 
die  Beamten,  Offiziere  und  Fremden  ziemlich  dicht  gedrängt,  aber  selten 
werden  sich  auf  so  beschränktem  Räume  so  viel  Gemüthlichkeit,  Humor,  Witz 
und  dabei  Verstand  zusammenfinden,  als  hier.  Die  Bierverhältnisse  könnten 
freilich  bessere  sein,  aber  wenn  Aktienbier  aus  Sarajevo  ankommt,  ist  Jeder- 
mann doppelt  vergnügt.  Die  Stadt  selbst  ist  nett  und  reinlich.  Ein  grosses 
Spital,  das  aber  damals  noch  keinen  Kranken  hatte,  grüsst  am  Eingange 
des  Ortes.  Eine  stattliche  serbische  Kirche  würde  einen  weit  besseren 
Eindruck  machen,  wenn  auf  dem  rings  um  sie  gelegenen  Friedhofe  die 
Grabkreuze  nicht  den  geschmacklosen  Schmuck  der  nationalen  serbischen 
Bänder  (blauweissroth)  tragen  würden.  Ein  hübscher  neuer  Konak  als 
Amtsgebäude    und    eine  Schule    vervollständigen    das  Bild    der  Gegenwart. 


J  4  m  e 


Schlussvignette:    Denkstein   »Angjelia«    bei  Oprasic. 


m 


Nach  Zwornik. 

Avdi  Beg  hatte  seinen  Wagen  zur 
#y  Fahrt  nach  Zwornik  gesandt.  Es  war  eine 
wirkliche  Kalesche,  nur  über  alle  Maassen 
verwahrlost.  Dafür  waren  Pferde  und 
Kutscher  um  so  besser.  Fs  war  ungefähr 
6l/i  Uhr  früh;  dichter  Xebel  lag  über 
der  Gegend  und  der  Herbst  hatte  schon 
stark  seinen  Einzug  gehalten.  Noch  ein 
Winken,  ein  letztes  »S  Bogom!«  (Mit 
Gott!)  die  Pferde  ziehen  an,  wir  sind 
wieder  auf  der  Landstrasse.  P"s  geht  den- 
selben Weg  nach  Ljubovija  zurück,  den 
wir  bei  der  Fahrt  nach  Srebrenica  verfolgt 
haben,  nur  ist  es  Sonntag  und  überall  wan- 
dern Bauern  und  Bäuerinnen  im  Sonntagsschmuck  zur  Kirche.  Bald  ist 
Ljubovija  erreicht,  —  ein  Gruss  hinauf  zur  Gendarmerie-Kaserne  und  dann 
weiter.  Da  erscheint  die  Sonne  über  den  Kuppen  der  Azbuka,  mit  goldenem 
Scheine  den  weiten  Wasserspiegel  der  Drina  vergoldend.  »Drina  voda 
zeleni«  (grünes  Wasser  der  Drina)  heisst  es  im  serbischen  Liede,  und 
wirklich  glänzt  es  im  Strahle  der  Morgensonne  wie  Smaragd.  Es  ist  eine 
genussreiche  Fahrt,  und  stellenweise  könnte  man  sich  in  Madagaskar 
glauben.  Ganze  Wälder  von  Farrenkraut  stehen  in  den  Lehnen  längs  der 
Strasse.  Das  ist  nicht  unsere  heimische  bescheidene  Pflanze,  das  sind 
förmliche  Bäume,  manneshoch,  wie  aus  vergangenen  Weltperioden  übrig- 
geblieben. Es  ist  ein  imposanter  Anblick,  der  sich  dem  Gedächtniss  un- 
auslöschlich einprägt.  Dann  kommen  gut  bestellte  Tabakfelder,  Häuser  auf 
beiden  Ufern.  Lud  wie  auf  bosnischer  Seite  auf  wohlgepflegter  Fahrstrasse 
unser  Wagen  dahinrollt,   verfolgen  auf  -erbischer  Seite  landesübliche  Bauern- 

15* 


Pin us   Leuco  der  m  is. 

(Antoine.) 


—       227 


wagen  ein  gleiches  Ziel,  wahrscheinlich  das  bis  zum  Berliner  Vertrage  in 
türkischem  Besitz  befindliche  Mali-Zwornik,  das  letzte  Zwinguri  auf  serbischem 
Boden. 

In  Drinaca,  am  Einflüsse  des  durch  die  Drinaca  verstärkten  Jadar  in 
die  Drina,  wird  Halt  gemacht.  Ein  hübsches  Wirthshaus  nimmt  uns  in 
seine  gastlichen  Schankräume  auf.  Hier  treffen  wir  das,  was  jetzt  in  ganz 
Europa  äusserst  modern  geworden  ist:  »nothleidende  Eandwirthe«.  Türkische 
Grundbesitzer  klagen  über  die  niedrigen  Zwetschkenpreise!  Da  die  Menge 
den  Preisausfall  deckt,  haben  wir  kein  Mitleid;  wir  besichtigen  den  im  Auf- 
schwung begriffenen  Ort  mit  seiner  Gendarmerie-  und  Finanzkaserne,  und 
dann  geht  es  über  die  Drinacabrücke  nach  Zwornik  weiter.     Immer  pitto- 


Brücke   über   die    Drinaca. 

resker  wird  die  Gegend;  wundervolle  Felspartien  zeigen  sich  auf  beiden 
Utern  des  Flusses;  überall  Grün,  überall  Wald  und  Obstgärten.  Da  plötzlich 
bei  einer  Biegung  des  Weges  öffnet  sich  ein  Blick  auf  unser  heutiges 
Ziel.  Auf  hohem  Felsen  liegt  die  alte  Feste  Zwornik,  drohend  nach 
dem  serbischen  Ufer.  Und  dort  ganz  friedlich  Klein-Zwornik  und  Sakkar 
inmitten  von  Gärten  mit  drei  Moscheen,  den  einzigen  (ausser  Belgrad) 
im  eigentlichen  Königreich  Serbien.  Hohe  Thore  führen  durch  die 
Festung  in  die  wirkliche  Stadt  Zwornik,  die  nach  einem  Brande  fast  ganz 
neu  erbaut  ist.  Vor  dem  »Hotel  zur  Stadt  Wien«,  einem  wahren  Pracht- 
bau, halten  wir.  Bald  befinden  wir  uns  in  mit  Teppichen  belegten  Räumen, 
wie  sie  die  europäischen  Grossstädte  nicht  besser  bieten,  wir  sitzen  dann 
in  einer  Restauration  ganz  wie  in  Wien,  deutsch  ist  die  Bedienung,  und 
wenn  nicht  ein  Blick  auf  die  Strasse  uns  zeigen  würde,  dass  wir  in 
Bosnien  sind,  konnten  wir  nicht  glauben,  uns  in  einer  alten  türkischen 
Festung  zu  befinden,   die  einstmals  kaum  die  bescheidenste  Unterkunft  bot. 


—    22S 


Z w o r ni k ,    am    Eingang   v o  m    Thor 
aus    gesehen. 


Zwornik  zählt  etwas  über 

3000  Bewohner,  ist  aber  ein 

ungemein    betriebsamer 

und     lebhafter     Ort. 

Die    Stadt     zieht 

sich  langgestreckt 

zwischen  dem 
steilen  Gebirge 
und  der  Drina 
hin.  Ihre  I  ,age  ist 
prachtvoll.  Wie 
erwähnt,  liegt  am 
Südende  der  Stadt  die 
eigentliche  Festung,  welche 
die  Wegenge  vollständig  ab- 
sperrt und  durch  Thürme  und 
Schutzmauern  mit  der  nahezu 
senkrecht  über  ihr  auf  einer  Spitze 
des  Velavnik  emporragenden  Cita- 
delle  verbunden  ist.  Dieser66oFuss 
hohe  Punkt  muss  erklommen  wer- 
den, wenn  man  die  Lage  Zworniks 
in  ihrer  ganzen  Romantik  gemessen  will.  Hinter  uns  kahles  Gebirge,  über 
welches  der  Weg  nach  Tuzla  führt.  Nach  vorn  schweift  der  Blick  über 
nahezu  senkrecht  abfallende  Festungsmauern  und  dringt  in  die  eigentliche, 
die  WTegenge  absperrende  Burg,  von  welcher  sich  flussabwärts  in  langer 
Linie  die  Stadt  hinzieht.  Vor  uns  aber  das  silberne  Band  der  Drina,  darüber 
hinaus  unter  den  serbischen  Bergen  Mali-Zwornik. 

Heute  haben  die  Festungsbauten  Zworniks  wenig  Bedeutung,  aber  in 
ihrem  mittelalterlichen  Zustande  wohl  erhalten,  bieten  sie  ein  interessantes 
Bild  der  damaligen  Befestigungskunst.  Ehemals  war  Zwornik  allerdings 
der  Schlüssel  zu  diesem  ganzen  Theile  des  Landes.  Nach  der  türkischen 
Besetzung  wurde  es  von  kaiserlichen  Heeren  wiederholt  belagert.  Im  Jahre 
1688  durch  Ludwig,  Markgraf  von  Baden,  eingenommen,  wurde  es  1689 
von  den  Türken  wieder  zurückerobert.  Im  Jahre  17 17  erlitt  General 
Petrasch  hier  eine  schwere  Niederlage.  Mehr  als  1000  Mann  fielen,  300 
geriethen  in  Gefangenschaft,  und  auch  diese  liess  Osman  Pascha  Küprüli 
über  die  Klinge  springen.  In  der  Burg  Zwornik  blieb  aus  dieser  Zeit  bis 
heute  eine  österreichische  Kanone,  die  nun  ihren  alten  Herren  wieder- 
gegeben ist. 

Alte  Sagen  umrauschen  die  verwitterten  Mauern  der  Burg  Zwornik, 
und  besonders  ein  Bild  ist  es,   das  den  Kenner  der  bosnischen  Geschichte 


nicht  verlässt,  wenn  er  von  hier  auf  das  Wasser  der  Drina  schaut.  Eine 
rothe  Marmortafel  in  den  Mauern  der  Burg,  auf  der  sich  eine  Frauen- 
gestalt und  eine  unleserlich  gewordene  altbosnische  Inschrift  befinden,  er- 
innert an  die  schönste  Herrin  von  Zwornik,  an  Jelena,  die  im  Volks- 
munde nur  »Prokleta  Jelena«   (die  verfluchte  Helene)  genannt  wird.     Es  ist 

eine  wilde  Geschichte, 
die  Milena  Mrazovic  in 
ihrem  »Selam«  (Berlin, 
Deutsche  Schriftsteller- 
genossenschaft) zu  einer 
wirkungsvollen  Novelle 
verarbeitet  hat.    Jelena 
regierte  angeblich  allein 
auf  Burg  Zwornik,    als 
Bosnien    noch    immer 
den  Zankapfel  zwischen 
Ungarn,    Serbien    und 
den    bosnischen  Theil- 
fürsten  bildete.  Sie  war 
weit  und  breit  berühmt 
wegen  ihrer  Schönheit 
und  ihresjungfräulichen 
Stolzes,  der  jeden  Freier 
abwies.      Drei    Brüder 
des  edlen  Vuk  Jugovic 
irrten  bereits  aufweiten 
Abenteurerzügen  im 
Schmerze     über     ihre 
hoffnungslose  Liebe  zu 
der    Burgherrin,      und 
Vuk  Jugovic  selbst  — 
der  Held  —  verweilte 
lange   Nächte   am  jen- 
seitigen Ufer  der  Drina, 
schmachtende      Blicke 
hinübersendend  auf  die 
( rärten  der  bosnischen  Semiramis,  die  sich,  von  starken  Mauern  umgeben,  auf 
senkrecht  in  die  Drina  abfallenden  Felsen  ausbreiteten.    Ganze  Tage,  lange 
Nachte  weilt  die  Königin   in  diesen   Gärten,    aber  Muley,    der  treue  Mohr, 
der  die  Pforte  des  Burggartens  bewacht,    lässt   ausser   ihr  Niemanden   ein. 
Das  Falkenauge  Vuk  Jugovic's   entdeckt   wohl    hoch    oben    in    der  Felsen- 
mauer über  der  Drina  noch  eine  andere  Thür,    dicht   bedeckt   von  wilden 


Ausgesprengte    Strasse    bei    Divic    zwischen 
Srebrenica    und    Zwornik. 


üivic    mit  dem    Blick    nach    Serbien. 


Rosen,  —  wer  vermöchte  aber  dort  hinaufzudringen?  Hat  es  vielleicht 
der  Unglückliche  versucht,  dessen  Leichnam  Vuk  einst  in  der  Morgen- 
dämmerung mit  einer  Rosenknospe  zwischen  den  Fingern  die  Drina 
hinabschwimmen  sah?  Und  der  Fährmann  weit  unterhalb  der  Festung 
hatte  so  oft  einen  Leichnam  zu  beerdigen,  der  stets  die  Rose  vor  seinem 
Tode  gebrochen  hatte! 

Bei  einem  Festmahle  der  Königin,  als  diese  die  geladenen  Helden 
ihrer  Lustbarkeit  bei  den  Weinkrügen  überliess,  um  sich  einsam  in  die 
kühlen  Gärten  zurückzuziehen,  stiehlt  sich  Vuk  Jugovic,  der  neben  der 
Königin  gesessen  hatte  und  seinem  Herzen  nicht  mehr  zu  gebieten  ver- 
mochte, ihr  nach.  Vergebens  bestürmt  er  Jelena  mit  seiner  heissen  Liebe. 
Als  sie  ihn  an  der  Thür  des  Gartens  zum  letzten  Male  zurückweist,  fleht 
Vuk  sie  an,  ihn  wenigstens  in  den  Garten  eintreten  zu  lassen.  »Begehre  es 
nicht,  Vuk  Jugovic«,  spricht  die  Königin  mit  starrem  Antlitz,  »denn  so- 
bald du  eintrittst,  bist  du  mein  und  kannst  mich  nimmermehr  verlassen, 
so  lange  du  lebst!«  Da  aber  Vuk  nicht  ablässt,  sie  mit  heissen  Bitten  zu 
bestürmen,  und  betheuert,  dass  er  nichts  sehnlicher  wünsche,  als  stets  um 
sie  zu  sein,  verspricht  sie  mit  einem  tiefen  Seufzer  und  betrübten  Ange- 
sichtes, ihm  zu  willfahren,  vorher  aber  möge  er  zu  seinen  Genossen  zurück- 
kehren und  ihnen  erklären,  dass  er  gleich  seinen  Brüdern  in  die  weite 
Welt  auf  Heldenabenteuer  gehe Unbeschreiblich  selig  war  Vuk  in 


233 


234 


dem  zauberhaft  schönen  Garten,  denn  Jelena  war  hier  nicht  kalt,  nicht 
stolz  mehr,  sondern  erwiderte  seine  heisse  Liebe  mit  hebernder  Gluth. 
Nur  dass  nach  den  ersten  Wochen  die  Königin  immer  seltener  und  auf 
immer  kürzere  Zeit  kam.  Vuk  wurde  aber  immer  bleicher  und  trauriger 
in  seiner  einsamen  Gefangenschaft.  Als  er  nach  Monaten  in  einer  finsteren 
Nacht  abermals  wie  schon  oft  die  Fürstin  bat,  ihm  die  Freiheit  zurück- 
zugeben, dringt  Waffenlärm  und  Getöse  aus  der  Burg  in  den  Garten  und 
voll  Entsetzen  meldet  Muley,  dass  Vuk  Jugovic's  getreuer  Schildknappe, 
von  dem  Verdachte  ergriffen,  dass  dieser  von  der  Konigin  gefangen  ge- 
halten werde,  an  der  Spitze  einer  empörten  Schaar  seinen  Herrn  überall 
in  der  Burg  suche.  Jelena  lässt  ihr  Schwert  holen,  um  den  Meuterern 
selbst  entgegen  zu  treten.  Den  Beistand  Vuk's  lehnt  sie  ab,  weil  ihre  Ehre 
verbietet,  dass  ihr  Geliebter  hier  getroffen  werde.  Sic  verlangt  sogar  Yuk's 
Flucht.  »Entferne  dich  durch  diese  Thür!«  spricht  die  Fürstin,  einen  ge- 
waltigen Felsblock  von  der  Gartenmauer  entfernend.  Ein  entsetzlicher 
Angstschrei  ertönt,  die  eindringenden  Empörer  haben  Muley  niederge- 
schlagen, und  im  selben  Augenblick  erleuchtet  ein  zuckender  Blitz  die 
finstere  Nacht.  Vuk,  schon  an  der  Thür  stehend,  erblickt  die  Drina  viele 
hundert  Fuss  tief  unter  sich.  —  »Jelena,  bin  ich  der  Erste,  der  dieses 
Weges  geht?  Jelena,  du  ermordetest  meine  Brüder?«  —  »Ja,  Vuk  Jugovic, 
weil  ich  ihre  Liebe  bis  zum  Ekel  genossen  habe,  wie  die  der  Anderen 
und  auch  deine.«  —  »Jelena,  Heissgeliebte,  nun  bist  du  ein  Kind  des 
Todes,  sei  verflucht!«  Mit  Riesenkraft  umfasst  Vuk  die  Fürstin.  Jelena 
will  aber  nicht  allein  sterben,  und  die  eintretenden  Bewaffneten  erscheinen 
im  selben  Augenblicke,  als  beide  bei  dem  schrecklichen  Ringkampfe  ver- 
eint in  die  Drina  stürzen 

Ausser  verschiedenen  Kaufläden  und  einigen  Moscheen  bietet  Zwornik 
nichts  Bemerkenswerthes;  es  ist  nur  der  Reiz  der  historischen  Erinnerung, 
der  es  umfliesst.  In  einem  Wirthsgarten  am  Drina-Ufer  liessen  wir  uns  eine 
Zeitlang  nieder.  Hier  schoben  Mohammedaner,  Serben,  Soldaten  und  selbst 
Zigeuner  miteinander  Kegel!  Es  war  wohl  die  allgemeine  Brüderlichkeit, 
aber  doch  kein  angenehmes  Bild.  Aus  einem  militärischen  Wachzimmer 
hörten  wir  meisterhaftes  Tamburicaspiel.  Das  war  schöner,  und  die  melan- 
cholischen Melodien  schmeichelten  sich  ins  Herz  hinein.  So  war  es 
mittlerweile  dunkel  geworden,  als  wir  auf  unserem  Rundgange  vor  einem 
grossen  türkischen  Gehöfte  stehen  blieben,  in  dem  ein  geradezu  tolles 
Treiben  herrschte.  Zigeunermusik  ertönte,  Tanz  und  Gesang.  Wir  hatten 
erst  einige  Augenblicke  zugehört,  als  wir  von  einem  jungen  Mohammedaner, 
der  sehr  fein  gekleidet  war,  eingeladen  wurden,  ins  Innere  zu  kommen 
und  an  der  Festlichkeit  theilzunehmen.  Es  war  die  Vorfeier  einer  türkischen 
Hochzeit.     Der  Sohn  des  Hauses,    ein  reicher  Besr,    verheirathete  sich   mit 

v 

einer   Dame    aus   der   Gegend    von  Brcka,    die    ihm   200  Ciftluks  (Knieten- 


guter)  mitbrachte,  und  da  hier  Geld  zu  Geld  kam,  wurde  Alles  bewirthet, 
was  sich  einfand.  Es  ist  dies  türkischer  Brauch,  aber  hier  konnte  man 
doch  sagen,  dass  zwei  Drittel  von  Zwornik  an  dem  Gelage  theilnahmen. 
In  einem  riesigen  Hofe  waren  Bänke  aufgestellt,  auf  denen  Offiziere,  Civil- 
personen,  Mohammedaner  aller  Schattirungen  Platz  genommen  hatten.  Das 
war  anscheinend  die  Honoratiorenecke,  denn  hier  wurde  nur  Bier  verzapft, 
und  der  Bräutigam  bediente  'selbst  die  Gäste.  In  den  anderen  Theilen 
des  Hofes  lagerte  Jung  und  Alt,  männlich  und  weiblich  bei  Bier  und 
Kaffee  und  unter  einem  Vorbau  sassen  auf  Minderluks  einige  ehrwürdige 
Greise  um  ein  offenes  Feuer,  bei  dem  sie  sich  selbst  ihren  Kaffee  bereiteten. 
Inmitten  des  Hofes  tanzte  aber  eine  heitere  Gesellschaft  beim  Spiele  einer 
Zigeunerkapelle  Kolo  —  den  bosnischen  Rundtanz  —  der  bald  mit  einem 
echten  Csardas,  von  Soldaten  aufgeführt,  abwechselte.  Mitten  in  diesem 
Treiben  sah  man  geschäftig  eine  tolle  Figur:  den  sogenannten  »Tschausch«, 
den  Lustigmacher.  Es  war  ein  türkischer  Zigeuner,  der  sein  Gesicht  mit 
Kohle  noch  besonders  geschwärzt  hatte.  Ueber  der  Schulter  trug  er  ein 
Lammfell,  auf  dem  Kopfe  eine  Fellmütze  mi4-  einem  langen  Fuchsschwanz, 
in  der  Hand  eine  Peitsche.  So  trieb  er  sich  unter  gellenden  Ausrufen 
unter  den  Anwesenden  umher  oder  er  trat  auf  die  Strasse,  den  Kindern 
zum  Gespött  dienend.  An  den  Fenstern  der  Frauengemächer  des  Hauses 
bemerkte  man  aber,  soweit  dies  bei  den  Muscharabiehs  möglich  war,  weib- 
liche Gestalten,  die  sich  an  dem  lauten  Treiben  ergötzten. 

Diese  allgemeine  Bewirthung  dauert  bis  zu  dem  Tage,  an  dem  die 
junge  Frau  ins  Haus  gebracht  wird.  Sobald  ein  Mohammedaner  sich  zur 
Heirath  entschlossen  hat,  verlangter  das  Mädchen  durch  die  Vermittlung 
zweier  Verwandten  oder  zweier  Freunde,  welche  die  Braut  hinter  ver- 
schlossener Thür  befragen,  ob  sie  dem  Salin  oder  Mehmed,  Sohn  des  und 
des,  als  Frau  folgen  wolle.  Natürlich  ist  dies  nur  leere  Formalität,  denn 
die  näheren  Vereinbarungen  sind  längst  zwischen  den  Familienvätern  ge- 
troffen. Erfolgt  die  Bejahung,  so  verfügen  sich  die  Verwandten  sammt 
den  Zeugen  zum  Kadi,  wo  sich  mittlerweile  der  Bräutigam  mit  seinem 
Imam,  sowie  der  Imam  der  Braut  eingefunden  haben,  während  die  Braut 
selbst  die  Verhandlungen  zu  Hause  abwartet.  Beim  Kadi  werden  nun  die 
gegenseitigen  Einwilligungen,  die  Verpflichtungen  bezüglich  der  Erhaltung 
der  Frau  im  Falle  einer  Trennung  u.  s.  w.  festgesetzt,  sodann  durch  die  beiden 
Imams  Braut  und  Bräutigam  als  vor  Gott  wie  Adam  und  Eva,  wie  Mo- 
hammed und  Chadidscha  vereinigt  erklärt.  Diese  Erklärung  wird  dreimal 
wiederholt,  womit  die  eigentliche  Vermählungsceremonie  beendet  ist.  Nach 
diesem  gerichtlichen  Verbindungsakte  werden  die  beiden  Imams  und  die 
Geladenen,  sowie  die  Braut  vom  Bräutigam  mit  Geschenken  bedacht,  welche 
diese  erwidert.  Diese  gegenseitige  Aufmerksamkeit,  welche  auch  die 
Uebersendung    verschiedener     Hauseinrichtungsstücke,     wie    Tcppiche,     in 


2-;6      — 


sich  begreift,  wird  durch  mehrere  Tage  fortgesetzt  und  endet  mit  der 
Zustellung  des  Hausservice  in  das  Haus  der  Braut,  worauf  diese  endlich, 
nachdem  sie  sich  einer  mehrstündigen  Toilette  im  Bade  unterzogen,  von 
den  Verwandten  des  Bräutigams  in  einer  Araba  oder  in  einem  modernen, 
aber  zugemachten  Wagen  (in  Gebirgsgegenden  zu  Pferde)  abgeholt  wird'. 
Erst  nach  einem  gemeinschaftlich  eingenommenen  Mahle  und  nach  einem 
vom  Imam  gesprochenen  Gebet  und  Segen  tritt  die  Braut  in  die  Rechte 
einer  Hausfrau  und  beginnt  ihr  zurückgezogenes  Haremsleben.  Ent- 
führungen von  Mädchen,  wie  sie  einst  gebräuchlich  waren,  kommen  heute 
nur  noch  selten  vor. 


Idyllische  Fahrten. 

In  Zwornik  hatten  wir  für  die  Fahrt  nach  Vlasenica,  unserem  nächsten 
Ziele,  einen  Wagen  gemiethet,  der  uns  in  sechs  Stunden  dorthin  bringen 
sollte.  Um  6  Uhr  früh  verliessen  wir  das  altersgraue  Zwornik  durch  das 
Festungsthor  und  verfolgten  bis  Drinaca  die  an  der  Drina  führende  Strasse, 
die  wir  bereits,  von  Srebrenica  kommend,  zurückgelegt  hatten.  Hier  zweigt 
sich  der  Weg  ins  Jadarthai  ab,  immer  am  rechten  Ufer  des  tief  ein- 
geschnittenen Flüsschens  führend.  Es  ist  eine  äusserst  genussreiche  Fahrt 
inmitten  steten  Grüns,  wie  in  einem  wenig  gepflegten  wildromantischen 
Park.  Hohe  Felswände  säumen  lange  Zeit  die  eine  Seite  der  Strasse  ein, 
und  auf  steilem  Kegel  erblickt  man  plötzlich  eine  kleine  Moschee,  die 
einen  ungemein  malerischen  Anblick  bietet.  Hinter  ihr  liegt  allerdings  das 
Dörfchen  Kuslat,  von  dem  aber  kein  Haus  wahrzunehmen  ist.  Aus  dieser 
schwindelnden  Hohe  war  vor  etwa  einem  Jahre  ein  Kind  direkt  auf  die 
Strasse  gefallen,  hatte  sich  aber  seltsamerweise  nicht  im  .Mindesten  verletzt. 
In  Nova-Kassaba,  einem  Orte  von  etwa  400  Bewohnern,  machten  wir 
Fütterungsstation.  Ueber  eine  sehr  Hübsche  neue  Brücke  gelangten  wir  in 
den  betriebsamen  Ort,  den  man  als  eine  Tabakstadt  bezeichnen  könnte. 
An  allen  Häusern  hingen  die  langen  Schnüre  mit  den  aneinander  gereihten 
Blättern  und  eigene  Gerüste  waren  zum  Trocknen  des  Tabaks  in  grosser 
Anzahl  aufgestellt.  Ausser  einer  alten  Moschee  mit  einem  hübschen  Minaret 
enthalt  der  Flecken  nichts  Bemerkenswerthes.  Wir  kletterten  im  Man  (dem 
Einkehrwirthshause)    auf  die   hölzerne   Divanhane,    —   Balkon    würde    man 


äte  :    Prämiirte  Kälber. 


238 


in  unseren  Ländern  nicht  ganz  zutreffend  sagen  —  und  erquickten  uns  an 
vorzüglichem  Kaffee.  Ich  hatte  in  einem  Tabaksladen  einige  Einkäufe 
gemacht  und  war  gerade  auf  einem  Rundgange  durch  die  Ortschaft  begriffen, 
als  mir  der  Besitzer  —  ein  Muselmann  athemlos  nachgelaufen  kam.  Er 
hatte  sich  beim  Wechseln  verrechnet  und  mir  einen  Kreuzer  zu  wenig 
herausgegeben.  Den  trug 
er  mir  nun  nach! 

Die  Sonne  brannte 
heiss  vom  Himmel,  als 
wir  unsere  Weiterfahrt 
antraten.  Unsere  Pferde 
waren  die  letzten  Tage 
entschieden  überange- 
strengt gewesen,  denn 
sie  wollten  nur  langsam 
vorwärts,  und  unser  Kut- 
scher konnte  sie  weder 
im  Guten  noch  im  Bösen 
zu  einer  schnelleren 
Gangart  veranlassen.  So 
blieb  nichts  übrig,  als 
ihnen  ihren  Willen  zu 
lassen  und  die  Zeit  durch 
Naturbetrachtungen  aus- 
zufüllen. Das  gelingt  in 
dieser  reizenden  Gegend 
vorzüglich.  Hinter  Nova- 
Kassaba,  wo  wir  auf  das 
linke  Ufer  des  Jadar 
übergegangen  sind,  er- 
weitert sich  das  bis  da- 
hin enge  Thal  zu  einem 

weiten  fruchtbaren 
Kessel.      Ueberall   sieht 
man   gut  angebaute  Fel- 
der,  weidende   Heerden 

und  vereinzelte   Gehöfte.      Hei  Vrtoce  und  Jeliste   muss  einst  eine 
Niederlassung  gewesen    sein,    denn    mächtige  Bogomilensteine   finden   sich 
überall   zerstreut,    doch    weisen   sie  keinerlei  Skulpturen  auf.     Wir  sti< 
hier   auf  eine    wandernde    Horde    von   Zigeunern,    unter   denen    eine    Frau 
durch  ihre  majestätische  Schönheit  und  ihr  prächtiges  blauschwarzes  Haar 
Bewunderung  zu  erregen  geeignet  war.     Sie  bot  sich  zum   Wahrsagen   an. 


Da  rinkaf  eisen    zwischen    Nova-Kassab; 
und    Drinaca. 


241 


doch  verzichteten  wir  auf  diesen  Genuss.  Wie  wir  erfuhren,  waren  es  so- 
genannte »Karawlachen«.  Im  Bezirke  Vlasenica  unterscheidet  die  Be- 
völkerung nämlich  drei  Arten  von  Zigeunern:  weisse,  braune  und  die 
Karawlachen.      Die    erstgenannten    zwei    Arten    sind    Mohammedaner   und 

nennen  sich  am  lieb- 
sten »Türken»,  sie 
werden  aber  von  den 
einheimischen  Mo- 
hammedanern nur 
»Ciganin«  oder  ver- 
ächtlich »Firaun«  ge- 
nannt. Die  weissen 
werden  zwar  in  den 
Dzamijen  —  aller- 
dings ganz  im  Hinter- 
grunde—  gelitten,  die 

braunen  jedoch 
(cergasi  gurbeti),  die 
als  unrein  gelten,  in 
den  Moscheen  gar- 
nicht  geduldet.  Die 
dritte  Art  sind  orien- 
talisch-orthodoxe Zi- 
geuner, die  angeblich 
vor  etwa  ioo  Jahren 
aus  der  Walachei  nach 
Bosnien  eingewandert 
sind  und  von  der  Be- 
völkerung schlecht- 
weg »serbische  Zigeu- 
ner« genannt  werden. 
Sie  selbst  nennen  sich 
-Karawlachen«,  wo- 
runter man  in  Bos- 
nien eigentlich  Ru- 
mänen versteht.  Sie 
haben  es  nicht  gern,  wenn  man  sie  Zigeuner  nennt,  indem  sie  auf 
die  vielen  zwischen  ihnen  und  den  mohammedanischen  Zigeunern 
bestehenden  Unterschiede  hinweisen.  Abgesehen  von  dem  Religions- 
bekenntnisse unterscheiden  sicli  die  Karawlachen  zunächst  durch  ihre 
rumänische  Umgangssprache  von  den  zigeunerisch  redenden  mohammeda- 
nischen   Zigeunern,    dann    durch    einen    höheren  Bildungs-    und  Gesittungs- 


Moschee    am    Felsen    Kuslat   zwischen    \  o  va-Kassaba 
und    I  )  r  i  n  a  c  a. 


242 


grad,    weshalb    sie    auch    von    der    einheimischen    Bevölkerung    mehr   ge- 
achtet werden. 

Im  Bezirke  Vlasenica  bewohnen  sie  eine  geschlossene  Ortschaft, 
Purkovic  in  der  Gemeinde  Gojcin  im  oberen  Sprecathale,  und  zählen  175 
Seelen  in  23  Häusern.  Sie  gehören  zu  der  griechisch-orthodoxen  Pfarre 
in  Lovnica  und  werden  von  ihrem  Pfarrer  als  anständige,  nüchterne,  fried- 
liebende, fleissige  und  sparsame  Leute  geschildert.  In  Religionssachen 
weisen  die  Karawlachen  gewisse  Eigenthümlichkeiten  auf.  Sie  gehen 
selten  in  die  Kirche,  obwohl  zu  Taufen,  Trauungen  und  Beerdigungen 
stets  der  Pope  zugezogen  wird.  Sie  feiern  das  bloss  bei  den  Serben  vor- 
kommende Fest  des  Hauspatrons,  und  zwar  die  heilige  Petka.  Die  heilige 
Communion  empfangen  sie  seit  vielen  Jahren  nicht,  weil  angeblich  vor  etwa 
30 — 40  Jahren  mehrere  Karawlachen,  welche  in  Lovnica  zur  Communion 
gingen,  unmittelbar  darauf  plötzlich  verschieden  sind.  Das  landesübliche 
Fluchen  kommt  bei  den  Karawlachen  selten  vor;  in  höchster  Aufregung 
wird  der  Fluch  auf  einen  indifferenten  Gegenstand  bezogen.  Bei  den 
Behörden  sind  sie  äusserst  seltene  Gäste  und  erscheinen  in  der  Regel  nur 
im  Passbüreau.  Auch  sind  sie  pünktliche  Steuerzahler.  Sie  heirathen  fast 
ausschliesslich  untereinander  und  wird  die  Frau  von  dem  Bräutigam  ge- 
kauft. Der  Frei-;  wird  in  Baarem  an  die  Eltern  der  Braut  entrichtet  und 
ist  sehr  verschieden.  Ein  gewisser  Pero  Kostic  aus  Purkovic,  ein  nicht 
besonders   wohlhabender   Bauer,    zahlte   z.   B.    für   seine    Frau   Toda   baare 


I  a n    e nder   Ziee u n erki 


-     24.; 


244 


200  fl.  Bei  der  Wahl  der  Frau  wird  vornehmlich  auf  ihre  Geschicklichkeit 
in  der  Beschäftigung  des  Mannes  gesehen,  daher  Ehen  mit  Serbinnen 
äusserst  selten  vorkommen.  Ihren  Frauen  wird  Sittenreinheit  nachgerühmt. 
Ihre  Familienverfassung  ist  die  der  übrigen  Bosnier,  bald  Hauskommune, 
bald  Einzelwirthschaft.  Die  Tracht  ist  jener  der  griechisch-orthodoxen 
Bauern  des  oberen  Sprecathales  gleich,  bloss  die  herumziehenden  Musikanten 
tragen   »fränkische«   Kleider. 

Die  Karawlachen  von  Purkovic  sind  insgesammt  Feldbauern  und 
zwar  nach  Kmetcnart;  einige  Familien  haben  kleinen  Eigenbesitz.  Neben 
dem  Feldbau  und  der  Viehzucht  ist  ihr  Haupterwerb  die  Holzindustrie, 
ausserdem  liefern  sie  herumziehende  Musikanten,  Tänzerinnen  und  Bären- 
treiber. Sie  schnitzen  Gegenstände  für  bäuerliche  und  selbst  bürgerliche 
Haushaltungen,  und  zwar  Löffel,  Schüsseln,  Spindeln,  Spulen,  Leuchter, 
Waschtröge,  Kinderständer  und  dgl.  Im  Winter  werden  diese  Artikel  in 
den  Wohnungen  der  Karawlachen  verfertigt,  und  nehmen  an  der  Er- 
zeugung Männer,  Weiber  und  Kinder  theil.  Der  Sommer  bringt  eine 
entsprechende  Arbeitstheilung  mit  sich.  Ein  Theil  des  Dorfes  zieht,  nach- 
dem die  Felder  bestellt  sind,  in  die  mit  Erlen  bestockten  Wälder,  schlägt 
dort  Zelte  und  Drechselbänke  auf  und  fabrizirt  die  erwähnten  Gegenstände 
aus  dem  frisch  gefällten  Holze  direkt  an  Ort  und  Stelle.  Andere,  meist 
ältere  Frauen,  wandern  mit  der  fertigen  Waare  von  Ort  zu  Ort  und 
tauschen  dieselbe  ein,  selten  gegen  Baargeld,  häufiger  gegen  Getreide, 
Leinwand,  Wolle,  Butter.  Diese  Frauen  befassen  sich  zugleich  mit  Kur- 
pfuschen und  Wahrsagen  und  sind  bei  dem  Landvolke,  besonders  den 
Frauen  und  Mädchen,  gern  gesehene  Gäste.  Die  Instrumente,  deren  sich 
die  Karawlachen  bei  der  Holzschnitzerei  bedienen,  sind  sehr  primitiv  und 
bestehen  vor  Allem  aus  der  Hacke  und  der  Säge,  dann  einer  eigen- 
thümlichen  Drechselbank  (terdzaj),  bei  der  nebst  dem  bekannten  Drucke 
mit  dem  Finse  des  Arbeiters  ein  frischer,  bogenartig  gespannter  langer 
Ast  den  Dienst  eines  Motors  versieht.  Ausserdem  kommen  in  An- 
wendung »dubac«  und  »mali  dubac«,  eine  Art  mit  Hammer  kombinirte 
Hacke,  ein  Messer  zum  Aushöhlen  der  Löffel,  grosse  und  kleine  Feilen 
und  das  bosnische  Generalwerkzeug  —  das  Messer. 

Mit  ihrer  Musik  und  dem  Tanz  halten  die  Karawlachen  den  Vergleich 
mit  den  ungarischen  Zigeunern  nicht  aus.  Sie  spielen  zwar  gleich  jenen 
ohne  Noten,  bloss  nach  dem  Gehör;  es  fehlt  ihnen  jedoch  die  staunens- 
werthe  Raschheit  im  richtigen  Auffangen  einer  einmal  gehörten  Melodie. 
Ihre  Instrumente  sind  Geige,  Cello,  manchmal  auch  die  Trommel  in  der 
Form  eines  Tamburins.  Ihre  Musik  trägt  den  unverkennbaren  Stempel 
der  rumänisch-slavischen  schwermüthigen  Weisen.  Die  Harmonie  besteht 
in  der  Regel  aus  Terzen,  zu  welchen  sich  oft  die  Oktave  des  Grundtones 
gesellt.     Die  Melodie  ihrer  Originalkompositionen  ist  abwechslungsreicher, 


245 


als  iene  der  bosnischen  Bauernlieder,  der  Rhythmus  lebhafter.  Die  Kara- 
wlachen  spielen  alle  südslavischen  Volkslieder  und  gelten  als  Meister  im 
Vortrage  aller  Koloarten.  Sie  spielen  auch  europäische  Tonstücke,  so 
vor  Allem  die  österreichische  Volkshymne,  den  »Szözat«,  Märsche,  Tänze, 
sogar  frisch  aufgefangene  Wiener  Gassenhauer  —  Alles  jedoch  in  ihrer 
Art:  Alles  in  Moll,  Alles  in  Terzen  und  mit  der  ihnen  eigenthümlichen 
Färbung,  sodass  ihre  Produktionen  auf  die  Dauer  ein  musikalisches  Ohr 
zur  Verzweiflung  bringen  können. 

Ihr  Tanz,  soweit  derselbe  als  Vorführung  für  Zuschauer  bestimmt  ist, 
bestellt  aus  einem  gleichmässigen  Hüpfen  auf  der  Stelle  bei  gerader  und 
steifer  Haltung  des  ganzen  Körpers,  wobei  es  hauptsächlich  auf  das  kräftige 
rhythmische  Stampfen  auf  den  Fussboden  anzukommen  scheint.  Bessere 
Tänzerinnen  bringen  in  diese  eintönige  Bewegung  eine  Abwechslung  hinein, 
indem  sie  sich  von  Zeit  zu  Zeit  um  ihre  eigene  Achse  drehen,  einen 
oder  beide  Arme  in  die  Höhe  strecken  und  durch  das  Schnalzen  der 
Finger  die  fehlenden  Castagnetten  ersetzen.  Manchmal  singt  die  Tänzerin 
gleichzeitig  ein  Lied,  meist  erotischen  Inhalts.  Tanzen  die  Karawlachen 
zu  eigenem  Vergnügen, 
dann  ist  es  der  bosnische  | 
Bauernkolo. 

Das  Geschäft  der 
Bärentreiber  ist  im  Nieder- 
gang begriffen,  seit  die  bos- 
nische Landesregierung 
mit  Recht  die  Ausstellung 
der  Reisepässe  für  Bären- 
treiber eingestellt  hat.  Die 
Karawlachen  verstehen  es 
jedoch,  das  Gesetz  auf  die 
einfache  Weise  zu  um- 
gehen, dass  sie  den  Pass 
unter  einem  anderen  Vor- 
wande  lösen,  eventuell 
ohne  Reisepass  sich  ins 
Ausland  begeben,  sich 
dort  junge  Bären  ver- 
schaffen und  dann  die  er- 
sehnte Wanderung  an- 
treten. Denn  obwohl  die 
Karawlachen  in  Puratovic 
feste  Wohnsitze  haben, 
stellt  sich    bei   ihnen  von 


-     246     - 


Stadt  ansieht    von    V  lasen  ica. 

Zeit  zu  Zeit  der  ihrer  Rasse  cigenthümliche  Drang  zum  Wandern  ein. 
Ohne  die  geringsten  geographischen  Kenntnisse  durchziehen  sie  fremde 
Länder  und  ferne  Welttheile  und  bleiben  dabei  in  Verbindung  mit  ihrer 
bosnischen  Heimath.  So  weilen  —  wie  wir  in  der  »Bosn.  Post«  lesen  — 
zwei  Familien  und  ein  Stellungspflichtiger  in  Südamerika,  und  vor  zwei 
Jahren  ist  eine    alte  Karawlachin   in  Nizza   als  Bettlerin   gestorben 

Wir  hatten  die  wandernden  Karawlachen  bald  hinter  uns  gelassen 
und  lenkten  aus  der  fruchtbaren  Ebene  wieder  in  schön  bewaldetes  Hügel- 
land ein.  Kuppe  erhob  sich  über  Kuppe,  bis  der  Horizont  von  schwarzen 
Hochgebirgen  begrenzt  wurde.  Es  ist  eine  Gegend  voll  der  reizendsten 
Motive  für  Landschaftsmaler  und  ein  Paradies  für  Fusswanderer,  die  nicht 
nur  Werth  auf  gute  Schenken  und  frisch  angezapftes  Bier  legen.  Die 
Strasse  steigt  in  zahlreichen  Windungen  gegen  Vlasenica  an,  das  schon 
700  Meter  hoch  förmlich  im  Grün  vergraben  liegt.  Das  ist  eine  Klein- 
stadt, welche  das  Entzücken  jedes  Naturfreundes  erregen  muss,  ein  Bild, 
wie  man  es  in  der  Schweiz  und  Tirol  selten,  mit  der  Urwaldvegetation 
aber    kaum    irgendwo    in    Europa   —   ausser    auf    dem   Balkan    —    findet. 

Gleich  am  Eingang  in  die  Stadt  steht  ein  hübsches  einstöckiges  Ge- 
bäude in  einem  Vorgarten:  das  »Hotel  Zukowik«.  Hier  fanden  wir  bei 
zuvorkommendster  Bedienung  eine  vorzügliche  Aufnahme  und  sehr  gute 
Küche.  Frisches  Bier  that  uns  nach  der  Hitze  des  Tages  wohl.  Da 
schon  ein  zur  Weiterfahrt  bestellter  Wagen  bereit  stand,  besichtigten  wir 
sofort  die  Stadt,  die  in  ihrer  Lage  allerdings  das  Schönste  bietet. 
Vlasenica  hat  etwa  2000  Bewohner,  darunter  gegen  1400  Mohammedaner, 
für  die  mit  Unterstützung  der  Landesregierung  eine  neue  Moschee  in 
maurischem  Stile  erbaut  wurde.  Die  Griechisch-Orthodoxen  besitzen  eine 
Kirche.  In  förmlichen  Terrassen  ziehen  sich  die  einzelnen,  sehr  ausge- 
dehnten  Theile   der    lang   gestreckten    Ortschaft    an    den   Berglehnen    hin, 


247 


Mädchen    aus    Podromanja. 
ein    undurchdringliches    Dickicht. 


meist  von  Obstgärten  umgeben.  Eine 
Kaserne  auf  einem  Plateau  nächst  der 
Moschee  dominirt  die  Stadt. 

Unser  Kutscher  Suljo  —  ein  brauner 
Zigeuner  —  hatte  während  unserer  Ab- 
wesenheit seinen  Wagen  so  bequem  als 
möglich  hergerichtet,  und  auf  einer  neuen 
vorzüglichen  Serpentinenstrasse  ging  es 
die  Hänge  der  Javor-Planina,  die  soge- 
nannte Ploca  hinan.     Eine  Zeitlang  er- 
hält man  noch  wundervolle  Fernblicke 
über  das  gesammte  Jadargebiet  bis  gegen 
Zwornik,  im  Westen  gegen  Kladanj  bis 
zum  Debelo-Brdo  (13 14  Meter),   ein  An- 
blick von  überwältigender  Grossartigkeit 
und  Anmuth.     Dann  empfängt  uns  die 
Majestät    des    Urwaldes.      Himmelhohe 
Buchen  bilden  mit  reichem  Untergehölz 
Ueberall     liegen    wegen    des    Strassen- 
baues    gefällte    oder    durch    Windbrüche    geworfene    Riesen    neben    ihren 
noch  in  voller  Pracht  aufrecht   stehenden  Genossen,   von    Moos  bewachsen 
und     bereits     neues     frisches     Leben     aus     ihren     vermodernden    Stämmen 
spriessend.      Hier   steht    noch    Holz  für  Jahrhunderte,    vorläufig  auch  noch 
in  voller   Ruhe,    bis    durch.    Bahnen    eine   auswärtige  Verwerthung   möglich 
ist.      Und   auch    da    werden   Bosniens    Bergwälder    nicht   gelichtet   werden, 
weil   der    Holzreichthum    ein    geradezu    enormer    ist.      An    der  Strasse   ar- 
beiten   Steinklopfer    und    Strasseneinräumer;    sonst    herrscht   Stille,    es   ist 
wenig  Verkehr  und  es  scheint,   dass  die  Bauern  mit  den  Tragthieren  noch 
immer  die  alten  Reitwege  ziehen,   deren  Spuren  zeitweise  aus  dem  Waldes- 
dunkel   auftauchen.     Auch  Vogelgezwitscher   ist    nicht    zu    hören,    nur   der 
heisere  Schrei  einer  Krähe  unterbricht  manchmal  das  grossartige  Schweigen 
in   der  Natur.     Direkt  an  mächtigen  Abgründen  und  Abstürzen  führt  unser 
Weg,   aber  starke   Geländer  sichern   die  Strasse. 

Nach  zweistündiger  Fahrt  von  Vlasenica  ab  öffnet  sich  plötzlich  das 
Walddickicht,  und  eine  ausgedehnte  Alpenweide  mit  zahlreichen  Heerden 
bietet  dem  entzückten  Auge  eine  angenehme  Abwechslung.  Wir  sind  auf  der 
Kraljevo  Gora.  Ueberall  liegen  zerstreute  Gehöfte,  der  Hau  Xapogled 
ladet  zur  Einkehr  ein,  und  Hirtenbuben  begrüssen  das  Gefährt  mit  lauten 
Juchzern,  während  starke  Wolfshunde  uns  eine  Strecke  das  Geleit  geben. 
Es  ist  ein  Bild  aus  den  Schweizer  Gebirgen,  verbunden  mit  der  Lieblich- 
keit steiri>cher  Sennenpoesie.  Der  Buchenwald  weicht  hier  dem  Nadel- 
holz,  und  bald  umfangt  uns  wieder  das  gehcimnissvolle  Flüstern  der  Tannen 


—     24S    — 


und  Schwarzkiefern,  deren  mächtige  Stamme  so  Manches  erzählen  könnten 
von  vergangenen  Tagen,  als  diese  Gegend  noch  ein  Paradies  für  Räuber 
und  Freibeuter  war;  und  heute  fährt  ein  europäisches  Ehepaar  mutter- 
seelenallein und  unbewaffnet  mit  einem  Zigeuner  durch  diese  Waldwildniss 
und  hegt  nicht  die  geringste  Furcht  vor  einem  Ueberfall.  Die  Rauber- 
romantik ist  in  Bosnien  ausgestorben,  die  Gendarmerie  hat  für  ab- 
solute Sicherheit  gesorgt!  Nach  etwa  anderthalbstündiger  Fahrt  sehen 
wir    wieder    Gebäude.      Auf  einem    Hochplateau,     /tannenumrauscht,    von 


orthodoxes    Grab    bei    Han    Pjesak.         Von   Ewald   Arndt.) 

Winden  umtost«,  stehen  bosnische  und  europäische  Häuser.  Es  ist 
Han  Pjesak  und  die  gleichnamige  Gendarmerie-Kaserne  nebst  einem 
Forsthause  in    1700  Meter  Höhe. 

Während  unser  Kutscher  sich  im  Han  einquartirte,  wartete  unser  in 
der  Kaserne  die  liebenswürdigste  Aufnahme.  Man  braucht  sich  unter  einer 
Kaserne  nicht  ein  Gebäude  wie  in  unseren  Grossstädten  vorzustellen  mit 
einem  Belagraum  für  ganze  Regimenter.  Die  Kaserne  Pjesak  ist  nur  ein 
starkes  Blockhaus  aus  Holz,  aber  geschmackvoll  und  geräumig  gebaut  mit 
verschiedenen  Nebengebäuden,  Stallen  etc.  und  einem  in  der  Anlage  be- 
findlichen Garten.  Der  kommandirende  Wachtmeister,  ein  geborener 
Grenzer,    empfing   uns    mit    freundlichem  Grusse    und  geleitete   uns    durch 


249 


das  Mannschaftszimmer  in  das  Fremdenzimmer,  das  eine  entzückende 
Ansicht  bot.  Bald  waren  wir  mit  Flaschenbier  versorgt,  und  nach  einiger 
Zeit  stand  ein  vorzügliches  Mahl  aui  dem  Tische,  wie  wir  es  in  dieser 
Wildniss  nie  erwartet  hätten.  Besonders  eine  Mehlspeise,  von  der  alten 
tüchtigen  Köchin  »Gendarmennudeln«  genannt,  war  eine  Delikatesse,  und 
wir  verfehlten  nicht,  der  Köchin  unsere  volle  Anerkennung  auszusprechen. 
Dann  gaben  wir  uns  noch  eine  Zeitlang  der  Lektüre  hin;  wir  fanden 
kroatische    Familienblätter,    schön    jahrgangweisc    gebunden.      Dass    aber 


V. 


auch  die  edle  Musica  gepflegt  wird,  bewiesen  verschiedene  an  der  Wand 
hängende  Tamburicas  und  das  kroatische  Liederbuch  von  Kuhac-Koch 
mit  Noten.  Um  einen  Wiener  Ausdruck  zu  gebrauchen,  fühlten  wir  uns 
hier  sehr  mollig;  als  wir  doppelte  wollene  Bettdecken  erhielten,  wussten 
wir  aber  auch,  dass  hier  die  Nächte  sehr  kühl  zu  werden  pflegen.  Unser 
Schlaf  war  herrlich.  Als  wir  gegen  5  Uhr  früh  erwachten,  glaubten 
wir  uns  in  einer  Winterlandschaft  zu  befinden.  Der  Reif  hatte  Bäume 
und  Matten  mit  einer  zarten  Silberdecke  überzogen,  die  unter  den  Strahlen 
der  aufgehenden  Sonne  bald  wich  und  in  einen  dichten  Thau  überging, 
der  wie  Tausende  von  Diamanten  glänzte  und  glitzerte.    Es  war  empfindlich 


—    250    — 


Bettelndes    Bauernmädchen. 

W.  Leo  Arndt. 


kalt,  aber  ein  Morgenspaziergang 
in  dieser  Höhe  ein  Genuss,  wie 
er  dem  Grossstädter  ja  nie  zu 
Theil  wird.  Die  Heerden  hatten 
im  Freien  in  Umzäumungen  ge- 
nächtigt; sie  erhoben  sich  aber 
zum  Morgenfrühstück.  Hier  be- 
merkte ich  neben  tüchtigen  Woll- 
schafen unter  den  Rindern  be- 
reits Thiere  grösserer  Gattung,  die 
augenscheinlich  nicht  bosnischer 
Abstammung  waren. 

Nach  einem  ausgiebigen  Früh- 
stück und    nachdem    wir   uns    mit 

kräftigem  Handschlag  von  den  Wächtern  der  Landessicherheit  verabschiedet, 
fuhren  wir  um  6lj2  Uhr  weiter  nach  Südwesten.  Suljo  war  guter  Laune, 
ungemein  gesprächig,  und  die  Pferde  gingen  im  schönsten  Trab  in  der  thau- 
frischen  Landschaft.  Wald  wechselte  mit  Alpenhochweiden  ab,  stellenweise 
bis  Mrkalje  hatten  wir  wieder  Urwald  mit  tausenden  von  gebrochenen 
oder  gefallenen  Stammen.  Die  höheren  Kuppen  der  Vraocnik  Planina 
zur  Rechten,  der  Studena  Gora  zur  Linken  wurden  nur  zeitweise  sicht- 
bar. Was  einen  sehr  angenehmen  Eindruck  machte,  waren  die  vielen 
kleinen  Wasserläufe  und  Bächlein,  die  Verbürger  der  Fruchtbarkeit. 
In  Han  Hanic,  wo  sich  wieder  eine  Gendarmerie-Kaserne  befindet, 
machten  wir  kurzen  Halt.  Dann  ging  es  über  das  weite  Plateau  der 
Kopita-Planina.  Hier  verschwindet  der  Wald.  Anfangs  giebt  es  noch 
vereinzelte  Felder  und  Wiesen,  dann  tritt  der  Karst  in  seine  Rechte. 
Ueberall  kommt  der  nackte  Stein  hervor,  oft  an  alten  Seeboden  erinnernd. 
Das  spärliche  Gras  dient  noch  immer  zahlreichen  Schaf-  und  Ziegenheerden 
zur  Nahrung,  deren  Genügsamkeit  man  bewundert.  Die  wenigen  Häuser, 
auf  die  man  stösst,  reichen  mit  ihren  Dächern  zur  Erde,  und  sie  sind 
obendrein  mit  grossen  Steinen  beschwert,  ein  Zeichen,  dass  die  Winde 
mit  verheerender  Gewalt  über  die  weite  Hochebene  brausen.  Gegen 
ii  Uhr  Vormittags  kamen  wir  nach  Sokolac,  einem  grösseren  ge- 
schlossenen Orte  mit  einer  griechischen  Kirche  und  einem  Kloster.  Die 
drei  Kuppeln  des  Letzteren,  ganz  im  russischen  Zwiebelstil  erbaut,  sind 
mit  Blech  bedeckt  und  grellroth  angestrichen,  sodass  sie  in  der  vegetations 
losen  Gegend  aus  grosser  Weite  sichtbar  sind.  Einen  erfreulichen  Ein- 
druck machte  es,  ganze  Reihen  von  Kindern  aus  der  Schule  kommen 
zu  sehen,  und  alle  grüssten  freundlich  die  Fremden.  An  der  Strasse 
liegen  einige  Einkehrwirthshäuser  und  mehrere  Kramläden.  Gegen  Mittag 
erreichten   wir  Podromanja  mit  seiner   frei   auf    einem    Hügel    stehenden 


—    251 


grossartigen  Militärkaserne.  Das  ist  eine  förmliche  Festung,  wie  man 
sie  sonst  nur  noch  in  der  Hercegovina  findet,  mit  Vertheidigungsthürmen 
und  dicken  Mauern,  das  Terrain  weithin  beherrschend.  Wir  sind  im 
alten  Räubergebiet  der  Romanja  -  Planina,  —  doch  verschollen  und  ver- 
gessen sind  die  Heiduken,  und  nur  noch  Sagen  und  Lieder  erzählen 
von  der  einstigen  wilden  Zeit,  die  allerdings  noch  vor  anderthalb  Jahr- 
zehnten bestand. 


>K 


Han    auf    der    Romanja-Planina. 


Die  Romanja 

und  der 

Glasinac. 

]  [ier  auf  dem  Hochplateau  ist  der 
Schauplatz  des  Novak-Sagenkreises, 
einer  ganzenReihe  bosnischer  Räuber- 
lieder, über  die  Johann  v.  Asböth  in 
seinem  »Bosnien  und  die  Hercego- 
vina«  (Wien,  Alfred  Holder)  sehr 
interessant  berichtet.  Im  ersten  Liede  zecht  der  alte  Novak  beim  Knez 
Bogosav  und  erzählt  diesem,  wie  er  Räuber  wurde.  Jerina,  die  Gattin  des 
serbischen  Despoten  Paul  Brankovic,  nahm  ihn  wahrend  des  Baue-  der 
Burg  Semendria  als  Taglöhner  in  Arbeit,  bezahlte  ihm  aber  keinen  Heller 
Lohn.  Dann  schrieb  sie  eine  Steuer  aus  zur  Vergoldung  der  Thürme. 
Drei  Litra.  d.  h.  dreihundert  Stück  Dukaten,  sollte  jeder  Hof  bezahlen. 
Novak  kann  die  Steuer  nicht  zahlen,  er  nimmt  seine  Axt  und  flieht  in 
die  Romanja-Planina.  Ein  reisender  Türke,  dem  er  im  Wege  stein,  peitscht 
ihn.  Novak  erschlägt  den  Türken  und  eignet  sich  nach  landesüblichem 
Brauche  die  bei  ihm  gefundenen  drei  Beutel  Dukaten,  seine  Warten  und 
sein  Pferd  an.     Seither  sagt  er: 

»Die  Planina  ist  mein   Alles, 
Meine  Heimath,  mein   Vermögen. 
Giebt  mir  und   den  Raubgenossen 
Nahrung,   Kleidung,  was  wir  brauchen. 
Ich   erjai;'    mir  reiche   I>eute, 
Weiss  geschickt  den  Feind  zu  fliehen, 
Scheue   nichts   und  wag'   das  Schlimmste, 
Fürchte  Gott  allein,  den  Schö] 


253 


Als  eines  Tages  Wein  und  Tabak  zu  Ende  gehen,  beschliessen  Novak 
und  sein  Genosse  Radivoj,  Grujo  —  den  Sohn  Novak's  —  zu  verkaufen. 
Der  möge  dann  sehen,  wie  er  wieder  frei  werde.  Als  Kaufleute  verkleidet 
bringen  sie  ihn  auf  den  Markt  nach  Sarajevo.  Eine  türkische  Jungfrau 
bietet  zwei  Tovars  (Pferdelasten)  Waaren  für  den  Jüngling,  dem  selbst  die 
Mädchen  nicht  an  Schönheit  gleichkommen.  Aber  eine  Wittwe  kauft  ihn 
um   drei  Tovare.     Das  Mädchen  verflucht  sie: 

Nimm  den  Sklaven,  Djafer  Begin, 
Doch  nicht  lange  freu'  Dich  seiner, 
Eine   Nacht  nur,   dann  verschmachte.« 

Die  Begin  (Grundherrin)  lässt  Grujo  waschen  und  mit  einem  Abend- 
mahl bewirthen,  dann  weist  sie  ihm  das  weiche  Bett.  Am  Morgen  des 
nächsten  Tages  kleidet  sie  ihn  mit  eigener  Hand  in  prächtige  Gewänder 
und  stattet  ihn  aus  mit  glänzender  Rüstung.  Die  Agraffe  allein  ist  iooo  Du- 
katen werth.  Der  Griff  des  Schwertes  wäre  mit  drei  Burgen  des  Sultans 
nicht  bezahlt.  Grujo  sehnt  sich  nach  der  Jagd,  und  mit  dreissig  Mann 
Begleitung  zieht  er  aus.  Im  Walde  der  Romanja  fällt  er  mit  einem  Streiche 
den  Anführer  der  Bewachung   und   flüchtet   sich   zurück   zu    seinem  Vater. 

Als  Novak  zu  altern  beginnt,  verlassen  ihn  Radivoj  und  seine 
Genossen,  er  bleibt  allein  mit  seinen  Söhnen  Grujo  und  Tatomir.  Aber 
der  Mohr  Mehmed  und  dreissig  seiner  Mannen  erschlagen  die  Genossen 
Radivoj 's  und  nehmen  diesen  selbst  gefangen.  Novak  sieht  die  Türken 
herankommen;  neben  Mehmed  den  gefesselten  Radivoj  und  auf  jeder 
türkischen  Lanze  einen  Christenkopf.  Xovak  schiesst  den  Mohren  vom 
Pferde,  befreit  Radivoj   und  ihrer  vier  mähen  alle  Türken  nieder. 

»Sag'  mir  Bruder  Radivoj  doch: 
Kann  nicht  ich,  der  alte  Xovak, 
Ueberbieten  dreissig  Helden?« 

V 

Einst  liess  Becir  Pascha  Cengic  aus  der  Zagorje  dem  Knez  von 
Grahovo  durch  einen  Brief  entbieten,  er  solle  dreissig  Zimmer  mit  dreissig 
Mädchen  bereithalten,  im  weissen  Thurme  aber  für  den  Pascha  selbst  ein 
Lager  rüsten  und  seine  Tochter  Ikonia  im  Schlafgemache  des  Pascha 
lassen.  Gruio  Novakovic  und  seine  dreissig  Genossen  verkleiden  sich 
hierauf  als  Mädchen;  so  erwarten  sie  den  Pascha  und  sein  Gefolge  und 
metzeln  wahrend  der  Nacht  alle  Türken  nieder.  Nur  gegen  den  alten 
Griechen  Manojlo  aus  Sofia  kann  selbst  Novak  nicht  aufkommen.  Manojlo 
hat  bereits  Radivoj,  Grujo  und  Tatomir  verwundet.  Jetzt  treibt  er  Novak 
vor  sich  her,  dessen  Schwert  an  dem  Panzer  des  furchtbaren  Griechen 
zerbrochen  ist.  Da  tritt  die  Vila  der  Romanja  —  die  gütige  Fee  -  -  die 
mit  Novak  Bundesbrüderschaft  geschlossen  hat,  selbst  auf  und  berückt  in 
Gestalt  eines  schönen  Madchens  den  Griechin.  Novak  wirft  ihm  seinen 
Streitkolben  nach,   der  ihn  erschlägt.     Grujo  behält  nun  die  Braut  Manojlo's, 


—    254    — 


Mohammedanischer    Bauer 
aus    R  o  s  a  t  i  c  a. 


dieTochter  desPalatins,  für  sich.  Dieser 
Bund  aber  nimmt  ein  schlechtes  Ende. 
Die  schöne  Maxima  verräth  den  schla- 
fenden Grujo  dreien  Türken.  Als  nun 
aber  die  Türken  und  auch  Maxima 
eingeschlafen  sind,  schneidet  der  kleine 
Sohn  Grujo's  die  Fesseln  seines  Vaters 
entzwei.  Grujo  bringt  die  drei  Türken 
um,  gräbt  Maxima  bis  an  die  Brust  in 
die  Erde,  bestreicht  sie  mit  Pech, 
Schwefel  und  Pulver,  begiesst  sie  mit 
Branntwein  und  zündet  sie  an.  Ver- 
gebens fleht  die  Frau  zu  dem  ruhig 
zechenden  Grujo,  ihr  schwarzes  Haar 
zu  schonen,  das  er  so  oft  gestreichelt, 
ihre  schwarzen  Augen,  die  er  so  oft 
geküsst,  ihr  weisses  Antlitz,  desgleichen 
er  auf  der  Welt  nicht  mehr  finde.  Erst 
als  das  treuer  schon  den  Busen  erreicht 

und  der  kleine  Sohn  Grujo's  den  Vater  anfleht,  den  weissen  Busen  zu 
schonen,    der   ihn  ernährt,    löscht  Grujo    das  Feuer  und  begräbt  die  Frau. 

So  zog  einst  der  Wanderer  mit  Bangen  seine  Strasse  durch 

die  Romanja-Planina,  und  schon  die  Türken  legten  überall  Karaulen  (Wacht- 
häuser)  zum  Schutze  der  Strassen  an.  Aber  immer  erhielten  sich  die 
Banden,  verstärkt  durch  politische  Flüchtlinge,  die  bei  der  Bevölkerung 
Unterkunft  und  Unterstützung  fanden.  Noch  1882  waren  in  der  Romanja 
Aufständische,  denen  aber  bald  das  Handwerk  gelegt  wurde.  Heute  ist 
alles  ruhig  und  friedlich,  Jedermann  wandelt  ungestört  seine  Strasse,  die 
Kaserne  in  Han  Podromanja,  die  Posten  auf  dem  Glasinac  und  oben  im 
Gebirge  erinnern  aber  jederzeit  daran,  dass  das  Auge  des  Gesetzes  wacht, 
dass  es  eine  Wiederkehr  der  alten  Zustände  nicht  duldet. 

In  einem  Gasthause,  direkt  an  der  Strasse,  hielten  wir  Mittagsrast. 
Es  ist  ein  kleines  freundliches  Häuschen,  in  dem  gute  wenn  auch  beschränkte 
Unterkunft  zu  haben  ist.  Sonst  besteht  Podromanja  nur  aus  vereinzelten 
Häusern  und  einer  Moschee.  Weit  und  breit  sieht  man  keinen  Baum,  — 
für  die  Geschosse   der  Kaserne  ist  ein  ungehindertes  Schussfeld  vorhanden. 

Von  Han  Podromanja  zweigt  sich  in  südöstlicher  Richtung  die  Fahr- 
strasse nach  Rogatica  ab,  die  über  die  Hochebene  von  Glasinac  fuhrt, 
einen  der  berühmtesten  archäologischen  Fundorte  der  Erde.  Seit  dem 
Archäologenkongresse  in  Sarajevo  1894  ist  der  Name  Glasinac  überall  be- 
kannt geworden,  er  wird  in  allen  wissenschaftlichen  Zeitschriften  genannt, 
und  die  Welt  erwartet  noch  viele  Aufschlüsse  von  den  Geheimnissen,  die 


255 


in  den  Tumulis  des  Glasinac  verborgen  sind.  In  den  Zehntausenden  von 
Gräbern,  die  auf  dem  Glasinac  verstreut  liegen,  verbirgt  sich  ein  grosser 
Theil  unserer  alten  Geschichte,  und  die  Funde,  die  hier  gemacht  werden, 
können  allein  ein  grosses  Museum  füllen,  sie  sind  einzig  in  ihrer  Art.  Und 
wenn  auch  im  Volke  Sagen  gingen  von  einer  mächtigen  untergegangenen 
Stadt,  von  einem  grossen  Volke,  das  einst  die  Ebene  bevölkerte,  wenn 
auch  manchmal  Funde  an  seltenen  Schmuckgegenständen  und  Münzen 
ganz  zufällig  gemacht  wurden,  so  blieb  diese  Kunde  doch  in  der  Wildniss 
der  Romanja-Planina  verborgen.  Keiner  der  Barbarenstämme,  die  in  den 
ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  über  Bosniens  Gefilde  verheerend 
brausten,  nicht  die  späteren  slavischen  Einwanderer,  nicht  die  Türken  hatten 
die  Grabesruhe  der  alten  Helden  gestört,  die  einst  den  Glasinac  be- 
völkerten, erst  der  neuesten  Zeit  blieb  die  Erschliessung  einer  ganz  fremden 
Kulturwelt  vorbehalten.  Als  im  Jahre  1880  der  Bau  der  Strasse  von 
Sarajevo  nach  Visegrad  in  Angriff  genommen  wurde,  nahm  man  auf  der 
Hochebene  Glasinac  das  Schottermaterial  mit  leichter  Mühe  aus  den  dort 
massenhaft  vorhandenen  Grabhügeln,  wobei  viele  alte  Bronzegegenstände, 
selbst  ein  Kesselwagen  in  Gestalt  eines  Vogels  und  eine  schöne  Oinochoe 
gefunden  wurden.  Der  Leiter  des  Strassenbaues  sandte  die  Stücke  an 
das  naturhistorische  Hofmuseum  nach  Wien,  aber  die  ferneren  Ausgrabungen 
wurden  nicht  planmässig  betrieben,  bis  endlich  im  Jahre  1888  die  bosnisch- 
hercegovinische  Landesregierung  Arbeiten  im  grossen  Maassstabe  anordnete, 
die,  ununterbrochen  fortgesetzt,  eine  ständige  Post  in  den  wissenschaftlichen 
Arbeiten  des  Landesmuseums  bilden. 


■  Nu    Ausgrabungen    a\u    Glasinac    beim    Dürfe    Sokolac. 


256 


..  «p* 


■ 


Bauer  n  ;i  n  w  e s  e  n 
im   bosnischen   Wald  gebiet. 


Die  Hocliebenc  Glasinac  erscheint  durch  ihren  riachen  und  einförmigen 
Charakter  als  auffallende  Unterbrechung  in  dem  abwechslungsreichen  Berg- 
gebiete Mittelbosniens.  Das  Plateau  wird  von  einem  mächtigen,  im  Durch- 
schnitte 900  Meter  hohen  Karststocke  gebildet,  welchen  an  der  West-  um\ 
Südseite  die  schroff  emporsteigenden  Felsen  der  Romanja -Planina  über- 
ragen. Die  höchsten  Spitzen  dieses  Gebirges,  welches  sich  gegen  Glasinac 
zu  einer  Terrasse  (Na-Romanja)  abstuft,  erreichen  eine  bedeutende  Höhe, 
so  die  Velika  Stiena  [615  in,  Orlova  Stiena  1507  m  und  Veliki  vrh 
1328  m.  Dieses  Gebirge  bildet  gegen  Mokro  zu  steile  Felswände,  an 
welche  sich  an    der  Südecke    die   Bogovifcke  Stiene  anschliessen,    wodurch 


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1 1  ;i  n    Obh  o  ffjas    am    Glasin 

es  sich  zu  einem  natürlichen  Bollwerk  des  Glasinac  gestaltet.  Im  Südi 
ist  der  Uebergang  ins  Thal  der  Praca  minder  schroff,  immerhin  fuhren 
nur  enge  Schluchten  dahin,  während  sich  das  Plateau  im  Nordosten  in 
ein  sanftes  welliges  Hügelsystem  auflöst.  Nur  ein  geringer  Theil  c\e^ 
Plateaus  ist  vollkommen  eben:  der  sogenannte  »Ravni  Glasinac  ,  an  den 
sich  im  Norden  und  Südosten  kleinere  flache  Mulden  anschliessen.  Diese 
Theile  sind  von  dichtem  Moorgrund  überzogen,  durch  welchen  sich  ein 
träger  Bach  —  die  Resetnica  —  schlängelt,  um  bald  in  versteckten  Kar>t 
löchern  zu  verschwinden.  Nur  nach  starkem  Regen  und  nach  der  Schnee- 
schmelze erreicht  er  einen  eigentlichen  Abfluss  in  einem  weiten  Felsen- 
schlunde  bei  Pavici,  den  das  Volk  »Megara«  nennt.  Der  weitaus  über- 
wiegende Theil  der  Landschaft  ist  sanftwelliges  Hügelland,  dessen  aus- 
gedehnte, nur  stellenweise  von  Tannenhainen  unterbrochene  Weidegründe 
grosse  und  vorzügliche  Heuvorräthe  liefern.  Dieses  Gebiet  erscheint  daher 
wie  geschaffen  für  eine  Bevölkerung,  deren  Hauptbeschäftigung  und  Er- 
werbsquelle die  Viehzucht  war. 

In  dieser  Beziehung  nimmt  Glasinac  noch  heute  in  ganz  Bosnien  den 
ersten  Rang  ein,  und  es  ist  nicht  zu  verwundern,  wenn  sich  hier  die  meisten 
und  reichsten  Denkmäler  aus  prähistorischer  Zeit  finden.  Diese  Denk- 
mäler kommen  in  so  überwältigender  Anzahl  vor,  dass  sie  selbst  dem 
Landschaftsbilde  einen  eigenthümlichen  Ton  verleihen  und  auch  dem 
flüchtigen  Beobachter  den  grossen  Unterschied  zwischen  der  einstigen 
Kultur  und  dem  jetzigen  Verfalle  eindringlich  vor  Augen  führen.  Dieser 
Verfall  scheint  ein  jäher,  nur  durch  wenige  Uebergangsstufen  vermittelter 
gewesen  zu  sein.  Aus  römischer  Zeit  besitzen  wir  -  ich  folge  hier  den 
hochinteressanten  Ausgrabungsberichten  des  Herrn  Gustos  Dr.  Giro  Truhelka 
in  den  »Wissenschaftlichen  Mittheilungen  aus  Bosnien  und  der  Hercegovina« 
(Wien  1893)  —  die  Spuren  einer  Strasse,  die  über  das  Plateau  ins  Drinaca 
thal  führte.  Die  Erbauung  dieser  Strasse,  die  ins  3.  Jahrhundert  n.  Chr. 
fällt,  wird  vom  Volke  der  sagenhaften  Königin  Jerina  zugeschrieben,  die 
ihre  Unterthanen  durch  solche  und  andere  Frohnden  unsäglich  gedrückt 
haben  soll.      Die  Tradition   ist  vielleicht  auf  eine  im  Mittelalter  erfolgte  ];:-_ 


259     — 


neuerung  und  Umlegung  der  Strasse  zurückzuführen  und  sie  wird  wohl 
mit  jener  identisch  sein,  welche  die  Ragusaner  Karawanen  über  Mokro 
und  Glasinac  nach  Zwornik  führte.  Auch  die  häufiger  vorkommenden 
mittelalterlichen  Grabmonolithen  sind  im  Vergleiche  zu  anderen  Gegenden 
nicht  sehr  zahlreich,  wahrend  die  in  Bosnien  sonst  so  häufigen  mittelalter- 
lichen Burgen,  mit  Aus- 
nahme der  im  Pracathale 
liegenden,  gänzlich  fehlen. 
In  mittelalterlichen  Ur- 
kunden wird  Glasinac  selten 
erwähnt.  Professor  Kon- 
stantin Jirecek  fand  den 
Namen  in  Ragusaner  Ur- 
kunden aus  der  Zeit  von 
1404  bis  1430  nur  elf 
Mal  genannt.  Nach  jenen 
Quellen  war  Glasinac  ein 
^Ql  *-m    W*  -   \  Besitz  des  Grosswojwoden 

fetaJI  ±.Z5ß*  Sandalj    Hranic,    der    hier 

ein  Zollamt  besass.  Von 
den  heutigen  Ortschaften 
werden  nur  Mokro  und  Obre 
erwähnt.  Ausserdem  wird 
öfters  einer  Kirche  gedacht,, 
deren  Standort  Jirecek  nach 
Angaben  des  Ingenieurs. 
Stratimirovic  auf  jenen 
Crkvina  genannten  Felsen 
versetzt,  auf  welchen  nach 
dem  Okkupationsfeldzuge 
inmitten  eines  grossen 
mittelalterlichen  Friedhofes 
den  bei  Senkovici  gegen 
die  Schaaren  des  Mufti  von 
Taslidza  Gefallenen  ein  Denkmal  in  Gestalt  eines  Obelisken  errichtet 
wurde.  In  allen  Urkunden  wird  Glasinac  nur  als  Durchgangsgebiet  er- 
wähnt, und  es  besass  demnach  im  Mittelalter  niemals  den  Rang  eines 
Kulturcentrums,  den  es  ersichtlich  in  vorgeschichtlicher  Zeit  einnahm.  Die 
wichtige  Handelsstrasse  lockte  höchstens  verwegene  Strassenräuber  oder 
Haiduken  in  die  wald  und  höhlenreiche  Romanja-Planina,  und  von  dieser 
Romantik  haben  wir  früher  einige  Proben  aus  der  Volkspoesie  gegeben. 
Nur    in    strategischer   Hinsicht    blieb    die    Bedeutung    des  Glasinac   als   die 


Hauer    aus    der    Umgfebung    von    Rosratica. 


- 


Bauernhaus    aul    dem    Glasinac. 

eines  Bollwerkes  zwischen  dem  Westen  und  dem  Osten  Bosniens  unver- 
ändert, und  in  dieser  Eigenschaft  hat  das  Plateau  wiederholt  in  Kämpfen, 
die  über  das  Schicksal  Bosniens  entschieden,  eine  geschichtliche  Rolle 
gespielt. 

Wie  sich  aus  der  Terrainschilderung  ergiebt,  ist  die  Hochebene 
Glasinac  von  Natur  aus  stark  geschützt.  Aber  die  Sicherheit,  welche  das 
Gebirge  den  einstigen  Bewohnern  bot,  wurde  noch  durch  eine  systematisch 
angelegte  Kette  von  Wallburgen  erhöht.'"')    An  allen  halbwegs  praktikabeln 

*)  Wir  möchten  gleich  hier  erwähnen,  dass  Professor  Dr.  Hoernes  anstatt  »Wallburgen 
lieber  Ringwälle  sagen  möchte,  da  er  den  alten  ülyriern  keine  so  hohe  Entwicklun 
gesteht,  dass  sie  offene  Absiedlungen  und  korrespondirende  Fluchtburgen  besessen  hätten.  Das 
heutige  Volk  nennt  diese  Ringwälle  gradine  und  bezeichnet  sie  damit  unbewusst  richtiger. 
Ob  nun  das  slavische  Wort  »grad«  ursprünglich  mit  dem  deutsehen  gart  =  Zaun,  Umfassung 
'dänisch  gaard,  Hof,  grösseres  Stadtbaus;  englisch  yard,  Hof ;  lateinisch  hortus  usw.  identisch 
ist  oder  nicht,  wahrscheinlich  sind  die  Gradine  auf  dem  Glasinac  doch  nichts  wesentlich 
Andere-,  als  die  der  Landesnatur  gemäss  aus  Klaubsteinen  hergestellten  Umzäunungen  und 
Abgrenzungen  jenes  Raumes,  der  innerhalb  des  Gemeindelandes  oder  allgemeinen  Weideplatzes 
als  Sonderbesitz  an  Grund  und  Hoden  gelten  sollte.  Es  ist  dies  die  Hofstätte  in  Urkunden 
des  deutschen  Mittelalters  Hofreite  oder  »area«  genannt),  wo  nach  jener  alteren  Gesellschafts- 
ordnung die  Einzelfamilie  ungestört  schaltete  und  hauste.  Wenn  unten  Moor  und  Weide,  steiniger 
Grund  und  flüchtig  bestelltes  Ackerland  mit  einander  abwechseln,  ohne  dass  dein  Einzelnen  oder 
der  Einzelfamilie  ein  Sondereigenthum  daran  zukäme,  während  der  grosse  undurchdringliche 
Wald  und  die  rauhen  Gebirgshänge  den  Gemeinbesitz  des  ganzen  Stammes  schützend  um- 
schliessen  und  ihm  seine  natürliche  Grenze  setzen,  stehen  dort  oben  innerhalb  des  steinernen 
Geheges  die  Hütten  der  Einwohner  im  Kreise  um  den  Mittelraum  gereiht.  Die  Anlagen  • 
daher  statt     Ringwälle     oder     Burgen     lieber  »Runddörfer     heissen. 


261      — 


Zugängen  wurden 
die  beherrschen- 
den Anhöhen  mit 
Ringwällen  ge- 
krönt, und  es  gestaltete  sich  die  Hochebene  mit  der  Zeit  zu  einer  riesigen 
Festung,  die  ihren  Bewohnern  fast  absoluten  Schutz  gegen  feindliche  Ueber- 
fälle  bot.  Schon  auf  der  Romanja-Planina  trägt  die  1331  m  hohe  Spitze  des 
Yeliki  vrh  unter  den  Ruinen  einer  türkischen  Karaula  die  Ueberreste  einer 
Wartburg,  von  welcher  sich  ein  weiter  Ausblick  in  die  westliche  Land- 
schaft erschliesst.  Von  diesem  Punkte  bis  zum  Kamme  des  Kopitogebirges 
ist  die  ganze  Xordlinie  mit  Wallburgen  besetzt.  Wir  rinden  den  Sabinski 
Grad  bei  Schahbegovici,  andere  bei  Bukovik  und  Palez;  eine  grosse  Wall- 
burg an  der  Pritojska  Kosa,  eine  kleine  bei  Gradic.  An  diese  schliesst 
sich  eine  Reihe  von  Wallburgen,  welche  die  Ebene  Ljuburicpolje  dominiren. 
Die  Nord-  und  Ostseite  dieses  Thaies  wird  von  den  Wallburgen  am  Gradina- 
hügel, am  Südabhange  des  Kotariste,  oberhalb  Kosutica,  die  Südseite  von 
der  Burg  auf  der  Rasovaca  und  den  beiden  Ringwällen  auf  dem  Berge 
Maci  oberhalb  Staroselo  beherrscht.  Von  Kosutica  an  erstreckt  sich  in 
südöstlicher  Richtung  als  natürliches  Bollwerk  das  Kopitogebirge,  an  welches 
im  Süden  die  in  das  Rakitnicathal  führenden  Schluchten  Dolovi  und  Berek 
anschliessen.  Obwohl  der  Zugang  zum  Glasinac  an  dieser  Seite  nur  dem 
mit  der  Oertlichkeit  vollkommen  Vertrauten  möglich  ist,  finden  wir  auch 
hier  an  den  wichtigsten  Punkten  Wallburgen;  so  am  steilen  Felsen  der 
Laznica,  weiter  südlich  bei  Oskoplje  und  eine  kleine  Thalburg  zwischen 
beiden  bei  Prascici.  Den  Zugang  aus  dem  Rakitnicathal  über  Ivanpolje 
beherrschen  die  Wallburgen  bei  Kovanje,  zwei  bei  Senkovici,  zwei  am 
Krecberge  oberhalb  Staroselo,  die  feste  Burg  am  Vitanj  und  der  sogenannte 
Hreljin  Grad  jenseits  der  Plieschkuppe.  Von  Vitanj  bis  zum  Südrande  der 
Romanja-Planina,  bis  zu  den  sogenannten  Wänden  von  Bogovici,  ist  auch 
fast  jede  Anhöhe  besetzt,  und  wir  finden  Wallburgen  bei  Buljukovina  ober- 


262 


halb  Bjelosalici  (die  Velika-  und  Mala-Gradina) ,  am  Pliesch  oberhalb 
Podromanja  und  am  Gradinahügel  unweit  von  Bogoviöi.  Innerhalb  dieses 
Festungsgürtels  befinden  sich  noch  Wallburgen  am  Puhovac,  westlich  von 
der  Ortschaft  Sokolac,  in  Sokolac  selbst,  wo  die  St.  Eliaskirche  auf  den 
Ruinen  einer  Wallburg  steht,   und  zwei   bei   Kusace. 

Die  Anlage  aller  dieser  Wallburgen  ist  eine  höchst  primitive.  Wo  es 
der  Raum  gestattete,  wurde  die  einfachste  Grundrissform  —  die 
mehr  oder  minder  regelmässigen  Kreises  gewählt  und  der  Raum  durch 
eine  Anschüttung  von  Klaubsteinen,  wie  sie  die  nächste  Umgebung  bot, 
eingefasst.  Die  ursprünglichen  Maasse  dieser  Walle  lassen  sich  nach  dem 
vorhandenen   Materiale  nur  annähernd   bestimmen. 


Kaserne    in     Podromanja. 

Geradezu  verblühend  ist  auf  dem  Glasinac  die  Zahl  der  Hügelgräber, 
der  Tumuli.  Dr.  Truhelka  schätzte  sie  anfangs  auf  20000,  doch  über- 
zeugte ersieh  bei  genaueren  Forschungen,  dass  diese  Schätzung  zu  gering  sei 
und  die  fünffache  Zahl  der  Tumuli  angenommen  werden  dürfte.  Alle  Rücken 
des  östlichen  Hügellandes  sind  mit  zahlreichen  kleineren  oder  grösseren  Tu- 
mulis  übersät,  und  es  reiht  sich  eine  Xekropole  an  die  andere.  Der  westliche 
Theil  des  Glasinac,  d.  h.  die  Terrasse  des  Na-Romanja  und  der  Ravni  Glasi- 
nac, haben  keine  Tumuli.  Nur  zwei  befinden  sich  in  der  Ebene  südlich 
von  Sokolac.  Aber  diese  sind  Erdhüge*  mit  Massengräbern  ohne  Beigaben 
und  stehen  allem  Anscheine  nach  in  keinem  Zusammenhange  mit  den 
anderen  Nekropolen.  Die  Westgrenze  des  Xekropolcngebietes  wird  durch 
eine    nahezu    halbkreisförmige    Linie,    welche    dem    Rande    der   Ebene    im 


—    2..; 


Nordosten,  Osten  und  Süden  folgt,  bezeichnet.  Das  ganze  wellige  Hügel- 
land, welches  von  dieser  Linie  umschlossen  ist,  ist  mit  Hügelgräbern  über- 
sät, die  in  dichter  Reihenfolge  bis  zum  Knezinathal,  Kopitogebirge,  Rakit- 
nica-  und  Pracathal  reichen.  Ausserhalb  dieser  Zone  kommen  Tumuli  in 
nördlicher  Richtung  sporadisch,  in  südöstlicher  aber  häufiger  und  in 
grösseren  Gruppen  vor.  Namentlich  findet  man  Nekropolen  auf  den  An- 
höhen, welche  den  Kessel  von  Rogatica  einschliessen.  Die  äussersten  Aus- 
läufer dieses  Grabhügelgebietes  reichen  aber  viel  weiter  und  können  im 
Osten  bis  an  die  Drina,  im  Westen  bis  zur  Bosna  verfolgt  werden.  Am 
dichtesten  stehen  die  Hügelgräber  am  Ostrande  der  Ebene  von  Glasinac. 
Je  weiter  sie  davon  entfernt  sind,  desto  geringer  werden  sie  an  Zahl  und 
Grösse.  Die  Form  der  Hügelgräber  ist  die  eines  regellos  aus  Klaubsteinen 
hergestellten  Aufwurfes,  welcher  der  Gestalt  eines  flachen  Kegels  nahe- 
kommt. Die  Grössen  der  Hügel  sind  verschieden;  der  Durchmesser  an 
der  Sohle  variirt  von  5  bis  30  ja  40  Meter,  die  Scheitelhöhe  von  0,4  bis 
4  Meter.  Am  zahlreichsten  sind  die  kleineren  Hügelgräber,  während  grosse 
vereinzelt  auf  den  hervorragendsten  Plätzen  erscheinen  und  gewöhnlich  den 
Mittelpunkt  einzelner  Grabhügelgruppen  bilden. 

Die  Tumuli  von  Glasinac  enthalten  Skelett-  oder  Brandgräber  und 
nicht  selten  Beides  unter  einem  Hügel.  Der  Leichnam  oder  die  ver- 
brannten Reste  desselben  wurden  nie  in  die  Erde  versenkt,  sondern  immer 
auf  den  flachen  Boden  oder  bei  Terrassengräbern  auf  die  Steinpflasterung 
gelegt  und  mit  zusammengeklaubten  Steinen  so  lange  überschüttet,  bis 
ein  dem  Herkommen  entsprechender 
Hügel  entstand.  Bei  einer  solchen 
Bestattungsweise  ist  es  erklärlich, 
dass  die  Skelette  und  aller  halbwegs 
gebrechliche  Inhalt  nach  kurzer  Zeit 
in  Trümmer  gingen.  Die  Knochen 
zerbrachen,  die  Gefässe  und  Eisen- 
sachen zerfielen  in  Fragmente,  und 
wohlerhalten  blieben  nur  solche  Bron- 
zen oder  Thongefässe,  die  durch 
einen  glücklichen  Zufall  in  die 
Spalten  zwischen  grösseren  Steinen 
zu  liegen  kamen.  Meist  haben  die 
Skelette  die  Richtung  von  Ost  (Kopf- 
ende) nach  West,  so  dass  das  Ge- 
sicht des  Todten  der  aufgehenden 
Sonne  zugekehrt  war.  Wo  die 
Leichen    verbrannt   wurden,    fanden 

- 

sich  die  Brandreste  nie  in  einer  Urne 


Gen  «I  a  r  m  e  r  i  l- 
K  ;  s  e  r  11  e 
\     ron 


564 


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...  .T. 

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Am    Brunnen    in    Rogatica    vor    dem    Abdest 
Wa  s  c  hu  n  g    vo  r    d  em    <  !  e  bei   . 

oder  in  einem  anderen  Behälter  geborgen,  sondern  wie  die  Skelette  stets 
auf  dem  Urboden  oder  auf  einer  Steinpflasterung  niedergelegt.  Die 
zweifache  Bestattungsart  erklärt  sich  vielleicht  daraus,  dass  die  Feuer- 
bestattung das  Privilegium  einer  bevorzugten  Kaste,  etwa  der  Krieger, 
bildete.  Dafür  spricht  der  Umstand,  dass  bei  den  Ausgrabungen  fast  aus- 
nahmslos in  allen  Brandgräbern  Waffen  gefunden  wurden,  während  die 
Skelettgräber  nur  geringere  Funde  lieferten  und,  wo  solche  reichlicher  vor- 
handen waren,  sich  als  Frauengräber  erwiesen. 


-    267 


Die  Funde  bestehen  aus  Lanzen  (die  »Sibyna«  der  illyrischen  Stämme), 
Schwertern  und  Messern,  Streitäxten,  eisernen  Trensen  für  Pferde,  Bronze- 
helmen, Panzerfragmenten,  Bronzegürteln,  Schmucksachen,  Armbändern, 
Fibeln,  darunter  zweischleifige  Bogenfibeln,  die  eine  für  die  Glasinac-Kultur 
typische  Form  darstellen.  Ms  ist  eine  Bogenfibel  mit  viereckiger  Fuss- 
platte,  bei  welcher  der  Uebergang  vom  Bügel  zur  Nadel  einerseits  und 
zum  Fuss  andererseits  durch  je  eine  Schleife  vermittelt  wird.  Ferner  fanden 
sich  interessante  runde  Schliessen  (Zierscheiben),  Arm-  und  andere  Ringe, 
Schmucknadeln  und  Knöpfe  aus  Bronze,  Ohrringe,  Glas-,  Email-  und 
Bernsteinperlen  und  bemerkenswerthe  Steinobjekte,  auch  Thongefässe  sehr 


Ho  il  z  a    ;i  u  s    R  o  ga  t  i  c  ;i. 

origineller  Form.  Die  Funde  befinden  sich  im  Museum  in  Sarajevo  und  sie 
werden  tagtäglich  vermehrt,  so  dass  sie  ein  genaues  Bild  der  prähistorischen 
Illyrier  zu  bieten  vermögen.  Ueber  die  Zeit  der  Blüthe  des  Glasinac  konnten 
allerdings  die  auf  dem  Archäologenkongress  in  Sarajevo  versammelten 
Gelehrten  zu  keinem  abschliessenden  Urtheil  gelangen,  und  wir  wagen 
auch  gar  keine  selbstständige  Vermuthung.  Nach  den  bei  den  letzten 
Arbeiten  gesammelten  Erfahrungen  reicht  die  Anlage  der  Tumuli  und  so- 
mit auch  die  Besiedlung  des  Glasinac  von  der  ersten  Eisenzeit  über  die 
La  Tene- Periode  bis  in  die  Völkerwanderungszeit  hinein.  Jedenfalls 
ist  ein  so  ausgedehntes  Nekropolengebiet  bisher  in  luiropa  einzig  dastehend. 
Aul  dem  Wege  nach  Rogatica  und  um  diese  Stadt  selbst  finden  sich 
zahlreiche  römische  und  bogomilische  Grabsteine.  Mommsen  hat  schon 
einen    in    seiner   Sammlung   beschrieben,    andere   sind    von   Dr.    Blau    und 


—        2'. 


Waldpartie    auf   iler    Romanja-Planina. 

Dr.  Hoernes  näher  bestimmt  worden.  Unter  den  Bogomilensteinen  sind 
einige  bemerkenswerth  wegen  der  sonst  sehr  selten  vorkommenden  Auf 
Schriften.  So  lautet  die  eine,  die  auffallenderweise  von  rechts  nach  links 
zu  lesen   ist: 

Va  ime  otca  i  sina  i  sv.  duha.  Uvdi  lezi  Vlatko  Vladjevic  koji  neimase  o 
ni  mater,  ni  sina,  ni  brata  niti  i  jednog  covjeka,  osira  greha  .  Obidje  mnoge 
zemlje  o  kod  kueje  pogibe.  I  na  njega  usijece  kamen  njegov  vojvoda  Miotos  i 
druzina  s  Bozijom  pomocu  i  knezu  Pavla  miloscu,  koji  pohrani  Vlatka,  spomenuv 
Boy^a.«  Im  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes  i\u>\  <lrs  heil.  Geistes,  liier  ruht  Vlatko 
Vladjevic.  Kr  hatte  weder  Vater  noch  Mutter,  noch  Sohn,  noch  Geschwister,  noch 
sonst  Jemanden,  nur  seine  Sünde.  [Vielleicht,  nach  bogomilischer  Auffassung,  seine 
Gattin.      Viele   Länder  hat   er  durchzogen  und   isl   daheim   srestorben.     Diesen   Stein 


—     2  »9 


haben  auf  ihn  sein  Wojwode  Miotosch  und  seine  Anhänger  Genossenschaft  ver- 
fertigt (gewälzt)  mit  Hilfe  Gottes  und  der  Gnade  [des  Fürsten  Paul,  der  Vlatko 
begrub,   Gott  anrufend.«) 


Gute    Rast    .       Bauer    aus    Mokro. 


Rogatica  selbst  ist  ein  ungemein  freundlicher  und  betriebsamer  Ort. 
Er  ist  vorwiegend  mohammedanisch,  jeder  Mensch  ist  ein  Frommer,  jeder 
Zweite  ein  Schriftgelehrter  oder  ein  Hadzi  (Mekkapilger),  jeder  Dritte 
ein  Hafiz  (vom  glücklichen  Gedächtniss,  d.  h.,  welcher  den  Koran  aus- 
wendig kann),   ein  Hodza  (Geistlicher)  oder  ein  Kadi.     Dort  sind  sogar  die 


mohammedanischen  Frauen  unterrichtet.  Man  wurde  aber  fehlgehen,  wenn 
mau  glauben  wurde,  diese  mohammedanische  Gelehrtenstadt  kümmere  sich 
nicht  um  weltliche  Bedürfnisse.  Der  Bezirk  Rogatica  liefert  die  besten 
Pferde,  er  besitzt  in  seinen  Stierstationen  von  der  Landesregierung  ge- 
schaffene Einrichtungen  zur  liehung  der  Rindviehzucht,  die  mu  tergiltige 
Ergebnisse  liefern.  Die  jedes  Jahr  stattfindenden  Prämiirungen  (s.  Abbildung 
Seite  23$)  liefern  hierfür  den  besten  Heueis.  Für  Forscher  auf  dem 
Glasinac  ist  Rogatica  ein  geradezu  idealer  Aufenthaltsort 

Vom  1  [an  Podromanja  steigt  die  nach  Sarajevo  fuhrende  Fahrstrasse 
in  zahlreichen  Windungen  das  Gebirge  hinan.  Anfangs  herrscht  noch 
Karstgegend,  dann  beginnen  dichte  Waldungen.  Bei  Han  Naromanja 
(1376  m)  haben  wir  den  Kamm  erklommen  und  erfolgt  der  Abstieg  auf 
zahllosen  steilen  Serpentinen  bis  Mokro.  Stundenlang  sieht  man  die 
weite  fruchtbare  Ebene  wie  ein  prächtiges  Panorama  vor  sich  liegen.  Hin 
und  wieder  stehen  am  Wege  einzelne  Gehöfte.  Mokro  ist  ein  ausgedehnter 
Ort,  der  einst  grössere  Bedeutung  besass.  Hier  rekrutirten  sich  die  »Helden 
der  Planina,  heute  ist  ihnen  das  Handwerk  gelegt.  Damit  sie  aber  nicht 
rückfällig  werden,  liegt  eine  kleine  Garnison  hier.  Bis  Han  Derventa  fuhrt 
die  Strasse  mit  nur  geringen  Steigungen  zur  Einmündung  auf  die  Strasse 
Sarajevo -Gorazda.  Dann  beginnt  wieder  der  steile  Anstieg  im  wild- 
romantischen Miljackathale,  das  wir  früher  kennen  gelernt  haben.  Der 
Abend  war  bereits  hereingebrochen,  als  wir  unter  dem  Kastell  in  die 
bosnische  Hauptstadt  einfuhren.  Die  kleinen  Pferde  unseres  Suljo  hatten 
die   100  Kilometer  o-länzend  zurückefele^t. 


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Blick    von    der    Rom  anja-Planina    gegen    Mokro. 


Von  Sarajevo  nach 
Mostar, 

Der    Bahnzug,    der   uns    nach 
der  Hauptstadt  der  heldenmüthigen, 
aber  blutigen  Hercegovina  bringen 
sollte,  verliess Sarajevo  gegen  Mittag. 
Zuerst  durchzieht  er  die  Ebene  bis 
zum  Bade  Ilidze,   dann  übersetzt  er 
die  Zel|eznica  aut  einer  neuen  .Lisen- 
brücke     und     erreicht    die    Station 
Blazuj.     Der  kleine  Ort,    der  sich 
durch    neue   Hauser    und   Zubauten 
fortdauernd    vergrössert,     liegt    in 
einem      hübschen      wohlkultivirten 
Thale.      Direkt    über    ihm    streckt 
der    1248  m    hohe  Igman    sein  be- 
waldetes Haupt  in  die  Lüfte.    Hier 
hatten    wir    1878    den    letzten   Tag 
vor    der    Einnahme    von    Sarajevo 
gelagert,  aber  es  sind  ganz  kuriose 
Wandlungen    seit  jener   Zeit    über 
Bosnien    und    über    diese    Gegend    dahin    gegangen.       Wohin    man    blickt, 
sieht   man    die    Errungenschaften    der   Neuzeit,    regen   Verkehr.      Und    ist 
nicht  die   Eisenbahn,   die   jetzt  Blazuj    berührt,    der    machtigste   Beweis   des 
kulturellen  Fortschrittes?    Zweimal   die  Zujevina  (die  säuselnde)  übersetzend, 
gelangen   wir  acht  Kilometer  weiter  nach   Had/.ici.      Grosse  Brettsägen   und 
Holzlager  zeugen   von    industrieller   Verwerthung    der  Schatze  des  Waldes. 


IIa  7.  a  r  von    San        ■  0. 


Junge  mohammedanische  Mädchen  winkten  dem  Zuge  ein  Willkommen  zu. 
Längs  der  Zujevina  führt  die  Bahn  durch  gut  angebautes  Gelände  bis 
Pazaric,  einem  langgestreckten  Dorfe   mit  europäisch  gebauten  Landhäusern 

für  Sommerfrischler.  Der  Ort  liegt  ungemein  malerisch,  und  der  Anblick 
auf  die  dunkeln  Kuppen  der  Bjelasnica,  in  (Kren  Waldein  Bären  und 
Gemsen  noch  eine  gute  Zufluchtsstätte  finden,  bietet  ganz  besondere  Reize. 
Den  grossartigsten  Ausblick  auf  diese  Gebirgskette  hat  man  jedoch  von 
der  nächsten  Station  Tarein   aus,   die  man  nach  Ueberwindung  einer  kleinen 


Station    Iva  n    m  i  t    Tu  n  ne  1. 

Wasserscheide  unter  theilweiser  Benutzung  des  Zahnstangensystems  er 
reicht.  Tarein  bietet  durch  seine  Umgebung  interessante  Partien  für  Hoch- 
touristen, und  gerade  die  Bjelasnica  mit  ihren  bis  zu  2063  m  ansteigenden 
Spitzen  wäre  näherer  Erkundung  werth.  Bei  der  Station  Rasteljica  beginnt 
der  grosse  Aufstieg  auf  den  Ivan,  die  15  155  m  lange  Zahnstangenstrecke 
des  eigentlichen  Ueberganges.  Die  Steigung  ist  ziemlich  stark;  zu  einer 
Seite  tief  eingeschnittene  Schluchten,  an  der  anderen  den  Koreabach. 
Jeder  Blick  bietet  neue  überraschende  Fernsichten.  So  erreichen  wir  die 
Station  Ivan  mit  der  Wasserscheide  zwischen  dem  Schwarzen  und  dem 
Adriatischen  Meere.  Eine  Gedenktafel  erinnert  an  den  Bahnbau:  Ge 
widmet   dem   Andenken   des   verewigten  Herrn  Hermann  fohann  Kaut.   Bau- 


—      27^     — 


ktor  der  bosnisch -hercegovinischen  Staatsbahn  1891.«  Zur  eigent- 
lichen Passhöhe  (1010  m)  fuhrt  von  der  Station  aus  eine  neu  angelegte, 
einen  Kilometer  lange  Fahrstrasse.  Dort  oben  befindet  sich  die  Kolonie 
Ivan,  zum  Theil  angesiedelte  Südtiroler.  Hier  war  einst,  so  lange  noch  der 
Tragthierverkehr  zwischen  Mostar  und  Sarajevo  bestand,  ein  wichtiger 
1  [altepunkt.  Eine  feste  türkische  Karaula  sorgte  für  die  nöthige  Sicherheit, 
einige  Hans  für  Unterkunft.  Jetzt  ist,  seit  die  Fahrstrasse  erbaut  wurde 
und  durch  den  Bahnbau  ganz  neue  Anlagen  geschaffen  sind,  eine  kleine 
Villenkolonie  entstanden,  die  inmitten  prächtigen  Buchenwaldes  für  Sommer- 
gäste guten  und  genussreichen  Aufenthalt  bietet.  Für  Touristen  befindet 
sich  in  der  Bahnstation  ein  Touristenzimmer   und    eine   gute  Restauration. 

