J
Heinrich Renner:
Purch Bosnien und die Hercegovina.
purch Bosnien
unppieLIeRCEGOVINA
KREUZ UNP QUER
WANDERUNGEN
Vi >\
HEINRICH RENNER
MIT 54 VOLLBILDERN
300 ABBILDUNGEN IM TEXT VON W. L. ARNDT, E. ARNDT-CEPLIN U. A.
SOWIE NACH PHOTOGRAPHISCHEN AUFNAHMEN
UND EINER GENERALKARTE BOSNIENS
MIT ROUTEN UND STRASSENZÜGEN
M IT C A RTC ) N : E I S E NBAH N VE RBINDUNG E N BOS N I i
MIT EUROPA
ZWEITE IN WORT UND BILD ERGÄNZTE
UND VERMEHRTE AUFLAGE.
*
BERLIN 1897.
VERLAG VON DIETRICH REIMER ERNS1 VOHS
J)as %echt der Uebersetzung in frernde Sprachen-
ist vorbehalten.
,154^15
Vorwort zur II. Auflage.
Wenig über ein Jahr ist verflossen, seit das vorliegende Werk in
Oeffentlichkcit hinaustrat, um die landschaftlichen Schönheiten Bosniens
und der Hercegovina, die Vergangenheit des Landes und seine durch
rastlosen Fortschritt gekennzeichnete Gegenwart der Kenntniss eines
grösseren Publikums zu vermitteln. Bücher und besonders Reisewerke,
die zufolge ihres hohen Preises nur in die Bibliotheken und in die Hände
weniger Privaten gelangen, haben grossentheils ihren Zweck verfehlt, daher
war es unser Bestreben, das Buch in der Ausstattung hochgediegen, in
grosser Auflage zu billigem Preise herzustellen. Der in der Reiselitteratur
fast beispiellose Erfolg hat uns Recht gegeben und bei der anerkennenden
Kritik, die dem Werke von der Tages-, wissenschaftlichen und Fachpresse
aller Länder zu Theil wurde — der hierdurch der beste Dank dargebracht
sei — hegen wir die feste Zuversicht, dass auch die gegenwärtige zweite
Auflage dem schönen Bosnien-Hercegovina neue Tausende von Freunden
zuführen wird.
Ein Jahr ist wohl nur eine kleine Spanne Zeit im Menschen- und
noch mehr im Völkerleben, aber gerade in einem so mächtig aufstrebenden
Lande, wie es dieses Balkangebiet unter der Verwaltung des österreichisch-
ungarischen Kaiserstaates ist, bietet schon eine so kurze Periode mannig-
fache Neuerungen, viele Errungenschaften auf kulturellem, wirthschaftlichem
und wissenschaftlichem Leben. Diese mussten der neuen Auflage einver-
leibt, statistische Zahlen bis in die jüngste Gegenwart ergänzt werden.
Einige neue Reiserouten, wie die in das Sandschak Novibazar, das zwar
nicht unter österreichisch -ungarischer Verwaltung steht, aber in den
Hauptorten neben den türkischen auch österreichisch-ungarische Garnisonen
besitzt, wurden aufgenommen. Gerade das Sandschak zeigt am besten
den kulturellen Einfluss des gegenwärtigen Bosnien auf die noch türkischen
Grenzlande. Dann fuhrt uns diesmal der Weg auch in die romantische.
reiche nordwestliche Krajna, das von zahllosen Burgruinen
n Kroatiens Grenzen mit seinen berühmten prähistorischen
. wurden die Abschnitte über die deutschen Kolonien
- und Kohlendistrikt reicher illustrirt. Der Text erweiterte
lurch um fünf Druckbogen, die Zahl der Illustrationen stieg um
. Ausserdem wurde der 2. Auflage eine grosse Karte bei-
di< äämmtüche Konten und Strassenzüge enthalt und auch die
Üon des Terrains durch Höhenkurven wiedergiebt, sodass jeder
einen vortrefflichen Führer sowohl zur Erreichung des Landes in
im Karton befindlichen Eisenbahnkärtchen von Kuropa, als auch zur
sung des Landes selbst erwirbt.
möge denn das Werk in seiner neuen erweiterten Gestalt zum
zweitenmale dvn Weg in die Welt antreten; möge es für Bosnien werben
in den Reihen Aller, tue reisen können und reisen wollen, möge es aber
auch ferner wie bisher Eingang finden in politischen, wissenschaftlichen,
[and- und forstwirthschaftlichen wie industriellen Kreisen, damit sich die
nntniss immer mehr Bahn breche: Bosnien ist unter seiner heutigen
Verwaltung nicht nur das vorgeschrittenste Land des Balkans, es ist neben
stolzen Bosna« auch die »glückliche Bosna« geworden!
Berlin, im September 1897.
Der Verfasser
und die Yerlae-sriandlung.
Einführung zur I. Auflage.
terreich-Ungarn kraft des im Berliner Vertrage erhaltenen
im Jahre 1878 zur Besetzung Bosniens und der Hercegovina
•1 in dem seit Jahrhunderten wie verschlossenen Lande nur
R.« ende erschienen. Diese Wenigen waren meist in
halt in Bosnien gewesen und sie hatten sich redlich be-
ihn fentlichten Werken die Kenntniss des Landes dem
rmitteln. Dem grossen Publikum blieben jedoch diese
vit; da-- bosnische Dornröschen schlief noch den
hlaf und es fand seine Auferstehung erst, als
die Grenzen überschritten und die neue Aera
Dickicht, das um Dornröschens Schloss
rastloser und schwerer Arbeit von nicht zwei
vi
Jahrzehnten steht Bosnien bekannt und geachtet vor der Welt. Was in
diesem Lande geleistet wurde, ist fast beispiellos in <\cv Kolonialgeschichte
aller Völker und Zeiten und die nachfolgenden Schilderungen, wenn sie
auch mehr für den Touristen geschrieben sind, der die land chaftlichen
Reize der »goldenen Bosna« kennen lernen will, sollen doch auch ein Bild
geben von dem Bosnien einst und jetzt. Es fehlt heute nicht mehr an
umfangreichen wissenschaftlichen und an Reisewerken über die htige
Gebiet der Balkanhalbinsel. Das vorliegende Werk erhebt daher auch keinen
Anspruch auf besondere Gelehrsamkeit, es soll in ihm nur in zwangl<
Geplauder erzählt werden, was ich bei oftmaligen Reisen in dem Lande,
das ich wie eine zweite Heimath liebe, gesehen und erlebt; es soll Int<
und Verständniss in weiteren Kreisen erwecken, die beim Antritt einer
Reise nicht ganze Bibliotheken durchstudiren wollen und können.
Eines hat mir die Feder geführt: Unauslöschliche Liebe zu Bosniens
Bergen und Thälern, zu seinen grünen Matten und romantischen Städten,
zu seinem kräftigen Volke und dessen Eigenart. Sodann aber auch un-
begrenzte Hochachtung vor den Männern, die als Kulturträger in amtlicher
Stellung jene Fortschritte zeitigten, die heute diese Provinzen so hoch
die meisten anderen Länder des europäischen Südostens erheben. Wenn
ich heute hinausblicke in den grauen Nebel des nordischen Winters, denke
ich mit Sehnsucht an Bosniens Urwälder, an das Paradies jedes Natur-
freundes. Und der Bosna, der Drina, der Narenta und des Vrbas Wellen
rauschen mir ein verlockendes Lied von Gottes freier Natur in der Schweiz
des Balkans. Möge mein Sehnen recht bald von Vielen getheilt werden,
mögen bald Tausende sich jenes eigenthümlichen orientalischen Lebens
erfreuen, das, von unsagbarem Reiz, früher nur wenigen bevorzugten, mit
Glücksgütern gesegneten Sterblichen zu schauen ermöglicht war. I
führen drei Bahnlinien mitten in diese fremde Welt, die sich jedem ins
Herz schmeichelt, der noch Gefühl für Schönheit, für unverdorbene Natur,
dabei aber auch Sinn für moderne Thatkraft besitzt.
Ich mache jetzt den Führer im Lande. Wer Lust hat und nicht
immer ausgetretene Pfade wandeln will, der folge mir!
Berlin, im Winter 1895/96.
Heinrich Renner.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Auf «. ho i
ienenwege 2S
irke 37
47
und Treiben in der bosnischen Hauptstadt 59
Aus dem bosnischen Leben und Lieben 84
• d Sar \" 07
Bosniens 106
I22
da nach Foca j-^
An der Grenze des Paschaliks Novibazar irr
ak Novibazar j6c
fahrt auf der 1 >rin;i jgö
:he Bergwerksstadt .... 217
Nach Zwornik 227
Idyllische Fahrten 2-S
unanja und der Glasinac 25"
ch Mostar 272
sehe Hauptstadt 297
und die Bonaqnelle ->!■-
mischen Grenze -2;
Hercegovina org
linatien ins Narentathal .372
Durch das Ramathal nach Jajce 400
Jajce 420
in der Gegenwart 445
Travnik nach Jajce 41-6
Inka 470
4s5
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■ jnica rl-
tliche Krajna c2-
539
nkt . --.,
• " 55j
Verzeichniss der Illustrationen.
Denkmal in Bosnisch-Brod i
In der Savegegend
Eisenbahnbrücke in Bosnisch-Brod
Dorfmoschee mit türkischem Friedhof
Schweinehirtin an der Save bei Bosnisch-Brod -
Kopf eines Mohammedaners
Ansicht von Doboj 9
Zuckerfabrik Usora 13
Nachtreiherkolonie im Bezirke Tesanj 15
Strasse in Maglaj 17
Maglaj von der Nordseite m
Totalansicht von Zenica 21
Vranduk
Central-Strafanstalt in Zenica 2;
Papierfabrik in Zenica 25
Kohlenwerk, nebst Eisen- und Stahlwalzwerk in Zenica 2"
Schlussvignette: Namenszug auf einem Diplom des Sultans Ghazi Ahmed Chan ... 27
Kopfleiste: Altbosnische Inschrift 2!S
Mühle bei Janjici
•Siegel aus Sutjeska
Ein Hadzija (Mekkapilger) aus Visoko 31
Kloster in Fojnica $2
Bauernbursche singt zur Tamburica (Motiv aus Kiseljak) ; ;
Katholisches Kloster in Kresevo (Winterbild) 34
Vor der Kirche in Kresevo 35
Altchristliches Siegel aus Komusina .V'
Bosnische Eisenerzeugnisse .^7
Anfangsvignette: Bosnischer Bauer 37
Gewerkschaft Dubostica 3$
.Stadtansicht von Vares
Altbosnische Erzaufbereitung bei Cevljanovic 4 •
Eisenwerk in Vares 42
Altbosnisches Eisenwerk (Majdan) bei Vares • 44
IX
Seite
Zenica 45
n 47
49
Kathedrale in Sarajevo 5°
Nothmünze aus Kupfer (Mangura) 52
5^ u- 57
urviertel 5*
Männlicher Einwohner 59
'. aus der < 'arsija 59
Sarajevo OI
ans Sarajevo OI
°2
- 63.
-ischen Teppich-Webeateliers in Sarajevo 64
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-Dzamija °7
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ilbasehi) . 69
Im türkischen Viertel 72
:.ithal mit dem Visegrader Thor in Sarajevo 74
lall Skakavac bei Sarajevo 75
- Sinan-Tekija in Sarajevo 76-
-;;;chterschule in Sarajevo 77
risch 79
Predigerstuhl] in der alten orientalisch-orthodoxen Kirche in Sarajevo ... 81
die in Sarajevo S2
atypen S4
85
uf Alifakovac 86-
... - 87
ina 89-
iei Sarajevo 96
" in Initial C 97
aakler) aus Sarajevo 98
101
104
ica 105
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107
109
1 10
1 1 1
1 1 2
on im Uidze 114
1 1 ^
1 17
1 d r Um in Sarajevo.) 119-
1 21
Kopfleiste: Einheimische Typen [22
^nfangsvignette : Einh rypen
Kozija-Cuprija (Ziegenbrücke} bei Sarajevo
Tragthier mit Heu beladen
Blick von Pale aui die Romanja-Planina
Hau bei Tale
Praca-Defile
Bauer im Alltagskostüm [Karolinensattel)
Praca mit der Ranjen-Planina
Rast bei >ler Feldarbeit (Pale)
Wölfe vor Beginn des Treibens auf der Ranjen-1 'lanin i
Alter Mohammedaner aus Gorazda
Junger Mohammedaner aus Gorazda
Weber
Korantext auf einem Säbel
Anfangsinitial: Kaffeetrinkeuder Bauer
Bosnische Bäuerinnen
Moschee
Holzverkäufer
Städterin aus Foca
Totalansicht von Foca
Partie aus Foca
Der Uhrthurm (Sahat-Kula) in Foca
Dzenaza (Todtengebet) vor der Moschee
Kopf eines Knaben
Auf der Zelengora. (Zwischen Foca und Gacko)
Bettler
Picea Omorica Pancie
Eckvignette: Baumgruppe
Alter Bauer aus Cajnica
Stadtansicht von Cajnica
Siegel des Despoten Stefan auf der goldenen Pulle desselben
Oesterreichischer Soldat auf Patrouille im Sandschak Novibazar
Metalkasattel
Totalansicht von Plevlje
Fliegendes Kaffeehaus im Sandschak
K. u. K. Kaserne bei Gotovusa
Orientalisch-orthodoxes Kloster Sveti Trojica (Dreifaltigkeit) bei Plevlje
Prijepolje im Sandschak
Brücke bei Prijepolje
Postfahrt mit Bedeckung im Sandschak
Jerinaburgruine bei Bistrica zwischen Priboj und Prijepolje
Priboj (Militärlager)
Türkische Kaserne in Priboj
Felspartie an der Drina
Flossfahrt auf der Drina
Stadtansicht von Visegrad
Brücke in Visegrad
Gemse aus de^ Gebirgen an der Drina
XI
>eite
rni Vrh l'iims Leucodermis-Grnppe' 200
201
,' : :i 204
inatha] 207
Lammbraten am Spiesse 209
Wäldern an der Drina 211
215
.: dem Titelblatt einer Evangelien-Uebersetmng aus der alten Bergwerksstadt
druckt in Venedig in altkroatischer Sprache 217
Srebrenica 220
rfabrilc in Srebrenica 222
rqaelle bei Srebrenica 224
Mohammedaner 225
bei Oprasic 226
I.eucodermis (Antoine) 227
über die Drinaca 22S
insicht von Zwornik 229
Zwornik, am Eingang vom Thor aus gesehen 231
Strasse bei Divie zwischen Srebrenica und Zwornik 232
mit dem Blick nach Serbien 233
tanz 234
:ines Eingeborenen 237
Prämiirte Kalber 23S
Flüchtige Wildschweine im Urinacagebiet 239
Darinkafelsen zwischen Xova-Kassaba und Drinaca 241
Kuslat zwischen Nova-Kassaba und Drinaca 242
nerknabe 243
Im Waldgebirge 244
nica 246
nica 247
-nja 24S
rlan Pji sak 249
kolac 250
rnmzdchen 251
-Planina 253
Rogatica 255
:i am Glasinac beim Dorfe Sokolac 256
aischen Waldgebiet 257
iiina (C)rlova Stiena) 25S
2r Q
dca 260
oac 261
_ 2g2
oß,
uanja 264
Rogatica 265
est Waschung vor dem Gebet) 267
26S
269
XII
»Gute Rast«. (Bauer aus Mokro) 270
Blick von der Romanja-Planina gegen Mokro 271
Im Bazar von Sarajevo 272
Station Ivan mit Tunnel - 7 >
Zwischen dein Ivan und Konjica 275
Die Lukaschlucht 277
Mühle bei Konjica in der Hercegovina
Konjica 2°!
Christliche Bäuerin aus Konjica
Im Narenta-Defile mit dem Blick auf den Prenj
Katholikin von der Zec-Planina
Am Fusse des Prenj 2S7
Landes-Hotel in Jablanica • 289
Im Narenta-Defile • . . 291
Flussansicht von Mostar 295
Hotel Narenta in Mostar 295
Im Bazar von Mostar 297
Die alte Brücke in Mostar 299
Eingang zur alten Mostarer Brücke 3°2
Im Brückenviertel 3°3
Partie am Flusse in Mostar 3°5
Moschee in Predhum (Mostar) 3°6-
Karagjoz-Moschee in Mostar 3°&
Im Brückenviertel von Mostar 3'°
Ein Bild aus Mostar " 3 ' '
Partie aus Mostar 3 ' -
Weinbaustation bei Mostar 3X3
An der Narenta (Mostar) 3 '4
Schlussvignette: Kopf eines Arbeiters 3n>
Forellenfang mit der Hand im Bunaflusse bei Blagaj 3' 7
Bunaquelle 3'9
Thekia an der Bunaquelle 3-°
.Särge im Innern des Türbe 32°
Burg Stjepanograd ,:l
Kafedzija in Blagaj 323
Militärpostvvagen an der Grenze 32S
Rückkehr vom Markte 3J,>
Nevesinje und das Nevesinjskopolje 32i>
Fojnicka Cuprija bei Gacko 329
Ansicht der Stadt Gacko 332
Mohammedaner »34
Arbeiten an der Kline bei Gacko 335
Cemerno •>•>'
Aus der Sutjeskaschlucht 339
Im Sutjeska-Defile. (Zwischen Gacko und IW 342
Stepen -^4->
Cisterne in der Hercegovina 34/
Golobrdo bei Korito 34*
Ansicht von Korito
XIII
Seite
5 C 2
°3
J"'-:)
354
355
35°
• - • • 35^
359
3oi
364
ra zur Erinnerung an den Besuch des Kronprinzen Rudolf 365
.. am Wege vom Lastvathal nach Grab in der Zubci . . . 366
I irab (Zubci) 3"7
rinischen Karst 372
lette: Mohammedaner zu Pferd 372
376
Neuin in der Enklave Kiek 379
as der Umgebung von Metkovic 3S0
Ine bei Metkovic 3^J
Metkovic an der Narenta 3^3
387
An d< ipljina 3°9
!;ina, von der Narenta aus gesehen 39°
391
misljic 392
ic 393
renta 395
: rabella 39°
Icke über die Buna) unweit Bla^aj 398
15. Jahrhundert 399
400
nathal 401
tha] 402
I 403
thale bei 1'rozor 405
406
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. . . . 41 1
4 1 ;
m Ramathale bei 1'rozor 415
.' kuf 410
line 417
419
420
j.22
4.26
42S
430
j 3 1
XIV
Seite
Lukasthurm in Jajce
Metjef (mohammedanische Religionsschule in Jajce) \\-
Am Plivafall 450
Ko/luk, Vorstadt von Jajce 452
Jezero mit dem Touristen-Pavillon 1.53
Siegel des Klosters Labostin in Duvno 1.55
Kopfleiste: Altbosnische Inschrift bei Kaostice
Travnik 1^7
Neue Medresse in Travnik |.6l
Livno. (Partie am Flusse)
Alpenhof auf der Krug-Planina (bei Livno) 463
Landwirtschaftliche Station Livno
Livno. (Partie bei der Quelle)
Station Oborci mit dem Komar
Bauer
Daphne Blagayana 47°
Auf der Strasse Jajce-Banjaluka 47'
Von der Strasse Jajce-Banjaluka. (Vor dem Tunnel.)
Auf der Vrbasthalstrasse
Partie von der Strasse im Vrbasthal 475
Von der Strasse im Vrbasthal 4 7''
Burg Krupa 47 7
Ruine Krupa von Norden 17S
Enge Tjesno an der Strasse Jajce-Banjaluka 47'.'
Zvecaj
Auf der Strasse im Vrbasthal
Am Park im Banjaluka
Totalansicht von Banjaluka
Stadttheil am Vrbastlusse in Banjaluka 4S,)
Vor einem Ducan (Verkaufsgewölbe) 49 *
Festung in Banjaluka 495
Ferhad Pascha-Moschee in Banjaluka 49<J
Trnppistenkloster Maria-Stern
Vrbasbrücke in Banjaluka 5°°
Auf dem Wege zur Stadt 5QI
Die Kolonie Windthorst im Entstehen 5°3
Kolonistenhaus in Windthorst 5°5
Rindertypus aus Windthorst
Bosnischer Schweinehirt -■,1°
Katholische Kirche in Windthorst 511
Deutscher Kolonist aus Windthorst 5 ' -
Sehulkindergruppe aus der Kolonie Windthorst 5 '4
Titel vignette: Süsse Ruhe
Ansicht von Prjedor
Falkenjagd auf Wachteln 5*9
Schlussvignette: Schweinekoben -",-'
Anfangsvignette: Baumgruppe
Kopfleiste: Altbosnische Grabinschrift
Stadt Krupa
XV
Seite
527
52§
53°
tische Pfahlbau in Bosnien) 531
lac bei Bihac 533
gefallenen Soldal nument in Zegar bei Bihac 534
.ler Quelle 535
536
«s mit Mühlen in Bakiaii 537
m Kohlenwerk Kreka 539
inica 541
lern Sprecatha] 543
544
Brennende HaMe 545
• Spiritnsfabrik Dolnja-Tozla 547
Im Kohlen werk 54S
lnja-Tuzla 549
r riamal] in Dolnji-Tuzla 551
-thurm im Kohlenwerk Kreka 553
• dem Markte in Tuzla 554
Dgrnbe an der Kreka 556
Totalansicht des Kohlenwerkes Kreka bei Dolnja-Tuzla 557
Siminhan mit Saline 550.
rirthschaftliche Station Modric ;6o
Gornja-Tuzla zur Türkenzeit 561
i-Tuzla C63
Reiter beim Wettrennen 564
Waldgebiet 567
e im Buche wie in der dem Werke beigegebenen Karte angewendete Schreibweise
hen und Eigennamen ist die in Bosnien-Hercegovina gebräuchliche. C (c) wird
cnen g ."• wie tsch, c etwas weicher, mehr an tsj anklingend, s wie seh,
a französische j in jardin.
^aC
Auf der Bosnabahn
Ueber die gros
Zug der ungarischen - hn um Mitternacht in
Bahnhof von Bosnisch-Brod ein. Ob man von
Budapest oder Agram kommt, stets hat man
lange Strecken Tieflandes durchzufahren und
der erste Kindruck, den man \ "ii Bosnien
empfangt, ändert in landschaftlicher Bezieh)
nichts an diesem Bilde. Brod liegt noch im
ethale und der etwa 2000 Bewohner
zahlende Ort bietet dem R
Interessantes. Aber die ersten Min..
weisen wie schlanke Finger zum Himmel,
sie zeigen, dass wir das Gebiet
betreten haben. Der Bahnhof liegt et
abseits vom Orte; die Waggons müssen hier
gewechselt werden, denn die 269 km lai
Strecke Brod-Sarajevo ist schmalspurig
baut und die Wagen sind bedeutend kleiner
als auf den normalspurigen Bahnen, d
aber -ehr bequem eingerichtet und von |
Hoher Sauberkeit. Es bestehen Plätze I., II.. III. und IV. Kla- mde
fahren durch r zweiter Klasse, auch die bosnischen K
leute und die mohammedanischen Grundb«
unter ihrer Würde halten, eine niedrigere Klasse zu benutzen. Die Fahr-
preise sind massig, für die unteren Klassen geradezu fabelhaft bi'
Verwaltung wird von der in Sarajevo etablirten Direktion d
hercesfovinischen Staatsbahnen gefuhrt.
Denkmal in Bosn.-Brod.
In Bosnisch-Brod, das
Türken auch Busud nennen, wahr-
scheinlich weil auf den ursprüng-
n türkischen Karten in Folge eines zuviel gesetzten Punktes in der
ii Schrift ein Druckfehler entstand, überschritt im Jahre 1697
Prinz Eugen vn Savoyen die Save auf seinem kühnen Zuge nach Sarajevo.
Hier vollzog sich auch am 29. Juli [878 der Uebergang der österr.-
hen Truppen unter FZM. Frhr. v. Philippovic und im Jahre 1885
• Kaiser Franz Joseph hier den bosnischen Boden. Ein Monument
diesen geschichtlichen Augenblick. In dem Städtchen zeigen
ne Moscheen und eine neuerbaute orientalisch-orthodoxe Kirche
hung der B ilkerung an. Wer aber das alte Brod gekannt
einer langen schmutzigen Gasse bestand, wird doch über-
•1 er heute den Ort betritt, die modernen Gebäude amt-
• und prival mmung sieht, wenn er den geschäftlichen Auf
ihrt. der sich vollzogen hat und noch stetig vollzieht. Die
•r Mohammedaner sind /.war noch immer die gleichen, sie sind
ll"l/ und hier in der Niederung, die Ueberschwemmungen aus
n Pfählen erbaut, sie zeigen noch immer wenig Sym-
aber das :-t türkische Sitte und im Einzelnen
auch schon auf europäisch gebaute Häuser Werth
jedoch die besondere Frauenabtheilung mit
Fenstern (Muscharabiehs) fehlen, ebensowenig,
nannte Divanhane, ein Balkon, der wieder
; hlosscn ist und wohl die Aussicht, nicht
^nden orientalischen Leben empfängt der
. wo er gewöhnlich eine Stunde Warte
inzch I \ ölkerung: I )er hoch-
irtigen breiten I losen,
die an den Unterschenkeln eng geschlossen sind, der türkischen farbigen
Jacke, dem breiten Shawl (Pojas) um den Leib, um den Fez das Turban-
tuch gewunden. Neben ihm sieht man den Mit ho, luxen Kaufmann, der sich
in der Kleidung, soweit er nicht schon gänzlich europäisirt ist, ähnlich, nur
in dunklen Farben trägt, dann den Spaniolen, die verschiedenen Vertret< r
des Hauernstandes, bei denen man an der Kleidung fa die Konfi
erkennen kann, und dazwischen die Uniformen des Militärs und der Civil-
beamten. Vereinzelt tauchen auch in den Wartesälen türkische Frauen auf,
tiefverschleiert mit Feredschi und Jaschmak, in plumpen gelben Stiefeln,
Eisenbahnbrücke in Bosn.-Brod.
einer Kleidung, die alle etwa vorhandenen Reize peinlich verhüllt. 1
und Trinken ist jedoch schon ganz abendländisch und die erste Stunde
auf bosnischem Boden ist noch Niemandem lan<rweili<r geworden. Wer
der Landessprache nicht mächtig i-t, kann sich deutsch vorzüglich
verständigen und dies nicht allein auf den Bahnrouten, sondern bei allen
Behörden des bände-, in den Gasthäusern, bei vielen Kaufleuten und
schliesslich bei den zahlreichen Eingewanderten. Unter der jüngeren bos-
nischen Generation giebt es schon eine Anzahl deutschsprechender I'er-
und zwar, ohne dass ein behördlicher Zwang ausgeübt worden wäre.
Von Brod aus durchzieht die Bahn das Savethal auf 2 Meter In
Dämmen im flachen lehmigen Boden mit ziemlich starker Humusschicht:
Luch Dampferstation der Saveschifffahrt
Semlin) und Novoselo und gelangt dann ins Ukrina-
Hügelausläufern der Vucjak-Planina durchzogen ist.
cht, eine an der Ukrina gelegene Stadt von beinahe
. 'iade während der Okkupation im Herbst und Winter
samml I meilenweit überschwemmt.
Kahn von der Save bis nach Dervent kommen konnten. Dervent
bst liegt recht malerisch auf zwei Hügeln, doch ist der neue Theil der
in der Ukrinaniederung erbaut. Bis zum Jahre 1886 befand sich
militärische Direktion der Hosnabahn. ehe sie nach Sarajevo ver-
t wurd Dervent befindet sich eine landesärarische Wein- und Obst-
•bstbau wird hier bevorzugt.
Von Dervent an steigt die Bahn in zahlreichen Windungen die Höhen
n durch d thal gegen Vrhovi. 1 :ic ganze Bahntrace Dervent-Vrhovi
m Rutschgebiete, weshalb grössere Einschnitte vermieden werden
;ten. Von Vrhovi entwickelt sich dann die Hahn in dem sehr coupirten
in mittels einer Doppelschleife und Ausfahrung der Seitenthäler derart
auf die Wasserscheide zwischen dem Save- und Hosnagebiet, dass sie diese
I [an Marica erreicht. Es ist ein wundervoller Anblick, der sich von
hier auf die Saveniederung, wie auf die Gebirgszüge der Motaica und des
ik bietet. Ueberall ist die Gegend gut angebaut, und erfreulich ist
i leiss der Bosnier, die bis in die Höhen die Felder bestellt haben.
arbeiten ja auch heute noch viel weniger als die Hauern in unseren
die landwirthschaftlichen Neuerungen finden aber nach und nach
bei ihnen und die Landesregierung sorgt durch landwirthschaftliche
Einführung besserer Arten Rindviehes, moderner Pflüge etc.
der liehen praktischen Unterricht. Die Hauern schaffen eben
ils ehemals, wo sie der Willkür der Grundherren oder der
•t/.t waren, die ihnen anstatt des gesetzlichen Drittels
Zehnten oft mehr als die Hälfte des Bodenertrages abnahmen.
vürlichkeiten gar nicht zu gedenken. Die bosnische Agrar-
m, war die Ursache der steten Unzufriedenheit und
irkischer Herrschaft. Nun besteht zwar auch
den Türken eingeführte, bereits reformirte Agrargesetz
der Hedschra) in Kraft, aber die Ausführung
•rden streng überwacht. An und für sich ist
Auch die Begs um\ Agas (die Grundherren)
dhabung zufrieden, weil ihnen nicht allein der
- Bodi icherer zufliesst, sondern weil die
rationeller arbeiten und immer weitere
werden. Uebrigens kaufen sich immer
I ' ibauern mit eigenem besitz.
Dnrfmoschee
mit türkischem
F r i e d h o f .
I )as bosnische < rrundrechl ist ein so
eigenthümliches, dass
eine kürzt- Darlegung
an der I [and der v or-
züglichen Ausführungen
des Sektionschefs I [errn
Eduard Ritter von Ho-
rowitz ( Die Bezirks-
Unterstützungsfonds in
Bosnien und der I Icrce-
govina i gestattet sein
möge.
Der Grund ui
ist Eigenthum des (irund-
herrn, der mit demselben
durch alle Arten der I
thumsübertragung inier vivos
und post mortem allerdings
nur unter gewissen Beschränkungen verfügen kann. Trotz dieser Einschränkung gleich)
Eigentumsrecht im Allgemeinen dem europäischen Rechtsbegriffe. Die Nutzung sc;:.
ist dagegen für den Grundherrn an eine bestimmte Form gebunden. Auf dem grundherrlichen
Boden sitzt der Kniet oder richtiger die Kmetenfamilie (die Zadruga, die Hauskommune) als
erbberechtigter Pächter. Solange die Zadruga oder erbberechtigte Familiengenossensch;'
Knieten besteht, bleibt das Pachtverhältniss aufrecht, es sei denn, dass gröbliche Pflichtvernach-
lässigung seitens des Knieten dasselbe gewaltsam bricht. Her Kniet hat dem Grundherrn gegen-
über die Pflicht, sein Bauerngut (Ciftlik' ordnungsmässig , d. i. als guter Hausvater zu be-
wirthschaften und ihm nach der Finte einen aliquoten Theil der geernteten Gewächse, und
zwar meist den dritten Theil (Tretina) in natura zu übergeben. Solange der Kniet
beiden Verpflichtungen nachkommt, kann der Grundherr weder ihn noch seine Rechtsnachfolger
von dem Gute verdrängen. Ebenso kann der Grundherr seinen Einfluss weder auf die Art der
von dem Knieten angewendeten Wirthschaftsmethode noch auf die Bewirtschaftung selbst aus-
üben. Kr kann z. IS. nicht verlangen, dass der Kniet eine bestimmte Getreideart anbaue, dass
er zweimal pflüge statt einmal u. dgl. Auf seiner Wirthschaft ist der Kniet sein eigener Herr.
Fahrnisse und Vieh bilden sein Eigenthum und letzteres ist mit keiner Giebigkeit belastet.
1 läutig ist auch das I laus mit Nebengebäuden Eigenthum des Knieten, während dasselbe
oft dem Grundherrn gehört und gleichfalls ein Pachtobjekt bildet, jedoch ohne dass der Kniet
eine besondere Leistung zu geben hätte. Endlich ist die einzelne Bauern wirthschaft eine un-
theilbare, sie kann nur getheilt werden, wenn Kniet und Grundherr sich zur Theilui
stehen und die Behörde die Theilung bestätigt. ( >hne Einverständniss des Knieten kann auch
keine Einzelparzelle vom Ciftlik abgelöst werden und bei Vernachlässigung der Wirthschaft
kann nur die Behörde die Entfernung des Knieten verfügen und durchführen.
Aus dem Geschilderten geht hervor, dass in Folge der Untheilbarkeit der Bauerngüter, in
Folge der namhaften Beschränkungen, die das bestehende Recht dem Gutsherrn auferb.
Bildung grösserer Wirtschaften auch rechtlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wird.
Grosse Besitze sind allerdings zahlreich, allein sie bestehen durchweg nur aus ein r
Anzahl zinspflichtiger Bauerngüter, welche demselben Grundherrn gehören, deren einzelne bis
zu 400, ja (>oo Kmetengiiter ihr eigen nennen. Neben diesem eigentümlichen
besteht aber auch freies Grundeigenthum. Nach der amtlichen Bevölkerungsstatistik von !
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i »er kaufmännische Kredit bei rein
Aktionen rechnete mit [8 pCt. und
Primasicherheit konnten vermögende Leute
mil 24 pCt. mühsam Geld verschaffen. Der
zahlte für -einen Personalkredit beim christ-
lichen Kaufmann (meist griechisch-orthodoxen Bekennt-
nd im Lande nur Serbe genannt) oder beim
ten spanischer Herkunft) für einen Du-
n einen Groschen die Woche. Ein Groschen ist ein
türkisch, etwa 9 Kreuzer. Da- macht im Jahre
etwa 100 pCt. und dieser Satz ist in diesem Geschäftsverkehr noch immer
der Bauer, der nicht lesen, schreiben oder rechnen konnte,
noch über- Ohr gehauen wurde, wollen wir hier nicht erörtern, es
würde den Rahmen dieser Darstellung weit überschreiten, doch möge Jeder,
der >ich für diesen Tunkt interessirt, Belehrung in dem oben angeführten
Werke von Ritter von Horowitz suchen.
kam denn die Landesregierung auf die Idee, Bezirks-L nter-
stützungsfonds zu gründen. Im Jahre 1886 wurde bei dem über den
Bezirk Gacko in der Hercegovina hereingebrochenen Nothstande der erste
ich gemacht. Drei Jahre hindurch hatte die Regierung dem vom Noth-
stande heimgesuchten Bezirke grössere Summen zu Darlehnszwecken ge-
spendet. Als Gacko wieder um Staatshilfe nachsuchte, wurde dem Bezirke
gemacht, die Regierung werde die bereits gespendeten Hilfs-
on 5000 fl. zu einer Hilfskasse hergeben, sie sei auch bereit, durch
re fünf Jahre alljährlich IOOO fl. in diese Kasse einzuzahlen, falls auch
rk -ich verpflichte, die gleiche Summe durch dieselbe Zeitperiode
hind eits in diese Kasse beizusteuern, sodass nach fünf Jahren
Summe von 1 5 000 fl. zusammengebracht wäre. Dic-e Kasse kam zu
urde ein Statut ausgearbeitet, in dem genau festgestellt wurde,
Bedingungen die eine- Darlehn- bedürftigen Bauern Gelder
en erhalten können. Es werden Darlehen gegeben zum
B Zahlung von Wucherschulden, zur Beschaffung von
ehfutter, zur Anschaffung de- unumgänglich nothwendigen
. zur Anschaffung de- Wirthschaftsgeräthes, fall- dasselbe
Darlehen werden mit 4 v. 11.. diejenigen, die zur
r Wirthschaft, Ameliorirung de- Bodens, zum Ankaute von
d, werden mit ö v. 11. verzinst
ich in Gacko glänzend bewahrte, wurde nun
wurden die noch aus türkischer
iden Hilfskassen, die sogenannten Menafi-
mdesregierung das Gründungs-
in fast allen Bezirken de- Landes vor-
banden und haben sich als ausserordentlich segensreich erwiesen. Gerade
der kleinste und ärmste Bauer kann sich mit <.\cn Darlehen in seinem
Wirthschaftsbetriebe helfen und sich auf eine höhere Stute bringen.
Auf Schritt und Tritt drängen sich Wahrnehmungen des wirtschaft-
lichen Fortschrittes Demjenigen auf. welcher das Land von früherher kennt
und darum glaubte ich den vorstehenden Hinweis nicht unterlassen zu
sollen. Der fremde zum ersten Male in Bosnien Reisende ist ja nicht im
Stande, sofort zu sehen, was mit grosser Ueberlegung, unter Anpassung
an Landessitten und alte Ueberlieferungen, unter Schonung konfessioneller
Eigenheiten, in so kurzer Zeit geschaffen wurde.
Bosnien und die Hercegovina zahlten zur Zeit der Uebernahme der
Verwaltung durch Oesterreich-Lhigarn i 336 091 Einwohner, wahrend die
Volkszählung des Jahres 1895 1 568092 Seelen aufweist. Von dieser
Gesammt-Einwohnerzahl entfallen auf diejenigen, welche sich vorzugsweise
mit der Landwirthschaft befassen, 1 385 305 Seelen, worunter 5832 Guts-
besitzer (Begs und Agas) und 27 642 als deren Angehörige, 86 869 Frei-
bauern und 437665 als deren Angehörige, 88971 Pachter (Knieten) und
510888 als deren Angehörige; sonstige bei der Landwirthschaft thätige
Personen und zwar 17256 Familienhäupter und 33671 als deren An
gehörige. Von dem Gesammt-Flächeninhalte Bosniens und der Hercegovina
von 5 102 700 ha entfielen zur Zeit der Okkupation schätzungsweise auf
Kulturboden einschliesslich Hutweiden 1 81 1 300 ha und auf Waldland
2727200 ha, wogegen heute 2335894 ha Kulturland und 2681 910 ha
Waldland vorhanden sind. Von dem Kulturland, das sich sonach seit
jener Zeit um rund 525 000 ha vergrössert hat, entfallen 1 030 248 ha auf
Ackerland, 39413 auf Gärten, 331 246 auf Wiesen, 5760 auf Weingarten
und 929 226 ha auf Hutweiden.
.... Von Han Marica aus senkt sich die Bahn, sie tritt in das
Velicanska- und dann in das anmuthige BosnathaJ ein, um dieses bis
Sarajevo nicht mehr zu verlassen. Zuerst wird das nur von Mohamme-
danern bewohnte Städtchen Kotorsko erreicht, dann windet sich die Bahn
in einem engen Defile, knapp zwischen dem Flusse und der nach Sarajevo
führenden Fahrstrasse, bis sie am linken Bosnaufer die Station Doboj er-
reicht. Gleich beim Austritt aus dem Defile steht rechts auf einer Anhöhe
ein grosses eisernes Kreuz, das FML Graf Szaparv. Befehlshaber des
dritten Armeecorps, den in den Kämpfen bei Doboj gegen die Schaaren
des Mufti von TasTidvca 1878 Gefallenen errichten Hess. Doboj selbst be-
rührt wie ein Stück Mittelalter. Auf hohem steilen Bergkegel erhebt sich
die alte verfallene Burg der einstigen Bane von Usora, mächtig und
malerisch. Ein Besuch der Ruine, der von der Car^ija (dem Marktviertel)
aus wenig Mühe, wenn auch einiges Steigen erfordert. i>t ungemein lohnend.
Nach Osten fällt der Blick über die Bosna in die malerische Wald- und
Spreöathales; nach Süden verfolgt das Auge eine Zeit
lang den Schienenstrang, von dem sich die Linie nach Tuzla und Siminhan
hier östlich abzweigt, nach Westen und Südwesten aber thürmt sich eine
dunkle Gebirgskette über der anderen auf. Eine Kuppe drängt förmlich
• andere; vom lichten Blau bis zum dunkelsten (dam und Schwarz sind
alle Schattnungen in der Färbung, Spiegelung und Bewaldung vertreten,
isersten Horizont die schneebedeckten Kuppen der Vucija-
und Vlasic-Planina in der Travniker Gegend das prächtige Panorama be-
: nst hatte die alte bürg als Sperre des Bosna- und des Spreca-
thales eine hohe Bedeutung; [697 wurde sie vom Prinzen Eugen von
yen auf -einem kühnen Zuge nach Sarajevo erobert, 1717 abermals
vom General Petrasch besetzt. Die alte Türkenstadt in Doboj mit ihren
drei Mosche« I 1 imija Ist der richtige Ausdruck) hat sich noch wenig
ndert, aber in der Niederung erheben sich überall neue europäische
iude, industrielle Anlagen, hinter dem Bahnhofe ein stattliches Hotel
mit Restauration und lang- der ganzen Bahnstrecke bis nach der nächsten
1 glaubt man durch ein nettes europäisches Dorf zu fahren.
Aar einst .anders in Doboj. und noch im Jahre 1886, als die Bahn nach
Tuzla eröffnet wurde, wusste man nicht, wo man sein Haupt hinlegen sollte.
Die Station Usora liegt wenige Kilometer hinter Doboj an der Hin
- gleichnamigen Flüsschens in die Bosna. Einst standen hier,
ine Brücke als Bindeglied der Brod-Sarajevoer Hauptstrasse über die
a fuhrt, zwei einsame Hauser auf einer Berglehne, nicht weit von der
ichen Abzweigung der Strasse nach der Kreisstadt Tesanj. Heute ist
den. Usora ist ein wichtiger wirthschaftlicher Mittelpunkt.
kerfabrik ist gegründet worden, und hier und in Prnjavor
sich die Hauptniederlassungen der »Bosnischen Holzexploitation«
Firma Morpurgo und Parente. Die 'letztere schloss mit der
[886 einen langjährigen Vertrag wegen Ausnutzung der
■ Knie, die sich in westlicher Richtung in den Wäldern
und Vrbas finden. Die Stamme werden zu Fassdauben
• ihren Weg meist nach Frankreich nehmen. Früher lieferten
1 Wälder diese Hauben; gegenwartig sind sie an altem Holz
B einigen zu können, und da tritt Bosnien in
• überreife Bestände hat. Hie letzte Wintererzeugung
wurde auf S Millionen Stuck franzosische Fass
1 • Binderholz geschätzt. Die Erzeugung
Holzfirma in Bosnien wird gleichfalls für 1895
und 50 — 60000 Eimer binderholz geschätzt.
Stellen des Landes wurde allerdings schon
'li<- Ausnutzung vorgenommen; es war aber
dem Mangel wirklicher Forstorerane wurden
Zuckerfabrik l'sora.
die Walder in Bausch
und Bogen verkauft
u\u\ rücksichtslos nie-
n. ( rlück
licherweise hind(
die mangelnden Ver
kehrswegi vvei
tere Verwüstung. Jetzt
dient die I !n1 f< rnung
der Waldriesen zur
Erhaltung des jungen
Bestandes und gleich
zeitig zur Schaffung
von Kommunikationen
in ( regenden, die noi h
lange solcher ent-
behren wurden. Die
genannte Triester
Firma hat nicht allein
eine eigene Linie von
l Isora mit der Station
Doboj hergestellt
wie es ja bei allen
grössenen Fabriken in
unseren Landern der
Fall ist - sie musste
auch sehr solide ausge
führte Schlepphahnen
t'ur Verfrachtung de-
Holzes nach den
I lauptschlägen hauen,
und diese dringen
immer weiter nach
Westen vor, sodass
sie wohl eine- schönen
Tages die Hahnlinie
Banjaluka I )oberlin er-
reichenwerden. 1 leute
hat die Usorabahn -
wie sie genannt wird
— bereits eine Länge
\ on 40.3 Kilometern.
Endet der Kontrakt mit der Firma, so fällt die Bahnanlage der Landes-
regierung zu, die dann schon für den weiteren Ausbau -orgen wird.
Von hervorragendster Bedeutung für die bo-aiische Volkswirtschaft
ist jedoch der durch die angelegte Zuckerfabrik und Raffinerie bedingte
Rübenbau geworden, eine Kultur, welche der bosnische Bauer gar nicht
kannte. Im Jahre 1894 aber erstreckte sich der Rübenbau bereits auf
1 1 Bezirke und 6 Exposituren, d. h. auf 17 Distrikte mit einer Anbaufläche
von über 2000 Hektaren und einem Ernteergebnks von über 300000 q
Rüben. Jetzt ist der Rübenbau für den Einheimischen kein unbekannte-
Gebiet mehr; wahrend früher nur auf das Erträgniss des Kukuruz und der
Zwetschke gerechnet wurde, hat sich in diesen Landestheilen der Bauer
schon daran gewöhnt, wenigstens so viel Rüben anzubauen, dass er für ge-
wisse Zwecke ein bestimmtes Erträgniss gesichert hat. Es waren bisher
6 Oekonomiebeamte und gegen 40 Rübenvorarbeiter zur Anleitung der
Pflanzer zu einer rationellen Kultur aufgestellt, sind auch Prämien für jene
Pflanzer ausgesetzt, welche ihre Rübenfelder der nothwendigen Herbst-
ackerung zeitgemäss unterworfen haben. Unter die Pflanzer wurden 1894
für Rübenbau 320 000 fl. ausgezahlt, ein Zeichen, dass die Zuckerindustrie,
wenn die Rübenkultur stetig fortschreitet, zu einer hohen Wichtigkeit in
Bosnien gelangen kann. Mit der Zuckerfabrik ist eine grosse Mastvieh-
anstalt verbünden, welche die Thiere auf die österreichisch -ungarischen
Markte liefert. Die Zuckerfabrik - Gesellschaft (Aktien - Gesellschaft für
Verarbeitung und Verwerthung landwirthschaftlicher Produkte) wurde 1892
mit einem Aktienkapitale von 1 Million Gulden ins Leben gerufen. Durch den
Rübenanbau vollzieht sich zwischen Doboj und Zenica auch die Ansiedelung
von 400 bis 500 Äuswaridererfamilien, unter denen sich besonders Tschechen
befinden, die, weil sie in Russland das Ziel ihrer Wunsche nicht fanden,
-ich in Bosnien eine bessere Zukunft zu gründen hoffen.
Ein Ausflug von l'soia oder von Doboj aus mit der Militärpost
nach Tesanj ist lohnend. Auf guter Fahrstrasse über Turski-Malinovac,
Trnovaca, an einigen kleineren mohammedanischen Dörfern vorüber, wird
die ziemlich ausgedehnte Stadt, die nach der Volkszahlung von 1895
6736 Bewohner zahlt mach der Volkszählung von 1885 5809 Ew.), in ihrer
Mehrzahl Bekenner des Islams, erreicht. Noch sind die Walle der einstigen
alten Veste gut erhalten, und stolz erheben sich auf einem steilen Fels-
kegel im Süden die Reste der alten Burg der Baue von Usora. Zum
■1 Male eroberten che Türken 1463 die Festung, doch wurde sie
ihnen noch im selben Jahre vom König Mathias Corvinus entrissen, und
erst 1520 setzte sich der Mohammedanismus beständig hier fest. Prinz
Eugen, der edle Ritter, nahm sie zwar am 1. November 1007 durch
lerrumpelung, aber er konnte sie auf seinem Streifzuge nicht halten,
er konnte nur zerstören, und auch da widerstanden ein Wartthurm und
die festen Mauern zum Theile bis heute, wo
Tesanj abseits der grossen Verkehrswege liegt.
Hinter Usora übersetzt die Bahn die Bosna
auf eiserner Brücke, und in prachtvoller Wald-
und Gebirgsgegend tritt sie in das Defile von
Kosna. Es war bei meiner letzten Reise gerade
Morgen geworden, als wir die inmitten des
Defiles liegende Station Trbuk erreichten. Hier
überblicken wir am linken Bosnaufer den
604 m hohen Trbacko-Brdo, dessen Abfalle S
dicht an die Bosna treten, sodass die Strasse
in die Felsen gesprengt werden musste. Wir
übersehen das Terrain de-- Gefechtes von Kosna
am 4. August 1878; oberhalb Lipac jedoch, wo Graf Szäpäry am 5. September
den Sturm auf das Insurgentenlager de- Mufti von Tasli reich
durchführte, kreisen machtige Adler. Links von der Station Trbuk, deren
Gebäude wie eine Schweizer Idylle in der YValdwildniss liegen, erblickt
man den gegen die Thalsohlc senkiecht abfallenden Schachinkamen .
den Falkenstein. Hier nisteten einst Edelfalken, die übrigens in Bosnien
auch heute noch nicht ausgestorben sind und sogar noch von einzelnen
Begs zur Jagd benützt weiden. Nunmehr sind am Falkenstein« nur
mächtige Adler in unzugänglichen Horsten angesiedelt.
Auf eiserner Brücke wechselt die Bahn wieder das Bosnaufer; sie tritt
in eine ziemlich weite, gut angebaute Ebene, die von Höhenzügen begrenzt
wird. In Station Maglaj hält der Zug, einem in Bosniens neuester Geschichte
sehr bekannten Orte. Die malerisch gelegene Stadt mit 3000 meist moham-
medanischen Bewohnern liegt am rechten Ufer der Bosna, sich an den
Fuss des Ozren und seiner Auslauter anschmiegend. Schon von Weitem
wird ein . gut erhaltenes Kastell mit machtigen Thürmen auf einem
steilen Bergkegel über der Stadt sichtbar. Dann aber tritt, ganz am Flusse,
das imposante Minaret einer der schönsten Moscheen des Landes vor
Augen, um die sich freilich türkische Holzhäuser in alter Schäbigkeit
gruppiren. Weiter aufwärts am Flusse erst stehen villenartige Gebäude
von Grossgrundbesitzern. Aber gegen einstmals hat sich in Maglaj viel
geändert. Das linke Bosnaufer ist ganz europäisch geworden; hier steht ein
es .Militär- Barackenlager, von dem aus eine neue Brücke über die
Bosna fuhrt. Am Brückenkopf steht ein Obelisk, das Denkmal für die am
3. August 1S7S gefallenen Husaren. Doch heute wollen wir nicht mehr
düstere Erinnerungen wecken; vorüber sind die Zeiten der Stürme und
Kämpfe; wir freuen uns der wirthschaftlichen Arbeiten einer neuen, fried-
lichen Zeit.
Und weiter führt die Bahn zwischen dem grünen Bergrücken des
Sikola-Brdo und der im steinigen Bette schäumenden Bosna nach Süden.
Es ist ein malerisches Defile, begrenzt von dem Blezna und dem Pazaric,
Hügeln von über 600 m Höhe. Dann breitet sich ein saftig-grünes Thal
aus, an dessen Beginn die Station Klobarica, an dessen Ausgang —
1 1 km weiter — die Station Zavidovic liegt. Links von ihr ist der Ein-
gang in das wildromantische Krivajathal. Dann wird Zepce erreicht, ein
in Bosniens älterer und neuerer Geschichte oft genannter Ort, bei dem
auch 1878 ein Treffen stattfand. Es ist ein wunderlieblicher Kessel, in dem
die kleine Stadt liegt, und am Bahnhofe wird ausgezeichnetes Obst verkauit.
Spottbillig sind jene Früchte, die Bosnien jährlich Millionen Gulden ein-
bringen: die Zwetschken, welche als »türkische Pflaumen« in gedörrtem
Zustande in die ganze Welt gehen. Haupt-Ausfuhrort ist die Stadt Brcka
an der Save, die neuerdings durch eine Brücke mit dem slavonischen Ufer
verbunden wurde, von wo Eisenbahnverbindung besteht. Die Posavina, die
fruchtbare Ebene des bosnischen Nordostens, liefert die höchsten Erträg-
nisse, doch sind die Zwetschkengärten — oftmals förmliche Wähler —
im ganzen Lande zu linden.
Die Stadt Zepce bietet wenig Sehenswerthes, dabei aber doch etwa-.
das, eine Errungenschaft der Gegenwart, jetzt in vielen Städten und Dörfern
des Lande- als ein Wahrzeichen gelten kann: eine schöne Volksschule.
Wo einst ein altes, verfallene- Kastell als Zwing-Uri der Feudalzeit stand,
erheb: -ich jetzt ein helle-, freundliches Gebäude, mit hohen Zimmern und
t6
Strasse in Maglaj.
weiten Fenstern, da-
mit Gottes Sonnen
Hellt voll hineinsehen
kann in die Klassen
der »Narodna
osnovna skola« — ■
der öffentlichen
Volksschule. In ihr
sitzen die Kinder
mohammedanischen,
orientalisch - ortho-
doxen und katholi-
schen Bekenntnisses
friedlich neben ein-
ander; in diesen
Schulen wird der
Keim zu jener Ver-
söhnung und Ver-
brüderung gelegt,
die dem bosnischen
Volke von jeher man-
gelte. Von den älte-
sten christlichen
Zeiten an zerrissen
Religionskämpfe das
sonst so kerngesunde
Volk, und als in den
steten Bekehrungs-
kämpfen zwischen
Orthodoxen und
Katholiken sich die
.Masse des Volkes
den Patarenern oder
Bogomilen in die
Arme warf (die man
am boten als die
Protestanten
Bosniens bezeichnen
kann), weil deren
einfache Glaubens-
regeln und ihr jeder
Ceremonie abholder
Maglaj von der K
ssdienst dem einfachen Sinne des Waldvolkes am meisten zusagten, da
wurden Kreuzzüge veranstaltet. Ungarns Könige wurden zu Vollstreckern des
päpstlichen Willens ausersehen, und wenn auch stets weltliche Zwecke mit
verbunden wurden, konnte es doch nicht ausbleiben, dass das bosnische
Volk geschwächt, in seiner Widerstandskraft immer mehr gelähmt wurde.
Die Bane, Zupane und Könige des Landes standen bald auf katholischer,
bald auf bogomilischer Seite; im Namen des Gottes der ewigen Liebe
wurde das Land verheert, Thronwirren thaten das Weitere, der Hass der
Söhne eines Volkes gegen einander nahm immer zu, bis schliesslich die
Osmanen an den Grenzen standen und nun leichtes Spiel hatten, in Bosnien
festen Fuss zu fassen. Der langjährige Widerstand, den einige feste Platze
leisteten, zeigt, dass es den Türken kaum gelungen wäre, das Reich zu
unterjochen, wäre ihnen eine einheitliche Nation gegenübergestanden. Aber
froh, den steten Verfolgungen zu entgehen, traten die Bogomilen meist
zum Islam über; der im Innern seines Herzens und auch vielfach äusserlich
patarenisch gesinnte Adel folgte dem Beispiele, wo er nicht selbst voran-
ging, und so vollzog sich die Mohammedanisirung Bosniens und der Herce-
govina rascher und gründlicher, als in jedem anderen Balkanlande. Es
ist nicht meine Aufgabe, hier eine Geschichte der Bogomilen zu schreiben,
dies ist von berufener Seite zum Theil geschehen, aber erwähnen muss
ich diese Periode, denn auf allen Wanderungen im Lande stösst man auf
die Grabdenkmäler der Bogomilen, grosse sarkophagartige Steine von oft
kolossalen Dimensionen, bald mit, bald ohne Gravirungen. Fast alle
Funde sind in der Sarajevoer Museumszeitschrift (»Glasnik zemaljskog muzeja
u Bosni i Hercegovini«), von der auch vier Bände in deutscher Ueber-
setzung vorhegen, mit Abbildungen und Beschreibungen erschienen, und
Interessentenkreise müssen auf diese Quelle verwiesen werden. Die moham-
medanische Zeit, die eine Rajah schuf, die rechtlos war, konnte
die religiösen Grundsätze nicht ausgleichen, sie konnte sie nur noch
vertiefen. Denn der zum Islam übergetretene slavische Bosnier wurde
ein fanatischerer Mohammedaner, als sein osmanischer und asiatischer Ge-
nosse, und gerade Bosnien blieb bis zur Okkupation der Sitz des sogenannten
Alttürkenthums. Als Sultan Mahmud in den zwanziger Jahren unseres
Jahrhunderts die Janitscharen niedermetzeln liess und administrative wie
militärische Reformen einführen wollte, da erhoben sich die bosnischen
Mohammedaner; unter Hussein Berbirli Aga, dem genialen Kapitän von
Gradacac, säuberten sie das ganze Land von den osmanischen Beamten
und Soldaten. Mit den Albanesen unter Mustapha Pascha von Skutari
vereinigt, zog das bosnisch-albanesische Heer gegen den Giaursultan von
Stambul, und es wäre vielleicht, da der russisch-türkische Feldzug von
I.X2N — 29 erst beendet war, der verwegene Plan gegluckt, wenn nicht
der Grossvezier Zwietracht in das Lager der Aufständischen gesät hätte,
sodass Bosnier wie Albanesen auf getrennten Wegen wieder in die
Heimath zogen. Aber es dauerte Jahre, ehe die bosnischen Emp
gebändigt waren, ehe Hussein Berbirli Aga, der Zmaj bosanski (der Drache
Bosniens), wie er sich nannte, auf ungarischem linden eine Zuflucht suchte.
Und dann kam 1839 unter Sultan Abdul Medschid die Verkündi
des Hattischerifs von Gülhane, der die Gleichberechtigung der Rajah mit
den Mohammedanern in feierlichster Weise aussprach. Wieder loderte
der Aufstand in hellen Flammen auf; der Vali wurde vertrieben, Bosnien
regierte sich selbst! Da kam [849 nach der Niederwerfung Albaniens
Vranduk.
Omcr Pascha nach dem revoltirenden Lande. Am 30. Oktober [850 schlug
er das Heer der Begs bei Zepce in einer entscheidenden Schlacht; alle
Gefangenen wurden erbarmungslos geköpft oder ertrankt, ein Theil zierte
die Bäume der Strasse nach Maglaj. Dann wurde das Blutgericht
in allen Theilen des Landes fortgesetzt; in Sarajevo wurden selbst die
Unterhändler, die ins Lager kamen, auf der Gorica gehängt. I Jamals
sank die Blüthe des alten bosnischen Adels in den Staub und er konnte
sich nie mehr zu der früheren Macht erheben. Der 1 lat- i- Humayum
vom Jahre 1856 stiess mehr auf passiven Widerstand. Sorgten doch
die ottomanischen Beamten dafür, dass den Christen ihr Recht nicht
wurde. Dafür griff die Hercegoviner Rajah 1X75 zu den Watten, sodass
nie Ruhe und Ordnung in dem unglücklichen Lande eintrat. 1 >em
Aufstande in der Hercegovina folgte im gleichen Jahre ein verheerender
Bürgerkrieg in Bosnien, der mehr als iooooo Christen veranlasste, sich
vor den Mohammedanern in die österreichisch -ungarische Monarchie zu
flüchten, und der schliesslich zur Okkupation im Jahre 1878 führte. Wohl
beschritten die Mohammedaner den Kriegspfad, sie kämpften an ver-
schiedenen Orten mit grossem Heldenmuthe gegen die kk. Truppen, aber
ihr Widerstand wurde gebrochen und für Bosnien- Hercegovina begann
eine neue Zeit.
Die Erregung hat sich längst gelegt, gerechte Gesetze, vollkommene
Religionsfreiheit, Achtung der Sitten und Gebräuche haben bei den
Mohammedanern einen grossen Umschwung hervorgebracht. Sie können
heute als in jeder Beziehung treu und verlässlich bezeichnet werden, und
wenn sich in so Manchem noch der Groll gegen seine einheimischen chri>t
liehen Mitbürger regen mag, die jetzt die gleichen Rechte gemessen, so
i-t auch dies nur eine Uebergangszeit, und die Empfindungen sind erklärlich.
In die jüngere Generation muss der Keim der Zusammengehörigkeit gelegt
werden und dazu tragen die Schule und der Militärdienst bei. Mit der
ersteren ging es nicht so schnell, denn es bestanden und bestehen eine An-
zahl konfessioneller Schulen, auch höheren Grades, und die Mohammedaner
hatten im ganzen Lande ihre mit den Moscheen verbundenen Lehranstalten.
So wurden denn nach und nach öffentliche allgemeine Volksschulen ein-
gerichtet, an denen nur der Religionsunterricht getrennt ertheilt wird.
Anfangs misstrauisch aufgenommen, hat sich diese Einrichtung sehr segens-
reich erwiesen, und heute existiren schon zweihundert solcher Schulen, ab-
gesehen von Gymnasien und Handelsschulen, aut die wir an geeigneter
Stelle zu sprechen kommen. Und wo man immer reist, in Ost und Süd,
in West und Nord, überall entstehen neue Schulen, nicht allein als Stätten
der Bildung, sondern auch der Ausgleichung und Versöhnung. Wenn
daher auch Zepee eine reizende Umgebung besitzt, wenn auch der 597 m
hohe Orlovik des Besteigens werth ist, -- die für mich anregendste Sehens-
würdigkeit blieb die Volksschule.
Die Bahnstrecke von Zepee bis Zenica wechselt zwischen wildroman-
tisch und lieblich in jäher Folge. Bald kommt ein Stück der grünen
Steiermark, bald ein Theil der Tiroler Alpen. Dicht hinter Zepee vollzieht
die Mahn wieder den Wechsel aufs rechte Ufer der Bosna. Immer höher
erheben Meli die Berge; die Rucanjska Kosa und der Orlovik treten ganz
nahe an den Fluss heran: die Hahn und du- Fahrstrasse sind buchstäblich
in die Felsen gesprengt. Bei Station Han Begov wurden beim Hahnbau
alte Gräber aufgedeckt und Münzen aus der Zeit Tvrtko I. (1353 — 1391)
gefunden. In grossem Bogen umzieht die Hahn den reichbewaldeten Tulak
und erreicht Nemila in wundervollster Gebirgsgegend. Nach wenigen
Kilometern wird auf hohem, schroff gegen den Fluss abfallendem Berge
— 24 —
Papierfabrik in Zenica.
plötzlich einevon einem
Kastell überragte ( >rt-
schaft sichtbar, welche
die Stra :rrt und
die Bosna beherrscht.
Es ist das berüchtigte
Vranduk, das unzähli
.Male von Ungarn, b
nischen I lerrschern und
Türken erobert werden
musste. Noch 1 503 ging
hier die Grenze zwischen Ungarn und der Türkei. Prinz Eugen nahm
das Kastell, nachdem er vorher mit seinen Reitern aut dem anderen Bosna-
ufer eine Umgehung vorgenommen. 1 878 leistete es keinen Widerstand,
obschon ursprünglich die Aufständischen die Vertheidigung beschlo
hatten. Es ist ein ansagbar trostloser und verwahrloster Ort in der impo-
santesten Gegend; die an die Felsen geklebten zerfallenen Häuser gleichen
durchweg Ruinen.
Und immer hoher erheben sich zu beiden Seiten die Berge. Der \ epar
links und der Lisac rechts engen die Bosna gänzlich ein, die im schmalen
steinigen Bette schäumt und rauscht, bis sich auf einmal ein breite- und
liebliche- Thal öffnet, von grünen Hügeln umschlossen: Zenica. liier hatten
wir [878 in der gastlichen Franziskanerpfarre einen gemüthlichen Nach-
mittag verlebt. Aber das einstige Zenica ist schon lange nicht mehr zu
erkennen. Nach allen Seiten hat es seine Glieder gestreckt, grosse Rauch-
fänge zeugen von industrieller Thätigkeit. Das sehenswertheste < icbäude
in oder richtiger ausserhalb Zenica ist die grosse Central -Strafanstalt, die
nach dem progressiven (irischen) System eingerichtet und in einer
idyllischen Landschaft, umgeben von schönen Anlagen, gebaut ist. Die
Sträflinge werden mit industriellen und landwirthschaftlichen Arbeiten
beschäftigt. Es ge
hört der Anstalt ein
bedeutender Grund-
komplex, der ange-
baut wird; ausser-
dem sah ich aut
kahlen Bergabhän-
gen den Beginn einer
neuen Waldkultur.
In künstlich ge
schaffene Gruben
wurden Raumchen
ral-S traf anstatt in Zenica.
-5
Kohlen werk, nebst Eisen- und
Stahlwalzwerk in Z e n i c a.
gepflanzt und dort werden sie gepflegt und begossen. Es sind bereits
2000 Stück Zwetschkenbäume und Nussbäume gepflanzt worden. Arbeiter
sind die Sträflinge, die sich ihrem Aussehen und ihrer heiteren Laune
nach in sehr erträglicher Lage zu befinden scheinen. Freilich sind in der
Anstalt alle Errungenschaften der modernen Kultur in sanitärer Beziehung
eingeführt.
In Zenica besteht eine Papierfabrik, die zum grossen Theil den
Bedarf der Behörden des Landes deckt, aber auch anderweitige Bestellungen
annimmt und ausfuhrt. Ein Kohlenbergwerk, das ursprünglich durch den
Kohlen- Industrie -Verein, seit 1884 aber von der Regierung ausgebeutet
wird, besitzt noch grosse Zukunft (1895 betrug die Förderung 520000 q
bei einer Arbeiterznhl von 250), da die Kohlenflötze äusserst ausgedehnt
sind und die Kohle sogar im Bette der Bosna offen zu Tage tritt. Auch
hat die Regierung ein grosses Walzwerk errichtet. Was Zenica jedoch ein
50 freundliches Aussehen verleiht, ist das viele frische Grün der Gärten,
welche die weissen modernen und die dunkeln Holzhäuser der ein-
heimischen Bauart umschliessen. Schlanke Minarets lugen aus buschigen
Baumgruppen hervor, Gastwirthschaften mit netten Gärten sind an allen
Ecken und Enden zu finden, wie auch an Hotelunterkunft kein Mangel
ist. In Zenica ist sehr viel geschehen; die Stadt dürfte sich bald zu einem
industriellen Mittelpunkte entwickeln; wenigstens ist viel im Werden be-
griffen und noch mehr geplant.
Den Hahnhof Zenica verlassend, durchschneidet die Hahn einen Theil
des 6 Kilometer langen Thaies, das im Norden und Nordosten von den
Ausläufern des Lisac. im Westen von der 1008 Meter hohen Rieica, im
26 —
Süden vom Katun, Zeracevic und Svecaj begrenzt wird. An der Straf-
anstalt vorbei tritt die Hahn in das Defile der Kukavica und erreicht die
Station [anjici, einen hübschen Ort von einem halben Tausend Bewohnern
mit einem guten Gasthause. Die kommende Strecke ist durch die bizarren
Formen der Sandsteingebilde an den rechtsseitigen Bergabhängen sehr
interessant, doch dauert die Fahrt nur kurze Zeit bis zur Station Lasva,
wo sich ilie Strecke nach Travnik, Bugojno und Jajce abzweigt, jener
Linie, über die in nicht zu ferner Zeit der Verkehr von Dalmatiens grösstem
Seehafen, von Spalato, in das bosnische Netz fluthen wird. Hinter der
Lasvabrücke wird der einzige, 45 m lange Tunnel der Bosnabahn passirt,
dann die Stationen Gora und Kakanj-Doboj erreicht. Von der an der
Einmündung des Trstenicathales liegenden Haltestelle Catici aus bieten
sich lohnende Ausflüge nach dem ältesten Franziskanerkloster Bosniens,
Sutjeska, und nach der Ruine des alten Königsschlosses Bobovac. Bis
Sutjeska geht eine Fahrstrasse, während anderthalb Stunden weiter nach
Bobovac nur ein Reitweg führt.
Die Schlussvignette ist der Namenszug auf einem Diplom des Sultans Ghazi Ahme..
Chan ii 27 n. d. Hedschra, 17 14 n. Chr.)
€ K/'U^M t M MIN V» b C e 4 &j
bot 4 H*ee
Abseits vom
Schienenwege.
Sutjeska (Suceska) liegt unge-
mein malerisch am südlichen Fusse
des Tesevo. Der Ort zahlt etwa
50 Häuser und doch war er einst
die Residenz bosnischer Herrscher,
die sich hier in dem präch-
tigen Thale, das im Osten
vom Brojsinovac und der
Vucja-Jama, im Westen
nächst dem Tesevo von
einer Reihe mächtiger Fels-
wände begrenzt wird, einen
prächtigen Palast erbaut
hatten. Durch seine Ruinen
dringt heute bei Regen-
wetter der Urvabach; aus
den öden Fensterhöhlen
sieht das Grauen, und hier
wie in den mächtigen Qua-
dern von Bobovac hält das Kauzchen nächtliche Klage über die glänzenden
. die einst das Gemäuer gesehen, aber auch über die Unthaten, über
..»->
Mühle bei Janjici.
enthält eine altbosnische Inschrift unter üzipe. (»Ase ovoi Kamenie
uzvuce Radovan Bratol s Krstijaninom Sradi za Zivota im sc.. Zu deutsch: t Diesen Stein '
Radovan Bratol mit einem Christen [d. h. Angehörigen der Boguinilensekte] her. Er
an.
— 2S
Lüge und Verrath, die am bosnischen Königshofe gebräuchlich waren
und die den Sieg der Osmanen mit ermöglichten. Nur ein Zeuge der
grossen Vergangenheit hat sieh erhalten: das Franziskanerkloster, das,
in einem dichten Eichenhaine gelegen, durch Berge und Hügel von
allen Seiten geschützt, alle Stürme siegreich überwunden hat. Im 14. fahr
hundert dürfte das Kloster gegründet worden sein, jedenfalls bald nach-
dem die Jünger des heiligen Franz von Assisi ihren Weg nach Bosnien
genommen. Nach der Eroberung Bosniens durch Sultan Mehmed II. und
Zerstörung der alten Königsburg 1464 erwirkten die Franziskaner in Su-
tjeska einen Schutzbrief, der ihnen das fernere Verweilen gestattete. Wie
nun Fra Raphael Barisic in den Wissenschaftlichen Mittheilungen« des
Sarajevoer Museums erzahlt, zerstörten unter der Regierung Sulejmans II.
die zum Islam übergetretenen Patarener unter Führung Hassan Beys (von
1521 — 1531 Statthalter in Bosnien) das Kloster, gleichzeitig mit denen in
Fojnica, Kresevo, Visoko und Konjica. So ganz grundlich scheint die
Zerstörung nicht vollzogen worden zu sein, denn nach 30 Jahren stand es
wieder fertig da, wobei eine Bestechungssumme von 900 Dukaten an die
türkischen Beamten die religiösen Bedenken der Bekenner Mohammeds
beschwichtigte. Aber 165S brannte das Kloster ab, nur die Kirche blieb
erhalten. Nach sechs Jahren war es abermals aufgebaut und eine an der
westlichen Pforte befindliche Steinplatte giebt heute noch davon Kunde.
»Hoc Mo ste. Minor. Babte Dni Dicatv . A. 1658. Solo Ecvat.
Reedificarvt P. P. Svtiske Anno 1664. Gvardianatv P. Fra
Michaelis Bresanin. Assistente R. P. F. Stephano glvmichich.
Die schlimmste Katastrophe brach jedoch nach der Niederlage der
Türken unter den Mauern von Wien über das Kloster herein, als es in
Folge von Steuern und Brandschatzungen so in Schulden versank, dass
Kirchenparamente und heilige Gefässe versetzt, die Beschläge und Schlösser
der Thüren abgerissen und verkauft werden mussten. Wegen der steten
Verfolgungen verliessen die Ordensbrüder mit Erlaubniss des Veziers das
Kloster, umgaben es mit einer dichten Dornhecke und Hessen in dem
leeren Gebäude nur einen Wächter zurück. Sechszehn Jahre lebten die
Mönche theils in Höhlen, theils als Weltliche verkleidet unter den Bauern,
denen sie die Tröstungen der Religion trotz aller Verfolgungen spendeten.
Elend, Verfolgung und Hungersnoth brachten 1686 eine Anzahl Patres dazu,
gegen 20 000 ihrer Glaubensgenossen über die Save auf kroatisches Gebiet
zu flüchten. Im Klosterarchiv zu Sutjeska finden sich in der Chronik des
Fra Bono Benic sehr interessante Aufzeichnungen über jene Leidensperiode:
»Volk und Priester nährten sich von Gras und Baumrinden und" verkauften
ihr letztes Kleid für ein Stück Brot. Viele starben vor Hunger.
— 29
Siegel aus Sutjeska:
S. MINISTRI GNLIS TOTIUS ORDS
FRANC. (Siegel des Generalministers des
gesammten Franziskanerordens.)
Wahrscheinlich von 134°-
Al^cr es kamen auch wieder bessere
Zeiten. 1698 wurde das Kloster neuerdings
bevölkert, es blieb jedoch arm, denn die
Mehrzahl der katholischen Pfarrkinder hatte
in Kroatien eine neue Heimath gefunden.
Die Mauern verfielen, Erdbeben und herab-
fallende Felsstücke brachten Schaden, eiserne
Schliessen und Zäune mussten vor dem Ein-
fallen schützen. So blieb es bis zum Jahre
182 1, wo der in Travnik residirende Vezier
Dschellaleddin Pascha gegen einen Bakschisch
von 15770 Groschen eine Erweiterung und
Ausbesserung des Klosters gestattete; eine
abermalige Erweiterung wurde 1831 vor-
genommen (Bestechung 8256 Groschen 20 Para). 1888 wurde ein Neubau
aufgeführt, der wieder viele interessante Reste der Vergangenheit beseitigte;
wenn auch nicht in architektonischer, so doch in geschichtlicher Beziehung
ein Verlust.
Die Klosterbibliothek ist eines Besuches werth. Da finden sich einige
tausend Bände alter kroatischer Werke, italienische und lateinische theo-
logische und klassische Schriften, die griechischen Klassiker in allen
möglichen Ausgaben u. s. w. Was aber das künstlerische Interesse erregen
muss, ist das Originalportrait des bosnischen Königs Stefan Tomasevic-
Ostojic in geschnitztem Rahmen. Das Bild zeigt den König im Panzer,
mit silberdunchwirktem, mit Goldborten eingefasstem Mantel, dessen Schulter-
theil mit Hermelin verbrämt ist. Er trägt die Krone auf dem Haupte,
das Scepter in der Hand. Das echt südslavisch markante Gesicht zeigt
kräftige, gesunde Farbe, schwarze Augen mit schön geschwungenen Brauen,
eine hohe, gewölbte Stirn. Lippen und Kinn beschattet üppiger schwarzer
Bartwuchs. Am rechten Rande des Hildes befindet sich eine altbosnische
Inschrift, welche den Namen und Titel des Königs anzeigt, darunter die
lateinische Uebersetzung: »Tomae Re Bosne et Argentine.« Links über
der rechten Schulter befindet sich das Wappen.
Ausserdem ist im Kloster eine Bleistiftcopie des Portraits der bos-
nischen Königin Katharina vorhanden. Das Original wurde einstmals am
kroatischen Boden nach Djakovar geschickt. Ausserdem eine Anzahl sehr
bemerkenswerther Gemälde auf der feinen bosnischen Leinwand (Bez) mit
altbosnischen Inschriften, theils die Madonna und Christus, theils Provinziale
der Ordensprovinz darstellend. Andere Bilder und Kunstgegenstände
den auf Veranlassung des Bischofs Strossmayer von Djakovar am Ende
der Fünfziger [ahre nach Agram .gerettet« und befinden sich jetzt dort
im südslavischen Museum. Für Bosnien sind sie jedenfalls verloren. In
der nördlich von Sutjeska, am rechten Ufer des Baches Trstivnica gelegenen
Klosterkirche St. fohannes der Tauler befinden sich sehenswerthe alt-
italienische Altäre und das Grab des vorletzten bosnischen Königs Stefan
Tomas, der 1460 auf dem Felde von Bilaj von seinem eigenen Sohne und
seinem Bruder Radivoj erdrosselt wurde. Das Skelett wurde bei einem
Umbau 1858 in einem Steinsarge entdeckt: neben ihm lagen ein eisernes
Scepter und einige alte silberne Brustknöpfe. Der Sarg trägt gegenwärtig
die Inschrift:
»Urna continens ossa Stephani
Thomae regis Bosnae (t 1460)
ex antiqua ecelia translata a. dn.
1859 cura custodis antiquitatum
patriae. P. M. N.«.
Ein Hadzija (Mekkapilger'
aus Yisoko.
Und an der Westseite des Presbyteriums
steht ein kleiner Thurm, an dem ge-
schrieben steht: Prvi u Bosni posta de
gg. 1860.« (Der erste in Bosnien er-
richtete [860.) Vier kleine Glocken
sind in ihm untergebracht, die ihr Ge-
läut erschallen lassen durften, als der
Gebrauch von Glocken noch bei schwerer
Ahndung verboten war. Heute ertönen
diese Klänge im ganzen Lande; die
Mohammedaner haben sich längst daran
gewöhnt und es wäre nur zu wünschen,
dass ihre sonoren Töne auch bis in
die fernsten Zeiten Duldung und religiösen Frieden den Kindern des
gleichen Volkes verkünden.
Von Catici aus führt die Bosnabahn immer in prächtigster bewaldeter
Hügellandschaft nach Visoko, einem ausgedehnten Städtchen von etwa
3900 Bewohnern. Der Ort mit seinen 13 Moscheen liegt am linken Bosna-
ufer, während die Bahnstation sieh diesseits befindet. Bau Stefan Tvrtko
ertheilte von hier aus am I.September 1355 den Ragusanern das Privi-
legium der Handelsfreiheit; am 15. Juni 1402 bestätigte hier Konig Stefan
Ostoja die Privilegien von Zara und Sebenico, und zwei Jahre später fand
in Visoko der bosnische Magnatentag statt, auf welchem Stefan Ostoja
abgesetzt und die Königskrone Tvrtko II. übertragen winde. Die Ruinen
der Königsburg und eines alten Franziskanerklosters liegen auf dem Grad
(»der Festung« im Bosnischen), zu dessen Ersteigung beschwerliche
anderthalb Stunden erforderlich sind. Visoko ist gegenwärtig überwiegend
mohammedanisch und besitzt eine blühende Lederindustrie.
Y<>n hier zweigen sich Fahrstrassen nach dem Sauerbrunnen Kiseljak
(einer altberühmten bosnischen Sommerfrische) und nach dem Franziskaner-
kloster Fojnica ab. Der erstere ( Mi liegt ungemein malerisch an der Brod-
Sarajevoer Poststrasse. Schon in türkischer Zeit fanden sich hier die
reichen serbischen und spaniölischen Familien von Sarajevo ein, um den
dem Rohitscher ähnlichen Säuerling zu trinken, der für Jedermann umsonst
aus der Erde quoll. Von einer Brunnenverwaltung war keine Rede, von
besonderen Anlagen oder einer Kurtaxe auch nicht. Die reichsten Kur-
gäste hatten ihre eigenen Häuser, andere wohnten in den zwei grossen
Hans (türkische Ein-
kehr -Wirthshäuser),
dritte unter Zelten.
Eines der Gasthäuser
konnte sogar euro-
päischen Ansprüchen
genügen, und es im-
ponirte uns bei un-
smmvmatm
Kloster in Fojnica.
serem Vormarsche gegen Sara-
jevo während der Okkupation
nicht wenig, hier gute Ver-
pflegung und Getränke zu
finden, wie das Hotel auch
folgende deutsche Inschrift
neben einer türkischen und
bosnischen aufwies: >Das ist
des Zuckerbäcker Ali Aga
1 tötel. Hier bekommt man Wohnung, gutes Essen und Gerste.« Ob das
letztere Wort nur ein Schreibfehler für Getränke war, oder ob es sich auf
die Verpflegung der Pferde bezog, konnte ich nicht ergründen. Aber
Kiseljak mit den bewaldeten Hängen der Cvetnica, der Krusovska Kosa
und der Stogic-Planina bildete lange einen Lichtpunkt in meinen Feldzugs-
Erinnerungen. Später trübte sich das Bild etwas, denn bei einem zweiten
Aufenthalt bei strömendem Regenwetter im Oktober fand ich wohl in einer
von einem Prager errichteten provisorischen Kneipe eine elende Talg-
-uppe, aber keinen Platz, wo ich hatte mein Haupt hinlegen können. So
Bauernbursche singt zur Tamburica.
Motiv aus Kiseljak von W. Leo Arndt.)
übernachtete ich, nass zum Auswinden,
der schmalen Hank einer Badekabine a
der Fojnica und sehnte mit steifen Glie-
dern den Morgen herbei. Jetzt giebt
es ein Kurhaus, europäische Logir-
häuser und alle möglichen Be-
quemlichkeiten. Aber das
alte gemüthliche orien-
talische Sommerlager ist
verschwunden und das ist
in gewisser Richtung zu
bedauern. Dass das Kisel-
jaker Sauerwasser seinen
.Markt gefunden hat und in
Tausenden von grossen
Flaschen als Tafelgetränk versandt wird, ist d^c^-n eine erfreuliche Er-
rungenschaft der Neuzeit. Nebenbei erwähnt, hat Bosnien einen Ueberfluss
an Sauerwassern im ganzen Lande, doch dienen diese meist nur dem Be-
dürfnisse der in der Nähe einer Quelle Wohnenden.
Von Kiseljak führt eine Fahrstrasse am Ufer der Fojnica nach der
gleichnamigen kleinen Stadt, dem Centrum einer alten Eisenindustrie und
des Quecksilber-Bergbaues. Die Lage des Ortes direkt unter dem Gebirgs-
stocke des Stit ist reizend; eine wahre Waldidylle. Mohammedaner und
Katholiken sind hier in gleicher Stärke vertreten; sie hatten sich nie be-
fehdet, was dem Einflüsse der Franziskaner zuzuschreiben war, die hier
ein berühmtes Kloster besitzen. Am einem Felsen am Flusse, von dem
man eine entzückende Aussicht über das ganze Thal geniesst, liegt das
mächtige Gebäude zum heil. Geist. Im Klosterarchiv befinden sich die
interessantesten bosnischen und türkischen Dokumente, unter ihnen der
für die Katholiken in Bosnien hochwichtige Atname (Freibrief) des Sultans
Mahmud II. Ate nach dem Niederbruch der bosnischen Selbstständigkeit
und nach dem Falle von Jajce der letzte König Stefan TomaSevic ge-
fangen genommen, geschunden und geköpft worden war, als die grau-
samsten Christenverfolgungen eingeleitet wurden, wagte es der Vorsteher
:s Klosters von Fojnica, Angelus Zvizdovic, vor den furchtbaren Eroberer
zu treten. Im Feldlager von Milodraz (1463) bat er um Schonung und freie
Religionsübung für die Katholiken und er erhielt nachstehenden Atname
ausgestellt:
Ich, der ich bin der Sultan Muharaed Chan, thue zu wissen Allen und Jedem ins-
,esondere, wie sich meine Gnade und meine Gunst bezüglich der bosnischen Möncl
Inhaber dieses kaiserlichen Fermans — manifestirt hat. Ich habe befohlen, dass Nien
dieselben beunruhigen oder hindern dürfe, oder sich in die Angelegenheiten ihrer Kirche
einmengen. Ich befehle, das- sie ungestört in meinem Reiche bleiben und das- Jene,
welche davongegangen oder geflüchtet, frei und sicher seien und bei ihrer Rückkehr ohne
Furcht in meinem Reiche verweilen und ihre Klöster bewohnen dürfen. Weder meine
kaiserliche Person noch meine Minister, oder irgend Jemand von meinen Leuten und
Lkern soll sie beunruhigen, belästigen oder misshandeln dürfen, weder an ihren Personen,
noch an ihren Gütern und Kirchen. Wenn sie aus dem Auslande welche Person immer
hereinführen wollen, soll es ihnen erlaubt sein. Aus diesem Anlasse habe ich dieselben
mit meinem grossherrlichen Ferman begnadigt und ich leiste den feierlichen Eid und
schwöre bei dem grossen Gotte, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, bei den
sieben Büchern, bei dem grossen Propheten, bei den 1 24000 Heiligen und bei dem Säbel,
welchen ich trage, dass Niemand im Widerspruche mit Vorstehendem handeln dürfe, so-
lange diese Mönche meinen Befehlen und meinem Dienste gehorsam sein werden.
Dieser Freibrief brachte mancherlei Begünstigungen für die katholische
Kirche in Bosnien, und wenn er auch blutige Ausbrüche des Fanatismus
nicht immer verhindern konnte, ermöglichte er doch die Organisation der
Franziskaner im Lande auch in den schwersten Zeiten. Aber das Fojnicaer
Kloster besitzt noch ein interessantes Dokument, die alte Copie des ehe-
maligen Wappenbuches der bosnischen Adeligen von 1340. In dieser Copie
sind die Wappen jener Familien erhalten, welche in Folge des türkischen
Einfalles auswanderten und in der Fremde den Namen und das Wappen
Kathi i 1 1 n Kresevo. [Wintei
— 34
:>
Vor der Kirche in Kresevo. Bauern kehren nach dem Gottesdienst heim.
W. Leo Arndt.)
ihres Geschlechtsadels bewahrten; weiteres jener Familien, welche nach
dem Uebertritte zum Islam zwar ihre Familiennamen in den Hintergrund
treten Hessen, jedoch die Tradition ihres Adels aufrecht erhielten; schliesslich
auch solcher Familien, deren Andenken sich im Laufe der Zeit verloren hat.
Das Wappenbuch ist auf grobes Papier in Gross-Quartformat gemalt
und enthält 1 41 Blätter. Auf der ersten Seite des ersten Blattes ist die
Muttergottes, von Wolken umgeben, gezeichnet, unterhalb des Bildes ein
grosser Halbmond und quer die Wappenzeichen zweier kreuzweis liegenden
Balken; oberhalb dieser je ein gekröntes Mohrenhaupt. Auf der anderen
Seite dieses Blattes befindet sich in den Wolken das Christusmonogramm
und unterhalb desselben die Heiligen Cosmas und Damianus. Hie erste
Seite des zweiten Blattes trägt den Titel des Wappenbuches, wahrend auf
der zweiten Seite der Heilige Hieronymus, vor dem Kreuze knieend, dar-
gestellt ist. Das dritte Blatt giebt ein Tableau der Wappen aller slavischen
Staaten auf dem Balkan; darauf folgen auf separaten Blättern 10 Wappen
dieser Länder und 126 Blätter mit Adelswappen. Auf dem letzten Blatte
3*
35
sind wieder die Wappen einiger Familien zu einer Gruppe vereinigt. Auf
dem Titelblatte finden wir folgende in altbosnischer Schrift (in der Bosancica)
verfasste Zeilen: »Rodoslovje bosanskoga aliti ihrickoga i sarpskoga vla-
danja zajedno postavleno. Po Stanislavu Rubcicu popu; na slavu Stipana
Xemacnica cara Sarbclcna i BosCana 1340.« (»Stammtafel der bosnischen,
beziehungsweise der illyrischen und serbischen Herrschaft, zusammengestellt
vom Popen Stanislaus Rubele zu Ehren des Stefan Nemanjic, Kaisers der
Serben und Bosnier 1340.«)
Es haben sich über das Alter des Buches, der Copie eines früheren
Werkes, und über die Authenticität verschiedener Wappen schon gelehrte
Streite entsponnen, doch haben sie zu einem abschliessenden Urtheil noch
nicht geführt. Für unsere Darstellung sind diese Erörterungen müssig;
wir registriren das Vorhandensein und freuen uns des interessanten Doku-
mentes. Thatsache ist, dass manche der bosnischen Begs trotz ihres
mohammedanischen Glaubens noch die Traditionen ihrer christlichen Yer-
eanefenheit bewahrt haben und ihre Adelsbriefe und Dokumente von einst-
mals besitzen. Mir selbst sagte Beg Rajkovic in Sarajevo, dem ich eine
Copie des Wappens aus dem Buche von Fojnica zeigte: »Ah, moj grb!«
(Ah, mein Wappen!) Ein Zeichen, dass die Kenntniss desselben in den
abgelaufenen türkischen Zeiten nicht verloren ging.
Südlich von Kiseljak, in ungemein romantischer Wald- und Gebirgs-
einsamkeit liegt noch ein grosses und berühmtes Franziskanerkloster:
Kresevo, das gleichfalls manches wichtige Dokument aus alter Zeit bewahrt.
I)ic Schlussvignette zeigt ein altcliristlichcs Siegel aus Komusina, das 1S77 gefunden wurde.
Im Eisenbezirke.
in fruchtbares Thal durchfährt die Bosnabahn von Yisoko
nach der Station Podlugovi. Von hier führt eine im
November 1895 eröffnete Zweigbahn von 24' 2 Kilo-
* meter Länge nach dem Städtchen Vares mit seinem
Eisenwerk. In dem engen Thal der Stavnja i-t es
zwischen machtigen, sich unaufhörlich neben- und hintereinander auf-
thürmenden Bergen gebettet, gleichsam den Mittelpunkt bildend in dem
Gebiete der unermesslich reichen Schätze, die in dem Innern jener Gebirgs-
stöcke ruhen. Die Schätze sind Eisenerze von besonderer Güte, und da
die Katholiken von Vares (dem Mohammedaner ist der Bergbau antipathisch)
es von Alters her versuchten, Bruchstücke jener Schätze zu heben und zu
verarbeiten, so heftete sich allmählich der Ruf grosser Betriebsamkeit in
der Eisenindustrie an den Namen Vares.
Als die Save noch den hermetischen Grenzverschluss gegen das
Abendland bildete — schreibt die bekannte bosnische Schriftstellerin
Fräulein Milena Mrazovic in der »Bosn. Post« — , war das Varesaner Eisen
hochberühmt und vielbegehrt. Nicht nur im Lande selbst und auf dem
ganzen Balkan war es seiner Güte und Billigkeit wegen ohne Konkurrenz,
es fand seinen Weg auch nach Asien und hatte eine bedeutende Ausfuhr
nach Arabien und Aegypten. Mit der Okkupation fiel diese blühende
Eisenindustrie plötzlich in sich zusammen. Den durch die Besetzung ge-
schaffenen neuen Lebensbedingungen konnte sie nicht Stand halten, und
auch die beispiellose Genügsamkeit des bosnischen Volkes war kein Mittel
37
o-egen die plötzlich hereinbrechende Fluth der abendländischen Gross-
Lndustrie und in den unwirthlichen Schluchten der Stavnja zeigte sich
die Noth.
Dies war auch nur allzu natürlich. Während bereits ein Schienen-
strang die Landeshauptstadt mit dem Saveufer und dem österreichisch-
ungarischen Bahnnetze verband, führte aus dem Bosnathal über mehr al.-
30 Kilometer ein mühsam zu erklimmender Saumpfad nach Yares. In
diesem Verstecke hauste einsam für sich der bosnische Hüttenmann, fremd
allem modernen Handel und Wandel. Er gewann und schmolz das Erz
mit zäher Beharrlichkeit bis auf den heutigen Tag genau so, wie es die
Väter vor Jahrhunderten gethan. Das bedächtige Tragthier brachte das
Erz von den Abbaustellen nach den längs der reissenden Stavnja erbauten
unzahligen »Majdans«, wo das Eisen auf die denkbar primitivste Weise
gewonnen wurde. Solch ein Majdan ist nur eine russige kleine Holzhütte,
vereinigt aber doch einen Hochofen, einen Erischofen und ein Hammer-
werk in sich. Der aus Lehm gemachte bosnische »Hochofen« — Kalama
genannt - ist an 4 m hoch und hat einen Inhalt von ungefähr 4' •> cbm.
Man füllte ihn, zündete ihn an, und nach dem Abstich war auch schon
der Ofen in die Brüche gegangen und musste wieder frisch gemacht
werden. Auf diese Weise waren in Vares zwei Ofen-Campagnen in der
Woche usuell, denn je 3 Tage benöthigte man stets zum Wiederaufbau
des .Hochofens . Das Gebläse besteht aus zwei Blasbälgen, die durch
ein hölzernes Wasserrad bedient wurden. Der »Frischofen« ist ein ge
wohnliches Schmiedefeuer und das Hammerwerk ist ein gleichfalls durch
ein kleines Mühlrad in Bewegung gesetzter, gegen 3 m langer Hammer, neben
dem der Mann auf dem Erdboden kauert und auf das glühende Eisenstück
losklopfen lässt. Und
doch erzeugten die
Leute auf diese
höchst primitive
Weise Eisen von
vorzüglicher Güte;
allerdings bedienten
sie sich dazu des
leichter schmelzba-
ren Rotheisensteines,
der 55 bis 65 pCt.
Eisen und darüber
enthalt, und Hessen
die grossen Lager
.011 Brauneisenstein
unbenutzt. ft Dubos
- 38
Noch stehen diese Majdans in Yares und wieder wird fleissig darin
gehämmert. Aber die Kalamas sind daraus verschwunden, denn ungefähr
3 km südlicher stehen heute inmitten einer modernen grossartigen Hütten-
anlage zwei neue gewaltige Hochöfen, die nun schon seit einer Reihe von
Jahren ununterbrochen das Eisener/, aus den Hergen 7.11m Schmelzen bringen
und auch all die gewerbfleissigen Varesaner mit billigem Roheisen ver-
sorgen. Von der Kalama zum modernen Hochofen! das ist einer jener
o-ewaltigen Sprünge, wie man sie nur in Bosnien auf allen Gebieten
sehen kann.
Die ersten Arbeiten zur Feststellung des Erzreichthums wurden 1886
in Angriff genommen und ergaben ein geradezu glänzendes Ergebniss. Die
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Altbosnische Erzaufbereitung bei Cevljanovic (Vares).
Hauptlagerstätte befindet sich zwischen den Orten Zvijezda im Osten und
Borovica im Westen in einer Ausdehnung von 15 km Luftlinie. Die
Mächtigkeit variirt zwischen 20—25 m. Die Lagerstatte besteht zumeist
aus Rotheisenstein, der in den meisten Fällen durch Eisenspath unterlagert
wird. Nur im Osten ist Brauneisenstein, der 45 — 5 5 pCt. Eisen enthält,
eingelagert. Es ist durchweg gutes reines Erz, hauptsächlich Blauerz.
Die Quantität wird auf viele Millionen Tonnen geschätzt. Im Jahre 1 890
wurde die Lagerstätte in Przici im Tagbau in einer Mächtigkeit von
2; Millionen Metcrcentner aufgeschlossen. Wie ein gewaltiger Steinbruch
liegt sie da inmitten der herrlichsten Fichten- und Buchenwidder. Die
Förderung hinab zu dem Hochofen geschieht mittelst einer grossartigen
Bremsberganlage, die auch für den Export ausreichend wäre und die ein
Förderquantum von einer Million Metcrcentner bewältigen kann. Die
41 —
Eisenwerk in Yares.
Anlage besteht aus 4 km Horizontalbahn und vier Bremsbergen, die eine
Gesammtlänge von 800 m haben. Gegenwärtig arbeitet man auch auf Eisen-
steingewinnung bei dem kaum einen Kilometer vom Werke entfernten, in
einem schmalen Seitenthale der Stavnja gelegenen Orte Potoci, woher
auch die alten Varesaner Hütten seit 400 Jahren ihre Erze bezogen. Das
stark manganhaltige Erz ist wichtig für Weisseisenerzeugung.
Zwischen den schönsten Xadelholzbeständen kommen von Przici die
beladenen Hunde von den Bremsbergen herabgesaust, um knapp hinter
einem weitläufigen Fabriketablissement zu halten. Auf einer schmalen,
mühsam dem Flusse abgerungenen Terrainstufe erhebt sich hier, eng
umschlossen von himmelanstrebenden immergrünen Berglehnen, das landes-
ararische Hüttenwerk Yares. Es ist eine ganze Stadt, die seit dem
Jahre 1890 erstanden ist. Seitdem ist die träumerische Waldruhe von
hier verschwunden, denn Tag und Nacht faucht der Hochofen, pusten
die Dampfmaschinen, klopft, hämmert, sägt und bohrt es in den ver-
schiedenen Werkstätten, und ein feiner, dichter, alles durchdringender
Kohlenstaub trübt die sonst balsamische Luft. Gleichsam das Centrum des
ganzen Werkes bildet der in die Giesserei hineingebaute erste Hochofen,
der am 1 s. August [891 zum ersten Male feierlich angelassen wurde. Er
liefert bei guter Holzkohle 170 Metercentner Weisseisen pro Tag. Dazu
gehört eine Anlage von zwei eisernen Lufterhitzern, mittelst welchen eine
Lufttemperatur bis 500 Grad erreicht werden kann und die mit den Ab-
42
gasen des Hochofens geheizt werden. Die Abgase dienen überdies noch
zum I lei/en der zwei je 54 qm grossen Kessel der Röstofen-Anlage. Diese hat
die Herausschaffune des Schwefels aus den Erzen, sowie das Mürbebrennen
der sehr harten Blauerze zum Zwecke. Der Hochofen wird mit Holzkohle
betrieben, selten nur mit Coaks; die nöthige Verbrennungsluft wird durch
ein 6opferdiges Gebläse mit Compound-Maschine mit Kondensation an{
saugt und so den Winderhitzern, beziehungsweise dem Hochofen zugeführt.
Im fahre [895 wurde eine eigene Vareser Eisenindu>trie-Aktiengescllschaft
gegründet, die vorhin erwähnte Flügelbahn und ein zweiter Hocholen erbaut.
Die Hochöfen erzeugen Graueisen und zwar tiefgraues und hellgraues
manganfreies, sowie Giesserei-Rohei>en; zu dem letzteren gehört das hell-
o-raue maneanhaltige und das halbirte, zwischen Weiss- und Graueisen
stehende Roheisen für Hartgusszwecke. Von Weisseisensorten wird erzeugt:
hochmanganhaltiges, spiegeliges und strahliges Eisen, rhittelstrahliges ge-
wöhnliches, sowie lückiges Weisseisen für Zwecke der zum Betriebe gehörigen
Frischhütte in Dabravina. Das manganhaltige, strahlige und gewöhnliche
Weisseisen wird dem Walzwerke in Zenica für seine Puddelofen zugeführt.
Im Jahre 1895 betrug die Produktion 37612(1 Roheisen und Guss-
waare; die Produktionsfähigkeit ist auf loooooq jährlich erhöht. Heim
Bergbau und bei der Hütte waren 441 Arbeiter beschäftigt.
Unmittelbar an die Hochofen-Anlage schliesst sich der zweite Betrieb
der Hütte, die Giesserei, an. Diese ist in einer ungeheuren, äusserst solid
konstruirten Halle untergebracht und genügt für ein Produktionsquantum
von 1 5 000 Metercentner Gusswaare verschiedenster Art. sowie für 20000
Metercentner Rohrguss (Wasserleitungsrohre). Von der inneren Einrichtung
sind nennenswerth : 2 Cupolofen-Anlagen zum Umschmelzen des Roheisens
mit 3 Oefen und 2 Wassertonnen-Aufzügen; dann ein grosser freistehender
Drehkrahn von 80 Metercentner und 2 Laufkrähne von 40 und 60 Meter-
centner Tragfähigkeit. Pur die Rohrgiessereien sind besondere Krahnvor-
richtungen vorhanden. Ausser drei doppelten Gussgruben für Rohre i>t
noch eine tiefe Gussgrube für Säulen- und Walzenguss vorhanden. Das \\ erk
hat ferner 2 Tiegelöfen für Mctallguss und 2 Temperöfen für Hartgussräder.
Es würde zu weit führen, alle technischen Vorrichtungen einzeln zu
nennen; es sollte nur gezeigt werden, was in kurzer Zeit geschaffen wurde.
Die Giesserei ist ungemein beschäftigt, und es lohnt eine Aufzählung ge-
wisser Arbeiten, weil sie einen Hegriff von anderen industriellen Anlagen
im Lande geben, die entweder schon geschaffen, oder noch im Werden
begriffen sind. So fabrizirte man hier die Wasserleitungsrohre für die
Saline in Dolnji-Tuzla, die Säulen der neuen Travniker Tabakfabrik, die
Rohre für das Kohlenwerk in Zenica und für die Soda- und Ammoniakfabrik
in Bukinje, die Laternenträger für die Bahnstrecken Lasva-Travnik, Travnik-
Bugojno etc. Zum Fein- und Kunstguss der Hütte gehören die Balkonträger
— 4."
des Touristenpavillons in Jezero, die Geländerstäbe für das Sarajevoer
Rathhaus u. s. w.
Der dritte Betrieb des Werkes ist die Maschinen-Werkstätte, die sich
bereits zu einer Maschinenbau-Anstalt entwickelt hat. Sie beschäftigte im
fahre 1894 fünfzig Arbeiter. In Verbindung damit steht eine Modell-
tischlerei, eine Modellir- und Ciselir-Werkstätte. Trotz der kurzen Zeit
ihres Bestandes hat die mechanische Werkstätte schon tüchtige Leistungen
aufzuweisen. Die in der Posavina verwendeten Cazenille'schen Zwetschken-
Dörröfen wurden sammt den nöthigen Montirungsarbeiten hier erzeugt, da
die .Werkstätte auch Kesselschmiede und Bördelarbeiten auszuführen in
- ^fc
Altbosnisches Eisenwerk (Majdan) hei Varel.
(Hammerwerk.)
der Lage i-t. Ferner lieferte sie noch komplette Radsätze und ganze
Sägewerks-Einrichtungen, Armaturen für das Kupferwerk Sinjako etc. Zu
den Hauptanlagen de- Werkes gehört noch ein 1 Kilometer höher an der
Stavnja gelegener grosser Kohlenbarren mit einem Fassungsraume von
24000 Kubikmeter, der mit dem Werke durch ein Geleise verbunden
ist, wahrend hei dem Hochofen selbst zwei kleine Kohlenbarren zu je
1200 Kubikmeter Inhalt sich befinden.
Das Frisch- und Hammerwerk Dabravina kann als vierter Betrieb des
Hüttenwerkes Vai elten. Es liegt 1272 Kilometer von diesem entfernt,
dort, wo die Stavnja aus ihrem Defile heraustritt und sich ihr Thal lang-
sam gegen die Bosna zu weiten beginnt. Maassgebend war für die Wahl
<<(■- drr grössere Bedarf an Wasser für den Betrieb. Das
1 1
kleine Werk besteht aus einem
äumigen Hauptgebäude mit
Kohlenbarren, der einen Fas
sungsraum von 700 Kubikmeter
hat, und Arbeiterwohnungen. In
der I Hute sind zwei Frischfeuer
und ein Vorwärmeofen im Be
triebe, in denen das in Vares"
erblasene lückige Roheisen mit-
telst des Grobhammers und eines
... s"llv Streck- und Zeughammers zu ver-
/' schiedenen Schmiedewaaren ver
arbeitet wird. Diese Hütte soll
bedeutend erweitert und zur Her-
stellung von Pflügen, Schaufeln.
Krampen und Zeugwaaren aller
Art eingerichtet werden, wahrend
Frau aus der Gegend von Zenica. der grössere /-eug- und Streck-
hammer zur Erzeugung von
Schraubstöcken, Ambossen. Sperrhornen, Schiffsankern, von Transmissions-
wellen, Achsen, Kurbeln und geschmiedeten Maschinentheilen bestimmt
bleibt. Um Pflugbleche erzeugen zu können, wurde ein mit Generatorgas
geheizter Glühofen erbaut.
Wie erwähnt, hat der immer grösser werdende Betrieb des 1 [üttenwerkes
zur Anlage einer ganz neuen Stadt geführt. Amts- und Administrations-
gebäude, Arbeiterhäuser, Magazine, Laboratorium, Spital. - alles wachst
aus dem Boden. Für die Bevölkerung von VareS und die der ganzen
unwirklichen Berge ringsum ist die plötzlich im Stavnjathale erblühende
Grossindustrie zu einem wahren Segen geworden. Die Haltte der Leute
lebt direkt, die andere indirekt von ihr. Von den alten »Kalamas findet
man kaum eine noch; ihr letzter Abstich war gekommen und man hat
die stürzenden nicht mehr aufgebaut. Aber in den Maidans wird fleissig
gearbeitet. Sie beziehen jetzt das fertige Roheisen von dem Hüttenwerk
und dies kommt ihnen unvergleichlich billiger zu stehen, als truher, wo
Jeder für sich das Erz gewann und schmolz. Sie hämmern nach wie vor
die landesüblichen Hufeisen und Hufnagel, Stielpfannen und Deckel, jetzt
auch Schienennagel. Sie schmieden alle- sauber und schon, mit jener
.Sorgfalt, welche den bosnischen Arbeiter auszeichnet, und obwohl alles
Handarbeit ist, sind die Gegenstände wegen der unendlichen Genügsamkeit
des Lrzeugers konkurrenzfähig. So hat der flammende Widerschein de
Hochofens neues Leben in die dunkeln Schluchten der Stavnja gebracht,
hoffentlich bringt er für immer (duck und Wohlstand
- 45
Von Vares kann man in sehr bewaldeter Gegend nach Dubostica
gelangen, wo Chromerz gewonnen wird. Die Bosnabahn aber führt von
l'odlugovi weiter nach Yogosca, wo sich eine 22,5 Kilometer lange Montan-
bahn zu dem in Privatbesitz befindlichen Manganbergwerke Cevljanovic bis
Ivancici abzweigt. Es dürfte nicht uninteressant sein, gleich hier zu er-
wähnen, dass seit dem Jahre 1880 ununterbrochen weitere Schürfungen im
Lande vorgenommen wurden und zwar auf Gold bei Travnik, auf Blei und
Silber bei Srebrenica, Ljubija und Borovica, auf Ouecksilber und Antimon
V
bei Fojnica (Cemernica, Pogorelica und Zec-Planina), auf Fahlerze in
Maskara, bei Gornji-Vakuf und Kresevo, auf Manganerze bei Ivanjska und
Konjica und auf Chromerze im Krivajathale, bei Zepce und auf der Borja-
Planina, endlich auf Kohlen in der Majevica bei ^ornja-Tuzla und bei
Gacko. Von diesen Schürfungen stehen zur Zeit im Betriebe jene auf Blei
und Silbererze bei. Ljubija, auf Fahlerze in Maskara und auf Kohlen in der
Majevica und bei Gacko.
Wir verlassen mit der Bahn den [Eisen distrikt; zum ersten
Male wird vom Zuge aus der hohe Trebevic hinter Sarajevo sichtbar; wir
passiren noch einige freundliche Dörfer, sehen das griechisch-orientalische
Priesterseminar Reljevac rechts liegen und dann breitet sich vor unserem
Blicke das stundenlange Sarajevskopolje aus, begrenzt vom Igman, an
dessen Fusse die Bosna entspringt, der Bjelasnica, dem Trebevic, dem Hum
und im Hintergrunde mit dem Blick auf den Pasin Brdo. Bosniens Haupt-
stadt selbst sieht man freilich, wenn man mit der Bosnabahn anlangt, nicht
von Weitem. Man geniesst nicht den wundervollen Anblick der von der
Ebene auf drei Seiten hoch in die Berge ansteigenden, von 100 Minareten
überragten Stadt, die von der Festung (dem Kastell) im Hintergrunde ge-
krönt wird. Den vollen Eindruck erhält man nur, wenn man auf der
Poststrasse von dem reizenden Badeorte Ilidze durch das Sarajevskopolje
sich Sarajevo nähert. Aber auch bei der Bahnfahrt längs der weiten Ebene
bemerkt man die Nähe der grossen Stadt. Ueberall Landhäuser in
türkischem Stile. Sommerfrischen mohammedanischer Grossgrundbesitzer,
dazwischen europaische Gebäude und neue Anlagen. Auf den Fahrstrassen
lebhatter Wagenverkehr, daneben ganze Karawanen von Tragthieren, be-
laden mit allen möglichen Waaren, mit Erzeugnissen des Feld- und Garten-
baues. Die Volkstrachten werden immer mannigfaltiger und bunter, auch
Frauen sind in grösserer Anzahl zu sehen, zum Theil schon türkische
Hanums in Feredschi und Jaschmak. Endlich hält der Zug; es ist Mittag
geworden, wir befinden uns auf einem grossen europäischen Bahnhofe,
in unbeschreiblich reges Treiben herrscht. Es beginnt der erste Schritt
ins goldene Bosna-Saraj .
^P
m
Sarajevo.
nmuthiges Sarajevo! wie ein Diamant aus der
'wjS0 i 1 Umfassung von Smaragden liebst du dich
Ü \Jk aus dem Grün der Ebene zu dem deiner
Berge empor!« Es giebt nicht bald
eine schönere Lage, als sie Bosniens
Hauptstadt bietet. Von allen Seiten ist sie
gedeckt; durch den Hum und Gradanj im Norden.
den Mab' Orlovac und die Hrastova Glava im
Osten, die Kapa, den Dragulac und den Debelo Brdo
im Süden. Hinter diesen Kuppen erhebt sich das
Gebirgsmassiv des Trebevic, Sarajevo förmlich abschliessend, sodass meist
nach Südosten, nach den türkischen Ländern, nur ein schmaler Reitweg
als Verbindung übrig blieb, der sich in schwindelnder Höhe an den
Hangen des Trebevic, auf einer Seite begrenzt von dem steil abfallenden
Flussbette der Miljacka, hinzog. Das änderte sich im Laufe der Zeiten
so weit, dass die Häuser sich auch nach der Ebene im Westen hin aus-
dehnten, aber nie weiter, als sie noch direkt von den Gebirgen flankirt
and gedeckt wurden. Heute ist das ganz anders. Wenn man aus dem
Bahnhofsgebäude tritt, glaubt man sich in einer modernen, erst im Hau
begriffenen Stadt, mit wenig Anklängen an den Orient. Der Bahnhoi der
Bosnabahn liegt weit draussen vor der Residenz, dort wo sich noch vor
wenigen Jahren Wiesen und Felder ausdehnten, wo an der Landstrasse
nur vereinzelte Kaffeebuden oder einige Bauernhauser in den Zwetschken
gärten von Pofalic vorhanden waren. Heute hat der Zug nach dem
Westen« hier eine fabelhafte Ausdehnung gewonnen. Fürs Erste ist für
Fahrgelegenheit gesorgt, kaue elektrische Bahn fuhrt bis ins Herz der Stadt
— 47
. saubere europäische Fiaker harren in grosser
nden, die Omnibusse mehrerer Hotels warten auf Kund-
in! nur von Brod aus manchmal ein fremder Reisender
mit der allwöchentlich verkehrenden österreichischen Post, oder
I men in den landesüblich gewesenen Arabas mit vorsündfluth-
H idern. Sonst vollzog sich der Fremdenverkehr zu Pferd und
halbwegs abendländischen Begriffen entsprechendes
mich Griechen geleitet, stand au! der Stelle, wo sich heute das
Hotel Europe« in der Franz Josef-Strasse erhebt, sonst waren
nur türkische Hans (Einkehr- Wirthshäuser) vorhanden, die an Bequemlichkeit
nlichkeit viel zu wünschen übrig Hessen. Auf die dazu gehörigen
Stallungen wurde mehr gesehen, als auf die Behausung der Menschen, und
nur in <\cn gegenwärtig nicht mehr vorhandenen, dem abgebrannten Ta'di-
m und dem Makedonski Hau«, gab es besondere nume-
imer für tue Gaste. Sonst machten es sich alle gemeinsam auf
den - ten der Wände eines Zimmers einnehmenden Minderluks
eine Pritschen, mit einem Teppich oder einer Decke bedeckt) bequem,
•/eng musste jeder Reisende selbst sorgen, wie es ja noch
in weiten Gegenden des Orients und auch in abgelegeneren Theilen
und der Hercegovina üblich ist. Gegenwärtig findet der Reisende
.•lbe angenehme Unterkunft wie in allen Hauptstädten Europas; »Hotel
ten Ranges), Kaiser von Oesterreich«, »Austria«, »Radetzky
und dene kleinere Wirthschaften befriedigen alle Ansprüche und
hiedensten Klassen. Für des Leibes Nahrung und
vird nicht mehr in den nach der Strasse zu offenen Gar-
mdern in guten Restaurationen und Bierhäusern gesorgt.
Haben wir den Bahnhof der Bosnabahn verlassen, so bleiben wir zuerst
n Theil, stets auf dem rechten Ufer der Miljacka (der
he die gesammte Stadt durchzieht und die von sieben
theils eisernen Brücken im Stadtgebiet überspannt wird,
i infang von 32 Hektaren fassende Militär-Baracken-
Baumgruppen und Gartenanlagen, dann rechts die
abrik mit dem Direktionsgebäude, grossen Werkstätten
den hier Hunderte von einheimischen Madchen
der Fabrik nach eingeholter Erlaubniss
ehl das Direktionsgebäude der Bosnabahn
nüber links das Militärspital und da-
erspital. Hier ist schon Kampfterrain,
r Kaffees und Wirthshäuser steht, tobte
ipf am heftigsten. Wir überschreiten
h auf einer Brücke und befinden uns
Punkte unter mächtigen Luiden. Halb
Landesregierungs-Palais i n Sarajev
\<.T( lockt von ihnen,
am murmelnden
Bache, erhebt sich
die Ali Pascha-
Moschee. 1 [ier war
erbittert gekämpft
worden.
Und immer über-
raschender wird das
Bild. Auf dem alten
Musallah-Platze er-
hebt sich der in
vornehmem
Renaissancestil er-
baute Palast der
Landesregierung, daneben ein zweites neues grosses Amtsgebäude mit der
Regierungsdruckerei. Gegenüber zieht sich, eine steile Berglehne hinan.
(ier Stadtpark, einstmals ein weiter türkischer Friedhof. Die Grabsteine
sind auch jetzt noch unter üppigem Grün und im Gebüsch verborgen.
Erst beim weiteren^ Vordringen in die Stadt tritt der Orient wieder in
>eine Rechte. Da stehen neben europäischen Ilausern solche türkischen
Stiles, eine Moschee inmitten eines pittoresken, aber verwahrlosten türkischen
Friedhofes, und von Mauern umschlossen lugt aus einem Garten das von
der englischen Philanthropin Miss Irbv geleitete Waisenhaus für bosnische
Mädchen — eine Schöpfung aus osmanischer Zeit — hervor. Ein Blick
auf den Strassenverkehr zeigt jedoch das echt morgenländische Volker-
und Trachtengemisch. Darin hat sich Sarajevo das Gepräge einer orien
talischen Stadt bewahrt. Noch heute sieht es hier viel türkischer aus als
in Sofia und Philippopel; noch immer überwiegt die Landestracht; Turban
und Fez haben den Vorzug, Feredschi und Jaschmak der moham-
medanischen Frauen sind in den Strassen häufig, trotz der stets überhand-
nehmenden europäischen Frauenkleidung. Diese hat die meisten Er-
oberungen gemacht. Die bosnischen Serbinnen und Kath »likinnen der
besseren Stande legen selbst das so kokett auf den dunkeln Ilaaren sitzende
Fez theilweise ab und setzen wahre Ungethüme von Hüten auf, unter denen
ihre eigenthumliche Schönheit gar nicht zur Geltung kommt. Nur
Mohammedaner bleibt der Tracht seiner Väter treu und auch an den jüdischen
Damen spanischer Herkunft ist dieser schöne konservative Zug zu beobachten.
Am Ende der Cemalusa- Strasse, die wir bisher verfolgt haben, bi
wir rechts in die Franz Josef- Strasse ab, die gegenwärtige Hauptverkehr-
ader der nichtbosnischen Bevölkerung. Hier erblicken wir zuerst das schöne
kk. Militär-Casino, in dem während des Winters Conccrte, Balle und andere
4
49 —
gesellige Unterhaltungen stattfinden. Ein hübscher Garten, der sich bi-
zur Miljacka ausdehnt, bietet im Sommer bei Miütärmusik einen an-
genehmen Zusammenkunftsort der eleganten Welt. In unmittelbarer Nach-
barschaft steht der imposante Bau des Obergymnasiums und der Präpa-
randie, die leuchtenden Zeugen der neuen Kulturära. Unfern links erhebt
sich der massive, aber im Ganzen wenig Interessantes bietende Kuppelbau
der griechisch-orientalischen Kirche. Durch die Rudolfsgasse links abbiegend
befinden wir uns nach wenigen Schritten vor dem katholischen Dom, einem
mächtigen Steinbau im romanisch -gothischen Stil. Die beiden hohen Thürme
spitzen sich pyramidenförmig zu, die beiden rückwärtigen Oratorien sind
mit Eckthürmchen versehen. Das Innere ist dreischiffig, das Sanctuarium
LandesmuseuiD und katholische Kathedrale in Sarajevo.
schliesst achteckig ab. Die drei Schiffe sind durch je vier von Säulen ge-
tragene Bogenöfifnungen getrennt. Der Dom wurde 1889 eingeweiht. Die
alte katholische Kirche in türkischer Zeit stand in einem Hofe im so-
genannten Latinluk — im katholischen Viertel -, dicht an der Miljacka.
Von aussen verrieth die umschliessende Mauer keineswegs die Bedeutung
des Gebäudes und das niedrige Kirchlein bot nur spärlichen Raum. Da
kam der furchtbare Brand des Jahres 1879 und mit ihm sank auch das
Heiligthum der Katholiken in Asche. Es wurde dann neben dem so-
genannten neuen Konak , der Wohnung des Landeschefs, auf dem Platze.
wo bis dahin der alte Konak gestanden, eine kleine Kirche errichtet, die
auch jetzt noch benutzt wild.
50 —
Neben dem Dom links befindet sich das ausgedehnte Gebäude des
Pensionsfonds der bosnisch-hercegovinischen Landesbeamten, in welchem
das Postamt und das Landesmuseum untergebracht sind. Das für Fremde
stets, für Einheimische dreimal in der Woche geöffnete Museum (für
mohammedanische Frauen ist ein eigener Besuchstag eingeführt) entstand
aus ganz kleinen Anfängen, aus einem privaten Museums verein, der auf An
reo-uno- des sremeinsamen Reichs-Finanzminister.s v. kallav durch Dr. Makanc
o-eeründet wurde. Gegenwärtig ist das Museum eine der ersten Sehens-
würdigkeiten, und die 1894 beim Archäologcnkongrcss in Sarajewo ver-
sammelt gewesenen fremden Gelehrten haben dieses Zeugniss in allen
Sprachen bestätigt. Dank der türkischen Besetzung des Landes blieb die
Erde Bosniens, über die unzählige Völkerstürme mit ihrer Kultur im Laufe
ehr Jahrtausende dahinbrausten, bis in die jüngste Zeit jungfräulich un-
berührt. »Hätte Allah wollen, dass die Schätze des Innern gehoben werden.
so hätte er sie auf die Oberfläche gelegt, <? sagt der Osmanli, und darum
wurde bis vor Kurzem der Bergbau in der Türkei nur unter den grössten
Schwierigkeiten gestattet. Ein Aufwühlen der Erde nach alten Sachen
kennt der Mohammedaner überhaupt nicht, es müsste sich denn um einen
vergrabenen Schatz handeln, und nur in Aegypten sind die Araber und
Fellachen zu selbstständigen Ausgrabern geworden. Bosniens Boden ist
aus diesen Gründen eine unerschöpfliche Fundgrube für Entdeckung
aus allen Perioden. Wir wollen gegenwärtig nicht auf die neolithischL;:
Ausgrabungen in Butmir und Sobunar, auf diejenigen in Jezerine u. s. v
eingehen, auch nicht auf die einzig in der Welt dastehenden Aufdeckungen
auf dem Gräberfelde der Hochebene Glasinac, wo noch Tausende und
Abertausende vorgeschichtlicher Graber der Oeffnung harren. Gelehrte
Federn haben hierüber lange Abhandlungen geschrieben und auf -
Manches werden wir im Laufe unserer Reiseschilderungen umfassender
zurückkommen. So viel ist gewiss, dass Bosnien noch durch viele Jahr
zehnte der Wallfahrtsort für sämmtliche Alterthumsforscher bleiben wird.
Und was entdeckt wurde, ist erst ein verschwindender Bruchtheil dessen,
was im Lande zu finden ist. »Wo Du es anrührst, ist es interessant, unter
jeder Scholle findest Du eine neue Kulturschicht,« könnte man angesichts
der steten überraschenden Entdeckungen sagen, die hier gemacht werden.
Von allen diesen Schätzen giebt das Landesmuseuni einen umfasset -
den Begriff". Einst aus vier Zimmern bestehend, nimmt es heute schon
das Zehnfache ein, ' und es ist zu hoffen, dass der Bau eines eigenen
Museums nicht mehr lange auf sich warten lässt. Das Landesmuseum be-
steht aus zwei Abtheilungen: der archäologisch-historischen und der natur-
wissenschaftlichen. Die erstere gliedert sich in die prähistorische, die
römische, die mittelalterliche, die Münzen-, Gemmen- und Siegelsamm-
lung, wie in die ethnographische Sammlung. Die naturwissenschaftliche
— 51 —
Türkische, in Sarajevo geprägte
Nothmünze aus Kupier 'Mangura .
Abtheilung theilt sich in die anthropo
logische,die zoologischen, die botanischen
und die mineralogisch - geologischen
Sammlungen. Aus der reinen Bronze-
zeit sind Funde aus dem Ramathale.
aus Tesanj, Maglaj etc. besonders be-
merkenswerth, dann diejenigen aus der
Hallstätter Periode, die Tausende von
Funden aus den Tumuli von Glasinac,
die aus der La-Tene-Zeit etc. Wenn
auch die Sammlung römischer Alterthümer an Zahl der Gegenstände
hinter der prähistorischen Sammlung zurücksteht, so bietet sie dennoch
ein übersichtliches Bild der Kulturverhältnisse des Landes zur Zeit der
römischen Herrschaft, wo Bosnien eine der Hauptverbindungsadern nach
den unteren Donaugegenden und nach dem Goldenen Hörn bildete. Die
römischen Strassenzüge in Bosnien sind vom Baurath Philipp Ballif in
einem umfangreichen Werke nach seinen eigenen Erhebungen und Er-
forschungen dargelegt worden. (»Römische Strassen in Bosnien und der
Herzegowina« von Philipp Ballif, bosn.-herzeg. Baurath, Wien, Carl Gerold.)
Die Münzensammlung verleiht dem Museum einen besonderen Werth. Mit
Ausnahme einer im 17. Jahrhundert in Sarajevo geprägten türkischen Noth-
münze und der während der Regierung der bosnischen Baue und Könige
geprägten Münzen war das Land von jeher auf den Gebrauch fremden
Geldes angewiesen. Neben den sehr seltenen bosnischen und sonstigen
südslavischen Münzen finden sich aber auch äusserst werthvolle Stücke
der Republik Ragusa, und bei Krupa fand man karthagische Münzen von
bedeutendem numismatischen Werthe. Neben den zoologischen, botanischen
und geologischen Sammlungen möchten wir aber den höchsten Werth auf
die ethnographische Sammlung legen, die nicht nur das Volksleben in
Bosnien und Hercegovina, sondern auch das der übrigen Balkanländer in
lebensgrossen Typen in naturgetreuer Darstellung zeigt, ausserdem aber
die Eigentümlichkeiten der Wohnungen wiedergiebt.
Es ist unmöglich, auch nur einen Begriff von der Reichhaltigkeit de.-
Museums zu geben; es müsste ein Katalog abgeschrieben werden, der
schon am nächsten Tage lückenhaft wäre, denn nicht täglich, nein stünd-
lich mehren sich die Schatze, die Bosniens Boden nach Sarajevo liefert
Das Museum allein ist eine Studienreise werth. Das Sammeln in einen;
Lande, wo die Schätze förmlich auf der Strasse liegen, wäre aber noch
nicht das Bemerkenswertheste. Erstaunenswerth ist es dagegen, dass in
einer ehemal- türkischen Provinz, die vier Jahrhunderte für die europaisch.
Kultur verschlossen war. eine wissenschaftliche Zeitschrift erscheint, die
sich ahnlichen Veröffentlichungen in den vorgeschrittensten Ländern kühn
an die Seite stellen kann. Der »Glasnik zemaljskog muzeja u Bosni i
Hercegovini erscheint seit [888 und er bietet eine Fülle wissenschaftlichen
Materials mit vorzüglichen Abbildungen, das auch den nicht Südslavisch
verstehenden Gelehrten durch eine deutsche Uebersetzung zugänglich ge-
macht wird, von der einstweilen vier Bande vorliegen. Leiter dieses Unter-
nehmens und Direktor des Landesmuseums ist Hofrath Konstantin Hörmann
(auch Ehrenmitglied der anthropologischen Gesellschaft in Berlin und vieler
anderer gelehrter Gesellschaften Deutschlands), Kustos Dr. Giro Truhelka
und für die naturhistorische Abtheilung Kustos Othmar Reiser.
Da fast alle fremden Reisenden die Bekanntschaft des Museums-
direktors machen werden, ziemt es sich, diesen gleich hier vorzustellen.
Hörmann, die Vorsehung des Archäologentages«, wie ihn Professor
Dr. Virchow nannte, ist seit dem Beginn der Besetzung des Landes in Bosnien
thätig. Genau vertraut mit der Sprache und den bosnischen Verhältnissen,
voll Liebe zum Lande und Volke erfüllt, leistete Hörmann in allen Zweigen
der Verwaltung die erspriesslichsten Dienste. Dabei arbeitete er ununter-
brochen litterarisch und heute bewegt sich seine Thätigkeit vorwiegend
auflitterarisch-wissenschaftlichem Gebiete. Seine umfassende Mitarbeit an der
Museumszeitschrift nur erwähnend, muss auf ein Werk von ihm hingewiesen
werden, das eine Perle der südslavischen Litteratur bildet. Es sind dies die
Volkslieder der Mohammedaner in Bosnien und der 1 [ereegovina ( Xarodne
pjesne muhamedovaca u Bosni i Hercegovini , sabrao ECosta Hörmann).
In diesen Landern ist es das Volkslied, das jene> Empfinden zum
Ausdruck bringt, welches die Bosnier in den letzten Jahrhunderten der
türkischen Knechtschaft bewegte und bestürmte. In den Liedern tritt
wohl auch die epische Breite der serbischen Dichtung hervor, aber doch
sind sie wesentlich verschieden von denen der Serben. Sie athmen
Freiheitsdrang und Freiheitslust, sie rufen zum Klampfe, sie jubeln beim
Sieg. Und dabei sind sie doch wie die Waldblumen, die in den dunkeln
Waldern und Schluchten ihrer schonen Heimath blühen. Wer sich an ihrem
Dufte erfreuen will, muss sie aufsuchen, er muss die oft schwer zugäng-
lichen Stege "und Wege wissen, die ihn zum Liederschatze des Volkes
führen. Den Schlüssel zum Herzen des mohammedanischen Volkes aber
fand und besitzt auch heute noch Hörmann, und seine Gattin Olga
giebt einer Menge mohammedanischer Madchen Unterricht in allen
wissenswerthen Gegenständen, um auch das weibliche Element des Islam
einer höheren Kultur entgegenzuführen. Die bisherigen Ergebnisse sind
hocherfreulich, und die jungen Madchen hangen mit Verehrung an der
lieben gebildeten Dame, die das Ideal einer Hausfrau i>t. So wirkt in
Bosnien der gebildete Beamte mit seiner Gattin als Kulturträger, und
Oesterreich-LTngarn hat in seiner Kolonialarbeit Erfolge aufzuweisen, die
beispiellos in der Geschichte der Besetzung eine- fremden Landes sind.
— 53 —
Aber auch auf direkt journalistischem Gebiet ist Kosta Hör mann
thätig. Er leitet die seit Anfang 1895 erscheinende grosse illustrirte
Zeitschrift »Nada«, ein belletristisches Blatt im Stile der Leipziger »Illu-
strirten Zeitung«. Wohl giebt es in Kroatien und Serbien Familienblätter,
die sich höchst anständig repräsentiren, es fehlte aber immer noch ein
Organ, das sich nur mit Angelegenheiten der südslavischen Länder be-
fasste. Das ist mit Gründung der »Nada«, die in lateinischen und
cyrillischen Lettern erscheint, glänzend gelungen. Es ist ein Vereinigungs-
punkt für die Schriftsteller südslavischer Zunge geschaffen, in der sie voll
zur Geltung kommen, und die Illustrationen des Blattes, an denen u. A.
die Deutschen Gebrüder W. Leo Arndt und Ewald Arndt-Ceplin grossen
Antheil haben, sind mustergiltig. Und dieses Unternehmen rief die
bosnische Landesregierung ins Leben ! Jene Regierung, die in den Dele-
gationen von jungtschechischer Seite oft die heftigsten und ungerechtesten
Angriffe erfuhr. Es genügt nicht, Bosnien im Fluge in ein paar Tagen
zu durchreisen: man muss das Land früher gekannt, man muss dort gelebt
und immer wieder verkehrt haben, um die Fortschritte feststellen zu können,
die auf Schritt und Tritt zu bemerken sind. Dann erst wird man der
riesigen reformatorischen Thätigkeit des Ministers v. Kallay und seiner
Mitarbeiter gerecht werden.
Ein Blick auf die litterarische und journalistische Entwicklung des
Landes bietet überhaupt sehr viel Interessantes. Die erste Buchdruckerei
entstand 1866 in Sarajevo als Privatunternehmung. Sie wurde kurze Zeit
nach ihrer Gründung von der damaligen türkischen Regierung angekauft
und in eine Vilajetsdruckerei umgewandelt. Im selben Jahre begann die
Regierung die Herausgabe einer Amtszeitung »Bosna« in türkischer und
bosnischer Sprache, die bis zur Okkupation einmal wöchentlich erschien.
Im Jahre 1866 erschien in Sarajevo auch ein unabhängiges politisches
Wochenblatt, unter der Redaktion des ungarischen Staatsbürgers Sopron.
unter dem Titel Bosanski Vjestnik«, das nach kaum einjährigem Bestände
einging. Im Jahre [869 entschloss sich Schacir Efendi zur Herausgabe
eines offiziösen politischen Blattes »Gjulseni Saraj« (Sarajevski Cvjetnik).
Dieses Blatt, in dem die türkische und bosnische Sprache paritätisch ver-
treten waren, erlosch mit dem 1872 erfolgten Tode seines Herausgebers.
Von sonstigen litterarischen Erzeugnissen aus der osmanischen Periode
sind nur einige türkische Salnames (Kalender), dann einige cyrillisch ge-
druckte Fibeln, einige kleine Volkslieder-Sammlungen und eine bosnisch-
türkische Grammatik erwähnenswerth. Mit der Uebernahme des Landes
in die Verwaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie musste ein neues
Amtsblatt geschaffen werden. Es entstand die »Bosansko-Hercegovacke
Xovine , die zweimal in der Woche in bosnischer Sprache mit lateinischen
Lettern erschien, bis 1^79 auch cyrillischer Text dazukam. [88] wurde
— 54
der Titel in Sarajevski List« verändert und das Blatt erscheint auch
heute in lateinischen und cyrillischen Lettern. Schon im Oktober [878
war auch ein Unternehmen in deutscher Sprache ins Leben getreten, eine
zunächst nur für Zeitungen bestimmte »Bosnische Correspondenz< (Heraus-
geber H. Renner und J. Luhes). Anfangs autographirt, dann gedruckt,
erschien sie fast ein Jahr und sollte dann in ein deutsches Tagblatt um-
gewandelt werden. Es blieb aber bei einer Nummer der Okkupation«,
da die Verhältnisse für ein solches Unternehmen noch nicht genügend
konsolidirt waren. Erst am 1. Januar 1SS4 gründete Dr. Makanec die
Bosnische Post« in deutscher Sprache, die Anfangs einmal, dann zweimal
in der Woche, seit Mai 1896 täglich — auch in einer bosnischen Aus
gäbe — erscheint. Sie war stets vorzüglich redigirt, und die bosnische
Schriftstellerin Fräulein Alilena Mrazovic, in deren Besitz das Blatt nach
dem Tode des Dr. Makanec übergegangen war, verstand es meisterhaft,
Text und Feuilleton anziehend zu gestalten. letzt ist Eigenthümer
Joh. Bapt. Schmarda. 1883 regte sich das journalistische Leben auch in
der Hercegovina. In Mostar erschien ein Lokalblatt in bosnischer Sprache,
der »Bosiljak«, der in den Novi hercegovaöki Bosiljak und schliesslich
in »Glas Hercegovca* umgeändert wurde und jetzt zweimal wöchentlich
erscheint. Im April 1S85 begann in Sarajevo das politische Wochenblatt
>Prosvjeta« in cyrillischer Schrift unter Redaktion eines Lehrers zu er-
scheinen. Das Blatt stellte sich die Pflege der Interessen des orthodoxen
Elementes zur Aufgabe, hörte jedoch schon 1888 zu erscheinen auf. Lei-
Wettstreit auf dem Gebiete des Geisteslebens bewog einige moham-
medanische Notable von Sarajevo, im Jahre 1884 ein politisches Blatt in
türkischer Sprache und Schrift zu gründen. Es erscheint unter dem Titel
Vatan (das Vaterland) als Wochenblatt. Zur Vertretung der speziellen
Interessen der bosnischen Mohammedaner erscheint seit 1891 auch ein
politisches Wochenblatt in bosnischer Sprache und lateinischer Schrift.
der »Bosnjak«.
Die früheren Zustände und der Mangel an Buchdruckereien im Lande
hatten das Aufkommen einer heimischen Litteratur fast vollständig unter-
bunden, doch gab es schon einzelne Bosnier, die auf litterarischem Ge-
biete Hervorragendes leisteten. Nach dem aus der Hercegovina stammenden
Fra Andrija KaMc-Mio^ic, dessen Razgovori ugodni naroda slovind<oga«
eine Perle in dem Schriftenschatze der südslavischen Völker bilden, erschien
•'on Fra Jukic unter dem Pseudonym Slavoljub Bosnjak eine Geschichte
Bosniens ( 1 85 1 ) und eine Sammlung von Erzählungen au- dem bosnischen
Volksleben (1858) in Agram. Ihm folgt als Dichter der noch lebende
Franziskaner-Ordenspriester Fra Grgo Martic, dessen epische Dichtungen,
besonders »Osvjetnici« (Die Rächer), zu hohem Ruf gelangten. Line
eigenartige Erscheinung von ganz hervorragender Bedeutung tritt zu jener
55 -
Zeit hervor, nämlich, dass die Bewohner Bosniens und der Hercegovina
in Folge jahrhundertelanger Abgeschlossenheit in urwüchsiger Reinheit ihre
Sprache erhalten und eine unvergleichlich reiche Yolkspoesie bewahrt
haben, die später, als sich die Verbindungen mit den stammverwandten
Landern besserten, das Grundkapital zum Aufbau zweier Litteraturen,
der serbischen und der kroatischen, lieferten.*)
Panorama vo:
(Ansicht \ o n \ > ■ rc \vi
Vuk Steianovic-Karadzic, Vuk Vrcevic, Petranovic, Gjuro Danicic,
Ljudevit Gaj nebst vielen anderen Sprachforschern und Sammlungen der
Produkte der Volkspoesie förderten unermessliche Schätze gerade aus
diesen zwei Ländern ans Tageslicht und die gehobenen Schätze gaben
□ u n ' 1 die Hercegovina auf der Millenniums -Ausstellung in Budapest ii
Jahre [896. Herausgegeben vom Ausstellungsbureau der b.-h. Landesregierung.
5"
der Sprache, deren sich die serbische und kroatische Litteratur bedient.
das gegenwärtige Gepräge. Eine schriftstellerische Regung im Lande
beginnt in grösserem Mäassstabe erst nach dem in seinen Wirkungen für
das Okkupationsgebiet segensreich gewordenen Jahre [882 durch das
rasche Entstehen von Druckereien und Buchhandlungen. Zuerst wurden
mehrere kirchliche Blätter, dann die ßosanska Vila als belletristisches
1 a r a j e v o
egen Südost).
Organ gegründet, sodann der an anderer Stelle in seiner wissenschaftlichen
Bedeutung bereits gewürdigte »Glasnik zemaljskog muzeja . In rascher
Folge erschienen wissenschaftliche und volksthümliche Werke, ganz ab-
gesehen von den vielen für die Schulen erforderlichen Lehrbüchern und
den orientalisch-orthodoxen Kirchenbüchern, und mit dem Erscheinen der
oben erwähnten illustrirten belletristischen Zeitschrift Nada« kommt ein
57 —
mächtiger Schwung in Bosniens litterarisches Leben. Mohammedaner be-
theiligen sich hervorragend mit Beiträgen; Namen wie: Mehmed Beg
Kapitanovid, Osman Mazhar Pascha Cengic, Savfet Mirza Beg Basagic,
gewinnen einen guten Klang. Und jeder Monat, jedes Jahr bringt neue
Bluthen der bosnischen Litteratur auf allen Gebieten der Wissenschaft
und Belletristik.
^c
Leben und Treiben in der
bosnischen Hauptstadt.
ine vorzügliche Gelegenheit zu vergleichenden Studien
bietet sich in Sarajevo, wenn man vom Museum nur ein
paar Schritte in der Ferhadija-Gasse weitergeht. Da ist
man im spaniolischen Viertel der Carsija — des allge-
meinen Bazars — und man erhält den ersten Eindruck
von Sarajevo als Verkehrsmittelpunkt. Hier weiss man erst, was das
Handelsviertel einer grossen orientalischen Stadt bedeutet. Die neuen Strassen
werden in Sarajevo breit angelegt, macadamisirt oder gepflastert, selbst mit
Trottoirs zu beiden Seiten. Kaufläden nach europäischer Sitte mit weiten
Schaufenstern zeigen die Waaren des Abendlandes, grosse Wiener Kaffee-
häuser (Cafe Ewrope, Cafe Kune-rth), in denen alle möglichen Zeitungen
aufliegen, laden zum süssen Nichtsthun ein. Nur die Carsija hat sich
unverfälscht erhalten. Die sechszig und mehr Gässchen, aus denen sie
besteht, sind noch echt tür-
kisch. In den niederen, nach
der Strasse zu offenen Läden
(Ducans) sitzen die Geschäfts-
leute und die Handwerker wie
früher mit gekreuzten Beinen
und warten auf Käufer, ob-
wohl die Spaniolen sich auch
theilweise in grosse Läden
anderer Stadttheile gezogen
haben. Die Mohammedaner
hegen noch immer keinen
Konkurrenzneid, und wenn die
verlangte Waare nicht vor- Strassenbild aus der Carsija.
59 —
handen ist, wird der Käufer freundlichst an den Nachbar verwiesen.
V
In die Carsija hat sich übrigens meine- Wissens noch kein fremder
Geschäftsmann als Miether eines Gewölbes verirrt. Es heisst, er würde
auch schwerlich eines erhalten, denn {hier hat der Vakuf seinen Grund-
besitz und im Bazarviertel würde der mohammedanische Kirchenfond
nicht dulden, dass sich Eindringlinge festsetzen. Da müsse jeder Miether
einheimisch sein, die Religion bleibe Nebensache. Ich weiss nicht, wie
weit diese Annahme begründet ist, glaube eher, dass es einem euro-
päischen Geschäftsmann nicht passt, sich in die kleinen engen Gelasse
zu setzen, die [keinen Raum zur Entfaltung, nicht einmal zum ordent-
lichen Stehen bieten. Aber selbst wenn die Gerüchte begründet wären,
würde ich dies der Vakufverwaltung nicht verdenken. Mindesten- in
den gedeckten Gängen des Besistan — der grossen steinernen Verkaufs-
halle — müssen das heimische Gewerbe und die heimische Industrie einen
Schutz finden. Für die nicht bosnischen Geschäftsleute sind die Franz Josef-
V
Strasse — die einstige Galata Sokak — , die Cemalusa-, die Ferhadija-,
Rudolf- und andere Strassen da. Wo früher nur die Wohngebäude wohl-
habender und reicher Leute standen, da reiht sich jetzt Laden an Laden.
Das ist nicht mähr orientalisch, denn in einer echt türkischen Stadt ist
das Handelsviertel ganz abgeschlossen, wie sich auch die Gewerbe nach
einzelnen Gassen scheiden. Der Orientale wird nie sein Wohnhaus mit
dem Geschäftshause verbinden. In ersterem will er gänzlich ungestört,
Herr seiner selbst und seiner Familie sein. Die Geschäfte vollzieht er in
V
seinem Ducan in der Carsija. Dort sitzt er von früh bis zum Sonnen-
untergang, bis der Muezzin vom Minaret Akschäm verkündet. Dann schliesst
er seine Bude und wandert nach Hause. Im Laden aber empfängt er auch
seine Bekannten, hier bewirthet er mit schwarzem Kaffee Kunden und
Freunde, hier wartet er mit Cigaretten oder Tschibuk auf. Ein aus-
gebreiteter Teppich ist sein Ruheplatz, im Winter tritt ein Mangal, ein
metallenes Becken mit glühenden Holzkohlen hinzu, über denen er sich
von Zeit zu Zeit die Hände wärmt. Eine Katze ist häufig der Gesellschafter.
Er hat stets Zeit, auch beim Verkauf drängt oder beeilt er sich nicht, und
das beschauliche Leben wird nur durch die Gebetzeiten unterbrochen, w i er
die vorgeschriebenen Waschungen vornimmt und in die nächste Dzamija geht.
V
Dabei ist es nicht etwa [still in der Carsija; es pulsirt und hastet
volles Leben, und an Markttagen ist ein Drängen und Stossen in
den engen Gassen, das schier beängstigend wird, wenn Tragthiere mit
ihren Lasten oder Fuhrwerke den Verkehr hemmen. Das Pflaster ist
schändlich, durchwegs runde, abgeschliffene Steine, sogenannte Katzen-
köpfe, bald hoch, bald niedrig, ausgetretene Gruben, in die der Fuss
tikt. Ganze- Strassen enthalten nur Gemüseläden. Da sind Berge von
Melonen, Gurken, Paprika, Melengani, Zwiebeln, Krautsorten und Obst
— 60 —
S '/
Lastträger (IIa mal).
aufgeschichtet, in anderen wird
das Fleisch immer offen auf
der Strasse verkauft, überall
hängen abgebalgte Lämmer;
dazwischen ist wieder ein Brot-
laden, in dem der türkische
Bäcker der Ekmekdzlja —
die ungesäuerten flachen Brote
vor den Augen des Publikums
bäckt, dann kommt eine Gar-
küche, "der ein kleines dunkles
Kaflee, in dem gleichzeitig ein
Barbier die Köpfe rasirt. Von
Zeit zu Zeit schreien wandernde
Verkäufer mit lautem Gebrüll
ihre Waaren aus, Händler mit
Getränken drängen durch die
Menge und der Kafedzia eilt
mit der kupfernen Kaffeekanne und einzelnen Tassen zu seiner Kund-
V
schaft, die ihre Läden nicht verlassen kann. Die Carsija ist auch der
Sammelplatz der Strassenbettler, wie sie früher der Hauptvereinigungspunkt
für die zahlreichen herrenlosen Hunde war, die jetzt so ziemlich beseitigt sind.
In den Kaufläden überwiegen die europäischen Waaren. doch sind
auch noch orientalische Stoffe, bosnische, türkische und persische Teppiche
zu finden. Von grossem Reiz ist die feine bosnische Leinewand, die so
genannten Bez-Gewebe mit Gold und
Silberfaden oder durchbrochenen,
prachtigen Mustern, die sich schon
im Auslande einen Markt verschafft
haben. Ausserdem die Tauschir-
und Filigranarbeiten, die hübschen
Kupfergefässe und -Schüsseln, die
Kaffeekannen und Services, Räucher-
behälter u. s. w. Sie werden meist
verzinnt und mit den reizendsten
Mustern und Arabesken verziert, sie
können aber auch versilbert, vergoldet
oder in der reinen dunklen Kupfer-
farbe geliefert werden. Alle diese
echt bosnischen Erzeugnisse sind von
so eigenartiger Schönheit, mitsolchem
Junger Zigeuner aus Sara künstlerischen Geschmack gearbeitet.
— 61
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dass sie jedem, auch dem stolzesten, Haushalt zur Zierde gereichen.
Messer und Scheeren sind in verschiedenen Läden in vorzüglicher Güte
gearbeitet; sie sind oft damascirt, mit ausgelegten Klingen und Beingriffen.
Die Scheere ist die lange, schmale mittelalterliche, die Fingerringe auf
Federn, mit konkaven Schneiden, wie sie derzeit nur noch im Orient
und in Norwegen gebräuchlich ist. In Bosnien wird sie im alltäglichen
Verkehr bereits durch unsere Muster verdrängt. Von besonderer Güte
sind die bosnischen Lederwaaren für den täglichen Bedarf, die mit Stickereien
verziert werden, wie auch die einheimischen Kleidungsstücke geschmack-
volle Schnüremuster aufweisen.
Es liegt in der Natur
der Dinge, dass viele der
bisherigen bosnischen Ge-
brauchsgegenstände ihre
Formen ändern müssen,
dass sie durch auslän-
dische Waaren verdrängt
werden. Da ist es nicht
genug anzuerkennen, dass
die Landesregierung we-
nigstens so viel als mög-
lich dafür sorgt, das Kunst-
gewerbe zu erhalten und
neu zu beleben und diesen
Artikeln weitere Absatz-
gebiete im Auslände zu
verschaffen. Das ist ihr
besonders mit den Erzeugnissen der Tauschirkunst, den Inkrustationen mit
Gold und Silber auf Holz, mit den Arbeiten der Treibe- und Gravirkunstin
Kupfer und Edelmetallen gelungen. Die Landesregierung errichtete eigene
kunstgewerbliche Regierungsateliers in Sarajevo, Foca und Livno, in denen
die alte Kunst erhalten, gepflegt und auch für Gegenstände des modernen
Gebrauches praktisch zur Anwendung gebracht wird. D urchweg sind es
n )h im njclanische Jünglinge, die von den alten Meistern in ihrer Kunst aus-
gebildet werden. Die schönen Arbeiten haben auf der Gewerbeausstellung
in Wien, wie auch in Berlin, Paris und London viel Beifall gefunden,
und auf den alljährlichen Weihnachtsausstellungen bosnischer Erzeugnisse
in Wien finden sich Gegenstände von höchster Vollendung, von zartester
Eleganz. Man staunt über die feinen Formen, die reizenden Farben-
zusammenstellungen, die geschmackvollen Zeichnungen auf den Y
Bonbonnieren, Kassetten, Spiegel- und Photographie-Rahmen, Staffeleien
Paravents, Lc>e- und Koranpulten, den Tellern, Tassen, Leuchtern, Bürsten,
Xt
msm v;
— 62
] ; e g i
1 ) Z ;i |
in
ijevo.
Cigarettenspitzen, 1 tut
nadeln, den droschen,
Doppelnadeln, Manschet-
tenknöpfen, Besteckkassetten,
Tintenzeugen, Sonnenschirmen.
Mantelschliessen , Falzmessern,
Schirm- und Stockgriffen, den
Fächern, Tischen, Tabourets,
den Cigarrenetuis, Feuerzeugen,
hechern, Uhrketten, Aschenschalen.
Becken, Kannen, Krügen, Mokka- und
Punschservices etc. Auch für dieTeppich-
weberei hat die Regierung am Bistrik
ein eigenes Atelier, eine Fabrik errichtet, in der Smyrna-, Perser- und
bosnische Teppiche mit prächtigen einheimischen Mustern gewebt werden.
Eine Menge Madchen aller Konfessionen linden hier Anleitung und lohnende
Beschäftigung.
Die Teppichweberei als Gegenstand des Hausfleisses stand ehemals
in Bosnien auf bedeutender Höhe. Der Teppich bildet bekanntlich das
Haupteinrichtungsstück der orientalischen Wohnung, auch in Bosnien wurde
daher die grösste Sorgfalt auf die Erzeugung dieses wichtigen Artikels
verwendet. Der allgemeine wirthschaftliche Verfall unter türkischer Herr-
schaft hatte aber auch diesen Industriezweig nicht unberührt gelassen, und
seit der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts waren gute Arbeiten eine
Seltenheit. Das billigste Wollmaterial wurde verarbeitet und Anilinfarben
verdrängten die alten guten Wollfarbstoffe. Die Landesregierung wendete
diesem Industriezweige ihr Augenmerk zu. Mit Rücksicht auf die nicht
63
zu vermeidende Konkurrenz des europäischen .Marktes musste mit weit-
gehendster Vorsicht vorgegangen werden, und daher wurde die Wieder-
belebung der Teppichweberei nicht sofort auf das ganze Land ausgedehnt.
sondern vor allem nur ein Regierungsatelier in Sarajevo gegründet, das einer-
seits die Aufgabe hatte, durch Zurückgreifen auf die alten guten Muster,
durch eine sorgsame Auswahl des besten einheimischen Wollmaterials und
guter Farbstoffe tadellose Erzeugnisse herzustellen, sowie unter Benützung
von fremdländischem, feinem Materiale durch die hervorragende Kunst-
Inneres des la ndesär.irischen Teppich-Webeateliers in Sarajevo.
(Im Vordergrunde vertikaler Stuhl für persische, im Hintergrunde horizontaler Stuhl für gewebte Teppiche.
fertigkeit der bosnischen Weberinnen auch den westeuropäischen An-
forderungen entsprechende Erzeugnisse auf den Markt zu bringen, anderer-
seits aber Absatzgebiete ausserhalb des Landes zu erobern.
Der Werth der bosnischen Teppiche liegt hauptsächlich in deren
orientalischem Charakter. Um diesen mit Sicherheit und Raschheit auf-
zufrischen, erschien es am zweckmässigsten, auf die eigentliche Heimstätte
dieser Kunst, den Orient selbst und insbesondere Persien zurückzugreifen.
Demzufolge wurde für das Regierungsatelier für Teppichindustrie ein
persischer Maler angeworben, dem die Aufgabe übertragen ist, nicht nur
die alten Muster in ihrer ehemaligen klassischen Reinheit herzustellen.
- 64
sondern auch neue, echt orientalische Vorlagen für Teppiche zu ent-
werfen.
In kürzester Zeit wurden die besten Ergebnisse erzielt, sodass die
Zahl der Arbeiterinnen von Monat zu Monat vermehrt werden musste.
In der jüngsten Zeit hat man in diesem Atelier auch das Knüpfen von
Teppichen mit bedeutendem Erfolge in Angriff genommen. Das Atelier
ist mit allen erforderlichen Hilfsmitteln ausgestattet; an der Spitze stehen
fachmännisch gebildete Leiter (Techniker H. Panitschek und Chemiker Hoff-
mann), und Ende 1895 bestand das Personal aus 2 Werkmeistern, 2 Unter-
meistern, 4 Abrichterinnen, 6 Spulerinnen, 95 Arbeiterinnen, 3 Färber-
gehilfen und 28 Anfängerinnen.
Für die Hebung und Erhaltung der Bez-Fabrikation und der Stickerei
wird in der Weise Sorge getragen, dass die von der Landesverwaltung
errichtete Faktorei den einzelnen tüchtigen Arbeiterinnen Webstühle un-
entgeltlich zur Verfügung stellt und ihnen ausserdem das Material, Garne
und Seide, vorschussweise an die Hand giebt. Die fertiggestellten Arbeiten
werden, ohne Rücksicht auf den Absatz, von der Landesverwaltung ab-
gekauft, und der Weiterverkauf erfolgt wie bei den Erzeugnissen des landes-
ärarischen Regierungsateliers. Ende 1895 standen 466 von der ärarischen
Faktorei in den Bezirken Sarajevo, Mostar, Bugojno, Travnik, Stolac und
Trebinje an Bez-Arbeiterinnen vertheilte Webstühle in Verwendung.
V ö
In der Carsija, sich von der Franz Josef- Strasse bis in die Fer-
hadija hinziehend, liegt der vorhin bereits erwähnte grosse Besistan. Er ist
bombenfest gebaut und hat alle grossen Brände, von denen Sarajevo heim-
gesucht wurde, siegreich überstanden. Nur die dazu gehörige Karawanserei,
der Tasli-Han, wurde 1879 ein Raub der Flammen, und noch heute liegt
sie in Trümmern. Wenn wir den Eingang von der Franz Josef- Strasse be-
nutzen, stossen wir zuerst auf diesen weiten Trümmerplatz, auf dem einige
Stallungen errichtet wurden. Rechts treten wir sodann
durch eine ziemlich niedere Thür; einige Stufen geht
es abwärts, und es empfängt uns ein mystisches Halb-
dunkel, an das sich das Auge erst gewöhnen muss.
Dann bemerkt man ein Verkaufsgewölbe neben dem
anderen, im Hauptgang wie in zwei Kreuzgängen, wohl
über hundert. Die Miether sind nur Mohammedaner und
spanische Juden, welche meist Textilstofife feilhalten.
Hier kaufen die türkischen Frauen mit Vorliebe, und an
heissen Tagen oder auch bei schlechtem Wetter lässt
es sich in diesen kühlen Räumen prächtig spazieren,
plaudern, feilschen und dazu Kaffee trinken. I )a kommt,
wenn man die nöthige Geduld und Ausdauer besitzt, Ti •
0 viotiv aus der
beim langsamen Fragen so manches kostbare alte Begova-Dzamija.
5
6c —
Gewebestück, so manche wundervolle Goldstickerei aus irgend einem Harem
zum Vorschein, es finden sich auch noch echte duftige Stoffe von Mossul
und Bagdad, goldgestickte Schuhe wie für die zarten Füsschen einer Huri
im siebenten Himmel des Propheten. Aber erst nach und nach breitet der
Mohammedaner seine Schätze aus, ein Stück nach dem anderen holt er aus
irgend einem Versteck. Er ist auch nicht unwillig, wenn kein Kaufabschluss
erfolgt. Er wartet ruhig weiter, während die Spaniolen mit lautem Geschrei
Kunden anzulocken suchen.
Und haben wir den Besistan durchquert, so empfängt uns wieder das
Gewühl der Strasse, dem wir nun zu entrinnen suchen, um das stolzeste
mohammedanische Bauwerk Sarajevos zu bewundern. Es ist die dicht
beim Besistan gelegene imposante Begova-Dzamija, das mächtige, von
Ghazi Husrev Beg erbaute Gotteshaus, das nicht nur in Bosnien den
ersten Rang einnimmt, sondern in der ganzen Welt des Islam hochgeschätzt
wird. Die Moschee steht in einem von niederen Mauern umschlossenen
Vorhofe, wo sich unter einer mächtigen, Jahrhunderte alten Linde der für
die rituellen Waschungen bestimmte monumentale Brunnen befindet. Das
Innere der Moschee — eines gewaltigen Kuppelbaues — zieren nur Koran-
sprüche an den Wänden und orientalische Arabesken. Dem Eingang
gegenüber in der Richtung nach Mekka, befindet sich die Kibla, ein Stein-
block, der das Grabmal des Propheten versinnbildlichen soll. Auf dessen
linker Seite die Kanzel für den Prediger, auf der rechten Seite die »Mimber«,
d. h. die Kanzel, von welcher herab das Freitagsgebet für den Chalifen
und bei gewissen Gelegenheiten auch das Gebet für den Kaiser und König
Franz Josef gesprochen wird. Der Boden der ganz neu restaurirten Moschee
ist mit einem prächtigen Teppich bedeckt. Direkt neben dem Gotteshause
steht die Grabkapelle des Erbauers. Ein Hodscha führte uns in das Ge-
mach, in dem der Sarg Husrev Begs und seiner Gattin (nach einer anderen
Version seines Dieners) steht, mit schwarzen goldgestickten Tüchern be-
deckt. Ein Teppich überspannt den Boden, die Wände sind mit Koran-
sprüchen geschmückt. Zwei alte Moslims kauerten am Sarge und beteten.
Sie liessen sich nicht einmal durch das von den Stiefeln hervorgebrachte
Geräusch stören, obwohl sie hören mussten, dass Ungläubige das Heiligthum
betraten. Im Vorhofe, nächst dem Brunnen, befindet sich ein säulenförmig
gestalteter Stein, an dessen oberem Ende durch die Mitte eine Rinne läuft.
Es ist der sogenannte »Arschinstein«. Ein Pascha soll wahrgenommen haben,
die Kaufleute verschiedene Arschine (Ellenmaasse) gebrauchten. Diesem
Unfuge steuerte er dadurch, dass er den Arschinstein, dessen Rinne genau
die Länge einer türkischen Elle hat, als Kontrolmaass im Hofe der Dzamija
anbringen Liess, damit die Käufer sich überzeugen können, ob sie betrogen
worden sind. Im westlichen Thcile des Hofes steht ganz für sich der
hohe viereckige Uhrthurm mit -einem 24 Stunden zeigenden Zifferblatt.
66
Gegenüber, an der Nordseite der Moschee, befindet sich die Kursum-
Medresse (»bleierne Hodscha-Schule«), ein altes ebenerdiges Gebäude mit
hübschem Säulenhofe. Die Studirenden erhalten eigene kleine Zellen von
mehr als bescheidener Einrichtung; jedenfalls wird der Geist durch nichts
vom Studium abgelenkt.
Schreiten wir weiter nach Osten fort, in der Richtung gegen das
Kastell, so kommen wir zu einem grossen neuen Gebäude maurischen Stils
in rothen und gelben Ziegeln (roth und gelb sind die bosnischen Landes-
farben), das einen im-
ponirenden Eindruck
gewährt. Es ist das
Rathhaus, in dem der
Sarajevoer Gemeinde-
rath seine Sitzungen
halt. Nach dem Ge-
meindestatut vom
io. Dezember [883
beruht die Verwaltung der Stadt
auf repräsentativer und auto-
nomer Grundlage. An der
Spitze steht ein Bürgermeister
nebst einem Vicebürgermeister,
die von der Landesregierung
ernannt werden und denen ein
Regierungskommissar als kon-
trolirendes Organ zur Seite ge-
geben ist. Der Gemeinderath,
zu einem Drittel ernannt, zu zwei Dritteln gewählt, besteht aus 24 Mit-
gliedern, und zwar dem Zahlenverhältnisse der Konfessionen entsprechend
aus 12 Mohammedanern, 6 Griechisch- Orthodoxen, 3 Katholiken und
3 Juden. Die Wahl erfolgt auf drei Jahre. Wähler ist jeder bosnische
oder österreichisch-ungarische Staatsangehörige, der seit einem bestimmten
Zeitraum in Sarajevo wohnhaft ist und nach Immobilien 2 hl. an Erwerbs-
steuer 9 El. oder vom Schankrechte 25 Fl. Steuer zahlt. Das passive
Wahlrecht bedingt das Dreifache dieses Census. Die Intelligenz übt das
Wahlrecht ohne Steuercensus. Die Konfessionen wählen nicht unter sich.
sondern jeder einzelne Wähler kann nach dem festgesetzten Zahlenverhältniss
für alle Wählenden stimmen. Die Exekutivorgane des Bürgermeisters in
den einzelnen Stadtbezirken sind die Bezirksmukthare.
Motiv an der Begova-Dzamjija.
- 6:
Gegenwärtiger Bürgermeister ist Mehmed Beg Kapetanovic, einer der
reicheren Grundbesitzer des Landes, der sich schon ä la franca kleidet
Die anlässlich des Archäologenkongresses in Sarajevo weilenden Gelehrten
hatten Gelegenheit, ihn in seinem Hause bei echt orientalischer Gast-
freundschaft kennen zu lernen; die Wenigsten aber werden gewusst haben,
dass Mehmed Beg ein Dichter und dass auch ein Band bosnischer Sprüch-
wörter von ihm unter dem Titel »Xarodno Blago« erschienen ist. Diese
Sammlung von 4300 Sprüchwörtern ist ein imponirendes Stück jahrelanger
Rathhaus in Sarajevo.
unverdrossener Arbeit. Die Vorrede zu dem Buche ist ein litterarisches
Meisterstück voll Kraft und Schönheit des sprachlichen Ausdruckes; sie
selbst gleicht einem Strausse aus heimischen Blüthen der, mit bosnischen
Sprüchlein gebunden, den Leser erfrischt und zur Lektüre einladet. Es
dürfte vielleicht nicht unangemessen erscheinen, einige der gebräuchlichsten
Spruch worter hier wiederzugeben, da sie ein Spiegelbild des Volks-
charakters bieten.
5t selbstverständlich, dass das Leben und Treiben der Thiere, ganz besonders der
Hausthiere, zu Beobachtungen und zu Vergleichen den meisten Anlass giebt. So heisst es vom
Hunde: Der Hund bellt auch auf den Kaiser« oder »Auf den Armen bellen auch die Hunde .
Auch sagt man vergleichsweise vom Geduldigen: »Er bellt erst, wenn man ihm auf den Schweif
68 —
tritt«, oder wenn von kleinen Hindernissen grosses Aufsehen gemacht wird: l eher niedere
Planken springen auch die Hunde.« Ein ganzes Landschaftshild liegt in dem Ausspruch: Wer
viel im Dorfe umgeht, den beissen die Hunde, oder er trifft auf ein Mittagsmahl. Das Kind
kommt in allerlei Varianten vor: »Es ist sehr sehwer, tollen Kühen die Schweife zu binden.
»Beim Keichen sind auch die Ochsen gescheidt.« »Wer den Halfter Bpart, verliert das Kalb.«
Weit höher im Ansehen steht das Pferd: »Wo man Hengste anspannt, haben Esel nichts zu
thun. »Wähle ein Pferd mit breitem Hals und cm Mädchen von schlankem Wuchs.' »Pflege
das l'ferd wie deinen Bruder, aber reite es, als ob es dein Feind wäre. Der beste Käse
ist nach der Ansicht des Bosniaken der Schalkäse; darum sagt er: Den Käse nur vom Schaf,
die Milch nur von der Ziege, die Butter nur von der Kuh. Die Mohammedaner in Bosnien
reden nie vom Schwein, aber dafür behaupten die Christen: »Eine reine Sau ist niemals fett ,
oder sie sagen, wenn von einem Schmierfink die Rede ist: »Kleide eine Sau in Gold, so steigt
sie doch in die Pfütze.« Ein sehr charakteristisches Wort ist: »Der Gast und der Fisch taugen
am dritten Tag nichts mehr.« Von Grünschnäbeln sagt man: »Wenn die Eier gackern, müssen
die Hennen schweigen.« Am originellsten sind die Sprüchwörter, welche das weibliche Geschlecht
betreffen: »Frauen sind ein Uebel, das man nicht entbehren kann. Frauen, Feuer und Meer,
man weiss nicht, welches das Aergere war'.« Mit beisseiidem Spotte sagt das Volk: »Die
Frau ist gut, die keine Zunge hat;, und »Was die Frau nicht hört, wird sie auch nicht weiter
erzählen.« Dass Weiberthräncn auch in Bosnien nicht unbekannt sind, deuten die Worte an:
»Die Frau hat stets einen Beutel Thränen bei sich.« »Die Frau vertraut auf ihre Thränen,
wie der Dieb auf einen falschen Eid« und »Die Frau lacht, wenn sie kann, und weint, wenn
sie will«. Nachdem es heisst : »Frauen schelten, wo Männer mit dem Säbel dareinschlagen«,
ist es nicht zu verwundern, wenn der Volksmund erklärt: »Jung heirathen ist zu früh, alt
heirathen ist zu spät.« Dass eine gute Mitgift nie verachtet wird, zeigt der Satz: »Am Freitag
bist du mir die Schöne, am Samstag die Wackere, am Sonntag frage ich: Wieviel (leid hast
du?« Die Geschichte hat aber ihren Haken, denn: »Hat die Frau Geld, bleibt der Zank
nicht aus.« Von wenig idealem Sinn zeugt das Sprüchwort: »Weib, Kind und Hund muss
man schlagen« doch heisst es auch wieder: »Nur ein Zigeuner sehlägt sein Weib, ein rechter
Mann thut es nicht.« Dass der Teufel selbst einem bösen Weibe nicht gewachsen ist, ist auch
bei uns bekannt, doch sagt der Bosnier noch: »Eine fürsorgliche Hausfrau, ein Singvogel und
Ouellwasser, nichts Besseres giebl's auf der Welt«, oder etwas einschränkender: »krauen
sind wie Blumen, einige duften, andere nicht.« Nur die Mädchen von Sarajevo scheinen in
allen Punkten eine Ausnahme zu bilden, denn von ihnen sagt das Sprüchwort: »Wer Eine
uns Sarajevo freit, dem thut's nimmer um Vater und Mutter leid.«
Mit diesem tröstlichen Ausspruch nehmen wir Abschied von Mehmed
Beg und dem Sarajevoer Rathhause, statten der »Kiraet-Hane«, der hübschen
mohammedanischen Lesehalle, einen kurzen Besuch ab und lenken dann
unsere Schritte nach Bendbaschi, um uns Erholung zu gönnen. Bendbaschi
ist ein Kaffeehaus mit einem vielbesuchten Garten. Die Miljacka tritt dort
zwischen den Felsen ins eigentliche Stadtgebiet ein und fliesst dann in
breitem Bette gegen Westen. Vor sich, über dem Flusse, hat man einen
stillen türkischen Stadttheil, im Vordergrunde eine kleine Moschee mit
prächtigen Cypressen und Pappeln, hinter sich die Bäume des Gartens,
rechts hört man noch gedämpft den Verkehr des Handelsviertels, soweit
er sich über die Schech-Schahinbrücke vollzieht. Im Garten und direkt
an und über dem Wasser stehen Pavillons, wie sie die Mohammedaner zum
Kefhalten lieben und wie sie fast überall an hübschen Punkten zu finden
— 71
sind. Hier ist eines der lauschigsten Plätzchen von ganz Sarajevo, und in
alter Zeit habe ich unzählige Male hier gesessen, geträumt und auch ge-
arbeitet. Ueber und neben dem rauschenden Wasser sitzend, flössen die
Gedanken ganz anders als in der dumpfen Stube, und zu jedem Satze
sangen die Vögel ihr Lied, als wollten sie Beifall spenden. Das regste
Leben herrscht jedoch in Bendbaschi in den Nächten des Ramazan. Da
ist der Garten durch farbige Lampions erleuchtet, arabische Musik und
Gesang ertönen, und die so ernsten Moslims werden lebendig, während sie
bei Kaffee und Scherbet sich ergötzen, Nargileh (Wasserpfeife) und Tschibuk
dazu schmauchend. Das sind die Tage und Nächte, die sich ins Herz
schmeicheln, die in der Erinnerung fortleben und an die man auch in
späterer Zeit mit heisser Sehnsucht denkt. — Und wenn wir längs des
Bergabhanges weitergehen, die neue Strasse, die später in Serpentinen auf
die Höhe zur Festung — zur sogenannten »gelben Bastion« — führt,
entlang, so finden wir noch einige Kaffees mit Gärten, aber keiner besitzt
für den Fremden jenen intimen Reiz, wie Bendbaschi.