Direkt  nach  dem  Verlassen  der  Station  fährt  der  Zug  in  einen 
Tunnel  von  648  m  Länge  mit  dem  geringen  Gefälle  von  30  00.  Wir  sind 
in  der  Hercegovina,  und  förmlich  wärmere  Lüfte  wehen  um  das  Haupt. 
Der  Blick  fallt  beim  Hinaustreten  aus  dem  Tunnel  auf  ein  ungemein 
liebliches,  von  sanften  Hängen  mit  grünen  Matten  umsäumtes  Thal;  nach 
rückwärts  blickend  auf  die  Höhen  des  Ivan  und  auf  die  steile,  langgestreckte 
Felswand  der  dicht  bewaldeten  Preslica.  Wir  folgen  dem  Oberlaufe  der 
Tresanica,  die  hier  Bradina  Rjeka  genannt  wird,  und  kommen  nach  der 
Station  Bradina.  Die  gleichnamige  kleine  Ortschaft  liegt  in  äusserst 
malerischer  Umgebung,  inmitten  von  Eichen-  und  Buchenwäldern.  Ein 
kleines  europäisches  Gasthaus  sorgt  für  Stärkung.  Interessant  ist  der  Aus- 
blick auf  den  Duboski-Potok  mit  der   1743  m  hohen  Lisina-Gruppe. 

Die  Bahn  tritt  jetzt  in  eine  lange  Thalenge  ein.  Ueberall  sieht  das 
Auge  grossartige  Schluchten,  steile  Abhänge,  die  schönen  Wasserfälle  von 
Unter-Bradina.  Ein  kleiner  Tunnel  (103  m)  wird  durchfahren,  dann  die 
Ortschaft  Sunje  passirt,  und  nun  bietet  sich  eine  Ueberraschung  nach  der 
anderen.  Ueber  hohe  Steinmauern,  durch  tiefe  Felseinschnitte,  durch  fünf 
Tunnels  ist  der  Weg  gebahnt.  Immer  imposanter  erheben  sich  am  Horizonte 
die  Riesen  der  hercegovinischen  Gebirgswelt,  der  Prenj  bei  Jablanica  stets 
im  Vordergrunde.  Die  Vegetation  ist  bereits  südlicher  geworden;  ungemein 
häufig  ist  die  Edelkastanie.  Da  wieder  ein  Tunnel  und  gleich  darauf  eine 
Brücke  von  ganz  eigenartiger  Konstruktion,  welche  die  wilde  Lukaschlucht 
übersetzt.  Das  ist  ein  imposanter  Anblick.  Und  immer  neue  Einschnitte, 
neue  Tunnels.  Dicht  an  den  Felsen  und  am  steilen  Abgrunde  die  Bahn,  als 
kühnes  Gebilde  von  Menschenhand.  So  erreichen  wir  d\c  Station  Brdjani  mit 
herrlicher  Rundsicht.  Auf  der  Lehne  des  eigentlichen  Tresanicathales  dahin- 
fahrend,  haben  wir  tief  unter  uns  das  Pravosnicathal  und  die  Fahrstrasse 
Mostar-Sarajevo,  vor  uns  den  schneebedeckten  Prenj.  Und  abermals  fahren 
wir  in  Tunnels,  durch  das  Tresanicathal  zur  Station  Podorozac,  wo  von  der 
1  Iercegovinaer  Seite  der  eigentliche  Ivanaufstieg  mit  ununterbrochener  Zahn- 
stangrenanlaore    und  Steigungen    bis  zu  60  Prozent  beginnt.      Hier  wird   die 


—      274 


D   e    Lukas c  h  1  u  c  h  t. 

Tre-anica  übersetzt:  in  tiefem  Einschnitt,  vorüber  an  interessanten  Fels- 
partien, mit  dem  Blick  auf  romantische  Schluchten  und  die  ringsum  an- 
strebenden Berge  treten  wir  in  das  Thal  der  Narenta  und  erreichen  die 
Stadt  Konjica. 

Die  Station  liegt  abseits  des  eigentlichen  Ortes  in  erhöhter  Lage,  so- 
dass  man  einen  vorzuglichen  Ausblick  über  die  gesammte  Gegend  ge- 
messt. Die  Stadt  Konjica  liegt  in  einem  Kessel  zwischen  hohen  Bergen, 
an  beiden  Ufern  der  Narenta,  die  hier  in  ihrem  tief  eingeschnittenen,  aber 
mit  Geröll  bedeckten  Bette  meist  so  seicht  dahinfliesst,  dass  sie  im  Sommer 
durchwatet  werden  kann.  Eine  schöne  steinerne  Bogenbrücke,  deren  Er- 
bauung die  Christen  dem  König  Hvalimir  gegen  Ende  des  7.  Jahrhunderts, 
die  Türken  aber  richtiger  dem  Vezier  Achmed  Sokoloviö  (1715)  zuschreiben, 
verbindet  die  beiden  Stadttheile.  Der  grössere  westliche  war  früher  nur 
von  Mohammedanern  bevölkert;  heute  aber  wohnen  hier  die  meisten 
Fremden.  Gegenwärtig  hat  Konjica  ungefähr  2000  Bewohner.  Es  haben 
sich  in  diesem  einst  durch  den  Fanatismus  seiner  Bevölkerung  berüchtigten 


—    ^77     — 


Orte  eine  Menge  Fremde  niedergelassen,  und  mehrere  Gasthäuser 
(»Elephant«,  »König  von  Ungarn-,  Kaiser  von  Oesterreich«  und  besonders 
die  Bahnhofrestauration)  bieten  ganz  gute  Verpflegung.  Als  ich  im  Jahre 
1885  einmal  in  Konjica  übernachtete,  genoss  das  Gasthaus  »zum  Kaiser 
von  Oesterreich«  durch  seine  dicke  Wirthin,  die  »Schmauswaberl«  in  der 
ganzen  Hercegovina  einen  wohlverdienten  Ruf.  Nicht  etwa  durch  die 
Schönheit  der  Wirthin,  denn  diese  war  sehr  negativer  Natur,  sondern  durch 
die  vorzügliche  Küche.  Die  Lachsforellen  aus  der  Narenta  wurden  unter 
ihrer  Hand  zu  einer  Delikatesse,  welche  das  Herz  jedes  Feinschmeckers 
befriedigen  musste.  Der  Fluss  —  hier  eigentlich  nur  Neretva  genannt  — 
liefert  diese  Forellen  in  grossen  Mengen,  darunter  solche  von  10  und 
mehr  Kilo   Gewicht. 


*' j*"a^ 


.Mühle    bei    Konjica    in    der    Hercegovina. 

Konjica  war  im  Mittelalter  ein  wichtiger  Grenzort  zwischen  Bosnien 
und  der  Grafschaft  Chlum.  Hier  soll  im  Jahre  1446  der  bosnische  Land- 
tag abgehalten  worden  sein,  der  so  scharfe  Beschlüsse  gegen  die  Bogomilen 
fasste,  dass  40000  von  ihnen  nach  der  Hercegovina  auswanderten.  Der 
Landtag  sollte  überhaupt  in  Glaubenssachen  Ordnung  schaffen,  die  unbot- 
mässigen  Vasallen  zum  Gehorsam,  das  königliche  Ansehen  in  Achtung 
bringen.  Stefan  Kosaca,  der  Lehensträger  von  Chlum  (Hum),  hatte  sich 
der  bosnischen  Oberhoheit  entzogen,  unter  jene  des  deutschen  Kaisers 
gestellt  und  das  Herzogthum  von  St.  Sava  errichtet.  Dieser  Akt  sollte 
nun  ungültig  erklärt  werden,  Herzog  Stefan  und  alle  übrigen  Lehensträger 
und  Wojwoden  dem  Könige  den  Kid  der  Treue  leisten.  Das  auf  dem 
Landtage  zu  Konjica  erlassene  königliche  Patent  lautet: 

Wir  Stefan  Tomas,  durch  die  Gnade  Gottes  König  von  Bosnien  und  Serbien 
u.  s.  w.  erklären  hiermit  und  thun  zu  wissen  allen,  welche  es  angeht:  l>ie  Glieder 
Unserer    allgemeinen    Versammlung,    allgehalten    in    Konjica,    Unsere    Prälaten    und 


>7N      - 


Magnaten,  haben  Uns  zu  l  nserer  Prüfung  mehrere  Verordnungen  unterbreitet  und 
l  ns  gebeten,  dieselben  zu  bestätigen  und  zu  sanktioniren  und  unter  diesen  die 
folgenden   Ami     I 

Art     I.     Die  Manichäer    Bogomilen     sollen  keine   i  h  die 

verfallenden  restauriren.  --  Art.  II.  Die  der  katholischen  Kirche  geschenkten  Güter 
sollen  ihr  niemals  abgenommen  werden.         Art.  III.    D 

ziehend,   einen  Menschen   tödtel     soll   mittelst  königlichen  D  t  und  ein- 

gekerkert  werden    und    seine  Hüter    /ur   1  Hüfte    dem    Fiskus,   zur   Hallt'-   d 
oder  Erben  des  Getödteten   verfallen.  Art.  I V.    Die  Räthe,  Sekretäre,  V. 

und   Grafen   des    Hofes    sollen    bei   Antritt    ihre^    li  Hän 

den  Eid    der  Treue   leisten.  —  Art.  V.     Der  Herzog   von  Si.  Sa\a    soll    illegitim  erklärt 
sein,   wenn  er  nicht   durch   den    Koni-    von  Bosnien  ernannt   wird.     Nach  so  geil 
Ernennung   soll    der   Herzog   den   Eid    der  Treue   in  die   Hände  Sr.  königl.   M 
leisten.  —  Art.  VI.    Blutschande  und    Verführung   einer   Blutsverwandten    sollen    mit 
dem  Tode  bestraft   werden.  —   Art.  VII.     Hie    Verräther    des    Vaterlandes  und  ihres 
Herrn    sollen   gestraft    werden    gleich    den   Hochverräthern,    desgleichen  die   l 
münzer    und    diejenigen,    die   ohne    Berechtigung   Münzen    schlagen.   —   Aus    dii 
Anlasse  wollen  Wir,  dass  die  vorstehenden,  mit  dem  Einverständnisse  Unserer  Prälaten, 
Wojwoden  und   Killen  dieses   Königreiches,   gleichwie  Unseres   gewöhnlichen  Kathe> 
festgesetzten  Verordnungen  durch  die  Beisetzung  Unseres  königlichen  Siegels,  legalisirt 
und  sanktionirt  werden.     Gegeben  zu  Konjica  unter  der  Obsorge  des   hochwür 

in    Jesu   Christo,    des   Herrn   Wladimir  Wladimirovic,    Bischofs    von    Kresevo, 
Unseres   lieben   und  getreuen   königlichen  Sekretärs  für  die  Narenlaner  Kirchen  des 
griechischen   Kitas,    am    Tage    des    Festes   des    heil.   Johannes   des   Täufers,    im   J 
Unseres   Herrn   1440  und   im  dritten  Unserer  Regierung.« 
Die  erhoffte  Ruhe  trat  nicht  ein,   und  es  wahrte  nicht  lange,   so  war 
die   ganze  Hercegovina    und    mit   ihr  Konjica    in    der  Gewalt   der  Türken. 
An  die  Stelle  der  christlichen  Unduldsamkeit   trat   der   mohammedanische 
Fanatismus.      Aus     den    Wäldern    und    Schluchten    kamen     die    gehetzten 
Bogomilen  zum  Vorschein,  sie  wurden  Islamiten  und  erlangten  die  leitenden 
Stellungen.    Einzelne  Familien  behielten  aber  stets  den  Glauben  ihrer  Väter, 
und  erst  kurz  vor  der  Okkupation  trat  in  Dobacani  bei  Konjica  die  letzte 
dort  lebende  Bogomilenfamilie  Helez  zum  mohammedanischen  Glauben  über. 
In   Konjica  war  es  auch,    wo   die   zur  Zeit    der  Insurrektion  von    1878   aus 
Sarajevo    ausgewiesenen    Oesterreicher    mit   dem    Generalkonsul    Wassitsch 
in  der  Nacht  aufgehalten  und   mit  Niedermetzelung  bedroht  wurden.     Nur 
der  Intervention  der  von  Hadzi  Lojo    beigestellten  Bedeckung,    besonders 
den   Bemühungen    des   alten    Posttataren    Derwisch   Aga,    welcher    erklärte, 
nur  über  seine  Leiche    führe    der  Weg   zu    den    Flüchtlingen,    die    ihm  an- 
vertraut   seien,    war    es   zu    danken,    dass    die    Weiterreise    nach    Metkovic 
fortgesetzt  werden  konnte. 

Die  Umgebung  von  Konjica  ist  wildromantisch,  besonders  der  Borke- 
See    ist    eines   Besuches   werth.      Der  See,    vom  Volke    »Boracko  Jezer*> 
auch    kurzweg  »Jezero«   genannt,    liegt    nach    den   im    Frühjahr    1802    vor- 
genommenen  barometrischen    Messungen    405  m    über    der  Adria   in  einer 
grossen   Mulde,   die  einerseits  von  der  Crnagora,  andererseits  von  den  Ab- 


—     279    — 


hängen  des  bis  1055  m  hohen  Rückens  Tranjine  (auch  Dolovska  strana 
genannt),  endlich  von  den  Abhängen  des  bis  860  m  hohen  Plateaus,  auf 
dem  die  Ortschaft  Borke  sich  ausdehnt,  begrenzt  wird.  Er  ist  20  km  in 
südöstlicher  Richtung  von  der  Stadt  Konjica  entfernt. 

Nachdem  man  auf  einem  verhältnissmässig  guten  Reitwege  den  Ort 
verlassen  und  den  imposanten  Einblick  in  das  von  den  schneebedeckten 
Spitzen  der  Borasnica,  Poslusnik,  Motika,  Ortis,  Kapa  etc.  umgrenzte 
Bjelathal  genossen  hat,  beginnt  der  etwas  steile,  jedoch  sowohl  für  Reiter 
wie  für  Fussgänger  leicht  überwindbare  Aufstieg  auf  den  Vrbassattel,  von 
wo  man  auf  der  alten  türkischen  Heerstrasse,  die  von  Sarajevo  über  Lipeta- 
Karaula  nach  Mostar  und  Nevesinje  führte,  das  Plateau,  auf  dem  die  Ortschaft 
Borke  liegt,  erreicht.  Die  abgeholzten  Lehnen  der  Borasnica,  an  denen  in 
den  siebziger  Jahren  eine  englisch-französische  Kompagnie  nicht  gerade  zum 

Vortheil  der  Waldbestände   gehaust  hat,  sowie  die  in  der  Ferne  sichtbaren 

v  v 

Spitzen  des  Osobac  (2026  m),  Poslusnik  (1744  m),  Zivanj  und  Crvanj  um- 
grenzen den  Horizont.  Nach  etwa  einer  Stunde  erreichen  wir  den  steilen 
Rand  des  Plateaus,  von  dem  der  die  Abwässer  der  Borasnica  führende 
Boracki  Potok  in  engen  Schluchten  und  Kaskaden  herabstürzt.  Noch 
einige  Schritte  und  es  eröffnet  sich  uns  ein  wundervolles  Bild. 

Durch  saftig-grüne  Gesträuche  auf  der  Dolovska  strana,  tiefgrüne 
Waldbestände  auf  der  Crnagora  begrenzt,  zeigt  sich  in  der  Tiefe  der 
dunkelgrüne,  spiegelglatte  See,  ein  wahres  Meeresauge,  so  verschieden  in 
seiner  Farbe  von  den  übrigen  hercegovinischen  Seen,  wie  Place,  Bak  und 
Derjansko  Jezero.  Auf  steilen  Serpentinen  erreichen  wir  in  etwa  einer 
halben  Stunde  (4  Marschstunden  von  Konjica)  das  Seeufer.  Der  wohl- 
thuende  Schatten  der  Erlenbestände  und  die  kaum  durch  den  Schrei  eines 
Buchhehers  getrübte  Stille  nebst  dem  Blicke  auf  die  ruhige,  leicht 
gekräuselte  Seefläche  sind  der  Lohn  für  die  kleinen  Reisestrapazen.  Der 
jetzige  See  bildet  nur  den  kleineren  und  unteren  Theil  des  grossen  Beckens, 
welches,  von  der  Crnagora  (Jelovina),  Tranjina,  Ostra  und  Kosutica  um- 
grenzt, steil  gegen  die  Narenta  abfällt.  Die  Konfiguration  spricht  dafür, 
dass  ursprünglich  das  ganze  Becken  vom  See  ausgefüllt  war,  der  von  den 
zahlreichen  dort  befindlichen  Quellen  und  dem  Schneewasser  aus  dem 
umliegenden  Gebirge  gespeist  wurde  und  erst  nach  und  nach  einen 
stärkeren  Abfluss  gegen  die  Narenta  durch  den  Sisticabach,  der  sich 
zwischen  die  Kosutica  und  Jelik  einzwängte,  erhielt.  Im  Laufe  der  Zeit 
wurde  der  obere  Theil  des  Sees  durch  das  Gerolle  und  herabgeschwemmte 
Erde  verschüttet  und  diesem  Schicksal  geht  leider  auch  der  heutige  See 
entgegen.  Nach  der  neuesten  Aufnahme  misst  der  See  26,42  Hektar, 
-eine  grösste  Länge  ist  y$c>  m,  seine  grösste  Breite  402  m. 

Nach  einer  unter  den  orthodoxen  Bewohnern  verbreiteten  Sage  soll 
der  heilige  Sava    die    Gegend,    um    die    Bewohner    wegen    schlechter   Auf- 


:No 


nähme,  die  er  bei  ihnen 
gefunden  hatte,  zu  strafen, 
in  einen  See  umgewandelt 
haben.  Die  Sage  giebt 
dem  See  eine  unermessliche 
Tiefe,  in  welcherUeberreste 
der  einst  blühenden  Ort- 
schaft gelegen  sein  sollen. 
Bis  heute  nennt  die  He- 
völkerung  die  einzelnen 
Buchten  des  Sees  »Kuce 
(1  [äuser)  und  will  in  den 
in  der  Tiefe  sichtbaren 
Baumstämmen  Ueberreste 
der  I  [äuser  erkennen.  Nach 

den  genauesten  Tiefe- 
messungen hat  man  jedoch 
nur  die  grösste  Tiefe  mit 
17,10  Meter  gefunden,  im 
Durchschnitt  13  -15  Meter. 
In  den  mohammeda- 
nischen Bevölkerungskrei- 
sen von  Konjica  ist  über  die 
Entstehung  des  Borkesees 
folgende  Sage  verbreitet, 
die  Regierungsrath  Heer- 
mann mittheilt:  In  uralter 
Zeit,  als  noch  die  Heiligen 

auf  dieser  sündhaften  Welt  zu  wandeln  pflegten,  stand  dort,  wo  gegenwartig 
der  Borkesee  liegt,  ein  blühendes  Stadtchen,  dessen  Name  leider  Niemandem 
mehr  bekannt  ist.  Die  Bewohner  dieses  Städtchens  waren  mit  allen 
irdischen  Reichthümern  gesegnet,  doch  waren  sie  im  Herzen  verdorben 
und  so  geizig,  dass  bei  ihnen  die  Gebote  der  Gastfreundschaft  und  der 
Nächstenliebe  nicht  mehr  eingehalten  wurden.  Diese  Sünden  führten 
endlich  zu  ihrem  Verderben.  Nach  Gottes  weisem  Rathschlusse  kam  einst 
ein  heiliger  Mann  in  diese  Stadt  und  bat  um  Speisung  und  Obdach. 
Höhnend  wiesen  ihn  aber  die  Reichen  ab;  Niemand  wollte  seinem  Flehen 
willfahren.  Als  er  vergeblich  an  alle  Thüren  geklopft  hatte,  kam  er  zu 
der  abseits  der  Stadt  gelegenen  Hütte  der  einzigen  Armen  dieser  reichen 
Gemeinde.  Es  war  das  eine  arme  Wittwe,  die  ausser  ihrem  1  lausehen, 
einem  Gärtchen,  einer  Kuh  und  einem  Pferde  nichts  mehr  ihr  lügen  nannte, 
als  einen  Sohn,   der  eben  im  besten  Jünglingsalter  stand.    Mutter  und  Sohn 


Christliche    Bäuerin    aus    Kon 


283 


waren  Gott  ergeben,  fromm  und  für  fremdes  Leid  empfänglich.  Sie 
nahmen  den  armen  Wanderer  gastfreundlich  auf  und  theilten  mit  ihm  das 
frugale  Mahl  und  Obdach.  Am  nächsten  Morgen,  als  sich  der  heilige 
Mann  zur  Weiterreise  anschickte,  sprach  er  zur  Mutter  und  deren  Sohn: 
Mit  Gottes  Beistand  werde  ich  diese  Stadt  wegen  der  Sünden  ihrer 
Bewohner  -trafen.  Nehmet  eure  Habseligkeiten  und  verlasset  diesen 
dem  Untergange  geweihten  Ort.  Zieht  gegen  Nordwest  und  verfolgt  den 
Fluss,  zu   dem  ihr  kommen   werdet.     Dort,  wo  euer  Pferd  mit  dem  rechten 


Im    Narenta-Defile    mit    dem    Blick    auf    den    Prenj. 

Vorderhufe  den  Boden  dreimal  schlagen  wird,  dort  siedelt  euch  an;  Gottes 
Segen  wird  euch  dort  belohnen.«  Sofort  befolgten  Mutter  und  Sohn 
diesen  Rath,  und  bald  waren  sie  weit  von  der  Stadt  und  dem  bei  ihrer 
Hütte  verbliebenen  Wanderer.  Als  sie  den  letzten  Blick  der  Heimath  zu- 
wendeten, erfasste  Schreck  ihre  Herzen:  sie  sahen  eben,  wie  die  Stadt 
unter  dem  Wehgeschrei  ihrer  Bewohner  in  die  Erde  versank  und  ein  aus 
zahlreichen  Quellen  hervorsprudelnder  See  das  neue  Becken  erfüllte.  Der 
heilige  Mann  verschwand  zu  gleicher  Zeit  vor  ihren  Blicken.  So  war  der 
Borkesee  entstanden.  Mutter  und  Sohn  zogen  weiter  und  verfolgten  den 
Flusslauf  (Narenta),  den  ihnen  der  heilige  Mann  bezeichnet  hatte.  Nach 
mehrstündigem  Wandern  blieb  plötzlich  das  Pferdchen  stehen.  Das 
Mütterchen   munterte   e^   durch  den   Zuruf:      Hajde,     hajde,     moj    konjicu! 


-'■ 


(Geh',  geh  ,  mein  Pferdchen!) 
auf,  doch  das  Pferd  rührte 
sich  nicht  von  der  Stelle. 
Auf  einmal  scharrte  es  mit 
dem  rechten  Vorder! 
dreimal  die  Erde.  Jetzt 
kannten  Mutter  und  Sohn, 
dass  sie  an  dem  ihnen  \  01 
dem  heiligen  Manne  bezeich- 
neten Flecke  angelangt  seien. 
Dort  bauten  sie  >ich  eine 
Hütte,  und  bald  darauf  ver- 
heirathete  die  Mutter  ihren 
Sohn.  Das  Anwesen  gedieh 
vonTagzuTag,denn  es  ruhte 
Gottes  Segen  auf  dieser  Fa- 
milie. Zu  ihr  gesellten  -ich 
die  Verwandten  der  jungen 
Frau,  und  bald  entstand  ein 
blühender  Ort,  dem  zur  Er 
innerung  an  das  Pferdchen, 
welches  durch  sein  Scharren 
die  Stelle  zu  dieser  Ansied- 
lung  bezeichnete,  der  Name 
Konjica  gegeben  wurde 
Ein  direkter  Ausflug  von  Konjica  in  das  romantische  Bjelathal,  dessen 
Lage  wir  oben  andeuteten,  ist  gleichfalls  zu  empfehlen.  Hier  werden  sehr 
hübsche  Holzschnitzereien  und  Holzgeräthe,  hauptsächlich  die  Truhen,  in 
denen  die  Landbewohner  ihre  Kleider  und  Werthsachen  aufbewahren,  an- 
gefertigt. Die  gesammte  Gegend  vom  Ivan  bis  Konjica,  Jablanica  und 
Mostar  ist  ein  landschaftliches  Paradies,  dem  eine  grosse  touristische  Zu 
kunft  zu  wünschen  wäre.  Es  giebt  keine  Worte,  um  die  vielen  eigen- 
tümlichen Reize  der  Landschaft  zu   schildern. 

Von  Konjica  geht  die  Bahn  eine  geraume  Zeit  in  einer  weiten  Ebene 
bis  zu  der  9  km  weiter  gelegenen  Haltestelle  Lisicic.  Dann  beginnt  wieder 
die  hochinteressante  Gebirgsgegend.  An  der  Einmündung  der  Neretvica 
in  die  Narenta  liegt  am  linken  Ufer  das  Dorf  Ostrozac  mit  der  gleich 
namigen  Station.  Die  ganze  Gegend  ist  reich  an  Bogomilengräbern  und 
anderen  Denkmälern  mittelalterlicher  Kultur.  Zunächst  dem  Bahnhofe 
führt  eine  eiserne  Strassenbrücke  über  die  Narenta  und  vermittelt  die  Ver- 
bindung des  Bahnhofes  mit  der  Strasse  Sarajevo-Mostar.  die  sich  von  hier 
aus    parallel    mit    der  Bahn,    aber    stets   am    entgegengesetzten   Ufer    des 


Katholikin    von    <ler    Zec-Planina. 


Flusses  hinzieht.  An  schönen  bewaldeten  Höhen,  dem  Idbar  und  der 
auch  im  Sommer  noch  schneebedeckten  Zec-Planina,  die  mit  der  prächtigen 
serbischen  weissrindigen  Kiefer  bestanden  sind,  vorüber,  gelangt  man  nach 
der  Station  Rarna,  nachdem  vorher  die  Neretvica  und  der  Toscanica-Baeh 
übersetzt  wurden.  Der  Eingang  in  das  wundervolle  und  fruchtbare  Rama- 
thal  selbst,  das  wir  auf  einer  spateren  Tour  kennen  lernen  werden,  wird 
nur  auf  einen  Augenblick  sichtbar.  Der  Name  des  Thaies  kommt  seit 
dem  12.  Jahrhundert  im  ungarischen  Königstitel  vor,  während  er  im 
bosnischen  Titel  fehlt.  Den  Ungarn  war  Rama,  als  das  Gebiet  zwischen 
Kroatien  und  der  Hcrcegovina,  gleichbedeutend  mit  Bosnien,  daher  die 
Ausdrücke  in  alten  Urkunden:  vRama  seu  Bosna«  oder  »Bosnense  regnum, 
quod  et  Ramam  vocamus«. 

Der  Ramafluss  wird  am  Eingange  des  Thaies  auf  einer  Eisenbrücke 
übersetzt,  dann  gelangt  die  Bahn  in  eine  Thalenge,  in  welcher  die  Narenta 
als  echter  Bergstrom  schäumend  und  tosend  im  tiefen  steinigen  Bette  dahin- 
braust;  auf  hoher  Brücke  wird  die  wildschöne  Doljankaschlucht  übersetzt, 
worauf  wir  die  Station  Jablanica  erreichen. 

Von  Konjica  bis  Jablanica  ist  die  Gegend  sehr  fruchtbar.  Ueberall 
sieht  man  edle  Obstsorten,  Kirschen,  Pflaumen,  Kastanien,  Wallnüsse  und 
besonders  viele,  aber  meist  wilde  Birnen.  Auch  die  Häuser  sind  weit 
freundlicher  als  in  den  südlicheren  Theilen  der  Hercegovina,  wo  es  oft  in 
den  Dörfern  nur  Steinhöhlen  zum  Wohnen  giebt;  anders  kann  man  die 
roh  aufgerichteten  menschlichen  Behausungen,  die  jeder  Bequemlichkeit 
entbehren,  nicht  nennen.  Hier  aber  sind  noch  Holzbauten,  hohe  Dächer, 
weisser  oder  bunter  Anstrich.  Die  Holzzäune  und  die  grüne  Umgebung 
machen  das  Bild  eines  deutschen  Gehöftes.  Jablanica  selbst  besteht  aus 
zwei  Theilen,  Dolnja-  (Unter-)  und  Gornja-  (Ober-)  Jablanica.  Es  liegt  in 
einem  herrlichen  Hochthale,  um  das  sich  Bergkuppe  über  Bergkuppe  thürmt. 
Im  Nordwesten  die  1648  m  hohe  Kuppe  der  Raulja,  im  Westen  die  Tri- 
naca  (2045  m)-  Weiter  rückwärts  die  mächtigen  Wände  der  Velika 
Cvrstnica  (höchste  Spitze  2227  m)  und  im  Osten  die  gewaltige  Prenj- 
Planina  mit  dem  2102  m  hohen  Lupoglav.  Das  ist  schon  wild  zerklüftetes 
Karstterrain,  das  bis  in  den  Sommer  hinein  mit  Schnee  bedeckt  ist.  Der 
imposante  Gebirgsstock  reicht  von  der  Drezanjka-Mündung  bis  gegen 
Konjica  hinauf.  Seine  Abdachungen  fallen  nach  Westen  ungemein  steil 
ab,  während  der  nördliche  Hang  sanfter  ist  und  üppige  Kulturen  wie 
Weideplätze  trägt.  Der  Name  Prcnj  soll  auch  Weide  im  Altillyrischen 
bedeuten. 

Jablanica  ist  ein  Paradies  für  Touristen  und  für  Sommerfrischler,  und 
in  richtiger  Erkenntniss  der  bevorzugten  Lage  und  der  ausserordentlich 
gunstigen  klimatischen  Verhältnisse  hat  die  Landesregierung  hier  ein 
grosses   Hotel   mit    19  schon   eingerichteten  Zimmern,  vorzüglichen  Restau- 

—    2S6    — 


v .  flu  ^j 


rations-  und  Gesellschaftsräumen  erbauen  lassen.  Es  liegt  mitten  in  einem 
herrlichen,  wenn  auch  noch  jungen  Parke  dicht  neben  der  Bahnstation 
und  bietet  nach  allen  Seiten  die  wundervollste  Fernsicht.  Es  ist  im 
Sommer  bereite  sehr  gut  besucht,  und  Parteien  aus  Mostar  und  Sarajevo 
weilen  oft  Monate  hier;  es  werden  sogar  Romane  erlebt  und  Verlobungen 
gefeiert,  wie  das  Fremdenbuch  mit  seinen  oft  recht  drolligen  Herzens- 
ergüssen verräth.  Der  Touristenverkehr  ist  sehr  bedeutend,  darunter 
vorzugsweise  Dänen  und  Franzosen  mit  hocharistokratischen  Namen. 
Aber  auch  Hochtouristen  haben  die  Gipfel  des  Prenj  und  der  Cvrstnica 
bestiegen,  darunter  zu  botanischen  Forschungen  der  Direktor  des  botanischen 
Gartens  zu  Berlin,  Dr.  Engler,  der  einen  begeisterten  poetischen  Hymnus 
auf  Jablanica  ins  Fremdenbuch  schrieb.  Jäger  finden  noch  eine  reiche 
Ausbeute,  namentlich  einen  vortrefflichen  Gemsstand,  im  Prenj-,  Moharnica- 
und  Dreznica-Gebiete  auch  zahlreiche  Bären  und  Lämmergeier. 

Die  Verpflegung  im  »Hotel  Jablanica«  ist  eine  musterhafte,  die  Preise, 
von  der  Landesregierung  festgestellt,  durchwegs  massig.  Um  die  Bahn- 
station und  das  Hotel  hat  sich  nach  und  nach  eine  förmliche  Villenkolonie 
entwickelt;  es  sind  die  Wohnhäuser  der  verschiedenen  Beamten,   des  Bahn- 


Lahdes- Hotel   in   Jablanica. 


19 


2S9 


ingenieurs,  Forstinspektors  usw.  Eine  Kaserne  beherbergt  den  bewaffneten 
Schutz,  doch  ist  er  bei  der  Bevölkerung  nicht  mehr  nöthig.  Die  Leute 
sind  sehr  zuvorkommend  und  finden  bei  dem  gesteigerten  Verkehr  ihr 
gutes  Auskommen.  Als  ich  vor  langen  Jahren  das  erste  Mal  nach  Jablanica 
kam,  da  sah  es  hier  ganz  anders  aus;  in  einem  Han  fand  ich  türkisches 
Unterkommen  mit  sehr  viel  Ungeziefer.  1885  traf  ich  ein  grosses  Truppen- 
lager. Eine  Kärntnerin  hielt  ein  Gasthaus,  das  mehr  einer  grossen  Kantine 
glich,  das  aber  doch  schon  gutes  Essen  bot.  Im  Jahre  1888  war  eine  Art 
Fremdenkolonie  durch  den  Bahnbau  entstanden;  neben  den  grossen  Militär- 
und  Arbeiterbaracken  hielten  sich  viele  Kantinen,  ein  ordentliches  Gasthaus, 
mehrere  Kaffeebuden,  einige  Krämer,  und  auch  ein  böhmischer  Schuh- 
macher war  schon  angesiedelt.  1894  hatte  sich  aus  den  provisorischen 
Fortschritten  der  dauernde  entwickelt.  Jablanica  ist  ein  Luftkurort  ersten 
Ranges  und  in  vieler  Hinsicht  wird  man  an  schweizerische  und  Tiroler 
Sommerfrischen  in  den  Hochalpen  erinnert.  Durch  die  bequeme  Ver- 
bindung mit  Sarajevo  und  Mostar,  sowie  durch  die  regelmässigen  Diligence- 
fahrten  durch  das  Ramathal  nach  Prozor  und  Bugojno  zum  Anschluss  an 
die  dortigen  Bahnlinien  nach  Jajce  und  Travnik-Lasva  besitzt  Jablanica 
aber  einen  grossen  Vorzug  vor  seinen  in  Tirol  und  der  Schweiz  gelegenen 
Rivalen  und  es  ist  ihm  ein  bedeutender  Aufschwung  sicher.  Jablanica, 
dessen  Bevölkerung  meist  mohammedanisch  ist,  nimmt  im  Islam  eine 
eieene  Stelluno-  ein,  weil  hier  die  Frauen  nicht  verschleiert  gehen.  Schon 
bei  der  Einführung  des  Mohammedanismus  scheinen  die  Frauen  hier  die 
Hosen  angehabt  zu  haben,  die  sie  allerdings  sichtbar  auch  heute  noch  tragen; 
sie  verweigerten  die  Annahme  von  Feredscha  und  Jaschmak,  blieben  der 
alten  Kleidung  treu  und  tragen  sie  heute  noch.  Da  der  Türke  den  Volks- 
gebrauch —  das  Adet  —  stets  achtet  und  ihn  als  Gesetz  betrachtet,  so 
blieben  auch  die  Vorkämpferinnen  der  Frauenrechte  von  Jablanica  stets 
unbehelligt.  Von  verschiedenen  Seiten  wird  dieses  Festhalten  der  Frauen 
an  ihrem  alten  Rechte  als  eine  Nachwirkung  des  bogomilischen  Glaubens 
bezeichnet.  Dass  hier  ein  grosser  Mittelpunkt  dieser  Sekte  war,  wird  durch 
die  zahlreichen   Grabsteine  bewiesen. 

Die  Häuser  der  Einheimischen  sind  in  Jablanica  grossentheils  aus 
schwarzweissen  Lavaschlacken  erbaut  und  mit  den  Platten  jenes  Thon- 
schiefers  gedeckt,  der  neben  dem  Jurakalk  in  dieser  Felsengegend  das 
herrschende  Gestein  bildet  und  mit  seinen  phantastischen  Gestaltungen 
und  Schichtungen  das  enge  Defile,  in  welchem  unten  das  Wasser  der 
Narenta  rauscht,  fast  so  erscheinen  lässt,  als  ob  es  von  übermenschlichen 
Händen  künstlich  erbaut  worden  wäre.  Und  in  das  Narentabett  ist  von 
der  modernen  Technik   buchstäblich  die  Bahn  gesprengt  und  aufgemauert. 

lebt  wenige  so  waghalsige  und  so  interessante  Bauwerke  in  Europa. 
Von  Jablanica  abgehend,  kommt  der  Zug  auf  einer  Brücke  von  bemerkens- 


—     290 


weither  Eisenkonstruktion  auf  das  linke  Narenta-Ufer,  passirt  einen  Tunnel 
und  windet  sich  eine  Zeitlang  zwischen  sanfteren  I  Sei -.lehnen  und  der  dahin- 
brausenden  Narenta.  Dann  übersetzt  er  auf  einem  grossen  Viadukt  mit 
5  BogenöfFnungen  das  GlogoSnica-Thal,  durchfährt  den  gleichnamigen 
Tunnel,  beschreibt  mehrere  grosse  Kurven  und  lenkt  in  ein  breiteres  Thal. 
Abermals  wird  ein  Tunnel  passirt,  der  unter  den  Ausläufern  des  auf  dieser 
Seite  zerklüfteten  Prenj- Gebirges  angelegt  ist.  Ueberall  sind  Wasserfälle, 
so    unmittelbar    unter    der    Fahrstrasse    die    starke    Quelle    Praporac    (auch 


Im  Narenta-  De fil  e. 

Komadina- Quelle  genannt),  die  in  mächtigem  Sturze  zum  Flusse  hinab- 
rauscht. Jetzt  gelangen  wir  abermals  in  einen  Engpass  von  3  km  Länge 
mit  gewaltigen,  bis  600  m  hohen  senkrechten  Felswänden  auf  beiden  Seiten, 
dann  auf  einer  Brücke  neuerlich  aufs  andere  Ufer  der  Narenta  und  an 
Steilschluchten  und  Bergparthien  von  besonderer  Schönheit  vorüber  nach 
der  Station   Grabovica. 

Durch  mehrere  kleine  Tunnels  erreicht  man  eine  merkwürdige  Strom- 
enge, die  man  glaubt  mit  einem  Sprunge  übersetzen  zu  können.  Das 
eigentliche  Felsufer  unter  den  steilen  Wanden  ist  überall  aus  Konglomerat- 
gestein gebildet  und  mit  Geröll  bedeckt,  doch  ist  jeder  Fusstritt  brauch- 
barer Erde  für  die  Kultur  erobert,  mit  grosser  Mühe  eingezäunt  und  mit 
Steinmauern    umfriedet.      In   den   höheren   La^en    des   Narentabettes   aber 


—    291     — 


finden  sich  ausgewaschene  natürliche  Höhlen,  die  trotz  ihres  gefährlichen 
Aussehens  zu  Ställen  benutzt  und  mit  Thüren  von  Flechtwerk  primitiv 
geschlossen  werden.  Zwischen  wieder  höher  ansteigenden  bewaldeten 
Bergen  erreichen  wir  Dreznica,  hinter  welcher  Station  auf  einer  Eisen- 
brücke die  Drezanjka  übersetzt  wird.  Ein  kurzer  Einblick  bietet  sich  in 
das  enge  Felsenthal  dieses  Flüsschens,  in  die  Wildniss,  aus  der  es  sich  der 
Narenta  zuwindet.  Wenn  man  einem  schmalen  Ziegenpfade  folgen  will, 
kommt  man  nach  drei  Stunden  zu  dem  Orte  Dreznica,  der  von  allen 
Dörfern  des  Landes  die  eigenthümlichste  Lage  hat.  Eingeengt  von  den 
furchtbarsten,  mehrere  tausend  Fuss  hohen  Felswänden,  die  den  Dorf- 
bewohnern auch  zur  Sommerszeit  nur  kurze  Stunden  des  Tages  den  An- 
blick der  Sonne  gönnen,  scheint  es,  von  oben  gesehen,  auf  dem  Boden 
eines  Abgrundes  zu  liegen.  Nur  längs  des  Flüsschens  und  auf  einem 
einzigen  Wege  übers  Gebirge,  der  im  Winter  meist  ungangbar  ist,  gelangt 
man  wie  die  Gemsen  kletternd  und  springend  in  dieses  »Thal  der  Schatten«. 
Ein  ganz  kleines,  aber  an  Wein,  Obst  und  Getreide  fruchtbares  Feld  nährt 
hier  eine  Bevölkerung  von  etwa  800  Seelen,  die  in  ihrer  rauhen  Zurück- 
gezogenheit die  Eigenheiten  der  Hercegoviner  am  treuesten  bewahrt  haben. 
Tnter  idiotum  hercegovinensem  populum«,  sagt  eine  geistliche  Quelle, 
»habitatores  Dreznicae  sunt  idiotissimi,  non  minus  quam  bardi  et  silvestris.« 
Uebrigens  glauben  die  Leute,  dass  in  ihrer  Wildniss  Schätze  versteckt 
seien,  und  thatsächlich  fand  der  Türke  Asan  Kumric  in  einer  Ruine  1867 
mehrere  hundert  byzantinische  Goldstücke  des  elften  Jahrhunderts.  Von 
den  Eigenthümlichkeiten  dieser  Einsiedler  gehen  viele  Erzählungen,  so 
unter  anderem,  dass  sie  für  einen  Falken  von  seltener  Schönheit,  den  sie 
dem  Sultan  schickten,  Steuerfreiheit  für  alle  Zeiten  erhielten.  Jedenfalls 
war  es  einstmals  schwer,  in  Dreznica  etwas  mit  Gewalt  einzuheben;  seine 
Bewohner  waren  und  blieben  vergessen  in  goldener  Ruhe. 

Gegenüber  der  Drezanjka-Einmündung,  an  der  Kunststrasse,  liegt  der 
Militärposten  Han  Sjenice.  Hier  beginnt  bereits  die  Feige  vereinzelt  aufzu- 
treten, die  dann  nebst  der  Granate  schon  in  Janjeni  als  gemeiner  Strassen- 
strauch  und  Baum  vorkommt,  bis  in  Mostar  die  wundervollste  südliche  Vege- 
tation das  Auge  erfreut.  Dicht  hinter  Han  Sjenice  fällt  die  Quelle  Crno- 
Vrelo  (Schwarzquell)  mit  tosendem  Sturzbach  in  die  Narenta.  Man  hat  die- 
selbe unter  der  Strasse  durchgeführt,  doch  ist  der  Anblick  noch  immer  gross- 
artig. Die  Quelle  entspringt  in  einer  märchenhaft  schönen  Grotte,  deren 
dichte  Verkleidung  von  lang  herabhängenden  Moosflechten  kein  Luftzug 
bewegt,  dessen  Wasserspiegel  keine  Welle  kräuselt,  am  Fusse  einer  hohen 
Felswand.  Die  Bahn  fährt  zumeist  auf  hohen  Stützmauern;  die  wechselnden 
Landschaftsbilder  werden  immer  pittoresker,  immer  wilder.  Das  gesammte 
Narenta-Defile,  das  sich  von  Jablanica  his  zur  Station  Raskagora,  die  wir 
jetzt  erreichen,  erstreckt,  ist  von  bezaubernder  Grossartigkeit  und  Schönheit. 


292 


i>  F 


Jetzt  ändert  sich  wieder  das  Bild.  Der  Fluss  hat  ein  weiteres  Bett,  und 
bei  Station  Vojno  erhält  man  bereits  den  Blick  auf  die  ausgedehnte  Kbene, 
in  der  die  hereegovinische  Hauptstadt  gebettet  ist.  Hier  ist  die  Gegend 
gut  angebaut,  eine  Menge  Gehöfte  zeigen  die  Nähe  dir  grösseren  Stadt. 
Das  »Bjelopoljc«  (weisse  Feld)  soll  einstmals  ein  Seebecken  gewesen  sein, 
und  die  Bewohner  führen  hierfür  einen  allerdings  ganz  merkwürdigen  Be- 
weis. An  verschiedenen  Randstellen  der  Ebene,  bei  Kuti,  Suhodol,  Vojno 
und  Rastani,  hängen  von  den  Felsen  grosse  eiserne,  in  Blei  eingegossene 
Ringe  herab  und  diese  sollen  früher  zur  Befestigung  der  Schiffe 
gedient  haben.  Heutzutage  ist  allerdings  von  diesem  Wasserüberfluss 
selten  etwas  zu  spüren;  selbst  die  Narenta  macht  bei  der  »Skakalo 
(Sprung)  genannten  Stelle  den  Versuch,  unterirdisch  zu  verschwinden. 
Die  Felsen  verengen  nämlich  das  Flussbett  so,  dass  man  das  Wasser  kaum 
sieht,  und  der  Fluss  kann  wirklich  mit  einem  kühnen  Sprunge  übersetzt 
werden. 

Es  war  8  Uhr  Abends  geworden,  als  wir  in  Mostar  einfuhren.  Hohe 
Berge  mit  vielen  Befestigungen  deuten  an,  dass  wir  uns  in  einem  Lande 
befinden,   in   dem   man   noch  vor  wenigen  Jahren  dem  Frieden  nicht  trauen 


Hotel     X  a  reu  ta    in     Mosta  r. 


!95 


durfte.  Helles  Gaslicht  auf  dem  Bahnhofe,  Omnibusse  von  Hotels,  Fiaker 
zeigen  aber,  dass  in  der  einst  so  wilden  Hercegovina  Kultur  und  Civilisation 
eingekehrt  sind.  Wenige  Minuten  Fahrt  bringen  uns  nach  unserem  Ab- 
steigequartier, dem  landesärarischen  »Hotel  Narenta«,  einem  Prachtbau,  in 
dessen  gastlichen  Räumen  wir  in  fröhlicher  Gesellschaft  bald  Erholung 
von  den  vielen  Genüssen  des  Auges  finden.  Eine  grosse  Cook'sche  Reise- 
gesellschaft ist  gerade  über  Dalmatien  aus  Metkovic  gekommen,  ein  Beweis, 
dass  Bosnien-Hercegovina  in  den  Welt-Rundreiseverkehr  eingereiht  wurde. 


*  .''■ 


I  m    Baz  a  r  in    M  ostar. 


Die 

hercegovinische 
Hauptstadt. 

Es  giebt  wenig  pittoreskere  Orte  als  die 
Hauptstadt  der  Hercegovina.  Eingebettet  zwischen 
hohe  Berge,  den  Podvelez  und  den  Hum,  zwischen 
denen  die  Narenta  im  tiefen,  wild  zerklüfteten  Bette 
dahinbraust,  zeigt  sie  so  recht  den  Charakter  der  Re- 
sidenz eines  kriegerischen  Volkes.  Im  Süden  die  grosse 
Ebene  Bisce,  im  Norden  das  weite  Bjelopolje,  hätte  sie 
Raum  genug  zur  Ausdehnung  in  weite  Gefilde  gehabt, 
aber  sie  blieb  eng  zusammengedrängt  in  einer  Art 
Verteidigungsstellung,  und  die  vielen  Forts  auf  den  Bergkuppen,  die  ihr 
Entstehen  der  neuen  Zeit  verdanken,  dienen  nicht  dazu,  den  kriegerischen 
Eindruck  zu  mildern.  Die  Häuser  sind  durchwegs  von  Stein,  und  angesichts 
der  kahlen  Berge  tragen  sie  so  recht  das  Aussehen,  an  das  man  beim 
Hören  des  Wortes  Hercegovina  unwillkürlich  denkt:  das  des  steten  Kampfes. 
Aber  Mostar  ist  nicht  nur  hercegovinisch,  es  ist  auch  italienisch  und  sehr 
viel  orientalisch.  Diese  Mischung  im  gesammten  Stadtbilde,  zu  dem  sich 
noch  jetzt  das  europäische  Bauelement  gesellt,  bringt  einen  so  eigenen 
Reiz  hervor,  dass  jeder  Besucher  von  Mostar  gebannt  und  gefesselt  wird. 
Dazu  tritt  der  malerische  Anblick  des  wild  zerrissenen  Narentabettes  und 
als  wirksamster  Kontrast,  gegenüber  den  starren  kahlen  Abhängen  des 
Hum,  die  üppigste  tropische  Vegetation  in  den  Gärten  und  Feldern.  An 
den  Felshängen  grünen  nur  Büschel  von  Salbei  zwischen  den  Steinen,  sich 
kaum  vom  steinigen  Grunde  abhebend,  in  den  Feldern  die  üppigste  und 
saftigste  Blüthe  -  -  ein  botanisches  Märchenparadies  .... 


—    297 


Mostar  ist  aber  auch  in  klimatischer  Beziehung  eine  tropische  Stadt. 
Auf  die  Strassen  brennt  den  grössten  Theil  des  Jahres  eine  afrikanische 
Sonne,  welche  die  Hitze  bis  zu  40  und  mehr  Grad  steigert  und  ein 
Spazierengehen  zur  Qual  macht.  Die  Abende  bieten  wenig  Erholung; 
aus  den  Steinen  strahlt  nach  Sonnenuntergang  die  Wärme  eines  Dampf- 
bades, und  man  muss  sich  in  den  Wohnungsräumen  vor  den  »Papadaci- 
—  einer  winzigen  blutdürstigen  Moskitoart  —  wohl  in  Acht  nehmen. 
Wenn  aber  einmal  —  was  sehr  selten  geschieht  —  der  Winter  herein- 
bricht, dann  ist  die  Kälte  zwischen  den  Steinmauern  und  bei  oft  nicht 
vorhandenen  Oefen  eine  doppelt  empfindliche,  die  nur  einer  Steigerung 
fähig  ist,  wenn  die  Bora  von  den  Bergen  mit  verheerender  Gewalt  daher- 
braust.  Den  Fremden,  der  in  vorzüglichen  Hotels  untergebracht  ist,  be- 
rühren diese  Mostarer  Eigenthümlichkeiten  allerdings  nicht,  und  ihm  wird 
sich  die  interessante  Stadt  ins  Herz  schmeicheln,  dass  er  sie  nie  wieder 
vergisst. 

Die  hereegovinische  Hauptstadt  hat  eben  auch  ihre  idyllischen  Plätze. 
Wenn  man  den  Bazar  durchwandert  und  die  alte  Narentabrücke  (deren 
wir  später  noch  eingehend  gedenken)  überschritten  hat,  kommt  man  in 
den  Stadttheil  Zahumje.  Hier  ist  das  stille  Viertel  von  Mostar,  das 
Terrain  der  Gärten.  Ueber  niedrige  Mauern  grüssen  die  Granatblüthen, 
riesige  Maulbeer-,  Feigen-  und  Nussbäume  strecken  ihre  Aeste  über  die 
Strasse  und  bieten  Schatten,  eine  Menge  von  blühenden  Gesträuchen  und 
Blumen  haucht  berauschenden  Duft  aus.  Hier  ist  der  Kreisgarten,  der 
Yersuchsgarten  der  Obstbauschule  angelegt,  der  ein  wahres  Eden  für  den 
Kenner  bietet  und  der  besonders  prächtiges  Obst  an  Zwergstämmchen 
enthält.  Dicht  dabei  steht  hinter  hohen  Mauern  die  katholische  Kirche, 
ein  Neubau  von  der  Form  einer  Basilica,  die  Details  im  korinthischen 
Stile.  Ueber  dem  Hauptportale  liest  man  in  der  Landessprache  die  In- 
schrift: 

Gott  dem  allmächtigen  Schöpfer,  dem  heil.  Petrus  und  dem  heil.  Paulus  steht 
diese  Kirche  errichtet.  Der  !_;uti;,re  Kaiser  von  Stambul  gab  zu  ihrem  Bau  eine 
freundliche  Stätte  und  überdies  fünfzig  Beutel.  Das  arme  Volk  trug  eine  kleine 
Beihilfe  zusammen;  alle  übrigen  schweren  Kosten  steuerte  das  Ausland  durch  die 
Sorge  der  Brüder  Franziskaner  und  ihres  bischöflichen  Oberhauptes.  A.  i  >.  1866. 
7 .  Mi 

Die  Geschichte  der  katholischen  Kirche  in  Mostar  ist  eine  lange 
Leidensgeschichte.  Bis  in  die  Fünfziger  Jahre  unseres  Jahrhunderts  durfte 
der  katholische  Vikar  der  Hercegovina  nur  verkleidet  oder  bei  Nacht  die 
Hauptstadt  betreten,  um  den  wenigen  dortigen  Katholiken  geistlichen  Bei- 
stand zu  spenden.  Diesem  Zustande  ein  Ende  zu  machen,  war  das  Ziel 
Vikars  Raphael  BariSic,  der  in  einer  Hütte  in  Seonica  residirte.  Mit 
Ausdauer   und    schlauer  Politik  erwirkte  er  nicht  ohne  schwere   Mühe   und 


—     -■ 


Kosten  einen  grossherrlichen  Ferman,  der  ihm  den  Bau  eines  bischöflichen 
Hauses  in  Mostar  gestattete.  Allein  die  Mohammedaner  in  der  Stadt 
trotzten  dem  Befehle  des  Sultans,  sie  griffen  zu  den  Waffen  und  würden 
den  Vikar,  der  auf  seinem  Rechte  bestand,  getödtet  haben,  wenn  sich 
nicht  der  Vezier  Ali  Pascha  ins  Mittel  gelegt  hätte.  Dieser  erwarb  ~  so 
erzählt  Dr.  Hoernes  —  da  die  Türken  um  alle  Schätze  der  Welt  keinen 
Baugrund  in  der  Stadt  verkauft  hätten,  ausserhalb  derselben  in  Vukodol 
(Wolfsthal)  unter  seinem  Namen  ein  Grundstück,  das  er  dem  Vikar  um 
den  Preis  von  sechs  Beuteln  Piaster  (300  fl.)  verkaufte.  Obwohl  auf  diese 
Nachricht  die  Türken  sich  zusammenrotteten  und  schworen,  dass  sie  lieber 
fallen  wollten  bis  zum  letzten  Mann,  als  einem  Ungläubigen  diesen  Bau 
zu  gestatten,  schritt  Barisic  dennoch,  umgeben  von  zehn  bewaffneten 
Kawassen  des  Veziers,  furchtlos  von  einem  Pmde  der  Stadt  zum  anderen, 
zwischen  den  aus  allen  Fenstern  hervorragenden  Flintenläufen  der  Moham- 
medaner hinaus  nach  Vukodol.  Hier  nimmt  er,  während  rings  umher  Alles 
für  sein  Leben  zittert,  der  Einzige,  den  sein  Heldenmuth  keinen  Augen- 
blick verlässt,  einen  Stein  und  bezeichnet  damit  die  Grundlinien  seines 
Hauses.  Dann  befiehlt  er  dem  Werkmeister  die  Ausführung  des  Baues 
im  strengen  Tone  eines  kaiserlichen  Gebotes  und  kehrt  unversehrt  nach 
Seonica  zurück,  wo  er  von  den  Seinen  als  Sieger  empfangen  wird.  Das 
geschah  1847.  Der  Fanatismus  der  Türken  barg  eine  solche  Gefahr,  dass 
selbst  die  Werkleute  beim  Bau  nicht  anders  sicher  waren,  als  wenn  ihnen 
die  Waffen  im  Gürtel  steckten  oder  zur  Hand  lagen.  Als  aber  der  Bau 
vollendet  war  und  Barisic  von  seiner  Residenz  Besitz  ergriffen,  machte 
sich  der  Einfluss  dieses  Schrittes  in  Mostar  sofort  nachdrücklich  geltend. 
Vor  1852,  in  welchem  Jahre  der  Vikar  nach  Mostar  übersiedelte,  gab  es 
in  dieser  Stadt  kaum  120  katholische  Familien.  Diese  bestanden  aus 
armen  Knechten  und  Handwerkern,  deren  keiner  auch  nur  den  bescheiden- 
sten Platz  im  Bazar  einnahm.  Schon  1867  war  die  Zahl  der  katholischen 
Familien  Mostars  398  mit  171 5  Seelen,  und  sie  vermehrte  sich  rapid, 
so  dass  bald  eine  Schule  gegründet  werden  musste. 

Bald  erschien  auch  die  mit  dem  Hause  des  Bischofs  verbundene 
Kapelle  zu  klein  für  die  Gemeinde  und  die  Errichtung  einer  grösseren 
katholischen  Kirche  in  Mostar  wünschenswerth.  Auch  dieser  Bau  war  das 
Werk  von  Barisic.  Die  Machthaber,  welche  der  schlaue  geistliche  Politiker 
nach  einander  benützte,  sind  geschichtlich  bekannte  Personen.  Ali  Pascha 
Rizvanbegovic  aus  Stolac,  der  1832  bis  1849  die  Hercegovina  fast 
unumschränkt  beherrschte,  hatte  die  Schwäche  der  Pforte  gegenüber  dem 
bosnischen  Aufstande  von  183 1  benützt,  um  sich  zum  Vezier  seines 
engeren  Heimathlandes  aufzuschwingen.  Treulos  oder,  wenn  man  will, 
bloss  kalt  gegen  die  nationalen  und  religiösen  Interessen  der  slavischen 
Mohammedaner    Bosniens,    die   Hussein    Aga   von  Berbir  glänzend  vertrat. 


Einerans:    zur    alten    Mostarer    Brücke. 


hielt  er  zum  reformfreundlichen  Staate,  suchte  aber  nachher  in  seiner 
Statthalterschaft  die  Hoheit  desselben  auf  ein  Minimum  herabzusetzen. 
Durch  türkische  Perfidie  überlistet,  bei  einem  Gastmahl  in  Mostar  von 
Omer  Pascha  gefangen  genommen,  fiel  er,  ein  echter  Repräsentant  seines 
Stammes,  von  Kugeln  durchbohrt  oder  wie  Andere  wissen  wollen,  durch  Gift. 
Als  nach  dem  jähen  Sturze  Ali  Pascha  Rizvanbegovic  Omer  Pascha 
als  Oberfeldherr  der  kaiserlichen  Truppen  in  Mostar  herrschte,  wusste 
Barisic  diesen  zu  gewinnen,  und  er  erlangte  durch  sein  Fürwort  in  Stambul 
nicht  nur  die  Bewilligung  zum  Bau  der  Kirche,  sondern  auch  die  An- 
weisung eines  geeigneten  Baugrundes  und  das  Geschenk  von  fünfzig 
Beuteln  Piaster.  Auch  diesen  Bau  hemmte  die  Missgunst  der  Moham- 
medaner von  Mostar,  die  nicht  gestatteten,  dass  die  Steine  zum  Werk  in 
der  Nähe   "der  an   einem   wenn   auch   entfernteren  Orte  gebrochen  würden. 


Es  mussten  an  elf  verschiedenen  Tunkten  Steinbrüche  eröffnet  werden, 
wodurch  sich  die  Baukosten  natürlich  sehr  steigerten.  Die  Werkmeister 
waren  eingeborene  Hercegoviner,  meist  aus  dem  Popovopolje,  Bauleiter  durch 
sechs  Jahre  der  abendkindisch  gebildete  Peter  Bakula.  Barisic  erlebte  nicht 
mehr  die  Vollendung  c\e^  Baues,  aber  sein  Werk  gedieh  und  wurde  fi 
Und  heute  kennt  Niemand  mehr  in  Mostar  Religionshass,  alle  Bekenntnisse 
leben  ruhig  und  friedlich  neben  einander.  Wird  doch  dicht  neben  der 
katholischen  Kirche  ein  Nonnenkloster  direkt  an  die  Strasse  gebaut,  ohne 
dass  die  meist  mohammedanische  Bevölkerung  dieses  stillen  Stadtviertels 
auch  nur  mit  den  Wimpern  zucken  würde. 

Und  weiterschreitend    auf  unserer  Wanderung    durch    die    enge   stille 
Strasse  des  Zahumje-Viertels   wird    das  Auge  immer  von  Neuem  entzückt 
durch    grüne    Wildnisse,    die    sich    oft    über   türkischen   Friedhöfen    zu    un- 
durchdringlichen Dickichten  wölben.    Wir   folgen    eine  Zeitlang  dem   Lauf 
der  Radobolja,   welche  die   neue  Wasserleitung  von  Mostar  speist,  kommen 
an  einer  Menge  kleiner  Kaffeegärten  vorüber  und  kehren  endlich  bei  einer 
krainerischen   Wirthin    ein,    deren    Mann    früher   als   Feldwebel    in   Mostar 
diente.      Hier    gab    es    ein    ganz    annehmbares   Flaschenbier,    das   in    dem 
eiskalten   Bache   gekühlt   wurde. 
Maulbeerbäume  von  riesigem  Um-       f- '" 
fange,   wie  ich  selten  solche  sah, 
beschatteten  den  Garten  und  das 
Haus,  in  dessen  Gaststube  zahl- 
reiche Schwalben   aus-   und  ein- 
flogen,    die     dort    ihre    Nester 
hatten.     Es  ist  ein   schöner  Zug 
der  orientalischen  Völker,    dass 
sie  Thierquälerei    nicht  kennen, 
dass   Vögel    nicht   verfolgt    und 
gefangen,  Pferde  wenig  oder  gar 
nicht  geschlagen  werden.     Es  ist 
richtig,    man   pflegt   in   Bosnien- 
Hercegovina    die    Thiere    nicht 
eigens,    aber   man   lässt   sie  sich 
naturgemäss    entwickeln    und    freut    sich 
ihres  Gedeihens.    Oefter  gab  es  Konflikte 
mit     den     eingewanderten     italienischen 
Arbeitern,    die    heimischer   Sitte  gemäss      fc£Jä£^»I 
keinen  Vogel   sehen    können,    ausser   er 
liegt    gebraten    auf   der  Polenta.      Auch    die   Landes- 
regierung   hat    sich   schon    genöthigt   gesehen,    gegen 
diese  Vertikfungr  Verordnungen  zu  erlassen.     In  vielen 


—    305 


Gegenden  des  Landes  sind  die  kleinen  Singvögel  ohnedies  selten  genug, 
weil  die  zahlreichen  Geier  für  deren  Vernichtung  sorgen.  Nur  der  Spatz 
findet  sich  überall  und,   Gott  sei  Dank,  er  vermehrt  sich  zahlreich. 

Da  ich  schon  von  der  Vogelwelt  spreche,  möchte  ich  gleich  noch 
eines  idyllischen  Punktes  nahe  der  alten  Xarentabrücke  gedenken.  Dort 
sind  grosse  Höhlen,  augenscheinlich  einstmals  vom  Flusse  ausgewaschen, 
und  in  diesen  und  dem  angrenzenden  Garten  ist  eine  Bierhalle  etablirt, 
die  Niederlage  der  Sarajevoer  Aktienbrauerei.  In  diesen  Höhlen  ist  es 
wunderbar  kühl  und  selbst  Kronprinz  Rudolf  verschmähte  es  1888  nicht, 
diesem  originellsten  aller  Bierhäuser  einen  Besuch  abzustatten.  Hier  fliegen 
die  Schwalben  zu  Hunderten  aus  und  ein,  ohne  sich  um  die  Menschen  zu 
kümmern.  Sie  nisten  ruhig  in  den  »Gemächern«.  Uebrigens  hat  man 
von  hier  aus  auch  einen  guten  Fernblick  auf  das  wild  zerklüftete  Narenta- 
bett,  dessen  Wildheit  gerade  in  der  Stadt  am  meisten  zur  Geltung  kommt. 

Die  Hauptsehenswürdigkeit,  wegen  der  Mostar  von  alter  Zeit  her 
o-enannt  wurde,  ist  die  steinerne  Brücke  über  die  Narenta,  die  man  den 
Römern    zuschrieb,    wie  : 

man  auch  hier  die  Römer- 
stadt Matrix  suchte.  Nun 
mag  ja  in  früheren  und 
frühesten  Zeiten  hier 
eine  grössere  Ansiedlung 
bestanden  haben,  aber 
die  Ableitung  des  Stadt- 
namens von  »Most  stari« 
(alte  Brücke)  ruht  denn 

doch  auf  ziemlich 
schwachen  Füssen.  Die 
Blüthe  der  Stadt  datirt 
jedenfalls  erst  aus  der 
Zeit,  da  das  mittelalter- 
liche Blagaj  im  Bisce- 
polje  verfiel  und  Mostar 
Sitz  des  Gouverneurs 
wurde.  In  den  Kriegen 
der  Venetianer  mit  den 
Türken  war  Mostar  eine 
feste  Stellung  der  letz- 
teren und  mehrfach  miss- 
lang eine  Belagerung. 
Die  alte  Brücke,  die  in 
einem    einzigen    kühnen  Moschee   in    Predhum.      Mostar. 


—     306 


Bogen  von  95  Fuss  Spannweite  bei  75  Fuss  Hohe  den  Fluss  übersetzt, 
ist  jedenfalls  ein  ungemein  kühnes  Bauwerk,  das  am  meisten  imponirt, 
wenn  man  es  vom  Flussbette  aus  betrachtet.  Die  Brücke  wird  von  Thor- 
thürmen  flankirt,  die  sammt  ihr  im  Volksmunde  Grad<  (das  Schloss) 
genannt  werden.  Die  Thorthürme  sind  halbkreisförmig,  mit  ungemein 
dicken  Mauern,  und  dienten  früher  theils  als  Pulvermagazine,  theils  als 
schwere  Kerker.  Heute  haben  sie  natürlich  jede  Bedeutung  verloren. 
Ueber  die  Entstehung  der  Brücke  bestehen  verschiedene  Versionen,  von 
denen  diejenige,  welche  den  Bau  den  Römern  zuschrieb,  als  beseitigt 
gelten  kann.  Die  Mohammedaner  behaupten,  die  Brücke  wäre  erst  längere 
Zeit  nach  der  Eroberung  der  stolzen  Hercegovina  durch  Sultan  Bajazid  II. 
unter  dem  grossen  Sultan  Sulejman  IL  im  Jahre  974  der  Hedschra  (d.  i.  im 
Jahre  1566)  gebaut  worden.  Als  Beweis  hierfür  wird  eine  arabische  Inschrift 
in  der  Mitte  des  Bogcns  angeführt,  welche  lautet:  »Kudrct  kemeri«  (Bogen 
der  Allmacht  Gottes).  Nach  arabischem  Brauche  soll  diese  Inschrift  durch 
Zusammenzahlung  der  Zahlcnwerthe  der  einzelnen  Buchstaben  das  Jahr  der 
Erbauung  ergeben.  In  diesem  Falle  erhält  man  974  (1566)  als  das  ge- 
suchte Jahr.  Da  die  Inschrift  nur  von  den  ziemlich  weit  entfernten  Ufern. 
zu  sehen  ist,  überdies  die  Inschriftzeichen  alt  und  verwittert  sind,  ist  es 
sehr  schwer,  sie  heute  noch  zu  entziffern.  Authentischen  Bericht  giebt 
der  türkische  Geograph  Hadschi  Chalfa  (in   »Rumeli  und  Bosna«): 

»In   Mostar  ist  eine  sehr  merkwürdige,   aus   einem  Bogen  gewölbte  Brücke,   im  Jahre  974 

erbaut.     Da  die  meisten  Gärten  jenseits  des  Flusses  liegen  —  im   Thale   der  Radobolja  ,  so 

passirte  man  denselben  ehemals  auf  einer  grossen  in  Ketten  hängenden  hölzernen  Brücke, 
die  aber,  da  sie  keine  Pfeiler  hatte,  so  schwankte,  dass  man  nur  mit  Todesfurcht  hinüberging. 
Nach  der  Eroberung  baten  die  Einwohner  den  Sultan  Sulejman,  ihnen  eine  steinerne  Brücke 
bauen  zu  lassen.  Dieser  schickte  den  Baumeister  Sinan  —  den  Ljrössten  türkischen  Architekten 
aller  Zeiten  — ,  der  nach  genommenem  Augenschein  es  für  unmöglich  erklärte,  hier  eine  Brücke 
zu  wölben.  Man  stand  also  davon  ab.  Späterhin  verbürgte  sich  ein  geschickter  Tischler- 
meisler  des  Ortes  für  die  Ausführbarkeit  des  Vorschlages,  and  die  Brücke  kam  zu  Stande. 
Sie  hat  einen  einzigen  Bogen,  dessen  Durchmesser  150  Ellen  misst,  ein  Kunstwerk,  das  alle 
Baumeister  der  Welt  schachmatt  machte.  Die  Mauer,  worauf  der  Bogen  ruht,  hat  in  der  Breite 
beiläufig  8  Ellen.« 

Bei  den  Orthodoxen  knüpft  sich  an  (\cn  Bau  der  Brücke  wieder  die 
Sage  vom  Bauopfer.  Der  von  den  Türken  gefangene  Baumeister  Rade 
erkaufte  sich  die  Freiheit  durch  dieses  Werk,  das  ihm  trotz  aller  An- 
strengungen nicht  gelingen  will,  bis  er  auf  den  Rath  der  Vila  vom  Berge 
Veles  ein  Liebespaar  in  den  Grundfesten  der  Brücke  vermauert. 

Der  türkische  Dichter  Derwisch  Pascha  (1004  d.  Hedschra  Vezier  von 
Bosnien),  ein  Mostarer  Kind,  besingt  in  einem  Gedichte,  welches  die  Be- 
schreibung Mostars  zum  Gegenstande  hat.  che  Stadt  und  Brücke  in  be- 
geisterten  Worten,   die   in  der  Uebersetzung  ungefähr  lauten: 

»Die  beispiellose  Schönheil  Mostars  lässt  sich  mit  der  Feder  nicht  beschreiben 
wundere  dich  nicht,   wenn  Mostar  dich  bezaubert  hat.    [ch  finde  nirgends  ai  en  Welt  — 


—      307      — 


ausser  in  den  paradiesischen  Sphären  — -  solch  balsamische  Lüfte,  welche  das  Herz  erweitern, 
und  solches  Wasser,  welches  das  Leben  verlängert.  Wer  Mostar  besichtigt,  der  erwacht  mit 
jedem  Augenblicke  zu  neuem  Leben !  Jeder  Winkel  Mostars  erfüllt  das  Herz  mit  neuer  Freude. 
Mit  seinen  Gewässern  und  mit  seinen  Fruchtbäumen  kann  es  sich  mit  Anatolien  messen. 
Jedes  Gärtchen  Mostars  ist  ein  Garten  Edens.  Die  Mostarer  Brücke  mit  ihren  zwei  Thürmen 
gleichet  dem  Himmelsgewölbe,  auf  dem  die  Sternlein  in  ihrer  Bahn  wandeln.    Aber  nicht  einmal 


Iva  rayi  o  z  -  Moschee    in    Mostar. 


das  Himmelsgewölbe  kann  sich  mit  ihr  vergleichen,  denn  auch  seine  Grösse  wird  überflügelt 
durch  die  Grösse  des  Brückengewölbes.  Und  wenn  du  die  ganze  Welt  absuchst,  so  findest 
du  nirgends  ein  solches  Leben  wie  in  Mostar,  der  Werkstätte  aller  Wissenschaften  und  Künste. 
Aus  Mostar  entsprossen  gewaltige  Helden  des  Schwertes  und  der  Feder,  wie  früher  so  auch 
jetzt.  Vor  mir  müssen  verstummen  die  indischen  Papageien,  denn  ich  bin  die  Nachtigall, 
welche  Mostar  besingt. 

Beim  Uebersteigen   der  Brücke   fällt   deren    starke  Steigung   aut,    die 
durch  Staffeln   vermittelt  wird.     Dafür   belohnt   vom    höchsten  Punkte,    wo 


308 


ehedem  eine  Art  von  Pranger  bestanden  haben  soll,  eine  fesselnde  Schau 
stromauf-  und  abwärts,  wie  hinunter  in  die  schwindelnde  Tiefe.  Der  Wagen- 
verkehr über  die  Brücke  ist  jetzt  verboten,  da  sich  bedrohliche  Risse  im 
rechtsseitigen  östlichen  Brückenpfeiler  zeigen.  Der  Verkehr  vollzieht  sich 
über  zwei  neue  eiserne  Brücken,  deren  eine,  die  »Franz  Josefsbrücke-, 
auch  den  Bahnhof  mit  der  Stadt  verbindet. 

Die  Strassen  der  Stadt  sind  in  gutem  Stande  und  so  weit  rein,  als 
es  bei  dem  starken  Verkehr  mit  Tragthieren  überhaupt  möglich  ist.  Ganze 
Karawanen  kommen  vom  Lande  mit  allen  möglichen  Verkaufsartikeln, 
grosse  Schaf-  und  Ziegenheerden,  meist  von  Weibern  getrieben,  die  noch 
nebenbei  auf  einer  Spule  spinnen.  Besondere  Schönheiten  findet  man  — 
abgesehen  von  der  Gestalt  —  unter  diesen  Landweibern  nicht,  sie  sind 
meist  sehr  gebräunt,  häufig  schmutzig  in  der  Kleidung,  aber  keiner  fehlt 
der  Halsschmuck  von  Silbermünzen  oder  Schnüren  von  Glas-  und  Bern- 
steinperlen. Auch  auf  dem  Kopfe  tragen  sie  Münzen,  oft  in  das  in  viele 
kleine  Zöpfchen  geflochtene  Haar  künstlich  eingehängt.  Die  Unreinlichkeit 
in  der  Kleidung  ist  aus  dem  in  vielen  Gebirgsgegenden  herrschenden 
Wassermangel  zu  erklären,  denn  dieselbe  verschwindet  dort,  wo  Wasser 
vorhanden  ist.  Die  Sonntagskleidung  ist  aber  stets  rein,  die  Leinensachen 
schön  gestickt  in  den  bekannten  südslavischen  Mustern.  Dann  gehen  die 
Frauen  auch  nicht  gedrückt  daher  und  ihre  dunkeln  Augen  blitzen  im 
südlichen  Feuer.  Die  Stadtbevölkerung  trägt  sich,  soweit  sie  sich  nicht 
bereits  ä  la  franca  kleidet,  national.  Die  orientalisch-orthodoxen  Christen 
haben  meist  den  schwarzumränderten  montenegrinischen  Fez,  aber  statt 
der  in  den  Schwarzen  Bergen  gebräuchlichen  eingestickten  Initialen  des 
Fürsten  ist  ein  goldener  Stern  auf  den  rothen  Deckel  gestickt.  Es  ist 
ein  kräftiger,  hochgewachsener  Menschenschlag,  der  mit  grossem  Selbst- 
bewusstsein  einherschreitet.  Da  ist  keine  Unterwürfigkeit  zu  spüren ;  man 
merkt  es  den  Männern  an,  dass  sie  stets  bereit  sind,  für  ihre  Freiheit  zu 
kämpfen.  Hier  sieht  man  deutlich,  dass  Bosnier  und  Hercegoviner  trotz 
der  gleichen  Sprache  und  Abstammung  sich  zu  verschiedenen  Völkern 
entwickelt  haben.  Dieses  Volk  konnte  von  den  Türken  nie  vollständig 
unterjocht  werden  und  jeder  Versuch  wurde  blutig  zurückgewiesen.  Dabei 
sind  die  Hercegoviner  offen  und  ehrlich;  gegen  Fremde  wohl,  wie  alle 
Gebirgsvölker,  nicht  besonders  entgegenkommend,  aber  in  jeder  Weise 
verlässlich.  An  das  gegenwärtige  Regime  haben  sie  sich  gewöhnt,  die  An- 
gewöhnung ging  freilich  langsamer  vor  sich  als  in  Bosnien. 

Die  30  Moscheen  der  Stadt  —  darunter  die  prächtige  Karagjoz- 
Moschee  —  sind  meist  recht  stattliche  Bauten,  besonders  die  Minarets  von 
einer  Schönheit,  dass  denselben  wenige  in  der  Türkei  an  die  Seite  gestellt 
werden  können.  Schon  die  Ausführung  in  grossen  Steinquadern,  die 
wundervoll    ausgearbeiteten    Mauerkronen    an    den  Galerien,    welche     den 


309 


Muezzins  zum  Ausrufen  der  Gebetszeiten  dienen,  rufen  Bewunderung  hervor. 
Dabei  stehen  bei  den  Brunnen  zu  den  täglichen  fünf  Waschungen  in  den 
Höfen  der  Dzamijen  meist  prächtige  Cypressen,  und  die  Friedhöfe, 
die  nach  alter  muselmanischer  Sitte  gleich  an  die  Moscheen  sich 
schmiegen,  prangen  in  üppigem  Grün,  dem  die  Granatblüthen  ein  leb- 
hafteres Colorit  verleihen,  so  dass  die  Ruhestätten  der  Todten  ihren 
düsteren  Charakter  gänzlich  verlieren.  Ueberhaupt  wird  von  der  Behörde 
viel  zur  Hebung  der  Baum-  und  Gartenzucht,  für  Verbesserung  und  Ver- 
schönerung gethan.  Sie  Hess  auch  den  ehemaligen  Schindanger  in  Zahumje, 
auf  welchen  alle  Abfälle  der  Stadt  geworfen  wurden,  in  den  früher  er- 
wähnten prächtigen  Garten  der  Kreisbehörde  umwandeln.  Während  ehe- 
mals die  an  den  Schindanger  grenzenden  Parzellen  gleichfalls  verödet  und 
sozusagen  unverkäuflich  waren,  haben  heute  die  Besitzer  derselben  sich 
gleichfalls  Gärten  angelegt.  Ganz  besonders  zu  erwähnen  ist  jedoch  die 
Anlage  der  Stefanie-Allee,  die  vom  Bahnhof  in  schnurgerader  Richtung 
ins  Freie  führt.  Mit  prächtigen  Bäumen  bestanden,  bietet  sie  wundervolle 
Spaziergänge;   rechts  und  links  liegen  förmliche  Feigenwälder,  von  grünen 

Gebüschen  eingefasste 
üppige  Tabak-  und  Mais- 
felder und  dazwischen 
immer  wieder  einmal  eine 
kleine  Gastwirthschaft,  ein 
türkisches  Kaffeehaus,  wo 
man  im  Grünen  wunder- 
bar ruhen   kann. 

Hier  wird  überall  ziel- 
bewusstgearbeitet,  und  die 
auf  der  Südseite  entstehen- 
den neuen  europäischen 
Stadttheile,  die  vielen 
Neubauten  in  der  alten 
Stadt  zeugen  von  Unter- 
nehmungsgeist und  Fort- 


schritt. Das  Gebäude  der 
Kreisbehörde  ist  ein  Mo- 
numentalbau ,  ein  eben- 
solcher ist  das  in  mauri- 
schem Stile  neu  errichtete 
Vakufgebäude,  das  Ma- 
gistratsgebäude mit  den 
Räumlichkeiten  der  Be- 
zirksbehörde    und    die  Im    Brückenvierte]    von    M-       ii. 


3'°     — 


*   Ms 
>5 


,- 


höhere  Mädchenschule. 
Mostar  besitzt    bereits 

diese  Einrichtung,  es 
ist  eine  Art  Mädchen 
gymnasium,  die  sich 
schon  wegen  der  Kin- 
der der  vielen  Beamten, 
Militärs  und  Fremden 
gut  bewährt,  doch  wird 
die  Schule  auch  von 
Einheimischen  fleissig 
besucht.  Grosser  Aner- 
kennung erfreuten  sich 
die  Handelsschule  und 
die  allgemeine  Volks 
schule.  Neben  dieser 
bestehen  noch  die  verschiedenen  kon- 
fessionellen Volksschulen.  Die  Kinder, 
welche  die  serbische  oder  richtiger  ortho- 
doxe Schule  besuchen,  sind  nicht  zu  beneiden; 
sie  müssen  einen  steilen  Berg  steigen,  der  schon 
in  gewöhnlichen  Zeiten  an  den  beschwerlichen  Weg 
zum  Himmel  erinnert,  im  Winter  oder  bei  Sturm 
lebensgefährlich  wird.  Die  Schule  liegt  nahe  der  griechi- 
schen Kirche,  und  um  die  Aufsicht  nicht  aus  den  Augen  zu  verlieren,  willigt 
die  Geistlichkeit  in  keine  Verlegung  derselben.  Die  Kirche  hat  allerdings  einen 
imposanten  Platz  auf  dieser  Höhe,  von  der  man  einen  weiten  Fernblick  über 
ganz  Mostar  geniesst.  Sie  ist  in  grossen  Dimensionen  im  byzantinischen  Stil 
gebaut.  Das  Innere  ist  bis  auf  die  Ikonostas  (Bilderwand)  ziemlich  schmuck- 
los, doch  macht  der  Raum  mit  seiner  imposanten  Wölbung,  die  von 
mächtigen  steinernen  Säulen,  mit  das  Auge  jedes  Kunstfreundes  ent- 
zückenden Blumen-  und  Lorbeerkapitälen,  getragen  wird,  einen  erhabenen 
Eindruck.  Der  Metropolit  empfing  uns  in  der  Kirche  mit  dem  Archi- 
mandriten  und  mehreren  Geistlichen  und  machte  uns  auf  alle  Einzelheiten 
des  Bauwerkes  aufmerksam.  Der  Metropolit  ist  wohl  ein  geborener  Grieche; 
er  sprach  die  Landessprache  nicht  gut,  und  es  geschah  in  der  serbischen 
Kirche  das  Originelle,  dass  der  geistliche  Oberhirte  mit  einem  uns 
begleitenden  Herrn  sich  türkisch  verständigte.  Den  Geistlichen  dürfte  es 
unter  der  osmanischen  Herrschaft  nicht  gerade  schlecht  ergangen  sein. 
denn  sie  tragen  meist  türkische  Dekorationen.  Uebrigens  bemerkt  man 
bei  den  Eingeborenen  viele  österreichische  Orden,  die  mit  Stolz  getragen 
werden. 


Für  die  gegenwärtig  17  oio  (1885  nur  12700)  Bewohner  zählende 
Stadt  ist  die  Carsija  —  das  Bazarviertel  —  massig  zu  nennen.  Die 
500  Verkaufsgewölbe,  die  sich  stromabwärts  bis  zur  alten  Narentabrücke 
ausdehnen  und  selbst  jenseits  derselben  noch  eine  Verlängerung  haben, 
enthalten  die  türkischen  Waaren,  auch  verschiedene  origineller  Mostarer 
Erzeugung;  so  sind  z.  B.  hübsche,  ganz  gewöhnliche  Thongefässe  des 
Kaufens  werth.  In  manchem  Gewölbe  findet  man  wohl  auch  noch  ein 
Prunk-  oder  Schmuckstück  aus  alter  Zeit,  aber  das  Meiste  ist  bereits  durch 


Partie    von    Mostar. 


Kauf  in  europäischen  Besitz  übergegangen.  Des  Ansehens  werth  ist  die 
Gasse  der  Schneider,  wo  die  prächtigen,  goldgestickten  Anzüge  der  reichen 
Hercegoviner  angefertigt  werden.  Hier  bereitet  das  Besichtigen  keine 
Umstände,  da  fast  offen    —    wie  in  Italien    —    auf  der  Strasse  gearbeitet 

V 

wird.  In  der  Carsija  steht  übrigens  mitten  auf  offenem  Platze  ein  originelles 
Kaffeehaus,  das  »Cafe  Luft«  von  den  Fremden  genannt.  In  einem  von 
allen  Seiten  offenen  kleinen  Pavillon  stehen  ringsumher  Bänke,  an  der 
Seite  ist  ein  offenes  Kohlenfeuer  und  an  ihm  bereitet  der  Kafedzija  einen 
geradezu  vorzüglichen  Mokka. 

Am  Nord-  wie  am  Südende  der  Stadt  befinden  sich  ausgedehnte, 
massiv  hergestellte  Lager  (Kasernen  und  Baracken)  für  die  Garnison.  Ueber- 
;ill  sind   hübsche  Garten-  und  Baumanlagen  versucht  worden,  doch  wollen 


312 


die  auf  der  Südseite  nicht  recht  gedeihen;  der  Boden  ist  zu  steinig  und 
des  Regens  zu  wenig  im  heissen  Mostar.  So  oft  ich  jetzt  die  Hercegovinaer 
Hauptstadt  besuchte  und  das  ist  —  abgesehen  von  einem  kurzen  Aufenthalt 
unter  türkischer  Zeit  —  viermal,  kam  es  mir  vor,  als  ob  die  Bäumchen 
beim  Südlager  noch  verkümmerter  wären,  —  der  direkte  Gegensatz  zu 
der  wildwuchernden  Ueppigkeit  an  der  Narenta   und   Radobolja. 

Nicht  weit  vom  Südlager,  aber  innerhalb  der  Stadt,  steht  die  ärarische 
Tabakfabrik,  die  eines  Besuches  werth  ist.  Es  sind  dort  300—400  grössere  und 
kleinere  Mädchen  und  eine  Menge  männlicher  Arbeiter  beschäftigt,  welche 
den  [ausgezeichneten  Hercegovinaer  Tabak  zu  Cigaretten  und  Cigaretten- 
tabak  verarbeiten.  Unter  dem  männlichen  Personale  sind  alle  Konfessionen 
vertreten,  unter  dem  weiblichen  nur  Orthodoxe  und  Katholikinnen,  da  die 
Mohammedanerinnen  —  soweit  sich  solche  zur  Arbeit  melden  —  diese 
nach  Hause  bekommen.  Der  Verdienst  ist  selbst  für  europäische  Ver- 
hältnisse sehr  anständig;  die  Arbeitssäle  sind  sehr  licht  und  reinlich  gehalten 
und  die  hübschen  Gestalten  der  Mädchen,  welche  durchwegs  in  ihrer 
malerischen  Tracht,  mit  dem  Fez  auf  dem  Kopfe,  bei  der  Arbeit  sitzen, 
bieten  einen  unvergleichlichen  Anblick.  Einzelne  tragen  Münzen,  selbst 
Dukaten  und  alte  türkische  Goldstücke  um  Fez  und  um  den  Halz.  Die- 
ienigen,  welche  sich  diesen  Luxus  nicht  gönnen  können,  tragen  Blumen 
am   Fez   und   im   Haar.     Ebenso   stehen  Blumen   auf  allen  Arbeitstischen, 


Weinbaustation   bei   Mostar. 


was  einen  so  grundverschiedenen  Anblick  gegenüber  den 
Arbeitssälen  unserer  heimischen  Fabriken  gewährt,  dass  man 
glaubt,  hier  werde  nur  zum  Ver- 
gnügen gearbeitet.  Oft  erhalten 
diese  Madchen  ihre  armen  Fa- 
milien mit  dem  für  orientalische 
Begriffe  sehr  hohen  Lohne.  Wie 
uns  der  Direktor  versicherte, 
gäbe  es  keine  fieissigeren  und 
geschickteren  Arbeiter  und  Ar- 
beiterinnen, als  dieser  jugend- 
liche Nachwuchs,  von  dem  so 
viele  aufgenommen  werden,  als 
sich  nur  melden.  Die  Fabrik 
muss  beständig  vergrössert  wer- 
den, da  der  Anbau  des  Tabaks 
und  die  Ausfuhr  der  Fabrikate 
in  steter  Steigerung  begriffen  ist. 
An  der  Strasse  nach  Blagaj, 
im   Biscepolje,    steht    auch    die  An   der   Narenta    ^Mostar). 

landesärarische  Wein-  und  Obst- 
baustation. Inmitten  einer  Wein-  und  Baumanlage  von  32  Hektaren 
liegen  das  hübsche  Presshaus  und  das  Wohnhaus  der  Beamten.  Es 
werden  nur  aus  absolut  phylloxerafreien  Gegenden  Reben  bezogen  und 
gepflanzt,  theils  für  die  Produktion,  theils  zur  Weitergabe  an  Wein- 
bauer. Der  Weinbau  ist  um  Mostar  ziemlich  bedeutend  und  das  Gewächs 
von  geradezu  vorzüglicher  Güte,  aber  auch  von  verdächtiger  Schwere. 
Die  Proben,  die  uns  in  der  Weinbaustation  vorgesetzt  wurden,  liessen 
uns  nur  wünschen,  dass  bald  alle  kahlen  Abhänge  der  Hercegovina, 
mindestens  der  gesammten  Umgebung  von  Mostar,  mit  Reben,  die  so 
köstliches  Getränk  liefern,  bepflanzt  wären.  Nicht  weit  davon  ist  bereits 
eine  Frucht  der  Station:  die  Weinkellereien  von  Risto  Jellacic.  Der 
reiche  Weinbauer,  der  seine  Anlagen  stets  vergrössert,  liess  seinen  Sohn 
auf  der  Weinbauschule  in  Klosterneuburg  (Niederösterreich)  studiren  und 
dann  nach  dessen  Plänen  grosse  Kellereien  aufführen  und  den  Wein 
rationell  behandeln.  Es  ist  ein  Vergnügen,  in  die  hohen  Räume  zu  treten, 
wo  die  grossen  Stückfässer  lagern,  und  dann  einen  Gang  durch  die  unter- 
irdischen Keller  zu  machen,  wo  man  aus  dem  Kosten  und  dem  Wundern 
nicht  herauskommt.  Der  Wein  —  dunkler  und  heller  —  wird  bereits  viel 
nach  dem  Auslande  versandt,  selbst  nach  Brasilien,  wie  uns  der  Besitzer 
mit  Stolz  erzählte.  Die  Preise  sind  nicht  billig,  aber  das  Mostarer  Gewächs 
kann    sich    mit   den    besten    Marken    sämmtlicher   europäischer   Weinländer 


SM 


messen.     Der  alte  Herr  Jellacid  spricht  gut  italienisch,  sein  Sohn   flies 
deutsch,  so  dass  Fremden  ein   Besuch  nur  empfohlen   werden  kann. 

Von  den  Mostarer  Hotels  ist  das  landesärarische  Hotel  Nar< 
das  erste,  beste  und  empfehlenswertheste.  Die  Zimmer  sind  vorzüglich, 
die  Preise  vorgeschrieben  und  nicht  zu  hoch,  die  Restaurations-,  1 
und  Kaffeehausräume  wie  in  den  feinsten  Lokalen  der  europäischen  Gross 
stallte.  Entzückend  ist  aber  eine  in  den  Garten  hinausgebaute  Veranda 
gegen  Abend,  wenn  die  verschiedenen  fremdartigen  Bäume  mit  einander 
leise  (lüstern,  wenn  der  Mond  in  voller  Klarheit  am  dunkelblauen  Firma- 
ment erscheint  und  man  die  Gewässer  der  nahen  Narenta  rauschen  hört. 
Da  glaubt  man  sich  nicht  in  der  Hercegovina  zu  befinden,  die  mit  Recht 
so  lange  Jahrhunderte  die  wilde  oder  die  -blutige  genannt  wurde. 
Gegenwärtig  wäre  neben  dem  Hotel  Narenta«  noch  das  Hotel  Kronprinz 
zu  empfehlen.  Sonst  giebt  es  mehrere  einheimische  Einkehrwirthshäuser, 
eine  Anzahl  türkischer  Hans  und  eine  Unzahl  kleiner  Hier-  und  Weinwirth- 
schaften,  die  meist  von  Oesterreichern  oder  Ungarn  gehalten  werden.  Auch 
die  Dalmatiner  sind  viel  unter  den  kleineren  Kneipenwirthen  vertreten, 
wie  überhaupt  das  dalmatinische  Element  im  Mostarer  Leben  eine  grosse 
Rolle  spielt.  Ist  das  Italienische  doch  schon  mit  Umgangssprache  ge- 
worden. Deutsch  wird  überall  gesprochen,  und  selbst  viele  der  Ein- 
heimischen können  sich  recht  gut  deutsch  verständigen.  Sie  haben  Lust 
und  Liebe  zum  Lernen,  was  man  besonders  in  den  tüchtigen  neuen  Volks- 
schulen beobachten  kann.  Dabei  haben  selbst  die  kleinen  Knaben  einen 
freien  offenen  Blick,  einen  natürlichen  Anstand  und  ein  so  sicheres  Be- 
nehmen,   dass    unsere  Kinder   absolut  keinen  Vergleich  aushalten   können. 

Die  Umgebung  von  Mostar  ist  reich  an  interessanten  Ausflügen; 
einer  der  für  Jäger  besonders  empfehlenswerthesten  wegen  der  zahlreichen 
Sumpf-  und  Wasservögel  ist  der  ins  »Mostarsko  Blato«  —  den  Sumpl 
von  Mostar.  Er  führt  diesen  Namen  mit  Unrecht,  denn  wenn  er  im 
Sommer  auch  theilweise  austrocknet,  ist  er  doch  im  Ganzen  ein  blauer 
klarer  Spiegel  wie  ein  Alpensee,  der  sich  gegen  30  Quadratkilometer  aus- 
dehnt. Von  Mostar  ist  er  eine  Stunde  Wagenfahrt  entfernt.  Am  Ende 
der  Stefanie-Allee  zweigt  sich  die  nach  dem  Blato  führende  Strasse  ab  und 
führt  an  den  rechtsseitigen  Begleithöhen  des  Narentathales  in  grossen 
Windungen  auf  die  Höhe.  Rechts  bietet  sich  ein  schöner  Ausblick  ins 
Radobolje-Thal.  Die  Berghänge  sind  verkarstet,  nur  an  einer  Stelle  zeigt 
sich  eine  überraschend  üppige  Vegetation  von  jungen  Eichen  und  anderem 
Laubholz.  Es  ist  dies  ein  im  Privatbesitz  befindliches  Grundstück,  welches 
zum  Schutze  gegen  die  Ziegen  eingezäunt  wurde  und  den  besten  Beweis 
dafür  liefert,  dass  auch  der  Karstboden,  zumal  in  einer  vor  der  Bora  ge- 
schützten Lage,  mit  Erfolg  bestockt  werden  kann,  wenn  man  die  An- 
pflanzungen vor  den  vierbeinigen  Todfeinden  jedes  jungen  Schösslings  ge- 


—    3'5 


hörig  schützt.  Die  Fahrstrasse  biegt  dann  links  in  ein  Thal  ein  und  bald 
darauf  öffnet  sich  der  überraschende  Blick  auf  das  Mostarsko  Blato.  Oest- 
lich  wird  es  von  einer  schroffen  Felswand,  nördlich  von  steil  ansteigendem 
Mittelgebirge  begrenzt,  das  kahl  und  unbewohnt  zur  Wasserfläche  abfällt. 
Südlich  hebt  sich  der  Strand  sanft  ansteigend  zur  breiten  Abdachung  des 
waldigen  Bergzuges  Trtre.  Hier  baut  —  wie  ich  Hoernes  »Dinarischen 
Wanderungen«  entnehme  —  eine  dichte,  in  zahlreichen  Ortschaften  woh- 
nende Bevölkerung  von  achteinhalbtausend  Seelen  auf  vortrefflichem  Boden 
Korn,  Wein,  Tabak  und  allerhand  Baumfrüchte.  Die  Blüthezeit  dieses 
Landstriches  datirt  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  und  den  er- 
folgreichen Anstrengungen  eines  eingeborenen  Gouverneurs,  des  Paschas 
Kukavica.  Wenn  das  Blato  zum  Theil  eintrocknet,  so  werden  an  seiner 
tiefsten  Stelle  jene  Schlünde  sichtbar,  welche  das  Wasser  zur  Jasenica  und 
Radobolja  abführen.  Eine  Menge  Orte  liegen  um  das  Blato,  die  meist 
katholische  Bevölkerung  haben.  Wohl  steht  am  Südufer  noch  die  male- 
rische Ruine  einer  Moschee,  einer  seltenen  Erscheinung  in  dieser  Gegend; 
drei  Wände  und  das  Minaret  ragen,  von  dichtem  Epheu  übersponnen,  em- 
por, aber  die  Mohammedaner  sind  verschwunden.  Noch  im  vorigen  Jahr- 
hundert sollen  viele  hier  ansässig  gewesen,  aber  durch  die  Pest  um- 
gekommen sein.  Bei  dem  unweit  gelegenen  Orte  Zvatic  hat  nach  den  Aus- 
sagen der  Anwohner  die  Bora  solche  Gewalt,  wie  nirgends  im  ganzen 
Lande.  Das  Volk  erklärt  dieses  Phänomen  durch  die  Tradition,  dass  hier 
einst  Jesuitenmissionäre  von  den  Türken  getödtet  worden  seien.  Der  Ort 
Kraljevine,  ebenfalls  hier  gelegen,  soll  seinen  Namen  führen  nach  dem 
Grabe  eines  Königs,  der  hier  gegen  die  Türken  fiel  und  bestattet  wurde, 
oder  nach  Marko  Kraljevic,  der  die  Blatna  Zupa  vom  Sultan  zum  Lehen 
erhalten  habe.  Ueberall  verweben  sich  Sage  und  Dichtung  mit  der  Wirk- 
lichkeit und  die  Sage  erhält  in  dieser  Gegend  viele  Nahrung  durch  die 
zahlreichen  Gräber  mit  Monolithen,   die  sich  an  allen  Stellen  finden. 


Blagaj  und  die  Bunaquelle. 

[n  der  Hauptstadt  der  Hercegovina  gewesen  zu  sein  und  Blagaj  mit 
der  Bunaquelle  nicht  gesehen  zu  haben,  wäre  eine  Schande  für  jeden 
Menschen,  der  für  Naturschönheiten  nur  das  mindeste  Gefühl  besitzt,  und 
dies  umsomehr,  als  sich  hier  das  historische  Interesse  damit  vereint.  Blagaj 
war  einst  die  Hauptstadt  des  Landes,  als  dieses  noch  Chlum  oder  Zahumlje 
genannt  wurde,  und  der  Herrscher  regierte  auf  Stjepanograd  (Stefansburg), 
deren  Ruinen  sich  noch  heute  mächtig  und  ehrfurchtgebietend  auf  einem 
hohen  kahlen  Felsrücken,  dem  letzten  Ausläufer  des  Podveles,  erheben. 
Damals,  sagt  das  hercegovinische  Volkslied,  hiess  es:  »Mostar  —  Scheher, 
Blagaj  —  Varosch«  (Mostar  ist  Flecken,  Blagaj  eine  Stadt),  während  der 
Vers  heute  umgekehrt  laute:  »Blagaj  —  Scheher,  Mostar  —  Varosch.« 
So  klein  der  Ort  aber  heute  auch  ist,  so  interessant  ist  seine  Umgebung, 
denn  er  besitzt  eine  Sehenswürdigkeit,  die  in  Europa  in  dieser  Grossartig- 
keit vielleicht  ihres  Gleichen  nicht  hat,  die,  wäre  sie  in  der  Schweiz  ge- 
legen, allein  Zehntausende  von  Fremden  alljährlich  anziehen  würde:  die 
Bunaquelle. 