Wenn ich nach Sarajevo komme, zieht mich mein Herz bald immer
aus dem geräuschvollen Leben und Treiben in die alte Stadt, den »Grad«,
den man von Bendbaschi aus auf einem ziemlich steil ansteigenden Wege
schneller als auf der Serpentinenstrasse erreicht. Hier, hoch oben am
Berge, kann man versichert sein, noch einen Theil des alten Bosna-Saraj
zu finden. In dieser von Festungsmauern umfriedeten Stadt durfte sich
einst kein Christ ansiedeln; heute ist das anders geworden, aber das
unverfälschte mohammedanische Gepräge hat der Ort behalten, wenn auch
schon bei einem kleinen, echt türkischen Kaffeehause deutsch aufgeschrieben
steht: »Hier sind Tabak
und Cigarren, sowie Bier
zu haben.« Da schreitet
man noch durch die engen
Gassen mit dem holperi-
gen Pflaster und weicht
den Pfützen aus, die sich
vor einigen Häusern ge-
bildet. Hin und wieder
begegnet man einem
Moslim, der verwundert
und misstrauisch den
Fremdling mustert, der
ohnedies nur verstohlen
die Augen auf die ver-
gitterten Fenster, auf die
Muscharabieh richtet,
türkischen V i e r t e 1
■r-N
— 72 —
hinter denen vielleicht dunkeläugige Schöne ihr Haremsdasein vertrauern.
Selbst die Mädchen, die in Sarajevo bis zum heirathsfähigen Alter
unverschleiert gehen, ziehen hier ein gestreiftes Tuch vor das Gesicht, sobald
sie dem Europäer begegnen, der es wagt, die Ruhe zu stören, in die Ab-
geschiedenheit des muselmannischen Mittelalters einzudringen.
Wie jetzt, muss es hier auch ausgesehen haben, als die Stadt durch
die beiden früheren Edelleute Sokolovic und Zlatarevic um die Mitte des
16. Jahrhunderts gegründet wurde. Nicht in der Ebene, oben am Berge,
geschützt von allen Seiten, entstand das heutige Sarajevo, das sich
erst nach und nach längs der Miljacka erstreckte, als die] türkische
Herrschaft schon befestigt, als die prächtige Begova-Dzamija erbaut worden
war. Es hat zwar schon in den Zeiten der Römer in der Ebene von
Sarajevo eine Stadt »Ad Matricem« gegeben; diese lag aber wahrscheinlich
in der Nähe der Bosnaquellen, nicht weit vom Bade Jlidze, und das mittel-
alterliche Vrh-Bosna soll sich ebenfalls dort, mehr gegen Blazuj zu, erhoben
haben. Es war der Sitz des katholischen Bischofs, während die Zupane ihre
Residenz aui der festen Burg Starigrad hatten, die im Osten vom heutigen
Sarajevo hoch auf dem felsigen Thalrande der wildromantischen Miljacka-
schlucht sich erhob und von deren einstigem Glänze nur die Ruinen von
Grundvesten und Mauern zeugen. Und auch als längst die gegenwärtige
Stadt bestand, da war sie nicht die eigentliche Hauptstadt Bosniens, nicht
der Sitz der türkischen Vali. Die stolzen und trotzigen Bewohner ge-
statteten dem Pascha, wenn er Sarajevo berührte, nur einen Aufenthalt
von zweimal vierundzwatuig Stunden; sonst residirte er in Travnik. Die
weltliche Verwaltung Sarajevos ruhte in den Händen des einheimischen
Adels. Erst nach dem Aufstande von 1831/32 schlug der Vezier Kara
Mahmud seinen Sitz in der Stadt auf und liess die Goricahöhe befestigen,
doch blieben die späteren Gouverneure wieder in Travnik, bis 1850 Omer
Pascha für immer die Macht der Begs brach und Sarajevo dauernd zur
Landeshauptstadt machte.
Und alle die zahlreichen Brände, von denen Sarajevo im Laufe der
Jahrhunderte heimgesucht wurde, sie vernichteten nur immer dieTUnter-
stadt — die Varos. Der »Grad«, die Festungsstadt, blieb verschont,
auch dann, als 1697 Prinz Eugen seinen historisch' denkwürdigen Zug bis
Sarajevo ausführte und die Stadt aus Strafe niederbrannte. Dieselben
alten Häuser sahen damals das Flammenmeer aufsteigen; sie sahen ein
gleiches 1879, und es muss sie förmlich ein Gefühl der Unzerstörbarkeit
überkommen haben, weil sie aus allen Nöthen heil hervorgingen. Einen
schönen Anblick bieten diese Häuser nicht, aber im Innern sind sie stets
saubc gehalten. Was mich aber in den alten Türkenhäusern der Festungs-
stadt, die ich sehen konnte, wohlthuend berührte, das waren die wohl-
gepflegten Gärtchen, die lauschigen Haine und Hecken, die man nie hinter
— 73 —
den verfallenen Mauern
vermuthet hätte. Dazu
Vogelgezwitscher überall,
in jedem Busch eine Nach-
tigall — »süss flötet der
Bülbül in den Rosen-
gärten« , wie der arabische
Dichter singt. Da wäre
es gut gewesen, eine Zeit-
lang auszuruhen von der
Erdenwanderung, dem
müden Kopfe Erholung
Ig^ i^«.» yj /u gönnen und von einer
ml ^^9mf^ [ Fatma oder Mejra bedient.
/ ' bei schwarzem Mokka
i aus Haschisch süsses Ver-
gessen zu trinken.
Doch bald ist man
wieder ins europäische Da-
sein versetzt. Das Militär
erinnert an das Abendland,
und am Visegrader Thor
steht ein städtischer Be-
amter, der von den Bauern,
die Vieh zum Markte bringen, die Verzehrungssteuer einhebt. Wir gehen
schnell einige Schritte ins Freie, um wieder echt bosnisches Leben zu
athmen. Am Wege liegt ein altes türkisches Kaffeehaus, ein Lieblingsort
der Muselmanen. Eine Veranda hängt förmlich über einem Abgrund und
eine vielhundertjährige Linde beschattet den ganzen Platz. Der Blick fällt
von hier weit ins Miljacka- und in das Moscanicathal, wo sich bei den
Quellen der Moscanica die technischen Anlagen der Sarajevoer Wasser-
leitung - - auch einer ganz neuen Schöpfung — befinden. Dann schweift
das Auge über die wundervolle Gebirgsgegend, durch die sich tief unten
die neue Strasse nach Mokro, am jenseitigen Bergabhange die alte Strasse
über Alifakovac nach der Kozija Cuprija — der Ziegenbrücke — schlängelt.
Dort ist es angenehm, »Kef« zu halten und, während die Rauch-
wolkchen des feinen Trebinjers in die Lüfte steigen, zu träumen. Von
der »Gelben Bastion« oder noch besser von der im nordöstlichen Winkel
des Kastells gelegenen »Weissen Bastion« aus, oder auch von Alifakovac
am linken Miljackaufer muss man aber Sarajevo sehen in einer Bajram-
nacht. Sobald Aksam verkündet, der Glaubensspruch »La ilah il Allah.
Mohammed rasül ullalv< von den Minarets in Minoren Tönen verhallt ist,
Milj
l c k a t h a 1 mit dem V i s e g r a cl e r Thor
in Sarajevo.
74
da flammen überall die Lichterkränze an den Moscheen und Minarets aut.
Förmliche Guirlanden kleiner Lampchen, oft türkische Schriftzeichen bildend,
ziehen sich von einem Mauernkranz zum anderen, und Sarajevo bietet mit
seinen mehr als hundert Dzamijen den Anblick eines Märchens aus Tausend
und eine Nacht. Weit hingestreckt sieht man von der Höhe die ohnedies
sehr ausgedehnte Stadt; man glaubt sie um ganze Stunden verlängert.
Ringsum aut allen Berglehnen dasselbe Bild. Inmitten grüner (/arten immer
wieder die Lichter einer Moschee, die Häuser nur so weit beleuchtend,
dass man ihre Umrisse
sieht. Wer diesen An-
blick einmal genossen,
wird ihn nie vergessen;
er wird ihm eine der
schönsten Erinnerungen
für das ganze Leben sein.
Durch die Ploca-Ulica
vom Kastell absteigend,
statten wir der Schcriats-
Richterschule, einem
wundervollen maurischen
Bau, der von der gegen-
wartigen Verwaltung er-
richtet wurde, einen Be-
such ab. Hier wird das
mohammedanische
Recht studirt, das heisst
die auf das Lhe-, Fa-
milien- und Frbrecht der
Islamiten bezüglichen Be-
stimmungen des Scheri,
die in Bosnien nach der
geltenden Gerichtsver-
fassung noch zur An-
wendung "■elantren.
Wasserfall Skakajvac bei Sarajevo.
Das Scheri — das Gesetz — ist Wer Inbegriff aller die Dogmatik, den Ritus, das öffent-
liche und private Leben der Mohammedaner betreffenden Vorschriften. Die Grundlage des
Scheri, die Urquelle des moslemischen Rechtes, ist der Koran als die Verkörperung aller Vor-
schriften für sämmtliche Lebensbeziehungen der Mohammedaner in ihrer Gesammtheit, sowie
eines jeden Einzelnen im privaten wie im öffentlichen Leben. Den einfachen patriarchalischen
Verhältnissen des Volkes, dem der Religionsstifter entstammte, angepasst, erscheint es selbst-
verständlich, dass mit der allmählichen Verbreitung des Islam die Vorschriften des Koran
nicht ausreichend sein konnten, um in allen auftauchenden dogmatischen, rituellen und rechts-
wissenschaftlichen Fragen als leitende Xorm zu dienen. Es wurde demnach auf die Ueber-
75
a
_ 76 -
Scheriats- Richter schule in Sarajevo.
lieferung aus dem Leben des Propheten, nämlich auf dessen nicht schriftlich niedergelegte,
nur mündlich gegebene Lehren und dessen Handlungen (Hadis und Sunnet) als zweite Rechts-
quelle zurückgegangen. (Das »Justizwesen Bosniens und der Hercegovina« von Eduard
Eichler, Regierungsrath der Landesregierung in Sarajevo. Wien, kk. Hof- und Staats-
druckerei. ) Hierzu kommen als dritte Rechtsquelle die einstimmigen Entscheidungen und
Beschlüsse der ersten Imame, d. i. der vier ersten Nachfolger Mohammeds (Cbalifen Abubekr,
Omer, Osman und Ali) und der Mutschtehiden, zu denen insbesondere die Stifter der einzelnen
Sekten und ihre vorzüglichsten Schiüer gehören (Idschmai uminet und wurde endlich in vierter
Linie auf die Rechtsquelle »Kijas«, das heisst auf die in analogen Fällen ergangenen Ent-
scheidungen der Rechtsgelehrten des Islam zurückgegangen, welche im Geiste der vorigen drei
Quellen bis auf die Fetwasammlungen (Responsensammlungen) der letzten Jahrhunderte er-
lassen sind. Diese speziell von der Sekte der Sunniten anerkannten Quellen moslemischen
Rechtes laufen aus in den Lehren des grossen Imam Abu Hanife und seiner ebenfalls be-
rühmten Schüler Jussuf und Mohammed, welche im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebten
und welch ersterer der Gründer des nach ihm benannten Zweiges der Sunnitensekte, der
Hanefiten (auch Azemiten genannt), jener Sekte ist, welche im osmanischen Reiche zur
herrschenden ward. Es kann nicht im Rahmen dieser Darstellung liegen, die Einzelheiten des
Scheriatgesetzes noch näher zu erörtern; es genügt, anzuführen, dass die Scheriats-Richterschule
in Sarajevo also die mohammedanische Rechtsakademie i>t.
Von hier aus empfiehlt es sich, zur Logavinahöhe hinaufzusteigen
und dem Kloster der heulenden Derwische — der Sinan-Tekija — einen
Besuch abzustatten. Diese Fanatiker, die in Bosnien wenig Achtung
77
gemessen, sind an europäischen Besuch gewohnt, und sie geben an
Donnerstagen Abends ihre religiösen Uebungen gegen Eintrittskarten selbst
den Augen fremder Damen preis. Das alte Derwischkloster liegt in einer
stillen Gegend und es sieht baufällig und zerfallen aus. Man wird still,
ohne Fragen empfangen, eine Holztreppe in die Höhe geleitet und nun
aufgefordert, ruhig auf einer breiten hölzernen Gallerie Platz zu nehmen.
Sobald sich der Blick etwas an das herrschende Dunkel gewöhnt hat,
sieht man sich in einer weiten kuppelgedeckten Halle, die nur durch einige
Kerzen matt erleuchtet ist. Vor der Kibla, der Gebetsnische, steht ein
hagerer Greis mit weissem Barte, in gelblichem Kaftan und im grünen
Turban der Scheichs. Vor ihm im Kreise etwa zwanzig Anhänger in
der gewöhnlichen bürgerlichen Kleidung der bosnischen Mohammedaner.
Plötzlich beginnt die Andacht, der »Zikr<: (ausgesprochen Sikr).
Der Scheich — Edhem P2vancikovic mit Namen — singt mit schneiden-
der, lang tremolirender Stimme das Glaubensbekenntniss, welches auch
der Muezzin fünfmal des Tages von der Höhe des Minarets verkündet.
Dreimal nacheinander, immer eindringlicher, geht der Ruf: »Allah akbarU
— Gott ist der Grösste — nebst dem Glaubensspruch durch Mark und
Bein. Die Derwische bewegen kurz und langsam den Kopf, jede Neigung
mit einem schweren Athemzuge begleitend. »Hajja al es-salat!« (Kommet
zum Gebete), ruft der Alte. »Hajja al el fahla!« »Auf zum Heile (zur
Befreiung)!« »Allahu akbar, la ilahe ilT Allah!« Alle Sätze werden wieder-
holt und die Derwische gerathen in ein immer schnelleres Tempo. Tiefer,
schleuniger bewegen sie die Köpfe, denen schon der ganze Oberkörper
folgt; die Athemzuge werden immer lauter. Noch ein Ruf, — das Athmen
wird zum Keuchen. Athmen und Bewegungen geschehen bei allen gleich-
zeitig auf einmal, ganz im Takte. Schon berühren die herabhängenden
Arme den Boden, das Keuchen wird zum lauten »Hu«, soviel als »Er«,
Gott. Die Extase beginnt. Einige Fez und Turbane fliegen weg, über den
Kopf und wieder zurück werfen sie die langen, auf dem rasirten Schädel
in der Mitte stehengebliebenen Haarsträhnen. In das »Hu« des Chores,
das immer ächzender wird, mischt sich das »Allaha« eines oder des anderen
Verzückten. Der Schweiss rinnt vom Gesicht, manchem steht der Schaum
vor dem Munde; einer wird hochroth, der andere leichenblass. Nun springt
ein Jüngling in die Mitte des Halbkreises und beginnt, sich mit aus-
gestreckten Armen wie eine Spindel im Kreise zu drehen. Immer rascher
und rascher. Der Halbkreis unterbricht die Verneigungen, einen .Augen-
blick verschnauft die Gesellschaft. Dann drehen die Derwische zuerst den
Kopf, dann den ganzen Oberkörper ruckweise abwechselnd nach rechts
und links. Diese Bewegungen vollziehen sich mit steigender Geschwindig-
keit, begleitet von wilden »Hu-Hu Kufen, wahrend sich der Jüngling un
ausgesetzt mit gegen den Himmel gerichteten Blicken und ausgebreiteten
7S -
osnischer Derwisch. Von W. Leo Arndt
Armen um seine eigene Achse
dreht. Bleicher und immer
bleicher wird er. Schon ist
er fahl wie der Tod. Die
Augen schliessen sich. Den
Zuschauern schwindelt, denn
länger als eine halbe Stunde
dauert das grausame Spiel.
Jetzt und jetzt glaubt man,
müsse der Fanatiker zusam-
menbrechen, aber immer
wieder ertönt der monotone
Gesang des Scheich. Da hört
das Geheul gleichzeitig mit
den Bewegungen auf; einige
der Derwische stürzen zu
Boden — der »Zikr< ist zu
Ende. Wahrend nun einer
der Derwische die Lichter
der Reihe nach auszulöschen
beginnt, nähern sich die
Uebrigen, einer nach dem
anderen, mit dem Zeichen
der innigsten Verehrung dem
noch immer vor der Kibla
stehenden greisen Scheich
und verbeugen sich tief vor
ihm. Nach der Verbeugung
wird Jeder von ihm zweimal
umarmt, und während der
Verabschiedete sich still ent-
fernt, tritt der Nächste an
den Scheich heran. Die einfache Natürlichkeit dieser stummen Scene ist
unbeschreiblich. Und immer düsterer wird es in der Halle; ein Licht
nach dem anderen ist erloschen, ein Derwisch nach dem anderen hat sich
entfernt, bis nur noch der Scheich zurückbleibt, der oberste Vertreter
seines Ordens. Noch lange gellt uns der Ruf: Hu hu, Allah akbar! in
den Ohren.
In der östlichen Fortsetzung der Cemalusa-Strasse liegt ganz versteckt
hinter einer festungsartigen Mauer die alte serbische Kirche der heil. Erz-
engel. Sie stammt aus der Zeit der Gründung Sarajevos durch die Türken
und sie zei<7t wie der christliche Glaube sich beulen, wie er sich scheu
Ambona Predigerstuhl) in der alten
orientalisch-orthodoxen Kirche in Sarajevo
— 8i —
hinter dicken Mauern verbergen musste. Da ist nichts von dem äusseren
Prunk der modernen Gotteshäuser; fast in den Boden gesunken, jedenfalls
tiei in den Grund gebaut, ist das Kirchlein, als wolle es sich noch kleiner
machen, um ja nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, nicht die
Begehrlichkeit der Türken oder ihren Fanatismus zu reizen. Der Bau
ist ganz aus behauenen Steinen aufgeführt; er hat die Form eines unregel-
mässigen Quadrates und weist keinerlei Schmuck auf. Der Fussboden
liegt einen Meter tiefer als das Niveau der Umgebung, das Gewölbe er-
hebt sich nicht über S Meter. Im Innern der Kirche herrscht Dunkel;
nur sieben kleine übereinanderliegende Fenster lassen einen Lichtschimmer
Markthalle in Sarajevo.
einfallen. An das Kirchlein knüpft sich ein interessanter alter Brauch,
der wohl auch bald in Vergessenheit gerathen wird. Im Yorhofe finden
sich am Ostermontag die heirathsfähigen serbischen Mädchen in vollem
Putz ein, geziert mit dem ganzen Schmucke aus Gold- und Silbermünzen,
aus dem ihre Aussteuer besteht. Es ist ein Heirathsmarkt in offener Form
und er erklärt sich aus der früher nothwendigen Abgeschlossenheit, denn
schöne Mädchen durfte man vor den Türken nicht sehen lassen. Auf der
Strasse verhüllten die meisten ihr Gesicht wie die Mohammedanerinnen, und
so war es nicht gerade leicht, eine Bekanntschaft zum Heirathen zu machen.
Bei den reichen Klassen sorgte dafür allerdings die Geschäftsbekanntschaft
de> Vaters <>der eine alte Verwandte, welche die Vermittlerin machte.
In derselben Strasse steht auch der Tempel der spanischen Juden,
in dessen Besitz sich ein kostbarer Thora-Talmud und viele werthvolle
Teppiche befinden. Die Spaniolen, wie sie genannt werden, gelten als die
Nachkommen der aus Spanien vertriebenen Israeliten, die 1576 von der
türkischen Regierung auch in Bosnien angesiedelt wurden. Es kamen da-
mals 30 Familien nach Sarajevo, doch vermehrten sie sich im Laufe der
Jahrhunderte ganz bedeutend und gründeten auch andere Niederlassungen
in Travnik, Tuzla, Mostar, Banjaluka etc. Ihre Sprache ist noch immer
das Spanische, doch sind sie — wenigstens die männlichen Mitglieder —
auch der Landessprache und anderer europäischer Idiome mächtig. Ihr
Geschäftsgeist hat ihnen meist Wohlstand verschafft, auch gemessen sie
eines guten Rufes bei der nndersgläubigen Bevölkerung. Frauen und
Mädchen kleiden sich noch orientalisch und zeichnen sich oft durch
hervorragende Schönheit aus.
Erwähnt möge hier noch die dem Stadtbahnhofe gegenüberliegende
neue Markthalle sein, ein Gebäude von sehr gefälliger Bauart.
Wie bereits gesagt, scheidet die Miljacka — gewöhnlich ein lamm-
frommes Wasser, zu Zeiten ein wilder Bergstrom — Sarajevo in zwei un-
gleiche Hälften. Das Geschäftsviertel befindet sich auf dem rechten Ufer, wo
jetzt ein solider Quai — der Appel-Quai — den Fluss eindämmt und wo eine
elektrische Bahn den Verkehr nach der Ebene vermittelt. Die Elektricitäts-
werke sorgen zugleich theilweise für Beleuchtung der Stadt und Gebäude.
Ueber die sogenannte »Lateinerbrücke« (Latinski most) wenden wir uns
auf die linke Uferseite, wo einst der Sitz sämmtlicher türkischen Behörden
war. Da sehen wir zuerst die Careva-Dzamija — die Kaiser-Moschee —
eines der ältesten Gotteshäuser Sarajevos, wenngleich architektonisch keine
Besonderheiten bietend. Es war stets die offizielle Moschee, auf deren
Minaret an Freitagen die Halbmondsflagge wehte. In ihrem Rücken, durch
einen hübschen Garten mit weitem Vorhofe getrennt, steht der neue Konak,
der gewesene Palast des Vali von Bosnien, erst 1868 erbaut. Heute ist er
die Residenz des Landeschefs und kommandirenden Generals. Dem Konak-
hofe gegenüber erhebt sich das stilvolle Palais des Obergerichtes mit einem
schönen, von offenen Korridors umgebenen gedeckten Hofe, welcher das
Oberlicht durch ein Glasdach mit gelben Scheiben erhält. Unweit davon
befindet sich am Bistrik das bereits erwähnte Regierungsatelier für Teppich-
weberei. Die grosse von Omer Pascha 1 85 1 erbaute Militärkaserne steht
unweit des Konaks auf dem Philippovic- Platz ■ — einst At-Mejdan — , und
hinter ihr beginnt der Aufstieg in die stillsten aller Türkenviertel, in die
aber europäische Familien auch bereits einzudringen beginnen.
6*
Aus
dem bosnischen
Leben
und
Lieben.
)\
An der »Tekija
der sieben heiligen
Brüder« — einem Der- "**v
wischkloster mit den Grab-
mälern von sieben Brüdern,
die angeblich in alten Zeiten
auf Befehl eines Paschas ge-
köpft wurden — vorüber führt
ein halsbrecherischer Weg längs des Bistrik-Baches in die Bergeshöhen hinauf.
Es ist die orientalische Kalderma, auf der man schreitet, die mit grossen
Steinen gepflasterten Wege, die im Laufe der Jahrhunderte ausgetreten, durch
die Tragthiere mit förmlichen Gruben versehen wurden. Die Steine schliffen
sich ab, und es ist ein waghalsiges Turnen erforderlich, eine solche Berg-
strasse zu Fuss zu passiren. Daran haben sich die Bosnier längst gewöhnt;
nachgebessert ist an den Strassen in früherer Zeit nichts worden, und auch
die Sarajevoer Stadtverwaltung hat bisher weder Zei" noch Geld gefunden,
einen erträglichen Weg in jene Höhen anzulegen, auf denen Hausbesitzer
wohnen, die aus Armuth keine Steuern zahlen können. Es ist eines der
interessantesten Quartiere, die man in Sarajevo besuchen kann, allerdings
84
\V;u
mit Beschwerden verbunden, aber es
bietet Einblick in Verhältnisse, die
sich schwerlich anderswo finden, in
Häuserbauten, wie man sie in dieser
Gebrechlichkeit in einer Hauptstadt
kaum vermuthen würde, und doch
auch wieder in lauschige Winkel voll
wundervoller landschaftlicher Schön-
heit. Und ein Blick von der Höhe ent-
schädigt für alle Mühen und Strapazen.
Nicht allein auf die Stadt, meilenweit
schweift das Auge in die Ebene und
die sie umsäumenden Berge. Es ist eine
entzückende Phantasie in Grün,
zuerst dem Fremden auf allen Gängen in und um Sarajevo
auffällt, sind die vielen, mitten zwischen den Häusergruppen liegenden
türkischen Friedhöfe. Es dürfte ihrer wohl ein halbes Hundert geben, und
da sie in keiner Weise gepflegt werden, machen sie meist den Eindruck
einer trostlosen Wildniss. Es fehlen die Cypressen, die in südlicheren
Ländern des Islam den Verfall mit harmonischem Schatten verschleiern, und
kahl und nackt stehen die Steinpfeiler, die sich schief, krumm oder ganz
eingesunken an beiden Schmalseiten der Gräber befinden. Jeder Stein
zeigt an, welchem". Stande der Verstorbene angehörte. So bezeichnet aui
den alten Friedhöfen der eiförmige Turban das Grab eines Janitscharen,
der gespitzte das eines Derwisch, der niedere Turban jenes eines Kauf-
mannes. Einzelne Denkmälei enthalten zeilenlange Inschriften und selbst
kleine Säulentempel sind über den Grabstätten berühmter Persönlichkeiten
errichtet. Der Friedhot auf Alifakovac ist in dieser Beziehung sehenswerth.
Immer gleich bleiben sich aber die Denksteine für weibliche Personen.
Ein oben spitzzulaufender bezeichnet die Ruhestätte irgend einer Gattin
oder Mutter, selten nur wird ihr ein Wort liebevoller Erinnerung gewidmet.
Und doch wäre es verkehrt, daraus auf Gefühllosigkeit der bosnischen
Mohammedaner schliessen zu wollen. Es giebt vielleicht kaum ein innigeres,
ein mehr auf das Häusliche gerichtetes Familienleben, als bei den dortigen
Moslims. Vielweiberei ist gestattet, aber in Wirklichkeit kaum bekannt.
Es dürfte kaum einige Dutzend Mohammedaner in Bosnien geben, die mehr
als eine Frau besitzen, und wo dies der Fall ist, muss jeder Frau ein
eigener Hausstand eingerichtet werden. Das verursacht Kosten, und am
Ende hat auch der Mohammedaner meist mit einer Frau mehr als genug.
Gardinenpredigten sind durchaus nicht unbekannt; im Hause führt die
Frau das Regiment; meist ist sie sehr fleissig und wirthschaftlich, und
diejenigen Türkinnen, die auf seidenen Polstern dahinträumen, Scherbet
- 85
trinken, Cigaretten rauchen und im süssen dolce far niente den Tag ver-
bringen, sind seltener zu finden, als bei uns jene Frauen, die nicht nöthig
haben, sich um die Wirthschaft zu kümmern. Die Mohammedanerinnen
in Bosnien sind jedoch schlimmer daran als ihre europäischen Schwestern;
ihnen fehlen Theater und Concerte, sie haben keine öffentlichen Ver-
gnügungen. Nur gegenseitige Besuche können die Langeweile ausfüllen
und Ausflüge auf schön gelegene Punkte der Umgebung, wo dann »Teferic«
(mit Picknick zu übersetzen) gehalten wird. Was aber an den bosnischen
Mohammedanerinnen zu loben ist, das ist ihre Ordnungsliebe, Arbeitsam-
keit, ihre Fertigkeit in Handarbeiten, besonders Stickereien und — nicht
zuletzt - - die musterhafte Erziehung, die sie ihren Kindern angedeihen
lassen. Besser erzogene
Kinder als die türkischen,
und zum grössten Theil
gilt dies auch für die
christlichen Kinder in Bos-
nien, können in keinem
Lande gefunden werden.
Unbedingter Gehorsam,
Achtung und Ehrfurcht
vor den Eltern bis ins
späteste Alter sind die
Grundbedingungen, und
Verletzung eines dieser
Grundsätze ist ein Ver-
brechen, das den Be-
treffenden von jeder Ge-
sellschaft ausschliesst. Die
Schulbildung ist noch verhältnissmässig selten, die Bildung des Herzens
und Gemüthes meist vorhanden, und es scheint, als ob in dieser Richtung
der Islam eine sehr erziehende Wirksamkeit ausgeübt hätte.
Ueberhaupt macht man sich in PLuropa — auf dem Balkan spricht
man von den über der Donau und Save liegenden Ländern stets als von
Europa — von dem internen mohammedanischen Leben ganz falsche Vor-
stellungen. .Man glaubt den Schilderungen irgend welcher Touristen, die,
oberflächlich oder garnicht sehend, ihre Erzählungen mit nicht erlebten
Abenteuern ausschmücken, lieber, als den wirklichen Kennern, die freilich
so manches Geheimnissvolle ihres Nimbus entkleiden und ohne Weiteres
schreiben, dass auch die Muslims trotz der Polygamie und der Ab-
geschlossenheit der PYauen Fleisch von unserem Fleisch sind, dass sich bei
ihnen alles das findet, was wir in unserem Volksleben beobachten. Nur
ein grosser Theil der Laster mangelt, und das ist entschieden kein Fehler. In
Friedhof auf Alifakovac.
— S6 —
Bosnien, wo sich türkische und altslävische Sitten mit einander mischen,
wo man im Mohammedanismus noch unsere mittelalterlichen Gebrauche
findet, ist ein Studium entschieden am lehrreichsten. Es wird sehr er
schwert durch die Abgeschlossenheit und Verschlossenheit der betreffenden
Kreise und es bedarf weiblicher Mithilfe, um hinter die eigentümlichen
Sitten und Gebrauche, besonders in Frauenkreisen zu kommen. Eine der
schönsten Sitten, sicherlich ein Ueberrest aus christlicher Zeit, ist aber das
»Aschyklik«, der Damendienst oder die »süsse Minne«. Es ist das in
österreichischen oder bayerischen Ländern gebräuchliche » Fensterin < , und
wenn es auch weniger am Fenster, meist an Gartenzäunen stattfindet, so
erfüllt es doch den gleichen Zweck. Zur Landessitte — zum Adet —
gehört, dass türkische Frauen und Mädchen am Freitag oder auch am
Montag immer in grösserer Anzahl und ohne männliche Begleitung die
vorhin geschilderten Teferic-Ausflüge unternehmen. Mit Akschäm (Sonnen-
untergang) ist die Rückkehr geboten, und jetzt entwickelt sich in den
Hausgärten, an den Hinterthüren der Häuser oder von den vergitterten
Muscharabiehs aus (»Muschebak« sagt der Bosnier) ein geheimnissvolles
Treiben. Am Tage der »süssen Minne« ist es dem jungen Manne gestattet,
sich der Dame seiner Bekanntschaft, die er vielleicht als unverschleierten
Backfisch flüchtig geschaut, in allen Ehren zu nahen und ihr in Form
rechtens den Hof zu machen. Das geschieht so züchtig, so zart, dass man
die Mohammedaner wegen ihres Anstandes bewundern muss. Ueber ein
ganz leises Flüstern kommt das Aschyklik
nie hinaus, ein Kuss ist fast unmöglich,
und nur wenn die Leidenschaft
die Grenzen überschreitet, wenn
sich einer Verehelichung Hin-
dernisse in den Weg stellen,
dann wird eine Entführung
verabredet, die der Landes-
sitte entspricht, aber nicht
mehr recht gebräuchlich ist.
Und es ertönen hin und her
süsse Liebeslieder, die den
schönsten Klängen des
Abendlandes nichts nach-
geben. Da ist das bosnische
Volk, wenn auch religiös,
doch nicht national geschie-
den, und die Frauen- und
Liebeslieder gelten für Mo-
hammedaner wie Christen.
G u s 1 a r
«7
Ueberhaupt ist das südslavische Volk reich an Liedern. Während aber
die Epik wenig Gefälle hat, die Handlung meist verflacht oder im Sande
verläuft, ist der lyrische Schatz ein wunderbarer. Die epischen Stücke,
wie sie von den bosnischen Barden zur Gusla in einer fremdartigen, halb
singenden Weise mit eigenthümlichem Rhythmus recitirt werden, handeln
vom Alltagsleben und den Thaten der Helden; die Siege, wie die Nieder-
lagen werden mit Breite geschildert, aber keine Freude schwell1- die Brust
des Sängers, kein Kummer zerdrückt ihm das Herz. Wie anders die
Volkslyrik! Es ist fast unglaublich, dass diese duftenden Blüthen auf dem-
selben Boden wuchsen. Schelmische Laune, pathetische Leidenschaft,
ausgelassener Freudenüberschwang, süsse Melancholie, muthiger Trotz und
hingebungsvolles Anschmiegen : für jede Regung des Gemüthes hat diese
Lyrik ihre eigenen süssen Melodien. Welche innige Empfindung kommt
nicht in dem Gedichte zum Ausdruck:
»O Du Mädchen wunderschön!
Wasche nicht die Wange Dein,
Dass sie schneeig glitze nicht!
Hebe nicht die Braue fein,
Dass Dein Auge blitze nicht!
Hüll' den weissen Nacken ein,
Dass mir nicht das Herze bricht. -<
Und welche eigenthümliche Liebessehnsucht klingt nicht aus dem Liede:
»Wenn ich denke, süsses Liebchen,
An die Röthe Deiner Wangen,
Dann, mein Seelchen, hab' ich immer
Nur nach rothem Wein Verlangen.
Doch wenn Deine dunkeln Augen
In den Sinn mir, Liebchen, kommen,
Wird um keinen Preis ein and'rer
Als der dunkle Wein genommen.
Und aus Trauer, auch aus Freude,
Trinke, singe ich und weine,
Wanke endlich heim, beseligt
Von der Liebe — und vom Weine.«
Und wie feurig klingt es nicht, wenn der Geliebte spricht:
»So ein Kuss von Deinen Lippen,
Wenn dieselben feurig küssen,
Kann, mein holdes, theures Mädchen,
Selbst ein Wermuthsmeer versüssen.
Darum küsse, holder Engel!
Küsse endlos! Nicht versage!
Dass je eher Du versüssest
All das Herbe früh'rer Tage!«
— SS
Liebesidyll in der H erce<ro vi na.
Oder welche Gefühlswärme kommt nicht zum Ausdruck, wenn
Verehrer singt:
Wenn ich heimlich Dich begleite,
Hinter I >ir beseligt sehr
Geh' ich meines Glückes Spur, —
Aber selten, selten nur!
Wenn Du mich ans Her.: gezogen,
Deinen Arm um mich gebogen:
Lag ich in der Edenflur, —
Aber selten, selten nur!
Wann werd1 ich Dich immer küssen.
Herzen können, nicht mehr missen?
— So wie ich es heute kann? —
Sage, Liebchen, sage wann?
Und der bosnische Sänger mohammedanischen Ursprungs lässt -ein
Mädchen sprechen:
Meine Augen — Falkenaugen sind es,
Jeder lobt und liebet diese Augen !
Doch vor Allen liebt sie Osman Aga.
Also spricht dann Osman Aga's Mutter:
»Mädchen, schöne Hula Du, o Mädchen!
Schmink' nicht weiss und rosig mehr die Wangen,
Nicht verlocke fürder meinen Osman!
Ins Gebirge will ich geh'n — ins grüne.
Will aus Fuhren dunkle Höfe bau'n dorl
Will den Sohn einsperren in den Höfen!
Darauf antwortet das Mädchen:
»Immerhin, o Theure, Osman' s Mutter!
Meine Augen — Falkenaugen sind es,
Die erschliessen Deine Föhrenhöfe,
Führen mich zu Osman Aga dennoch!
Und wie süss klingt nicht die Liebesklage El-Abd-Mustafa's, gedichtet
von Potur Uskufi aus Dolnji-Skoplje, die der ehemalige preussische Konsul
in Sarajevo Dr. Otto Blau in den »Abhandlungen für die Kunde des
Morgenlandes« übersetzt hat:
Wo bist Du gehlieben, mein trautestes I
Lang' schon ist's her und ich sah Dich nicht!
Bei Allah, Du bist mehr als das Leben mir lieb.
Lang' schon ist's her und ich sah Dich nicht!
Lang' schmacht' ich, o Herz, Dich einmal zu umfah'n,
Ich seufze, seit Dich meine Augen nicht sahn:
Mein Herz sehnt nach Dir sich, o glaube daran!
Lang:' schon ist's her und ich küsste Dich nicht!
9'
Ich sag' Dir: o Du meine Seele und Wonne,
Du bist wie ein Sträusslein von Rosen so schön.
O flieh' nicht von mir, meine strahlende Sonne !
Lang' schon ist's her und ich sah Dich nicht!
Dem Blatte gleich welk' ich, mein Herzblatt, um Dich.
Mein Auge weint Ströme von Zähren um Dich.
O Kaduna (Herrin), vor Kummer verzehre ich mich!
Lang' schon ist's her und ich herzte Dich nicht!
Die Wange Dein blüht wie ein Waldröslein roth,
Schwarzdrossel zum Schmuck ihren Frohsinn Dir bot.
Wer Dich liebt, dem thät' eine Schlinge wohl noth!
Lang' schon ist's her und ich umschlang Dich nicht!
Verbirg Dich vor mir nicht, o komm' doch heraus,
Sonst hauch' ich mein Leben noch ohne Dich aus!
Wo bis!-. Du mein Schatz, sprich, wo hältst Du jetzt Haus?
Lang' schon ist's her und ich küsste Dich nicht!
Uskufi wird für den bedeutendsten der älteren mohammedanischen
bosnischen Dichter gehalten. In Konstantinopel sind seine Dichtungen in
türkischer Sprache und Schritt erschienen. In Skoplje am Vrbas zeigt man
noch sein ehemaliges Heim und auf der Ruine von Prusac, von der man
einen prachtvollen Ausblick auf das blühende Thal und die Höhen der
Cardak-Planina geniesst, sein Lieblingsplätzchen. Und welcher Zauber
liegt nicht in jenen Versen, die gleichfalls türkischen Ursprungs sind:
Ich will nicht, dass der Mond Dein AnÜitz sieht,
Wenn er zur Nacht an Dir vorüberzieht,
Und dass des Tages Sonne Dich erwärmt,
Indess sich Mehmed weinend um Dich härmt.
Ich will nicht, dass der Regen Dich ergötzt,
Wenn alle andern Blumen er benetzt.
Ich will nicht, dass Dich Deine Mutter liebt,
Und dass sie ihrem Kinde Küsse giebt!
Ich will Dein Mond und Deine Sonne sein,
Und dürstet Dich, bin ich der Mundschenk Dein.
Ich will Dich lieben, Jetzt und immerdar,
Und will allein Dir küssen Mund und Haar.
Oder in jenen:
Du waschendes Mädchen am plätschernden Fluss,
Nur eine Minute mir schenke
Und lüfte den Schleier zum freundlichen Gruss,
Damit ich der Einen gedenke-
Die meiner Seele Glück.
— 92
Ich reise so traurig durch's blühende Land,
Die Schritte zur Ferne ich lenke.
Lass' drücken die hennarothfärb'ge Hand,
Damit ich der Einen gedenke:
Die meiner Liebe Glück.
Erschrick nicht, du Spröde, und grolle mir nicht,
Zu Boden die Augen nicht senke,
Wenn zärtlich ich küsse Dein rosig' Gesicht,
Damit ich der Einen gedenke:
I >ie meiner Seele Glück.
Die Kleidung der verschiedenen bosnischen Bevölkerungsklassen
wird dem Fremden manche Räthsel zu lösen geben. Wie jedes Naturvolk,
hat auch das bosnisch-hercegovinische einen besonderen Hang zu prunk-
vollen Gewändern, und ist das Bedürfniss nach Schmückung beim Manne
in gleicher Weise entwickelt wie bei der Frau. Die Kostümformen sind
ebenso zahlreich, als malerisch; die Unterschiede werden durch religiöse,
klimatische und traditionelle Gründe bedingt. Vor Allem müssen die Stadt-
kostüme von denen des Landvolkes unterschieden werden. Die ersteren
sind feiner ausgeführt, reicher ausgestattet und zeigen merkliche, durch
Standesverhältnisse bedingte Verschiedenheiten. Am meisten zeichnet sich
•durch Prunkhaftigkeit die Kleidung der Mohammedanerin aus. Die
Richtung der Mode geht hier nicht dahin, die Körperformen zur Geltung
zu bringen, sondern sie möglichst zu verhüllen und mit reichen, in Farben
und im Schmuck bunt schillernden Stoffen zu umgeben. Die wichtigsten
Kleidungsstücke sind dabei die Dimije, eine weitfaltige, oft aus den kost-
barsten Stoffen hergestellte, mit Goldborten und Stickereien verzierte
Pluderhose, die bis zu den Knöcheln reicht; die Jecerma, ein kurzes,
ärmelloses Leibchen, das den Busen eng umschliesst, und der Fennen,
ein ebenfalls ärmelloses, jedoch vorn offenes Leibchen, das mit reicher
ornamentaler Goldstickerei derart übersäet ist, dass man mitunter kaum
-den eigentlichen Stoff erkennen kann. Diese Kleidungsstücke tragen sowohl
Madchen als Frauen; die folgenden aber dienen als Unterscheidung.
Jede mohammedanische Frau besitzt in ihrer Toilette mindestens eine
Anterija, die ihr bei der Hochzeit vom Bräutigam übergeben wird und die
sie bei festlichen Gelegenheiten benützt. Fs ist dies ein langer Mantel
mit schmalen, langen, unten geschlitzten Aermeln, gewöhnlich aus Seide,
Sammet oder Brokat und so reich mit Gold ausgenäht, dass der Metallwerth
eines solchen Stückes oft mehrere hundert Gulden beträgt. Ausser der
Anterija besitzt die verheirathete Frau auch die Curdija, eine kurze, pelz-
verbrämte Jacke mit langen Aermeln. Ein besonders wichtiges Unter-
scheidungsmerkmal zwischen der mohammedanischen Frau und dem
— 93 —
Mädchen bildet der Kopfputz. I Jas Madchen lässt ihr Haar in Zöpfen
frei über den Nacken hängen und schmückt es mit Blumen, Goldmünzen
und dem üblichen Fez (der rothen türkischen Kappe). Die Frau hingegen
tragt das Haar halbverhüllt. Der Fez bekommt oben einen tellerartigen,
mit Perlen, Gold, Münzen oder anderem Schmuck reichverzierten Scheitel-
deckel, den sogenannten Tepeluk. Von diesem herab hängt ringsum über
das Haupt eine breite Seidenfranse, und um das Ganze wird, den Tepeluk
freilassend, ein dunkles Tuch - - die Jemenija — geschlungen. Niedere
Schnabelschuhe, Pantoffeln oder weite gelbe Saffianstiefel vollenden die
Haustoilette der Mohammedanerin.
So prunkvoll die Kleidung, so reich ist oft der übrige Schmuck.
Ein wichtiges Stück ist der Gürtel mit einer grossen, schöngeformten, mit
Perlen oder Filigranarbeit geschmückten Schliesse. Sonst sind noch Ringe,
Armbänder, Ohrgehänge, Colliers, Diademe etc. gebräuchlich. Nie ist der
Mohammedanerin der Schmuck reich und schwer genug. Sie zeigt aber
diesen Reichthum nie auf der Strasse, sie ist gänzlich verhüllt durch einen
langen, meist schwarzen, bis zur Erde wallenden Mantel (Feredza), der
selbst die Fingerspitzen nicht sehen lässt, denn auch diese dürfen einem
fremden Auge nicht gezeigt werden. Der Kopf wird derart in weisse
Tücher eingehüllt, dass nur vor den Augen ein schmaler Schlitz zum
Durchblicken übrig bleibt.
Die Kleidung der Frauen der anderen Religionsbekenntnisse ist von
der mohammedanischen Frauentracht abgeleitet. Die spanischen Jüdinnen
unterscheiden sich nur wenig von den Mohammedanerinnen; nur die Haar-
tracht ist insofern verschieden, als sie die Fransen des Kopftuches lang
über die Schultern wallen lassen. In früheren Zeiten trugen die Spaniolinnen
auch einen der Feredza ähnlichen Strassenmantel aus rother Seide und
verhüllten das Gesicht mit weissen Tüchern. Die Tracht der Christinnen,
wenn sie auch aus ähnlichen Bestandtheilen besteht, ist einfacher und
wenngleich kostbar im Stoffe, in der Farbe bedeutend matter und ruhiger.
Die katholischen Frauen, die mit Mohammedanerinnen immer in regem
Verkehr stehen, nähern sich auch in der Kleidung mehr diesen, während
die orientalisch -orthodoxen sich etwas von den ursprünglichen Trachten-
vorbildern entfernen und namentlich die Dimije (Pluderhosen) nur bei
Mädchen oder jungen Frauen gestatten.
Die Bestandtheile des Männerkostüms sind die weite Pluderhose
i Salvare) mit daran befestigten oder separaten Gamaschen (Tozluke), der
Dzemadan, ein ärmelloser Leib, der die Brust bis zum Halse bedeckt;
unter diesem eine Gjecerma, ein Aermelleib aus leichtem Stoffe; dann ein
kurzer reichverzierter ärmelloser Rock (Fennen) und darüber in der
rauhen Jahreszeit ein kurzer, mit Pelz verbrämter Mantel (Gunj). Ein be-
sonderes Prachtstück des reiferen Mannes ist die Dolama. ein bis zu ^n
— 94 —
Knien reichender weiter reichfaltiger Schoossrock. Charakteristisch ist
bei den Männern die Kopfbedeckung. Burschen und junge Manner oder
europäisirte Mohammedaner tragen nur den Fez. Aeltere Männer winden
ein Turbantuch darum. Die Farbe eines solchen ist verschieden. Der
Hodza (Geistliche) und Schriftgelehrte tragen es schneeweiss, die Mekka-
pilger gelblich-weiss mit reicher Seidenstickerei (Achmedija); die Derwische
grün. Der Reiche nimmt einen seidenen Trabolos, der Aermere benutzt
ein rothes oder einfach geblümtes Wolltuch. Bei Christen ist der Turban
roth oder dunkelfarbig und selten geblümt.
Während sich beim Kostüm des Städters immer der gleiche Typus
mit ganz geringen Unterschieden wiederholt, zeigt die Kleidung der Land-
bevölkerung die mannigfachsten Lokalverschiedenheiten, auch bei Frauen,
doch lassen sich, wenn von den slavonischen, dalmatinischen und monte-
negrinischen Grenzgebieten abgesehen wird, wo fremde Bekleidungsformen
ihren Einfluss geltend machen, folgende drei Hauptgebiete unterscheiden:
Die Krajna (Nordwesten Bosniens), wo die Frau ein langes, am Brustlatz
und an den weiten Aermeln reichgesticktes Hemd und darüber einen
dunkeln Zobun — eine oft bis zu den Knien reichende, mit Schooss-
theilen versehene Jacke aus Loden — trägt und den Kopf mit einer
grossen weissen Okruga (Kopftuch) verhüllt. Den Mangel an Reichthum
in der Bekleidung ersetzt ein oft fabelhaft gewichtiger Münzenschmuck,
der in Form von Brustlätzen (Gjerdan), von Zopfgehängen am Gürtel
oder an der Mütze getragen wird. Das mittelbosnische Frauenkostüm
unterscheidet sich durch die Anwendung der Pluderhosen, die nur bei
alten Frauen durch eine bis zur Erde wallende Anterija ersetzt werden;
ferner durch den kürzeren, je nach der Gegend, schwarz, roth oder braun
gefärbten Zobun. Der Kopfputz ist ähnlich dem der Mohammedanerin,
nur ist der Tepeluk tellerartig, die Fransengarnitur reicher, oft mit Gold-
quasten, und um die Jemenija — das um den Fez geschlungene Kopftuch —
werden unzählige Blumen, Flitter und Silberagraffen gehangen. Die herce-
govinische Frauentracht zeichnet sich durch blendende Weisse aus. Der
Zobun ist nur kurz, wie der ärmellose Rock; die Pluderhosen vertritt ein
bis zur Erde reichender schwerer weisser Lodenrock. Dazu tritt reicher
Münzen-undMetallschmuck. Eigenthümlich gestaltet sich in den verschiedenen
Gegenden die Schürze. Am schönsten ist sie in der Krajna, wo sie
Teppichmuster als Stickerei zeigt und mit langem Fransenbesatze verziert
ist. In Mittelbosnien ist sie einfach, in der Hercegovina ein schmaler
brauner Wollstreifen. Im Sprecathal trägt man gar zwei Schürzen, vorn
und rückwärts, während im Drinagebiete die Schürze zu einem schmalen,
mit Fransen besetzten Streifen zusammenschrumpft.
95
Und so schreiten wir aus den Höhen Sarajevos wieder in die Strassen
zur Miljacka hinab und statten dem Ghazi-Isa-Bade einen Besuch ab. Hier
ist Alles neu und modern, aber die Einrichtung des türkischen »Hamam«
ist geblieben. Ein anderes Bad befindet sich unweit der katholischen
Kathedrale und dieses ist noch gänzlich im ehemaligen Zustande. Von
aussen betrachtet, ist dieses Badehaus nur durch seine über verschiedenen
Theilen der Bedachung sich erhebenden Kuppeln und durch ein grösseres
Portal von einem gewöhnlichen besseren Wohnhaus zu unterscheiden. Durch
eine mit einem schweren Vorhange bedeckte Thür betritt man das Vor-
gemach oder die Vorhalle, welche sehr geräumig und hoch ist. Rings an
den Wänden ist eine durch mehrere Stufen zu ersteigende hölzerne Estrade
angebracht, die durch senkrecht gestellte hölzerne Gitterwände in mehrere
Räume getheilt ist. Diese Abtheilungen, deren Boden für die ärmere
Klasse bloss mit einem Teppich bedeckt ist, dienen zum Auskleiden. Bade-
gäste, die einem höheren Stande angehören, und deren Aeusseres eine
bessere Bezahlung hoffen lässt, finden in dem angewiesenen Auskleideraume,
der auch auf Wunsch durch eine hölzerne Gitterthür abgeschlossen werden
kann, einen Divan. In der Mitte der Vorhalle befindet sich ein Bassin
mit einem Springquell. Ist nun der Badegast in den Auskleidekäfig ge-
treten, so wird ihm durch den Badediener eine weite farbige Schürze und
ein grosses weisses Tuch gereicht, das zur Bedeckung des Ober- und Unter-
leibes dient. Ein paar Pantoffeln — sogenannte »Nanule« — , die nur
aus einer zolldicken, hölzernen Sohle und aus daran genagelten zollbreiten
ledernen Riemen bestehen, vervollständigen die Badetoilette. Dei Gebrauch
det hölzernen Pantoffeln ist unbedingt nothwendig, da die Baderäumlich-
keiten mit Steinplatten bedeckt sind, die unterirdisch erhitzt werden.
Alter jüdischer Friedhof bei Sara
i3$m
bTa\ II ir^onsequent vi
i*T|^>— «^ Gehen wir v
Die Neuzeit in Sarajevo.
onsequent verfolgen wir wieder den Weg nach \\ i
on dem Ghazi-Isa-Bade über den Phüippovic
Platz, so kommen wir in die Terezija-Strasse, in
der sich das k. k. Militär-Knaben-Pensionat befin-
det, in dem bosnische Zöglinge und solche von
Beamten und Offizieren die Grundlage zum Be-
suche von Truppenschulen und Kadettenanstalten
des österreichisch-ungarischen Heeres erhalten
Die Anstalt, die auch mit einem Externat ver-
bunden ist, hat bisher sehr segensreich gewirkt.
Und schreiten wir weiter, so kommen wir
längs des Wassers, durch neue im Entstehen
begriffene Stadttheile an Stelle ehemaliger baufälliger Hütten, nach einem
etwa- abseits gelegenen kühlen Grunde - - nach Kovacic. Dieser Punkt
ist für alle Biertrinker (und welcher Deutsche wäre dies nicht) von histo-
rischer Bedeutung, er ist die Geburtsstätte der bosnischen Bierbereitung.
Und das Bier hat in Bosnien schnelle Verbreitung gefunden. Die Herce-
govina produzirt vorzüglichen Wein; in Bosnien macht man aus den
Zwetschken Slivovitz, den meist leichten Branntwein (Rakija), das Bier
musste aber erst eingeführt und zu einem der Nationalgetränke erhoben
werden. In den Städten ist dies gelungen, und zwar datiren die Anfange
schon aus türkischer Zeit. Wer heute erfährt, dass in Sarajevo drei
Brauereien bestehen, die jetzt als Aktienbrauerei in ein grosses Unternehmen
vereinigt sind, wird kaum an eine frühere türkische Stadt denken. Und
andere Brauereien sind in Mostar, Banjaluka, Tuzla u. s. w. entstanden,
selbst in dem kleinen Visegrad hatte ein aus Serbien gekommener Deutscher
eine kleine Brauerei gegründet. Sarajevo aber war schon eine Bierstadt.
ehe die schwarzgelben Fahnen auf dem Kastell wehten.
— 97 —
Zigeu'ner-Dzambas Pferjde makler) aus Sarajevo.
Fünfzehn Jahre vor der Okkupation etwa errichtete ein unterneh-
mender Israelit aus Gradiska, Feldbauer, die erste Brauerei in Kovacic.
Das erzeugte nicht geringe Aufregung; alle religiösen Bande des Islam
schienen gelöst, der Vali von Bosnien war der erste Gast in der Brauerei,
der das vom Koran nicht verbotene Getränk mit einem Becher voll goldener
Liras bezahlte. Und sie kamen alle nach und nach und kosteten das
internationale Getränk. Es wurde ein Drängen in den beschränkten
Räumen der Brauerei und im Freien, und alle nationalen und religiösen
Streitigkeiten wären vielleicht ertränkt worden im goldenen Gerstensaft,
wenn die bosnischen Christen sich in die Gläser so versenkt hätten, wie
die Mohammedaner. Da kam das Verhängniss. Der Bach, welcher der
Brauerei das Wasser lieferte, wurde abgeleitet. Die Streitigkeiten dauerten
lange Zeit, Feldbauer konnte den Prozess nicht zu Ende führen, — so ging
98 -
das Brauhaus ein und der Pionier zog von dannen. Nun kam aber
die schreckliche bierlose Zeit über das stolze Bosna-Saraj. Erst als in
Lukavica jenseits des Trebevic ein noch heute bestehendes, mehr als primi-
tives Brauhaus errichtet wurde (das Getränk ähnelte dem Kärtner »Stein-
bier«), besserten sich die Verhältnisse etwas. Dann kam ein Slovene,
Gerdoutsch, der im Jahre 1870 die Brauerei in Kovacic wieder eröffnete.
Für die Biertrinker von Sarajevo begannen nun goldene Zeiten. Am Tage
sassen die türkischen Offiziere und Beamten im kühlen Grunde des Kovacic-
Brdo, am Abend kamen die verschiedenen Konsule und Konsulatsbeamten,
am Sonntag aber sorgte die Fremdenkolonie, hauptsächlich die ziemlich
starke österreichisch-ungarische, dafür, dass das Brauhaus nicht in Ver-
gessenheit gerieth. Und wenn die Tage der Fastnacht kamen, da ertönte
aus den oberen Wohnräumen Musik, da drehte sich Alles, was europäisch
war, im lustigen Reigen. Man kannte damals noch nicht den Kastengeist.
Jeder Fremde war dem anderen gleich, die Konsule standen mit ihren
Staatsangehörigen auf gutem Fusse, und die gesammte Fremdenkolonie
bildete eine grosse Familie, die sich gegenseitig unterstützte und sich ge-
meinschaftlich unterhielt.
Das waren die Glanztage des Brauhauses von Kovacic, und wenn
auch der mehrjährige Aufstand in Bosnien und der Hercegovina, wie der
russisch-türkische Krieg manchmal einen grellen Misston in das harmonische
Zusammenleben warfen, so hatten die Fremden doch weniger darunter zu
leiden, und die Krajna sowohl, wie die Zubci und die Suttorina waren ja
weit von Sarajevo entfernt. Was brauchte man sich beim Bier um die
Schlächtereien zu kümmern, die an den Grenzen vorkamen: Die Truppen-
durchzüge nützten dem Brauhause. Bald war arabischer, bald anatolischer
oder rumelischer Besuch da. Die Brüder Albanesen stellten sich so
gut ein wie die bulgarischen Pomaken, und die Xubier verschmähten ebenso-
wenig das braune , schwäbische^ Getränk, von dem der Prophet noch
nichts wusste. Hier verkehrten Mustafa Assim und Mazhar Pascha, Hafiz
und Osman Pascha, der »Löwe von Plewna«, Sulejman Pascha, der durch
seinen blutigen Zug durch Montenegro und seine Forcirung des Schipka-
passes bekannt gewordene General. Hier war aber auch vor seinem bei
Muratovica erfolgten Heldentode der melancholische Mustafa 1 )>chellal-
Eddin Pascha täglicher Gast. Xie sprach er mit Jemand. Vielleicht dachte
er an sein polnisches Vaterland, vielleicht ahnte er sein Ende voraus!
Da kam die Okkupation ! Die kaiserlichen Truppen überschritten die
Save, in Sarajevo organisirte der Revolutionsausschuss den Widerstand.
Die Wogen der Bewegung gingen hoch. Niemand dachte an einen Be-
such des Brauhauses; Hadzi Lojo war der Volkstribun der Hauptstadt.
Oeffentlich wurde ausgetrommelt, dass ein Christenkopf nur noch einen
Para koste, Tag für Tag gingen die angeblichen Vertheidiger ihres Vater-
99 —
landes nach Vrandruk und Zenica ab. Das österreichisch-ungarische General-
konsulat hatte man schon am 30. Juli 1878 gezwungen, die Stadt zu verlassen,
sich mit den Staatsangehörigen über Mostar nach Metkovic zu wenden.
Wer konnte, schloss sich der Karawane der gezwungenen Auswanderer an
und unser Brauer von Kovaöic war unter den Fliehenden. Gleich den
anderen Geschäftsleuten verschluss er einfach die Gebäude und empfahl
seinen Besitz dem Schutze des Himmels. Als aber der Besitzer nach der
Besetzung Sarajevos zurückkehrte, fand er zerstörte Braupfannen und nur
die Trümmer seiner Habe Da kam der Winter. Das Brauhaus
wurde wieder eröffnet, und eine wahre Wallfahrt begann auf dem damals
elenden Wege mit seinen Löchern und Untiefen, seinen schadhaften
Brücken und dem bodenlosen Schmutz. Da ging es lustig zu, und wenn
die Dunkel der Nacht sich über Kovacic herabsenkten, wenn die meisten
der Gäste nach Hause gegangen waren, weil sie den Weg fürchteten, da
blieb in einem der oberen Eckzimmer noch oft eine fröhliche Gesellschaft
zusammen — eine Gesellschaft, die heute über alle fünf Welttheile zerstreut
ist Und im nächsten Sommer verschönerte sich der Garten, und
es wurde gebaut, Militärmusik spielte und Sonntags strömte halb Sarajevo
nach Kovacic. Heute ist das Brauhaus als solches verschwunden; es ist
eine Mälzerei der Aktienbrauerei und die Sonntagsvergnügen würden nicht
mehr so angenehm sein, weil Steinbrüche und Ziegelbrennereien in der
Nähe angelegt sind. So schreitet die nachkommende Civilisation immer
über eine frühere Kulturepoche, aber man braucht dies in Sarajevo nicht
zu bedauern, denn hier blüht wirklich neues Leben aus Ruinen, und die
Erbschaft von Kovacic ist auf Aschenbrenners Brauerei in der Kosova
übergegangen
Und draussen in der Ebene von Sarajevo liegt noch eine Anstalt,
die in ihrer Gesammteinrichtung vorläufig wenig Konkurrentinnen in Europa
hat. Es ist das neue Landesspital. Geht man die Strasse nach Kosevo
entlang, so taucht auf einmal zwischen dem Laubwerk der niedrigen Sträucher
und Bäume eine ganze kleine Villenstadt auf, die in nichts den düsteren
Eindruck hervorruft, den man gewöhnlich mit dem Begriffe Spital in
einer Grossstadt verbindet. Die Anlage geschah zwischen Feldern und
einem Bache in höchst gesunder Gegend, von der Peripherie der Stadt
etwa einen Kilometer entfernt. Xeuangelegte Strassen sind mit Alleen
bepflanzt und für Erweiterungen ist mehr als genügend Terrain vorhanden,
hie Anstalt ist im Pavillonsystem erbaut, und zwar ist die Decentralisation
vollkommen durchgeführt, nur das Aufnahmegebäude ist in Folge des
Operationssaales mit der chirurgischen Abtheilung einerseits und der Sym-
metrie halber mit einem internen Pavillon andererseits durch Promenaden-
gange verbunden. Die Gebäranstalt ist abseits von dem nächsten Pavillon
am höchsten gelegen. Der weite, zwischen und um die einzelnen Gebäude
verbliebene Flächenraum ist
durchwegs zu Gartenanlagen
umgestaltet, doch sind die
Anpflanzungen nirgends bis
unmittelbar an die Aussen
mauer der Pavillons heran-
gerückt; überall ist ein einen
Meter breites Trottoir und
vor den Eingängen ein genü-
gender Kiesplatz zum Hinaus-
stellen von Kranken in den
Betten freigelassen. Die An-
lagen zwischen den Pavillons
haben, abgesehen von den
einfachen Baumreihen
sämmtlicher Strassen, keine
grosseren, die Luftbewegung
hemmenden Bäume, sondern
bestehen aus Rasenflächen,
Ziersträuchern und niedrigen
Bäumen, welche verschieden-
förmig zu laubenartigen Sitz-
plätzen angeordnet sind. Die
grösseren freien Plätze sind
mit Waldbäumen bepflanzt.
1 )as Leichenhaus ist durch
Einfriedigung sowohl nach der
Strasse, wie auch nach der
Anstalt abgesondert worden.
Ueber die Lösung aller archi-
tektonischen und konstruk-
tiven Aufgaben urtheilen zu
wollen, wäre gewagt, doch
darf man wohl sagen, dass
wir einer von ungewöhnlich
reicher technischer Erfahrung
zeugenden Arbeit gegenüber-
stehen. Die Schönheit der
Formen, die Gestaltungskraft
der grossen Auffassung und
ilie Pracht in der Gesammt-
wirkunsr muss man den Er-
Landesspital in Sara
bauern zuerkennen. Durch die Wirkung der kontrastvollen Horizontal-
linien, der Silhouetten, der gleichgeneigten Flächen der Dächer und der
proportionirten Giebel ist ein Effekt erzielt worden, welchen vielleicht
keine zweite ähnliche Anlage der Neuzeit aufzuweisen hat. Die ver-
bauten Flächen betragen ca. 6500 qm, und die Mitte der Anlage bildet
das Aufnahmegebäude mit einem schön gestalteten Vorsprung von drei
Giebeln, mit einem Schlaguhrthürmchen gekrönt und von drei Giebeln
flankirt. Die zu beiden Seiten des Mittelbaues angeordneten Verbindungs-
gänge treten um ein Bedeutendes zurück und werden einerseits vom internen,
andererseits vom chirurgischen Pavillon, die mit Risalitgiebeln geschmückt
sind, flankirt. Gegenüber steht das Wohnhaus der Aerzte, und pylonen-
artig nach rechts und links abzweigend entwickeln sich die übrigen vier
Krankenpavillons, das Wärterinnen-Wohnhaus und parallel zum Aufnahme-
gebäude die drei Oekonomie- und verschiedene Wirthschaftsgebäude.
Abseits gelegen ist das Leichenhaus und das Verbrennofen-Häuschen;
südlich und nördlich je ein Portierhaus. Die Anstalt ist für 250 Kranke
berechnet. In der inneren Ausstattung ist eine Menge Neuerungen zu
finden. Hervorzuheben ist die Kanalisirung in Betonrohrkanälen mit
Monierwänden und eigenartigen Syphons gegen Rückschlag der Kanalgase.
Niederschlag, Wasch- und Spülwasser wird in besonderen Kanälen abgeführt,
und sämmtliche Abläufe und Kanalverschlüsse sind mit Syphons gegen
das Aufsteigen der Gase versehen. Die Heizung geschieht in den Kranken-
sälen mittelst Ventilations-Füllreguliröfen mit Aussenluftzufuhr in Kanälen,
sonst mittelst Kachelöfen; in den drei Oekonomiegebäuden mittelst Dampf.
Die Trink- und Nutzwasserleitung, von der städtischen Leitung abgezweigt,
liefert pro Tag und Kopf 500 Liter. Als Beleuchtung wurde elektrisches
Licht gewählt. Die Warmwasserbereitung für die Wannenbäder [in den
Pavillons, mit Ausnahme jener im Badehause, geschieht durch Patent-
öfen, in welchen gleichzeitig die Batterie anmontirt ist. Für die Wasch-
tische, Spülgefässe, fahrbaren Wannen und Operationstische geschieht dies
mittelst Reservoir-Mantelöfen mit Expansions-Reservoir direkter Speisung;
die Warmwasserbereitung für die Oekonomiegebäude in Reservoirs, die mit
Dampf gespeist werden. Es wäre noch Vieles zu erwähnen über die eigenartige
Ausführung der Operationssäle, die vorzüglich ventilirten und geräumigen
Krankenzimmer, über die Küchenräume, die Leichenhausräume, besonders
über die Prosectur-Maceration und Entfettung, über das bakteriologische
Zimmer, die amerikanischen Eiskeller mit den Kühlräumen, die Apotheke mit
dem Laboratorium u. s. w., doch möge es bei dem Vorstehenden bewenden.
Um den Botendienst zu erleichtern, führt das Telephon zum neuen Polizei-
gebaude in der Stadt. Das Mobiliar besteht fast nur aus Glas und Eisen.
Das neue Landesspital ist an Stelle des früher bestandenen Vakuf-
spitals getreten, das den gesteigerten Bedürfnissen nicht mehr entsprechen
— 102 —
konnte. Es dient selbstverständlich den Ansprüchen aller Konfessionen,
und für Mohammedaner ist ganz gesonderte Küche eingeführt.
Und von was soll ich noch erzählen von Sarajevo? Von seiner
Handels- und seiner vorzüglichen technischen Mittelschule, die bereits im
Jahre 1889 gegründet wurde, oder von dem Klosterpensionat der Tochter
der göttlichen Liebe? Von den neugegründeten Wohlthätigkeitsvereinen,
dem Gesangverein, dem Frauenverein, den Volksküchen oder dem Touristen-
verein? Es fehlt nichts in der bosnischen Hauptstadt, und sogar eine
heimische Volksbank ist gegründet worden, die Spareinlagen übernimmt
und bisher recht segensreich wirkt. Vor zwei Jahren wurde auch eine privi-
legirte Landesbank für Bosnien und die Hercegovina mit 20 Millionen
Kronen Gründungskapital errichtet. Die verschiedenen im Lande ge-
gründeten Sparkassen sind von bestem Einfluss auf das Volk gewesen,
das eine fruchtbringende Anlage seiner Gelder — mit Ausnahme der
wucherischen Geschäftsleute — gar nicht kannte. Besonders die Spar-
kasse in Brcka an der Save hat sich zu einem namhaften Geldinstitut
entwickelt.
Die Privat-Bauthätigkeit ist in Sarajevo, das nach der Volkszählung
von 1895 41 173 Einwohner zählt, ungemein rege; sie war aber auch sehr
nothwendig, da der Wohnungsmangel für die europäische Bevölkerung
schon zu einer Kalamität geworden war und die Miethszinse eine kaum
glaubliche Höhe erreicht hatten. Bemerkenswert!! sind besonders die
Bauten des Pensionsfonds der Landesbeamten, der auch am Dzidzikovac
ein förmliches Villenviertel aus stockhohen Wohnhäusern in ländlicher
Architektur aufführen lässt. Gegenwärtig bestehen in Sarajevo elf Ziegeleien,
welche theils in Ring-, theils in Feldöfen jährlich zusammen ungefähr
18 Millionen Ziegel brennen. Obenan steht hier die industrielle Anlage
des Ingenieurs Braun, von dem im Jahre 1884 der erste Ringofen in
Bosnien erbaut wurde. Sein bedeutendes Unternehmen umfasst ausser
der Herstellung von Dach- und Mauerziegeln (zwei Ringöfen) Thonwaaren,
Klinker und Steingutröhren, auch eine Sägemühle, Parquetböden-Erzeugung,
Bautischlerei und ein Zimmermeister-Geschäft. Ueberall herrscht reges
Leben, ein kräftig pulsirender Verkehr, der in den steigenden Zittern des
städtischen und des Landesbudgets zum Ausdruck kommt.
So hätten wir unseren Rundgang durch Sarajevo beendet. Wir steigen
nun beim alten Magistratsgebäude vorüber auf einem etwas steinigen Fuss-
wege noch auf die Hridhöhe, die auch »Stadtwäldchen« genannt wird.
Gegen die Miljacka zu steht hier auf einer vorgeschobenen Kuppe ein
kleiner Aussichtsthurm ; weiter aufwärts befindet man sich auf der Kamm-
linie der die Miljacka begleitenden Höhen, und nun wechseln Wiesen mit
grösseren oder kleineren Gebüschen ab, dazwischen ein eingefriedetes
Gehöft — eine Idylle inmitten rauher Berge. Auf dem Wege zum Stadt-
waldchen ist ein türkisches Kaffeehaus, das vorzüglichen Mokka braut.
Die Aussicht von dort ist überraschend schön.
Den sogenannten Appehveg verfolgend, der sich rechts hinter dem
Magistratsgebäude in die Berge zieht, erreicht man in i1 2 Stunden die Velika
Kapa, einen der lohnendsten Aussichtspunkte, einen hohen spitzen Kegel.
Dann gelangt man an die Schlucht des Bistrik-Potok, die den Gebirgs-
stock des Trebevic von den ihm vorgelagerten Höhen scheidet. Von der
Kapa aus führt ein Reitweg auf den Gipfel des Trebevic, 1629 Meter
über dem Meere. Der Aufstieg von der Stadt dauert über vier Stunden,
mi seinem letzten Theile durch Wald und Wiesen mit Hochgebirgsflora.
Touristenhaus am Trebevic.
Die Fernsicht vom Trebevic gegen Norden und Westen ist fast unbegrenzt:
gegen Süden breitet sich das Hochplateau der Jahorina aus, umschlossen
von einer Kette bewaldeter Berge. An den spitzen Kegel des Kmor bei
Foca reihen sich die ungeheuren Wellenformationen des Volujak, der
massive Stock des Maglic, die zerklüftete Kammlinie der Treskavica und
die Umrisse der Bjelasnica. In weiter Ferne sieht man bei klarem Wetter
den dreitheiligen Gipfel des Dormitor in Montenegro. Im Norden und
( >sten fallt der Blick auf die dunkeln Waldungen der Romanja -Planina.
die wir bei weiteren Reisen noch des Näheren kennen lernen werden.
rouristenklub in Sarajevo hat auf dem Trebevi6 ein Schutz hau- er-
baut und Reisende sind am besten berathen, wenn sie sich vor Antritt
der Tour an den Klub wenden. Zum Abstieg kann man einen anderen
104
Weg auf dem linken Hange des Bistrikbaches wählen. Da geniesst man
noch einmal ilcn vollen Ueberblick über Sarajevo und kann sich das wunder-
volle Bild für ewig ins Gedächtniss prägen.
Ein weiterer für Touristen sehr empfehlenswerther grossartiger Aus-
sichtspunkt ist von der Station Pazaric der Bahnstrecke Sarajevo • Mostar
aus auf Reitwegen in wenigen Stunden zu erreichen: es ist das im Jahre [894
errichtete meteorologische Observatorium auf dem 2067 Meter hohen Gipfel
der Bjelasnica, in welchem sich auch Touristenzimmer befinden. Das
Observatorium ist die einzige meteorologische Höhenstation auf der Balkan-
Halbinsel. Es bietet sich hier eine Fernsicht, wie auf wenigen affderen
Gebirgsspitzen des Landes, bis weit nach Montenegro und in das Paschalik
Novibazar, abgesehen von den prächtigen Panoramen der näheren Io-
nischen Gebirgs- und Waldwelt. Von Bad Ilidze oder vom Dorfe Hrastnice
aus kann der Ausflug auf die Bjelasnica auch ganz zu Pferde oder zu Fuss
auf romantischen Pfaden unternommen werden, doch erfordert diese Tour
zwei Tacre.
Observatorium auf der Bjelasnica..
IcX ■'
-
Hut nur.
Eine Perle Bosniens.
einen Theil von Sarajevo muss man heute das in
der Nähe gelegene prächtige Bad Ilidze be-
trachten. Während der Badesaison vom 15. Mai
bis 15. September, aber auch früher und später,
finden förmliche Wallfahrten dorthin statt, und die
Züge der Lokalbahn, die fast ununterbrochen verkehren, sind meist gut
besetzt. Die Fahrt dauert 1 5 Minuten, mit Wagen eine Stunde. Rechts
und links der Strecke schweift der Blick über Felder und Wiesen zu den
Abhängen der Berge; Landhäuser türkischer Grundbesitzer wechseln mit
kleineren Bauernhäusern, die hier schon einen europäischen Anstrich tragen,
und mit Interesse ruht das Auge auf all den Neuanlagen der Ebene von
Sarajevo. Dann kommt links die landwirtschaftliche Station Ilidze oder
Butmir, weltberühmt geworden durch die dort gemachten neolithischen
Funde, die das Erstaunen der europäischen Gelehrten erregen und über
welche die Zeitschrift des Landesmuseums die umfassendsten Auskünfte
giebt. Die landwirthschaftliche Anstalt ist eine ganze Häusergruppe. Der
eigentliche Wirthschaftshof umfasst die beiden Viehstallungen sammt Futter-
kammern und Schüttböden, ein Molkereigebäude mit angebautem Eiskeller
sammt Dampfkessel, Futterdämpfapparaten, Wasserreservoirs u. s. w. Für
die Beamten und die einheimischen landwirthschaftlichen Zöglinge ist ein
hübsches Wohnhaus errichtet, an dem letztere gleich lernen können, wie
— 106 —
<mm
ad 1 1 i d z c.
man eigentlich wohnen soll,
wenn man des Tages Last
und I Iit/.e getragen hat, Von
hier und aus den übrigen
landwirtschaftlichen Anstal-
ten des Landes, auf deren ein-
zelne wir noch gelegentlich
zu sprechen kommen, sollen
jene Pioniere hervorgehen,
die Bosnien auf eine höhere
wirtschaftliche Stufe zu
bringen bestimmt sind. Hier
wird der praktische Unter-
richt aber nicht nur an Lehr-
linge ertheilt, er wird auch
den erwachsenen Hauern
durch Unterweisung gege-
ben; es werden ihnen zur
Kreuzung Nutzthiere besorgt
und auch umsonst über-
mittelt, Möllthaler, Wipp-
thaler oder ungarische Kühe,
Zuchtochsen und hauptsäch-
lich auch bessere Pflüge, die
an die Stelle der bisherigen antediluvianischen treten müssen. Daneben
wird auch die Gärtnerei berücksichtigt und in Ilidze-Butmir sind ein nettes
Gärtnerhaus, ein Glashaus und eine sehenswerthe Bewässerungsanlage für
die Gemüsegärten errichtet worden. Die Anstalt besitzt einen guten Ab-
nehmer für ihre Erzeugnisse an dem Bade Ilid/.e selbst und an Sarajevo.
Butter und Milch - einst zwei sehr rare Artikel in Sarajevo - werden
in grossen Quantitäten geliefert.
Und wenn man weiterfahrt, erblickt man nicht weit von der Station
Ilidze einen neuen Beweis des Fortschrittes: eine Volksschule und ein
Wohngebäude für Lehrer und Lehrerinnen. Beide Häuser sind im Re
naissancestil sehr geschmackvoll erbaut. Das eigentliche Schulgebäude
besteht aus einer Abtheilung für Knaben und getrennt hiervon aus der
Mädchenabtheilung. Jede Abtheilung enthalt zwei grosse Klassenzimmer.
Da diese Schule für die im Sarajevsko-Polje wohnenden schulpflichtigen
Kinder mit bestimmt ist, wurde für die vom Schulgebäude entfernter
wohnenden Kinder durch LJnterkunftsräume, Küchen und Vorrathskammern
Sorge getragen. Kaum eröffnet, wurde diese interkonfessionelle Schule
bereits von über 100 Kindern besucht.
Bauer aus dem Sarajevsko-Polje.
109
Der Zug überschreitet vor seiner Ankunft
in der Station die Zeljeznica auf einer Brücke
und hält endlich vor einem hübschen Bahn-
gebäude. Wir sind in Bad Ilidze,
in seiner gegenwärtigen Gestalt
eine Schöpfung des Reichs-
finanzministers v. Källäy.
Die Quelle selbst war
schon den Römern be-
kannt, die hier grössere
Badeeinrichtungen be-
sassen. In der Türken-
zeit wurde das Wasser
ebenfalls benutzt, doch
waren die Anlagen mehr
als primitiv. Ueber dem
Bassin erhob sich ein ein-
facher Bau, der in nichts
verrieth, dass man sich
in einem Badeorte be-
finde. Für Unterkunft
sorgten einige türkische
Hans (Einkehr -Wirths-
häuser), doch fehlte jede
Bequemlichkeit. Ich lernte das Bad noch in seiner Ursprünglichkeit kennen
und am Morgen der Erstürmung von Sarajevo, am 19. August 1878,
während die Kanonen von den Höhen gegen die Stadt und die Stellungen
der Insurgenten donnerten, nahm ich mit zwei Kollegen in Ilidze ein Bad.
Eine Stunde später überfiel eine fliehende Streifkolonne der Aufständischen
den Ort, und wir konnten Gott danken, der Niedermetzelung entgangen zu
sein. Die nach der Okkupation eingetretene Entwicklung von Sarajevo
und der Zuzug fremder Bevölkerung äusserten auch ihre Wirkung auf das Bad.
Es wurden einige Bauten durch Dr. Kötschet und einen serbischen Kauf-
mann ausgeführt, die von der Landesregierung das Bad gepachtet hatten,
es wurden einige Anlagen geschaffen, aber bald genügte der vorhandene
Raum nicht den gesteigerten Ansprüchen und so nahm die Regierung
die Angelegenheit in ihre Hand.
I leute kann sich Ilidze getrost den besseren europäischen Badeorten
an die Seite stellen. Seine Lage inmitten eines schönen Parkes am Ufer
der Zeljeznica, überragt von dem 1248 Meter hohen, dicht bewaldeten
Igman, ist unvergleichlich. Unmittelbar aus dem Parke fuhrt eine 3Y2 km
lange Promenade mit Fahr- und Reitallee zu den wunderbar romantisch
Die Quelle in Bad Ilidze.
<
gelegenen Quellen der Bosna am Fusse des [gman. Eine Unzahl Quellen
- nach Einigen etliche dreissig, nach Anderen mehr als doppelt so viel
vereinigen sich und wenige Schritte abwärts bilden sie- bereits einen an-
sehnlichen Fluss. Unter prächtigen ahm Bäumen ist ein türkisches K
haus errichtet und hier können die Besucher in unverfälschter Gebirgsnatur
schwelgen. Eine spottbillige < »mnibusverbindung vermittelt einen bequemen
Verkehr mit Ilid/e. Auch ein Aussichtsthurm ist am Ende der Fahrsti
erbaut. Ein anderer genussreicher Ausflug ist zu dem am Bergabhange
gelegenen mohammedanischen Orte Hrastnice und der gleichnamigen Quelle,
einem Idvll im Wähle. An der Quelle wurde ein reizender Punkt zum
Bosnaque lle.
Ausruhen geschaffen. Für Nimrode bietet der Igman noch immer genügend
Wild, und in den entfernteren Parthien sollen noch Bären zu finden sein.
Einige zahme Exemplare zeigt der Bärenzwinger im Badepark, wo auch
eine Voliere riesige Exemplare einheimischer Adler und Raubvögel enthält.
Im Jahre 1893 wurde durch Bohrungen eine neue Quellenspalte er-
schlossen, aus der ein mächtiger Sprudel zu Tage tritt, der in 24 Stunden
eine Wassermenge von 13 800 Hektolitern liefert. Das Wasser besitzt eine
Temperatur von 58 ° C. und ist nach der vom Hofrath Proiessor Dr. Ludwig
in Wien vorgenommenen Analyse charakterisirt durch einen beträchtlichen
Gehalt an Glaubersalz, Chloriden, doppeltkohlensaurem Kalk und freier
Kohlensäure. Von Schwefelwasserstoff und unterschwefliger Säure enthalt
es nur wenig. Zur Erzielung der für die Bäder erforderlichen Temperatur
des naturheissen Thermalwassers wurden zwei grosse Kühlbassins angelegt,
in die das Thermalwasser geleitet wird. Die Therme von Ilidze, die bis
auf den Eisengehalt dem Wasser der Quelle Ficoncella in Civitavecchia
(540 C.) ähnlich ist, muss zweifellos zu den werthvollsten heissen Mineral-
quellen gerechnet werden. Ihr Wasser ist nach seiner chemischen Zu-
sammensetzung nicht nur für Bäder, sondern auch vortrefflich für den
inneren Gebrauch geeignet.
An Bade -Etablissements bestehen: das sogenannte »Altbade mit
14 modernen Cabinen, die 16 Porzellan-Badewannen enthalten; das »Neubad«,
Sonntag-Nachmittag au der Bahnstation in Ilidze.
welches am 1. September 1893 eröffnet wurde, besteht aus einem Mittel-
bau mit zwei symmetrischen Flügeln, in denen sich je ein Thermal-
Vollbad und 14 Einzelbäder befinden. Es ist die Einrichtung derart
getroffen worden, dass der eine Flügel für Männer, der andere für Frauen
bestimmt ist. Nächst dem Neubade befindet sich noch ein Bad mit
6 Cabinen für mohammedanische Frauen. Ohne direkte ärztliche Ordination
darf ein höher graduirtes Thermalbad als 280 C. nicht verabfolgt werden.
Auch ist ein Moorbad eröffnet worden, das mit einer von kaum einer
zweiten Kuranstalt übertroffenen Eleganz ausgestattet ist. Das Badehaus
enthalt 2 heizbare, vornehm eingerichtete Wartesalons und 10 heizbare,
mit allen erforderlichen Utensilien versehene geräumige Badelogen, wovon
— 1 14
zwei mit anstossenden eleganten kleinen Salon-. Die verwendete Moorer.de,
welche am Moorfelde bei Zepce gestochen wird, ist nach der chemischen Ana
Lyse des Hofrathe's Professor Dr. Ludwig ein ausgezeichnetes Pfianzenmoor
Schliesslich verfügt Ilidze zum Gebrauche der kalten Bäder über ein
kaltes Voll- und Schwimmbad mit zwei grossen gesonderten Bassins für
Damen und Herren. Beide Bassins sind betonirt und für Schwimmer und
Nichtschwimmer, sowie für Kinder eingerichtet. Das krystallklare Wasser
(\cv Zeljeznica, mit welchem die Bassins gespeist werden, hat während des
Sommers eine beständige Temperatur von i6°— I9°R. Zur Vervollständigung
der Mittheilungen über die Einrichtungen der Bade -Etablissements kann
noch beigefügt werden, dass auch Massagekuren und elektrische Behandlung
ermöglicht, ein Verkauf aller Arten in- und ausländischer Mineralwässer
eingerichtet ist, aus der landwirthschaftlichen Station frische und saure
Milch, sowie Kuh- und Schafmolke verabreicht wird und dass für eine
etwaige Traubenkur täglich die prächtigsten Hercegovinaer Trauben aus
Mostar zugeführt werden.
Drei grosse Hotels, »Austria«, »Hungaria« und »Bosna« mit 106
Fremdenzimmern und Salons bieten genügend Raum, da auch sonst Wohn-
gelegenheit zu haben ist. Elegante Restaurationsräume mit Parkterrassen
und Wandelbahnen, Kegelbahnen, Stallungen und Wagenremisen sind
vorhanden, billige Fahrgelegenheiten zu jeder Zeit zu haben, und eine
ungarische Kurkapelle sorgt für musikalischen Genuss. Für Zerstreuung
der Kurgäste ist aber auch sonst in reichlichem Maasse Vorsorge getroffen:
Croquet- und Lawn-Tennisplätze, ein Carrousel, mechanische Schiessstätte,
Schaukeln etc. lassen Langeweile nicht aufkommen.
Ein Sonntag in Ilid^e ist aber ganz besonders anregend; auch die
schönste Unterhaltung für die Sarajevoer Bevölkerung, besonders wenn
auf der eine halbe Stunde vom Bade entfernten Rennbahn eines der
landesüblichen Pferderennen abgehalten wird, zu denen die Regierung
recht ansehnliche Preise bewilligt. Seit drei Jahren finden auch grosse,
vom uno-arischen und vom österreichischen Jokeyklub mit europäischen
Pferden veranstaltete internationale Rennen statt, über welche die fremden
Zeitungen farbenprächtige Schilderungen veröffentlichten. Der Bosnier ist
ein besonderer Pferdeliebhaber, die kleinen Gebirgspferde sind ausdauernd,
unermüdlich und unbedingt verlässlich, auch auf den schwindeligsten Pfaden.
Durch Zuchtanstalten, durch Errichtung des Hengstendepöts in Sarajevo,
sorgt die Landesregierung für Veredelung der Rasse, Pferdeschauen mit
ausgesetzten Preisen animiren die Bevölkerung, und es sind bisher vor-
zügliche Erfolge zu verzeichnen. Ausser den Rennen werden in Ilidze auch
noch internationale Taubenschiessen und Falkenjagden (mit abgerichteten
Jagdfalken), sowie auch Volksfeste mit Tombola und Feuerwerk veranstaltet,
die aus der ganzen Umgebung die eingeborene Bevölkerung versammeln.
Nicht wenig trägt zum Aufschwünge des Bades die Anwesenheit Ihrer
Fxcellenz der Frau Minister v. Kallay bei, die seit einigen Jahren den ganzen
Sommer mit Familie in Ilidze verweilt. Hier empfängt sie die Notabilitäten
der Stadt und des Landes, und ihrer herzgewinnenden Liebenswürdigkeit
ist es gelungen, auch die mohammedanischen Frauen aus ihrer Zurück-
gezogenheit hervorzulocken.
iiS —
llid'.c besitzt aber auch noch den Vorzug der Billigkeit. Ua die
Hotels ebenso wie das Bad der Landesregierung gehören und nur verpachtet
sind, werden die Preise behördlich festgesetzt. Es bestehen vier Klassen
von Fremdenzimmern: zu So kr., i iL, i',2 fl. und 2 fl. für den Tag, ein-
schliesslich Bedienung. Bei Aufnahme eines Zimmers für länger als eine
Woche werden 10 pCt., bei langer als drei Wochen 20 pCt. der nach dem
Tagespreise berechneten Miethe in Abzug gebracht. Wer also einmal
einen von der gewöhnlichen Route abweichenden Badeaufenthalt genit
will, ohne die europäischen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten zu
entbehren, der gehe nach Ilidze. Sarajevo ist leicht und billig erreichbar,
und ein Ausflug in neunstündiger genussreicher Bahnfahrt führt über den
[van nach Mostar in die romantische, einst mit Recht blutig genannte
Hercegovina.
Schlussvigiicltc : Crocus Vilmae (Fiala).
Ins Drinagebiet.
s war an einem Freitag Anfang September,
als unser von Vejsil Sarajcic im Tasli-Han in
Sarajevo gemietheter Fiaker, mit zwei tüch-
tigen Pferden bespannt, die bosnische Hauptstadt ver-
liess. um uns nach Südosten zu führen, jene Strasse,
die trotz ihrer einstigen Unwegsamkeit durch Jahr-
hunderte den Haupthandelsweg nach Novibazar und
nach Salonichi bildete. Zur Zeit der Kontinentalsperre
unter Napoleon I. hatte diese nur mit Tragthieren zu begehende Strasse
ihre Blüthezeit erlebt; die Kolonialprodukte nahmen ihren Weg von
Salonichi nach Sarajevo, von hier gingen sie nach Brod und wurden
dann weiter in die Binnenländer eingeführt und eingeschmuggelt. Damals
hiess es, die Strasse sei mit Kaffeebohnen gepflastert; von Viertelstunde zu
Viertelstunde stand ein Han, und griechische wie serbische Kaufleute legten
den Grund zu grossen Vermögen. Aber die Kontinentalsperre erreichte
mit dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft ihr Ende, die
zahllosen Tragthierkolonnen nahmen ab, die Hans und Karawansereien ver-
ödeten und verfielen, nur einzelne prächtige Brunnen erinnern noch an
die goldenen Zeiten.
*
>&
Kozija-Cuprija (Ziegenbrücke} bei Sarajevo.
Und heute braucht man nicht mehr auf dem Rücken des Pferdes
den schmalen und beschwerlichen Weg über Alifakovac am linken Ufer
der Miljacka einzuschlagen, heute führt eine neue prächtige Fahrstrasse
am rechten Ufer unter dem Kastellberge, an dem Ausflugorte Da Riva
vorbei, mitten in die Berge und Felsen. Langsam steigt der Weg, wir
haben die Kozija-Cuprija (die Ziegenbrücke) erreicht, ein Meisterwerk tür-
kischer Baukunst. Zwei die Miljacka verengende Steinklippen wurden als
natürliche Pfeilerfundamente benutzt und dann die Brücke in einem einzigen
kühnen Bogen über den Abgrund geschlagen. Zur Entlastung derselben
ist beiderseits des Rundbogens ein grosses kreisförmiges Loch im Baue ge-
lassen, sodass auch die abenteuerliche Form desselben der wildromantischen
Umgebung entspricht. Tief unten im felsigen Bette schäumt die grüne
Miljacka; jenseits des Flusses steigen fast senkrecht die Hänge des Trebevic
in die Höhe, von der Brücke nur gerade einen kleinen Spalt offen lassend,
der zur sogenannten »Johanna-Ruhe« führt. Auf der rechten Seite aber
schliessen zerrissene Wände die Strasse ein, die sich jetzt in langen
Serpentinen die Höhe hinanzieht. Ein Kaffeehaus mit primitivem Garten
bietet im Sommer Ausflüglern einen erwünschten Ruheplatz. Und weiter,
wo das rechte Ufer etwas sanfter ansteigt, liegt ein alter türkischer Fried-
hof, dessen mächtige Grabpfeiler nicht in der Erde, sondern in Unterplatten
aus weicherem Stein stecken. Es ist das der Schehidler-, der Märtyrer-
— 123
friedhof, weil hier die im Glaubenskampfe des Islam gefallenen Blutzeugen
ruhen. Als das christliche Denkmal desselben Kampfes aber erhebt sich
gegenüber am linken Flussufer eine Burgruine, Starigrad genannt, die
(nach Hoernes) einst Chodidjed hiess und um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts ein Stützpunkt der türkischen Waffenmacht war, von wo dieselbe
das noch dem christlichen Herrscher gehörige Bosnien zu bedrängen
pflegte. Im Jahre 1459 schreiben die Ragusaner an den König von Ungarn,
der König von Bosnien habe den grossen wohlbewohnten Stadtplatz von
Chodidjed niedergebrannt und belagere die Veste. Damals oder früher
schon, als Starigrad durch Beschiessung von der Höhe des Trebevic den
Christen entrissen wurde, fielen die auf dem Schehidler-Friedhofe ruhenden
Koranstreiter. Der Burggipfel trägt heute nur ein wüstes Konglomerat von
Schutt und Mauerresten auf schroffen Felszinnen.
Die Abhänge, durch welche die Strasse führt, sind bewaldet, und zwar
zeigt sich der Nutzen der eingeführten Forstschonung; wo einstmals an
grösseren Verkehrswegen eine grenzenlose Raubwirthschaft betrieben wurde,
ist heute alles im besten Stande. Bei Han Derventa wird kurze Rast ge-
macht. Hier ist die Abzweigung der neuen Strasse nach Mokro und auf
die Romanja-Planina. Der Verkehr auf der Strasse ist bedeutend; Fuhr-
werk über Fuhrwerk, mit Mehl, Bier, auch Maschinentheilen beladen, über-
holten wir, während Tragthierkolonnen, meist mit Holz und Heu beladen,
nach der Stadt zogen. Zur Seite der Thiere oft eine Bäuerin, die emsig
auf der Spindel spann, dabei aber sorgte, dass die Thiere rechtzeitig aus-
wichen. Auf schwindelnden Pfaden am linken Miljackaufer kletterten
Schaf- und Ziegenheerden, gehütet von Kindern, die mit gemsenartiger
Geschicklichkeit von Stein zu Stein sprangen, oft laute Jodler ausstossend.
Han Derventa ist ein ganz erträgliches Einkehrhaus für die Fuhrwerke, und
das Geschäft scheint glänzend zu gehen, denn sechs frisch geschlachtete
Hammel hingen am Stallthor. Der Besitzer, ein Hercegovce, hat sich
schon ein schönes, mehr-
stöckiges steinern esHaus
an der anderen Seite der
Strasse als Familienwoh-
nung gebaut und einen
recht netten Garten an-
gelegt. Wieder neue Zeit!
Dann passiren wir
I [an Ljubogosta und
treten in prächtigen Na-
delwald, zum grossen
Theil eingezäunt, ein. 1 )ie
landschaftliche Scenerii
124
Blick von Pale auf die Rom anja-Planina.
wechselt ganz überraschend; die hohen kahlen Berge sind verschwunden,
an ihre Stelle treten sanft gerundete Kuppen, durchwegs dicht mit Nadel
holz bestanden. Inmitten der sanften lieblichen Landschaft liegt der Ort
Pale, heute eine Sommerfrische für viele Bewohner Sarajevos. Auf einem
isolirten Hügel erhebt sich eine burgartige Kaserne, längs der Strasse, zu
beiden Seiten aber stehen villenartige Gebäude im Schweizer Stil, oft an-
muthig im Grün halb versteckt. Auch der englische Konsul Freemann
besitzt hier ein
Landhaus. Ein
gutes Gasthaus
sorgt für des
Leibes Nahrung
und Nothdurft,
eine kleinere be-
scheidenere,
aber recht sau-
bere Wirthschaft
ist ausserdem
mehr ausserhalb
des Ortes vor-
handen.
Und immer
prächtiger wird
die Gegend. Uni bei Pale.
125
i
Ueber Hau Kadin und
Gorovic erreichen wir
die Höhe von 1050 Me-
tern an den Abfällen
des Vitez, ein mächti-
ger Eichenwald dehnt
sich zu beiden Seiten
aus, dem stundenlang
hundertjährige Buchen
folgen. Wir sind der
jg, Grabovicka, dann dem
Pracabache gefolgt, bis
wir die wichtigste Sta-
tion zwischen Sarajevo undGorazda,
Praca, erreichen, das wundervoll
in einem weiten Thalkessel liegt. Die Witterung
hatte sich mittlerweile verschlechtert, es war
Regen eingetreten, und gerade als unser Kut-
scher Musan vor der »Gostionica kod Andrie«
hielt, brach das Unwetter mit
aller Gewalt los. Wir waren
aber unter Dach und Fach,
und in dem bescheidenen, aber
reinen Gastzimmer konnten
wir die Beruhigung der himm-
lischen Gewalten abwarten.
Es war für die drei Offiziere der Station gedeckt; der
\\ irth legte für uns noch zwei Couverts auf, und bald
machten wir die Bekanntschaft der drei Herren, die in
liebenswürdigster Weise, wie fast immer die Offiziere der
k. k. Armee, die erwünschten Auskünfte ertheilten und in
deren Gesellschaft die Ruhezeit nur zu schnell verging.
Praca besteht heute aus wenigen Häusergruppen, die sich
längs des Baches hinziehen. Einst soll hier aber eine
grosse Stadt von 60000 Bewohnern gestanden haben,
und schon unter Ban Ninoslav wird sie in einem
Dokumente von 1244 als Bischofssitz erwähnt. In
dem Hofe der baufälligen Moschee soll noch ein
römischer Sarkophag stehen, den ich aber nicht zu
Gesich^ bekam. Dagegen finden sich in der Gegend
sehr viele mittelalterliche Grabsteine mit Ornamenten Bauer 1IU Allta?s-
, t^- t-\- r -i kostüni.
und Figuren. Die grössten linden sich — nach ,,- ,. ...»
Praca-Defile.
126 —
Asböth i1 ■> Kilometer südöstlich von Praöa aul dem ^-ic - 1 1 1 *
Pavlovac, unter welchem der Weg in einer ! nge weiterführt. Die
Ruinen von Pavlovac stehen auf dem I Iugel unterhall) d^v Felsenvvand
Vla'ska Stjena am linken Ufer der Praöa. Die Burg war einst ein Hauptorl
des »comitatus Berec (Boraö), Dominiums des Fürsten Paul Radinovic,
■du *S
**
Rast bei <ler Feldarbeit Tale).
zu welchem Praöa, Dobrunj, Ustikolina an der Drina, Vlasenica, Olovo, ja
eine Zeit lang selbst die Burg Vrhbosna gehörte. Novi in Praza« nennen
sie die Gesandten von Ragusa, die den Sohn Pauls, Radoslaw, im Jahre 1423
besuchten. 1550 lag die Burg bereits in Ruinen.
Das Wetter hatte sich wieder aufgeheitert, und in wundervoller staub-
freier Luft ging es an fruchtbaren Feldern die Praöa entlang, an einer
grossen Dampfsäge vorüber. Dann verlassen wir das Flüsschen, das sich
geradenwegs nach Osten durch dichte Walder und Schluchten den Pfad
9
1 29
Wölfe vor Beginn des Treibens auf der Ranjen-Planina.
zur Drina bricht. Unsere Strasse wende4- sicli scharf nach Süden und
steigt in kühnen Serpentinen den Ranjen hinan. Es ist ein hoher Gebirgs
sattel mit Hochgebirgsflora. Dichter Eichen- und Buchenwald, hin und
ier untermischt mit Silberpappel, Nadelholz und in den höheren Lagen
mit Birken, empfangt uns in ewigem Schweigen. Prächtige Glockenblumen
und eine Genzianenart schauen aus dem grünen Teppiche des Waldes,
überall liegen durch die Gewalt des Sturmes gebrochene Riesenstämme,
über denen schon wieder neu-. Vi g«. lation wuchert. Ausblicke eröffne n
sich von Zeit zu Zeit in ti legene Schichten; es ist, ab wogte überall
ein grünes Meer. Hier ist es still und einsam, und ehe sich noch nicht
di€ neue Fahrstrasse durch diese Gebirgswildniss zog, war die Gegend
130
Alle r M oha m m e <lan e r
ans Gorazda.
ein berühmter Schlupfwinkel für
Haiduken, weshalb auf dem alten
Saumpfade mit werthvolleren Gütern
beladene Tragthierkolonnen nur unter
Militärbedeckung reisten. Ich hatte
1879 die alte Strasse zweimal passirt
und damals war ich noch ernstlich
gewarnt worden. Die bosnische Ver
waltung hat dein Unwesen ein Ende
bereitet, und heute reist man in voller
Sicherheit.
Endlich ist die Passhöhe er-
reicht; ein weites ebenes Schussfeld,
von Farrenkraut bestanden, zeigt sich,
über das der Wind schneidend kalt
fährt, — wir haben die Ranjen-
Karaula (das Wachthaus der Ver-
wundeten) erreicht, 1 196 Meter. Dort
steht auch bereit- das weitläufige
■eingefriedete Gehöft, in dem die bewaffnete Macht ihre Tage verbringt. 1
•ein einsamer rauher Punkt und doch einer, der in Betreff der Aussicht seines
Gleichen nicht leicht findet. Kuppe erhebt sich neben Kuppe, alle be-
waldet, aber terrassenförmig zur Drina abfallend, deren Silberband sich
in der fernen Ebene schlängelt. Dahinter, hinter dem Flusse aber steigt
eine Gebirgswand nach der anderen in immer kühneren und wilderen
Umrissen auf. Da stehen im Vordergrunde dunkle bewaldete Berge,
hinter ihnen schroffe graue Felsenmassen und wieder weiter eine braune
Wand, als wolle sie den Horizont abschneiden. Das sind schon die Gebirge
an der montenegrinischen Grenze, und dahinter noch schimmern Kuppen
schneeweiss, das Braun ilec Vorgebirge wie mit einem Silberturban ver-
zierend: das sind die trotzigen Höhen an Albaniens Grenzen, die Wohn-
stätten der tapferen Skipetaren, denen schon an der Mutterbrust die Lieder
von wildem Kampf, von steter Blutrache gesungen werden. Und so wie
dort, war es einst hier, in der gesegneten Bosna; wo wir gegenwärtig
stehen, ist der Boden von Blut gedüngt. . . . Vor einem kleinen Wirthshause,
das von einem Birkenwäldchen geschützt wird, machen wir kurzen Halt.
Wir blicken nach Norden, nach dem scharfen Profile der Romanja-Planina,
wir grüssen noch im Süden den Fürsten der Schwarzen Berge, den 9000 Fuss
hohen Dormitor, und dann geht es in scharfem Trabe in machtigen
Serpentinen abwärts.
Die (legend ist gut angebaut, überall zeigen sich einzelne Gehöfte,
auch weidende Ileerden, — ■ wir sind aus der Wildniss in die Civilisation
9*
— ui
eingelenkt. Das Wasser der /Victorquelle« bei Han Jabuka wird ge-
kostet; immer wieder erhalten wir den Ausblick auf die Drina und das
sich längs derselben hinziehende Gorazda, aber der Weg zieht sich,
und erst eine Stunde nach Aksam erreichen wir den langgestreckten
( 'rt. der recht viele Neubauten aufweist. Wir halten vor dem » Hotel
Olehla«, wo wir als alte Bekannte des Besitzers in freundlichster Weise
empfangen werden und sehr gute Unterkunft finden.
Der Markt Gorazda zahlt nach der Volkszählung von 1895 1460 Ein-
wohner, von denen zwei Drittel Mohammedaner sind. Der Ort ist ungemein
betriebsam, und unter seinen Bewohnern giebt es
viele Fabrikanten, Handel- und Gewerbetreibende.
Eine Lokalsage will wissen, dass Gorazda einst
18 OOO Häuser besessen habe. Das ist entschieden
zu hoch gegriffen, aber auf der langen Zeile am
breiten Flusse, wo sich das heutige Gorazda an
die steil ansteigenden bewaldeten Gebirgshänge
lehnt, kann leicht eine fünf- und zehnfache Häuser-
zahl stehen. Bekannt ist, dass Gorazda im 15. Jahr-
hundert einer der Haupthandelsplätze war, als
noch die Theilfürsten im nahen Samobor residirten.
Hierin machte auch die türkische Eroberung wenig
Unterschied. In den Jahren 1529 — 1531 bestand
hier sogai eine Druckerei cyrillischer Kirchen-
bücher. 1 568 baute Mustafa Pascha von Ofen an
Stelle der ehemaligen Ueberluhr eine solide Stein-
brücke über den 1 50 Schritt breiten, zwar seichten,
aber gefährlichen Strom. Von dieser waren nur
mehr die Pfeiler an den Ufern und vier schmale
sechseckige im Flussbett erhalten, die Brücken-
bogen waren den gewaltigen Hochwässern zum
Opfer gefallen. Jetzt ist eine neue Brücke, die »Kaiser Franz Josefs-
brücke«, erbaut worden. An der Brücke stand einst eine grosse Kara-
vvanserai, die den von Osten kommenden Kaufmann und seine Waaren
unmittelbar nach dem Ueberschreiten des Flusses gastlich aufnahm. Sie
war schon in türkischer Zeit verfallen, wie so vieles in diesen Landern.
und in den Mauern der ausgedehnten Ruine wurden Stallungen einge-
richtet. Die Moscheen von Gorazda sind nur unbedeutend, die Carsija
bietet keine besonderen Sehenswürdigkeiten. Von Interesse war mir da-
gegen eine neue Volksschule, die sehr gut besucht wird, und der hübsche
Garten des Militärstations-Gebäudes. Von den zahlreichen Neubauten ge-
hören die meisten einheimischen Geschäftsleuten, die den fremd zugezogenen
I ingst überlegen sind und diesen immer mehr die Kundschaft entziehen.
Junger Mohammedaner
aus Gorazda.
So klagten die Kaufleute, ohne zu bedenken, dass dies nur das ganz
natürliche Verhältniss ist, denn zuerst muss der Boden eine, Landes seine
eigenen Kinder ernähren, so schmerzlich diese Erfahrung auch für
fremden Geschäftsmann, der sich jahrelang redlich geplagt hat, sein mag,
und vorläufig finden n.»ch immer die Eingewanderten in Bosnien ein ganz
erträgliches Fortkommen.
Ai
Schlussvignette : Weber.
Von Gorazda nach Foca.
ci Beginn des Morgens wurde ein Ausflug nach Foca auf
der wundervollen Fahrstrasse unternommen, die sich am
linken Ufer der Drina hinzieht. Fs ist erst einige Jahre»
dass diese Strasse gebaut wurde; früher war das wichtige,
ausgedehnte und gewerbsreiche Foca von allen Seiten nur
auf beschwerlichen Reitwegen zu erreichen. Jetzt geht es in schlankem
Trabe vorwärts. Zuerst an Zwetschkengarten vorbei, deren Bäume so dicht
mit den dunkelblauen Früchten behangen sind, dass man fast keine Blätter
mehr sieht; dann zeigen sich Tabakfelder und viele riesige Nussbäume,
sonderbarer Weise auch auf einem Felde Lupinen. Die Strasse führt längs
(\vv Drina immer an Höhenzügen entlang; das Flussbett ist breit und ver-
sandet, das Wasser scheint den Minimalstand erreicht zu haben. Unsere
Uferseite ist sehr belebt, gut angebaut, und viele freundliche Gehöfte lugen
aus dem frischen Grün. Es ist bei den Gebäuden bereits eine ganz andere
Bauart; an Stelle der Holzhauser treten neue Ziegelbauten und bezeich-
nender Weise fast stets dort, wo Tabak an langen Schnüren zum Trocknen
aufgehängt ist oder wo solcher noch auf den Fluren auf dem Stengel an-
geblattet steht. Es unterliegt keinem Zweifel, dass zwischen dem Tabak-
und dem Häuserbau ein Zusammenhang besteht. Die Bauern haben
bessere Einkünfte, sie werden naturgemäss an höhere Bedürfnisse gewohnt,
und dazu gehört auch eine angemessene Wohnung. Welche Bedeutung
die stete Vermehrung des Tabakbaues für die beiden Provinzen besitzt,
zeigt der Ausweis der Finanzverwaltung für das Jahr [894. Danach sind
die Einnahmen für das Tabakgefälle mit 4606000 fl. eingestellt; gegen-
Kopfleiste: Korantext auf einem Säbel.
134
über dem Vorjahre ein Mehr von 620000 t!. [n erster Linie steht der
Tabakbau der Hercegovina, wo er hauptsächlich in den Bezirken Trebinje,
Stolac und Ljubuski gepflegt wird; in Bosnien um Foca und Srebrenica
In der Hercegovina wurden auf 2700 Hektaren 45000 Doppelcentner ge-
wonnen, wofür den Produzenten 1 800 OOO fl. ausgezahlt wurden. Der
Tabak wird durchwegs zu Cigaretten- und zu Tschibuktabak vei
die Erzeugnisse der Regie gehen grösstentheils nach Oesterreich und
Deutschland, und ist die Nachfrage in steter Zunahme begriffen. Dass das
Land selbst ein starker Konsument ist, ist begreiflich. Wie gewinnbringend
der Anbau ist, zeigt sich darin, dass in der Hercegovina der Uebergang
der Knieten zu den Freibauern sich am raschesten vollzieht.
V
Auf dem Wege berühren wir nur wenige Ortschaften: Covcici,
Mravinjac, Ihm Osanica und das Stadtehen Ustikolina; dafür finden sich
verschiedene kleine tür-
kische Strassen-Kaffee
häuser, denen - jeden-
falls von S »ldaten
recht anmuthende Na-
men an die Wände ge-
pinselt wurden: < !afe
Hertha-, »Cafe Julie
und Cafe Mizi«, wahr-
scheinlich in Erinnerung
an Lieben in der fernen
Heimath. Ustikolina
macht einen ungemein
freundlichen und wohl-
habenden Eindruck. Sei-
nen Namen erhielt der
Ort vom Flüsschen Ko-
luna, das hier in die
Drina mündet. (LTsce =
Mündung.) Zur Zeit der
Eroberung Bosniens
durch die Osmanen war
dieser Ort bedeutender:
damals blühte die Gold-
-n, schmiedekunst, der I hm
del war umfangreich, und
in der Umgebung bestan-
den ausgedehnte Wein
/
Bosnische Bäuerin n e
kulturell, deren Platze
noch heute : Loze« (Reben) und A'ina (Weine) genannt werden. Im
Orte stand eine aus Stein gebaute Kirche, deren Fundamente noch
sichtbar sind. In unmittelbarer Nähe derselben fanden Arbeiter beim Baue
der neuen Strasse unter der Erde ein mit Mauerwölbungen versehenes Grab
und in diesem menschliche Knochen. Das Volk behauptet, dass hier die
zur Kirche gehörigen Mönche bestattet worden seien. Dass die Gegend von
Ustikolina schon viel früher gut bevölkert war, beweist die grosse Zahl
vorhistorischer Grabstätten, die sich auf dem Cvilinskopolje neben Ustikolina
und unmittelbar am linken Drinaufer befinden, ferner für eine spätere
Periode die grosse Zahl alter Burgruinen in der Umgebung des Ortes. In
der Mitte des Cvilinskopolje sieht man den Grundbau eines alten Kastells;
die Stelle wird noch heute Gradina oder auch »Cvilinski Grad« genannt.
In einem Hudzet (Urtheil), welches vor 1 50 Jahren für eine Frau aus
Curevo geschrieben wurde, wird erwähnt (Miron R. v. Zar/.ycki im »Glasn.
zemaljs. muzeja* ), dass der betreuende Prozess vor dem Mutesarif Omer
V
Pascha Cengic in Dolnji-Odzak bei Ustikolina verhandelt wurde, woraus
hervorzugehen scheint, dass der Mutesarif zu jener Zeit dort seinen Sitz
hatte. In einem alten Ferman wird Ustikolina als Scheher (Stadt), Foca
hingegen als Kassaba (Marktflecken) bezeichnet, woraus hervorgehen würde,
dass Ustikolina damals eine wichtige Stadt war. Als Sultan Mehmed
Fatih im Jahre 1463 mit seinem Heere in diese Gegend kam, stieg er
den Bergrücken am linken Ufer des Flüsschens Josanica (rechts von der
Drina) hinab, wo sich der Kampf mit den Bosniern entspann. Die Schlacht
war blutig, es fielen auf beiden Seiten zahlreiche Soldaten und Führer,
die auf dem Kampfplatze begraben wurden. Damals entstand der Fried-
hof an der Josanica mit seinen zahlreichen steinernen Grabdenkmälern,
auf denen Morgensterne, Säbel, Fahnen, Bogen und Pfeile eingemeisselt
sind. Man erzählt, dass ein türkischer Anführer den grössten bosnischen
Helden, Ivko von Josanica, bis zum Cvilinski Grad verfolgt habe, wo er
ihn erreichte und niederschlug. Ivko wurde auf der Stelle, wo er gefallen,
begraben, und der Stein, den man auf sein Grab legte, wird noch heute
Ivkov kamen' (Stein des Ivko) genannt. Der erwähnte türkische An-
führer kehrte hierauf wieder auf den Kampfplatz an der Josanica zurück,
wo ihm ein Bosnier den Kopf abhieb. Dies geschah unmittelbar am Ufer
des Flüsschens. Der Getödtete nahm - - so erzählt das Volk — seinen
Kopf unter den Ann und begab sich an das rechte Ufer des Flüsschens,
wo er auch begraben wurde. Auf dem Steine, den man diesem Anführer
zu I [äupten des Grabes setzte, ist eine Aushöhlung, aus welcher das Volk
Wasser zu trinken pflegt, und es soll Jeder, mag er an welcher Krankheit
immer leiden, sofort genesen, sobald er von diesem Wasser getrunken und
am Grabe sein Gebet verrichtet hat. Diese »Heilstätte wird am letzten
Dienstag vor Gjurgjev-dan (Georgstag) am zahlreichsten besucht.
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Zu jener Zeit, als Sultan Mehmed Fatih mit den Bosniern den obigen
Kampf bestand, Lebten in Ustikolina drei Brüder Namens Miroje, Ljuboje
und Dragoje Kujunddc, deren Familie die angesehenste in der ganzen
Gegend war. Auch die Kirche, deren Ruinen oben erwähnt wurden,
stand unter ihrer Leitung. Einige Mitglieder der Familie waren Mouche
und ihnen gehörten auch alle drei Ueberfuhrcn an der Drina, und zwar
in Ustikolina, Foca und Gorazda. lauer von den genannten drei Brüdern
- nach anderen deren Mutter - ging dem Sultan entgegen und führte
ihn über die Drina nach Ustikolina. Als der Sultan in der Mitte des
Flusses war, versank sein Pferd in den Fluthen, worauf er ausrief: »Bu sü
derin!« (Das Wasser ist tief!) Vom Worte »derin soll der Name des
Flusses Drina herrühren. Aus Dankbarkeit dafür, dass sie ihn über die
Drina geführt, schenkte der Sultan den Brüdern Kujunduc Spahiluks
(Lehensgüter), gab ihnen Fermane und Bujruntijas (Verleihungsurkunden),
und seit jener Zeit wurden die Kujundzici auch Spahici genannt. Die
— i37
Brüder Miroje und Ljuboje nahmen den mohammedanischen Glauben an
und von ihnen sollen die bosnischen Begs Mirici und Ljubovici abstammen.
Der dritte der Brüder, Dragoje, blieb dem Glauben seiner Vater treu,
dennoch wurde auch er vom Sultan mit dem Spahiluk und der Bujruntija
betheilt. Auf Grund dieses Fermans haben die Nachkommen des Genannten,
die Kujundaci-Spahici, bis in die letzte Zeit den Zehent in der Gemeinde
Ustikolina für sich eingehoben. Als die beiden ersterwähnten Brüder
zum Islam übertraten, übersiedelte der christliche Bruder in das nahegelegene
Dorf Ligati, wo noch heute seine Nachkommen, die Kujundzici-Spahici,
leben. Zwei von dieser Familie abstammende Brüder übersiedelten nach
Foca, wo sie zu den angeseheneren Bürgern gezählt werden und im Rufe
der geschicktesten Goldarbeiter stehen.
Nachdem der Sultan in Ustikolina einzogen war, liess er dort eine
1 teeresabtheilung unter Turhani Emin, der, wie erzählt wird, die Moschee
in Ustikolina erbaute. Von hier aus sandte der Sultan eine Wache gegen
das heutige Foca, welches zu jener Zeit Radovina geheissen habe, um zu
erforschen, was es dort gäbe. Als die Truppe zurückkehrte, erzählte sie
dem Sultan, dass sie in jener Gegend einen Ort angetroffen habe, wo es
grosse Weingärten und viele Fässer (hepsi fuci) gebe. Das türkische Wort
»fuci« bedeutet »Fass«, und so sei der Name der späteren Stadt Foca
entstanden. Wie Andere wieder erzählen, soll Foca seinen Namen von
dem vielen Obst (bosnisch voce) erhalten haben, das dort und in der
Umgegend vortrefflich gedeiht.
Am nordöstlichen Ausgang des Städtchens Ustikolina erhebt sich die
Moschee, die in den Jahren 866 bis 869 nach der Hedschra, also gleich in
den ersten Jahren nach der Eroberung Bosniens durch die Osmanen
erbaut wurde und somit zu den ältesten Moscheen im ganzen Lande zählt.
Das Minaret, das an der rechten Seite des Gebäudes steht, ist wie dieses
selbst aus behauenen Quadern aufgeführt und besitzt unterhalb der Scherefa
(Gallerie für den Ausrufer) ringsum fein gemeisselte Stalaktiten-Ornamente.
Die Moschee wie das Minaret sind mit Blei, die Vorhalle mit Ziegeln
gedeckt. Bei der Moschee steht ein altes Türbe (Mausoleum), in welchem
Kadri Alajbeg Cengic, der Urahn der in Odzak, eine Viertelstunde von
l Fstikolina lebenden Familie Cengic vor 1 50 Jahren bestattet wurde. Die
Bewohner von Ustikolina erzählen, dass einmal ein Pferd auf den Friedhof
gekommen sei und mit dem Fusse die Decke dieses Grabes durchbrochen
habe. Als die Ustikoliner diesen Schaden bemerkten, liefen sie rasch
herbei, um das Grab pietätvoll zu restauriren. Bei dieser Gelegenheit
fanden sie drei Platten im Grabe, welche derart aufgestellt waren, dass zwei
davon an den Enden aufrecht standen, während die dritte als Deckplatte
diente. Der Todte war also nicht in jener Weise, wie die Mohammedaner
heute ihre Todten zu bestatten pflegen, der Erde übergeben worden.
I38
Turhani Emin, der nach der Volkstradition dieses Gotteshaus erbaute,
soll auf Presjeka bestattet sein. Dieser I >rt liegl i ' 2 Stunden nördlich
von Ustikolina und soll seinen Namen
daher haben, weil dort das türkische
I [eer das bosnische »entzweigehauen«
(presjeei: entzweihauen), also geschla-
gen habe. Auf einem Ilaehen Xisehan
(mohammedanischer Grabstein), der
oben zugespitzt ist, sieht man den
I [albmond mit dem
Stern und darüber eine
Spirale. Man sagt, dies
sei das Grab eines Ta- ..
taren oder Persers. Die 'y ■
alten Gräber sind auf
einem Bergrücken zer-
streut; links sieht man
eine Ebene und einen
kleinenSee, Unterallen
Gräbern, die man dort
findet, zeichnen sich
zwei durch Schönheit
aus; ihre Nischans sind
aus Marmor, aber ge-
brochen. Auf dem
einen finden sich die
Ueberreste einer In-
schrift: ... Emhi
li\ ai herceg«, d. i. Emir
oder Gouverneur der
Hercegovina; von der
Jahreszahl nur: >Sene
tisa ve sittin e , d. i. im
Jahre . . . 69. Auf
der dritten Seite: »Kad intekalel
merhumu ibni«, d. i. Uebersiedelt
(gestorben) der geliebte Sohn. 1 )as
Stück, auf dem das Jahrhundert
der Jahreszahl und der Name des
Vaters des Verstorbenen eingegraben standen, ist vom Steine abgeschlagen
V
worden. Der alte Muhammed Beg Cengie aus Odzak erzählte, dass, als er
vor 40 Jahren zum letzten Male bei den Gräbern war, die Denksteine ganz
139
gewesen seien, und dass er damals die Inschrift auf dem einen Grabsteine
noch sehr deutlich habe lesen können. Sie hatte gelautet: »Turhani Emin
mit dem Sterbejahr 869. In der Nahe der erwähnten Grabstätten finden
sich auch viele Bogomilengräber mit grossen viereckigen Steinen und
Platten, von denen aber keiner Ornament oder Inschrift aufweist.
Jedenfalls /eigen die Ueberreste der Vorzeit, dass Ustikolina einst
eine bedeutendere Stadt war; heute ist es ein kleiner Ort, der sich durch
regen Tabakbau auszeichnet. Kein Haus ist ohne die grünen Schnüre, und
im üppigsten Flor standen auf den Feldern die saftig-
grünen Pflanzen mit den mächtigen Blattern. Die
Bewohner gemessen einen besonderen Ruf als ge-
schickte Tabakpflanzer, der Anbau nimmt im ganzen
Dzemat von Jahr zu Jahr zu und die betreffenden
Grundstücke sind wahre Musterplantagen.
Nach einer Stunde erreicht man von Ustikolina
aus die bedeutende Stadt Foca am Zusammenfluss
der Cehotina mit der Drina. Schon der erste An-
blick beim Herankommen an die Stadt ist ein im-
ponirender. Zu beiden Ufern des Flusses grosse
neue Gebäude, militärische Anlagen, als ob man das
Weichbild einer Festung beträte. Eine neue eiserne
Brücke führt über die Drina, und wir passiren zu-
erst das Militärlager mit seinen mächtigen Defensiv-
befestigungen. Dann fahren wir durch einen Theil
der Carsija, an Moscheen und Kaufläden vorbei, durch enge und holperige
Gassen, und halten endlich vor einem sehr hübschen europäischen Gebäude,
das sich als »Hotel Gerstl« präsentirt. Gegenüber liegt das geschmackvoll
gebaute Bezirksamt. Die Restauration war ganz nach Wiener Muster, Küche
und Keller Hessen nicht das Mindeste zu wünschen übrig, nur klagte der
Wirth über die angeordnete Verminderung der Garnison, da ihm dadurch ein
grosser Theil seiner täglichen Gäste entgehe. Ich begrüsste dies als ein
Zeichen der Ruhe und Ordnung auch in jenem Gebiete, das noch 1882
zu den aufruhrerischsten und turbulentesten gehörte. Die Forts, oder
wie sie hier genannt werden »Defensivkasernen« rings um die Stadt auf den
verschiedenen liehen geben ein recht kriegerisches Bild. Hier, eingekeilt
zwischen Xovibazar und Montenegro, kam die Bevölkerung nur mit der
Büchse und dem Handschar in der Hand zu ruhiger Arbeit, vorausgesetzt,
dass sie sich nicht selbst in Aufständen erging. Im Beginn der Insurrektion
von [88] [882 hatte die kleine Garnison, die damals nur 200 Mann betrug,
schwere Kampfe zu bestehen, und es mag nicht heimlich in Foca gewesen
sein, wenn von allen Bergen, welche die Stadt wie ein grüner Kranz um-
säumen, die Wachtfeuer der Aufständischen loderten. Heute ist das anders
Städterin aus Foca.
— 140
«
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geworden, und alle Persi men,
mit denen ich in Berührung
kam, drückten ihre Zufrieden
heit mit den gegenwärtigen
Verhältnissen aus.
Nach kurzer Rast begann
ich meinen Rundgang durch
die Stadt eine eigentlich
hereegovinische Stadt — , doch
wurde der Bezirk Foca seit
dem Jahre [880 vom herce-
govinischen Kreise Mostar ab-
getrennt und dem Kreise Sa-
rajevo zugewiesen. Ich kannte
Foca von früher her noch nicht,
sodass -ich der Unterschied
zwischen einst und jetzt für
mich nur an den neuen Ge
bänden und europäischen Ver-
besserungen ermessen Hess.
Es war gerade Markttag, daher
Gelegenheit, die prächtigen Ge-
stalten der Gebirgsbewohner
zu bewundern, die aus der
Zelengora, selbst au- Monte-
negro und Novibazar gekom-
men waren. Es ist ein stolzer
Menschenschlag, diese Hercegoviner. Schlank gewachsen wie die Tannen
oder wie die bosnischen Buchen, mit Muskeln von Stahl und Sehnen von
Eisen, der Haltung eines geborenen Befehlshabers, mit dem schonen süd-
slavischen Profil, Adlernase und Falkenblick bildet jeder den echten Typus
de- Junak - des Helden. Dabei ist die Kleidung weit knapper, netter als
bei den bosnischen Hauern und zum Theil auch reinlicher. Die schwarze,
schirmlose seidenumränderte Kappe, auf deren rothem Deekel sich meist
ein gesticktes Wappen befindet, steht den kühnen Gesichtern gut. Auch die
Frauen sind von hoher stolzer Haltung und haben oft recht hübsche G<
sichter. Foca i-t berühmt wegen seiner Woll- und Lederwaaren, ganz
besonders aber wegen -einer Eisenarbeiten. Einstmals, als noch die 1 [andzare
eine Hauptwaffe der Bevölkerung bildeten, war diese Industrie bedeutend
ausgedehnter; heute beschränkt sie sich auf Messer mit eingelegten Griffen.
Dafür ist das Kunstgewerbe durch wundervolle Arbeiten in Hold- und
Silberfiligran glänzend vertreten und in einem von der Resrierunsr - ähn-
^*"*V
Partliie aus Foca.
M.
lieh wie in Sarajevo und Livno — errichteten Atelier werden alle Zweige
der sogenannten Foöaner Kunstarbeit durch einige alte Meister jüngeren
Kräften gelehrt.
Der Haupttheil der Stadt liegt am linken Ufer der Cehotina, über die
zwei hölzerne Brücken führen. Einige Strassen ziehen sich in sehr malerischer
Weise die Berge hinan, und einzelne der alten Häuser zeigen eine recht
originelle Bauart. Am rechten Ufer liegen einige stille Viertel; hier sind
die schönsten und ältesten Moscheen des Landes, monumentale Bauten
aus der Glanzzeit der Osmanen, mit Bleidächern, die im Sonnenschein
wie Silber glänzen, mit Kuppeln von riesigen Dimensionen und Minarets
von imposanter Höhe. Vor allen zeichnet sich die Aladza-Moschee aus,
v
die ungefähr 2000 Schritte vor der Mündung der Cehotina in die Drina
gelegen ist.
Den Namen Aladza (»die Bunte«) erhielt das Gotteshaus von seinem reichen Farben-
schmuck. Oberhalb des Einganges nennt eine arabische Aufschrift den Erbauer und die Zeit
des Baue-:
c_ä^4) "y\ /.—'- o^ >-U olj<i-l >^»-L=j iJL.'U j^-~Ma t_o^-Ü\ **\>~\ JkA ^>j&
i\~j>- J^" J1-*" *y$ u <£j\i «_~*J\ t_oTl* jUU
; Dieses schöne Gotteshaus, den Ort des Gebets, erbaute der barmherzige Hassan, Sohn des
Jussuf, und eine unbekannte Stimme setzte ihm den Tarih (Tarih = Zeitpunkt der Erbauung" :
O Alleinherrscher der Welt, dies Werk soll dir genehm sein!«
Das Jahr der Erbauung ist 977 n. d. Hedschra (1549 n. Chr.). Vom Erbauer Hassan
Nazir weiss das Volk nur, dass er Celebija (Hofjunker) im Dienste des Sultans war und dass
er in dem Orte Vakuf bei Celebic (Gemeinde Tetima) geboren wurde. Man sagt, dass er
sein ganzes Vermögen dieser Moschee vermacht habe, worauf auch der Name seines Geburts-
ortes zurückgeht. Heute gehören der Moschee nur zwei Kmetenansässigkeiten in diesem
Orte; das übrige Vermögen sollen sich die Verwandten des Hassan Nazir und andere ihm
nahestehende Personen vor 200 Jahren angeeignet haben.
Rechts von der Moschee — wir folgen der eingehenden Beschreibung des Gottes-
hauses in den vom Landesmuseum herausgegebenen »Wissenschaftlichen Mittheilungen aus
Bosnien und der Hercegovina« — steht ein in sehr schönem Stile erbautes Turbe (Grab-
denkmal), in welchem der Sohn des Erbauers, Ibrahim, der noch bei Lebzeiten seines Vaters
starb, begraben liegt. Die Aufschrift auf dem Denkmal lautet: »Hier ruhet der gefallene
getödtete' Ibrahimbeg, Sohn des Hassan Nazir-Celebija, gestorben im Jahre .... (hier fehlt
ein Stück des Steines und neunhundert. An der Südseite der Moschee befindet sich ein
gut erhaltenes, aus weissem Marmor hergestelltes Grab, in welchem der Erbauer der Aladza-
Dzamija ruht. Die türkische Aufschrift lautet:
»Mit Hilfe der Engel hat den bitteren Kelch geleert, von dem Jeder aui dieser Welt kosten
muss, und ist aus dem Hause des Elends in jenes der Seligkeit und Zufriedenheit übersiedelt:
der gottbegnadete, gottselige Nazir Hassan, Sohn des Sinan, Ende des Monats Zilhidze 960.«
t hat der Erbauer der Moschee drei Jahre nach deren Vollendung das Zeitliche gesegnet.
M4
Der hohe Titel »Celebije«, welchen von Anfang an die Sultan.- selbst führten, sowie
der ganze künstlerische und kostspielige Lau deuten nach der Meinung des Volkes darauf hin,
dass der Erbauer eine hochgestellte und vermögende Persönlichkeit gewesen ist. Deshalb
vermuthet der Kadi von Foca, Ibrahim Efendi Mulavdic, dass Hassan Nazir der Sohn jenes
Sinan gewesen sei, der nach der türkischen Eroberung des Landes zweimal (an fünfter und
an elfter Stelle) unter den Vezieren Bosniens erscheint. Zwischen dem Wirken dieses Veziers
und dem des Hassan Nazir liegt ein Zeitraum von 34 Jahren, sodass es leicht möglich ist, er
sei der Sohn des Veziers Sinan gewesen and dass er selbst mit jenem Vezier identisch ist,
■der als der siebzehnte genannt wird.
Wer und woher der Baumeister und die Maler der Moschee waren, weiss Niemand an-
zugeben; auch giebt es keine Aufschrift, die darüber belehrt. Ebensowenig existirt ein Volks-
lied über den Bau der Moschee, und die L'eberlieferung weiss nur, dass Hassan Nazir die
Baumeister habe aus Asien kommen lassen. Die Hauptzierde der Moschee ist der Minber«
— die Kanzel — , die in schönem Stile aus weissem Stein hergestellt ist. Im mittleren Felde
{Orta) an der Hauptfront des Minber beiludet sich eine Halbkugel aus geglättetem, buntem
Stein mit bräunlich-grünen und weissen blecken wahrscheinlich ein Serpentin), von der das
Volk sagt, sie wäre so kostspielig, dass um das Geld, was sie gekostet hat, ohne Weiteres
■eine zweite Aladza-Dzamija gebaut werden könnte. Von dieser Kugel behaupten die Leute
ferner, dass sie einstens gleich einem Diamant gefunkelt habe, bis einmal ein Ungläubiger sie
berührte, worauf sie sofort ihren Glanz verlor.
Unter den Mohammedanern hat sich folgende l'eberlieferung vom Gründer Hassan Nazir
■erhalten: Hassan war der Sohn armer Eltern aus Vakuf, welcher, als er mit seinen Eltern in
Streit gerathen war, in die Welt hinauszog und beim Sultan Aufnahme fand. Hier beendete
er seine Studien und ward beim Kaiser Nazir«, d. h. Aufseher, Inspektor, also eine ver-
trauenswerthe Person. Mehrere Jahre stand er im Hofdienste beim Sultan, begleitete diesen
auf Reisen und Kriegszügen, und als nun viele Jahre vergangen waren und Hassan Nazir sich
ein grosses Vermögen erworben hatte, da bat er den Sultan, er möge ihm gestatten, nach
Hause zurückzukehren, damit er seine Mutter wiedersehe. Auch bat er den Kaiser um einen
Ferman, in Foca eine Moschee als Andenken erbauen zu dürfen. Der Kaiser willfahrte seiner
Litte und Hassan Nazir machte sich mit »drei Gürteln voll Gold« auf den Weg nach der
Heimath. Unterwegs nahmen ihn vierzig Räuber gefangen, fesselten ihn, beraubten ihn seiner
Schätze und brachten ihn in einen Han, wo sie übernachteten. Hier betranken sich die
Räuber und schliefen ein. Hassan Nazir sprach ein Gebet und in demselben Augenblick
lösten sich die Ketten von seinen Händen. Er ward frei, raffte seine drei Goldgürtel zu-
sammen, bestieg ein Pferd und entkam glücklich nach Foca. Als er in die Gegend der heu-
tigen Aladza-Moschee kam, fand er dort seine alte Mutter, welche Kornfrucht an der Sonne
trocknete. Kr frug sie, wie sie heisse, und sie hub an zu erzählen, dass sie einen einzigen
Sohn LIassan gehabt, mit dem sie sich einmal gezankt habe, worauf dieser in die Welt hinaus-
gezogen sei. Seit jener Zeit habe sie nie wieder etwas von ihm gehört.
Hassan Nazir fragte die Mutter, ob sie im Stande wäre, ihren Sohn jetzt noch zu er-
kennen, und sie erwiderte, dass ihr Sohn ein Muttermal am Arme gehabt habe; an diesem
Zeichen würde sie ihn leicht erkennen. Hassan schlug den Aermel zurück, zeigte ihr das
Mal an seinem Arme und frug, ob sie ihren Sohn erkenne. Sie aber umarmte ihn und starb
vor grosser Freude. An der Stelle, wo dies geschehen, begann Hassan Nazir die Aladza-
Moschee zu bauen. Die Baumeister Hess er aus Asien kommen, und er selbst begab sich
eines Tages in ihrer Begleitung in das Dorf Vikoc, um dort einen Steinbruch zu suchen.
Als sie nach Vragolovo kamen, nächtigten sie bei der Yranjaca unter dem Felsen Sokolovica.
Um Mitternacht löste sich in einiger Entfernung von ihrem Nachtlager der Felsen ah und
stürzte mit Donnerschall zur Erde, worüber sie alle erwachten und heftig erschraken. Der
Lauleiter beruhigte sie, indem er sagte: »Fürchtet euch nicht, die Moschee wird sicher zu
10
— 145 —
Ende gebaut werden, denn es sprang irgen Iwo in der Nähe der Felsen, wodurch Gott selbst
uns den Steinbruch aufthat und die Stelle zeigte, wo wir den Stein zu suchen haben. Als
es wieder Tag wurde, gingen sie zu jenem leisen, wo der Absturz stattgefunden hatte, und
fanden dort abgelöste Steine, so gross wie ein Haus. Da fingen nun die Meister an, sogleich
jene grossen Säulen zu behauen, von denen vier Stücke, jedes ,5 Meter hoch und 1,27 Meter
im Umfange messend, vor dem Eingange in die
Uadza-Moschee stehen. Nachdem die Säulen
fertiggestellt waren, führte man sie und die
übrigen Hausteine nach Foca, über das Gebirge
Bac, über welches in alter Zeit eine breite
ging, von der man noch heutigen Tages
stellenweise Spuren findet. Eine von den da-
mals zugehauenen Steinsäulen befindet sich noch
heute am Fusse der Sokolovica.
Als der Bau der Moschee schon so weit
gediehen war, dass die Hauptmauern fertig
standen, rief der Hair-sahibija (Wohlthäter, hier
Bauherr) dem Neimarbasi (Bauleiter) zu, er solle
sich beeilen und mit der Herstellung der Kuppel
beginnen. Der Bauleiter nahm hierauf von den
Mauern das Maass, gab davon dem Bauherrn
Hassan Nazir ein Exemplar, während er das
andere für sich behielt und entfloh aus der
Nähe seines Gebieters, um sich ein volles Jahr
verborgen zu halten. Da erzürnte der Bauherr
heftig wider den Bauleiter, der sich so lange
seiner Pflicht entzog, und als dieser nach einem
Jahre zurückkehrte, wollte er ihn tödten lassen.
Der Bauleiter bat den Bauherrn, seinen Zorn
einen Augenblick zu bemeistern und ihm jenes
Maass, das er ihm vor einem Jahre übergeben
hatte, zurückzugeben. Zugleich zog er das Maass.
das er bei sich behalten hatte, hervor und ver-
glich damit die unbedachten Mauern der Moschee.
Als er damit fertig war, zeigte er dem Bauherrn,
dass die Mauern um einen ganzen Arschin (tür-
kische Elle) niedriger geworden seien, da sie
sich im Laufe des Jahres gesetzt hätten, und
er sagte zu Hassan Nazir: »Wenn ich damals
nach deinem Willen die Kuppel auf den frischen
Mauern errichtet hätte, wäre die Moschee in
wenigen Jahren eingestürzt; jetzt aber, wenn ich die Kuppel aufstelle, kann ich dir verbürgen,
dass die Moschee sicher bis in alle Ewigkeit stehen und dass ihr nichts fehlen wird.«
Als die Kuppel und das Minarel fertig waren, pflanzte der Bauleiter den Alem (Schluss-
aufsatz und die Spitze) auf dem Dache des letzteren auf; dann verfertigte er sich selbst
Bretterflügel und (loi; vom Minaret über den Cehotinafluss auf einen Rain gegenüber dem
i, ohne sich im Geringsten zu verletzen. Nach Vollendung der Moschee, und als die
Herstellung des Säulenganges vor derselben im Zuge war, landen die Meister eines Morgens
zur rechten Seite des Einganges einen grossen schwarzen Stein, den die Engel an dieser Stelle
"•setzt hatten. Dieser Stein steht noch heute auf demselben Platze, und es ist noch
Der Uhrthurm (Sahat-Kula]
in Foca.
146
heutigen fages Sitte, dass Frau Steine
ihr i rebel verrichten.
\ni der ! ; i der Kanzel hudba al eine
: i aus grüne n Nazir, nachdem die Moschi stellt war,
\ ■:- diesem Stein kann eine ganz gleiche Mo iil werden, wenn
diese einmal einstürzen oder I werden sollte. Das Volk glaubt jedoch, dass an
dieser Stelle ein grosser Schatz vergraben od i nert sei. \n den [nnenwändi
Moschee sieht man fünf grosse weisse Krei :, deren Radius 14 cm beträgt. Man erzähl
dass u jener Zeit, als die Moschee gebaut wurde, ein Somun (landi Laib Bro
der gleichen Grösse einen Para gekoste! habe und dass die Meister jene Kreise in der Ab-
sicht gemacht haben, um den Nachkommen das Andenken an die Billigkeit zurückzul
die zur Zeit des Baues in Foca geherrscht habe.
Die Moschee zeigt uns den reinen Typus des mohamm a Gotteshauses. Aul
quadratischer Basis stehen die Hauptwände, über diesen das Oktogon und auf diesem die Kuppel.
Von aussen ist das prismatische Minaret angebaut. An der Hauptfront der Moschee befindet
sich der Portikus mit drei Kuppeln, welche auf gemauerten Kielbögen und schlanken Säulen
ruhen. Vor dem Portikus steht, wie üblich, die Cesma der Auslaufbrunnen zu rituellen
Waschungen' und um die Moschee herum die Grabdenkmäler. Die innere Einrichtung, welche
im engsten Zusammenhange mit ihrer äusseren Form <teht, ist folgende: Bis zur Höhe von
8>3S m geht der Anlauf der Bögen, deren es acht giebt und welche die Form einer Columba
haben. Vier von ihnen stehen auf den Hauptwänden und ragen nur unbedeutend heraus,
während vier andere zwischen ihnen stehen und einer über die Ecken des inneren Raumes
situirt sind. Auf diese Weise entsteht am Anlauf der Bögen ein Achteck, welches dem ol
Oktogon der Moschee entspricht. Auf die Bögen, welche quer über den Ecken stehen, stützen
sich die Halbkuppeln, welche sich an zwei benachbarte Wände anschliessen, deren Winkel
verdeckend. Unter der Halbkuppel in den Ecken giebt es stalaktitische Konsolen, sodass der
g mg des Baues aus seiner quadratischen in die polygone und in die Bogenform voll-
kommen harmonisch ausgeführt erscheint. Oberhalb und zwischen den besprochenen Bögen
spannen sich acht Pendentifs, die in das Kranzgesimse übergehen. Dieses ist aber die Basis
des mehrerwähnten < (ktogons, welches die Kuppel trägt. Drei von den Hauptwänden haben
je fünf Fenster, zwei unten in rechteckiger Form, über diesen zwei mit Spitzbögen, und endlich
über diesen eines, gleichfalls mit spitzer Wölbung. In der vierten Wand an der Nordseite
befindet sich die Thür, welche mit Marmor eingerahmt ist. Das Oktogon für sich hat auf
jeder Seite ein Spitzbogenfensterchen.
Leider wird der Gesammteindruck der Dzamija, die so überaus malerisch liegt, etwa-.
durch das zum Schutze der Malerei in der Vorhalle angebrachte Schutzdach gestört. Aller-
dings war eine derartige Vorrichtung nothwendig, doch hätte sie bereits vor Jahrzehnten an-
gebracht werden sollen, denn die Malerei hat sehr durch Wind und Wetter gelitten, und nur
farblose Fragmente bezeugen, dass hier einstmals eine Künstlerhand ersten Ranges geschaffen
hat. Namentlich die eine Wandfüllung, welche die Fläche zu beiden Seiten der Fenster be-
deckt, verräth eine durchweg meisterhafte Behandlung des < »rnamentes. Der mittlere Theil
zeichnet sich besonders durch die Vornehmheit seiner Linien und durch geschickte Vertheilung
der Formen aus, deren Ueppigkeit durch eine elegante Zergliederung gemildert wird. Das
Auge entdeckt hier keine Lücken in der Komposition, frei und ungezwungen schliessen sich
die Linien dem Räume an. Ein Fries, welcher in demselben Charakter gehalten ist, um-
rahmt den mittleren Theil und bildet ein gefälliges Uebergangsglied zwischen dem mittleren
Stück und dem äusseren Theil, einem Flachornament, das musterartig die innere Füllung mit
Fries umrahmt. Leichter, mehr in schlanken Linien laufend, zeigt auch dieses die unverkenn-
bare Meisterhand. Keine Magerkeit der Formen, keine Ueberladung macht sich hier geltend.
Las Ganze wird durch einen halbkreisförmigen Aufsatz, ebenfalls Flachornament, gekrönt. Die
10*
— 147 —
Ausführung der ganzen Arbeiten zeigt, dass der Meister nicht nur die Komposition des
Ornaments beherrschte, sondern sich auch in der technischen Ausführung gleichwertig zeigte.
Sauber und korrekt ist die Pinselführung in der Kontur, hier ist kein Strich mechanisch kopirt,
selbst an den nebensächlichsten Theilen zeigt sich volle Empfindung für die Formen.
Hat man bereits am Eingang einen so gediegenen Eindruck von der künstlerischen
Ausstattung erhalten, so hofft man auch im Innern der Dzamija einer gleichen Befriedigung
theilhaftig zu werden. Leider ist dies nicht der Fall. Während draussen Sturm und Wetter
an der Vernichtung gearbeitet haben, ist im Innern die Zerstörung wohl der Feuchtigkeit und
sonstigen schädlichen Einflüssen zuzuschreiben. Der Eindruck ist deshalb durchaus nicht er-
hebend; statt farbenprächtiger Ornamente zeigen sich Fragmente der früheren Dekorationen
zwischen Stockflecken, Kalkrissen u. s. w. und zeugen von dem Unverständniss der letzten
Generationen, die mit geradezu stumpfsinniger Gleichgiltigkeit der Vernichtung zugesehen haben.
Schlank und aufwärts strebend, rein in der Architektur, zeigt sich der Aufbau der
Kanzel (minber). Bei näherer Betrachtung der Einzelheiten ergeben sich aber beträchtliche
Lücken in der Ausführung. Theilweise sind die Ornamente meisterhaft und können mit der
ornamentalen Malerei konkurriren, theilweise sind sie aber in ihrer Anlage wie Ausführung
vollständig ungeschickt. Die arabischen Aufschriften im Innern der Moschee geben wir nach
der Niederschrift und Uebersetzung des Kadi von Foca. Die Thür der Moschee hat zwei
Flügel mit je vier Feldern; auf dem obersten der letzteren befindet sich links die Inschrift:
»Addzilu bissalati kable el feuti«, d. i. »Eilet zu beten vor dem Tode!« Auf dem rechten
Flügel dagegen: »Addzilu biteubeti kable el meuti«, d. i. »Beeilt Euch mit der Reue vor dem
Tode!;; Auf der Wand oberhalb der Thür steht: »We innel mesadzide l'illah fela ted' u nie'
allahi ehaden«, d. i. »Die Moscheen (Gotteshäuser] gehören Gott, und so rufet neben Allah
nicht einen anderen an!« Oberhalb der Kuppel: »Cullemah dehale alejha zekerija el mihrabe«,
d. i. die Koran-Sure »Ali imran«. Um den Scheitel der Kuppel steht die Aufschrift: »Esmaul
husna«, d. i. »Die 99 schönen Gottesnamen«. Am Eingange zur Kanzel steht der Spruch:
»Es giebt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet.« Zum Schlüsse seien auch noch
die Worte erwähnt, welche vor etwa 200 Jahren ein persischer Reisender an der Aussenmauer
der Moschee unterhalb des Gesimses niederschrieb: »Sefer kerdem beher sehri residem —
We lakin encunan dzaji nedidem«, d. i. »Ich bin viel gereist und kam in jede grössere Stadt,
aber einen Ort wie diesen sah ich noch nie!«
Von der Besichtigung' des Gotteshauses die lange Strasse läno-s des
Flusses gegen die Cehotinabrücke gehend, bemerkten wir rechter Hand
ein sehr originelles Cafe. »Cafe Luft« stand mit grossen Buchstaben
aufgeschrieben, und wirklich spielte sich der gesammte Verkehr im Freien
ab, sogar der Kaffee wurde im Garten gekocht. U eberall aber standen
Bänke und Tische ganz nach Art der Heurigengärten um Wien und der
Verkehr war ein sehr reger. Das Getränk war ganz vorzüglich. Die eine
den Garten abschliessende Wand war mit Bildern aus illustrirten Blättern
beklebt und die Focaner konnten auf diese Weise die Bekanntschaft des
damaligen Wiener Bürgermeisters Grübl und einer ganzen Reihe von
Schauspielern machen.
Während sich die Fürsorge der Landesregierung, wie bereits erwähnt,
der Erhaltung des Focaner Kunsthandwerks zuwendet, hat sie auch in der
weiteren Umgebung sehr segensreiche Einrichtungen geschaffen. Da liegt
westlich von Foöa, auf dem Wege nach Kalinovik, tief eingebettet zwischen
den Ausläufern der Zelengora und der Lelija-Planina, der Ortjelec, dessen
— 14S
Dzenaza Todtengebet) vor der Moschee. Aon Ewald Arndt.)
Bewohner seit undenklichen Zeiten
Lederfabrikation betreiben. Die Alpen-
weiden ringsum auf den mächtigen Gebirgen
liefern alljährlich Tausende von Schaf- und
Ziegenfellen, die hier an dem schnellen
Wasser des Gjafer-Potok zu dem im ganzen
Lande gerühmten Jelecer Leder verarbeitet
werden. So wie jede Industrie in Bosnien
früher auf eine äusserst ursprüngliche Weise
I »etrieben wurde, s< > v\ aren auchdie( rerl »ereien
II Jelec nicht im Stande, -ich nach der Okku-
pation im geschäftlichen Leben zu be-
haupten. Die Erzeugnisse entsprachen dcw
modernen Anforderungfen nicht, der Handel
selbst schlug andere Wege ein, und so ver-
te plötzlich die einzige Erwerbsquelle
für die Bewohner von Jelec, die sich natur-
gemäss in die neuen Verhältnisse so rasch nicht finden konnten. Als einziges
Mittel gegen diesen wirthschaftlichen Ruckschritt erwies sich die Errichtung
einer Lederfabrik in Jelec auf Landeskosten, durch welche nicht nur für
eine Beschäftigung der Bevölkerung, Mindern auch für eine entsprechende
Verwerthung der Rohhäute, dieser finanziellen Hilfsquelle des Hütervolkes
des ganzen umliegenden Gebirgsdistriktes , gesorgt würde. Im Jahre 1892
wurde, nachdem zuerst versucht worden war, die Gerber zu einer Genossen-
schaft zu vereinigen, die landesärarische Fabrik erbaut, die 1894 bedeutend
erweitert und für die neueste Produktionsweise eingerichtet wurde. Dazu
gehört auch die neue Art, das Enthaaren der Felle durch ein Schwitz-
verfahren zu bewerkstelligen, das, entgegen der früheren Giftkalk-Enthaarung,
durch welche nur die minderwerthige Gerberwolle gewonnen wird, die
sogenannte Schwitzwolle liefert, die der reinen, von dem lebendigen
Schafe geschorenen Wolle an Qualität gleichkommt. Die Betriebskraft
besteht aus einem Dampfmotor von 130 Pferdekräften. In neuester Zeit
wurde die Anlage auch durch eine Färberei und Appretur erweitert, und
die angestellten Versuche in der Erzeugung von Galanterie- und anderem
Luxusleder fielen befriedigend aus. Die Fabrik erzeugt vor allem sumach-
gares Leder in allen gangbaren Sorten, ferner sämmtliche Arten von
Saffianleder, Corduanleder, Buchbinderleder, Oberleder für Schuhmacher,
Tapezierer- und Galanteriewaarenleder. Ausser dem Schaf- und Ziegen-
leder wird auch türkisches dolmirtes Rockleder verfertigt.
Alljährlich werden im Durchschnitt bei 80 OOO Stück Schaf- und
Ziegenfelle verarbeitet, was ein Quantum von etwa 70000 Kilogramm
Wolle ergriebt. Die Felle werden im ganzen Lande je nach den Markt-
Verhältnissen aufgekauft, und kommen grundsätzlich nur die Felle aus-
gewachsener, über ein Jahr alter Thiere schwerer Gewichtssorten zur
Verwendung. Da Bosnien-Hercegovina beiläufig 300000 Stück Felle im
Jahre liefern kann und der Bedarf im Lande selbst, sowie die Nachfrage
von auswärts ziemlich bedeutend ist, so kann bei einer rationell betriebenen
Gerberei auf einen guten Geschäftserfolg gerechnet werden. Rindsleder
wird derzeit in Jelec noch nicht verarbeitet; dasselbe wird jetzt aus-
schliesslich in Visoko und Travnik für die Opankenmacher erzeugt. Auch
werden Rindshäute jetzt nach Italien, Dalmatien und Kroatien ausgeführt,
und da die Fabrikation von Rindsleder sich dem Anschein nach als
lohnend erwei-t, so gedenkt man auch in Jelec sich später damit zu
beschäftigen. Das Jelecer Leder, dessen Qualität von Fachleuten lobend
anerkannt wurde, wird auch in bedeutenden Mengen nach Oesterreich
ausgeführt, desgleichen Wolle.
Die Fabrik beschäftigt bei ihrem inneren Betriebe fast alle Gerber
von Jelec, welche die Ausübung ihres selbstständigen Gewerbes willig auf-
gegeben haben, da sie durch die Accordarbeit in der Fabrik lohnenderen
Erwerb finden. Die Beschaffung der wichtigsten Betriebsmaterialien, wie
Kalk und Sumach, bildet für Hunderte von Menschen eine gute Einnahme-
quelle. Besonders ist das Sammeln des Sumachs, der in dem ganzen süd-
lichen Grenzgebiete wild wächst, sehr lohnend, da sich auch Kinder damit
beschäftigen können. Die Fabrik benöthigt ein Quantum von 200 OOD Kilo
und werden für das Kilo trockenen Sumachs 4 kr. gezahlt. Um die
Einlösung des Sumachs zu erleichtern, wurden von der Regierung acht
Sumach-Hütten errichtet; zwei davon befinden sich in der Sutjeskaschlucht,
zwei am Hum bei Bastahi, zwei bei Predrazje und eine in Perovic.
Die Anlage- und Betriebskosten der Lederfabrik in Jelec waren nicht
unbedeutend; die Opfer mussten aber gebracht werden, um dem durch
Zeit und Umstände gänzlich zu Grunde gegangenen Gewerbe der Gerberei
nicht nur aufzuhelfen, sondern um daraus einen gesunden Industriezweig
zu schaffen, der lebens- und konkurrenzfähig der verarmten Bevölkerung
Ersatz für die verlorenen Hilfsquellen schafft. Es ist daher erfreulich, dass
das Unternehmen gedeiht und bereits einen ansehnlichen Reingewinn liefert.
Von Jelec führt ein Reitweg in wilder Gebirgsgegend auf die Zelen-
gora, wo sich die prächtigsten Alpenweiden befinden. Hier herrscht im
Sommer ein idyllisches Hirten- und Sennerleben, und für der Ruhe Be-
dürftige wäre diese wundervolle Landschaft, die sich der Schweiz kühn
an die Seite stellen kann, wohl geeignet, wenn bessere Verbindung vor-
handen und die Unterkunft in den hereegovinischen Bauernhäusern nicht
mehr als primitiv wäre. Es soll jedoch eine Fahrstrasse von Foca aus
über die Zelengora nach Gacko hergestellt werden, wodurch die Drina-
gegend auf dem kürzesten Wege mit Ragusa und dem Meere verbunden
152
würde. Alle diese Gebirgssteige sind übrigens uralte Handelsstrassen, aul
denen sieh durch Jahrhunderte und Jahrtausende der Waaren- und Personen
verkehr zwischen Ragusa und dem Osten der Balkänhalbinsel vollzog und
über die schon grosse gelehrte Abhandlungen geschrieben wurden. Uns
hat in der Zelengora mehr die Gegenwart zu interessiren, und die ist durch
eine von der Landesregierung errichtete landwirthschaftliche Station ver-
treten, die hauptsachlich Käse und Butter fabri/.irt und versendet. Auch
die Senner liefern bedeutende Mengen Schafkäse für die nächstgelegenen
Auf der Zelengora. (Zwischen Foca und Gacko.)
Städte. Dieses ganze Gebirgsterrain, südlich bis zur montenegrinischen
Grenze, westlich über die Lelija-Planina bis Ulok und über die Morinje bis
zur Cevanj-Planina am Nevesinjsko-Polje reichend, nördlich über Kalinovik,
die sogenannte Zagorje und die Treskavica-Planina umfassend, war bis vor
anderthalb Jahrzehnten berüchtigtes Rauberterrain; und hier rekrutirten sich
auch meist die Aufständischen. In den fast unzugänglichen Gebirgen und
Felsennestern, in den Schluchten und dunkeln Wäldern fanden sie genügend
Verstecke und Zufluchtsorte. Die türkische Verwaltung unternahm nur
Streifungen, wenn zufälligerweise einmal ein vornehmer Beg niedergeschossen
wurde, sonst liess sie die »freien Sohne der Berge« ziemlich unbehelligt,
und so erhielt sich jene Räuberromantik, die sich in Balladen und Volks
liedern recht schön ausnimmt, die in Wirklichkeit aber verteufelt un-
angenehm für die betroffene Bevölkerung ist. Die gegenwärtige Verwaltung
— i53
verstand es tlcnn auch, dem 1 [aidukluk, vom dem die Guslare noch un-
zählige Gesänge recitifen, ein Ende zu bereiten. Es war keine leichte
Aufgabe, besonders als der Aufstand von 1882 dem Räuberwesen einen
politischen Anstrich verlieh. Aber die Truppen verstanden es, die Räuber
in ihren Verstecken aufzusuchen, sie zur Unterwerfung zu zwingen oder
nach Montenegro zu jagen. Mitten in ihrem Gebiet, in Kalinovik und
Ulok wurden befestigte Lager errichtet, unil als der Aufstand unterdrückt
war, da sorgten die Gendarmen für gänzliche Ausrottung des Räuberwesen-.
Die »Strafuni«, wie sie von der Bevölkerung genannt wurden — aus Frei
willigen gebildete Gendarmerie-Streifkorps entdeckten auch die ent-
legensten Schlupfwinkel; kein Unwetter, keine Bora konnte sie in ihrer
Pflicht aufhalten, und das Haidukenthum wurde so gründlich ausgerottet,
dass keine Spur mehr davon geblieben ist. Die unvergleichlich tüchtige
Gendarmerie die Streifkorps sind längst aufgelöst -- sorgt auch dafür,
dass ein neuer Versuch zur Belebung aussichtslos bleibt, und es ist eine
Thatsache, dass Bosnien-Hercegovina zu den sichersten Ländern gehören,
dass der Reisende auch in den abgelegensten Gegenden für Leben und
Kigenthum nicht das Mindeste zu fürchten hat. Das ist auch eine Kultur-
that und wahrlich nicht die gerinsrste!
I
- 'V *'*
>
An der Grenze des
Pasehaliks
Novibazar.
Von Foca nach dem an
der Grenze des Pasehaliks
Novibazar gelegenen
Cajnica — dem serbischen
Mariazell — führt ein Reit
weg über mittelhohes, spär-
lich bewohntes und reich
bewaldetes Bergland. An
fangs im Cehotinathale ge
hend, steigt der Weg bald
nordostwärts in die Berge,
welche das Dreieck zwi-
schen der Drina und der
V
Cehotina ausfüllen. Halb-
wegs zwischen Foca und
Cajnica, vier Stunden von beiden Städten entfernt, bietet der Berg Preluca
eine schöne nördliche Fernsicht auf zahlreiche Kuppen, Wände und blaue
Hügelketten. Von hier ab geht's am Rande einer tiefen Thalschlucht durch
majestätischen Hochwald. Riesige Bäume, die über den Weg gestürzt sind,
bilden manchmal hohe, mit Schlingpflanzen verzierte Triumphbogen. Eine
Stunde vor Cajnica geht rechts ein näherer Weg nach Plevlje ins Paschalik.
Die Aussicht ins Drinathal ist von hier an frei, aber kalt weht der Wind
von den Schneegipfeln Montenegros herab.
Picea Ora ori ca Pancie.
— 155 —
Das ist der beschwerliche Weg, der in Kürze durch eine Fahrstrasse
v
ersetzt sein wird, wie eine solche von Gorazda nach Cajnica führt. Aul
unserer letzten Reise verfolgten wir die letztere, weshalb wir von Foca
nach Gorazda zurückkehrten. Ueber die neue eiserne Drinabrücke gelangten
wir ans rechte Ufer des Flusses und folgten mit der Strasse eine Zeitlang
dessen Lauf durch ungemein gut angebaute Felder und zwischen Zwetsch-
ken-Gärten. Dann trafen wir auf ein Zigeunerlager. Vier elende Zelte,
durch die Wind und Wetter pfiff, dienten einer zahlreichen Gesellschaft
als Wohnung, eine Menge Kinder tummelte sich nackt im thaufrischen
Grase mit einigen halbverhungerten Hunden, im Kessel über einem mäch-
tigen Feuer aber summte und brodelte es. Wir wurden nicht angebettelt,
was ich darum anführe, weil mir dies bei Zigeunern in anderen Ländern
stets passirt ist. Es giebt mehrere Tausend Zigeuner in Bosnien, die sich
zu den Mohammedanern zählen, denen aber das Betreten der Moscheen
nicht o-estattet ist. Meist leben sie als Nomaden in der Nähe der Ort-
schaften, verdingen sich manchmal als Feldarbeiter, öfter als Kutscher,
fungiren als Schmiede, die Weiber als Wahrsagerinnen, Ouacksalberinnen
u. s. w. Oft genug ist ihr Nahrungserwerb kein lauterer, doch gemessen
sie im Ganzen eines besseren Rufes, als die meisten ihrer Stammesgenossen
in den christlichen Ländern Europas. Die Musik ist auch in Bosnien
eines ihrer Erwerbsmittel; sie spielen auf Märkten und bei hohen Festen,
doch reichen sie mit ihren Fertigkeiten in keiner Weise an die künstlerischen
Leistungen der ungarischen Zigeuner heran.
Nach kurzem Verlaufe in der Ebene steigt die Strasse prächtige be-
waldete Höhen hinan. Hier stehen Buchenwaldungen von der mächtigsten
Ausdehnung; mitten zwischen ihnen Birken von gigantischer Höhe, wie
sie der Norden gar nicht kennt, und zahlreiche
Nussbäume. Die vorzügliche Fahrstrasse beschreibt
ziemlich steile Serpentinen und kreuzt mehrfach
den alten ausgetretenen Reit- und Saumweg, dessen
Abkürzungen auch heute noch von den Tragthier-
treibern und den Fussgängern vielfach benutzt
werden. Dann senkt sich die Strasse ins Thal
der Janina, die, aus tiefer Schlucht hervortretend,
lachende Wiesen be-
4
-pult. Bei Han Mil-
janow wendet sie sich
östlich der Drina zu.
An ihrer Mündung
liegen die Ruinen der
altberühmten BurgSa-
mobor auf einem zu
156
beiden Seiten steil abfallenden Vorsprung der Gostonj-Planina. Ein halb ver-
fallener Thurm, eine Moschee innerhalb der Schlossmauern und vier Brunnen
in kühler Felsengrotte, das sind die geringen Wahrzeichen der Statte, wo
einst Chlums mächtigster Vojvode Sandalj und sein Sohn Stefan ihre Sommer
zugebracht. Wie der Burgname Sokol, am Zusammenflusse der Tara und
Piva, so ist auch der von Samobor nach dem Verfalle des Schlosse- auf
den nächstgelegenen höheren Berg übergegangen. Die Ortssage erzahlt,
dass zur Zeit des Falles von Samobor Herzog Stefans jüngste Tochter
Alter Hauer aus C a i n i c a.
auf der Burg geweilt, welche den eindringenden Feinden erklärte, dass
sie sich nur in vollem Schmucke ihren Händen überliefern wolle. Die
Türken gewahrten ihr deshalb eine kurze Frist, wahrend der sie ihr Zimmer
bewachten. Sie aber sprang in festlichem Anzüge aus dem Fenster von
dem hohen Burgfelsen hinab, um durch den Tod der Schmach zu ent-
gehen. Aber ihr langes, freiwallendes, an den Enden mit goldenen Knöpfen
verziertes Haar blieb an einem Felszacken hängen, und so schwebte sie
in qualvoller Angst, bis die Kraft der Haare nachliess und sie sterbend
in den Abgrund fiel. Die goldenen Haarknöpfe blieben am Felsen hangen
und wurden zum Beweise der Sage noch lange Zeit gezeigt. Herzog Stefan
lebt noch an mehreren Punkten des oberen Drinathales in der Erinnerung
des Volkes.; die Sage, welche sich dergestalt in einen geschichtlichen
Rahmen einfügt, ist aber mit verschiedenen Variationen über ganz Bosnien
und die angrenzenden Länder verbreitet. Die Geschichte — schreibt
Dr. M. Hoernes in seinen »Dinarischen Wanderungen« — weiss nichts von
einer Tochter des genannten Fürsten, die auf Samobor endete. Wohl
aber war die durch ihr tragisches Geschick berühmt gewordene Gattin des
vorletzten bosnischen Königs, Katharina, eine Tochter Stefans, und auf sie
zielt wahrscheinlich die mitgetheilte Sage. Denn zu Prozor im Ramathale,
wo die bosnischen Konige, wie urkundlich feststeht, hin und wieder ver-
weilten, lässt die Lokalsage ebenfalls die letzte Königin Bosniens auf dem
dortigen Schlosse Studenac von den Türken belagert werden und um-
kommen. In Wirklichkeit floh Katharina, nachdem sie vergeblich versucht,
sich gegen ihren vatermörderischen Sohn in Bosnien zu behaupten, nach
Italien in den Schutz des Papstes und starb als Nonne in Rom, wo in der
Kirche Ära coeli ihr Grabdenkmal noch heute gezeigt wird.