Wir  verlassen  Mostar  mit  einem  der  vorzüglichen  Fiaker,  die  billig 
und  gut  fahren,  und  lenken  unsere  Schritte  durch  die  Stadt  an  dem  Süd- 
lager vorbei,  durch  die  grosse  Ebene  zwischen  Gebirgen  und  Narenta. 
An  der  landesärarischen  Wein-  und  Obstbaustation  und  der  geschilderten 
Kellerei  von  Risto  Jellacic  vorüber  geht  es  direkt  auf  einen  Winkel  zu, 
wo  die  Berge  jedes  weitere  Fortkommen  zu  hemmen  scheinen.     Die  Gegend 


Kopfleiste:  Forellenfany  mit  der  Hand  im   Bunaflusse  bei 


317 


ist  an  den  linksseitigen  Abhängen  hübsch  angebaut,  überall  sieht  man 
Weinpflanzungen  und  freundliche  Häuser  im  Grünen.  Rechts  unseres 
Weges  ist  Steinboden,  wie  ein  altes  Flussbett.  Nur  Stachelpflanzen  und 
Salbei  spriessen  zwischen  den  Steinen,  nicht  einmal  Schafen  eine  kümmer- 
liche Nahrung  gewährend.  Nach  einer  Stunde  ungefähr  erblicken  wir  die 
vereinzelten  Häuser  von  Blagaj  und  fahren  in  die  sogenannte  Carsija  — 
ein  halbes  Dutzend  Buden  und  einige  bessere  Läden  enthaltend  —  ein. 
Das  ist  der  kleinere  Theil  der  einstigen  hercegovinischen  Residenz,  dem 
sich  weiterhin  eine  neue  katholische  Kirche  und  eine  neugebaute  Moschee 
anschliessen.  Ueber  dem  Flusse  Buna  liegt  noch  ein  anderer  Theil  des 
Ortes,  zu  dem  zwei  alte  Steinbrücken  führen.  Von  einer  sind  nur 
die  gemauerten  Pfeiler  übrig  geblieben  und  mit  einer  Holzkonstruktion 
überlegt  worden.  Die  zweite  ist  jedoch  eine  gut  erhaltene  Bogenbrücke, 
welche  den  Verkehr  der  Ortschaft  über  Dobrica  mit  Bilek  vermittelt.  Die- 
selbe übersetzt  in  fünf  Bogen  die  Buna  und  trägt  folgende  türkische 
Gedenktafel : 

»Einziger  Gott,  du  bist  nicht  entstanden,  wirst  auch  nicht  vergehen.  Von  dir 
kommt  jede  Hilfe  und  bei  dir  ist  jede  Hoffnung!  Diesen  Bau  erneuerte  Belfe  Kadine, 
Tochter  des  Ali  Beg  Veljagie.  Möge  ihr  Gott  ihre  Sünden  vergeben  und  sie  mit 
seiner  Gnade  beschenken.  Errichtet  1265  (1849).  Diesen  Bau  habe  ich  wieder 
hergestellt  zur  Erinnerung,  damit  für  mich  und  meine  Eltern  ein  Gebet  verrichtet 
werde.  Wer  für  meinen  Sohn  Alija  zu  Gott  beten  wird,  der  wird  auch  für  meine 
Seele  gebetet  haben.« 

Der  Bürgermeister  von  Blagaj,  ein  gänzlich  europäisirter  Moham- 
medaner, den  ich  schon  aus  früheren  Jahren  gut  kannte,  empfing  unsere 
Gesellschaft  das  letzte  Mal  vor  einem  serbischen  Laden,  wo  die  Wagen 
halten  mussten  und  bot  uns  sofort  seine  Begleitung  zur  Quelle  an.  Von 
der  nach  Nevesinje  weiterführenden  Hauptstrasse  zweigt  ein  kleiner  Fuss- 
weg,  der  zwischen  dem  hohen  Felsen,  der  Stjepanograd  trägt,  und  der  Buna 
sich  hinschlängelt,  ab.  Der  Weg  ist  sehr  ursprünglich,  aber  keineswegs 
beschwerlich  und  er  wird  von  üppigem  Granaten-  und  Myrthengebüsch 
umsäumt.  Nach  etwa  fünf  Minuten  endet  er  unter  schauerlich  übereinander 
gethürmten  und  überhängenden  Felsen  bei  einer  kleinen  Gruppe  von  Ge- 
bäuden und  Ruinen,  über  die  sich  die  phantastisch  geformten  Tropfstein- 
bildungen der  nach  vorwärts  neigenden  riesigen  Felswand  herabsenken. 
Zuerst  betritt  man  das  Innere  einer  kleinen  Moschee,  tue  von  einem  Fels- 
block zerstört  wurde.  Ali  Pascha  Rizvanbegovic,  der  mächtige  Vezier  der 
Hercegovina,  hat  sie  in  den  vierziger  Jahren  unseres  Jahrhunderts  errichtet. 
Sein  Werk  wurde  zerstört,  gleichwie  er  vom  Sultan!  Dann  passirt  man 
eine  Hofthür,  die  auf  Klopfen  von  einem  Hodscha  (mohammedanischen 
Geistlichen)  geöffnet  wird,  und  tritt  auf  eine  Veranda,  von  der  aus  sich  das 
wundervollste  Schauspiel   bietet.      Man  blickt  in  eine  von  senkrechten  Fels- 


;i8 


Buna  quelle. 

wänden  gebildete  Halle,  eine  mit  Stalaktiten  reich  geschmückte  Grotte, 
aus  der  in  mächtiger  Breite  die  Buna  entströmt,  ein  Schlundfluss,  dessen 
Ursprung  man  im  Gackopolje  vermuthet.  Es  wird  erzählt,  dass  eines 
Tages  ein  Schäfer  seinen  Stock  in  die  Zalomska  Rjeka  warf  und  sein 
Vater,  ein  Müller  in  Blagaj,  diesen  in  der  Buna  fand.  Vater  und  Sohn 
trachteten  nun,  diese  Entdeckung  auszubeuten.  Der  Schafhirt  schlachtete 
jeden  Tag  ein  Schaf,  warf  es  in  die  Zalomska,  und  sein  Vater  fischte  es 
in  der  Buna  heraus.  Dem  Aga,  dem  die  Heerde  gehörte,  fiel  es  auf,  dass 
diese  immer  geringer  wurde;  der  Hirt  schob  aber  die  Schuld  auf  die 
Wölfe,  die  in  der  Gegend  in  grosser  Anzahl  hausen  sollten.  Endlich 
schöpfte  der  Aga  Verdacht,  er  liess  den  Hirten  überwachen,  und  eines 
Tages  überraschte  man  ihn,  als  er  seine  Heute  in  den  Fluss  warf.  Den 
nächsten   Tag    fischte    der    Müller    anstatt    des    Schafes    den    enthaup 


3i9 


Thekia    an    der    Bunaquelle. 


Leichnam  seines  Sohnes  aul.  Die- 
selben Sagen  werden  von  vielen  der 
hercegovinischen  Schlundflüsse  er- 
zählt; es  wurden  auch  wiederholte 
Versuche  gemacht,  um  den  Zu- 
sammenhang dieser  theilweise  unter- 
irdisch fliessenden  Karstgewässer  fest- 
zustellen, doch  konnte  kein  Resultat 
erzielt  werden.  Wie  mir  der  Be- 
zirksvorsteher von  Mostar  erzählte, 
war  eine  Expedition  in  die  Bunahöhle 
mit  Kahn  geplant,  da  das  Wasser  ge- 
rade verhältnissmässig  niedrig  war, 
doch  habe  ich  über  den  Verlauf  der- 
selben nichts  vernommen.  Schwim- 
mend kann  eine  solche  Entdeckungsreise  nicht  angetreten  werden,  denn 
das  Wasser  ist  eiskalt,   so  dass  auch  Baden  nicht  möglich  ist. 

Das  Wasser  der  Buna  ist  lichtblau  und  so  klar,  dass  man  jedes 
Steinchen  auf  dem  Grunde,  auch  jede  Forelle  sehen  kann,  die  sich  ihres 
Daseins  freut.  Der  Kontrast  mit  den  starren  Felswänden,  in  deren  Löchern 
Tausende  von  Schwalben  und  Tauben  nisten,  die  ununterbrochen  hin-  und 
herfliegen,  ist  daher  um  so  überwältigender.  Direkt  in  den  einen  finsteren 
Winkel  der  Schlucht  ist  ein  Türkenhaus  gebaut,  das  den  geistlichen  Wächter 
eines  daneben  befindlichen  »Türbe«  beherbergt.  Das  Türbe  —  ein  türkisches 
Mausoleum  —  enthält  den  Sarg  eines  mohammedanischen  Heiligen  und 
seines  Dieners.  Beide  Särge  sind  mit  einfachen  Teppichen  belegt.  Neben 
die  Särge  wird  jeden  Abend  ein  Krug  mit  Wasser  gestellt  und  ein  Hand- 
tuch dazu  gelegt,  das  angeblich  an 
jedem  Morgen  feucht  ist,  da  der 
Heilige  seine  rituellen  Waschungen 
verrichtet.  Wir  wollen  den  frommen 
Glauben  Niemandem  nehmen,  aber 
jedenfalls  muss  es  ein  sonderbarer 
Heiliger  gewesen  sein,  denn  seine 
Streitaxt  (Bustovan)  hängt  an  der 
Wand,  und  es  wird  erzählt,  dass  er 
vielen  Christen  den  Garaus  gemacht 
hat.  Eine  Sammelbüchse  fordert  zu 
milden  Beiträgen  für  die  Erhaltung 
des  Grabes  oder  wohl  mehr  seines 
Behüters  (der  erst  kürzlich  geheirathet 
hatte)  auf  und  es  wird  kaum  Jemand 


Särge  im  Innern  des  Türbe. 


—  ^520  — 


seinen  Bakschisch  versagen.  Umsoweniger,  wenn  man  auf  der  Veranda 
an  der  Höhle  ein  regelrechtes  ricknick  gehalten  hat,  wie  wir  es  thaten, 
unseren    recht   witzigen    Blagajer    Hm  ter,    mit    dem    ich    neun  Jahre 

früher  einmal   ein    Lamm    verzehrt   hatte,   in   der   Mitte.     Er   war   auch 


huvj;    Stjepanograd. 

so   freundlich,   meine  Frau   in   den  Harem  seines  Bruders,   eines  Kaufmannes 
zu   bringen,    wo    sich    ein   recht  gediegener  Reichthum   entfaltet  haben 

Wir  warteten  indess  in  Blagaj  in  einem  serbischen  Laden,  wo  wir 
uns  schwarzen  Kaffee  bringen  Hessen.  In  einer  Ecke  lag  auf  einem 
Teppich    auf    der    Erde    die    Grossmutter    des    Besitzers,     eine    mehr    als 

21 


—    321 


hundertjährige  Greisin,  die  hier  ihre  Zeit  zubringt,  weil  es  immer  etwas 
zu  sehen  und  zu  hören  giebt.  Der  Kaufmann  aber  hatte  in  einem 
bosnischen  Bataillon  gedient,  war  zwei  Jahre  in  Wien  gewesen  und  hatte 
recht  gut  deutsch  gelernt.  Er  war  eingebildet  auf  Wien  und  als  ihn  der 
Bürgermeister  fragte,  wie  gross  eigentlich  die  Kaiserstadt  sei,  zog  er  einen 
Plan  aus  einer  Schublade  und  indem  er  ihn  riesengross  ausbreitete,  sprach 
er  die  stolzen  Worte:    »Wie  die  halbe  Hercegovina   ist  Wien!« 

Der  Aufstieg  auf  die  Stefansburg  (Stjepanograd)  ist  beschwerlich. 
Auf  Ziegenpfaden,  über  Geröll,  das  unter  den  Füssen  entweicht,  muss  die 
Höhe  erklommen  werden.  Das  erste  Mal  that  ich  dies  unter  den  Strahlen 
einer  afrikanischen  Sonne  bei  fast  50  Grad  C.  Hitze.  Es  war  1885,  wo  ich 
die  Tour  mit  dem  in  Dschedda  gestorbenen  Herausgeber  der  »Bosnischen 
Post«  Dr.  Makanec  und  Polizeikommissär  Manigodic  unternahm.  Diesmal, 
im  September,  war  die  Temperatur  zu  Besteigungen  viel  besser  geeignet. 
Die  Ruinen  der  Burg  sind  gut  erhalten  und  von  bedeutender  Ausdehnung. 
An  einigen  Steinen  in  der  Höhe  befinden  sich  glagolithische  Inschriften 
(oder  richtiger  in  der  bosnischen  Schrift  des  Alterthums:  der  »Bosancica«), 
deren  eine  von  dem  ehemaligen  orthodoxen  Metropoliten  Sava  Kosanovic 
in  Sarajevo  entziffert  wurde.  Dieselbe  lautet:  »Hier  sitzt  als  Gefangener 
Stefan  Kosaca,  Herzog  von  Zahumlje«.  Er  wurde  damals  von  seinem 
Sohne  belagert,  dem  er  die  Braut  weggeheirathet,  der  dann  zum  Islam 
übergetreten  und  mit  einem  türkischen  Heere  gekommen  war,  seinen 
Vater  zu  bekriegen.  Stefan  Kosaca,  der  Lehensträger  des  Königs  Thomas 
Ostoic  von  Bosnien,  hatte  sich  der  Oberhoheit  desselben  entzogen  und 
sich  unter  diejenige  des  deutschen  Kaisers  (1440)  gestellt.  Hierfür  erhielt 
er  den  deutschen  Herzogstitel  und  seitdem  nannte  er  sein  Land  Hercegovina. 
Der  bosnische  König  verweigerte  die  Anerkennung  der  neugeschaffenen 
Verhältnisse,  berief  im  Jahre  1446  deh  Landtag  nach  Konjica  ein,  auf 
dem  Herzog  Stefan  für  illegitim  erklärt  wurde,  falls  er  nicht  durch  den 
König  von  Rascien  und  Bosnien  in  seiner  Würde  neu  bestätigt  würde, 
ebenso  müsse  er  den  Eid  der  Treue  leisten.  Wie  bereits  in  einem 
früheren  Abschnitt  erwähnt,  fasste  dieser  Landtag  auf  Drängen  der 
päpstlichen  Legaten  und  der  Franziskaner  strenge  Beschlüsse  gegen  die 
Bogomilen;  eine  neue  blutige  Verfolgung  trat  ein  und  Herzog  Stefan  — 
selbst  ein  Bogomile  oder  Patarener  —  stellte  40  000  auswandernde  Bosnier 
unter  seinen  Schutz.  Er  verlachte  die  Beschlüsse  des  Landtages  in  seiner 
festen  Burg,  bis  sich  sein  eigener  Sohn  gegen  ihn  wendete.  Er  starb  als 
dessen  Gefangener  1466.  Nach  seinem  Tode  ging  das  Land  in  türkische 
Verwaltung  über,  die  es  bis  1878  nicht  mehr  verlor.  Die  einst  blühenden 
Gefilde  verödeten,  das  Volk  wurde  geknechtet  und  gedrückt,  bis  diesem 
endlich  die  Geduld  riss  und  im  Jahre  1875  eine  Tscheta  der  Aufständischen 
auch   bei  Blagaj   erschien.     Ein  Jahr  später  drangen   die  Montenegriner  mit 

—    322     — 


einer  Streifkolonne  bis  zu  diesem  Orte  vor  und  auf  Stjepanograd  standen 
ihre  Gebirgsgeschütze.  Sic  waren  aber  zu  schwach,  um  einen  Angriff  auf 
Mostar  wagen  zu  können,  und  so  mussten  sie  sich  unverrichteter  Sache 
zurückziehen. 

Ks  ist  jetzt  .^till  und  öde  in  der  einst  so  prächtigen  Burg;  nur 
Ziegen  betrachten  mit  neugierigen  Blicken  du-  Fremdlinge,  welche  ihre 
Einsamkeit  zu  stören  wagen,  und  in  den  Lutten  kreisen  fünf  mächtige 
Adler,  deren  Horste  sich  irgendwo  in  den  unzugänglichen  Felsklüften 
über  der  Bunahöhle  befinden.  Ein  riesiger  Maulbeerbaum  spendet  inner- 
halb der  Ruine  Schatten;  Gebirgsblumen  und  die  originellen  kukuruz- 
ähnlichen  Stauden  von    Arum    maculatum    bedecken    den     Boden,    und   als 


Kafedzija    in     Blagaj. 


21* 


wir  einem  sonnigen  Fleckchen  an  den  zwei  noch  bestehenden  mächtigen 
Cisternen  zunahe  kamen,  zischte  eine  riesige  Natter  hervor,  sich  wieder 
in  den  Trümmern  verlierend.  Der  Blick  von  der  Burg  aber  trifft  zwei 
Kulturwerke  der  Neuzeit:  auf  der  einen  Seite  die  Eisenbahn  nach  Metkovic, 
auf  der  andern  die  prächtige  Fahrstrasse  nach  Nevesinje. 

Der  Abstieg  von  Stjepanograd  war  ein  wenig  angenehmer;  mit  theil- 
weise  zerschnittenen  Schuhen  kamen  wir  wieder  auf  ebenem  Boden  an. 
In  Blagaj  werden  wir  noch  auf  eine  neu  errichtete  Bierbrauerei  aufmerk- 
sam gemacht,  dann  geht  es  zurück  nach  Mostar.  Aus  einem  serbischen 
Gasthause  hört  man  die  langgezogenen  melancholischen  Töne  der  Gusla. 
Der  Spieler  recitirt  die  Geschichte  vom  Königssohne  Marko,  dem  Haupt- 
helden der  südslavischen  Volkspoesie: 

»Auf  der  weissen  Kula  Prilips  tranken 

Kühlen   Wein  zwei  treue  Bundesbrüder: 

Einer  ist   der  königliche  Marko 

Und  der  and're  der  ßosnjake  Relja. 

Beide  sitzen,    kühlen  Wein  sie  trinken. 

Bis  der  Wein  die  Wanden  Hess  erblühen. 


Im  Gebirge  hab'  ich  eine  Vila, 

Eine  Vila,  meine  Bundesschwester. 

Diese  gab  mir  beide  graue  Falken, 

Und  sie  gab  mir  beide  bösen  Hunde 

Und  ein  Amulet  ans  reinem  Golde. 

Damit  siegte  ich  in  so  viel  Kämpfen, 

Als  im  Jahre  Tage  Du  kannst  zählen. 

Mehr  gilt  mir  die  Vila  als   die   Mutter! 

Wenn  Du  mir  nun  folgen  wolltest,  Relja, 

Diese  Vila  hast  Du  dir  gewonnen. 

Fasse  sie  bei  ihren   weissen  Händen 

Und  wir  wollen  durchs  Gebirg'   sie  führen 

Bis  nach  Bazar,  deinem  weissen  Hofe. 

Dort  wirst  Du  mit  ihr  dich  trauen  lassen 

Und  dadurch  ein  bess'rer  Held  noch  werden.« 

Es  wird  immer  später;  der  Guslar  hat  seinen  Gesang  noch  nicht 
beendet,  wir  aber  ziehen  unseres  Weges,  um  einen  vorläufigen  Abschieds- 
trunk im  »Hotel  Narenta«  mit  den  Bekannten  zu  thun,  denn  am  anderen 
Tage  geht  es  nach  der  montenegrinischen  Grenze.  Einstweilen  ist  es  die 
letzte  Nacht  in  Mostar,  aber  nicht  auf  dem  blutgetränkten  Boden  der 
schönen  Hercegovina. 


I 


Längs  der  montenegrinischen  Grenze. 

Am  frühen  Morgen  nahmen  wir  von  Mostar  Abschied,  um  unsere 
Fahrt  längs  der  montenegrinischen  Grenze  —  des  sogenannten  Kordons  — 
anzutreten.  Die  [Strasse  führtfT  über  Blagaj,  dann  geht  es,  an  der  Burg 
Stjepanograd  vorüber,  in  starker  Steigung  die  Berge  hinan.  Wieder  ist 
es  die  Arbeit  der  bosnisch-hercegovinischen  Bauverwaltung,  die  wir  be- 
wundern müssen,  denn  einstmals  bestand  hier  nur  ein  türkischer  Reitweg, 
der  über  Stock  und  Stein  in  diese  Gebirgswildniss  führte.  Wir  steigen 
vom  Wagen  und  gehen  eine  Strecke  zu  Fuss,  um  die  Pferde  bei  der 
glühenden  Hitze  nicht  zu  sehr  zu  ermüden.  Bald  sind  wir  in  Schweiss 
gebadet,  aber  es  geht  höher,  und  uns  umweht  die  kühle  Luft  vom  Podveles, 
der  uns  zur  Linken  bleibt.  Nach  einem  halbstündigen  Aufstieg  beginnen  die 
Serpentinen,  an  der  einen  Seite  mit  Steinpfeilern  zum  Schutze  gegen  das  Ab- 
stürzen versehen.  Der  letzten  fremden  Ansiedlung  sagen  wir  vorläufig  Lebe- 
wohl; es  ist  ein  massives  Häuschen  mit  der  Aufschrift:  »Wegeinräumer  — 
Cestar«,  und  dann  geht  es  in  die  wundervolle  Landschaft,  die  man  nicht 
mit  Unrecht  den  ständigen  Heerd  von  Unruhen  genannt  hat.  Fast  jede 
Insurrektion  gegen  die  Türken  nahm  von  Nevesinje  ihren  Ausgang;  der 
1875er  Aufstand  begann  hier,  als  die  Steuern  mit  barbarischer  Strenge 
eingehoben  wurden,  und  es  ist  somit  eine  historische  Thatsache,  dass 
eigentlich  von  Nevesinje  aus  der  serbische  und  der  russisch-türkische  Krieg 
entstanden,  dass  alle  Umwälzungen  auf  der  Balkanhalbinscl  diesem  »Bischen 
Herceeovina«   ihr  Sein  verdanken 


Kopfleiste:  Militärpostwagen  an  der  Grenze. 


Arn* '. 


V 


Rückkehr   vom    Markte. 

Die  Gegend,  die  wir  berühren,  ist  Karst,  aber  mit  dichtem  Gestrüpp 
bedeckt.  Stellenweise  stehen  hohe  Steineichen,  niedrige  Eschen  und  sehr 
viele  wilde  Birnbäume.  Blühende  Alpenpflanzen  in  meist  sehr  diskreten 
Farben  erfreuen  das  Auge.  Aber  so  weit  der  Blick  reicht,  keine  menschliche 
Ansiedlung,  kein  weidendes  Vieh.  Wie  ausgestorben  ist  das  weite  Plateau, 
das  wir  erklommen  und  auf  dem  wir  noch  stundenlang  zu  fahren  haben, 
ehe  der  Weg  sich  wieder  senkt.  Eine  kühle  Brise  weht  über  die  Fläche; 
im  Südosten  wird  der  Horizont  begrenzt  durch  die  montenegrinischen  Berge, 
über  die  der  Dormitor  achtunggebietend  sein  Schneehaupt  erhebt.  Wir 
selbst  sind  gegen  3500  Fuss  hoch,  aber  wie  erhaben  und  trotzig  sehen 
diese  starren  Felswände  zu  uns  herüber,  auf  uns  herab!  Endlich  bemerken 
wir  nach  dreistündiger  Fahrt  seitwärts  «.ine  einsame  Kula,  einen  steinernen 
Thurm  mit  Schiessscharten,  von  einer  Mauer  umgeben,  wie  er  in  diesen 
Landestheilen  den   Begs  und  Agas  zum   Schutze  gegen  Räuber  und  gegen 


—     ;26     — 


aufrührerische  Kmeten  diente.  In  allen  Volksliedern  der  Hercegovina  wird 
von  der  »weissen  Kula«  dieses  oder  jenes  Aga  gesungen,  aber  wer  sich 
darunter  ein  Schloss  oder  nur  ein  Gebäude  mit  besonderen  Bequemlich- 
keiten vorstellen  wollte,  würde  grausam  enttäuscht  werden.  Ein  Gemach 
im  Erdgeschoss,  ein  oder  zwei  im  oberen  Geschoss  ist  das  Um  und  Auf 
dieser  adeligen  Sitze.  Wild  wie  das  Land  war,  waren  seine  Bewohner 
und  deren  Behausungen,  die  der  Bedrücker  des  Volkes  nur  zur  Ver- 
teidigung auf  Tod  und  Leben  eingerichtet. 

Eine  Gendarmerie -Kaserne  unterbricht  die  Einöde;  eine  Patrouille 
kreuzt  den  Weg;  wir  haben  das  gleiche  Ziel  bis  zum  Jovanovic  Hau,  der 
einzigen  Wasserstelle  auf  dem  Wege  nach  Nevesinje.  Einige  Hütten  sind 
noch  in  der  Nähe.  Aber  es  herrscht  grosser  Wassermangel,  (internen 
und  Quellen  sind  fast  versiegt,  dabei  beobachten  wir  aber  einen  Transport 
von  Eisenröhren,  die  zu  der  neuen  Wasserleitung  für  Nevesinje  bestimmt 
sind.  Im  Hau  wird  Rast  gemacht,  die  Pferde  gefüttert  und  nothdürftig 
getränkt.  Auch  wir  setzen  uns  nieder  und  verzehren  die  von  Mostar  mit- 
gebrachten Vorräthe  nebst  einigen  Gläsern  dunkeln  Narentiner  Weines. 
Es  sitzt  sich  so  gut,  so  friedlich  in  dieser  Einsenkung,  und  doch  war  es 
vor  wenigen  Jahren  hier  noch  gar  nicht  geheuer.  Da  fuhr  die  Post  mit 
doppelter  militärischer  Bedeckung,  wie  es  auch  längs  der  montenegrinischen 
Grenze  der  Fall  war. 

Nach  halbstündiger  Rast  geht  es  weiter.  Zuerst  der  Weg  wieder 
steigend,  dann  in  langen  Serpentinen  abfallend.  Am  Graboksattel  (1109  m) 
ändert  sich  plötzlich  das  gesammte  Landschaftsbild.  Vor  uns  öffnet  sich 
eine  weite  Ebene,  vom  Sonnenglanze  beschienen,  in  der  Mitte,  weithin 
sichtbar,  Forts  und  Befestigungen.  Das  soll  das  einst  so  berüchtigte 
Nevesinje  sein?  Leppige  Wiesen,  auf  denen  Heerden  weiden,  wechseln 
mit  Feldern,  die  allerdings  schon  gemäht  sind,  ab;  die  Gegend  macht  einen 
so  friedlichen  Eindruck,  wie  ein  deutsches  Dorf  nach  Feierabend.  Nur 
die  Befestigungen  auf  einem  Hügel  am  Eingange  des  Ortes  tönen  das  Bild 
etwas  kriegerisch  ab.  Die  Hauptstrasse,  die  im  Jahre  1888  noch  ziemlich 
verwahrlost  aussah,  ist  jetzt  mit  vielen  neuen  Gebäuden  besetzt;  an  Stelle 
des  einstmaligen  Gasthauses  Silberstern,  das  an  die  galizischen  Dorfquartiere 
erinnerte,  ist  das  grosse,  vollkommen  europäische  »Hotel  Bilic«  mit  schönen 
Restaurationsräumen  getreten.  Neben  einer  kleinen  verfallenen  Moschee 
ist  eine  neue  gebaut  worden;  eine  andere,  wie  ein  erobertes  Festungswerk 
aussehende,  steht  etwas  abseits  von  der  Hauptverkehrsader.  Eine  orthodoxe 
Kirche  vervollständigt  die  religiösen  Bedürfnisse  von  Nevesinje.  Das 
Defensionslager  am  anderen  Ausgange  des  Ortes,  am  Wege  nach  Gacko, 
ist  der  interessanteste  Theil.  Eine  hohe  Mauer  mit  Eckthürmen  und  Schiess- 
scharten umschliesst  Kasernen,  Amtsgebäude,  Post,  Stallungen,  Cisternen 
und  auch  einige  schwach   gedeihende  Anlagen.     Hier  sieht  man,   dass  dem 


—     327 


Landfrieden  geraume  Zeit  nicht 
zu  trauen  war,  wenn  auch  heute 
Alles  ruhig  und  friedlich  ist. 

Am  nächsten  Morgen  ver- 
liessen  wir  Nevesinje,    das   für 
längeren      Aufenthalt       nichts 
bietet,    um    nach    dem    Gacko- 
polje   zu    fahren.      Sechs  Jahre 
früher   hatte   ich    den   gleichen 
Weg     mit     der     Post    zurück- 
gelegt;   damals   hatten  wir  vor 
uns  auf  dem  Kutschbocke  den 
Militärkondukteur,       mit      Re- 
volver   bewaffnet,    neben    ihm 
einen    Soldaten     mit    Repetir- 
gewehr,  auf  einem  rückwärtigen 
Wagensitz    einen    zweiten    In- 
fanteristen ,     das    schussbereite 
Gewehr    in     der    Hand.      Das 
waren     damals    die    Vorsichts- 
maassregeln   längs    der  monte- 
negrinischen     Grenze;      heute 
machen      wir     eine     förmliche 
Spazierfahrt,     sicherer    als    in 
Berlins     Grunewald -Gegenden. 
Die  prächtige  Fahrstrasse  führt 
anfangs     durch     ebenes     Feld, 
auf     dem     noch     Kornblumen 
zwischen  den  Stoppeln  blühen. 
Nach     einer     halben     Stunde, 
während     der     wir     zahlreiche 
Bogomilen-Grabsteine  am  Wege 
bemerkten,  gelangen  wir  wieder 
in  unmittelbares  Gebirgsterrain. 
Links  ist  kahler  Karst,  von  dem 
sich     die    Schaf-     und    Ziegen- 
heerden     sammt     ihren     weiss 
und    grau    gekleideten    Hütern 
kaum    merkbar   abheben.      Hin 
und  wieder  steht  verkrüppeltes 
Gestrüpp.    Die  Strasse  führt  an- 
dauernd längs  des  rechter  Hand 


Nevesinje  und  das  N  evesinjskopolj  e. 


32S 


Flus 

loi 
sen 
siges  J 
nicht 
Tropfe 
ser 

Jenseits      des 

Flusses,  wo  ein  alter  Reitweg  nach  Gacko  führt,  sind  bewaldete  Höhen 
mit  dichtem  Bestände  von  Laubholz.  Auch  auf  der  Strassenseite  ver- 
schwindet in  den  unteren  Regionen  bald  das  nackte  Felsgestein,  die  Hänge 
sind  grün  und  oft  zeigen  sich  kleine  Waldgruppen  von  Eichen,  Eschen, 
Ulmen  und  wilden  Birnbäumen.  Von  Dörfern  ist  stundenlang  keine  Spur, 
nur  manchmal  sieht  man  auf  den  Höhen  vereinzelte  Häuser,  und  von  Zeit 
zu  Zeit  taucht  auch  plötzlich  ein  Bewohner  aus  einer  der  Felsschrunden 
auf.  Nur  Wegeinräumer  in  Landestracht,  am  Fez  das  Landeswappen,  grüssen 
ehrerbietig,  wenn  der  Wagen  vorüberrollt,  der  auf  der  wunderbaren  Strasse 
so  glatt  dahinfährt,  als  ob  wir  uns  nicht  in  der  Hercegovina,  sondern  in 
der  Lombardei  befinden  würden.  Oftmals  kreuzen  Wege  von  der  Strasse 
ab;  ein  Wegweiser  zeigt  die  deutsche  Inschrift:  »Zur  Kaserne«,  und  wenn 
man  den  Blick  umherschweifen  lässt,  bemerkt  man  auf  irgend  einer  Berg- 
kuppe oder  einem  Hochplateau  ein  massives  Gebäude  mit  zwei  niederen 
Thürmen,  je  einem  an  den  entgegengesetzten  Seiten  zur  Bestreichung  der 
Fronten.  Dieser  Kasernen,  Forts  oder  Blockhäuser  giebt  es  unzählige 
längs  der  ganzen  Grenze;  zwischen  Bilek  und  Trebinje  allein  siebzehn. 
Sie  sind  gegenwärtig  nur  schwach  besetzt,  da  die  Sicherheit  längst  ge- 
währleistet ist.  Einfälle  aus  Montenegro  sind  im  Frieden  nicht  mehr  zu 
fürchten,  aber  für  einen  möglichen  Kriegsfall  ist  es  gut,  dass  dieser  Be- 
festigungsgürtel gezogen  wurde.  Sämmtliche  Blockhäuser  sind  untereinander 
und  mit  den  grösseren  Militärstationen  telephonisch  verbunden. 


—     329 


Bei  Fojnicka-Cuprija,  einem  grösseren  an  der  Strasse  gelegenen 
Flecken  an  der  Fojnicka  Rjeka,  die  wenigstens  Wasser  enthielt,  hatte  es 
zu  regnen  angefangen,  was  bei  der  herrschenden  Schwüle  und  dem  überall 
vorhandenen  drückenden  Wassermangel  ganz  angenehm  war.  Schon  vor 
Fojnica  wird  die  Gegend  bewohnter.  Kleine  Ortschaften  mit  Kirchen 
werden  sichtbar  und  die  spärlichen  Felder  sind  sorgsam  angebaut.  Die 
Gegend  macht  den  Eindruck  einer  steirischen  Landschaft,  nur  die  im 
Hintergrunde  sich  übereinander  thürmenden  Kuppen  der  Schwarzen  Berge 
gestalten  den  anheimelnd  lieblichen  Anblick  zu  einem  erhaben  grossartigen. 
Fojnica  selbst  besteht  aus  einer  langen  Gasse  mit  einigen  Kramläden; 
am  Ausgange  liegt  wieder  eine  Kaserne,  in  der  sich  auch  das  Postamt 
befindet.  Der  Postmeister  wusste  nicht  genug  von  der  Langeweile  zu  er- 
zählen, wenn  —  wie  es  im  Winter  manchmal  geschieht  —  der  Verkehr 
stockt,  wenn  der  Schnee  meterhoch  liegt  und  die  Wölfe  rudelweise  um 
die  Häuser  heulen.  Im  Sommer  sei  der  Aufenthalt  ein  ganz  angenehmer. 
Da  es  gerade  Sonntag  war,  hatten  wir  Gelegenheit,  die  gesammte  Be- 
völkerung im  Feiertagskleide  zu  bewundern,  und  das  weibliche  Geschlecht 
drängte  sich  mit  Vorliebe  —  wahrscheinlich  angelockt  durch  meine  Frau  — 
um  uns,  folgte  uns  sogar  in  den  Laden,  in  dem  wir  schwarzen  Kaffee  ge- 
nossen, und  stellte  die  sonderbarsten  und  naivsten  Fragen.  Die  Kleidung 
ist  reich  an  Goldstickereien,  und  unter  den  Münzen  und  Schmucksachen 
der  Frauen  bemerkten  wir  manch  altes  werthvolles  Stück.  Auffällig  sind 
bei  der  älteren  weiblichen  Generation  die  sonst  meist  in  Montenegro  vor- 
kommenden breiten  Gürtel  mit  Achatplatten  besetzt  und  riesigen  silbernen 
Schnallen.  Ein  Gürtel  ist  oft  pfundschwer.  Der  Achat  stammt  seltsamer- 
weise zum  grossen  Theile  aus  Oberstein  am  Rhein,  aus  den  im  Nassauischen 
liegenden  oldenburgischen  Enklaven. 

Auch  um  Fojnica  ist  die  Gegend  reich  an  alten  Grabdenkmälern 
und  neben  dem  »Hercegovo  Vrelo«,  einer  starken  und  nie  versiegenden 
Quelle  am  linken  Ufer  des  Fojnickabaches  bei  der  Strassenbrücke  in  Slivlje, 
steht  der  sogenannte  »Herzogsstuhl«,  der  an  den  Herzogsstuhl  in  Kärnthen 
erinnern  könnte,  auf  dem  die  dortigen  Herrscher  die  Huldigung  empfingen 
oder  Gerichtstage  abhielten.  Der  Steinstuhl  in  Slivlje  hat  90  cm  Höhe 
und  Breite.  Die  Höhe  des  Sitzes  beträgt  nur  40  cm,  die  der  bogen- 
förmig geschweiften  Lehne  50  cm.  Nach  der  Lokaltradition  soll  Herzog 
Stjepan  oft  auf  diesem,  jedenfalls  sehr  alten  und  von  vielem  Gebrauche 
geglätteten  Stuhle  gesessen  haben.  Doch  dürfte  derselbe  nur  zum  Zwecke 
des  Ausruhens  an  der  Quelle  gedient  haben,  da  sein  Sitz  eine  so  geringe 
Höhe  zeigt.  Aehnlichc  Steinstühle  kommen  übrigens  --  wie  Berghaupt- 
mann W.  Radimsky  im  »Glasnik«  mittheilt  —  in  der  Hercegovina  wieder- 
holt vor.  So  bei  Kosor  im  Mostarer  Biscepolje  ein  aus  Kalkstein  ge- 
meisselter  Stuhl,    ^Herceg  Stjepana  stolica«   genannt,  auf  welchem  Herzog 


Stjepan  Vukcic  (1435— 1466)  häufig  zu  Gerichte  gesessen  haben  soll.  Dieser 
Stuhl  ist  von  weit  bedeutenderen  Dimensionen  als  der  oben  erwähnte, 
auch  trägt  er  die  altbosnische  Inschrift:  »Si  kamin  varda,  cili  je  bio, 
cili  je  sade,  cili  nec(c)  b(i)ti«.  (O  Stein,  gedenke,  wessen  du  gewesen, 
wessen  du  bist,  wessen  du  sein  wirst!)  Dieser  Stuhl  befindet  sich  gegen- 
wärtig im  Landesmuseum  in  Sarajevo. 

In  Kljuc,  der  historisch  denkwürdigen  Burgruine  im  Felde  von  Crnica 
südlich  von  Gacko,  steht  ein  einfacher  Steinstuhl,  der  »Stolica  Kralja 
Sandalja«  (Stuhl  des  Königs  Sandalj)  genannt  wird,  und  auf  welchem  der 
Sage  nach  der  zu  fast  königlicher  Macht  gelangte  Vojvode  Sandalj  Hranic 
(t  H35)  während  seines  Aufenthaltes  in  Kljuc:  in  der  Burg  Gericht  gehalten 
haben  soll.  Bei  der  orientalisch-orthodoxen  Kirche  in  Osanic  nächst  Stolac 
stehen  nebeneinander  zwei  aus  dem  natürlichen  Fels  herausgemeisselte 
ungewöhnlich  grosse  Steinstühle,  von  denen  der  grössere  auf  seiner  Lehne 
eine  altbosnische  Inschrift  trägt,  die  sich  auf  die  Familie  Miloradovic  be- 
zieht, der  man  die  Gründung  der  Kirche  in  Osanic  zuschreibt.  Aber 
auch  in  Bosnien  fehlen  die  Steinstühle  nicht  gänzlich,   denn  bei   der  Burg- 

V 

ruine  Vratar,  Gemeinde  Zepa,  Bezirk  Rogatica,  stehen  nach  Dr.  M.  Hoernes 
auf  dem  höchsten  Punkte  des  Burgberges  zwei  aus  dem  Felsen  ausgehauene 
Stühle. 

Nach  dieser  Abschweifung  kehren  wir  zu  unserer  Reise  zurück.  Der 
Regen  hatte  mittlerweile  aufgehört  und  bei  prachtvollem  Wetter  setzten 
wir  die  Fahrt  fort.  Wir  treten  in  das  Flussgebiet  der  Musica,  welche  die 
Hochebene  von  Gacko  —  das  Gackopolje  —  durchströmt.  Dasselbe  ist 
ringsum  von  hohen,  wenig  bewaldeten,  felsigen  Bergen  umgeben,  etwa 
15  Kilometer  in  der  Länge  und  5  Kilometer  in  der  Breite  fassend.  Die 
Ebene  ist  recht  gut  bebaut,  noch  mehr  bietet  sie  aber  Weidegrund. 
Ueberall  sah  man  Heerden  von  Pferden,  Rindern  und  Schafen,  meist  nur 
von  Kindern  und  grossen  Wolfshunden  bewacht.  »Lieblich  bist  du, 
Gackopolje,  wenn  du  nicht  von  Hunger  starrest«,  heisst  es  in  dem  Epos 
»Der  Tod  des  Smajl  Aga  Cengic«  von  Banus  Mazuranic,  und  diesen  Ruf 
scheint  die  tausend  Meter  hoch  gelegene  Landschaft  oft  genug  zu  rechtfertigen, 
denn  in  einem  hereegovinischen  Volksliede  weigert  sich  ein  Mädchen  aus 
Kolasin,   einem  Freier  nach   Gacko  zu  folgen.     Sie  sagt: 

»Viel  erzählen   hört'   ich  schon   die   Leute 
Von  dein  Felde,  von  der  Gacko-Landschaft. 
Rings  umher  erhebt  sich   weites   Hochland, 
Eines  eben   und   das   and're   hüglig, 
Und   das  dritte   nichts   als   kahler  Felsen. 
Niemals,   Mutter,    höret    dort  der  Schnee  auf; 
Ewig   lieLTt   ein   Schnee   dort  über'm   andern. 
Nimmer,   Mutter,    wähl'   ich   diesen   Freier. 


—      .>.»  I 


Sie     schlägt    dann     noch 
einen    zweiten    aus    Nevesinje 
aus  und  folgt  erst  einem  dritten 
nach  dem  »gesegneten  Mostar, 
wo  das  Grün  nie  aufhört«.     Im 
Gackopolje    beginnt   allerdings 
der  Schnee  manchmal  schon  im 
Oktober     zu     fallen     und     der 
Winter  von  1894/95  wird  nicht 
so  bald  vergessen  werden;     es 
soll  auch  schon  vorgekommen 
sein,    dass   der   Schnee   sieben 
Monate    liegen    blieb,    aber   es 
sind     doch     nur    Ausnahmen, 
während    ein   Nothstand    unter 
der  Bevölkerung  sich    häufiger 
einstellt.    Darum  wurde  Gacko 
die  Geburtsstätte    der  von  der 
Landesregierung  ins  Leben  ge- 
rufenen Bezirks-Unterstützungs- 
fonds,  deren  segensreiche  Wirk- 
samkeit  wir  schon    früher   ein- 
gehend besprochen.  An  all'  die 
zahlreichen     Gruppen     grosser 
mittelalterlicher  Grabmäler  auf 
den   Plateaus   von    Gacko    und 
Nevesinje,    den    Gebirgen    Mo- 
rinje  und  Batjevica  knüpfen  sich 
allerdings  Volkssagen  vom  Um- 
kommen     ganzer     Karawanen 
oder  Hochzeitszüge  durch  Frost 
und  Schnee.     Ein  erschüttern- 
des  Epos   theilt   Hofrath   Hör- 
mann    in     seinen     in    Sarajevo 
erschienenen     Volksliedern  der 
Mohammedaner   Bosniens   und 
der    Hercegovina«    ( »Narodne 
Pjesne  muhamedovaca  u  Bosni 
i  Hercegovini«)   in    dem     Sva- 
b  ■ .  -ko  groblje  u  Morinama«  mit. 
Gacko  selbst  macht  beim 
ersten    Anblick    den    Eindruck 


Ansicht    der    Stadt    Gacko. 


—      332      - 


einer  ausgedehnteren  Stadt,  obwohl  es  in  seinem  geschlossenen  Theile  kaum 
iooo  Bewohner  zahlt.  Die  gesammte  Ebene  ist  natürlich  bei  vielen  zer- 
streuten Ortschaften  und  Einzelhäusern  weit  dichter  bevölkert.  Freundlich 
sehen  die  alten  ziemlich  hohen  Steinhäuser  keineswegs  aus.  Meist  sind  sie 
zweistöckig,  die  Erdgeschosse  höhlenartig  in  die  Felsen  vertieft  und  als 
Stallungen  verwendet.  Stroh-,  Holz-  und  Steindächer  wechseln  ab ;  die 
letzteren  sind  auf  dem  First  zahnförmig  krenelirt,  die  Holzdächer  mit 
Steinen,  wie  in  den  Alpen  beschwert.  Von  der  mittelalterlichen  Ansied- 
lung,  welche  nach  urkundlicher  Tradition  im  Besitz  der  Grafen  von  Chlum 
und  der  bosnischen  Könige  war,  zeugt  das  ausgedehnte  Gräberfeld,  welches 
mit  über  200  roh  geformten  Gruftplatten  einen  sanft  zum  Flusse  geneigten 
Wiesenplan  bedeckt.  Gacko  wird  jetzt  wieder  mit  einem  halbverschollenen 
griechischen  Namen  »Metohia«  genannt.  So  hiess  es  zum  Theil  auch 
unter  türkischer  Zeit  und  heute  zeigt  eine  grosse  Tafel  am  Eingange  des 
Ortes  wieder  diesen  Namen,  der  sich  nicht  einbürgern  will.  Auf  der 
höchsten  Erhöhung  der  Stadt,  zu  der  man  auf  einer  echten  Kaiderma- 
strasse mit  Katzenköpfen  hinansteigt,  steht  die  mächtige  türkische  Kaserne, 
die  jetzt  verlassen  ist  und  unbenutzt  dasteht,  weil  das  Militärlager  sich  in 
dem  eine  halbe  Fahrstunde  entfernten  Aftovac  befindet.  Auf  den  wild 
zerrissenen  Höhen  sieht  man  auch  noch  Schanzen  aus  jenen  nicht  fernen 
Zeiten,  wo  hier  ganze  türkische  Divisionen  gegen  Montenegro  im  Felde 
standen  und  wo  Gacko  voll  lag  von  den  verstümmelten  Opfern  jener 
barbarischen  Fehden. 

Die  neue  Zeit  hat  an  Gacko  grosse  Veränderungen  bewirkt.  Da  ist 
zuerst  beim  Eintritt  in  den  Ort,  dicht  an  der  Strasse,  ein  modern  gebautes 
Bezirksspital,  dann  verschiedene  Privatgebäude,  das  hübsche  Häuschen  des 
Ingenieurs  Giorgini  und  dann  das  moderne  Landeshötel:  »Hotel  Metohia«. 
Die  Regierung  errichtete  dieses  Gebäude,  um  europäischen  Reisenden  eine 
geeignete  Unterkunft  in  einer  Gegend  zu  bieten,  wo  eine  solche  gar  nicht 
vorhanden  war,  wo  selbst  türkische  Einkehrwirthshäuser  zu  den  grössten 
Seltenheiten  gehören.  Das  Hotel  enthält  auch  die  Post  und  das  Tele- 
graphenamt, schön  eingerichtete  Passagierzimmer,  nette  Restaurationsräume 
und  ausgedehnte  Stallungen.  Ein  Zimmer  ist  gleichzeitig  der  Raum  für 
das  »Casino«,  in  dem  sich  die  Beamten,  durchreisende  Fremde,  Militärs  etc. 
brüderlich  zusammenfinden  und  wo  wir  höchst  angenehme  Stunden  mit 
den  liebenswürdigen  Herren  verlebten. 

Wir  besichtigten  das  sehr  schöne  Gebäude  der  Bezirksbehörde  mit 
einem  grossen,  wohlgepflegten  Garten  —  einer  Merkwürdigkeit  in  dieser 
Gegend  —  dann  die  landwirtschaftliche  Station,  ähnlich  eingerichtet  wie 
alle  von  der  Regierung  errichteten  und  bereits  früher  beschriebenen  Muster- 
anstalten. Es  waren  gerade  Sack  sehe  Pflüge  aus  Leipzig  gekommen,  mit 
denen  Probeackerungen  vorgenommen  worden  waren,    um    die  Leute   zur 


Anschaffung  und  an  eine  geregelte 
Feldwirthschaft  zu  gewöhnen.  Der 
Anschauungsunterricht  ist  stets  von 
den  besten  Folgen  begleitet;  die  ein- 
geführten Wippthaler  Stiere  haben 
den  grössten  Anwerth  gefunden  und 
immer  mehr  werden  verlangt,  wo- 
durch die  heimische  Rindviehrasse 
allerdings  einen  bedeutend  höheren 
Werth  erhält.  Die  grösseren  Grund- 
besitzer thaten  sogar  einen  sehr  origi- 
nellen Ausspruch:  »Wir  verpflichten 
uns  gern,  unsere  einheimischen 
Ochsen  ein  Jahr  lang  nicht  auf  die 
Weide  zu  lassen,  aber  —  ihr  müsst 
uns  dies  befehlen!«  Als  ihnen  er- 
klärt wurde,  dass  es  in  diesem  Falle 
ein  Befehlen  nicht  gebe,  dass  nur 
jeden  das  eigene  Interesse  leiten 
müsse,  schüttelten  sie  die  Köpfe. 
»Was  gut  ist,  muss  doch  befohlen 
werden,  sonst  wird  der  Geist  wieder 
einmal  schwach.«  Die  veranstalteten 
Pferde-  und  Rindvieh-Prämiirungen, 
die  mehrmals  im  Jahre  abgehalten  werden,  üben  übrigens  eine  sehr  er- 
ziehliche Wirkung  und  die  nach  Gacko  kommenden  »Falken  der  Schwarzen 
Berge«  sehen  mit  Staunen  und  Verwunderung,  was  eine  wirklich  landes- 
väterliche Regierung,  auch  wenn  sie  eine  »schwabische«  ist,  Gutes  für  die 
Bevölkerung  stiften  kann.  Die  neue  hübsche  Volksschule  wird  Weiteres 
beitragen,  den  Samen  des  Fortschrittes  in  die  Seelen  der  jüngeren  Generation 
zu  pflanzen,  und  nach  wenigen  Jahrzehnten  wird  Niemand  glauben,  dass  diese 
Gefilde  mit  Blut  gedüngt,   dass  sie  unter  den  türkischen  Provinzen  mit  am 

vernachlässigtesten  waren 

Und  eine  neue  grosse  Kulturthat  wird  gerade  dem  Gackopolje  zu 
Gute  kommen.  Dasselbe  leidet  im  Sommer  an  zu  grosser  Trockenheit, 
im  Frühjahr  an  Ueberschwemmungen.  Daher  die  so  verschiedenartigen 
Ernten  und  die  öfteren  Nothstände.  Diesem  Uebelstande  wird  durch  ein 
riesiges  Stauwerk  abgeholfen,  wie  es  in  Europa  kaum  seinesgleichen  hat, 
nur  in  Belgien  soll  in  Verviers  ein  ähnliches  Werk  sein,  das  die  Fabriken 
nit  Wasser  versorgt.  Auf  dem  Gackopolje  wird  die  dasselbe  bald  be- 
wässernde, bald  verwüstende  MuSica,  die  später  in  einem  unterirdischen 
Schlund,   einem  Karstloch  (Ponor)  verschwindet,   gebändigt,  sie  wird  durch 


M  oha  mm  edaner. 


—     334 


die  Wasserbaukunst  zu  ununterbrochen  erspriesslicher  Thätigkeit  angehalten 
werden.  Auf  Veranlassung  Sr.  Excellenz  des  Reichsfinanzministers  v.  Källay 
entwarf  der  Baurath  Passini  den  Plan  zu  einem  umfangreichen  System  von 
Thalsperren  und  Zuleitungskanälen,  und  seit  mehreren  fahren  wird  an 
diesem  Wunderwerk  gearbeitet,  ohne  dass  man  in  Europa  nur  eine  Ahnung 
hatte,  was  für  Kulturarbeit  in  den  okkupirten  Ländern  neben  allen  bereits 
zu  Tage   liegenden  Erfolgen  geleistet  wurde. 


Arbeiten  :in   der  Kline  bei  Gacko. 

Das  Wasser  der  Musica,  die  hoch  oben  am  Grenzposten  Cemerno, 
dicht  an  der  montenegrinischen  Grenze  entspringt,  wird  gefangen;  eine 
Cyklopenmauer  wird  an  der  sogenannten  Kline,  zwei  Stunden  nördlich 
von  Gacko,  als  Thalsperre  aufgeführt  und  dadurch  ein  künstlicher  See 
gebildet,  aus  dem  dann  das  Wasser  in  beliebiger  Menge  in  die  Ebene 
geleitet  werden  kann.  Die  Mauer  umfasst  1 1  ooo  Kubikmeter  Mauerwerk; 
sie  wird  mit  Pozzuolani-Cement  aufgeführt,  der  von  Neapel  mit  Schiff  bis 
Ragusa,  von  dort  mittelst  Wagens  bis  Gacko,  dann  per  Pferd  bis  zur  Kline 
gebracht  wird.  Der  künstliche  See  wird  26  Hektar  gross  sein,  das  Bassin 
2  Millionen  Kubikmeter  Wasser  fassen.    Von   ihm  aus  werden  zwei  Tunnels 


335     — 


gebaut,  welche  die  Aufgabe  haben,  täglich  durch  8  Stunden  eine  bestimmte 
Menge  Wasser  abfliessen  zu  lassen,  um  das  Gackopolje  zu  bewässern. 
Ueberall  werden  Zuleitungskanäle,  Ueberbrückungen  und  Schleusen  errichtet, 
um  die  Regulirung  jederzeit  in  der  Hand  zu  haben.  Das  Reservoir  wird 
durch  eine  eiserne  Schliessung  abgesperrt,  die  hydraulisch  gehoben  und 
niedergelassen  werden  kann.  Die  Mauer  der  Thalsperre  ist  vom  Fundament 
an  22  Meter  hoch,  unten  18,70  Meter  breit,  oben  4,60  Meter.  Die  untere 
Länge  beträgt  60  Meter,  die  obere  108  Meter.  Im  Bogen  ist  ein  Radius 
von  60  Metern.  Das  gesammte  Unternehmen  (die  Kline  liegt  1030  Meter 
hoch  und  es  kann  im  Jahre  nur  vier  Monate  gearbeitet  werden)  soll  nur 
320000  fl.  erfordern,  was  als  eine  bescheidene  Summe  angesehen  werden 
muss.  Dann  werden  die  Gackoer  das  erhalten,  was  sie  verlangten,  als  sie 
den  Bau  des  Bassins  sahen:  »Jetzt  haben  wir  die  Schale,  nun  gebt  uns  auch 
den  Kaffee!«  Sie  werden  den  für  ihre  Felder  nöthigen  »Kaffee«,  das 
Wasser  bekommen,  Abzugskanäle  sorgen  aber  auch  dafür,  dass  sie  dies 
nicht  zu  unrechter  Zeit  im  Ueberfiusse  haben.  Schon  jetzt  ist  eine  Anzahl 
halb  steriler  Weideflächen  bewässert  und  es  ergab  sich  um  ein  Drittel 
Ertrag  mehr  an  Heu.  Im  Ganzen  wurden  um  70000  fl.  Heu  vom  Gackopolje 
ausgeführt,  dessen  Abnehmer  meist  das  Militärärar  war. 

Aehnlich  grosse  Arbeiten  werden  auf  dem  Livanjskopolje,  der  un- 
ermesslich  ausgedehnten  Hochebene  an  der  dalmatinischen  Grenze  in  Süd- 
west-Bosnien, die  zum  grossen  Theil  einen  Sumpf  bildet,  ausgeführt,  wodurch 
weite  Gegenden  der  Kultur  erschlossen  werden. 

Der  späte  Nachmittag  führte  uns  in  Gacko  in  ein  serbisches  Gast- 
haus, in  dem  ein  Guslar  haarsträubende  Heldenthaten  der  Serben  im  Kriege 
gegen  Bulgarien  log.  Wir  hatten  noch  nicht  lange  gesessen,  als  eine  der 
lebendigen  Sehenswürdigkeiten  des  Ortes  erschien:  der  greise,  wohl  achtzig- 
jährige, ehemalige  Insurgentenführer  Bogdan  Zimunic.  In  grüner  monte- 
negrinischer Vojvoden-Dolama,  auf  der  Brust  österreichische,  russische, 
montenegrinische  Orden  und  Tapferkeitsmedaillen,  in  der  Hand  den  langen 
Tschibuk,  so  stellte  sich  der  alte  Freiheitskämpfer  vor.  Er  war  von 
Jugend  auf  dem  Kriegspfade  gegen  die  Türken.  1861  kämpfte  er  helden- 
müthig  mit  den  Montenegrinern,  1875  für  seine  engeren  Landsleute,  1876 
war  er  es  mit  Lazar  Socica,  die  den  Durchweg  Sulejman  Paschas  durch 
Montenegro  tagelang  mit  den  Hercegovinaer  Freiwilligen  aufhielten,  während 
der  Fürst  von  Montenegro  längst  unangebrachte  Befehle  ertheilte,  die  seinem 
Heere  nur  Nachtheile  zufügten.  1878  kämpfte  Zimunic  in  Gemeinschaft 
mit  seinen  Landsleuten  gegen  die  Mohammedaner;  dann  ging  er,  angeblich 
in  seinem  Ehrgeiz  gekränkt,  nach  Cetinje,  kehrte  aber  bald  wieder  zurück 
in  die  Heimath,  wo  er  jetzt  von  einer  Staatspension  lebt.  Er  ist  eine  alte 
verwitterte  Heldengestalt,  das  Urbild  des  südslavischen  Junak.  Noch  blitzt 
das  wcissbebuschte  Auge,  noch  glüht  dunkles  Feuer  in  ihm,  wenn  er  von 


336    — 


Cemeni  o. 


vergangenen  Tagen  erzählt  und  er  ist  stolz  auf  seine  Vergangenheit.  Dass 
er  die  Geschichte  besser  kannte,  als  seine  im  Gasthause  anwesenden  Lands- 
leute, bewies  er  dadurch,  dass  er  dem  Guslar  das  Singen  des  Heldenliedes 
gegen  die  Bulgaren  verbot,   weil  der  Text  unwahr  sei. 

Der  Abend  vereinigte  uns  mit  allen  schnell  liebgewonnenen  Freunden 
und  Bekannten  noch  einmal  im  Kasinoraum  des  »Hotel  Metohia«,  dann 
hiess  es  wieder  scheiden  von  der  Stätte,  wo  wir  so  viele  neue  und  an- 
genehme Eindrücke  gewonnen.  Der  frühe  nächste  Morgen,  der  mit  starkem 
Nebel  einsetzte,  brachte  uns  in  Begleitung  einiger  der  unermüdlichen 
Herren  zunächst  nach  Aftovac.  Das  einstige  elende  Dorf  hat  sich  zu 
einem  förmlichen  Flecken  entwickelt.  Das  Militärlager  ist  eine  kleine 
Stadt  für  sich.  Hohe  massive  Gebäude,  Kasernen  und  Stallungen  etc. 
bilden,  von  Mauern  umgeben,  ein  grosses  Viereck,  in  dem  sich  auch  Ge- 
müse- und  Blumengärten  befinden.  Hier  ist  für  Offiziersmenagen  gesorgt, 
ein  Kasino  ist  vorhanden,  Fremdenzimmer,  Post  •  alles  mögliche,  was 
den  Dienst  in  diesen  Gegenden  erträglich  machen  kann.  Heute  ist  er 
nicht  mehr  so  beschwerlich,  aber  einst  stellte  er  riesige  Anforderungen  an 
die  Truppen,  die  nicht  nur  Tag  und  Nacht  Patrouillendienste  verrichten, 
Ablösungen  für  die  einzelnen  Blockhauser  stellen,  sondern  auch  Strassen 
bauen  und  dazu  Steine  klopfen  mussten.  Als  ich  1888  in  Aftovac  über- 
nachten wollte,  sah  der  Ort  noch  wenig  civilisirt  aus.     Eine  Anzahl  General- 

22 


Stabsoffiziere,  welche  auf  einem  Studienritt  längs  der  Grenze  ins  Paschalik 
Novibazar  begriffen  waren,  hatten  alle  Fremdenzimmer  belegt,  und  es 
musste  gesucht  werden,  in  den  vorhandenen  zwei  Kneipen  -  -  ein  anderer 
Ausdruck  wäre  schlecht  gewählt  —  ein  Unterkommen  zu  finden.  Es  war 
mehr  als  primitiv.  Die  Leute  waren  nicht  auf  Fremde  zum  Uebernachten 
eingerichtet  und  sie  selbst  betrachteten  ihren  Aufenthalt  nur  als  einen 
vorübergehenden.  Gegenwärtig  sind  auch  hier  die  Verhältnisse  bessere; 
die  Häuser  sehen  solide  aus,  es  macht  sich  sogar  eine  Art  Bazarviertel 
bemerklich. 

Niemand  jedoch,   der  etwas   von    der  Geschichte  des   Landes   kennt, 
durchzieht  das  Gackopolje,    ohne    des   Cengic  Aga    zu    gedenken,    dessen 
Thaten  und  Ende  ja  auch  deutschen  Lesern  nicht  unbekannt  geblieben  sind. 
Der  ehemalige  Banus  von  Kroatien,    Ivan  Mazuranic,    hat  sein  Leben  und 
seinen   Tod    in    einem    grandiosen   Epos    verewigt.     Aber    nicht    nur    die 
christliche    Kunstpoesie,    welche    dem   Helden    natürlich    feindlich    gesinnt 
ist,     auch    die    hercegovinische    Volksdichtung    gedenkt    des    Smajl    Aga 
gern,    und   die  Mohammedaner    feiern    ihn    als  ihren    ritterlichsten  Helden. 
Sehr  richtig  sagt  Dr.   F.  S.  Krauss:      »Smajl  Aga  ist  von  Mazuranic  falsch 
und    ungerecht   charakterisirt  worden;    unsere   Sympathien   sind    jedenfalls 
auf  Seite  des  muthigen,  todesverachtenden  Helden  Smajl  Aga,  nicht  aber 
auf  Seiten  der  Buschklepper  und  nächtlichen  Räuber  Montenegros.     Cengic 
war    der   echte  unverfälschte  Südslave,    seine  Mörder    aber  ein  entartetes, 
feiges  Gesindel.«      Wie  sein  bereits  verstorbener  Neffe  in  Sarajevo  erzählte, 
haben  die  Montenegriner,  welche  ihre  Heldenthat  mit  etwas  Christenglauben 
verbrämten,    die   hinterlistige  Tödtung    Smajl  Agas    mit    siebzehn  Köpfen 
gebüsst.     Von  seinem  Schlosse,    der   »Cengic-Kula«   in  Lipnik,    nicht  weit 
von   Aftovac,  steht  gegenwärtig  kein  Stein  mehr  auf  dem  anderen;   selbst 
die    Ruine    der    alten  Zwingburg    ist   demolirt    und    nur    ein  ausgedehntes 
Steinfeld  mit  einer  verfallenen  Mauer  ist  sichtbar.     Aber  noch  heute  zeigt 

V 

jedes  Kind  den  Weg  zu  Cengic-Kula 

Gacko  wie  Aftovac  besitzen  wunderschöne  Grabsteine  aus  altchristlicher 
Zeit,  und  Dr.  Moritz  Hoern.es  hat  einen  grossen  Theil  derselben  beschrieben 
und  abgezeichnet.  Oftmals  sind  die  Skulpturen,  die  theilweise  ganze  Jagd- 
züge aufweisen,  wunderbar  erhalten  und  die  reiche  Ausführung  legt  davon 
Zeugniss  ab,  dass  das  Gackofeld  einst  dicht  bevölkert  war,  dass  es  einen 
mächtigen  Adel  besass,  der  sich  den  Luxus  von  künstlerischen  Grabdenk- 
mälern gönnen  konnte.  Eigentliche  Kampfscenen  sind  auf  den  Steinen  selten, 
meist  .-.teilen  dieselben  -  -  wo  vorhanden  -  -  Zweikämpfe  dar,  ganz  wie  die 
serbischen  Heldenlieder  sie  besingen.  Sehr  häufig  sind  Pferde  abgebildet,  wie 
ja  nächs"  den  Waffen  die  Pferde  die  Lust  der  alten  bosnischen  Ritter  waren, 
ganz  so  wie  heute  die  Pferde  der  Stolz  der  mohammedanischen  Begs  sind, 
welch'   letztere   man  mit  vollem  Rechte  als  die  unmittelbaren  Nachkommen 


538 


A  u  s   d  e  r   S  u  t  j  s  s k a-S chl u c h  t. 


22* 


der  alten  Adelsgeschlechter  bezeichnen  kann.  Die  Todtenklage  um  den 
Verstorbenen  wird  oft  durch  weibliche  Figuren  mit  aufgehobenen  Händen 
da  rsrestellt,  auf  anderen  Steinen  finden  sich  Stern  und  Halbmond  (die 
alten  Landeszeichen  Illyriens),  auch  der  gewappnete  Ann  mit  erhobenem 
Schwert  (das  Wappen  Bosniens  und  der  Primorje).  Am  seltensten  ist  das 
Kreuz  vorhanden,  was  wieder  auf  bogomilische  Gräber  schliessen  lasst,  da 
die    Bogomilen  alle  religiösen  Abzeichen   verschmähten. 

Von  Aftovac  führt  einer  der  wildromantischsten    Wege  dem   Ursprung 

V 

der  Musica  entgegen  zum  Cemerno-Sattel.  Der  Weg  ist  wohl  etwas  her- 
gerichtet, aber  in  dieser  Gegend  konnte  er  nicht  besser  angelegt  werden. 
Nach  abendländischen  Begriffen  wäre  das  obere  MiAicathal  eine  ungangbare 
Bergschlucht,  aber  ein  echt  hereegovinischer  Fusssteig  führt  bald  auf  dem 
einen,  bald  auf  dem  anderen  Ufer,  bald  im  Wasser,  bald  durch  Gestrüpp 
und  Felsengen  aufwärts.  Wo  die  senkrechten  Thalwände  hart  an  das  ver- 
eno-te  reissende  Gewässer  herantreten,  ist  er  zwei  Schuh  breit  und  kaum 
mannshoch  in  den  Felsen  gehauen,  der  ihn  in  Form  eines  halben  Tunnels 
überwölbt,  sodass  man  durch  ihn  gebückt  gehen  muss.  An  breiteren  Stellen 
öffnen  sich  mächtige  Grotten,  kühle  Rastpunkte  mit  hübschen  Aussichten 
auf  die  jenseitigen  Höhen.  Dann  steigt  der  Weg  über  schräge  Felsplatten, 
in  welche  Stufen  gehauen  sind,  um  das  Ausgleiten  der  Pferde  zu  verhindern. 
Nach  einstündigem  Wandern  wird  eine  einsame,  elende  Hütte  erreicht,  wo 
eine  kurze  Rast  gut  thut.  In  tiefster  Abgeschiedenheit  und  grossartig 
schöner  Umgebung  liegt  der  aus  fünf  Häusern  bestehende  Ort  Vrba  am 
Fusse  des  1859  m  hohen  Lebrsnik,  dessen  Kamm  oben  kahl,  unten  etwas 
bewaldet  ist  und  auf  den  Hängen  fette,  grüne  Matten  trägt.  Je  näher  man 
dem  Fusse  des  Cemerno-Gebirges  kommt,  desto  lieblicher  wird  das  Thal. 
Aus  Laub-  und  Nadelholz  gebildeter  Hochwald  drängt  zu  beiden  Seiten 
bis  ans  Wasser,  überspinnt  es  mit  seinen  Schmarotzergewächsen,  beschattet 
es  mit  seinen  breiten  Kronen.  Hier  in  diesem  entlegenen  Erdenwinkel 
führen  Schaaren  von  Singvögeln  ein  idyllisches  Dasein. 

Da  plötzlich  stehen  wir  vor  einer  Felsenmauer,  und  hier  beginnt 
einer  jener  Wege,  von  denen  eine  Beschreibung  zu  geben  unmöglich  ist. 
Wie  Gemsen  müssen  die  Pferde  klettern,  springen,  fallen,  gleiten  —  um 
diese  Felstreppen  zu  ersteigen.  Nach  anstrengender  Arbeit  erreicht  man 
endlich  den  Cemerno-Sattel,  und  eine  prachtvolle  überraschende  Aussicht 
lohnt  für  den  mühevollen  Weg.  Senkrechte,  in  die  Wolken  ragende  Fels- 
wände des  Volujak  und  des  Sedlo  scheinen  den  Weg  zu  versperren.  Am 
grossartigsten  ist  der  Blick  auf  den  Volujak,  dessen  Gipfel  nur  zehn  Kilo- 
meter entfernt,  der  aber  durch  die  tiefe  Sutjeska-Schlucht  vom  Cemerno- 
Abfall  geschieden  ist.  Ueber  die  steilen  Felswände  scheinen  Nadelwaldungen 
zu  klettern.  Rechts  steigt  die  Kuk-Planina  hoch  empor  und  hinter  ihr  er- 
hebt  der  König   der   dinarischen  Alpen,    der  Dormitor,   —    die    -Himmels- 


34i     — 


gabel«,    wie   er  im  Volksmunde  heisst  —  sein  ewiges  Schneehaupt.     Hier 
muss  die  Grossartigkeit  dieser  wilden  Gebirgsnatur  bewundert  werden. 

Durch  die  Sutjeskaschlucht  führt  ein  hochinteressanter,  aber  be- 
schwerlicher Weg  nach  Foca,  ein  Pfad  für  Dichter  und  für  Naturfreunde. 
Hier  ist  Wildniss,  unverfälschte  Xatur,  ein  Hochgenuss  für  Auge  und  Herz. 
Er  ist  nur  von  Einheimischen  begangen,  aber  einmal  wird  er  für  Touristen 


"Im  Sutjeska-Defile.     (Zwischen  Gacko    und    Foca.) 

eine  ungemeine  Anziehungskraft  üben.  Die  beigegebenen  Bilder  auf 
Seite  339  und  342  sprechen  deutlicher  von  der  Romantik  der  Gegend, 
als  alle   Worte. 

Aber  die  Gegend  des  Gackopolje  bietet  noch  andere  Panoramen, 
deren  Anblick  freilich  meist  nur  Soldaten  und  Gendarmen  gemessen,  die 
schon  ziemlich  abgestumpft  für  diese  nur  mit  Beschwerden  zu  erringenden 
Schönheiten  sind.  Es  ist  ihnen  daher  zu  verzeihen,  wenn  man  auf  eine 
Frage  nach  besonders  sehenswerthen  Punkten  die  Antwort  erhalt:  »Nichts, 
als  fade  Berge  und  Steine-.  Die  Poesie  dieser  Berge  und  Klüfte  muss 
eben  erst  erkannt  und  erschlossen  werden  und  auch  dies  wird  in  nicht  zu 
ferner  Zeit  gelingen. 


;-4- 


Stepen. 


Um  Aftovac  krönen  Kasernen  die  entfernteren  Höhen  und  vom 
Grenzposten  Perustica  aus  kann  man  bequem  sich  mit  den  Montenegrinern 
unterhalten,  die  jenseits  der  Grenze  ebenfalls  einen  Posten  mit  einem 
Kapetan  sitzen  haben,  der  in  einem  elenden  Häuschen  untergebracht  ist. 
Es  geht  in  Montenegro  andauernd  schlecht  genug,  der  lange  und  strenge 
Winter  setzt  den  Heerden  stark  zu  und  so  manches  Thier  verendet,  ehe 
der  wärmende  Strahl  der  Sonne  wieder  Gras  spriessen  lässt.  Da  kommen 
—  weil  die  hereegovinische  Seite  vom  Schicksal  etwas  klimatisch  günstiger 
bedacht  ist  —  leicht  Weidestreitigkeiten  vor,  und  die  Grenzposten  sind 
nothwendig,  solche  im  Entstehen  zu  verhindern. 

Wir  überschritten  die  Musica  auf  einer  Brücke  und  nahmen  Abschied 
von  Aftovac,  um  unsere  Fahrt  nach  Bilek  fortzusetzen.  Bald  sahen  wir 
rechts  Cernica  liegen,  dann  passirten  wir  das  auf  hohem  Felsen  ungemein 
malerisch  erbaute  Wachthaus  Stepen.  Wir  traten  jetzt  in  das  ehemals 
berüchtigtste  Räuberterrain,  das  sich  über  die  Korita  bis  nach  Bilek  er- 
streckte und  das  seit  Jahrhunderten,  obwohl  hier  eine  uralte  Handelsstrasse 
von  Ragusa  bis  an  die  Drina  führte,  der  Weg  des  Todes  -mannt  werden 
musste.  Wahrend  der  Insurrektionsjahre  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  wurde 
der  Ruf  der  Gegend  nicht  besser.  Die  montenegrinische  Grenze  ist  nahe 
und  zwischen  ihr  und  der  heutigen  Fahrstrasse,  die  in  verschiedenen  Ab- 
theilungen in  den  Jahren  1883— 1886  fertiggestellt  wurde,  liegt  das  Ge- 
biet der  wilden  Banjani,  die  man  auch  die  > liederberühmten,  nennt,  weil 
sie  stets  bei  allen  Erhebungen  mit  ihren  Trutzgesängen  an  der  Spitze 
gegen  die  Türken   marschirten. 


—     343     — 


Noch  heute  ist  dieses  Gebiet  schwer  zugänglich.  Von  Trebinje  aus 
führt  ein  beschwerlicher  Saumweg  durch  das  Karstterrain  in  die  Höhen 
der  Banjani;  hier  liegt  auf  steilem  Felsenkegel  die  alte  Veste  Klobuk, 
wie  ein  Adlerhorst  an  das  Gestein  geklebt.  Das  Raubnest  war  schon  im 
Mittelalter  gefürchtet,  wenn  ragusaner  Kaufmanns -Karawanen  auf  der 
grossen  Handelsstrasse  über  Bilek  nach  Novibazar  zogen.  1694  zwang  der 
venetianische  Proveditore  von  Cattaro  die  Burg  durch  Hunger  zur  Ueber- 
gabe;  1806  wehrte  sie  sich  erfolgreich  gegen  Russen  und  Montenegriner, 
und  1878  konnte  sie  von  den  österreichisch-ungarischen  Truppen  auch  erst 
nach  längerer  Beschiessung  eingenommen  werden.  Die  Annäherung  ist 
nur  für  Fussgänger  auf  einem  steilen  Grate  möglich,  und  in  Zeiten  der 
Gefahr  liessen  sich  die  Yertheidiger  an  Stricken  über  die  steilen  Felswände 
herab  und  entkamen  fast  stets  in  die  Karstwildniss.  Nach  der  letzten 
Einnahme  wurde  die  Burg  von  den  kaiserlichen  Truppen  gesprengt,  und 
erst  nach  harter  Arbeit  gelang  es,  die  ausserordentlich  festen  Umfassungs- 
mauern und  den  Thorthurm  niederzuwerfen.  Von  Klobuk  aus  führt  ein 
halsbrecherischer  Pfad  in  engem  Thale  nördlich  bis  Bilek.  Auf  diesem 
Wege  liegt  in  rauher  Schlucht  das  Kloster  Kosijerevo,  von  wo  aus  mehr 
als  einmal  das  Zeichen   zur  Erhebung   gegen  die  Türken   gegeben  wurde. 

Die  ganze  wilde  Gegend  zu  beiden  Seiten  der  heutigen  Strasse  ist 
reich  an  historischen  Erinnerungen.  Nicht  weit  entfernt  vom  Fort  Stepen 
liegt  die  alte  Burg  Kljuc  in  einer  Gegend,  die  von  Felsklippen  starrt, 
direkt  auf  einer  gigantischen  Felspyramide,  wie  sie  die  kühnste  Phantasie  als 
Standort  für  ein  mittelalterliches  Raubschloss  nicht  besser  ersinnen  konnte. 
Die  alten  Ruinen  halten  unter  dem  westlichsten  Ausläufer  der  bis  zu 
1737  Meter  im  Djed  ansteigenden  Baba-Planina  bei  der  Thalenge  des  Crnica- 
baches  Wache,  —  heute  ganz  vergeblich,  denn  Niemand  sucht  die  Ruhe 
des  von  der  modernen  Heerstrasse  abseits  liegenden  Ortes  zu  stören. 
»Kralj  Sandalj«,  der  hier  residirt  haben  soll,  hat  einen  ausgesprochenen 
Zug  fürs  Wildromantische  bewiesen,  denn  zwischen  den  gleich  Schwalben- 
nestern an  den  kahlen  Felsen  klebenden  Hütten  der  wenigen  Bewohner 
von  Kljuc  steht  die  Burgruine  gleich  einem  Adlerhorste  auf  der  Felsen- 
spitze und  ihre  schmale  Pforte,  zu  der  man  bloss  auf  der  einen  Seite  des 
Felsens  gelangen  kann,  wird  selbst  von  geübten  Kletterern  nur  mit  Mühe, 
von  ungeübten  unter  Gefahr  erreicht.  Aber  auch  heute  noch  sind  die  mit 
Schiessscharten  versehenen  Mauern,  an  deren  Stelle  häufig  der  natürliche 
Felsen  tritt,  stark  und  widerstandsfähig.  Den  Hof  füllt  mit  wucherndem 
Unkraut  bedecktes  Bröckelwerk  und  Gerolle,  welches  den  Eingang  zu  den 
beiden  Thürmen,  die  den  Flügel  der  einzig  zugänglichen  Seite  schützen, 
versperrt.    .Mauerreste  zeigen  die  einzelnen  Oertlichkeiten  und  Gemächer  an. 

Westwärts  von  der  Burg-  —  ich  ciüre  hier  aus  Asboths  Werke  über  Bosnien-Hercegovina 

ziehen  sich   drei  hohe   Felsenmauern  in   der  Stärke   von   2 — 3    Metern  hin,    welche    plötzlich 


344 


in  schroffen  Abhängen  enden.  Zwischen  diesen  natürlichen  Schutzmauern  lagen,  wie  das  Volk 
erzählt,   die  Stallungen  und  Gärten.     Unter  dem  Felsabhange   Messt  ein  grösserer   I 

Wasser  bricht  plötzlich  aus  der  senkrechten  Schlucht  der  Baba  heraus  und  verschwindet  nach 
einem  kurzen  Laufe  von  600  Schritten  auf  der  anderen  Seite  des  Thaies  in  einem  Karstloch. 
Bevor  es  aus  dem  Innern  des  Babagebirges  tritt,  sammelt  sich  das  Wasser  in  einer  tiefen,  ge- 
räumigen Höhle.     Der  Eingang  zu  dieser  liegt  etwa    10  Meter  über  der  Oberfläche  des  Thaies. 

Bei  niederem  Wasserstande  rieseil  i\cv  Bach  zwischen  den  einzelnen  Kissen  und  Löchern  der 
Felswand  hervor;  wenn  aber  der  Schnee  schmilzt,  oder  nach  starken  Regengüssen,  füllt  sich 
die  Tiefe  der  Höhle  und  aus  ihrem  Schlünde  stürzt  das  Wasser  in  mächtigen  nässenden 
Fluthen  hervor.  Wasserfälle  bildend,  die  ihres  Gleichen  suchen  und  so  gewaltig  aus  den 
Felsen  brechend  nur  im  österreichischen  Karste  zu  linden  sind.  Bei  niederem  Wasserstande, 
wenn  der  Wasserfall  verschwunden  ist  und  das  Wasser  wie  aus  einem  Schwämme  nur  aus  der 
Felswand  sickert,  kann  ein  geübter  Bergsteiger  auf  die  von  dem  Sturze  glatt  geschliffene 
riesige  Steinplatte  hinauf  gelangen,  die  den  Eingang  zur.Höhle  bildet.  Aber  Niemand  ist  noch 
weiter  in  ihr  vorgedrungen.  Von  unten  herauf  gähnt  zwischen  Felsen  der  tiefe  schwarze 
Schlund  mit  dem  ruhigen  Wasserspiegel  auf  seinem  Grund.-.  Schwalben- und  Taubenschwärme 
flattern  im  Innern  des  gewaltigen  Felsendomes.  Wunderbar  ist  die  Farbenpracht,  mit  der  die 
Natur  seine  Wände  schmückt.  Die  Moose  und  die  Feuchtigkeit  bilden  wahre  Fresken  in  den 
Kontrasten  und  Schattirungen  vom  lebhaften  Grün,  Gelb  und  Orange,  vom  zarten  Silbergrau 
und  Rosa,  bis  zur  tiefen  Dunkelheit  einzelner  Theile  und  dem  Wasserspiegel,  der  das  gebrochen 
herablangende  Tageslicht  zurückwirft.  Wie  weit  die  Höhle  reicht  und  wo  sie  aufhört,  lässt 
sich  kaum  bestimmen,  denn  den  Hintergrund  deckt  tiefe  Finsterniss  und  ein  Eindringen  ist 
unmöglich.  Vielleicht  stehen  die  Wässer,  die  sich  in  der  Höhle  ansammeln,  mit  der  Ebene 
von  Gacko  in  Verbindung.  Ebenso  ungewiss  ist  es.  wohin  das  Wasser  fliesst,  nachdem 
der  anderen  Seite  des  Thaies  verschwunden  ist.  Der  volkstümliche  Nachweis  sucht  die  Fort- 
setzung der  Gewässer  stets  dort,  wo  angeblich  Menschenköpfe,  blutige  Leichen,  die  in  dieselben 
geworfen  wurden,  wieder  zum  Vorschein  kamen.  Derlei  Erzählungen  sprechen  aber  ebenso 
sehr  von  der  bei  Bilek  plötzlich  hervorbrechenden  Trebinjcica,  wie  für  die  gegen  E 
hinziehende  Opacica,  die  plötzlich  im  Dabärpolje,  jenseits  der  Sättel  des  Koritnik  und  Liznik 
auftaucht.  So  viel  ist  sicher,  dass  in  der  Höhe  der  einen  Höhlenwand  ein  zweiter  Schlund  gähnt. 
Im  Volke  herrscht  die  Ansicht,  dass  sich  hinter  demselben  ein  beträchtlicher  See  in  den  Berg- 
massen der  Baba-Planina  ausbreitet.  Der  Widerhall  mit  kräftigem  Wurfe  hineingeschleuderter 
Steine  klingt  thatsächlich  so,  als  wären  sie  in  tiefes  Wasser  gefallen.  Bei  hohem  Wasserstande 
fliesst  das  Wasser  vielleicht  aus  diesem  Schlünde  in  die  erste  Höhlung,  während  es  sonst  nur 
durch   die  Felswand   sickert.« 

Die  Bevölkerung  von  Kljuc  lebt  heute  noch  in  der  Erinnerung  an 
ihren  »König  Sandalj«,  von  dem  sie  die  wunderbarsten  Sagen  erzählt. 
Wie  er  die  Ponors  —  die  Abflusslöcher  der  Gewässer  im  Karstgebiet  — 
verstopfte,  als  die  türkischen  Heere  das  Gefilde  rings  umher  erobert  hatten, 
wie  er  das  gesammte  Gackopolje,  den  Golinjev-Dol  unter  Wasser  setzte, 
sodass  nur  noch  Burg  Kljuc  auf  hoher  Felsspitze  aus  dem  wogenden  See 
emporragte.  So  trotzte  Sandalj  allen  Angriffen,  mittelst  »unzähliger  Schifte 
und  Kähne«  die  Verbindung  mit  den  fernen  Ufern  aufrecht  erhaltend. 
Und  als  sich  das  Wasser  schliesslich  dennoch  unterirdisch  Bahn  brach  und 
abfloss,  widerstand  die  Burg  noch  drei  Jahre  der  Belagerung  und  fiel  erst 
nach  dem  Tode  König  Sandalj 's.  Auch  hier  wie  im  Bjelopolje  bei  Mostar 
behauptet  das  Volk,  dass  in  den  hohen  Felsenmauern  der  Baba  noch  Eisen- 


—    345     — 


ringe  zu  finden  seien,  die  zum  Anhängen  der  Schiffe  dienten.  Die  sonst 
lichtgraue  Wand  der  Baba  ist  bis  zu  einer  gewissen  Höhe,  welche  sich  in 
wagerechter  Linie  scharf  abzeichnet,  thatsächlich  dunkler  und  moosbewachsen. 
Wir  wollen  und  können  auf  alle  diese  Sagen,  welche  sicher  eines  historischen 
Grundes,  wenn  auch  in  vielfacher  Vergrösserung,  nicht  entbehren,  hier 
nicht  näher  eingehen.  Das  Gackopolje  ist  sicherlich  einmal  ein  See 
gewesen,  nur  liegt  diese  Zeit  um  viele  Jahrtausende  zurück,  die  Tradition 
hat  sich  jedoch  erhalten.  Vom  Kralj  Sandalj  erzählt  die  beglaubigte 
Geschichte:  er  war  eines  der  grössten  Bogomilenhäupter  seiner  Zeit,  ein 
Neffe  jenes  Vlatko  Hranic,  welcher  Kroatien  an  der  Spitze  eines  bosnischen 
Heeres  für  Tvrtko  I.  eroberte  und  der  später  in  der  für  Serbien  verhängniss- 
vollen Schlacht  am  Amselfelde  1389  mit  verhältnissmässigem  Glücke  ein 
bosnisches  Hilfsheer  befehligte.  Nach  vielen  Bürgerkriegen  im  Innern  und 
gegen  Bosnien  sah  er  sich  schliesslich  genöthigt,  die  Oberhoheit  des  Sultans 
anzuerkennen.  Er  benutzte  dieses  Verhältniss,  um  sich  von  der  bosnischen 
Königsgewalt  ganz  unabhängig  zu  machen.  Im  Jahre  141 8  blieb  er  der 
Krönung  des  Königs  Stefan  Ostoic  fern  und  breitete  mit  Hilfe  Isak  Begs 
—  der  damals  in  Vrh-Bosna  residirte  —  seine  Besitzthümer  auf  bosnischem 
Boden  aus.  Erst  nachdem  Isak  Beg,  der  das  erste  türkische  Heer  von 
Bosnien  nach  Ungarn  führte,  im  Jahre  1420  bei  Temesvär  gefallen  wary 
und  Tvrtko  II.  sein  Ansehen  in  Bosnien  mit  ungarischem  Beistande  abermals 
herzustellen  begann,  huldigte  auch  Sandalj  wieder  dem  bosnischen  Könige 
und  erschien  bei  der  Krönung  Tvrtko's.  Das  Ansehen,  welches  er 
sich  auch  späterhin  bewahrte,  kann  aus  dem  Umstände  ermessen  werden, 
dass  das  Concil  von  Basel,  als  es  angesichts  der  von  den  Türken  drohenden 
Gefahr  die  Einheit  der  Christen  herzustellen  suchte  und  sein  Augenmerk 
namentlich  auf  die  bosnischen  Bogomilen  (die  Protestanten  des  Alterthums) 
richtete,  im  Jahre  1433  sich  durch  Vermittlung  der  Republik  Ragusa 
nicht  nur  an  den  König  Tvrtko,  sondern  auch  an  Sandalj  wandte.  Die 
Antwort  des  mächtigen  Bogomilenführers  lautete  abweisend,  wobei  er  sich 
übrigens  auf  den  damals  wüthenden  Bürgerkrieg  berief,  welchen  der  Sohn 
Ostoja's,   der  Knez  Radivoj,   mit  türkischer  Beihilfe   angezettelt  hatte. 

Die  Macht  Sandalj 's  erstreckte  sich  weit  in  die  Zeta,  das  heutige 
Montenegro,  im  Norden  bis  nach  Kroatien;  er  regierte  schliesslich,  wenn 
auch  ungekrönt,  thatsächlich  über  den  grössten  Theil  von  Bosnien,  bis 
er  1445  auf  dem  Gipfel  seiner  Macht  starb.  Sandalj  Hranic  aus  dem 
Hause  Kosaca  war  es,  der  die  Hercegovina  schuf,  wenn  sie  auch  später 
erst  vom  deutschen  Kaiser  Friedrich  III.  den  Namen  erhielt.  Mit  Recht 
räumt  daher  die  Sage  der  Burg  Kljuc  eine  grosse  Rolle  ein.  Heute  ist 
hier  alles  Leben  erstorben;  Heerden  und  Hirten  weiden  auf  den  welt- 
entlegenen Fluren  und  auf  den  grossen  Friedhöfen  mit  ihren  Gedenksteinen, 
die  von  einstigem  glanzreichen  Leben  Zeugniss  geben.     Ueberall,  in  Crnica, 

—    346    — 


Cisterne  in   der  Hercegovina. 

in  Radmilovic,  in  Dubovac,  um  Korito  und  Plana,  zeugen  zahlreiche  Grab- 
steine mit  reicher  Skulptur  von  einer  grossen  Kultur  in  diesen  wilden 
Gegenden,  die  Jahrhunderte  lang  nur  erwähnt  wurden,  wenn  »weit  hinten  in 
der  Türkei  die  Völker  auf  einander  schlugen«.  Was  muss  aber  hier  für  ein 
Leben  geherrscht  haben,  wenn  so  prächtige  Grabsteine  zu  Hunderten  er- 
richtet werden  konnten  ?  So  führt,  von  Plana  auf  der  grossen  Hauptstrasse 
westwärts  abbiegend,  ein  Fusspfad  nach  Montenegro.  Nach  einer  halben 
Stunde  fällt  der  Boden  in  ein  waldiges  Thal  ab ;  darüber  hinaus  steigt 
kühn  und  kahl  der  hohe  Wardar  (1129  m)  auf,  den  jetzt  eine  solide  Be- 
festigung krönt.  Die  Wichtigkeit  dieses  Punktes  war  aber  schon  früher 
bekannt,  denn  die  Reste  alter  Mauern  zeigen,  dass  hier  eine  Festung  ge- 
standen hat  und  beim  Neubaue  wurden  2000  Jahre  alte  griechische  und 
makedonische  Münzen  gefunden.  Das  ist  aber  nicht  das  Interessanteste; 
von  Bedeutung  ist  die  Riesen-Nekropolis,  die  in  weitem  Bogen  von  Vrbica 
bis  Trnovica,  überall  zwischen  Gesträuch  und  Bäumen  versteckt,  den  Fuss 
des  Berges  fast  ganz  umfasst.  Hier  ist  archäologische  Ausbeute  für  lange 
Jahrzehnte,  wie  überhaupt  Bosnien-Hercegovina  das  wissenschaftliche  Er- 
forschungsfeld in  den   nächsten  Zeitabschnitten  bilden  sollte. 

Und  aus  der  fernen  Vergangenheit  treten  wir  bei  unserer  Weiter- 
fahrt nach  Bilek  wieder  in  die  lebendige  Gegenwart.  Wir  sind  jetzt  in 
die  blutige  Korita  gelangt,   ein   wildes  Karstterrain,    dessen   spärliche  Ver- 


$47 


tiefungen  (Dolinen)  sorgsam  angebaut  sind.  Neue  Cisternen  zeugen  von 
der  Fürsorge  der  Regierung.  Die  auf  den  »Feldern«  arbeitenden  Be- 
wohner sahen  so  friedlich  drein,  als  hätte  den  idyllischen  Frieden  dieser 
Gegend  noch  nie  ein  Büchsenschuss  gestört.  Einst  war  die  Korita  von 
dichtem  Wald  und  Getreidefeldern  bedeckt,  und  das  Volk  feiert  diese 
Gegend,  deren  trostlose  Gegenwart  durch  die  schneebedekten  Berge  im 
Hintergrunde  einen  hohen  landschaftlichen  Reiz  erhält,  in  vielen  Liedern. 
Aber  an  die  zahlreichen  Grabsteine  der  Korita  knüpfen  sich  die  Erzählungen 
blutiger  Katastrophen.  So  lebte  einst  in  Risano  ein  reicher  Türke,  welcher 
auf  einer  Reise  die  Tochter  des  Beg  von  Mitrovica  kennen  lernte  und 
sich  mit  ihr  verlobte.  Auf  der  Rückreise  prellte  er  im  Uebermuth  auf 
der  Hochebene  Glasinac  den  christlichen  Kaufmann  Limun,  der  mit  tausend 
Ochsen  des  Weges  zog,  um  seine  theueren  Waffen,  von  denen  die  Gold- 
ringe der  langen  Flinte  allein  330  Dukaten  schwer  gewesen  sein  sollen. 
Limun  schnaubte  nach  Rache.  In  Venedig  kaufte  er  neue  Waffen,  verband 
sich  mit  hundert  Genossen  und  ergriff  das  Räuberhandwerk  gegen  die 
Türken.  In  der  Korita  harrt  er  vier  Jahre,  bis  der  Risanote  die  Braut 
heim  hole.  Dieser  sandte  seinen  Bruder  Durmisch  Beg  mit  tausend 
Reitern.     Der  kriegerische  Hochzeitszug  gelangt  glücklich  nach  Mitrovica, 


Golobrdo  bei  Korito. 


54S     - 


aber  auf  der  Rückreise  hat  die  Braut  einen  unheilvollen  Traum:  Wölfe 
brechen  aus  dem  Nebel  der  Korita  und  zersprengen  den  Zug  der  Türken. 
Der  Führer  erschrickt  jedoch  nicht;  schweigend  ziehen  die  Hochzeitspilger 
durch  die  gefährliche  Ebene.  Da  fallt  einem  der  Theilnehmer  ein,  den 
Räubern  Hohn  zu  sprechen.  »Und  die  Trommeln  und  die  Pfeifen  klangen, 
die  Pistolen  und  die  Flinten  krachten  und  es  jauchzten  auf  die  guten 
Helden«,  wie  es  im  Liede  heisst.  Die  Rächer  verlegten  den  Engpass,  aus 
allen  Flinten  gaben  sie  Feuer  und  »zersprengten  die  Türken  nach  allen 
Seiten,  wie  die  Wölfe  weisse  Lämmer  jagen«.  Dem  Brautführer,  der  mit 
beiden  Armen  das  Mädchen  umklammert  hält,  haut  Limun  die  Arme  von 
den  Schultern  und  entreisst  ihm  die  Braut.  Dann  steigen  die  Räuber 
empor  zur  Kobilaglava  (Fohlenkopf)  und  setzen  sich,  um  Wein  zu  trinken, 
den  ihnen  die  arme  Gefangene  reichen  muss.  Inzwischen  ist  aber  der 
Bräutigam  dem  Zuge  entgegengeeilt,  hat  auf  dem  Felde  von  Rudina  die 
Schüsse  gehört,  die  Korita  erreicht  und  von  seinem  sterbenden  Bruder 
Alles  vernommen.  Mit  seinen  Begleitern  klimmt  er  durchs  Tannendickicht 
zur  Felsenhöhe  empor,  wo  die  Räuber  lagern.  Er  zielt  auf  das  Haupt  seines 
Todfeindes,  doch  die  Kugel  verfehlt  ihr  Ziel  und  trifft  das  Mädchen  ins  Herz. 

Die  Räuber  entfliehen,   aber  todt  liegt  die  Braut  auf  der  Kobilaglava 

Solcher  Geschichten  giebt  es  viele  und  Vrcevic,  Ljubisa,  Hörmann, 
Hoernes,  Kraus  u.  a.  erzählen  so  manche  blutige  Episode  nach  den  Ge- 
sängen dieses  Volkes.  Hier  ist  stets  mit  Blut  gearbeitet  worden  und  es 
darf  daher  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  dieser  so  eigene  Saft  in  dieser 
Gegend  bis  in  die  jüngste  Zeit  noch  immer  reichlich  floss.  Der  Ort  Korito 
selbst  liegt  auf  einer  massigen  Erhöhung  etwas  abseits  von  der  Strasse. 
Im  Jahre  1888  besuchte  ich  ihn,  da  wir  wegen  Abgabe  der  Post  den  Weg 
nicht    scheuen    durften.      Eine    Art    Wachthaus    nach    Art    der    türkischen 

V 

Cardaken  diente  zur  Unterkunft  der  Truppen,  desgleichen  einige  Baracken. 
Ein  etwas  besseres  einstöckiges  Steinhaus  beherbergte  das  Post-  und 
Telegraphenamt.  Daneben  hatte  ein  Dalmatiner  eine  Kantine  und  einen 
Kramladen.  Grosse  Wolfshunde  schienen  den  Wachtdienst  mit  zu  ver- 
sehen, jedenfalls  waren  sie  an  die  Truppen  attachirt  und  vielleicht  haben 
sie  mit  den  Stamm  zu  jenen  bosnischen  Kriegshunden  geliefert,  die  erst 
im  März  1895  bei  Zwornik  ihre  Kriegsübung  so  glänzend  bestanden  haben. 
Es  ist  ein  trostloser  Aufenthalt,  dieses  Korito  mitten  in  der  Steinwüste, 
und  obwohl  der  Tag  warm  genug  war,  wehte  hier  ein  eisiger  Wind  von 
den  Grenzbergen.  So  soll  es  fast  immer  sein,  und  im  Winter  liegt  der 
Schnee  haushoch,  während  ganze  Rudel  Wölfe  um  die  Behausungen  heulen. 
Auch  für  sie  ist  ja  in  dieser  Gegend  nicht  viel  zu  holen.  Diesmal  sah 
eine  neugebaute  Kirche  von   Korito  herüber. 

In  ziemlich  scharfem  Abstieg  führt  die  Strasse  dann  zu  der  über 
900  Meter  hohen  Schneide  von  Plana,   wo  die  Strasse  nach  Stolac  abzweigt. 


-     349 


Eine  hübsche  Kaserne  verschönt  die 
trostlos  öde  Karstgegend,   in  der  mit 
schwerster    Mühe     kein    Stämmchen 
Grün  zu  entdecken  wäre.    Weiss  und 
o-rau  ist  Fels  und  Feld,    die   Häuser 
reflektiren  förmlich  die  Sonne,  und  da 
auch  nicht  eine  Spur  von  Wasser  für 
die  Pferde  zu  erhalten  war,   so  wurde 
unser  Aufenthalt  so  viel  als  möglich 
abgekürzt.  Eine  Art  Wirthsh aus,  ver- 
bunden mit  Kramladen,  ist  wohl  vor- 
handen, aber  ausser  Rakija  (dem  hei- 
mischen Schnaps)  und  Mastica  (dem 
angeblich    griechischen    Branntwein) 
war  kein  Getränk  zu  haben.    Einige 
harte    Eier    mit    Brot    bildeten    das 
Mahl  zu  dem  sich  eine  Heerde  halb- 
verhungerter   Hühner    des    Wirthes 
und  fünf  junge  Kätzchen  eingefunden 
hatten.  Wir  theilten  brüderlich,  denn 
hier  ist  jede  Kreatur  zu  bedauern.    In 
Plana  soll  es  früher  sogar  einFremden- 
zimmer   im    Gasthause    zum    U eber- 
nachten gegeben   haben.     Seit  aber 
die    Frau    des    Wirthes    ein    zweites 
Geschäft  in  Stolac  übernommen  hat, 
fehlt   es   auch  an  dieser  Unterkunft. 
Glücklicherweise  wird  selten  Jemand 
in    die    Lage    kommen,    sie    zu    be- 
nöthigen;    Bilek    kann    noch   immer, 
auch  wenn  es  spät  abends  ist,   ohne 
Gefahr  erreicht  werden. 

Auf  der  Fortsetzung  des  Weges 
fanden  wir  recht  hübsche  neue  Wald- 
anpflanzungen, meist  Eichen  und 
Eschen.  Sie  standen  vorzüglich,  und 
es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die 
gesammte  Gegend  einstmals  gut  be- 
waldet war.  Die  grossen  Stämme 
wurden  aber  rücksichtslos  niederge- 
hlagen, für  Nachpflanzung  nicht  ge- 
sorgt, die  Ziegen  thatrn  das  Uebrige, 


Ansicht   von   Korito. 


350 


damit  kein  junger  Wald  aufkomme.    So  verödete  die  Gegend,  sie  bot  R 
und  Winden    die  Möglichkeit,    auch  noch  das  letzte   Restchen  von  Humus 
wegzuschwemmen  und  wegzufegen,   und  so  verarmte  das  Volk,  das  immer 
mehr    zu    einem    blossen    Räuber-    und    Hirtenvolke    herabsank.     Was   hier 
zu   leisten    möglich    ist,    dass  dieser  Theil  der  Hercegovina  durchaus  nicht 
kahl  und  unfruchtbar  zu  bleiben  braucht,   zeigen  gewisse  Berge  und  Wald 
partien,    die    durch    grosse   Tafeln    als    »Zabranjena   suma      (als   verbotener 
oder   geschlossener    Wald)    gekennzeichnet    sind.      Hier   stehen    die    neuen 
Pflanzungen    wie    die    alteren  Bestände,    seihst   das  Gestrüpp,    im   üppigsten 
Wachsthum    und    da    in    ihnen    das  Weiden  von  Vieh  streng  untersagt   ist. 
wird  in  nicht  zu  ferner  Zeit  ein  grosser  Theil  der   »steinigen  Hercegovina 
wieder  eine   »grüne«    werden. 

Die  Aufforstung  des  Karstes  im  ganzen  Okkupationsgebiete  macht 
erfreuliche  Fortschritte.  Allerdings  kann  von  einer  vollkommenen  Lösung 
dieser  Aufgabe  in  absehbarer  Zeit  nicht  die  Rede  sein,  da  die  räumliche 
Ausdehnung  des  Karstgebietes  und  die  unvermeidlichen  grossen  Kosten 
eine  solche  immer  nur  in  beschränktem  Umfange  zulassen.  Was  zuerst  von 
der  bosnisch -hereegovinischen  Landes-Forstverwaltung  unter  Aufforstung 
verstanden  wird,  ist  im  Wesentlichen  eine  Reihe  von  Maassregeln  und 
Arbeiten  zur  Sicherstellung  des  Kulturbodens  gegen  die  immer  weiter  um 
sich  greifende  Fortbildung  des  Karstes  in  einzelnen  Landestheilen.  Dies 
geschieht  zuerst  bei  bestehenden  Waldungen  durch  Hegungen  und  an 
besonders  günstigen  Punkten  auch  durch  Aufforstungen.  In  dieser  Richtung 
wurde  von  der  Landesvenvaltuno-  ein  besonders  umfassender  Plan  für  den 
Bezirk  Zupanjac  (in  Travniker  Kreise)  ausgearbeitet  und  haben  die  Ein- 
schonungen  schon  einige  befriedigende  Ergebnisse  erzielt. 

Die  Bevölkerung  am  Karst  braucht  zwar  Holz,  aber  doch  keine  langen 
und  dicken  Stämme;  weit  dringender  bedarf  sie  des  Baumlaubes  als  Futter 
für  die  Erhaltung  ihrer  Viehheerden,  weil  Wiese  und  Grasland  von  geringer 
Ausdehnung  und  wenig  ergiebig  sind,  weiter,  weil  für  den  Anbau  von 
entsprechenden  Futterpflanzen  Mangel  an  kulturfähiger  Scholle  ist;  dieser 
zweifachen  Anforderung  von  Holz-  und  Viehfutter-Produktion  kann  aber 
nur  der  Nieder-  oder  Mittehvald  genügen.  Das  Ziel  der  Karstkultur  muss 
daher  in  erster  Linie  auf  die  Erziehung  und  rationelle  Behandlung  solcher 
Waldformen  auf  allen  hierzu  geeigneten  Standorten  gerichtet  sein.  Auf 
den  anderen  Oertlichkeiten  kann  dann,  wenn  Kräfte  und  Mittel  es  gestatten, 
auch  das  Ziehen  hochstämmiger  Wälder  ins  Auge  gefasst  werden.  In 
dieser  Art  wird  sich  die  schöne  Idee  der  Karstkultur  auf  jenen  Standpunkt 
der  Verwirklichung  führen  lassen,  von  dem  aus  die  glückbringenden 
Strahlen  des  künftigen  Wohlstandes  auch  schon  jetzt  der  Bevölkerung 
erkenntlich  werden.  Der  Versuch  einer  umfassenden  Beforstung  des  Karstes 
ohne  Rücksicht  auf  die  Weidebedürfnisse  der  Bevölkerung  würde  aber,   ab- 


N  e  u-B  il  e  k. 

gesehen  von  den  unerschwinglichen  Kosten,  auf  einen  Widerstand  stossen, 
der  wegen  seiner  inneren  Berechtigung  gar  nicht  zu  besiegen  wäre.  Von 
einer  solchen  Karstkultur  kann  demgemäss  aus  politischen  Gründen  nicht 
die  Rede  sein. 

Von  Plana  aus  führt  die  Fahrstrasse  in  steter  Senkung  gegen  das 
Becken,  in  welchem  Bilek  liegt.  Es  ist  ein  weiter  Bogen  zu  umschreiben, 
ehe  man  zur  Stadt  gelangt,  aber  die  sie  umschliessende  Ebene  ist  ungemein 
lieblich,  überall  sind  Felder  in  üppigem  Anbau.  Nur  von  allen  Höhen 
grüssen  Forts  als  Wache  gegen  Montenegro.  Bei  Bjela  Rudina  hätten  wir 
übrigens  in  der  Luftlinie  nur  eine  geringe  Entfernung  nach  Vucidö  gehabt, 
wo  1876  die  Montenegriner  ihren  letzten  Sieg  über  die  Türken  erfochten. 
Bilek  liegt  am  Rande  einer  Hochebene,  der  Bilek-Visocina,  auf  welcher 
Tumuli  und  hohe  Steindenkmäler  längs  des  Weges  förmliche  Alleen  bilden. 
Die  Stadt  ist  nicht  gross,  zählt  sie  doch  noch  nicht  2000  Bewohner,  aber 
sie  ist  rein  und  zum  grossen  Theil  neu  gebaut;  es  wurde  auch  den  Mohamme- 
danern aus  Landesmitteln  eine  Moschee  erbaut,  da  die  alte  zerstört  worden 
war.  Bilek  besitzt  grossentheils  orthodoxe  Bevölkerung,  und  so  war  für 
die  Türken  das  Leben  nie  besonders  angenehm;  erst  jetzt  können  sie 
ihres  Daseins  froh  werden.  In  einem  recht  guten  Restaurant  »Zur  Stadt 
Wien'  kehrten  wir  ein,  wo  wir  vorzügliches  Bier,  anständige  Verpflegung 
und  sogar  eine  Kegelbahn  fanden.  Einen  Kilometer  von  der  »Civilstadt« 
liegt  aber  das  Militärlager  >Neu-Bilek«,  eine  von  festen  Mauern  umschlossene 
kleine  Stadt  für  sich.  Vom  Lager  und  dem  unmittelbar  vorüberführenden 
Wege  fällt  das  Terrain  steil  ab  zur  Schlucht  der  Trebinjöica,  die  aus  einer 
Karsthöhle  plötzlich  als  Flu>-  zu  Tage  tritt.  Bilek  ist  trotzdem  wasserarm; 
erst  dei  gegenwärtigen  Verwaltung  hatte  es  eine  grosse  gemauerte  Cisterne 
und   nun   auch   eine  Wasserleitung   zu   verdanken,    ein  Geschenk,    das    man 


—     352 


erst    in    diesen   Gegenden  recht  schätzen  lernt,    wo   man  Tage  lang  keinen 
frischen  Trunk  Wassers  über  die  Lippen  bekommt. 

Neu-Bilek  ist  für  Civilpersonen  verschlossen.  1888  war  dies  nicht 
der  Fall.  Damals  stiegen  ich  und  mein  Reisegefährte  in  dem  Lager  ab, 
das  mit  seinen  Mauern,  aus  denen  eherne  Kanonenschlünde  nach  ver- 
schiedenen Seiten  drohend  lugten,  mit  seinen  grossen  Kasernen  und 
Stallungen  einen  imponirenden  Eindruck  gewährt.  Einen  sehr  sonder- 
baren Eindruck  machte  es,  dass  auch  vom  Postzimmer  aus  Schiessscharten 
ins  Ereie  führten.  Das  Offizierkorps  hatte  ein  Casino  im  Lager,  wo 
gemeinschaftlich  menagirt  wurde.  Ausserhalb  der  Mauern  stand  aber  ein 
recht   hübsches  Gasthaus,   wo  ich  mich  bei  schwarzem  Dalmatiner  für  die 


Cepelica. 


Weiterreise  einige  Stunden  stärkte.  Dieses,'  ist  jetzt  verschwunden;  nur 
Militärgebäude  sind  errichtet,  auch  einige  Gartenanlagen  und  sogar  auf 
einer  Erhöhung  über  dem  Trebinjcica -Ursprünge  ein  Sommer-Pavillon. 
Die  Strasse  führt  hoch  über  dem  steilen  wild  zerklüfteten  Bette  der  Tre- 
binjcica dahin,  die  angeblich  bei  Ragusa  abermals  als  mächtiger  Schlund- 
fluss  im  Omblathale  als  Ombla  ins  Meer  mündet.  Die  Gegend  ist  anfangs 
trostloser  Karst  mit  wenig  Grün.  Immer  schroffer  erheben  sich  die  Berge 
zu  beiden  Seiten,  an  deren  rechtem  Abhänge  sich  die  Strasse  in  zahllosen 
Serpentinen  dahinzieht.  Auf  einer  Brücke  übersetzen  wir  die  Cepelica, 
einen  Nebenbach  der  Trebinjcica,  wo  eine  Kaserne  den  Uebergang  sichert. 
Hier  kommen  wir  der  montenegrinischen  Grenze  am  nächsten  und  in  eine 
fast  »heilige  Gegend«.  Gegen  Osten  liegt,  vom  Wege  aus  nicht  sichtbar, 
das  Kloster  Sv.  Xikola,  dann  das  Kloster  Dobricevo  und  etwas  entfernt 
von  ihm   auf  montenegrinischem  Boden  Sv.  Ilija  und  Kosijerevo. 

23 


.an"    das    Plateau    von 

Mosko      1 V'.-   kleine  Ort  Namens   li<  m  freundlich   auf  der 

Hocheb<    i  .:  prähistorischen  Gräbern  —  Gomilen 

i    i  .  -    hinaus    dehnt    sich    wer. 

Mordwest«       ...  --.   e  Ebene  1  jubomir,  welche 

Fruchtbark« 

elebt 
i 

:   von  M<  den 

en  von  1  -  Jasen  und 

...  e  Fahrstrasse,  et 

.    .    Fahr- 
i    . 
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\ . .  - .  .  e  S  >       esst.    Xi  S       i  West< 


Tabakarbeiterinnen   in  Trebinje. 


Im  Garten 
der  Hercegovina. 

Es  war  schon  Dämmerung 
eingetreten,  als  unsere  Pferde 
noch  immer  in  schlankem  Trabe 
in  Trebinje  einfuhren.  So  sonder- 
bar es  klingt,  ist  es  hier  mit  der 
Unterkunft  für  Fremde  immer 
mangelhaft  bestellt  gewesen.  Ein 
grosses  europäisch  gebautes  »Hotel  Orient«  traf  ich  schon  1888  ge- 
schlossen; es  ist  auch  diesmal  nicht  eröffnet.  Damals  fand  sich  ein 
serbischer  Kaufmann,  Andrija,  der  mir  in  seinem  Hause  Unterkunft  ver- 
schaffte; jetzt  hatte  der  Bezirksvorsteher  in  zuvorkommendster  Weise  gesorgt. 
Es  ist  ein  kleineres  »Hotel  Trebinje«  geschaffen  worden,  das  aber  noch 
nicht  eröffnet  war.  Dort  waren  uns  Zimmer  vorbereitet  worden,  die  in 
keiner  Weise  etwas  zu  wünschen  übrig  liessen. 

Trebinje  besteht  aus  zwei  Theilen:  der  von  der  Trebinjcica  um- 
flossenen, mit  Mauern,  Basteien  und  Wallgräben  umschlossenen  Festungs- 
stadt und  der  neuen  Stadt  ausserhalb  des  Kastells,  die  jetzt  alle  öffentlichen 
Gebäude  und  europäischen  Bauten  enthält  und  die  erst  in  ihren  wesent- 
lichsten Theilen  seit  der  Okkupation  entstanden  ist.  Durch  die  vielen 
Neubauten  hat  jedoch  Trebinje  keineswegs. seinen  orientalischen  und  mittel- 
alterlichen Reiz  eingebüsst;  es  ist  noch  immer  halb  italienisch,  halb  türkisch, 
verklärt  von  der  südlichen  Sonne.  Die  innere  —  die  Festungsstadt  — 
ist  klein  und  beschrankt,  aber  sie  ist  rein  und  sauber,  und  die  Stille  ihrer 
Strassen  ist  geradezu  nervenberuhigend.  Die  Stadt  zählt  gegen  1300  Be- 
vvohner  aller  Bekenntnisse,    die   sich   durch   den   Handel  mit  Ragusa,  durch 


-     356     — 


Kleingewerbe,  besonders  aber  auch  durch  Tabakbau  ernähren.  Der  letztere 
hat  Trebinje  jenen  Weltruf  verschafft,  den  ihm  die  geschichtliche  Ver- 
gangenheit nie  gebracht  hätte.  Der  Trebinjer  Cigarettentabak  ist  einer 
der  feinsten  Tabake  der  Welt,  die  bevorzugte  Marke  des  Sultans,  [mmer 
mehr  wird  der  .Anbau  gesteigert  und  doch  kann  der  Nachfrage  nicht 
genügt  werden,  obwohl  stets  neue  Machen,  die  kleinsten  Eckchen,  die  nur 
fruchtbaren  Boden  besitzen,  in  Kultur  genommen  werden.  1  Iierin  und  im 
Weinbau  liegt  der  Wohlstand  der  Bevölkerung,  der  sich  im  Aeusseren  der 
Stadter  und  Bauern,  in  ihrem  Gesammtauftreten,  offenbart.  Eine  umfang- 
reiche ärarische  Tabakfabrik  beschäftigt  eine  grosse  Anzahl   Personen. 

Auf  dem  im  Mittelalter  wichtigen  Handelswege,  der  von  Ragusa  in 
fünfzehn  Tagen  nach  Nisch  und  in  dreissig  Tagen  nach  Konstantinopel 
führte,  war  Trebinje  die  erste  wichtige  Station.  Ursprünglich  wurde  es 
Terbunia  oder  auch  Travunia  genannt.  Es  kommt  in  den  frühesten  Jahr- 
hunderten unserer  Zeitrechnung  in  der  Geschichte  vor  und  nach  Konstantin 
dem  Purpurgeborenen  sass  in  der  Burg  Terbunia  ein  slavischer  Fürst,  dessen 
Macht  im  Süden  bis  Dioclea,  im  Westen  von  Cattaro  bis  Ragusa  und 
im  Norden  über  das  Popovopolje  reichte.  Nach  dem  Zusammenbruche 
der  serbischen  Herrschaft  an  der  Adria  (1355)  gerieth  Trebinje  unter  den 
Grafen  von  Chlum,  Vojislav,  und  trat  dadurch  in  bleibende  Verbindung 
mit  der  Hercegovina  und  Bosnien.  Ein  Neffe  und  Nachfolger  Vojislavs, 
Nikola  Altmanic,  ist  im  Jahre  1371  gezwungen,  seine  Besitzungen  gegen 
das  Bündniss  des  Königs  Vukasin  von  Rascien  mit  den  in  der  Zeta  zur 
Herrschaft  gelangten  Balsa  zu  schützen;  1373  überlässt  er  Travunja  dem 
Gjuro  Balsic  unter  der  Bedingung,  dass  dieser  ihn  gegen  den  bosnischen 
König  Tvrtko  unterstütze,  dessen  Oberherrschaft  er  nicht  anerkennen 
wollte.  Tvrtko  aber,  verbündet  mit  dem  serbischen  Fürsten  Lazar,  nimmt 
1376  Travunja  zurück,  das  er  nebst  anderen  Theilen  des  Landes  behält, 
und  er  nennt  sich  nun  König  von  Bosnien,  Rascien  und  der  Primorje  (des 
Küstenlandes).  Unter  Tvrtko  schwingt  sich  die  Familie  Sankovic  zu 
grossem  Ansehen  in  Chlum  und  Travunja  empor  und  ihr  werden  diese 
Gebiete,  während  das  königliche  Ansehen  im  Sinken  begriffen  ist,  durch 
Pavel  Radinovic  und  Sandalj  Hranic  1392  entrissen.  Ersterer  behält 
namentlich  Bilek,  Trebinje,  Klobuk  und  Canale,  und  nachdem  er  durch 
Sandalj  ermordet  worden,  halten  seine  Söhne  wenigstens  in  Bilek  und 
Trebinje  ihre  Herrschaft  aufrecht.  Neben  ihnen  spielen  die  Nikolic  von 
Popovo  und  die  Ljubibratic  von  Trebinje  eine  Rolle.  Später  theilte 
Trebinje  die  Geschicke  der  Hercegovina,  es  fiel  unter  die  türkische  Herr- 
schaft. Für  die  Osmanen  war  Trebinje  eine  Grenzstation,  die  befestigt 
werden  musstc  wegen  der  Nähe  der  montenegrinischen,  ragusäischen  und 
venetianischen  Grenzen,  und  damit  die  Bevölkerung  im  Zaume  gehalten 
werden  könne,  wurde    eine   Unzahl    fester   Knien  —  steinerner   befestigter 


Thürme  —  gebaut,  die  im  Umkreise  vieler  Stunden  iede  Bergkuppe  krönen, 
jede  Strassenkreuzung  beherrschen. 

Aus  alter  Zeit  besitzt  Trebinje  eine  steinerne  Brücke,  die  Arslan- 
Agic-Most,  die  etwa  7000  Schritte  oberhalb  der  Stadt  über  die  Trebinjcica 
führt.  Den  gleichen  Namen  führt  auch  das  inmitten  unwirthl icher  Stein- 
wüsten liegende,  aus  25  Häusern  bestehende  mohammedanische  Dorf,  vor 
dem  sich  die  Brücke  über  den  zwischen  steilen  Felsen  zusammengedrängten 


Gradina   bei  Trebinje. 

Fluss  schwingt.  Jetzt  ist  bei  Trebinje  eine  neue  und  näher  gelegene  Brücke 
gebaut,  die  schon  unter  türkischer  Zeit  begonnen  wurde  und  zu  der  die 
Trebinjaner  eine  Kindesleiche  auf  Ragusaner  Boden  stahlen,  um  sie  in  die 
Brückenpfeiler  einzumauern  und  damit  das  uralte  Bauopfer  zu  bringen. 

Aus  der  Vergangenheit  treten  wir  aber  lieber  in  die  lebendige  Gegen- 
wart. Durch  die  Festungsstadt  schreitend  und  vor  dem  »Cafe  degli  Signori« 
einen  Schwarzen  nehmend,  hören  wir  eine  Zeit  lang  dem  Recitiren  von 
Koransprüchen  zu,  das  aus  einer  türkischen  Schule  heraustönt.  Dann  ver- 
tiefen wir  uns  in  Häuserstudien,  besichtigen  die  Moschee  und  gehen  durch 
das  Festungsthor  in  die  neue  Stadt,  wo  sofort  hübsche  Baumgruppen,  freie 
weite  Platze  uns  freundlich  anmuthen.     Eine  grosse  neue  Schule,   ein  wahrer 


-    358 


Monumentalbau,  fesselt  die  Aufmerksamkeit.  Die  Fenster  eines  unteren 
Klassenzimmers  stehen  offen,  wir  folgen  dem  Unterricht.  Es  ist  Geographie- 
stunde, die  Antworten  der  Kinder  sind  präcis  und  richtig.  Welchei  (  i 
satz  zu  dem  gedankenlosen  Geplärre  in  der  türkischen  Schule!  Eine  neue 
katholische  und  eine  orthodoxe  Kirche  sind  hier  vorhanden,  desgleichen 
eine  Menge  moderner  Privatgebäude,  ganze  Strassen  bildend.  Da  reiht 
sich  Laden  an  Laden,  Cafes  und  Restaurationen,  Buchhandlungen,  Amts- 
gebäude -  alles  steht  im  neuen  Viertel,  das  allerdings  auch  Theile  alterer 
Ansiedlungen  in  sich  begreift.  Hier  ist  auch  der  Marktplatz,  auf  dem 
wundervolles  Obst  zu   Spottpreisen  feilgehalten  wurde. 

Eine  prächtige  Anlage  besitzt  dieser  Stadttheil  aber  in  einem  gro 
wohlgepflegten  Parke,  zu  Ehren  des  Reichsfinanzministers  »Källay-Park« 
genannt.  Prächtige  Alleen  wechseln  mit  hübschen  Rasengruppen  ab,  Ranke 
stehen  überall  zum  Ausruhen  bereit,  und  eine  Restauration  sorgt  für  des 
Leibes  Nahrung  und  Nothdurft.  Für  Trebinje,  das  sonst  wenig  Baum- 
schatten bietet,  ist  dieser  Park  bei  der  meist  herrschenden  Hitze  ein  wahres 
Labsal.     Selbstverständlich  ist  auch  er  eine  neue  Schöpfung. 

Aber  einige  Stunden  von  Trebinje  ist  noch  ein  Beweis  der  Fürsorge 
der  Regierung  vorhanden,  der  gerade  hier  von  weittragendster  Bedeutuno- 
ist: die  Obst-  und  Weinbaustation  Lastva.  Von  Trebinje  führt  eine 
14  Kilometer  lange  neue  Fahrstrasse  über  Arslan-Agic-Most  am  rechten 
Ufer  der  Trebinjcica.  Drei  Kilometer  vor  Lastva  wird  der  Fluss  auf  einer 
neuen  soliden  Eisenbrücke  übersetzt;  der  Weg  in  das  Gebiet  der  Korjenici, 
an  die  Grenze  der  Zubci,  ist  gebahnt.  Hier  liegt  in  770  Meter  Höhe  ein 
reizendes  Thal,    das    ein    kleines  Paradies  für  sich  bildet.     Das  ist  Lastva, 


Weinbaustation  Lastva. 


-     361      - 


wie  es  heute  ist,  nicht  wie  es  noch  vor  wenigen  Jahren  war.  Damals,  als 
noch  von  Montenegro  herüber  tägliche  Raubanfälle  an  der  Tagesordnung 
waren,  lebte  hier  eine  rauhe  und  arme  Bevölkerung,  die  ihr  kärgliches 
tägliches  Brot  von  der  türkischen  Regierung  erwartete  und  erhielt.  Die 
Unsicherheit  an  der  Grenze,  der  nie  gepflegte  Anbau  hatten  die  Regierung 
gezwungen,  ihre  Grenzbevölkerung  als  Schutz  gegen  die  Montenegriner 
gleichsam  in  Sold  zu  nehmen.  Sie  erhielt  dafür  den  »Tai'n«,  die  Natural- 
verpflegung  und  einen  geringen  Geldbetrag.  Davon  lebten  die  Bewohner, 
sie  wurden  dem  Ackerbau  entfremdet,  das  Land  verödete  gänzlich.  Mit 
dem  Einmarsch  der  österreichisch -ungarischen  Truppen  hörte  die  Tai'n- 
Verpflegung  auf,  die  Leute  wurden  auf  ihre  eigene  Arbeitskraft  verwiesen, 
wozu  ihnen  für  die  Uebergangszeit  allerdings  Unterstützung  gewährt  wurde. 
Das  Jammern  um  den  Tai'n  wollte  aber  Jahre  lang  nicht  verstummen;  der 
Xothstand  in  den  hercegovinischen  Grenzbezirken,  darunter  auch  in  Lastva, 
wurde  zu  einer  beständigen  Rubrik  der  Landesverwaltung;  alljährlich 
forderte  die  Linderung  der  Noth  grosse  materielle  Opfer  und  nur  ganz 
allmählich  gelang  es,  die  verwilderte  Bevölkerung  wieder  an  die  Bestellung 
ihres  Grund  und  Bodens  und  die  Führung  einer  ordentlichen  Hauswirth- 
schaft  zu  gewöhnen.  Heute  sieht  es  an  der  Grenze  ganz  anders  aus,  und 
speciell  Lastva,  dieser  total  verarmte  und  verwüstete  Landestheil,  gliedert 
sich  den  übrigen  wirthschaftlich  blühenden  Distrikten  würdig  an.  Ab- 
gesehen von  den  Naturschönheiten,  welche  besonders  der  vegetations-  und 
quellenreichen  Ortschaft  Lastva  einen  eigenen  Reiz  verleihen,  sind  die  Thäler 
und  Hochebenen  der  ganzen  Gegend  sehr  fruchtbar.  Die  Bodenerzeugnisse 
sind  von  vortrefflicher  Güte,  und  hauptsächlich  die  Kartoffel  erreicht  in 
der  Bjelagora  eine  ganz  erstaunliche  Grösse  bei  unübertroffenem  Wohl- 
geschmack. 

Die  vielfach  vorhandenen  Spuren  einstiger  römischer  Weinkultur,  die 
an  den  Lehnen  der  Thalenge  von  Lastva,  dann  in  Skocigrm  und  Zupa 
anzutreffen  sind,  reiften  den  Entschluss,  die  Weinkultur  in  dieser  Gegend, 
welche  hierzu  wie  geschaffen  erscheint,  neu  zu  beleben.  Das  Ergebniss 
einer  fachmännischen  Prüfung  war  ein  überraschend  günstiges.  Die  vor- 
genommene chemische  Analyse  des  Bodens  und  die  Prüfung  der  klimatischen 
Verhältnisse  übertrafen  alle  Erwartungen.  Es  wurde  im  Jahre  1892  ein 
Flächenraum  von  40  Hektaren  für  die  Anlage  der  Wein-  und  Obstgärten 
erworben,  im  folgenden  Jahre  wurde  die  Fahrstrasse  geschaffen  an  Stelle 
des  alten  Reitweges,  der  sich  früher  am  linken  Ufer  der  Trebinjcica, 
parallel  mit  dem  nach  der  alten  Burgveste  Klobuk  hinzog,  dann  wurden 
die  Hochbauten  vorgenommen  und  zwar  eines  Administrationsgebäudes 
mit  der  Wohnung  des  Oekonomiebeamten,  eines  Felsenkellers  von  20  Meter 
Länge  und  6  Meter  Breite  und  von  fünf  Winzerhäusern  für  je  zwei  Familien. 
Die    Winzer    wurden    aus    Ungarn    angesiedelt.      Mit    der    Leitung    dieser 

-    362     _ 


Station  wurde  der  bis  dahin  in  Gnojnica  bei  Mostar  in  gleicher  Verwendung 
gestandene  Stationsleiter  Daniel  Vargha  betraut. 

Im  Spatherbste  1893  waren  die  Hochbauten,  welche  Kosten  von  25000  fl. 
verursachten,  fertiggestellt,  die  Winzerfamilien,  die  theils  aus  dem  Tolnaer 
Comitat,  theils  aus  den  Tokayer  Gebirgen  stammen,  langten  in  Lastva 
an  und  wurden  installirt.  Jede  Familie  erhält,  wie  erwähnt,  ein  halbes 
Wohnhaus  und  je  l/i  Joch  Hausgrund.  Nach  zehn  Jahren  übergehen  diese 
Unbeweglichkeiten  in  das  Eigenthum  der  Familie.  Ausserdem  erhält  jede 
Familie  ein  Fixum  von  15  fl.  monatlich  und  einen  Taglohn  von  50  kl-.  für 
faktische  Arbeitstage.  Befinden  sich  in  der  Familie  ausser  dem  Oberhaupte 
noch  andere  arbeitsfähige  Mitglieder,  so  erhalten  solche  einen  Taglohn 
von  40  kr.  Der  erste  überaus  milde  Winter  gestattete  mit  wenig  Unter- 
brechungen die  Arbeit  im  Freien.  Es  wurden  daher  8  Hektar  gerodet 
und  auf  eine  Tiefe  von  durchschnittlich  70  Centimeter  rigolt.  Im  Früh- 
jahr konnten  6  Hektar  theils  mit  Wurzel-,  theils  mit  Schnittreben  (circa 
60000  Stück)  durchweg  edelster  Sorte  bepflanzt  werden.  Die  übrigen  zwei 
Hektar  wurden  zu  Obstgärten  verwendet.  Es  kamen  nur  Obstbäume  erster 
Sorte,  Aepfel,  Birnen,  Kirschen,  Weichsein,  Aprikosen  und  Pfirsiche  zur 
Auspflanzung.  Ueberdies  wurden  im  ersten  Jahre  3000  Meter  Serpentinen- 
wege in  den  Weinkulturen  gebaut,  welche  zur  Noth  auch  befahren  werden 
können.  Tausende  fleissiger  Hände  mussten  arbeiten,  um  ein  solches  Er- 
gebniss  zu  erzielen,  die  Früchte  dieser  Thätigkeit  zeigen  sich  aber  schon 
heute.  Die  Bevölkerung  von  Korjenici  erschloss  sich  durch  diese  Arbeiten 
eine  dauernde  Einnahmequelle,  welche  bereits  die  letzten  Spuren  einstigen 
Nothstandes  in  dieser  Gegend  verwischte. 

Wenn  man  auch  bei  der  Schaffung  staatlicher  Musterwirtschaften 
nur  die  Hebung  des  Volkswohlstandes,  nicht  den  eigenen  Nutzen  im  Auge 
hat,  so  kann  bezüglich  Lastvas  gefolgert  werden,  dass  beide  Theile,  Volk 
und  Regierung,  auf  ihre  gute  Rechnung  kommen.  Die  von  fachmännischer 
Seite  aufgestellte  Wahrscheinlichkeitsberechnung  ist  folgende:  Das  In- 
vestitionskapital wird  sich  nach  gänzlicher  Fertigstellung  der  Station  auf 
rund  /oooofl.  belaufen.  Für  ausschliessliche  Weinkultur  sind  30  Hektar 
in  Aussicht  genommen,  während  die  übrige  Fläche  theils  durch  Obstgärten, 
theils  durch  verbaute  und  sterile  Flächen  absorbirt  wird.  Wenn  nur  die 
ausschliesslich  dem  Weinbau  zugeführte  Fläche  in  Berechnung  eezoeen 
wird,  so  ergiebt  sich  für  das  Areal  —  bei  dem  Erträgniss  durchschnittlich 
Mittelernte  in  Qualität  und  Quantität  angenommen  —  folgende  Jahres- 
einnahme: 30  Hektar  Weingarten  bei  einer  Durchschnittsernte  von  40  Hekto- 
liter per  Hektar  ergiebt  ein  Quantum  von  1200  Hektoliter  jährlich.  Der 
Durchschnittspreis  für  den  Hektoliter  nur  mit  18  fl.  berechnet,  ergiebt  eine 
Jahreseinnahme  von  21  600  fl.  Werden  die  Betriebsauslagen  mit  jährlich 
ilöoofl.   in   Abzug  gebracht,   so  ergiebt  sich   ein  Reingewinn  von  jährlich 


S63     — 


In    der   Suttorina. 

rund  ioooo  fl.,  was  einer  mehr  als  i4prozentigen  Verzinsung  des  Anlage- 
kapitals entspricht. 

Lastva  ist  gegenwärtig  bereits  der  Sitz  einer  Bezirksexpositur,  hat  eine 
besonders  von  Mohammedanern  stark  besuchte  Elementarschule,  einen 
Gendarmerieposten,  eine  Zoll-  und  Finanzwachabtheilung  und  eine  kleine 
militärische  Kordonbesatzung.  Es  ist  ein  reizender,  zwischen  duftende  Gärten 
eingebauter  Ort,  dessen  mildes  gleichmässiges  Klima  ihn  zum  Sommer- 
aufenthalte für  die  Bewohner  des  hcissen  Trebinje  geeignet  macht.  In 
der  Nähe  sind  auch  in  neuester  Zeit  Steinkohlenlager  aufgefunden  worden. 

1  ).i  icli  gerade  von  den  wirtschaftlichen  Maassnahmen  der  Landes- 
regierung spreche,  möchte  ich  gleich  erwähnen,  dass  in  der  Suttorina,  jener 


—    364 


Enklave,  die  sich  zwischen 
die  dalmatinischen  Kreise  Ra- 
gusa und  Cattaro  bis  ans 
Meer  einschiebt  und  die  ein 
geradezu  nordafrikanisches 
Klima  besitzt,  grosse  Ent- 
wässerungsanlagen vorbe- 
reitetwerden,  um  jenen  Theil, 
der  direkt  ans  Meer  und  an 
Igalo  bei  Castelnuovo  grenzt, 
mit  Orangen  und  Citronen  zu 
bepflanzen.  Es  ist  dies  eine 
vorzügliche  Idee.  Bei  Castel- 
nuovo selbst  gedeihen  alle 
Früchte  und  Gewächse  des 
Südens;  Aloen  und  die  mexi- 
kanische Agave  wuchern  an 
allen  Wegen  und  auf  allen 
Mauern,  vereinzelte  Palmen 
stehen  in  den  Gärten,  Myr- 
then,  Lorbeer,  Granaten, 
Feigen  bilden  Dickichte  und 
der  Kapernstrauch  überzieht 
die  alten  Festungsmauern  mit 
seinenRanken.  DieSuttorina- 
Ebene  enthält  nur  wenige 
Häuser;  einst  stand  hier  eine 
mächtige  türkische  Kaserne 
mit  einer  Moschee,  die  aber 
im  Juli  1875  von  den  Insur- 
gentenverbrannt und  zerstört 

wurde.  Seitdem  liegt  sie  in  Ruinen  und  die  weiten  Flächen  um  sie  tragen 
keine  Frucht.  Es  giebt  aber  auch  in  der  Suttorina  noch  andere  geschützte 
Höhenlagen,  die  jeder  Kultur  fähig  sind,  und  es  ist  ein  glücklicher  Ge- 
danke der  Landesregierung,  dass  sie  keinen  Winkel  ihrer  weiten  Gebiete 
aus  dem  Auge  verliert,  dass  sie  für  jeden  die  passende  wirthschaftliche 
Entwicklung  findet.  Das  ist  die  echte  und  zielbewusste  Kolonisationsarbeit! 
Eine  gebahnte  Strasse  führt  von  Trebinje  durch  die  Zubci  nach  der 
Krivoscie.  Sie  berührt  altes  Insurrektionsgebiet  und  endet  als  Fahrstrasse 
in  Grab.  Dann  führt  ein  Weg  zum  Orjen,  wo  1888  Kronprinz  Rudolf 
seinen  Blick  hinüber  schweifen  licss  nach  Montenegro,  nach  der  Krivo 
nach  dem   Meere Vorüber!   .... 


Denkmal   auf    der    Orjenska   Lokva 
zur    Erinnerung    an    den    Besuch    des 
Kronprinzen    Rudolf. 


365      - 


In  nordwestlicher  Richtung  führen  von  Trebinje  aus  Reitwege "  ins 
sogenannte  Popovopolje,  ins  »Pfaffenfeld«.  Eine  Fahrstrasse  besteht 
bisher  nicht,  auch  dürfte  die  Anlage  einer  solchen  durch  das  eigentliche 
Polje  bei  der  Beschaffenheit  desselben  kaum  räthlich  erscheinen.  Es  ist 
eine  der  Tiefebenen  der  südöstlichen  Hercegovina,  verwandt  und  benachbart 
der  Xarenta-Tiefebene  von  Gabella.  Doch  gilt  es  —  wie  der  orthodoxe 
Pfarrer  Christophor  Mihajlovic  in  Mostar,  der  früher  lange  Jahre  Kloster- 
vorsteher in  Zavala  im  Popovopolje  war,  in  dem  »Glasnik  zem.  muzeja« 
behauptet  —  trotz  seiner  Sümpfe  und  periodischen  Ueberschwemmungen 
für   einen    der   gesundesten  Theile    der   ganzen  Hercegovina,    während  die 


.'§3 


Gendarmerieposten   Konjsko    am  \Yeg:e    vom    Lastvathal 
nach    Grab    in    der   Zubci. 


Ebene  von  Gabella  für  den  ungesundesten  Landstrich  gehalten  wird.  Im 
Vergleich  zu  den  Hochebenen  mit  ihren  starken  Frösten  und  Schneefällen 
erfreut  sich  das  Popovopolje  gleich  den  Küstengebieten  eines  herrlich 
milden  Winters  und  einer  durch  erfrischende  Meereslüfte  gemässigten 
Sommerwärme.  Ueberdies  ist  das  Polje  äusserst  fruchtbar  und  trägt  die 
verschiedenartigsten  Ernten.  Es  giebt  Weingärten  in  Fülle,  Oliven,  Aepfel, 
Pflaumen,  Feigen,  Kirschen,  Quitten;  alle  Arten  Getreide  und  besonders 
der  Tabak  gedeihen  vorzüglich.  Das  Gebiet  hat  die  Form  eines  langen 
gekrümmten  Armes;  auf  beiden  Seiten  umkränzen  es  hohe  steile  und 
nackte  Karstfelsen.  Es  ist  wohl  die  waldärmste  Gegend  der  ganzen 
Hercegovina.  Am  Fusse  dieser  kahlen  Felsen  reihen  sich  über  20  Dörfer 
mit  beiläufig  5000  Seelen,  mit  netten  Häusern  und  fast  jedes  mit  einer 
eigenen  Kirche.  Das  Polje  erstreckt  sich  von  Tulja,  dem  höchst-,  bis 
Utova,   dem   tielstgelegenen  Dorfe,   in  einer  Länge  von   30  Kilometern  und 


366 


es  erreicht  eine  Breite  von  l/s  bis  über  3  Kilometer.  Diese  ganze  Fläche 
ist  jedes  Jahr  regelmässig  vom  Herbste  bis  zum  Ende  des  Frühlings  über- 
schwemmt und  bietet  dann  das  Bild  eines  Sees.  Die  Wassertiefe  beträgt 
im  oberen  Theile  über  15,  im  unteren  sogar  bis  über  40  Meter.  I 
Wasserfläche  wird  von  keinem  Hügel,  keinem  Walde,  nicht  einmal  von 
einem  Baumstamme  unterbrochen,  und  wenn  dann  Sturmwinde  über  das 
Blato«  (den  Sumpf)  dahinbrausen,  und  hohe  Wellen  an  dem  kahlen 
Felsengelände  branden,  wenn  dann  ein  schwaches  kunstloses  Boot  mit 
seinen  Insassen  von  dem  empörten  Elemente  hin-  und  hergeworfen  wird 
und  mit  den  wilden  Wogen  kämpft,  bis  es  nach  harter  Mühe  seinen  Hafen 
erreicht,  dann  bietet  sich  ein  Schauspiel,  wie  es  der  Betrachter  der  Land- 
karte wohl  auf  der  nahen  Adria,  nicht  aber  in  diesem  Theile  des  Fest- 
landes suchen  dürfte. 

Und  doch  fliesst  dieser  ungeheuere  Wasserschwal]  fast  jedes  Jahr 
rechtzeitig  wieder  ab  und  die  Ebene  wird  trocken  gelegt.  Die  ganze  ge- 
waltige Wassermasse  wird  von  einigen  Schlünden  (Ponori),  welche  sich  im 
unteren  Theile  des  Popovopolje  befinden,  verschlungen  und  durch  diese 
theils  dem  Adriatischen  Meere,  theils  den  Sümpfen  bei  Gabella  zugeführt. 
Den  Sommer  über  bleibt  die  Ebene  gänzlich  wasserlos,  denn  die  Trebinjcica, 
das  Flussgerinne  des  Popovopolje,  erscheint  in  dieser  Jahreszeit  vollkommen 
trocken.  Wenn  diese  Ueberschwemmung,  sei  es,  dass  sie  im  Herbste  zu 
früh  eintritt  und  die  Ernte  vernichtet,  sei  es,  dass  wegen  zu  späten  Ab- 
fliessens  des  Wassers  im  Frühjahr  die  Felder  nicht  rechtzeitig  bestellt 
werden  können,  auch  noch  so  grossen  Schaden  anrichtet,  so  ist  sie 
andererseits  doch  von  unendlichem  Segen.  Der  befruchtende  Schlamm, 
den   sie  über  die  ganze  Ebene   ablagert,   macht    das   Düngen    entbehrlich, 

und  thatsächlich  wird  im  ge- 
sammten  Popovopolje  mit  Aus- 
nahme der  höher  gelegenen 
Berglehnen  niemals  gedüngt. 
Dennoch  erfreut  es  sich  einer 
üppigen  Fruchtbarkeit. 

Trotz  des  grossen  winter- 
lichen Wasserreichthums  des 
Polje  hat  es  dennoch  nur  sehr 
wenige  Fische  und  diese  nur 
von  einer  Gattung,  genannt 
»Gaovice«  (Leucus  adspersus 
Heckel).  Diese  Fische  sind 
kaum  von  der  Grösse  einer 
Sardelle,  aber  sehr  fett  und 
wohlschmeckend.    Sie  werden 


Defensivkaserne  in  Grab    Zubci). 


-     367 


mit  aus  der  besten  Hausseide  gefertigten  Netzen  gefischt.  Sowohl  das 
Spinnen  der  hierzu  nöthigen  äusserst  zarten  Seidenfäden,  als  auch  das 
Flechten  der  Netze,  wird  ausschliesslich  durch  das  Hausgesinde  besorgt. 
Der  Fisch  gelangt  nicht  mit  dem  Wasser  der  Trebinjcica  ins  Popovopolje, 
sondern  sein  Aufenthalt  ist  das  Polje  selbst,  wo  er  sich  mit  dem  sinkenden 
Wasser  in  die  Schlünde  zurückzieht,  um  dort  zu  übersommern  und  erst 
im  Herbst  wieder  hervorzukommen.  Diese  Lebensweise  des  Fisches  wissen 
die  Einheimischen  vorzüglich  auszunützen  und  sie  stellen  ihm  nächst  den 
Schlünden  mit  bestem  Erfolge  nach. 

Das  Popovopoljc  ist  an  Alterthürnern  ungemein  reich.  Bei  jedem 
Dorfe  ohne  Ausnahme  findet  man  alterthümliche  Gräber,  die  im  Volks- 
munde »griechische  Gräber«  (greke  groblje)  genannt  und  häufig  als 
Bogomilengräber  bezeichnet  werden.  Iguman  Mihajlovic  meint  aber,  dass 
diese  Bezeichnung  hier  nicht  zutreffe,  da  auf  den  meisten  der  Grabsteine 
sich  an  irgend  einer  Stelle  das  Kreuzeszeichen  befinde,  während  die 
Bogomilen  sowohl  das  Kreuz  wie  Kirchen  für  gänzlich  überflüssig  erklärten. 
Ausser  diesen  Grabsteinen  ist  eine  grosse  Anzahl  alter  Tumuli  zu  erwähnen, 
dann  die  Burgruinen  Mljecica  oberhalb  des  Dorfes  Police,  die  Kula  am 
Berge  bei  Zavala,  die  Burgruine  am  Ostrog  oberhalb  Zavala  und  die  merk- 
würdige Höhle  bei  diesem  Dorfe. 

Ueber  die  » Vjetrenica-Höhle «  ist  noch  wenig  bekannt.*)  Sie  ist 
aber  eines  Besuches  auch  aus  weiterer  Ferne  werth,  wie  überhaupt  die 
Hercegovina  sehr  viel  des  Merkwürdigen  und  des  Erforschenswerthen  bietet. 
Ich  folge  nachstehend  den  Mittheilungen  des  gewesenen  Klostervorstehers 
Mihajlovic  von  Zavala: 

Die  Vjetrenica  befindet  sich  gegenüber  dem  Kloster  Zavala,  vier  Stunden  von  Ljubinje, 
drei  von  Slano  in  Dalmatien,  mit  welchen  Orten  sie  durch  gute  Reitwege  in  Verbindung  steht. 
Der  Eingang  der  Vjetrenica  sieht  gerade  nach  Norden  und  liegt  in  einer  Höhe  von  etwa 
40  Metern  über  dem  Popovopolje,  sodass  die  Gewässer,  welche  das  letztere  zur  Winterszeit 
erfüllen,  den  Eingang  nie  erreichen  können.  Der  Berg,  in  'dessen  Innerm  sich  die  Grotte 
befindet,  führt  den  Namen  Gradac.  doch  ist  derselbe  nur  ein  Ausläufer  der  Berge  Klissura  und 
Brekovac,  welche  zu  den  höchsten  gehören,  die  das  Popovopolje  umgeben.  Vor  der  Vjetrenica 
liegen  die  Ruinen  eines  Hauses,  welches  nach  der  mündlichen  Ueberlieferung  einem  Vojvoden 
and  Popen  Namens  Stefan  gehörte.  Mehrere  dazu  gehörige  Mauern  stehen  auch  oberhalb 
des  Hinganges,  sodass  sich  der  letztere  innerhalb  der  Hausruinen  befindet.  Am  Eingange  der 
Vjetrenica  bläst  aus  dem  Innern  ein  sehr  starker  kalter  Wind,  dessen  Stärke  mit  der  Steigerung 
der  Temperatur  vor  der  Höhle  wächst.  Da  dieser  Wärmeunterschied  im  Winter  beinahe  ver- 
schwindet, hört  in  dieser  Jahreszeit  auch  die  erwähnte  Luftströmung  ganz  auf  oder  schlägt  in 
das  Gegentheil  um,  d.  h.  die  Luft  strömt  an  kalten  Tagen  von  Aussen  nach  Innen.  Vor  dem 
Eingange  sind   in   den  Felsen   einige  menschliche  Figuren  zu  Pferde  und  zu  lüiss  eingemeiss   Lt 


Die     Mittheilungen  der  Sektion  für  Höhlenkunde  .   VII.  Jahrgang  'Wien.  iSSS~    \<>.  2 
enthalten    einen  om    < 'ivilingciiieur   Josef   Riedel    unter    dem  Titel:    »Eine  Ventarole   in 

der   Hercegovina.        Riedel    polemisirt    darin    gegen    einen  im   III.  Jahrgang  desselben  Organs 
erschienenen  Aufsatz   des  Civilgeometers  Hugo  Jedlieka.   worin   am  Schlüsse  auch  der  Vjetrenica 

Erwähnung   gethan   wird.      Line   eingehende   Untersuchung  ist  bisher  nicht   erfolgt. 


—      36S 


Sil     baben    Schwerter   umgegürtet   and    tragen    Helme    oder    Kaipaks    auf    dem    !  \m 

Beginn    dieser    Figurenreihe    befindet   sich   ein    Kr  lss   die    Entstehung    derselben    der 

christlichen  Zeit  zugeschrieben  werden   darf. 

Ihn    man    sich    ilureh    den    kaum    I   Meter   hohen,    ebenso    breiten    und    an.}   Meter  1 
Eingang  hindurch  gezwängt,   so  kann  man  sich  aufrichten  und  die  Laterne  anzünden,   was  früher 
nicht  möglich  ist,  weil  der  starke  Luftzug  jede  Flamme  verlos«  ht.    Im  Innern  i  .,  ■.  bai  a 

Stellen  schwacher   Luftzug.      Beim  Vordringen  gelangen  wir   durch  einen   7  Meter  breiten  und 
2  Meter  hohen  Gang  I  a       I  bor  ,  einem  natürlichen,  prachtvollen  Felsenthor  von  3  Meter 

Höhe  und   2  Met.r  Breite.     Bis  hierher     35  Meter    besitzt  die  Grotte  eine 'südostliche  Richtung. 
Hinter    dem    Thor   sind    ZU    beiden  Seiten  Nischen.      In    dem    neuen  Gange,    der    2—3  Meter    hoch 
ist.   steigen  wir,   etwa   50  Meter  vom  Eingange  entlernt.    1  Meter  empor,   treten  abermals  durch 
ein   grosses  Thor  und   belinden  uns  nun  in  einem  weiten  Räume,   der  sogenannten     Raskrsnica 
Wegekreuzung),     liier  stösst  man  auf  Spuren,  dass  einst   Menschen   da  gehaust   haben.     Man 
findet   Bruchstücke    irdener  Gefässe,    Feuerstellen,    Thierknochen  etc.     Links    von    hier.    gegen 
I  »sten,    erstreckt    sich    die   Fortsetzung    der  Vjetrenica,    während    nach    rechts   in   südwestlicher 
Richtuiii,'-    eine    andere.    50  Meter    lange    Abtheilung    abzweigt,    in    der    sich    die      Mühlstein 
Zrvni),   die  Trommel    Tlubanf    und   die     Mühle      Mlin     befinden.     Wendet   man   sich  von  der 
breiten   Raskrsnica  gegen   die  letztgenannte  Abzweigung,    so   hört  man   nach   etwa   15  Schritten 
ein  Geräusch,   das  demjenigen   gleicht,   welches  durch   sich   drehende   Mühlsteine  erzeugt  wird. 
An   der  linken  Seite   der  Abzweigung  befindet  sich  nämlich  ein  kleiner  Felsspalt,    durch  welchen 
die    Luft    nach   Aussen    entweicht.      Durch    diese   Strömung   wird    jenes   Geräusch    erzeugt,    das 
dem  Orte  seinen  Namen  verschafft  hat.     Gehen   wir  weiter,   so   hören  wir  nach  etwa  30  Metern 
die   Töne    der  Trommel.      Die   Bevölkerung    erzählt,    dass    bei    der   Trommel    die    in    der   Höhle 
wohnenden    Vilen     Feen"    ihre  Kolotänze    aufführen.      Ueberdies    glaubt    sie.    wenn  sie  einmal 
die  Trommeltöne   im  Sommer  nicht   hört,    dass   im   nächsten  Jahre   grosses  Blutvergiessen  bevor- 
stehe.     Schreiten   wir  weiter  vor.    so   gelangen   wir  zur  Trommel   selbst,    die  sich   am   Ende   der 
Abtheilung    befindet.     Hochgewachsene  Personen    müssen    an    dieser  Stelle  den   Kopf  beugen, 
jedoch    nicht    vor    der  Trommel,    sondern   vor  dem   herabhängenden    Gestein.      Jeder  hört  nun 
zu,    wie    schön    der  Trommler   das  Fell   bearbeitet.     Die   Trommel  sammt   den   dazu   gehörigen 
Geräthen    befindet    sich    über    uns    in    einer    unvollkommen  runden   Höhlung,    welche   so   gross 
ist,    dass   ein   Mann,   wenn   er  sich   etwas  erhebt.    Kopf    und   Schulter    hineinstecken   kann.      Die 
Neugierde  reizt  Jeden.  Trommel   und  Trommler   in  Augenschein  zu  nehmen,    doch  ist  dies  leider 
unmöglich.     Einerseits   sieht  man  in   der  Höhlung  nichts,    und   andererseits   gestattet   der  Lärm 
der  Trommel  nicht,  lauge  den  Kopf  darin  zu  halten.     Man  bemerkt  nur  einige  kleine  (Jeffnungen. 
durch    welche    die   Töne    zu    uns    gelangen.      Das    ist   die   ungewöhnlichste   Erscheinung   in   der 
Vjetrenica.   denn   wir  vernehmen  hier  nicht  ein  gleichmässiges  Geräusch  wie  bei  den  Mühlsteinen 
oder  der  Mühle,    sondern  wirkliche   Trommelschläge,    deren   Anzahl   in   einer  Minute   sich   wohl 
auf   200  beläuft.     Während  die  Zeiträume  zwischen  den  Schlägen  immer  gleich  bleiben,  wechselt 
zuweilen   die    Kraft  derselben.     Ob   nun   der  Wind   allein   diese  Töne   hervorbringt   oder  ob   sie 
dadurch   entstehen,    dass   er  einen   anderen  Körper  bewegt,   ist  unbekannt.     Rechts  von  hier,    am 
Xordende  dieser  Abtheilung,   befindet  sich  die   Mühle .:,   wo  sich  dieselben  Winderscheinungen 
wiederholen   wie   bei   den      Mühlsteinen«. 

Nun  kehren  wir  zur  Raskrsnica  zurück  und  dringen  in  dem  Hauptarme  der  Höhle  vor. 
Dieser  zieht  sich  südöstlich  in  den  Berg  hinein.  Sobald  man  die  Raskrsnica  der  Breite  nach 
durchschritten  hat,  ersteigt  man  eine  meterhohe  Stufe  und  es  beginnt  ein  enger  Gang  von 
I  Meter  Hohe  und  5  Meter  Länge,  in  dem  ein  beständiger  Luftzug  herrscht.  Haben  wir  uns  durch 
diesen  Gang  hindurchgezwängt,  so  -dangen  wir  auf  eine  sandige  Fläche  und  nach  einigen 
Schritten  über  diese  zum  ersten  See.  I  >ie  Entfernung  vom  Haupteingange  bis  hierher  beträgt 
100  Meter.  Der  See  ist  klein  und  trocknet  schon  im  Juni  aus.  was  das  weitere  Vordringen  be- 
deutend  erleichtert,    weil   man    zu   anderer  Zeit  gezwungen  ist.    durch  eine  kleine  Oeffnung  neben 


569 


dem  See  durchzuschlüpfen.  Ebenso  verhält  es  sich  in  anderen  Theilen  der  Vjetrenica, 
weshalb  ihre  Besichtigung  im  Sommer  bedeutend  leichter  ist,  als  in  einer  anderen  Jahreszeit. 
[st  man  über  den  ersten  See  hinaus,  so  gelangt  man  zu  einem  der  schöneren  Punkte  der 
Grotte.  Hier  stehen  Tropfsteinsäulen,  die  mit  dem  Boden  und  der  Decke  verwachsen  sind  und 
andere,  die  von  der  1  »ecke  herabhängen.  Weiter  bemerkt  man  tief  ausgehöhlte  Steine,  deren 
Höhlungen  mit  Wasser  gefüllt  sind.  An  dieser  Stelle  pflegen  Besucher  eine  Zeit  lang  aus- 
zuruhen, wobei  sie  sich  mit  frischem  Wasser  laben,  ihre  Namen  in  die  Säulen  einritzen, 
Cigarretten  anzünden  u.  s.  w.  Doch  werden  hier  auch  oft  »die  Pässe  für  die  Weiterreise  an- 
gefertigt«, wenn  sich  die  Besucher  hinlänglich  mit  jenem  Stoffe  versehen  haben,  der  nach 
König  Davids  Worten  des  .Menschen  Herz  erfreut.  Auch  für  Liederklang  ist  der  <  >n  sehr 
geeignet,  obwohl  dies  auch   für  andere  Stellen  der  Vjetrenica  gilt. 

Weiter  wandernd  gelangen  wir  abermals  über  eine  sandige,  etwa  40  Meter  lange  Fläche 
scheinbar  an  das  Ende  der  Höhle.  Wenden  wir  uns  etwas  links,  so  stehen  wir  vor  einer 
Thür,  bei  deren  Durchschreiten  wir  uns  etwas  bücken  müssen.  Vorüber  an  einer  5 — 6  Meter 
langen  Geröllmasse  gelangen  wir  zu  jenem  Theil  der  Höhle,  der  mit  den  Namen  »Cejreci« 
bezeichnet  wird.  Hier  ist  die  Grotte  ziemlich  hoch  und  an  der  Decke  sieht  man  verschiedene 
klumpenförmige  Tropfsteinbüdungen,  welche  Fleischstücken  ähneln,  die  zum  Räuchern  auf- 
gehängt sind.  Von  diesen  Gebilden  hat  der  Platz  seinen  Namen  ^Cejrek  =  der  vierte  Theil 
eines  Schafes).  Etwa  30  Meter  weiter  gegen  Süden  zeigt  sich  zwischen  nackten  Felsen  eine  grosse 
Grube,  in  welche  wir  10  Meter  tief  hinabsteigen  müssen.  Dieser  Ort  heisst  »Pjati«  (die  Schüsseln). 
Die  Entfernung  vom  Haupteingange  bis  hierher  beträgt  genau  200  Meter.  Inmitten  des  Platzes 
erhebt  sich  ein  3  Meterhoher  Stein,  der  von  einer  Seite  leicht  zu  erklettern  ist  und  einem  Predigt- 
stuhle  gleicht.  Oft  haben  hier  Touristen  erleben  können,  dass  einer  ihrer  Mitgefährten  diese 
Kanzel  besteigt  und  mit  einem  Weinglase  in  der  Hand  ein  »Gebet«  für  die  glückliche  Weiter- 
reise spricht.  »Pjati  wird  der  Ort  wegen  vieler  tellerförmiger  Aushöhlungen  im  Boden  ge- 
nannt, die  auf  natürlichem  Wege  durch  das  Wasser  entstanden  sind.  Von  hier  an  hebt  sich 
die  Grotte  —  soweit  sie  bis  jetzt  bekannt  ist  —  allmählich,  was  sieh  schon  daraus  folgern 
las  an  diesem  Punkte  zur  Winterzeit  alle  Gewässer  der  Vietrenica  zusammenströmen,  um 
in  einem  am  Ostrande  der  Pjati  befindlichen  Schlünde  zu  verschwinden  und  am  Ende  der  Ebene, 
unterhalb  der  Vjetrenica,  als  Lukavica  wieder  hervorzubrechen.  Die  Lukavica  ist  ein  fliessendes 
Gewässer,  das  auch  im  Sommer  nicht  versiegt.  In  der  Mitte  der  Pjati  befindet  sich  noch  ein 
Hügelchen  von  2  —  3  Meter  Höhe,  an  welches  sich  der  erwähnte  Predigtstuhl  anlehnt,  während  sich 
links    davon  ein  etwa  100  Meter  langer  See   ausbreitet,  vielleicht   der  grösste  in   der  Vjetrenica. 

Von  den  Pjati  biegt  der  Weg  nach  Südwest  gegen  das  Innere  der  Höhle  und  geht  so- 
dann bei  geräumiger  Breite  und  grosser  Höhe  über  Felsen  am  rechten  Ufer  des  Sees  entlang, 
bis  wir  nach  dem  Verlassen  desselben  an  seiner  linken  Seite  auf  einen  beiläufig  30  Meter  langen 
abgetheilten  Raum  stossen,  welcher  ganz  mit  Stalaktiten  und  Stalagmiten  angefüllt  ist.  Schreiten 
wir  in  der  Längsrichtung  der  Haupthöhle  100  Meter  weiter,  so  finden  wir  den  Boden  unter  unseren 
D  meist  erdig,  während  die  nächsten  100  Meter  Weges  mit  Gerolle  bedeckt  sind,  welches 
zur  Winterzeit  vom  Wasser  hereingeschwemmt  wird.  Nun  sind  wir  500  Meter  vom  Haupteingang 
entfernt.  Hier  giebt  es  schone  kleine  Säulen,  die  gleichsam  aus  der  Erde  herauswachsen  und 
mohammedanischen  Grabsteinen  ähnlich  sind.  Hinter  den  Säulen  streicht  ein  mit  der  Haupt- 
hohle parallel  laufender  Raum,  welcher  sich  nach  einer  Längenausdehnung  von  100  Meter  wieder 
mit  der  ersteren  vereinigt.  Durchschreiten  lässt  sich  der  Nebenraum  nicht  vollkommen,  denn 
am  Ende  desselben  befindet  sich  eine  grosse  Vertiefung,  auf  deren  Grunde  man  Wasser  be- 
merkt. Setzen  wir  den  Weg  von  den  kleinen  Säulen,  d.  i.  von  der  Entfernung  von  500  Meter, 
fort,  so  gelangen  wir  über  theils  sandigen,  theils  nackten  Grund  bis  zu  600  Meter  vom  Haupt- 
eingange. Bevor  wir  diesen  Punkt  erreichen,  müssen  wir  eine  Grube  5  Meter  tief  hinabsteigen 
und  gleich    darauf  wieder  7  Meter  emporklimmen,      I  de  Höhe  der  Grotte  beträgt  hier  10  Meter. 

ist   die   Wanderung  durch   den   bisher  genau   erforschten     Theil    der  Vjetrenica    beendigt. 


Eines  Besuches  werth  ist  in  Zavala  auch  mich  das  griechische  Kloster, 
das  am  Ostrog,  am  linken  Ufer  der  Trebinjcica  liegt.  Wegen  seiner  70  Meter 
hohen  Lage  über  dem  Flussthal  bietet  es  zur  Sommerszeit  eine  sehr 
schöne  Aussicht  über  dasselbe,  während  es  im  Winter,  wo  die  heran- 
stürmenden Wellen  des  »Popovsko  blato  die  Felsen  unterhalb  des  Klosters 
peitschen,  mehr  einem  Küstenorte  gleicht.  Das  Kloster  selbst  ist  an  eine 
Felswand  angebaut,  die  dazu  gehörige  Kirche  befindet  sich  aber  unterhalb 
dieses  Felsens  fast  zur  Gänze  in  einer  Höhle,  wie  manche  andere  griechisch- 
orthodoxe der  Balkanhalbinsel.  Es  ist  ein  wilder  und  grotesker  Bau,  zur 
Vertheidigung  eingerichtet.  Das  Klostersiegel  trägt  die  Jahreszahl  [271. 
Die  Kirche  enthalt  noch  einige  ganz  annehmbare  Heiligenbilder,  die  Kloster- 
bibliothek alte  gedruckte  und  geschriebene  Kirchenbücher,  Fermane,  Fetwas 
und  Besitzurkunden  aus  dem  16.  und  [ 7.  Jahrhundert,  sämmtlich  in  türki 
oder  bosnischer  Sprache.  Eine  alte  Kirchenruine  und  die  Ruinen  der  alten 
Burg  Klissura  vervollständigen  das  interessante  Landschaftsbild. 

Die  Bevölkerung  des  Popovopolje  ist  fast  ausschliesslich  christlich, 
zum  grossen  Theil  katholisch  und  sie  gilt  bei  den  Hercegovcen  wohl  als 
arbeitssam  und  geschickt,  aber  nicht  als  besonders  tapfer.  Das  hinderte 
aber  nicht,  dass  in  den  letzten  Aufständen  unter  Luka  Vukalovic  und 
1S75  auch  Popovianer  ihren  Mann  -teilten.  Die  von  Kiek  kommenden 
türkischen  Truppen  verhinderten  sie  im  letztgenannten  Jahre  allerdings 
nicht  am  Marsche  nach  Trebinje,  wie  von  ihnen  erwartet  wurde,  und 
so  konnte  das  Hauptquartier  der  Insurgenten,  das  Kloster  Duzi,  über- 
rumpelt, die  Aufständischen  zersprengt  werden.  Dafür  stammt  aus  dem 
Popovopolje  der  katholische  Geistliche  Fra  Ivan  Musiö,  der  mit  Frei- 
willigen 1878  mannhaft  an  der  Seite  der  kaiserlichen  Truppen  focht,  der 
sich  bei  Stolac  auszeichnete  und  sich  die  Kriegsmedaille  wie  den  Franz 
Josephsorden  erwarb.  Die  Bewohner  des  Popovopolje  sind  vorzügliche 
Hauhandwerker,  sowohl  zum  Haus-  wie  zum  Wasserbau,  und  als  solche 
ziehen  sie  nicht  allein  in  Bosnien-Hercegovina  herum,  sie  gehen  auch  in 
die  weite  Welt,  nach  Aegypten,  nach  Amerika  und  verdienen  dort  Geld. 
Meist  kommen  sie  zu  Wohlstand  und  sie  lassen  auch  die  Landsleute  in 
der  Heimath  davon  mitgeniessen.  Der  Wandertrieb  dürfte  wohl  durch 
die  Nähe  des  Meeres,  durch  das  Beispiel  der  dalmatinischen  Küsten- 
bevölkerung in  ihre  Brust  gelegt  sein. 


^//I^ 


24* 


1^1 


Ueber  Dalmatien  ins  Narentathal. 


ypressen  grüssten  mich.  In  Trebinje,  wo  ich  dem  Meere 
so  nahe,  packte  mich  ein  förmliches  Heimweh  nach 
den  grünen  Fluthen  der  Adria,  nach  Ragusa,  dessen 
Geschichte  mit  derjenigen  Bosniens  und  der  Herce- 
govina  so  innig  verwoben  ist  und  in  dessen  Mauern 
ich  im  Verlaufe  mehrerer  Jahrzehnte  oft  und  längere  Zeit  verweilte.  Aber 
nicht  den  kürzesten  Weg  wollte  ich  dann  von  Ragusa  nach  der  Narenta- 
Mündung  einschlagen,  um  wieder  auf  hercegovinisches  Gebiet  zu  gelangen,  den 
Seeweg  auf  dem  Dampfer,  sondern  ich  beschloss,  auch  von  Ragusa  auf  dem 
Landwege  längs  des  Meeres  meine  Strasse  zu  ziehen,  um  die  selten  besuchte 
Enklave  Kiek  zu  durchkreuzen.  Meinen  Wagen  hatte  ich  schon  von  Mostar 
aus  längs  der  ganzen  montenegrinischen  Grenze  benützt,  ich  hatte  ihn  ge- 
miethet,  so  lange  und  wo  ich  ihn  gebrauchen  würde,  mit  der  einzigen  Be- 
dingung, ihn  nach  Mostar  zurückzuführen.  So  gab  ich  denn  unserem 
Kutscher  den  Auftrag,  sich  für  i  Uhr  Mittags  bereit  zu  halten,  um  die  Fahrt 
nach  dem  alten  südslavischen  Athen  anzutreten.  Es  ist  das  nicht  die  ge- 
eignetste Fahrzeit  für  diese  Gegenden,  aber  die  Jahreszeit  war  schon  weit 
vorgerückt  —  es  war  Ende  September  —  die  Sonne  brannte  nicht  gerade 
mehr  mit  versengender  Gluth  und  in  der  Höhe  der  zu  übersteigenden 
Gebirge  konnten   wir  auf  einen   frischen  Luftzug  vom  Meere   rechnen. 


Kopfleiste:    Motiv  aus  dem  hereegovinischen   Karst. 


372     — 


Die  dicht  an  Trebinje  grenzenden  Ortschaften  Mustaci  und  Gomiljani 
sehen  heute  schon  ganz  anders  aus  als  noch  vor  wenigen  Jahren,  wo  sie 
förmlichen  Ruinenstätten  glichen.     Ueberall  sind  die  Häuser  ausgebessert, 

neu  gebaut  oder  getüncht;  die  nach  italienischer  Sitte  mit  Steinmauern 
umzäunten  Gärten  prangten  im  üppigsten  Grün,  aus  dem  sich  das  silber- 
graue Laub  der  Olive  wirkungsvoll  abhob.  Etwas  abseits  vom  Wege 
bemerkten  wir  die  ausgedehnten  Trümmer  des  1693  von  den  Türken 
zerstörten  Klosters  Tvrdoschi,  aus  denen  heute  noch  auf  die  Mächtigkeit 
des  Bauwerks  geschlossen  werden  kann.  Auf  einer  neuen  Brücke,  die 
von  einer  festen  Kula  flankirt  wird,  hatten  wir  die  Trebinjöica  übersetzt. 
Hier  ist  die  Gegend  noch  gut  bewohnt,  überall  stehen  vereinzelte  Häuser 
und  lange  Züge  von  Maulthieren  und  Eseln,  die  von  Ragusa  kommen 
oder  dorthin  zurückkehren,  beleben  das  Landschaftsbild.  Meist  sind  es 
Bäuerinnen  aus  dem  Ragusaner  Bezirke,  die  vom  Markte  in  Trebinje 
kommen  und  die  in  ihren  geschmackvollen  malerischen  Trachten  lachend 
und  laut  schwatzend  ihres  Weges  ziehen.  Ein  hübsches  junges  Mädchen, 
das  nicht  mehr  gut  zu  Fusse  schien,  bat  uns,  sie  im  Wagen  mitzunehmen. 
Das  geschah  mit  Vergnügen,  und  so  hatten  wir  eine  fröhliche  und  er- 
zählende Begleiterin. 

Nicht  lange  währt  die  bebaute  Gegend,  dann  kommen  wir  in  die 
Karstregion.  Das  Grün,  welches  sogar  durch  einen  kleinen  Wald  als 
Anfang  einer  rationellen  Forstkultur  zum  Ausdruck  kam,  verschwindet 
gänzlich  und  die  wildeste  grossartigste  Gebirgswelt  umgiebt  uns.  Nichts 
als  graue,  nackte  Bergriesen  ringsum,  auf  denen  überall  Karaulen  — 
Wachthäuser  —  stehen.     Wir  zählten  deren  an  der  Strasse   18. 

Immer  düsterer  wird  die  Gegend;  die  Strasse  steigt  scharf  an,  um 
den  Grenzwall  zwischen  der  Hercegovina  und  Dalmatien  zu  übersetzen. 
In  der  Tiefe,  in  einzelnen  Dohnen,  liegen  einsame  Gehöfte,  die  sich 
kaum  vom  grauen  Gestein  abheben.  Alles  sieht  verbrannt  und  verödet 
aus,  entschieden  die  trostloseste  Gegend  des  Landes.  Auf  Gluha-Smokva 
ist  eine  Gendarmerie-Kaserne;  einige  Häuser  sind  dazu  gebaut,  der  Beginn 
einer  Ansiedlung.  Hier  werden  die  Pässe  revidirt,  dann  geht  es  weiter. 
Wir  steigen  bis  zur  höchsten  Kuppe.  An  der  Strasse  steht  ein  Finanz- 
wachgebäude, dazu  einige  elende  Schänken.  Ueber  ihnen  aber  erhebt 
sich  Fort  Drieno,  einst  die  wichtigste  Strassensperre  gegen  das  öster- 
reichische Gebiet,  bekannt  durch  den  tollen  Dynamitanschlag  Miroslav 
Hubmayers  während  der  1875  er  Insurrektion.  Jetzt  blinken  dort  die 
bosnischen  Uniformen  herab;  ihre  Träger  sehen  von  der  luftigen  Höhe 
weit  ins  Meer,  ins  blaue  unendliche  Meer,  das  vor  unseren  trunkenen 
Augen  liegt. 

Wohl  haben  wir  noch  lange  zu  fahren,  ehe  wir  auf  den  endlos  ab- 
fallenden   Serpentinen    Ragusa    erreichen,     aber    bald    wird    das    liebliche 


Brennothal  sichtbar,  im  Rücken  abgeschlossen  durch  kahle  Steinwände;  — 
dort  liegt  Ragusa  Vecchia,  von  Flüchtlingen  aus  Epidaurus  gegründet. 
Wir  passiren  Fort  Carina,  dann  das  schon  dalmatinische  Bergatto.  Die 
Vegetation  an  der  Strasse  wird  üppig  und  südlich,  Lorbeer,  Cypressen, 
Feigen  und  Aloen  säumen  den  Weg  ein.  warme  feuchte  Luft  umfächelt 
uns.  Da  liegt  das  einstige  Eiland  des  Kronprinzen  Rudolf,  das  prächtige 
Lacroma  mit  seinen  lauschigen  Hainen  und  prachtvollen  Anlagen,  dominirt 
vom  Fort  Royal,  —  eine  Biegung  des  Weges  und  wir  sehen  rechts  unter 
uns  San  Giacomo,  wo  Palmen  ihre  Kronen  in  die  Lüfte  strecken,  und 
bald  halten  wir  unseren  Einzug  in  die  Perle  der  Adria,  in  das  wunder- 
volle Ragusa,  in  dieses  Stück  Afrika  auf  österreichischem  Boden.  Sei 
gegrüsst,   ewig  schöne,  grüne  Adria! 

Von  jeher  hatte  das  Wort  Ragusa  einen  Zauberklang  in  meinen 
Ohren.  Blumen  und  Blüthenduft  sehe  ich  vor  mir,  hohe  kahle  Berge  und 
am  Fusse  derselben  tropische  Vegetation,  dazu  das  Rauschen  des  Meeres. 
Stets  bin  ich  mit  Wehmuth  im  Herzen  von  diesem  wundervollen  Fleck 
Erde  geschieden  und  wenn  ich  einmal  sterben  soll,  wünsche  ich  mir  nur 
einen  Platz  auf  dem  Ragusaner  Friedhof,  das  Grab  umsäunt  von  Aloen, 
zu  Häupten  die  dunkle  Pinie,  vor  mir  aber  das  dunkelblaue  Meer,  das 
jeden  Erdenschmerz  in  die  Ferne  trägt    .... 

Im  Februar,  wenn  überall  die  Welt  im  Winterschlummer  liegt,  im 
Frühjahr  und  im  Herbst,  selbst  im  Winter  ist  Ragusa  ein  wundervoller 
Aufenthalt.  Aprikosen-,  Mandel-,  Pfirsichbäume  strömen  hier  ihren  Duft 
aus,  goldene  Last  tragen  die  Citronen-  und  Orangenbäume  und  aus  dem 
Blättergrün,  welches  die  Stadt  und  deren  Lnigebung  umkränzt,  leuchtet 
das  Scharlach  der  Granaten,  schimmern  die  silberweissen  Kelche  des 
Jasmin  und  der  Myrthe,  das  zarte  Rosa  des  wilden,  das  Purpurne,  Weisse 
und  Blaue  des  gezüchteten  Oleanders.  Die  blauen  Blüthen  des  Rosmarien- 
strauches  winken  dem  Wanderer,  gigantische  Palmen  nicken  stolz  mit 
ihren  Federkronen,  und  auf  riesig  hohem,  baumartigem  Blüthenstengel 
schwanken  die  glockenartigen  Früchte  riesiger  Aloen.  Ein  balsamischer 
Duft  erfüllt  die  ganze  Gegend,  und  wenn  man  den  Blick  hebt  gegen 
Osten,  da  sieht  man  die  kaum  von  Salbei  spärlich  bekleideten  Felsen- 
hänge, die  Dalmatien  von  der  Hercegovina  scheiden.  Einst  ragten  wohl 
auch  auf  diesen  jetzt  nackten  Abhängen  dunkle  Eichenwälder,  denn  diese 
haben  Ragusa  zu  seinem  slavischen  Namen  verholfen.  »Dubrava«  (der 
Eichenwald)  gab  den  Anlass  zu  der  südslavischen  Benennung  des  Ortes. 
Dubrovnik  heisst  Ragusa  heute  und  so  nannten  es  die  Slaven  früher,  aber 
nur  als  Ragusa  feierte  es  seine  geschichtlichen  Triumphe,  als  Ragusa  war  es 
die  altehrwürdige  Republik  durch  mehr  als  ein  Jahrtausend  und  als  Ragusa 
wurde  es  von  den  Soldaten  des  mächtigen  Korsen  unterjocht  und  der  wort- 
brüchige   Marschall   Marmont    erhielt   dafür   den  Titel:     »Duc   de  Rapuse«. 


$74 


Nizza  und  Mentone,  Monte  Carlo  und  .Monaco  bieten  weniger  an 
landschaftlichen  Reizen,  als  Ragusa  mit  -einem  hereegovinischen  Hinter- 
lande. Wohl  ist  hier  keine  Spielbank,  aber  die  meisten  Leute  aus 
deutschen  Landen  gehen  an  diesen  Theil  der  Riviera,  um  zu  gesunden, 
nicht  um  zu  spielen.  Sie  wissen  gar  nicht,  dass  es  noch  Gefilde  giebt, 
wo  der  Mensch  ausruhen  kann  von  den  Lasten  des  Leb 
kann  von  geistiger  Arbeit,  wo  er  nicht  ausgesaugt  wird  bis  aufs  Blut. 
Aber  Dalmatien  ist  ja  so  wenig  bekannt,  man  reist  lieber  immer  wieder 
nach  Italien,  an  den  Rhein,  in  die  Schweiz,  als  dass  man  einmal  das 
wunderbare  Land  betrachtete,  das  wie  kein  anderes  im  Hunde  mit  Bosnien 
den  Uebergang  zum  Orient  vermittelt.  Und  was  ist  Ragusa  für  ein 
Aufenthalt  im  Winter!  Wahrend  selbst  am  Bosporus  der  Schnee  fusshoch 
liegt,  während  in  unseren  südlichsten,  sogenannten  klimatischen  Kurorten 
die  Leute  zum  Einheizen  genöthigt  sind,  blühen  hier  in  Europas  Afrika 
die  Bäume  in  vollster  Pracht,  von  Schnee  ist  am  Meere  nie  eine  Spur 
und  die  Bora  wüthet  nie  so  schlimm,  als  in  Stambul  der  eisige  Nordsturm, 
der  aus  den  russischen  Steppen  über  das  Schwarze  Meer  daherweht  und 
das  Wasser  in  den  Brunnen  gefrieren  lässt. 

Einen  Theil  der  Schuld  an  der  Vernachlässigung  Süd-Dalmatiens 
tragen  wohl  auch  die  früheren  österreichischen  Regierungen  sammt  der 
Volksvertretung.  Viele  Leute  können  die  Seefahrt  nicht  vertragen,  obwohl 
diese  —  Dank  dem  »Lloyd«  —  wundervoll  ist.  Von  einer  direkten  Eisen- 
bahnverbindung ist  aber  bisher  keine  Rede.  Die  Sackbahn  Spalato-Sebenico- 
Knin-Siveric  ist  Gott  und  der  Welt  nichts  nütze  und  ohne  eine  Bahn 
mindestens  von  Wien  nach  Spalato  können  diese  von  der  Natur  zu 
klimatischen  Kurorten  begnadeten  Orte  nur  schwer  aus  ihrem  bisherigen 
Dunkel  gehoben  werden.  (Erwähnt  mag  werden,  dass  sich  1S95  in  Wien 
eine  Aktiengesellschaft  bildete,  die  ein  neues  grosses  Kurhötel  in  Ragusa 
baute,  das  Anfang  1897  eröffnet  [wurde  und  das  schon  starken  Zuspruch  hat.) 

Wieder  war  es  die  bosnische  Landesregierung,  welche  auch  Dalmatien 
zu  Hilfe  kam,  indem  sie  von  Mostar  aus  die  Eisenbahn  bis  nach  Metkovic 
baute,  so  eine  direkte  Verbindung  von  Europa  über  Brod-Sarajevo-Mostar 
mit  der  südlichen  Adria  herstellend.  Durch  den  in  seinem  grössten  Theil 
vollendeten  Bau  der  Bahn  von  Lasva  (Station  der  Bosnabahn)   über  Travnik, 

V 

Dolnji-Vakuf  und  Bugojno  nach  Zupanjac,  die  bis  ArLano  an  der  dalma- 
tinischen Grenze  führen  und  dort  von  der  cisleithanischen  Regierung  bis 
Spalato  fortgesetzt  werden  soll,  wird  aber  eine  noch  wichtigere  Verbindung 
zum  Meere  hergestellt.  Aber  während  in  Bosnien  rastlos  gedacht  und 
gearbeitet  wird,  vertrödelt  man  in  den  cisleithanischen  Vertretungskörpern 
in  Ausschüssen,  Kommissionen  und  selbst  in  Reichstagssitzungen  die  kost- 
bare Zeit  mit  nichtigen  Gegenständen.  Wo  wäre  Dalmatien  heute  schon, 
wenn   es   mit  unter  bosnischer  Verwaltung  stünde!      Und  Bosnien  ist  noch 


375     — 


nicht  zwei  Jahrzehnte  vom  türkischen  Joche  erlöst,  es  hat  einen  kulturellen 
Stillstand  von  vier  Jahrhunderten  überspringen  müssen! 

Das  sind  die  Betrachtungen,  die  sich  dem  genauen  Beobachter  der 
Verhältnisse  dieser  Länder  aufdrängen,  wenn  er  dalmatinischen  Boden  vom 
Hinterlande  aus  betritt,  und  obwohl  ein  »politisch  Lied  ein  garstig  Lied« 
genannt  wird,  ist  das  Anstimmen  dieser  Melodie  hier  nicht  zu  vermeiden, 
wo  die  Entwicklung  der  Volkskraft,   der  gesammten  Wohlfahrt  des  Landes 

von  der  Politik  abhängt Doch  kehren  wir  nach  dieser  Abschweifung 

zu  unserer  Reise  zurück.  Wir  wollen  nicht  weiter  sprechen  von  Ragusa 
und  seiner  geschichtlichen  Vergangenheit;  das  vorliegende  Werk  ist  dem 
aufstrebenden  Hinterlande  gewidmet  und  diesem  soll  der  Raum  nicht  ge- 
schmälert werden. 


f. 


In    Canosa. 

Nach  einem  angenehmen  Abend  und  einer  guten  Unterkunft  im  »Hotel 
Lacroma«  wurde  am  nächsten  Morgen  die  Fahrt  zu  Lande  fortgesetzt.  Durch 
die  Vorstadt  Pille,  eine  prächtige  Villenstadt,  ging  es  nach  Gravosa,  dem 
eigentlichen  Meerhafen  von  Ragusa.  Ueberall  ruht  der  Blick  auf  dem  Meere, 
auf  wundervollen  Baum-  und  Pflanzengruppen,  auf  der  bewaldeten  Halb- 
insel Lapad  mit  ihren  militärischen  Anlagen,  Meerbädern  und  Palazzi  von 
Ragusaner  Nobili.  Das  grosse  »Hotel  Petka«  in  Gravosa  ist  erst 
in  neuerer  Zeit  gebaut,  das  alte  Gasthaus  Pavlovic  gegenüber  dem 
Landungsplatze  der  Lloyddampfer  scheint  dem  Verkehre  nicht  mehr  genügt 
zu   haben.      Bei  der  Dogana  (dem  Zollamt)  grüssen  wir  die  riesige  Platane, 


;76 


die  den  ganzen  Platz  beschattet,  dann  weiter  hinein  ins  Omblathal.  Dicht 
vor  Gravosa,  an  der  Einfahrt  in  den  Hafen  vom  Meere  aus,  die  vom 
Scoglio  I);ix;i  mit  hohem  Leuchtthurm  (verherrlicht  durch  eine  Sage,  die 
sich  mit  jener  von  1  lero  und  Leander  deckt)  flankirt  wird,  mündet  der 
hereegovinische  Schlundfluss,  einem  mächtigen  Meeresarme  gleich,  in  die 
Adria.  In  majestätischer  Breite  tritt  die  Ombla  —  der  angebliche  Aus- 
fluss  der  Trebinjcica  —  tief  hinten  im  romantischen  Thale  direkt  unter 
den  Felsen  hervor,  sie  treibt  eine  grosse  Mehl-  und  Sägemühle  und  ist  so- 
fort für  grössere  Fahrzeuge  schiffbar. 

Wir  mussten  unweit  von  der  Einmündung  der  Ombla  ins  Meer  in 
der  Nähe  des  Palazzo  Caboga  Halt  machen,  um  mit  der  Fähre  über  den 
Fluss  zu  setzen  und  am  jenseitigen  Ufer,  immer  im  Angesicht  des  Meeres, 
die  Fahrt  fortzusetzen.  Ueber  Malfi,  links  die  Inseln  Calamotta  und  Mezzo, 
darüber  hinaus  Meleda  in  Sicht,  kamen  wir  durch  wundervolle  Gegenden, 
durch  die  üppigsten  Gartenanlagen,  in  denen  malerische  Landhäuser  zerstreut 
lagen,  nach  Canosa  (slavisch  Trsteno),  dem  alten  Besitzthum  der  Conte 
Gozze,  berühmt  durch  seine  tausendjährigen  Platanen,  unter  deren  Aesten 
ganze  Regimenter  im  Schatten  lagern  können.  Dieses  Canosa  ist  vielleicht 
einer  der  interessantesten  Punkte  in  ganz  Dalmatien  und  auch  der  Park 
der  Grafen  Gozze  ist  einer  Besichtigung  zu  empfehlen.  Da  unsere  Pferde 
durch  die  stundenlange  Tour  bergauf  und  bergab  einer  Erholung  dringend 
bedürftig  waren,  schenkten  wir  ihnen  eine  längere  Rast,  uns  selbst 
Erquickung.  Die  zwei  Gasthäuser  sind  nur  primitiv,  aber  für  Bier,  Wein, 
vorzüglichen  Schinken  und  Käse  ist  gesorgt.  Dann  hielten  wir  Siesta  — 
soweit  es  bei  der  Neugier  der  Bevölkerung  möglich  war  —  im  Schatten 
der  Platanen.  Nur  noch  eine  kurze  Strecke  hatten  wir  gut  befahrene 
Strasse,  dann  wurde  der  Weg  fürchterlich.  Die  Strasse  ist  eine  vorzüglich 
gebaute  Chaussee,  einst  im  Anfang  des  Jahrhunderts  von  Marschall  Marmont 
angelegt  und  stets  in  gutem  Zustande  erhalten.  Da  sich  aber  der  gesammte 
Verkehr  zur  See  vollzieht,  ist  die  Strasse  fast  gar  nicht  befahren.  Sie  ist 
wie  frisch  beschottert  und  nur  eine  feine  braune  Linie  zieht  sich  ausgetreten 
durch  die  fürchterlichen  Steine,  wo  Fussgänger  oder  ein  Tragthier  ihres 
Weges  gewandert  sind.  Dabei  führt  der  Weg  in  endlosen  Serpentinen  um 
jede  Meeresbucht,  er  steigt  hoch  aufs  Plateau  und  fällt  sofort  tief  hinunter, 
um  nach  wenigen  Minuten  dasselbe  Vergnügen  von  vorne  zu  bieten.  Unter 
den  glühenden  Strahlen  der  Sonne,  ohne  eine  Spur  von  Schatten,  schleppten 
sich  unsere  Pferde  dahin.  So  lange  das  Meer  in  Sicht  blieb,  war  die  Tour 
für  die  Menschen  erträglich,  dann  aber  kam  das  öde  Karstgebiet,  die  Stein 
wüste,  wie  sie  in  der  Hercegovina  in  dieser  Trostlosigkeit  nirgends  zu 
finden  ist.  So  weit  das  Auge  reicht,  nichts  als  grauer  Stein,  ein  Meer 
von  Steinen,  dazwischen  spärliche  Wachholderbüsche  und  Salbei,  ewig 
Salbei.      Kein  Ton  unterbricht  die  Stille,   keine  Heerden,  keine  Menschen! 


577 


So  geht  es  stundenlang  fort,  der  Wagen  wegen  des  Schotters  im  Schritt 
fahrend  und  dazu  nirgends  ein  Tropfen  Wasser!  Wohl  erreichten  wir  in- 
mitten dieser  Sahara  ein  einsames  Haus  —  Wegeinräumer-  und  Gasthaus 
zugleich,  Ruda  hiess  es  —  aber  ausser  jungem  Wein  war  nichts  zu  haben 
und  selbst  gegen  angebotenes  schweres  Geld  konnte  unseren  Pferden  kein 
Tropfen  Wasser  gegeben  werden.  So  zogen  wir  denn  mühselig  unsere 
Strasse,  bis  wir  in  einer  Niederung,  die  gut  bestandene  eingezäunte  Felder 
aufwies,  Hirtenjungen  bemerkten.  »Wisst  Ihr,  wo  Wasser  ist?«  war  die  Frage. 
»Ja,  eine  Cisterne  dort  unten  im  Garten.«  Gott  sei  Dank,  die  Noth  schien 
ein  Ende  zu  haben.  Gegen  Geld-  und  Gotteslohn  erbot  sich  einer  der 
Buben,  die  Perde,  die  ausgeschirrt  werden  mussten,  nach  der  Cisterne  zu 
bringen.  Da  tauchte  auf  einmal  hinter  einer  Mauer  der  angebliche  Besitzer 
auf,  der  lebhaft  Protest  gegen  die  Benutzung  »seines«  Wassers  einlegte. 
Die  Burschen  antworteten,  dass  das  Wasser  der  ganzen  Gegend  gehöre; 
aber  schliesslich  wäre  der  Streit  doch  nur  zu  unseren  Ungunsten  aus- 
gefallen, wenn  wir  uns  nicht  entschlossen  hätten,  auch  diesen  Ehrenmann 
zu  bezahlen.  Nach  einem  halsbrecherischen  Umweg  von  einer  halben 
Stunde  waren  unsere  Pferde  getränkt,  wir  aber  wussten,  dass  uns  dasselbe 
Quantum  Wein  nicht  viel  theurer  gekommen  wäre. 

Und  abermals  geht  es  bergauf  und  bergab,  wir  suchen  um'  jeden 
Preis  hercegovinisches  Gebiet  zu  erreichen,  wo  wir  in  Neum  eine  an- 
ständige Unterkunft  wissen.  Aber  es  wird  Dämmerung  und  die  Enklave 
Kiek  ist  noch  immer  stundenweit  entfernt.  Die  Pferde  sind  blutig  ge- 
schlagen, sie  können  nicht  mehr  weiter,  der  Kutscher  flucht  in  allen 
Sprachen,  sogar  schon  deutsch,  soweit  er  es  in  Mostar  gelernt  hat  und 
auch  uns  klebt  die  Zunge  am  Gaumen.  Da  sehen  wir  ein  einsames  Haus 
an  der  Strasse.  Es  ist  ein  Strasseneinräumerhaus,  in  dem  man  sogar  Tabak 
und  Cigarren  verkauft.  Der  Entschluss  ist  bald  gefasst.  Kaum  hält  der 
Wagen,  erscheint  eine  alte  Frau,  die  seit  Monaten  kein  Wasser  an  sich 
gesehen.  »Können  wir  hier  übernachten?  Hast  du  eine  Stube  und  auch 
Stall?«  Alle  Fragen  werden  bejaht  und  nun  konnten  wir  für  die  Nacht 
die  Sorgen  abstreiten.  Durch  zwei  höhlenartige  Räume  wurden  wir  in 
ein  Zimmer  geleitet,  das  an  und  für  sich  ganz  annehmbar  gewesen 
wäre,  aber  das  sogenannte  Bett  war  mit  seinem  zerlegenen  Stroh  nicht 
einmal  für  das  Lager  eines  wilden  Thieres  geeignet  und  die  darauf- 
liegende Decke  beförderten  wir  gleich  ins  Nebengemach.  Dann  suchten 
wir  das  Lager  mit  unseren  Decken  soweit  als  möglich  herzurichten. 
Was  das  Schicksal  Nachts  noch  in  seinem  Schoosse  barg,  mochten  die 
Götter  wissen.  Dabei  stand  aber  in  diesem  Zimmer  ein  Schreibtisch  und 
eine  Weckeruhr!  Der  Sohn  der  Besitzerin  war  auch  Postmeister  und  daher 
kam  dieser  Glanz  in  die  dalmatinische  1  lutte.  Noviput  nannte  sich  Haus 
und   (Jmerebung. 


378 


Da  die  Pferde  erträglich   untergebracht  waren,   fügten   wir  uns  in  das 
Schicksal,  tranken  schwarzen  Wein  aus  der  einzigen   vorhandenen  Fl 
und   dem   einzigen    Glase    und   da  wir   den    Mangel    bemerkten,    bedii 
wir   uns   unserer   eigenen    Gefässe,    um   andere    Gäste   nicht   zu   schädigen. 
Solche   kamen   ^ern^  an.     Wegearbeiter,   Hauern         bald  sa  raQze 

Volksversammlung  um  u\^  unter  freiem  Himmel,  an  dem  sich  die  Sterne 
in  vollster  Klarheit  zeigten,  und  es  flog  Rede  und  Gegenrede.  Wer  die 
Gewohnheiten  dieser  Länder  nicht  kennt  und  uns  in  dieser  Umgebung  und 
in  dieser  Steinwildniss  gesehen,  hätte  geglaubt,  wir  waren  unter  dii 
gerathen.  Und  doch  lag  diesen  braven  Leuten  nichts  ferner,  als  un 
schädigen.  Sie  suchten  nur  --  und  das  noch  sehr  diskret  —  ihre  Neu- 
gierde zu  befriedigen  und  unser  Kutscher  wurde  immer  wieder  heimlich 
um  noch  genauere  Auskunft  ersucht.  Dabei,  kreiste  die  Flasche,  eine  Gusla 
kam  zum  Vorschein,  und  die  alten  Heldensagen  wurden  recitirt,  die  sehr 
blutig  klangen  und  hier  oben  unter  Gottes  freiem  Himmel  in  der  Ab- 
geschlossenheit einen   tiefen  Eindruck  hervorbrachten. 

Unsere  Wirthin  hatte  ein  Huhn  geschlachtet  und  gekocht.  Dazu 
brachte  sie  frisches  Kuknruzbrod  und  Wein.  Alles  war  gut-  der  zurück- 
gekehrte  Hausherr  und  eine  hungrige  Katze  leisteten  uns  Gesellschaft.     Der 


Hafen    von    Neu  in    in    der    Enklave    Kiek. 


37J 


Enten  ein  fall.     Motiv    aus    der  Umgebung    von    Metkovic.     (Ewald  Arndt  . 

Postmeister  und  Strassenaufseher  war  übrigens  ein  ganz  gebildeter  Mann 
für  diese  Gegend,  er  konnte  lesen  und  schreiben  und  besass  sogar  Brief- 
papier mit  seinem  Namen.  Warum?  weiss  Niemand.  Ueber  die  Nacht 
will  ich  mit  Stillschweigen  hinweggehen;  als  das  erste  Morgengrauen  durch 
die  kleinen  Fenster  leuchtete,  traten  wir  ins  Freie,  wo  wir  seltsamerweise 
den  Kutscher  schon  mit  den  angespannten  Pferden  fanden.  Er  war  sehr 
kleinlaut  und  verlangte  nur,  bald  wieder  hereegovinischen  Boden  unter 
den  Füssen  zu  haben.  Ein  schwarzer  Kaffee  --  auch  hier  gut  —  ein  Ab- 
schiedsgruss,  weiter  geht  es  nach  dem  »türkischen  Gebiet«.  So  nennt  man 
hier  noch  heute  die  Hercegovina  und  die  Enklave  Kiek  ist  bei  den  dalma- 
tinischen Bauern    »die  Türkei«. 

Eine  Stunde  hatten  wir  in  schnurgerader  Richtung  zu  fahren,  dann 
waren  wir  in  diesem  vielgenannten  Erdenwinkel,  der  zu  unzähligen  diplo- 
matischen Noten  Veranlassung  gegeben  hat.  Einst  von  Ragusa  an  die 
Pforte  abgetreten,  um  zwischen  ihr  und  das  venetianische  Gebiet  einen 
türkischen  Keil  zu  schieben,  ermöglichte  Kiek  später  der  Pforte  allein, 
auf  dem   Seewege  Truppen  nach  der  Hercegovina  zu  bringen. 

Neun)  ist  der  einzige  bemerkenswerthe  Ort  der  Enklave  Kiek.  Von 
der  Adria  aus  führt  zwischen  der  Halbinsel  Sabbioncello  und  der  Narenta- 


3S0 


mündung  ein  Meeresarm  in  tlen  Kanal  von  Stagno  piccolo,  der  eine  kleine 
Abzweigung  in  den  sogenannten  Golf  von  Kiek  entsendet.  Es  ist  ein 
natürlicher  Hafen  von  hohem  Werth,  nicht  breit,  .aber  mit  tiefem  Fahr 
wasser,    sodass   die  Hercegovina   auch   an  der  Adria  ihre  Stellung  wahren 


Burgruine    bei   Metkovic.       Ewald  Arndt'. 

könnte.  Im  Jahre  1880  war  ich  das  letzte  Mal  in  Neum,  wie  noch  alles 
im  Werden  begriffen  war,  aber  schon  damals  wurde  durch  Militärbauten 
gesorgt,  dem  Platz  eine  gewisse  Wichtigkeit  zu  verleihen.  Ganz  hübsche 
Anlagen  waren  im  Entstehen,  die  provisorischen  Gasthäuser  gut.  Dies 
dürfte   sich    heute    sehr   zum   Bessern   geändert  haben.      Unser  Weg    führte 


381 


rechts  an  Neum  vorbei,  das  tief  unten  am  Meere-strande  liegen  blieb. 
Wir  sahen  nur  Befestigungen  und  überall  neue  Strassen.  Bezeichnender- 
weise wurden  auch  mit  dem  Ueberschreiten  der  Grenze  die  Strassen  sofort 
besser;  der  grobe  Schlagschotter  hörte  auf,  die  Chaussee  war  befahren  und 
an  Stelle  des  Schrittes  konnte  der  schlanke  Trab  treten.  Auf  der  Höhe 
hinter  Neum  kreuzen  sich  die  Strassen,  eine  führt  nach  dem  Meere,  die 
frühere  türkische  Strasse,  die  in  schnurgerader  Richtung  den  Berg  nimmt, 
ist  verlassen  und  eine  neue  Strasse,  die  in  sanften  Umgehungen  dasselbe 
Ziel  erreicht,  ist  jetzt  im  Betrieb.  An  diesem  Kreuzungspunkte  nehmen 
wir  Abschied  von  der  Adria.  Wir  werfen  noch  einen  Blick  auf  Sabbion- 
cello und  Curzola,  dann  grüssen  wir  die  Sonne,  die  gerade  im  Osten,  dem 
wir   uns  zuwenden,   die   Gebirgskuppen  vergoldet. 

Mitten  in  die  Gebirgswildniss  führt  unser  Weg.  Da  ist  kein  Baum 
und  Strauch,  das  bescheidenste  Pflänzchen  verkriecht  sich,  gleichsam  als 
solle  das  Sprichwort  zur  Wahrheit  werden:  »Wo  der  Fuss  des  Türken 
hintritt,  wächst  kein  Gras  mehr.«  In  wirrem  Durcheinander  thürmt  sich 
Höhe  über  Höhe,  Kuppe  auf  Kuppe  und  jede  in  einer  anderen  Farben- 
schattirung,  aber  nur  vom  reinsten  Weiss  bis  zum  dunkelsten  Grau.  Hier 
hätte  man  die  Farbe  der  preussischen  Offiziersmäntel  genau  durchstudiren 
können,  wenn  man  schon  das  Grau  bevorzugen  wollte.  Eine  solche  Farben- 
skala in  Grau  existiert  auf  der  Welt  nicht  mehr.  Ein  einsamer  Spatz  ist 
hierher  verschlagen  worden;  von  was  er  sich  nährt,  würde  selbst  Gott 
Aegir,  der  Herr  der  Fluthen,  nicht  wissen,  der  vielleicht  auch  schon  hier 
in  den  nahen  Gewässern  dem  alten  bewährten  Neptun  den  Rang  streitig 
macht.  Aber  auf  einmal  heben  sich  von  den  Gebirgslehnen  Gestalten  ab. 
Es  sind  leibhaftige  Schafe,  die  sich  wahrscheinlich  an  Steinkost  gewöhnt 
haben.  Und  wie  erhaben  und  grossartig  ist  diese  Wildniss,  wie  klein 
kommt  sich  der  Mensch  vor  in  dieser  Einsamkeit,  die  er  allerdings  schon 
bezwungen  hat,  indem  er  eine  wundervolle  Strasse  hindurch  baute.  Gerade 
dieses  Gebiet  würde  ich  jedem  Touristen  oder  Maler  empfehlen,  besonders 
da  die  Kontraste  nicht  auf  sich  warten  lassen. 

Es  dauert  nur  anderthalb  Stunden,  da  senkt  sich  der  Weg  ins  Sumpf- 
terrain des  Narenta-Deltas  und  des  Bächleins  Mislina.  Während  die  eine 
Seite  der  Strasse  noch  immer  von  hohen  Bergen  begrenzt  wird,  ist  der 
linksseitige  Abhang  eine  weite  Ebene,  stellenweise  angebaut,  meist  aber 
mit  grünem  Laich  überzogener  Sumpf,  umgeben  von  hohem  Riedgras, 
Binsen  und  später  von  spanischem  Rohr.  Eine  Anzahl  Dörfer  liegen  an 
der  Strasse,  echt  italienisch  gebaut,  die  Häuser  von  Feigen  und  Weinreben 
überwuchert,  vor  ihnen  ganze  Büschel  getrockneten  Rohres  und  auch  schon 
Strohschober.  Dann  mehren  sich  die  Felder.  Das  ist  Reisgebiet.  Quadrat- 
förmig  sind  die  einzelnen  Gemarke  abgetheilt,  Wassergräben  hindurch- 
gezogen, so  da--  das  Feld  stets  unter  Wasser  steht.     Wo  Reis  ist,  ist  auch 


3S: 


Malaria  und  das  meilenweite  Narentadelta,   das  durch  die  Regulirung  des 

Flusses    unendlich    gewonnen,    ist    noch    immer   einer    der   ungesundesten 

Theile  Europas.     Ein    Sumpf  bildet    bei    einem    der   kleinen    Dörfer   einen 

förmlichen  See.     Ein  Kahn 

—  ein  echter  Einbaum  — 

vermittelt  den  Verkehr  mit 

den    nächstgelegenen    Fel- 
dern. Die  Bewohnertrinken 

das  Wasser,  dass  sie  dabei 

gesund   bleiben,    ist   kaum 

denkbar.     Und  doch,    wie 

fruchtbar  ist  diese  Gegend. 

Alle    Südfrüchte     wachsen 

im  Ueberfluss,  der  Kukuruz 

erreicht      eine      fabelhafte 

Stärke    der    Fruchtkolben, 

üppig  steht  der  Wein,    aus 
jedem  Gemäuer  drängt  sich 

ein  Feigenbaum,  —  es  wäre 

ein    Paradies    im    Kleinen, 

aber   es  ist   ein    tropisches 

und  die  Miasmen  zeigen 
sich  an  an  den  bleichen 
schmalen  Gesichtern  der 
Bewohner.  Da  kommen 
Orte,  die  einer  mittel- 
afrikanischen Negerstadt 
gleichen:  neben  jedem 
Steinhause  ein  hoher  Stroh- 
und  Heuschober,  hübsch 
kegelförmig  abgerundet, 
ganz  einer  Behausung  der 
Unyamwesi-Ffäuptlinge  ähn- 
lich. So  berührten  wir  auf 
meist  gutem  Wege  Bacula, 
Mislinje,  Obradovic,  Cele- 
tin,  Medar,  Glava.  Links 
Hessen  wir  den  Torre  di 
Norino,  noch  einige  Steigungen,  dann  kommt  die  weite  Ebene,  in  der 
die  »regulirte«  Narenta  fliesst,  die  aber  trotzdem  noch  immer  ihren  eigenen 
Kopf  behält,  und  wir  fahren  in  Metkovic  ein,  das  man  einst  als  Ver- 
bannungsort  bezeichnete   und   »Oesterreichs  Sibirien      nannte.     Wir   legen 

25 


-      3S5 


uns   in    einem   Restaurant,    deren    es   genügend   giebt,    für   einige   Stunden 
vor  Anker. 

Hier  galt  es:  mit  der  Hahn  nach  Mostar  oder  auf  dem  Landwege! 
Auf  jeden  Fall  kam  ich  Abends  noch  nach  Mostar  und  da  ich  die  Bahn- 
strecke schon  kannte,  unser  Kutscher  sowieso  nach  Mostar  hätte  fahren 
müssen,  so  war  bei  dem  herrsehenden  prachtvollen  Wetter  die  Wahl  nicht 
schwer.      Drei   Standen    Rast,   dann   Aufbruch   nach   Gabella! 

Wir  befinden  uns  hier  in  einer  der  historisch  interessantesten  Gegenden. 
Schon  als  die  alten  Griechen  diese  Rüsten  kolonisirten,  als  sie  Epidaurus 
gegründet,  richteten  sie  ihre  blicke  auf  die  Mündungen  des  Naron  (Narenta), 
die  allein  einen  bequemen  Eingang  ins  Hinterland  ermöglichten,  wahrend 
sonst  überall  hohe  Bergketten  das  Ueberschreiten  ermöglichten.  Die  Römer, 
wussten  trotzdem  die  Wichtigkeit  der  Narenta  zu  schätzen  und  es  er- 
scheint in  der  Geschichte  die  grosse  Römerstadt  Narona,  oberhalb  des 
Flussdeltas  gelegen,  die  heute  in  den  Sümpfen  von  Vido  versunken  ist. 
Im  Mittelalter  verfielen  die  zahlreichen  römischen  Strassen  im  Hinterland 
und  nur  die  Narenta  behauptete  ihre  Bedeutung  für  den  Handel  von 
Ragusa  und  Venedig.  Wie  in  Afrika  heutzutage,  entstanden  im  Delta 
eine  Menge  Faktoreien  und  kleiner  Handelsplatze,  aber  sie  hatten  auch 
mit  ungebetenen  Gästen  zu  rechnen.  Lange  Jahrhunderte  waren  die 
Narentani  die  gefürchtetsten  Seeräuber  der  Adria.  Ihr  Gebiet  umfasste 
Bergland  zwischen  Makarska  und  der  Narenta  am  Meer,  wo  ihre 
bargen  standen,  und  Duvnopolje  im  Binnenland;  ausserdem  die  Inseln 
Meleda.  Gurzola,  Brazza  und  Lesina.  Als  sie  endlieh  gebändigt  wurden, 
entwickelte  sich  auf  dem  Strome  ein  reger  Handel;  aber  das  Delta  ver- 
sumpfte im  Laufe  der  Jahrhunderte  immer  mehr,  der  Fluss  brach  sich 
stets  ein  neues  Bett,  sodass  eine  Regulirung  zur  dringendsten  Not- 
wendigkeit wurde.  Diese  wurde  in  den  siebziger-  und  achtziger  Jahren 
unseres  lahrhunderts  von  der  österreichischen  Regierung  durchgeführt;  ob 
-ie  dauernd  sein  wird,  ist  zu  bezweifeln,  wenigstens  behaupten  in  Metkovic 
lebende  Beobachter  des  Stromgebietes,  dass  stets  neue  Arbeiten  erforderlich 
werden.  Etwas  wurde  durch  die  Regulirung  aber  jedenfalls  gewonnen: 
sehr  viel  fruchtbarer  Boden,  der  früher  nur  Sumpf  war  und  eine  theil- 
weise  Besserung  der  Gesundheitsverhältnisse.  Speciell  Metkovic  geniesst 
heute  schon  eines  ganz  guten   Rufes. 

Der  Ort  liegt  recht  malerisch  am  Eingange  der  grossen  Heicegoviner 
Ebene.  Im  Hintergründe  die  Berge,  mitten  durch  die  Landschaft  der 
breite  Fluss  —  sieht  er  wie  eine  Seestadt  aus,  die  aber  Dank  der  bosnischen 
Regierung  auch  der  Eisenbahnverbindung  nicht  entbehrt.  Da  ich  aut 
meiner  diesmaligen  Tour  die  Eisenbahn  nach  Mostar  nicht  benutzte,  im 
Juni  [885  aber  der  Eröffnung  dieser  Strecke  beiwohnte,  will  ich  wenigstens 
meine  damalige  Beschreibung  hier  anfügen. 