Nach dieser Abschweifung vom Wege kehren wir auf unsere Strasse
zurück, die durch landschaftlich ungemein malerische Gefilde führt. Im
Han Soka (Velic), einem Ausflugort der Serben von Cajnica, machen wir
Rast und laben uns in der oberen Putzstube der Wirthin an einem aus-
gezeichneten Kaffee. Dann geht es weiter, durch kleine Ortschaften, vor-
über an vielen einzelnen Häusern, die wunderhübsch an den Berglehnen
liegen. Die Felder sind gut angebaut, und alles lässt auf Wohlstand
schliessen. Zwei Brunnen am Wege: »Fönte d'Antonietta« und »Erz-
herzog Josef-Ouelle« erinnern an die Erbauer der Strasse. Immer dicht
an der Janina entlang, die im tiefen Bette rauscht, zieht sich die Strasse
die Berglehnen hin, und erst dicht vor der Stadt, wo sich in der Fluss-
niederung militärische Baracken, hoch oben auf der Höhe aber die Kuppeln
der serbischen Wallfahrtskirche mit einem mächtigen goldenen Kreuze
zeigen, wird man gewahr, dass man sich einem grösseren Orte nähert.
Cajnica ist durch seine wundervolle Lage eine Perle unter den vielen
schon gelegenen Orten Bosniens. Es ist bei 2000 Fuss hoch am oberen
Rande einer fast senkrecht abfallenden Felsschlucht erbaut, in deren Tiefe
der Fluss schäumt. Dicht gegenüber, jenseits des Abgrundes, ist eine
imposante Felsparthie, von riesigen Ufwatdtannen gekrönt. Darüber er-
V
heben sich in trotziger Nähe die nie gelichteten Gipfel des Civci-Brdo,
wahrend im Süden über Cajnica der gewaltige kahle Cicel doppelt so
hoch emporragt, als sein von den Wellen der Janina gebadeter Fuss zur
Höhe der Stadt anstrebt. Seine oberen Abhänge sind reich bebaut und
nach allen Richtungen von Wegen durchzogen. Im Westen, zwischen
' i<'l und Civci, öffnet sich eine blaue Fernsicht weit über die Drina hin-
— [<:8 —
weg. Die Stadt konnte sich nur nach oben entwickeln und gewährt den
Anblick eines vor uns aufgerollten plastischen Ortsplanes. Im Mittelpunkt
des Ganzen befinden sich zwei Gotteshäuser: auf der Höhe die serbische
Wallfahrtskirche, in der am tiefsten gelegenen langen Carsija eine berühmte
alte Moschee.
V
Es war Sonntag, als wir in Cajnica ankamen, die meisten Läden
des Marktviertels gesperrt, dafür aber ungemein viel liauernbevölkerung
anwesend, die dem Gottesdienste beigewohnt hatte. Dadurch schien es,
als ob das Städtchen von 300 Häusern und etwa 1800 Bewohnern sich
mindestens verdreifacht hätte. In einem netten Gasthause fanden wir so-
fort einige Serben, die sich erboten, uns in ihr Heiligthum zu geleiten.
Cajnica ist eine Art von Mariazell für die serbische Bevölkerung in Bosnien,
der Hercegovina, Montenegro und dem Paschalik Xovibazar. Auch aus
dem benachbarten Königreiche Serbien kommen am Tage Maria Himmel-
fahrt, am 27. August (15. a. St.) Hunderte von Wallfahrern hierher. So
war es schon unter türkischer Zeit, und gegenwärtig, wo vollste Sicherheit
herrscht, wo die Christen keinerlei religiösen Beschränkungen unterliegen,
sind die Wallfahrtstage grossartige Volksfeste geworden. Die Kirche
selbst sieht mit ihren vierzehn Blechkuppeln eher einem türkischen Bade,
als einem Gotteshause ähnlich, und nur die zahllosen Kreuze, die nach
der Okkupation überall angebracht wurden, lassen die Bestimmung erkennen.
Mit Recht schreibt daher Dr. M. Hoernes, dem wir bei der sachlichen
Schilderung der Wallfahrtskirche folgen, »sie sei eines jener Produkte neu-
serbischer Kirchenbaukunst, denen die Ehre einer kritischen Beleuchtung
versagt werden müsse; sie sei nur dadurch merkwürdig, dass sie von
einem einheimischen Meister gebaut wurde.« Ueber dem reich bemalten
Portale der Ostfront liest man in serbischer Sprache folgende Inschrift,
die uns belehrt, dass wir in diesem Gotteshause eine Frucht des Hat-i-
Humayum vor Augen haben: »Mit Gottes Hilfe ward diese Kirche zu
Ehren der Gottesmutter am 28. Juni 1857 begonnen laut Erlaubniss des
grossen Kaisers Sultan Medschid und Einwilligung des hereegovinischen
Metropoliten Gregorius. Beendet aber und eingeweiht wurde sie von dem
bosnischen Metropoliten Ignatius im Jahre 1863. Die Aufsicht über den Bau
hatten der Klostervorsteher Anton Postic, der Priester Tanas Nekomadanovic,
der Priester Josef Tanovic und der Schriftführer Priester Dmitri Popovic.
In der Stadt Cajnica am 15. August geschrieben von Peter Neimartodorovic. -
Der Baumeister und die Werkleute haben sich in Gestalt primitiver Relief-
skulpturen an den Ecken des Gebäudes verewigt. An einer derselben
liest man in cyrillischer Schrift: »Stanisa Krul, geboren zu Ljubinje,
begann im Jahre 1857 mit Gottes Hilfe den Bau dieser Kirche der Gottes-
gebärerin.« Daneben sieht man ein gesatteltes Ross, das über ein Hinderniss
hinweg auf ein Ziel zu sprengt.
11
— 161 —
Das Innere des geräumigen Gotteshauses bietet ein Gemisch von
neuen und alten Kostbarkeiten, reich geschmückten und trostlos kahlen
Stellen. Die grösste Merkwürdigkeit ist ein uraltes Gnadenbild Maria, das
bis zum Ende des 16. Jahrhunderts im Kloster Banja bei Priboj am Lim
bewahrt und nach Einäscherung desselben hierher gerettet wurde. Es ist
der Sage nach ein Werk des Evangelisten Lukas und soll völlig gleich
sein mit den beiden anderen Bildern desselben Meisters, die sich auf dem
V
Berge Athos und in Jerusalem befinden. Das Bild in Cajnica — oder viel-
mehr die beiden Bilder, denn die Holztafel ist auf beiden Seiten bemalt — -
zeigt vorn Maria mit dem Kinde, hinten den Täufer Johannes, bärtig,
Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zusammendrückend. Soviel
zu erkennen, sind es sehr alte, aber keineswegs vorzügliche byzantinische
Gemälde. Man sieht zwar unter dem Glas nur die geschwärzten Gesichter
der Originale, doch sind auf den massiv silbernen und theilweise vergoldeten
Platten, welche das Uebrige schützend verhüllen, die darunter liegenden
Theile der Bilder in getriebenem Basrelief nachgeformt. Das schön
geschnitzte Stufenzelt des Bildes, sowie die Kanzel und der Bischofsstuhl,
endlich die zierliche Bemalung der mittleren Kuppel sind von einem
renommirten griechischen Meister aus Veles in Makedonien um den Preis
von iooo Dukaten hergestellt.
Die Ikonostas, die dreithürige Zwischenwand, welche nach orthodoxem
Ritus den Altarraum (Tempion) vom Mittelschiff der Kirche trennt, ist
dicht mit Bildern von sehr verschiedenem Werth und Alter, einer Auswahl
aus den massenhaft aufgespeicherten Yotivgaben der früheren Klosterkirche,
behängt. Merkwürdig wegen der schönen und feinen Ausführung ist ein
Bild, welches zwei Brüder Taskalovic aus Novibazar 1875 vollendet und
gewidmet haben. Es stellt den Tod der heil. Maria in Verbindung mit
einer Legende dar, wonach ein habgieriger Jude den Mantel der vom
Sterbebett zum Himmel entrückten Jungfrau erfasste und nicht losliess,
bis ihm der Erzengel Gabriel mit dem Schwerte die Hand abhieb.
Die alte Wallfahrtskirche, dicht neben der neuen, ist ein nur wenige
Fuss über dem Erdboden erhabener kellerartiger Bau von ganz schmuck-
losem Aeussern und eigentlich beispiellos verwahrlostem Innern. Durch
ein enges und niederes Pförtchen, auf ausgetretenen halsbrecherischen
Steinstufen, gelangt man in das einstige Heiligthum, das heute nur eine
Art Rumpelkammer bildet. Ms ist ja richtig, dass die Baubewilligung für
christliche Kirchen in Bosnien an die Einhaltung gewisser sehr beschränkter
Dimensionen gebunden war, wodurch die Erbauer genöthigt wurden, ihre
Gotteshäuser halb unterirdisch anzulegen, damit wenigstens der Innenraum
eine entsprechende Höhe erreichte; es konnte also kein besonderer Glanz
entfaltet werden, selbst wenn die Mittel vorhanden gewesen wären. 1 >ass
man aber das alte Gotteshaus, das Jahrhunderte lang die Christen unter
162 —
den schwersten Bedrängnissen in seinen Mauern versammelte, das die
flehenden Gebete ganzer Generationen um Errettung und Hilfe, nicht
selten die flammenden Racheschwüre zum Kampf gegen den Erbfeind
ausziehender Tscheten vernahm, so verwahrlost, zeugt von einer Pietät
losigkeit, von einem Mangel an Gefühl, der den Cajnicaer Orthod
kein gutes Zeugniss ausstellt. Die alte dunkle Kirche enthalt einige alte
Kirchenstühle, eine Menge Votivgeschenke, Bilder und alte Bücher, aber
das Meiste in Kisten, bestaubt und zerfressen — ein wahrer Jammer. Nur
die alten Brustgürtel aus dreifachem Leder, ringsum mit Messing- oder
Silberplatten, vorn mit Achatstücken oder farbigen Steinen besetzt, haben
der Zerstörung widerstanden. Oft über ein Kilogramm schwer, sind diese
Gürtel auch Widmungsgeschenke, an die sich blutige Erinnerungen knüpfen.
Diese Gürtel wurden von serbischen Frauen, denen die Türken den Mann
getödtet, angelegt, Handschar und zwei Pistolen hineingesteckt und dann
zogen die rachsüchtigen Wittwen, getreu den Gesetzen der Blutrache, auf
Schleichwegen umher, bis es ihnen gelang, den Mörder oder einen von
seiner Sippe zu erlegen, worauf der Gürtel als Weihegeschenk dem Kloster
Cajnica gestiftet wurde.
Um beide Kirchen zieht sich ein unregelmässiger Hof, der weitläufige
K!o>tergebäude mit Holzgalerien in seine Steinmauern einschließt. Die
Anlage war festungsartig und gut zur Yertheidigung geeignet, doch erwähnt
V
die Geschichte nichts von besonderen Bedrängnissen, denen die Cajnicaer
Orthodoxen von den heimischen Mohammedanern ausgesetzt gewesen
waren. Nur erzahlte der Küster, zwei Jahre vor der Okkupation wären
die Türken ins Kloster gekommen und hätten gegen 500 Kilo Pergament-
schriften und Bücher weggenommen und verbrannt. Man wird gut thun,
gerechte Zweifel in diese Angabe zu setzen, denn von anderer Seite wird
behauptet, die Geistlichkeit habe aus Unverstand und Unkenntnis? selbst
Kisten voll halbvermoderter 1 [andschriften auf den Mist werfen lassen.
Wer die durchschnittliche geringe Bildung der orthodoxen Popen und der
Kaludjer (Mönche) kennt, wird diese Barbarei für leicht möglich halten.
Von dem Wallfahrtskloster, dem jetzt ein Thurm angebaut wird,
stiegen wir wieder in die untere Stadt hernieder, vorüber an einer sehr
hübschen Volksschule, einem Casino und netten militärischen Anlagen.
Auch eine besondere orthodoxe Schule besteht seit Langem, an der ein
Lehrer aus Süd-Ungarn wirkt. Wir statteten nun der Moschee einen Besuch
ab, die vor vier Jahrhunderten von Ghazi Sinan Pascha, dem aus Cajnica
gebürtigen berühmten Vezier Bosniens, erbaut wurde. Er zerstörte das
Kloster Banja und gab durch Uebertragung des wunderthätigen Marien-
V
bildes nach Cajnica, ohne es zu wollen, den Anstoss, dass seine Vaterstadt
ein christlicher Wallfahrtsort wurde. Die Moschee i-t ein prächtiger Kuppel-
bau, im Innern neu restaurirt. Der Hodscha (Geistliche) führte uns selbst
11*
- 103 -
ins Gotteshaus und erklärte uns dessen Geschichte. Neben der Moschee
befindet sich das Türbe (Mausoleum) Sinan Paschas nebst den Grabstätten
seiner Frau und seiner Söhne.
Durch die Marktstrasse fliesst in einem schmalen Graben eiskaltes
klares Gebirgswasser; am Ausgange der Stadt, auf einer Höhe, steht aber
über einer Quelle ein schöner moderner Brunnen, ein Bauwerk der jetzigen
Zeit. Durch seine entzückende Lage, seinen Wald- und Wasserreichthum,
durch seine erfrischende Gebirgsluft wäre Cajnica zu einem Sommer-
aufenthalt oder zu einem klimatischen Kurort wie geschaffen, allerdings
gehören solche Pläne einstweilen noch zu den Träumen.
Schlussvignette: Siegel des Despoten Stefan auf der goldenen Bulle desselben.
Im Sandschak
Novibazar.
Von Cajnica führt eine prächtige
Fahrstrasse in romantischster Wald-
und Hochgebirgsgegend nach dem
noch in türkischer Verwaltung be-
findlichen Sandschak Novibazar, ob-
wohl seit 1879 österreichisch-unga-
rische Truppen gemeinsam mit tür-
kischen den Garnisondienst versehen.
Das Limgebiet — wie es in Bosnien
meist genannt wird — ist ein interessantes Stück
Land, nicht nur in landschaftlicher Beziehung.
Staatsrechtlich, politisch, militärisch und gesell-
schaftlich herrschen hier die eigenthümlichsten
Zustände, und es verlohnt, einen Blick dorthin zu
thun. Die täglich verkehrende Fahrpost zwischen Sarajevo und Plevlje
über Cajnica macht einen Besuch leicht und angenehm. Als wir Anfang
September 1879 unter General Killic zur Besetzung des Sandschaks auf-
brachen, sah es hier allerdings ganz anders aus als heutzutage. Die Strasse
nach der Grenze Hess Alles zu wünschen übrig, alle Augenblicke sperrten
gefallene Baumstämme — wahre Riesen des Waldes — den Weg, und an
unzähligen Stellen wütheten Waldbrände, was als Urbarmachung des
Bodens für Ackerbau bezeichnet wurde. Die entzückende Urwaldvegetation
ist geblieben; stundenlang erfreuen Nadelholzwälder Auge und Herz, aber
auf glatter Fahrstrasse rollt der Wagen ohne jedes Hinderniss der »türkischen
Grenze« am Metalkasattel zu.
- 165
Hier beginnt der sonderbare Eindruck der gemischten MilitärA er-
waltung. Eine österreichisch-ungarische Kaserne blickt auf eine türkische;
neben der Halbmondsfahne hockt der osmanische Zolleffendi mit seinen
Zaptiehs (Gendarmen); sie sehen zu, wie ungarische Soldaten exerziren.
Hier, wo einst eine einsame Grenzkaraula stand, ist jetzt ein ganzes Grenz-
dörfchen mit niedrigen Holzhäusern entstanden, in denen Geschäftsleute
hausen, die für alle Bedürfnisse der beiderseitigen Truppen und auch der
Reisenden sorgen. Hier werden die Pässe revidirt und die Zollabfertigungen
vorgenommen. Warfen, Uniformen und Tabak für die Soldaten dürfen
M etalkasattel.
zollfrei von Bosnien eingeführt werden, alle anderen Waaren unterliegen
dem 81 oprozentigen Werthzolle. Auch Bosnien bringt dem Sandschak
gegenüber den österreichischen Zolltarif für die Türkei in Anwendung.
So romantisch Metalka im Sommer erscheint, wo es den schönsten
Luftkurort bildet, so rauh ist es im Winter. Auf iooo m Seehöhe fällt
der Schnee zeitig und der Wind heult mit oft vernichtender Gewalt. Da
heisst es ununterbrochen Schnee schaufeln für die österreichisch-ungarischen
Truppen, damit die Post den Weg frei findet, eine Beschäftigung, um die
sich die Türken natürlich nicht kummern. »Ueberhaupt müssen die Soldaten
in diesen Gegenden Alles sein: Erbauer von Strassen und Brücken, Ka-
sernen, festen Blockhäusern und Wasserleitungen, Kunst- und Gemüse-
gärtner, Post- und Telegraphenbeamte, Gendarmerie und Strassenpolizei,
Köche und Musiker, Bäcker und Fleischer, daneben auch durch Zufall
landwirtschaftliche Wanderprediger, die den Bewohnern des Sandschaks
nutzliche Winke geben. So urtheilte mit Rieht der militärische Bericht-
166 —
erstatter der »Kölnischen Zeitung« im Orient, Herr von Mach, der im
Herbst 1896 diese Gebiete bereiste und der die vorzüglichen Eigenschaften
der kaiserlichen Truppen, ihren Takt im Verkehr mit der Bevölkerung,
die Liebenswürdigkeit des Offizierkorps und die allgemeine Gemüthlichkeit
nicht genug loben kann.
Selten verirrt sich ein europäischer Civilreisender in diesen Erden-
winkel, dafür wird jeder Fremde von den liebenswürdigen Offizieren der
Besatzungstruppen mit um so grösserer Zuvorkommenkeit empfangen. Es
wird nicht leicht, sich dem angenehmen Kreise zu entziehen, der am liebsten
Dauerbesuch sehen möchte. Vom Metalkasattel an wird die Gegend kahler,
später fast Karstgebiet, aber Alles ist sehr gut angebaut, auch erst seit
dem Einflüsse des Nachbarstaates. Im Blockhanse Boljanic ist wieder
eine Offiziersklippe zu umschiffen. Es liegt hier eine Halbkompagnie, die
eine förmliche kleine Festung gebaut hat, aber auch mit Baumgruppen
und Gartenanlagen. Herr von Mach schreibt über diese Thatigkeit der
österreichisch-ungarischen Offiziere, die mit dem Nützlichen stet- das An-
genehme verbindet:
Wer die ersten Bäumchen setzte, hat gewusst, dass er ihre Blüthen
nicht mehr sehen würde, und wer die ersten Blumenanlagen schuf, hat
gewusst, dass er sie nur im ersten Jahre gemessen konnte. Und dennoch
möchte man glauben, dass ein einziger Wille hier gewaltet hat. Und das
ist auch der Fall. Nur hat derselbe Wille bei Vielen, wenn nicht bei
Allen, bestanden und besteht weiter. Auch das Symbol hierfür fehlt nicht.
Gegenüber Boljanitsch auf der steilen Lehne eines kahlen Berges, steht
es geschrieben. Dort liest man die in weissen Steinen sauber ausgelegten
riesengrossen Buchstaben F. J. I. Die Gleichmässigkeit des österreichisch-
ungarischen Offizierkorps in Pflichtgefühl, in ernster Auffassung des Dienstes
und heiterer Auffassung des Lebens hat Angesichts des wilden Kampfes
der Oesterreicher in Civil etwas geradezu Rührendes, weil vor ihren
Trägern die Welt gross und weit liegt, während tief unten in mürrischem
Gedränge kleines Volk um Kleines schreit. Wo immer man die Offiziere
des verbündeten Landes bei Ernst und Heiterkeit unter ihnen beobachten
kann, dort begreift man von neuem, dass Oesterreich nur in ihrem
Lager ist. Man spottet im Deutschen Reiche nicht selten über die
österreichische »Gemüthlichkeit«; wir glauben, mit Unrecht. Hier in
Bosnien, und namentlich im Sandschak, bedurfte man ganzer Manner, um
das zu leisten, was man in Krieg und Frieden geleistet hat. Das Leben
ist ernst in dieser weltfernen Ecke, und ein kleiner Vorrath von »Gemüth-
lichkeit« kann im Verkehr mit den Türken nur nützlich sein. Wenn wil-
dem Gefühle des Neides gegenüber den österreichisch-ungarischen Kame-
raden Raum geben könnten, so würden wir sie um diese geschmähte Ge-
müthlichkeit beneiden.«
167
Boljanic war einst ein einsamer Han, ein türkisches Einkehr-
Wirthshaus, wo man zur Xoth bescheidenen Ansprüchen Erfüllung ver-
schaffte. Jetzt ist um das Blockhaus eine kleine Ortschaft entstanden.
Eingeborene und Leute von jenseits der Save haben sich angebaut und
leben von den Truppen. Hier und dort hört man einen Eingeborenen
Deutsch, Ungarisch oder Rumänisch radebrechen, und die Bauart der
Häuser, die Lebensführung der Bewohner beginnt europäische Einflüsse
Totalansicht von Plevlje. (Xacl
zu verrathen. Hin und wieder, besonders wo Strassenausbesserungen vor-
genommen werden, findet sich ein fliegendes Strassen-Kaffeehaus, das sich
stets guten Zuspruches erfreut. Und nun kommen wir zu einem Punkte,
der uns von 1S79 in lieber Erinnerung geblieben ist durch einen Rasttag
und eine gemuthlichc Kneiperei in lustiger Gesellschaft. Das »Lager an
der GotovuSa« hiess es, und ein Han hiess »Han Kovac«. Jetzt ist Goto-
vuSa eine Station der kaiserlichen Truppen, welche die Strasse sichert.
Dem Blockhaus gegenüber stein die Schenke, die auch dem Komman-
danten unterstellt ist. Früh Morgens geht eine Patrouille halbwegs nach
Plevlje, eine andere halbwegs nach Boljanic, um die Post zu erwarten und
die Strasse zu beobachten. Abends rücken sie wieder ein, — das ist das
Leben in < r< »to\
[68
Immer an Hügellehnen entlang wird endlich Plevlje erreicht, das
türkische Taslid£a, das durch seinen streitbaren Mufti, der mit Freiwilligen
. nach Tuzla zog, sich im Okkupationsfeldzuge einen Namen erwarb. Es
ist eine in der Ebene an der Cehotina gelegene Stadt, die von niedrigen
Kuppen begrenzt wird. Einst von ganz türkischer Bauart, ist sie heute
schon von einzelnen modernen Häusern durchsetzt; um die militärischen
österreichischen Gebäude hat sich eine eigene europäische Stadt gebildet,
r Photographic von A. Rückert.)
wo man im Gasthof »Taslidza« eine erträgliche Unterkunft finden kann.
Sind die Offiziers-Fremdenzimmer nicht besetzt, so wird dem ankommenden
Fremden mit grösster Zuvorkommenheit dort ein Logis angeboten, was
mit vielen Annehmlichkeiten verbunden ist. Es ist ein sehr hübsches
Casino gebaut worden, von dessen Standort man über den ganzen Ort
blickt, und in dessen von jedem neuen Regimente vervollständigten Garten
kein Mensch die Nähe der Türkei ahnen wird. Das Kasino ersetzt hier den
Offizieren das Haus und die Familie, denn im Allgemeinen ist es nicht
beliebt und durch eine verjährte Vorschrift sogar verboten, die Offiziers-
damen ins Limgebiet mitzunehmen. Eine Ausnahme machen, wie es
scheint, die dauernd im Sandschak angestellten Offiziere des Stabes. Das
Casino ist mit Zeitungen reichlich versehen, Küche und Keller sind auf
i
das Billigste bestellt, denn da Oesterreich-Ungarn keinen Zoll für die
Durchgangswaaren nach dem Sandschak erhebt, so stellt sich bei dem
niedrigen türkischen Zoll der Preis der ausserösterreichischen Weine und
anderer Waaren viel billiger als in Oesterreich-Ungarn. Dazu kommt, dass
die Gehälter im Sandschak in Gold ausgezahlt werden und für Verheirathete
doppeltes Wohnungsgeld berechnet wird, so dass die materielle Lage der
Offiziere eine sehr gute ist. Auch den türkischen Truppen geht es hier
besser als im gesammten I lalbmondsgebiet. Gute Beispiele haben die
lässigen ottomanischen Sitten geändert, und so wird hier dem Militär der
Sold wirklich regelrecht gezahlt; die Verpflegung ist gut, sogar die Uni-
formirung in Ordnung.
Weil diese Vortheile den türkischen Soldaten Dank der Anwesenheit
der österreichisch-ungarischen Truppen zu Gute kommen, ist vielleicht das
Einvernehmen so gut. Aber auch mit allen Behörden und mit der Be-
völkerung die zum Theil schon albanesisch ist — kommen fast nie
Mißverständnisse vor. Besonders der Mutesarif von Plevlje und gleich-
zeitig türkischer Militärkommandant des Sandschaks, Ferik Sulejman Pascha,
der seit Beginn der gemeinsamen Besatzung seinen Posten bekleidet, hat
jederzeit den richtigen Takt bewiesen. Die Zahl der von Oesterreich-
Ungarn im Sandschak zu haltenden Truppen ist durch Vereinbarung auf
5000 Mann festgesetzt; thatsächlich beträgt die Zahl etwa 2000 Mann.
An türkischen Truppen stehen in dem besetzten Limgebiet: 2 Bataillone
in Plevlje, 1 Bataillon in Prjepolje, 1 Kompagnie in Priboj; im Ganzen
ebenfalls höchstens 2000 Mann. Die Anordnung ist keinesfalls derart,*)
dass in jedem besetzten Orte eine Scheidelinie zwischen den beiderseitigen
Truppen besteht; im Gegentheil, ausserhalb des eigentlichen »Lagers«,
wo die Kommandanten und die Behörden ihren Sitz haben und die Haupt-
masse der Truppen liegt, giebt es inmitten der türkischen Stadt öster-
reichisch-ungarische Kasernen und Anstalten. Voll Staunen sieht der
anatolische Rekrut die schmucken Ungarn vom 2. Regiment unter Horn-
musik durch die holperigen Gassen marschiren und auf das Kommando
Habt Acht! die Steine stampfen, als ob sie zerschmettert werden sollten.
i Gefallt Euch das nicht?« fragen wir einen grauen Tschausch, der sich seine
Stiefel auf der Strasse flicken lässt und barfüssig neben dem Schuster
hockt. Ohne sein Gesicht zu verziehen, erwidert er: »Her memleketin
adetine" riajet etmeli. (Man muss eines jeden Landes Gebräuche achten.)
Das ist die Weisheit des Türken; Andere achten, ohne sich die Mühe zu
geben, sie kennen zu lernen, — - und im Uebrigen — achte auch mich und
lass mich in l\uh'l Und doch ist der arbeitende Türke ein braver, brauch-
barer Kauz, den man — freilich auf besondere Weise - — und nicht durch
Bosnisi he Wanderbriefe. Kölnische Zeitung, 6. Dezember 1896.
170
Fli
egendes Kaffeehaus im Sandschak. (Von W. Leo Arndt.)
Reformpläne am grünen Tisch, vorwärts schleppen kann. Die Offiziere
der türkischen Garnison haben allmählich Manches von ihren Kameraden
von der Donau angenommen. Nur in Stambul haben wir noch so gut
gekleidete Offiziere angetroffen. Nicht selten sieht man die Türken in dem
Casino zu Gaste; freilich geben sie sich keiner lauten Fröhlichkeit hin,
denn das Bewusstsein, die Einladung nicht erwidern zu können, drückt
sie. Vertrauten Umgang meiden sie; man scheint ihn nicht gern zu sehen.
Die österreichisch-ungarischen Soldaten grüssen jeden türkischen Offizier;
nicht das Gleiche geschieht von Seiten der türkischen Soldaten gegenüber
den österreichischen Offizieren, ja sogar nicht gegenüber ihren eigenen .
Vorgesetzten, obgleich die Vorschrift es verlangt. Hierin absichtlichen
Ausdruck mangelnder Achtung zu sehen, wäre weit gefehlt. Der Musel-
man denkt so: »Wie kann ich, der Untergebene, mich in so roher Weise
einem Hochstehenden bemerkbar machen! Störe ich nicht seine Gedanken
oder seinen Kef, wenn ich ihn veranlasse, mir zu danken! Giebt er mir
ein Zeichen, dass er mich sieht und erkennt, so werde ich ihm den
schuldigen Selam nicht vorenthalten!« So gehen also der unbegreifliche
Türke und der österreichische Offizier aneinander vorüber, ohne sich zu
kennen.
Eigentlich war schon vom ersten Tage des Einmarsches an ein er-
trägliches Einvernehmen vorhanden. Wir waren auf Widerstand gefasst
gewesen, und als ein solcher bis Plevlje nicht erfolgte, fürchtete man ihn
hier, wo damals eine weit grössere Garnison als heute in einem Zeltlager
am südlichen Ausgange der Stadt auf einem Hügel lag. Der Kommandant
kam mit Offizieren dem kaiserlichen Befehlshaber v. Killic entgegen, über-
reichte einen Protest gegen die Besetzung, machte aber keinerlei Miene
zur Eröffnung von Feindseligkeiten. Wir marschirten damals durch die
ganze Stadt, rechts und links von wildblickenden Bewohnern flankirt, zum
grossen Theile Arnauten, weil es Markttag war, und die Situation war gar-
nicht behaglich. Es geschah jedoch nichts, und nach Abhaltung eines Feld-
gottesdienstes im Angesicht des türkischen Lagers erfolgte der Rückmarsch
K. u. K. Kaserne bei Gotovnsa.
— W:
nach dem Lagerplatz an der Cehotina, wo wir leider nur Regengüsse aus-
zuhalten hatten. Mit der serbischen Bevölkerung war ein Verkehr bald
angebahnt, aber sonderbarer Weise hat gerade sie im Sandschak, der die
Anwesenheit der österreichisch-ungarischen Truppen erst die Möglichkeit
geistiger Entwicklung und ungestörter Arbeit verschafft hat, sich am
wenigsten diesen genähert. Es wirken da verschiedene Einflüsse aus Serbien
und Montenegro, auf die wir uns hier nicht einlassen wollen
Besondere Sehenswürdigkeiten bietet Plevlje nicht, ausser einer schönen
Moschee mit einem mächtigen Minaret. Das Leben ist wie in jeder tür-
kischen Stadt, der Strassenverkehr ausserordentlich mannigfaltig. Die ver-
schiedensten Volkstypen kommen da zusammen, und wer Kostümkunde
studiren will, findet hier reiche Gelegenheit; selbst die Fustanella fehlt
nicht. An Alterthümern ist Mangel, es ist zu viel in den Völkerstürmen
vernichtet worden, und die türkischen Behörden sehen die Durchforschung
ihres Gebietes, wie es durch Geographen, Archäologen, Ethnologen und
andere Männer der Wissenschaft geschieht, nicht gern. Sie befürchten
Unheil aus der nie ganz verstandenen Thätigkeit der Forscher und suchen
sich durch seltsame Mittel zu helfen. Einem Archäologen, der nach
Plevlje kam, ist - - wie v. Mach erzählt — folgendes tragikomische Ge-
schichtchen zugestossen: Mit vieler Mühe und nach langen Schreibereien
wird endlich von der türkischen Behörde dem Gelehrten die Erlaubniss
gegeben, Ausgrabungen vorzunehmen. Leute werden angeworben, Geräthe
angekauft, Pferde gemiethet, und eines schönen Morgens setzt sich der
Zug unter dem Befehl des Gelehrten in Bewegung. Von Weitem sieht
man hinter dem Zuge die rothen Fes einiger Zaptiehs auftauchen. Man
trifft auf dem Platze ein; der Gelehrte misst die Entfernungen aus, steckt
die Linien ab, entwirft eine Skizze. Die rothen Fes sind näher gekommen.
Endlich ist Alles fertig, die Arbeiter sind angestellt mit dem Spaten in
der Hand; der Mann der Wissenschaft giebt das Kommando zum Beginn
der Arbeit, nachdem er noch einmal grösste Behutsamkeit eingeschärft
hat, da plötzlich tauchen die Fes ganz in der Nähe auf. Die Zaptiehs
treten hervor: »Dur! Jassäk!« (Halt! Verboten!) Der erstaunte Gelehrte
zieht lächelnd die ihm ertheiltc schriftliche Erlaubniss aus der Tasche;
doch der Tschausch der Zaptiehs entscheidet mit der Würde eines Salomo:
Effendim, wir wissen, dass du graben darfst, aber jene dort« — er deutet
auf die Arbeiter — »haben keine Erlaubniss und werden nicht graben.'
Und dabei ist es auch geblieben.
Nur der verdienstvolle Archäolog des Landesmuseums in Sarajevo,
Dr. Carl Patsch, hat im Jahre 1894 im Auftrage der Museunisdirektion und
rüstet mit den nöthigen behördlichen Bewilligungen, die epigraphischen
und archäologischen Denkmale dieses Gebietes neu aufgenommen. I >ie
Alterthümer der durchforschten Gegenden befinden sich in der kläglichsten
174 —
Verfassung (Bericht in den »Wissensch. Mitth. des bosn.-herc. Landes-
museums«, 4. Bd.). Als ein (duck muss es für sie bezeichnet werden,
wenn sie in eine Dzamija oder in ein mohammedanisches Haus gekommen
sind. Dort sind sie wenigstens vor jenem brutalen Vandalismus sicher,
dem sie sonst oft genug ausgesetzt sind. Grabplatten, Reliefs und Statuen
werden zu einem Baue zusammengetragen, um zerschlagen und ihres
Schmuckes entkleidet in die Mauern eingefügt zu werden oder als Tritt-
Orientalisch-orthodoxes Kloster Sveta Trojica Dreifaltigkeit bei l'levlje.
steine oder Thürpfosten im Stalle zu dienen. Seit einiger Zeit haben sich
die Offiziere der so arg misshandelten Zeugen einer besseren Vorzeit an-
genommen; was halbwegs transportirt werden kann, wird in das Lager
von Plevlje gebracht und dort im Parke aufgestellt.
Der Sandschak Novibazar war, wie die Ueberreste zeigen, in romischer
Zeit gut besiedelt, und italische Kultur hat auch hier den äusseren Lebens-
formen ihre Signatur aufgedrückt. Er besass romisch geordnete Städte.
aber, wie die illirischen Namen beweisen, mit einem grossen, an den alten
Sitten festhaltenden Prozentsatz der alteinheimischen Bevölkerung. Diese
verehrte römische und orientalische Götter, unter denen sich jedoch
epichorische bargen, und errichtete einer Panto, Testo, Yendo oder Tritano
— '75
römisch geformte Grabmäler. Der Hauptfundort bei Plevlje ist drei Viertel-
stunden entfernt am Veleznicabache gelegen; die Stelle führt noch heute
den Namen »Alt-Plevlje« (Staro-Plevlje) und befindet sich auf einem vom
Dorfe Komine sich sanft senkenden fruchtbaren Hügelhange. Ruinen
durchsetzen auf eine beträchtliche Ausdehnung hin die Aecker und Wiesen.
Dass sie römischen Ursprungs sind, hat Hoernes nachgewiesen, es stand
hier ein römisches Municipium S . . . . Wie der Name vollständig ge-
lautet hat, ist unbekannt. Mommsen und Hoernes sind geneigt, hierher
das Stanecli der Peutinger'schen Tafel zu verlegen, Tomasek suchte hier
das vom Ravennas genannte Sapua. Was richtig ist, kann sich erst ein-
mal zeigen, wenn entscheidende Funde gemacht werden. Einstweilen
musste man sich damit begnügen, die an den verschiedensten Punkten
zerstreuten und theilweise eingemauerten Fundstücke abzubilden und zu
beschreiben, was in der Sarajevoer Museumszeitschrift geschehen ist.
Dicht hinter Plevlje verlässt die Heerstrasse die Ebene und zieht
sich einen verkarsteten Felsrücken hinan. Dann durchschneidet sie das
sogenannte Vogelfeld, einst einer der berüchtigtsten Winkel des Sandschaks
durch die Flinfälle der montenegrinischen Kolaschinzen, jetzt ganz sicher,
und steigt über die Babinje-Planina bis zum Blockhause Jabuka (1291 m);
von dort senkt sie sich schnell über 800 m in das Thal der Seljasnica
und führt neben diesem Flüsschen bis zum Lim, wo sie sich scharf nördlich
wendet und das Limufer bis Prjepolje verfolgt. Der Ausblick ist überall
ein wundervoller und die Bewaldung aller Höhen nimmt zu, je mehr man
sich dem Lim nähert. Jabuka ist die einzige österreichisch-ungarische
Station zwischen Plevlje und Prjepolje, von einer halben Kompagnie be-
setzt. Einst war hier ein türkisches Zeltlager, und in früheren Zeiten hatten
wir die Gastfreundschaft des kommandirenden Jusbaschi genossen. Jetzt
eine wahre Kulturidylle mit parkartigen Anlagen auf der mehr als
luftigen Hohe. Alle Stationen sind unter einander mit Fernsprecher ver-
bunden, dessen Verwendung auch für ausserdienstliche Plaudereien gestattet
ist, um die einsamen Offiziere nicht ganz ohne Gedankenaustausch mit
Ihresgleichen zu lassen, v. Mach erzählt sogar in der .Kölnischen Zeitung«
von telephonisch gegebenen Konzerten, und am 18. August, dem Geburts-
tage des Kaisers Franz Josef, soll die Volkshymne telephonisch allen musik-
n Stationen übermittelt worden sein.
Von Jabuka hat man einen wundervollen Fernblick über das rechte
Limufer und weit ins Land bis zu den nordalbanesischen Alpen, die trotzig
ihre Häupter ins Blaue Strecken. Hübscher Eichenwald nimmt uns zu
<-iten der Strasse auf, zur Linken öffnet sich das schmale felsige
Seljanithal unter dicht bewaldeten Höhen, vor uns liegt das breitere,
! 1 er Seljaänica und in der Ferne schimmert das
Silberband des Lim, teilen Höhen begrenzt. Je mehr der Weg in
171
;v
die Niederung sich zieht, um so bebauter wird die Gegend; die Ein-
wohner scheinen durchwegs wohlhabend zu sein, die I [äuser der Ortschaften
sind rein und freundlich, was schon wieder dem fremden Einflüsse zuzu-
■--•"---"—:-•.!.
Brücke bei Prijepolje. Von Ewald Arndt.
schreiben ist. luidlich ist der Lim erreicht, der stolze Fluss, der im
montenegrinisch-albanesischen Wetterwinkel bei Gusinje seinen Ursprung
nimmt und nun im mächtigen, weitzerklüfteten Bette seine Wässer der
Drina zuwälzt, die er vor Visegrad erreicht.
12*
- 179
Man ist schon ziemlich nahe an Prijepolje, ehe man den Ort in seiner
Ausdehnung vor sich sieht. Zuerst einige Minarets und ein paar hoch-
gelegene Häuser, das eine von einem Wall umgeben und unscheinbar in
der Farbe, das andere grell weiss getüncht. Unterhalb des ersten Hauses
grüssen, wie überall bei den Stationen im Sandschak, die weissen Buch-
staben F. J. I., die Initialen des Kaisers Franz Josef. Hier ist die so-
genannte »Jägerwacht«, die äusserste Stellung der österreichisch-ungarischen
Truppen nach Osten. In dem weissen Hause liegt die türkische Garni-
son, ein Tabor Nizam. Arn linken Ufer des Flusses ist seit der Be-
setzung eine österreichische Soldatenstadt entstanden, mit Gartenanlagen
geschmückt. Hier sind Kommandantur, Hauptwache, Post- und Telegraphen-
amt, Spital, Kaserne und Magazine. Von hier führt eine grosse hölzerne
Brücke über den Lim nach dem rechten türkischen Ufer. Am Brücken-
kopf gähnt ein breites Thor, dessen beide Seiten aus thurmartigen Häusern
o-ebildet werden, die über der Thüröffnung miteinander durch einen Mittel-
bau verbunden sind. Rechts steht die türkische, links die kaiserliche
Wache. Prijepolje ist eigentlich nur eine einzige lange Strasse, zu beiden
Seiten mit Verkaufsgewölben und Kaffeebuden besetzt. Es ist ein ungemein
reger Verkehr, noch immer wird mit Tragthieren die Verbindung nach
Süden, nach Salonichi, unterhalten, d. h. nur bis zu den nördlichsten
Stationen der Mitrovica-Salonichi-Eisenbahn. Fanden wir doch in Prijepolje
in einem serbischen Verkaufsgewölbe schon 1879 Dreher'sches Flaschen-
bier, das über Salonichi eingeführt worden war.
Auf dem rechten Ufer liegen noch drei kaiserliche Kasernen, der
-weisse«, »blaue« und der »gelbe Han«; ihre Hinterfronten blicken auf
den Lim, wo noch ein kleiner Platz zu militärischen Uebungen bleibt.
Um die Verbindung mit dem jenseitigen Ufer abzukürzen, ist eine militärische
Fähre vorhanden. Limabwärts liegt das Casino der österreichisch-ungarischen
Offiziere, ihre eigentliche Heimath in diesen Gefilden, wo sie einen Haus-
stand nicht führen können. Hierher werden die türkischen Offiziere ge-
aden, mit denen ein gut kameradschaftliches Verhältniss besteht, während
die mohammedanische Bevölkerung sich geradeso wie die serbische sehr
zurückhaltend benimmt.
Etwa C) km östlich von Prijepolje liegt in dem schönen Thale der
Miloseva das altberühmte serbische Kloster Milosevo, das Jahrhunderte lang
in Ruinen lag, und die Burgruine Hissardschik. Ich habe beide nicht be-
suchen können und gebe daher die Schilderung v. Mach's, dem es nach
erwindung mannigfacher vom türkischen Kajmakam gemachter Schwierig-
keiten 1896 möglich wurde, dorthin zu gelangen und zwar in Begleitung
des Kajmakams. Der Weg führt im Thale der Miloäeva dahin; hinter
dem sauber und reich in die Waldberge blickenden Kloster steigt man
die Uferhöhen der Miloseva hinan. Bald ist das Dorf Hissardschik er-
1S0
reicht. Die Bewohner, durchweg Mohammedaner, haben sich schon ver-
sammelt und blicken missmuthig auf die Ankömmlinge. Nicht leicht wird
es dem Kajmakam, die Leute zu beruhigen. Sie wollen durchaus nichts
davon wissen, den Wanderern die Besteigung des Burgberges, auf dessen
hoher Spitze die romantische Ruine in dem Milosevathale thront, zu
gestatten. Erst nachdem klingende Münze die Worte des Kajmakams er-
läutert, willigen sie ein. Ein steiler Ziegenpfad windet sich den überaus
zerklüfteten Kegel hinan. Terrassenförmig liegen Burgmauern übereinander.
Mehrere recht gut erhaltene Thürme schauen altersgrau, wie das Gestein,
über die Mauertrümmer und weit hinein in das Thal. In einem Graben
Postfahrt mit Bedeckung im Sandschak.
liegen zwei eiserne Steinmörser, Bombarden mit langem Pulverraum und
kurzem, breitem Geschossraum. Sie stammen anscheinend aus der Zeit
des vierzehnten Jahrhunderts. Schildzapfen sind nicht vorhanden, dagegen
eiserne spiralartig um die Rohre gezogene Reifen und an diesen Ringe.
Vielleicht haben die beiden alten Kameraden die Burg gegen die Türken
vertheidigt, als diese auf ihrem Eroberungszuge nach der Schlacht auf dem
Amselfelde sich auch bald gegen die Hercegovina und Bosnien wandten,
Selten hat ein Fremder die alte prächtige Ruine besucht; auch unser
Kajmakam gestand, dass ihm ohne die Wanderer niemals in den Sinn ge-
kommen wäre, von hier oben sein Reich zu überblicken.
Um von-Prijepolje nach Priboj - in den dritten Garnisonsort — und
damit wieder an die bosnische Grenze zu kommen, muss die Strasse am
rechten Limufer eing-eschla<<vn werden. Sie steht unter türkischer Ver-
1S1 —
Jerinaburgruine bei Bistrica zwischen Priboj und Prijepolje. (Ewald Arndt
V IT
waltung, ist daher nicht entfernt so gut als die von Cajnica nach Plevlje
führende, doch für leichteres Fuhrwerk passirbar; auch sorgt das kaiser-
liche Militär für Verbesserung und Beseitigung etwaiger Hindernisse. Un-
mittelbar am Lim läuft die Strasse entlang, an steilen Hängen, zwischen
dichtem Waldesgrün. Die Gegend ist zu Ueberfällen wie geschaffen, aber
türkische und österreichische Patrouillen gehen die Strasse ab und die Post
fahrt unter Bedeckung. Der Reisende wird als Poststück behandelt. Zwei
Mann vorauf, zwei Mann mit dem Führer hinterdrein, wird durch die Stadt
marschirt Am Ausgange hält der Zug; der Führer kommandirt »Laden!
und mit 20 Schuss in den Gewehren geht es bergauf in die Wälder am
Lim. Die Einheimischen sehen das Laden der österreichischen Gewehre
und sie sollen es jedenfalls sehen. Dadurch ist die Sicherheit der Strasse
verbürgt, und es weiss sich auch Niemand auf einen Angriff zu erinnern.
Aber Vorsicht ist auf ottomanischem Gebiete nie ausser Acht zu lassen.
In zahlreichen Windungen senkt sich die Strasse gegen Hau Bistrica, wo
182
der Bach gleichen Namens in den Lim mundet. An ihm entlang führt
ein Reitweg nach Nova-Varos. Neben dem Man haust ein türkischer
Wachtposten, Albanesen, prächtige Gestalten. Auf hohem Bergkegel sieht
man die alte Ruine der Jerinaburg. luidlich wird in einer fruchtbaren
Ebene der kleine Ort Banja mit einer vielbenutzten heissen Quelle und
den Ruinen des Klosters gleichen Namens, das 1876 im serbisch-türkischen
Kriege zerstört wurde, sichtbar. In den Trümmern »garnisoniren« türkische
Soldaten, während die österreichisch-ungarische Station aus einem festen
Blockhause besteht. Von hier führt eine ebene Fahrstrasse nach I'riboj,
dem nördlichsten Standort der Türken. Die kaiserlichen Anlagen bestehen
aus mehreren leichten Baracken, in denen die Mannschaften wohnen, die
Kanzleien und die Pferde untergebracht sind. Für die Offiziere giebt es
eine besondere Baracke, die ausser den Wohnräumen auch die Fremden-
zimmer und das Kasino enthält. Ein sauberer Garten schliesst sich an
den Bau; das Ganze ist von einem Holzgitter umgeben. Ueber dem
Städtchen liegt ein Posten in einem Blockhause und ein anderer bewacht
am Lager die Fähre über den Lim. An dem Grenzpunkte Uvac wird
Abschied vom Sandschak genommen; an der Limbrückc steht der letzte
türkische, jenseits auf bosnischem Gebiet der kaiserliche Posten, — man
ist wieder in einem wirklichen Stück Europa, in das die prächtige Fahr-
strasse nach Visegrad führt.
Türkische Kaserne in Priboj.
Eine Flossfahrt
auf
der Drina.
Die Drina ist einer
der mächtigsten Ströme
Bosniens, der Grenzfluss
zwischen Serbien und dem
Okkupationsgebiete. Sie ent-
steht etwa vier Stunden südlich
von Foca, aus dem Zusammen-
flusse der Tara und Pliva dicht an
der montenegrinischen Grenze, bei dem
Dorfe Hum, wird durch die Sutjeska, die
Bjelava, Bistrica und Cehotina nach kurzem
Laufe verstärkt, nimmt ihren Weg anfangs
nach Nordosten und dann direkt nach Norden, bis sie bei Raca in die
Save mündet. Von der Mündung bis nach Zwornik hinauf, ist sie einen
beträchtlichen Theil des Jahres für grössere Fahrzeuge schiffbar, und die
bosnische Landesregierung hat einen besonderen Dampferverkehr von
Brcka an der Save bis nach Zwornik eingerichtet. In ihrem Oberlaufe
verhindern Felsbänke, Klippen und Stromschnellen einen geregelten Schiffs-
verkehr. Es können wahrend des höheren Wasserstandes wohl Flachboote
und Fl »sse verkehren, einen Theil des Jahres jedoch nur unter grossen
Schwierigkeiten. Schon im Jahre 1865 liess die türkische Vilajetsregierung
Studien wegen Sprengung der hauptsächlichsten Verkehrshindernisse an-
stellen, es wurden auch Geldmittel angewiesen, aber die Ausführung der
Arbeiten unterblieb, die erst die Gegenwart wird vornehmen müssen.
Der Fluss durchströmt landschaftlich hochinteressante Gegenden und
darum ist c-iin- Fahrt auf der Drina ein Genuss, wie er sich in solcher
He
— 1-
Eigenart nicht so leicht wieder bietet. Das Fahrzeug ist aber nur das
gewöhnliche, aus Baumstämmen zusammengefügte Floss und auf besondere
Bequemlichkeit muss von vornherein verzichtet werden. Unsere Drina-
fahrt fiel Anfang September, in die Zeit sehr niedrigen Wasserstandes, und
daher dehnte sich die sonst auf zwei bis drei Tage berechnete Tour von
Gorazda nach Lubovija auf fünf Tage aus. Sie bot aber mit ihren Zwischen-
fallen einen so eigenen Reiz, dass sich kein Tourist von einer Wieder-
holung der Fahrt abschrecken lassen sollte.
Dank der Zuvorkommenheit der bosnischen Behörden hatte der Leiter
der Bezirksexpositur in Gorazda die Zusammenstellung eines Flosses ver-
anlasst, und so konnte die Reise eines Montagsmorgens in Gesellschaft
eines liebenswürdigen Forstadjunkten angetreten werden; meine brau als
die erste europaische Dame, welche die gesammte Flossfahrt auf der Drina
unternahm. Auf dem Flosse, das aus machtigen Baumstammen bestand,
war aus Brettern eine Art erhöhten Podiums mit zwei Hanken und einem
Tisch errichtet worden, das Gepäck war so gut als möglich vor Nässe
geschützt, und am Steuer wehte die bosnische rothgelbe Flagge lustig im
Morgenwinde. Die Verpflegung hatte Hotelier Ohlela in Gorazda in vorzüg-
licher Weise besorgt. Eine Anzahl gebratener halten, Schinken, Käse,
ganze Brote, Flaschenbier, eine Batterie von Bouteillen Wein, Obst, wie
mehrere Büchsen Conserven sollten für des Leibes Nahrung und Xothdurft
sorgen.
Ein leichter Nebel lagerte über dem Flusse, als wir gegen ; Uhr
früh unser Fahrzeug bestiegen. Die beiden Flösser, echte Mohammedaner
aus Cajnica, waren bereits seit Langem beschäftigt, die letzte ordnende Hand
anzulegen und noch immer einen schwarzen Kaffee zu trinken. Unter
herzlichen Abschiedsworten der Beamten und Offiziere von Gorazda, die
uns das Geleitc zum Flussufer gegeben, wurde die Fahrt angetreten. Fast
lautlos glitt unser Floss dahin und es schien, als würden wir nur langsam
vom Flecke kommen. Mit peinlichster Aufmerksamkeit wurde von den
Flössern das Fahrwasser beobachtet und es war ein hoher Genuss, wenn
wir zwischen Felsblöcken in eine tiefere Rinne einlenkten, das gebrechliche
Fahrzeug tief in den weissen Gischt tauchte, wenn die Wellen hoch über
den Stämmen zusammenschlugen. Immer höher erhoben sich Ufergebirgc.
meist bewaldet; von Zeit zu Zeit wurden einzelne Häuser sichtbar, einige
Reiher strichen über das Wasser, sonst herrschte geheimnissvolle Stille. Bei
Musici erfolgte auf einmal von steiler Höhe ein Zuruf, ein weisses Tuch wird
zum Gruss geschwenkt — es ist ein befreundeter Hauptmann, der uns zu
Pferde auf dem Landwege bis hierher noch das Geleite gegeben. Da kommt
eine Biegung des Flusses; wir tauchen in einen Strudel, ein letztes »Zivio!«
und wir sind wieder allein. So währte die Fahrt stundenlang. Gegen
II1/« Uhr — wir befanden uns gerade an einer wildromantischen Stelle
- t87
zwischen schroffen Felsen, aus denen nur hin und wieder einzelne mächtige
Bäume und niederes Gestrüpp sprossten — gab es einen mächtigen Knall,
wie von einem Kanonenschusse, das Floss krachte in allen Fugen, die
festen Verbindungen zwischen den einzelnen Stammen waren am Hinter-
thcil gesprungen, und es hatte den Anschein, als sollten wir ein unfrei-
williges Bad in der Drina nehmen. Wir waren auf eine verborgene Klippe
iS8 —
aufgefahren, aber gleich wieder flott geworden. Unsere Flösser sorgten so-
fort mit bewundernswerter Schnelligkeit für Wiederbefestigung der einzelnen
Stamme, und weiter ging die Fahrt.
Hoch oben in einer Kamm -Einsattlung wurde das Dorf DraboSilje
sichtbar, überall auf den Abhangen weideten Heerden, und laute Jodler
stiegen von den kleinen Hirten in die Lüfte, entferntere Kameraden auf
das Floss — eine Abwechslung im ewigen Einerlei — aufmerksam machend.
Mit doppeltem Appetit wurde das Mittagessen eingenommen, und mehr als
ein (das stieg auf das Wohl des schönen Landes, das sich im Sonnen-
glanze an beiden Ufern ausbreitete. Die Felsen waren oft so glatt ab-
geschliffen, als ob sie bearbeitet und polirt wären; unten waren sie vom
Wasser unterwaschen und bildeten mächtige Höhlen. Manchmal engten
sie den Strom von allen Seiten ein, dass man sich auf einem Binnensee
zu befinden glaubte. Bei Gradina zeigten sich interessante geologische
Schichtbildungen. Auf einmal ertönen laute »Merhaba« auf dem linken
Ufer; Felder und Häuser werden sichtbar, eine Moschee mit Minaret steht
in malerischer Lage und in beherrschender Position eine neue Gendarmerie-
Kaserne. Es ist der mohammedanische Ort Megjegje. Kaum waren wir
an ihm vorübergefahren, als wir festsassen. Wir waren auf eine Schotter-
bank gerathen und obwohl unsere Fährleute ins Wasser sprangen und
das Floss flott zu machen suchten, gelang ihnen dies nicht. Aber schon
nahte Hilfe. In Megjegje hatte man unsere Noth bemerkt; ein Türke legte
die Kleider ab, sprang ins Wasser und schwamm auf uns zu. Er tauchte
unter das Floss und mit einem mächtigen Ruck schob er dasselbe von
der verhängnissvollen Stelle. Wir hatten wieder tieferes Fahrwasser; unser
Helfer aber war, ohne erst einen Dank abzuwarten, zurück ans Ufer ge-
schwommen.
Kurz hinter Megjegje öffnet sich rechts ein wundervoller Blick ins
Limthal, wo der Lim in die Drina mündet, dann geht es an dem schön
am Berge gelegenen Dorfe Orahovci vorüber in flotter Fahrt bis Visegrad.
Es war bereits dunkel geworden, denn wir hatten über zwölf Stunden zu
dieser Strecke gebraucht. Hier empfing uns der Bezirksvorsteher nebst
einigen anderen Herren, wir wurden — ein Hotel giebt es nicht - - im
Offiziersfremdenzimmer untergebracht, in dem ein behagliches Feuer im
Ofen loderte und bald sassen wir inmitten einer gemüthlichen Gesellschaft
im einzigen Gasthause. Für den nächsten Tag hatte uns der Bezirksvor-
steher seine Begleitung angekündigt, da er im Gebirge einen amtlichen Besuch
abzustatten hatte. Auch ein Oberlieutenant wollte von der Parthie sein, des-
gleichen ein Gendarmerie-Wachtmeister, der nach Syrmien auf Urlaub ging
und der den Umweg über Sarajevo durch die Flossfahrt zu ersparen hoffte.
Visegrad macht, wenn man sich der Stadt nähert], einen sehr statt-
lichen Eindruck. Die quaiartigen Uferränder, der breite majestätisch dahin-
- 1 89
fliessende Strom, eine mächtige alte Brücke über denselben, unmittelbar
jenseits die Reste der Ruinen einer alten türkischen Karawanserai, daneben
eine Kaserne, von der Stadt selbst nur zahlreiche hohe Giebel zwischen
Baumwipfeln, dahinter der stolze Ruinenkegel der Burg Starigrad, all das
verspricht einen interessanten Ort, der aber nur in seiner Marktstrasse
einen rein städtischen Charakter trägt, wo jetzt auch ein schönes Amts-
gebäude steht. Visegrad liegt in seinen Haupttheilen zu beiden Seiten der
Rzava, eines im Winter und Frühling gewaltig anschwellenden Flusses.
der unterhalb Visegrad in die Drina fällt; alle Bergkuppen und Felswände
umher sind noch mit ehemals türkischen Forts (Karaulas) gekrönt, die
nach Serbien ebenso Respekt einfiössend hinübersehen, wie die YVachthäuser
vom Javor und Zlatibor auf Visegrad herunterschauen. Einstmals war
Visegrad nur ein Uebergangspunkt an der Drina, den sich die christlichen
Landesherren durch Erbauung eines festen Schlosses sicherten. Seine Be-
deutung wuchs, als die Türken zur Herrschaft kamen. Damals entstand die
berühmte Brücke und dies jetzt in Ruinen liegende Karawanserai, ein Pracht-
bau mit luxuriösen Badeanlagen, Wohnräumen und Stallungen: beides
Werke des Mehmed Pascha Sokolovic, der als Grossvezir Sokolly zu den
hervorragendsten Staatsmännern des osmanischen Reiches gehörte. Seine
Amtszeit fällt in die Jahre 979—991 der Hedschra, die Erbauung der
Brücke 979. Visegrad lag nicht nur in der Nähe seiner Stammburg Sokol,
sondern auch an der grossen Heeresstrasse, die von der Provinzhauptstadt
nach der Reichsresidenz führte, und war der erste grössere Ort, den der
Osmane von Stambul aus auf bosnischem Boden betrat. So waren Brücke
und Palast — wie Hoernes sich ausdrückt — gleichsam Denkmäler des
patriotischen Stolzes, mit welchem der Bosnier seine geliebte Heimath den
herrschenden Osmanen gegenüber in ein günstiges Licht zu stellen suchte.
Dass er es erreicht hat, sehen wir mindestens aus der Erwähnung der
Brücke im geographischen Werke des Hadzi Chalfa (»Rumeli und Bosna«,
deutsch von Hammer) und daraus, dass die Unerschütterlichkeit dieses Bau-
werkes in südslavischen Ländern sprichwörtlich geworden ist, wie die Redens-
art: ostade kao cuprija na Visegradu« (das steht wie die Brücke auf Vise-
grad) bezeugt.
Die Brücke überspannt mit elf Spitzbögen, die gegen die Mitte be-
deutend ansteigen, in einer Länge von 170 und einer Breite von 6,3 m
die Drina. Die Spannweite der Spitzbögen schwankt zwischen 13,7 und
18,6 m. Ein auf gründliche Studien basirtes Gutachten spricht sich dahin
aus, dass der Brückenbau von Visegrad volle Bewunderung verdiene,
die noch durch die Erwägung gesteigert werde, dass den damaligen Bau-
meistern, meistens Ragusanern, nicht jene Hilfsmittel der Technik zu Ge-
bote standen, welche heute dir Bewältigung der schwierigsten Arbeiten er-
leichtern. Aelter sei zwar die Narentabrücke in Mostar, erbaut 1566, schöner
190
I 1 ■•»
1! rücke in Visegrad.
und grossartiger aber jedenfalls die Drinabrücke in Visegrad. (»Das Bauwesen
in Bosnien und der Hercegovina«, herausgegeben von der Landesregierung,
Wien 1887.) Inmitten der Brücke, oberhalb der noch erhaltenen Ruhebänke,
stand bis zum Jahre 1886 ein aus Eichenholz erbautes stockhohes Häuschen.
Dieses früher als Unterkunft der Brückenwache verwendete Gebäude wurde
im bezeichneten Jahre wegen Baufälligkeit entfernt, was übrigens auch aus
ästhetischen Gründen gebilligt werden kann.
Der in der Brücke eingemauerte Inschriftstein giebt Kunde davon,
dass die Brücke vom Grossvezier Mehmed Pascha Sokolovic im Jahre
979 n. d. H. (1571 n. Chr.) erbaut worden sei. Die in türkischer Sprache
abgefasste Inschrift lautet in der Uebersetzung:
»Mehmed Pascha, zur Zeit dem Asaf*) vergleichbar,
Hat durch seine erhabene Persönlichkeit die Welt verherrlicht.
Er verwendete sein Vermögen auf Stiftungen zur Ehre Gottes.
Niemand wird behaupten wollen, dass das Vermögen, so verwendet, verschleudert
worden sei.
Lebenslang hat er Gold und Silber zu Stiftungen gewidmet,
Denn es war ihm bekannt, dass diese ein schönes Andenken hinterlassen.
Ueber die Drina in Bosnien erbaute er eine grossartige Brücke.
Eine Reihe von Bögen spannte er über diesen Fluss,
Diesen tiefen Fluss, dessen Gewässer reissend sind.
ss: Asaf war Rathgeber Salomons des Weisen.
13
19:
Seine Vorgänger konnten Aehnliches nicht erbauen;
Nnch Gottes Rathschluss that es aber der Pascha,
Damit sein Name mit Ehrfurcht und Dank genannt werde.
Er baute diese Brücke, die ihres Gleichen nicht hat auf der Welt.
Gewiss wird Niemand sagen, dass das Geld, so verwendet, vergeudet sei!
Von Gottes Gnade erhoffe ich, dass des Erbauers
Leben im Glück verlaufen und durch keinerlei Ungemach getrübt sein werde.
Badi*) welcher sah, wie der Bau beendet wurde, schrieb nieder den Tarih;**)
Gott möge diesen Bau, diese wunderbar schöne Brücke segnen!
979« (= 1571).
Die zweite, gegenwärtig ziemlich beschädigte und an einigen Stellen
nicht zu entziffernde Brückeninschrift lautet nach dem Türkischen:
»Zur Zeit Sultan Murads, des Sohnes Sultan Selims,
fasste der Wohlthäter Mehmed Pascha
den Entschluss und hat auf dem Flusse Drina
eine grosse Brücke mit vieler Mühe unter eigener Aufsicht (Leitung) erbaut.
Gott gebe, dass sein Bau fest, das Glück seines Lebens ihm aber immer treu bleibe,
und dass seine Wünsche auf beiden Welten fruchtbar sind.
(unleserlich) .
Solche Werke . . . (unleserlich) . . . die Bewunderer dieses
soll für den Erbauer zu Gott beten.
. . . (unleserlich) . . . Brücke erbaute, möge Gott segnen.
Im Wasser . . . (unleserlich) . . . hielt er die Perle der Perlmutter gleich:
Ich erbaute die Brücke auf diesem Gewässer, ich Mehmed Pascha.
985« (= 1577).
Die Reste des Geburtshauses von Mehmed Pascha Sokolovic sind
noch heute im kleinen Dorfe Ravanci zwischen der grossen und der kleinen
Varda unweit des Städtchens Rudo sichtbar. Als Baumeister der Brücke
wird ein Meister Mitar oder Rade genannt, und es knüpfen sich an ihren
Bau eine Menge Volkssagen, die sich zum grössten Theile auf die Bau-
opfer bei den Südslaven — auf die Einmauerung menschlicher Wesen —
beziehen. Eine der schönsten gereimten Sagen veröffentlicht Hofrath
Hörmann in seinen »Narodne pjesne Muhamedovaca u Bosni i Her-
cegovini« :
»Dreien Kaisern diente Mehmed Pascha,
Drei der Thiirme voll mit Gold erwerbend.
Ueberlegend nun dacht er im Innern,
Was er mit dem grossen Schatz beginne:
( >b er ihn den Armen schenken solle
Oder gar dem Flusse Drina opfern,
1 »der Bosnien damit beschenken.
I ad nachdenkend, hat er dies beschlossen:
Bosnien will ich damit beglücken,
Eine Brücke ihm zuerst erbauen!«
Badi ist der Name des Dichters dieses Chronogrammes.
**) Tarih ist Zeitangabe. Die türkischen Schriftzeichen des letzten Verses geben durch
Addition ihres Zahlengehaltes als Summe das Jahr 979 nach der Hedschra.
194
Und er beginnt die Ausfuhrung seines Entschlusses, indem er dem.
Baumeister Mitar den Befehl sendet, derselbe möge Alles /.um Bau einer
Brücke über die Drina bei Visegrad vorbereiten und hierauf den Bau be-
ginnen. Ausserdem
»Hundeitdrei der besten Meister sammele
i n.l auch tausend frischer Werkgesellen,
Die den kalten Stein beschaffen werden.
Dieser Befehl findet aber bei dem Meister Mitar keinen Beifall, da
er ihn für unausführbar hält:
»O bei Gott, du Soko Mehmed Pascha,
\\ i im am weiten Yisegrader Fehle
Tovar du an Tovar Goldes häuftest
Und auf jede Last drei Beutel Goldes,
Und dein Schatzmeister versuchen wollte
Diesen unschätzbaren Schatz zu zählen,
Kaum würd' für den Bau der Brück' er reichen.«
Der Pascha jedoch beruhigt ihn und versichert, dass er alle Kosten
des Brückenbaues, und wenn sie noch so ungeheuer wären, tragen und be-
schaffen werde. Auf dies hin schreitet Meister Mitar an das [grosse Werk,
indem er Bauleute sammelt und alles Nöthige an Ort und Stelle schaffen
lässt. Er selbst aber
»Schwingt sogleich sich auf den starken Rappen
Und erscheint vor Visegrad der Veste.
In den Fluss treibt er den starken Rappen
Um der Drina Tiefe auszuforschen:
Ob es möglich sei, die Brücke bauen.
Doch als nun der Rapp' inmitt des Flusses,
Nicht kann er sich von der Stelle rühren.
Mitar treibt mit Peitsche und mit Sporen,
Doch das Ross, es steht wie angewurzelt.
Mitar schlägt mit dreifach starker Geissei,
Doch das Ross, es steht wie angewurzelt.«
Vom Ufer aus bemerkt der Pascha das unerklärliche Ungemach des
Meisters, und er wirft ihm einen Talisman zu, den der Meister auch glück-
lich auffängt und seinem Pferde um den Hals bindet, worauf dasselbe so-
gleich das Ufer erreicht. Jedoch
Mit sich zieht er eine weisse Vila,*)
Deren goldig Haar sich umgeschlungen
Um des Rappenrosses Vorderfüsse,
Denn den Meister wollte sie ertränken
Und mit ihm den edlen starken Rappen.
Sie nun zog der Rappe auf das Festland,
Und als Meister Mitar sie erblickte,
Riss er rasch das Schwert von seinem Gürtel,
Um das Haupt ihr von dem Rumpf zu trenn
*) Vila ist eine südslavische Fee.
13*
— 195 —
Doch die Vila beschwört ihn, sie am Leben und frei zu lassen,
dafür verspricht sie ihm ihre Hilfe beim Baue der Brücke. Mitar lässt
sich überreden und schenkt ihr die Freiheit. Er beginnt den Bau und
hat schon sieben lange Jahre darauf verschwendet, ohne auch nur den
mindesten Fortschritt erzielt zu haben. Was er am Tage erbaut, das
wird ihm Nachts durch unsichtbare und unbekannte Macht wieder zer-
stört, sodass endlich der Pascha selbst ungeduldig wird und ihn auf-
fordert, er möge doch die Vila, die ihm ihren Beistand versprochen, an-
rufen und sie um Abwendung der dem Baue entgegentretenden Hinder-
nisse bitten. Mitar befolgt diesen Rath; die Vila erhört auch seinen Ruf,
antwortet ihm aber:
»Gott mir helfe, Bruder Meister Mitar,
Aber ich kann Dir nicht Beistand leisten,
Denn es dulden's nicht die Vilen-Schwestern.«
Sie giebt ihm jedoch einen Rath, dessen Befolgung den Bau der
Brücke ermöglichen werde: er möge zwei Jungfrauen in die Grundpfeiler
der Brücke einmauern. Mitar thut dies und siehe, das Tags über Erbaute
wird nicht mehr Nachts vernichtet, die Arbeit kann ohne Unterbrechung
und Störung fortgesetzt werden; im neunten Jahre steht das Bauwerk
vollendet da.
»Trüb und brausend aber kam die Drina
Und vom Berg brach sie die schlanke Fichte.
Diese stürmte gen die Brückenpfeiler,
Und die Brücke, — sie begann zu wanken.«
Mehmed Pascha erschrickt; er befürchtet den Einsturz der Brücke.
Mitar meint, die Drina sei empört, weil man ihr noch keine Gaben
dargebracht habe, und werde sich sicher beruhigen, wenn man dieses
Versäumniss gut mache. Hierauf häuft Mehmed Pascha einen Haufen
Goldes inmitten der Brücke auf und opfert ihn dem Flusse. Mit einer
silbernen Schaufel schüttet er den Schatz »nach allen vier Seiten« in
die Wogen. Mitar aber lässt sich an einem Seile über die Brüstung
der Brücke hinab und zerschmettert mit einem kraftvollen Axtschlage
die Fichte.
»Aus der Fichte aber sprang ein Blutstrahl,
Aus der Fichte tönte eine Stimme:
»bleiben wird die Brücke auf der Drina,
Bleiben wird sie bis zum End' der Zeiten!«
Und der Fluss nahm wieder seinen gewöhnlichen Lauf. Da nun also
die Brücke vollendet und keine Gefahr mehr für sie besteht, übergiebt sie
der Pascha dem Verkehre, nicht aber, ohne einen Brückenzoll bestimmt zu
haben. Die: Bosnier wissen den Schatz, den sie erhalten, zu würdigen,
196
aber der Zoll behagte ihnen nicht, und so apostrophirt bald ein Fuhrmann
den Pascha:
»Höre mich, o Soko Mehmed Pascha!
Wohl hast Wunderbares I >u verrichtet,
Eine Brücke hast gebaut Du, Pascha,
Aber einen Fehler auch begangen:
Angeordnet einen Zoll, den harten,
Für den Wand'rer zwei Dinare,
Für den Reiter aber vier Dinare.
Und wer vier Dinare nicht besitzet,
Dem wird Ross und Sattelzeug gepfändet.
— Als dies hörte Soko Mehmed Pascha,
Hat mit Recht den Zoll er aufgehoben.«
Hier heisst es bei der Darbringung des Bauopfers nur, dass zwei
Jungfrauen eingemauert wurden. In einem anderen Volksliedc wird über-
haupt nur von einer Frau gesprochen. Die erste, welche sich Morgens
dem Baue nähern würde, sollte in die Pfeiler eingemauert werden. Un-
glücklicherweise war es die junge Frau des Meisters selbst, die trotz alles
Flehens von den Bauleuten ergriffen wurde und das furchtbare Schicksal
erlitt. An alle Burgen und Brücken des Landes knüpfen sich ähnliche
Sagen, und noch Anfang der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts, als die
Trebinjaner eine Brücke über die Trebinjcica bauen wollten, stahlen sie
aufRagusaner Gebiet eine Kindesleiche, um sie in das Fundament zu ver-
mauern !
Am rechten Ufer der Drina steht auf einem kegelförmigen Berg-
gipfel am Nordende eines Höhenzuges, der die Drina begleitet und
mit dem gegenüber liegenden senkrechten Abfall der 700 Meter hohen
Butkova-Stjena ein enges Flussdefile bildet, die alte Burg Starigrad, das
heisst, die geringen Ueberreste der einstigen Akropolis von Visegrad. Ein
von Gebüsch umwucherter Schutthaufen und ein zackiger geborstener
Mauerrest etwas tiefer, das ist von jenem Bollwerk übrig geblieben, welches
der Stadt den Namen gab. Fast alle Mauern zeigen sich als Fortsetzungen
natürlicher Felswände. Auf einer Felsenklippe unterhalb steht aber ein
alter Thurm, den die Volkssage mit dem serbischen Nationalhelden, dem
Königssohne Kraljevic Marko in Verbindung bringt. Der Thurm ist kreis-
förmig gebaut, die Mauern 1,90 m stark, die Höhe heute noch 8 m, aber
dem Erdgeschoss ist die Plattform erhalten, und da der untere Theil keinen
eigenen Zugang hat, so musste der Weg zu demselben nothwendig über
die Plattform führen. Mit dem oberen Theile von Starigrad stand der
Thurm durch eine 1 m breite festgemauerte Gallerie, deren Reste noch
sichtbar sind, in Verbindung. Der Zweck des Thurmes war offenbar der
Auslug in das Drinathal. Unterhalb des Bauwerkes werden einige Ver-
tiefungen in der Felswand, als »Markosstuhl (Markovo sjedalo), Markos
197 —
»Fusstapfen« (Markove stope) und ganz nahe an der Drina die Hufspuren
seines Pferdes »Scharac« gezeigt. Der Durchmesser der Hufspuren ist 30
und 35 cm und die Breite zwischen den Vorderbeinen I^am. Marko
soll im Thurme neun Jahre als Gefangener geschmachtet haben. Als ihm
endlich die Stunde der Befreiung schlug — so erzählt die Sage — durch-
brach er das Dach des Thurmes und schwang sich in einem Satze hinüber
aufs jenseitige Ufer der Drina.
Eine andere Burgruine, an die sich viele Sagen knüpfen, liegt
unweit des Weges nach Priboj. Wenn man diesen Weg, die Rzava 10 km
lang von Visegrad aufwärts verfolgt, sieht man jenseits des Flusses
auf einem bei 500 Fuss hohen Felsen die verfallenen Reste einer aus-
gedehnten Baulichkeit. Darunter, diesseits des Flusses, die Grundmauern
einer zerstörten christlichen Niederlassung und etwas entfernt die einer
Moschee oder christlichen Kirche. Es sind die Ruinen von Dobrunj, einer
Burg, die sammt ihrem Suburbium sotto Dobrunj in der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts als Handelsplatz öfter genannt wird. Als die Türken
vor der Veste erschienen - - so erzählt Hoernes — befand sich auf der-
selben Jerina (Irene), die Gemahlin des Despoten Georg Brankovic
(1427 — 1455)1 welche sich in den Führer der Belagerungstruppen verliebte
und demselben heimlichen Einlass in die Burg versprach, wenn er sie zum
Weibe nehmen und gegen seine bisherigen Waffenbrüder vertheidigen
wolle. Der Türke willigte scheinbar ein und begehrte nur, sammt seinen
Schätzen in die Burg aufgenommen zu werden. Auf 200 Rossen wurden
die letzteren bei Nacht heimlich gebracht; doch als sich das Thor hinter
ihnen geschlossen, entstiegen den vermeintlichen Schatzkisten 200 bewaff-
nete Feinde, welche die schwache Besatzung überwältigten, dass Schloss
den Ihrigen öffneten und die verrathene Verrätherin gefangen hinweg-
führten. Die Geschichte weiss von diesem Vorfalle natürlich nichts. Georg
Brankovic gelangte erst mit sechzig Jahren in den Besitz des Despotats.
Seine Gemahlin Jerina, eine griechische Prinzessin, überlebte ihn und
sollte während der Minderjährigkeit ihrer Söhne die Regentschaft führen,
wurde jedoch von dem jüngsten derselben, Lazar, mit Gift beseitigt. Das
Volkslied, in dem Jerina öfter vorkommt, behandelt sie mit entschiedener
Ungunst als eine verhasste Person, der alle möglichen Frevel angedichtet
werden, darunter auch Landesverrath durch Vermählung ihrer Tochter
mit dem Sultan (Karadzic IL, 80 und 499). Als ihre Heimath wird Ragusa
angegeben; ihre Vermählung mit Georg Brankovic erscheint als ein grosses
nationales Ereigniss.
Doch aus der geschichtlichen Vergangenheit reisst uns die lebendige
Gegenwart, und wir sehen in Visegrad überall neues Leben aus den
Ruinen blühen. Der bisher geringe Geschäftsverkehr nach Serbien und
dem Paschalik Novibazar beginnt sich zu heben, und es ist bezeichnend
— 19S —
199
Auf den Ausläufern des Crni Vrh.
(Pinus leucodermis-Gruppe.)
für die verschiedenen Sicherheitsverhältnisse in den beiden Grenzländern,
dass die Serben aufathmen, wenn sie bosnischen Boden unter den Füssen
haben.
Wir hatten für den nächsten Morgen die Weiterfahrt auf dem Flusse
beschlossen, doch regnete es in Strömen, sodass eine ernste Berathung
stattfand, ob nicht ein Warten geboten sei. Gegen 7 Uhr schien sich
das Wetter zu bessern, und so ging es denn mit frischem Muthe vorwärts.
Unser Floss, das am Abend unterhalb Starigrad hatte anlegen müssen,
war früh bis zur Drinabrücke 'vorgedrungen, und hier vollzog sich die
Einschiffung der wesentlich vergrösscrten Reisegesellschaft. Wir hatten
schon einige Male auf eine glückliche Fahrt angestossen, als sich plötzlich
wieder der Himmel zu verfinstern begann und ein Unwetter niederging,
— 200 —
Schluchten iindung des Zepaflusses.
wie es ärger nicht sein konnte. Aber um so wildromantischer zeigte sich
die Gegend. Rechts und links traten die Felswände immer naher an den
Fluss, immer stiller wurde es in der Natur, nur hoch oben in den Lüften
kreisten einige Adler. Wie unser forstmännischer Begleiter sagte, ist hier
überall Bären- und Gemsenrevier. Anderthalb Stunden von Visegrad
entfernt, mündet ein mächtiger warmer Bach am rechten Ufer in die
Drina. Es ist der Banjski-Potok, der Ausfluss einer starken Quelle von
28 Grad Reaumur mit schwach salzigem Geschmack, aber ganz reinen und
geruchlosen Wassers. Ein altes steinernes Brunnengehäuse überwölbt ein
aus massiven Quadern hergestelltes Bassin. Die Anlage ist uralt, und die
Bewohner der Umgebung hegen noch heute das grösste Zutrauen zur
Heilkraft dieser Naturspende; sie benutzen die Quelle bei den ver-
schiedensten Anlässen zur Bade- oder Trink-Kur. Der 508 m hohe Berg,
in welchem die Thermenschlucht liegt, heisst bei den Anwohnern Banjsko-
Brdo, der Badeberg. Eine zweite Therme von gleicher Temperatur und
Mächtigkeit findet sich eine halbe Stunde von der ersten entfernt in der-
selben Schlucht.
Hoch oben auf einem Berge wird das türkische Dorf Milosevic sichtbar;
in einer Einsattlung zeigen sich Adlerhorste, an den Felswänden sieht
man Höhlen, einige mit künstlichem Gemäuer, die von der Bevölkerung
für alte Gefängnisse erklärt werden. So ging es bei andauerndem Regen-
wetter stundenlang fort. Links hatten wir die Ausläufer des Crni Vrh
und der 1288 m hohen Snjeznica, dann passiren wir die sogenannte
Metnaluka, eines der wildreichsten Terrains der Gegend, auch von Bären
bevölkert. Sodann kommen wir zur Einmündung des Baches Suchidol
und bald darauf hatte unsere Fahrt für diesen Tag ihr Ende erreicht.
Das Wetter besserte sich nicht, und da unsere Flösser erklärten, beim
Mali Bug — einem Katarakt — müssten wir aussteigen, da möglicher-
weise das Floss zerschellen könne, sie würden allein versuchen, durch
die wilde Fluth zu kommen, so beschlossen wir, die Umgehung über
Staribrod anzutreten. Das Dorf liegt auf einem Plateau, über das die
Drinastrasse nach Visegrad führt. Es ist ein alter, vielbenutzter Weg,
wahrscheinlich schon in römischen Zeiten angelegt worden, aber nur für
Reiter und Fussgänger passirbar. Doch ist die Anlage einer Fahrstrasse
projektirt. Unser Aufstieg nach Staribrod bei strömendem Regen über
Steingeröll war gerade nicht angenehm, aber bald fanden wir in einem
bosnischen Bauernhause gastliche Unterkunft. So sassen wir um das stets
offene Heerdfeuer in dem einzigen grossen Räume, der Wohn- und Schlaf-
zimmer wie Küche zugleich bildet, und der in der Höhe bis unter das steile
Dach reicht, wo dem Rauch durch einige Luken ein Ausweg gelassen ist.
Da keine Aussicht auf Besserung der Witterung war. beschlossen
wir, hier zu übernachten. Unser Wirth war ein ziemlich wohlhabender
Mann, er besass viel Vieh, das, von den Kindern gehütet, sich auf der
Weide befand. Seine Frau Ljubica hatte eine hohe prächtige Gestalt
nebst einem geradezu klassischen Profil, und sie suchte in jeder Weise für
das Wohlbefinden ihrer Gäste zu sorgen. Stühle gab es nicht. Die Pritsche,
die einen grossen Theil des Küchen- und Wohnraumes in einem bosnischen
Hauernhause einnimmt und die Nachts als Lagerstätte dient, wurde frisch
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Alte Brücke über die Z e p a.