(86 


25* 


Die  Bahnstrecke  Mostar-Metkovic  ist  43  Kilometer  lang,  wurde  in 
zehn  Monaten  vollendet,  ist  schmalspurig  und  ward  unter  der  Leitung 
des  Oberlieutenants  Strobl  vom  Eisenbahnregiment  von  der  Bauunter- 
nehmung des  Baron  Schwarz  hergestellt.  Dies  sind  die  nackten  Daten, 
denen  vielleicht  noch  beigefügt  werden  könnte,  dass  der  Bau  1  700000  fl. 
kostete.  Von  Metkovic  aus  ist  die  Grenze  nach  wenigen  Minuten  erreicht; 
der  Zug  fahrt  durch  die  Ebene  die  von  beiden  Seiten  durch  Gebirge 
begrenzt  wird,  die  wohl  Karstcharakter,  aber  doch  mehr  Vegetation  zeigen, 
als  die  dalmatinischen  Gebirge.  Die  Felder  sind  ausgezeichnet  angebaut, 
Getreide,  Tabak,  viel  Wein.  Alles  steht  in  üppigstem  Wüchse.  Die 
Wege  sind  mit  riesigen  Feigen-  und  Obstbäumen  bepflanzt;  erstere  wachsen 
auch  wild  in  unzähligen  Mengen,  ganze  Haine  bildend.  Ueberall  aber 
leuchtet  das  Roth  der  Granatblüthe,  wohin  das  Auge  nur  blickt.     Bis  hoch 


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An    der    Strasse    in    Capljina. 


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389     — 


auf  den  Berghängen  ist  die  prachtvolle  Blüthe  zu  sehen,  mit  dem  Grün 
der  Wiesen  und  den  übrigen  Blumen  einen  wundervollen  Teppich  bildend. 
Der  Zug  passirt  den  Gabellatunnel,  die  verfallenen  Wälle  der  alten 
venetianischen  Grenzfestung  Gabella,  dann  wird  der  Trebizatfluss  übersetzt 
und  der  Zug  erreicht  die  Station  Capljna,  einen  in  hübscher  Gegend  ge- 
legenen Ort,  meist  von  Katholiken  bevölkert.  (Gegenwärtig  befinden  sich 
hier  hinter  dem  Bahnhofe  grosse  Tabakmagazine  und  sind  viele  europäische 
Neubauten  errichtet.)  In  der  Xarenta  werden  hier  so  viele  Aale  gefangen, 
dass  eine  Fischkonservenfabrik  errichtet  wurde.  Von  Capljina  führt  eine 
moderne     Fahrstrasse     in     zwei     Stunden     nach    LjubuSki,     einer     reizend 


N     Ansicht    von    Capljina,    von    der    Xarenta    aus    gesehen. 


amphitheatralisch  gelegenen,  meist  von  Mohammedanern  bewohnten  Stadt 
(3989  Einwohner).  Ueber  der  Stadt  auf  der  Spitze  eines  hohen  Felsens 
stehen  die  Ruinen  einer  alten  Burg,  deren  Erbauung  dem  Herzog  Stefan 
zugeschrieben  wird,  der  sie  als  Denkmal  inniger  Liebe  zu  seiner  Gattin 
p-eoründet  haben  soll.  Den  Thurm  nennen  die  Stadtbewohner  noch  heute 
Ercegusa  (Herzogin).  Nicht  weit  von  Capljina  befindet  sich  auch  ein  ganz 
sehenswerther  Wasserfall. 

Von  Capljina  erreicht  man  die  Haltestelle  Dretelj.  Jetzt  treten  wir 
in  Karstterrain.  Die  Bahn  fährt  am  Bergesabhange  dahin,  rechts  durch 
die  Xarenta  begrenzt,  die  hier  ein  sehr  felsiges  Bett  besitzt.  Die  Vege- 
tation bleibt  stets  die  gleiche  südliche,  der  Anbau  des  Bodens  wird  immer 
besser  und  auf  den  Feldern  arbeiten  die  Hercegoviner  Bauern  in  allen  mög- 
lichen Volkstrachten.  Neben  den  rothen  Kopftüchern  und  Turbans  der 
Katholiken  sieht  man  den  Fez  oder  den  weissgelben  und  geblümten  Turban 
der  Mohammedaner.  Am  gegenüberliegenden  Ufer  des  Flusses  wird  das 
alte  Pofcitelj  sichtbar,  ein  förmliches  Korsarennest  nach  seinem  Aussehen, 
hoch  oben  in  die  Felsen  gebaut,  von  zinnengekrönten  Mauern  mit  Thürmen 


—    390    — 


umgeben.  Terrassenförmig  stei- 
gen die  Häuser  am  Bergrücken 
empor.  In  der  Mitte  der  Stadt 
erhebt  sich  eine  wundervoll 
gebaute  Kuppelmoschee,  da- 
neben eine  hohe  einsame  er- 
presse. Ueber  dem  Ganzen  eine 


'(      .  '  ......      .     . 


Kloster    Zitomisljic. 


..    . 


verfallene  Befestigung.  Nach 

dem  Passiren  der  Halte- 
stelle Krusevic  erreicht  die 
Bahn  die  Station  Zitomisljic. 
I  )iese  bietet  einen  reizenden 
Anblick.  Inmitten  einer 
prachtvollen  südländischen 
Vegetation,  umgeben  von 
Parkanlagen,  steht  in  einem 
Thale  das  berühmte  serbische  Kloster  Zitomisljic,  das  im  Jahre  1585  von 
der  Familie  Miloradovic  gegründet  wurde.  Mit  seiner  breiten  Front  und 
reichen  Fagade  ist  es  weithin  sichtbar.  Dicht  neben  der  Bahnstation 
sieht  man  einige  grosse  Bogomilensteine  mit  Kreuzen.  Von  hier  aus  bis 
Buna  bildet  die  Narenta  ein  langes  Defile.  Erst  Buna,  gegenüber  der 
Einmündung  des  gleichnamigen  Flusses  in  die  Narenta,  liegt  wieder  in 
einer  fruchtbaren  Ebene.  (Wir  werden  des  Ortes  genauer  bei  der  Land- 
reise gedenken.)  Der  Zug  übersetzt  den  tiefen  und  schnell  dahinrauschenden 
Jasenicabach  und  tritt  dann  in  die  grosse  Ebene  von  Mostar,  in  das 
Biscepolje  ein.  Rechts  ist  Blagaj  mit  Stjepanograd  sichtbar,  desgleichen 
die  Abhänge  des  Podveles.  Links  die  kahlen  und  schroffen  Höhen  des 
Hum,  im  Hintergründe  aber,  wie  in  einer  Felsspalte  versteckt,  Mostar,  wo 
volles  civilisirtes  Leben  den  fremden  Reisenden  auf  dem  Bahnhof  empfängt. 
Auf  dem  Landwege  führte  uns  diesmal  unser  Wagen  in  sieben 
Stunden  nach  der  hereegovinischen  Hauptstadt.  Hinter  Metkovic  wurde 
ein  Zollposten  passirt,  der  dicht  neben  einer  halbverfallenen  Grenzkula 
steht,  wir  sind  auf  dem  Boden  von  Stara-Gabella,  das  links  von  uns  am 
Flusse  zwischen  Sümpfen  und  Feldern  liegt.  Einstmals  war  hier  die 
venetianische  Zollstätte  gegen  die  Türkei  und  damals  hatte  der  Ort  jeden- 
falls grössere  Bedeutung  wie  heute.  Bis  hierher  war  auch  die  Narenta 
stets  schiffbar.     Das  Städtchen  selbst  ist  geschützt  in  einem  Sattel  zwischen 


—    39i    — 


zwei  Hügeln  gebaut,  die  verfallene  Festungswerke  krönen.  Angeblich 
sind  diese  —  so  schreibt  Dr.  M.  Hoernes  —  1558  vom  Sultan  Sulejman 
aus  den  Bausteinen  zweier  zerstörter  christlicher  Kirchen  errichtet  und 
»Sedd  i  isläm«  (Sperrschloss  des  Islam)  benannt  worden.  Nach  dem  Aus- 
bruch des  grossen  Türkenkrieges  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  im 
Sommer  1694,  nahm  der  Generalproveditor  der  Republik  Venedig,  Delfino, 
durch  eine  kombinirte  Aktion  mit  starker  Truppenmacht  Gabella  ein  »und 
erhielt  dadurch  —  wie  es  in  einer  zeitgenössischen  Quelle  heisst  —  die 
Republik  einen  fruchtbaren  Strich  Landes  nebst  dem  Eintritt  in  das  Herzog- 
thum  Nieder-Hercegovina  oder,  wie  es  die  Franzosen  nennen,  St.  Sabba 
und  zugleich  in  den  übrigen  Theil  von  Bosnien.«  Schwer  empfanden  die 
Türken  diesen  Verlust  und  versuchten  in  den  nächsten  Monaten  wieder- 
holt, ihr  Sperrschloss  zurückzuerobern,  Doch  erst  der  venetianische  Trakta" 
des  Karlo witzer  Friedens  (1699)  brachte  es  ihnen  wieder.  So  wurde  der 
weissmarmorne  Löwe  mit  der  Inschrift:  »Pax  tibi  Marce,  evangelista  meus!« 
vom  Hauptthor  der  Burg  wieder  herabgestürzt  auf  die  Stelle,  wo  er  heute 
noch  liegt,  zwei  von  Delfino  hergestellte  Kirchen  abermals  zerstört,  zwei 
andere  in  Moscheen  verwandelt.  Eine  der  ersteren  ist  1855/56  von  den 
Katholiken  des  Ortes  restaurirt  und  zur  Pfarrkirche  geweiht  worden.     Am 


$\\  . 


I .  i  che  in  Zitomisljic. 


—     392      — 


Hochaltar  derselben  sieht  man  die  wappengeschmückte  Gruftplatte  der 
Familie  Santic.  Die  amtliche  »Ortschafts-  und  Bevölkerungstatistik  von 
Bosnien    und    der  Hercegovina«   nach    dem   Volkszählungsergebnisse   vom 

i.  Mai  18S5  zahlte  für  Gabella  626  Katholiken,  2 18  Orthodoxe,  S.Moham- 
medaner;   1895   betrug  die  Bewohnerzahl  960  Köpfe. 

Wir  fahren,  immer  in  fruchtbarer  Gegend,  die  Krupa  und  die  von 
Stolac  kommende  wilde  Bregova  überschreitend,  bis  nach  Tasoveic. 
Seitwärts   der    neuen  Strasse,    auf  dem    alten  Wege,    steht  eine    steinerne 


Ueb erfuhr   an   der  Narenta. 

Bogenbrücke,  jetzt  mitten  in  der  Einsamkeit.  In  Tasoveic,  einem  sehr 
wohlhabenden  Orte,  begrüsste  uns  die  Gegenwart  gleich  am  Eingange  des 
Dorfes  mit  einer  neuen  Elementarschule.  Nicht  weit  davon  liegt  ein  von 
Grün  überwucherter  Friedhof,  der  von  der  hier  herrschenden  Toleranz  ein 
rühmliches  Zeugniss  ablegt.  Neben  den  türkischen  Grabsteinen  stehen 
katholische  Kreuze  und  zwischen  allen  liegen  die  gros>en  Platten  der 
Bogomilengraber.  Bei  einem  Kaffeehause  unter  einem  grossen  Maulbeer- 
baum liessen  wir  uns  eine  Weile  nieder,  mitten  unter  türkischen  Grund- 
besitzern, die  ihrer  Zufriedenheit  mit  der  letzten  Ernte  und  damit  auch 
mit  allen  Verhältnissen  Ausdruck  gaben.     Als  ich  auf  die  neue  Schule  zu 


—    395 


I 

I 


^  :. 


1 


Kurze  Rast.     Motiv  aus  Gabel a. 

sprechen  kam,  meinten  sie,  das  sei  die  segensreichste  Schöpfung;  ihre 
Kinder  sollten  auch  so  gescheidt  werden  wie  die  »Schwabas«.  Die  Gegend 
ist  hier  wundervoll  angebaut ;  riesige  Tabakfelder,  prächtige  Weingärten 
bedecken,  soweit  das  Auge  reicht,  bis  an  das  Narenta-Ufer  die  Ebene. 
Hinter  Tasov6ic  finden  wir  hübschen  Eichenwald,  der  durch  die  bekannte 
Tafel:  ^Verbotener  Wald«,  geschützt  ist.  Nach  einiger  Zeit  erreichen  wir 
Domanovic,  einen  wichtigen  Strassenknotenpunkt.  Hier  führt  rechts  die 
Strasse   nach  Stolac,    dem  historisch   berühmten  Sitze   der  Rizvanbegovic, 

einer  Stadt    mit  alten  Denkmälern    und  einem    merkwürdigen  Bogomilen- 

v       . 
friedhofe.     Ueber   die  Xarenta    ist    eine  Ueberfuhr  nach   Capljina.     Doma- 
novic besteht   aus  einer   langen  Strasse  voll  kleiner  Wirthshäuser,    Kaffee- 


596 


schänken  und  Kramläden,  die  ihr  Dasein  von  dem  Durchgangsverkehr, 
meist  aber  von  dem  hier  liegenden  Militär  fristen.  Es  ist  nämlich  eine 
grosse  Infanterie-Kaserne  gebaut,  in  der  ein  bosnisches  Bataillon  liegt. 
Ein  nettes  Forsthaus  erinnert  an  die  Karstaufforstung,  deren  Spuren  wir 
auf  unserer  Weiterfahrt  bald  wieder  begegnen.  Und  immer  wieder  Tabak- 
felder, grosse  Viehheerden,  inmitten  der  Fluren  hübsche  Landhäuser.  B< 
sonders  in  Bivolje  Brdo  fiel  mir  ein  türkisches  Sommerhaus  durch  seine  Aus- 
dehnung und  wunderschöne  Bauart  auf.  Der  Weg  zieht  sich  bergauf  und 
bergab,  immer  an  den  Lehnen  der  Dubrava  entlang,  bis  er  endgiltig  in  das 
Biscepolje  niedersteigt,  dessen  Umgrenzung  wir  bereits  mehrfach  geschildert 
haben.  Vor  Buna  lugt  über  die  Zäune  bereits  wieder  der  Feigenbaum  und  die 
Olive  und  in  dem  hübschen  ausgedehnten  Orte  grüssen  von  allen  Seiten  statt- 
liche steinerne  Häuser  moderner  Art,  eine  Sommer-Villeggiatur  bildend. 
Buna  ist  ein  historisch  berühmter  Ort.  Auch  schon  in  alter  Zeit 
von  Bedeutung,  wovon  die  mächtige  Brücke  Zeugniss  ablegt,  die  in  neun 
steinernen  Bogen  über  die  Buna  führt,  erlangte  es  seinen  Ruhm  unter  dem 
letzten  Despoten  der  Hercegovina,  unter  Ali  Pascha  Rizvanbegovic.  In  der 
alten  Steinburg  zu  Stolac  hausend,  hatte  er,  wie  wir  bereits  in  einem 
früheren  Abschnitte  erzählten,  während  der  bosnischen  Adelsinsurrektion 
von  1 83 1  unter  Hussein  Berbirli  Aga  dem  Sultan  die  Treue  bewahrt  und 
er  war  mit  dem  Vezirat  der  Hercegovina  betraut  worden.  Dieses  gestaltete 
er  fast  unabhängig  und  er  suchte  »seine  Provinz«  materiell  blühend  zu 
machen.  Er  führte  die  Reiskultur  in  der  Narentaebene  und  um  Ljubuski 
ein,  er  pflanzte  den  Oelbaum  und  protegirte  die  Weinkultur,  er  suchte  die 
Seidenzucht  auszudehnen.  In  Buna  erbaute  er  ein  prächtiges  Landhaus 
mit  einer  Moschee  und  den  Befehlen  der  Pforte  gehorchte  er  soweit,  als 
ihm  genehm  war.  Als  1849  abermals  ein  Adelsaufstand  in  Bosnien  aus- 
brach, stellte  auch  er  sich  auf  die  Seite  seiner  Standes-  und  Stammes- 
genossen und  er  verübte  gegen  die  Christen  arge  Gräuelthaten.  Anfangs 
siegreich,  kam  in  der  Person  Omer  Paschas  der  Rächer  der  verletzten 
Autorität  des  Sultans.  Mit  Kugel  und  Strick  wurde  in  Bosnien  Ordnung 
gemacht,  dann  nahte  Omer  mit  Iskender  Pascha  der  Hercegovina.  Ali  Pascha 
Rizvanbegovic  war  schlau  genug,  sich  nicht  selbst  dem  mächtigen  Pacifikator 
(dem  ehemaligen  Grenzerfeldwebel  Michael  Lattas)  entgegenzustellen;  er 
überliess  dies  seinen  Untergebenen,  während  er  anscheinend  unthätig  in 
der  Burg  zu  Stolac  sass.  Omer  Pascha  schlug  die  Aufständischen  und  zog 
in  Mostar  ein.  Darauf  erschien  Ali  Pascha  in  Buna,  um  Verhandlungen 
einzuleiten.  Mit  grossen  Ehren  empfing  Omer  Pascha  den  Vczier;  er  lud 
ihn  zum  Gastmahle  in  Mostar  und  der  sonst  so  schlaue  Hercegovce  liess 
sich  übertölpeln.  Während  er  nach  Mostar  ging,  zogen  türkische  Truppen 
nach  Buna  und  Stolac  mit  der  Kundmachung,  dass  der  Vezier  abgesetzt 
und     ein    Gefangener    Omer   Paschas     sei.     Und    dann    erfüllte    sich    sein 


397 


Schicksal.     Wie    ein    einheimischer   Schriftsteller    erzahlt,  war    sein   Ende 
folgendes : 

»Den  greisen  Ali  Pascha,    der    vor   Altersschwäche  kaum    mehr    zu 

gehen  vermochte,    schleppten  sie    auf  die  Xarentabrücke  und  setzten    ihn 


hier  auf  einen  Esel.  So  führte  ihn  Omer  Pascha  mit  sich  in  die  Krajna, 
wohin  er  gegen  die  Aufständischen  zog.  Ali  Pascha,  erbittert  über  diese 
Beschimpfung,  brach  gegen  den  Serdar-Ekrem  (Oberbefehlshaber  =  Feld- 
mar-^chall)  los:  »Warum  quälst  du  mich?  Auch  du  bist  ein  Vlache  (Serbe), 
eines  Ylachen  Sohn  !     Woher   nimmst  du    die  Macht,    so  mit  mir  zu  ver- 


-    39S    - 


fahren?  Ja,  hätte  ich  gegen  den  Sultan  selbst  zu  den  Walten  gegriffen, 
du  wärest  nicht  würdig,  so  mit  mir  umzugehen,  als  hättest  du  mich  in  der 
Schlacht  zum  Gefangenen  gemacht  und  wärest  du  auch  dreimal  Serdar- 
Ekrem.  Oh,  unreiner  Vlache,  sende  mich  lieber  vor  den  Padischah,  damit 
er  richte  über  mich  und  beschimpfe  mich  nicht- in  meinen  alten  Tagen.« 
Omer  Pascha  begann  nun  zu  furchten,  denn  Ali  Pascha  hatte  zahlreiche 
Freunde  beim  Padischah,  denen  er  ungeheure  Summen  Geldes  aus  der 
Hercegovina  zu  senden  pflegte.  So  drehte  Omer  Pascha  die  Sache  in 
seinem  Kopfe,  bis  er  fand,  es  wäre  besser,  wenn  Ali  Pascha  nicht  auf  der 
Welt  bliebe.  Und  so  wurde  Nachts  zwei  Uhr  ein  Schuss  gehört  und  es 
kam  die  Nachricht  zu  Omer  Pascha,  dass  eine  Flinte  zufällig  losgegangen 
und  die  Kugel  durch  den  Kopf  Ali  Paschas  gefahren  sei.  So  starb  Ali 
Pascha  Rizvanbegovic  am   20.   März   185 1.« 

Ob  sich  die  Sache  wirklich  so  verhalten,  wissen  wir  nicht,  Thatsache 
ist  aber,  dass  Ali  Pascha  nie  wieder  zum  Vorschein  kam.  Seine  Be 
Sitzungen  wurden  eingezogen  und  die  Gebäude  zerstört.  .  .  .  Wenn  man 
in  Buna  vor  dem  Gasthause  an  der  Brücke  sitzt  und  den  vorzüglichen 
weissen  Wein  —  Eigenbau  des  Wirthes  —  trinkt,  dann  kann  man  von 
Zeit  zu  Zeit  einen  Blick  hinüberwerfen  auf  das  alte  Besitzthum  Ali  Paschas, 
das  noch  immer,  auch  mächtig  in  den  Ruinen,  inmitten  einer  grünen 
Wildniss  liegt.  Fragt  man  aber  einen  der  älteren  Leute  über  Ali  Pascha, 
so  erhält  man  die  Antwort:  »Herr,  er  war  für  die  Hercegovina  so  wie 
Herzog  Stefan.« 

Wir  hatten  uns  in  Buna  ziemlich  lange  aufgehalten  und  die  Sterne 
standen  am  Himmel,  als  wir  die  Fahrt  durch  das  weite  Biscepolje  antraten. 
Oede  und  kahl  liegt  die  stundenlange  Fläche  da,  sie  wartet  noch  der 
wirtschaftlichen  Auferstehung.  Einstweilen  ist  sie  nur  eine  Fundgrube 
für  Archäologen.  Ein  scharfer  Wind  hatte  sich  erhoben,  welcher  den 
Staub  in  dichten  Wolken  peitschte,  und  wir  waren  froh,  als  wir  Mostar 
wieder  erreichten,  als  uns  die  gastlichen  Räume  des  »Hotel  Narenta«  von 
Neuem  umfingen. 


Schlussvignette:   Altes   Siegel  aus  Vi.l     Narona     vom    15.  Jahrhundert. 


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Durch  das 

Ramathal 

nach  Jajce. 


Die  Eisenbahn 
brachte  uns  am 
nächsten  Morgen 
nach  Jablanica,  von 
wo  mit  der  zweimal  in  der  Woche,  am  Montag 
und  Freitag  verkehrenden  Diligence  die  Reise 
nach  Jajce,  der  alten  Königsstadt,  angetreten 
werden  sollte.  Die  122  Kilometer  lange  Strecke 
wird  in  einem  Tage  —  mit  unterlegten  Pferden 
—  zurückgelegt.  (Jetzt  fährt  die  Diligence  nur 
bis  Bugojno,  von  dort  wird  die  Bahn  bis  Jajce 
benutzt.)  In  Jablanica  fanden  wir  im  landes- 
ärarischen  Hotel  vorzügliche  Unterkunft  und 
wir  benutzten  diesen  Tag  zum  Umherstreifen 
in  der  wundervollen  Gegend,  da  erst  am  andern 
Morgen  die  Wagenfahrt  vor  sich  gehen  konnte. 
Früh  6  Uhr  stand  die  mit  vier  Pferden 
bespannte  Diligence  vor  der  Thür.  Wir  hatten 
uns  die  beiden  Aussenplätze  hinter  dem  Kutscher 
gesichert,  um  die  Gegend  mit  Müsse  in  Augen- 
Der  Innenraum  war  gleichfalls  voll  besetzt.    Ein 

Die 


schein  nehmen  zu  können 

leichter  Nebel  lag  über  der  Gegend  und  es  fröstelte  ziemlich  stark 
Strasse  geht  längs  der  Eisenbahn  in  nördlicher  Richtung  bis  in  die  Nähe  der 
Station  Rama,  dann  wendet  sie  sich  scharf  nach  Nordwesten  und  folgt  von 
der  Mündung  der  Rama  in   die  Narenta  dem  erstgenannten  Flusse  in  dem 


—    400 


Eingang    ins    Ramathal. 

gleichnamigen  Thale.  Wir  sind  mitten  im  Hochgebirge.  Wie  ein  Band 
nur  zieht  sich  die  neugebaute  Fahrstrasse  an  den  Lehnen  der  Bacina- 
Planina  entlang,  auf  der  rechten  Seite  von  dem  tief  eingeschnittenen  Fluss- 
bette begrenzt.  'Es  ist  aber  keine  öde  oder  einsame  Gegend;  die  Höhen 
sind  gut  bewaldet,  in  der  Thalsohle  zeigen  sich  wohlbestallte  Felder,  auf 
den  jenseitigen  Hängen  sogar  Weingärten.  Häuser  liegen  überall  verstreut. 
Dann  verengt  sich  der  Weg.  Unter  der  Gracanicki-Wand  öffnet  sich  knapp 
an  der  Strasse  eine  mächtige  Höhle,  die  wegen  ihrer  von  der  Wölbung 
herunterhängenden  Tropfsteingebilde  die  »Schinkenhöhle«  getauft  wurde. 
Dann  kommt  der  mächtige  Babafelsen  in  Sicht,  die  interessante  Bildung 
der  Klokovacke  Stjene  oberhalb  Ustrama,    und    schliesslich   übersetzen   wir 


401     — 


f    ■     r  damals  noch  im  Bau  begriffenen  Brücke  den  Fluss.    Die  Arberter 
auf  einer  damals  noch  i  8      Stromufer  übernachtet,  -  ein  etwas 

hatten  ,n  offenen  Baracken  dicht  a  ^  ^^    Dje 

luftiges  Bivonak,  -  und  sie  suchten  .  c  andauernd 

Sonne  will  durchaus  nicht  zum  Vor, Aem  komme ,  e  überwiegenden 
empfindUchkuhl  Die ^evofcerung ^  * Nichts  von  der  Strasse 
Theile    katholisch    und    bO   sahen    »u 


Seferov-Han   im    Ramathal. 


—     402     — 


neben  einer  kleinen  Kirche  ein  neues  stattliche-  Pfarrhaus,  leider  gar  zu 
aufdringlich  mit  Kreuzen  geschmückt.  An  den  Berglehnen  kommt  noch 
die  Edelkastanie  vor,  die  gegen  die  Strasse  gerichteten  Rutschungen  sind 
mit  Weidenanpflanzungen  in  sehr  praktischer  Weise  versichert.  Eine  Reihe 
Serpentinen    fuhrt    uns   in    eine   Höhe  von   700  Meter;    wir  bewundern  den 


Bauer    aus    dem    Kamathale    bei    Prozor. 

kleinen  Gebirgsfluss  Ljuk,  der  einen  hübschen  Wasserfall  bildet  und 
gemessen  gleich  darauf  einen  hoch  originellen  Anblick.  In  Prozor  war 
Militärstellung  gewesen  und  nun  kommen  die  Ausgemusterten  auf  langen 
Leitenvagen,  wie  die  Heringe  verpackt,  unter  militärischer  Begleitung 
jauchzend  und  singend  dahergefahren.  Es  war  ein  sonderbares  Bild,  be- 
sonders da  man  nach  der  Kleidung  erkennen  konnte,  dass  die  ver- 
schiedensten Glaubensbekenntnisse    friedlich  nebeneinander  hausten 


405     — 


.*-* 


In  Prozor,  einem  Stadt- 
chen von  iooo  meist  moham- 
medanischen Bewohnern,  war 
Halt  und  Pferdewechsel.  Im 
»Gasthaus  Kraus«  stärkten 
wir  unseren  Leib  und  hier 
fanden  wir  auch  recht  nette  Ge- 
sellschaft. Lernten  wir  doch 
auch  da  erst  unsere  Reise- 
gefährten kennen:  einen 
Gerichtsrath,  einen  Doktor, 
einen  Kaufmann  aus  Mostar. 
Die  ersteren  beiden  waren 
Czechen,  der  Arzt  von  Prozor  '- 
desgleichen,  ein  Beamter 
ebenfalls  —  kurz,  es  war 
auf  einmal  in  dem  kleinen 
Orte  eine  vollständige  böh- 
mischeKolonie.  Ausser  einer 
altenBurg,  die  sich  malerisch 
über  dem  Orte  aufthürmt  und 
an  die  sich  die  Sagen  von 
allen  möglichen  Königen  und 
Königinnen  knüpfen,  die  an 
anderen  Punkten  Bosniens 
in  derselben  Art  wieder- 
kehren, bietet  Prozor  nichts 
Besonderes,  doch  werden 
hier  gute  gewöhnliche  Tep- 
piche gewebt  und  Pflaumen 
gebaut. 

Eine  Zeit  lang  zieht  sich  die  Strasse  in  gut  angebauter  Ebene  fort, 
dann  steigt  sie  in  endlosen  Schlangenwindungen  zum  Makljen-Sattel 
(1123  Meter).  Wohin  das  Auge  auf  diesem  Aufstieg  blickt,  sieht  es  auf 
fruchtbare  Felder,  auf  nette  Ortschaften,  auf  Höhenzüge,  die  sich  über- 
einander thürmen  und  in  immer  lichteren  Tinten  am  Horizont  verschwinden. 
Oben  aber,  auf  der  Höhe  des  Makljen,  ist  die  Aussicht  überwältigend.  Wie 
ein  Panorama  liegt  ein  grosser  Theil  der  hercegovinischen  Gebirgswelt 
vor  den  entzückten  Blicken  ausgebreitet.  Im  Westen  der  Vran-Risovac- 
Sattel,  die  drei  Kuppen  der  2260  .Meter  hohen  Cvrtnica,  weiter  rückwärts 
die  Muharnica  und  die  Sovica.  Vorn  aber,  gerade  gegenüber,  hat  man 
die  kolossalen,  jäh  abfallenden   Felswände  des  Prenj,  die  wohl  von  keinem 


Mädchen    aus    Prozor. 


—     406     — 


der  zugänglichen  Punkte  in  so  ergreifender  Schönheit  gesehen  werden  können. 
Ueberall  lag  auf  den  höheren  Kuppen  der  Schnee,  —  es  war  ein  Bild  von 
unbeschreiblicher  Grossartigkeit.  Immer  aber  sieht  man  auch  noch  im  Thale 
die  Windungen  der  Strasse  um]   tief  unten   Prozor  mit  -einer  Burgruine. 

Wir  sind  hier  im  Hochwald.     Schöne  Einräumerhäuser  und  ein  Han 
stehen   inmitten    der    grossartigen    Natur    und    sorgen    auch    in    primitiver 


Am    M  akljen  sattel. 


409      — 


Weise  für  die  Reisenden.  Immer  abfallend,  abermals  in  zahlreichen 
Serpentinen,  geht  die  Strasse  durch  prächtigen  Wald,  die  Terlicaschlucht 
kreuzend,  nach  Gornji-Vakuf,  einem  langgestreckten  mohammedanischen 
Städtchen  von  i  719  Bewohnern.  Ein  alter  türkischer,  mit  Schiess-Scharten 
versehener  Thurm  und  drei  Moscheen  sind  die  einzigen  Sehenswürdig- 
keiten. Aber  Gornji-Vakuf  ist  ein  Sitz  der  kunstvollen  Hausindustrie. 
Hier  werden  die  besten  türkischen  Kaffeemühlen  (Handmühlen)  angefertigt 
und  das  Aeussere  so  reich  und  geschmackvoll  mit  Arabesken  verziert,  wie 
ich  sie  nirgends  wieder  gefunden  habe.  Auch  zu  den  Messern  werden  hier 
ausgezeichnet  gravirte  Scheiden  angefertigt.  Wir  hatten  in  einem  serbischen 
Wirthshause  während  des  Pferdewechsels  Unterkunft  gefunden  und  da 
befanden  wir  uns  bald  mitten  drin  im  Handeln  und  Feilschen.  Zur  Ehre 
der  Vakufer  Meister  sei  es  gesagt,  dass  sie  feste  Preise  behaupten  und 
lieber  mit  der  Waare  ihres  Weges  ziehen,  als  sie  billiger  verschleudern. 
Die  Berge  der  Umgebung  enthalten  Eisen-  und  Kupfererz,  das  von  den 
Römern  bereits  ausgebeutet  wurde.  Sogar  auf  Gold  sollen  diese  hier 
geschürft  haben. 

Bis  Bugojno  führt  die  Strasse  in  ununterbrochener  Ebene  zwischen 
Getreidefeldern.  Dieses  Städtchen  hat  als  einstweiliger  Endpunkt  der  von 
Lasva  über  Travnik  nach  der  dalmatinischen  Grenze  führenden  Eisenbahn 
eine  gewisse  Bedeutung  erlangt.  Es  zählt  kaum  1000  Bewohner,  darunter 
etwa  400  Katholiken,  und  doch  besitzt  es  die  grösste  katholische  Kirche 
von  Bosnien  —  vorausgesetzt,  dass  die  innere  Ausschmückung  jemals  fertig 
wird.  Als  im  Jahre  1879  ein  Bankett  aus  Anlass  der  silbernen  Hochzeitsfeier 
des  Kaisers  Franz  Josef  stattfand,  regte  ein  Franziskaner  die  Idee  an,  in 
Bugojno  eine  katholische  Kirche  zu  bauen  und  der  Plan  fand  Beifall. 
Das  Geld  wurde  bisher  durch  Sammlungen  in  Oesterreich-Ungarn  aufge- 
bracht. Bugojno  hat  einige  recht  gute  Unterkunftshäuser  und  viele  neue 
europäische  Gebäude,  selbst  ansehnliche  Villen. 

Die  Strasse  führt,  immer  in  Sicht  des  Bahngeleises,  in  der  Ebene 
nach  Dolnji-Vakuf.  Ueberall  sieht  man  türkische  Landsitze  inmitten  gut 
bestellter  Felder.  Die  27  Kilometer  lange  Ebene  längs  des  Vrbas,  die 
sich  südlich  bis  Gornji-Vakuf  erstreckt,  wird  das  Skoplje  genannt,  sie  ist 
im  Besitze  reicher  Begs,  die  neben  Ackerbau  auch  viel  Vieh-,  besonders 
Pferdezucht  treiben.  Die  Ausläufer  der  Gebirge  treten  allmählich  immer 
mehr  an  das  Bahngeleise  und  die  Strasse  heran;  links  sieht  man  auf  einer 
Höhe  die  alte  Veste  Prusac,  die  sich  gegen  die  erobernden  Türken  am 
längsten  hielt,  dann  öffnet  sich  ein  schöner  Blick  ins  Privnicathal  und 
nachdem  die  l'rivnica  übersetzt  ist,  haben  wir  Dolnji-Vakuf  erreicht, 
dessen  ausgedehnter  Bahnhof  direkt  im  Vordergrunde  steht.  Ueber  eine 
alte  Steinbrücke  fahren  wir  in  die  ausgedehnte  Stadt  ein  und  halten  vor 
dem    »Hotel  Heller  .      Das  Städtchen   ist   ungemein  lebhaft,   wenn   es  auch 


—     4-0 


Bosnischer  Franziskaner.     Motiv  aus  dem  Ramathale  bei  Prozor. 

\Y.    Leo  Arndt. ) 

nur  2342  meist  mohammedanische  Bewohner  zahlt.  Es  hat  einige  hübsche 
Moscheen,  gegenüber  dem  Amtsgebäude  steht  eine  Medresse  über  einer 
Quelle.  Der  untere  Raum  des  stockhohen  Hause-  bildet  ein  Bassin  voll 
krystallhellen  Quellwassers.  Eines  der  best  und  modernst  gebauten 
1  [äuser  ist  die  neue  Gemeindeschule. 

Dicht  hinter  Dolnji-Vakuf  verengt  sich  das  Vrbasthal  und  nimmt  die 
Gestalt  eines  Fluss-Defiles  an.  Die  Strasse  bleibt  am  rechten  Ufer  des 
Flusses,   während   die  neue  Bahnlinie   nach  Jajce  sich   am   linken   Eier   hin- 


—        :  I  j 


zieht.  Die  Gegend  zu  beiden  Seiten  ist  schon  bewaldet  und  ungemein 
romantisch.  Beim  Kilometerzeiger  26  steht  rechts  ein  interessantes 
Bogomilen-Grabmal,  dessen  Skulptur  einen  gebogenen  Arm  mit  dem  Kreuze 
in  der  Hand  darstellt.  Unterhalb  des  Armes  ist  ein  Halbmond  sichtbar. 
Wundervoll  ist  der  Blick  von  der  Strasse  auf  die  Eisenbahn,  die  ganz 
dicht  am  Ufer  des  hier  zum  wilden  Gebirgs>trom  gewordenen  Vrbas  bleibt. 
Ueberall  sieht  man  Brücken  und  Durchlässe,  die  sich  von  dem  meist  grünen 
Gestein  wirkungsvoll  abheben  ;  am  schön-ten  aber  sehen  die  Wächterhäuser 


An   der  Eisenbahn   bei  Dolnji- Vakuf. 

aus,  die  in  nettem  Schweizerstil  wie  Landhäuser  in  dem  Schutze  der 
Walder  liegen.  Von  Zeit  zu  Zeit  führen  Holzbrücken  über  den  Fluss;  am 
linken  Ufer  liegen  nämlich  die  Ansiedlungen,  Dörfer  und  Hans  und  hier 
haben  sich  auch  die  provisorischen  Kolonien  der  Bahnarbeiter  gebildet, 
die  seit  Eröffnung  der  Bahn  natürlich  wieder  verschwinden.  Hinter  Station 
Babinoselo  verengt  sich  der  Fluss  immer  mehr;  bei  Station  Vijenac  ragen 
auf  1035  Meter  hohem  Kegel  die  Ruinen  der  gleichnamigen  Burg  auf  dem 
rechten  Ufer  empor,  das  Stammschloss  der  ungarischen  gräflichen  Familie 
Keglcvic.  Dir  Strasse  umgeht  den  grössten  Theil  des  Burgfelsens,  der 
am  Yereinigungspunkte  dreier  Thäler  emporragt  und  der  einst  ein  ungemein 
wichtiger  strategischer  Tunkt  war.  Immer  enger  wird  das  Thal,1  immer 
dichter  die    Bewaldung   der   Berglehnen.     Nach  Passirung    zweier    Tunnels 


■\ '  6 


von  150  Meter  und  j^,  Meter  Länge  bietet  sich  plötzlich  bei  einer  Biegung 
des  Weges  ein  grossartiger  Anblick.  Vor  uns  liegt  eine  mittelalterliche 
Bergfestung.  Hohe,  zum  Thcil  verfallene  Mauern  ziehen  -ich  über  die 
Bergrücken,  von  mächtigen  Thürmen  flankirt,  während  Häuserreihen  sich 
nach  allen  Seiten  in  die  Felsen  erstrecken.  Das  ist  das  Kastell  von  Jajcc, 
der  romantischen  Königsstadt.  Die  Strasse  vereinigt  sich  mit  der  von 
Travnik  hier  einlaufenden  Fahrstrasse,  übersetzt  auf  einer  55  Meter  langen 
Brücke  den  Fluss  und  fuhrt  am  grossen  Plivafall,  dessen  (Gewässer  schäumen 
und  brausen,  vorüber,  durch  ein  mittelalterliches  Festungsthor  in  die  Stadt, 
wo  uns  das  von  der  Regierung  gebaute  »Grand  Hotel«  in  seine  behaglichen 
gastlichen  Räume  aufnimmt. 


Zwischen   D  olnji-  Vakuf  und   Babinpotok. 


-7 


Die  Königsstadt 
Jajce. 


Durch  ihre  geschichtliche  Vergangenheit,  durch  die  archäologischen 
Funde  ist  Jajce  eine  der  interessantesten  Städte  von  Bosnien  und  der 
Hercegovina,  durch  ihre  wunden  olle  Lage  am  Zusammenflusse  der  Pliva 
mit  dem  Vrbas,  zum  Theil  auf  einer  isolirten  Bergkuppe  erbaut,  eine  der 
malerischsten  und  sehenswerthesten  und  für  jeden  Fremden  ein  wahres 
Schatzkästchen  der  Romantik.  Um  ihre  Bedeutung  zu  ermessen,  ihre  Bau- 
werke zu  verstehen,  müssen  wir  auf  die  Geschichte  der  Stadt  näher  ein- 
gehen,  die  schon  vielfache  Darstellungen  erfahren  hat.     Am  eingehendsten 


Anfangsvignette :    Altes  Thor  und  Kaffeehaus   in  Jajce. 


420 


und  sachgemässesten  schildert  sie  der  Custos  des  bosnisch-hercegovinischen 
Landesmuseums  Dr.  Giro  Truhelka,  dessen  Werkchen  (-Geschichte  und 
Denkwürdigkeiten  von  Jajce«,  Sarajevo    1888)  ich  nachstehend  folge. 

Wann    die  Stadt   gegründet  wurde,    ist  nicht  genau  bekannt.     Schon 
Constantin  Porphyrogenitus  erwähnt  die  Landschaft  Pliva  zu  jener  Zeit,  als 
die  Franken    unter   ihrem   Führer  Cotzilinas  aus  Illyrien  vertrieben  wurden 
und    sie    bildete    nebst    zehn   anderen    Zupen    das   nachmalige   Königreich 
Kroatien.    Im  12.  Jahrhundert  stritten  der  bosnische  Ban  und  der  kroatische 
König  um  den  Besitz  der  Landschaft.     Später  wird  ihrer  in  der  bosnischen 
Geschichte   nicht  erwähnt;  erst  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts,   wo  sie  in 
den  Besitz  des  mächtigen  Magnaten  Hrvoja  gelangte,  tritt  sie  in  das  öffentliche 
Leben.    Hrvoja  führte  schon  1404,  wie  Klaic  in  seiner  Geschichte  Bosniens 
erzählt,   den  Titel    »Vojvoda  Dolnji  Kraj«,   womit  das  Gebiet  an   der  Pliva 
bezeichnet  wurde.     Als   er   sich   mit   dem   bosnischen   Könige  Ostoja    ent- 
zweite und  sich  dem  ungarischen  Könige  Sigismuncl  anschloss,   liess  er  sich 
auch   von    diesem    im   Jahre    141 1    den   Besitz   bestätigen,    wodurch    dieser 
Theil  auf  kurze  Zeit  unter  die  Oberhoheit  der  ungarischen  Krone  gelangte. 
Um  diese  Zeit  bildeten  sich  an  der  felsigen  Landzunge  zwischen  der  Pliva 
und    dem    Vrbas    die    ersten   Anfänge    der   Stadt  Jajce,    welche  Hrvoja    auf 
geraume    Zeit    zu    seiner    Residenz    wählte.      Von     141 1     und     141 2    sind 
Dokumente,   aus  Jajce  datirt,  vorhanden.     Die  Stadt  überflügelte  bald  die 
meisten  Städte  Bosniens.    Sie  wurde  Sitz  eines  Banus,   in  welcher  Würde  ein 
Manifest  des  Königs  Stefan  Tomasevic  vom  Jahre  1459  den  Radivoj  Jablanovic 
nennt  und  derselbe  König  erwählte  die  Stadt  bei  seinem  Regierungsantritt 
zu  meiner  Residenz,  sodass  sie  der  gleichzeitige  Geschichtsschreiber  Laonicos 
Chalkokondilas    als    die    Metropole    Bosniens    bezeichnet.      Während    der 
stürmischen  Zeiten,    die   über  Bosnien    kamen,    bildete   sie  den  wichtigsten 
strategischen  Punkt.     Im  Jahre  1463  brach  das  Verhängniss  über  das  Land 
durch  die  Türken  herein.    Als  das  grosse  Heer  Sultan  Mohammed  II.  el  Fatih 
die  bosnische  Grenze  überschritt,   floh  König  Stefan  Tomasevic   aus  seiner 
festen  Burg   Bobovac,    deren  Yertheidigung   er   seinem  Hauptmann   Radak 
übergab,  nach  Jajce.    Bobovac  fiel,  von  Radak  verrathen,  in  die  Hände  des 
Sultans,  welcher  den  Kommandanten  zum  Lohne  für  seinen  Verrath  von  der 
Felswand  stürzen  liess.     Den  König  liess   der  Sultan  durch  Mahmud  Pascha 
und   20  000  Mann  leichter  Kavallerie  verfolgen.     Mahmud  setzte   über  den 
Vrbas  und  erschien  vor  Jajce,  wo  er  aber  erfuhr,  dass  der  König  die  Stadt 
verlassen  habe.    Er  hatte  sich  zuerst  nach  der  unweit  gelegenen  Burg  Sokol 
begeben,   und  als  ihm   diese  zu  wenig  Sicherheit  zu  bieten  schien,    floh  er 
nach    der   festen  Burg  Kljuc    an    der  Sanna,    wo    er  einige  Tage   zu  rasten 
gedachte.     Mahmud   Pascha   schickte    eine    kleine    Abtheilung   unter  Omer 
Beg  Turchanoglu  nach  Kljuö.     Es  kam  zu  einem  Scharmützel,   wobei  sich 
Omer  zurückziehen  musste,  während  sich  die  Besatzung  in  die  Burg  einschloss. 


—    421     — 


I  eisen  einschnitt  vor  Jajce. 

Omer  Beg  hatte  keine  Ahnung,  dass  sich  der  viel  gesuchte  bosnische 
König  in  nächster  Nähe  befinde  und  er  versuchte  von  einigen  Bauern,  die 
er  gefangen  nahm,  seinen  Aufenthalt  zu  erfahren.  Als  diese  beharrlich 
jede  Auskunft  verweigerten,  sandte  er  sie  zu  Mahmud  Pascha.  Konstantino  vi  c 
berichtet,  dass  ein  Bosniake  den  Aufenthaltsort  des  Königs  für  einen  Kuchen 
verrieth,  eine  Behauptung,  welche  unglaublich  klingt,  die  aber  jener  Tage 
in  Bosnien  wohl  möglich  war.  Mahmud  Pascha,  als  er  von  dem  Aufenthalt 
des  Königs  Nachricht  empfing,  brach  mit  seiner  Reiterei  auf  und  zog,  den 
Engpässen,  die  nach  Kljuc  führten,  Trotz  bietend,  dorthin.  An  der  Sanna 
angelangt,  wagte  er  auch  den  Uebergang  über  die  in  hohem  Grade  gebrech- 
liche Sannabrücke  und  machte  Anstalten,  die  Burg  zu  belagern.  Er  hatte 
aber  trotz  seines  zahlreichen  Heeres  wenig  Aussicht  auf  Erfolg.  Die  Festung 
Kljuc  ist  auf  senkrechten  Felswänden,  deren  Sockel  der  Sannafluss  umspült, 
erbaut.  Von  drei  Seiten  ist  sie  absolut  unzugänglich  und  den  steilen  Aufgang, 
der  von  der  Südseite  zur  Burg  führt,  beherrscht  ein  mächtiger,  auf  dem 
schroffen  Babakaja-Felsen  erbauter  Thurm,  welcher  die  Festung  um  ein 
beträchtliches  überragt.  Ausserdem  führten  zwei  über  senkrechten  Felsspalten 
angebrachte  Fallthüren  ins  Freie.  Die  eine  führte  zur  Sanna  und  versorgte  die 
Burg  mit  Wasser,  während  die  andere  im  äussersten  Nothfalle  den  Weg  zur 
Flucht  bot.  Der  modernen  Strategie  würde  die  Burg  keine  grossen  Schwierig- 
keiten bieten,  denn  sie  lässt  sich  von  dem  auf  dem  andern  Sanna-Ufer 
liegenden  /elenberge  leicht  bestreichen,  aber  selbst  die  spärlichen,  heute 
noch  erhaltenen  Reste  rufen  den  Eindruck  hervor,  dass  sie  in  einer  Zeit, 
wo  nur  schweres,  plumpes  Geschütz  ins  Feld  gezogen  und  nicht  selten, 
um     «lern    schwierigen    Transporte    auszuweichen,     erst    am     Kampfplatze 


422    — 


gegossen  wurde  (wie  bei  der  zweiten  Belagerung  von  Jajce),  unüberwindliche 
Schwierigkeiten  bieten  musste. 

Mahmud  Pascha,  der  gar  kein  Geschütz  mit  sich  führte-,  sah  wohl  ein, 
dass  er  mit  seinen  20000  leichten  Reitern  gegen  Felsenthürme  nichts  aus 
richten  könne.  Auch  an  Aushungern  war  nicht  zu  denken,  da  eine  längere 
Belagerung  nicht  in  das  Programm  des  Kriegszuges  passte.  Er  versuchte 
dahet  durch  Ueberredung  den  König  zur  Kapitulation  zu  bewegen.  Er 
versprach  alles  Mögliche,  und  als  er  ihm  schriftlich  die  eidliche  Zusage  gab, 
man  würde  sowohl  sein  als  auch  das  Leben  seines  Onkels  und  Neffen 
schonen  und  der  Sultan  werde  ihm  für  Bosnien  eine  andere  gleichwerthige 
Provinz  verleihen,  ergab  sich  der  König.  Mit  der  Besatzung  und  der 
Bürgerschaft  verfuhr  Mahmud  Pascha  nach  dem  Prinzip,  das  sein  Heer  bei 
allen  bisherigen  Eroberungen  konsequent  durchgeführt  hatte.  Ein  Drittel 
davon  wurde  unter  die  Grossen  in  seinem  Gefolge  vertheilt  und  dem 
Janitscharenkorps  einverleibt,  das  andere  wurde  nach  Konstantinopel  ge- 
schleppt, damit  die  Bevölkerung  der  noch  öden  Vorstädte  zu  vermehren, 
während  der  dritte  und  ärmste  Theil  in  der  Stadt  belassen  wurde.  Nach- 
dem auch  des  Königs  Onkel  Radivoj  in  der  unweit  von  Jajce  gelegenen 
Burg  Ordzaj  gefangen  genommen  worden,  kehrte  Mahmud  Pascha  mit 
seiner  Beute  nach  Jajce  zurück,  wo  unterdess  Sultan  Mohammed  el  Fatih  er- 
schienen war  und  die  von  ihrem  Könige  verlassene  Stadt  belagerte.  Sobald 
die  Besatzung  den  König  gefangen  sah,   ergab  sie   sich. 

Als  Mahmud  Pascha  mit  seinen  Gefangenen  vor  Jajce  ankam,  war 
der  Sultan  entzückt,  aber  die  Zusage,  die  der  Pascha  dem  Könige  gegeben, 
war  nicht  nach  seinem  Sinn.  Trotzdem  konnte  er  die  eidliche  Zusage 
eines  seiner  besten  Heerführer  nicht  ohne  Weiteres  über  den  Haufen  werfen. 
Um  über  diesen  Gewissenspunkt  hinwegzukommen,  wandte  sich  der  Sultan 
an  die  Ulema,  und  einer  jener  frommen  Gelehrten,  deren  er  stets  auf  seinen 
Zügen  mit  sich  führte,  der  Perser  Scheich  Ali  Bestami,  mit  dem  Beinamen 
Massafinek,  stellte  dem  Sultan  ein  Fetwa  aus,  das  über  das  Schicksal  des 
Königs  entscheiden  sollte.  Ueber  die  Begründungen  dieses  Fetwa  sind 
mehrere  Versionen  bekannt.  Die  eine  im  »Tarihi-diari«  berichtet,  dass 
darin  auf  einen  Schwur  hingewiesen  wird,  welchen  der  Sultan  früher  geleistet 
hatte  und  wonach  er  den  König  hinrichten  lassen  werde,  wenn  er  ihn  in 
seine  Gewalt  bekäme,  und  dass  dieser  Schwur  eine  spätere  Zusage  seines 
Veziers  aufhebe.  Der  anderen,  von  Hammer- Purgstall  aufgenommenen 
Version  zufolge  stützte  sich  das  Fetwa  auf  das  sonderbar  klingende  Axiom, 
ein  Herr  sei  nicht  verpflichtet,  die  Zusage  seines  Dieners  zu  halten,  wenn 
diese  ohne  seine  Ermächtigung  gegeben  wurde.  Beide  Versionen  genügten, 
über  das  Leben  des  Königs  zu  entscheiden.  Dem  Sultan  war  nur  noch 
daran  gelegen,  die  Nothlage  seines  Gefangenen  auszunützen.  Er  bewog 
den    durch  Versprechungen   irregeführten  König,    an  alle  seine  Städte  den 


-    423 


Auftrag  ergehen  zu  lassen,  sich  den  Türken  ohne  Widerstand  zu  ergeben. 
Dadurch  kamen  über  70  befestigte  Städte  in  die  Macht  des  Eroberers. 
Sultan  Mohammed  aber,  als  er  seine  Eroberungsoperation  in  Bosnien 
so  rasch  erledigt  sah,  brach  über  den  König  den  Stab.  Er  bestellte  ihn 
zu  sich  und  dieser,  wohl  ahnend,  dass  seiner  ein  gleiches  Schicksal  harre, 
wie  es  den  Kaiser  von  Trapezunt,  die  Fürsten  von  Athen  und  Mytilene 
getroffen,  nahm  jenes  eidliche  Versprechen  Mahmud  Paschas  mit  sich,  um 
nöthigen  Falls  darauf  hinweisen  zu  können. 

Es  nutzte  ihm  nichts,  sein  Tod  war  beschlossen,  und  auf  dem 
Carevopolje  bei  Jajce  —  nicht,  wie  es  früher  hiess,  bei  Bilaj  oder  gar  bei 
Blagaj  —  wurde  Stefan  Tomasevic,  nachdem  ihm  angeblich  bei  lebendigem 
Leibe  die  Haut  abgezogen  worden,  von  dem  Scheich  Ali  Bestami  geköpft. 
Nach  der  Hinrichtung  wünschte  der  Sultan,  wie  Ibrahim  Beg  Basagic  im 
»Glasnik  zem.  muz.«  erzählt,  dass  man  über  die  Ursache  des  Todes  nicht 
im  Zweifel  sei  und  dass  das  Fetwa  des  Scheich  wörtlich  an  dem  Stadthore 
von  Jajce  eingemeisselt  werde.  Dort  soll  es  sich  bis  zu  den  Insurrektions- 
kämpfen in  der  zweiten  Hälfte  unseres  Jahrhunderts  befunden  haben.  Sein 
Inhalt  ist  weder  im  »Taddzut-tevarih«,  noch  im  »Mir-ati-cajinat«,  noch  in 
anderen  türkischen  Geschichtsbüchern,  die  über  Bosnien  handeln,  auf- 
gezeichnet, sondern  nur  mündlich  überliefert  worden.  Es  heisst:  »El 
mumin  la  juldagu  min  dzuhrin  merretejni«,  d.  h.:  »Der  Gläubige  wird  nicht 
zweimal  aus  einem  Schlangenverstecke  gebissen«.  Damit  soll  gesagt  werden, 
dass  der  König  Verrath  übte,  als  er  sich  schon  unter  dem  Schutze  des 
Sultans  befand.  Die  Ungerechtigkeit  der  Hinrichtung  sollte  dadurch  be- 
schönigt werden. 

Das  Grab  des  Königs  war  lange  unbekannt,  obwohl  im  Volksmunde 
eine  Stelle  am  Hum  ausdrücklich  als  »Kraljevski  grob«  (Königsgrab)  be- 
zeichnet wurde  und  die  Sage  sogar  über  das  Begräbniss  des  Königs  zu 
berichten  wusste.  »So  habe  der  Sultan  einer  Janitscharen- Abtheilung  den 
Befehl  gegeben,  den  Leichnam  derart  zu  begraben,  dass  die  Grabstätte  von 
der  Stadt  aus  sichtbar  sei,  dass  man  aber  das  Grab  selbst  und  vom  Grabe 
aus  die  Stadt  nicht  sehe.  Der  Begräbnisszug  nahm  die  Richtung  gegen 
Hum  und  einer  der  Männer  trug  eine  hohe  Fahne  voran.  Der  Sultan  blickte 
ihnen  nach  und  als  die  Janitscharen  allmählich  seinen  Blicken  entschwanden 
und  nur  noch  die  äusserste  Spitze  der  Fahne  sichtbar  war,  gebot  er  ihnen 
durch  ein  Signal  anzuhalten  und  an  der  Stelle,  wo  sie  angelangt  waren, 
den  König  zu  begraben.« 

Diese  naive  Ortsbeschreibung  nahm  Dr.  Truhelka  zum  Ausgangs- 
punkt, um  das  Grab  des  Königs  zu  entdecken  und  —  es  glückte  ihm! 
Im  Juni  iXXS  entstieg  die  Leiche  des  letzten  bosnischen  Königs  ihrem 
Grabe  und  sie  fand  eine  würdigere  Ruhestätte  in  der  Franziskanerkirche 
in  Jajce.     Ueber  den  Fund  selbst  gebe  ich  dem  Ausgraber  das  Wort: 


4^4 


Am  rechten,  dem  grossartigen  Plivafalle  gegenüber  liegenden  Ufer  des  Vrbas  steigt  ein 
ziemlich  steiler,  im  Unterbau  felsiger  Hügel  empor,  der  in  eine  anregelmässige  Terrasse 
endet,  die  von  der  Südostseite  vom  schroffen  Humgebirge  umschlossen  ist.  Wenn  man  den 
Weg,  welcher  über  die  alte  Vrbasbrücke  aus  Jajce  nach  Podhum  führt,  verfolgt,  so  gelangt 
man  zu  einer  Stelle  auf  der  erwähnten  Terrasse,  von  wo  aus  sich  dem  Auge  nach  Norden 
zu  ein  herrlicher  Anblick  auf  das  Carevopolje  öffnet.  Gegen  Südost  steigen  die  Kalkwände 
des  Berges  Hum  empor,  während  nach  Westen  zu  eine  sanfte  Erhöhung  über  den  Rand  der 
Terrasse  den  Ausblick  auf  Jajce  verwehrt.  Hier  auf  dieser  Stelle,  knapp  am  Saume  des 
Weges,  befindet  sich  eine  schmucklose  Steinplatte,  welche  jeder  vorübergehende  Landmann 
als  des  »Königs  Grab«  bezeichnete.  Die  Platte  ist  etwa  i  Meter  breit,  1,8  Meter  lang,  roh 
behauen  und  trägt  keinerlei  nachweisbare  Spuren  irgend  welcher  Verzierung  oder  Inschrift. 
Nur  auf  der  nach  oben  zugekehrten  Seite,  nicht  ganz  in  der  Mitte,  ist  ein  einfaches  Kreuzes- 
zeichen zu  bemerken.  Dasselbe  ist  sehr  primitiv,  entschieden  mit  einem  höchst  ungeeigneten 
Werkzeuge  circa  i  Centimeter  tief  eingeritzt,  und  zeigt  die  Vertiefung  der  Gravirung  geringere 
Witterungseinflüsse,  als  sie  bei  den  übrigen  Partien  der  Platte  wahrgenommen  werden  —  ein 
Zeichen,  dass  das  Kreuz  später  eingeritzt,  als  der  Stein  gesetzt  worden,  dass  es  vielleicht  eine 
spätere  pietätvolle  Widmung  den  Manen  des  hier  zur  Ruhe  Bestatteten  ist.  ...  In  einer  Tiefe 
von  beiläufig  So  Centimeter  kamen  grössere  Steinblöcke,  welche  die  ganze  Länge  des  Grabes 
bedeckten,  zum  Vorschein.  Diese  wurden  weggeschafft,  und  nach  einigen  Spatenstichen 
zeigten  sich  die  Schädelknochen,  und  zwar,  wie  ich  vermuthet  hatte,  an  dem  Westende  des 
Grabes.  Der  ganze  Schädel  wurde  blossgelegt,  aber  trotz  der  grössten  Vorsicht  zerfiel  er  beim 
Heben  in  seine  Bestandtheile.  Die  Ursache  davon  war  die,  dass  der  Leichnam  zuerst  mit 
grösseren  Steinblöcken  bedeckt  wurde,  welche  am  Schädel  einige  Knochensprünge  verursachten 
und  den  ganzen  Brustkorb  eindrückten.  Erst  im  Laufe  der  Zeit  lagerte  das  durchsickernde 
Wasser  feuchten  Lehm  auf  das  Skelett  ab  und  füllte  die  Fugen  zwischen  den  Steinen  und 
die  Höhlungen  des  Skeletts  aus.  .  .  .  Bei  den  weiteren  Nachforschungen  wurden  die  übrigen 
Theile  des  Skeletts  zu  Tage  gefördert.  Es  war  mit  dem  Kopfende  nach  West,  die  Füsse 
nach  Ost  gekehrt,  jedoch  war  der  Kopf  vom  Rumpfe  getrennt  und  auf  dem  Brustkorbe  in 
schiefer  Lage  gelegen,  so  zwar,  dass  die  linke  Profilseite  nach  oben  gerichtet  war,  wobei  der 
Schädel  auf  der  rechten  Kiefer-  und  Ohrpartie  zu  liegen  kam.  Der  Brustkorb  war  durch  die 
auf  den  Leichnam  geworfenen  Steinblöcke  eingedrückt  und  zertrümmert,  die  Hände  über  die 
Brust  gekreuzt,  wobei  der  linke  Arm  in  Folge  der  Steinlast,  welche  auf  ihm  lagerte,  in  der- 
artiger Lage  war,  dass  der  Elbogen  nach  oben  gekehrt  war.  Die  unteren  Extremitäten  waren 
in  natürlicher  Lage,  nur  beim  linken  Oberschenkel  konnte  ich  einen  Beinbruch  feststellen, 
indem  beim  Biossiegen  die  obere  Hälfte  des  Knochens  normal  war;  als  ich  aber  plötzlich  zur 
Bruchstelle  gelangte,  fand  ich  seine  weitere  Fortsetzung  nicht  in  der  entsprechenden  Richtung, 
sondern  etwa  8  Centimeter  nach  rechts,  an  den  rechten  Schenkelknochen  anliegend. 

Die  Lage  des  Skeletts  lässt  es  als  unzweifelhaft  erscheinen,  dass  ich  die  Ueberreste 
eines  Hingerichteten  blossgelegt,  welcher  geköpft,  massakrirt  und  nackt  begraben  wurde  — 
nackt,  denn  nicht  ein  einziger  Knopf,  Spange  oder  sonstiges  Objekt  fand  sich  vor,  welches 
auf  ein  Kostüm  hinweisen  würde.  Nur  ein  gebogenes  Eisenstück  wurde  am  Fussende  vor- 
gefunden, und  bei  genauer  Untersuchung  stellte  es  sich  heraus,  dass  es  der  Bügel  eines 
Vorhängeschlosses  sei  und  zweifellos  ein  Bestandtheil  der  Fussfesseln  war.  Ausserdem  fand 
ich  etwa  ,10  Centimeter  über  den  Brustknochen,  dort  wo  sich  die  Hände  kreuzten,  zwei  kleine 
ungarische  Silbermünzen  von  Ludwig  dem  Grossen,  —  Münzen,  welche  im  15.  Jahrhundert  in 
Bosnien  häufig  im  Umlauf  waren.  Alle  angeführten  Umstände  sind  im  Einklang  mit  dem 
Schicksal  des  Königs  Tomasevic  und  es  sind  noch  manche  Anhaltspunkte,  welche  die  Identität 
bestätigen.  Die  gefundenen  Knochen  gehörten  einem  Manne  im  ersten  Mannesalter  von 
untersetzter  Statur,  was  bei  Tomasevic  der  Fall  war.  Ausserdem  zeigt  die  Schädelformation 
eine    auffallende  Verwandtschaft    mit  derjenigen,     welche    ich    auf   den    beiden   Bildnissen    des 


—     425      — 


Königs  beobachten  konnte.  Das  eine  im  Besitz  der  Strossmayer-Galerie  in  Agram  stellt  den 
König  dar.  wie  ihm  Christus  im  Traume  erscheint  und  ist  unzweifelhaft  zu  seinen  Lebzeiten 
gemalt.  Das  andere  in  Sutjeska  ist  jünger  und  bringt  denselben  Gegenstand  zur  Ansicht. 
Auf  beiden  ist  ein  ovales,  nach  unten  zugespitztes  Gesicht  mit  vorstehendem  Kinn,  hoher 
schön  gewölbter  Stirn  charakteristisch  und  bedingt  einen  Schadelbau,  wie  ihn  der  vom 
■^Kraljevski  grob«  aufweist.  Die  rrofillinien  beider  Porträts  sind  congruent  mit  denen  des 
Schädels  —  ein  Beweis  mehr  zur  Identität  und  davon,  dass  die  Tradition,  obwohl  sie  von 
der  Phantasie  begünstigt  und  grossgezogen  wird,  immer  einen  historischen  Hintergrund,  eine 
positive  Basis  besitzt,  auf  der  sie  der  Volksgeist  und  die  dahinziehenden  Jahrhunderte  aufbauten. 

Nach  dem  Niederbruche  des  bosnischen  Königthums  ging  der  König 
von  Ungarn  gegen  die  Türken  vor.  Im  Oktober  1463  erschien  Mathias 
Corvinus  vor  Jajce  und  begann  die  Stadt  zu  belagern.    Die  Bosnier,   die  der 


J  .'  :  c  e   in  1 1  .1  en   l'l  Lva  fäll  e  n. 


426     — 


Sultan  in  der  Stadt  gelassen  hatte,  Leisteten  bedeutenden  Vorschub, 
bemächtigten  sieh  eines  Thurmes  und  rissen  von  dessen  Zinnen  die 
türkische  Fahneherab.  Die  Besatzung  erschrak  darüber,  gab  dieVertheidigung 
der  unteren  Stadt  auf  und  schloss  sich  in  die  Burg  ein,  [während  König 
Mathias  nach  kaum  viertägiger  Belagerung  in  die  untere  Stadt  einzog.  Aber 
erst  nach  achtwöchentlicher  Belagerung  gelang  es,  die  Besatzung  zur  ( 
gäbe  des  Kastells  zu  zwingen.  Nach  der  Eroberung  von  Jajce  war  [es 
leicht,  die  angrenzende  Landschaft  den  Türken  zu  entreissen  und  so  kamen 
die  Landschaften  Usora  und  Dolnji  Kraj  mit  26  Städten  in  die  Gewalt 
des  Königs  von  Ungarn.  Im  Jahre  1464  rüstete  der  Sultan  ein  neues, 
30000  Mann  starkes  Heer  aus  und  zog  vor  Jajce.  Vor  der  Stadt  liess 
er  grosse  Kanonen  giessen,  aus  der  er  sie  beschoss.  Sein  Heer  theilte  er 
in  drei  Theile  und  führte  durch  drei  Tage  immer  frische  Kräfte  in  die 
Bresche.  Auf  beiden  Seiten  war  der  Kampf  verzweifelt  und  wurden  Proben 
höchsten  Heldenmuthes  geliefert.  Ein  Türke  erstieg  sogar  einen  Wall, 
kletterte  auf  einen  Thurm  und  war  schon  im  Begriff,  das  Festungsbanner 
von  seinen  Zinnen  herabzureissen,  als  ihn  einer  von  des  Königs  Trabanten 
daran  verhinderte.  Er  umklammerte  ihn  und  beide  stürzten  in  den  Ab- 
grund. Emerich  Zäpolya,  der  die  Vertheidigung  leitete,  konnte  sich 
unmöglich  auf  'die  Dauer  halten  und  die  Stadt  wäre  verloren  gewesen, 
wenn  er  nicht  die  Nachricht  verbreitet  hätte,  Konig  Mathias  sei  auf  dem 
Anzüge.  Darauf  hob  der  Sultan  die  Belagerung  auf,  nachdem  er  sein 
grosses  Geschütz  in  den  Vrbas  hatte  werfen  lassen. 

König  Mathias  begann  noch  im  selben  Jahre  mit  |der  Organisation 
der  wiedereroberten  Landestheile,  die  in  zwei  Banate  getheilt  wurden, 
Jajce  und  Srebrnik.  Damit  aber  in  Bosnien  die  Erinnerung  an  das  einstige 
Königreich  wach  bleibe,  ernannte  er  den  Banus  von  Macva,  Nikolaus  von 
Ujlaky,  1472  zum  Könige  von  Bosnien.  Jajce  wurde  die  Hauptstadt,  und 
vor  seinen  Mauern  spielt  sich  durch  volle  64  Jahre  die  Geschichte  des 
Landes  ab.  Immer  und  immer  wieder  führten  Mehmed  und  Bajazid 
türkische  Heere  gegen  Jajce,  aber  alle  Angriffe  wurden  abgeschlagen. 
Nach  dem  Tode  Ujlaky's  wurde  kein  neuer  König  ernannt.  Sein  Sohn 
nennt  sich  in  einer  Urkunde  vom  Jahre  1492  blos  »Dux  Bosnae«.  Aber 
ungarische  Bane  regieren  Bosnien  weiterhin.  Banus  von  Jajce  war  von 
1499 — 1501  Graf  Franz  Berislavic,  welchem  Balthasar  Batthyänyi,  Ladislaus 
von  Kanisza  und  Johann  Bebek  folgten.  Dann  kamen  Bartol,  Prior  von 
Vrana,  Georg  von  Zthresemley  und  Peter  Keglevic.  Nach  dem  Tode 
König  Mathias'  erneuerten  sich  in  rascher  Folge  die  türkischen  Unter- 
nehmungen gegen  Jajce.  1500  erschien  Sultan  Bajazid  vor  der  Festung. 
er  wurde  jedoch  von  Mathias  Corvinus  entscheidend  geschlagen.  Die 
Vertheidigung  der  Stadt  wurde  aber  später  immer  mehr  vernachlässigt, 
so    dass    die  Türken    in    den    nächsten  Jahren    weiter   vorrücken    und   ein 


—     427 


Gebiet  nach  dem  anderen  besetzen   konnten.     Im  Jahre   1520  führten   die 
Sandschak-Begs  von  Serbien  und  Bosnien  schwere  Schläge  gegen  die  noch 
in  christlichen  Händen  befindlichen  Theile.     Zwornik,  die  Schutzveste  der 
Drina,  fiel  durch  Nachlässigkeit  des  Befehlshabers,  Tesanj  fiel,  der  Schlüssel 
von  Usora.     Jajce    aber    Hess    der  greise  Peter  Keglevic   nicht   fahren   und 
die    Verteidigung    dieser    Stadt    ist    das    letzte    glänzende   Denkmal    der 
ungarischen  Herrschaft  in  Bosnien.     Nach  der  Einnahme  von  Zwornik  und 
Tesanj    überschritt    der    Beglerbeg    von    Bosnien,     Ferhad    Pascha,     mit 
I  5  000  Mann  die  Save,  wurde  jedoch  durch  die  Hauptleute  Paul  Tomori, 
Jakob    Bänffy,    Franz    Radö,    Johann   Kallay    und    Stefan   Bardy    gänzlich 
geschlagen   und   fiel   selbst.     Sein  Nachfolger  Usref  Pascha  ging,    um   die 
Scharte   auszuwetzen,    mit   dem   Pascha   von    Epirus,    Sinan,    und    mit   den 
Paschas    von   Belgrad   und   Semendria   abermals   an   eine   Belagerung  von 
Jajce.      Nachdem     die    Türken    eine    Zeit    hindurch    die    Burg    vergebens 
belagert  hatten,  gewann  es  den  Anschein,  als  wollten  sie  ihre  fruchtlosen 
Bemühungen   aufgeben.     Peter  Keglevic   aber   erfuhr,    dass   dies   blos   eine 
List    sei,    dass    die   Türken   Halt    gemacht,    sich    unter   dem   Schutze   der 
Walder    und   Schluchten    bergen    und    dort  Tag   und   Nacht  Belagerungs- 
leitern   anfertigen.      Keglevic    bewachte    daher    die   Mauern   noch   eifriger, 
einen  Theil   seiner  Truppen   aber   entsendete   er  in   die  Wälder,    um   dort 
im  Hinterhalt  zu  stehen,   bis  ein  Kanonenschuss  das  Zeichen  zum  Angriff 
auf  den  Feind   gäbe.     Er   ersann    aber   auch    noch    eine  andere  List.     Da 


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Altes  Stadtthor  in  Jajce. 


-     428 


es  eben  am  Vorabende  eines  Festes  war,  versammelte  er  die  Mädchen 
und  Frauen  und  forderte  sie  auf,  vor  die  Stadt  zu  ziehen  und  auf  der 
»Königswiese^  zu  singen  und  zu  tanzen,  wie  sie  es  in  sicherer  Friedens- 
zeit zu  thun  pflegten.  Im  Laufe  der  Nacht  kamen  die  Türken  mit  Belagerungs- 
leitern aus  ihren  Verstecken  hervor.  Als  sie  sich  der  Stadt  näherten,  hörten 
sie  lustige  Lieder  zur  Gusla  singen,  sahen  die  im  Mondenschein  tanzenden 
muthigen  Weiber  und  angesichts  solcher  Sorglosigkeit  lösten  sie  auch  sorg 
los  ihre  Reihen  und  warfen  die  Leitern  von  sich,  um  nicht  auf  die  Burg, 
sondern  auf  die  Frauen  einzudringen.  In  diesem  Augenblick  erdröhnt 
die  Kanone,  Peter  Keglevic  stürmt  aus  der  Festung,  die  im  Hintergründe 
stehenden  Truppen  stürzen  sich  auf  die  Türken,  die  Frauen  und  Mädchen 
greifen  zu  den  Waffen,  die  Türken  werden  bis  zum  letzten  Mann  nieder- 
gemacht. 

Bald  erschien  ein  neues  Heer  vor  Jajce.  Die  Stadt  wurde  eng  ein- 
geschlossen und  durch  anderthalb  Jahre  belagert.  Auf  zwei  Seiten  liess 
Ghazi  Usref  Pascha  Minen  anlegen  und  bedrängte  die  Stadt  mit  ununter- 
brochenem Geschützfeuer.  Sämmtliche  Wege  und  Pässe  in  der  Umgebung 
wurden  besetzt,  sodass  Jajce  von  jedem  Verkehr  nach  Aussen  abgeschnitten 
war,  was  sich  um  so  fühlbarer  machte,  als  die  Mundvorräthe  in  der  Festung 
auf  die  Neige  gingen.  Bisher  erhielt  Jajce  so  ziemlich  alle  Vierteljahre 
frische  Vorräthe,  während  jetzt  anderthalb  Jahre  vergingen,  ohne  dass  es 
denkbar  war,  aus  Ungarn  frischen  Proviant  zu  verschaffen.  Der  König 
Ludwig  hatte  zwar  1520  Anordnungen  getroffen,  dass  dies  geschehe,  unter 
Andern  waren  damit  die  Bane  Franz  Batthyänyi  und  Graf  Tahi,  wie  der 
sonst  tapfere  Michael  Török  betraut,  aber  keiner  wagte  sich  an  die  Aus- 
führung der  heiklen  Mission.  Die  Türken  hatten  alle  kleinen  Burgen  in 
der  Umgebung  besetzt  und  einzelne  Janitscharen- Gruppen  durchstreiften 
das  ganze  Gebiet  und  machten  es  dem  Bauer  unmöglich,  sein  Feld  zu 
bestellen.  Bald  zeigten  sich  die  ersten  Spuren  der  Hungersnoth,  die  sich 
besonders  in  der  Stadt  doppelt  fühlbar  machte.  Sie  nahm  solchen  Umfang 
an,  dass  mancher  Bürger  vorzog,  Weib  und  Kind  zurückzulassen  und 
heimlich  zu  fliehen,    um  sich  auf  Tod  und  Leben  zu   übergeben. 

Der  tapfere  Vertheidiger  der  Stadt  sah  ein,  dass  Jajce,  wenn  nicht 
bald  Hilfe  komme,  verloren  sei.  Er  schickte  auf  gut  Glück  einen  gewissen 
Jure  Mrsi6  ab,  um  Hilfe  zu  suchen.  Diesem  gelang  es,  sich  durch  den 
Türkenkordon  zu  schleichen  und  er  gelangte  nach  Ofen,  wo  er  vor  dem 
König  und  den  versammelten  Ständen  die  Noth  Jajces  in  den  grellsten 
Farben  schilderte.  Er  erzählte,  dass  alle  Vorräthe  bereits  aufgezehrt,  dass 
selbst  Pferdefleisch  nicht  mehr  aufzutreiben  sei.  Eine  Mutter,  vom  Hunger 
bis  zum  Wahnsinn  gebracht,  habe  ihr  eigenes  Kind  in  den  Vrbas  ge- 
worfen, um  an  ihm  nicht  die  Qualen  des  Hungertodes  sehen  zu  müssen. 
Seine    Schilderung    machte    tiefen    Eindruck    auf    Alle    und  besonders  auf 


—    429    — 


den  Grafen  Krsto  Frankopan,  welcher  sich  erbot,  der  bedrängten  Stadt 
Nahrung  und  Munition  zu  bringen.  Unterdessen  wehrte  sich  Peter 
Keglevic  sammt  seiner  tapferen  -Mannschaft  mit  beispiellosem  Heroismus 
gegen  den  doppelten  Feind  —  Belagerer  und  Hunger  —  und  lieferte 
dadurch  den  Beweis,  dass  der  Heldenmuth  eines  Leonidas  selbst  in  einer 
politisch  zerrütteten  Zeit  zum  Ausdruck  kommen  kann.  Von  den  Ver- 
sprechungen, welche  Graf  Frankopan  gemacht  wurden,  blieben  wohl  zwei 
Dritttheile  Versprechungen,  was  aber  seiner  brennenden  Begierde,  der  be- 
drängten Stadt  Rettung  zu  bringen,  keinen  Abbruch  that.  Er  unternahm 
seine  Expedition  im  Frühjahr  1525  und  Dank  einem  Berichte,  den  er  selbst 
seinem  Freunde,  dem  Dogen  Dandolo  von  Venedig  sandte,  sind  wir  in 
der  Lage,   sie  genau  zu  schildern. 

Am  iS.  April  verliess  er  mit  dem  geringen  Heere,  das  ihm  der  König 
gab,  Ofen  und  zog  nach  Kroatien,  um  es  dort  zu  vervollständigen.  Der 
König  erliess  am  29.  April  an  die  beiden  Bane  von  Kroatien,  Batthyanyi 
und  Karlovic,  den  Auftrag,  ein  Heer  zu  sammeln  und  sich  dem  Grafen 
Frankopan  anzuschlie.—en.  Unterdessen  hatte  sich  dieser  bemüht,  in  Zdenci 
bei  Brod  und  in  Slobodstina  im  Belovarer  Comitat  Mannschaften  zu  werben, 
sich  gehörig  mit  Proviant  und  Munition  zu  versehen  und  liess  sich  darin 
gar  nicht  beirren,  obwohl  man  ihn  von  seinem  waghalsigen  Zuge  abzu- 
bringen suchte.  Beson- 
ders Hessen  es  sich  die 
beiden  Bane  angelegen 
sein,  ihm  davon  abzu- 
reden. Auf  diese  Ex- 
pedition war  nicht  nur 
die  ganze  Aufmerksam- 
keit Kroatiens  und  Un- 
garns, denen  sieLebens- 
frage  war,  gerichtet, 
sondern  auch  Europas, 
und  Papst  Clemens 
versprach  Allen, die  sich 
an  ihr  betheiligen  wür- 
den, denselben  Ablass, 
welcher  bei  Jubiläen 
den  Rompilgern  zu 
Theil  wurde.  Im  Juni 
war  das  Heer  an  der 
Save  versammelt.  Es 
zählte  im  Ganzen  kaum 
etwas  über  6000  Mann 


Festungsthor  in  Jajce. 


—      430     — 


(40QO  Reiter,  2000  Fussvolk),  und  e^  hatten  sich  ihm  nebst  den  beiden  Banen 
die  tapfersten  Magnaten  Ungarns  und  Kroatiens  angeschlossen.  Wir  finden 
unter  ihnen  einige  Verwandte  Frankopan's,  die  Grafen  Georg  Baglay, 
[ohann  Zrinyi,  Peter  Krufrc,  Georg  Orloviö  und  als  Vertreter  des  Priors 
von  Vrana,   Mathias  von   Barac,  den    Grafen    Franz  Tahi. 

Am  7.  Juni  setzte  das  Meer  bei  Svinjar  auf  80  von  Deshäzy  auf  Auf 
trag  des  Königs  erbauten  Booten  über  die  Save.  Als  die  Nachricht  vom 
Uebergange  nach  Jajce  gelangte,  führte  Usref  Pascha  15  000. Mann  dem 
Christenheere  entgegen.  Am  9.  Juni,  dem  ersten  Marschtage,  stiess  Frankopan 
auf  eine  Burg,  welche  erstürmt  und  geschleift  wurde.  Beim  Weitermarsche 
zeigten  sich  die  ersten  Vorposten  des  türkischen  Heeres.  Dasjenige 
Frankopans  war  bald  argen  Plänkeleien  ausgesetzt  und  gegen  Abend  kam 
es  zu  einem  Scharmützel,  bei  dem  besonders  Graf  Tahi  ins  Feuer  gelangte. 
Als  die  Nacht  anbrach,  zeigte  sich  auch  der  Kern  des  türkischen  Heeres 
und  beide  Heere  schlugen  ihr  Nachtlager,  nur  von  einem  schmalen  Thale 
getrennt,  auf.  Vor  Morgengrauen  brach  das  türkische  Heer  auf  und  zog 
in  der  Richtung  gegen  Jajce,  um  einen  Vorsprung  zu  gewinnen,  sich  dann 
in  zwei  Theile  zu  scheiden  und  womöglich  dem  nachfolgenden  christlichen 
Heere  in  die  Flanken  zu  kommen  und  es  zu  erdrücken.  Der  anbrechende 
10.  Juni  brachte  in  der  That  scharfe  Kämpfe,  und  das  Christenheer  er- 
reichte nur  mit  schwerer  Noth  Abends  Bocac.  Unter  ununterbrochenen 
Plänkeleien  seitens  der  Türken  kam  es  am  1 1.  Juni  Jajce  nahe.  Frankopan 
ertheilte  dem  Peter  Kruzic  die  schwierige  Mission,  mit  einer  kleinen  Ab- 
theilung den  türkischen  Kordon  zu  durchbrechen  und  die  mitgeführten 
Vorräthe  in  die  Stadt  zu  schaffen,  wahrend  er  selbst  sich  gegebenenfalls 
in  eine  Schlacht  mit  dem  Türkenheere  einlassen  wolle,  um  die  Auf- 
merksamkeit des  Feindes  von  den  Bewegungen  Kruzic's  abzulenken. 

Frankopan  und  Tahi  nahmen  das  ihnen  von  den  Türken  angebotene 
Treffen  auch  an.  Der  Kampf  war  heiss,  die  Entscheidung  schwankte.  Unter- 
dessen war  es  Kruzic  gelungen,  in  die  Stadt  ^einzudringen,  wo  er  von  der  ver- 
zweifelten Besatzung  mit  Jubel  empfangen  wurde.  Als  er  die  Vorräthe 
untergebracht  hatte,  kehrte  er  zurück.  Man  hatte  an  dem  Gelingen  seiner 
Mission  gezweifelt  und  gab  ihn  verloren.  Als  er  aber,  von  Peter  Keglevic 
und  anderen  von  der  Besatzung  unterstützt,  an  der  Schlacht  theilnahm,  lebte 
der  Muth  des  christlichen  Heeres  von  Neuem  auf  und  Frankopan  errang 
einen  glänzenden  Sieg.  Istvanfi  berichtet,  dass  Sinan  Pascha  auf  der  Flucht 
erschlagen  wurde,  dass  sämmtliche  türkische  Geschütze  erbeutet  und  in 
der  Festung  aufgestellt  wurden,  während  das  kostbare  Zelt  Ghazi  Usref 
Pascha's  mit  60  Fahnen  und  zahlreichen  kunstvollen  Geräthschaften  in  die 
Hände  Frankopan's  gelangten,  der  sie  dem  Könige  nach  Ofen  sandte. 

Aus  dem  Berichte  FYankopan's  an  den  Dogen  Dandolo  ist  zu  ent- 
nehmen,   dass  sein  Heer,    nachdem  es    seine  Mission    so  glänzend    erfüllt 


431     — 


hatte,  eine  Meile  weit  von  Jajce  entfernt  übernachtete  und  am  andern 
Tage  den  Rückmarsch  antrat.  Batthyänyi  und  Tahi,  die  es  für  klüger  er- 
achteten, in  aller  Stille  den  sichersten  Weg  zum  Rückmarsche  zu  wählen 
und  die  auch  ein  besiegtes  Türkenheer  nicht  für  geheuer  hielten,  schlugen 
vor,  den  viel  sicheren  Weg  über  Kamengrad  zu  nehmen.  Frankopan 
aber  erklärte  stolz,  er  werde  sein  Heer  denselben  Weg  zurückführen,  den 
er  es  hergeführt,  und  sei  er  noch  so  gefahrvoll.  In  der  That  übersetzte 
er  unter  ununterbrochenen  Plänkeleien  am    12.  Juli  die  Save. 

Der  Sieg  von  Jajce,  welcher  dem  Heldenmuthe  Frankopan's  und 
Keglevic's  zu  verdanken  ist  und  ersterem  den  Ehrentitel  »Regnorum  Dal- 
matiae,  Croatiae  et  Slavoniae  specialis  tutor  atque  protector«,  den  ihm 
König  Ludwig  beilegte,  einbrachte,  genügte  leider  nur,  um  die  Lebensfrist, 
welche  der  Stadt  Jajce  beschieden  war,  um  drei  Jahre  zu  verlängern.  Am 
5.  August  1526  wurde  die  verhängnissvolle  Schlacht  bei  Mohacs  geschlagen. 
Die  Panik,  welche  sich  nach  dieser  Ungarn  verderbenden  Schlacht  der 
ganzen  Christenheit  bemächtigte,  schloss  jede  bedeutendere  Aktion  gegen 
die  vordringenden  Türken  aus.  Während  Ferdinand,  dem  Nachfolger  des 
bei  Mohacs  gefallenen  Königs  Ludwig,  der  Besitz  der  Länder  der  Stefans- 
krone von  Zäpolya  streitig  gemacht  wurde  und  Ungarn  vor  einer  endlosen 
Reihe  von  Bürgerkriegen  stand,  wuchs  die  Macht  der  Türken  zusehends. 
Jetzt  war  auch  für  den  Vezier  Ghazi  LTsref  Pascha  der  Zeitpunkt  ge- 
kommen, seine  Niederlage  von  1524  wettzumachen.  Der  tapfere  Ver- 
theidiger  von  Jajce,  Peter  Keglevic,  welcher  bedeutend  gealtert  war,  sehnte 
sich  nach  Ruhe  und  übergab  die  Stadt  dem  König  Ferdinand,  der  unter 
Stefan  Grbonog  und  Kozijaner  in  sie  eine  deutsche,  mit  der  türkischen 
Kriegführung  gänzlich  unerfahrene  Besatzung  legte.  Als  im  Jahre  1527  das 
vereinigte  Heer  Usref  Paschas  und  des  serbischen  Veziers  Mehmed  Jahioglu 
vor  Jajce  erschien,  hielt  die  Stadt  nur  eine  zehntägige  Belagerung  aus. 
worauf  die  beiden  Vertheidiger  gegen  freien  Abzug  die  Stadt  den  Türken 
und  ihrem  Schicksale  überliessen.  Dadurch  kam  der  letzte  Theil  von 
Bosnien  in  die  Gewalt  der  Türken.  Eine  Stadt  nach  der  andern  wurde 
vom  Vezier  genommen  und  als  auch  der  Vertheidiger  von  Banjaluka, 
Andreas  Radulovic,  die  Vertheidigung  aufgab,  die  Stadt  in  Brand  steckte 
und  sich  über  die  Save  zurückzog,  waren  die  Osmanen  Herren  des  ganzen 
bosnischen  Königreiches.  Dieses  hatte  gänzlich  aufgehört  zu  existiren  und 
Jajce  sank  von  seiner  ursprünglichen  Grösse  in  die  Vergessenheit.  Erst 
nach  Jahrhunderten,  im  August  1878,  musste  wieder  um  Jajce  gekämpft 
werden.  Wieder  waren  es  die  gleichen  Gegner.  Die  mohammedanischen 
Begs  stellten  sich  den  einmarschirenden  österreichisch-ungarischen  Truppen 
unter  dem  Herzog  Wilhelm  von  Württemberg  im  Pliva-Defile  entgegen. 
Sie  leisteten  Wunder  der  Tapferkeit,  aber  sie  wurden  entscheidend  ge- 
schlagen   und  am   7.  August  wurde  Jajce,  hoffentlich  für  immer,  besetzt. 


432 


Medvedkula   in   Jajce. 

Und  wegen  seiner  interessanten  geschichtlichen  Vergangenheit  gilt 
auch  einer  der  ersten  Gänge  in  Jajce  stets  dem  Kastell,  von  dem  man 
eine  entzückende  Aussicht  über  die  ganze  Gegend  geniesst.  Weithin 
nach  Westen  erstreckt  sich  unter  dem  senkrecht  abfallenden  Felssturze 
der  unvergleichlich  schöne  Anblick  der  Seen  von  Jezero,  die  sich  in 
Katarakten  einer  in  den  anderen  stürzen,  an  ihren  nördlichen  Ufern  von 
kahlen  Felsterrassen,  an  den  südlichen  von  üppig  bewaldeten  Gebirgen 
umsäumt,  aus  welchen  die  Pyramiden  des  Ottomal,  des  OStro-Brdo  und 
bei  dem  letzten  Wasserfall,  mit  alten  Ruinen  und  kleinen  Häusergruppen 
gekrönt,  diejenigen  von  Zaskopolje  emporragen.  Letzteren  gegenüber  auf 
kahlem  Felsen  steht  die  einsame  kleine  Moschee  von  Mile.  Nach  Norden, 
jenseits  des  steilen  Hanges,  in  welchen  der  Festungsberg  abfällt,  breiten 
sich  an  den  beiden  hohen  Ufern  des  tief  gebetteten  Vrbas  fruchtbare 
Felder  aus,  unter  diesen  am  linken  Ufer  jenes  Kraljevopolje,  das  in  der 
Keglevic-Sage  --  wie  früher  erzählt  —  als  Tanzplatz  der  Mädchen  erwähnt 
wird.  Näher,  hart  unter  der  Burg  und  neben  dem  zu  ihr  hinaufführenden 
Wege  erhebt  sich,  von  türkischen  Friedhöfen  umgeben,  ein  kleiner  pyra- 
midenförmiger Hügel,  auf  welchem  einst  das  Sommerlustschloss  der  alten 

28 


—     433 


Könige  gestanden  haben  soll.  Hart  am  Wege  liegen  die  Gräber  der 
Familie  Kulinovic,  tiefer  einzelne  Türkenhäuser,  in  deren  Hofraum  man 
hinabsieht.  Stromab  an  der  rechten  Seite  des  Vrbas  ziehen  sich  zahlreiche 
Dörfer  hin,  meist  Vakufgründe,  die  von  Usref-Beg  der  Begova-Dzamija  in 
Sarajevo  gestiftet  wurden.  Gegen  Südosten  sehen  wir  an  der  sanft  ab- 
fallenden Lehne  des  Berges  die  Altstadt  hingebreitet,  umschlossen  vom 
Bette  des  Vrbas  und  der  Pliva  und  den  von  der  Burg  zu  den  Flüssen 
hinablaufenden  zinnengekrönten  Festungsmauern.  Aus  ihrer  nach  der  Pliva 
absteigenden  Linie  erhebt  sich  das  Banjalukaner  Thor,  während  aus  der 
dem  Vrbas  zustrebenden  Mauer  das  Travnik-Thor  mit  seiner,  einen  mächtigen 
Thurm  tragenden  Wölbung  emporragt.  Im  Osten  aber  baut  sich  die 
mächtige  Pyramide  des  Hum  auf,  die  des  letzten  bosnischen  Königs  Grab 
trug  und  hinter  ihm,  als  eine  leichte  bläuliche  Linie  am  fernen  Horizont 
gezeichnet,  der  Vlasic,  die  höchste  Erhebung  des  bosnischen  Mittellandes. 
Es  ist  ein  unsagbar  schöner  Anblick,  auch  wenn  er  auf  die  Stadt 
fällt,  die  auf  einem  nicht  allzu  hohen  Hügel  aufgebaut  ist,  der  an  der  Pliva- 
und  Vrbasseite  steil  abfällt.  Nur  der  an  der  Xordwestseite  liegende  Stadt- 
theil  Volujak  besitzt  ein  minder  abwechselndes  Niveau.  Im  Osten  liegt 
der  Stadttheil  Kozluk,  der  sich  auf  den  letzten  Ausläufern  des  Humgebirges 
verläuft.  Ueberall  sieht  man  die  türkischen  Holzbauten,  wie  Schwalben- 
nester an  die  Lehnen  geklebt,  baufällig  und  gebrechlich,  dabei  so  malerisch, 
dass  Tausende  von  Motiven  für  Künstler  gefunden  werden  können.  Und 
mitten  aus  dem  Gewirr  der  eigentlichen  Stadt  erheben  sich  die  Spitzen 
der  Minarets,  die  neuen  ziegelgedeckten  europäischen  Häuser,  in  der  Ebene 
das  Franziskanerkloster  mit  seiner  Kirche,  —  alles  zusammen  aus  der  Vogel- 
schau ein  bezauberndes  Ganzes  bildend. 

Doch  wenden  wir  uns  dem  Kastell  selbst  zu,  das  einer  genauen  Be- 
sichtigung werth  ist.  Es  ist  ja  auch  heute  nicht  vergessen  und  verlassen, 
es  dient  noch  immer  der  kleinen  Garnison  als  Aufenthalt.  Den  Grund- 
stein zum  Kastell  legte,  wie  früher  erwähnt,  Herzog  Hrvoja,  doch  hat  es 
durch  spätere  Zubauten  so  viele  Veränderungen  erfahren,  dass  die  Grund- 
form nicht  die  ursprüngliche  ist.  Die  ältesten  Befestigungsanlagen  waren 
auf  die  Akropole  beschränkt.  Heute  ist  diese  öde,  und  wo  früher  umfang- 
reiche Bauten  standen,  sind  nur  einige  nothdürftig  aufgeführte  Gebäude, 
die  militärischen  Zwecken  dienen.  Die  Mauer  selbst  ist  stellenweise  und 
besonders  an  der  Plivaseite  in  ihrer  ursprünglichen  Form  erhalten.  Ein 
regelmässiges,  gut  gearbeitetes  Quaderwerk  zeichnet  sie  aus,  während  die 
späteren  Zubauten  in  der  Ausführung  minder  exakt,  die  neueren  Datums 
sogar  roh  sind.  Im  Grundriss  zeigt  die  obere  Kastellmauer  —  ich  folge 
hier  den  wissenschaftlichen  Untersuchungen  des  Custos  Dr.  Truhelka  — 
die  Form  eines  unregelmässigen  länglichen  Ovals,  sie  ist  stellenweise  über 
10  Meter  hoch,   die  vorhandenen  Ueberreste  deuten  aber  nirgends  auf  einen 


434    — 


Thurmbau,  welcher   in   früheren    Zeiten    der    Hauptbestandteil    einer   Be- 
festigung war.     Nur   an   der  Xordseite,   gegen    Volujak    zu,   befinden 
die  Ueberreste  einer  Bastei,  die  aber  türkischen  Ursprungs  ist.    Zum  Kastell 

führte  von  der  Plivaseite  ein  Thor,  während  ein  anderes  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  nach  dem  ausserhalb  der  Festungsmauer  liegenden 
Stadttheile  Volujak  führt.  Neben  dem  Plivathore,  einige  Schritte  links, 
befinden  sich  die  Ueberreste  eines  Thorbaues,  welcher  mit  einem  Wappen- 
bilde gekrönt  ist.  Die  Pfeiler  des  Thores,  welches  heute  vermauert  ist, 
sind  an  der  Aussenseite  reich  gegliedert  und  ihr  Profil  zeigt  ein  stufen- 
förmig abfallendes  System  von  Hohlkehlen  und  Rundstäben.  Dasselbe 
Profil  setzt  sich  ohne  Zwischenglied  am  flachen  Bogen,  der  die  beiden 
Pfeiler  verbindet,  fort.  Oberhalb  des  Portals  ist  ein  von  gezackten  Bogen- 
schnitten  umrahmtes,  durch  zwei  kleine  Säulen  in  drei  Theile  getheiltes 
Feld,  wovon  das  mittlere  mit  einem  Wappenbilde  verziert  ist.  Vor  diesem 
Thore  befand  sich  früher  ein  viereckiger  kleiner  Vorbau,  der  abgetragen, 
wurde  und  wovon  nur  noch  die  Grundmauern  sichtbar  sind.  Es  wurde 
vielfach  behauptet,  dass  dieser  Vorbau  eine  Kapelle  gewesen  und  dass  unter 
jenem  Wappen  das  Grabmal  eines  bosnischen  Königs  —  Tvrtko  I.  — 
sich  befand,  eine  Meinung,  die  nicht  mehr  stichhaltig  erscheint.  Die 
ganze  Anlage  des  Vorbaues,  soviel  davon  ersichtlich  ist,  zeigt  mit  einem 
Kapcllenbaue  keine  Aehnlichkeit.  Der  Vorbau  stammt  entschieden  erst 
aus  der  türkischen  Epoche,  wofür  das  rohe  Quaderwerk  deutlich  spricht, 
und  dass  er  stockhoch  aufgeführt  war,  —  was  bei  einer  Kapelle  kaum 
der  Fall  sein  dürfte  —  dafür  spricht  der  oberhalb  der  Thorbekrönung  deut- 
lich sichtbare  Mörtelverputz  des  oberen  Traktes  mit  den  darin  befindlichen 
Balkenspuren. 

Dass  dies  nicht  Tvrtko's  Denkmal  sei,  folgt  schon  daraus,  dass  dieser 
König  1391  starb,  während  Jajce  erst  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
durch  Hrvoja  gegründet  wurde.  Wir  haben  hier  unzweifelhaft  einen  Thor- 
bau vor  uns,  welchem  die  Türken  später  einen  Vorbau  anfügten,  der  als 
Wachthaus  diente.  Später  wurde  er  abgebrochen,  die  Thoröffnung  ver- 
mauert und  einige  Schritte  daneben,  nach  rechts,  wurde  ein  anderes  Kastell- 
thor—  das  noch  heute  bestehende  Plivathor  —  gebaut.  Das  Wappen  am 
Thore  zeigt  eine  dreizackige  Lilienkrone;  es  ist  von  einem  Helme  gekrönt, 
auf  dem  sich  dieselbe  Krone  befindet.  Der  dem  Helme  als  Agraffe 
dienende  Lilienbusch  und  der  längs  des  Wappens  herabfallende  Wappen- 
mantel sind  plump  ausgeführt  und  die  Stilisirung  des  Faltenwurfes  ist  roh. 
Dieses  Wappen  wird  für  dasjenige  Tvrtko's  gehalten,  was  aber  nicht  stich- 
haltig ist.  Die  Lilienkrone  ist  das  Wappenbild,  dessen  sich  alle  Könige 
Bosniens  bedienten,  es  wurde  nur  durch  einzelne  Zuthaten  modifizirt.  So 
finden  wir  z.  B.  auf  den  Münzen  Tvrtko's  I.  unter  der  Lilienkrone  regel- 
mässig den  Buchstaben  T,   nie  aber  die  Krone  allein.      -   ein  Anhaltspunkt 


—    435     — 


dafür,  dass  sich  Tvrtko  der  Krone  mit  seinem  Initiale  als  Wappenbild 
bediente.  Nur  auf  einer  Münze  des  Königs  Thomas  steht  im  Wappenfelde 
die  Krone  allein,  während  dies  auf  den  meisten  Münzen  Tomasevic's  der 
Fall  ist,  bei  denen  sich  nur  auf  einigen  unter  der  Lilienkrone  eine  Perle 
befindet.  Nachdem  König  Thomas  selten  oder  nie  in  Jajce  weilte,  während 
Stefan  Tomasevic  hier  seine  Residenz  aufschlug,  glauben  wir  nicht  fehl- 
zugehen, wenn  ihm   das  obige  Wappen  zugeschrieben  wird. 

Eine  der  ältesten  Zubauten  zum  Kastell  ist  der  um  ein  Beträchtliches 
tiefer  gelegene  runde  Thurm  an  der  Südseite,  von  welchem  heute  nur 
ein  Stockwerk  erhalten  ist.  Er  ist  auf  einem  Abgrund  roh  aufgebaut,  von 
massivem  Mauerwerk  umschlossen.  Dieser  Thurm  war  es,  den  Mathias 
Corvinus  zuerst  in  seine  Gewalt  bekam  und  von  welchem  aus  er  seine 
Belagerungsoperationen  leitete.  Von  diesem  Thurme  stürzten  der  Türke 
und  der  Ungar  (vergl.  die  geschichtliche  Uebersicht)  bei  dem  Kampfe  um 
das  Festungsbanner  in  den  Abgrund.  Später  wurde  der  Thurm  als  Kerker 
benutzt  und  der  Volksmund  bezeichnet  ihn  noch  heute  als  Kerkerthurm 
(Hapsahana).  Ein  anderer  späterer  Zubau  ist  der  einige  hundert  Schritte 
in  gleicher  Höhe  mit  dem  vorigen  stehende  Uhrthurm  (Sahat-kula), 
ein  viereckiger  roher  Bau,  von  dem  ein  Stockwerk  noch  erhalten  ist 
und  unter  dem  sich  ein  Durchgang  befand.  Beide  Thürme  waren  unter- 
einander und  mit  dem  Kastell  durch  Mauern,  deren  Ueberreste  in  den 
Häusergruppen  heute  nur  noch  schwer  sichtbar  sind,  verbunden.  Hier, 
wo  der  Uhrthurm  und  das  Haus  des  Sulejman  Beg  Dzabic  stehen,  befand 
sich  früher  der  königliche  Palast,  ein  Bau,  über  dessen  architektonischen 
Stil  zahlreiche  in  den  Kastellmauern  eingemauerte  Ueberreste  Aufschluss 
geben.  Dieselben  sind  schöne,  stilvoll  und  sorgfältig  ausgeführte  Details 
in  venetianischer  Gothik,  wie  sie  zu  Ende  des  14.  Jahrhunderts  in  Blüthe 
stand.  Wenn  man  diese  Fragmente  betrachtet,  glaubt  man  unwillkürlich, 
sie  einmal  früher  an  irgend  einem  Palaste  Venedigs  gesehen  zu  haben. 
Nach  ihnen  zu  schliessen,  war  der  Königspalast  für  bosnische  Zustände 
ein  Monumentalbau. 