— 204 —
gewaschen, mit Stroh und dann mit neuen Decken, die im Hause
angefertigt waren, belegt. Hier sass ein Theil der Gesellschaft. Eine
Truhe diente einem anderen als Ruheplatz, und nur meine Frau erhielt
einen niedrigen Schemel nach Art der Schusterstühle. Es wurde von
unserem mitgebrachten Proviant gegessen, getrunken, schwarzer Kaffee
gekocht. Die Unterhaltung war sehr lebhaft, da immer neue Besucher
aus den umliegenden Häusern kamen, die sich die Fremden ansehen wollten.
Unsere Flösser waren auch eingetroffen und lagerten auf dem Erdboden
am Feuer, das mit starken Scheiten stets genährt wurde. An allen
Wänden und auf Stangen über dem Feuer aber hingen die nassen Kleider,
Regenmäntel und Plaids, die Luft durch die nassen Dünste nicht gerade
verbessernd. Hier mussten der Bezirksvorsteher und der Oberlieutenant
Abschied nehmen. Ihr Dienst erlaubte kein Uebernachten; sie hatten noch
einen dreistündigen Gebirgsmarsch vor sich, ehe sie zu dem Orte gelangen
konnten, wohin sie Pferde vorausgesandt hatten. So trennten wir uns
denn mit lebhaftem Bedauern von den liebenswürdigen Herren und ver-
suchten dann, uns die Zeit durch Rauchen und Erzählen zu verkürzen.
Unser Wirth brachte aus dem Garten frische Zwetschken und Wallnüsse,
und es liess sich eigentlich ganz behaglich hausen, wenn die Gesammtlage
auch einen etwas feldmässig wilden Anstrich hatte.
Um unseren Proviant für die nächsten Tage zu schonen, wurde
zwei Haushühnern der Garaus gemacht und sie am Spiesse gebraten, dazu
vorzügliche Kartoffeln in der heissen Asche gebacken. Ein Kochen der
Kartoffeln oder eine andere Zubereitungsart kennt der bosnische Bauer
nicht. Und dann kam die Ruhe! Der Hausherr, der sich neben das
Feuer niedergestreckt, unterhielt dieses die ganze Nacht. Auf der Pritsche
lagen wir Mann neben Mann, selbstverständlich angezogen und mit eigenen
Sachen zugedeckt; am Feuer schnarchten die mohammedanischen Flösser.
Draussen aber regnete es unaufhörlich weiter. Ich musste an die armen
Kinder unseres Gastfreundes denken, die am Abend mit dem Vieh nach
Hause gekommen waren, in Wasser gekochte kohlschwarze Nudeln, ein
Stück Brot und ein paar Pflaumen bekommen hatten, und die dann in das
Kukuruzfeld gehen mussten, um die Frucht vor Wildschweinen zu be-
wahren. Sie hatten nur Leinenhosen und Hemd, ein Stück einer aus
Ziegenhaaren gewebten Decke und damit genug. Ein Beil war zur
Verteidigung bestimmt. Es ist unbeschreiblich, wie genügsam Menschen
und Thiere in Bosnien sind. Auch die Thiere haben nur in seltenen
Fällen beim Bauer Ställe; sie bleiben Sommer wie Winter im Freien.
Erst in neuerer Zeit beginnen die Landleute nach und nach Ställe oder
wenigstens nothdürftige Unterkünfte herzurichten.
Der Morgen tagte nicht besonders hoffnungsreich. Dicker Xebel lag
auf den Bergen und in der Richtung des Flusses, aber es regnete wenigstens
— 20; —
nicht. So nahmen wir Abschied von Staribrod, drückten unseren Haus-
wirthen die Hand und begannen den Umgehungsmarsch zur Drina.
Unsere Bemannung sprang mit dem Gepäck über Stock und Stein. Aus
Vorsicht hatten wir schwere Kotzen geborgt, um erforderlichenfalls ein
Wetterdach errichten zu können. Unser Fahrzeug hatte den Katarakt
ohne Unfall passirt, um 6 Uhr früh ging es abwärts vom Malibug. Die
Gegend war entzückend. Schroff hoben sich hinter uns die Hänge der
Rujnik Planina empor, vor uns rechts den 1341 m hohen Rogopek, links
die Zlatärica und die Tesla Planina. Hoch oben aber in den Schluchten
wurde von Zeit zu Zeit ein Dorf oder einzelne Häuser sichtbar, über den
Staragorske Stjene Razdolje, rechts in bezaubernder Lage Dolnji-Stitarevo.
Aber unsere Fahrt dauerte nur einige Stunden, dann musste sie wieder unter-
brochen werden. Vor uns lag der Slap, eine Felsenenge von gigantischen
Formationen, wo das ganze Flussbett von Felsklippen starrt. Nur ein
schmales Rinnsal ermöglicht bei gutem Wasserstande das Passiren, und
doch kommt es häufig vor, dass . das Floss in dem brausenden Gischt
zerschellt, dass die einzelnen Stämme weiter unterhalb aufgefangen und
das Floss neu zusammengesetzt werden muss. Die Flösser lassen hier
meist ihr Fahrzeug leer laufen, sie selbst schlagen den Landweg zur
Umgehung des Slap ein. Es ist dies ein bedeutendes Hinderniss für die
Schifffahrt, und die Regierung beschäftigt sich mit dem Gedanken der
Sprengung der hauptsächlichsten Verkehrshindernisse. Die Kosten sind
allerdings ziemlich bedeutend.
Auch wir mussten vor der Einmündung der Zepa in die Drina am
linken Ufer aussteigen. Unser bisheriges Floss blieb bis zu höherem
Wasserstande liegen, denn jenseits des Slap erwartete uns bereits ein
anderes Fahrzeug mit steirischen Flössern. Zwei Flösser aus der grünen
Steiermark haben sich in diesem Theile Bosniens angesiedelt; sie schlagen
Bauholz aus den unermesslichen Urwaldungen und bringen es zum Verkauf
nach den Savegegenden, meist nach Schabatz und Belgrad. Da sie über
kein grösseres Kapital verfügen, die Stämme der Forstverwaltung aber
baar bezahlen müssen (freilich wenig genug), so ist ihr Geschäft mühsam
und nicht besonders lohnend. Erst der Bau einer grossen Holzriese wie
in den heimischen Bergwäldern könnte es ertragreicher machen. Die
bosnische Bevölkerung nennt die beiden Steirer »Sterci«, jedenfalls ab-
o-eleitet von »Stajerci«, so aber mehr an den steirischen Sterz erinnernd
und daher auch nicht schlecht gewählt. Diese Flösser erwarteten uns
selbstverständlich ohne ihr Fahrzeug — vor der Zepamündung, und da
sie einen Weg längs des Ufers, auf dem von einem Stein auf den andern
gesprungen werden muss, für »Europäer« mit ihren Fussbekleidungcn als
absolut unpassirbar bezeichneten, hiess es die Höhe hinanklettern. Es
war ein entsetzlicher Geröllweg, kaum für Gemsen oder Ziegen einen
206
E9?oty
»Frohe läge.« (Lammbraten am Spiesse.)
sicheren Tritt bietend. Auf der linken Seite eine Felswand, rechts fast
stets Abgründe und Abstürze, dazu das Gestein vom Regen nass und
glitschig. Es war ein unangenehmer Aufstieg, und, wie wir später erfuhren,
hätte es etwas vorher erträglichere Punkte gegeben, um die Strasse auf
dem Gebirge zu gewinnen. Unsere Begleiter halfen aber mit Kraft
und Geschick über die schwierigen Stellen hinweg. Endlich erreichten
wir einen Fusspfad, die Reste einer gepflasterten Strasse, und da bot sich
ein wundervoller Anblick. Mitten in der Wildniss führt eine prächtige
steinerne Brücke in einem einzigen kühnen Bogen über die Zepaschlucht.
Tief unten wälzt der wilde Gebirgsbach seine reissenden Fluthen der Drina
zu, oben aber zeisrt das Gebilde von Menschenhand die einstige türkische
Baukunst, Sokolovic Pascha hat auch diese Brücke, wahrscheinlich zu
der gleichen Zeit wie diejenige in Visegrad errichten lassen, und noch
heute geht über sie, so schlecht der Reitweg ist, die Hauptverbindung der
Drina -Ufergegenden.
Auf einem Plateau liegt das zerstreute Dorf Zepa, wo wir bei einer
Quelle ruhten, um dann den Abstieg längs der Ausläufer der Sjemae-Planina
anzutreten. Es dauerte geraume Zeit, bis wir unser zweites Floss er-
reichten, das erst etwas bequem hergerichtet werden musste. So errichteten
14
— 209 —
wir zuvor eine Art Freilager am Flusse und hielten ein lukullisches
Mahl, zu dem uns die Sonne von oben ihre wärmsten Strahlen sandte.
Vergessen waren alle Strapazen und Beschwerden der letzten Stunden.
In der Berg- und Waldeinsamkeit fühlten wir uns glücklich und die smaragd-
grünen Wellen der Drina rauschten ein Schlummerlied. Hier nahmen wir
Abschied von unseren Gorazdaer Flössern, die noch das Gepäck auf das
neue Fahrzeug übertragen hatten und die nun den Marsch in die Heimath
zu Fuss antraten. Sie hatten sich in jeder Beziehung bewährt; und es that
uns förmlich leid, sie scheiden zu sehen. Dann bestiegen wir wieder
unser »Schiff«, und vorwärts ging es in die hier rauschende Fluth. Die
Gegend ist hoch interessant, an den Kazanpass der unteren Donau er-
innernd. Vier Stunden lang fährt man zwischen steilen Felswänden, die
oft unterwaschen sind und tiefe Höhlen zeigen. Todtenstille herrscht in
der Natur, nur Geier und mächtige Adler schweben in den Lüften, während
hin und wieder ein Fischreiher über dem Wasser streicht oder auf einer
Sandbank ohne jede Scheu ausruht. Die Felswände selbst sind wenig be-
waldet, doch wachsen Schwarzkiefern, riesige Nussbäume und auch Silber-
linden oft mitten aus dem Gestein, an Stellen, wo das Auge nicht den
mindesten Halt gewahrt. Auf den Höhen aber ist dichte Waldvegetation,
meist Steinbuche, Kiefer und Weissdorn.
Wir haben, von der Einmündung des Bausnickabaches angefangen,
rechterseits jetzt das Königreich Serbien, dessen Ufergebirge auf weite
Strecken sich ziemlich kahl zeigen. Anfangs hat der Fluss noch einen
streng nördlichen Lauf; links wird er von dem 1094 m hohen Jasenovac,
dann von der 1246 m hohen Zvjezda, hinter der sich der Igrisnik (1518 m)
erhebt, begrenzt. Dann springt die Javor-Planina scharf gegen den Strom
vor, der einen weiten Bogen nach Osten beschreibt. Es war schon ziemlich
spät am Tage geworden, als wir an der mächtigen Kuppe der Ljutica
(1243 m) vorüber, deren äusserste Hänge eine umfangreiche Burgruine mit
zwei zerfallenen Wachtthürmen tragen, gegen Klotievac zulenkten. Eine
gefährliche Stelle wollten unsere Flösser nicht bei Dämmerung passiren,
und so legten sie vorzeitig am Ufer an, während es für uns hiess, einen
Marsch von dreiviertel Stunden nach der Finanzwach-Kaserne in Klotievac
zurückzulegen. Fremde Reisende, die von der Regierung empfohlen sind,
finden in solchen Gegenden, wo keine Gasthäuser oder nur die landes-
üblichen Hans vorhanden sind, in den Gendarmerie- oder Finanzwach-
Kasernen Unterkunft und Verpflegung gegen einen billigen Tarif. Es ist
dies eine nicht genug anzuerkennende Vergünstigung, und besonders bei
der Gendarmerie ist man ganz vorzüglich aufgehoben. Wir hatten einen
unangenehmen Aufstieg vom Ufer zur Höhe, fanden dann aber einen Fuss-
weg, den wir nicht verfehlen konnten. Hierauf überschritten wir einen Bach
auf einem einfachen Bauinstamme als Brücke, über einen zweiten konnten
Auerhahnbalz in den Wäldern an der Drina.
wir erst setzen, nachdem aus einer nahen türkischen Mühle einige Balken
requirirt worden waren. Nicht lange darnach erreichten wir unser Tages-
ziel. Die Finanzkaserne war ein schönes, grosses Gebäude, da> einen
Hügel krönte und weithin auf das serbische Drina-Ufer einen Rundblick
erlaubte. Die Aufnahme war freundlich, Zimmer und Betten rein und gut,
aber ausser Milch war zur leiblichen Stärkung nichts zu bekommen, auch
war keine Köchin vorhanden. Wir hatten jedoch noch Enten und Gulyasch-
Konserven, Wein und Trauben, sodass ein köstliches Mahl hergerichtet
wurde. Dann stieg der Duft vorzüglicher bosnischer Cigaretten in die
kühle, aber würzige Nachtluft, bis uns endlich der Traumgott umfing.
Der nächste Morgen sah uns mit dem Tagesgrauen auf den Beinen.
Einen steilen Pfad ging es durch thaufrische Wiesen und niedriges Ge-
strüpp ziemlich senkrecht zur Drina hinab, wo unser Floss bereits an-
gelegt hatte. Wir hatten heute kaum 15 Minuten gebraucht. Die Sonne
tauchte gerade hinter den serbischen Grenzgebirgen auf, als unser Floss
sich in Bewegung setzte. Das Ufer ist hier anfangs auf bosnischer Seite
niedriger als auf serbischer; das Wasser hat wenig Gefälle und schleicht
ziemlich träge dahin. Unsere Flösser hatten eine schlechte Unterkunft
gehabt, auch früh noch keinen Sterz machen können, sodass sie gries-
grämig in die Welt sahen. Diesem Missmuth wurde aber bald abgeholfen.
Unser forstmännischer Begleiter, selbst ein Steirer, errichtete aus einigen
grossen Steinen einen provisorischen Herd auf dem Hintertheile des
Flosses; die Hälfte eines leeren blechernen Petroleumbehälters wurde dar-
auf gestellt und in diesem Feuer angemacht, das lustig flackerte. Dann
bewies der eine der Flösser seine Kochkunst, sodass auch ihr Magen sich
bald gesättigt zeigte, besonders als wir durch einen Liter Wein dafür
sorgten, dass der fette Sterz besser verdaut werden konnte.
Die serbische Seite ist dem äusseren Anblick nach weit civilisirter;
dort sieht man überall Anbau und Felder, sogar eine Fahrstrasse längs
des Ufers. Die Befreiung von türkischer Herrschaft hat ihre Früchte ge-
tragen. Wenn man freilich der Sache tiefer auf den Grund gehen wollte,
würde man bald erkennen, wie trügerisch diese serbische Civilisation ist
und wie viel mehr die bosnische Bevölkerung Grund hat, mit ihren Ver-
hältnissen zufrieden zu sein. Nach einigen Stunden Fahrt erreichten wir
Gjurgjevac, dessen neue Gendarmeriekaserne schon von weither sichtbar
ist. Hoch über dem Orte liegen ausgedehnte Mauerreste einer alten Burg;
am serbischen Ufer in den Felsen das Dorf Branovina, wo einstmals Weinbau
betrieben wurde. Bei Pernocac, unweit davon, aber nahe am Flusse gelegen,
ist dies heute noch der Fall. Dort steht eine stattliche Säge nebst einer
Holzriese. Die Gegend wird beiderseits belebter; die Berge treten mehr
zurück, die jähen, schroffen Abstürze sind seltener, die sanfteren Ab-
dachungen häufiger. Hin und wieder tritt auf bosnischer Seite eine Moschee
in den Vordergrund, besonders malerisch in dem Dörfchen Gornji-Peci.
Bei Barakovac starrt der Fluss voll Klippen; nur eine kleine Fahrrinne
blieb bei dem niederen Wasserstande, doch entging unser Fahrzeug allen
Fährlichkeiten. Längs des serbischen Ufers wäre leichteres Fahren ge-
wesen, doch scheuten unsere Flösser diese Seite, da Chikanen serbischer
amtlicher Organe nicht gerade zu den Seltenheiten gehören. Das Gelände
ist rechts und links niedrig und schön bewaldet, in Serbien wie ein ge-
pflegter Park. Hier bekamen wir seit Tagen den ersten Wagen zu Gesicht,
der in schlankem Trabe dem Städtchen Bajna-Basta zustrebte. Der Ort
selbst, der dem bosnischen Skeliani gegenüber liegt, ist nicht sichtbar, er
liegt etwas landeinwärts, am Ufer steht nur eine serbische Karaula (Wacht-
haus) und eine Mehana (Gasthaus). Auf bosnischer Seite ist eine neue
Gendarmerie-Kaserne erbaut, und da hier eine Ueberfuhr besteht — wie der
Name des Ortes anzeigt — ist auch eine Finanzwache stationirt. Auf den
Feldern stand Tabak, der übrigens auch schon um Klotievac angebaut wurde.
»Deutsche Worte hör' ich wieder!« konnten wir auf einmal ausrufen;
nur kamen sie nicht, was weniger zu verwundern gewesen, vom bosnischen,
sondern vom serbischen Ufer. Unsere Begleiter waren von einem kleinen
lebhaft gestikulirenden Herrn, der gerade einigen Serben das Gegentheil
von Schmeicheleien an den Kopf geworfen hatte, erkannt worden. Es
war ein Wirth aus Srebrenica, den Holzgeschäfte hierher geführt hatten
und der sich mit uns auf Distanz lebhaft unterhielt. Immer lieblicher
wurden die Ufer, saftig grüne Matten dehnten sich bis zum Wasser aus,
reizende Baumpartien, in denen serbischerseits hübsche Ziegelhäuser standen,
konnten an Schweden erinnern. Da der Abend hereingebrochen, landeten
wir eine halbe Fahrstunde unterhalb Fakovic, in dessen Finanz-Kaserne
wir auf gastliche Unterkunft hofften. Es stand uns aber noch ein wenig
angenehmer Nachtmarsch bevor. Ueber einen schlechten Geröllweg hatten
wir die Anhöhe erklommen, aber nun trat die Dunkelheit mit aller Macht
ein, der Fusspfad war nicht mehr sichtbar, zudem begann es zu regnen.
Ueber Stock und Stein, immer in der ungefähren Richtung der Kaserne
ging es vorwärts, über Stoppelfelder, an langen Trockenschuppen für
Tabak vorüber. Einmal stolperten wir über Stricke, mit denen Rinder im
Freien angepflockt waren, aber wir erreichten eine breite Fahrstrasse und
damit hatten wir gewonnen. Bald befanden wir uns unter Dach, doch
mussten wir von unseren Vorräthen zehren.
Trübe brach der fünfte Morgen unserer Argonautenfahrt herein. Ein
leichter Sprühregen, der sich bald in einen ausgiebigen Guss verwandelte,
schien uns eine wenig angenehme Fahrt zu versprechen. Nach dem
üblichen Frühmarsch zum Floss versuchten wir, ein Regendach zu impro-
visiren, was theilweise gelang. Erst gegen 8 Uhr traten wir die Fahrt an.
Es herrschte etwas gedrückte Stimmung, besonders da unsere Weinvorräthe
214
ihrem Ende nahten und wir aut Sparsamkeit angewiesen waren. Die
Gegend wurde auf beiden Seiten flacher, gut bebaute Felder, zahlreiche
Häuser, hie und da kleine Kirchen neuer Bauart wurden sichtbar, oft
grüsste uns freundlicher Zuruf der Bewohner, und auch Serben riefen uns
Im Drina-Defile.
ihr: »Sretan put!« (Glückliche Reise!) zu. Im Flusse traten immer mehr
Sandbänke, kleine Inseln und Schotterbänke auf, und unsere Flösser be-
gannen besorgte Gesichter zu machen. Dafür besserte sich das Wetter,
und um 10 Uhr leuchtete die Sonne in voller Klarheit. So wurden die
Schlangenwindungen der Drina bei Tegare überwunden; links grüssten
215
uns die Waldgebirge der Srebrenicaer Gegend, rechts winkten die hohen
Häupter der Azbukova-Planina. So waren wir glücklich bis in die Nähe
von Voljevica gelangt, als unser Floss auf einmal auf einer Schotterschicht
festsass. Flugs sprangen unsere Flösser ins Wasser und versuchten, das
Fahrzeug flott zu machen, aber dieses wich und wankte nicht. Da war
guter Rath theuer, besonders als die angestrengten Bemühungen sämmt-
licher Fahrenden zwei Stunden lang vergeblich blieben. So nahe am Ziele
zu scheitern, wäre doch ein zu schmerzliches Ende der prächtigen Wasser-
partie gewesen. Das Schicksal hatte es auch anders beschlossen, es war
uns noch einmal günstig. Es wurde mit vereinten Kräften ein Drehen
des Flosses versucht. Lange rührte es sich nicht, dann ein plötzlicher
Ruck, ein Krachen und Knirschen in den Stämmen, und langsam glitten
wir von der Stelle. Noch einige kleine Hemmnisse suchten uns zwar auf-
zuhalten, aber bald befanden wir uns in besserem Fahrwasser und nach
3 Ihr Nachmittags legten wir am Ufer in Ljubovija an. Die Wassertour
war trotz des niedrigen Wasserstandes geglückt! Das Floss wurde am
Lande befestigt, da es hier vorläufig liegen bleiben musste, wir aber suchten
die auf einer kleinen Erhöhung an der Fahrstrasse Zwornik-Srebrenica
liegende Gendarmerie-Kaserne auf, wo wir mit offenen Armen empfangen
wurden. In den schön gepflegten Gartenanlagen sassen wir bald bei
schäumendem Bier, und die Köchin bereitete einen vorzüglichen Mailänder
Risotto.
Ljubovija besitzt eine ungemein malerische Lage. Die Drina ist sehr
breit, und am serbischen Ufer in einer ausgedehnten Ebene liegt der
serbische Ort gleichen Namens, im Vordergründe ein Wachthaus, Zoll-
gebäude und eine Mehana. Hier findet ein ziemlich reger Verkehr zwischen
beiden Ufern statt, weshalb auch in Bosnisch-Ljubovija eine Finanzkaserne
und umfangreiche Lagerräume erbaut sind. LTeberhaupt macht der Ort
mit seinen vielen neuen Gebäuden — darunter ein grosser türkischer
Han - - einen wohlhabenden und freundlichen Eindruck. Wir blieben bis
zum Einbruch der Dämmerung, dann bestiegen wir einen mittlerweile be-
sorgten Wagen und rollten in schlankem Trabe unserem nächsten Ziele,
der alten Bergwerksstadt Srebrenica zu, die in zwei Stunden erreicht wurde.
Am Wege liegen einige gut gebaute ausgedehnte Dörfer mit Läden, Cafes,
Kirchen und Moscheen, rechts und links der Strasse wohlbestellte Felder,
zum Theil mit Tabak bepflanzt. Bewaldete Höhen, über die sich immer
höhere Kuppen erheben, begrenzen auf allen Seiten den Blick. Es ist
ein entzückendes Meer von Grün. Endlich verengt sich das Thal — wir
sind in Srebrenica!
■5?C
Eine alte bosnische Bergwerksstadt.
Srebrenica ist ein kleines, etwa 1 500 Bewohner zählendes, malerisch
V
gelegenes Gebirgsstädtchen, durch das sich die Krizevica und der Cicevac-
Bach schlängeln. Hoch über der Stadt steht auf einem Trachytgrate ein
kleines türkisches Fort und noch höher eine schöne, ausgedehnte, mittel-
alterliche Burgruine mit zwei Thürmen. Wem die Stadt ihre Entstehung
verdankt, ist unbekannt; 1376 wird sie (wie Professor Dr. Jirecek in seinem
Werke: »Die Handelsstrassen und Bergwerke von Serbien und Bosnien
während des Mittelalters«, Prag 1879, angiebt) zuerst genannt, wo sie bereits
ein lebhafter Handelsplatz war und eine ragusanische Ansiedlung besass.
Im Jahre 1410 wird Srebrenica von den Ungarn erobert. 141 1 — 1440
ist es in serbischem, 1440 — 1443 in türkischem Besitze und wird 1443
wieder von den Bosniern eingenommen. Dies gab jedoch Veranlassung
zu einem langen Kriege zwischen Serbien und Bosnien um den Besitz des
wichtigen Bergwerksortes, wobei die Stadt durch wiederholte Eroberungen
sehr viel zu leiden hatte. Seit 141 7 bestand in dem Silber, Blei und Kupfer
produzirenden Srebrenica (die Silberstadt) eine Münzstätte. Das Franziskaner-
kloster, einst das Hauptkloster des Ordens und mitten in der Stadt gelegen,
erscheint schon 1425 in Ragusaner Urkunden und wurde 1686 zerstört. Von
ihm erhielt die bosnische Kirchenprovinz den Namen »Bosna Argentina .
Ragusaner gab es hier noch am Ende des 15. Jahrhunderts. Im An-
fange des 16. Jahrhunderts ging der Bergbau vollständig ein. Im Jahre
1881 wurde der alte Bergbau durch die Gewerkschaft »Bosnia« wieder
Kopfleiste : Vignette auf dem Titelblatt einer Evangelien-Uebersetzung aus der alten
Bergwerksstadt Olovo von 1586, gedruckt in Venedig in altkroatischer Sprache.
217 —
erweckt und die vorgenommenen Detailstudien, die Untersuchung der
überall vorhandenen Schlackenhalden, erbrachten den Nachweis, dass bei
Srebrenica ein räumlich ausgedehnter und sehr lebhafter Bergbau betrieben
worden sei, dessen Mittelpunkt sich in dem heutigen Dorfe Gradina befand.
Hier war das Centrum unter der römischen Kaiserzeit, während das Dorf
Sase und die Stadt Srebrenica die Hauptansiedlungen der Bergleute des
Mittelalters waren.
Zur Kenntniss der alten römischen Ansiedlung kam man ganz zufällig
durch Münzen- und Inschriftenfunde. Im Jahre 1883 wurde der Bergmeister
Ludwig Pogatschnig, der die Untersuchung der alten Gruben am Kvarac
leitete, aufmerksam, dass in Gradina zur Eindämmung des Wassergrabens
bei einer [kleinen Hausmühle ein kannelirter Gesimsstein verwendet war,
den der Mühlenbesitzer einem in der Nähe gelegenen Steinhaufen ent-
nommen hatte. Bei weiterer Umschau fand er Bruchstücke eines Inschrift-
steines, die zusammengestellt eine Ära mit folgender theilweise verstümmelter
Inschrift ergaben:
»I(ovi) o(ptimo) m(aximo) et Genio loc(i) pro salute imp(eratoris) M(arci)
A(ntonii) Gor(diani) Pii Fel(icis) Aug(usti) n(ostri) . . . tus v(ir) e(gregius) proc(urator)
eius devotus numini ruaiestatique eius.«
Gelegentlich der Vorarbeiten für eine Freifahrung der grossen Blei-
schlackenhalde in Gradina entdeckte der Bergmeister 1884 einen Denkstein
von hohem archäologischen Werthe. Derselbe bildet einen Würfel von
1,14 m Höhe, 0,69 m Breite und 0,45 m Dicke. Die Schriftfläche ist von
einem einfach profilirten Rahmen eingefasst und lautet nach der Lesung
des Professors Dr. v. Domaszewski:
»L. Domitio . . Eroti viro ex equestribus turmis egregio procuratori metallorum
Pannoniorum et Delmatiorium, mirae integritatis et bonitatis M. Aur. Rusticus v. e.
ducenarius amico praestantissimo«.
Der Stein ist demnach ein Ehrendenkmal des Lucius Domitius Eros,
procurator metallorum Pannoniorum et Delmatiorum. Domitius war nach
dem angeführten Titel der oberste Leiter der Bergbaue von ganz Dalmatien
und Pannonien, d. h. der heutigen Länder Dalmatien, Bosnien und des
Landes westlich der Donau vom Einflüsse der Theiss bis an den Wiener-
wald, dann der östlichen Theile von Steiermark und Krain. Es muss so-
mit Srebrenica während der römischen Kaiserzeit ein Hauptpunkt des Berg-
baues in diesem ausgedehnten Gebiete gewesen sein. Nun galt es aber, die
genaue Lage der römischen Niederlassung selbst zu entdecken. Die Gewerk-
schaft »Bosnia« liess durch Monate Grabungen in Gradina veranstalten, und
da stiess man bald auf ein Mauerfundament, das an einigen Stellen bis zu
2 72 m unter der Grasdecke lag. Es wurden die Umrisse eines rechteckigen
Gebäudes von 51 m Länge und 19,5 m Breite aufgeschlossen, dessen Haupt-
front gegen Norden gerichtet war und welches an der Südseite in der
— 218 —
Mitte eine halbrunde Apsis und an jeder Seite derselben einen recht-
eckigen Anbau besass. Aus der Form des Mauerwerkes konnte man
ferner ersehen, dass an der Westseite des Gebäudes ein späterer Zubau
vorgenommen wurde, welcher die ursprüngliche Symmetrie des Ganzen
störte. Der Bau bedeckt eine Fläche von 910 qm und besitzt drei Ein-
gänge, nämlich ein breites Thor an der nördlichen Hauptfront und zwei
schmale Thüren an der Südseite. Man fand bei der weiteren Grabung
zwei grosse Inschriftsteine, die zum ersten Male den Namen des alten
römischen Municipiums erkennen liessen:
»Imp. Caes. M. Aurel. Severo Alexandro pio fei. invicto Aug. pont. max.
trib. pol. X. pat. p. cos I indulgentissimo prineipi ordo raun. Dom. d. d. p. p.
dedicante Jul. Tacitiano v. e. proc. Aug. n. numini eius devotissimo et
dicatissimo«.
»Juliae Mamaeae Aug. matri Imp. Caes. M. Aur. Severi Alexandri pii fei.
invic. Aug. et cast. et Senat ac patr. ordo mun. Domav. d. d. p. p. dedicante Jul.
Tacitiano v. e. proc. Aug. (n.) devotissimo numini eorum«.
Es sind dies zwei Ehrensteine des Kaisers Alexander Severus und
seiner Mutter Julia Mammaea, errichtet von dem Municipium Domav. . . aus
öffentlichen Geldern und geweiht von dem Prokurator Julius Tacitianus,
welcher wahrscheinlich Prokurator der Bergwerke war. Stellenweise sind
die Inschriften dieser zwei Steine durch nachträgliche Ausmeisselung un-
deutlich geworden, und es mag diese Verstümmelung im Jahre 235 nach
dem Sturze des Kaisers Alexander Severus durch seinen Nachfolger
Maximus erfolgt sein, zu welcher Zeit nach römischem Brauche alle dem
Ersteren geweihten Denkmale umgestürzt werden mussten. Der Fund
dieser zwei Steine war wichtig, weil aus ihnen sich der Name des Muni-
cipiums, wahrscheinlich Domavia, ergab, das bis dahin gänzlich unbekannt
war. Man fand noch eine 12 cm hohe, gut erhaltene Broncestatue der
Venus sammt dem dazu gehörigen Postament aus Bronce. An der Statue
sah man Stellen, wo noch der Formsand angebrannt war und am Postamente
solche, welche nicht gut ausgelaufen waren. Es hatte daher den An-
schein, dass diese beiden Gussstücke als Ausschuss verworfen worden seien,
und Bergmeister Pogatschnig schloss daraus, dass entweder in dem ge-
öffneten Gebäude selbst oder in dessen nächster Nähe eine Metallgiesserei
beziehungsweise eine Hütte bestanden habe. Westlich vom Haupteingange
stiess man auf einen Bleikuchen im Gewichte von 6700 g, auf dessen
Oberfläche die Zahl XX eingeschlagen stand, offenbar jene Form, in welcher
die römische Hütte in Domavia das Blei zur Versendung brachte. Die
Zahl XX bedeutet wahrscheinlich 20 römische Pfunde und dürfte dies das
Normalgewicht für die Bergwerksprodukte gewesen sein. Zwanzig römische
librae entsprechen zwar nur einem Gewichte von 6549 g, aber das kleine
Uebergewicht des Kuchens von 151g dürfte theils auf eine Ungenauigkeit
der Gussform, theils auf die Oxydation des Bleies an der Oberfläche zu-
219 —
Stadtansicht von Srebrenica.
rückzuführen sein. Ausserdem wurden Münzen, die bis zum Jahre 340
reichen und sonstige Gegenstände in reicher Zahl gefunden, sodass der
Beweis erbracht war, man habe hier eine bedeutende römische Bergwerks-
stadt entdeckt.
Erst im Jahre 1890 ermöglichte die bosnische Landesregierung durch
Bewilligung von Geldmitteln die Fortsetzung der Ausgrabungen in Gradina
in grösserem Umfange, und wurde Bergrath Radimsky mit der Leitung
der Arbeiten betraut. Vor allem war es nöthig, einen Ueberblick des
Umfanges der alten römischen Ansiedlung zu erhalten, was natürlich, da
das Terrain bebaut war, nur mit grosser Vorsicht und Geduld zu erreichen
war. Im Osten und Südosten des sogenannten Grad wurden ausgedehnte
römische Gebäuderuinen entdeckt und auf einem Plateau am rechten LTfer
des Sa^ebaches, unweit von seinem Zusammenflusse mit dem Majdanski
Potok, ein Rechteck von etwa 2500 Quadratmetern PTäche, an dessen
Umfan^v häufiges Mauerwerk mit dem ziegelgemischten römischen Mörtel
beobachtet werden konnte und in dem ein römisches Castrum vermuthet
wurde. Im Jahre 1891 wurden weitere Ruinenhügel sowohl in den Thälern
de- Majdan- und Sasebaches, als auch auf der Anhöhe, welche das heutige
Dorf Gradina trägt, entdeckt, und eine Aufnahme aller dieser Punkte er-
gab einen vollständigen Plan der Römerstadt Domavia.
— 220
Es war ein wundervoller Septembermittag, als wir von Srebrenica aus
die Fahrt nach Domavia antraten. Der Weg fuhrt auf der Strasse liegen
Ljubovija fast anderthalb Stunden, dann zweigt er rechts ab und fuhrt
in schnurgerader Richtung zwischen gut bebauten Feldern zu einem Ihm und
mehreren Häusern, wo der Wagen stehen gelassen und der Weg zu Fuss
angetreten werden musste. .Anfangs zwischen prächtigen saftigen Wiesen,
an einigen Bogomilensteinen vorbei, führt er dann an den Abhängen des
Kvarac entlang, alle Augenblicke einen Bach kreuzend, der entweder auf
einem Baumstämme überschritten oder durchwatet werden muss. Soviel
ist gewiss, dass der etwa fünfviertelstündige Weg nach Gradina an Bequem-
lichkeit viel zu wünschen übrig lässt und dass nach dem alten Domavia
einst eine bessere Strasse geführt haben muss. Die Gegend selbst aber
ist wunderschön; überall dunkle Laubwälder, üppige Matten und. wo sich
ein Fernblick bietet, die Aussicht auf die Höhenzüge an der Drina und
die in dunklen Tinten sich abhebenden serbischen Grenzgebirge. Bald
konnten wir unseren Fuss auf den Boden Domavias setzen, das gänzlich
verschollen war, dessen Namen keine Geschichte nennt, wenn nicht jetzt
die Steine selbst für sein einstiges Bestehen Zeugniss ablegen würden.
Die Erhöhung zum alten Castrum hinansteigend, begrüsste eine junge
Bäuerin unsern Begleiter, Herrn Bergverwalter Kolb, der ihr wohl bekannt
war, und sie versprach, uns bald Kaffee dorthin zu bringen, wo ernst die
alten Römer sich dem dolee far niente hingegeben: nach den Ruinen des
Bades. Dort begrüsste uns der heutige Leiter der Ausgrabungen, Herr
Worliczek, der uns bald als sachkundiger Führer diente. Die öffentlichen
Gebäude, die Curia, das Tribunalsgebäude, die öffentlichen Bäder sind
vollkommen freigelegt, und das Hypocaustum — die grosse Heizanlage
ist vorzüglich erhalten. Man wandert heute in den Strassen der alten Stadt,
die Umrisse der Gebäude sieht das Auge, das Ganze selbst muss die
Phantasie gestalten.
Wann Domavia zerstört wurde, erzählt keine Chronik; dass es nach
340 geschah, bezeugen die gefundenen Münzen. Gründlich war die Zer-
störung jedenfalls, denn die Ausbeute an kleineren Funden, an Metall-
objekten ist nur gering. Entweder haben sich die römischen Provinzialen
vor den andringenden Barbaren, den Avaren und später den Gothen,
freiwillig zurückgezogen, und dann nahmen sie sicher ihr bewegliches
Eigenthum, namentlich ihre Habe an Metallgegenständen soweit als mög-
lich mit, oder sie wurden von den Feinden mit Gewalt verdrängt. Im
letzteren Falle folgte zweifellos eine vollständige Ausraubung und Zer-
störung der Gebäude. Wie in Domavia gewüthet wurde, zeigen die sämmt-
lich umgestürzten und theilweise zerschlagenen Ehrensteine in der Curia,
von welchen der des Kaisers Septimus Severus sogar in seinen Bruch-
stücken aus verschiedenen Räumlichkeiten des Gebäudes zusammen ge-
sucht werden musste. Auch die vielen, aber sämmtlich kleinen Fragmente
der lebensgrossen Broncestatue, die auf dem Piedestale der Apsis stand,
sprechen für einen gewaltsamen Untergang. Der Schwerpunkt der er-
zielten Resultate liegt darin, dass der Bestand und die Ausdehnung einer
unbekannten römischen Bergwerksstadt in Gradina nachgewiesen ist, welche
eine Burg, sowie eine Ober- und eine Unterstadt besass. Unter den bis-
her gefundenen Inschriftsteinen, wovon 6 leider nur in Fragmenten erhalten
sind, finden sich zwei Aren, deren eine dem Jupiter und der Juno, die
andere dem Jupiter und dem Genius des Ortes geweiht war, 6 Ehrensteine
von Kaisern und deren Verwandten, 2 Ehrensteine von kaiserlichen Pro-
Ockerfabrik in Srebrenica.
kuratoren, 2 Steine, die sich auf die Wasserversorgung und eine Restau-
rirung der öffentlichen Bäder beziehen, endlich ein Grabstein. Ferner sind
die Namen von sieben hohen Würdenträgern bekannt geworden: Marianus
Julianus, procurator Augusti; L. Domitius Eros, procurator metallorum
Pannoniorum et Delmatiorum; M. Aurelius Rusticus, Ducennarius; Julius
Tacitianus, procurator Augusti; C. Julius Silvianus Melanio, procurator
Augusti; Valerius Super, procurator argentariarum; Aurelius Verecundus,
procurator argentariarum. Den Funden in Domavia, die sich jetzt grössten-
theils im Museum in Sarajevo befinden, ist daher eine besondere Wichtig-
keit beizumessen und die fortgesetzten Ausgrabungen dürften noch manche
Ueberraschung bringen.
Und als die Barbaren über Domavia dahingebraust waren, herrschte
Jahrhunderte lang Stille auf der Stätte des einst so grossen Verkehres. Auf
den Ruinen wuchs Gras, es wuchs Wald, und schliesslich verdeckte eine
Wildniss die Bergwerksstadt. Aber selbst in den Zeiten der steten Völker-
wanderungen, in denen Bosnien unzählige Male verheert wurde, bis sich
— 222
schliesslich die Stämme der Kroaten und Serben festsetzten, muss sich
die Tradition von Mineralschätzen erhalten haben. Ein halbes Jahrtausend
nach der Vernichtung Domavias lassen die bosnischen Baue wieder schürfen
am Kvarac und um Srebrenica. Sie trafen nicht die alten Stellen, aber
es ist nur ein Zufall, dass nicht sie bereits wieder Domavia entdeckten.
Deutsche Bergleute waren es hauptsächlich, die in jener Zeit des Mittel-
alters dem bosnischen Bergbauc ihre Dienste widmeten. Sachsen sind es
gewesen, und der Name des heutigen Ortes »Sase« (Sachse) hat ihr Ge-
dächtniss bewahrt. Sie kamen theils aus Siebenbürgen, theils aus der
Gegend von Freiberg in Sachsen, wenigstens ist eine Urkunde erhalten, in
welcher von dort gekommenen Bergleuten besondere Vergünstigungen
zugestanden werden. Ebenso jwaren sächsische Bergwerksansiedlungen in
Olovo, wo auf Blei geschürft wurde, entstanden.
Da kam die Eroberung des Landes durch die Osmanen. Der Berg-
bau schlief ein, und immer stiller wurde es in dem schönen Winkel zwischen
Drina und Jadar. Nicht einmal die Kriegsunruhen belästigten dieses Ge-
biet. Es lag abseits von der grossen Heerstrasse und in den Wäldern
suchte man weder Schätze, noch die Nachkommen der alten Bergleute, die
ohnedies kein Metall mehr verborgen [hatten. Nur Schlackenhalden er-
zählten von der alten gewerbsreichen Zeit, und als die neue Aera anbrach,
als Oesterreich-Ungarn Bosnien zu einer neuen Auferstehung verhalf, da
erstanden auch die Bergwerke von Srebrenica aus ihrem halbtausend-
jährigen Schlafe. Die Ausbeute lohnte sich aber nicht; der Betrieb wurde
nach mehrjährigen Bemühungen wieder eingestellt und nur die staatliche
Ockerfabrik liefert ein gutes Erträgniss.
Dafür hat aber Srebrenica durch ein anderes flüssiges Produkt seiner
Berge einen Weltruf gewonnen, durch das Wasser der Guberquelle. Früh
Morgens war es, als wir uns von der Stadt aus auf den Weg machten,
um eine der interessantesten neuen Anlagen in Bosnien zu besichtigen.
In südlicher Richtung führt eine gutgebaute Fahrstrasse, immer bergan
steigend, durch eine entzückende Waldlandschaft nach der Heilquelle des
Crni Guber, des einzigen natürlichen arsen-eisenhaltigen Wassers in
Europa. Immer zur Rechten den Gebirgsbach, zur Linken den West-
abhang der Ausläufer des Kvarac, zieht sich der Weg etwa 3/i Stunden
zu Fuss in einen förmlichen Gebirgskessel, der, von drei Seiten durch steile
Hänge umschlossen, ein massiges Plateau von überraschender Lieblichkeit
bildet. Die üppigste Waldvegetation, von der jungen Birke bis zur viel-
hundertjährigen Buche und Eiche, entzückt das Auge, und in das Rauschen
der Waldriesen mischt sich das leise Flüstern der Tannen und Fichten,
die einen berauschenden bruststärkenden Wohlgeruch ausströmen. Im
Waldteppich aber, ganz im Gegensatze zum sonstigen bosnischen Urwald,
eine Fülle der schönsten Blumen in allen Farben, von der Erica bis zur
223 —
Crni G über quelle bei Srebrenica.
Genziana. Darüber eine leuchtende Sonne, Vogelgezwitscher von allen
Zweigen. Und in dieser das Herz berückenden Gegend erhebt sich eine
Reihe von Gebäuden, die eine grosse Kuranstalt darstellen. Hoch oben
am Berge befindet sich die Arsenquelle, die nach dem Füllhause geleitet
ist, von wo das Wasser zur Versendung nach Europa gelangt. In langen
Sälen wird von unzähligen einheimischen Mädchen, Frauen und auch
Männern gearbeitet. Hier werden nur Flaschen mit besonderen Apparaten
gespült, dort wird das Wasser gefüllt, jede Flasche genau geprüft und,
falls das Wasser nicht Krystallklarheit zeigt, zurückgestellt. In einem
anderen Saale wird nur etikettirt, eingepackt und schliesslich Kisten zur
Versendung bereit gemacht. Es ist ein grossartiges Fabriksunternehmen,
und wenn man erwägt, dass schon jetzt eine Million Flaschen des segen-
bringenden Wassers zur Versendung gelangt, das grossentheils durch die
bekannte Firma Heinrich Mattoni (Wien, Karlsbad, Franzensbad) bis in
die entferntesten Gegenden, hauptsächlich auch nach Amerika, England.
Dänemark, Holland und Schweden, verschickt wird, lässt sich leicht er-
messen, welche Zukunft dieser Quelle noch beschieden ist.
1 )as Guberwasser enthält nach der vom k. k. Professor der medi-
cinischen Chemie und k. k. Obersanitätsrathe Dr. Ernst Ludwig in Wien
vorgenommenen chemischen Analyse in 10000 Theilen: Chlornatrium
— 224
0,017, schwefelsaures Kalium 0,166, schwefelsaures Natrium 0,037, schwefel-
saures Calcium 0,209, schwefelsaures Magnesium 0,219, schwefelsaures
Eisenoxydul 3,734, schwefelsaures Mangan 0,009, schwefelsaures Zink
0,078, schwefelsaures Aluminium 2,277, freie Schwefelsaure 0,093, säur.
phosphorsaures Calcium 0,010, Arseniksäureanhydrid 0,061, Kiesel-
säureanhydrid 0,648, Lithium, Kupfer-Spuren, organische Substanzen 0,074.
Summe der festen Bestandtheile 7,539. Gebraucht wird das Wasser gegen
Krankheiten, die auf abnormer Zusammensetzung des Blutes beruhen
(Anämie, Chlorose); Schwächezustände nach erschöpfenden Krankheiten,
ferner Malaria, Wechselfieber und den-
selben folgenden Kachexien; Krank-
heiten des weiblichen Genitaltraktes
und deren Folgezustände; Hautkrank-
heiten; Nervenkrankheiten; gewisse
Formen von Neubildungen (Lym-
phome).
Hat nun die Brunnenanstalt Crni-
Gubcr schon jetzt eine grossartige
Bedeutung erlangt, so miisste dieselbe
noch mehr wachsen und sie könnte
Srebrenica zu einem bedeutenden Kur-
orte machen, wenn der Brunnen direkt
als Trinkquelle eingerichtet würde. In
dieser idyllischen Gegend würde bald
Leib und Herz des Kranken gesunden,
Srebrenica aber könnte jenen Auf-
schwung nehmen, den es seiner Lage
nach in jeder Weise verdient. Aller-
dings ist dies Zukunftsmusik, denn heute
ist die Verbindung noch zu beschwerlich.
Erst wenn von Brcka an der Save die
Bahn nach Tuzla, von dort eine Zweigbahn nach Zwornik geführt würde, wäre
ein solcher Plan zu realisiren oder wenn die Regulirung der Drina
einen beständigen Dampferverkehr nach Zwornik oder besser nach Ljubovija
ermöglichte. Die bosnische Landesregierung hat schon so viel unmöglich
Scheinendes in Thatsachen übersetzt, dass wir auch der obigen Idee die
Verwirklichung nicht absprechen. Wie sagte doch ein Gendarm auf einem
einsamen Gebirgsposten: »Gott und unserer Landesregierung ist nichts un-
möglich!« Nach unseren Erfahrungen im Lande sind wir derselben Ueber-
zeugung, daher wünschen wir Srebrenica, dass es bald ein besuchter Kurort sei.
Die heutige kleine Stadt hat etwas an sich, das sich ins Her/,
schmeichelt. Nicht die pittoreske Lage allein macht dies, sondern auch
15
Bosnischer Mohammedaner.
225
die Eigenart ihrer Bewohner, die ausserordentlich zuthunlich sind. Für
uns fand sich eine wundervolle Oase im Gasthause Edbauer im »Kegelklub«,
dem Kasinozimmer. Es ist nur ein einziger kleiner Raum und Abends sitzen
die Beamten, Offiziere und Fremden ziemlich dicht gedrängt, aber selten
werden sich auf so beschränktem Räume so viel Gemüthlichkeit, Humor, Witz
und dabei Verstand zusammenfinden, als hier. Die Bierverhältnisse könnten
freilich bessere sein, aber wenn Aktienbier aus Sarajevo ankommt, ist Jeder-
mann doppelt vergnügt. Die Stadt selbst ist nett und reinlich. Ein grosses
Spital, das aber damals noch keinen Kranken hatte, grüsst am Eingange
des Ortes. Eine stattliche serbische Kirche würde einen weit besseren
Eindruck machen, wenn auf dem rings um sie gelegenen Friedhofe die
Grabkreuze nicht den geschmacklosen Schmuck der nationalen serbischen
Bänder (blauweissroth) tragen würden. Ein hübscher neuer Konak als
Amtsgebäude und eine Schule vervollständigen das Bild der Gegenwart.
J 4 m e
Schlussvignette: Denkstein »Angjelia« bei Oprasic.
m
Nach Zwornik.
Avdi Beg hatte seinen Wagen zur
#y Fahrt nach Zwornik gesandt. Es war eine
wirkliche Kalesche, nur über alle Maassen
verwahrlost. Dafür waren Pferde und
Kutscher um so besser. Fs war ungefähr
6l/i Uhr früh; dichter Xebel lag über
der Gegend und der Herbst hatte schon
stark seinen Einzug gehalten. Noch ein
Winken, ein letztes »S Bogom!« (Mit
Gott!) die Pferde ziehen an, wir sind
wieder auf der Landstrasse. P"s geht den-
selben Weg nach Ljubovija zurück, den
wir bei der Fahrt nach Srebrenica verfolgt
haben, nur ist es Sonntag und überall wan-
dern Bauern und Bäuerinnen im Sonntagsschmuck zur Kirche. Bald ist
Ljubovija erreicht, — ein Gruss hinauf zur Gendarmerie-Kaserne und dann
weiter. Da erscheint die Sonne über den Kuppen der Azbuka, mit goldenem
Scheine den weiten Wasserspiegel der Drina vergoldend. »Drina voda
zeleni« (grünes Wasser der Drina) heisst es im serbischen Liede, und
wirklich glänzt es im Strahle der Morgensonne wie Smaragd. Es ist eine
genussreiche Fahrt, und stellenweise könnte man sich in Madagaskar
glauben. Ganze Wälder von Farrenkraut stehen in den Lehnen längs der
Strasse. Das ist nicht unsere heimische bescheidene Pflanze, das sind
förmliche Bäume, manneshoch, wie aus vergangenen Weltperioden übrig-
geblieben. Es ist ein imposanter Anblick, der sich dem Gedächtniss un-
auslöschlich einprägt. Dann kommen gut bestellte Tabakfelder, Häuser auf
beiden Ufern. Lud wie auf bosnischer Seite auf wohlgepflegter Fahrstrasse
unser Wagen dahinrollt, verfolgen auf -erbischer Seite landesübliche Bauern-
15*
Pin us Leuco der m is.
(Antoine.)
— 227
wagen ein gleiches Ziel, wahrscheinlich das bis zum Berliner Vertrage in
türkischem Besitz befindliche Mali-Zwornik, das letzte Zwinguri auf serbischem
Boden.
In Drinaca, am Einflüsse des durch die Drinaca verstärkten Jadar in
die Drina, wird Halt gemacht. Ein hübsches Wirthshaus nimmt uns in
seine gastlichen Schankräume auf. Hier treffen wir das, was jetzt in ganz
Europa äusserst modern geworden ist: »nothleidende Eandwirthe«. Türkische
Grundbesitzer klagen über die niedrigen Zwetschkenpreise! Da die Menge
den Preisausfall deckt, haben wir kein Mitleid; wir besichtigen den im Auf-
schwung begriffenen Ort mit seiner Gendarmerie- und Finanzkaserne, und
dann geht es über die Drinacabrücke nach Zwornik weiter. Immer pitto-
Brücke über die Drinaca.
resker wird die Gegend; wundervolle Felspartien zeigen sich auf beiden
Utern des Flusses; überall Grün, überall Wald und Obstgärten. Da plötzlich
bei einer Biegung des Weges öffnet sich ein Blick auf unser heutiges
Ziel. Auf hohem Felsen liegt die alte Feste Zwornik, drohend nach
dem serbischen Ufer. Und dort ganz friedlich Klein-Zwornik und Sakkar
inmitten von Gärten mit drei Moscheen, den einzigen (ausser Belgrad)
im eigentlichen Königreich Serbien. Hohe Thore führen durch die
Festung in die wirkliche Stadt Zwornik, die nach einem Brande fast ganz
neu erbaut ist. Vor dem »Hotel zur Stadt Wien«, einem wahren Pracht-
bau, halten wir. Bald befinden wir uns in mit Teppichen belegten Räumen,
wie sie die europäischen Grossstädte nicht besser bieten, wir sitzen dann
in einer Restauration ganz wie in Wien, deutsch ist die Bedienung, und
wenn nicht ein Blick auf die Strasse uns zeigen würde, dass wir in
Bosnien sind, konnten wir nicht glauben, uns in einer alten türkischen
Festung zu befinden, die einstmals kaum die bescheidenste Unterkunft bot.
— 22S
Z w o r ni k , am Eingang v o m Thor
aus gesehen.
Zwornik zählt etwas über
3000 Bewohner, ist aber ein
ungemein betriebsamer
und lebhafter Ort.
Die Stadt zieht
sich langgestreckt
zwischen dem
steilen Gebirge
und der Drina
hin. Ihre I ,age ist
prachtvoll. Wie
erwähnt, liegt am
Südende der Stadt die
eigentliche Festung, welche
die Wegenge vollständig ab-
sperrt und durch Thürme und
Schutzmauern mit der nahezu
senkrecht über ihr auf einer Spitze
des Velavnik emporragenden Cita-
delle verbunden ist. Dieser66oFuss
hohe Punkt muss erklommen wer-
den, wenn man die Lage Zworniks
in ihrer ganzen Romantik gemessen will. Hinter uns kahles Gebirge, über
welches der Weg nach Tuzla führt. Nach vorn schweift der Blick über
nahezu senkrecht abfallende Festungsmauern und dringt in die eigentliche,
die WTegenge absperrende Burg, von welcher sich flussabwärts in langer
Linie die Stadt hinzieht. Vor uns aber das silberne Band der Drina, darüber
hinaus unter den serbischen Bergen Mali-Zwornik.
Heute haben die Festungsbauten Zworniks wenig Bedeutung, aber in
ihrem mittelalterlichen Zustande wohl erhalten, bieten sie ein interessantes
Bild der damaligen Befestigungskunst. Ehemals war Zwornik allerdings
der Schlüssel zu diesem ganzen Theile des Landes. Nach der türkischen
Besetzung wurde es von kaiserlichen Heeren wiederholt belagert. Im Jahre
1688 durch Ludwig, Markgraf von Baden, eingenommen, wurde es 1689
von den Türken wieder zurückerobert. Im Jahre 17 17 erlitt General
Petrasch hier eine schwere Niederlage. Mehr als 1000 Mann fielen, 300
geriethen in Gefangenschaft, und auch diese liess Osman Pascha Küprüli
über die Klinge springen. In der Burg Zwornik blieb aus dieser Zeit bis
heute eine österreichische Kanone, die nun ihren alten Herren wieder-
gegeben ist.
Alte Sagen umrauschen die verwitterten Mauern der Burg Zwornik,
und besonders ein Bild ist es, das den Kenner der bosnischen Geschichte
nicht verlässt, wenn er von hier auf das Wasser der Drina schaut. Eine
rothe Marmortafel in den Mauern der Burg, auf der sich eine Frauen-
gestalt und eine unleserlich gewordene altbosnische Inschrift befinden, er-
innert an die schönste Herrin von Zwornik, an Jelena, die im Volks-
munde nur »Prokleta Jelena« (die verfluchte Helene) genannt wird. Es ist
eine wilde Geschichte,
die Milena Mrazovic in
ihrem »Selam« (Berlin,
Deutsche Schriftsteller-
genossenschaft) zu einer
wirkungsvollen Novelle
verarbeitet hat. Jelena
regierte angeblich allein
auf Burg Zwornik, als
Bosnien noch immer
den Zankapfel zwischen
Ungarn, Serbien und
den bosnischen Theil-
fürsten bildete. Sie war
weit und breit berühmt
wegen ihrer Schönheit
und ihresjungfräulichen
Stolzes, der jeden Freier
abwies. Drei Brüder
des edlen Vuk Jugovic
irrten bereits aufweiten
Abenteurerzügen im
Schmerze über ihre
hoffnungslose Liebe zu
der Burgherrin, und
Vuk Jugovic selbst —
der Held — verweilte
lange Nächte am jen-
seitigen Ufer der Drina,
schmachtende Blicke
hinübersendend auf die
( rärten der bosnischen Semiramis, die sich, von starken Mauern umgeben, auf
senkrecht in die Drina abfallenden Felsen ausbreiteten. Ganze Tage, lange
Nachte weilt die Königin in diesen Gärten, aber Muley, der treue Mohr,
der die Pforte des Burggartens bewacht, lässt ausser ihr Niemanden ein.
Das Falkenauge Vuk Jugovic's entdeckt wohl hoch oben in der Felsen-
mauer über der Drina noch eine andere Thür, dicht bedeckt von wilden
Ausgesprengte Strasse bei Divic zwischen
Srebrenica und Zwornik.
üivic mit dem Blick nach Serbien.
Rosen, — wer vermöchte aber dort hinaufzudringen? Hat es vielleicht
der Unglückliche versucht, dessen Leichnam Vuk einst in der Morgen-
dämmerung mit einer Rosenknospe zwischen den Fingern die Drina
hinabschwimmen sah? Und der Fährmann weit unterhalb der Festung
hatte so oft einen Leichnam zu beerdigen, der stets die Rose vor seinem
Tode gebrochen hatte!
Bei einem Festmahle der Königin, als diese die geladenen Helden
ihrer Lustbarkeit bei den Weinkrügen überliess, um sich einsam in die
kühlen Gärten zurückzuziehen, stiehlt sich Vuk Jugovic, der neben der
Königin gesessen hatte und seinem Herzen nicht mehr zu gebieten ver-
mochte, ihr nach. Vergebens bestürmt er Jelena mit seiner heissen Liebe.
Als sie ihn an der Thür des Gartens zum letzten Male zurückweist, fleht
Vuk sie an, ihn wenigstens in den Garten eintreten zu lassen. »Begehre es
nicht, Vuk Jugovic«, spricht die Königin mit starrem Antlitz, »denn so-
bald du eintrittst, bist du mein und kannst mich nimmermehr verlassen,
so lange du lebst!« Da aber Vuk nicht ablässt, sie mit heissen Bitten zu
bestürmen, und betheuert, dass er nichts sehnlicher wünsche, als stets um
sie zu sein, verspricht sie mit einem tiefen Seufzer und betrübten Ange-
sichtes, ihm zu willfahren, vorher aber möge er zu seinen Genossen zurück-
kehren und ihnen erklären, dass er gleich seinen Brüdern in die weite
Welt auf Heldenabenteuer gehe Unbeschreiblich selig war Vuk in
233
234
dem zauberhaft schönen Garten, denn Jelena war hier nicht kalt, nicht
stolz mehr, sondern erwiderte seine heisse Liebe mit hebernder Gluth.
Nur dass nach den ersten Wochen die Königin immer seltener und auf
immer kürzere Zeit kam. Vuk wurde aber immer bleicher und trauriger
in seiner einsamen Gefangenschaft. Als er nach Monaten in einer finsteren
Nacht abermals wie schon oft die Fürstin bat, ihm die Freiheit zurück-
zugeben, dringt Waffenlärm und Getöse aus der Burg in den Garten und
voll Entsetzen meldet Muley, dass Vuk Jugovic's getreuer Schildknappe,
von dem Verdachte ergriffen, dass dieser von der Konigin gefangen ge-
halten werde, an der Spitze einer empörten Schaar seinen Herrn überall
in der Burg suche. Jelena lässt ihr Schwert holen, um den Meuterern
selbst entgegen zu treten. Den Beistand Vuk's lehnt sie ab, weil ihre Ehre
verbietet, dass ihr Geliebter hier getroffen werde. Sic verlangt sogar Yuk's
Flucht. »Entferne dich durch diese Thür!« spricht die Fürstin, einen ge-
waltigen Felsblock von der Gartenmauer entfernend. Ein entsetzlicher
Angstschrei ertönt, die eindringenden Empörer haben Muley niederge-
schlagen, und im selben Augenblick erleuchtet ein zuckender Blitz die
finstere Nacht. Vuk, schon an der Thür stehend, erblickt die Drina viele
hundert Fuss tief unter sich. — »Jelena, bin ich der Erste, der dieses
Weges geht? Jelena, du ermordetest meine Brüder?« — »Ja, Vuk Jugovic,
weil ich ihre Liebe bis zum Ekel genossen habe, wie die der Anderen
und auch deine.« — »Jelena, Heissgeliebte, nun bist du ein Kind des
Todes, sei verflucht!« Mit Riesenkraft umfasst Vuk die Fürstin. Jelena
will aber nicht allein sterben, und die eintretenden Bewaffneten erscheinen
im selben Augenblicke, als beide bei dem schrecklichen Ringkampfe ver-
eint in die Drina stürzen
Ausser verschiedenen Kaufläden und einigen Moscheen bietet Zwornik
nichts Bemerkenswerthes; es ist nur der Reiz der historischen Erinnerung,
der es umfliesst. In einem Wirthsgarten am Drina-Ufer liessen wir uns eine
Zeitlang nieder. Hier schoben Mohammedaner, Serben, Soldaten und selbst
Zigeuner miteinander Kegel! Es war wohl die allgemeine Brüderlichkeit,
aber doch kein angenehmes Bild. Aus einem militärischen Wachzimmer
hörten wir meisterhaftes Tamburicaspiel. Das war schöner, und die melan-
cholischen Melodien schmeichelten sich ins Herz hinein. So war es
mittlerweile dunkel geworden, als wir auf unserem Rundgange vor einem
grossen türkischen Gehöfte stehen blieben, in dem ein geradezu tolles
Treiben herrschte. Zigeunermusik ertönte, Tanz und Gesang. Wir hatten
erst einige Augenblicke zugehört, als wir von einem jungen Mohammedaner,
der sehr fein gekleidet war, eingeladen wurden, ins Innere zu kommen
und an der Festlichkeit theilzunehmen. Es war die Vorfeier einer türkischen
Hochzeit. Der Sohn des Hauses, ein reicher Besr, verheirathete sich mit
v
einer Dame aus der Gegend von Brcka, die ihm 200 Ciftluks (Knieten-
guter) mitbrachte, und da hier Geld zu Geld kam, wurde Alles bewirthet,
was sich einfand. Es ist dies türkischer Brauch, aber hier konnte man
doch sagen, dass zwei Drittel von Zwornik an dem Gelage theilnahmen.
In einem riesigen Hofe waren Bänke aufgestellt, auf denen Offiziere, Civil-
personen, Mohammedaner aller Schattirungen Platz genommen hatten. Das
war anscheinend die Honoratiorenecke, denn hier wurde nur Bier verzapft,
und der Bräutigam bediente 'selbst die Gäste. In den anderen Theilen
des Hofes lagerte Jung und Alt, männlich und weiblich bei Bier und
Kaffee und unter einem Vorbau sassen auf Minderluks einige ehrwürdige
Greise um ein offenes Feuer, bei dem sie sich selbst ihren Kaffee bereiteten.
Inmitten des Hofes tanzte aber eine heitere Gesellschaft beim Spiele einer
Zigeunerkapelle Kolo — den bosnischen Rundtanz — der bald mit einem
echten Csardas, von Soldaten aufgeführt, abwechselte. Mitten in diesem
Treiben sah man geschäftig eine tolle Figur: den sogenannten »Tschausch«,
den Lustigmacher. Es war ein türkischer Zigeuner, der sein Gesicht mit
Kohle noch besonders geschwärzt hatte. Ueber der Schulter trug er ein
Lammfell, auf dem Kopfe eine Fellmütze mi4- einem langen Fuchsschwanz,
in der Hand eine Peitsche. So trieb er sich unter gellenden Ausrufen
unter den Anwesenden umher oder er trat auf die Strasse, den Kindern
zum Gespött dienend. An den Fenstern der Frauengemächer des Hauses
bemerkte man aber, soweit dies bei den Muscharabiehs möglich war, weib-
liche Gestalten, die sich an dem lauten Treiben ergötzten.
Diese allgemeine Bewirthung dauert bis zu dem Tage, an dem die
junge Frau ins Haus gebracht wird. Sobald ein Mohammedaner sich zur
Heirath entschlossen hat, verlangter das Mädchen durch die Vermittlung
zweier Verwandten oder zweier Freunde, welche die Braut hinter ver-
schlossener Thür befragen, ob sie dem Salin oder Mehmed, Sohn des und
des, als Frau folgen wolle. Natürlich ist dies nur leere Formalität, denn
die näheren Vereinbarungen sind längst zwischen den Familienvätern ge-
troffen. Erfolgt die Bejahung, so verfügen sich die Verwandten sammt
den Zeugen zum Kadi, wo sich mittlerweile der Bräutigam mit seinem
Imam, sowie der Imam der Braut eingefunden haben, während die Braut
selbst die Verhandlungen zu Hause abwartet. Beim Kadi werden nun die
gegenseitigen Einwilligungen, die Verpflichtungen bezüglich der Erhaltung
der Frau im Falle einer Trennung u. s. w. festgesetzt, sodann durch die beiden
Imams Braut und Bräutigam als vor Gott wie Adam und Eva, wie Mo-
hammed und Chadidscha vereinigt erklärt. Diese Erklärung wird dreimal
wiederholt, womit die eigentliche Vermählungsceremonie beendet ist. Nach
diesem gerichtlichen Verbindungsakte werden die beiden Imams und die
Geladenen, sowie die Braut vom Bräutigam mit Geschenken bedacht, welche
diese erwidert. Diese gegenseitige Aufmerksamkeit, welche auch die
Uebersendung verschiedener Hauseinrichtungsstücke, wie Tcppiche, in
2-;6 —
sich begreift, wird durch mehrere Tage fortgesetzt und endet mit der
Zustellung des Hausservice in das Haus der Braut, worauf diese endlich,
nachdem sie sich einer mehrstündigen Toilette im Bade unterzogen, von
den Verwandten des Bräutigams in einer Araba oder in einem modernen,
aber zugemachten Wagen (in Gebirgsgegenden zu Pferde) abgeholt wird'.
Erst nach einem gemeinschaftlich eingenommenen Mahle und nach einem
vom Imam gesprochenen Gebet und Segen tritt die Braut in die Rechte
einer Hausfrau und beginnt ihr zurückgezogenes Haremsleben. Ent-
führungen von Mädchen, wie sie einst gebräuchlich waren, kommen heute
nur noch selten vor.
Idyllische Fahrten.
In Zwornik hatten wir für die Fahrt nach Vlasenica, unserem nächsten
Ziele, einen Wagen gemiethet, der uns in sechs Stunden dorthin bringen
sollte. Um 6 Uhr früh verliessen wir das altersgraue Zwornik durch das
Festungsthor und verfolgten bis Drinaca die an der Drina führende Strasse,
die wir bereits, von Srebrenica kommend, zurückgelegt hatten. Hier zweigt
sich der Weg ins Jadarthai ab, immer am rechten Ufer des tief ein-
geschnittenen Flüsschens führend. Es ist eine äusserst genussreiche Fahrt
inmitten steten Grüns, wie in einem wenig gepflegten wildromantischen
Park. Hohe Felswände säumen lange Zeit die eine Seite der Strasse ein,
und auf steilem Kegel erblickt man plötzlich eine kleine Moschee, die
einen ungemein malerischen Anblick bietet. Hinter ihr liegt allerdings das
Dörfchen Kuslat, von dem aber kein Haus wahrzunehmen ist. Aus dieser
schwindelnden Hohe war vor etwa einem Jahre ein Kind direkt auf die
Strasse gefallen, hatte sich aber seltsamerweise nicht im .Mindesten verletzt.
In Nova-Kassaba, einem Orte von etwa 400 Bewohnern, machten wir
Fütterungsstation. Ueber eine sehr Hübsche neue Brücke gelangten wir in
den betriebsamen Ort, den man als eine Tabakstadt bezeichnen könnte.
An allen Häusern hingen die langen Schnüre mit den aneinander gereihten
Blättern und eigene Gerüste waren zum Trocknen des Tabaks in grosser
Anzahl aufgestellt. Ausser einer alten Moschee mit einem hübschen Minaret
enthalt der Flecken nichts Bemerkenswerthes. Wir kletterten im Man (dem
Einkehrwirthshause) auf die hölzerne Divanhane, — Balkon würde man
äte : Prämiirte Kälber.
238
in unseren Ländern nicht ganz zutreffend sagen — und erquickten uns an
vorzüglichem Kaffee. Ich hatte in einem Tabaksladen einige Einkäufe
gemacht und war gerade auf einem Rundgange durch die Ortschaft begriffen,
als mir der Besitzer — ein Muselmann athemlos nachgelaufen kam. Er
hatte sich beim Wechseln verrechnet und mir einen Kreuzer zu wenig
herausgegeben. Den trug
er mir nun nach!
Die Sonne brannte
heiss vom Himmel, als
wir unsere Weiterfahrt
antraten. Unsere Pferde
waren die letzten Tage
entschieden überange-
strengt gewesen, denn
sie wollten nur langsam
vorwärts, und unser Kut-
scher konnte sie weder
im Guten noch im Bösen
zu einer schnelleren
Gangart veranlassen. So
blieb nichts übrig, als
ihnen ihren Willen zu
lassen und die Zeit durch
Naturbetrachtungen aus-
zufüllen. Das gelingt in
dieser reizenden Gegend
vorzüglich. Hinter Nova-
Kassaba, wo wir auf das
linke Ufer des Jadar
übergegangen sind, er-
weitert sich das bis da-
hin enge Thal zu einem
weiten fruchtbaren
Kessel. Ueberall sieht
man gut angebaute Fel-
der, weidende Heerden
und vereinzelte Gehöfte. Hei Vrtoce und Jeliste muss einst eine
Niederlassung gewesen sein, denn mächtige Bogomilensteine finden sich
überall zerstreut, doch weisen sie keinerlei Skulpturen auf. Wir sti<
hier auf eine wandernde Horde von Zigeunern, unter denen eine Frau
durch ihre majestätische Schönheit und ihr prächtiges blauschwarzes Haar
Bewunderung zu erregen geeignet war. Sie bot sich zum Wahrsagen an.
Da rinkaf eisen zwischen Nova-Kassab;
und Drinaca.
241
doch verzichteten wir auf diesen Genuss. Wie wir erfuhren, waren es so-
genannte »Karawlachen«. Im Bezirke Vlasenica unterscheidet die Be-
völkerung nämlich drei Arten von Zigeunern: weisse, braune und die
Karawlachen. Die erstgenannten zwei Arten sind Mohammedaner und
nennen sich am lieb-
sten »Türken», sie
werden aber von den
einheimischen Mo-
hammedanern nur
»Ciganin« oder ver-
ächtlich »Firaun« ge-
nannt. Die weissen
werden zwar in den
Dzamijen — aller-
dings ganz im Hinter-
grunde— gelitten, die
braunen jedoch
(cergasi gurbeti), die
als unrein gelten, in
den Moscheen gar-
nicht geduldet. Die
dritte Art sind orien-
talisch-orthodoxe Zi-
geuner, die angeblich
vor etwa ioo Jahren
aus der Walachei nach
Bosnien eingewandert
sind und von der Be-
völkerung schlecht-
weg »serbische Zigeu-
ner« genannt werden.
Sie selbst nennen sich
-Karawlachen«, wo-
runter man in Bos-
nien eigentlich Ru-
mänen versteht. Sie
haben es nicht gern, wenn man sie Zigeuner nennt, indem sie auf
die vielen zwischen ihnen und den mohammedanischen Zigeunern
bestehenden Unterschiede hinweisen. Abgesehen von dem Religions-
bekenntnisse unterscheiden sicli die Karawlachen zunächst durch ihre
rumänische Umgangssprache von den zigeunerisch redenden mohammeda-
nischen Zigeunern, dann durch einen höheren Bildungs- und Gesittungs-
Moschee am Felsen Kuslat zwischen \ o va-Kassaba
und I ) r i n a c a.
242
grad, weshalb sie auch von der einheimischen Bevölkerung mehr ge-
achtet werden.
Im Bezirke Vlasenica bewohnen sie eine geschlossene Ortschaft,
Purkovic in der Gemeinde Gojcin im oberen Sprecathale, und zählen 175
Seelen in 23 Häusern. Sie gehören zu der griechisch-orthodoxen Pfarre
in Lovnica und werden von ihrem Pfarrer als anständige, nüchterne, fried-
liebende, fleissige und sparsame Leute geschildert. In Religionssachen
weisen die Karawlachen gewisse Eigenthümlichkeiten auf. Sie gehen
selten in die Kirche, obwohl zu Taufen, Trauungen und Beerdigungen
stets der Pope zugezogen wird. Sie feiern das bloss bei den Serben vor-
kommende Fest des Hauspatrons, und zwar die heilige Petka. Die heilige
Communion empfangen sie seit vielen Jahren nicht, weil angeblich vor etwa
30 — 40 Jahren mehrere Karawlachen, welche in Lovnica zur Communion
gingen, unmittelbar darauf plötzlich verschieden sind. Das landesübliche
Fluchen kommt bei den Karawlachen selten vor; in höchster Aufregung
wird der Fluch auf einen indifferenten Gegenstand bezogen. Bei den
Behörden sind sie äusserst seltene Gäste und erscheinen in der Regel nur
im Passbüreau. Auch sind sie pünktliche Steuerzahler. Sie heirathen fast
ausschliesslich untereinander und wird die Frau von dem Bräutigam ge-
kauft. Der Frei-; wird in Baarem an die Eltern der Braut entrichtet und
ist sehr verschieden. Ein gewisser Pero Kostic aus Purkovic, ein nicht
besonders wohlhabender Bauer, zahlte z. B. für seine Frau Toda baare
I a n e nder Ziee u n erki
- 24.;
244
200 fl. Bei der Wahl der Frau wird vornehmlich auf ihre Geschicklichkeit
in der Beschäftigung des Mannes gesehen, daher Ehen mit Serbinnen
äusserst selten vorkommen. Ihren Frauen wird Sittenreinheit nachgerühmt.
Ihre Familienverfassung ist die der übrigen Bosnier, bald Hauskommune,
bald Einzelwirthschaft. Die Tracht ist jener der griechisch-orthodoxen
Bauern des oberen Sprecathales gleich, bloss die herumziehenden Musikanten
tragen »fränkische« Kleider.
Die Karawlachen von Purkovic sind insgesammt Feldbauern und
zwar nach Kmetcnart; einige Familien haben kleinen Eigenbesitz. Neben
dem Feldbau und der Viehzucht ist ihr Haupterwerb die Holzindustrie,
ausserdem liefern sie herumziehende Musikanten, Tänzerinnen und Bären-
treiber. Sie schnitzen Gegenstände für bäuerliche und selbst bürgerliche
Haushaltungen, und zwar Löffel, Schüsseln, Spindeln, Spulen, Leuchter,
Waschtröge, Kinderständer und dgl. Im Winter werden diese Artikel in
den Wohnungen der Karawlachen verfertigt, und nehmen an der Er-
zeugung Männer, Weiber und Kinder theil. Der Sommer bringt eine
entsprechende Arbeitstheilung mit sich. Ein Theil des Dorfes zieht, nach-
dem die Felder bestellt sind, in die mit Erlen bestockten Wälder, schlägt
dort Zelte und Drechselbänke auf und fabrizirt die erwähnten Gegenstände
aus dem frisch gefällten Holze direkt an Ort und Stelle. Andere, meist
ältere Frauen, wandern mit der fertigen Waare von Ort zu Ort und
tauschen dieselbe ein, selten gegen Baargeld, häufiger gegen Getreide,
Leinwand, Wolle, Butter. Diese Frauen befassen sich zugleich mit Kur-
pfuschen und Wahrsagen und sind bei dem Landvolke, besonders den
Frauen und Mädchen, gern gesehene Gäste. Die Instrumente, deren sich
die Karawlachen bei der Holzschnitzerei bedienen, sind sehr primitiv und
bestehen vor Allem aus der Hacke und der Säge, dann einer eigen-
thümlichen Drechselbank (terdzaj), bei der nebst dem bekannten Drucke
mit dem Finse des Arbeiters ein frischer, bogenartig gespannter langer
Ast den Dienst eines Motors versieht. Ausserdem kommen in An-
wendung »dubac« und »mali dubac«, eine Art mit Hammer kombinirte
Hacke, ein Messer zum Aushöhlen der Löffel, grosse und kleine Feilen
und das bosnische Generalwerkzeug — das Messer.
Mit ihrer Musik und dem Tanz halten die Karawlachen den Vergleich
mit den ungarischen Zigeunern nicht aus. Sie spielen zwar gleich jenen
ohne Noten, bloss nach dem Gehör; es fehlt ihnen jedoch die staunens-
werthe Raschheit im richtigen Auffangen einer einmal gehörten Melodie.
Ihre Instrumente sind Geige, Cello, manchmal auch die Trommel in der
Form eines Tamburins. Ihre Musik trägt den unverkennbaren Stempel
der rumänisch-slavischen schwermüthigen Weisen. Die Harmonie besteht
in der Regel aus Terzen, zu welchen sich oft die Oktave des Grundtones
gesellt. Die Melodie ihrer Originalkompositionen ist abwechslungsreicher,
245
als iene der bosnischen Bauernlieder, der Rhythmus lebhafter. Die Kara-
wlachen spielen alle südslavischen Volkslieder und gelten als Meister im
Vortrage aller Koloarten. Sie spielen auch europäische Tonstücke, so
vor Allem die österreichische Volkshymne, den »Szözat«, Märsche, Tänze,
sogar frisch aufgefangene Wiener Gassenhauer — Alles jedoch in ihrer
Art: Alles in Moll, Alles in Terzen und mit der ihnen eigenthümlichen
Färbung, sodass ihre Produktionen auf die Dauer ein musikalisches Ohr
zur Verzweiflung bringen können.
Ihr Tanz, soweit derselbe als Vorführung für Zuschauer bestimmt ist,
bestellt aus einem gleichmässigen Hüpfen auf der Stelle bei gerader und
steifer Haltung des ganzen Körpers, wobei es hauptsächlich auf das kräftige
rhythmische Stampfen auf den Fussboden anzukommen scheint. Bessere
Tänzerinnen bringen in diese eintönige Bewegung eine Abwechslung hinein,
indem sie sich von Zeit zu Zeit um ihre eigene Achse drehen, einen
oder beide Arme in die Höhe strecken und durch das Schnalzen der
Finger die fehlenden Castagnetten ersetzen. Manchmal singt die Tänzerin
gleichzeitig ein Lied, meist erotischen Inhalts. Tanzen die Karawlachen
zu eigenem Vergnügen,
dann ist es der bosnische |
Bauernkolo.
Das Geschäft der
Bärentreiber ist im Nieder-
gang begriffen, seit die bos-
nische Landesregierung
mit Recht die Ausstellung
der Reisepässe für Bären-
treiber eingestellt hat. Die
Karawlachen verstehen es
jedoch, das Gesetz auf die
einfache Weise zu um-
gehen, dass sie den Pass
unter einem anderen Vor-
wande lösen, eventuell
ohne Reisepass sich ins
Ausland begeben, sich
dort junge Bären ver-
schaffen und dann die er-
sehnte Wanderung an-
treten. Denn obwohl die
Karawlachen in Puratovic
feste Wohnsitze haben,
stellt sich bei ihnen von
- 246 -
Stadt ansieht von V lasen ica.
Zeit zu Zeit der ihrer Rasse cigenthümliche Drang zum Wandern ein.
Ohne die geringsten geographischen Kenntnisse durchziehen sie fremde
Länder und ferne Welttheile und bleiben dabei in Verbindung mit ihrer
bosnischen Heimath. So weilen — wie wir in der »Bosn. Post« lesen —
zwei Familien und ein Stellungspflichtiger in Südamerika, und vor zwei
Jahren ist eine alte Karawlachin in Nizza als Bettlerin gestorben
Wir hatten die wandernden Karawlachen bald hinter uns gelassen
und lenkten aus der fruchtbaren Ebene wieder in schön bewaldetes Hügel-
land ein. Kuppe erhob sich über Kuppe, bis der Horizont von schwarzen
Hochgebirgen begrenzt wurde. Es ist eine Gegend voll der reizendsten
Motive für Landschaftsmaler und ein Paradies für Fusswanderer, die nicht
nur Werth auf gute Schenken und frisch angezapftes Bier legen. Die
Strasse steigt in zahlreichen Windungen gegen Vlasenica an, das schon
700 Meter hoch förmlich im Grün vergraben liegt. Das ist eine Klein-
stadt, welche das Entzücken jedes Naturfreundes erregen muss, ein Bild,
wie man es in der Schweiz und Tirol selten, mit der Urwaldvegetation
aber kaum irgendwo in Europa — ausser auf dem Balkan — findet.
Gleich am Eingang in die Stadt steht ein hübsches einstöckiges Ge-
bäude in einem Vorgarten: das »Hotel Zukowik«. Hier fanden wir bei
zuvorkommendster Bedienung eine vorzügliche Aufnahme und sehr gute
Küche. Frisches Bier that uns nach der Hitze des Tages wohl. Da
schon ein zur Weiterfahrt bestellter Wagen bereit stand, besichtigten wir
sofort die Stadt, die in ihrer Lage allerdings das Schönste bietet.
Vlasenica hat etwa 2000 Bewohner, darunter gegen 1400 Mohammedaner,
für die mit Unterstützung der Landesregierung eine neue Moschee in
maurischem Stile erbaut wurde. Die Griechisch-Orthodoxen besitzen eine
Kirche. In förmlichen Terrassen ziehen sich die einzelnen, sehr ausge-
dehnten Theile der lang gestreckten Ortschaft an den Berglehnen hin,
247
Mädchen aus Podromanja.
ein undurchdringliches Dickicht.
meist von Obstgärten umgeben. Eine
Kaserne auf einem Plateau nächst der
Moschee dominirt die Stadt.