Unter  diesen  Fragmenten  sind  hervorzuheben:  zwei  gothische,  schön 
gearbeitete  Kapitale  mit  Akanthus-Motiv  und  Rosetten  an  dem  geschweiften 
Abacus.  Dieselben  befinden  sich  dicht  nebeneinander  auf  einem  schön 
profilirten  Gesimsstück,  mit  plastisch  ausgeführtem  gedrehten  Seilmotiv 
und  Zahnschnitten  darunter  und  sind  in  die  Plivamauer  rechts  vom  Thore 
in  ziemlicher  Höhe  eingemauert.  Ein  ähnliches  Gesimsstück  ist  gleich  da- 
neben und  ein  anderes  einige  Schritte  nach  rechts  vertikal  eingemauert. 
Am  Kastell,  in  den  Pulverthurm  eingemauert,  befindet  sich  das  Fragment 
eines  Arkadensockels.  Die  Profile  der  beiden  Gurtbogen-Ansätze  sind 
schön  gegliedert  und  oben  mit  einer  doppelten,  schachbrettförmig  ab- 
wechselnden Zahnschnittreihe   verziert.     Zwischen  den  Bösen  befindet  sich 


-     436    — 


eine  durchbrochene  Rosette,  wie  sie  an  den  Arkaden  venetianischer  Palast- 
bauten häufig  zu  sehen  sind  und  beiderseits  davon  je  ein  kleiner,  erhaben 
gemeisselter  Stern.  Oberhalb  der  Thür  des  Pulvermagazins  befinden  sich 
noch  zwei  sorgfältig-  ausgeführte  Kapitale  und  unweit  davon  eine  l'feiler- 
verkröpfung  mit  Kapitalen,  welche  ein  ähnliches  .Motiv  aufweisen.  Schliesslich 
befindet  sich  in  den  Treppen,  welche  zur  obersten  Terrasse  am  K 
führen,   das  Fragment  eines  schön  profilirten  Sockelstückes  einer  Wand. 

Aus  diesen  Ueberresten  Hesse  sich  mit  einiger  Mühe  das  dekorative 
architektonische  Motiv  des  Palastes  rekonstruiren,  aber  die  Form  und  der 
Umfang  desselben  bleiben   ein   Geheimniss,   da  die  Grundrissform   in  Folge 


L  u  käst  hur  m   in  Jajce. 

späterer  Bauten  gänzlich  verwischt  wurde  und  nur  noch  die  Tradition  die 
Stelle  bezeichnet,  wo  der  Palast  stand.  Die  Türken  begnügten  sich  nicht 
mit  der  oben  angeführten  Erweiterung  der  Befestigungen  von  Jajce.  sie 
dehnten  diese  aus,  ohne  dass  dadurch  zur  Sicherheit  der  Stadt  mehr  bei- 
getragen wurde.  Einerseits  wurde  vom  runden  Thurme  eine  Mauer  längs 
der  steilen  Felswand  an  der  Plivaseite  gezogen,  andererseits  wurde  eine 
Mauer  von  der  Bastei  in  nahezu  paralleler  Richtung  mit  der  Ersteren  auf- 
geführt und  beide  führten  zum  Vrbas,  dessen  linkes  Ufer  schroffe  Kalktuff- 
wände unzugänglich  machen.  So  wurde  auch  derjenige  Stadttheil,  welcher 
sich  über  die  zwischen  dem  Yrbas  und  der  Pliva  liegende  Landzunge  er- 
streckt, in  den  Festungsring  eingezogen.  Diese  Mauer  besitzt  zwei  Portal- 
thürme,  die  eine  ziemlich  breite,  unregelmässige  Strasse,  die  gegenwärtige 
Franz-Josefstrasse,  verbindet. 


Aber  Jajce  nennt  sich  auch  eine  Stadt  des  Evangelisten  Lukas! 
Nach  der  Kirchengeschichte  soll  der  Evangelist  zwar  in  Theben  in  Böotien 
gestorben  und  sein  Leichnam  auf  Befehl  des  byzantinischen KaisersKonstantin 
nach  Konstantinopel  überführt  worden  sein,  aber  die  Lokaltradition  von 
Jajce  weiss  es  besser,  der  heil.  Lukas  lebte  und  malte  in  Jajce,  hier  starb 
er  und  sein  Leichnam  wurde  an  die  Yenetianer  verkauft.  Hundert  Schritte 
unterhalb  des  Kerkerthurmes  steht  ein  echt  italienischer  Campanile,  der  zu 
einer  Kirche  gehört  haben  muss.  Diese  Kirche,  St.  Lucas  genannt,  wurde 
nach  der  Eroberung  von  Jajce  von  den  Türken  in  eine  Moschee  um- 
gewandelt, aber  nach  einem  Brande  verlassen.  Heute  sind  nur  noch  die 
kahlen  Wände  sichtbar  und  der  Thurm  selbst  zeigt  mancherlei  Sprünge. 
Vier  hohe  massive,  mit  je  einem  schmalen  länglichen  Fenster  versehene 
Wände  dienen  ihm  als  Unterbau  und  auf  diesem  sind  drei  Stockwerke  auf- 
geführt. Die  Fenster  der  einzelnen  Stockwerke  sind  auf  jeder  Seite  durch 
je  zwei  mit  Bögen  verbundene  Doppelsäulen  in  drei  Theile  getheilt  in 
den  unteren  Etagen  gut  erhalten,  während  sie  in  den  oberen  vermauert 
sind.  In  die  innere  Kirchenmauer  ist  ein  altchristlicher  Grabstein  ein- 
gemauert, welcher,  der  plastischen  Ausführung  nach  dem  Verfalle  römischer 
Kunst  angehörend,  den  symbolischen  Motiven  zufolge  der  frühesten  Zeit 
des  Christenthums  angehört.  Die  Platte  ist  mit  einem  Rahmen  verziert, 
dessen  Hauptmotiv  das  auf  den  altchristlichen  Skulpturen  so  häufig  vor- 
kommende Traubenmotiv  ist.  In  diesen  jRahmen  ist  oben  eine  runde 
Brotscheibe,  unten  ein  Weinkrug  eingemeisselt,  während  sich  in  der  Mitte 
zwei  einfache  Rosetten  befinden. 

Die  Sage  erzählt  von  der  Lukaskirche: 

Die  Kirche  erhielt  ihren  Namen  von  den  Ueberresten  des  Evangelisten  Lukas,  welche 
dein  Könige  Stefan  Tomasevic  von  seiner  Gemahlin  Mara,  der  Tochter  des  serbischen  Des- 
poten, als  Mitgift  zugebracht  und  hier  aufbewahrt  wurden.  Das  klingt  schon  annehmbarer, 
als  dass  Lukas  in  Jajce  gelebt  haben  soll.  Als  Konstantinopel  von  den  Türken  erstürmt 
wurde  —  so  heisst  es  —  wurden  die  Ueberreste  des  heiligen  Lukas  nach  der  Burg  Rogos 
in  das  Gebiet  des  Herrn  von  S.  Mauritius  gebracht,  ohne  dass  es  bekannt  wäre,  auf  welche 
Art.  Als  diese  Burg  von  den  Türken  erobert  wurde,  kam  auch  die  Reliquie  in  den  Besitz 
der  I-lamiten,  die  sie  mit  ehrfurchtsvoller  Scheu  verehrten.  Als  der  Despot  Georg  Brankovic 
von  seinem  Ahnen  erfuhr,  dass  die  Türken  im  Besitz  dieser  kostbaren  Reliquie  seien,  bot  er 
ihnen  dafür  30000  Dukaten  an  und  als  das  Angebot  angenommen  wurde,  Hess  er  sie  nach 
Semendria  übertrafen.  Als  König  Stefan  Thomas  Semendria  den  Türken  abtreten  wollte,  kam 
die  Reliquie  nach  Telzach  (T  und  als  sich  auch  dieses  nicht  mehr  halten  konnte,  wurde  sie 
nach  Jajce  übertragen.  Dies  sind  die  Daten,  welche  der  Herzog  von  Spalato,  Andreas  Veniero, 
im  Auftrag  der  Republik  Venedig  am  15.  September  1463  dem  Dogen  berichten  konnte, 
und  als  seine  Gewährsleute  erwähnt  er  die  Königin  von  Bosnien,  Xikola  Civatovic,  Jovan 
Babic  und  Jovan  Kurie.  Als  im  Jahre  1463  das  Türkenheer  gegen  Jajce  zog  und  der  König 
flüchtete,  suchte  Jeder  zu  retten,  was  zu  retten  war  und  die  Franziskaner  bemächtigten  sich 
iles  heiligen  Leichnams,  um  ihn  nach  Ragusa  zu  bringen.  Als  sie  ihn  aber  auf  einem  Pferde 
des  Klesic  über  die  Grenze  führen  wollten,  wurden  sie  daran  von  dem  der  Königin  Mara 
zugethanen   Vojvoden    Ivanis    Vlatkovic    gehindert.     Die    Kagusaner    glaubten    sich    durch    diese 


—      43s     — 


Reliquie  ein  Palladium  zu  erwerben,  welches  sie  vor  Türkeneinfällen  schützen  würde  und 
obwohl  .-ich  l.isselbe  bei  Jajce  nicht  bewährt  hatte,  war  ihnen  viel  daran  gelegen,  es  zu  er- 
halten. Am  13.  Juli  1463  liess  der  Rath  von  Ragusa  an  [vanis  ein  Schreiben  ergehen,  worin 
derselbe  ersucht   wurde,    die    Reliquie    passiren    zu    lassen    und    zugleich   wurde    der    Gesandte 

G  indulic  betraut,    mit   [vanis    mündlich    Rücl  zu    nehmen.      Letzte] 

blickte    in   dem    Betragen   der    Fran  iskaner    bei    dieser  A.i  mächtigkeit, 

d  im  die  Reliquie  war  Krons-  und  nicht  Kircheneigenthum  und  stand  das  Verfügungsrecht 
darüber  nur  dem  Könige  und  nach  seinei  1  ide  der  Königin  Mara  zu.  Er  nahm  sie  auch  in 
lag  und  liess  sie  auf  Auftrag  der  Königin  nach  Venedig  bringen,  wo  sie  der  Republik 
zum  Kauf  angeboten  wurde.  Der  Rath  fand  die  Reliquie  nicht  preiswürdig  und  verhielt  sich 
aend.  Sie  wurde  in  das  Kloster  Santa  Justina  nach  Padua  gebracht  und  die  dortigen 
skaner  sollen,  über  die  Reinheit  befragt,  diese  in  Zweifel  gezogen  haben,  obwohl  der 
Kardinal  von  Xieäa,  Bessarion,  für  sie  einstand  und  den  Glauben,  welchen  die  Bosnier  in 
die  Reliquie  setzten,  mit  Beweisgründen  unterstützte.  Hierauf  beauftragte  der  Doge 
Christoforo  Moro  den  Herzog  von  Spalato,  Yeniero,  über  die  Echtheit  Erkundigungen  ein- 
zuziehen. Königin  Mara  führte  ein  drastisches,  wenn  auch  nicht  schlagendes  Argument  dafür 
uif  und  schreibt  au  [vanis  Vlatkovic:  »Che  '1  siL,rnor  despoth  Zeorzi  ed  signor  despoth  Razaro 
tum  ze  stadi  tal  inteletto,  che  havesse  dato  tanti  ducati  non  sapiando  di  certo :  utrum  fosse 
s.  Luca  o  no.«  (Der  Herr  Despot  Georg  und  der  Herr  Despot  Razar  waren  wohl  zu  ver- 
nünftig, als  dass  -ie  so  viele  Dukaten  hergegeben  hätten,  ohne  genau  zu  wissen,  ob  es  der 
heilige  Lukas  sei  oder  nicht/  Die  Cdeichgiltigkeit,  welche  die  Republik  in  dieser  Angelegen- 
heit zur  Schau  trug,  veranlasste  die  darüber  erbitterte  Königin,  I vanis  zu  beauftragen,  den 
Handel  abzubrechen  und  die  Reliquie  ihr  zu  überbringen.  Ihre  Erbitterung  über  die  Vene- 
lianer  zeigt  sie  sehr  deutlich  in  den  Worten,  womit  sie  ihren  Rrief  schliesst:  »Obwohl  ich  die 
Italiener  nicht  so  gut  kenne  als  liir,  so  kann  ich  doch  behaupten,  die  Signorie  sei  wohl 
und  klug,  aber  sehr  geizig,  obwohl  reich.«  Hierbei  leitete  Mara  gleichwohl  ein  anderes 
Motiv,  denn  sie  fand  in  dem  König  Mathias  von  Ungarn  einen  Käufer  für  die  Reliquie,  welcher 
ihr  drei  oder  vier  Kastelle  dafür  »in  perpetuum«  zusagte.  Als  die  Venetianer  von  diesem 
Konkurrenten  erfuhren,  wollten  sie  ihm  wohl  nicht  nachgeben  und  schienen  sich  zum  Ankauf 
der  Reliquie  geneigter  zu  zeigen.  Darüber  jedoch,  ob  und  zu  welchem  Preise  sie  schliesslich 
veräussert  wurde,  ist  nichts  bekannt.  Xur  wird  sie  noch  heute  in  der  Basilika  San  Marco 
in  Venedig  gezeigt  und  neben  einem  eigenhändig  von  Lukas  gemalten  Bilde  der  Madonna 
verehrt.  Jedenfalls  ist  dieser  Heiligenschacher  ein  recht  erbauliches  Sittenbild  aus  der  Zeit 
der  Türkenkriege. 

Nicht  weit  vom  Lukasthurm  und  unmittelbar  am  Sockel  der  Felsen- 
partie, welche  das  Kastell  von  Jajce  trägt,  befindet  sich,  halb  versteckt 
unter  Gebüsch,  eine  Oeffnung,  die  über  einige  Stufen  zu  einer  der 
originellsten  Bauten  in  Bosnien,  zu  einem  Felsentempel  führt.  Oberst 
Gustav  Bancalari  hat  im  Jahre  1887  in  der  Wiener  » Deutschen  Rundschau 
für  Geographie  und  Statistik«  zuerst  die  »Katakomben  von  Jajce«  ein- 
gehender beschrieben  und  nach  den  Plänen  des  damaligen  k.  k.  Majors 
Reis  vom  Geniestabe  einen  Plan  derselben  veröffentlicht.  Seither  sind 
nähere  Untersuchungen  im  amtlichen  Auftrage  von  Dr.  Truhelka  erfolgt*) 
und  ihnen  folgen  wir  im  Wesentlichen  bei  der  nachstehenden  Schilderung. 


*)      Die  Katakomben  von  Jajce«,  Wissenschaftliche  Mittheilungen  aus  Bosnien  und   d<  r 
Hercegovina,   2.   Band,  S.  94 — 107.     Wien,    1S04. 


439     — 


Die  Erlaubniss  zum  Besuche  der  Katakomben,  die  man  lange  für 
die  unterirdischen  Grüfte  der  bosnischen  Könige  hielt,  erhält  man  bei  der 
Bezirksbehörde.  Ein  Wächter  leitet  den  Fremden.  Sobald  man  einige 
Stufen  abwärts  gestiegen,  tritt  man  durch  eine  kleine  eiserne  Thür  in  den 
engen  Vorraum  des  unterirdischen  Gotteshauses  (denn  ein  solches  ist  es), 
von  welchem  eine  weitere  Thür  in  die  Innenräume  führt.  Schwarz  sind 
die  Wände,  dadurch  allerdings  den  düsteren  Eindruck  einer  Todtenherberge 
hervorrufend.  Der  ganze  Bau  ist  mit  vieler  Mühe  in  die  Felsen  gehauen. 
Die  einheimische  Bevölkerung  nennt  ihn  keineswegs  »Katakomben«,  mit 
denen  er  auch  nur  die  unterirdische  Lage  und  das  Material  gemeinsam 
hat,  sondern  mit  dem  türkischen  Worte  »halvat«  =  Einsiedeleien,  Klausuren. 
Die  bekannten  Katakomben  von  Rom,  Neapel  etc.  sind  Netze  von  engen, 
verschlungenen,  vielfach  verzweigten,  viele  Kilometer  weit  fortlaufenden 
Gängen,  die  sich  nur  stellenweise  zu  kleineren  Hallen  erweitern,  während 
wir  in  den  Katakomben  von  Jajce  eine  nach  einem  einheitlichen  archi- 
tektonischen Plane  ausgeführte  Baulichkeit,  ein  christliches  Gotteshaus  mit 
allem  Zubehör  erkennen.  Einigermaassen  erinnert  es  an  die  alten  indischen 
Tempel,  die  ebenfalls  in  Felsen  ausgehöhlt  wurden.  Eigenthümlich  ist  nur 
die  Erscheinung,  dass  dieses  Baues,  zu  dessen  Herstellung  ein  gut  Stück 
Arbeit  aufgewendet  worden  sein  mag,  in  gar  keiner  älteren  geschichtlichen 
Aufzeichnung  Erwähnung  gethan  wird  und  dass  die  Ueberlieferung  über 
die  Entstehung  dieses  Denkmales  im  Laufe  der  Zeiten  vollständig  ver- 
loren ging.  Wenn  wir  die  »Katakomben«  auch  noch  so  eingehend 
besichtigen,  so  bietet  sich  uns  doch  kein  Fingerzeig,  welcher  es  ermög- 
lichen würde,  die  Entstehung  derselben  mit  einiger  Sicherheit  der  einen 
oder  der  anderen  Kulturepoche  zuzuschreiben  und  die  Zeit  ihrer  Gründung 
auch  nur  annähernd  festzustellen.  Am  empfindlichsten  macht  sich  in 
dieser  Hinsicht  der  gänzliche  Mangel  an  ornamentaler  Ausschmückung 
und  architektonischen  Details,  wie  Säulen,  Kapitalen  u.  s.  w.  fühlbar.  Wir 
sind  daher  gezwungen,  unsere  ganze  Aufmerksamkeit  dem  Anlageplan 
zuzuwenden,  der  aber  gleichfalls  zahlreiche  Widersprüche  aufweist. 

Die  unterirdische  Anlage  in  dem  Felsen  würde  auf  die  erste  Zeit 
des  Christenthums  als  Entstehungszeit  hinweisen,  als  dieses  noch  gezwungen 
war,  im  Schoosse  der  Erde  vor  Verfolgungen  Schutz  zu  suchen,  während 
die  Finzelanlage  des  Baues,  seine  Eintheilung  und  Gliederung,  die  Art 
der  Ausführung  und  insbesondere  die  unter  dem  Hauptbaue  angebrachte 
Krypta,  auf  das  Zeitalter  des  romanischen  Stiles,  also  auf  eine  frühere 
Periode  des  Mittelalters  deuten  und  endlich  in  den  Gewölben  auch 
rein  gothische  Formen  gefunden  werden,  welche  erwiesenermaassen  erst 
gegen  den  Ausgang  des  Mittelalters  zur  allgemeinen  Anwendung  gelangt 
sind.  Diese  gothischen  Motive  —  die  in  eine  Spitze  auslaufenden  Wöl- 
bungen  —   sind  übrigens  im  vorliegenden  Falle  für  die  Altersbestimmung 

—     440    — 


belanglos,  weil  bekanntermaassen  der  Spitzbogen,  den  wir  schon  bei  den 
alten  babylonischen  Baudenkmälern  und  in  abgeänderter  Form  auch  in 
Mykenae  finden,  viel  älteren  Ursprungs  ist,  als  der  Rundbogen.  Xur  die 
Konstruktion  des  Spitzbogens,  wie  wir  sie  an  rein  gothischen  Bau 
denkmälern  finden,  könnte  einen  Anhaltspunkt  liefern.  In  dem  vor 
liegenden  Falle  aber  ist  es  schwer,  Motiv  und  Konstruktion  auseinander 
zu  halten,  weil  die  Wölbungen  nicht  durch  regelmässiges  Aneinanderfügen 
von  Stein  zu  Stein  hergestellt,  sondern  aus  einem  einzigen  riesigen  Fels- 
blocke ausgehauen  sind.  Die  Regelmässigkeit  dieser  Bogen  und  die 
wohlüberlegte  Anwendung  derselben  führen  zu  der  Ansicht,  dass  wir  in 
diesen  Formen  eine  Anlehnung  an  eine  länger  dauernde  bauliche  Tradition 
zu  suchen  haben.  Die  Unsicherheit  und  Unvollständigkeit  aller  urkund- 
lichen Denkmäler  war  Ursache,  dass  es  bisher  Niemand  wagte,  sich  ein 
Urtheil  über  die  Entstehungszeit  dieses  Baues  zu  bilden. 

Da  wurden  vor  einigen  Jahren  unter  einer  im  Verlaufe  der  Zeit  ge- 
schwärzten und  vom  Felsen  kaum  zu  unterscheidenden  Kalkschicht  verdeckte 
Skulpturen  gefunden.  Unmittelbar  an  der  Thür  zeigen  sich  die  Umrisse  einer 
menschlichen  Gestalt,  deren  Füsse  schon  unter  das  Niveau  des  Fussbodens 
fallen.  In  der  Rechten  hält  diese  Figur  eine  Lanze,  in  der  Linken  den 
Knauf  eines  mächtigen  Schwertes.  Gegenüber  dieser  Figur,  an  der  linken 
Seite  der  Thür,  ist  eine  heraldische  Darstellung  angebracht.  Dieselbe  zeigt 
einen  grossen  Helm  von  der  zu  Ende  des  14.  und  zu  Anfang  des  15.  Jahr- 
hunderts üblichen  Form,  auf  dessen  Kamm  sich  ein  Schild  befindet,  von 
welchem  ein  Wappenmantel  niederwallt.  Oberhalb  des  Schildes  ist  ein 
Arm  dargestellt,  der  ein  grosses  Schwert  schwingt.  Die  ganze  Komposition 
wird  von  einer  klaffenden  Spalte  durchschnitten,  die  mit  Steinen  und  Kalk 
ausgefüllt  war.  Dieses  Wappen  war  vom  Künstler  erst  begonnen  und  nur  in 
seinen  Umrissen  angedeutet;  denn  offenbar  musste  er  die  Arbeit  abbrechen, 
ehe    es  ihm  vergönnt  war,    dieselbe  zu  plastischer  Vollendung  zu  bringen. 

Die  einzige  hervorragende  Persönlichkeit  in  der  Geschichte  Bosniens. 
welche  den  schwertbewehrten  Arm  im  Wappen  führt,  ist  der  Grossvojvode 
von  Bosnien  und  Herzog  von  Spalato,  Hrvoja.  Auf  der  rechten  Seite  der 
Thür  findet  sich  die  Ergänzung.  Hier  hatte  der  Künstler  gleichfalls  eine 
Komposition  begonnen,  eine  weibliche  Gestalt,  welche  in  der  Linken  eine 
Lilie,  das  zweite  Sinnbild  Hrvoja's,  hält.  Die  Auffindung  dieses  Wappens 
hat  Licht  gebracht  in  das  Dunkel,  welches  bisher  über  die  Entstehungszeit 
der  Katakomben  herrschte,  denn  nun  können  wir  mit  voller  Sicherheit 
Hrvoja  als  deren  Gründer  annehmen.    Aus  der  Geschichte  wissen  wir,   dass 

V 

die  Zupa  Dolnji  Kraj  (Unterland),  in  welcher  Jajce  lag,  1  Irvoja  unterthan 
war,  der  schon  im  Jahre  1404  den  Titel  >Vojvoda  dolnjih  kraj«  führte; 
ebenso  ist  bekannt,  dass  Hrvoja  nach  seiner  Entzweiung  mit  dem  bosnischen 
Könige  Ostoja  und  nach  seinem  Anschlüsse  an  König  Sigismund  von  Ungarn 


441     — 


von  diesem  im  Jahre  141 1  im  Besitze  des  Unterlandes  bestätigt  wurde.  In 
diesem  letzteren  Jahre  weilte  Hrvoja  in  Jajce,  wahrscheinlich  um  den  An- 
schluss  an  das  ungarische  Heer,  das  bosna-aufwärts  gegen  Ostoja  im 
Anzüge  war,  abzuwarten.  Am  27.  April  141 1  erliess  Hrvoja  von  Jajce  aus 
den  Aufruf  an  seine  Spalatiner,  sich  von  Ostoja  loszusagen,  und  am 
2.  März  14 12  fertigte  er  zu  Jajce  die  Schenkungsurkunde,  welche  der  Königin 
Katharina  das  ihm  vom   Ragusaner  Rath  geschenkte  Haus  überträgt. 

Es  wird  nun  keineswegs  angenommen,  dass  Hrvoja,  der  in  Spalato 
so  viele  künstlerisch  ausgeführte  Gebäude  kennen  gelernt,  sich  mit  der 
Absicht  getragen  habe,  in  diesen  Katakomben  sich  ein  originelles  Denkmal 
zu  errichten.  Eine  derartige  vorchristliche  Idee  wäre  in  einer  Epoche,  in 
welcher  sich  schon  die  Renaissance  an  der  dalmatinischen  Küste  bemerkbar 
machte,  nicht  am  Platze  gewesen.  Viel  mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  die 
Annahme,  dass  sich  hier  einst  eine  natürliche  Höhle  befand,  welche  zur 
Kirche  umgestaltet  worden  war  und  sodann  von  Hrvoja  während  seines 
Aufenthaltes  in  Jajce  erweitert  und  verschönert  wurde,  wodurch  die 
Katakomben  ihre  gegenwärtige  Gestalt  erhielten.  Ueber  den  Zweck  dieses 
Tempels  klären  uns  die  theils  fertiggestellten,  theils  begonnenen  Sarkophage 
in  den  Wänden  und  vor  allem  die  unter  der  Kirche  selbst  befindliche 
Krypta  auf.  Wahrscheinlich  beabsichtigte  Hrvoja,  hier  eine  letzte  Ruhe- 
stätte für  sich  und  seine  Familie  anzulegen.  Die  Ueberlieferung  sagt,  dass 
hier  die  Gruft  der  bosnischen  Könige  sei;  wir  aber  wissen,  dass  von  den 
alten  bosnischen  Königen,  mit  Ausnahme  des  letzten  derselben,  kein  einziger 
in  Jajce  starb.  Ostoja  war  der  Todfeind  Hrvoja's,  König  Thomas  fiel 
durch  Mörderhand  auf  dem  Bilajsko  Polje  und  Stefan  Tomasevic  gönnte 
das  Schicksal  nicht  einmal  ein  christliches  Begräbniss;  erst  1888  fand  er 
eine  Ruhestätte  in  Jajce  selbst! 

Im  Uebrigen  blieb  der  Bau  unvollendet  und  von  seinen  Schicksalen 
ist  wenig  bekannt.  Die  Bewohner  von  Jajce  sagen,  dass  er  einst  als 
Kerker  gedient  habe;  zur  Zeit  der  Feldzüge  Omer  Paschas  flüchteten  die 
Weiber  und  Kinder  hierher  vor  den  Schrecken  des  Kampfes  und  zur  Zeit  des 
Einmarsches  der  k.  k.  Truppen  hatte  in  ihnen  ein  findiger  Mohammedaner 
einen  Bierkeller  errichtet.  Erst  die  jüngste  Zeit  hat  die  Aufmerksamkeit 
auf  dieses  ehrwürdige  Denkmal  der  bosnischen  Vergangenheit  gelenkt, 
welches  jetzt,  gereinigt  und  in  Stand  erhalten,  für  die  Fremden  eine  der 
bemerkenswerthesten  Sehenswürdigkeiten  bietet. 

Die  Eintheilung  des  Baues  entspricht  vollständig  derjenigen  aller  älteren  Kirchen 
romanischen  Stils.  Ihre  Hauptbestandteile  sind  der  Narthex  [Vorhalle] ,  das  Baptisterium 
mit  dem  Taufbecken  und  die  eigentliche  Kirche,  welche  in  Kreuzesform  von  dem  Sanctuarium 
oder  Presbyterium  überquert  wird,  und  schliesslich  der  Altar.  Der  Narthex  ist  ein  schmaler 
Kaum  von  2,1  S  .Meter  Breite  und  5,50  Meter  Länpe,  nach  oben  durch  ein  Tonnengewölbe 
abgeschlossen,  ohne  irgend  welche  architektonische  Ausschmückung.  Nur  zur  rechten  und  zur 
linken  Seite   der  zur  Kirche   führenden  Thür  sind   die   beiden   oben  beschriebenen  Wappenbilder 

—      -442      — 


eingehauen.  Dieser  Raum  ist  nicht  ausschliesslich  aus  dein  Felsen  ausgehauen,  sondern  es 
wurden  an  zwei  Seiten  zur  Ergänzung  der  Umfassung  Steinmauern  aufgeführt.  Line  enge, 
niedrige  Thür,  die  üben  durch  einen  Kundbogen  abgeschlossen  ist,  führt  durch  eine  dicke 
Wand  in  die  Kirche,  deren  vorderer  Theil  sich  beiderseits  erweitert  und  mit  zwei  zur  rechten 
und  linken  Seite  angebrachten  überwölbten  Xischen  abschliesst.  In  der  rechten  Ecke  neben 
dem  Eingänge  befindet  sich  eine  aus  dem  Felsen  gehauene  Bank,  welche  drei  muldenförmige, 
offenbar  zur  Aufnahme  der  Gefässe  für  das  geweihte  Wasser  bestimmte  Vertiefungen  zeigt. 
Dieses  Baptisterium  ist  7,50  Meter,  beziehungsweise  bis  zum  Grunde  der  seitlichen  Xischen 
9,50  Meter  breit  und  2,05  Meter  lang.  Das  Hauptschiff  der  Kirche,  welches  sich  an  das 
Baptisterium  anschliesst,  ist  schmäler  und  verhältnissmässig  kurz  gehalten.  2,80x4,60  Meter. 
Linker' und  rechter  Hand  ist  in  den  Wanden  des  Hauptschiffes  je  ein  niedriges  Rundgewölbe 
von  1,20  Meter  Tiefe  ausgehauen,  dessen  hintere  Wand  mit  einem  in  den  Felsen  ein- 
geschnittenen Doppelkreuze  geziert  ist,  welches  zu  beiden  Seiten  von  Sonne  und  Mond  flankirt 
wird.  Diese  beiden  Rundbogen  umspannen  je  einen  Sarkophag  [Grüfte),  und  zwar  ist  der 
links  befindliche  zur  vollen  Tiefe  von  2  Meter  ausgehöhlt,  während  der  rechte  erst  begonnen 
und  nur  etwa  10  Centime ter  tief  ausgehauen  erscheint.  Diese  beiden  Grüfte  nehmen  beinahe 
die  ganze  Länge  der  Seitenwände  des  Hauptschiffes  ein,  welches  sich  gegen  das  Presbyterium 
zu  bedeutend  erweitert.  Die  beiden  Seitenwände  endigen  gegen  das  Presbyterium  zu  in  Eck- 
pfeilern, die  durch  ihre  bedeutende  Zurückstellung  die  Erweiterung  des  Hauptschiffes  I 
Das  schmale,  aber  lange  Presbyterium  (2,94X10,66  Meter  überquert  das  Hauptschiff  wie 
die  Arme  den  Stamm  eines  Kreuzes.  Auf  der  linken  Seite  des  Sanctuariums  ist  in  der  gegen 
das  Kirchenschiff  gelegenen  Seitenwand  eine  kleine  niedrige  Thür  angebracht,  welche  durch 
einen  kurzen  engen  Gang  den  Eintritt  in  einen  kleinen  Kaum  von  2  Meter  Länge  und  1  Meter 
Breite  gestattet.  Der  noch  die  Spuren  der  Yertieiungsarbeit  zeigende  Boden  dieses  Raumes 
weist  darauf  hin,  dass  hier  ebenfalls  eine  Gruft  ausgehöhlt  werden  sollte.  Svmmetrisch  mit 
dieser  war  an  der  rechten  Seite  des  Sanctuariums  eine  zweite  Grabkammer  geplant,  deren 
Eingang  jedoch  nur  in  seinen  Umrissen  angedeutet  und  nur  ganz  seicht  ausgearbeitet  ist. 
Den  Hintergrund  der  Kirche  nimmt  der  breite,  aber  niedrige  Altar  ein.  Die  weite  und  tiefe 
Apsis,  in  welcher  der  Opfertisch  aufgestellt  werden  sollte,  ist  durch  einen  gothischen  Spitz- 
bogen überwölbt  und  zu  beiden  Seiten  des  Altars  zeigen  sich  dem  Beschauer  zwei  ähnliche, 
aber  kleinere  Spitzbogen.  Die  beiden  durch  diese  Bogen  überspannten  Kämmerchen  waren 
offenbar  nicht  zur  Aufstellung  von  Altären  bestimmt,  sondern  dienten  höheren  geistlichen 
Würdenträgern,  welche  den  heiligen  Handlungen  etwa  beiwohnten,  als  Aufenthaltsort.  Die 
rechte  dieser  beiden  Kammern  ist  fertig,  während  die  linke  nur  aus  dem  Gröbsten  heraus- 
gearbeitet er-cheint.  An  der  linken  Abschlusswand  des  Sanctuariums  finden  wir  abermals 
eine  Nische,  gleich  den  Xischen  im  Baptisterium,  welche  durch  einen  niedrigen  Rundbogen 
überwölbt  und  in  deren  Hinterwand  ein  kleiner  Spitzbogen  ausirehauen  ist.  An  der  rechten 
Stein  wand  des  Baptisteriums  ist  der  Beginn  der  Arbeit  zur  Herstellung  einer  gleichen  Xische 
-:u  erkennen.  Zu  beiden  Seiten  des  Altars  zeigt  sich  ein  enger  GaiiL,r  ausgehöhlt,  welcher 
etwas  um  den  Altar  umbiegt  und  sodann  nicht  weiter  fortgesetzt  wurde.  Zweifellos  bestand 
die  Absicht,  mit  diesem  Gange  den  Altar  zu  umgreifen  und  hier,  wie  wir  es  in  allen  Kirchen 
romanischen  Stils  finden,  den  den  Altar  umgürtenden  Chor  aufzustellen.  Im  Grunde  dieses 
Chores  wäre  sodann  noch  eine  den  Abschluss  der  Kirche  bildende  halbkreisförmige  Concha 
anzubringen  gewesen. 

Wie  aus  dieser  kurzen  Beschreibung  hervorgeht,  ist  die  Kirche  unvollendet  geblieben 
und  nicht  einmal  der  Anlageplan  vollständig  durchgeführt  worden.  Wenige  Schritte  vom 
Eingange  in  die  eigentliche  Kirche  stossen  wir  auf  eine  im  Boden  derselben,  beinahe  in 
Mitte  ausgehobene  länglich -rechteckige  <  »effnung,  in  welcher  einige  steile  Stufen  hinabführen, 
über  die  man  in  die  unter  der  Kirche  Lrele^ene  Krypta  urelan^t.  1  »iese  Krypta  ist  ein  enger. 
niedriger  Raum   von   3,92   Meter  Län^e    und    4,22   Meter   Breite,     i<^en   Decke    unregeli 


—      44;, 


ausgehauen  ist  und  welcher  eine  Höhe  von  1,90  Meter  bis  2,20  Meter  besitzt.  Die  Mitte 
dieses  Raumes  nimmt  ein  grosser,  aus  dem  Felsen  ausgehauener  und  unten  wie  oben  mit 
dem  Gestein  verwachsener  Altar  ein.  In  der  Platte,  welche  den  Opfertisch  dieses  Altars  mit 
der  Decke  verbindet,  finden  wir  das  Doppelkreuz  mit  Sonne  und  Mond,  Symbole  des  Todten- 
kultus,  denen  wir  schon  in  der  oberen  Kirche  über  der  Gruft  begegnet  sind.  Die  Krypta 
bildete  eine  Hauptzier  der  Kirche,  im  Mittelalter  wurden  die  Todtenceremonien  an  diesem 
Ort  vollzogen. 

Schon  in  der  Kirche  selbst  wird  der  Aufenthalt  durch  die  dort 
herrschende,  drückende,  feuchtmodrige  Luft  unangenehm,  in  der  Krypta 
vollends  ist  ein  längeres  Verweilen  in  Folge  der  beklemmenden  Athmo- 
sphäre  unmöglich.  Vom  künstlerischen  Standpunkte  bietet  diese  Kirche 
nichts  Bemerkenswerthes,  weil  ihr  jedwede  Ausschmückung  fehlt.  Die 
Finsterniss,  die  in  diesen  Räumen  herrscht,  der  Qualm  der  Fackeln  und 
Kerzen,  mit  denen  wir  unseren  Weg  erleuchten,  die  drückende,  athem- 
benehmende  Luft  verursachen  ein  beängstigendes  Gefühl,  welches  in  der 
allerdings  unbegründeten  Befürchtung,  die  über  uns  befindliche  Bergeslast 
könne  sich  senken,  seinen  Ausdruck  findet.  Aber  gerade  derartige  schaurige 
Eindrücke  waren  es  einstens,  die  man  von  einem  dem  Tode  und  der  ewigen 
Ruhe  geweihten  Tempel  wünschte.  Jeder  nicht  ganz  und  gar  dem  Realismus 
verfallene  gebildete  Mensch  wird  diesen  Bau  mit  Ehrfurcht  betrachten. 
Und  wenn  auch  die  vielen  romantischen  Sagen  von  den  in  diesen  Räumen 
in  Kerkernacht  Verschmachteten,  von  den  vor  den  wüthenden  Verfolgungen 
Andersgläubiger  hier  Schutz  suchenden  Christen  und  von  den  zur 
ewigen  Ruhe  bestatteten  bosnischen  Königen  und  Helden,  welche  in  der 
Erinnerung  beim  Betreten  dieser  Hallen  stets  neu  belebt  werden,  des 
historischen  Hintergrundes  zum  grossen  Theile  entbehren,  so  bleibt  dieser 
Bau  doch  immerhin  ein  bemerkenswerthes  Denkmal  der  bosnischen  Ver- 
gangenheit. 


^P 


Jajee  und  Umgegend  in  der  Gegenwart. 

Und  so  schreiten  wir  aus  der  Nacht  zum  Licht,  von  der  christlichen 
Kirche  des  Alterthums  zu  derjenigen  des  heurigen  Zeitalters.  Es  ist  Sonntag 
und  trotz  herrschenden  Regenwetters,  welches  die  Strassen  der  Stadt  in  eine 
grosse  Pfütze  verwandelt,  ist  viel  Landbevölkerung  anwesend,  die  Einkäufe 
besorgt,  aber  auch  dem  Gottesdienste  anwohnen  will.  Die  Stadt  Jajce 
selbst  zählt  unter  3929  Bewohnern  (nach  der  Volkszählung  von  '1895) 
19S2  Katholiken  gegenüber  1644  Mohammedanern,  245  Orthodoxen  und 
57  Israeliten.  Die  Dörfer  der  Umgebung  sind  gleichfalls  vielfach  katholisch, 
darum  konnte  sich  hier  der  katholische  Gottesdienst  durch  die  Franziskaner 

V 

stets  mächtig  erhalten.  Durch  die  Carsija  folgen  wir  daher  dem  Zuge  der 
Leute  in  die  neugebaute  Franziskanerkirche,  die  mit  dem  Kloster  zusammen 
einen  grossen  Komplex  bildet.  Durch  eine  Menge  schmaler  Gässchen, 
stets  auf  ausgetretenen  Stufen,  steigen  wir  in  die  Tiefe,  bis  wir  endlich 
die  Ebene  erreichen,  wo  beide  Gebäude  liegen.  Die  sehr  geräumige  hohe 
Kirche,  die  nur  wenige  Sitzbänke  zeigt,  ist  ziemlich  schmucklos,  die 
Malereien  erinnern  stark  an  die  Türkei,  aber  noch  viel  mehr  die  anwesenden 
Gläubigen.  Man  könnte  sich  in  eine  Moschee  versetzt  glauben.  Ausser 
uns  ist  nur  noch  eine  Frau  in  europäischer  Kleidung  anwesend,  sonst 
durchweg  Leute  in  Landestracht  und  mindestens  drei  Viertel  davon  Bauern. 
Sie  kauern,  knieen  oder  sitzen  mit  gekreuzten  Beinen  auf  dem  blossen 
Steinboden  der  Kirche,  einige  haben  einen  Teppich,  andere  eine  Jacke, 
dritte  eine  Torba  (Einkaufstasche)  untergelegt;  alle  aber  haben  die  Kopf- 
bedeckung (durchweg  der  rothe  Turban  oder  Calma,  das  Abzeichen  meist 
der  katholischen  Bauern)  abgenommen,  und  da  bietet  sich  freilich  ein  sonder- 
barer Anblick.  Fast  alle  Köpfe  sind  rasirt  wie  bei  den  Mohammedanern, 
nur  in  der  Mitte  ist  ein  langer  Strähn  Haare  stehen  gelassen,  der  wirr  in 
den  Nacken  fällt,   oft  aber  auch  regelrecht  als  Zopf  geflochten  ist.     Es  ist 


445     — 


eine  Verquickung  zwischen  der  Türkei  und  China!  Noch  ähnlicher  wird 
der  Vergleich  mit  dem  Mohammedanismus,  als  der  Geistliche  bei  der 
Wandlung  die  Monstranz  erhebt  und  alle  Gläubigen  mit  der  Stirn  direkt 
den  Boden  berühren,  beim  Segen  aber  die  Hände  in  die  Höhe  strecken 
und  mit  ausgespreizten  Fingern  hinter  die  Ohren  fahren,  ganz  wie  der 
Gläubige  in  der  Dzamija.  Augenscheinlich  ist  diese  Gewohnheit  noch  aus 
der  Zeit  der  türkischen  Herrschaft  zurückgeblieben. 

Vor  dem  Altare  aber  stand  ein  Franziskaner  in  mittleren  Jahren,  eine 
kräftige,  sympathische  Erscheinung,  der  eine  flammende  Rede  über  das 
Festhalten  am  Glauben,  über  die  Vorzüge  des  Katholicismus  hielt.  Es 
hätte  sich  so  Manches  gegen  die  Argumentation,  gegen  die  zu  starke  Be- 
tonung des  allein  seligmachenden  Glaubens  in  einem  religiös  gemischten 
Lande  einwenden  lassen,  und  unter  türkischer  Zeit  wäre  diese  Rede 
sicherlich  nicht  gehalten  worden,  aber  sie  war  interessant,  auch  durch  die 
Art  des  Vortrages,  die  mächtige  Stimme  des  Franziskaners  und  die 
flammende  Begeisterung,   die  aus  seinen  Worten  sprach. 

Als  der  Gottesdienst  beendet,  suchte  ich  den  Pater  auf,  um  die 
Krlaubniss  ersuchend,  den  Sarg  des  Königs  Stefan  Tomasevic  besichtigen 
zu  dürfen.  Er  empfing  mich  an  der  Thür  der  Sakristei  mit  kräftigem 
Händedruck  wie  einen  alten  Bekannten  und  er  freute  sich,  als  ich  ihm 
meinen  Beifall  über  seinen  schönen  Vortrag  aussprach.  Der  letzte  König 
von  Bosnien  hat  seine  Ruhestätte,  seit  er  dem  Steingrabe  am  Hum  ent- 
rissen wurde,  an  der  rechten  Wand  der  Kirche,  mitten  im  Hauptschiff 
gefunden.  Auf  einem  erhöhten  Katafalk  ruht  der  hingerichtete  König 
Stefan  in  einem  gläsernen  Sarge.  Das  Skelett  ist  wieder  zusammengefügt, 
auch  den  Kopf  hat  man  wieder  an  seine  richtige  Stelle  gebracht.  Eine 
Inschrift  in  der  Landessprache  nennt  Namen,  Todesjahr  und  den  Auf- 
tindungstag,  im  Juni  1888.  Eine  Decke  in  schwarzgelben  Farben  bedeckt 
gewöhnlich  Sarg  und  Skelett. 

Als  wir  aber  aus  der  Kirche  traten,  sahen  wir  wieder  ein  Stück 
kirchlichen  Mittelalters.  An  der  Kirchthür  kniete  ein  hübsches,  frisches 
Landmädchen,  blutroth  vor  Scham  und  bitterlich  weinend.  Sie  war  mir 
schon  früher  aufgefallen,  aber  erst  jetzt  gelangte  ich  zur  Erkenntniss,  dass 
sie  einen  Fehltritt  begangen,  dass  sie  Kirchenbusse  thun  musste,  offen  an 
der  Kirchthür,  den  Blicken  aller  Ein-  und  Austretenden  preisgegeben. 
Diese  Stellung  an  den  Pranger  verwischte  den  guten  Eindruck,  den  ich 
sonst  von  den  Franziskanern  in  Jajce  empfangen  hatte  und  ich  wünschte 
nichts    sehnlicher,    als  dass  die   Behörde    solche  Strafen  verbieten   möchte. 

Ich  erwähnte  vorhin  die  türkische  Haartracht  der  Katholiken.  Es  ist  aber 
noch  eine  sehr  bemerkenswerthe  Erscheinung  bei  diesen,  die  man  beobachten 
kann,  wenn  man  sich  nach  dem  Gottesdienste  unter  die  Gruppen  der  Frauen 
und  Mädchen  mischt.    Alle  sind  nämlich  tätowirt,  meist  an  der  (grossentheils 


446    — 


offen  getragenen)   Brust,   an  Vorderarmen,   Händen  und   manchmal  sogar  an 
der  Stirn.    In  Jajce  war  dies  besonders  auffällig,  wo  fast  keine  der  weiblichen 
Kirchgangerinnen   dieses   sonderbaren    blauen  Schmuckes   entbehrte      Wie- 
der Kreisarzt   Dr.   Leopold   Glück    in    Sarajevo    i,„      Glasnik     mittheilt     ist 
die  ratowirung  der  Katholiken  um  so  auffälliger,  als  sie  bei  den  anderen 
Konfessionen  Bosniens    und    der  Hercegovina  viel  seltener,    fast   gar   nicht 
vorkommt.     Weder  bei  den   Mohammedanerinnen  in  Cclebic  (Bezirk  Foca) 
in   manchen   Gegenden   des   Narentathales   und    um    Kulen-Vakuf,  wo   sich' 
die  islamitischen  Frauen  nicht  verschleiern,    noch   bei  anderen,    die  er   als 
Arzt  unverschleiert  und  mit  entblössten  Armen  zu  sehen  Gelegenheit  hatte 
fand  er  eine  Tätowirung.    Auch  bei  den  Griechisch-Orthodoxen  tätowiren 
sich  die   Frauen  viel   seltener,    als    bei    den  Katholiken    und    das   auch    nur 
in    Gegenden,    wo    sie    mit    diesen  vermischt    wohnen.      Ihre    Tätowirungen 
sind  auch  nicht  so  ausgedehnt  und  bieten  keine  so  reichen  Verzierungen 

wie     die     der     katholischen 
krauen.      Die    Männer   täto- 
wiren sich  viel  seltener,  auch 
da    wieder    vorwiegend    Ka- 
tholiken.    Bei  den   Mannern 
bildet   da-   Kreuz    das    wich- 
tigste   Zeichen,    aber    ohne 
Verzierungen.       Unter    den 
Griechisch -Orthodoxen    hat 
der  genannte  Arzt  Tätowir- 
ungen nur  bei  den  jüngeren 
Männern  gesehen,  welche  in 
der  bosnischen  Gendarmerie 
oder    als    Soldaten    gedient 
haben.  Doch  spielt  bei  diesen 
nicht    mehr   das   Kreuz    die 
Hauptrolle,     sondern     Merz 
und  Krone,  Anker,  Anfangs- 
buchstaben des  Vor-  und  Zu- 
namens, Jahreszahlen  u.  s.  w. 
Selbst     ein     doppelköpfiger 
Adler    fand    sich    bei    einem 
gewesenenTrainsoldatenvor. 
Auch  bei  ehemals  türkischen 
Soldaten    ist  in  vereinzelten 
Fällen  auf  dem  Oberarm  ein 
Krummsäbel  oder  ein  Halb- 
mond   mit  Stern    zu    finden. 


Mejtef    (mohammedanische   Religionsschule) 
in    Jajce. 


447 


Das  Tätowiren  war  bei  den  alten  Slaven  nicht  Sitte  und  für  die 
Annahme,  dass  dasselbe  ein  in  seiner  Form  verändertes  Ueberbleibsel  aus 
der  vorchristlichen  Zeit  sei,  finden  sich  weder  in  den  Annalen  der  slavischen 
Urgeschichte  irgend  welche  Anhaltspunkte,  noch  kann  man  bei  den 
heutigen  Slaven  ausserhalb  des  Okkupationsgebietes,  selbst  unter  der  Land- 
bevölkerung, das  Tätowiren  in  irgend  einem  ausgedehnten  Maasse  be- 
obachten. Es  dürfte  demnach  in  Bosnien  diese  Sitte  kaum  auf  die  Zeit 
vor  der  osmanischen  Invasion  zurückgehen.  Dagegen  spricht  schon  der 
Umstand,  dass  das  Tätowiren  nur  bei  einem  Theile  der  trotz  konfessioneller 
Verschiedenheit  in  ihren  Sitten  und  Gebräuchen  so  gleichartigen  Be- 
völkerung geübt  wird.  Wäre  das  Tätowiren  ein  alter  Landesbrauch,  so 
hätte  es  sicher  eine  eigene  Bezeichnung.  Es  heisst  aber  im  Volke  lediglich 
»kriz  nabocati«  (Kreuz  einstechen),  was  wohl  schon  an  und  für  sich  auf 
einen  jüngeren  Ursprung  der  Sitte  hindeutet.  Dr.  Glück  meint  nun  folgende 
Erklärung  gefunden  zu  haben:  In  der  letzten  Zeit  des  Königreiches  war 
das  Bogomilenthum  zwar  scheinbar  durch  den  Katholicismus  verdrängt, 
der  letztere  aber  beim  Volke  bei  Weitem  noch  nicht  in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen. Jenes  Sektenwesen  hatte  in  Bosnien  zu  lange  gewährt,  es 
bildete  zu  lange  das  Glaubensbekenntniss  der  Mächtigen  und  der  Armen, 
als  dass  es  in  einer  kurzen  Zeitspanne  aus  dem  Gedächtniss  und  dem 
Herzen  des  Volkes  hätte  schwinden  können.  Haben  doch  Viele  den 
Katholicismus  nur  äusserlich  und  widerstrebend  angenommen  und  blieben 
im  Herzen  dem  alten  ^bosnischen«  Glauben  treu.  Als  die  Osmanen  die 
Balkanhalbinsel  überflutheten,  hat  die  Bevölkerung  der  nacheinander 
eroberten  Staaten  nirgends  in  solchen  Massen  den  mohammedanischen 
Glauben  angenommen,  als  eben  in  Bosnien.  Es  ist  nun  selbstverständlich, 
dass  die  katholischen  Priester,  sobald  einmal  ein  gewisser  Stillstand  ein- 
getreten war,  alle  erdenklichen  Mittel  aufboten,  um  die  weitere  Glaubens- 
abschwörung  zu  beschränken.  Da  der  Islam  das  Kreuz  als  Symbol  des 
Christenthums  verpönt,  musste  es  den  katholischen  Priestern  naheliegen, 
durch  Einprägung  des  Kreuzes  an  einer  sichtbaren  Körperstelle  die  An- 
nahme des  mohammedanischen  Glaubens  zu  erschweren.  Wollte  ein 
tätowirter  Katholik  den  Glauben  wechseln,  so  musste  er  vor  Allem  das 
Kreuz  von  seiner  Haut  entfernen,  was  aber  eine  recht  schmerzhafte  Procedur 
war,  weil  man  die  Haut  bis  in  die  tieferen  Schichten  des  Coriums  ver- 
nichten musste.  Da  jedoch  das  Ertragen  grosser  Schmerzen  nicht  Jeder- 
manns Sache  ist,  so  dürfte  Mancher  aus  diesem  Grunde  vor  dem  ent- 
scheidenden Schritte  zurückgeschreckt  sein.  Hätte  sich  aber  dennoch 
einer  entschlossen,  trotzdem  den  Glauben  zu  wechseln,  so  wäre  er  durch 
die  sichtbaren  und  recht  ausgedehnten  Narben,  welche  nach  der  Ver- 
nichtung der  Tätowirung  zurückbleiben  mussten ,  in  fataler  Weise  als 
Neophyt  kenntlich    geblieben.     Der  Brauch,   Tätowirungen   gewöhnlich   an 


448 


Sonn-  und  Feiertagen  nach  der  Messe  und  in  der  Nähe  der  Kirche  vor- 
zunehmen, dürfte  die  obige  Annahme  über  den  Ursprung  des  Tätowirens 
in  Bosnien  einigermassen  unterstützen. 

Unter  den  Matrosen,  Soldaten,  Arbeitern  u.  s.  w.  selbst  der  kultivirtesten 
Staaten  herrscht  bekanntlich  die  Unsitte  des  Tätowirens  in  recht  aus- 
gedehntem Maasse.  Die  »Tinten«  werden  aus  Losungen  von  Carmin, 
Zinnober,  Indigo,  Kohlen-  oder  Schiesspulver  zubereitet.  Die  Maut  der 
zu  tätowirenden  Stelle  wird  angespannt  und  die  gewünschte  Zeichnung 
mit  einer  feinen  Nadel  durch  dichte,  nebeneinander  angebrachte  Stiche 
»vorgestochen«,  hierauf  wird  die  »Tinte«  auf  die  Stiche  eingerieben  und 
schliesslich  ein  Verband  angelegt.  In  einigen  Gegenden  taucht  man  die 
Nadel  in  die  Tinte  und  tätowirt  so  mit  der  armirten  Nadel,  was  das  Ver- 
fahren abkürzt.  In  Bosnien  werden  die  Tinten  anders  hergestellt,  und 
zwar  entweder  aus  Kienruss  oder  aus  gewöhnlichem  Russ,  oder  aber  in 
seltenen  Fällen  aus  Schiesspulver.  Man  entzündet  einen  Kienspahn  (Luz) 
und  sammelt  in  einem  Findzan  (kleine  türkische  Kaffeetasse)  das  ab- 
träufelnde Harz,  in  das  man  den  gleichfalls  während  der  Verbrennung 
des  Kienspahns  auf  einer  Blechplatte  gesammelten  Russ  mischt.  Diese 
schwarze  Pasta  wird  nun  nach  vorheriger  Spannung  der  zu  tätowirenden 
Hautstelle  mit  einem  zugespitzten  Holzstäbchen  auf  die  Haut  in  der  ge- 
wünschten Zeichnung  aufgetragen  und  dann  mit  einer  bis  nahe  an  die 
Spitze  mit  einem  Faden  umwickelten  Nadel  bis  zur  Blutung  durchstochen. 
Die  Einstiche  werden  natürlich  dicht  nebeneinander  gemacht  Die  tätowirte 
Stelle  wird  hierauf  verbunden  und  nach  drei  Tagen  abgewaschen.  Da  in 
Bosnien  nur  schwarze  Tinten  bei  der  Tätowirung  zur  Verwendung  kommen, 
so  ist  es  erklärlich,  dass  dieselbe  immer  nur  einfarbig  ist,  und  zwar  blau 
mit  einem  Stich  ins  Grünliche.  Als  Tätowirer  fungiren  meistens  ältere 
Frauen.  Die  Gründe,  welche  zur  Einführung  des  Tätowirens  geführt 
haben,  sind  zwar  geschwunden,  aber  der  den  Menschen  innewohnende 
Trieb  der  Nachahmung  und  das  Festhalten  am  Hergebrachten  dürften 
hinreichen,  um  die  Verunzierung  des  Körpers  durch  das  Tätowiren  noch 
lange  als  Volksgebrauch  bei  den  Katholiken  Bosniens  und  der  Hercegovina 
zu  erhalten. 

An  sonstigen  städtischen  Besonderheiten  bietet  Jajce  nichts;  es  ist 
ein  eng  gebauter  Ort,  der  sich  nach  und  nach  etwas  europäisirt,  aber  noch 
immer  überwiegend  Orientalisches  zeigt.  Dadurch  ist  das  Gesammtbild 
um  so  malerischer  und  wir  würden,  mit  Ausnahme  der  Amts-  und  Schul- 
gebäude, auch  garnicht  wünschen,  dass  sich  das  Aeussere  der  Stadt  so- 
bald verändert.  Das  landesärarische  »Grand  Hotel«  hat  einen  wunder- 
hübschen Platz.  Wenn  wir  vom  Speisesaal  hinaus  auf  die  Gartenterrasse 
treten,  sehen  wir  tief  unter  uns  den  Vrbas,  dessen  Wasser  hier  von  den 
nahen  Fällen  stets  stürmisch  bewegt  ist.     Eigenthümliche  Auswaschungen, 

29 
—     449     — 


die  ganz  abenteuerliche  Bildungen  erzeugten,  beobachten  wir  am  gegen- 
überliegenden Ufer,  nicht  ahnend,  dass  die  seltsamsten  Bildungen  unter 
uns  sind,  denn  die  Terrasse  steht  auf  der  Decke  einer  Grotte,  die  vom 
Wasserfalle    auf  der   linken  Seite  des  Ufers   sich  fast  bis  zur  Vrbasbrücke 

erstreckt. 

Die  berühmteste  Naturschönheit  von  Jajce  ist  sein  Plivafall.  Durch 
das  alterthümliche  Travniker  Thor,  ganz  nahe  dem  Hotel,  gehen  wir  über 
eine  lange  Holzbrücke  nach  der  Unterstadt,  von  der  aus  man  einen 
schönen  Blick  auf  die  wunderlichen  Tuffsteinbildungen  der  Ufer  hat.  Bald 
sehen  wir  die  Staubwolken  des  Wassers  in  die  Höhe  jagen  und  mächtig 
schlägt  das  Donnern  und  Tosen  der  sich  vermählenden  Gewässer  an  das 
Ohr.     Die   durch  mehrere  hinausragende  und  überhängende  Felsstücke  in 


Am 
Plivafall 


—     45°     — 


etwa  zehn  Arme  getheilte  Pliva  stürzt  sich  von  einer  Höhe  von  30  Metern 
mit  betäubender  Gewalt  in  den  Vrbas,  der  liier  eine  tiefe  Schlucht  bildet, 
aus  der  der  weisse  Gischt,  von  einem  hohen  Felsblocke  zurückgeworfen, 
wieder  meterhoch  emporschäumt.  Ein  wunderbares  Farbenspiel  bietet  die 
kochende  und  schäumende  Wassermasse,  wenn  das  Sonnenlicht  darauf 
funkelt,  wenn  die  zahllosen,  gleich  Thauperlen  an  den  Grasspitzen  hängen 
den  Tropfen  wie  Tausende  und  Abertausende  von  Diamanten  und 
Smaragden  glänzen. 

An  der  Strasse,  die  das  Vrbasthal  aufwärts  führt,  ist,  wenn  man  auf 
hölzerner  Brücke  zwischen  den  im  Flussbett  stehenden  Mühlen  vorüber- 
geschritten, ein  wenig  oberhalb  des  Falles  eine  Terrasse  angebracht.  Es 
ist  der  »Rudolfs-Ausblick«,  zu  Ehren  des  verstorbenen  Kronprinzen  er- 
richtet. Auf  gutem  Treppenwege  gelangt  man  zu  einem  Pavillon  über 
den  Fällen.  Hinter  diesem  ist  im  Felsen  folgende  Inschrift  errichtet:  »Er- 
baut 1887  von  der  Pionier-Abtheilung  2.  Bataillon  Erzherzog  Ernst  No.  4«. 
Hier  ist  die  schönste  Stelle  am  Plivafall.  Die  unmittelbare  Nähe  lässt 
uns  die  Masse  des  niederstürzenden,  donnernd  aufschlagenden  Wassers  be- 
sonders gewaltig  erscheinen.  Alle  Einzelheiten  in  dem  Wogenkampf  des 
überstürzenden,  brausenden,  als  Wassersäule  und  als  Staubwolke  sich 
wieder  erhebenden  Wassers  nehmen  wir  hier  wahr.  Wir  sehen,  wie  es 
mit  wilder  Wucht  gegen  den  mächtigen  Tuffsteinblock  anschlägt,  um  von 
ihm  hoch  empor  geschleudert  zu  werden,  der,  wie  man  sagt,  erst  vor 
einigen  Decennien  von  oben  sich  löste.  Ein  guter  Weg  führt  hier  zu  dem 
Falle  hinunter  und  hinter  dem  östlichen  Theile  desselben  in  eine  Tuff- 
steingrotte,  eine  geräumige  Halle.  Mit  betäubendem  Lärm  stürzt  vor  uns 
das  Wasser  nieder,  während  die  mächtigen  Teppiche  des  kalkwasser- 
liebenden  Farnmooses  (Hypnum  filicinum),  die  der  Halle  natürliche  Tapete 
bilden,  unaufhörlich  einen  feinen  Regen  auf  uns  niederträufeln  lassen. 
Verfolgen  wir  die  Strasse  längs  des  türkischen  Friedhofes  eine  Strecke 
weit  ostwärts,  dann  sehen  wir,  wie  diese  ein  bedeutendes  Lager  dichten 
Tuffsteins  durchschneidet,  in  dem  hin  und  wieder  kleine  Höhlen  an- 
geschnitten sind,  in  deren  Räumen  groteske  Stalaktiten  hängen.  Auf  dem 
Rückwege  besuchen  wir  den  Stadtpark,  der  hoch  über  dem  Plussbette 
liegt  und  der  noch  im  Werden  begriffen  ist,  und  machen  einen  Gang  durch 
die  Vorstadt  Kozluk,  bis  uns  der  Regen   wieder  in   unser  Heim  treibt. 

Am  Donnerstag  und  Sonntag  verkehren  die  Diligenccn  nach  einem 
zweiten  wundervollen  Punkte,  nach  dem  10  Kilometer  entfernten  Jezero, 
das  in  anderthalb  Stunden  erreicht  wird.  Die  Landschaft,  die  wir  hierbei 
durcheilen,  wird  mit  Recht  als  ein  Glanzpunkt  Bosniens  gerühmt.  Durch  das 
Travniker  Thor  Jajce  verlassend,  folgen  wir  der  Strasse  auf  dem  linken 
Flussufer.  Das  Bett  ist  mit  Felsen  und  Felsblöcken  übersät,  über  welche 
die   Pliva    in    einer   Reihe    von    Katarakten    schäumend    und    tosend    ihrem 


-     45' 


jähen  Sturze  in  den  Vrbas  zueilt.  Die  Gegend  ist  durchwegs  bewaldet 
und  prächtiges  Grün  erfrischt  das  Auge.  So  erreichen  wir  Jezero,  türkisch 
Gjölhissar  (die  Seeburg)  an  den  Plivaseen.  Das  Dorf  liegt  inmitten  uralter 
mächtiger  Bäume,  wie  die  kühnste  Phantasie  es  nicht  in  eine  schönere 
Lage  zaubern  könnte.  In  einem  Engthal,  umgeben  von  hohen  bewaldeten 
Bergen,  breitet  sich  der  sogenannte  untere  See  aus,  ein  tiefgrüner  Wasser- 
spiegel, wie  ein  echter  Alpensee.  Auf  hohem  Felsgrat  werden  die  Trümmer 
der  alten  Veste  Zaskopolje  sichtbar.  Am  Ende  dieses  Sees  stürzt  aber- 
mals in  herrlichen    Kaskaden    über   einen   breiten  Riegel  von  Klippen   das 


KozluJc,    Vorstadt  von  Jajce. 

Wasser  des  gleichfalls  von  der  Pliva  gebildeten  31/ä  Kilometer  langen  und 
über  600  Meter  breiten  oberen  Sees.  Eine  breite  Landzunge  trennt  die 
beiden  Seen,  in  deren  Wasser  sich  der  dunkle  Porica  mit  seiner  höchsten 
Pyramide,  dem  Ottomal,  spiegelt.  An  dieser  schönsten  Stelle  des  Pliva- 
gebietes  stellten  sich  am  7.  August  1878  die  Insurgenten  den  kaiserlichen 
Truppen  entgegen,  hier  wurden  sie  gründlich  geschlagen. 

Jezero  selbst  —  einst  und  nicht  ganz  mit  Unrecht  das  »Bosnische 
\\-nedig«  genannt  -  -  ist  ein  entzückender  Ort  für  Sommerfrischler.  Im 
westlichsten  Winkel  des  Sees  am  rechten  Pliva-Ufer  erbaut,  bietet  es  dem 
Mohammedaner  Alles,  was  er  zu  seiner  Erholung  wünscht:  frisches  Wasser, 
schöne  Aussicht,  grüne  Bäume  und  idyllische  Ruhe.  Das  hat  er  hier  und 
die  600  Bewohner  des  Ortes,  die  in  theihveise  sehr  schönen  türkischen 
Landhäusern  leben,  führen  ein  beneidenswerthes  Dasein,  in  das  allerdings 
die  Fremden  jetzt    einige  Störung   bringen.     Aber  viele  Tage   der  Woche 


—    452    — 


gehören  ihnen  noch  ganz  und  sie  können  Kahn  fahren  und  fischen,  sie 
kennen  im  Röhricht  des  oberen  Sees  auf  Wildenten  jagen,  ganz  wie  es 
nach  ihrem  Geschmacke  ist.  Die  Landesregierung  aber  hat,  um  auch  ein 
Uebernachten  und  ein  längeres  Verweilen  zu  ermöglichen,  ein  Touri 
haus  für  die  Fremden  erbauen  lassen,  dessen  Schlüssel  der  Kafed/.ija  Latif 
Kasper  in  Verwahrung  hat.  Auch  bei  ihm  lässt  sich's  gut  sein  und  süsser 
Ruhe  bei  echtem   Mokka  und   Xargileh   pflegen. 

Ein  weiterer  Ausflug  von  Jajcc,  eine  Tagpartie,  der  mit  demjenigen 
nach  Jezero  verbunden  werden  kann,  ist  der  nach  den  Plivaquellen.  Es 
ist  eine  Strecke  von  35  Kilometern,  wovon  31  Kilometer  Fahrweg,  4  Kilo- 
meter Reitweg  längs  des  Plivaflusses.  Am  Fussc  hoher,  kahler  Bergwände 
von  steiler,  gleichmässiger  Böschung  entspringt  die  Pliva  aus  mehreren 
Schlundflüssen  in  bedeutender  Stärke  aus  mächtigen  Grotten.  Mit  jähem 
Fall  jagen  sie  weiss  schäumend  oder  grün  dunkelnd  in  ihren  felsigen  Betten 
dahin,  treiben  zahlreiche,  primitive,  unterschlächtige  Mühlen  und  rütteln 
an  den  Stegen,  die  über  sie  führen.  Nach  ihrer  Vereinigung  ziehen  sie 
beruhigter  dahin.  Dreiviertel  Stunden  abwärts  von  den  Quellen  treten 
rechts  Felsen  an  den  Fluss  heran;  er  rauscht  wieder  im  engen  Kanäle 
und  nach  einer  Stunde  kommt  der  erste  Wasserfall,  dem  bis  Jezero  noch 
zwei  weitere  folgen.  Ueberall  aber  sind  Berge,  ist  Wald  und  Gebüsch, 
ein  bezauberndes  Landschaftsbild! 


Schlussvignette:    Siegel  des  Klosters  Labostin  in  Duvno. 


*  ^CC  A  €  w  K  84  HWKoM$€*  6° V4 


ro(t  no& KvHt4 


"T 


Von  Lasva  über  Travnik  nach  Jajce. 

Jajce  ist  vom  Auslande  aus  ungemein  bequem  auf  den  verschiedensten 
Routen  zu  erreichen.  Wie  man  über  Metkovic-Mostar-Jablanica  nach  Jajce 
kommt,  haben  wir  bereits  geschildert.  Da  inzwischen  die  Eisenbahn  von 
Bugoino  über  Dolnji-Vakuf  nach  Jajce  fertiggestellt,  ist  die  Verbindung 
noch  schneller  und  leichter.  Vom  Norden  aus  führt  die  Bahn  von  Agram 
über  Sissek  und  Dobrlin  nach  Banjaluka,  von  dort  mit  Post  oder  Diligence 
in  einem  Tage  nach  Jajce.  Wer  aber  mit  der  Bosnabahn  das  Land  betritt, 
kann  leicht  von  der  Station  Lasva  aus  die  ganze  Strecke  über  Travnik 
mit  der  Eisenbahn  zurücklegen.  Ehe  ich  daher  an  die  Schilderung  meiner 
Weiterreise  von  Jajce  in  den  nördlichsten  Theil  Bosniens  schreite,  will  ich 
von  der  Travniker  Strecke  erzählen,  die  ich  einstmals  zu  Pferd,  später  zu 
Wagen  und  zuletzt  stellenweise  mit  dem  Dampfross  zurücklegte. 

Wir  haben  die  Bosnabahn  in  Lasva  verlassen.  Oberhalb  der  Mündung 
des  gleichnamigen  Flüsschens  in  die  Bosna  liegt  die  Station  in  idyllischer 
Waldeinsamkeit.  Die  Bahn,  die  nach  Travnik  führt,  tritt  sofort  in  das 
enge  Thal  der  Lasva.  Ihr  musste  am  rechten  Ufer  in  die  Berglehnen 
Raum  gebrochen  werden,  während  die  Fahrstrasse  sich  am  linken  Ufer 
hinzieht.  Es  ist  eine  wundervolle  Gegend,  durchweg  gut  bewaldet,  aber 
einsam.  Erst  in  Busovaca,  wo  wir  die  Heerstrasse  Brod-Sarajevo  erreichen, 
herrscht  wieder  Leben.  Der  Ort  hat  etwas  Eisenindustrie,  sonst  wenig 
dcwerbsthätigkeit,  dafür  aber  ausgedehnten  Feldbau. 

Die  nächste  Station  ist  Han  Kompanija  oder  Vitez.  Eine  förmliche 
Ansiedlung  ist  an  diesem  Strassen-Kreuzungspunkt,  wo  auch  die  Strasse 
nach  Travnik  von  der  Broder  Hauptstrasse  abweicht,  entstanden.  Hier 
herrscht   jetzt    die     Holzindustrie     durch     die    Firma    Rüdgers    aus    Wien. 


ifleiste:    Altbosnische  Inschrift  bei   Kaostice:   »Hier  ruht  Juraj   bei  seinem  Herrchen 
Rad"   . 

—     45°      - 


Berge  von  eichenen  Bahnschwellen  und  von  Holzpflaster  sind  aufge- 
schichtet, —  das  Produkt  der  nahen  Wälder.  In  der  Ebene,  die  sich  bis 
zu  dem  Flecken  Vitez  zieht,  fährt  unser  Zug.  Er  hat  die  LasVa  über- 
schritten und  folgt  der  Strasse.  Zur  Rechten  haben  wir  das  Massh  der 
Vjetrenica,  vor  uns  aber  die  hohe,  meist  mit  Schnee  bedeckte  Vlasiö 
Planina  (i 919  Meter).  Wir  erreichen  Hau  Bjela,  wo  wir  in  ebene  <  iebiet 
gelangen.  Zur  Rechten  erblicken  wir  das  allerdings  noch  9  Kilometer 
entfernte  Kloster  Gucjagora,  eine  Hauptburg  des  bosnischen  Franziskaner- 
Ordens,  das  im  Jahre  1857  neu  hergerichtet  wurde.  Immer  in  der  gut 
angebauten  fruchtbaren  Ebene,  erreichen  wir  endlich  Dolac,  das  schon  als 
Vorstadt  von  Travnik  gerechnet  werden  kann,  und  nach  weiteren  3  Kilo- 
metern (die  Bahnlinie  hat  30  Kilometer)  die  ehemalige  Residenz  der  bos- 
nischen Veziere:  Travnik,  die  in  überraschender  Lage  ganz  plötzlich  in 
der  Enge  des  Lasva-Defiles  sich  ausbreitet. 

Seine  einstige  politische  Bedeutung  ist  Travnik  (6804  Einwohner) 
freilich  nicht  anzusehen.  In  der  Hauptstrasse  stehen  in  bunter  Mischung 
neue  europäische  Gebäude  neben  den  wackligen  Holzbauten  der  Türken- 
zeit, aber  das  Strassenbild  wird  immer  wieder  von  Gärten  unterbrochen, 
sodass  ein  recht  erfrischender  Zug  im  Ganzen  liegt.  Und  wenn  man  von 
Travnik  einen  herzerfreuenden  Anblick  gewinnen  will,  dann  muss  man  aui 
eine  der  vielen  Erhöhungen  um  und  in  der  Stadt  steigen;  dann  sieht  man 
die  langen  Häuserreihen  auf  dem  rechten  Ufer  der  Lasva,  in  einer  Spalte 
der  Gratovina  fast  versteckt,  mit  Kuppeln  und  Minarets  einen  anmuthigen 
Stadttheil,  am  linken  Ufer,  auf  einem  steilen  und  kahlen  Eelsblocke  des 
Vlasic,  das  alte  Kastell,  wie  eine  mittelalterliche  Burg  mit  massiven  Mauern 
und  Thürmen  und  doch  echt  türkisch  verwahrlost.  Um  sie  herum  gruppirt 
sich  der  mohammedanischeste  Theil  des  Ortes.  An  den  Höhen  beider 
Ufer  aber  sieht  man  überall  Landhäuser  inmitten  blühender  Fluren,  dar- 
über hinaus  gegen  Norden  und  Osten  Gebirge  über  Gebirge,  nach  Süden 
sanftere  Abhänge  und  dunkle  Wälder.  Vom  Tarabovac,  einer  Höhe  südlich 
von  der  Stadt,  ist  im  Glänze  der  Morgensonne  ein  zauberischer  Eindruck 
zu  gewinnen.  Da  blitzt  und  glitzert  es  von  allen  metallenen  Bedachungen 
der  Moscheen  und  Minarets,  und  die  neuen  Bauten,  die  zum  Theil  im 
maurischen  Stil  in  den  bosnischen  Farben  (roth-gelb)  gehalten  werden, 
werfen  den  wirksamsten  Reflex.  Dazu  tritt  stets  der  dunkle  Hintergrund, 
das  Felsengewirre  des  Vlasic  .   .   . 

Es  ist  nicht  leicht,  von  einer  orientalischen  Stadt  eine  genaue  Be- 
schreibung zu  geben;  sie  bleibt  stets  hinter  der  Wirklichkeit  zurück,  und  die 
bosnischen  Städte  erfreuen  sich  meist  einer  so  raffinirt  schönen  Lage,  dass 
der  beste  Landschaftsmaler  der  Wirklichkeit  nur  entfernt  nahe  kommen 
kann.  Im  Innern  der  alten  Stadtviertel  allerdings  mit  ihren  engen  krummen 
Strassen,    dem    grauenhaften   Pflaster,    den    tiefen   Löchern    zwischen    den 


459     — 


einzelnen  Steinen,  da  ist  es  oft  genug  fürchterlich.  Und  doch,  wendet 
man  den  Blick  an  den  Häusern  empor,  so  bemerkt  man  so  manches 
interessante  Detail,  so  manche  schöne  Holzarbeit,  so  zierliche  feingearbeitete 
Gitter  (Muschebak,  arabisch  Muscharabieh)  ver  den  Haremsfenstern,  dass 
die  Phantasie  mächtig  angeregt  wird. 

Wann  Travnik  gegründet  wurde,  ist  nicht  bekannt.    Es  soll  einst  hier 
die  Stadt  Lasva   am    linken  Ufer   des  gleichnamigen  Flusses,  in  der  Nähe 
der  heutigen  Ortschaft  Putacevo   gelegen   sein.     Wie   Dr.  M.  Hoernes   an- 
führt,  sollen   sich  in  dem  Engthale,  in  dem  die  heutige  Stadt  liegt,  noch 
zu  türkischer  Zeit  Weideplätze,  Haine  und  Gärten  befunden  haben,  worauf 
der   Stadtname   (Travnik  =  Grasplatz)  deutet.      Zu    einer    nicht    näher   an- 
gegebenen  Frist  übersiedelten  die  Türken  aus  Lasva  an  die  gegenwärtige 
Stelle    und    überliessen    ihre    Häuser   in    der   Ebene    dem  Verfalle.      Diese 
Meinung  hat  entschieden  einen  historischen  Hintergrund,    denn  es  existirt 
noch  eine  recht  interessante  Chronik  über  bosnische  Ereignisse  von  einem 
Franziskaner,   der  sich  ausdrücklich  Pater  Nikolaus  von   Lasva  nennt.     Ur- 
kundlich  wird   Travnik   1503    zum    ersten   Male   genannt.      In    der   zweiten 
Hälfte  des   15.  Jahrhunderts,   als    das   südliche  Bosnien   schon  ganz  in  den 
Händen  der  Türken  war,  gingen  die  Heerzüge  der  letzteren  zur  Bezwingung 
der   von    den  Ungarn    noch   besetzten  Festungen   im  Norden   des  Reiches 
vielfach   über   die   Stelle    des   heutigen     Travnik    und    die   Zerstörung   von 
Lasva    oder    die   Verlegung    der   Stadt   muss   um    diese    Zeit   erfolgt   sein. 
Wie  Asböth  mittheilt,  fehlt  es  nicht  an  Anzeichen,  dass  auf  dem  Gebiete  des 
heutigen  Dorfes  Putacevo,   wohin  Lasva  verlegt  wird,  zur  Römerzeit  und  im 
späteren  Mittelalter  eine  ansehnliche  Stadt  gestanden  hat.    Römische  Alter- 
thümer  werden  in  der  ganzen  Gegend  gefunden.  Eines  derselben,  gegenwärtig 
im  Wiener  Belvedere,  ist  deshalb  von  besonderem  Interesse,  weil  es  den 
Uebergang  von  der  verfallenden  antiken  Bildhauerkunst  zu  jener  altslavischen 
barbarischen  Steinhauerei  zeigt,   die  in  den  bogomilischen  Grabdenkmälern 
erhalten    blieb.     In  Travnik   selbst  wird    ein   interessanter   römischer  Stein 
aufbewahrt,  der  bei  dem  Podrunicer  Han,  10  Kilometer  auf  dem  Wege  nach 
Jajce.  gefunden  wurde.     Er  ist  0,80  Meter  hoch,  0,57  breit,  0,19  dick.    Seine 
Randverzierung  bilden  Epheu-  und  Weinblätter.     Seine  Inschrift,   die  von 
Dr.  Hoernes  in   >,Arch.   Epigr.   Mitth.   IV.«   veröffentlicht  wurde,  lautet: 

Ultima  clauseiunt  Parcarum  stamina  filo 
Principii  miserandi  diem,   quem,   tdoria  irf    nisi, 
Avus  adque  pater  puerum  dedere   (p)raeclara(e 
Milita  e     patruoque  suo  iunxere  fovendum, 
Cum  primum   pulchra  lanuLriiie   suineret  annos, 
Spectantes   magnum   patriae  columeiKjue   futurum, 
Heu  miseri,  gloriari  sibi  lactatinpie  seneetam. 
Crudele'm)  luctum   domui  Ravenna   remisit, 
Hoc  miseros  titulo  proprium  signasse  dolorem.« 


—     460     — 


Bald  nach  Gründung  der  Stadt  wurde  der  Sitz  der  bosnischen  Veziere 
von  Bosna-Saraj  (Sarajevo)  nach  Travnik  verlegt,  wahrscheinlich,  um  dein 
nördlichen  Theile  des  Landes,  in  dem  noch  stets  Kriege  stattfanden,  näher 
zu  sein.  Blieb  doch  auch  der  offizielle  Titel  der  eines  A  eziers  der 
ungarischen  Länder«.  Als  Hussein  Berbirli  Aga  den  bosnischen  Adel 
1S30  zum  Aufstand  rief,  da  wurde  auch  Travnik  genommen,  der  Vezier  aber 
musste  strenge  Busse  thun.  Als  bei  der  zweiten  grossen  mohammedanischen 
Insurrektion  1S40 — 50  Omer  Pascha  Sarajevo  erobert  hatte,  machte  er  der 
dortigen  Oligarchie  ein  Ende;  er  verlegte  den  Sitz  des  Vali  oder  Veziers 
nach  Sarajevo  und  Travnik  büsste  seine  bisherige  Bedeutung  ein.  Jetzt 
hat  es  die  Bahn  in  den  Weltverkehr  eingeschlossen,  und  es  sind  bereits 
einige  neue  Unternehmungen  entstanden,  wenn  auch  in  bescheidenen 
Grenzen.  Die  Landesregierung  hat  eine  Tabakfabrik  errichtet,  eine  Handels- 
schule gegründet  und  eine  wunderschöne  Medresse  mit  Moschee  für  die 
mohammedanischen  Studirenden  gebaut. 

Das  alte,  noch  bewohnbare  Kastell  gewährt  eine  hübsche  Aussicht 
auf   die   Stadt.      Hinter    ihm    stürzt    aus   einem   muldenartigen   Thale   eine 


Neue   Medresse  in   Travnik. 


—     461      — 


starke  Quelle,  Sumec,  aus  ansehnlicher  Höhe.  Sie  wurde  eine  Zeit  lang 
zum  Betriebe  einer  Lederfabrik  benutzt,  aber  einstweilen  steht  diese  wieder 
still,  es  fehlt  aus  Oesterreich  Unternehmungsgeist  und  Kapital;  Alles 
soll  und  muss  die  Regierung  machen,  obwohl  Bosnien  gerade  für  private 
Unternehmungen  noch  ein  ausgezeichnetes  Feld  bietet.  In  der  Haupt- 
strasse liegen  der  hübsche  ehemalige  Konak  des  Vali,  jetzt  Sitz  des  Kreis- 
amtes, mit  nettem  Garten,  das  Bezirksamt,  die  Handelsschule,  das 
Kloster  der  Barmherzigen  Schwestern,  das  »Hotel  zum  Kaiser  von  Oester- 
reich«, die  grosse  Moschee  und  dazwischen  verstreut  die  Türbes  (Grab- 
mäler)  der  Veziere,   meist  schön  verzierte  Mausoleen  mit  Säulenhallen  und 


Livno:     Part  hie  am    Flusse. 

Kuppeln,  förmlichen  Wohnhäusern  ähnlich.  Was  wir  aber  nicht  zuletzt 
erwähnen  dürfen,  ist  das  grosse  Jesuitenkollegium  und  die  neue  katholische 
Kirche.  Travnik,  das  früher  nur  in  Dolac  seine  fast  2000  Köpfe  zählende 
katholische  Bevölkerung  mit  einem  Seminar  und  einer  Kirche  besass,  formt 
sich  mit  Macht  zu  einem  katholischen  Centrum  um.  Seit  der  Jesuiten- 
orden in  Bosnien  zugelassen  ist,  was  erst  nach  starkem  Widerstreben  der 
bis  dahin  in  Bosnien  allein  arbeitenden  Franziskaner  geschah,  hat  dieser 
in  Travnik  seinen  I  [auptsitz  aufgeschlagen.  Das  neu  errichtete  Jesuiten- 
kollegium ist  eines  der  grössten  und  schönsten  Gebäude  der  Stadt,  ein 
zweistöckiger  Bau  inmitten  eines  ausgedehnten  Hofes,  welcher  der  Spiel- 
platz der  jungen  Studenten  ist.  Den  Berg  hinan  zieht  sich  der  Garten, 
eine  noch  junge  Anlage,   die  allmählich  zu  einem  Obstgarten  werden  soll. 


462 


\lprnhof  auf  der  Krug-Planina    ^bei  Livno  . 


Die  Parterre-Räumlichkeiten  des  klosterartigen  Gebäudes  sind  die  Werk- 
stätten der  verschiedensten  Handwerker,  die  vor  Allem  für  den  Bedarf 
der  zahlreichen  Hausgenossen,  der  Professoren  und  Internen  7.11  sorgen 
haben.  Auch  eine  grosse  Küche  liegt  hier  unten.  Schöne,  helle  Lehr- 
zimmer und  grosse  Sammlungszimmer  sind  im  ersten  und  zweiten  Stock. 
Reich  ist  das  physikalische  Kabinett  ausgerüstet;  auch  die  naturhistorischen 
Sammlungen  sind  beachtenswerth,  besonders  das  umfangreiche  Herbarium, 
das  allerdings  an  dasjenige  im  Sarajevoer  Landesmuseum  nicht  heranreicht. 
Eine  treffliche  zoologische  und  eine  Mineraliensammlung  vervollständigen 
das  naturwissenschaftliche  Anschauungsmaterial.  Es  ist  nicht  zu  leugnen, 
dass  das  Gymnasium  —  ein  solches  ist  es,  und  die  Maturität  berechtigt 
zum  Uebergang  an  eine  österreichische  Universität  —  vorzügliche  Erfolge 
aufzuweisen  hat.  Seine  Schüler  sind  meist  Katholiken,  aber  auch  einzelne 
Serben  und  viele  Juden  besuchen  es. 

Einen  recht  anheimelnden  Platz  besitzt  Travnik  am  östlichen  Ende 
der  Stadt  im  »Cafe  Dervent  .  Es  ist  ein  türkischer  Kef-Punkt,  dicht  von 
Bäumen  beschattet,  von  einem  Bache  umgeben.  Hier  hat  Kronprinz 
Rudolf  geweilt  und  den  vorzüglichen  Kaffee  getrunken.     Pietätvoll  bewahrt 


463     — 


464 


der  Besitzer   noch   die  Trinkgefässe     zur  Erinnerung   an   den    verstorbenen 
Erben  des  Habsburger  Reiches.  .  .  . 

Zwei  Wege  führten  bisher  von  Travnik  nach  Jajce;  die  Postroute 
über  den  Komar  nach  Dolriji-Vakuf  (70  Kilometer  bis  Jajce)  und  die  Strasse 
über  die  Karaulagora  durch  prächtiges  Waldterrain,  20  Kilometer  näher. 
Beide  Wege  sind  landschaftlich  interessant,  sie  dürften  aber  jetzt  für  den 
fremden  Touristen  wenig  in  Betracht  kommen,  da  er  die  bequeme  Eisen- 
bahn benutzen  kann.  Am  14.  Oktober  1894  wurde  die  Strecke  Travnik— 
Dolnji-Vakuf — Bugojno  eröffnet;  von  Dolnji-Vakuf  zweigt  sich  die  Linie 
nach  Jajce  ab,  die  wohl  einstmals  in  Banjaluka  anschliessen  wird. 
Von  Bugojno  wird  über  Zupanjac  in  nicht  zu  ferner  Zeit  die  Bahn  bis 
Ar/.ano  an  der  dalmatinischen  Grenze  fertiggestellt  sein,  von  wo  ein 
Anschluss  an  die  dalmatinischen  Staatsbahnen  und  damit  die  Verbindung 
Bosniens  mit  dem  Hafen  von  Spalato  erreicht  wird.  Dadurch  wird  auch 
die  weite  Hochebene  von  Livno  in  den  allgemeinen  Verkehr  einbezogen, 
deren  von  der  Regierung  errichtete  landwirtschaftliche  Einrichtungen 
schon  jetzt  alles  Interesse  verdienen,  so  die  landwirtschaftliche  Station  Livno 
und  der  Alpenhof  auf  der  Krug-Planina,  von  denen  unsere  Abbildungen 
Zeugniss  geben.  Der  vorgenommenen  Wasserbauten  im  Livanjskopolje  haben 
wir  bereits  bei  der  Schilderung  ähnlicher  Arbeiten  im  Gackopolje  gedacht. 

Die  Errichtung  der  landwirtschaftlichen  Station  Livno  erfolgte  1888 
und  wie  erwähnt,  ist  mit  ihr  eine  Alpenwirthschaft  verbunden,  so  wie  mit 
jenen  in  Gacko  und  Ilidze,  auf  denen  Rinder  und  Schafe  gehalten,  sowie 
der  moderne  Sennereibetrieb  theils  zu  Lehr-,  theils  zu  Ertragszwecken  ein- 
geführt ist.  In  Livno  wird  besonders  viel  Käse  erzeugt,  in  neuerer  Zeit 
auch  Roquefort,  für  welche  Fabrikation  die  Station  die  erforderlichen 
Kellereien  in  den  natürlichen,  hierzu  vorzüglich  geeigneten  Karsthöhlen 
besitzt.  Es  dürfte  nicht  uninteressant  sein,  an  dieser  Stelle  einen  allgemeinen 
Ueberblick  über  die  landwirthschaftlichen  Stationen  Bosniens  an  der  Hand 
der  neuesten  Daten  zu  geben.  Sie  umfassen  heute  ein  Areal  von  rund 
4000  Hektar,  wovon  etwa  3000  Hektar  Hochalpen  sind.  Auf  den  Stationen 
werden  in  grösserem  Massstabe  nachstehende  Rassen  von  Rindern,  Schafen 
und  Schweinen  gezüchtet:  in  Livno  Möllthaler  Rinder  und  Ostfriesenschafe, 
dann  Electoral-  und  persische  Fettschwanzschafe,  sowie  Berkshire-Schweine. 
In  Gacko  Wippthaler  Rinder,  Ostfriesenschafe  und  Berkshire-Schweine;  in 
Modric  Rinder  der  ungarischen  Steppenrasse  und  Berkshire-Schweine;  in 
Ilidze-Butmir  Möllthaler  Rinder,  Hampshire-Zackelschafe  (Rorriaskanschafe) 
und  persische  Fettschwanzschafe.  Die  Ostfriesenzucht  wird  auch  in 
Kreuzungen  mit  einheimischen  Schafen  betrieben.  Um  die  Rindviehzucht 
des  Landes  in  grösserem  Umfange  verbessern  zu  können,  wurden  an  ge- 
eigneten Orten  fremdrassige,  aus  Oesterreich-L  ngarn  eingeführte  landes- 
ärarische    Zuchtstiere  aufgestellt   und   gelangten  je    nach    den    betreffenden 

30 
—      465      — 


Zuchtgebieten,  in  die  das  Land  eingetheilt  worden  ist,  theils  Möllthaler, 
theils  Wippthaler  Zuchtstiere  zur  Verwendung,  die  zur  unentgeltlichen 
Benutzung  der  einheimischen  Viehbesitzer  unter  staatlicher  Kontrolle  und 
Pflege  gehalten  werden.  Hand  in  Hand  hiermit  ging  die  Einfuhr  fremd- 
rassiger Zuchtkühe  auf  Bestellung  und  Rechnung  einheimischer  Viehzüchter, 
wobei  der  Ankauf  der  Thiere  durch  Vermittlung  der  Regierung  besorgt 
und  den  Abnehmern  die  Kreditirung  der  Anschaffungskosten  gegen  Rück- 
zahlung in  Jahresraten  bewilligt  wurde.  Auch  der  Pferdezucht  ist  die 
grösste  Aufmerksamkeit  zugewendet  worden.  Schon  1884  wurden  fünf 
edle  Zuchthengste,  ein  Geschenk  des  Kaisers  Franz  Josef,  in  der  Hercegovina 


/•wüB 


^.- 


Livno:     Part  hie  bei  der  Quelle. 

untergebracht.  Seither  wurde  die  Anzahl  der  zumeist  aus  dem  königlich 
ungarischen  Staatsgestüt  Bäbolna  angekauften,  arabischem  Blute  ent- 
stammenden Deckhengste  beträchtlich  vermehrt,  sodass  gegenwärtig  92 
I  [engste,  wovon  5  aus  Syrien,  zur  Verfügung  stehen,  die  zur  Saison  aus 
den  landesärarischen  Hengstcndepöts  Sarajevo  und  den  Filialen  Mostar  und 
Travnik  auf  61  Beschälstationen  vertheilt  werden.  Ausserdem  befinden 
sich  in  den  Hengstendepots  noch  15  Stück  von  der  Insel  Cypern  ein- 
geführte Eselhengste,  die  zumeist  in  der  Hercegovina  für  die  Maulthierzucht 
verwendet  werden.  Ausserdem  sind  im  Fohlenhofe  bei  der  landwirth- 
schaftlichen  Station  Ilidze  1 1  Mutterstuten  und  4  Hengstfohlen  aufgestellt. 
Eine  weitere  Maassnahme  auf  landwirtschaftlichem  Gebiete  bildet  die  1892 


—    466 


erfolgte     Einrichtung    sogenannter     Bauernmusterwirthschaften.      Ihr 

Wesen  besteht  darin,  dass  einzelne  Bauernwirthschaften  unter  der  Anleitung 
und  fortgesetzten  Aufsicht  eines  landwirthschaftlichen  Fachbeamten  der 
Station,  in  deren  Bereich  sich  die  Wirthschaft  befindet,  mit  den  gegel>< 
Mitteln  des  betreffenden  Bauers  einer  rationelleren  Wirthschaftsweise  zu- 
geführt werden.  Den  betreffenden  Besitzern  wird  von  der  Station  auch 
materiell  durch  Hergäbe  von  Saatgut  vorzuglicher  Qualität,  sowie  durch 
Zuwendung  kleinerer  Geldbeträge  zur  Adaptirung  von  Stallungen  und 
sonstiger  Wirtschaftsgebäude  an  die  Hand  gegangen.  Solche  Bauern- 
wirthschaften bestehen  gegenwartig  in  den  Bezirken  Livno,  Gacko  und 
(iradacac.  Gleichzeitig  mit  der  Einführung  der  Zuckerrübenkultur  in  Nord- 
bosnien (wir  brachten  die  näheren  Daten  bei  Erwähnung  der  Zuckerfabrik 
Usora)  wurde  die  Einführung,  beziehungsweise  Hebung  des  Kartoffelbaues 
in  den  südlichen  Theilen  der  Hercegovina,  hauptsächlich  in  den  Bezirken 
Bilek  und  Trebinje  durch  Hergabe  ansehnlicher  Mengen  aus  Ungarn  und 
Slavonien  bezogener  Saatkartoffeln  bewirkt,  und  wurde  später  mit  dem  vor- 
handenen Saatgute  eigener  Produktion,  sowie  mit  den  in  den  landwirth- 
schaftlichen Stationen  Gacko  und  Livno  zu  diesem  Zwecke  angebauten 
Saatkartoffeln  auch  die  Bevölkerung  der  Bezirke  Livno  und  Bugojno  nebst 
dem  Expositursbereichc  Kupres  mit  guten  Saatkartoffeln  versehen.  Ferner 
wurden  erhebliche  Mengen  von  oberungarischer  und  schottisch-böhmischer 
Saatgerste  an  die  Bevölkerung  abgegeben.  Was  zur  Hebung  der  Weinbau- 
und  Obstbaumzucht  geschieht,  ist  an  anderen  Stellen  unserer  Schilderung 
erwähnt  worden.  Beachtung  verdient  die  Thätigkeit  der  Landesregierung 
auch  auf  dem  Gebiete  der  Seidenraupenzucht.  Es  sind  17  Maulbeerbaum- 
schulen errichtet  und  bisher  250000  Stück  Maulbeerbäumchen  vertheilt 
worden. 

Livno  speziell  ist  bereits  ein  landwirthschaftlicher  Mittelpunkt  in 
fortschrittlicher  Beziehung  geworden,  dessen  Wirksamkeit  auch  im  benach- 
barten Dalmatien  zu  spüren  ist.  Die  Stadt,  die  gegen  5300  Bewohner, 
die  Hälfte  Mohammedaner,  besitzt,  treibt  ziemlichen  Handel,  und  ihre  Kunst- 
industrie in  eingelegten  Arbeiten  (meist  Cigarren-  und  Cigarettenspitzen 
wie  Messer)  ist  seit  jeher  berühmt. 

....  Von  Travnik  aus  führt  die  Eisenbahn  (41  Kilometer  bis  Bugojno) 
in  prächtigster  Gebirgsgegend  über  die  Stationen  Turbet  und  Goles  auf  die 
Höhe  des  Komar.  Es  ist  eine  Strecke  für  Hochbauten;  Eisenbrücken, 
Aquädukte,  Viadukte  wechseln  in  bunter  Reihenfolge  ab.  Ueber  den  Komar 
(12 17  Meter)  ist,  wie  auf  der  Mostar — Sarajevoer  Strecke  über  den  Ivan, 
das  Zahnstangensystem  für  die  Steigungen  eingeführt.  Die  Höhe  des 
Komar  selbst  wird  nicht  übersetzt,  sondern  von  einem  mächtigen  Tunnel 
durchbrochen.  Von  der  Station  Komar  aus  wird  nach  weiteren  278  Metern 
die    Station    Oborci   erreicht,    wo    die    Zahnstange    überwunden    ist.      1  )ie 

30* 

—    467    — 


Trace  fährt,  stetig  i  5  Prozent  fallend,  als  Adhäsionsbahn  durch  ein  ziemlich 
fruchtbares,  wohlbebautes,  sich  stellenweise  verengendes  Thal  weiter,  er- 
reicht nach  6  Kilometer  Thalfahrt  die  ersten  Häuser  von  Dolnji-Vakuf  und 
zieht  an  der  rückwärtigen  Lehne  mitten  durch  einen  Theil  dieses  Ortes, 
um  zunächst  die  Hauptstrasse  und  dann  mittelst  einer  45  Meter  weiten 
Eisenbahnbrücke  den  Vrbas  zu  übersetzen,  wo  die  Station  Dolnji-Vakuf 
erreicht  wird.  Von  hier  fährt  die  Bahn  auf  einem  2  bis  3  Meter  hohen 
Damme  durch  die  Ebene  Skoplje  —  die  wir  bei  der  Landtour  bereits 
beschrieben  —  und  erreicht  die  Personen-Haltestelle  Kopcic.  Von  den 
flachen    Ufern    des   Vrbas    aus   gewinnt    man    rechts    einen    Blick    in    das 


Station    Uhorci   mit   dem   Koraar. 

Koprivnicathal  und  auf  die  Veste  Prusac.  In  der  Fahrtrichtung  erheben 
sich  drei  mächtige,  bis  in  den  Hochsommer  mit  Schnee  bedeckte  Berge, 
links  die  Vranica  (2000  Meter),  rechts  die  Radusa  (1800  Meter)  und  weiter 
nach  Südwest  der  Stozcr  (1600  Meter).  Sechs  Kilometer  weiter  führt  der 
Zug  —  stets  auf  hohem   Damme  —  in   den  Bahnhof  von  Bugojno. 

Die  Zweigbahn  von  Dolnji-Vakuf  nach  Jajce  läuft  sofort  nach  Ver- 
n  der  Station  in  einem  scharfen  Bogen  in  das  sich  hier  verengende 
Vrbasthal  ein.  Immer  am  linken  Ufer  des  Vrbas  auf  meist  steilen  Ge- 
hängen, vielfach  in  deren  scharfen  Buchtungen  mittelst  Steinsätzen  ein- 
gemauert, verfolgt  sie  seinen  Lauf  in  Richtung  und  Steigung  nahezu 
parallel   mit  ihm.     Die  Steigung  beträgt  auf  ungefähr  30  Kilometer  durch- 


—    468 


schnittlich  5  Meter  auf  1000  Meier.  Drei  Kilometer  vor  Jajce  beginnt  die 
Bahn  beträchtlich  zu  steigen.  Die  Steigung  ist  bedingt  durch  die  einzig 
mögliche  Anlage  der  Station  Jajce  in  der  über  dem  Vrbas  höher  liegenden 
Pliva-Thalsohle.  Die  Bahnanlage  fügt  den  Eigenthümlichkeiten  von  Jajce 
manches  neue  Bild  zu.  Da  ist  z.  B.  ungefähr  einen  Kilometer  von  der 
Stadt  entfernt  ein  Felseneinschnitt,  der  seine  beiden  steilen  rothgefarbten 
Böschungen  schroff  in  die  Lüfte  streckt.  Er  sieht  aus  wie  eine  gigantische 
Zahnlücke,  durch  die  man  von  Weitem  den  alten  Königsthurm  wie  in 
einem  Rahmen  erblickt.  Unmittelbar  vor  der  Pliva  folgt  ein  riesiger  Tuff- 
einschnitt, wie  herausgesägt  aus  dem  Gestein,  und  gleich  darauf  erreicht 
man  die  hohe  dominirende  Plivabrücke,  die  in  ihrer  schönen  Eisen- 
konstruktion einen  neuen  Schmuck  des  unvergleichlichen  Stadtbildes  bietet. 


Im  Vrbasthal  nach  Banjaluka. 

Die  frühere  Hauptverbindung  von  Jajce  nach 
Banjaluka  führte  in  einem  grossen  .Bogen  ununter- 
brochen über  steile  Gebirgshöhen,  über  Varcar-Vakuf 
und  Han  Cadjavica,  die  unwirthliche  Hochebene  der 
Dobrnja-Planina  hinunter  nach  der  zweitgrössten  Stadt 
Bosniens.  Allerdings  bestand  auch  im  Vrbasthale  ein 
Gemsensteig,  aber  Dr.  Blau  meinte  schon  im  Anfang 
der  Siebziger  Jahre,  dass  er  so  wenig  betreten  und  so  schwer  zu  passiren 
sei,  dass  ihn  noch  kein  Reisender  gewählt  hätte.  Diesem  bedauerlichen 
Mangel  an  einer  kürzeren  und  guten  Verbindung  hat  die  bosnische  Landes- 
regierung mit  gewohnter  Entschlossenheit  schnell  und  gründlich  abgeholfen; 
sie  Hess  eine  neue  Fahrstrasse  längs  des  Vrbas  in  die  Felsen  sprengen 
und  fügte  so  ihren  phänomenalen  Strassenbauten  ein  Meisterwerk  ersten 
Ranges  hinzu,  das  eine  Gegend  voll  unvergleichlicher  Schönheiten  dem 
Reisenden   erschliesst. 

Der  Regen  hatte  in  Jajce  noch  nicht  nachgelassen,  als  wir  mit  einem 
Mohammedaner,  der  eine  leichte  europäische  Kalesche  besass,  wegen  der 
Fahrt  auf  der  neuen  Strasse  nach  Banjaluka  unterhandelten.  Er  stellte  hohe 
Preise,  doch  Hess  er  sich  schliesslich  für  18  fl.  herbei,  uns  dorthin  zu  bringen. 
Sie  war  noch  nicht  eröffnet,  aber  die  behördliche  Erlaubniss  zum  Befahren 
der  neuen  Strasse  hatten  wir  in  der  Tasche,  wir  wussten,  da^s  ein  Objekt, 
die  Eisenbrücke  bei  Karanovac,  noch  nicht  fertig  montirt,  dass  der  Wagen 
aber  auf  einer  Fähre  über  den  Vrbas  gebracht  werden  könnte.  So 
nahmen  wir  denn  beim  Anbruch  des  Tages  Abschied  vom  »Grand  Hotel« 
in  Jajce  und  vertrauten  uns  dem  Wagen  an,  den  unser  Mohammedaner 
stolz  eine  Kalesche  nannte.  Als  Kutscher  stellte  er  uns  einen  seiner 
Knechte,  der  abgerissen  und  wenig  vertrauenswürdig  aussah,  der  sich  aber 
in  der  Folge   ausgezeichnet  bewährte. 


470    — 


Kaum  hatten  wir  in  die  Strasse  am  linken  Vrbasufer  eingebogen,  als 

auch  schon  die  Sonne  hervorbrach  und  noch  einmal  mit  goldenem  Scheine 
das  alte  romantische  Jajce  bestrahlte,  das  mit  seinen  Zinnen  und  Mauern 
einen  unbeschreiblichen  Anblick  gewährte.  Auf  einer  provisorischen  Holz- 
brücke, die  jetzt  durch  eine  solche  von  Kisenkonstruktion  (47  Meter  lang) 
ersetzt  ist,  überschritten  wir  den  Fluss.  Ein  uraltes  Franziskaner-Kirchlein, 
Podmiljaca,  steht  nicht  weit  von  der  Strasse,  ein  Bild  der  Verlassenheit  und 
des  gezwungenen  Verbergens  in  osmanischer  Vorzeit.  Mehrere  Kilometer 
weit  führt  die  Strasse  am  rechten  Ufer,  immer  in  wundervoller  Gebirgs- 
gegend, bis  endlich  eine  wilde  Gebirgsengc  erreicht  ist.  Der  Felsen  Greben 
überspannt  den  schäumenden  Fluss,  überall  erheben  sich  steile,  grossen- 
theils  bewaldete  Abhänge,  das  Dcfilc  förmlich  abschliessend.  Wir  über- 
setzen abermals  den  Vrbas  und  fahren  direkt  in  einen  $6  Meter  langen 
Tunnel,  der  in  mehrfachen  Windungen  in  der  Fahrstrasse  am  linken  I  fer 
ausmündet.  Wir  sind  mitten  in  einem  schmalen  Kessel  von  bezaubernder 
Wildheit.  Bald  folgt  ein  zweiter  Tunnel  von  44  Meter  Länge,  der  durch 
die  Vlasinje  Stjene  gebrochen  ist.  Man  sieht,  die  Anlage  der  Strasse  hat 
grosse  Schwierigkeiten  bereitet.  Alle  Abhänge  zu  beiden  Seiten  des  im 
engen  steinigen  Bette  rauschenden  und  schäumenden  smaragdgrünen 
Flusses  sind  schroff  und  dicht  bewaldet,  meist  Nadelholz,  aber  auch 
hübsche  Steineichen  und  Xussbäume.     Die   »Bijele  Stjene«  (Weisse  Felsen) 


Von    der   Strasse   Jajce-Banjaluka.      ;Vor    dem    Tunnel.) 


—     473     — 


474      — 


Parthic   von   der  Strasse  im   Vrbasthal. 

werden  auf  einer  30  '  Meter  hohen  Felsenböschung  umgangen;  Ab- 
rutschungen und  Geröllhalden  sind  untermauert  und  versichert.  An  den 
meisten  Stellen  ist  die  Strasse  direkt  den  Felsen  abgewonnen  und  die 
mächtigen  Riesen  des  Waldes,  die  den  Sprengungen  mit  zum  Opfer  ge- 
fallen, liegen  noch  am  Steilrande  des  Flusses.  Mehrmals  zeigten  sich  in 
diesem  primitive  Mühlen,  ohne  dass  weit  und  breit  eine  menschliche 
Wohnung  oder  ein  gangbarer  Steg  zu  entdecken  gewesen  wäre.  In 
Waldlichtungen  lagen  verfallende  Arbeiterbaracken,  die  für  die  beim 
Strassenbau  beschäftigten  Leute  als   Unterkunftsorte  gedient  hatten. 

Wir  hatten  den  Einfluss  des  Ugar,  eines  wilden  Gebirgswassers,  am 
rechten  Ufer  passirt  und  einen  Blick  in  eine  schmale  Felsenenge  gewonnen, 
wo  viel  Gemswild  seinen  Standort  haben  soll,  als  wir  links  abermals  ein 
Flüsschen  dem  Hauptstrom  zueilen  sahen.  Hier  öffnete  sich  ein  hübsches 
Thal  mit  grünen  Matten  und  ein  schmaler  Weg  führte  nach  Westen. 
Es  war  die  Crna  Rjeka,  längs  deren  Ufer  ein  Reitpfad  nach  Varcar-Vakuf 
führt.  Bald  darauf  erreichte  die  Strasse  eine  grössere  Lichtung,  eine 
ziemlich  ausgedehnte  Ebene,  die  sich  aber  nur  jenseits  desVrbas  erstreckte. 
An  einigen  neuen  Strassenhäusern  und  einem  hübschen  Brunnen  vorüber 
gelangen  wir  nach  Bocac.  Links  einige  Türkenhäuser  mit  einem  Hau. 
rechts  wieder  mohammedanische  Behausungen  inmitten  von  Xwetschken- 
und  Nussgärten,  vor  uns  aber  auf  einem  steilen  Felsen  eine  alte  mächtige 


475 


> 


476 


Burgruine  mit  einem  gut  erhaltenen  Rundthurm  und  einem  Vorbau  direkt 
am  Vrbasufer,  wie  auch  auf  der  gegenüberliegenden  Seite.  Neben  den 
Ruinen  steht  eine  kleine  Moschee,  im  Thale  und  auf  den  Berglehnen  aber 
liegen  wieder  Häuser    nebst  einem  kleinen  weiss  getünchten  Kirchlein   und 

den  aufgedeckten  Resten  einer  altchristlichen  Basilika.  Im  I  lau,  wo  wir 
wegen  der  Fütterung  der  Pferde  hielten,  war  nicht  einmal  Heu,  auch  kein 


Burg   Krupa. 

Kaffee  zu  erhalten,  doch  versorgte  uns  ein  alter  mohammedanischer  Aga 
mit  beidem  und  er  brachte  uns  auch  noch  frische  Wallnüsse.  Gegen- 
wartig ist  hier  eine  Frühstücksrestauration  errichtet. 

Nach  einer  Stunde  Rast  setzten  wir  die  Reise  fort.  Durch  die 
Felsenenge  bei  der  Burg  Bocac  treten  wir  in  ein  weites  Thal,  Aginoselo, 
das  reichen  Ackerbau  zeigt,  dann  geht  es  wieder  in  eine  Wald-  und 
Gebirgswildniss,  die  aber  viele  liebliche  Bilder  bringt.  Ein  lichter  Hain 
schönster  Buchen  bedeckt  bis  hinauf  zum  Grat  der  Berge  die  Hänge. 
Aus  ihnen  schimmert  das  Laub  der  Silberlinde,  die  stellenweise  in  grosser 
Zahl  auftritt.  Auch  Hainbuchen  und  Hopfenbuchen  (Ostrya  Carpinifolia), 
die  reich  mit  Früchten  behangen  sind,  deren  krugförmige,  aufgeblasene, 
dünne,  das  Nüsschen  umschliessende  Hülle  die  hängenden  Fruchtkätzchen 


477 


einem  Hopfenzäpfchen  ähnlich  macht,  sind  in  diesem  Laubwaldpark 
vorhanden.  Und  ehe  wir  aus  dieser  Thalenge  treten,  gewahren  wir  hoch 
über   uns   auf  dem   hohen  Zacken  der  Manjaca  die  mächtigen  Ruinen  der 


alten  Veste  Krupa,  deren  gut  erhaltene,  an  die  senkrechten  Felswände 
sich  anschmiegenden  Schutzmauern  über  den  ganzen  Abhang  gegen  den 
Fluss    bis    hart   an  das  Wasser  hinunterreichen.     Sie  bildete  einst,    wie  so 


-    478    - 


Enge   Tjesno   an    der   Strasse    Jajce-Banjaluk; 


viele  der  alten  Burgen,  die  vollendetste  Thalsperre.  Wir  gelangen  in  eine 
weite  Ebene,  in  sanften  Wiesengrund,  auf  dem  Heerden  weiden  und  ein 
Dorf  malerisch  gebettet  liegt.  Es  ist  Krupa,  meist  von  Griechisch- 
Orthodoxen  bewohnt,  mit  dem  schonen  Tschardak  (Sommervilla)  des  lieg 
Gjumisic  aus  Banjaluka.  Die  Sonne  leuchtet  in  wunderbarer  Klarheit,  die 
Luft  ist  von  entzückender  Frische  und  Reinheit,  so  dass  wir  eine  Strecke 
des  Weges  zu  Euss  zurücklegen,  begleitet  vom  Gezwitscher  der  sonst 
ziemlich  seltenen  Vögel. 

Wir  treten  jetzt  in  die  Enge  von  Tjesno,   eine  Felsschlucht,  wie  sie 
selten  so  wildromantisch  in  Bosnien,   in  dieser  Eigenart  auch  nur  an  wenigen 
Punkten  der  Hochalpen  zu  finden  sein  dürfte.    Den  Eingang  in  das  schmale 
Defile   beherrschen    auf  einem  förmlichen  Felsenlabyrinth  die  Ruinen  von 
Zvecaj-Grad,   einer  Veste,   die  einstmals   ein  echtes  Raubnest  gewesen  sein 
mag.     Der   bosnische  Herzog  Hrvoja   soll  im    15.  Jahrhundert  hier  residirt 
haben.     Dann  kommen  wir  aus  dem  Licht  in  ein  mystisches  Halbdunkel. 
Hoch   über   dem    gänzlich    eingeengten   Wasserspiegel    des  Vrbas   —   etwa 
15   Meter   —    zieht    sich   die    neue   Strasse   hin.      Sie    ist   durchweg   in    die 
senkrecht    emporsteigenden    Felsen    gesprengt,     dadurch    vielfache     weite 
Höhlen    biossiegend.     Auf  den  Hängen    überragen  oft  mächtige  Wallnuss- 
bäume  den  Weg,   während  stellenweise  wilder  Wein   (Yitis  silvestris)  herab- 
rankt.    Rechts  aber,   über  dem  Vrbas,  ist  das  Terrain  des  Hochgebirges. 
Soweit  das  Auge  reicht,  himmelanstrebende  Wände,   mit  schlanken  Nadel- 
hölzern und  vereinzelten  Buchen  bestanden.     In  den  Klüften  jedoch  hausen 
mächtige  Adler   und    fünf   derselben    kreisen    auf  einmal   über  dem  engen 
Thal.     Wer  sollte  sie  auch  hier  stören  und  verfolgen,   wo  ein  Erklimmen 
ihrer  Höhen  und  Horste  ganz  undenkbar,  wo  selbst  bei  einem  möglichen 
sicheren  Schusse    das  Thier   nicht   zu  erlangen  ist?     Ein   Blick  hinunter  in 
den  Vrbas    ist  aber  ein  unbeschreibliches  Schauspiel.     Eingeengt  auf  eine 
Breite  von  kaum  10  Meter  scheint  es,  als  ob  der  Fluss  sein  Bett  sprengen 
wolle.     Er   schäumt   und    brodelt,    er   kocht   und  wirft   seinen   Gischt  hoch 
empor   an    den  Ufern,    seinen  Feinden,    deren   Starrheit   er   erst   im  Laufe 
von  Jahrtausenden   besiegen   kann.     Und    doch   gerade    dort,    wo   sich   die 
weissen  Schaumkämme  stets  stossen,  da  stehen   Blumen,   da  ist  die  blaue 
Glockenblume,    die    in   Bosnien   so    häufig   ist,    und   aus   dem    Schutt    der 
Sprengungen   blüht  neues  Pflanzenleben  in  Gestalt  des  Lerchensporns  mit 
gelblich-weissen   Blüthen.     Am    oberen    Uferrand   aber   hauchen    Cyclamen 
ihren  betäubenden  Duft  aus. 

Drei  Kilometer  ist  die  Tjesno -Schlucht  lang,  die  grossartigste  Partie 
auf  der  72  Kilometer  langen  Strecke.  Da  öffnet  sich  auf  einmal  die  Enge 
und  so  weit  das  Auge  reicht,  sehen  wir  grünes  Hügelland,  fruchtbare 
Fluren,  Dörfer  und  Gehöfte,  durch  deren  Gemarkungen  sich  der  nun  zahm 
gewordene  Vrbas  schlängelt.     Wir  halten  in   Karanovac,   einer  Anlage  der 

31 
—      4S1       — 


432 


Strassenbau- Inspektion  mit  Arbeiterhäusern  und  Kantinen.  Sektions 
Ingenieur  Herda,  der  den  Bau  geleitet,  empfängt  uns,  und  er  sorgt  dafür 
dass  unser  Wagen  über  den  Vrbas  gebracht  wird.  I),,  damals  bestandene 
provisorische  Ueberfuhr  war  für  solche  Fuhrwerke  schlecht  eingerichtet 
es  dauerte  geraume  Zeit,  bis  wir  den  Wagen  auf  die  Plätte  gebracht 
hatten,     wahrend    die    Pferde    mit    unserem    Kutscher    den     I  durch 

schwimmen  mussten.  Und  doch  stand  schon  wenige  Meter  von  uns  die 
machtige  neue  Eisenbrücke,  an  deren  Fertigstellung  noch  ,  heitet 

Trubel1 'tT  irr^'"  HindriiSS  la^St  *****  Und  in  schl-kem 
rrabe   fahrt  die  Dihgence  /waschen  Banjaluka  und  Jajce  auf  der  Wbasthal 

Strasse,    die    in    ihrer    landschaftlichen    Schönheit    und    Erhabenheit    der 


Auf   der    Strasse    im   Vrbas thal. 


31* 


—      4S3      — 


Via  mala  an  die  Seite  zu  stellen  ist.  Wenn  man  nun  erfährt,  dass  der 
Bau  nur  anderthalb  Jahre  in  Anspruch  nahm,  wird  man  der  Bauleitung 
die  rückhaltloseste  Anerkennung  nicht  versagen. 

Die  letzten  14  Kilometer  von  Karanovac  bis  Banjaluka,  die  schon 
alten  Weg  bedeuten,  wurden  von  uns  in  der  Kühle  des  Abends  zurück- 
gelegt. Ueberall  Dörfer,  Felder,  Heerden,  reitende  und  gehende,  singende 
und  schwatzende  Landleute  —  ein  echtes  Feierabendbild.  In  Novoselo, 
einer  erst  in  den  siebziger  Jahren  durch  eingewanderte  Mohammedaner  aus 
Serbien  gegründeten  Ortschaft,  mit  ihren  vier  kleinen  Dzamijen  verkündete 
der  Muezzin  bereits  Aksam,  als  wir  durchfuhren.  Dann  wechselten  wir 
wieder  das  Flussufer,  und  durch  die  ausgedehnten  Vorstädte  von  Banjaluka, 
das  grüne  Gornji-Scheher,  durch  die  ganze  weitgestreckte  Stadt,  dauerte 
es  noch  lange,  ehe  wir  unser  Quartier  im  »Hotel  Bosna«  erreichten.  Es 
hatte  wieder  zu  regnen  begonnen,  der  Tag  aber  war  uns  nicht  durch  die 
Witterung  verdorben  worden.  Es  war  eine  der  lohnendsten  und  genuss- 
reichsten Fahrten  in  landschaftlicher  Hinsicht  auf  bosnischem  Boden. 


T^ 


Banjaluka. 

Banjaluka  vermittelt  den  Uebergang  vom  Orient  zum  Abendland  und 
doch  ist  es  eine  noch  echt  bosnische  Stadt,  trotz  des  vielen  Europäischen 
und  Halbeuropäischen,  das  hier  zu  sehen  ist.  Diejenigen  Besucher  des 
Landes,  welche  mit  der  Bahn  von  Kroatien  aus  nach  Banjaluka  kommen, 
erhalten  den  ersten  Eindruck  des  bosnischen  Lebens  und  Treibens;  hier 
wird  ihnen  die  Einführung  vermittelt,  bis  sie  immer  tiefer  ins  Innere,  in 
den  Kern  des  vielen  Interessanten,  das  sich  im  Lande  verbirgt,  eindringen. 
Die  grosse  Handelsstadt  [Banjaluka  zählte  1885  gegen  12OOO  Bewohner 
(unter  denen  7000  Mohammedaner  waren),  heute  147 891  war  schon  lange 
vor  der  Okkupation  mit  »Europa«  —  auf  der  Balkanhalbinsel  und  auch 
in  Bosnien  sagt  man  stets  Europa,  wenn  man  von  den  übrigen  Ländern 
unseres  Welttheiles  spricht,  sich  selbst  rechnet  man  zum  Orient  —  durch 
die  Bahn  Dobrlin-Banjaluka  verbunden.  Sie  hatte  zwar  keinen  Anschluss 
an  eine  kroatische  Strecke,  denn  die  Linie  Kostajnica-Sissek  wurde  erst 
lange  nach  der  Besitznahme  Bosniens  erbaut,  aber  der  Verkehr  nach  der 
Grenze  war  erleichtert  und  abgekürzt  und  es  schien  fast,  als  würde  Bosnien 
der  Militärgrenze  den  Rang  ablaufen.  Wohlverstanden  unter  türkischer 
Zeit;  heute  maasse  ich  mir  eine  Parallele  nicht  an,  ich  konstatire  nur.  wie 
die  Verhältnisse  in  Bosnien  liegen,  ohne  die  Nachbarländer  zu  streifen. 
Aber  die  normalspurig  gebaute  Eisenbahn  nach  Banjaluka,  die  nach 
Sarajevo  und  über  Sjenica  im  Paschalik  Novibazar  nach  Mitrovica  zum 
Anschluss   an  die  Bahn    nach  Salonichi  weitergeführt  werden   sollte,    blieb 


Kopfleiste :     Am   Park  in  Banjaluka. 


-     4S5      - 


eine  Sackbahn;  das  türkische  »Jawasch,  jawasch«  (am  besten  mit:  »Immer 
langsam  voran«  zu  übersetzen)  hinderte  jeden  Fortschritt,  jeden  Weiterbau; 
die  Geldmittel  waren  auch  nicht  flüssig  und  so  kam  die  Insurrektion  von 
1875  der  damaligen  Bahnverwaltung  (Gesellschaft  der  ottomanischen  Bahnen, 
die  in  Deutschland  ihren  Sitz  hat)  sehr  gelegen.  Sie  ermöglichte,  im 
Januar  1876  den  Betrieb  einzustellen,  der  die  Kosten  nicht  lohnte,  und 
Gras  wuchs  auf  den  Schienen,  die  Bosnien  dem  Weltverkehr  erschliessen 
sollten.  Erst  1878  wurde  nach  der  Okkupation  der  Betrieb  von  der  k.  k. 
Militärverwaltung  wieder  aufgenommen,  die  ihn  auch  bis  heute  im  An- 
schlüsse an  die  ungarischen  Staatsbahnen  führt. 

Eine  Art  fremden  Elementes,  ein  gewisser  frischer  Luftzug,  kam  aber 
auch  schon  unter  türkischer  Zeit  nach  Banjaluka,  und  es  gab  hier  immer 
eine  österreichisch-ungarische  Kolonie,  für  die  ein  Vicekonsul  wirkte.  In 
der  Anschauung  der  maassgebenden  mohammedanischen  Grundbesitzerkreise 
änderte  dies  freilich  nichts;  sie  blieben  starr  abgeschlossen  und  erst  die 
letzten  anderthalb  Jahrzehnte  haben  sie  zu  anderen  Ansichten  bekehrt. 
So  scheidet  sich  eigentlich  Banjaluka  seiner  ganzen  Anlage  nach  in  eine 
echt  türkische,  eine  gemischte  und  eine  ganz  europäische  Stadt.  Und  diese 
Theilung  kommt  im  Handel  und  Wandel,  im  Leben  und  Treiben  zum 
Ausdruck.  Selbst  die  Lage  der  Stadttheile  ist  dementsprechend.  Die 
Stadt  liegt  im  südlichen  Zipfel  der  40  Kilometer  langen  und  im  Norden 
30  Kilometer  breiten  deltaförmigen  Ebene  längs  der  Save,  deren  östlichen 
Theil  der  Vrbas  durchfliesst,  deren  westlicher  die  Strasse  über  Gradiska 
nach  Slavonien  durchzieht.  Das  neue  europäische  und  ein  Theil  des  ge- 
mischten Stadtviertels  liegen  noch  in  der  Ebene,  die  echt  mohammedanischen 
Viertel  sind  in  die  Berge  eingekeilt,  die  sich  zu  beiden  Seiten  des  Vrbas 
erstrecken  und  sich  ganz  nahe  der  Stadt  zu  förmlichen  Schluchten  ver- 
engen. Durch  seine  Lage  ist  Banjaluka  ungemein  bevorzugt,  es  liegt 
praktisch  im  Handels-  und  Geschäftssinne,  es  ist  aber  auch  ungemein 
pittoresk  in  landschaftlicher  Beziehung. 

Den  schönsten  Anblick  geniesst  man  allerdings,  wenn  man  von  Norden 
aus  der  Ebene  kommt.  Schon  weit  vor  der  Stadt  sieht  man  die  Minarets 
sich  vom  Horizont  abheben;  am  Fusse  eines  Bergabhanges  wird  das 
Trappistenkloster  Maria-Stern  mit  seinem  bedeutenden  Gebäude-Komplex 
erkennbar,  und  nach  einer  Biegung  des  Weges  hat  man  die  volle  Sicht 
auf  die  Stadt.  Von  drei  Seiten  in  einem  grossen  Halbmonde  von  Bergen 
umschlossen,  am  mächtig  rauschenden  Vrbas,  über  den  mehrere  Brücken 
führen,  präsentirt  sie  sich  in  der  weiten  Ebene  wunderhübsch.  Von  Weitem 
sehen  auch  die  türkischen  Häuser,  umgeben  von  Gärten  und  Bäumen  recht 
nett  und  anmuthend  aus,  während  sie  in  der  Nähe  oft  genug  ein  Bild  des 
Verfalles  bieten.  Wer  mit  der  Eisenbahn  ankommt,  tritt  zuerst  ins 
europäische    Viertel.      Bis    vor    nicht    langer    Zeit    lag    der    Bahnhof    weit 

—    4S6    — 


Stadttheil   am    Vrbasflusse   in   Banjaluka. 

draussen  vor  der  Stadt,  im  sogenannten  Trn,  das  nur  aus  wenigen  Häusern 
besteht  und  wohin  die  Archäologen  die  alte  Stadt  vor  der  türkischen  Er- 
oberung verlegen  wollen.  Jetzt  ist  ein  grosser  Bahnhof  in  der  Stadt  gebaut, 
dicht  hinter  dem  »Hotel  Bosna«.  Am  Eingange  des  Ortes  liegt  an  der 
breiten  Heerstrasse,  welche  die  Eisenbahn  übersetzt,  das  Militärspital  mit 
vielen  Nebengebäuden,  umgeben  von  neu  angelegten  üppigen  Gärten,  die 
Promenadenwege  von  Bäumen  begrenzt.  Dann  kommt  das  grosse  Militär- 
lager mit  seinen  Baracken  und  Kasernen,  wieder  mit  Gartenkultur.  Jede 
der  Baracken  besitzt  ihren  eigenen  Gemüsegarten,  der  stets  gut  gepflegt 
ist.  Wie  die  römischen  Legionen  hat  das  Militär  in  diesem  Lande  arbeiten 
müssen,  erobernd,  kolonisirend  und  kultivirend.  Neben  dem  Bau  von 
Strassen  und  Gebäuden  (ehe  die  Civilverwaltung  eingreifen  konnte)  musste 
auch  eine  Gartenkultur  eingeführt  werden,  sonst  wäre  die  Menage  sehr 
einförmig  ausgefallen.  Jetzt  versteht  jeder  Soldat,  wie  er  seinen  Salat  und 
seinen  Kohl  bauen  soll  und  die  Bosnier  wunderten  sich  nicht  wenig  über 
die  Geschicklichkeit  der  Truppen.  Nachgeahmt  haben  aber  gerade  in 
Banjaluka  das  lohnende  Geschäft  des  Gemüsebaues  nur  wenige  Eingeborene; 
sie  überlassen  dies  den  »Schwaben«  in  den  deutschen  Kolonien  an  der 
Gradiskaner  Strasse  und  den  am  rechten  Ufer  des  Vrbas  in  der  Nähe  der 
Zigeuner-Mahala    angesiedelten    Bulgaren,    welche    prächtige    Gartenkultur 


489    - 


besitzen  und  auch  die  eigenthümliche  Bewässerungsmethode  mit  den  grossen 
Schöpfrädern  aus  der  Heimath  hierher  verpflanzt  haben. 

Von  dem  Barackenlager  weiter  schreitend,  kommt  man  zu  der  riesigen, 
aus  türkischer  Zeit  stammenden  »Vrbas-Kaserne«,  die  in  guten  Bauzustand 
versetzt  wurde.  Besonders  die  Ställe  für  die  Pferde  imponiren  durch  ihre 
Ausdehnung  und  Reinlichkeit.  Ein  grosses,  mehrstöckiges  Amtsgebäude 
schliesst  dieses  Viereck  ab,  worauf  man  zu  einer  der  schönsten  Anlagen 
von  Banjaluka  gelangt:  zum  »Rudolfs-Weiler«.  Es  ist  dies  eine  Park-  und 
Waldanlage,  innerhalb  welcher  sich  verschiedene  Gebäude  für  militärärarische 
Zwecke,  Offizierswohnungen  u.  s.  w.  befinden.  Grosse  breite  Strassen,  mit 
Alleen  von  Linden,  Platanen  und  anderen  Bäumen  bepflanzt,  durchschneiden 
die  Anlage,  von  Gebwegen  mit  blühenden  Hecken  eingefasst.  Blumen- 
beete und  Xadelholzanpflanzungen  machen  den  Gesammteindruck  zu  einem 
sehr  anheimelnden  und  freundlichen.  Auf  dem  Exercierplatze  —  einer 
weit  ausgedehnten  Wiese,  auf  der  eine  Armee  Aufstellung  nehmen  könnte 
-  befindet  sich  ein  Denkmal  für  die  am  14.  August  1878  anlässlich  des 
verräterischen  Ueberfalles  Gefallenen.  Dasselbe  ist  in  Gestalt  einer  Halb- 
pyramide aus  Quadern  erbaut  und  mit  einer  gusseisernen  Gedenktafel 
versehen. 

In  seinem  nördlichen  Theile  macht  Banjaluka  ganz  den  Eindruck 
einer  slavonischen  Grenzstadt  durch  seine  riesig  breite  Fahrstrasse  und  die 
weiten  Gehwege.  In  diesem  Viertel  stehen  die  neue  katholische  Kirche, 
das  »Hotel  Bosna«  mit  umfangreichen  Restaurations-  und  Kaffeehaus- 
räumen (ausserdem  sind  noch  das  »Hotel  Austria«,  »Brückner«  und  viele 
Einkehrvvirthshäuser  in  Banjaluka  zu  nennen),  die  serbische  öffentliche 
Volksschule  in  einer  ehemaligen  grossen  türkischen  Kaserne,  viele  Kauf- 
läden   und   Privatsrebäude    von    wohlhabenden    Orthodoxen    und   Fremden. 

v 
Dann     beginnt    das    eigentliche   Handelscentrum    der    Stadt,     die    Carsija 

(Bazarviertel)  mit  ihren  niederen  Häusern  und  hölzernen  Läden,  in  denen 
nach  alter  Sitte  die  Waaren  feilgehalten  werden.  Es  war  gerade  Haupt- 
markttag, als  ich  das  letzte  Mal  hier  weilte,  daher  herrschte  ein  un- 
beschreibliches Gedrücke  und  Gedränge,  ein  Feilschen  und  Handeln,  ein 
Geruch  von  gebratenem  Fleisch,  Zwiebeln  und  Knoblauch.  Unten  aber,  in 
Folge  des  mehrtägigen  Regenwetters,  trat  man  in  fusstiefen  Schlamm.  Die 
Gässchen  der  Carsija  sind  eng,  schlecht  gepflastert  und  ungemein 
schmutzig.  Scheu  drängt  sich  hin  und  wieder  einer  der  wenigen  noch  vor- 
handenen herrenlosen  Hunde  —  dieser  echten  Staffage  des  Orients  —  durch 
die  Menge,  meist  den  Fremden  anschnüffelnd  und  von  ihm  eine  Gabe  fin- 
den halbverhungerten  Leib  erflehend. 

Die  Carsija  bietet  zu  lebendigem  Sehen  überreichen  Anlass.  Schon 
die  verschiedene  Kleidung  der  Käufer!  Nirgends  sieht  man  so  viele  schöne, 
buntgestickte    Kleider,     Hemden,     Schürzen,     als   bei    den    nach   Banjaluka 


—    490 


kommenden  Hauerinnen.  Die  prächtigsten  Muster  wechseln  mit  einander 
ab  und  dabei  herrscht  eine  Farbenfreudigkeit,  wie  sie  weiter  im  Süden 
Bosniens  nicht  so  ausgeprägt  vorkommt.  Dazu  die  verschiedenen  Haar- 
frisuren, die  merkwürdigen  Kopfbedeckungen  und  die  schönsten  Gold- 
und  Silberschmucksachen,  die  man  sich  nur  denken  kann.  Der  gebräuchliche 
Münzenschmuck,  meist  geschmackvoll  angebracht,  dazu  heitere  und  lachende, 
wenn  auch  nicht  gerade  immer  schöne  Gesichter  --  es  ist  ein  Bild,  das 
zur  Fröhlichkeit  stimmt.  Die  Manner  allerdings  lassen  sehr  viel  an  ihrer 
Tracht  vermissen,  was  der  Schönheit  dienen  würde  und  sie  erinnern  stark 
an  die  kroatischen  und  slavonischen  Bauern.  Aber  sie  lernen,  sie  arbeiten, 
sie  werden  immer  mehr  Freibauern,  des  Kmetenverhältnisses  los  und  ledig 
und  darum  sei  ihrer  mit  Achtung  gedacht.  Es  ist  jüdischer  Feiertag,  die 
Geschäfte  der  einheimischen  Juden,  der  Spaniolen,  geschlossen.  Aber  in 
den  Strassen  spazieren  überall  die  Frauen  in  ihren  reichen,  glänzenden 
Kleidern.  Meist  sind  es  hübsche  Gestalten  mit  schönen  Gesichtern, 
prächtigen  Augen  und  selbstbewußter  Haltung.  Sie  bilden  den  schärfsten 
Gegensatz  zu  den  Türkinnen,  die  scheu  und  vermummt  sich  immer  in  der 
Nähe  dev  Häuser  halten,  als  ob  sie  zur  Klasse  der  Paria  gehören  würden, 
während  doch  die  Mohammedaner  auch  heute  mit  Recht  eine  Achtung 
gebietende,  vollkommen  geschützte,  wenn  auch  nicht  mehr  über  dem 
Gesetze  stehende  Stellung  einnehmen. 

Banjaluka  ist  eine  alte  Stadt.  Römische  Bäder  beweisen,  dass  hier 
eine  Kolonie  sich  befand;  vielleicht  das  nach  der  Peutinger'schen  Tafel  am 
Flusse  Urbanus  gelegene  »Castra«.  Gewiss  ist,  dass  die  aus  Salona  an 
der  Adria  über  Dalmatien  nach  Pannonien  erbaute  Strasse  über 
»Ad  Fines«  und  >;Servitium«  zum  heutigen  Berbir  (Bosn.-Gradiska) 
an  der  Save  führte.  Das  ist  auch  der  Weg,  welchen  die  Avaren 
nahmen,  als  sie  ins  römische  Reich  einbrachen  und  Bosnien  verheerten, 
was  die  Gothen  später  noch  gründlicher  besorgten.  In  der  Zeit  der 
bosnischen  Könige  besass  Banjaluka  (Lukasbad)  wenig  Bedeutung;  es  war 
nur  ein  festes  Kastell  zwischen  Berbir  und  Jajce;  erst  die  Türken  erkannten 
die  Wichtigkeit  der  Lage  und  erhoben  den  Ort  zu  einer  Stadt  höheren 
Ranges.  Viele  Kämpfe  und  Schlachten  sah  Banjaluka  in  seiner  Ebene  und 
vor  den  Mauern  seines  Kastells,  i  527,  1688,  1737  fochten  hier  österreichisch- 
ungarische Heere  gegen  die  Türken.  Von  hier  aber  ging  auch  die 
charakteristischste  Bewegung  aus,  welche  das  mohammedanische  Bosnien 
aufzuweisen  hat.  Noch  im  serbischen  Aufstande  zu  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts unter  Karagjorgje  und  später  181 5  unter  Milosch  Obrenovic 
kämpften  die  kriegslustigen  bosnischen  Begs  und  Agas  für  die  Pforte. 
Kaum  aber  kam  die  Kunde,  dass  der  Sultan  die  serbische  Rajah  befreien 
wolle  und  sich  sogar  in  Unterhandlungen  mit  den  Empörern  eingelassen 
habe,  als  auch  schon  die   bosnischen  Janitscharen  unter  Führung  von   Ali 


493     — 


Beg  Yidaic,  des  Kapetans  von  Zwornik,  zu  den  Waffen  griffen,  um  gegen 
diesen  Friedensschluss  zu  protestiren.  Erst  im  Jahre  1821  unterdrückte  der 
energische  Dschcllaleddin  Pascha,  der  in  einer  Nacht  dreissig  bosnische 
Adelige  um  einen  Kopf  kürzer  machen  liess,  die  Bewegung.  Als  aber  im 
Jahre  1826  die  Begs  hörten,  dass  in  Stambul  alle  Janitscharen  niedergemetzelt 
seien,  da  entfaltete  Ali  Beg  Vidaic  neuerdings  die  Fahne  der  Revolution  und 
der  damalige  bosnische  Vezier  Hadzi  Mustafa  Pascha  musste,  als  er  den 
die  Auflösung  der  Janitscharen  ankündigenden  Ferman  und  die  konfessionelle 
Gleichberechtigung  verlautbaren  wollte,  aus  Travnik  flüchten.  Sein  Nach- 
folger, der  energische  Abdurrahman  Pascha,  vermochte  den  Aufstand 
wieder  nur  mit  zahlreichen  Hinrichtungen  und  vielem  Blutvergiessen  zu 
unterdrücken.  Da  kam  der  russisch-türkische  Krieg  von  1828  und  1829. 
Die  Russen  standen  in  Adrianopel,  Sultan  Mahmud  II.  schritt  ernstlich  zu 
europäischen  Reformen.  Auch  in  Bosniens  Gebirgen,  dem  Sitze  des 
starresten  Alttürkenthums,  sollten  sie  Eingang  finden.  Aber  der  bosnische 
Adel  war  nicht  geneigt,  sich  den  Giauren  und  dem  »Giaursultan«  zu  fügen. 
Wieder  wurde  zu  den  Waffen  gerufen  und  der  Kapetan  von  Gradacac, 
Hussein  Berbirli  Aga,  war  es,  der  in  Banjaluka  die  Aufständischen  ver- 
sammelte. Der  »Zmaj  bosanski«  (bosnische  Drache)  entfaltete  die  grüne 
Fahne  des  Propheten,  er  eroberte  ganz  Bosnien,  er  zog  mit  40  OOO  Mann 
aufs  Amselfeld,  er  eroberte  alle  Städte  bis  weit  nach  Rumelien,  und  ohne 
die  Geschicklichkeit  des  Grossveziers  Reschid  Pascha,  der  Zwietracht  zwischen 
Bosniaken  und  Albanesen  säte,  wäre  Hussein  Berbirli  Aga  auch  nach 
Konstantinopel  gekommen.  So  mussten  die  Bosnier  zurückkehren  (wir 
haben  den  Verlauf  dieser  Bewegung  an  anderer  Stelle  geschildert),  und 
1  hissein  Aga  musste  auf  ungarischen  Boden  nach  Essek  flüchten,  von  wo 
er  später  als  Begnadigter  nach  Bosnien  zurückkehrte,  aber  nach  Trapezunt 
gebracht  wurde,  wo  er  starb.  Und  trotz  aller  Hinrichtungen  erhob  sich 
der  trotzige  bosnische  Adel  1849  wieder,  er  wollte  nie  den  Christen  die 
Gleichberechtigung  zugestehen.  Omer  Pascha  —  der  einst  als  österreichischer 
flüchtiger  Militärfeldwebel  in  Banjaluka  zum  Islam  übergetreten  war  — 
schlug  den  Aufstand  mit  unerbittlicher  Strenge  nieder  und  auch  in 
Banjaluka  flogen  die  Häupter  von  den  Rümpfen.  Es  ist  ein  seltsames 
Zeichen,  dass  einst  gerade  an  den  österreichisch -ungarischen  Grenzen  die 
Mohammedaner  am  fanatischsten  waren.  Samac,  Brcka,  Kostajnica 
und  Banjaluka  sind  die  besten  Beispiele  hierfür,  und  am  14.  August  1878 
legte  die  Banjalukaner  Bevölkerung  die  letzte  Probe  ihres  alten  aufrührerischen 
Geistes  ab.   .   .  . 

Und  nun  zum  Kastell,  der  Festung!  Dort,  wovon  Osten  der  Ponir,  vom 
Westen  der  Laus  die  tosenden  Wasser  des  Vrbas  zusammendrängt,  wo  dieser 
aus  dem  schmalen  Felsdefile  der  Waldberge  hervortritt,  beginnt  die  Stadt. 
Der    Ponir   nach   Osten,    der   Laus    nach  Westen    verlaufend,    geben    einer 


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schmalen  langen  Ebene  Kaum,  durch  welche  der  Vrbas  noch  eine  Weile  hart 
am  Ponir  dahinfliesst,  bis  er  den  von  der  nordöstlichen  Leime  de>  Gebirges 
herabstürzenden  Vrbanjabach  aufgenommen  hat,  wonach  er  in  di 
Ebene  der  Save  sich  verläuft.  Während  der  Vrbas  noch  unter  dem  Ponir 
fortfliesst,  ergiesst  sich  in  ihn  von  der  westwärts  liegenden  Lehne  des 
Laus,  gerade  dort,  wo  die  Ebene  in  grösserem  Maasse  -ich  erweitert,  der 
Crkvinabach.  Jenseits  desselben,  zwischen  seinem  rechten  und  dem  linken 
Ufer  des  Vrbas,  im  Winkel,  den  die  beiden  Wässer  bilden,  auf  den  Laus 
gelehnt,  liegt  die  alte  Stadt  mit  ihrer  Citadelle  und  der  grossen  Moschee. 
Das  Kastell  ist  von  Aussen   halb  verfallen,   doch  wird  es  so  viel  als  möglich 


Festung  in  Banjaluka. 

erhalten,  wegen  der  vielen  in  demselben  befindlichen  militärischen  Gebäude, 
des  Monturdepöts,  des  Bettenmagazins,  der  Gefangnisse,  des  Pulvermagazins 
u.  s.  w.  Eine  Offiziers-  und  eine  Mannschaftskantine  sorgen  für  die 
leiblichen  Bedürfnisse  der  Besatzung.  Ein  geradezu  idyllischer  Punkt  Lt 
aber  der  Offiziersgarten,  direkt  an  der  dem  Vrbas  zugekehrten  Mauer  ge- 
legen. Das  ist  ein  wirklich  schattiger  Punkt  in  Banjaluka  mit  üppiger 
Vegetation.  Hier  fand  ich  blühende  Rosen.  Die  Offiziere  haben  sich 
einen  netten  Pavillon,  Sommerhäuschen,  eine  Kegelbahn  errichtet  und 
Bänke  laden  überall  zum  Ausruhen  ein;  da  giebt  es  eine  »Rudolf-Laube  . 
eine  »Rebenlaube«,  und  ein  tief  unten  gelegenes  lauschiges  Plätzchen,  in 
das  kaum  ein  Sonnenstrahl  dringen  kann,  wurde  »Zum  kühlen  Grunde« 
getauft.  Der  Anblick  von  diesem  Garten  auf  den  Vrbas,  die  jenseits 
desselben  gelegenen  einsamen  türkischen  Viertel  mit  ihren  vielen  kleinen, 
aus  dem  Grün  hervortretenden  Moscheen   mit  zum  Theil  hölzernen  Minarets, 


—    495     — 


und  auf  die  Abhänge  der  Ko- 
zara,  istwundervoll.  Nebenbei 
hat  man  auch  die  Aussicht  auf 
den  beim  Zigeunerviertel  ge- 
legenen Richtplatz,  wo  schon 
einige  schwere  Verbrecher,  da- 
runter der  berüchtigte  Räuber 
Vuksan,  ruhen. 

Der  Konak ,  jetzt  das  Ge- 
bäude der  Kreisbehörde,  bildet 
mit  der  nahen  grossen  Ferhad 
Pascha-Moschee  das  Centrum 
der  Altstadt,  in  dem  auch  der 
vornehmere  Theil  der  mo- 
hammedanischen Bevölkerung 
seinen  Wohnsitz  hat.  Die 
Ferhadija  ist  die  bedeutendste 
unter  den  45  Dzamijen  Banja- 
lukas  und  sie  wurde  eigent- 
lich auf  Kosten  der  öster- 
reichischen gräflichen  Familie 
Auersperg  erbaut.  Der  bos- 
nische Vezier  Ferhad  Pascha 
hatte,  als  er  im  Jahre  1576 
bei  Radonja  in  Kroatien  den 
General  Eberhard  Auersperg  schlug,  dessen  Sohn  Engelbert  gefangen 
genommen.  Aus  dem  Lösegeld  wurde  dieFerhadija-Moschee  gebaut.  Grosse 
Lindenbäume  beschatten  den  Vorplatz.  In  dem  Friedhof,  welcher  die 
Moschee  umgiebt,  befinden  sich  einige  kunstvollere  Denkmäler.  Erwähnens- 
werth  ist  aber  in  Banjaluka  die  Kiraet-hana,  die  mohammedanische  Lese- 
halle,  die  in  der  nach  der  Carsija  führenden  Hauptstrasse  als  ein  Achtung 
gebietendes,  im  maurischen  Stil  (wie  in  Sarajevo)  erbautes  Gebäude  sich 
repräsentirt.  Diese  Kiraethane  dienen  nicht  mehr  ausschliesslich  als  Lese- 
hallen, sie  sind  Kasinos,  Klubs  geworden,  in  denen  Versammlungen  und 
Vorträge  abgehalten  werden,  die  also  einen  sehr  nützlichen  Zweck  ver- 
folgen. Sie  besitzen  ihr  Seitenstück  in  den  Militär-  und  Beamten-Kasinos, 
m  den  orthodoxen  Citaonicas  u.  s.  w.  Dass  sie  den  Zusammenhalt  der 
dort  verkehrenden  Klassen  fördern,  ist  sicher,  noch  gewisser  aber,  dass 
sie  einst  politische  Bedeutung  gewinnen  werden,  wenn  einmal  Bosnien  in 
den  Bannkreis  des  Parlamentarismus  gezogen  werden  sollte.  Nach  den  Er- 
fahrungen, die  man  in  Serbien  und  Bulgarien,  gar  erst  in  Kreta  gemacht 
hat,  wird  es  allerdings  das  Beste  bleiben,  wenn  die  bisherige  Verwaltung  — 


Ferhad   Pasc  ha -Moschee  in  Banjaluka. 


—      496 


welcher  selbst  die  seinerzeitigen  Oppositionellen  in  den  Delegationen  die 
»mit  dem  grössten  Wohlwollen  gepaarte  Gemässigtheit  nicht  absprechen 
können  —  noch  eine  lange  Reihe  von  Jahren  in  ihrer  gegenwärtigen  Ge- 
staltung erhalten   wird. 

Wir  besuchen  noch  eines  der  erhaltenen  Denkmäler  aus  römischer 
Zeit:  die  alten  Bäder.  Sie  liegen  am  rechten  Ufer  des  Vrbas,  in  dem 
ungefähr  dem  Kastell  gegenüber  beginnenden  und  eine  Stunde  weit  in  die 
Bergenge  hinaufreichenden  Stadttheile,  ein  gutes  Stück  flussaufwärts.  Der 
ganze  Stadttheil  erstreckt  sich  dicht  neben  dem  Flusse  und  dem  Ponir. 
Der  Berg  erhebt  sich  anfangs  ioo,  weiter  oben  300  Fuss  über  den  Fluss, 
in  den  er  an  manchen  Stellen  wie  eine  steile  Wand  abfällt.  Das  Bett 
des  Vrbas  ist  felsig,  sein  Fall  stark  und  er  wird  durch  die  für  unzählige 
Mühlen  errichteten  Wehre  noch  rauschender.  Das  Wasser  ist  gegen  300  Fuss 
breit.  Am  jenseitigen  Ufer  beginnt  sich  in  Hügeln,  die  mit  Obstbäumen 
bestanden  sind,  wieder  ein  Höhenzug  zu  erheben.  Die  Schlangenwindung 
der  Bergenge  mit  ihrer  bald  verschwindenden,  bald  wieder  auftauchenden 
Häuserreihe,  hie  und  da  mit  einer  Moschee  zwischen  den  lauschigen 
Gärten  und  Felswänden,  belebt  durch  den  tosenden  Wirbel  und  das  Ge- 
klapper der  Mühlen,  ist  eine  der  schönsten  Idyllen.  Und  inmitten  derselben 
liegen  in  zwei  Gruppen  die  römischen  Bäder.  Das  eine  in  der  Nähe  einer 
Brücke  ist  nur  eine  Ruine,  aus  der  eine  warme  Quelle  sprudelt.  An  dieser 
Stelle  wurden  in  den  siebziger  Jahren  600  römische  Münzen  — wahrscheinlich 
die  ganze  Badekasse  —  gefunden.  Etwas  weiter  flussaufwärts  steht  das 
noch  heute  benutzte  Bad,  ein  massives  Gebäude  mit  Kuppeln,  dessen 
Entstehung  in  das  sechste  Jahrhundert  verlegt  wird,  daneben  ein  anderes, 
gleichfalls  in  Trümmer  zerfallen.  In  der  Nähe  befinden  sich  noch  drei 
bisher  nicht  gefasste  Quellen. 

Und  überall  zwischen  Häusern,  Gärten  und  Feldern  finden  sich  die 
türkischen  Friedhöfe,  oft  als  grosse  Keile  zwischen  den  schönsten  Frucht- 
feldern.  Der  Todtenkultus  mag  ja  recht  schön  sein,  er  hat  eine  gewisse 
Berechtigung,  aber  am  Ende  dürfen  die  Todten  doch  nicht  die  Lebenden 
aus  ihrem  Besitz  drängen  und  dies  ist  in  einigen  bosnischen  Städten  fast 
der  Fall.  Immer  und  überall  die  Leichensteine  sehen,  ist  nicht  Jedermanns 
Sache,  obwohl  der  Tod  auf  dem  Balkan  nicht  im  dunkeln  Trauergewande 
auftritt.  Hier  ist  der  Friedhof  mehr  ein  Feld  mit  wirren  Steinsäulen,  auf  dem 
anstandslos  Schafe  und  Ziegen  weiden.  Nur  bei  den  Moscheen  sind  die 
Friedhöfe  wohl  nicht  gepflegt,  aber  geschützt  und  vom  Grün  überwuchert. 

Und  dieses  Grün,  das  sich  überall  findet,  ist  es,  was  auch  der  ganzen 
Berggegend,  die  des  eigentlichen  Hochwaldes  entbehrt,  ihren  Reiz  verleiht. 
Die  Bergkegel,  die  aus  dem  Hochplateau  durch  zahlreiche  Erosionen 
herausgewachsen  sind,  deckt  ein  Buschwald,  hier  kaum  kniehoch,  dort 
über    mannshoch    und    ausserordentlich    schwer    durchdringbar.     Knorrige 

32 
—     497     — 


Hainbuchenbüsche,  dornige  Birnbäume,  die  nicht  aus  ihrer  krüppelhaiten 
Natur  herauszukommen  scheinen,  dichte  Buchenbüsche,  Haselnusssträucher, 
Schwarzdorn,  strauchige  Feldahorne,  Wacholder  —  alle  demüthig  dem 
Boden  angeschmiegt,  als  würden  sie  vom  Sturme  niedergedrückt  —  bilden 
hier  den  Wald.  Und  doch  grüssen  aus  ihm  Arten,  die  in  den  sonnigsten 
Süden  versetzen.  Die  kleinen  purpurnen  Blüthen  des  Labkrautes  (Galium 
purpureum),  die  Zweige  des  Mäusedornes,  die  Blüthenköpfchen  der  kleinen, 
weissen  mit  schwarzblauem  Kiel  gezeichneten  Blumen  des  krautigen  Backen- 
klees (Dorycnium  herbaceum),  die  duftende  Blume  des  Alpenveilchens, 
die  borstigen  Aehren  des  Kammgrases  (Cynosurus  eclivatus)  sind  in  ihm 
versteckt  oder  kleben  in  den  Ritzen  der  kahlen  Felsen,  die  hin  und  wieder 
über  einige  Quadratmeter  weit  gleich  ernsten  Mahnern  und  Warnern  die 
Schrecken  der  Yerkarstung  in  Miniaturbildern  zeigen. 

Von  der  Höhe  schreiten  wir  wieder  durch  stille  mohammedanische 
Viertel  zur  hastenden,  nie  rastenden  Europäerstadt,  wo  Damen  wirkliche 
Schleppen  durch  den  fusstiefen  Koth  schleifen,  wo  die  verrücktesten  Hut- 
moden der  Grossstädte  in  getreuer  Nachahmung  getragen  werden,  zum 
Schrecken  und  zum  Abscheu  der  Einheimischen  und  —  der  eigenen  Ehe- 
männer! Im  Kaffeehause  halten  wir  Rast  und  lesen  die  neuesten  Wiener 
und  Budapester  Zeitungen,  wir  sehen  die  Spiele,  die  Unterhaltungen  — 
es  ist  schon  Abendland.  Vorüber  zieht  ein  Leichenzug  mit  Kreuzen  und 
Fahnen;  Nonnen  und  Kinder  vor  und  nach  dem  Sarge.  Er  erinnert  uns, 
dass  Banjaluka  auch  ein  katholisches  Centrum    ist,    dass    es  einen  Bischof,. 


Tr ap pi s ten k  1  o s t er    Maria-Stern. 


—     49S     — 


zwei  vorzügliche  Mädchen -Erziehungsanstalten    und   selbst  ein  Trappisten- 
kloster    besitzt.     Ueberall    steht    der    konfessionelle   Unterricht,    die   kon 
fessionelle  Erziehung  im   Vordergrunde;   nur  die  von  der   Landesregierung 
errichteten  Schulen  wahren  auch  hier  den   für  dieses   I.aud  allein  richtigen 
Standpunkt  der  Interkonfessionalität. 

Die  Trappisten  gehören,  allerdings  in  sein-  vereinzelten  Exemplaren, 
zum  Gesammt-Strassenbilde  von  Banjaluka.  Die  barhäuptigen  Schweiger 
in  ihren  weissgrauen  Kutten  erinnern  sehr  an  die  Derwische.  Die  sti 
Regel  des  Ordens  hatte  ihnen  einstmals  die  Zulassung  in  Bosnien  ermög- 
licht und  sie  vor  dem  Fanatismus  der  Bevölkerung  geschützt.  Asböth 
schreibt  über  die  Trappisten: 

»Im  Jahre  1868  vom  Rheine  vertrieben,  suchten  sich  diese  Mouche  vergebens  in  <len 
christlichen  Staaten  anzusiedeln.  Schliesslich  gewährte  ihnen  der  Sultan  einen  Zufluchtsort  in 
«ler  Nabe  von  Banjaluka,  wo  sie  am  rechten  Ufer  des  Vrbas  Baugründe  kauften  und  ihr 
Kloster  errichteten.  In  diesem  Kloster  herrscht  die  volle,  unerbittliche  Strenge  des  Ordens. 
Und  vielleicht  ist  es  gerade  diese  Strenge,  die  der  Bevölkerung  so  sehr  imponirt,  dass  die 
Verehrung  der  Trappisten  hei  allen  Konfessionen  eine,  man  kann  sagen  unbegrenzteist.  Die  tiefe 
Religiosität  der  Bosnier,  welche  so  viel  überschwenglichen  Hass  und  so  viele  blutige  Zusammen- 
stösse  verursachte,  ehrt  die  strenge  Religiosität  auch  bei  Andersgläubigen,  und  wenn  Jemand  im 
Rufe  eines  heiligen  Lebens  steht,  wenden  sich  auch  die  Angehörigen  anderer  Religionen  voll 
Ehrerbietung  und  Vertrauen  an  ihn.  Seihst  die  strengsten  der  Derwische  führen  kein  so  strenges 
Leben  wie  die  Trappisten.  Mit  Staunen  horten  und  überzeugten  sich  Katholiken.  Orthodoxe  und 
Mohammedaner,  dass  diese  Männer  in  kleinen  Zellen,  wo  eben  nur  ein  Strohsack  Platz  hat, 
wohnen,  nach  kurzer  Nachtruhe,  während  der  sie  ihre  Kutten  nicht  ablegen,  schon  um  2  Uhr 
Morgens  ihre  täglichen  Gebete  und  ihre  nützlichen  Arbeiten  beginnen,  dass  sie  sogar  dem 
entsagt  haben,  was  selbst  dem  elendesten  Erdensohne  unverkürzbare  Freude  und  Trost  gewährt 
und  in  ewigem  Schweigen  ihre  Tage  verbringen,  um  in  ihren  überirdischen  Betrachtungen 
nicht  durch  weltliche  Gedanken  gestört  zu  werden,  dass  sie  nur  mit  besonderer  Erlaubniss  in 
Erfüllung  ihrer  Pflichten  sprechen  und  auch  jene  Sünden,  die  sie  bei  ihrer  entsagungsvollen, 
strengen  Lebensweise  höchstens  in  Gedanken  begehen  können,  an  jedem  Feiertage  durch 
grausame  Geisselung  an  sich  selbst  zu  strafen  bemüht  sind,  wie  denn  ausser  dem  Strohsack 
die  Geissei  ihr  einziges  Mobiliar  bildet.  Diese  Lebensweise,  diese  Hebungen  mussten  auf  das 
zur  Schwärmerei  hinneigende  Volk  einen  tiefen  Eindruck  machen.  .  .  .  Dieses  strenge  Leben 
gewann  den  Trappisten  vielleicht  mehr  als  ihr  nützliches  Wirken  das  Wohlwollen  der  Be- 
völkerung, ebnete  aber  auch  ihrer  Thätigkeit  den  Weg.  sodass  sich  das  Kloster  bald  zu  einem 
Brennpunkte  civilisatorischer  Entwicklung  erhob.  Nicht  nur  den  Furtschritt  der  Bodenkultur 
fördern  die  Mönche  durch  ihr  Beispiel,  indem  sie  ihre  Gründe  mit  Dampfmaschinen  bebauen, 
sondern   sie  verbreiten  auch  die   Industrie.« 

Mit  gewissen  kleinen  Einschränkungen  ist  dieses  Lob  wohl  zutreffend; 
unter  den  Trappisten  —  etwa  hundert  in  Maria-Stern  —  giebt  es  Schuh- 
macher, Schneider,  Weber,  Schmiede,  Töpfer,  Landwirthe  und  Bierbrauer. 
Sie  verfertigen  alles,  was  sie  für  sich  selbst  brauchen  und  auch  vieles  zum 
Verkaufe;  jeder  Mönch  muss  eine  bestimmte  Beschäftigung  haben  und 
junge  Bosniaken  werden  angelernt.  Ueberdies  halten  sie  eine  Schule,  in 
welcher  der  Unterricht  unentgeltlich  ertheilt  wird;    sie   nehmen   Waisen  zu 


—    499    — 


sich  und  üben  freigebig  alle  Arten  des  Wohlthuns.  Jetzt  beschäftigt  sich 
das  Kloster  seit  seine  Bierbrauerei  stark  Schiffbruch  gelitten,  meist  mit 
Erzeucnino-  des  sogenannten  »Trappistenkäses«,  der  einen  wohlverdienten 
Ruf  ceniesst  und  auch  ins  Ausland  verschickt  wird.  Da  das  Kloster  selbst 
nicht  einen  so  grossen  Viehstand  besitzt,  liefern  hauptsächlich  die  nahen 
deutschen  Kolonien   die  Milch  für  die  Klosterkäserei. 


Vrbasbrücke    in    Banjaluka. 


In  den  Kolonien. 

Zweimal  habe  ich  die  deutschen  und  die  italienischen  Kolonien  be- 
sucht, die  sich  von  Banjaluka  bis  in  die  Nähe  von  Bosnisch-Gradiska  (das 
einstige  Berbir)  zu  beiden  Seiten  der  grossen  Heerstrasse  über  sechs  Fahr- 
stunden weit  dahinziehen.  Es  geschah  dies  mit  einem  Zwischenräume  von 
acht  Jahren,  und  um  den  Fortschritt  so  recht  zu  verdeutlichen,  will  ich 
meinen  Bericht  vom  Jahre  1886  demjenigen  von  1894  voranstellen.  Da- 
durch ergiebt  sich  am  Besten,  wie  hier  zielbewusst  gearbeitet  wurde  und 
noch  wird. 

1886. 

3.  Mai  ....  Ich  war  in  Altgradiska,  Der  seit  mehreren  Tagen 
anhaltende  Regen  war  vergangen,  ein  kalter,  aber  wunderschöner  Frühlings- 
tag begünstigte  die  Fahrt  zu  unseren  deutschen  Brüdern  in  Bosnien.  Mein 
kroatischer  Kutscher,  den  ich  aufgenommen,  um  stehen  bleiben  zu  können 
wo  ich  wollte,  um  nicht  durch  die  festgesetzte  Fahrzeit  der  Post  behindert 
zu  werden,  hatte  sich  früh  Morgens  pünktlich  eingefunden,  und  wenn  auch 
der  Wagen  an  Bequemlichkeit  nicht  das  Mindeste  bot,  so  reichte  er  doch 
für  meinen  Zweck  vollkommen  aus.  Eine  Plättenüberfuhr  besorgt  die 
Verbindung  mit  Berbir  oder  wie  es  amtlich  heisst:  Bosnisch-Gradiska. 
Dieser  Ort,  obwohl  er  Sitz  der  Bezirksbehörde  ist,  bietet  nichts  Bemerkens- 
werthes.  Es  ist  noch  dasselbe  Nest  wie  zehn  Jahre  früher,  wo  ich  mich 
einmal  in  Berbir  befand,  als  es  zu  Ehren  der  Thronbesteigung  Sultan 
Murads  flaggte  und  illuminirte.  Die  Häuser  sehen  halsbrecherisch  aus, 
der  in  kleinen  türkischen  Orten  obligate  Schmutz  ist  hier  tiefer  als  anders- 


Kopf leiste:    Auf  dem  Wege  zur  Stadt. 


—     501      — 


wo,  von  einer  ordentlichen  Pflasterung  ist  in  diesem  durch  die  Grafen 
von  Berbir  (Bribir)  und  durch  Hussein  Berbirli  Aga  historisch  gewordenen 
Flecken  keine  Rede.  (Seitdem  haben  sich  auch  hier  die  Verhältnisse 
gründlich  geändert.  D.  Verf.)  Ich  war  redlich  froh,  als  wir  Berbir  hinter 
uns  hatten  und  auf  der  gut  erhaltenen  und  wohlgebauten  Fahrstrasse  nach 
Banjaluka  dahinrollten.  Die  Wiesen  und  Gestrüppflächen  zu  beiden  Seiten 
des  Weges  waren  theilweise  mit  Wassertümpeln  bedeckt ,  die  aber  nicht 
verhinderten,  dass  ganze  Heerden  von  Rindern  und  Pferden  darauf  weideten. 

Die  Gegend  bleibt  eine  halbe  Stunde  lang  einförmig,  nur  in  der 
Ferne  sieht  man  die  bewaldeten  Berge  der  Kozara-Planina,  einst  der  Tummel- 
platz christlicher  Insurgenten  gegen  die  Türken.  Die  Wälder  dieses  Ge- 
birges werden  jetzt  grossentheils  ausgestockt  und  so,  wie  die  Eichenwälder 
bereits  zu  Fassdauben  verschnitten  den  Weg  nach  Frankreich  angetreten 
haben,  so  folgen  jetzt  Nadelhölzer,  die  ein  Holzhändler  Brabetz  zur  Ver- 
werthung  gekauft  hat.  In  Berbir  befindet  sich  ein  grosses  Lager  von 
Balken  und  Brettern,  die  ihren  Weg  mit  den  Saveschiffen  nach  Sissek 
nehmen. 

Nach  einer  weiteren  Viertelstunde  zeigen  sich  schon  nett  bearbeitete 
Felder,  denen  man  ansieht,  dass  nicht  Bosniaken  den  Boden  bestellen, 
dass  hier  ein  ordentlicher  Pflug  gehandhabt  wurde.  Bald  tauchen  auch 
Ziegeldächer  zwischen  bosnischen  Hütten  auf,  und  es  dauert  nicht  lange, 
so  befinden  wir  uns  inmitten  einer  Ansiedlung,  welche  man  getrost  nach 
Norddeutschland  versetzen  könnte.  Durchwegs  aus  Ziegeln  aufgeführte 
zweistöckige  Gebäude  wechseln  mit  einstöckigen  ab,  an  den  blank  geputzten 
Fensterscheiben  Gardinen  oder  farbige  Vorhänge,  meist  braune  Fenster- 
laden und  auch  vereinzelte  grüne  Jalousien.  Auf  den  Fensterbrettern  aber 
stehen  Blumenstöcke,  ein  Anblick,  den  man  in  bosnischen  Bauernhäusern 
nicht  geniesst.  Oft  ist  vor  dem  Hause  ein  kleines  Gärtchen  angelegt,  in 
dem  das  Sommerhäuschen  nicht  fehlt.  Das  ist  schon  Ober-Windhorst, 
das  sich  längs  der  Strasse  erstreckt,  bei  den  Eingeborenen  auch  nach 
dem  früheren  Namen  Rovince  oder  Laminci  geheissen.  Ein  Theil  der 
Gebäude  ist  ganz  solid  fertiggestellt,  ein  noch  grösserer  im  Bau  begriffen. 
Holz  und  Ziegel  stehen  überall  bereit.  Man  sieht  deutlich,  dass  hier  ge- 
arbeitet wird,  dass  die  Leute  sich  auf  eine  dauernde  Niederlassung  vor- 
bereiten. Die  den  Ankömmlingen  vor  Jahren  zur  provisorischen  Unterkunft 
dienenden  Bretterhütten  sind  im  Abbruch  begriffen;  nur  hin  und  wieder  stehen 
bosnische  Bauernhäuser  und  der  Zigeuner  aus  Zweigen  geflochtene,  mit 
etwas  Lehm  verschmierte  Unterkunftsorte,  in  die  man  in  civilisirten  Ländern 
keinen  Hund  einsperren  würde.  Die  Wirthschaftsgebäude  sind  ebenso  solid 
wie  die  Wohngebäude  gebaut.  Anstatt  der  landesüblichen  Hambars,  die  zur 
Aufbewahrung  des  Kukuruz  und  anderer  Feldfrucht  dienen,  erblickt  man 
-e  gemauerte  Scheunen  mit  grossen  Thoren  und  gestampften  Tennen, 

—    502     — 


ganz  wie  in  den  Marschen  Frieslands  und  Oldenburgs.  Die  Gemüsegärten 
sind  gepflegt;  was  das  Frühjahr  zeitigt,  steht  im  üppigen  Wachsthum. 
Die  Felder  dehnen  sich  meist  hinter  dem  Hause  aus  und  werden  zum 
Tlieil  erst  jetzt  bearbeitet.  Man  erkennt  die  -schwabischen  Komplexe 
sofort  daran,  dass  die  Landesübliche  Einzäunung,  welche  sonst  auch  bei  dem 
kleinsten  Stück  Feld  in  Bosnien  angebracht  wird,  fehlt  —  eine  Einrichtung, 
welche  den  Ansiedlern  schon  viel  Aerger  und  Verdruss  bereitete,  da  das 
frei  weidende  Vieh  die  Aecker  verwüstete.  Aber  bei  den  grossen  Flächen, 
die  hier  jeder  Ansiedler  besitzt,  wäre  eine  Einzäunung  kaum  durchführbar. 
Die  Häuser  bilden  noch  kein  geschlossenes  Dorf;  meist  liegen  die- 
selben von  Gärten  und  Feldern  umschlossen  und  sogar  eine  halbe  Stunde 
weit    nach    links    tauchen    vereinzelte    rothe   Dächer    aus    der  Ebene    auf. 


Die   Kolonie  Windhorst    im    Entstehen. 

Ober-Windhorst  besitzt  auch  ein  zur  Kirche  eingerichtetes  Haus  und  daneben 
auf  einem  hohen  Holzgerüst  eine  Glocke,  welche  Mittags  geläutet  wird. 
Unter-Windhorst,  zehn  Fahrminuten  weiter  an  der  Strasse  gelegen, 
sieht  noch  stattlicher  und  viel  fertiger  aus.  -Ein  grosses  einstöckiges 
Gebäude  mit  einer  um  das  ganze  Haus  gehenden  Holzveranda  trägt  die 
Aufschrift:  »Gasthaus  und  Handlung  des  Ferdinand  Brenzinger«.  Ich  liess 
meinen  Kutscher  halten  und  trat  in  die  nach  Art  der  deutschen  Dorf- 
schänken  gehaltene  Trinkstube,  welcher  gegenüber  ein  Kramladen  lag. 
Eine  freundliche  Frau  begrüsste  mich  in  schwäbischem  Dialekt  und  bot 
mir  einen  echten  Kornbranntwein  als  Getränk.  Ich  liess  mich  mit  ihr, 
in  ein  Gespräch  ein  und  erfuhr,  dass  sie  und  ihr  Mann  aus  der  Gegend 
von  Heidelberg  stammen,  mit  noch  zwei  badischen  Familien  hierher  aus 
gewandert  sind  und  seit  sechs  Jahren  rechtschaffen  hausen  und  wirken. 
Es  gehe  ihnen  Gott  sei  Dank  recht  gut,  sie  hätten  etwas  vor  sich  gebracht, 
besässen  drei  Zieeelöfen  und    eine  Kalkbrennerei    ausser  vielem  Feld    und 


—    503    — 


fänden  für  ihre  Erzeugnisse  einen  guten  Markt  in  Berbir  und  Banjaluka, 
für  die  Erntefrüchte  aber,  wie  auch  die  meisten  anderen  Kolonisten,  einen 
solchen  in  Sissek,  wohin  die  Frucht  mit  Schiffen  expedirt  werde.  Bren- 
zinger    ist   nebenbei   auch    der   Bürgermeister   oder   der   Knez    des   Dorfes. 

Unter-Windhorst  besitzt  eine  Kirche  und  einen  hölzernen  Glocken- 
thurm.  Mit  Maglaj  am  Vrbas  zusammen  bilden  diese  Kolonien  eine  Pfarr- 
gemeinde. Selbstverständlich  ist  auch  eine  Volksschule  vorhanden,  in 
der  deutsch  und  bosnisch  gelehrt  wird.  Das  Gros  der  Ansiedler  traf 
bereits  im  Februar  1879  hier  ein  und  kaufte  —  da  die  Leute  Geld  mit 
sich  brachten  —  von  Salih  Beg  Dzinic  und  Sivic,  wie  einigen  anderen 
türkischen  Grossgrundbesitzern,  grosse  Flächen  zu  günstigen  Bedingungen 
an.  Der  Boden  bestand  allerdings  aus  Wiesen,  Niederwald  und  Gestrüpp 
und  die  Rodung,  wie  die  Drainage  der  versumpften  Flächen  erforderte 
viel  Zeit  und  Geduld.  Da  aber  die  letztere  bei  den  Deutschen  in  hohem 
Maasse  vorhanden  ist,  so  gelang  das  schwere  Werk  und  heute  ist  der 
Boden  zu  mindestens  zwei  Dritttheilen  urbar  gemacht.  Das  Joch  Grund 
kostete  im  Anfang  durchschnittlich  40  fl.,  doch  sind  die  Begs  jetzt  schon 
bis  auf  200  fl.  gestiegen. 

Die  Ansiedler  in  Windhorst  stammen  meist  aus  Hannover,  Oldenburg, 
Braunschweig  und  Rheinpreussen.  Von  den  letzteren  traf  ich  zwei,  welche 
aus  der  Gegend  von  Koblenz  zu  Hause  sind  und  den  dortigen  schwer 
verständlichen  Dialekt  noch  unverfälscht  sprachen.  In  den  letzten  Jahren 
hat  sich  aber  auch  ein  nicht  kapitalkräftiges  Element,  Arbeiter  aus  der 
Gegend  von  Essen,  hierher  gezogen.  Diesen  Leuten  geht  es  nicht  besonders, 
da  sie  meist  bei  den  anderen  Ansiedlern  arbeiten  müssen,  bis  es  ihnen 
gelingt,  ein  Stück  Grund  zu  erwirthschaften.  Die  Kolonisten  gehen  aber 
einander  sehr  an  die  Hand,  und  so  werden  wohl  auch  die  Aermeren  sich 
nach  und  nach  zu  etwas  Wohlstand  emporarbeiten.  Was  die  Kleidung  der 
Ansiedler  anbelangt,  so  ist  dieselbe  noch  ganz  die  heimische;  auch  die  Holz- 
schuhe sind  bei  vielen  geblieben.  Dem  Fremden  kommen  die  Leute 
höflich  und  freundlich  entgegen,  jedes  Kind  —  fast  alle  flachsblond  — 
grüsst  und  antwortet  artig  auf  jede  Frage.  Wie  schon  aus  dem  Namen 
der  Kolonie  ersichtlich,  sind  die  Ansiedler  in  Windhorst  fast  durchweg 
Katholiken.  Nach  der  Volkszählung  von  1885  zählte  die  Gemeinde  Wind- 
horst 802  Bewohner,  von  denen  700  Fremde,  d.  h.  deutsche  Staatsangehörige, 
14  österreichisch  -  ungarische  Unterthanen  waren.  Im  ganzen  waren 
206  freie  Kolonisten  und  nur  I  Kmet  vorhanden.  Katholiken  waren  791, 
Protestanten  6,  Juden  5.  Mohammedaner  und  Griechisch-Orthodoxe  fehlten 
gänzlich. 

Fast  eine  Stunde  von  Windhorst  entfernt  befindet  sich  wieder  eine 
kompakte  Kolonie  von  Deutschen,  Hannoveranern,  Oldenburgern  und 
Preussisch  -  Schlesiern,     zusammen    60     Familien.       Ausserdem    sind    hier 


—     5°4     — 


K o  1  o n i s t e n h a u s    in   Windhorst. 

20  Familien  aus  Ungarn,  aus  der  Gegend  von  Steinamanger  angesiedelt; 
dicht  dabei  aber,  in  Mahovljani,  98  Wälschtiroler  Familien,  die  sich  mit 
den  Deutschen  gut  vertragen  und  fast  eine  Gemeinde  mit  diesen  bilden. 
Die  genauen  Volkszählungsziffern  waren:  Maglaj  am  Vrbas:  318  Bewohner, 
darunter  251  Fremde,  55  österreichisch-ungarische  Staatsangehörige,  von 
denen  3  Gutsbesitzer,  60  freie  Bauern  (Kolonisten),  9  Knieten  (Pächter) 
waren.  Die  Zahl  der  Katholiken  betrug  303,  die  der  Protestanten  10,  der 
Orthodoxen  1,  Juden  4,  Mohammedaner  keinen.  In  Mahovljani  (Tiroler 
Kolonie):  303  Bewohner,  darunter  98  Bauernstellenbesitzer,  durchweg 
österreichisch-ungarische  Unterthanen  und  katholisch. 

Auch  die  Ansiedlung  in  Maglaj  am  Vrbas  (heute  Rudolfsthal)  wurde 
Anfang  1879  begonnen,  gewann  immer  mehr  durch  Zuzug  und  dieser 
dauert  noch  fort.  Ein  gewisser  Anton  Märton,  welcher  eine  Gastwirthschaft 
betreibt  und  eine  grosse  Oekonomie  besitzt,  war  einer  der  ersten  Ansiedler. 
P>  reist  fast  alle  Jahre  in  seine  ungarische  Heimath  und  immer  schliessen 
sich  ihm  einige  Familien  bei  der  Rückkehr  zur  Uebersiedlung  nach  Bosnien 
an.  Die  Wälschtiroler  aus  der  Trienter  Gegend  sind  Regierungskolonisten, 
und  diesen  geht  es  fürs  Erste  noch  kümmerlich,  doch  arbeiten  sie  sehr 
fleissig  und  sind  bei  den  wohlhabenden  Deutschen  recht  beliebt.      Sie  er- 


—    505    — 


hielten  von  der  Regierung  Land  zugetheilt  gegen  nach  Jahren  eintretende 
minimale  Abzahlungen,  zur  Bestellung  des  Bodens  jede  Familie  eine  Kuh 
und  einen  Ochsen  und  im  ersten  Jahre  den  nöthigen  Kukuruz.  Im  zweiten 
Jahre  erhielten  nur  die  Bedürftigen  die  Unterstützung. 

Die  deutschen  Ansiedler  sind  fast  sämmtlich  Grossbauern;  drei  der- 
selben, ein  Herr  von  Ebeling,  ein  gewisser  Jansen  und  ein  Oldenburger 
aus  Löhningen,  dessen  Name  mir  nicht  gegenwärtig  ist,  sind  Grossgrund- 
besitzer. Der  letztere  kaufte  zum  Anfang  eine  Area  von  ioco  preussischen 
Morgen  an,  auf  welcher  aber  sechs  Knieten  (Pächter)  waren.  Diese  konnte 
er  nur  dadurch  los  werden  —  zur  Bearbeitung  brauchte  er  sie  nicht  — 
dass  er  ihnen  ein  Stück  Land  als  Abfertigung  gab.  Nun  nahmen  die 
Bosniaken  ihre  Hütten  und  sogenannten  Wirtschaftsgebäude  auf  ihr  neues 
Besitzthum  mit,  was  in  ziemlich  origineller  Weise  geschah.  Die  Hütten 
waren  gänzlich  aus  Holz  gebaut;  dieselben  wurden  untergraben,  man  schob 
einen  18  Meter  langen  Schlitten  darunter  und  verband  die  ganze  Herrlichkeit 
fest  mit  Stricken.  146  Ochsen  bewerkstelligten  das  Wegziehen  und  Trans- 
portiren, an  dem  sich  natürlich  die  ganze  Nachbarschaft  unter  grossem 
Geschrei  betheiligte.  Auf  diese  Weise  wurden  8  Häuser  und  50  Neben- 
gebäude ohne  Unfall  übersiedelt. 

Die  Besitzungen  von  Ebeling  und  Jansen  sind  holländischen  grossen 
Meiereien  mit  herrschaftlichen  Wohngebäuden  ähnlich  und  es  wird  auch  - 
wie  in  allen  Wirtschaften  im  Kleinen  —  eine  bedeutende  Milchwirtschaft 
betrieben.  Ich  ass  dort  Butter,  wie  sie  nur  noch  in  unseren  Alpenländern 
angetroffen  wird.  Für  die  Butter  ist  hauptsächlich  Banjaluka  mit  seinen 
vielen  Beamten,  Militärs  und  Fremden  ein  guter  und  sicherer  Abnehmer. 
Das  Kilo  stellt  sich  auf  80  bis  90  Kreuzer.  Uebrigens  beschäftigen  sich 
die  Unternehmer  auch  mit  dem  Plane,  ihre  Erzeugnisse  nach  Jajce,  Travnik 
und  Sarajevo,  sowie  in  die  kroatischen  Savestädte  zu  verschicken. 

Wie  die  Kultivirung  des  Bodens  begonnen  wird,  zeigt  am  deutlichsten 
das  Beispiel  Jansens.  Nachdem  derselbe  eine  ziemliche  Anzahl  Joch  ur- 
bar gemacht  hatte,  baute  er  das  erste  Jahr  auf  dem  ganzen  Grundstück 
Klee.  Die  Bosnier  lachten  ihn  aus ;  ein  so  närrischer  Kerl  war  ihnen  noch 
nicht  vorgekommen.  Jansen  aber,  welcher  Brotfrucht  billig  kaufen  konnte, 
Hess  sich  als  echter  Norddeutscher  nicht  beirren;  er  erntete  sechs  Meter- 
centner  Kleesamen  und  brachte  ihn  zum  Verkauf  nach  Altgradiska.  Der 
Kaufmann  sah  ihn  gross  an,  dass  er  dieses  Quantum  auf  seinem  eigenen 
Boden  gewonnen  haben  wollte,  denn  so  viel  Kleesamen  kommt  in  ganz 
Slavonien  nicht  vor.  Er  erhielt  für  den  Metercentner  35  Fl.  und  war  zu- 
frieden. Im  zweiten  Jahr  baute  er  schon  etwas  Brotfrucht,  aber  auch 
wieder  viel  Klee.  Von  letzterem  betrug  die  Fechsung  30  Metercentner. 
Jetzt  führte  er  das  ganze  Quantum  zu  Schiff  nach  Sissek  und  machte  ein 
ganz  erträgliches  Geschäft  dabei.     Heute  baut  er  Weizen,  Roggen,   Hafer, 


506    — 


Klee,  Raps  und  viele  Gemüsearten,  auch  ziemlich  viel  Kartoffeln,  welche 
in  Bosnien  immer  Absatz  finden.  Als  die  Kolonisten  sahen,  was  hier  für 
speckige,  schlechte  Kartoffeln  genossen  wurden,  erklärten  sie,  dass  der 
niedersächsische  Bauer  es  sich  überlegen  würde,  solche  den  Schweinen  7.u 
geben.  Auf  bosnischer  Erde  seien  auch  die  mehligen  guten  Speisekartoffeln 
zu  ziehen.  Die  Kartoffeln  zum  Stecken  wurden  aus  Deutschland  gebracht  — 
die  Frucht  war  wunderbar.  In  richtiger  Erkenntniss  aber,  dass  in  dem 
fetten  Boden  Bosniens  die  Kartoffeln  leicht  entarten,  wird  stets  der  nicht 
fürs  Haus  gebrauchte  Ertrag  der  Ernte  verkauft  und  jedes  Jahr  nimmt  man 
frische  aus  der  Heimath  importirte  Früchte  zur  Auspflanzung.  Auch  mit 
dem  Anbau  von  Flachs  will  man  Versuche  im  Grossen  machen,  damit  die 
viele  Leinwand,  welche  die  Bosniaken  zu  ihren  Kleidern  brauchen,  durch- 
wegs im  Lande  erzeugt  werden  könne. 

In  Maglaj  besteht  ein  recht  nettes  katholisches  Kirchlein  und  ein 
Kloster,  das  sich  in  den  Händen  von  Schulschwestern  oder,  wie  sie  von 
den  Ansiedlern  genannt  werden,  »Nazarenerinnen«  befindet.  Ihnen  ist 
auch  der  gesammte  Schulunterricht  anvertraut.  Eine  Schwester  unterrichtet 
die  Knaben,  die  andere  die  Mädchen.  Ob  die  Resultate  besonders  er- 
spriesslich  sind,  weiss  ich  nicht,  die  Ansiedler  erklären,  sie  hätten  keinen 
Grund  zur  Klage.  So  viel  kann  ich  aus  eigener  Wahrnehmung  bestätigen, 
dass  die  Kinder,  welche  ich  examinirte,  recht  gut  lesen,  sowie  deutsch, 
bosnisch  und  theilweise  auch  italienisch  sprechen  konnten.     Auch  bei  den 


R  i  11  d  e  r  t  y  p  u  s  aus  \Y  i  n  d  h  o  r  s  t. 


507 


Kindern  von  Walschtirolern  war  dies  der  Fall.  Mädchen  werden  später 
gewöhnlich  zur  besseren  Ausbildung  nach  Banjaluka  bei  Beamtenfamilien 
auf  ein  Jahr  in  Dienst  gegeben. 

In  Maglaj  stehen  noch  einige  grosse  Militärbaracken  von  Holz  gebaut, 
nach  deren  Verwendung  ich  mich  erkundigte.  Man  theilte  mir  mit,  dass 
die  ersten  Ansiedler,  welche  nach  Bosnien  kamen,  sich  schon  an  das  Kriegs- 
ministerium in  Wien  mit  der  Bitte  gewendet  hatten,  das  Militärärar  möge 
ihnen  an  die  Hand  gehen,  besonders  bei  der  Beschaffung  von  provisorischen 
Wohnungen.  Der  Kriegsminister  bewilligte  sofort  das  Ansuchen  und  gab 
den  Befehl,  wo  Baracken  vorhanden  seien,  solche  den  Kolonisten  nach 
Thunlichkeit  immer  auf  drei  Monate  zu  überlassen.  Dies  geschah  in 
Maglaj  in  liebenswürdigster  Weise  und  die  Ansiedler  können  die  Truppen 
nicht  genug  loben.  Als  dann  die  Tiroler  kamen,  erbten  sie  die  Baracken, 
und  da  das  Militär  gänzlich  von  Maglaj  wegkam,  schenkte  ihnen  das 
Aerar  diese  mit  der  Bedingung,  dass  das  Material  einer  halben  Baracke 
zum  Bau  einer  Kapelle  in  der  Tiroler  Kolonie  zu  verwenden  sei. 

Es  sind  zwei  Gasthäuser  am  Orte,  dasjenige  von  Bökmann  und  eines 
von  Märton.  Letzterer  hat  auch  einen  Weingarten  angelegt,  von  dem  er 
schon  einmal  Erträgniss  hatte.  Er  erzählte  mir,  dass  die  häufigen  Nacht- 
fröste den  Reben  nichts  schadeten,  dass  der  Boden  für  Weinbau  ganz 
geeignet  sei  und  dass  er  ungarische  Sorten  kultivire.  In  dem  Weingarten 
hat  er  Aprikosen  gepflanzt  und  in  Beeten  sah  ich  den  wunderschönsten 
Spargel.  Um  das  Fortkommen  solcher  Kolonisten  braucht  niemand  bange 
zu  sein;  die  helfen  sich  fort  und  durch  den  Anschauungsunterricht  wirken 
sie  civilisirend  und  kultivirend  auf  die  bosnischen  Bauern  ein.  Anfangs 
misstrauisch,  fangen  diese  nach  und  nach  an,  sich  bei  den  »Schwabas« 
Auskunft  zu  erbitten  und  anstatt  des  aus  den  Römerzeiten  stammenden 
Pfluges  sah  ich  bei   einem  Bosnier  schon  einen   »schwabischen«  Pflug. 

Um  das  Mehl  nicht  von  auswärts  kaufen  zu  müssen,  legte  man  eine 
Dampfmühle  an,  die  für  den  Bedarf  der  Umgebung  ausreicht,  und  in 
Klasnice  —  eine  halbe  Stunde  von  hier  auf  Banjaluka  zu  —  wo  sich  noch 
drei  deutsche  Ansiedler  befinden,  erbaut  die  Banjalukaner  Firma  Milic 
eine  grosse  Turbinen-Dampfmühle.  Was  mir  in  Maglaj  am  besten  gefiel, 
war,  dass  die  Ansiedler  erklärten,  sie  hätten  über  die  Behörden  keinerlei 
Klage  zu  führen.  Man  sei  gerecht  und  helfe  den  Deutschen,  soweit  dies 
möglich  sei.  Das  Einzige,  was  einer  weiteren  Ausdehnung  der  Kolonien 
in  dieser  Gegend  im  Wege  stehen  dürfte,  ist,  dass  die  Begs  jetzt  kein 
Land  mehr  verkaufen  wollen;  zum  Türken  als  Pächter  kann  aber  kein 
Fremder  gehen.  Uebrigens  ist  in  Windhorst  noch  Platz  und  Salih  Beg, 
den  ich  von  früher  her  kenne,  wird  wohl  von  seinem  brachliegenden  Boden 
noch  einige  tausend  Joch  hergeben  können.  Das  Prosperiren  der  Maglajer 
Kolonie,  speciell  der  Schlesier,  war  mir  darum  so  angenehm,  weil  ich  im 

-    508    — 


Jahre   1S78  den  Anstoss  zur  Einwanderung  gegeben  und  auf  Anfragen  auf 
das  Vrbasthal  und  auf  die  Posavina  hingewiesen  hatte. 


1894. 

Im  Oktober  ....  Es  hatte  schon  lange  geregnet,  es  regnete 
wieder,  als  ich  von  Banjaluka  aus  meine  abermalige  Fahrt  in  die  Kolonien 
antrat.  Gleich  am  Ausgange  der  Stadt  stehen  eine  Menge  neuer  moderner 
Häuser,  die  sich  an  der  Strasse  fortsetzen.  Links  ein  neues  grosses  Nonnen- 
kloster, wie  ein  Schloss  aussehend.  Es  herrscht  starker  Wagenverkehr,  viele 
Erzeugnisse  des  Ackerbaues  werden  nach  Banjaluka  gebracht.  In  Jakupovci- 
Klasnice  steht  am  Yrbasufer  ein  imposantes  Gebäude,  das  die  deutsche 
Inschrift  trägt:  »Erste  bosnische  Walzmühle«.  Ein  schöner  Park  nebst 
villaähnlichem  Wohnhaus  umgiebt  die  Anlage.  Gegenüber  am  andern  Ufer 
des  Vrbas  steht  eine  alte,  baufällige,  bosnische  Wassermühle,  so  recht  als 
Gegenstück  zur  neueren  Zeit.  Jakupovce  hat  einen  Gendarmerieposten,  eine 
Anzahl  YVirths-  und  Kaffeehäuser.  Der  durchweg  katholische  Ort  scheint 
regen  Verkehr  zu  haben. 

An  der  Strasse  beginnen  bereits  die  Kolonistenhäuser,  die  meist  in- 
mitten der  Grundstücke  stehen.  Es  wechselt  die  deutsch-ungarische  Bauart 
mit  der  niederdeutschen.  Durchweg  herrscht  Ziegelbau  vor,  überall  grosse 
Scheuern,  hübsche  Gemüse-  und  Blumengärten.  Das  Vieh  sieht  vorzüglich 
gepflegt  aus,  die  grossen  ungarischen  Rassen  überwiegen  bereits.  Auf  den 
Feldern  steht  noch  Kukuruz  (Mais),  Kohl,  Knöterich,  Lupine,  Wasserrüben 
und  Futterrüben  (Burgunder).  Ueberall  tummeln  sich  blonde  Kinder,  die 
schon  Fez  tragen  und  höflich  grüssen.  Die  Wasserbrunnen  in  den  Höfen 
sind  meist  Schwengelbrunnen  nach  ungarischer  Art.  In  Maglaj-Rudolfsthal 
steht  an  der  Strasse  die  »Josefsburg«,  ein  stattliches  Kloster.  Auch  eine 
evangelische  Kirche  mit  schönen  gothischen  Fenstern  und  ein  Pfarrhaus 
ist  gebaut  worden,  seit  sich  die  Ansiedler  stark  vermehren.  Das  Schloss 
des  Herrn  v.  Ebeling  ist  in  andere  Hände  übergegangen.  Ebeling  kehrte 
nach  Hannover  zurück;  seitdem  hat  das  Besitzthum  zweimal  den  Herrn 
gewechselt. 

In  Windhorst  sind  schon  zwei  Kirchen  gebaut,  das  Kloster  der 
Schwestern  der  göttlichen  Liebe  ist  eine  mächtige  Ansiedlung  und  die 
Kolonie  dehnt  und  streckt  sich  in  jeder  Weise.  Windhorst  ist  seiner  Aus- 
dehnung nach  wohl  das  grösste  Dorf;  es  ist  16  Kilometer  lang,  5  Kilo- 
meter breit  und  zählt  ungefähr  1 500  Köpfe.  Im  Gasthause  Brenzinger 
kehrte  ich  ein,  wie  vor  acht  Jahren,  und  war  vorzüglich  aufgehoben.  Die 
Gattin  des  Wirthes  ist  leider  gestorben,  er  hat  aber  dem  Hause  eine  neue 
Hausfrau    aus    Agram    gegeben,    was    in  der  Kolonie,     welche  der  unver- 


—    509    — 


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Bosnischer   Schweinehirt. 

heiratheten  Töchter  genug  zählt,  nicht  gern  gesehen  wurde.  Kleinlicher 
Zank  und  Tratsch  herrscht  eben  hier  wie  in  jedem  deutschen  Dorfe,  Streitig- 
keiten kommen,  wie  überall  wo  Deutsche  wohnen,  genug  vor,  dabei  gedeiht 
aber  doch  die  gemeinsame  Arbeit  und  selbst  das  Vereinswesen  blüht.  Wie 
mir  versichert  wurde,  hätten  alle  Kolonisten  ihr  sicheres  Auskommen.  Ein 
gutes  Geschäft  machen  sie  mit  den  bosnischen  Bauern,  die  von  einer  Stall- 
fütterung nichts  wissen  und  gewöhnlich  auch  wenig  Vorräthe  fürs  Vieh 
einernten.  Diesen  kaufen  sie  das  überschüssige  Magervieh  bei  Anbruch 
des  Winters  ab  und  mästen  es  im  Stalle.  Für  diese  genügsamen  Thiere 
sei  —  so  wurde  mir  gesagt  —  schon  die  gekochte  Spreu  mit  Rüben  und 
Kartoffeln  ein  köstliches  Futter,  bei  dem  sie  dick  und  fett  würden.  Sie 
brächten  dann  auf  dem  Markte  ganz  ansehnliche  Preise.  In  den  Wirth- 
schaften,  die  über  nicht  genug  eigene  Arme  zur  Arbeit  verfügen,  werden 
meist  Zigeuner  als  Feldarbeiter,  Kutscher  etc.  verwendet.  Sie  erhalten 
60  bis  80  Kreuzer  den  Tag  und  sind  ganz  verlässlich. 

Die  Schule  wird  noch  immer  von  den  Schulschwestern  geleitet  und 
bezahlt  man  3  Gulden  für  jedes  Kind  im  Monat.  Die  Lehrerinnen  werden 
im  Wagen  abgeholt  und  zur  Schule  gebracht  und  ebenso  nach  Hause  ge- 
führt. Die  Wagen  stellen  die  Kolonisten  abwechselnd.  Die  Landesregierung 
wollte  eine  öffentliche  konfessionslose  Schule  errichten,  doch  lehnte  die 
Gemeinde,  die  noch  sehr  bigott  ist,  das  Anerbieten  ab.  Die  talentvolleren 
männlichen  Schüler  werden  später  meist  dem  Jesuitenkollegium  in  Travnik 


-     510 


zur  besseren  Ausbildung  zugeführt.  Wie  mir  Brenzinger  erzählte,  kam  er 
schon  Ende  1 8 7 S  das  erste  Mal  nach  Bosnien,  um  sich  zu  Orientiren;  dann 
kam  er  1879  wieder  und  arbeitete  monatelang  bei  den  Trappisten  als 
Knecht,  ohne  zu  verrathen,  dass  er  Grund  kaufen  wolle.  So  kante  er  die 
Verhältnisse  kennen,  entdeckte  sich  spater  dem  Guardian  P.  Franz  und 
erlangte  sein    heutiges   Besitzthum,     das    ihn    zum    reichen    Mann    gemacht. 


Katholische   Kirche  in   Windhorst. 

Seine  Ziegelbrennereien,  in  denen  er  meist  italienische  Arbeiter  aus  den 
Kolonistenfamilien  beschäftigt,  bringen  viel  Geld,  denn  überall  wird  gebaut 
und  es  entsteht  eine  Ansiedlung  nach  der  andern,  auf  meilenweite  Ent- 
fernung nach  Ost  und  West. 

Die  deutschen  Bauern  haben  sich  durchweg  um  zwei  Drittel  ver- 
bessert, sobald  sie  nur  mit  eigenen  Kräften  zu  arbeiten  brauchten.  Sonst 
verzehrt  der  Tagelohn   einen  beträchtlichen  Theil    des  Gewinnes,    weil  die 


—    sii     — 


Feldfrüchte  selbst  billig  verkauft 
werden  müssen.  Die  14  Familien 
aus  Essen  —  die  ich  in  meiner 
Schilderung  von  1886  erwähnte  — 
die  mit  nur  je  225  fl.  Kapital  ein- 
wanderten, sind  heute  durch  rast- 
lose Arbeit  ausnahmslos  sehr 
wohlhabend. 

Die  Wahl  der  Gemeinde- 
vorsteher ist  frei;  stets  muss  aber 
einer  aus  der  Kolonie  gewählt 
werden.  Jede  Wahl  muss  bei  25  fl. 
Strafe  angenommen  werden.  Mit 
der  Regierung  und  den  Bezirks- 
wie  Kreisbehörden  besteht  ein 
gutes  Verhältniss;  viele  Kolonisten 
sind  schon  bosnische  Landesange- 
hörige geworden,  andere  stehen 
im  Begriff,  die  Staatsangehörigkeit 
zu  erwerben.  Zuzug  ist  jetzt  aus 
Deutschland  wenig,  dafür  sind 
aber  die  Heirathen  stark.  Mit  den  bosnischen  Bauern  ist  das  Einvernehmen 
fast  herzlich  geworden.  Sie  kommen  um  Rath  zu  den  Schwabas,  sie  lassen 
bei  ihnen  ihr  Getreide  reutern  oder  mit  der  Maschine  dreschen  und  suchen 
sich  die  verschiedenen  Fertigkeiten  und  Handgriffe  anzueignen.  Die  Körner- 
frucht geht  durchweg  nach  Gradiska.  Ueberall  sieht  man  Fortschritt,  überall 
ist  fleissige  Arbeit  und  Wohlstand;  es  ist  ein  anregender  Besuch,  den  man 
den  Kolonien  abstattet. 

Jetzt  wird  auch  eine  Bahnverbindung  zwischen  Banjaluka  und  Gradiska 
im  Anschluss  an  die  ungarische  Staatsbahn  geplant.  Am  6.  März  1895 
trat  in  Banjaluka  die  Kommission  zur  Vornahme  der  Tracen-  und  Stations- 
revision für  diese  Vicinalbahn  zusammen,  für  die  sich  in  der  Person  des 
Herrn  Gautier  aus  Agram  ein  Konzessionär  gefunden  hat.  Diese  Bahn  — 
das  erste  rein  private  Eisenbahnprojekt  in  Bosnien  —  würde  den  Kolonien 
und  der  sich  entwickelnden  Industrie  neben  der  Landwirthschaft  grosse 
Vortheile  bieten. 


Deutscher    Kolonist    aus  Windhorst. 


Wie  gleich  hier  erwähnt  sein  möge,  besteht  auch  in  der  Posavina  (im 
Nordosten  Bosniens)  eine  blühende  Kolonie  »Franz  Josefsfeld«  bei  Bjelina. 


—    512    — 


Im  Frühjahr  [886  kamen  dorthin  aus  der  .Muttergemeinde  Franzfeld  bei 
Pancsova  in  Südungarn  61  Familien.   Die  Bezirksbehörde  kaufte  für  dieselben 

von  Grundherren  300  Joch  Grundstücke  in  der  unmittelbarsten  Nähe  von 
Bjelina,  die  unter  die  Ansiedler  vertheilt  wurden.  Die  Rückzahlung  des 
sehr  billigen  Kaufschillings  wurde  i\cn  Kolonisten  unter  äusserst  günstigen 
Zahlungsbedingungen  eingeräumt.  Sofort  entstanden  ebenso  viele  Häuser 
als  Familien  und  die  Ansiedlung  wurde  mit  Bjelina  durch  eine  Strasse 
verbunden.  Schon  im  darauf  folgenden  Jahre  erhielt  die  Kolonie  einen 
Zuwachs  von  weiteren  22  Familien,  grösstentheils  aus  Neu  -  Pazua  in 
Syrmien,  dann  nach  und  nach  kleinere  Zuwächse,  so  dass  1889  bereits 
121  Familien  mit  700  Köpfen  ansässig  waren.  Eine  Schule  mit  136  Kindern 
war  errichtet,  ein  Gemeindehaus  erbaut,  eine  evangelische  Kirche  geplant. 
Franz  Josefsfeld  ist  nämlich  eine  durchwegs  protestantische  Kolonie.  Die 
Kolonie  besass  damals  546  Joch  eigenen  Grundbesitz  und  907  Joch  Pacht- 
gründe. Sie  versorgte  Bjclina  mit  Milch,  Käse,  Butter,  Geflügel,  Eiern  und 
Gemüse,  und  Versuche  mit  Tabakbau  ergaben  gute  Resultate.  Ausserdem 
sind  im  Bezirke  Bjelina  in  vielen  Gemeinden  vereinzelte  ungarische 
Kolonisten  ansässig,  die  den  Boden  vom  Beg  gepachtet  haben;  so  um 
Bjelina  104,  in  Brodac  20,  Janja  9  und  30  in  Dragaljevac,  Zabrgje  und 
Koraj.  Dass  in  den  deutschen  Kolonien  die  Viehzucht  nicht  vernach- 
lässigt wird,  ist  selbstverständlich.  Man  ist  bei  den  kleinen  harten  bosnischen 
Rassen  geblieben,  die  nur  mit  gutem  Vieh  von  auswärts  gekreuzt  und  im 
Winter  durchaus  in  Ställen  gehalten  werden.  Es  existiren  aber  auch  ganze 
Pferde-  und  Schweineheerden,  am  meisten  jedoch  Schafe  mit  feiner  langer 
Wolle,  welche  selbst  die  Bosnier  in  der  Savegegend  stark  züchten.  Also 
womöglich  ein  neuer  Ausfuhrartikel !  Leider  wurde  Franz  Josefsfeld  und 
die  gesammte  Gegend  um  Bjelina,  wie  überhaupt  die  Drinabezirke  Bosniens 
im  Spätherbst  1896  von  einer  furchtbaren  Ueberschwemmung  heimgesucht, 
welche  die  Kolonie  fast  vernichtete.  Die  Landesregierung  sandte  sofort 
Hilfe,  auch  Bosniens  guter  Engel,  Frau  Minister  Vilma  v.  Källay,  erschien 
augenblicklich  auf  dem  Schauplatze  der  Ueberschwemmungen  und  ver- 
theilte  Lebensmittel,  Kleider  und  Geld.  Was  aber  besonders  ins  Gewicht 
fiel,  war  die  trostvolle  Zuspräche  der  edlen  Dame,  durch  welche  wieder 
der  Muth  bei  den  Verunglückten  geweckt  wurde.  Dadurch  ist  zu  hoffen, 
dass  die  erlittenen  Schäden  bald  überwunden  sein  werden  und  die  deutschen 
Kolonien  im  bosnischen  Nordosten  blühen  und  gedeihen  wie  jene  im 
Nordwesten. 

Von  sonstigen  grösseren  Kolonien  in  Bosnien  sind  noch  zu  nennen: 
die  von  ungarischen  Deutschen  (Schwaben)  gegründeten  Kolonien  Branjevo 
und  Dugopolje  im  Bezirke  Zwornik,  die  Tiroler  Kolonie  in  Palaskovci 
(Bezirk  Prnjavor),  die  Görzer  Kolonie  bei  Bukvik  und  Ralutinac  (Bezirk 
Prnjavor),  die  Galizianer  Kolonien   in  Obsjeko   und   Bakinacka   Kozara   im 

33 

—    513    — 


Bezirk  Banjaluka,  die  Ansiedlungen  deutscher  Protestanten  aus  Russland 
in  Prozara  und  Vranovac  (Bezirk  Kostajnica)  und  die  Ansiedlungen  aus 
Russland  ausgewanderter  tschechischer  Familien  in  Kobas-Seferovci  (Bezirk 
Prnjavor)  und  in  Yranduk  und  Detlacki  Lug  (Bezirk  Dervent). 


Schulkindergruppe    aus    der    Kolonie   Windhorst. 