Unser Kutscher Suljo — ein brauner
Zigeuner — hatte während unserer Ab-
wesenheit seinen Wagen so bequem als
möglich hergerichtet, und auf einer neuen
vorzüglichen Serpentinenstrasse ging es
die Hänge der Javor-Planina, die soge-
nannte Ploca hinan. Eine Zeitlang er-
hält man noch wundervolle Fernblicke
über das gesammte Jadargebiet bis gegen
Zwornik, im Westen gegen Kladanj bis
zum Debelo-Brdo (13 14 Meter), ein An-
blick von überwältigender Grossartigkeit
und Anmuth. Dann empfängt uns die
Majestät des Urwaldes. Himmelhohe
Buchen bilden mit reichem Untergehölz
Ueberall liegen wegen des Strassen-
baues gefällte oder durch Windbrüche geworfene Riesen neben ihren
noch in voller Pracht aufrecht stehenden Genossen, von Moos bewachsen
und bereits neues frisches Leben aus ihren vermodernden Stämmen
spriessend. Hier steht noch Holz für Jahrhunderte, vorläufig auch noch
in voller Ruhe, bis durch. Bahnen eine auswärtige Verwerthung möglich
ist. Und auch da werden Bosniens Bergwälder nicht gelichtet werden,
weil der Holzreichthum ein geradezu enormer ist. An der Strasse ar-
beiten Steinklopfer und Strasseneinräumer; sonst herrscht Stille, es ist
wenig Verkehr und es scheint, dass die Bauern mit den Tragthieren noch
immer die alten Reitwege ziehen, deren Spuren zeitweise aus dem Waldes-
dunkel auftauchen. Auch Vogelgezwitscher ist nicht zu hören, nur der
heisere Schrei einer Krähe unterbricht manchmal das grossartige Schweigen
in der Natur. Direkt an mächtigen Abgründen und Abstürzen führt unser
Weg, aber starke Geländer sichern die Strasse.
Nach zweistündiger Fahrt von Vlasenica ab öffnet sich plötzlich das
Walddickicht, und eine ausgedehnte Alpenweide mit zahlreichen Heerden
bietet dem entzückten Auge eine angenehme Abwechslung. Wir sind auf der
Kraljevo Gora. Ueberall liegen zerstreute Gehöfte, der Hau Xapogled
ladet zur Einkehr ein, und Hirtenbuben begrüssen das Gefährt mit lauten
Juchzern, während starke Wolfshunde uns eine Strecke das Geleit geben.
Es ist ein Bild aus den Schweizer Gebirgen, verbunden mit der Lieblich-
keit steiri>cher Sennenpoesie. Der Buchenwald weicht hier dem Nadel-
holz, und bald umfangt uns wieder das gehcimnissvolle Flüstern der Tannen
— 24S —
und Schwarzkiefern, deren mächtige Stamme so Manches erzählen könnten
von vergangenen Tagen, als diese Gegend noch ein Paradies für Räuber
und Freibeuter war; und heute fährt ein europäisches Ehepaar mutter-
seelenallein und unbewaffnet mit einem Zigeuner durch diese Waldwildniss
und hegt nicht die geringste Furcht vor einem Ueberfall. Die Rauber-
romantik ist in Bosnien ausgestorben, die Gendarmerie hat für ab-
solute Sicherheit gesorgt! Nach etwa anderthalbstündiger Fahrt sehen
wir wieder Gebäude. Auf einem Hochplateau, /tannenumrauscht, von
orthodoxes Grab bei Han Pjesak. Von Ewald Arndt.)
Winden umtost«, stehen bosnische und europäische Häuser. Es ist
Han Pjesak und die gleichnamige Gendarmerie-Kaserne nebst einem
Forsthause in 1700 Meter Höhe.
Während unser Kutscher sich im Han einquartirte, wartete unser in
der Kaserne die liebenswürdigste Aufnahme. Man braucht sich unter einer
Kaserne nicht ein Gebäude wie in unseren Grossstädten vorzustellen mit
einem Belagraum für ganze Regimenter. Die Kaserne Pjesak ist nur ein
starkes Blockhaus aus Holz, aber geschmackvoll und geräumig gebaut mit
verschiedenen Nebengebäuden, Stallen etc. und einem in der Anlage be-
findlichen Garten. Der kommandirende Wachtmeister, ein geborener
Grenzer, empfing uns mit freundlichem Grusse und geleitete uns durch
249
das Mannschaftszimmer in das Fremdenzimmer, das eine entzückende
Ansicht bot. Bald waren wir mit Flaschenbier versorgt, und nach einiger
Zeit stand ein vorzügliches Mahl aui dem Tische, wie wir es in dieser
Wildniss nie erwartet hätten. Besonders eine Mehlspeise, von der alten
tüchtigen Köchin »Gendarmennudeln« genannt, war eine Delikatesse, und
wir verfehlten nicht, der Köchin unsere volle Anerkennung auszusprechen.
Dann gaben wir uns noch eine Zeitlang der Lektüre hin; wir fanden
kroatische Familienblätter, schön jahrgangweisc gebunden. Dass aber
V.
auch die edle Musica gepflegt wird, bewiesen verschiedene an der Wand
hängende Tamburicas und das kroatische Liederbuch von Kuhac-Koch
mit Noten. Um einen Wiener Ausdruck zu gebrauchen, fühlten wir uns
hier sehr mollig; als wir doppelte wollene Bettdecken erhielten, wussten
wir aber auch, dass hier die Nächte sehr kühl zu werden pflegen. Unser
Schlaf war herrlich. Als wir gegen 5 Uhr früh erwachten, glaubten
wir uns in einer Winterlandschaft zu befinden. Der Reif hatte Bäume
und Matten mit einer zarten Silberdecke überzogen, die unter den Strahlen
der aufgehenden Sonne bald wich und in einen dichten Thau überging,
der wie Tausende von Diamanten glänzte und glitzerte. Es war empfindlich
— 250 —
Bettelndes Bauernmädchen.
W. Leo Arndt.
kalt, aber ein Morgenspaziergang
in dieser Höhe ein Genuss, wie
er dem Grossstädter ja nie zu
Theil wird. Die Heerden hatten
im Freien in Umzäumungen ge-
nächtigt; sie erhoben sich aber
zum Morgenfrühstück. Hier be-
merkte ich neben tüchtigen Woll-
schafen unter den Rindern be-
reits Thiere grösserer Gattung, die
augenscheinlich nicht bosnischer
Abstammung waren.
Nach einem ausgiebigen Früh-
stück und nachdem wir uns mit
kräftigem Handschlag von den Wächtern der Landessicherheit verabschiedet,
fuhren wir um 6lj2 Uhr weiter nach Südwesten. Suljo war guter Laune,
ungemein gesprächig, und die Pferde gingen im schönsten Trab in der thau-
frischen Landschaft. Wald wechselte mit Alpenhochweiden ab, stellenweise
bis Mrkalje hatten wir wieder Urwald mit tausenden von gebrochenen
oder gefallenen Stammen. Die höheren Kuppen der Vraocnik Planina
zur Rechten, der Studena Gora zur Linken wurden nur zeitweise sicht-
bar. Was einen sehr angenehmen Eindruck machte, waren die vielen
kleinen Wasserläufe und Bächlein, die Verbürger der Fruchtbarkeit.
In Han Hanic, wo sich wieder eine Gendarmerie-Kaserne befindet,
machten wir kurzen Halt. Dann ging es über das weite Plateau der
Kopita-Planina. Hier verschwindet der Wald. Anfangs giebt es noch
vereinzelte Felder und Wiesen, dann tritt der Karst in seine Rechte.
Ueberall kommt der nackte Stein hervor, oft an alten Seeboden erinnernd.
Das spärliche Gras dient noch immer zahlreichen Schaf- und Ziegenheerden
zur Nahrung, deren Genügsamkeit man bewundert. Die wenigen Häuser,
auf die man stösst, reichen mit ihren Dächern zur Erde, und sie sind
obendrein mit grossen Steinen beschwert, ein Zeichen, dass die Winde
mit verheerender Gewalt über die weite Hochebene brausen. Gegen
ii Uhr Vormittags kamen wir nach Sokolac, einem grösseren ge-
schlossenen Orte mit einer griechischen Kirche und einem Kloster. Die
drei Kuppeln des Letzteren, ganz im russischen Zwiebelstil erbaut, sind
mit Blech bedeckt und grellroth angestrichen, sodass sie in der vegetations
losen Gegend aus grosser Weite sichtbar sind. Einen erfreulichen Ein-
druck machte es, ganze Reihen von Kindern aus der Schule kommen
zu sehen, und alle grüssten freundlich die Fremden. An der Strasse
liegen einige Einkehrwirthshäuser und mehrere Kramläden. Gegen Mittag
erreichten wir Podromanja mit seiner frei auf einem Hügel stehenden
— 251
grossartigen Militärkaserne. Das ist eine förmliche Festung, wie man
sie sonst nur noch in der Hercegovina findet, mit Vertheidigungsthürmen
und dicken Mauern, das Terrain weithin beherrschend. Wir sind im
alten Räubergebiet der Romanja - Planina, — doch verschollen und ver-
gessen sind die Heiduken, und nur noch Sagen und Lieder erzählen
von der einstigen wilden Zeit, die allerdings noch vor anderthalb Jahr-
zehnten bestand.
>K
Han auf der Romanja-Planina.
Die Romanja
und der
Glasinac.
] [ier auf dem Hochplateau ist der
Schauplatz des Novak-Sagenkreises,
einer ganzenReihe bosnischer Räuber-
lieder, über die Johann v. Asböth in
seinem »Bosnien und die Hercego-
vina« (Wien, Alfred Holder) sehr
interessant berichtet. Im ersten Liede zecht der alte Novak beim Knez
Bogosav und erzählt diesem, wie er Räuber wurde. Jerina, die Gattin des
serbischen Despoten Paul Brankovic, nahm ihn wahrend des Baue- der
Burg Semendria als Taglöhner in Arbeit, bezahlte ihm aber keinen Heller
Lohn. Dann schrieb sie eine Steuer aus zur Vergoldung der Thürme.
Drei Litra. d. h. dreihundert Stück Dukaten, sollte jeder Hof bezahlen.
Novak kann die Steuer nicht zahlen, er nimmt seine Axt und flieht in
die Romanja-Planina. Ein reisender Türke, dem er im Wege stein, peitscht
ihn. Novak erschlägt den Türken und eignet sich nach landesüblichem
Brauche die bei ihm gefundenen drei Beutel Dukaten, seine Warten und
sein Pferd an. Seither sagt er:
»Die Planina ist mein Alles,
Meine Heimath, mein Vermögen.
Giebt mir und den Raubgenossen
Nahrung, Kleidung, was wir brauchen.
Ich erjai;' mir reiche I>eute,
Weiss geschickt den Feind zu fliehen,
Scheue nichts und wag' das Schlimmste,
Fürchte Gott allein, den Schö]
253
Als eines Tages Wein und Tabak zu Ende gehen, beschliessen Novak
und sein Genosse Radivoj, Grujo — den Sohn Novak's — zu verkaufen.
Der möge dann sehen, wie er wieder frei werde. Als Kaufleute verkleidet
bringen sie ihn auf den Markt nach Sarajevo. Eine türkische Jungfrau
bietet zwei Tovars (Pferdelasten) Waaren für den Jüngling, dem selbst die
Mädchen nicht an Schönheit gleichkommen. Aber eine Wittwe kauft ihn
um drei Tovare. Das Mädchen verflucht sie:
Nimm den Sklaven, Djafer Begin,
Doch nicht lange freu' Dich seiner,
Eine Nacht nur, dann verschmachte.«
Die Begin (Grundherrin) lässt Grujo waschen und mit einem Abend-
mahl bewirthen, dann weist sie ihm das weiche Bett. Am Morgen des
nächsten Tages kleidet sie ihn mit eigener Hand in prächtige Gewänder
und stattet ihn aus mit glänzender Rüstung. Die Agraffe allein ist iooo Du-
katen werth. Der Griff des Schwertes wäre mit drei Burgen des Sultans
nicht bezahlt. Grujo sehnt sich nach der Jagd, und mit dreissig Mann
Begleitung zieht er aus. Im Walde der Romanja fällt er mit einem Streiche
den Anführer der Bewachung und flüchtet sich zurück zu seinem Vater.
Als Novak zu altern beginnt, verlassen ihn Radivoj und seine
Genossen, er bleibt allein mit seinen Söhnen Grujo und Tatomir. Aber
der Mohr Mehmed und dreissig seiner Mannen erschlagen die Genossen
Radivoj 's und nehmen diesen selbst gefangen. Novak sieht die Türken
herankommen; neben Mehmed den gefesselten Radivoj und auf jeder
türkischen Lanze einen Christenkopf. Xovak schiesst den Mohren vom
Pferde, befreit Radivoj und ihrer vier mähen alle Türken nieder.
»Sag' mir Bruder Radivoj doch:
Kann nicht ich, der alte Xovak,
Ueberbieten dreissig Helden?«
V
Einst liess Becir Pascha Cengic aus der Zagorje dem Knez von
Grahovo durch einen Brief entbieten, er solle dreissig Zimmer mit dreissig
Mädchen bereithalten, im weissen Thurme aber für den Pascha selbst ein
Lager rüsten und seine Tochter Ikonia im Schlafgemache des Pascha
lassen. Gruio Novakovic und seine dreissig Genossen verkleiden sich
hierauf als Mädchen; so erwarten sie den Pascha und sein Gefolge und
metzeln wahrend der Nacht alle Türken nieder. Nur gegen den alten
Griechen Manojlo aus Sofia kann selbst Novak nicht aufkommen. Manojlo
hat bereits Radivoj, Grujo und Tatomir verwundet. Jetzt treibt er Novak
vor sich her, dessen Schwert an dem Panzer des furchtbaren Griechen
zerbrochen ist. Da tritt die Vila der Romanja — die gütige Fee - - die
mit Novak Bundesbrüderschaft geschlossen hat, selbst auf und berückt in
Gestalt eines schönen Madchens den Griechin. Novak wirft ihm seinen
Streitkolben nach, der ihn erschlägt. Grujo behält nun die Braut Manojlo's,
— 254 —
Mohammedanischer Bauer
aus R o s a t i c a.
dieTochter desPalatins, für sich. Dieser
Bund aber nimmt ein schlechtes Ende.
Die schöne Maxima verräth den schla-
fenden Grujo dreien Türken. Als nun
aber die Türken und auch Maxima
eingeschlafen sind, schneidet der kleine
Sohn Grujo's die Fesseln seines Vaters
entzwei. Grujo bringt die drei Türken
um, gräbt Maxima bis an die Brust in
die Erde, bestreicht sie mit Pech,
Schwefel und Pulver, begiesst sie mit
Branntwein und zündet sie an. Ver-
gebens fleht die Frau zu dem ruhig
zechenden Grujo, ihr schwarzes Haar
zu schonen, das er so oft gestreichelt,
ihre schwarzen Augen, die er so oft
geküsst, ihr weisses Antlitz, desgleichen
er auf der Welt nicht mehr finde. Erst
als das treuer schon den Busen erreicht
und der kleine Sohn Grujo's den Vater anfleht, den weissen Busen zu
schonen, der ihn ernährt, löscht Grujo das Feuer und begräbt die Frau.
So zog einst der Wanderer mit Bangen seine Strasse durch
die Romanja-Planina, und schon die Türken legten überall Karaulen (Wacht-
häuser) zum Schutze der Strassen an. Aber immer erhielten sich die
Banden, verstärkt durch politische Flüchtlinge, die bei der Bevölkerung
Unterkunft und Unterstützung fanden. Noch 1882 waren in der Romanja
Aufständische, denen aber bald das Handwerk gelegt wurde. Heute ist
alles ruhig und friedlich, Jedermann wandelt ungestört seine Strasse, die
Kaserne in Han Podromanja, die Posten auf dem Glasinac und oben im
Gebirge erinnern aber jederzeit daran, dass das Auge des Gesetzes wacht,
dass es eine Wiederkehr der alten Zustände nicht duldet.
In einem Gasthause, direkt an der Strasse, hielten wir Mittagsrast.
Es ist ein kleines freundliches Häuschen, in dem gute wenn auch beschränkte
Unterkunft zu haben ist. Sonst besteht Podromanja nur aus vereinzelten
Häusern und einer Moschee. Weit und breit sieht man keinen Baum, —
für die Geschosse der Kaserne ist ein ungehindertes Schussfeld vorhanden.
Von Han Podromanja zweigt sich in südöstlicher Richtung die Fahr-
strasse nach Rogatica ab, die über die Hochebene von Glasinac fuhrt,
einen der berühmtesten archäologischen Fundorte der Erde. Seit dem
Archäologenkongresse in Sarajevo 1894 ist der Name Glasinac überall be-
kannt geworden, er wird in allen wissenschaftlichen Zeitschriften genannt,
und die Welt erwartet noch viele Aufschlüsse von den Geheimnissen, die
255
in den Tumulis des Glasinac verborgen sind. In den Zehntausenden von
Gräbern, die auf dem Glasinac verstreut liegen, verbirgt sich ein grosser
Theil unserer alten Geschichte, und die Funde, die hier gemacht werden,
können allein ein grosses Museum füllen, sie sind einzig in ihrer Art. Und
wenn auch im Volke Sagen gingen von einer mächtigen untergegangenen
Stadt, von einem grossen Volke, das einst die Ebene bevölkerte, wenn
auch manchmal Funde an seltenen Schmuckgegenständen und Münzen
ganz zufällig gemacht wurden, so blieb diese Kunde doch in der Wildniss
der Romanja-Planina verborgen. Keiner der Barbarenstämme, die in den
ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung über Bosniens Gefilde verheerend
brausten, nicht die späteren slavischen Einwanderer, nicht die Türken hatten
die Grabesruhe der alten Helden gestört, die einst den Glasinac be-
völkerten, erst der neuesten Zeit blieb die Erschliessung einer ganz fremden
Kulturwelt vorbehalten. Als im Jahre 1880 der Bau der Strasse von
Sarajevo nach Visegrad in Angriff genommen wurde, nahm man auf der
Hochebene Glasinac das Schottermaterial mit leichter Mühe aus den dort
massenhaft vorhandenen Grabhügeln, wobei viele alte Bronzegegenstände,
selbst ein Kesselwagen in Gestalt eines Vogels und eine schöne Oinochoe
gefunden wurden. Der Leiter des Strassenbaues sandte die Stücke an
das naturhistorische Hofmuseum nach Wien, aber die ferneren Ausgrabungen
wurden nicht planmässig betrieben, bis endlich im Jahre 1888 die bosnisch-
hercegovinische Landesregierung Arbeiten im grossen Maassstabe anordnete,
die, ununterbrochen fortgesetzt, eine ständige Post in den wissenschaftlichen
Arbeiten des Landesmuseums bilden.
■ Nu Ausgrabungen a\u Glasinac beim Dürfe Sokolac.
256
.. «p*
■
Bauer n ;i n w e s e n
im bosnischen Wald gebiet.
Die Hocliebenc Glasinac erscheint durch ihren riachen und einförmigen
Charakter als auffallende Unterbrechung in dem abwechslungsreichen Berg-
gebiete Mittelbosniens. Das Plateau wird von einem mächtigen, im Durch-
schnitte 900 Meter hohen Karststocke gebildet, welchen an der West- um\
Südseite die schroff emporsteigenden Felsen der Romanja -Planina über-
ragen. Die höchsten Spitzen dieses Gebirges, welches sich gegen Glasinac
zu einer Terrasse (Na-Romanja) abstuft, erreichen eine bedeutende Höhe,
so die Velika Stiena [615 in, Orlova Stiena 1507 m und Veliki vrh
1328 m. Dieses Gebirge bildet gegen Mokro zu steile Felswände, an
welche sich an der Südecke die Bogovifcke Stiene anschliessen, wodurch
:;;
- zqS
'/--"-
s^ju^k
1 1 ;i n Obh o ffjas am Glasin
es sich zu einem natürlichen Bollwerk des Glasinac gestaltet. Im Südi
ist der Uebergang ins Thal der Praca minder schroff, immerhin fuhren
nur enge Schluchten dahin, während sich das Plateau im Nordosten in
ein sanftes welliges Hügelsystem auflöst. Nur ein geringer Theil c\e^
Plateaus ist vollkommen eben: der sogenannte »Ravni Glasinac , an den
sich im Norden und Südosten kleinere flache Mulden anschliessen. Diese
Theile sind von dichtem Moorgrund überzogen, durch welchen sich ein
träger Bach — die Resetnica — schlängelt, um bald in versteckten Kar>t
löchern zu verschwinden. Nur nach starkem Regen und nach der Schnee-
schmelze erreicht er einen eigentlichen Abfluss in einem weiten Felsen-
schlunde bei Pavici, den das Volk »Megara« nennt. Der weitaus über-
wiegende Theil der Landschaft ist sanftwelliges Hügelland, dessen aus-
gedehnte, nur stellenweise von Tannenhainen unterbrochene Weidegründe
grosse und vorzügliche Heuvorräthe liefern. Dieses Gebiet erscheint daher
wie geschaffen für eine Bevölkerung, deren Hauptbeschäftigung und Er-
werbsquelle die Viehzucht war.
In dieser Beziehung nimmt Glasinac noch heute in ganz Bosnien den
ersten Rang ein, und es ist nicht zu verwundern, wenn sich hier die meisten
und reichsten Denkmäler aus prähistorischer Zeit finden. Diese Denk-
mäler kommen in so überwältigender Anzahl vor, dass sie selbst dem
Landschaftsbilde einen eigenthümlichen Ton verleihen und auch dem
flüchtigen Beobachter den grossen Unterschied zwischen der einstigen
Kultur und dem jetzigen Verfalle eindringlich vor Augen führen. Dieser
Verfall scheint ein jäher, nur durch wenige Uebergangsstufen vermittelter
gewesen zu sein. Aus römischer Zeit besitzen wir - ich folge hier den
hochinteressanten Ausgrabungsberichten des Herrn Gustos Dr. Giro Truhelka
in den »Wissenschaftlichen Mittheilungen aus Bosnien und der Hercegovina«
(Wien 1893) — die Spuren einer Strasse, die über das Plateau ins Drinaca
thal führte. Die Erbauung dieser Strasse, die ins 3. Jahrhundert n. Chr.
fällt, wird vom Volke der sagenhaften Königin Jerina zugeschrieben, die
ihre Unterthanen durch solche und andere Frohnden unsäglich gedrückt
haben soll. Die Tradition ist vielleicht auf eine im Mittelalter erfolgte ];:-_
259 —
neuerung und Umlegung der Strasse zurückzuführen und sie wird wohl
mit jener identisch sein, welche die Ragusaner Karawanen über Mokro
und Glasinac nach Zwornik führte. Auch die häufiger vorkommenden
mittelalterlichen Grabmonolithen sind im Vergleiche zu anderen Gegenden
nicht sehr zahlreich, wahrend die in Bosnien sonst so häufigen mittelalter-
lichen Burgen, mit Aus-
nahme der im Pracathale
liegenden, gänzlich fehlen.
In mittelalterlichen Ur-
kunden wird Glasinac selten
erwähnt. Professor Kon-
stantin Jirecek fand den
Namen in Ragusaner Ur-
kunden aus der Zeit von
1404 bis 1430 nur elf
Mal genannt. Nach jenen
Quellen war Glasinac ein
^Ql *-m W* - \ Besitz des Grosswojwoden
fetaJI ±.Z5ß* Sandalj Hranic, der hier
ein Zollamt besass. Von
den heutigen Ortschaften
werden nur Mokro und Obre
erwähnt. Ausserdem wird
öfters einer Kirche gedacht,,
deren Standort Jirecek nach
Angaben des Ingenieurs.
Stratimirovic auf jenen
Crkvina genannten Felsen
versetzt, auf welchen nach
dem Okkupationsfeldzuge
inmitten eines grossen
mittelalterlichen Friedhofes
den bei Senkovici gegen
die Schaaren des Mufti von
Taslidza Gefallenen ein Denkmal in Gestalt eines Obelisken errichtet
wurde. In allen Urkunden wird Glasinac nur als Durchgangsgebiet er-
wähnt, und es besass demnach im Mittelalter niemals den Rang eines
Kulturcentrums, den es ersichtlich in vorgeschichtlicher Zeit einnahm. Die
wichtige Handelsstrasse lockte höchstens verwegene Strassenräuber oder
Haiduken in die wald und höhlenreiche Romanja-Planina, und von dieser
Romantik haben wir früher einige Proben aus der Volkspoesie gegeben.
Nur in strategischer Hinsicht blieb die Bedeutung des Glasinac als die
Hauer aus der Umgfebung von Rosratica.
-
Bauernhaus aul dem Glasinac.
eines Bollwerkes zwischen dem Westen und dem Osten Bosniens unver-
ändert, und in dieser Eigenschaft hat das Plateau wiederholt in Kämpfen,
die über das Schicksal Bosniens entschieden, eine geschichtliche Rolle
gespielt.
Wie sich aus der Terrainschilderung ergiebt, ist die Hochebene
Glasinac von Natur aus stark geschützt. Aber die Sicherheit, welche das
Gebirge den einstigen Bewohnern bot, wurde noch durch eine systematisch
angelegte Kette von Wallburgen erhöht.'"') An allen halbwegs praktikabeln
*) Wir möchten gleich hier erwähnen, dass Professor Dr. Hoernes anstatt »Wallburgen
lieber Ringwälle sagen möchte, da er den alten ülyriern keine so hohe Entwicklun
gesteht, dass sie offene Absiedlungen und korrespondirende Fluchtburgen besessen hätten. Das
heutige Volk nennt diese Ringwälle gradine und bezeichnet sie damit unbewusst richtiger.
Ob nun das slavische Wort »grad« ursprünglich mit dem deutsehen gart = Zaun, Umfassung
'dänisch gaard, Hof, grösseres Stadtbaus; englisch yard, Hof ; lateinisch hortus usw. identisch
ist oder nicht, wahrscheinlich sind die Gradine auf dem Glasinac doch nichts wesentlich
Andere-, als die der Landesnatur gemäss aus Klaubsteinen hergestellten Umzäunungen und
Abgrenzungen jenes Raumes, der innerhalb des Gemeindelandes oder allgemeinen Weideplatzes
als Sonderbesitz an Grund und Hoden gelten sollte. Es ist dies die Hofstätte in Urkunden
des deutschen Mittelalters Hofreite oder »area« genannt), wo nach jener alteren Gesellschafts-
ordnung die Einzelfamilie ungestört schaltete und hauste. Wenn unten Moor und Weide, steiniger
Grund und flüchtig bestelltes Ackerland mit einander abwechseln, ohne dass dein Einzelnen oder
der Einzelfamilie ein Sondereigenthum daran zukäme, während der grosse undurchdringliche
Wald und die rauhen Gebirgshänge den Gemeinbesitz des ganzen Stammes schützend um-
schliessen und ihm seine natürliche Grenze setzen, stehen dort oben innerhalb des steinernen
Geheges die Hütten der Einwohner im Kreise um den Mittelraum gereiht. Die Anlagen •
daher statt Ringwälle oder Burgen lieber »Runddörfer heissen.
261 —
Zugängen wurden
die beherrschen-
den Anhöhen mit
Ringwällen ge-
krönt, und es gestaltete sich die Hochebene mit der Zeit zu einer riesigen
Festung, die ihren Bewohnern fast absoluten Schutz gegen feindliche Ueber-
fälle bot. Schon auf der Romanja-Planina trägt die 1331 m hohe Spitze des
Yeliki vrh unter den Ruinen einer türkischen Karaula die Ueberreste einer
Wartburg, von welcher sich ein weiter Ausblick in die westliche Land-
schaft erschliesst. Von diesem Punkte bis zum Kamme des Kopitogebirges
ist die ganze Xordlinie mit Wallburgen besetzt. Wir rinden den Sabinski
Grad bei Schahbegovici, andere bei Bukovik und Palez; eine grosse Wall-
burg an der Pritojska Kosa, eine kleine bei Gradic. An diese schliesst
sich eine Reihe von Wallburgen, welche die Ebene Ljuburicpolje dominiren.
Die Nord- und Ostseite dieses Thaies wird von den Wallburgen am Gradina-
hügel, am Südabhange des Kotariste, oberhalb Kosutica, die Südseite von
der Burg auf der Rasovaca und den beiden Ringwällen auf dem Berge
Maci oberhalb Staroselo beherrscht. Von Kosutica an erstreckt sich in
südöstlicher Richtung als natürliches Bollwerk das Kopitogebirge, an welches
im Süden die in das Rakitnicathal führenden Schluchten Dolovi und Berek
anschliessen. Obwohl der Zugang zum Glasinac an dieser Seite nur dem
mit der Oertlichkeit vollkommen Vertrauten möglich ist, finden wir auch
hier an den wichtigsten Punkten Wallburgen; so am steilen Felsen der
Laznica, weiter südlich bei Oskoplje und eine kleine Thalburg zwischen
beiden bei Prascici. Den Zugang aus dem Rakitnicathal über Ivanpolje
beherrschen die Wallburgen bei Kovanje, zwei bei Senkovici, zwei am
Krecberge oberhalb Staroselo, die feste Burg am Vitanj und der sogenannte
Hreljin Grad jenseits der Plieschkuppe. Von Vitanj bis zum Südrande der
Romanja-Planina, bis zu den sogenannten Wänden von Bogovici, ist auch
fast jede Anhöhe besetzt, und wir finden Wallburgen bei Buljukovina ober-
262
halb Bjelosalici (die Velika- und Mala-Gradina) , am Pliesch oberhalb
Podromanja und am Gradinahügel unweit von Bogoviöi. Innerhalb dieses
Festungsgürtels befinden sich noch Wallburgen am Puhovac, westlich von
der Ortschaft Sokolac, in Sokolac selbst, wo die St. Eliaskirche auf den
Ruinen einer Wallburg steht, und zwei bei Kusace.
Die Anlage aller dieser Wallburgen ist eine höchst primitive. Wo es
der Raum gestattete, wurde die einfachste Grundrissform — die
mehr oder minder regelmässigen Kreises gewählt und der Raum durch
eine Anschüttung von Klaubsteinen, wie sie die nächste Umgebung bot,
eingefasst. Die ursprünglichen Maasse dieser Walle lassen sich nach dem
vorhandenen Materiale nur annähernd bestimmen.
Kaserne in Podromanja.
Geradezu verblühend ist auf dem Glasinac die Zahl der Hügelgräber,
der Tumuli. Dr. Truhelka schätzte sie anfangs auf 20000, doch über-
zeugte ersieh bei genaueren Forschungen, dass diese Schätzung zu gering sei
und die fünffache Zahl der Tumuli angenommen werden dürfte. Alle Rücken
des östlichen Hügellandes sind mit zahlreichen kleineren oder grösseren Tu-
mulis übersät, und es reiht sich eine Xekropole an die andere. Der westliche
Theil des Glasinac, d. h. die Terrasse des Na-Romanja und der Ravni Glasi-
nac, haben keine Tumuli. Nur zwei befinden sich in der Ebene südlich
von Sokolac. Aber diese sind Erdhüge* mit Massengräbern ohne Beigaben
und stehen allem Anscheine nach in keinem Zusammenhange mit den
anderen Nekropolen. Die Westgrenze des Xekropolcngebietes wird durch
eine nahezu halbkreisförmige Linie, welche dem Rande der Ebene im
— 2..;
Nordosten, Osten und Süden folgt, bezeichnet. Das ganze wellige Hügel-
land, welches von dieser Linie umschlossen ist, ist mit Hügelgräbern über-
sät, die in dichter Reihenfolge bis zum Knezinathal, Kopitogebirge, Rakit-
nica- und Pracathal reichen. Ausserhalb dieser Zone kommen Tumuli in
nördlicher Richtung sporadisch, in südöstlicher aber häufiger und in
grösseren Gruppen vor. Namentlich findet man Nekropolen auf den An-
höhen, welche den Kessel von Rogatica einschliessen. Die äussersten Aus-
läufer dieses Grabhügelgebietes reichen aber viel weiter und können im
Osten bis an die Drina, im Westen bis zur Bosna verfolgt werden. Am
dichtesten stehen die Hügelgräber am Ostrande der Ebene von Glasinac.
Je weiter sie davon entfernt sind, desto geringer werden sie an Zahl und
Grösse. Die Form der Hügelgräber ist die eines regellos aus Klaubsteinen
hergestellten Aufwurfes, welcher der Gestalt eines flachen Kegels nahe-
kommt. Die Grössen der Hügel sind verschieden; der Durchmesser an
der Sohle variirt von 5 bis 30 ja 40 Meter, die Scheitelhöhe von 0,4 bis
4 Meter. Am zahlreichsten sind die kleineren Hügelgräber, während grosse
vereinzelt auf den hervorragendsten Plätzen erscheinen und gewöhnlich den
Mittelpunkt einzelner Grabhügelgruppen bilden.
Die Tumuli von Glasinac enthalten Skelett- oder Brandgräber und
nicht selten Beides unter einem Hügel. Der Leichnam oder die ver-
brannten Reste desselben wurden nie in die Erde versenkt, sondern immer
auf den flachen Boden oder bei Terrassengräbern auf die Steinpflasterung
gelegt und mit zusammengeklaubten Steinen so lange überschüttet, bis
ein dem Herkommen entsprechender
Hügel entstand. Bei einer solchen
Bestattungsweise ist es erklärlich,
dass die Skelette und aller halbwegs
gebrechliche Inhalt nach kurzer Zeit
in Trümmer gingen. Die Knochen
zerbrachen, die Gefässe und Eisen-
sachen zerfielen in Fragmente, und
wohlerhalten blieben nur solche Bron-
zen oder Thongefässe, die durch
einen glücklichen Zufall in die
Spalten zwischen grösseren Steinen
zu liegen kamen. Meist haben die
Skelette die Richtung von Ost (Kopf-
ende) nach West, so dass das Ge-
sicht des Todten der aufgehenden
Sonne zugekehrt war. Wo die
Leichen verbrannt wurden, fanden
-
sich die Brandreste nie in einer Urne
Gen «I a r m e r i l-
K ; s e r 11 e
\ ron
564
&m
I
i
... .T.
i! m
Am Brunnen in Rogatica vor dem Abdest
Wa s c hu n g vo r d em < ! e bei .
oder in einem anderen Behälter geborgen, sondern wie die Skelette stets
auf dem Urboden oder auf einer Steinpflasterung niedergelegt. Die
zweifache Bestattungsart erklärt sich vielleicht daraus, dass die Feuer-
bestattung das Privilegium einer bevorzugten Kaste, etwa der Krieger,
bildete. Dafür spricht der Umstand, dass bei den Ausgrabungen fast aus-
nahmslos in allen Brandgräbern Waffen gefunden wurden, während die
Skelettgräber nur geringere Funde lieferten und, wo solche reichlicher vor-
handen waren, sich als Frauengräber erwiesen.
- 267
Die Funde bestehen aus Lanzen (die »Sibyna« der illyrischen Stämme),
Schwertern und Messern, Streitäxten, eisernen Trensen für Pferde, Bronze-
helmen, Panzerfragmenten, Bronzegürteln, Schmucksachen, Armbändern,
Fibeln, darunter zweischleifige Bogenfibeln, die eine für die Glasinac-Kultur
typische Form darstellen. Ms ist eine Bogenfibel mit viereckiger Fuss-
platte, bei welcher der Uebergang vom Bügel zur Nadel einerseits und
zum Fuss andererseits durch je eine Schleife vermittelt wird. Ferner fanden
sich interessante runde Schliessen (Zierscheiben), Arm- und andere Ringe,
Schmucknadeln und Knöpfe aus Bronze, Ohrringe, Glas-, Email- und
Bernsteinperlen und bemerkenswerthe Steinobjekte, auch Thongefässe sehr
Ho il z a ;i u s R o ga t i c ;i.
origineller Form. Die Funde befinden sich im Museum in Sarajevo und sie
werden tagtäglich vermehrt, so dass sie ein genaues Bild der prähistorischen
Illyrier zu bieten vermögen. Ueber die Zeit der Blüthe des Glasinac konnten
allerdings die auf dem Archäologenkongress in Sarajevo versammelten
Gelehrten zu keinem abschliessenden Urtheil gelangen, und wir wagen
auch gar keine selbstständige Vermuthung. Nach den bei den letzten
Arbeiten gesammelten Erfahrungen reicht die Anlage der Tumuli und so-
mit auch die Besiedlung des Glasinac von der ersten Eisenzeit über die
La Tene- Periode bis in die Völkerwanderungszeit hinein. Jedenfalls
ist ein so ausgedehntes Nekropolengebiet bisher in luiropa einzig dastehend.
Aul dem Wege nach Rogatica und um diese Stadt selbst finden sich
zahlreiche römische und bogomilische Grabsteine. Mommsen hat schon
einen in seiner Sammlung beschrieben, andere sind von Dr. Blau und
— 2'.
Waldpartie auf iler Romanja-Planina.
Dr. Hoernes näher bestimmt worden. Unter den Bogomilensteinen sind
einige bemerkenswerth wegen der sonst sehr selten vorkommenden Auf
Schriften. So lautet die eine, die auffallenderweise von rechts nach links
zu lesen ist:
Va ime otca i sina i sv. duha. Uvdi lezi Vlatko Vladjevic koji neimase o
ni mater, ni sina, ni brata niti i jednog covjeka, osira greha . Obidje mnoge
zemlje o kod kueje pogibe. I na njega usijece kamen njegov vojvoda Miotos i
druzina s Bozijom pomocu i knezu Pavla miloscu, koji pohrani Vlatka, spomenuv
Boy^a.« Im Namen des Vaters, des Sohnes i\u>\ <lrs heil. Geistes, liier ruht Vlatko
Vladjevic. Kr hatte weder Vater noch Mutter, noch Sohn, noch Geschwister, noch
sonst Jemanden, nur seine Sünde. [Vielleicht, nach bogomilischer Auffassung, seine
Gattin. Viele Länder hat er durchzogen und isl daheim srestorben. Diesen Stein
— 2 »9
haben auf ihn sein Wojwode Miotosch und seine Anhänger Genossenschaft ver-
fertigt (gewälzt) mit Hilfe Gottes und der Gnade [des Fürsten Paul, der Vlatko
begrub, Gott anrufend.«)
Gute Rast . Bauer aus Mokro.
Rogatica selbst ist ein ungemein freundlicher und betriebsamer Ort.
Er ist vorwiegend mohammedanisch, jeder Mensch ist ein Frommer, jeder
Zweite ein Schriftgelehrter oder ein Hadzi (Mekkapilger), jeder Dritte
ein Hafiz (vom glücklichen Gedächtniss, d. h., welcher den Koran aus-
wendig kann), ein Hodza (Geistlicher) oder ein Kadi. Dort sind sogar die
mohammedanischen Frauen unterrichtet. Man wurde aber fehlgehen, wenn
mau glauben wurde, diese mohammedanische Gelehrtenstadt kümmere sich
nicht um weltliche Bedürfnisse. Der Bezirk Rogatica liefert die besten
Pferde, er besitzt in seinen Stierstationen von der Landesregierung ge-
schaffene Einrichtungen zur liehung der Rindviehzucht, die mu tergiltige
Ergebnisse liefern. Die jedes Jahr stattfindenden Prämiirungen (s. Abbildung
Seite 23$) liefern hierfür den besten Heueis. Für Forscher auf dem
Glasinac ist Rogatica ein geradezu idealer Aufenthaltsort
Vom 1 [an Podromanja steigt die nach Sarajevo fuhrende Fahrstrasse
in zahlreichen Windungen das Gebirge hinan. Anfangs herrscht noch
Karstgegend, dann beginnen dichte Waldungen. Bei Han Naromanja
(1376 m) haben wir den Kamm erklommen und erfolgt der Abstieg auf
zahllosen steilen Serpentinen bis Mokro. Stundenlang sieht man die
weite fruchtbare Ebene wie ein prächtiges Panorama vor sich liegen. Hin
und wieder stehen am Wege einzelne Gehöfte. Mokro ist ein ausgedehnter
Ort, der einst grössere Bedeutung besass. Hier rekrutirten sich die »Helden
der Planina, heute ist ihnen das Handwerk gelegt. Damit sie aber nicht
rückfällig werden, liegt eine kleine Garnison hier. Bis Han Derventa fuhrt
die Strasse mit nur geringen Steigungen zur Einmündung auf die Strasse
Sarajevo -Gorazda. Dann beginnt wieder der steile Anstieg im wild-
romantischen Miljackathale, das wir früher kennen gelernt haben. Der
Abend war bereits hereingebrochen, als wir unter dem Kastell in die
bosnische Hauptstadt einfuhren. Die kleinen Pferde unseres Suljo hatten
die 100 Kilometer o-länzend zurückefele^t.
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Blick von der Rom anja-Planina gegen Mokro.
Von Sarajevo nach
Mostar,
Der Bahnzug, der uns nach
der Hauptstadt der heldenmüthigen,
aber blutigen Hercegovina bringen
sollte, verliess Sarajevo gegen Mittag.
Zuerst durchzieht er die Ebene bis
zum Bade Ilidze, dann übersetzt er
die Zel|eznica aut einer neuen .Lisen-
brücke und erreicht die Station
Blazuj. Der kleine Ort, der sich
durch neue Hauser und Zubauten
fortdauernd vergrössert, liegt in
einem hübschen wohlkultivirten
Thale. Direkt über ihm streckt
der 1248 m hohe Igman sein be-
waldetes Haupt in die Lüfte. Hier
hatten wir 1878 den letzten Tag
vor der Einnahme von Sarajevo
gelagert, aber es sind ganz kuriose
Wandlungen seit jener Zeit über
Bosnien und über diese Gegend dahin gegangen. Wohin man blickt,
sieht man die Errungenschaften der Neuzeit, regen Verkehr. Und ist
nicht die Eisenbahn, die jetzt Blazuj berührt, der machtigste Beweis des
kulturellen Fortschrittes? Zweimal die Zujevina (die säuselnde) übersetzend,
gelangen wir acht Kilometer weiter nach Had/.ici. Grosse Brettsägen und
Holzlager zeugen von industrieller Verwerthung der Schatze des Waldes.
IIa 7. a r von San ■ 0.
Junge mohammedanische Mädchen winkten dem Zuge ein Willkommen zu.
Längs der Zujevina führt die Bahn durch gut angebautes Gelände bis
Pazaric, einem langgestreckten Dorfe mit europäisch gebauten Landhäusern
für Sommerfrischler. Der Ort liegt ungemein malerisch, und der Anblick
auf die dunkeln Kuppen der Bjelasnica, in (Kren Waldein Bären und
Gemsen noch eine gute Zufluchtsstätte finden, bietet ganz besondere Reize.
Den grossartigsten Ausblick auf diese Gebirgskette hat man jedoch von
der nächsten Station Tarein aus, die man nach Ueberwindung einer kleinen
Station Iva n m i t Tu n ne 1.
Wasserscheide unter theilweiser Benutzung des Zahnstangensystems er
reicht. Tarein bietet durch seine Umgebung interessante Partien für Hoch-
touristen, und gerade die Bjelasnica mit ihren bis zu 2063 m ansteigenden
Spitzen wäre näherer Erkundung werth. Bei der Station Rasteljica beginnt
der grosse Aufstieg auf den Ivan, die 15 155 m lange Zahnstangenstrecke
des eigentlichen Ueberganges. Die Steigung ist ziemlich stark; zu einer
Seite tief eingeschnittene Schluchten, an der anderen den Koreabach.
Jeder Blick bietet neue überraschende Fernsichten. So erreichen wir die
Station Ivan mit der Wasserscheide zwischen dem Schwarzen und dem
Adriatischen Meere. Eine Gedenktafel erinnert an den Bahnbau: Ge
widmet dem Andenken des verewigten Herrn Hermann fohann Kaut. Bau-
— 27^ —
ktor der bosnisch -hercegovinischen Staatsbahn 1891.« Zur eigent-
lichen Passhöhe (1010 m) fuhrt von der Station aus eine neu angelegte,
einen Kilometer lange Fahrstrasse. Dort oben befindet sich die Kolonie
Ivan, zum Theil angesiedelte Südtiroler. Hier war einst, so lange noch der
Tragthierverkehr zwischen Mostar und Sarajevo bestand, ein wichtiger
1 [altepunkt. Eine feste türkische Karaula sorgte für die nöthige Sicherheit,
einige Hans für Unterkunft. Jetzt ist, seit die Fahrstrasse erbaut wurde
und durch den Bahnbau ganz neue Anlagen geschaffen sind, eine kleine
Villenkolonie entstanden, die inmitten prächtigen Buchenwaldes für Sommer-
gäste guten und genussreichen Aufenthalt bietet. Für Touristen befindet
sich in der Bahnstation ein Touristenzimmer und eine gute Restauration.
Direkt nach dem Verlassen der Station fährt der Zug in einen
Tunnel von 648 m Länge mit dem geringen Gefälle von 30 00. Wir sind
in der Hercegovina, und förmlich wärmere Lüfte wehen um das Haupt.
Der Blick fallt beim Hinaustreten aus dem Tunnel auf ein ungemein
liebliches, von sanften Hängen mit grünen Matten umsäumtes Thal; nach
rückwärts blickend auf die Höhen des Ivan und auf die steile, langgestreckte
Felswand der dicht bewaldeten Preslica. Wir folgen dem Oberlaufe der
Tresanica, die hier Bradina Rjeka genannt wird, und kommen nach der
Station Bradina. Die gleichnamige kleine Ortschaft liegt in äusserst
malerischer Umgebung, inmitten von Eichen- und Buchenwäldern. Ein
kleines europäisches Gasthaus sorgt für Stärkung. Interessant ist der Aus-
blick auf den Duboski-Potok mit der 1743 m hohen Lisina-Gruppe.
Die Bahn tritt jetzt in eine lange Thalenge ein. Ueberall sieht das
Auge grossartige Schluchten, steile Abhänge, die schönen Wasserfälle von
Unter-Bradina. Ein kleiner Tunnel (103 m) wird durchfahren, dann die
Ortschaft Sunje passirt, und nun bietet sich eine Ueberraschung nach der
anderen. Ueber hohe Steinmauern, durch tiefe Felseinschnitte, durch fünf
Tunnels ist der Weg gebahnt. Immer imposanter erheben sich am Horizonte
die Riesen der hercegovinischen Gebirgswelt, der Prenj bei Jablanica stets
im Vordergrunde. Die Vegetation ist bereits südlicher geworden; ungemein
häufig ist die Edelkastanie. Da wieder ein Tunnel und gleich darauf eine
Brücke von ganz eigenartiger Konstruktion, welche die wilde Lukaschlucht
übersetzt. Das ist ein imposanter Anblick. Und immer neue Einschnitte,
neue Tunnels. Dicht an den Felsen und am steilen Abgrunde die Bahn, als
kühnes Gebilde von Menschenhand. So erreichen wir d\c Station Brdjani mit
herrlicher Rundsicht. Auf der Lehne des eigentlichen Tresanicathales dahin-
fahrend, haben wir tief unter uns das Pravosnicathal und die Fahrstrasse
Mostar-Sarajevo, vor uns den schneebedeckten Prenj. Und abermals fahren
wir in Tunnels, durch das Tresanicathal zur Station Podorozac, wo von der
1 Iercegovinaer Seite der eigentliche Ivanaufstieg mit ununterbrochener Zahn-
stangrenanlaore und Steigungen bis zu 60 Prozent beginnt. Hier wird die
— 274
D e Lukas c h 1 u c h t.
Tre-anica übersetzt: in tiefem Einschnitt, vorüber an interessanten Fels-
partien, mit dem Blick auf romantische Schluchten und die ringsum an-
strebenden Berge treten wir in das Thal der Narenta und erreichen die
Stadt Konjica.
Die Station liegt abseits des eigentlichen Ortes in erhöhter Lage, so-
dass man einen vorzuglichen Ausblick über die gesammte Gegend ge-
messt. Die Stadt Konjica liegt in einem Kessel zwischen hohen Bergen,
an beiden Ufern der Narenta, die hier in ihrem tief eingeschnittenen, aber
mit Geröll bedeckten Bette meist so seicht dahinfliesst, dass sie im Sommer
durchwatet werden kann. Eine schöne steinerne Bogenbrücke, deren Er-
bauung die Christen dem König Hvalimir gegen Ende des 7. Jahrhunderts,
die Türken aber richtiger dem Vezier Achmed Sokoloviö (1715) zuschreiben,
verbindet die beiden Stadttheile. Der grössere westliche war früher nur
von Mohammedanern bevölkert; heute aber wohnen hier die meisten
Fremden. Gegenwärtig hat Konjica ungefähr 2000 Bewohner. Es haben
sich in diesem einst durch den Fanatismus seiner Bevölkerung berüchtigten
— ^77 —
Orte eine Menge Fremde niedergelassen, und mehrere Gasthäuser
(»Elephant«, »König von Ungarn-, Kaiser von Oesterreich« und besonders
die Bahnhofrestauration) bieten ganz gute Verpflegung. Als ich im Jahre
1885 einmal in Konjica übernachtete, genoss das Gasthaus »zum Kaiser
von Oesterreich« durch seine dicke Wirthin, die »Schmauswaberl« in der
ganzen Hercegovina einen wohlverdienten Ruf. Nicht etwa durch die
Schönheit der Wirthin, denn diese war sehr negativer Natur, sondern durch
die vorzügliche Küche. Die Lachsforellen aus der Narenta wurden unter
ihrer Hand zu einer Delikatesse, welche das Herz jedes Feinschmeckers
befriedigen musste. Der Fluss — hier eigentlich nur Neretva genannt —
liefert diese Forellen in grossen Mengen, darunter solche von 10 und
mehr Kilo Gewicht.
*' j*"a^
.Mühle bei Konjica in der Hercegovina.
Konjica war im Mittelalter ein wichtiger Grenzort zwischen Bosnien
und der Grafschaft Chlum. Hier soll im Jahre 1446 der bosnische Land-
tag abgehalten worden sein, der so scharfe Beschlüsse gegen die Bogomilen
fasste, dass 40000 von ihnen nach der Hercegovina auswanderten. Der
Landtag sollte überhaupt in Glaubenssachen Ordnung schaffen, die unbot-
mässigen Vasallen zum Gehorsam, das königliche Ansehen in Achtung
bringen. Stefan Kosaca, der Lehensträger von Chlum (Hum), hatte sich
der bosnischen Oberhoheit entzogen, unter jene des deutschen Kaisers
gestellt und das Herzogthum von St. Sava errichtet. Dieser Akt sollte
nun ungültig erklärt werden, Herzog Stefan und alle übrigen Lehensträger
und Wojwoden dem Könige den Kid der Treue leisten. Das auf dem
Landtage zu Konjica erlassene königliche Patent lautet:
Wir Stefan Tomas, durch die Gnade Gottes König von Bosnien und Serbien
u. s. w. erklären hiermit und thun zu wissen allen, welche es angeht: l>ie Glieder
Unserer allgemeinen Versammlung, allgehalten in Konjica, Unsere Prälaten und
>7N -
Magnaten, haben Uns zu l nserer Prüfung mehrere Verordnungen unterbreitet und
l ns gebeten, dieselben zu bestätigen und zu sanktioniren und unter diesen die
folgenden Ami I
Art I. Die Manichäer Bogomilen sollen keine i h die
verfallenden restauriren. -- Art. II. Die der katholischen Kirche geschenkten Güter
sollen ihr niemals abgenommen werden. Art. III. D
ziehend, einen Menschen tödtel soll mittelst königlichen D t und ein-
gekerkert werden und seine Hüter /ur 1 Hüfte dem Fiskus, zur Hallt'- d
oder Erben des Getödteten verfallen. Art. I V. Die Räthe, Sekretäre, V.
und Grafen des Hofes sollen bei Antritt ihre^ li Hän
den Eid der Treue leisten. — Art. V. Der Herzog von Si. Sa\a soll illegitim erklärt
sein, wenn er nicht durch den Koni- von Bosnien ernannt wird. Nach so geil
Ernennung soll der Herzog den Eid der Treue in die Hände Sr. königl. M
leisten. — Art. VI. Blutschande und Verführung einer Blutsverwandten sollen mit
dem Tode bestraft werden. — Art. VII. Hie Verräther des Vaterlandes und ihres
Herrn sollen gestraft werden gleich den Hochverräthern, desgleichen die l
münzer und diejenigen, die ohne Berechtigung Münzen schlagen. — Aus dii
Anlasse wollen Wir, dass die vorstehenden, mit dem Einverständnisse Unserer Prälaten,
Wojwoden und Killen dieses Königreiches, gleichwie Unseres gewöhnlichen Kathe>
festgesetzten Verordnungen durch die Beisetzung Unseres königlichen Siegels, legalisirt
und sanktionirt werden. Gegeben zu Konjica unter der Obsorge des hochwür
in Jesu Christo, des Herrn Wladimir Wladimirovic, Bischofs von Kresevo,
Unseres lieben und getreuen königlichen Sekretärs für die Narenlaner Kirchen des
griechischen Kitas, am Tage des Festes des heil. Johannes des Täufers, im J
Unseres Herrn 1440 und im dritten Unserer Regierung.«
Die erhoffte Ruhe trat nicht ein, und es wahrte nicht lange, so war
die ganze Hercegovina und mit ihr Konjica in der Gewalt der Türken.
An die Stelle der christlichen Unduldsamkeit trat der mohammedanische
Fanatismus. Aus den Wäldern und Schluchten kamen die gehetzten
Bogomilen zum Vorschein, sie wurden Islamiten und erlangten die leitenden
Stellungen. Einzelne Familien behielten aber stets den Glauben ihrer Väter,
und erst kurz vor der Okkupation trat in Dobacani bei Konjica die letzte
dort lebende Bogomilenfamilie Helez zum mohammedanischen Glauben über.
In Konjica war es auch, wo die zur Zeit der Insurrektion von 1878 aus
Sarajevo ausgewiesenen Oesterreicher mit dem Generalkonsul Wassitsch
in der Nacht aufgehalten und mit Niedermetzelung bedroht wurden. Nur
der Intervention der von Hadzi Lojo beigestellten Bedeckung, besonders
den Bemühungen des alten Posttataren Derwisch Aga, welcher erklärte,
nur über seine Leiche führe der Weg zu den Flüchtlingen, die ihm an-
vertraut seien, war es zu danken, dass die Weiterreise nach Metkovic
fortgesetzt werden konnte.
Die Umgebung von Konjica ist wildromantisch, besonders der Borke-
See ist eines Besuches werth. Der See, vom Volke »Boracko Jezer*>
auch kurzweg »Jezero« genannt, liegt nach den im Frühjahr 1802 vor-
genommenen barometrischen Messungen 405 m über der Adria in einer
grossen Mulde, die einerseits von der Crnagora, andererseits von den Ab-
— 279 —
hängen des bis 1055 m hohen Rückens Tranjine (auch Dolovska strana
genannt), endlich von den Abhängen des bis 860 m hohen Plateaus, auf
dem die Ortschaft Borke sich ausdehnt, begrenzt wird. Er ist 20 km in
südöstlicher Richtung von der Stadt Konjica entfernt.
Nachdem man auf einem verhältnissmässig guten Reitwege den Ort
verlassen und den imposanten Einblick in das von den schneebedeckten
Spitzen der Borasnica, Poslusnik, Motika, Ortis, Kapa etc. umgrenzte
Bjelathal genossen hat, beginnt der etwas steile, jedoch sowohl für Reiter
wie für Fussgänger leicht überwindbare Aufstieg auf den Vrbassattel, von
wo man auf der alten türkischen Heerstrasse, die von Sarajevo über Lipeta-
Karaula nach Mostar und Nevesinje führte, das Plateau, auf dem die Ortschaft
Borke liegt, erreicht. Die abgeholzten Lehnen der Borasnica, an denen in
den siebziger Jahren eine englisch-französische Kompagnie nicht gerade zum
Vortheil der Waldbestände gehaust hat, sowie die in der Ferne sichtbaren
v v
Spitzen des Osobac (2026 m), Poslusnik (1744 m), Zivanj und Crvanj um-
grenzen den Horizont. Nach etwa einer Stunde erreichen wir den steilen
Rand des Plateaus, von dem der die Abwässer der Borasnica führende
Boracki Potok in engen Schluchten und Kaskaden herabstürzt. Noch
einige Schritte und es eröffnet sich uns ein wundervolles Bild.
Durch saftig-grüne Gesträuche auf der Dolovska strana, tiefgrüne
Waldbestände auf der Crnagora begrenzt, zeigt sich in der Tiefe der
dunkelgrüne, spiegelglatte See, ein wahres Meeresauge, so verschieden in
seiner Farbe von den übrigen hercegovinischen Seen, wie Place, Bak und
Derjansko Jezero. Auf steilen Serpentinen erreichen wir in etwa einer
halben Stunde (4 Marschstunden von Konjica) das Seeufer. Der wohl-
thuende Schatten der Erlenbestände und die kaum durch den Schrei eines
Buchhehers getrübte Stille nebst dem Blicke auf die ruhige, leicht
gekräuselte Seefläche sind der Lohn für die kleinen Reisestrapazen. Der
jetzige See bildet nur den kleineren und unteren Theil des grossen Beckens,
welches, von der Crnagora (Jelovina), Tranjina, Ostra und Kosutica um-
grenzt, steil gegen die Narenta abfällt. Die Konfiguration spricht dafür,
dass ursprünglich das ganze Becken vom See ausgefüllt war, der von den
zahlreichen dort befindlichen Quellen und dem Schneewasser aus dem
umliegenden Gebirge gespeist wurde und erst nach und nach einen
stärkeren Abfluss gegen die Narenta durch den Sisticabach, der sich
zwischen die Kosutica und Jelik einzwängte, erhielt. Im Laufe der Zeit
wurde der obere Theil des Sees durch das Gerolle und herabgeschwemmte
Erde verschüttet und diesem Schicksal geht leider auch der heutige See
entgegen. Nach der neuesten Aufnahme misst der See 26,42 Hektar,
-eine grösste Länge ist y$c> m, seine grösste Breite 402 m.
Nach einer unter den orthodoxen Bewohnern verbreiteten Sage soll
der heilige Sava die Gegend, um die Bewohner wegen schlechter Auf-
:No
nähme, die er bei ihnen
gefunden hatte, zu strafen,
in einen See umgewandelt
haben. Die Sage giebt
dem See eine unermessliche
Tiefe, in welcherUeberreste
der einst blühenden Ort-
schaft gelegen sein sollen.
Bis heute nennt die He-
völkerung die einzelnen
Buchten des Sees »Kuce
(1 [äuser) und will in den
in der Tiefe sichtbaren
Baumstämmen Ueberreste
der I [äuser erkennen. Nach
den genauesten Tiefe-
messungen hat man jedoch
nur die grösste Tiefe mit
17,10 Meter gefunden, im
Durchschnitt 13 -15 Meter.
In den mohammeda-
nischen Bevölkerungskrei-
sen von Konjica ist über die
Entstehung des Borkesees
folgende Sage verbreitet,
die Regierungsrath Heer-
mann mittheilt: In uralter
Zeit, als noch die Heiligen
auf dieser sündhaften Welt zu wandeln pflegten, stand dort, wo gegenwartig
der Borkesee liegt, ein blühendes Stadtchen, dessen Name leider Niemandem
mehr bekannt ist. Die Bewohner dieses Städtchens waren mit allen
irdischen Reichthümern gesegnet, doch waren sie im Herzen verdorben
und so geizig, dass bei ihnen die Gebote der Gastfreundschaft und der
Nächstenliebe nicht mehr eingehalten wurden. Diese Sünden führten
endlich zu ihrem Verderben. Nach Gottes weisem Rathschlusse kam einst
ein heiliger Mann in diese Stadt und bat um Speisung und Obdach.
Höhnend wiesen ihn aber die Reichen ab; Niemand wollte seinem Flehen
willfahren. Als er vergeblich an alle Thüren geklopft hatte, kam er zu
der abseits der Stadt gelegenen Hütte der einzigen Armen dieser reichen
Gemeinde. Es war das eine arme Wittwe, die ausser ihrem 1 lausehen,
einem Gärtchen, einer Kuh und einem Pferde nichts mehr ihr lügen nannte,
als einen Sohn, der eben im besten Jünglingsalter stand. Mutter und Sohn
Christliche Bäuerin aus Kon
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waren Gott ergeben, fromm und für fremdes Leid empfänglich. Sie
nahmen den armen Wanderer gastfreundlich auf und theilten mit ihm das
frugale Mahl und Obdach. Am nächsten Morgen, als sich der heilige
Mann zur Weiterreise anschickte, sprach er zur Mutter und deren Sohn:
Mit Gottes Beistand werde ich diese Stadt wegen der Sünden ihrer
Bewohner -trafen. Nehmet eure Habseligkeiten und verlasset diesen
dem Untergange geweihten Ort. Zieht gegen Nordwest und verfolgt den
Fluss, zu dem ihr kommen werdet. Dort, wo euer Pferd mit dem rechten
Im Narenta-Defile mit dem Blick auf den Prenj.
Vorderhufe den Boden dreimal schlagen wird, dort siedelt euch an; Gottes
Segen wird euch dort belohnen.« Sofort befolgten Mutter und Sohn
diesen Rath, und bald waren sie weit von der Stadt und dem bei ihrer
Hütte verbliebenen Wanderer. Als sie den letzten Blick der Heimath zu-
wendeten, erfasste Schreck ihre Herzen: sie sahen eben, wie die Stadt
unter dem Wehgeschrei ihrer Bewohner in die Erde versank und ein aus
zahlreichen Quellen hervorsprudelnder See das neue Becken erfüllte. Der
heilige Mann verschwand zu gleicher Zeit vor ihren Blicken. So war der
Borkesee entstanden. Mutter und Sohn zogen weiter und verfolgten den
Flusslauf (Narenta), den ihnen der heilige Mann bezeichnet hatte. Nach
mehrstündigem Wandern blieb plötzlich das Pferdchen stehen. Das
Mütterchen munterte e^ durch den Zuruf: Hajde, hajde, moj konjicu!
-'■
(Geh', geh , mein Pferdchen!)
auf, doch das Pferd rührte
sich nicht von der Stelle.
Auf einmal scharrte es mit
dem rechten Vorder!
dreimal die Erde. Jetzt
kannten Mutter und Sohn,
dass sie an dem ihnen \ 01
dem heiligen Manne bezeich-
neten Flecke angelangt seien.
Dort bauten sie >ich eine
Hütte, und bald darauf ver-
heirathete die Mutter ihren
Sohn. Das Anwesen gedieh
vonTagzuTag,denn es ruhte
Gottes Segen auf dieser Fa-
milie. Zu ihr gesellten -ich
die Verwandten der jungen
Frau, und bald entstand ein
blühender Ort, dem zur Er
innerung an das Pferdchen,
welches durch sein Scharren
die Stelle zu dieser Ansied-
lung bezeichnete, der Name
Konjica gegeben wurde
Ein direkter Ausflug von Konjica in das romantische Bjelathal, dessen
Lage wir oben andeuteten, ist gleichfalls zu empfehlen. Hier werden sehr
hübsche Holzschnitzereien und Holzgeräthe, hauptsächlich die Truhen, in
denen die Landbewohner ihre Kleider und Werthsachen aufbewahren, an-
gefertigt. Die gesammte Gegend vom Ivan bis Konjica, Jablanica und
Mostar ist ein landschaftliches Paradies, dem eine grosse touristische Zu
kunft zu wünschen wäre. Es giebt keine Worte, um die vielen eigen-
tümlichen Reize der Landschaft zu schildern.
Von Konjica geht die Bahn eine geraume Zeit in einer weiten Ebene
bis zu der 9 km weiter gelegenen Haltestelle Lisicic. Dann beginnt wieder
die hochinteressante Gebirgsgegend. An der Einmündung der Neretvica
in die Narenta liegt am linken Ufer das Dorf Ostrozac mit der gleich
namigen Station. Die ganze Gegend ist reich an Bogomilengräbern und
anderen Denkmälern mittelalterlicher Kultur. Zunächst dem Bahnhofe
führt eine eiserne Strassenbrücke über die Narenta und vermittelt die Ver-
bindung des Bahnhofes mit der Strasse Sarajevo-Mostar. die sich von hier
aus parallel mit der Bahn, aber stets am entgegengesetzten Ufer des
Katholikin von <ler Zec-Planina.
Flusses hinzieht. An schönen bewaldeten Höhen, dem Idbar und der
auch im Sommer noch schneebedeckten Zec-Planina, die mit der prächtigen
serbischen weissrindigen Kiefer bestanden sind, vorüber, gelangt man nach
der Station Rarna, nachdem vorher die Neretvica und der Toscanica-Baeh
übersetzt wurden. Der Eingang in das wundervolle und fruchtbare Rama-
thal selbst, das wir auf einer spateren Tour kennen lernen werden, wird
nur auf einen Augenblick sichtbar. Der Name des Thaies kommt seit
dem 12. Jahrhundert im ungarischen Königstitel vor, während er im
bosnischen Titel fehlt. Den Ungarn war Rama, als das Gebiet zwischen
Kroatien und der Hcrcegovina, gleichbedeutend mit Bosnien, daher die
Ausdrücke in alten Urkunden: vRama seu Bosna« oder »Bosnense regnum,
quod et Ramam vocamus«.
Der Ramafluss wird am Eingange des Thaies auf einer Eisenbrücke
übersetzt, dann gelangt die Bahn in eine Thalenge, in welcher die Narenta
als echter Bergstrom schäumend und tosend im tiefen steinigen Bette dahin-
braust; auf hoher Brücke wird die wildschöne Doljankaschlucht übersetzt,
worauf wir die Station Jablanica erreichen.
Von Konjica bis Jablanica ist die Gegend sehr fruchtbar. Ueberall
sieht man edle Obstsorten, Kirschen, Pflaumen, Kastanien, Wallnüsse und
besonders viele, aber meist wilde Birnen. Auch die Häuser sind weit
freundlicher als in den südlicheren Theilen der Hercegovina, wo es oft in
den Dörfern nur Steinhöhlen zum Wohnen giebt; anders kann man die
roh aufgerichteten menschlichen Behausungen, die jeder Bequemlichkeit
entbehren, nicht nennen. Hier aber sind noch Holzbauten, hohe Dächer,
weisser oder bunter Anstrich. Die Holzzäune und die grüne Umgebung
machen das Bild eines deutschen Gehöftes. Jablanica selbst besteht aus
zwei Theilen, Dolnja- (Unter-) und Gornja- (Ober-) Jablanica. Es liegt in
einem herrlichen Hochthale, um das sich Bergkuppe über Bergkuppe thürmt.
Im Nordwesten die 1648 m hohe Kuppe der Raulja, im Westen die Tri-
naca (2045 m)- Weiter rückwärts die mächtigen Wände der Velika
Cvrstnica (höchste Spitze 2227 m) und im Osten die gewaltige Prenj-
Planina mit dem 2102 m hohen Lupoglav. Das ist schon wild zerklüftetes
Karstterrain, das bis in den Sommer hinein mit Schnee bedeckt ist. Der
imposante Gebirgsstock reicht von der Drezanjka-Mündung bis gegen
Konjica hinauf. Seine Abdachungen fallen nach Westen ungemein steil
ab, während der nördliche Hang sanfter ist und üppige Kulturen wie
Weideplätze trägt. Der Name Prcnj soll auch Weide im Altillyrischen
bedeuten.
Jablanica ist ein Paradies für Touristen und für Sommerfrischler, und
in richtiger Erkenntniss der bevorzugten Lage und der ausserordentlich
gunstigen klimatischen Verhältnisse hat die Landesregierung hier ein
grosses Hotel mit 19 schon eingerichteten Zimmern, vorzüglichen Restau-
— 2S6 —
v . flu ^j
rations- und Gesellschaftsräumen erbauen lassen. Es liegt mitten in einem
herrlichen, wenn auch noch jungen Parke dicht neben der Bahnstation
und bietet nach allen Seiten die wundervollste Fernsicht. Es ist im
Sommer bereite sehr gut besucht, und Parteien aus Mostar und Sarajevo
weilen oft Monate hier; es werden sogar Romane erlebt und Verlobungen
gefeiert, wie das Fremdenbuch mit seinen oft recht drolligen Herzens-
ergüssen verräth. Der Touristenverkehr ist sehr bedeutend, darunter
vorzugsweise Dänen und Franzosen mit hocharistokratischen Namen.
Aber auch Hochtouristen haben die Gipfel des Prenj und der Cvrstnica
bestiegen, darunter zu botanischen Forschungen der Direktor des botanischen
Gartens zu Berlin, Dr. Engler, der einen begeisterten poetischen Hymnus
auf Jablanica ins Fremdenbuch schrieb. Jäger finden noch eine reiche
Ausbeute, namentlich einen vortrefflichen Gemsstand, im Prenj-, Moharnica-
und Dreznica-Gebiete auch zahlreiche Bären und Lämmergeier.
Die Verpflegung im »Hotel Jablanica« ist eine musterhafte, die Preise,
von der Landesregierung festgestellt, durchwegs massig. Um die Bahn-
station und das Hotel hat sich nach und nach eine förmliche Villenkolonie
entwickelt; es sind die Wohnhäuser der verschiedenen Beamten, des Bahn-
Lahdes- Hotel in Jablanica.
19
2S9
ingenieurs, Forstinspektors usw. Eine Kaserne beherbergt den bewaffneten
Schutz, doch ist er bei der Bevölkerung nicht mehr nöthig. Die Leute
sind sehr zuvorkommend und finden bei dem gesteigerten Verkehr ihr
gutes Auskommen. Als ich vor langen Jahren das erste Mal nach Jablanica
kam, da sah es hier ganz anders aus; in einem Han fand ich türkisches
Unterkommen mit sehr viel Ungeziefer. 1885 traf ich ein grosses Truppen-
lager. Eine Kärntnerin hielt ein Gasthaus, das mehr einer grossen Kantine
glich, das aber doch schon gutes Essen bot. Im Jahre 1888 war eine Art
Fremdenkolonie durch den Bahnbau entstanden; neben den grossen Militär-
und Arbeiterbaracken hielten sich viele Kantinen, ein ordentliches Gasthaus,
mehrere Kaffeebuden, einige Krämer, und auch ein böhmischer Schuh-
macher war schon angesiedelt. 1894 hatte sich aus den provisorischen
Fortschritten der dauernde entwickelt. Jablanica ist ein Luftkurort ersten
Ranges und in vieler Hinsicht wird man an schweizerische und Tiroler
Sommerfrischen in den Hochalpen erinnert. Durch die bequeme Ver-
bindung mit Sarajevo und Mostar, sowie durch die regelmässigen Diligence-
fahrten durch das Ramathal nach Prozor und Bugojno zum Anschluss an
die dortigen Bahnlinien nach Jajce und Travnik-Lasva besitzt Jablanica
aber einen grossen Vorzug vor seinen in Tirol und der Schweiz gelegenen
Rivalen und es ist ihm ein bedeutender Aufschwung sicher. Jablanica,
dessen Bevölkerung meist mohammedanisch ist, nimmt im Islam eine
eieene Stelluno- ein, weil hier die Frauen nicht verschleiert gehen. Schon
bei der Einführung des Mohammedanismus scheinen die Frauen hier die
Hosen angehabt zu haben, die sie allerdings sichtbar auch heute noch tragen;
sie verweigerten die Annahme von Feredscha und Jaschmak, blieben der
alten Kleidung treu und tragen sie heute noch. Da der Türke den Volks-
gebrauch — das Adet — stets achtet und ihn als Gesetz betrachtet, so
blieben auch die Vorkämpferinnen der Frauenrechte von Jablanica stets
unbehelligt. Von verschiedenen Seiten wird dieses Festhalten der Frauen
an ihrem alten Rechte als eine Nachwirkung des bogomilischen Glaubens
bezeichnet. Dass hier ein grosser Mittelpunkt dieser Sekte war, wird durch
die zahlreichen Grabsteine bewiesen.
Die Häuser der Einheimischen sind in Jablanica grossentheils aus
schwarzweissen Lavaschlacken erbaut und mit den Platten jenes Thon-
schiefers gedeckt, der neben dem Jurakalk in dieser Felsengegend das
herrschende Gestein bildet und mit seinen phantastischen Gestaltungen
und Schichtungen das enge Defile, in welchem unten das Wasser der
Narenta rauscht, fast so erscheinen lässt, als ob es von übermenschlichen
Händen künstlich erbaut worden wäre. Und in das Narentabett ist von
der modernen Technik buchstäblich die Bahn gesprengt und aufgemauert.
lebt wenige so waghalsige und so interessante Bauwerke in Europa.
Von Jablanica abgehend, kommt der Zug auf einer Brücke von bemerkens-
— 290
weither Eisenkonstruktion auf das linke Narenta-Ufer, passirt einen Tunnel
und windet sich eine Zeitlang zwischen sanfteren I Sei -.lehnen und der dahin-
brausenden Narenta. Dann übersetzt er auf einem grossen Viadukt mit
5 BogenöfFnungen das GlogoSnica-Thal, durchfährt den gleichnamigen
Tunnel, beschreibt mehrere grosse Kurven und lenkt in ein breiteres Thal.
Abermals wird ein Tunnel passirt, der unter den Ausläufern des auf dieser
Seite zerklüfteten Prenj- Gebirges angelegt ist. Ueberall sind Wasserfälle,
so unmittelbar unter der Fahrstrasse die starke Quelle Praporac (auch
Im Narenta- De fil e.
Komadina- Quelle genannt), die in mächtigem Sturze zum Flusse hinab-
rauscht. Jetzt gelangen wir abermals in einen Engpass von 3 km Länge
mit gewaltigen, bis 600 m hohen senkrechten Felswänden auf beiden Seiten,
dann auf einer Brücke neuerlich aufs andere Ufer der Narenta und an
Steilschluchten und Bergparthien von besonderer Schönheit vorüber nach
der Station Grabovica.
Durch mehrere kleine Tunnels erreicht man eine merkwürdige Strom-
enge, die man glaubt mit einem Sprunge übersetzen zu können. Das
eigentliche Felsufer unter den steilen Wanden ist überall aus Konglomerat-
gestein gebildet und mit Geröll bedeckt, doch ist jeder Fusstritt brauch-
barer Erde für die Kultur erobert, mit grosser Mühe eingezäunt und mit
Steinmauern umfriedet. In den höheren La^en des Narentabettes aber
— 291 —
finden sich ausgewaschene natürliche Höhlen, die trotz ihres gefährlichen
Aussehens zu Ställen benutzt und mit Thüren von Flechtwerk primitiv
geschlossen werden. Zwischen wieder höher ansteigenden bewaldeten
Bergen erreichen wir Dreznica, hinter welcher Station auf einer Eisen-
brücke die Drezanjka übersetzt wird. Ein kurzer Einblick bietet sich in
das enge Felsenthal dieses Flüsschens, in die Wildniss, aus der es sich der
Narenta zuwindet. Wenn man einem schmalen Ziegenpfade folgen will,
kommt man nach drei Stunden zu dem Orte Dreznica, der von allen
Dörfern des Landes die eigenthümlichste Lage hat. Eingeengt von den
furchtbarsten, mehrere tausend Fuss hohen Felswänden, die den Dorf-
bewohnern auch zur Sommerszeit nur kurze Stunden des Tages den An-
blick der Sonne gönnen, scheint es, von oben gesehen, auf dem Boden
eines Abgrundes zu liegen. Nur längs des Flüsschens und auf einem
einzigen Wege übers Gebirge, der im Winter meist ungangbar ist, gelangt
man wie die Gemsen kletternd und springend in dieses »Thal der Schatten«.
Ein ganz kleines, aber an Wein, Obst und Getreide fruchtbares Feld nährt
hier eine Bevölkerung von etwa 800 Seelen, die in ihrer rauhen Zurück-
gezogenheit die Eigenheiten der Hercegoviner am treuesten bewahrt haben.
Tnter idiotum hercegovinensem populum«, sagt eine geistliche Quelle,
»habitatores Dreznicae sunt idiotissimi, non minus quam bardi et silvestris.«
Uebrigens glauben die Leute, dass in ihrer Wildniss Schätze versteckt
seien, und thatsächlich fand der Türke Asan Kumric in einer Ruine 1867
mehrere hundert byzantinische Goldstücke des elften Jahrhunderts. Von
den Eigenthümlichkeiten dieser Einsiedler gehen viele Erzählungen, so
unter anderem, dass sie für einen Falken von seltener Schönheit, den sie
dem Sultan schickten, Steuerfreiheit für alle Zeiten erhielten. Jedenfalls
war es einstmals schwer, in Dreznica etwas mit Gewalt einzuheben; seine
Bewohner waren und blieben vergessen in goldener Ruhe.
Gegenüber der Drezanjka-Einmündung, an der Kunststrasse, liegt der
Militärposten Han Sjenice. Hier beginnt bereits die Feige vereinzelt aufzu-
treten, die dann nebst der Granate schon in Janjeni als gemeiner Strassen-
strauch und Baum vorkommt, bis in Mostar die wundervollste südliche Vege-
tation das Auge erfreut. Dicht hinter Han Sjenice fällt die Quelle Crno-
Vrelo (Schwarzquell) mit tosendem Sturzbach in die Narenta. Man hat die-
selbe unter der Strasse durchgeführt, doch ist der Anblick noch immer gross-
artig. Die Quelle entspringt in einer märchenhaft schönen Grotte, deren
dichte Verkleidung von lang herabhängenden Moosflechten kein Luftzug
bewegt, dessen Wasserspiegel keine Welle kräuselt, am Fusse einer hohen
Felswand. Die Bahn fährt zumeist auf hohen Stützmauern; die wechselnden
Landschaftsbilder werden immer pittoresker, immer wilder. Das gesammte
Narenta-Defile, das sich von Jablanica his zur Station Raskagora, die wir
jetzt erreichen, erstreckt, ist von bezaubernder Grossartigkeit und Schönheit.
292
i> F
Jetzt ändert sich wieder das Bild. Der Fluss hat ein weiteres Bett, und
bei Station Vojno erhält man bereits den Blick auf die ausgedehnte Kbene,
in der die hereegovinische Hauptstadt gebettet ist. Hier ist die Gegend
gut angebaut, eine Menge Gehöfte zeigen die Nähe dir grösseren Stadt.
Das »Bjelopoljc« (weisse Feld) soll einstmals ein Seebecken gewesen sein,
und die Bewohner führen hierfür einen allerdings ganz merkwürdigen Be-
weis. An verschiedenen Randstellen der Ebene, bei Kuti, Suhodol, Vojno
und Rastani, hängen von den Felsen grosse eiserne, in Blei eingegossene
Ringe herab und diese sollen früher zur Befestigung der Schiffe
gedient haben. Heutzutage ist allerdings von diesem Wasserüberfluss
selten etwas zu spüren; selbst die Narenta macht bei der »Skakalo
(Sprung) genannten Stelle den Versuch, unterirdisch zu verschwinden.
Die Felsen verengen nämlich das Flussbett so, dass man das Wasser kaum
sieht, und der Fluss kann wirklich mit einem kühnen Sprunge übersetzt
werden.
Es war 8 Uhr Abends geworden, als wir in Mostar einfuhren. Hohe
Berge mit vielen Befestigungen deuten an, dass wir uns in einem Lande
befinden, in dem man noch vor wenigen Jahren dem Frieden nicht trauen
Hotel X a reu ta in Mosta r.
!95
durfte. Helles Gaslicht auf dem Bahnhofe, Omnibusse von Hotels, Fiaker
zeigen aber, dass in der einst so wilden Hercegovina Kultur und Civilisation
eingekehrt sind. Wenige Minuten Fahrt bringen uns nach unserem Ab-
steigequartier, dem landesärarischen »Hotel Narenta«, einem Prachtbau, in
dessen gastlichen Räumen wir in fröhlicher Gesellschaft bald Erholung
von den vielen Genüssen des Auges finden. Eine grosse Cook'sche Reise-
gesellschaft ist gerade über Dalmatien aus Metkovic gekommen, ein Beweis,
dass Bosnien-Hercegovina in den Welt-Rundreiseverkehr eingereiht wurde.
* .''■
I m Baz a r in M ostar.
Die
hercegovinische
Hauptstadt.
Es giebt wenig pittoreskere Orte als die
Hauptstadt der Hercegovina. Eingebettet zwischen
hohe Berge, den Podvelez und den Hum, zwischen
denen die Narenta im tiefen, wild zerklüfteten Bette
dahinbraust, zeigt sie so recht den Charakter der Re-
sidenz eines kriegerischen Volkes. Im Süden die grosse
Ebene Bisce, im Norden das weite Bjelopolje, hätte sie
Raum genug zur Ausdehnung in weite Gefilde gehabt,
aber sie blieb eng zusammengedrängt in einer Art
Verteidigungsstellung, und die vielen Forts auf den Bergkuppen, die ihr
Entstehen der neuen Zeit verdanken, dienen nicht dazu, den kriegerischen
Eindruck zu mildern. Die Häuser sind durchwegs von Stein, und angesichts
der kahlen Berge tragen sie so recht das Aussehen, an das man beim
Hören des Wortes Hercegovina unwillkürlich denkt: das des steten Kampfes.
Aber Mostar ist nicht nur hercegovinisch, es ist auch italienisch und sehr
viel orientalisch. Diese Mischung im gesammten Stadtbilde, zu dem sich
noch jetzt das europäische Bauelement gesellt, bringt einen so eigenen
Reiz hervor, dass jeder Besucher von Mostar gebannt und gefesselt wird.
Dazu tritt der malerische Anblick des wild zerrissenen Narentabettes und
als wirksamster Kontrast, gegenüber den starren kahlen Abhängen des
Hum, die üppigste tropische Vegetation in den Gärten und Feldern. An
den Felshängen grünen nur Büschel von Salbei zwischen den Steinen, sich
kaum vom steinigen Grunde abhebend, in den Feldern die üppigste und
saftigste Blüthe - - ein botanisches Märchenparadies ....
— 297
Mostar ist aber auch in klimatischer Beziehung eine tropische Stadt.
Auf die Strassen brennt den grössten Theil des Jahres eine afrikanische
Sonne, welche die Hitze bis zu 40 und mehr Grad steigert und ein
Spazierengehen zur Qual macht. Die Abende bieten wenig Erholung;
aus den Steinen strahlt nach Sonnenuntergang die Wärme eines Dampf-
bades, und man muss sich in den Wohnungsräumen vor den »Papadaci-
— einer winzigen blutdürstigen Moskitoart — wohl in Acht nehmen.
Wenn aber einmal — was sehr selten geschieht — der Winter herein-
bricht, dann ist die Kälte zwischen den Steinmauern und bei oft nicht
vorhandenen Oefen eine doppelt empfindliche, die nur einer Steigerung
fähig ist, wenn die Bora von den Bergen mit verheerender Gewalt daher-
braust. Den Fremden, der in vorzüglichen Hotels untergebracht ist, be-
rühren diese Mostarer Eigenthümlichkeiten allerdings nicht, und ihm wird
sich die interessante Stadt ins Herz schmeicheln, dass er sie nie wieder
vergisst.