Von  Banjaluka  nach  Kostajnica. 


hristlichen  Ländern  —  sagte  unser  Hotelier  in  Ban- 
jaluka —  gehe  jetzt  unsere  Reise  zu.  Damit  meinte 
er  Kroatien,  das  allerdings  keine  mohammedanischen 
Bewohner  besitzt.  An  Christen  ist  aber  gerade  in 
der  Banjalukaner  Gegend  kein  Mangel,  doch  ver- 
leiht die  mohammedanische  Mischung  erst  den 
richtigen  Reiz. 
Der  Zug  der  Militärbahn  Banjaluka-Dobrlin  verlässt  die  Stadt  vom 
neuen  Stadtbahnhofe  aus,  durchfährt  das  europäische  Viertel  und  hält 
nach  kurzer  Zeit  in  Trn,  dem  früheren  Hauptbahnhofe.  In  ebener,  gut 
angebauter  Gegend  zwischen  Wiesen  und  sanften  Abhängen  wird  die 
Strasse  Banjaluka-Gradiska  übersetzt;  bis  zur  Station  Ivanjska  führt  die 
Strecke  durch  von  Bächen  durchschnittenes,  mit  Buschwerk  bestandenes 
Terrain;  nur  selten  sieht  man  einzeln  stehende  bosnische  Häuser.  Bei 
Omarska  stossen  wir  auf  grosse  Holzlager,  die  aus  den  Wäldern  der 
Kozara  kommen.  Dann  geht  es  im  Sannathale  entlang  bis  Prjedor,  wo 
die  Sanna  schon  schiffbar  ist.  Die  Stadt  mit  ihren  5000  Bewohnern  liegt 
am  rechten  Ufer  des  Flusses,  an  dem  Punkte,  wo  die  Thalenge  aus  den 
Gebirgsmassen  in  die  lockende  blühende  Ebene  hinaustritt.  Prjedor  ist 
der  Geschäftswelt  durch  seinen  ausgedehnten  Getreidehandel  bekannt; 
seine  Fruchtschiffe,  an  die  ägyptischen  Dahabyen  erinnernd,  gehen  aus 
der  Sanna  in  die  Unna  und  die  Save,  sie  kommen  bis  Semlin  und  selbst 
bis  Budapest.  Während  der  1875  er  Insurrektion  litt  Prjedor  am  meisten, 
seine  Kaufleute  flohen  fast  sämmtlich  auf  das  kroatische  Ufer.  Kaum  hatte 
sich  der  Ort  nach  der  Okkupation  etwas  erholt,  so  verheerte  eine  furcht- 
bare Feuersbrunst  die  Stadt.  Jetzt  sieht  sie  sehr  gefällig  aus,  sie  hat 
regen  Verkehr,  in  der  Umgebung  verschiedene  fremde  Ansiedler  und 
eine  grosse  landesärarische  Geflügelzucht-Anstalt,  die  sich  eines  bedeuten- 
den   Rufes    erfreut.       Sie    hat    den    Zweck,    entsprechendes  Rassegeflügel 

33* 


—    515     - 


5i6 


(Langhans,  Minorca,  Plymouth-Rock  und  Houdans,  dann  Perlhühner,  Trut- 
hühner,  Peking-  und  Rouen-Enten,  Emdener  Gänse  u.  s.  \v.)  zu  züchten 
und  diese,  wie  Bruteier  an  die  Bevölkerung  abzugeben.  Ueber  der  Stadt 
in  den  Spalten  der  Felsen  nisten  Hunderte  von  Falken  und  die  Begs  der 
Krajna  heben  hier  die  jungen  Falken  aus,  um  sie  zur  Jagd  abzurichten. 
Die  in  Europa  längst  ausgestorbene  Jagd  mit  Falken  hat  sich  in  einzelnen 
bosnischen  Beg-Geschlechtern  bis  jetzt  erhalten  und  Othmar  Reiser  vom 
Sarajevoer  Museum,  wie  Hofrath  Hörmann  haben  darüber  interessante 
Schilderungen  veröffentlicht.  Viele  Volkslieder  erwähnen  noch  immer  in 
bilderreichen  Versen  des  edlen  Falken.  Eines  derselben  erzählt  von  der 
Trauer  des  Mustaj  Beg  um  seine  Verlobte: 

Als  zur  Jagd  die  Herren  ausgezogen, 
Trug  ein  Jeder  auf  der  Hand  den  Falken, 
Mustaj   Beij  nur  hielt  die  Hand  am   Herzen. 
Fragen  ihn  besorgt  die  treuen  Freunde : 
»Sag',  o  Mustaj  Beg,  was  dir  wohl  fehlet, 
Weil   den   Falken   du  nicht  mitgenommen, 
Sondern  deine  Hand  am  Herzen  haltest?« 

In  einem  andern  Liede  fragt  die  treue  Gattin  des  Ibrahim  Cehaja 
den  in  ihrem  Schoosse  ruhenden  kranken  Gatten: 

»Wenn   du   stürbest,   Ibrahim   Cehaja, 
Um  was  würdest  du  zumeist  wohl  trauern? 
Thät  es  leid  dir  um  die  alte  Mutter, 
Oder  um  dein  Schloss  mit  seinen  Ställen, 
Um  die  vielen  Dörfer  und  die  Timars, 
Oder  um  die  nicht  geritt'nen  Hengste 
Und  die  Hunde,   die  zur  Jagd  geübten, 
Oder  gar  um  deine  grauen  Falken, 
Oder  aber  um  dein  treues  Weibchen?« 

Ein  drittes  Lied  endlich,  dessen  Gegenstand  ein  brüderlicher  Zwist 
ist,  hebt  an: 

»Bei  einander  zwei  der  Burgen  lagen, 

Hausten  drin  zwei  Brüder,  die  sich  theilten, 

Hassan  Aga  und   Mohammed  Aga. 

Alles  konnten  friedlich  sie  vertheilen 

Bis  auf  einen  Zagorjaner  Ciftluk, 

Ein  gar  edles  Pferd  in  ihrem  Stalle, 

Und   den  Falken  im   Orangenbaume.« 

Mit  der  Falkenjagd  befassen  sich  in  anderen  Gegenden  Bosniens 
gegenwärtig  noch  die  edlen  Geschlechter  Uzeirbegovic  in  Maglaj,  Sirbe- 
govic  und  Smajlbegovic  in  Tesanj.  Man  pflegt  die  Falken  mit  Netzen  zu 
fangen.  Zwei  solcher  Netze  von  ungefähr  zwei  Meter  Länge  und  eben- 
solcher Breite  werden  unter  einem  spitzen  Winkel  nur  sehr  lose  auf  dem 


Erdboden  befestigt.  Von  aussen  werden  beide  Netze  mit  kleinen  Zweigen 
und  grünen  Reisern  bedeckt.  In  der  Mitte  des  Netzes  wird  eine  lebende 
Dohle  angebunden,  während  sich  die  Jäger  in  geschickter  Weise  hinter 
einem  in  der  Nähe  befindlichen  Buschwerk  verstecken.  Die  Dohle  schlägt 
natürlich  mit  den  Flügeln  um  sich,  krächzt  ununterbrochen  tund  macht 
alle  Anstrengungen,  sich  aus  der  Gefangenschaft  zu  befreien.  Hierdurch 
lässt  sich  der  unerfahrene  junge,  meist  einjährige  Falke  verleiten,  sich  mit 
aller  Hast  auf  die  vermeintliche  Beute  zu  stürzen.  Die  Dohle  beginnt  in 
der  Todesangst  einen  verzweifelten  Kampf  mit  dem  Angreifer,  welcher 
natürlich  auch  mit  den  Flügeln  herumschlägt  und  sich  allmählich  so  in 
den  Netzen  verstrickt,  dass  der  im  geeigneten  Zeitpunkt  herbei  eilende 
Jäger  ihn  mit  Leichtigkeit  fassen  und  nach  Hause  bringen  kann.  Zur 
Jagd  bedient  man  sich  lieber  des  Weibchens  als  des  schwächeren  und 
kleineren  Männchens.  Nich1-  jeder  Falke  lässt  sich  leicht  zähmen  und  zur 
Jagd  abrichten.  Mit  Rücksicht  auf  die  letztere  Eigenschaft  werden  sie  auch 
nach  den  Nestern  unterschieden,  in  denen  sie  ausgebrütet  worden  sind.  In 
einigen  Nestern  finden  sich  die  besten  jFalken,  welche  nicht  nur  auf 
Wachteln,  sondern  auch  auf  Rebhühner  und  Wasserschnepfen  stossen. 
Anderwärts  sind  die  Falken  schon  etwas  schwerfällig;  sie  lassen  sich  zwar 
abrichten,  sind  jedoch  nur  zur  Jagd  auf  Wachteln  verwendbar  Eine  dritte 
Abart  endlich  ist  wegen  ihrer  Wildheit  zur  Jagd  überhaupt  nicht  geeignet. 
Der  Volksmund  nennt  sie  die  »wilden  Falken«.  Die  Liebhaber  der  Beize 
unterscheiden  sehr  genau  die  Horste  dieser  drei  Abarten  und  wissen  die 
Stellen  genau  anzugeben,  wo  die  besten  Falken  vorkommen.  Im  Walde 
Ozren  giebt  es  an  ungefähr  20  Stellen  Falkenhorste,  aber  blos  an  drei 
derselben  kommen  brauchbare  Edelfalken  vor. 

Von  Prjedor  aus  erreichen  wir  die  Haltestelle  Blagaj,  wo  von  steiler 
Höhe  die  Ruinen  eines  alten  Sommerschlosses  der  bosnischen  Herrscher 
grüssen,  und  gelangen  dann  nach  Novi  an  dem  Zusammenflüsse  der  Unna 
und  Sanna.  Wie  ein  grosser  Garten  sieht  die  Gegend  aus,  die  einzelnen 
Häuser  an  Villen  mahnend.  Hier  sieht  man  offenkundig  den  Wohlstand. 
Die  weite  Ebene  wird  durch  die  Ausläufer  der  Pastirevo-Planina  und  über 
der  Unna  durch  die  kroatischen  Gebirge  begrenzt.  Novi  gegenüber  sieht 
man  Dvor  und  in  weiterer  Entfernung  die  hoch  liegende  Kirche  von  [Di- 
vusa.  Die  Bahn  nimmt  ihren  Lauf  längs  der  Unna,  bis  sie  Dobrlin  er- 
reicht. Hier  ist  der  Anschluss  an  die  ungarische  Staatsbahn.  Die  Unna 
wird  bei  Volinja  auf  einer  eisernen  Brücke  übersetzt;  in  Sunja  —  wo 
Mittagsstation  ist  —  zweigt  sich  eine  Linie  nach  Brod,  die  andere  nach 
Sissek  ab. 

In  Dobrlin,  wo  einst  1875/76  die  albanesischen  Baschibozuks  die 
grössten  Schändlichkeiten  gegen  zurückgekehrte  Flüchtlinge  verübten,  hat 
sich    Vieles    verändert.       Ein    grosses     neues     Stationsgebäude    steht      an 


5*8 


Stelle  des  alten  türkischen,  die  meisten  der  bosnischen  I  lütten  sind  ver- 
schwunden und  hübsche  Ziegel-  und  Holzbauten  nach  Art  unserer  Alpen- 
hauser  erheben  sich  an  den  Gebirgsabhängen  und  längs  der  nach  Bosnisch- 
Kostajnica  führenden  Strasse.  Es  ist  die  deutsch-tiroler  Kolonie,  schon 
l879  gegründet.  Zwölf  Familien  kamen  damals  hierher,  kauften  von 
Rustan  Beg  ziemlich  bedeutende  Grundstücke,  von  denen  einige  be- 
arbeitet, die  meisten  aber  noch  unkultivirt  waren.  Die  Mohammedaner 
waren  zu  jener  Zeit  noch  der  irrigen  Meinung,  dass  ihnen  in  nicht  zu 
ferner  Zeit  ihr  Land  abgenommen  und  den  Christen  übertragen  werden 
würde,  darum  gaben  sie  die  Felder  billig  her.  Gearbeitet  haben  aber  auch 
die  Tiroler  in  nicht  zu  unterschätzender  Weise.  Wo  man  Felder  sieht, 
welche  gut  gepflügt  und  geeggt  sind,  wo  nicht  mehr  die  Kukuruzstengel 
vom  vorigen  Jahre  in  den  Furchen  liegen,  da  kann  man  getrost  an- 
nehmen, dass  dies  Tiroler  Felder  sind.  Auch  sie  bauen  meist  Kukuruz, 
daneben  verschiedene  Getreidesorten  und  halten  viel  auf  einen  ordent- 
lichen Viehstand.  Ein  Theil  der  Ansiedlerhäuser  liegt  malerisch  in  einer 
Bergeinsattlung  und  hier  —  wie  überhaupt  um  ganz  Dobrlin  und  Kostajnica 
—  können  sich  die  Kolonisten  nach  Tirol  versetzt  wähnen,  obendrein 
in  einen  Theil  ihres  Vaterlandes,  in  dem  der  Hochwald  noch  nicht  zur 
Seltenheit  geworden  ist.  Ein  mächtiges  Sägewerk  mit  Dampfbetrieb  ist  in 
Dobrlin  erbaut  worden  und  weit  hinausführende  besondere  Schienengeleise 
und  Hebewerke  lassen  erkennen,  welch  bedeutender  Verkehr  in  Holz  ist. 
Es  werden  viele  Arbeiter  beschäftigt,    Gasthäuser  sind  überall   vorhanden. 

Näher  gegen  Bosnisch-Kostajnica  giebt  es  noch  verschiedene  fremde 
Einwanderer.  So  hat  sich  auch  auf  einem  Hügel  der  Pastirevo-Planina  ein 
Schweizer  angesiedelt,  welcher  ein  ansehnliches  Besitzthum  erwarb.  Nur 
kann  er  hier  keine  Milchwirthschaft  ausüben,  weil  die  Bewohner  der  be- 
nachbarteren Städte  und  Orte  alle  selbst  Kühe  besitzen.  Er  beschäftigt 
sich  daher  mit  Ackerbau  und  Gemüsezucht  und  erwirbt  ein  schönes  Stück 
Geld.  Selbst  auf  kroatischer  Seite  sind  drei  Tiroler  Familien  sitzen  ge- 
blieben, und  zwar  an  den  Berglehnen  des  über  Kroatisch-Kostajnica  sich 
erhebenden  hohen  Djed.  Sie  bewiesen  den  Grenzern,  welche  erklärt 
hatten,  an  diesen  Stellen  gedeihe  nichts,  dass  sich  sehr  schöne  Wein- 
gärten anlegen  Hessen  und  diese  liefern  bereits  guten  Ertrag.  Ausserdem 
bauen  sie  Getreide,  Rüben  und  Zwiebeln,  sind  fleissig  und  sparsam  und 
finden  ihr  ganz  erträgliches  Auskommen. 

Am  wunderbarsten  hat  sich  aber  Bosnisch-Kostajnica  entwickelt. 
Erst  im  Jahre  1862  mit  türkischen  Auswanderern  aus  Serbien  besiedelt,  blieb 
es  unter  ottomanischer  Verwaltung  ein  kleines  Städtchen,  das  seinen  Bedarf 
grossentheils  auf  kroatischem  Boden  deckte.  Eine  Brücke  über  die  Unna 
verbindet  Kroatisch-  und  Bosnisch-Kostajnica.  Eine  kleine  Feste,  die  mit 
ihren  romantischen  alten  Mauern  und  Thürmen  zwischen  beiden  Ortschaften 


—    521    — 


auf  einer  Insel  der  Unna  steht,  hält  noch  immer  die  Grenzwacht.  Auf 
dicht  mit  Epheu  umzogenen  Kalksteinfundamenten  bilden  gegen  Kroatien 
drei  massige  Thürme,  gegen  Bosnien  runde  Basteien  ihre  Werke.  Sie 
wurde  zur  Zeit  des  Prinzen  Eugen  von  Savoyen  erbaut  und  gehört  noch 
zum  kroatischen  Gebiet.  Anf  derselben  Insel  steht  auch  das  alte  Mauth- 
haus  und  das  sogenannte  Kastell,  eine  von  Mauern  umgebene  Fläche,  auf 
der  einst  an  einem  Tage  der  Woche  zwischen  der  türkischen  und  der 
Grenzbevölkerung  Handelsverkehr  gepflogen  wurde.  Bosnisch-Kostajnica 
war  früher  ein  ziemlich  armseliger  Ort.  Gegenwärtig  hat  es  die  kroatische 
Schwesterstadt  längst  überflügelt.  Ueberall  sind  neue  Gebäude,  Geschäfts- 
läden, Restaurationen,  gewerbliche  Anlagen  entstanden,  und  wenn  die 
Kroaten  vom  anderen  Ufer  sich  gut  unterhalten,  wenn  sie  gutes  und 
billiges  Bier  und  Wein  trinken  wollen,  müssen  sie  auf  bosnischen  Boden 
gehen,  wo  die  Steuern  bedeutend  niedriger  sind.  Der  Ort,  der  1895 
1375  Bewohner,  darunter  638  Mohammedaner,  zählte,  ist  in  stetem  weiteren 
Aufschwünge  begriffen. 


-  <s 


-Sa. 


Ein  Abstecher  in  die 

westliehe  Krajna. 


rajna  ist  ein  magisches  Wort  in  den  Ohren  der 
mohammedanischen  Bosnier,  wenn  es  auch 
heute  einen  Theil  seines  Zauberklanges 
eingebüsst  hat.  Einst  bedeutete  es  das 
Gebiet,  wo  der  Fanatismus  am 
stärksten  war,  wo  durch  Jahr- 
hunderte die  Glaubenshelden  des 
Islam  aus  dem  mit  Blut  gedüngten 
Boden  wuchsen;  es  bedeutete 
steten  Kampf  mit  den  tapferen 
kroatischen  Grenzbewohnern,  aber 
es  bedeutete  auch  Sang  und  frohe 
Feste,  denn  die  Krajna  wird  nicht 
umsonst  die  liederreiche  genannt. 
Es  ist  landschaftlich  eines  der 
prachtvollsten  Gebiete  Bosniens. 
Gebirgig  und  voll  Wald,  wechseln  reich  angebaute  Felder  mit  üppigen 
Wiesen,  freundlichen  Städten  und  Dörfern;  unzählige  alte  Burgruinen  er- 
innern aber  an  die  geschichtliche  Vergangenheit.  Einer  der  lohnendsten 
Ausflüge  ist  in  den  Nordwesten  von  der  Bahnstation  Novi  der  Dobrlin- 
Banjaluka-Bahn  aus  nach  Bihac  an  der  kroatischen  Likaner  Grenze.  Die 
schöne  Fahrstrasse  folgt  bis  Krupa  dem  Ufer  der  hier  ziemlich  ungeberdigen 
Unna,  in  der  die  vielen  natürlichen  Flusswehren  auffällig  sind,  die  sich  in 
dichter  Folge  die  ganze  Breite  des  Flusses  hinziehen,  so  dass  derselbe  in 
fortwährenden    Katarakten    durch    sein   von   waldigen    Bergen    eingeengtes 


Kopfleiste:  Altbosnische  Inschrift  vom  Grabsteine  des  Radoslav  Hrabren  in  der  Vor- 
halle der  Kirche  zu  Osanic  bei  Stolac.  (Am  24.  April  1505  starb  Vojvode  Radoslav  Hrabren 
und  wurde  in  der  Kirche  zu  Osanic  bestattet.) 


-     523     — 


Thal  fliesst.  Freilich  sind  sie,  so  sehr  es  die  Schönheit  der  Landschaft 
hebt,  ein  unüberwindliches  Hinderniss  der  Schifffahrt.  Aber  auch  ohne 
Schiffsverkehr  ist  der  Fluss  reich  belebt.  Mühle  um  Mühle  sieht  man  in 
diesem  zügellosen  Flusse,  bei  hoher  Fluth  oft  bis  zum  Dache  unter  Wasser, 
denn  all'  diese  Bauten  sind,  um  den  unbändigen  Fluthen  trotzen  zu  können, 
fest  auf  Piloten  gebaut  oder  an  Senkkasten  verankert.  Es  sind  sehr 
primitive  Mühlen,  wie  sie  schon  zur  Römerzeit  bestehen  mochten.  Um 
so  mehr  sind  sie  aber  verwachsen  und  Eins  geworden  mit  der  sie  um- 
gebenden Natur. 

Nach  etwa  20  Kilometer  Wagenfahrt  von  Novi  ab  wird  in  der  Ferne 
das  rauhe,  sich  bis  zu  1649  m  aufthürmende  Pljesevicagebirge  sichtbar, 
die  Grenze  der  Sagenreichen  Lika.  Bei  dem  Marktflecken  Otoka,  von  dem 
ein  Theil  sammt  der  Moschee  und  einer  alten  Befestigung  auf  einer  Unna- 
Insel  äusserst  malerisch  liegt,  übersetzt  die  Strasse  auf  einer  Jochbrücke 
den  Fluss.  Hier  zweigt  die  Strasse  nach  Buzim,  dem  Stammschlosse  der 
gräflichen  Familie  Jellacic  und  nach  der  mittelalterlichen  Burg  Vranograc 
ab,  die  in  zwei,  beziehungsweise  vier  Fahrstunden  erreicht  werden  können. 
Von  Otoka  kommt  man  in  einer  Stunde  nach  Krupa,  das  ungemein  reizend 
an  dem  hier  etwa  ioo  Meter  breiten  Flusse  liegt.  Die  2863  Einwohner 
zählende  Stadt  wird  von  einer  alten  Burgruine  überragt;  die  Häuser  sind 
zum  grossen  Theile  erst  seit  der  Okkupation  gebaut,  daher  meist  modern. 
Es  ist  ein  sehr  wohlhabender  Ort,  der  auch  zwei  gute  Hotels  besitzt. 
Sehenswerth  ist  in  der  Nähe  die  Quelle  des  Krusnicaflüsschens,  eines 
echten  Karstflusses,  der  in  seiner  ganzen  Mächtigkeit  einer  Felsenhöhle 
entströmt.  Die  die  Quelle  umschliessenden  senkrechten  Felswände,  die 
verfallenen  primitiven  Löffelmühlen,  die  Uferhöhlen  bieten  mit  dem  rasch 
dahinschiessenden  Wasser  einen  genussreichen  Anblick.  Von  Krupa  aus 
ist  die  Quelle  mit  Kahn  in  anderthalb  Stunden  zu  erreichen.  Eine  Seiten- 
strasse in  nordwestlicher  Richtung  führt  nach  Cazin  und  in  die  wilde 
Kampfgegend  um  Peci,  wo  1878  das  letzte  Gefecht  im  Feldzuge  stattfand. 
Hier  ist  die  Heimath  unzähliger  Lieder,  Helden-  und  Liebesgesänge. 
Dichter  sind  die  Mohammedaner.  Als  Beispiel  möge  nur  Eines  aus  Cazin 
nach  Asböth  mitgetheilt  sein: 

Siehst  Du  dieses  rothe  Haar  da? 
Bist  Du  böse,  wenn  ich's  streichle? 

—  Ei  so  geh'   doch!     War'  ich  böse, 
Liesse  ich  mir's  ja  nicht  streicheln! 

Siehst  Du  dieses  weisse  Antlitz? 
l!ist  Du  böse,  wenn  ich's  küsse? 

—  Ei  so  geh'   doch !     War'  ich  böse, 
Liesse  ich  mir's  ja  nicht  küssen. 


524 


Siehst  I>u  diesen   weissen   Busen? 
Bist  Du  böse,  wenn  ich  kose? 

—  Ei  so  gfeh'  doch!     War'  ich  böse, 
Liesse  ich  Dich  ja  nicht  kosen. 

Siehst   Du  <la  Dein  weisses  Füsschen: 
Bist  Du  böse,   wenn  ich's  hebe? 

—  War'   ich  böse,   Hess  ich's  ja  nicht, 
Nimmer  Hesse   ich   mir's  heben. 


Die  Strasse  verlässt  bald  hinter  Krupa  das  immer  unwegsamer 
werdende  Unnathal  und  entwickelt  sich  an  der  Lehne  des  Debeli-Oklinjak, 
von  wo    aus    man    einen   hübschen  Blick    auf  die  Stadt   geniesst    und   tritt 


Mühlen    in    Sp ahi ci   bei   B  i  h  a  c. 


527      — 


dann  in  ein  enges  trockenes,  schluchtartiges  Thal.  Links  von  den  dicht- 
bewaldeten Hängen  des  Crni  Vrh  (1002  m),  rechts  von  jenen  der  Velika 
Kosa  eingeengt,  gelangt  man  nach  einstündiger  Fahrt  in  den  Hochthal- 
kessel von  Veliki-Radic  mit  der  gleichnamigen  Ortschaft,  die  eine  Kirche 
und  Schule  besitzt.  Der  höchste  Punkt  der  Strasse  wird  nach  weiteren 
drei  Viertelstunden  im  Drieno-Passe  mit  482  m  erreicht,  von  wo  sie,  lang- 
sam fallend,  ein  mit  zahlreichen  Dolinen  (Einsturztrichtern)  bedecktes 
Karstplateau  durchquert  und  oberhalb  des  Dorfes  Zalozje  Turske  den 
Rand  des  fruchtbaren  Beckens  von  Bihac  erreicht.  Von  der  Höhe  ist  der 
Blick    ein    wundervoller.      Die   grüne  Tiefe    des  Bihacer  Beckens   liegt   wie 


Ansicht    von    Bihac. 

ein  trockengelegter  See,  ringsum  eingefasst  von  flachen,  gleichmässig  hohen 
Bergesstufen,  vor  Augen.  Von  Süden  kommend  bricht  die  Unna  aus 
einem  dunkeln  Defile,  um  die  trichterförmig  spitz  in  die  Lüfte  ragenden 
Mali-  und  Veliki  Ljutoc  (941  und  1 168  m)  sich  windend,  hervor,  durch- 
fliesst  träge,  sich  immer  wieder  ausbreitend  und  dann  jäh  eine  Tuffbank 
hinabspringend,  den  Ackerboden  des  weiten  Beckens,  um  sich  im  Norden 
bei  den  Mühlen  von  Kostel  abermals  in  die  sich  zusammendrängenden 
Kalkberge  einzuwühlen.  Und  drüben  über  der  kroatischen  Grenze  schliesst 
der  lang  hingelagerte  kahle  Gebirgsstock  der  Pljesevica  und  anschliessend 
daran  weiter  gegen  Norden  das  höhlenreiche  und  wasserarme  Kapela- 
gebirge  den  Horizont  ab.  Von  den  die  isolirten  Kuppen  beherrschenden 
Ruinen    der   verlassenen  Vesten   und  Burgen    sind    von   hier   aus   nur   drei 


-    52S 


sichtbar:  gegen  Süden  das  scharf  profilirte  Sokolac,  gegen  Westen  Iza&cgrad 
und  nach  Norden,  in  der  Richtung  der  nach  Cazin  führenden  Strasse,  die 
weithin  sichtbare  einsame  Kula  Bisovac. 

In  der  Mitte  dieses  Beckens  liegt  auf  einer  leichten  Bodenanschwellung, 
um  beide  Ufer  der  Unna,   die  6000  Bewohner  zählende  Stadt  Bihac,   deren 
einstige   Festungsmauern   geschleift    wurden    und    die    sich    nun    mit    neuen 
Vorstädten   weit   in   die   Ebene   hinaus   erstreckt.      Die   Strasse   senkt   sich 
von  Zalozje  in  ziemlicher  Neigung  hinab,    der  Stadt  zu,  das  Dorf  Cekrlje 
links   lassend,    in    einem   grossen  Bogen    um    die   Maskarakuppe    mit  ihren 
werthvollen    Sandsteinbrüchen.      An    dem    landwirthschaftlichen   Versuchs- 
garten  vorbei,  geht  es  durch  die  Vorstadt  Prekounje  und  bald  halten  wir 
vor   dem   Hotel   »Kaiser  von  Oesterreich«.     Bihac  ist  gegen   früher  kaum 
zu  erkennen.     Die  noch  von  König  Bela  IV.  von  Ungarn  gebaute  Festung 
ist  verschwunden  und  an  ihrer  Stelle  umschliesst  eine  hübsche  Ringstrasse 
die   innere  Stadt.     Auf  dem  Platze,    der   an  der  Westseite  in  gemauerten 
Böschungen  in  den  Stadtgraben  abfällt  und  auf  dem  bis  1878  die  Citadelle 
mit   dem    »Deutschen  Thore«,    dem   Pulverthurm   und   der   Icizar- Moschee 
stand,    erhebt  sich  jetzt   der   orientalische   Bau   einer   Medresse    mit   einer 
Dzamija   und    einer   Bibliothek.     Nebenan    steht   das   grosse    Schulgebäude 
und    auf  der   Stelle   der   Zablja-Kula   eine    neuerbaute   katholische   Kirche, 
deren  hoher  Thurm  die  Stadt  überragt.     Als  einziger  Zeuge  der  ehemaligen 
Grenzfestung  Bihac  dient  ein  fünfstöckiger  Thurm,   der  zum  Kreisgerichts- 
gefängnisse   gehört.      In    einem    der    an    dem    sehr    gut    erhaltenen    alten 
Bauwerk  angebrachten  Basreliefs,    einen  Pelikan  darstellend,  will  man  das 
Wappen     des    ungarischen    Adelsgeschlechtes    der    Batthyäny    erkennen. 
Die  grösste  Sehenswürdigkeit  in  Bihac  ist  die  in  der  inneren  Stadt  gelegene 
Fethija-Dzamija,   ursprünglich  eine  dem  heiligen  Antonius  geweihte  christ- 
liche Kirche.     Sie  ist  das  schönste  Denkmal  gothischer  Baukunst  in  Bosnien 
und  seine  Erhaltung  ist  nur  der  nach   der  Einnahme  von  Bihac  durch  die 
Türken    erfolgten   Umwandlung    in    eine   Moschee   zu   danken.      Bei   einer 
vor  einigen  Jahren  vorgenommenen  Ausbesserung  der  Moschee  deckte  man 
unter  dem  Fussboden  8   Gruftplatten  auf,  6  davon  zeigen  Wappenschilder 
und  Inschriften,   2   blos  Inschriften.     Die  älteste  Gruftplatte  stammt  aus  dem 
Jahre   1502,    die  jüngste  von   1565.     Diese  für   die  Geschichte  der  Krajna 
und   für  die  Heraldik  gleich  wichtigen  Denkmäler  sind  gegenwärtig  nächst 
der  Kirche    aufgestellt.     An    der   »Otoka«,    einer    mit  Kaufläden,    Häusern 
und  Mühlen  bedeckten  Insel  vorüber,   führt  eine  Jochbrücke  in  die  handels- 
und   baulustige  Vorstadt  Prekounje,  dagegen  gelangt  man  aus  der  inneren 
Stadt  gegen  Westen  in  den   Stadtpark  und  zum  Krankenhause. 

Während  in  Bihac  selbst  eigentlich  die  neue  Zeit  die  interessantere 
ist,  bietet  die  Umgebung  die  überraschendste  Ausbeute  für  Alterthums- 
forscher;  in  erster  Linie  den  bisher  einzigen  bosnischen  prähistorischen 


34 


—    529    — 


Pfahlbau  bei  Ripac  und  die  Nekropole  von  Jezerine.  Das  Don 
Ripac  liegt  9,5  Kilometer  südöstlich  von  Bihac  auf  dem  Wege  nach 
Petrovac  und  ist  ein  Ausflug  leicht  zu  unternehmen.  Nach  halbstündiger 
Fahrt  erreicht  man  zuerst  den  Fuss  des  Schlossberges  von  Sokolac,  wo 
ein  stilles  mohammedanisches  Dörfchen  liegt,  dessen  Bewohner  früher 
durch  ihre  Gräuelthaten  berüchtigt  waren.  Die  in  einer  halben  Stunde  zu 
ersteigende,  sehr  gut  erhaltene  Ruine  Sokolac  lohnt  die  Mühe.  Das  Dorf 
Ripac  liegt  auf  einer  Unna-Insel  und  auf  beiden  Ufern  des  Flusses,  im 
Mittelpunkt  der  Insel  war  einst  eine  Burg  errichtet,   von  der  noch  die  bis 


Altes    Thor   in   Bihac. 

auf  drei  Meter  Höhe  erhaltenen  Umfassungsmauern  und  Reste  von  vier 
runden  Thürmen  erhalten  sind.  Von  den  Umwohnern  wird  die  Ruine 
»Forkolangrad«   genannt. 

Wie  der  prähistorische  Pfahlbau  entdeckt  wurde,  schildert  der  in- 
zwischen verstorbene  Berghauptmann  W.  Radimsky  in  den  »Wissensch. 
Mitth.«  des  bosnisch-hercegovinischen  Landesmuseums  in  folgender  Weise: 
1891  besuchte  er  die  Nekropole  von  Jezerine  zum  ersten  Male  und  da 
führte  ihn  der  Pfarrer  Kosta  Kovacevic  aus  Pritoka  zu  einer  Stelle  gegen- 
über von  Golubic,  an  der  vor  etwa  20  Jahren  die  Unna  infolge  des  Hoch- 
wassers ihren  Lauf  geändert  hatte,  worauf  in  dem  neuen  Flussbette  eine 
Menge  von  Pfählen  zum  Vorschein  gekommen  war. 


—    530    — 


»Ich  sah  daselbst  —  schreibt  Radimsky  — 
in  dem  seichten  Wasser  Längs  des  Ufers  viele 
Köpfe  eingerammter  Holzpfähle;  da  aber  damals 
meine  Zeit  beschränkt  und  bei  oberflächlicher 
Besichtigung  zwischen  den  Pfählen  nichts  Be- 
sonderes zu  bemerken  war,  beschloss  ich,  später 
bei  sich  darbietender  Gelegenheit  die  Stelle 
näher  zu  untersuchen.  Ich  setzte  übrigens  keine 
grosse  Hoffnung  auf  das  Ergebnisa  dieser  Unter- 
suchung, da  ich  in  Otoka,  Brekovica,  Bihac 
und  Kulen-Vakuf  auch  die  heutigen  Anwohner 
des  Unnaflusses  noch  als  »Pfahlbauern'<  kannte, 
die  ihre  Mühlen  an  den  Katarakten  des  Flusses, 
sowie  ihre  Verkaufsbuden  neben  den  Brücken 
mit  Vorliebe  mitten  im  Fluss  auf  Pfählen  auf- 
stellen. Bei  den  öfter  vorkommenden  Aende- 
rungen  des  Flusslaufes  der  Unna  war 
somit  nicht  ausgeschlossen,  dass  diese 
Pfähle  einer  jüngeren  Zeit  angehörten. 
Im  Sommer  1892  kam  ich  wieder 
nach  Bihac,  um  die  systematische  Unter- 
suchung des  Gräberfeldes  von  Jezerine 
einzuleiten  und  bei  dieser  Gelegenheit 
wurden  mir  von  Herrn  Evidenzgeometer 
Julius  Grauner  verschiedene  prähistorische 
Funde  gezeigt,  die  aus  einem  Pfahlbau 
in  der  Unna  bei  Ripac  stammen  sollten. 
Da  ich  meine  Zeit  damals  der  Grabung 
in  Jezerine  widmen  musste,  ersuchte  ich  den  genannten  Herrn,  so  viele  Artefakte  als  möglich  von 
jener  Lokalität,  die  mit  der  obenerwähnten  zwischen  Pritoka  und  Golubic  nicht  identisch  ist,  zu 
sammeln  und  mir  nähere  Mittheilungen  über  die  Fundverhältnisse  zu  machen.  Diesem  An- 
suchen hat  Herr  Grauner  entsprochen,  er  hat  einen  Plan  der  Fundstelle  entworfen  und  die 
gefundenen  Objekte  nach  Sarajevo  gesandt.  Im  Jahre  1890  war  bei  Ruznici,  unterhalb  Ripac, 
ein  Kalktuffkatarakt,  wie  solche  in  der  Unna  häufig  vorkommen,  durchbrochen  worden,  wodurch 
bei  Ripac  ein  um  1,5  m  tieferer  Wasserstand  erzielt,  und  den  häufigen  Ueberschwemmungen 
der  Ufergelände  ein  Ziel  gesetzt  wurde.  Durch  diese  Melioration  verloren  aber  die  Mühlen- 
besitzer von  Ripac  einen  Theil  ihrer  Wasserkraft,  und  um  diese  wieder  zu  heben,  gingen  sie 
daran,  einige  trockenliegende  Katarakte  oberhalb  ihrer  Mühlen  zu  durchstechen,  wobei  unter 
einer  stellenweise  bis  1  m  mächtigen  Tuffschicht  der  erwähnte  Pfahlbau  entdeckt  wurde.  Es 
scheint,  dass  wir  es  in  Ripac  mit  einem  der  seltenen  alten  Flusspfahlbaudörfer  zu  thun 
haben,  denn  es  sind  nicht  nur  die  Pfahlköpfe,  sondern  an  einzelnen  Stellen  auch  die  Platt- 
formen, jedoch  nur  bei  sehr  niedrigem  Wasserstande,  über  dem  Flussspiegel  sichtbar.  Der 
Wasserstand  muss  daher  in  alter  Zeit  niedriger  gewesen  sein  als  heute  und  eine  Anschwellung 
des  Unnawassers    bei  Ripac  zu  einem  förmlichen  See    dürfte  damals   kaum   bestanden   haben.« 

Der  Pfahlbaugrund  zeigt  an  einer  Stelle  oben  eine  1,5  m  starke 
Schichte  von  Lehm  und  Erde,  darunter  etwa  50  cm  Flussgerölle  und 
Kalktuff,  die  wieder  auf  einer  etwa  50  cm  starken  Kulturschichte  lagern. 
Unter  dieser  Kulturschichte  ist  fester  Untergrund.  An  einer  zweiten  Stelle 
lag   unter   dem  bei  50  cm  starken  Kalktuffe  die  Kulturschichte  und  unter 


I  u  r  g  r  u  i  n  e    S  o  k  o  1  a  c    bei    Bihac. 


—     533 


dieser  der  feste  Fussboden.  Die  schwarze  Kulturschichte  besteht  aus 
Holzkohle,  Asche  und  Schlamm;  die  grosse  Masse  der  Holzkohlenstücke 
lässt  vermuthen,  dass  das  einstige  Pfahldorf  durch  Feuer  zu  Grunde  ge- 
gangen ist.  Die  Pfähle  sind  unten  zugespitzt;  sie  bestehen  ausschliesslich 
aus  Eichenholz  von  10  bis  30  cm  Durchmesser  und  sind  in  unregelmässigen 
Abständen  von  0,5  bis  2  m  eingerammt.  Auch  die  an  mehreren  Stellen 
noch  erhaltenen  Plattformen  sind  aus  gespaltenen  Eichenstämmen  hergestellt. 
Nur  an  zwei  Stellen  wurde  hierzu  auch  Nadelholz  verwendet.  Die  Balken 
der  Plattform  zeigen  stets  die  gleiche  Lage  von  Südost  gegen  Nordwest. 
In  der  Kulturschichte,  sowie  in  den  unteren  Partien  des  Tuffes  kommen 
zwischen  den  Pfählen  massenhaft  Thongefässscherben,  Hirschgeweihe, 
Eberzähne  und  Thierknochen  vor.  Die  Thongefässe  sind  ausschliesslich 
Handarbeit;  nur  zwei  davon  sind  nahezu  ganz  erhalten,  ein  grauer  Topf 
mit  schwach  auswärts  gebogenem  Rande  und  kleinem  rundem  Henkel 
(14,5  cm  hoch,  12  cm  Durchmesser)  und  ein  kegelstutzförmiger  Tiegel, 
rothbraun,  schwach  verziert,  18  cm  hoch,  11  cm  Durchmesser.  Das  Loch 
im   Boden    ist   nicht   ausgebrochen,    sondern,    wie   die   dünnen  Ränder  be- 


Das    den    gefallenen    Soldaten   1878    gesetzte    Monument   in    Zegar   bei    Uihac. 


—      534     — 


Türken    an    der    Quelle.     (Motiv    aus    der   Umgebung    von    P>ihac.) 


weisen,  ausgebrannt.  Dieser  Umstand,  sowie  die  Form  des  Gefässes 
charakterisiren  dasselbe  als  einen  Schmelztiegel,  dessen  Vorkommen  die 
Kenntniss  des  Metallgusses  bei  den  Pfahlbaubewohnern  von  Ripac  ver- 
muthen  lässt.  Das  Material  der  übrigen  Scherben  ist  mit  kleinen  Kalk- 
steinkörnchen gemischt,  schwach  gebrannt  und  zeigt  im  Bauche  häufig 
drei  Lagen,  eine  innere  schwärzliche  und  zwei  äussere  rothe.  Wahrschein- 
lich sind  die  Gefässe  in  der  Weise  gebrannt  worden,  dass  man  sie  mit 
Feuergluth  nicht  nur  umstellte,  sondern  auch  anfüllte,  wodurch  die  beiden 
Oberflächen  stärker  gebrannt  wurden,  während  der  Kern  roh  blieb  und  die 
durch  Rauchschwärzung  verursachte  dunkle  Färbung  beibehielt.  Die  Farbe 
der  Scherben  ist  grau,  braun,  schwarz,  röthlich  oder  gelblich.     Im  Ganzen 


zeigen  sich  die  Thongefässe  des  Ripacer  Pfahlbaues,  wenn  auch  höchst 
primitiv,  so  doch  häufiger  und  reicher  verziert,  als  die  in  der  nahen 
Nekropole  von  Jezerine.  An  Thonartefakten  wurden  ausserdem  ein  ge- 
brochenes und  zwei  ganz  pyramidale  Webstuhlgewichte  gefunden;  von 
Metallgegenständen  eine  Zierscheibe  aus  Kupfer  oder  zinnarmer  Bronce, 
von  7  cm  Durchmesser,  mit  einem  Buckel  und  einem  eingravirten  Kreise 
an  der  oberen  Fläche  und  mit  zwei  nietenförmigen  Stiften  an  der  Unter- 
seite, ferner  ein  offener  Fingerring  aus  Bronce  oder  Kupfer,  quergerippt, 
1,8  cm  Durchmesser.  Da  die  Durchforschung  fortgesetzt  wird,  ist  wohl 
noch  mancher  Fund  zu  erwarten. 


Ruine    Brekovica  bei   Bihac. 

Das  Grabfeld  von  Jezerine  liegt  mitten  in  der  Ebene  der  Unna 
auf  einem  im  Südosten  unbedeutend  erhöhten,  gegen  Nordwesten  in  das 
Niveau  des  umgebenden  Geländes  verlaufenden  Hügel  und  besitzt  eine 
Länge  von  60  m  bei  einer  grössten  Breite  von  34  m.  Es  sind  etwa  ein 
halbes  Tausend  Grabstätten  geöffnet  worden,  von  denen  etwa  drei  Fünftel 
auf  Brandgräber  und  zwei  Fünftel  auf  Skelettgräber  entfallen.  Ausserdem 
wurden  einige  Punkte  mit  Funden  ohne  Leichenbrand  oder  Skelette  an- 
getroffen und  an  fünf  Stellen  innerhalb  der  Nekropole  Leichenverbrennungs- 
plätze aufgedeckt.  Wir  müssen  es  uns  hier  versagen,  auf  die  näheren 
Einzelheiten  der  Leichenbestattung  und  die  Art  der  Beigaben  einzugehen, 
aber  die  Zahl  der  Funde  ist  enorm.  Als  Material  der  Beigaben  wurde 
Eisen,  Bronce,  Silber,  dann  ein  weisses  Metall,  wahrscheinlich  Zinn,  ferner 
Bernstein,  Glas,  Stein,  Bein  und  Thon  festgestellt.    Die  Waffen  beschränkten 


-    536    - 


sich  aut  sechs  Eisenschwerter  und  einige  dolchförmige  Messer.  Die  Eisen- 
schwerter sind  einschneidig  und  sehr  ähnlich  den  gekrümmten  Schwertern 
aus  Hallstadt  in  Oberösterreich  und  St.  Michael  in  Krain.  Am  zahlreichsten 
und  wichtigsten  sind  die  Funde  aus  Bronce,  die  aus  wenigen  Gcräthen, 
einigen  kleinen  Gefässen  und  sehr  vielen  Schmucksachen  bestehen.  Von 
Bernstein  und  Glas  wurden  viele  Gegenstände  gefunden,  von  Glasperlen 
bis  zu  IOOO  Stück  in  einem  Grabe.  Das  keramische  Material  ist  ein 
massenhaftes,  es  lässt  sich  ein  ganzes  Museum  damit  füllen  und  das 
Landesmuseum    in    Sarajevo    hat    Schätze    aus    Jezerine    geerntet,    dessen 


Unnafluss    mit  Mühlen    in    Baksais    (Vorort  von  Bihac). 

ISfekropole  etwa  500  Jahre  vor  unserer  Zeitrechnung  entstanden  sein  mag, 
die  ganze  La  Tene- Periode  überdauerte  und  erst  zur  Zeit  der  römischen 
Herrschaft  ausser  Gebrauch  kam. 

Von  sonstigen  bedeutenderen  Fundorten  wäre  in  diesem  Theile  der 
Krajna  noch  die  Gradina  Cungar  bei  Cazin,  ein  sehr  ausgedehnter  Wallbau, 
anzuführen,  ausserdem  sind  bis  jetzt  26  prähistorische  Wallbauten  im  Be- 
zirke Bihac  bekannt  geworden. 

Einen  prächtigen  Ausflug  von  Bihac  kann  man,  wenn  auch  ohne 
prähistorischen  Genuss,  der  ja  doch  nicht  Jedermanns  Sache  ist,  nach 
Kostel  und  Brekovica  machen.  In  zwanzig  Minuten  erreicht  man,  die 
nette  katholische  Ortschaft  Kralje  passirend,  die  Unnabrücke  bei  Vrkasic, 


537    — 


von  wo  in  den  landesüblichen,  zu  zweit  aneinander  gekoppelten  Kähnen 
die  Flussfahrt  beginnt.  Die  die  Ufer  begleitenden  Lehnen  treten  immer 
näher  zusammen,  weichen  wieder  auseinander,  auf  einmal  scheint  kein 
Ausweg  mehr  vorhanden,  man  hört  nur  das  Brausen  und  Schäumen  der 
Katarakte  von  Kostel.  Dicht  unterhalb  einer  Kuppe,  welche  die  Veste 
Brekovica  trägt,  bricht  sich  die  Unna  gewaltsam  Bahn,  in  tollen  Wirbeln 
schäumend  und  donnernd  über  die  vorgelagerten  Felsmassen  sich  stürzend. 
Oberhalb  der  Katarakte  stehen  auf  Pfählen  zahlreiche  landesübliche 
Mühlen,  die  auf  schwanken  Bretterstegen  erreichbar  sind.  Der  steile  Auf- 
stieg nach  Brekovica  wird  durch  den  Anblick  eines  rein  mohammedanischen 
Städtchens  gelohnt,  das  inmitten  der  verfallenden  Festungsmauern  liegt. 
Typische  Figuren  und  Erinnerungen  an  die  Vergangenheit  findet  man 
hier  auf  Schritt  und  Tritt.  So  erzählt  die  Sage  von  Kostel:  In  uralten 
Zeiten,  als  die  ganze  Ebene  von  Bihac  ein  See  war,  herrschte  in  Brekovica 
ein  junger  König  Namens  Kosta  (Konstantin).  Dieser  fasste  den  Entschluss, 
die  »Brekovacka  strana«,  die  den  Abfluss  des  Wassers  hinderte,  zu  durch- 
graben und  so  den  Bihacer  See  in  fruchtbares  Ackerland  zu  verwandeln. 
In  seinem  Plane  wurde  Kosta  von  den  benachbarten  Häuptlingen  unter- 
stützt, doch  ging  der  Durchbruch  des  Gebirges  nur  langsam  von  Statten 
und  es  dauerte  viele  Jahre,  bis  der  Durchstich  der  letzten  festen  Wand 
erfolgen  konnte.  Als  Kosta  diesen  Zeitpunkt  herannahen  sah,  erkannte 
er,  dass  die  mit  furchtbarer  Gewalt  in  den  engen  Durchlass  eindringenden 
Wasser  Hunderte  von  Arbeitern  vernichten  müssten.  Da  es  ihm  um  die 
jungen  kräftigen  Leute  leid  that,  das  ganze  Werk  aber  gleichwohl  nicht 
unvollendet  bleiben  sollte,  versammelte  er  alle  Alten  und  Kranken  und  befahl 
ihnen,  reiche  Belohnung  in  Aussicht  stellend,  die  letzte  Hand  an  den 
Durchstich  zu  legen.  Dieser  erfolgte  und  mit  Macht  stürzte  das  Wasser 
in  die  Bresche,  die  Greise  und  Siechen  mit  sich  fortreissend.  Ihr  Opfer 
war  nicht  umsonst  gebracht,  denn  der  See  verwandelte  sich  in  das  frucht- 
bare Kulturland,  das  heute  als  die  Ebene  von  Bihac  bezeichnet  wird. 
Der  Durchbruch  aber  führt  den  Namen  König  Kostas  und  wird  nach 
diesem   »Kosteo«   oder  »Kostel«   genannt. 

Solcher  Sagen  erzählt  Pfarrer  Konstantin  Kovacevic  in  Bihac  noch 
viele  im  »Glasn.  zem.  muzeja«,  wir  aber  nehmen  für  diesmal  Abschied 
von  der  Krajna  und  von  der  Bihacer  Ebene,  von  der  es  im  Volksmunde 
heisst:  »Die  Ebene  von  Bihac  ist  ein  zweites  Aegypten!«  oder:  »Es  giebt 
keine  zweite  Ebene  von  Bihac  bis  zu  den  Thoren  von  Stambul!«  und 
kehren  in  sechsstündiger  Wagenfahrt  nach  Novi  zurück. 


V 


Koksofen    im    Kohlen  werk    Kreka. 


Nach  Tuzla. 

Dreimal  habe  ich  im 
Verlaufe  zweier  Jahrzehnte 
Bosniens  Nordosten  besucht 
und  dreimal  habe  ich  Dolnja- 
Tuzla  berührt,  jedesmal 
unter  gänzlich  geänderten 
Verhältnissen.  Das  erste 
Mal  1878  bei  der  Besetzung. 
Damals  war  es  eine  echt 
türkische  Stadt,  welcher  die 
Salzgewinnung  zu  einer  Be- 
deutung verhalf;  sie  hatte 
dadurch  beträchtlichenVer- 
kehr,  der  sich  aber  nur  auf  Tragthieren  vollzog.  Das  alte  verfallene  Kastell, 
der  Konak  und  die  bischöfliche  Residenz  waren  die  hervorragendsten 
Punkte  des  Ortes.  Dann  sah  ich  Tuzla  im  Jahre  1886,  als  die  Eisenbahn 
von  Doboj  bis  Siminhan  eröffnet  wurde;  da  war  es  schon  eine  halb 
moderne  Stadt  geworden,  der  Bergwerksbetrieb  war  im  Beginne.  Bei 
meinem  letzten  Besuche  fand  ich  ein  industrielles  und  Montancentrum  der 
überraschendsten  Art  vor,  recht  deutlich  zeigend,  dass  man  in  Bosnien 
mit  Siebenmeilenstiefeln  vorwärts  schreitet. 

....  Doboj  an  der  Bosnabahn  lag  wieder  einmal  hinter  uns.  Die 
Burgruine  winkte  uns  förmlich  einen  Abschiedsgruss  zu,  als  wir  in  den 
Waggons  der  bosnisch -hercegovinischen  Eisenbahn -Verwaltung  sassen. 
Hinter  der  Station  wird  die  Bosna  auf  einer  über  hölzerne  Gruppenjoche 
erbauten  Eisenbrücke  übersetzt,  die  100  Meter  lang  ist.  Jetzt  stehen  wir 
direkt  vor  den  Bergen;  es  sieht  so  aus,  als  sollten  wir  unseren  Weg  hinauf 


—     539 


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tertiärer  Formal 
:a  : :  -  .7   1  -        .  -    :  er  - .:-.--      Einen  K    jmeter  da    >n  hat  man   eine  mächtig 
-■-._■;.--  :  Sauer: _e  .7  -.- - :  1t  i   -    —   Eutde  :7unrer.     die  einst    eilen  nur  der 
-;ti   :t   G  :". 

1   ^    1  i    -     neu:    -  :i         fotwi    neben     lex     Drtschaft    Kakmm    nadi 
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teriu:    .-   .  -     :.-a  H  :  tue  Stande  errttdte:    =:e  hat  aber  für  che  Orthodoxen 

- 


—     •  -       — 


Partie  aus  dem  Sprccathal. 


mitten  im  Walde,  liegt  das  altberühmte  Kloster  Ozren  mit  einer  im  Jahre 
1 1 50  von  einem  Herrscher  aus  dem  Geschlechte  der  Nemanja  erbauten 
Kirche.  Auch  soll  sich  dort  noch  eine  ungarische  Inschrift  befinden,  welche 
aus  den  Zeiten  der  ungarischen  Oberherrschaft  über  Bosnien  stammt.  Das 
Kloster  wird  von  der  Station  aus  aui  einem  fünf  Kilometer  langen  Reit- 
wege erreicht.  Es  liegt  in  einem  schönen,  von  dichten  Waldgehängen 
umsäumten  Thalkessel;  die  Berge  um  das  Kloster  erreichen  eine  Höhe 
von  200 — 300  Meter  und  man  geniesst  von  ihnen  eine  Fernsicht  bis  weit 
über  die  Save.  Südöstlich  vom  Kloster  liegt  das  mit  jungem  Eichenwald  und 
fettem  Weideland  bedeckte  Gradisnik-Gebirge,  während  sich  auf  der  Nord- 
seite der  Berg  Gredelj  erhebt,  auf  dessen  Spitze  noch  heute  die  Spuren 
des  einstigen  Sommersitzes  der  Mönche  sichtbar  sind.  Von  hier  aus  öffnet 
sich  ein  herrlicher  Ausblick  ins  Sprecathal.  An  der  nordwestlichen  Seite 
des  Klosters  liegt  der  gleichfalls  bewaldete  Ausläufer  Krvavac  des  Ozren- 
gebirges.  Alle  diese  Wälder  bieten  gute  Jagd,  namentlich  auf  Rehe, 
Füchse,  Wölfe,  Wildkatzen  und  Marder,  wogegen  Hasen  selten  vorkommen. 
Einige  150  Meter  südlich  vom  Kloster  befindet  sich  eine  mächtige,  in  Stein 
gefasste  Quelle,  »Kalugjerica«  genannt,  die  sich  in  das  Flüsschen  Rijecica 
ergiesst.  Im  Winter  ist  ihr  Wasser  nahezu  lauwarm,  während  es  im  Sommer 
derart  kalt  ist,   dass  es  kaum   getrunken  werden  kann.    In  der  Bevölkerung 


543     — 


weiss  sich  Niemand  zu  erinnern,  wer  diese  Quelle  ummauert  hat,  es 
dürften  dies  wahrscheinlich  die  Mönche  gethan  haben.  Eine  halbe  Stunde 
vom  Kloster,  hart  am  Fusse  der  Ozren-Planina,  befindet  sich  ein  Höhen- 
rücken, auf  welchem,  der  Ueberlieferung  nach,  einst  der  Klosterweingarten 
stand.  An  dieser  Stelle  ackern  jetzt  die  Bauern  von  Vasiljevici;  von  den 
Weinstöcken  findet  sich  keine  Spur,  aber  die  Bewohner  nennen  das  Gelände 
noch  heute  »Kalugjerske  vinogradina«  (die  Weinberge  der  Mönche).  Vor 
mehr    als    200  Jahren    wurden    sämmtliche    Mönche    des    Klosters    Ozren 


Zwischen  Olovo  und  Kladanj.     (Von  Ewald  Arndt.) 

gelegentlich  eines  Ueberfalles  niedergemetzelt.  Welcher  Anlass  zu  dieser 
Blutthat  führte,  ist  nicht  bekannt.  Damals  wurde  auch  das  Kloster  zerstört 
und  mehr  als  hundert  Jahre  wurde  kein  Gottesdienst  mehr  abgehalten. 
Das  Kirchendach  verfiel,  auf  den  Mauern  wuchsen  Bäume,  deren  Stämme 
Mannesstärke  erreichten.  Erst  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  hat  die 
orthodoxe  Bevölkerung  die  verfallenen  Klostermauern  wieder  eingedeckt  und 
fortan  kam  von  Zeit  zu  Zeit  aus  den  umliegenden  Pfarreien  ein  Pope,  um  hier 
die  Messe  zu  lesen.  Im  Jahre  1885  wurde  das  Kloster  wieder  besiedelt, 
und  eine  orientalisch-orthodoxe  Klosterschule  eingerichtet,  die  zum  grossen 
Theil  aus    den  Jahresbeiträgen    der  Landesregierung    erhalten    wird.     Der 


—      544 


schöne  Thurm  wurde  im  ersten  Jahre  nach  der  Okkupation  aus  den  Bruch- 
steinen der  ehemals  berüchtigten  »Nietova  Kula  in  Krtova  errichtet.  Die 
Dörfer  liegen  hier  weit  verstreut  im  Gebirge  und  bestehen  aus  einzelnen 
Gehöften.  Die  Kinder  müssen  daher  das  Schuljahr  über  —  das  heisst 
hier  ungefähr  fünf  Monate  im  Jahre  —  im  Kloster  bleiben,  wohin  ihnen 
die  Eltern  die  nöthigen  Lebensmittel  bei  Gelegenheit  mitbringen.  Selbst- 
verständlich bleibt  davon  auch  noch  für  die  Klostcrbewohnerschaft  ein 
kleiner  Rest  übrig. 

Von  Pctrovoselo  aus  geht  die  Bahnlinie  durch  eine  wundervolle,  park- 
artige Gegend  zur   Uebersetzung  des  Sprecaflusses.     Das  Flussthal  ist  hier 


Brennende  Halde. 


35 


—     545 


durch  Gebirgsausläufer  von  beiden  Ufern  auf  ungefähr  300  Meter  ein- 
geengt, das  Bett  des  Flusses  selbst  durch  sehr  hohe  und  steile  Ufer  be- 
grenzt. Ueber  die  Spreca  führt  eine  auf  Piloten  erbaute  Brücke.  Das 
landschaftliche  Panorama,  welches  jetzt  nur  durch  die  Aufeinanderfolge 
von  Wald  und  Wiese  etwas  Abwechslung  bietet,  wird  hinter  der  Halte- 
stelle Miricina  angenehm  durch  Felspartien  unterbrochen,  die  bei  Dubosnica 
ihr  Ende  erreichen.  Die  nächstfolgende  Station  Puracic-Rukavac  war  bis 
vor  wenigen  Jahren  ein  Centrum  des  bosnischen  Holz-Industrie-Konsortiums. 
Hier  wurden  Unmengen  von  Fassdauben  erzeugt  und  versendet,  die 
hauptsächlich  vom  nördlichen  Abhänge  des  Konju-Gebirges  und  von  der 
Oskova  kommen.  Der  Grossbetrieb  scheint  jetzt  eingestellt  zusein,  wenigstens 
konnte  ich  davon  bei  meiner  letzten  Durchfahrt  nichts  wahrnehmen.  Der 
Marktflecken  Puracic'  mit  etwa  1000  mohammedanischen  Einwohnern,  liegt 
3  Kilometer  von  der  Station.  Es  führt  von  dort  ein  guter  Reitweg  nach 
Maglaj  und  bildet  dieser  die  kürzeste  Verbindung  zwischen  Maglaj  und  Tuzla. 
Kurz  hinter  Puracic  verlässt  die  Bahn  die  hier  aus  einem  Felsendefile  hervor- 
tretende Spreca  und  tritt  in  das  Thal  der  in  diesen  Fluss  mündenden  Jala, 
der  sie  bis  kurz  vor  Tuzla  am  rechten  Ufer  folgt.  Die  Bahn  entfernt  sich 
von  der  Strasse,  von  welcher  sie  durch  sehr  breite  versumpfte  Wiesen 
und  Niederungen  getrennt  ist,  bis  sie  bei  der  Station  Bistarac  in  der  Nähe 
von  Han  Pirkovac  wieder  die  Strasse  erreicht.  Bei  Bukinje  zweigt  die 
Strasse  nach  dem  reizend  inmitten  von  Waldungen  gelegenen  Städtchen 
Kladanj  ab,  das  in  etwa  fünf  Fahrstunden  erreicht  wird.  Rechts  erblickt 
man  am  anderen  Jala-Ufer  den  schönen  Landsitz  von  Schemsi  Beg  Tuzlic, 
einem  der  reichsten  Grossgrundbesitzer  in  diesem  Theile  von  Bosnien. 
Kurz  nach  Verlassen  der  Station  öffnet  sich  dem  Blicke  der  die  Stadt 
Tuzla  einschliessende  Thalkessel.  Ganz  eigenthümlich  erscheint  dem 
Reisenden  das  schiefe  Minaret  der  Jalska-Dzamija ,  eine  unbeabsichtigte 
und  etwas  missglückte  Nachahmung  des  Thurmes  von  Pisa.  Links  zeigt 
sich  jetzt  die  zwischen  der  Fahrstrasse  und  dem  Bergabhang  eingebaute 
ärarische  Ringofenanlage,  gegenüber  derselben  liegt  die  im  Jahre  1 891 
neu  erbaute  Saline,  beide  durch  eine  Schleppbahn  mit  der  Eisenbahn  ver- 
bunden. Nach  Passirung  dieser  Anlagen  wendet  sich  die  Bahn  in  scharfem 
Bogen  nach  rechts  und  überschreitet  die  Jala,  um  am  jenseitigen  Ufer  die 
Station  Kohlengrube  zu  erreichen.  Von  hier  aus  führen  Schleppgeleise 
zu  dem  in  unmittelbarer  Nähe  gelegenen,  durch  seine  mächtigen  Mulden 
erkennbaren  ärarischen  Kohlenwerke.  Mit  zwei  Einbauen,  dem  Förder- 
und Wasserstollen,  wurde  die  an  Mächtigkeit  und  Ausdehnung  gleich 
grossartige  Braunkohlen-  (Lignit-)  Ablagerung  erschlossen,  welche  in  dem 
Tuzlaer  Tertiärbecken  auftritt  und  eine  der  besten  Kohlensortcn  liefert, 
die  überhaupt  vorkommen.  Vor  der  Einfahrt  in  die  Station  Kohlengrube 
befindet  sich  rechts  die  musterhaft  eingerichtete  und  geleitete  Grauaug'sche 


546 


Spiritusfabrik,  die  mit  maschinellen  Anlagen  zur  Erzeugung  von  Trocken- 
schlempe, die  nach  dem  Auslände  exportirt  wird,  eingerichtet  ist  und 
auch  mit  den  vorhandenen  Maschinen  Mahl  und  Walzmühlen  in  Be- 
wegung setzt. 

Links  am  jenseitigen  Jala-Ufer  wird  zuerst  das  Militärbarackenlager, 
dann  der  Marktplatz  von  Tuzla  sichtbar.  Die  Bahn  erreicht  das  Weich- 
bild der  Stadt  mitten  durch  die  zu  beiden  Seiten  der  an  drei  Stellen  üb<  r- 
brückten  Jala  von  Häu- 
sern dicht  besetzten 
Strassen  und  hart  an 
der  Strasse  sich  hin- 
ziehend. Nachdem  die 
Hahn  den  grösstenTheil 
der  Stadt  passirt  hat, 
übersetzt  sie  abermals 
die  Jala  und  erreicht  in 
kurzem  Bogen  knapp 
hinter  der  Turalibeg- 
Moschee  die  Station. 
Tuzla,  welches 
seinen  Namen  den  Salz- 
quellen verdankt,  die 
sich  hier,  in  Siminhan 
und  in  Gornji-Tuzla  be- 
finden (vom  türkischen 
Worte  »Tuz«,  welches 
Salz  bedeutet),  zählt 
10227  Civilbewohner, 
darunter  5984  Moham- 
medaner.     Die  Volks- 

zählungsziffern  von 
1885.     wo     die    Stadt 

noch  nicht  ganz 
8000  Einwohner  zählte,  darunter  etwa  5000  Mohammedaner,  lassen  den 
industriellen  Aufschwung  erkennen.  Auch  der  Handelsverkehr,  be- 
sonders mit  Brcka,  der  grössten  bosnischen  Savestation  (1885  :  4281, 
x895  :  5998  Einwohner),  ist  sehr  lebhaft  und  dürfte  noch  mehr  steigen, 
wenn  das  Projekt  einer  Eisenbahn  Tuzla-Brcka  im  Anschlüsse  an  die 
ungarischen  Bahnen  zur  Ausführung  gelangen  sollte.  Eine  neue  grosse 
Savebrücke  verbindet  dort  ohnedies  bereits  das  slavonische  mit  dem  bos- 
nischen Ufer.  Erst  Anfangs  der  fünfziger  Jahre  wurde  Tuzla  Haupt- 
stadt des  politischen  Bezirkes,   wahrend  früher  Zwornik  Sitz   des   Mutesari f 


Im   Huf   der   Spiritusfabrik  Dolnja-Tuzla. 


—     547     — 


war.  Omer  Pascha,  der  während  der  Beg-Revolution  auch  in  diesem 
Theile  desLandes  seine  Strenge  gegen  dieUebergriffeder  mohammedanischen 
Edlen  zur  vollen  Geltung  brachte,  traf  die  neue  politische  Einrichtung 
zum  Segen  des  Ortes.  Auch  er  konnte  freilich  nicht  voraussehen,  was 
aus  Tuzla  für  ein  Bergwerks-  und  industrielles  Centrum  werden  würde,  und 
unter  türkischer  Verwaltung  wäre  es  ein  solches  auch  nie  geworden. 

Die  Stadt  ist  beinahe  gänzlich  umgebaut  worden;  sie  besitzt  zwar 
auch  noch  ihre  türkischen  Viertel,  aber  in  der  Hauptsache  sind  d:e 
Strassen  breit  und  rein,  die  Gebäude  neu  und  modern.  An  Stelle  des 
verfallenen  Kastells,  das  demolirt  wurde,  ist  der  Sooo  Quadratmeter  grosse 
Appellplatz  getreten.  In  dessen  Mitte  steht  ein  Obelisk,  am  Nordende  das 
im  maurischen  Stile  erbaute  Rathhaus.  An  modernen  Amtsgebäuden  sind 
das  Kreisgebäude,  das  Bezirksamt,  das  Brigadekommando,  das  Saline-Amt 
u.  s.  w.  erstanden.  Ein  bedeutender  Fortschritt  zeigt  sich  auch  in  den 
zahlreichen  Schulen,   die-   allerdings  meist    noch    konfessionell  sind.      Einen 


543 


■    J&r*'  li     '  ' 


Ä^25^|||| 


' 


imponirenden  Eindruck  macht  die  Handelsschule  und  das  neue  öffentliche 
Yolksschulgebäude  mit  einem  praktischen  Versuchsgarten.  Selbst  die  Moham- 
medaner raffen  sicli  zu  neuen  Schulbauten  auf,  tue  modernen  Ansprüchen 
entsprechen.     So   fand  ich   an   einem   sehr  hübschen    Hause   die  Aufschrift: 

Mohamedanska  osnovna  skola«  (moham- 
medanische öffentliche  Schule).  Die 
»Schwestern  der  göttlichen  Liebe 
sitzen  eine  gut  besuchte  Mädchenschule 
und  auch  eine  höhere  türkische  Schule 
(Medresse)  ist  vorhanden.  Eines  der  her- 
vorragendsten Gebäude  der  Stadt  ist 
orientalisch-orthodoxe  Kirche,  ein  ziemlich 
geschmackloses,  im  byzantinischen  Stile 
errichtetes  Bauwerk.  Unter  den  Moscheen 
zeichnet  sich  nur  die  aus  neuester  Zeit 
stammende,  im  Mittelpunkt  der  Stadt 
liegende,  arabisch  gebaute  Rehrambeg- 
Moschee  aus.  Am  Nordwestrande  liegt 
auf  einem  niederen  Bergrücken  das  die 
Stadt  überragende  Militärhospital,  sowie 
das  Militär  -  Stationsgebäude  mit  dem 
Elisabethparke.  Zu  erwähnen  ist  noch 
die  neugebaute  Wasserleitung,  von  welcher 
ein  auf  dem  Appellplatze  errichteter  mau- 
rischer Monumentalbrunnen  gespeist  wird, 
und  das  »Hotel  Tuzla«. 

Für  das  mohammedanische  Frauen- 
leben in  Bosnien  erhielt  Tuzla  eine  be- 
sondere Wichtigkeit  dadurch,  dass  hier 
zuerst  ein  weiblicher  Arzt  vom  Staate 
angestellt  wurde.  Während  man  in  ver- 
schiedenen europäischen  Ländern  wohl 
weibliche  Aerzte,  die  in  der  Schweiz  oder 
in  Frankreich  promovirt  haben,  zur 
privaten  Praxis  zulässt,  war  es  doch  der 
bosnischen  Landesregierung  vorbehalten, 
solchen  auch  eine  staatliche  Stellung  zu 
sichern.  Es  hing  dies  mit  der  Abgeschlossenheit  der  mohammedanischen 
Frauen  zusammen,  die  nur  in  den  seltensten  Fällen  männliche  ärztliche 
Hilfe  in  Anspruch  nehmen,  solche  bei  Krankheiten,  die  operative  Eingriffe 
erfordern,  überhaupt  verschmähen.  Daher  nehmen  bei  ihnen  Krankheiten 
viel  häufiger  einen  tödtlichen  Ausgang,   wie  auch  der  Kurpfuscherei  durch 


"iS^-^S-j? 


Zigeuner  als  Lastträger  (Ha mal) 
in  Dolnja-Tuzla. 


551 


alte  Frauen  Thür  und  Thor  geöffnet  ist.  So  wurde  denn  im  Jahre  189I 
zuerst  in  Dolnja-Tuzla  Frau  Dr.  Theodora  Krajewska  als  weiblicher  Arzt 
angestellt  und  nach  Ueberwindung  gewisser  Anfangsschwierigkeiten  gelang 
es  ihr,  festen  Boden  in  der  Bevölkerung  zu  fassen.  Wie  ich  einem  äusserst 
interessanten  Vortrage  entnehme,  den  Ihre  Excellenz  Frau  Minister  Vilma 
v.  Källay  im  Budapester  Frauenverein  hielt,  behandelte  FrauDr.  Krajewskaim 
Jahre  1894  bereits  613  Kranke,  von  denen  224  Mohammedanerinnen, 
269  Katholikinnen,  99  Griechisch-Orthodoxe  und  20  Spaniolinnen  waren. 
In  Mostar,  wo  im  Jahre  1893  gleichfalls  eine  Aerztin  in  der  Person  der 
Frau  Dr.  Bohuslava  Kek  angestellt  wurde,  sind  die  Ziffern  für  1894 
folgende:  Behandelt  wurden  763  Personen,  davon  404  Mohammedanerinnen, 
136  Katholikinnen,  200  Griechisch-Orthodoxe,  20  Spaniolinnen,  3  Pro- 
testantinnen. Aber  nicht  nur  in  sanitärer  Beziehung  äussert  sich  der  Einfluss 
der  weiblichen  Doktoren.  Sie  können  auch  in  anderen  Fragen  des  Frauen- 
lebens leicht  Rath  ertheilen,  sie  erwerben  sich  das  Vertrauen  und  wirken 
aufklärend  und  civilisirend  auf  jene  Kreise,  die  bisher  hinter  den  Musch- 
arabiehs  der  Harems  ein  einförmiges  und  abgeschlossenes  Dasein  führten. 


"W 


Der  Salz-  und  Kohlendistrikt. 


Förderungsthurm  im  Kohleinverk  K r e k n.. 


Was  Tuzla  in  erster  Linie 
seine  grosse  Bedeutung  verleiht, 
ist  die  Kohle  und  das  Salz.  Unter 
türkischer  Verwaltung  wurde  letz- 
teres aus  zwei  armen  Salzquellen 
in  denkbar  primitivster  Weise  ge- 
wonnen und  doch  war  es  schon 
damals  ein  grosses  Wunder,  denn 
zwischen  der  Adria  und  dem 
Schwarzen  Meere  kennt  man 
auf  der  Balkanhalbinsel  keinen 
zweiten  Fundort  von  Salz.  Von 
den  Kohlen  hatte  die  türkische 
Regierung  keine  Ahnung,  sie  hätte  auch  nie  einen  Bergwerksbetrieb  eröffnet, 
für  dessen  Erzeugnisse  sie  keine  Verwendung  besass.  Im  Jahre  1884  liess  die 
bosnische  Verwaltung  die  Schürfungen  auf  Kohle  und  Salz  durchführen;  es 
entstand  ganz  dicht  bei  Tuzla  das  Braunkohlenwerk  Kreka  und  im  selben 
Jahre  wurde  mit  dem  Bau  einer  Saline  in  Siminhan  begonnen,  die  längere 
Zeit  die  alleinige  Abnehmerin  der  Kohle  war.  Mit  Eröffnung  der  Eisen- 
bahn von  Doboj  bis  Siminhan  nahm  die  Kohlenproduktion  einen  raschen 
Aufschwung.  Wer  die  Schwierigkeiten  einer  grösseren  Kohlenerzeugung 
vom  grünen  Rasen  weg  kennt,  wird  es  zu  würdigen  wissen,  wenn  schon 
im  Jahre  1890  die  Jahresförderung  500000  Metercentner  erreichte.  Als 
dieses  Produktionsquantum  erreicht  war,  wurde  das  erste  grössere  Arbeiter- 
fest gefeiert,  an  dem  schon  damals  400  Arbeiter  theilnehmen  konnten. 
Die  ausgezeichnete  Verwendbarkeit  der  fast  schwefelfreien  Kohle  zu 
Industriezwecken  begründete  zunächst  eine  Ausfuhr  über  die  bosnischen 
Landesgrenzen,  lockte  aber  auch  die  Industrie  an,  sich  in  dem  so  ungemein 


554 


reichen  Kohlenreviere  selbst  niederzulasssen.     So   entstanden    die  -ehr  be 
deutende   Spiritusfabrik,    mehrere    kleinere    Dampfmühlen,    eine    Brauerei, 
Ziegeleien   mit  und   ohne   maschinellen    Betrieb.      Die    Salinen    wurden    er- 
weitert und  im  Jahre   1894   eröffnete    die    einige   Kilometer   vom    Ben 
etablirte  grosse   Ammoniak-Sodafabrik   ihren    Betrieb. 

l'.s  geschah  dies  bei  Bistarac  in  Lukavac,  in  dem  malerischen  Thale, 
wo  sich  die  Jala  mit  der  Spreöa  vereinigt,  in  einer  idyllischen  Gegend,  wo 
nichts  sonst  als  der  Pfiff  der  Lokomotive  und  höchstens  noch  ein  das 
Buschwerk  durchstreifender  Jäger,  Wildenten  aufscheuchend,  die  tiefe  Stille 
und  bestandige;  Ruhe  unterbricht.  Dank  der  Initiative  des  Herrn  Reichs- 
finanzministers  von  Kallay  wurde  hier  —  14  Kilometer  von  Dolnja-Tuzla  — 
von  einer  Aktiengesellschaft  das  grosse  Fabriks-Unternehmen  errichtet, 
dessen  Anlage  12000  Quadratmeter  bebauter  Fläche  repräsentiren.  Es 
werden  vorläufig  380  Arbeiter  ständig  beschäftigt,  und  zwar  in  einander 
ablösenden  Gruppen,  da  Tag-  und  Nachtbetrieb  besteht.  Es  werden 
täglich  gegen  drei  Doppel-Waggons  calcinirter  Soda,  ein  Waggon  Aetz- 
natron  und  ein  WTaggon  Krystallsoda  erzeugt.  Später  soll  die  Fabrikation 
auf  das  Doppelte  gesteigert  werden.  Eine  Leitung  von  14  Kilometer  Länge 
führt  aus  eigenen  Bohrlöchern  die  zur  Salzgewinnung  nöthige  Salzsoole  in 
die  Fabrik.  Die  Soolenleitung  mündet  in  Reservoire,  in  denen  die  Speisung 
der  Soda  mit  Ammoniak  erfolgt.  In  eigens  hierzu  konstruirten  Oefen  wird 
durch  Brennen  von  Kalkstein  Kohlensäure  erzeugt  und  aus  diesen  in  die 
Reservoire  geleitet,  in  denen  sich  die  mit  Ammoniak  gesättigte  Salzsoole 
befindet.  Hierdurch  entsteht  ein  Niederschlag  von  doppclkohlensaurem 
Natron,  der  sodann  in  gusseisernen  Röhren  geglüht  und  dem  Calciniren 
unterzogen  wird.  Die  durch  dieses  Verfahren  gewonnene  Soda  wird  je 
nach  der  Qualität  und  Quantität  in  Säcken  oder  Fässern  zum  Y  ersandt 
hergerichtet.  Das  Absatzgebiet  der  Fabrikate  ist  ein  grosses  und  der 
Betrieb  dürfte  bald  eine  weitere  Steigerung  erfahren.  Die  Anlagekosten 
betrugen  bisher   I  300000  fl. 

Eine  weitere  neue  Industrie  ist  der  Koksofen  an  der  Kreka,  die 
erste  derartige  Anlage  in  Bosnien.  In  der  Gemeinde  Jasenica,  auf  der 
Majevica-Planina,  befindet  sich  ein  ausgedehntes  Kohlenlager,  das  sich  durch 
besondere  Güte  des  Produktes  auszeichnet.  Es  ist  ein  Uebergangsprodukt 
von  der  Braunkohle  zur  Steinkohle.  Der  grosse  Prozentsatz  der  flüchtigen 
Bestandtheile  besteht  aus  Theer,  Gasen  und  Ammoniak;  che  Kohle  ver- 
brennt daher  mit  langer,  leuchtender  klamme  und  ist  demzufolge  ein  vor- 
züglicher Brennstoff.  Um  den  technischen  Werth  der  Jasenicaer  Kohle 
festzustellen,  wurde  eine  grössere  Menge  derselben  in  eine  ungarische  Koks- 
anstalt gebracht,  wo  Versuche  über  die  Verkokbarkeit  des  Material-  an- 
gestellt wurden.  Diese  Versuche  lauteten  absprechend.  Das  gemeinsame 
Finanzministerium  wandte  sich  nun  wegen   neuer  Versuche   an   den   Berg- 


555     — 


und  Hüttendirektor  Wil- 
helm von  Reusz  inPitten 
bei  Wiener-Neustadt,  der 
sich  seit  mehr  als  zwan- 
zig Jahren  mit  Unter- 
suchungen der  Braun- 
kohle behufs  deren  Ver- 
kokung beschäftigt  und 
fast  sämmtliche  Braun- 
kohlen der  österreich- 
isch -  ungarischen  Mon- 
archie seinen  Arbeiten 
unterzogen  hat.  Herr 
von  Reusz  wies  nun  nach, 
dass  d  er Jasenicaer Kohle 
nicht  nur  eine  technische 
Wichtigkeit  im  Allge- 
meinen    beizulegen    ist, 

sondern  dass  sie  auch  vorzüglichen  Koks 
liefert.  Auf  Grund  dieser  Ergebnisse  wurde 
die  Salinenverwaltung  in  Siminhan  beauftragt, 
einen  Koksofen  für  Versuchszwecke  nach  den 
Plänen  des  genannten  Fachmannes  zu  bauen.  Kohlengrube  an  der  Kreka. 
Der  Ofen,    der    an  der   Kreka  isolirt    in    der 

Nähe  der  Saline  aufgestellt  ist,  fasst  4000  Kilogramm  Rohkohle,  die  in  einem 
Zeitraum  von  30  Stunden  zu  Koks  gebrannt  wird.  Die  bisherigen  Versuche 
waren  erfolgreich  und  es  soll  daher  dicht  neben  dem  Kohlenlager  in 
Jasenica  eine  umfassende  Koksofenanlage  errichtet  werden. 

Auf  die  Kohle  der  Tuzlaer  Gegend  sind  auch  die  Zuckerfabrik  in 
Usora  und  die  Mineralölraffinerie  in  Bosnisch-Brod  basirt.  Die  mit  inlän- 
discherKohlegespeistenBahnen  und  Dampfschiffe  führen  den  Brennstoff  weiter 
ins  Land  und  zum  Theil  auch  über  die  Grenzen.  Eine  wichtige  Frage 
bildete  die  Unterbringung  der  Bergarbeiter.  Zu  diesem  Zwecke  wurde 
eine  Kolonie  errichtet,  die  heute  60  Doppel-Familienhäuser  zählt,  eine 
freundliche  mit  kleinen  Gärten  versehene  Anlage,  die  sich  alljährlich  ver- 
grössert.  Der  steigende  Kohlenbedarf  führte  im  Laufe  des  Jahres  1894 
zur  Erzeugung  von  mehr  als  einer  Million  Metercentnern  und  diese  er- 
freuliche Thatsache  wurde  in  den  Weihnachtstagen  durch  ein  den  Beamten 
und  Arbeitern  von  der  Regierung  gegebenes  Fest  gefeiert.  Beinahe  zur 
selben  Zeit  erreichten  die  Salinen  die  Jahresproduktion  von  100000  Meter- 
centnern  Sudsalz,  sodass  ein  doppelter  Anlass  zum  Feste  vorlag.  Uebrigens 
hat  auch  in  Zenica,   dem   südlichen  Kohlenwerke  au  der  Bosna,  die  Jahres- 


556    - 


förderung  bereits  500000  Metercentner  erreicht.     Eine  neuerrichtete  Saline 
ausserhalb  Tuzlas  ist  zur  Erzeugung  von  Feinsalz  bestimmt,    wahrend   die 
Anlage  in  Siminhan    nur    das  gebräuchliche   bosnische  Kochsalz    erz< 
Das  Tuzlaer  Etablissement   ist  zur  Gewinnung    von  60000  Metercentnern 
jährlich  eingerichtet. 

Die  Saline  in  Siminhan  besuchte  ich  im  Jahre  [886  und  ich  lasse 
meine  damaligen  Eindrücke  unverändert  folgen.  Die  Station  Tuzla  ver 
lassend,  erreicht  die  Bahn,  auf  den  am  rechten  Jala-Ufer  gelegenen  Wiesen 
sich  hinziehend,  den  in  die  Jala  mündenden  Solinabach,  welchen  sie  auf 
einer  Holzbrückc  übersetzt.  Unmittelbar  in  der  Nähe  dieser  Holzbrückc 
und  bei  der  knapp  liier  vorüberführenden  Fahrstrasse  nach  Zwornik  befindet 
sich    die    dem    serbischen  Metropoliten    gehörende   Dampfmühle.      1 1 


Siminhan  mit  Saline. 

gegenüber  zweigt  von  der  Hauptstrasse  die  alte  im  Solinathale  geführte 
Strasse  nach  Brcka  ab,  die  durch  einen  im  Jala-  und  Gnjica-Thale  ge- 
führten Fahrweg  über  Lopare  ersetzt  wurde.  Nach  Passirung  der  Solina- 
brücke zieht  sich  die  Bahn  abwechselnd  auf  Dämmen  und  in  Einschnitten 
—  zur  linken  Hand  die  landwirtschaftliche  Niederlassung  der  »Schwestern 
der  göttlichen  Liebe«  —  zumeist  parallel  mit  der  Strasse  und  hart  an 
dieser  bis  zur  Saline  in  Siminhan.  Bis  1884  noch  war  Siminhan  eine 
einsame,  von  allem  Geräusch  fern  gelegene  Gegend,  die  nur  durch  den 
Hau  eines  gewissen  Simo  -  daher  der  Name  —  bezeichnet  und  den 
mit  der  Gegend  vertrauten  Bewohnern  bekannt  war.  Zur  Ausnutzung  der 
Soolquellen  von  Gornja-Tuzla,  die  von  der  türkischen  Verwaltung  nur 
sehr  primitiv  bearbeitet  wurden  und  deren  Salz  wegen  Mangels  jedes 
Reinigungsprozesses  nicht  gern  gekauft  wurde,  fasste  die  bosnische  Landes- 
regierung den  Entschluss,  daselbst  eine  Saline  zu  erbauen.  Der  Bau  wurde 
im   Mai   18S4  begonnen  und    die  Saline    im   März    18S5   in  Betrieb  gesetzt. 


-     559 


Es  ist  eine  prachtvolle  Gegend,  in 
der  sich  diese  Anlagen  befinden.  Die 
netten  Fabrik-  und  Wohngebäude  sehen 
wie  Schweizer-Häuser  aus  und  die 
grünen  Wälder  an  den  Bergabhängen 
im  Hintergrunde  würden  eher  die  Ver- 
muthung  erwecken,  dass  sich  hier  die 
Cottage-Anlage  von  Dolnja-Tuzla  be- 
finde. Für  einen  klimatischen  Kurort 
könnte  man  sich  eine  schönere  Land- 
schaft kaum  denken  und  auf  Schritt 
und  Tritt  wird  man  durch  die  Scenerie 
an  die  hübschesten  Partien  der  Steiermark 
erinnert.  Sobald  man  von  der  Bahn 
aussteigt,  sieht  man  die  Aufschrift: 
»Franjo  Josipa  Solina«  —  »Franz  Josef- 
Saline«,  welcher  wir  in  ihren  inneren 
Räumlichkeiten  einen  eingehenden  Be- 
such abstatteten.  Die  Soole  wird  mittelst 
Dampfpumpe  gehoben  und  in  Röhren, 
die  eine  Länge  von  4100  Meter  be- 
sitzen, von  Gornja-Tuzla  nachSiminhan 
geleitet.  In  den  zwei  Sudapparaten 
(gegenwärtig  sechs)  zischt  und  brodelt 
es  unaufhörlich  und  der  Reinigungs- 
prozess,  welcher  bezweckt,  das  Glauber- 
salz und  die  Magnesia  aus  dem  Koch- 
salze zu  entfernen,  wird  nach  den 
neuesten  Erfindungen  vollzogen.  Grosse 
Dörrpfannen  sind  aufgestellt  und  überall 
sieht  man  nur  bosnische  Arbeiter  be- 
schäftigt, die  sich  recht  anstellig  und 
gelehrig  zeigen.  Ihre  Verwendung  hatte 
wieder  die  Anlage  von  landesüblichen 
Wohnhäusern  im  Gefolge  und  sogruppirt 
sich  ein  Dorf  um  die  Saline,  die  auch 
sehr  ausgedehnte  Magazine  besitzt. 
Diese  Anlage  soll  durch  das  Erbohren 
weiterer  Quellen  noch  eine  namhafte 
Ausdehnung  erfahren  und  man  hegt 
die  Hoffnung,  mit  der  Zeit  den  ganzen 
bosnischen     Bedarf    aus    dieser   Saline 


Landwirtschaftliche   Station 
Modric. 


—      560     — 


Salzsiederei    in    Gornja  -  Tuzla    zur    Türkenzeit. 
Von   W.    Leo   Arndt.' 


decken    zu    können,    was    gegenwärtig    (1895)    30    ziemlich    der    Fall    ist. 
Siminhan    bildet    gleichzeitig    einen    Strassenknotenpunkt     nach    Zwornik 

und  Bröka,  indem  unmittelbar  bei  der  Saline  die  über  Gornja-Tuzla 
und  Lopare  nach  Bröka  führende,  durch  ihre  landschaftlichen  Reize  er 
wähnenswerthe  Kunststrasse  von  der  Hauptstrasse  Tuzla-Zwornik  ab 
zweigt.  Von  Siminhan  aus  kann  Bröka  in  51  2,  Zwornik  in  6  Fahrstunden 
erreicht  werden.  Vier  Kilometer  von  der  Saline  liegt  <kr  durch  seinen 
Salzreichthum  bemerkenswerthe  rein   mohammedanische  Ort  Gornja-Tuzla. 

In  einem  hinter  der  Saline 
gelegenen  netten  Gasthause 
mit  elegantem  Sommer- 
pavillon wurde  ein  Früh- 
stück eingenommen,  das 
nichts  zu  wünschen  übrig 
liess.  lyrisches  Bier,  gute 
Weine,  Sodawasser  war 
vorhanden.  Der  Wirth  war 
ein  Ungar,  wie  überhaupt 
in  der  Tuzlaer  Gegend  sehr 
viele  Magyaren  in  amtlichen 
und  geschäftlichen  Stellun- 
gen sich  befinden.  Ueber- 
all  hört  man  auch  un- 
garisch reden  und  es  kann 
nicht  geleugnet  werden, 
dass  im  Bereiche  der 
Stefanskrone  viel  mehr 
Verständniss  für  den  Werth 
Bosniens  besteht,  als  in 
Cisleithanien,  wo  man  bei 
oftem  Nörgeln  gänzlich 
Übersicht,  welch'  werth- 
volles  Land  das  Habsburger  Reich  durch  die  Okkupation  gewonnen  hat. 
Allerdings  mussten  die  natürlichen  Schätze  erst  gehoben,  die  Hilfsmittel  de- 
Landes vorher  erschlossen  werden.  Dass  dies  geschehen  und  noch  geschieht, 
ist  das  grosse  Verdienst  der  gegenwärtigen  bosnischen  Landesverwaltung. 


Bohrungen    im    Salz  werk    Dolnj  a-Tuzla. 
(Von   W.  Leo   Arn.lt. 


Der  Tuzlaer  Kreis  hat  das  Glück,  das  beste  Hornvieh  und  einen  vor- 
züglichen Pferdeschlag  zu  besitzen.  Eine  grossartige  landwirtschaftliche 
Station  besteht  in  Modric.  Darum  bilden  auch  in  Tuzla  —  wie  übrigens 
in  den  meisten  Theilen  des  Landes  —  die  Pferderennen  einen  nationalen 

36* 


-      563      ~ 


Sport.  Anlässlich  der  Bahneröffnung  wurde  ein  grosses  Volksfest  ab- 
gehalten, das  mir  stets  in  angenehmer  Erinnerung  bleiben  wird.  An  der 
Kreuzung  der  Brckaer  mit  der  Zworniker  Strasse,  ziemlich  ausserhalb  der 
Stadt,  auf  einem  riesigen  Wiesenraume,  der  von  Bergen  an  einer  Seite 
begrenzt  wird,  war  der  Festplatz  abgesteckt  worden.  Für  die  Gäste  war 
eine    eigene  Tribüne   errichtet,    mit  Logen   für  Herrn  Reichsfinanzminister 


.-*£  W 


• 


Einheimische    Reiter    beim   Wettrennen. 

v.  Kallay  und  seine  Gemahlin,  sowie  für  den  Landeschei  General  der 
Kavallerie  Baron  v.  Appel  nebst  Gattin.  Das  Volk  drängte  sich  bunt  auf 
der  Wiese,  und  an  den  Berglehnen  zeigten  sich  Kopf  an  Kopf  die  meist 
rothen  »Behauptungen«  -  -  Fez  und  Turban  —  einen  Anblick  bietend, 
wie  riesige  Plätze  voll  Alpenrosen.  Nur  landesüblicher  Sport  sollte  zur 
Darstellung  gelangen,  zuerst  ein  echt  bosnisches  Pferderennen. 

1  )en    Rennplatz    bildete    die   Landstrasse    und    die   Strecke   war    mit 
r>}  j    Kilometer    bestimmt.      Für    das    grosse    Rennen    mit   Reitern    waren 


564 


22  Pferde  angemeldet,  durchweg  von  mohammedanischen  Grundbesitzern 
aus  Tuzla,  Bjelina,  Gradacac,  Graöanica,  Kladanj,  Janja,   Brezovopolje  und 

einigen  Dörfern.  Ein  Böllerschuss  gab  das  Zeichen,  dass  die  Pferde  von 
ihrem  Standplätze  abgegangen,  und  nicht  lange  wahrte  es,  so  erblickte 
man  an  einer  Strassenkreuzung  einen  Falben  daherrasen,  dessen  Reiter  fast 
gar  nicht  sichtbar  war.  Bald  kamen  ein  zweites  und  drittes  Pferd,  dann 
folgen  ganze  Rudel,  die  von  den  die  Strasse  einsäumenden  Zuschauern 
zu  immer  schnellerem  Laufe  angeeifert  werden.  Der  Falbe  aber  blieb  der 
erste  Sieger;  er  gehörte  dem  Ali  Beg  Hadzi  Alibegovic  in  Modriö  und 
war  von  einem  halbnackten  zehnjährigen  Zigeunerjungen  geritten.  Alle 
»Jockeys«  waren  Zigeunerkinder  oder  Eingeborene,  der  älteste  13  Jahre. 
Sattel  war  nirgends  vorhanden,  meist  auch  kein  Zaum;  nur  durch  bunte 
Tuchstreifen  um  den  Hals  der  Pferde  waren  diese  für  die  Eingeweihten 
kenntlich  gemacht  worden.  Wie  rasend  jagte  ein  Pferd  nach  dem  andern 
über  das  Ziel,  das  in  einem  Bündel  Heu  auf  der  Strasse  bestand,  oft 
mitten  in  die  Zuschauer  hinein. 

Die  vier  Sieger  wurden  von  dem  Preisrichter- Kollegium,  an  dessen 
Spitze  sich  der  Bürgermeister  von  Tuzla,  Haschim  Aga,  befand,  in  feier- 
lichem Zuge  in  einen  abgegrenzten  Raum  vor  den  Tribünen  geführt  und 
hier  mit  Ehrungen  überhäuft.  Unter  Vortritt  einer  türkischen  Zigeuner- 
musik, die  einen  gräulichen  Spektakel  vollführte,  begann  der  Rundgang 
der  Pferde.  Dann  wurden  die  Preise  —  39,  9,  6  und  4  Dukaten  — 
welche  als  Stirnband  gefasst  waren,  den  Pferden  um  den  Kopf  gebunden, 
worauf  wieder  Musik  und  das  Ausrufen  der  Preisgekrönten  durch  den 
Tellal  (öffentlicher  Ausrufer)  von  Tuzla  erfolgte.  Dieser,  ein  alter  Moslim, 
hatte  die  Rolle  des  Hanswurstes  übernommen.  Unter  den  lächerlichsten 
Kapriolen  sprang  er  herum,  dabei  aus  Leibeskräften  schreiend  und  einem 
Tulum  (türkische  Trommel)  jämmerliche  Töne  entlockend.  Es  war  ein 
ganz  eigenartiger  Anblick,  die  kleinen  Reiter,  zerrissen  und  beschmutzt, 
zu  sehen,  wie  es  sie  mit  Stolz  erfüllte,  so  hoch  geehrt  zu  werden,  und 
der  Besitzer  des  besten  Rennpferdes  konnte  es  sich  nicht  versagen,  aus 
seiner  stoischen  muselmännischen  Ruhe  herauszutreten,  das  Pferd  und  den 
Jungen  zu  streicheln  und  ihm  15  Dukaten  zu  geben.  Die  Strecke  war  in 
12  Minuten  zurückgelegt  worden. 

Solche  Rennen  sind  Feste  für  ganze  Gemeinden.  Tage  lang  vorher 
schläft  Niemand  vor  Aufregung;  die  Pferde  werden  müde  gehetzt,  dann, 
wenn  sie  in  Schweiss  gekommen,  ganz  dicht  in  Decken  eingehüllt  und 
diese  mit  Riemen  fest  zugezogen,  damit  die  Muskeln  nicht  schlaff  werden. 
Erst  bei  Beginn  des  Rennens  werden  sie  der  Hüllen  entledigt.  Das  Ist  die 
bosnische  Trainirung,  die  von  der  bei  uns  üblichen  recht  bedeutend  abweicht. 

Sodann  fand  ein  zweites  Rennen  mit  Pferden  ohne  Reiter  statt,  das 
eigentlich   einen   noch  viel   originelleren   Anblick   bot.      Man   konnte   sich 

-    565    - 


auf  die  Prairien  Amerikas  versetzt  und  etwa  eine  Heerde  Mustangs  von 
Indianern  verfolgt  glauben.  Die  letzteren  fehlten  hier  aber;  die  kleinen 
bosnischen  »Katzen«  setzen  selbst  einen  Ehrgeiz  darein,  als  Erste  zum 
Ziele  zu  gelangen. 

An  dem  Stangenklettern  betheiligten  sich  nur  Zigeuner,  die  Preise 
von  Stücken  rothen  Tuches,  einem  Napoleon  und  je  2  Gulden  erhielten. 
Originell  war  wieder  das  Springen  auf  den  Ziegenbalg.  Eine  der  Haare 
beraubte  Haut  wird  straff  aufgeblasen,  mit  Oel  eingerieben  und  von  Zeit 
zu  Zeit  wieder  mit  Wasser  übergössen,  damit  sie  recht  schlüpfrig  wird.  Es 
handelt  sich  nun  darum,   so  auf  den  Balg  zu  springen,  dass  dieser  platzt 

—  etwas,  was  oft  erst  nach  Stunden  gelingt,  denn  fast  Jeder  gleitet  aus 
und  fällt  nieder,  was  bei  den  Zuschauern  grosses  Gelächter  hervorruft. 
Bei  dieser  Preisbewerbung  that  sich  besonders  ein  Zigeuner  hervor  von 
fast  schwarzer  Hautfarbe,  offenbar  ein  Mischling  mit  Negerblut,  aber  von 
regelmässiger  schlanker  Gestalt  und  mit  Muskeln  wie  von  Stahl.  Leider 
errang  er  den  Siegespreis  nicht. 

Beim  Weitspringen  wurde  wenig  Bemerkenswerthes  geleistet,  dagegen 
bot  das  Wettlaufen  einen  interessanten,  wenn  auch  nicht  angenehmen 
Anblick.  Die  Theilnehmer  daran  mussten  sich  bis  auf  eine  Schwimmhose 
vollkommen  nackt  entkleiden.  Die  Distanz  betrug  372  Kilometer  und  wurde 
von  den  meisten  dieser  menschlichen  Rosse  in  zwölf  Minuten  zurückgelegt! 

Eine  geplante  Reise  in  die  Posavina    —    die    grosse    Saveniederung 

—  konnte  wegen  steten  Regenwetters  nicht  ausgeführt  werden,  und  so 
blieb  sie  einer  späteren  Zeit  vorbehalten.  Wir  schieden  von  Tuzla  mit 
dem  Bewusstsein,  hier  viel  gesehen  und  viel  gelernt  zu  haben,  hauptsächlich 
auch,  wie  mit  zielbewusster  Verwaltung  ein  zurückgebliebenes  Land 
systematisch  aui  eine  höhere  Stufe  der  Entwicklung  gebracht,  wie  mit 
Erfolg  kolonisirt  werden  kann. 


So  nehme  ich  diesmal  Abschied  von  dem  schönen  Lande,  das  meine 
Jugendliebe  war,  das  mir  im  späteren  Alter  nur  immer  liebenswerther  er- 
scheint. Ich  habe  mich  bemüht,  in  meinen  Schilderungen  das  zu  zeigen, 
was  einst  war  und  was  jetzt  ist.  Soviel  ist  gewiss:  Bosnien  und  die 
Ilercegovina  sind  nicht  nur  landschaftlich  und  ethnographisch,  sondern 
auch  durch  ihre  rasche  kulturelle  und  wirtschaftliche  Entwicklung  die 
interessantesten  Gegenden  des  europäischen  Orients  und  eines  Besuches 
werth.  Touristen,  Volkswirthe  und  Gelehrte  finden  ihre  Rechnung  bei 
einem  Besuche  des  Landes,  das  sich  Jedem  so  ins  Herz  schmeichelt,  dass 
er  immer  von  Neuem  an  die  romantischen  Gebirge,  an  die  Ufer  der  Bosna, 
des  Vrbas,  der  Drina  und  Narenta  mit  Sehnsucht  zurückdenkt,  dass  er 
dahin  zurückkehrt.     Aber  auch  den  in  Europa  jetzt  so  zahlreichen  Kolonial- 


566    - 


Politikern  ist  ein  Besuch  zu  empfehlen;  in  Bosnien  wird  praktische  Kolonial- 
politik getrieben,  und  was  geleistet  wurde,    stellt    dm    Leitenden    Personen 
und  Oesterreich-Ungarn   im   Allgemeinen   das   höchste   Ehrenzeugniss   aus 
Einst  gänzlich  zurückgeblieben,  reiht  sich    heute   die    bosnische   Schwester 
europäischen   Ländern  als   würdige  Genossin  an. 

Am   Daum  der  Menschheit 

Drängt  sich  JJlüth'  an  IJlüthe, 

Nach  ew'gen  Regeln  wiegen  sie  sich  <lrnuf. 

Oh  hier  die  eine  matt  und  welk   verglühte, 

Blüht  dort  die  andre  voll  und   prächtig  auf. 

Es  ist  ein  ewig  Kommen  und  ein  ewig  <, 

Und  nie  und  nimmer  träger  Stillestand. 

Man  sieht  sie  auf-,   man  sieht  sie  niederqvh.n 

Und  jede  Blüthe  ist  ein   Volk,   —    ein  Land. 

So  singt  Freiligrath.     Bosnien  aber  ist  das  Land  des  Aufgehen.,  das 
echte  Land  der  Morgensonne! 


ß.,i. 


Waldpart  hie    im    bosnischen   Waldgebiet 


TW  ' 


Renner,  Heinrich 

Durch  Bosnien  und  die 
Herzegovin?  kreuz  und 
ouer;  Wanderungen 

#2.  in  Wort  und  Bild 
ergänzte  und  verm.  Aufl. 

D.  Reimer  (E. 
Vohsen)   (1897) 


Efe 


Sb«^B 


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