Die hereegovinische Hauptstadt hat eben auch ihre idyllischen Plätze.
Wenn man den Bazar durchwandert und die alte Narentabrücke (deren
wir später noch eingehend gedenken) überschritten hat, kommt man in
den Stadttheil Zahumje. Hier ist das stille Viertel von Mostar, das
Terrain der Gärten. Ueber niedrige Mauern grüssen die Granatblüthen,
riesige Maulbeer-, Feigen- und Nussbäume strecken ihre Aeste über die
Strasse und bieten Schatten, eine Menge von blühenden Gesträuchen und
Blumen haucht berauschenden Duft aus. Hier ist der Kreisgarten, der
Yersuchsgarten der Obstbauschule angelegt, der ein wahres Eden für den
Kenner bietet und der besonders prächtiges Obst an Zwergstämmchen
enthält. Dicht dabei steht hinter hohen Mauern die katholische Kirche,
ein Neubau von der Form einer Basilica, die Details im korinthischen
Stile. Ueber dem Hauptportale liest man in der Landessprache die In-
schrift:
Gott dem allmächtigen Schöpfer, dem heil. Petrus und dem heil. Paulus steht
diese Kirche errichtet. Der !_;uti;,re Kaiser von Stambul gab zu ihrem Bau eine
freundliche Stätte und überdies fünfzig Beutel. Das arme Volk trug eine kleine
Beihilfe zusammen; alle übrigen schweren Kosten steuerte das Ausland durch die
Sorge der Brüder Franziskaner und ihres bischöflichen Oberhauptes. A. i >. 1866.
7 . Mi
Die Geschichte der katholischen Kirche in Mostar ist eine lange
Leidensgeschichte. Bis in die Fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts durfte
der katholische Vikar der Hercegovina nur verkleidet oder bei Nacht die
Hauptstadt betreten, um den wenigen dortigen Katholiken geistlichen Bei-
stand zu spenden. Diesem Zustande ein Ende zu machen, war das Ziel
Vikars Raphael BariSic, der in einer Hütte in Seonica residirte. Mit
Ausdauer und schlauer Politik erwirkte er nicht ohne schwere Mühe und
— -■
Kosten einen grossherrlichen Ferman, der ihm den Bau eines bischöflichen
Hauses in Mostar gestattete. Allein die Mohammedaner in der Stadt
trotzten dem Befehle des Sultans, sie griffen zu den Waffen und würden
den Vikar, der auf seinem Rechte bestand, getödtet haben, wenn sich
nicht der Vezier Ali Pascha ins Mittel gelegt hätte. Dieser erwarb ~ so
erzählt Dr. Hoernes — da die Türken um alle Schätze der Welt keinen
Baugrund in der Stadt verkauft hätten, ausserhalb derselben in Vukodol
(Wolfsthal) unter seinem Namen ein Grundstück, das er dem Vikar um
den Preis von sechs Beuteln Piaster (300 fl.) verkaufte. Obwohl auf diese
Nachricht die Türken sich zusammenrotteten und schworen, dass sie lieber
fallen wollten bis zum letzten Mann, als einem Ungläubigen diesen Bau
zu gestatten, schritt Barisic dennoch, umgeben von zehn bewaffneten
Kawassen des Veziers, furchtlos von einem Pmde der Stadt zum anderen,
zwischen den aus allen Fenstern hervorragenden Flintenläufen der Moham-
medaner hinaus nach Vukodol. Hier nimmt er, während rings umher Alles
für sein Leben zittert, der Einzige, den sein Heldenmuth keinen Augen-
blick verlässt, einen Stein und bezeichnet damit die Grundlinien seines
Hauses. Dann befiehlt er dem Werkmeister die Ausführung des Baues
im strengen Tone eines kaiserlichen Gebotes und kehrt unversehrt nach
Seonica zurück, wo er von den Seinen als Sieger empfangen wird. Das
geschah 1847. Der Fanatismus der Türken barg eine solche Gefahr, dass
selbst die Werkleute beim Bau nicht anders sicher waren, als wenn ihnen
die Waffen im Gürtel steckten oder zur Hand lagen. Als aber der Bau
vollendet war und Barisic von seiner Residenz Besitz ergriffen, machte
sich der Einfluss dieses Schrittes in Mostar sofort nachdrücklich geltend.
Vor 1852, in welchem Jahre der Vikar nach Mostar übersiedelte, gab es
in dieser Stadt kaum 120 katholische Familien. Diese bestanden aus
armen Knechten und Handwerkern, deren keiner auch nur den bescheiden-
sten Platz im Bazar einnahm. Schon 1867 war die Zahl der katholischen
Familien Mostars 398 mit 171 5 Seelen, und sie vermehrte sich rapid,
so dass bald eine Schule gegründet werden musste.
Bald erschien auch die mit dem Hause des Bischofs verbundene
Kapelle zu klein für die Gemeinde und die Errichtung einer grösseren
katholischen Kirche in Mostar wünschenswerth. Auch dieser Bau war das
Werk von Barisic. Die Machthaber, welche der schlaue geistliche Politiker
nach einander benützte, sind geschichtlich bekannte Personen. Ali Pascha
Rizvanbegovic aus Stolac, der 1832 bis 1849 die Hercegovina fast
unumschränkt beherrschte, hatte die Schwäche der Pforte gegenüber dem
bosnischen Aufstande von 183 1 benützt, um sich zum Vezier seines
engeren Heimathlandes aufzuschwingen. Treulos oder, wenn man will,
bloss kalt gegen die nationalen und religiösen Interessen der slavischen
Mohammedaner Bosniens, die Hussein Aga von Berbir glänzend vertrat.
Einerans: zur alten Mostarer Brücke.
hielt er zum reformfreundlichen Staate, suchte aber nachher in seiner
Statthalterschaft die Hoheit desselben auf ein Minimum herabzusetzen.
Durch türkische Perfidie überlistet, bei einem Gastmahl in Mostar von
Omer Pascha gefangen genommen, fiel er, ein echter Repräsentant seines
Stammes, von Kugeln durchbohrt oder wie Andere wissen wollen, durch Gift.
Als nach dem jähen Sturze Ali Pascha Rizvanbegovic Omer Pascha
als Oberfeldherr der kaiserlichen Truppen in Mostar herrschte, wusste
Barisic diesen zu gewinnen, und er erlangte durch sein Fürwort in Stambul
nicht nur die Bewilligung zum Bau der Kirche, sondern auch die An-
weisung eines geeigneten Baugrundes und das Geschenk von fünfzig
Beuteln Piaster. Auch diesen Bau hemmte die Missgunst der Moham-
medaner von Mostar, die nicht gestatteten, dass die Steine zum Werk in
der Nähe "der an einem wenn auch entfernteren Orte gebrochen würden.
Es mussten an elf verschiedenen Tunkten Steinbrüche eröffnet werden,
wodurch sich die Baukosten natürlich sehr steigerten. Die Werkmeister
waren eingeborene Hercegoviner, meist aus dem Popovopolje, Bauleiter durch
sechs Jahre der abendkindisch gebildete Peter Bakula. Barisic erlebte nicht
mehr die Vollendung c\e^ Baues, aber sein Werk gedieh und wurde fi
Und heute kennt Niemand mehr in Mostar Religionshass, alle Bekenntnisse
leben ruhig und friedlich neben einander. Wird doch dicht neben der
katholischen Kirche ein Nonnenkloster direkt an die Strasse gebaut, ohne
dass die meist mohammedanische Bevölkerung dieses stillen Stadtviertels
auch nur mit den Wimpern zucken würde.
Und weiterschreitend auf unserer Wanderung durch die enge stille
Strasse des Zahumje-Viertels wird das Auge immer von Neuem entzückt
durch grüne Wildnisse, die sich oft über türkischen Friedhöfen zu un-
durchdringlichen Dickichten wölben. Wir folgen eine Zeitlang dem Lauf
der Radobolja, welche die neue Wasserleitung von Mostar speist, kommen
an einer Menge kleiner Kaffeegärten vorüber und kehren endlich bei einer
krainerischen Wirthin ein, deren Mann früher als Feldwebel in Mostar
diente. Hier gab es ein ganz annehmbares Flaschenbier, das in dem
eiskalten Bache gekühlt wurde.
Maulbeerbäume von riesigem Um- f- '"
fange, wie ich selten solche sah,
beschatteten den Garten und das
Haus, in dessen Gaststube zahl-
reiche Schwalben aus- und ein-
flogen, die dort ihre Nester
hatten. Es ist ein schöner Zug
der orientalischen Völker, dass
sie Thierquälerei nicht kennen,
dass Vögel nicht verfolgt und
gefangen, Pferde wenig oder gar
nicht geschlagen werden. Es ist
richtig, man pflegt in Bosnien-
Hercegovina die Thiere nicht
eigens, aber man lässt sie sich
naturgemäss entwickeln und freut sich
ihres Gedeihens. Oefter gab es Konflikte
mit den eingewanderten italienischen
Arbeitern, die heimischer Sitte gemäss fc£Jä£^»I
keinen Vogel sehen können, ausser er
liegt gebraten auf der Polenta. Auch die Landes-
regierung hat sich schon genöthigt gesehen, gegen
diese Vertikfungr Verordnungen zu erlassen. In vielen
— 305
Gegenden des Landes sind die kleinen Singvögel ohnedies selten genug,
weil die zahlreichen Geier für deren Vernichtung sorgen. Nur der Spatz
findet sich überall und, Gott sei Dank, er vermehrt sich zahlreich.
Da ich schon von der Vogelwelt spreche, möchte ich gleich noch
eines idyllischen Punktes nahe der alten Xarentabrücke gedenken. Dort
sind grosse Höhlen, augenscheinlich einstmals vom Flusse ausgewaschen,
und in diesen und dem angrenzenden Garten ist eine Bierhalle etablirt,
die Niederlage der Sarajevoer Aktienbrauerei. In diesen Höhlen ist es
wunderbar kühl und selbst Kronprinz Rudolf verschmähte es 1888 nicht,
diesem originellsten aller Bierhäuser einen Besuch abzustatten. Hier fliegen
die Schwalben zu Hunderten aus und ein, ohne sich um die Menschen zu
kümmern. Sie nisten ruhig in den »Gemächern«. Uebrigens hat man
von hier aus auch einen guten Fernblick auf das wild zerklüftete Narenta-
bett, dessen Wildheit gerade in der Stadt am meisten zur Geltung kommt.
Die Hauptsehenswürdigkeit, wegen der Mostar von alter Zeit her
o-enannt wurde, ist die steinerne Brücke über die Narenta, die man den
Römern zuschrieb, wie :
man auch hier die Römer-
stadt Matrix suchte. Nun
mag ja in früheren und
frühesten Zeiten hier
eine grössere Ansiedlung
bestanden haben, aber
die Ableitung des Stadt-
namens von »Most stari«
(alte Brücke) ruht denn
doch auf ziemlich
schwachen Füssen. Die
Blüthe der Stadt datirt
jedenfalls erst aus der
Zeit, da das mittelalter-
liche Blagaj im Bisce-
polje verfiel und Mostar
Sitz des Gouverneurs
wurde. In den Kriegen
der Venetianer mit den
Türken war Mostar eine
feste Stellung der letz-
teren und mehrfach miss-
lang eine Belagerung.
Die alte Brücke, die in
einem einzigen kühnen Moschee in Predhum. Mostar.
— 306
Bogen von 95 Fuss Spannweite bei 75 Fuss Hohe den Fluss übersetzt,
ist jedenfalls ein ungemein kühnes Bauwerk, das am meisten imponirt,
wenn man es vom Flussbette aus betrachtet. Die Brücke wird von Thor-
thürmen flankirt, die sammt ihr im Volksmunde Grad< (das Schloss)
genannt werden. Die Thorthürme sind halbkreisförmig, mit ungemein
dicken Mauern, und dienten früher theils als Pulvermagazine, theils als
schwere Kerker. Heute haben sie natürlich jede Bedeutung verloren.
Ueber die Entstehung der Brücke bestehen verschiedene Versionen, von
denen diejenige, welche den Bau den Römern zuschrieb, als beseitigt
gelten kann. Die Mohammedaner behaupten, die Brücke wäre erst längere
Zeit nach der Eroberung der stolzen Hercegovina durch Sultan Bajazid II.
unter dem grossen Sultan Sulejman IL im Jahre 974 der Hedschra (d. i. im
Jahre 1566) gebaut worden. Als Beweis hierfür wird eine arabische Inschrift
in der Mitte des Bogcns angeführt, welche lautet: »Kudrct kemeri« (Bogen
der Allmacht Gottes). Nach arabischem Brauche soll diese Inschrift durch
Zusammenzahlung der Zahlcnwerthe der einzelnen Buchstaben das Jahr der
Erbauung ergeben. In diesem Falle erhält man 974 (1566) als das ge-
suchte Jahr. Da die Inschrift nur von den ziemlich weit entfernten Ufern.
zu sehen ist, überdies die Inschriftzeichen alt und verwittert sind, ist es
sehr schwer, sie heute noch zu entziffern. Authentischen Bericht giebt
der türkische Geograph Hadschi Chalfa (in »Rumeli und Bosna«):
»In Mostar ist eine sehr merkwürdige, aus einem Bogen gewölbte Brücke, im Jahre 974
erbaut. Da die meisten Gärten jenseits des Flusses liegen — im Thale der Radobolja , so
passirte man denselben ehemals auf einer grossen in Ketten hängenden hölzernen Brücke,
die aber, da sie keine Pfeiler hatte, so schwankte, dass man nur mit Todesfurcht hinüberging.
Nach der Eroberung baten die Einwohner den Sultan Sulejman, ihnen eine steinerne Brücke
bauen zu lassen. Dieser schickte den Baumeister Sinan — den Ljrössten türkischen Architekten
aller Zeiten — , der nach genommenem Augenschein es für unmöglich erklärte, hier eine Brücke
zu wölben. Man stand also davon ab. Späterhin verbürgte sich ein geschickter Tischler-
meisler des Ortes für die Ausführbarkeit des Vorschlages, and die Brücke kam zu Stande.
Sie hat einen einzigen Bogen, dessen Durchmesser 150 Ellen misst, ein Kunstwerk, das alle
Baumeister der Welt schachmatt machte. Die Mauer, worauf der Bogen ruht, hat in der Breite
beiläufig 8 Ellen.«
Bei den Orthodoxen knüpft sich an (\cn Bau der Brücke wieder die
Sage vom Bauopfer. Der von den Türken gefangene Baumeister Rade
erkaufte sich die Freiheit durch dieses Werk, das ihm trotz aller An-
strengungen nicht gelingen will, bis er auf den Rath der Vila vom Berge
Veles ein Liebespaar in den Grundfesten der Brücke vermauert.
Der türkische Dichter Derwisch Pascha (1004 d. Hedschra Vezier von
Bosnien), ein Mostarer Kind, besingt in einem Gedichte, welches die Be-
schreibung Mostars zum Gegenstande hat. che Stadt und Brücke in be-
geisterten Worten, die in der Uebersetzung ungefähr lauten:
»Die beispiellose Schönheil Mostars lässt sich mit der Feder nicht beschreiben
wundere dich nicht, wenn Mostar dich bezaubert hat. [ch finde nirgends ai en Welt —
— 307 —
ausser in den paradiesischen Sphären — - solch balsamische Lüfte, welche das Herz erweitern,
und solches Wasser, welches das Leben verlängert. Wer Mostar besichtigt, der erwacht mit
jedem Augenblicke zu neuem Leben ! Jeder Winkel Mostars erfüllt das Herz mit neuer Freude.
Mit seinen Gewässern und mit seinen Fruchtbäumen kann es sich mit Anatolien messen.
Jedes Gärtchen Mostars ist ein Garten Edens. Die Mostarer Brücke mit ihren zwei Thürmen
gleichet dem Himmelsgewölbe, auf dem die Sternlein in ihrer Bahn wandeln. Aber nicht einmal
Iva rayi o z - Moschee in Mostar.
das Himmelsgewölbe kann sich mit ihr vergleichen, denn auch seine Grösse wird überflügelt
durch die Grösse des Brückengewölbes. Und wenn du die ganze Welt absuchst, so findest
du nirgends ein solches Leben wie in Mostar, der Werkstätte aller Wissenschaften und Künste.
Aus Mostar entsprossen gewaltige Helden des Schwertes und der Feder, wie früher so auch
jetzt. Vor mir müssen verstummen die indischen Papageien, denn ich bin die Nachtigall,
welche Mostar besingt.
Beim Uebersteigen der Brücke fällt deren starke Steigung aut, die
durch Staffeln vermittelt wird. Dafür belohnt vom höchsten Punkte, wo
308
ehedem eine Art von Pranger bestanden haben soll, eine fesselnde Schau
stromauf- und abwärts, wie hinunter in die schwindelnde Tiefe. Der Wagen-
verkehr über die Brücke ist jetzt verboten, da sich bedrohliche Risse im
rechtsseitigen östlichen Brückenpfeiler zeigen. Der Verkehr vollzieht sich
über zwei neue eiserne Brücken, deren eine, die »Franz Josefsbrücke-,
auch den Bahnhof mit der Stadt verbindet.
Die Strassen der Stadt sind in gutem Stande und so weit rein, als
es bei dem starken Verkehr mit Tragthieren überhaupt möglich ist. Ganze
Karawanen kommen vom Lande mit allen möglichen Verkaufsartikeln,
grosse Schaf- und Ziegenheerden, meist von Weibern getrieben, die noch
nebenbei auf einer Spule spinnen. Besondere Schönheiten findet man —
abgesehen von der Gestalt — unter diesen Landweibern nicht, sie sind
meist sehr gebräunt, häufig schmutzig in der Kleidung, aber keiner fehlt
der Halsschmuck von Silbermünzen oder Schnüren von Glas- und Bern-
steinperlen. Auch auf dem Kopfe tragen sie Münzen, oft in das in viele
kleine Zöpfchen geflochtene Haar künstlich eingehängt. Die Unreinlichkeit
in der Kleidung ist aus dem in vielen Gebirgsgegenden herrschenden
Wassermangel zu erklären, denn dieselbe verschwindet dort, wo Wasser
vorhanden ist. Die Sonntagskleidung ist aber stets rein, die Leinensachen
schön gestickt in den bekannten südslavischen Mustern. Dann gehen die
Frauen auch nicht gedrückt daher und ihre dunkeln Augen blitzen im
südlichen Feuer. Die Stadtbevölkerung trägt sich, soweit sie sich nicht
bereits ä la franca kleidet, national. Die orientalisch-orthodoxen Christen
haben meist den schwarzumränderten montenegrinischen Fez, aber statt
der in den Schwarzen Bergen gebräuchlichen eingestickten Initialen des
Fürsten ist ein goldener Stern auf den rothen Deckel gestickt. Es ist
ein kräftiger, hochgewachsener Menschenschlag, der mit grossem Selbst-
bewusstsein einherschreitet. Da ist keine Unterwürfigkeit zu spüren ; man
merkt es den Männern an, dass sie stets bereit sind, für ihre Freiheit zu
kämpfen. Hier sieht man deutlich, dass Bosnier und Hercegoviner trotz
der gleichen Sprache und Abstammung sich zu verschiedenen Völkern
entwickelt haben. Dieses Volk konnte von den Türken nie vollständig
unterjocht werden und jeder Versuch wurde blutig zurückgewiesen. Dabei
sind die Hercegoviner offen und ehrlich; gegen Fremde wohl, wie alle
Gebirgsvölker, nicht besonders entgegenkommend, aber in jeder Weise
verlässlich. An das gegenwärtige Regime haben sie sich gewöhnt, die An-
gewöhnung ging freilich langsamer vor sich als in Bosnien.
Die 30 Moscheen der Stadt — darunter die prächtige Karagjoz-
Moschee — sind meist recht stattliche Bauten, besonders die Minarets von
einer Schönheit, dass denselben wenige in der Türkei an die Seite gestellt
werden können. Schon die Ausführung in grossen Steinquadern, die
wundervoll ausgearbeiteten Mauerkronen an den Galerien, welche den
309
Muezzins zum Ausrufen der Gebetszeiten dienen, rufen Bewunderung hervor.
Dabei stehen bei den Brunnen zu den täglichen fünf Waschungen in den
Höfen der Dzamijen meist prächtige Cypressen, und die Friedhöfe,
die nach alter muselmanischer Sitte gleich an die Moscheen sich
schmiegen, prangen in üppigem Grün, dem die Granatblüthen ein leb-
hafteres Colorit verleihen, so dass die Ruhestätten der Todten ihren
düsteren Charakter gänzlich verlieren. Ueberhaupt wird von der Behörde
viel zur Hebung der Baum- und Gartenzucht, für Verbesserung und Ver-
schönerung gethan. Sie Hess auch den ehemaligen Schindanger in Zahumje,
auf welchen alle Abfälle der Stadt geworfen wurden, in den früher er-
wähnten prächtigen Garten der Kreisbehörde umwandeln. Während ehe-
mals die an den Schindanger grenzenden Parzellen gleichfalls verödet und
sozusagen unverkäuflich waren, haben heute die Besitzer derselben sich
gleichfalls Gärten angelegt. Ganz besonders zu erwähnen ist jedoch die
Anlage der Stefanie-Allee, die vom Bahnhof in schnurgerader Richtung
ins Freie führt. Mit prächtigen Bäumen bestanden, bietet sie wundervolle
Spaziergänge; rechts und links liegen förmliche Feigenwälder, von grünen
Gebüschen eingefasste
üppige Tabak- und Mais-
felder und dazwischen
immer wieder einmal eine
kleine Gastwirthschaft, ein
türkisches Kaffeehaus, wo
man im Grünen wunder-
bar ruhen kann.
Hier wird überall ziel-
bewusstgearbeitet, und die
auf der Südseite entstehen-
den neuen europäischen
Stadttheile, die vielen
Neubauten in der alten
Stadt zeugen von Unter-
nehmungsgeist und Fort-
schritt. Das Gebäude der
Kreisbehörde ist ein Mo-
numentalbau , ein eben-
solcher ist das in mauri-
schem Stile neu errichtete
Vakufgebäude, das Ma-
gistratsgebäude mit den
Räumlichkeiten der Be-
zirksbehörde und die Im Brückenvierte] von M- ii.
3'° —
* Ms
>5
,-
höhere Mädchenschule.
Mostar besitzt bereits
diese Einrichtung, es
ist eine Art Mädchen
gymnasium, die sich
schon wegen der Kin-
der der vielen Beamten,
Militärs und Fremden
gut bewährt, doch wird
die Schule auch von
Einheimischen fleissig
besucht. Grosser Aner-
kennung erfreuten sich
die Handelsschule und
die allgemeine Volks
schule. Neben dieser
bestehen noch die verschiedenen kon-
fessionellen Volksschulen. Die Kinder,
welche die serbische oder richtiger ortho-
doxe Schule besuchen, sind nicht zu beneiden;
sie müssen einen steilen Berg steigen, der schon
in gewöhnlichen Zeiten an den beschwerlichen Weg
zum Himmel erinnert, im Winter oder bei Sturm
lebensgefährlich wird. Die Schule liegt nahe der griechi-
schen Kirche, und um die Aufsicht nicht aus den Augen zu verlieren, willigt
die Geistlichkeit in keine Verlegung derselben. Die Kirche hat allerdings einen
imposanten Platz auf dieser Höhe, von der man einen weiten Fernblick über
ganz Mostar geniesst. Sie ist in grossen Dimensionen im byzantinischen Stil
gebaut. Das Innere ist bis auf die Ikonostas (Bilderwand) ziemlich schmuck-
los, doch macht der Raum mit seiner imposanten Wölbung, die von
mächtigen steinernen Säulen, mit das Auge jedes Kunstfreundes ent-
zückenden Blumen- und Lorbeerkapitälen, getragen wird, einen erhabenen
Eindruck. Der Metropolit empfing uns in der Kirche mit dem Archi-
mandriten und mehreren Geistlichen und machte uns auf alle Einzelheiten
des Bauwerkes aufmerksam. Der Metropolit ist wohl ein geborener Grieche;
er sprach die Landessprache nicht gut, und es geschah in der serbischen
Kirche das Originelle, dass der geistliche Oberhirte mit einem uns
begleitenden Herrn sich türkisch verständigte. Den Geistlichen dürfte es
unter der osmanischen Herrschaft nicht gerade schlecht ergangen sein.
denn sie tragen meist türkische Dekorationen. Uebrigens bemerkt man
bei den Eingeborenen viele österreichische Orden, die mit Stolz getragen
werden.
Für die gegenwärtig 17 oio (1885 nur 12700) Bewohner zählende
Stadt ist die Carsija — das Bazarviertel — massig zu nennen. Die
500 Verkaufsgewölbe, die sich stromabwärts bis zur alten Narentabrücke
ausdehnen und selbst jenseits derselben noch eine Verlängerung haben,
enthalten die türkischen Waaren, auch verschiedene origineller Mostarer
Erzeugung; so sind z. B. hübsche, ganz gewöhnliche Thongefässe des
Kaufens werth. In manchem Gewölbe findet man wohl auch noch ein
Prunk- oder Schmuckstück aus alter Zeit, aber das Meiste ist bereits durch
Partie von Mostar.
Kauf in europäischen Besitz übergegangen. Des Ansehens werth ist die
Gasse der Schneider, wo die prächtigen, goldgestickten Anzüge der reichen
Hercegoviner angefertigt werden. Hier bereitet das Besichtigen keine
Umstände, da fast offen — wie in Italien — auf der Strasse gearbeitet
V
wird. In der Carsija steht übrigens mitten auf offenem Platze ein originelles
Kaffeehaus, das »Cafe Luft« von den Fremden genannt. In einem von
allen Seiten offenen kleinen Pavillon stehen ringsumher Bänke, an der
Seite ist ein offenes Kohlenfeuer und an ihm bereitet der Kafedzija einen
geradezu vorzüglichen Mokka.
Am Nord- wie am Südende der Stadt befinden sich ausgedehnte,
massiv hergestellte Lager (Kasernen und Baracken) für die Garnison. Ueber-
;ill sind hübsche Garten- und Baumanlagen versucht worden, doch wollen
312
die auf der Südseite nicht recht gedeihen; der Boden ist zu steinig und
des Regens zu wenig im heissen Mostar. So oft ich jetzt die Hercegovinaer
Hauptstadt besuchte und das ist — abgesehen von einem kurzen Aufenthalt
unter türkischer Zeit — viermal, kam es mir vor, als ob die Bäumchen
beim Südlager noch verkümmerter wären, — der direkte Gegensatz zu
der wildwuchernden Ueppigkeit an der Narenta und Radobolja.
Nicht weit vom Südlager, aber innerhalb der Stadt, steht die ärarische
Tabakfabrik, die eines Besuches werth ist. Es sind dort 300—400 grössere und
kleinere Mädchen und eine Menge männlicher Arbeiter beschäftigt, welche
den [ausgezeichneten Hercegovinaer Tabak zu Cigaretten und Cigaretten-
tabak verarbeiten. Unter dem männlichen Personale sind alle Konfessionen
vertreten, unter dem weiblichen nur Orthodoxe und Katholikinnen, da die
Mohammedanerinnen — soweit sich solche zur Arbeit melden — diese
nach Hause bekommen. Der Verdienst ist selbst für europäische Ver-
hältnisse sehr anständig; die Arbeitssäle sind sehr licht und reinlich gehalten
und die hübschen Gestalten der Mädchen, welche durchwegs in ihrer
malerischen Tracht, mit dem Fez auf dem Kopfe, bei der Arbeit sitzen,
bieten einen unvergleichlichen Anblick. Einzelne tragen Münzen, selbst
Dukaten und alte türkische Goldstücke um Fez und um den Halz. Die-
ienigen, welche sich diesen Luxus nicht gönnen können, tragen Blumen
am Fez und im Haar. Ebenso stehen Blumen auf allen Arbeitstischen,
Weinbaustation bei Mostar.
was einen so grundverschiedenen Anblick gegenüber den
Arbeitssälen unserer heimischen Fabriken gewährt, dass man
glaubt, hier werde nur zum Ver-
gnügen gearbeitet. Oft erhalten
diese Madchen ihre armen Fa-
milien mit dem für orientalische
Begriffe sehr hohen Lohne. Wie
uns der Direktor versicherte,
gäbe es keine fieissigeren und
geschickteren Arbeiter und Ar-
beiterinnen, als dieser jugend-
liche Nachwuchs, von dem so
viele aufgenommen werden, als
sich nur melden. Die Fabrik
muss beständig vergrössert wer-
den, da der Anbau des Tabaks
und die Ausfuhr der Fabrikate
in steter Steigerung begriffen ist.
An der Strasse nach Blagaj,
im Biscepolje, steht auch die An der Narenta ^Mostar).
landesärarische Wein- und Obst-
baustation. Inmitten einer Wein- und Baumanlage von 32 Hektaren
liegen das hübsche Presshaus und das Wohnhaus der Beamten. Es
werden nur aus absolut phylloxerafreien Gegenden Reben bezogen und
gepflanzt, theils für die Produktion, theils zur Weitergabe an Wein-
bauer. Der Weinbau ist um Mostar ziemlich bedeutend und das Gewächs
von geradezu vorzüglicher Güte, aber auch von verdächtiger Schwere.
Die Proben, die uns in der Weinbaustation vorgesetzt wurden, liessen
uns nur wünschen, dass bald alle kahlen Abhänge der Hercegovina,
mindestens der gesammten Umgebung von Mostar, mit Reben, die so
köstliches Getränk liefern, bepflanzt wären. Nicht weit davon ist bereits
eine Frucht der Station: die Weinkellereien von Risto Jellacic. Der
reiche Weinbauer, der seine Anlagen stets vergrössert, liess seinen Sohn
auf der Weinbauschule in Klosterneuburg (Niederösterreich) studiren und
dann nach dessen Plänen grosse Kellereien aufführen und den Wein
rationell behandeln. Es ist ein Vergnügen, in die hohen Räume zu treten,
wo die grossen Stückfässer lagern, und dann einen Gang durch die unter-
irdischen Keller zu machen, wo man aus dem Kosten und dem Wundern
nicht herauskommt. Der Wein — dunkler und heller — wird bereits viel
nach dem Auslande versandt, selbst nach Brasilien, wie uns der Besitzer
mit Stolz erzählte. Die Preise sind nicht billig, aber das Mostarer Gewächs
kann sich mit den besten Marken sämmtlicher europäischer Weinländer
SM
messen. Der alte Herr Jellacid spricht gut italienisch, sein Sohn flies
deutsch, so dass Fremden ein Besuch nur empfohlen werden kann.
Von den Mostarer Hotels ist das landesärarische Hotel Nar<
das erste, beste und empfehlenswertheste. Die Zimmer sind vorzüglich,
die Preise vorgeschrieben und nicht zu hoch, die Restaurations-, 1
und Kaffeehausräume wie in den feinsten Lokalen der europäischen Gross
stallte. Entzückend ist aber eine in den Garten hinausgebaute Veranda
gegen Abend, wenn die verschiedenen fremdartigen Bäume mit einander
leise (lüstern, wenn der Mond in voller Klarheit am dunkelblauen Firma-
ment erscheint und man die Gewässer der nahen Narenta rauschen hört.
Da glaubt man sich nicht in der Hercegovina zu befinden, die mit Recht
so lange Jahrhunderte die wilde oder die -blutige genannt wurde.
Gegenwärtig wäre neben dem Hotel Narenta« noch das Hotel Kronprinz
zu empfehlen. Sonst giebt es mehrere einheimische Einkehrwirthshäuser,
eine Anzahl türkischer Hans und eine Unzahl kleiner Hier- und Weinwirth-
schaften, die meist von Oesterreichern oder Ungarn gehalten werden. Auch
die Dalmatiner sind viel unter den kleineren Kneipenwirthen vertreten,
wie überhaupt das dalmatinische Element im Mostarer Leben eine grosse
Rolle spielt. Ist das Italienische doch schon mit Umgangssprache ge-
worden. Deutsch wird überall gesprochen, und selbst viele der Ein-
heimischen können sich recht gut deutsch verständigen. Sie haben Lust
und Liebe zum Lernen, was man besonders in den tüchtigen neuen Volks-
schulen beobachten kann. Dabei haben selbst die kleinen Knaben einen
freien offenen Blick, einen natürlichen Anstand und ein so sicheres Be-
nehmen, dass unsere Kinder absolut keinen Vergleich aushalten können.
Die Umgebung von Mostar ist reich an interessanten Ausflügen;
einer der für Jäger besonders empfehlenswerthesten wegen der zahlreichen
Sumpf- und Wasservögel ist der ins »Mostarsko Blato« — den Sumpl
von Mostar. Er führt diesen Namen mit Unrecht, denn wenn er im
Sommer auch theilweise austrocknet, ist er doch im Ganzen ein blauer
klarer Spiegel wie ein Alpensee, der sich gegen 30 Quadratkilometer aus-
dehnt. Von Mostar ist er eine Stunde Wagenfahrt entfernt. Am Ende
der Stefanie-Allee zweigt sich die nach dem Blato führende Strasse ab und
führt an den rechtsseitigen Begleithöhen des Narentathales in grossen
Windungen auf die Höhe. Rechts bietet sich ein schöner Ausblick ins
Radobolje-Thal. Die Berghänge sind verkarstet, nur an einer Stelle zeigt
sich eine überraschend üppige Vegetation von jungen Eichen und anderem
Laubholz. Es ist dies ein im Privatbesitz befindliches Grundstück, welches
zum Schutze gegen die Ziegen eingezäunt wurde und den besten Beweis
dafür liefert, dass auch der Karstboden, zumal in einer vor der Bora ge-
schützten Lage, mit Erfolg bestockt werden kann, wenn man die An-
pflanzungen vor den vierbeinigen Todfeinden jedes jungen Schösslings ge-
— 3'5
hörig schützt. Die Fahrstrasse biegt dann links in ein Thal ein und bald
darauf öffnet sich der überraschende Blick auf das Mostarsko Blato. Oest-
lich wird es von einer schroffen Felswand, nördlich von steil ansteigendem
Mittelgebirge begrenzt, das kahl und unbewohnt zur Wasserfläche abfällt.
Südlich hebt sich der Strand sanft ansteigend zur breiten Abdachung des
waldigen Bergzuges Trtre. Hier baut — wie ich Hoernes »Dinarischen
Wanderungen« entnehme — eine dichte, in zahlreichen Ortschaften woh-
nende Bevölkerung von achteinhalbtausend Seelen auf vortrefflichem Boden
Korn, Wein, Tabak und allerhand Baumfrüchte. Die Blüthezeit dieses
Landstriches datirt seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts und den er-
folgreichen Anstrengungen eines eingeborenen Gouverneurs, des Paschas
Kukavica. Wenn das Blato zum Theil eintrocknet, so werden an seiner
tiefsten Stelle jene Schlünde sichtbar, welche das Wasser zur Jasenica und
Radobolja abführen. Eine Menge Orte liegen um das Blato, die meist
katholische Bevölkerung haben. Wohl steht am Südufer noch die male-
rische Ruine einer Moschee, einer seltenen Erscheinung in dieser Gegend;
drei Wände und das Minaret ragen, von dichtem Epheu übersponnen, em-
por, aber die Mohammedaner sind verschwunden. Noch im vorigen Jahr-
hundert sollen viele hier ansässig gewesen, aber durch die Pest um-
gekommen sein. Bei dem unweit gelegenen Orte Zvatic hat nach den Aus-
sagen der Anwohner die Bora solche Gewalt, wie nirgends im ganzen
Lande. Das Volk erklärt dieses Phänomen durch die Tradition, dass hier
einst Jesuitenmissionäre von den Türken getödtet worden seien. Der Ort
Kraljevine, ebenfalls hier gelegen, soll seinen Namen führen nach dem
Grabe eines Königs, der hier gegen die Türken fiel und bestattet wurde,
oder nach Marko Kraljevic, der die Blatna Zupa vom Sultan zum Lehen
erhalten habe. Ueberall verweben sich Sage und Dichtung mit der Wirk-
lichkeit und die Sage erhält in dieser Gegend viele Nahrung durch die
zahlreichen Gräber mit Monolithen, die sich an allen Stellen finden.
Blagaj und die Bunaquelle.
[n der Hauptstadt der Hercegovina gewesen zu sein und Blagaj mit
der Bunaquelle nicht gesehen zu haben, wäre eine Schande für jeden
Menschen, der für Naturschönheiten nur das mindeste Gefühl besitzt, und
dies umsomehr, als sich hier das historische Interesse damit vereint. Blagaj
war einst die Hauptstadt des Landes, als dieses noch Chlum oder Zahumlje
genannt wurde, und der Herrscher regierte auf Stjepanograd (Stefansburg),
deren Ruinen sich noch heute mächtig und ehrfurchtgebietend auf einem
hohen kahlen Felsrücken, dem letzten Ausläufer des Podveles, erheben.
Damals, sagt das hercegovinische Volkslied, hiess es: »Mostar — Scheher,
Blagaj — Varosch« (Mostar ist Flecken, Blagaj eine Stadt), während der
Vers heute umgekehrt laute: »Blagaj — Scheher, Mostar — Varosch.«
So klein der Ort aber heute auch ist, so interessant ist seine Umgebung,
denn er besitzt eine Sehenswürdigkeit, die in Europa in dieser Grossartig-
keit vielleicht ihres Gleichen nicht hat, die, wäre sie in der Schweiz ge-
legen, allein Zehntausende von Fremden alljährlich anziehen würde: die
Bunaquelle.
Wir verlassen Mostar mit einem der vorzüglichen Fiaker, die billig
und gut fahren, und lenken unsere Schritte durch die Stadt an dem Süd-
lager vorbei, durch die grosse Ebene zwischen Gebirgen und Narenta.
An der landesärarischen Wein- und Obstbaustation und der geschilderten
Kellerei von Risto Jellacic vorüber geht es direkt auf einen Winkel zu,
wo die Berge jedes weitere Fortkommen zu hemmen scheinen. Die Gegend
Kopfleiste: Forellenfany mit der Hand im Bunaflusse bei
317
ist an den linksseitigen Abhängen hübsch angebaut, überall sieht man
Weinpflanzungen und freundliche Häuser im Grünen. Rechts unseres
Weges ist Steinboden, wie ein altes Flussbett. Nur Stachelpflanzen und
Salbei spriessen zwischen den Steinen, nicht einmal Schafen eine kümmer-
liche Nahrung gewährend. Nach einer Stunde ungefähr erblicken wir die
vereinzelten Häuser von Blagaj und fahren in die sogenannte Carsija —
ein halbes Dutzend Buden und einige bessere Läden enthaltend — ein.
Das ist der kleinere Theil der einstigen hercegovinischen Residenz, dem
sich weiterhin eine neue katholische Kirche und eine neugebaute Moschee
anschliessen. Ueber dem Flusse Buna liegt noch ein anderer Theil des
Ortes, zu dem zwei alte Steinbrücken führen. Von einer sind nur
die gemauerten Pfeiler übrig geblieben und mit einer Holzkonstruktion
überlegt worden. Die zweite ist jedoch eine gut erhaltene Bogenbrücke,
welche den Verkehr der Ortschaft über Dobrica mit Bilek vermittelt. Die-
selbe übersetzt in fünf Bogen die Buna und trägt folgende türkische
Gedenktafel :
»Einziger Gott, du bist nicht entstanden, wirst auch nicht vergehen. Von dir
kommt jede Hilfe und bei dir ist jede Hoffnung! Diesen Bau erneuerte Belfe Kadine,
Tochter des Ali Beg Veljagie. Möge ihr Gott ihre Sünden vergeben und sie mit
seiner Gnade beschenken. Errichtet 1265 (1849). Diesen Bau habe ich wieder
hergestellt zur Erinnerung, damit für mich und meine Eltern ein Gebet verrichtet
werde. Wer für meinen Sohn Alija zu Gott beten wird, der wird auch für meine
Seele gebetet haben.«
Der Bürgermeister von Blagaj, ein gänzlich europäisirter Moham-
medaner, den ich schon aus früheren Jahren gut kannte, empfing unsere
Gesellschaft das letzte Mal vor einem serbischen Laden, wo die Wagen
halten mussten und bot uns sofort seine Begleitung zur Quelle an. Von
der nach Nevesinje weiterführenden Hauptstrasse zweigt ein kleiner Fuss-
weg, der zwischen dem hohen Felsen, der Stjepanograd trägt, und der Buna
sich hinschlängelt, ab. Der Weg ist sehr ursprünglich, aber keineswegs
beschwerlich und er wird von üppigem Granaten- und Myrthengebüsch
umsäumt. Nach etwa fünf Minuten endet er unter schauerlich übereinander
gethürmten und überhängenden Felsen bei einer kleinen Gruppe von Ge-
bäuden und Ruinen, über die sich die phantastisch geformten Tropfstein-
bildungen der nach vorwärts neigenden riesigen Felswand herabsenken.
Zuerst betritt man das Innere einer kleinen Moschee, tue von einem Fels-
block zerstört wurde. Ali Pascha Rizvanbegovic, der mächtige Vezier der
Hercegovina, hat sie in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts errichtet.
Sein Werk wurde zerstört, gleichwie er vom Sultan! Dann passirt man
eine Hofthür, die auf Klopfen von einem Hodscha (mohammedanischen
Geistlichen) geöffnet wird, und tritt auf eine Veranda, von der aus sich das
wundervollste Schauspiel bietet. Man blickt in eine von senkrechten Fels-
;i8
Buna quelle.
wänden gebildete Halle, eine mit Stalaktiten reich geschmückte Grotte,
aus der in mächtiger Breite die Buna entströmt, ein Schlundfluss, dessen
Ursprung man im Gackopolje vermuthet. Es wird erzählt, dass eines
Tages ein Schäfer seinen Stock in die Zalomska Rjeka warf und sein
Vater, ein Müller in Blagaj, diesen in der Buna fand. Vater und Sohn
trachteten nun, diese Entdeckung auszubeuten. Der Schafhirt schlachtete
jeden Tag ein Schaf, warf es in die Zalomska, und sein Vater fischte es
in der Buna heraus. Dem Aga, dem die Heerde gehörte, fiel es auf, dass
diese immer geringer wurde; der Hirt schob aber die Schuld auf die
Wölfe, die in der Gegend in grosser Anzahl hausen sollten. Endlich
schöpfte der Aga Verdacht, er liess den Hirten überwachen, und eines
Tages überraschte man ihn, als er seine Heute in den Fluss warf. Den
nächsten Tag fischte der Müller anstatt des Schafes den enthaup
3i9
Thekia an der Bunaquelle.
Leichnam seines Sohnes aul. Die-
selben Sagen werden von vielen der
hercegovinischen Schlundflüsse er-
zählt; es wurden auch wiederholte
Versuche gemacht, um den Zu-
sammenhang dieser theilweise unter-
irdisch fliessenden Karstgewässer fest-
zustellen, doch konnte kein Resultat
erzielt werden. Wie mir der Be-
zirksvorsteher von Mostar erzählte,
war eine Expedition in die Bunahöhle
mit Kahn geplant, da das Wasser ge-
rade verhältnissmässig niedrig war,
doch habe ich über den Verlauf der-
selben nichts vernommen. Schwim-
mend kann eine solche Entdeckungsreise nicht angetreten werden, denn
das Wasser ist eiskalt, so dass auch Baden nicht möglich ist.
Das Wasser der Buna ist lichtblau und so klar, dass man jedes
Steinchen auf dem Grunde, auch jede Forelle sehen kann, die sich ihres
Daseins freut. Der Kontrast mit den starren Felswänden, in deren Löchern
Tausende von Schwalben und Tauben nisten, die ununterbrochen hin- und
herfliegen, ist daher um so überwältigender. Direkt in den einen finsteren
Winkel der Schlucht ist ein Türkenhaus gebaut, das den geistlichen Wächter
eines daneben befindlichen »Türbe« beherbergt. Das Türbe — ein türkisches
Mausoleum — enthält den Sarg eines mohammedanischen Heiligen und
seines Dieners. Beide Särge sind mit einfachen Teppichen belegt. Neben
die Särge wird jeden Abend ein Krug mit Wasser gestellt und ein Hand-
tuch dazu gelegt, das angeblich an
jedem Morgen feucht ist, da der
Heilige seine rituellen Waschungen
verrichtet. Wir wollen den frommen
Glauben Niemandem nehmen, aber
jedenfalls muss es ein sonderbarer
Heiliger gewesen sein, denn seine
Streitaxt (Bustovan) hängt an der
Wand, und es wird erzählt, dass er
vielen Christen den Garaus gemacht
hat. Eine Sammelbüchse fordert zu
milden Beiträgen für die Erhaltung
des Grabes oder wohl mehr seines
Behüters (der erst kürzlich geheirathet
hatte) auf und es wird kaum Jemand
Särge im Innern des Türbe.
— ^520 —
seinen Bakschisch versagen. Umsoweniger, wenn man auf der Veranda
an der Höhle ein regelrechtes ricknick gehalten hat, wie wir es thaten,
unseren recht witzigen Blagajer Hm ter, mit dem ich neun Jahre
früher einmal ein Lamm verzehrt hatte, in der Mitte. Er war auch
huvj; Stjepanograd.
so freundlich, meine Frau in den Harem seines Bruders, eines Kaufmannes
zu bringen, wo sich ein recht gediegener Reichthum entfaltet haben
Wir warteten indess in Blagaj in einem serbischen Laden, wo wir
uns schwarzen Kaffee bringen Hessen. In einer Ecke lag auf einem
Teppich auf der Erde die Grossmutter des Besitzers, eine mehr als
21
— 321
hundertjährige Greisin, die hier ihre Zeit zubringt, weil es immer etwas
zu sehen und zu hören giebt. Der Kaufmann aber hatte in einem
bosnischen Bataillon gedient, war zwei Jahre in Wien gewesen und hatte
recht gut deutsch gelernt. Er war eingebildet auf Wien und als ihn der
Bürgermeister fragte, wie gross eigentlich die Kaiserstadt sei, zog er einen
Plan aus einer Schublade und indem er ihn riesengross ausbreitete, sprach
er die stolzen Worte: »Wie die halbe Hercegovina ist Wien!«
Der Aufstieg auf die Stefansburg (Stjepanograd) ist beschwerlich.
Auf Ziegenpfaden, über Geröll, das unter den Füssen entweicht, muss die
Höhe erklommen werden. Das erste Mal that ich dies unter den Strahlen
einer afrikanischen Sonne bei fast 50 Grad C. Hitze. Es war 1885, wo ich
die Tour mit dem in Dschedda gestorbenen Herausgeber der »Bosnischen
Post« Dr. Makanec und Polizeikommissär Manigodic unternahm. Diesmal,
im September, war die Temperatur zu Besteigungen viel besser geeignet.
Die Ruinen der Burg sind gut erhalten und von bedeutender Ausdehnung.
An einigen Steinen in der Höhe befinden sich glagolithische Inschriften
(oder richtiger in der bosnischen Schrift des Alterthums: der »Bosancica«),
deren eine von dem ehemaligen orthodoxen Metropoliten Sava Kosanovic
in Sarajevo entziffert wurde. Dieselbe lautet: »Hier sitzt als Gefangener
Stefan Kosaca, Herzog von Zahumlje«. Er wurde damals von seinem
Sohne belagert, dem er die Braut weggeheirathet, der dann zum Islam
übergetreten und mit einem türkischen Heere gekommen war, seinen
Vater zu bekriegen. Stefan Kosaca, der Lehensträger des Königs Thomas
Ostoic von Bosnien, hatte sich der Oberhoheit desselben entzogen und
sich unter diejenige des deutschen Kaisers (1440) gestellt. Hierfür erhielt
er den deutschen Herzogstitel und seitdem nannte er sein Land Hercegovina.
Der bosnische König verweigerte die Anerkennung der neugeschaffenen
Verhältnisse, berief im Jahre 1446 deh Landtag nach Konjica ein, auf
dem Herzog Stefan für illegitim erklärt wurde, falls er nicht durch den
König von Rascien und Bosnien in seiner Würde neu bestätigt würde,
ebenso müsse er den Eid der Treue leisten. Wie bereits in einem
früheren Abschnitt erwähnt, fasste dieser Landtag auf Drängen der
päpstlichen Legaten und der Franziskaner strenge Beschlüsse gegen die
Bogomilen; eine neue blutige Verfolgung trat ein und Herzog Stefan —
selbst ein Bogomile oder Patarener — stellte 40 000 auswandernde Bosnier
unter seinen Schutz. Er verlachte die Beschlüsse des Landtages in seiner
festen Burg, bis sich sein eigener Sohn gegen ihn wendete. Er starb als
dessen Gefangener 1466. Nach seinem Tode ging das Land in türkische
Verwaltung über, die es bis 1878 nicht mehr verlor. Die einst blühenden
Gefilde verödeten, das Volk wurde geknechtet und gedrückt, bis diesem
endlich die Geduld riss und im Jahre 1875 eine Tscheta der Aufständischen
auch bei Blagaj erschien. Ein Jahr später drangen die Montenegriner mit
— 322 —
einer Streifkolonne bis zu diesem Orte vor und auf Stjepanograd standen
ihre Gebirgsgeschütze. Sic waren aber zu schwach, um einen Angriff auf
Mostar wagen zu können, und so mussten sie sich unverrichteter Sache
zurückziehen.
Ks ist jetzt .^till und öde in der einst so prächtigen Burg; nur
Ziegen betrachten mit neugierigen Blicken du- Fremdlinge, welche ihre
Einsamkeit zu stören wagen, und in den Lutten kreisen fünf mächtige
Adler, deren Horste sich irgendwo in den unzugänglichen Felsklüften
über der Bunahöhle befinden. Ein riesiger Maulbeerbaum spendet inner-
halb der Ruine Schatten; Gebirgsblumen und die originellen kukuruz-
ähnlichen Stauden von Arum maculatum bedecken den Boden, und als
Kafedzija in Blagaj.
21*
wir einem sonnigen Fleckchen an den zwei noch bestehenden mächtigen
Cisternen zunahe kamen, zischte eine riesige Natter hervor, sich wieder
in den Trümmern verlierend. Der Blick von der Burg aber trifft zwei
Kulturwerke der Neuzeit: auf der einen Seite die Eisenbahn nach Metkovic,
auf der andern die prächtige Fahrstrasse nach Nevesinje.
Der Abstieg von Stjepanograd war ein wenig angenehmer; mit theil-
weise zerschnittenen Schuhen kamen wir wieder auf ebenem Boden an.
In Blagaj werden wir noch auf eine neu errichtete Bierbrauerei aufmerk-
sam gemacht, dann geht es zurück nach Mostar. Aus einem serbischen
Gasthause hört man die langgezogenen melancholischen Töne der Gusla.
Der Spieler recitirt die Geschichte vom Königssohne Marko, dem Haupt-
helden der südslavischen Volkspoesie:
»Auf der weissen Kula Prilips tranken
Kühlen Wein zwei treue Bundesbrüder:
Einer ist der königliche Marko
Und der and're der ßosnjake Relja.
Beide sitzen, kühlen Wein sie trinken.
Bis der Wein die Wanden Hess erblühen.
Im Gebirge hab' ich eine Vila,
Eine Vila, meine Bundesschwester.
Diese gab mir beide graue Falken,
Und sie gab mir beide bösen Hunde
Und ein Amulet ans reinem Golde.
Damit siegte ich in so viel Kämpfen,
Als im Jahre Tage Du kannst zählen.
Mehr gilt mir die Vila als die Mutter!
Wenn Du mir nun folgen wolltest, Relja,
Diese Vila hast Du dir gewonnen.
Fasse sie bei ihren weissen Händen
Und wir wollen durchs Gebirg' sie führen
Bis nach Bazar, deinem weissen Hofe.
Dort wirst Du mit ihr dich trauen lassen
Und dadurch ein bess'rer Held noch werden.«
Es wird immer später; der Guslar hat seinen Gesang noch nicht
beendet, wir aber ziehen unseres Weges, um einen vorläufigen Abschieds-
trunk im »Hotel Narenta« mit den Bekannten zu thun, denn am anderen
Tage geht es nach der montenegrinischen Grenze. Einstweilen ist es die
letzte Nacht in Mostar, aber nicht auf dem blutgetränkten Boden der
schönen Hercegovina.
I
Längs der montenegrinischen Grenze.
Am frühen Morgen nahmen wir von Mostar Abschied, um unsere
Fahrt längs der montenegrinischen Grenze — des sogenannten Kordons —
anzutreten. Die [Strasse führtfT über Blagaj, dann geht es, an der Burg
Stjepanograd vorüber, in starker Steigung die Berge hinan. Wieder ist
es die Arbeit der bosnisch-hercegovinischen Bauverwaltung, die wir be-
wundern müssen, denn einstmals bestand hier nur ein türkischer Reitweg,
der über Stock und Stein in diese Gebirgswildniss führte. Wir steigen
vom Wagen und gehen eine Strecke zu Fuss, um die Pferde bei der
glühenden Hitze nicht zu sehr zu ermüden. Bald sind wir in Schweiss
gebadet, aber es geht höher, und uns umweht die kühle Luft vom Podveles,
der uns zur Linken bleibt. Nach einem halbstündigen Aufstieg beginnen die
Serpentinen, an der einen Seite mit Steinpfeilern zum Schutze gegen das Ab-
stürzen versehen. Der letzten fremden Ansiedlung sagen wir vorläufig Lebe-
wohl; es ist ein massives Häuschen mit der Aufschrift: »Wegeinräumer —
Cestar«, und dann geht es in die wundervolle Landschaft, die man nicht
mit Unrecht den ständigen Heerd von Unruhen genannt hat. Fast jede
Insurrektion gegen die Türken nahm von Nevesinje ihren Ausgang; der
1875er Aufstand begann hier, als die Steuern mit barbarischer Strenge
eingehoben wurden, und es ist somit eine historische Thatsache, dass
eigentlich von Nevesinje aus der serbische und der russisch-türkische Krieg
entstanden, dass alle Umwälzungen auf der Balkanhalbinscl diesem »Bischen
Herceeovina« ihr Sein verdanken
Kopfleiste: Militärpostwagen an der Grenze.
Arn* '.
V
Rückkehr vom Markte.
Die Gegend, die wir berühren, ist Karst, aber mit dichtem Gestrüpp
bedeckt. Stellenweise stehen hohe Steineichen, niedrige Eschen und sehr
viele wilde Birnbäume. Blühende Alpenpflanzen in meist sehr diskreten
Farben erfreuen das Auge. Aber so weit der Blick reicht, keine menschliche
Ansiedlung, kein weidendes Vieh. Wie ausgestorben ist das weite Plateau,
das wir erklommen und auf dem wir noch stundenlang zu fahren haben,
ehe der Weg sich wieder senkt. Eine kühle Brise weht über die Fläche;
im Südosten wird der Horizont begrenzt durch die montenegrinischen Berge,
über die der Dormitor achtunggebietend sein Schneehaupt erhebt. Wir
selbst sind gegen 3500 Fuss hoch, aber wie erhaben und trotzig sehen
diese starren Felswände zu uns herüber, auf uns herab! Endlich bemerken
wir nach dreistündiger Fahrt seitwärts «.ine einsame Kula, einen steinernen
Thurm mit Schiessscharten, von einer Mauer umgeben, wie er in diesen
Landestheilen den Begs und Agas zum Schutze gegen Räuber und gegen
— ;26 —
aufrührerische Kmeten diente. In allen Volksliedern der Hercegovina wird
von der »weissen Kula« dieses oder jenes Aga gesungen, aber wer sich
darunter ein Schloss oder nur ein Gebäude mit besonderen Bequemlich-
keiten vorstellen wollte, würde grausam enttäuscht werden. Ein Gemach
im Erdgeschoss, ein oder zwei im oberen Geschoss ist das Um und Auf
dieser adeligen Sitze. Wild wie das Land war, waren seine Bewohner
und deren Behausungen, die der Bedrücker des Volkes nur zur Ver-
teidigung auf Tod und Leben eingerichtet.
Eine Gendarmerie -Kaserne unterbricht die Einöde; eine Patrouille
kreuzt den Weg; wir haben das gleiche Ziel bis zum Jovanovic Hau, der
einzigen Wasserstelle auf dem Wege nach Nevesinje. Einige Hütten sind
noch in der Nähe. Aber es herrscht grosser Wassermangel, (internen
und Quellen sind fast versiegt, dabei beobachten wir aber einen Transport
von Eisenröhren, die zu der neuen Wasserleitung für Nevesinje bestimmt
sind. Im Hau wird Rast gemacht, die Pferde gefüttert und nothdürftig
getränkt. Auch wir setzen uns nieder und verzehren die von Mostar mit-
gebrachten Vorräthe nebst einigen Gläsern dunkeln Narentiner Weines.
Es sitzt sich so gut, so friedlich in dieser Einsenkung, und doch war es
vor wenigen Jahren hier noch gar nicht geheuer. Da fuhr die Post mit
doppelter militärischer Bedeckung, wie es auch längs der montenegrinischen
Grenze der Fall war.
Nach halbstündiger Rast geht es weiter. Zuerst der Weg wieder
steigend, dann in langen Serpentinen abfallend. Am Graboksattel (1109 m)
ändert sich plötzlich das gesammte Landschaftsbild. Vor uns öffnet sich
eine weite Ebene, vom Sonnenglanze beschienen, in der Mitte, weithin
sichtbar, Forts und Befestigungen. Das soll das einst so berüchtigte
Nevesinje sein? Leppige Wiesen, auf denen Heerden weiden, wechseln
mit Feldern, die allerdings schon gemäht sind, ab; die Gegend macht einen
so friedlichen Eindruck, wie ein deutsches Dorf nach Feierabend. Nur
die Befestigungen auf einem Hügel am Eingange des Ortes tönen das Bild
etwas kriegerisch ab. Die Hauptstrasse, die im Jahre 1888 noch ziemlich
verwahrlost aussah, ist jetzt mit vielen neuen Gebäuden besetzt; an Stelle
des einstmaligen Gasthauses Silberstern, das an die galizischen Dorfquartiere
erinnerte, ist das grosse, vollkommen europäische »Hotel Bilic« mit schönen
Restaurationsräumen getreten. Neben einer kleinen verfallenen Moschee
ist eine neue gebaut worden; eine andere, wie ein erobertes Festungswerk
aussehende, steht etwas abseits von der Hauptverkehrsader. Eine orthodoxe
Kirche vervollständigt die religiösen Bedürfnisse von Nevesinje. Das
Defensionslager am anderen Ausgange des Ortes, am Wege nach Gacko,
ist der interessanteste Theil. Eine hohe Mauer mit Eckthürmen und Schiess-
scharten umschliesst Kasernen, Amtsgebäude, Post, Stallungen, Cisternen
und auch einige schwach gedeihende Anlagen. Hier sieht man, dass dem
— 327
Landfrieden geraume Zeit nicht
zu trauen war, wenn auch heute
Alles ruhig und friedlich ist.
Am nächsten Morgen ver-
liessen wir Nevesinje, das für
längeren Aufenthalt nichts
bietet, um nach dem Gacko-
polje zu fahren. Sechs Jahre
früher hatte ich den gleichen
Weg mit der Post zurück-
gelegt; damals hatten wir vor
uns auf dem Kutschbocke den
Militärkondukteur, mit Re-
volver bewaffnet, neben ihm
einen Soldaten mit Repetir-
gewehr, auf einem rückwärtigen
Wagensitz einen zweiten In-
fanteristen , das schussbereite
Gewehr in der Hand. Das
waren damals die Vorsichts-
maassregeln längs der monte-
negrinischen Grenze; heute
machen wir eine förmliche
Spazierfahrt, sicherer als in
Berlins Grunewald -Gegenden.
Die prächtige Fahrstrasse führt
anfangs durch ebenes Feld,
auf dem noch Kornblumen
zwischen den Stoppeln blühen.
Nach einer halben Stunde,
während der wir zahlreiche
Bogomilen-Grabsteine am Wege
bemerkten, gelangen wir wieder
in unmittelbares Gebirgsterrain.
Links ist kahler Karst, von dem
sich die Schaf- und Ziegen-
heerden sammt ihren weiss
und grau gekleideten Hütern
kaum merkbar abheben. Hin
und wieder steht verkrüppeltes
Gestrüpp. Die Strasse führt an-
dauernd längs des rechter Hand
Nevesinje und das N evesinjskopolj e.
32S
Flus
loi
sen
siges J
nicht
Tropfe
ser
Jenseits des
Flusses, wo ein alter Reitweg nach Gacko führt, sind bewaldete Höhen
mit dichtem Bestände von Laubholz. Auch auf der Strassenseite ver-
schwindet in den unteren Regionen bald das nackte Felsgestein, die Hänge
sind grün und oft zeigen sich kleine Waldgruppen von Eichen, Eschen,
Ulmen und wilden Birnbäumen. Von Dörfern ist stundenlang keine Spur,
nur manchmal sieht man auf den Höhen vereinzelte Häuser, und von Zeit
zu Zeit taucht auch plötzlich ein Bewohner aus einer der Felsschrunden
auf. Nur Wegeinräumer in Landestracht, am Fez das Landeswappen, grüssen
ehrerbietig, wenn der Wagen vorüberrollt, der auf der wunderbaren Strasse
so glatt dahinfährt, als ob wir uns nicht in der Hercegovina, sondern in
der Lombardei befinden würden. Oftmals kreuzen Wege von der Strasse
ab; ein Wegweiser zeigt die deutsche Inschrift: »Zur Kaserne«, und wenn
man den Blick umherschweifen lässt, bemerkt man auf irgend einer Berg-
kuppe oder einem Hochplateau ein massives Gebäude mit zwei niederen
Thürmen, je einem an den entgegengesetzten Seiten zur Bestreichung der
Fronten. Dieser Kasernen, Forts oder Blockhäuser giebt es unzählige
längs der ganzen Grenze; zwischen Bilek und Trebinje allein siebzehn.
Sie sind gegenwärtig nur schwach besetzt, da die Sicherheit längst ge-
währleistet ist. Einfälle aus Montenegro sind im Frieden nicht mehr zu
fürchten, aber für einen möglichen Kriegsfall ist es gut, dass dieser Be-
festigungsgürtel gezogen wurde. Sämmtliche Blockhäuser sind untereinander
und mit den grösseren Militärstationen telephonisch verbunden.
— 329
Bei Fojnicka-Cuprija, einem grösseren an der Strasse gelegenen
Flecken an der Fojnicka Rjeka, die wenigstens Wasser enthielt, hatte es
zu regnen angefangen, was bei der herrschenden Schwüle und dem überall
vorhandenen drückenden Wassermangel ganz angenehm war. Schon vor
Fojnica wird die Gegend bewohnter. Kleine Ortschaften mit Kirchen
werden sichtbar und die spärlichen Felder sind sorgsam angebaut. Die
Gegend macht den Eindruck einer steirischen Landschaft, nur die im
Hintergrunde sich übereinander thürmenden Kuppen der Schwarzen Berge
gestalten den anheimelnd lieblichen Anblick zu einem erhaben grossartigen.
Fojnica selbst besteht aus einer langen Gasse mit einigen Kramläden;
am Ausgange liegt wieder eine Kaserne, in der sich auch das Postamt
befindet. Der Postmeister wusste nicht genug von der Langeweile zu er-
zählen, wenn — wie es im Winter manchmal geschieht — der Verkehr
stockt, wenn der Schnee meterhoch liegt und die Wölfe rudelweise um
die Häuser heulen. Im Sommer sei der Aufenthalt ein ganz angenehmer.
Da es gerade Sonntag war, hatten wir Gelegenheit, die gesammte Be-
völkerung im Feiertagskleide zu bewundern, und das weibliche Geschlecht
drängte sich mit Vorliebe — wahrscheinlich angelockt durch meine Frau —
um uns, folgte uns sogar in den Laden, in dem wir schwarzen Kaffee ge-
nossen, und stellte die sonderbarsten und naivsten Fragen. Die Kleidung
ist reich an Goldstickereien, und unter den Münzen und Schmucksachen
der Frauen bemerkten wir manch altes werthvolles Stück. Auffällig sind
bei der älteren weiblichen Generation die sonst meist in Montenegro vor-
kommenden breiten Gürtel mit Achatplatten besetzt und riesigen silbernen
Schnallen. Ein Gürtel ist oft pfundschwer. Der Achat stammt seltsamer-
weise zum grossen Theile aus Oberstein am Rhein, aus den im Nassauischen
liegenden oldenburgischen Enklaven.
Auch um Fojnica ist die Gegend reich an alten Grabdenkmälern
und neben dem »Hercegovo Vrelo«, einer starken und nie versiegenden
Quelle am linken Ufer des Fojnickabaches bei der Strassenbrücke in Slivlje,
steht der sogenannte »Herzogsstuhl«, der an den Herzogsstuhl in Kärnthen
erinnern könnte, auf dem die dortigen Herrscher die Huldigung empfingen
oder Gerichtstage abhielten. Der Steinstuhl in Slivlje hat 90 cm Höhe
und Breite. Die Höhe des Sitzes beträgt nur 40 cm, die der bogen-
förmig geschweiften Lehne 50 cm. Nach der Lokaltradition soll Herzog
Stjepan oft auf diesem, jedenfalls sehr alten und von vielem Gebrauche
geglätteten Stuhle gesessen haben. Doch dürfte derselbe nur zum Zwecke
des Ausruhens an der Quelle gedient haben, da sein Sitz eine so geringe
Höhe zeigt. Aehnlichc Steinstühle kommen übrigens -- wie Berghaupt-
mann W. Radimsky im »Glasnik« mittheilt — in der Hercegovina wieder-
holt vor. So bei Kosor im Mostarer Biscepolje ein aus Kalkstein ge-
meisselter Stuhl, ^Herceg Stjepana stolica« genannt, auf welchem Herzog
Stjepan Vukcic (1435— 1466) häufig zu Gerichte gesessen haben soll. Dieser
Stuhl ist von weit bedeutenderen Dimensionen als der oben erwähnte,
auch trägt er die altbosnische Inschrift: »Si kamin varda, cili je bio,
cili je sade, cili nec(c) b(i)ti«. (O Stein, gedenke, wessen du gewesen,
wessen du bist, wessen du sein wirst!) Dieser Stuhl befindet sich gegen-
wärtig im Landesmuseum in Sarajevo.
In Kljuc, der historisch denkwürdigen Burgruine im Felde von Crnica
südlich von Gacko, steht ein einfacher Steinstuhl, der »Stolica Kralja
Sandalja« (Stuhl des Königs Sandalj) genannt wird, und auf welchem der
Sage nach der zu fast königlicher Macht gelangte Vojvode Sandalj Hranic
(t H35) während seines Aufenthaltes in Kljuc: in der Burg Gericht gehalten
haben soll. Bei der orientalisch-orthodoxen Kirche in Osanic nächst Stolac
stehen nebeneinander zwei aus dem natürlichen Fels herausgemeisselte
ungewöhnlich grosse Steinstühle, von denen der grössere auf seiner Lehne
eine altbosnische Inschrift trägt, die sich auf die Familie Miloradovic be-
zieht, der man die Gründung der Kirche in Osanic zuschreibt. Aber
auch in Bosnien fehlen die Steinstühle nicht gänzlich, denn bei der Burg-
V
ruine Vratar, Gemeinde Zepa, Bezirk Rogatica, stehen nach Dr. M. Hoernes
auf dem höchsten Punkte des Burgberges zwei aus dem Felsen ausgehauene
Stühle.
Nach dieser Abschweifung kehren wir zu unserer Reise zurück. Der
Regen hatte mittlerweile aufgehört und bei prachtvollem Wetter setzten
wir die Fahrt fort. Wir treten in das Flussgebiet der Musica, welche die
Hochebene von Gacko — das Gackopolje — durchströmt. Dasselbe ist
ringsum von hohen, wenig bewaldeten, felsigen Bergen umgeben, etwa
15 Kilometer in der Länge und 5 Kilometer in der Breite fassend. Die
Ebene ist recht gut bebaut, noch mehr bietet sie aber Weidegrund.
Ueberall sah man Heerden von Pferden, Rindern und Schafen, meist nur
von Kindern und grossen Wolfshunden bewacht. »Lieblich bist du,
Gackopolje, wenn du nicht von Hunger starrest«, heisst es in dem Epos
»Der Tod des Smajl Aga Cengic« von Banus Mazuranic, und diesen Ruf
scheint die tausend Meter hoch gelegene Landschaft oft genug zu rechtfertigen,
denn in einem hereegovinischen Volksliede weigert sich ein Mädchen aus
Kolasin, einem Freier nach Gacko zu folgen. Sie sagt:
»Viel erzählen hört' ich schon die Leute
Von dein Felde, von der Gacko-Landschaft.
Rings umher erhebt sich weites Hochland,
Eines eben und das and're hüglig,
Und das dritte nichts als kahler Felsen.
Niemals, Mutter, höret dort der Schnee auf;
Ewig lieLTt ein Schnee dort über'm andern.
Nimmer, Mutter, wähl' ich diesen Freier.
— .>.» I
Sie schlägt dann noch
einen zweiten aus Nevesinje
aus und folgt erst einem dritten
nach dem »gesegneten Mostar,
wo das Grün nie aufhört«. Im
Gackopolje beginnt allerdings
der Schnee manchmal schon im
Oktober zu fallen und der
Winter von 1894/95 wird nicht
so bald vergessen werden; es
soll auch schon vorgekommen
sein, dass der Schnee sieben
Monate liegen blieb, aber es
sind doch nur Ausnahmen,
während ein Nothstand unter
der Bevölkerung sich häufiger
einstellt. Darum wurde Gacko
die Geburtsstätte der von der
Landesregierung ins Leben ge-
rufenen Bezirks-Unterstützungs-
fonds, deren segensreiche Wirk-
samkeit wir schon früher ein-
gehend besprochen. An all' die
zahlreichen Gruppen grosser
mittelalterlicher Grabmäler auf
den Plateaus von Gacko und
Nevesinje, den Gebirgen Mo-
rinje und Batjevica knüpfen sich
allerdings Volkssagen vom Um-
kommen ganzer Karawanen
oder Hochzeitszüge durch Frost
und Schnee. Ein erschüttern-
des Epos theilt Hofrath Hör-
mann in seinen in Sarajevo
erschienenen Volksliedern der
Mohammedaner Bosniens und
der Hercegovina« ( »Narodne
Pjesne muhamedovaca u Bosni
i Hercegovini«) in dem Sva-
b ■ . -ko groblje u Morinama« mit.
Gacko selbst macht beim
ersten Anblick den Eindruck
Ansicht der Stadt Gacko.
— 332 -
einer ausgedehnteren Stadt, obwohl es in seinem geschlossenen Theile kaum
iooo Bewohner zahlt. Die gesammte Ebene ist natürlich bei vielen zer-
streuten Ortschaften und Einzelhäusern weit dichter bevölkert. Freundlich
sehen die alten ziemlich hohen Steinhäuser keineswegs aus. Meist sind sie
zweistöckig, die Erdgeschosse höhlenartig in die Felsen vertieft und als
Stallungen verwendet. Stroh-, Holz- und Steindächer wechseln ab ; die
letzteren sind auf dem First zahnförmig krenelirt, die Holzdächer mit
Steinen, wie in den Alpen beschwert. Von der mittelalterlichen Ansied-
lung, welche nach urkundlicher Tradition im Besitz der Grafen von Chlum
und der bosnischen Könige war, zeugt das ausgedehnte Gräberfeld, welches
mit über 200 roh geformten Gruftplatten einen sanft zum Flusse geneigten
Wiesenplan bedeckt. Gacko wird jetzt wieder mit einem halbverschollenen
griechischen Namen »Metohia« genannt. So hiess es zum Theil auch
unter türkischer Zeit und heute zeigt eine grosse Tafel am Eingange des
Ortes wieder diesen Namen, der sich nicht einbürgern will. Auf der
höchsten Erhöhung der Stadt, zu der man auf einer echten Kaiderma-
strasse mit Katzenköpfen hinansteigt, steht die mächtige türkische Kaserne,
die jetzt verlassen ist und unbenutzt dasteht, weil das Militärlager sich in
dem eine halbe Fahrstunde entfernten Aftovac befindet. Auf den wild
zerrissenen Höhen sieht man auch noch Schanzen aus jenen nicht fernen
Zeiten, wo hier ganze türkische Divisionen gegen Montenegro im Felde
standen und wo Gacko voll lag von den verstümmelten Opfern jener
barbarischen Fehden.
Die neue Zeit hat an Gacko grosse Veränderungen bewirkt. Da ist
zuerst beim Eintritt in den Ort, dicht an der Strasse, ein modern gebautes
Bezirksspital, dann verschiedene Privatgebäude, das hübsche Häuschen des
Ingenieurs Giorgini und dann das moderne Landeshötel: »Hotel Metohia«.
Die Regierung errichtete dieses Gebäude, um europäischen Reisenden eine
geeignete Unterkunft in einer Gegend zu bieten, wo eine solche gar nicht
vorhanden war, wo selbst türkische Einkehrwirthshäuser zu den grössten
Seltenheiten gehören. Das Hotel enthält auch die Post und das Tele-
graphenamt, schön eingerichtete Passagierzimmer, nette Restaurationsräume
und ausgedehnte Stallungen. Ein Zimmer ist gleichzeitig der Raum für
das »Casino«, in dem sich die Beamten, durchreisende Fremde, Militärs etc.
brüderlich zusammenfinden und wo wir höchst angenehme Stunden mit
den liebenswürdigen Herren verlebten.
Wir besichtigten das sehr schöne Gebäude der Bezirksbehörde mit
einem grossen, wohlgepflegten Garten — einer Merkwürdigkeit in dieser
Gegend — dann die landwirtschaftliche Station, ähnlich eingerichtet wie
alle von der Regierung errichteten und bereits früher beschriebenen Muster-
anstalten. Es waren gerade Sack sehe Pflüge aus Leipzig gekommen, mit
denen Probeackerungen vorgenommen worden waren, um die Leute zur
Anschaffung und an eine geregelte
Feldwirthschaft zu gewöhnen. Der
Anschauungsunterricht ist stets von
den besten Folgen begleitet; die ein-
geführten Wippthaler Stiere haben
den grössten Anwerth gefunden und
immer mehr werden verlangt, wo-
durch die heimische Rindviehrasse
allerdings einen bedeutend höheren
Werth erhält. Die grösseren Grund-
besitzer thaten sogar einen sehr origi-
nellen Ausspruch: »Wir verpflichten
uns gern, unsere einheimischen
Ochsen ein Jahr lang nicht auf die
Weide zu lassen, aber — ihr müsst
uns dies befehlen!« Als ihnen er-
klärt wurde, dass es in diesem Falle
ein Befehlen nicht gebe, dass nur
jeden das eigene Interesse leiten
müsse, schüttelten sie die Köpfe.
»Was gut ist, muss doch befohlen
werden, sonst wird der Geist wieder
einmal schwach.« Die veranstalteten
Pferde- und Rindvieh-Prämiirungen,
die mehrmals im Jahre abgehalten werden, üben übrigens eine sehr er-
ziehliche Wirkung und die nach Gacko kommenden »Falken der Schwarzen
Berge« sehen mit Staunen und Verwunderung, was eine wirklich landes-
väterliche Regierung, auch wenn sie eine »schwabische« ist, Gutes für die
Bevölkerung stiften kann. Die neue hübsche Volksschule wird Weiteres
beitragen, den Samen des Fortschrittes in die Seelen der jüngeren Generation
zu pflanzen, und nach wenigen Jahrzehnten wird Niemand glauben, dass diese
Gefilde mit Blut gedüngt, dass sie unter den türkischen Provinzen mit am
vernachlässigtesten waren
Und eine neue grosse Kulturthat wird gerade dem Gackopolje zu
Gute kommen. Dasselbe leidet im Sommer an zu grosser Trockenheit,
im Frühjahr an Ueberschwemmungen. Daher die so verschiedenartigen
Ernten und die öfteren Nothstände. Diesem Uebelstande wird durch ein
riesiges Stauwerk abgeholfen, wie es in Europa kaum seinesgleichen hat,
nur in Belgien soll in Verviers ein ähnliches Werk sein, das die Fabriken
nit Wasser versorgt. Auf dem Gackopolje wird die dasselbe bald be-
wässernde, bald verwüstende MuSica, die später in einem unterirdischen
Schlund, einem Karstloch (Ponor) verschwindet, gebändigt, sie wird durch
M oha mm edaner.
— 334
die Wasserbaukunst zu ununterbrochen erspriesslicher Thätigkeit angehalten
werden. Auf Veranlassung Sr. Excellenz des Reichsfinanzministers v. Källay
entwarf der Baurath Passini den Plan zu einem umfangreichen System von
Thalsperren und Zuleitungskanälen, und seit mehreren fahren wird an
diesem Wunderwerk gearbeitet, ohne dass man in Europa nur eine Ahnung
hatte, was für Kulturarbeit in den okkupirten Ländern neben allen bereits
zu Tage liegenden Erfolgen geleistet wurde.
Arbeiten :in der Kline bei Gacko.
Das Wasser der Musica, die hoch oben am Grenzposten Cemerno,
dicht an der montenegrinischen Grenze entspringt, wird gefangen; eine
Cyklopenmauer wird an der sogenannten Kline, zwei Stunden nördlich
von Gacko, als Thalsperre aufgeführt und dadurch ein künstlicher See
gebildet, aus dem dann das Wasser in beliebiger Menge in die Ebene
geleitet werden kann. Die Mauer umfasst 1 1 ooo Kubikmeter Mauerwerk;
sie wird mit Pozzuolani-Cement aufgeführt, der von Neapel mit Schiff bis
Ragusa, von dort mittelst Wagens bis Gacko, dann per Pferd bis zur Kline
gebracht wird. Der künstliche See wird 26 Hektar gross sein, das Bassin
2 Millionen Kubikmeter Wasser fassen. Von ihm aus werden zwei Tunnels
335 —
gebaut, welche die Aufgabe haben, täglich durch 8 Stunden eine bestimmte
Menge Wasser abfliessen zu lassen, um das Gackopolje zu bewässern.
Ueberall werden Zuleitungskanäle, Ueberbrückungen und Schleusen errichtet,
um die Regulirung jederzeit in der Hand zu haben. Das Reservoir wird
durch eine eiserne Schliessung abgesperrt, die hydraulisch gehoben und
niedergelassen werden kann. Die Mauer der Thalsperre ist vom Fundament
an 22 Meter hoch, unten 18,70 Meter breit, oben 4,60 Meter. Die untere
Länge beträgt 60 Meter, die obere 108 Meter. Im Bogen ist ein Radius
von 60 Metern. Das gesammte Unternehmen (die Kline liegt 1030 Meter
hoch und es kann im Jahre nur vier Monate gearbeitet werden) soll nur
320000 fl. erfordern, was als eine bescheidene Summe angesehen werden
muss. Dann werden die Gackoer das erhalten, was sie verlangten, als sie
den Bau des Bassins sahen: »Jetzt haben wir die Schale, nun gebt uns auch
den Kaffee!« Sie werden den für ihre Felder nöthigen »Kaffee«, das
Wasser bekommen, Abzugskanäle sorgen aber auch dafür, dass sie dies
nicht zu unrechter Zeit im Ueberfiusse haben. Schon jetzt ist eine Anzahl
halb steriler Weideflächen bewässert und es ergab sich um ein Drittel
Ertrag mehr an Heu. Im Ganzen wurden um 70000 fl. Heu vom Gackopolje
ausgeführt, dessen Abnehmer meist das Militärärar war.
Aehnlich grosse Arbeiten werden auf dem Livanjskopolje, der un-
ermesslich ausgedehnten Hochebene an der dalmatinischen Grenze in Süd-
west-Bosnien, die zum grossen Theil einen Sumpf bildet, ausgeführt, wodurch
weite Gegenden der Kultur erschlossen werden.
Der späte Nachmittag führte uns in Gacko in ein serbisches Gast-
haus, in dem ein Guslar haarsträubende Heldenthaten der Serben im Kriege
gegen Bulgarien log. Wir hatten noch nicht lange gesessen, als eine der
lebendigen Sehenswürdigkeiten des Ortes erschien: der greise, wohl achtzig-
jährige, ehemalige Insurgentenführer Bogdan Zimunic. In grüner monte-
negrinischer Vojvoden-Dolama, auf der Brust österreichische, russische,
montenegrinische Orden und Tapferkeitsmedaillen, in der Hand den langen
Tschibuk, so stellte sich der alte Freiheitskämpfer vor. Er war von
Jugend auf dem Kriegspfade gegen die Türken. 1861 kämpfte er helden-
müthig mit den Montenegrinern, 1875 für seine engeren Landsleute, 1876
war er es mit Lazar Socica, die den Durchweg Sulejman Paschas durch
Montenegro tagelang mit den Hercegovinaer Freiwilligen aufhielten, während
der Fürst von Montenegro längst unangebrachte Befehle ertheilte, die seinem
Heere nur Nachtheile zufügten. 1878 kämpfte Zimunic in Gemeinschaft
mit seinen Landsleuten gegen die Mohammedaner; dann ging er, angeblich
in seinem Ehrgeiz gekränkt, nach Cetinje, kehrte aber bald wieder zurück
in die Heimath, wo er jetzt von einer Staatspension lebt. Er ist eine alte
verwitterte Heldengestalt, das Urbild des südslavischen Junak. Noch blitzt
das wcissbebuschte Auge, noch glüht dunkles Feuer in ihm, wenn er von
336 —
Cemeni o.
vergangenen Tagen erzählt und er ist stolz auf seine Vergangenheit. Dass
er die Geschichte besser kannte, als seine im Gasthause anwesenden Lands-
leute, bewies er dadurch, dass er dem Guslar das Singen des Heldenliedes
gegen die Bulgaren verbot, weil der Text unwahr sei.
Der Abend vereinigte uns mit allen schnell liebgewonnenen Freunden
und Bekannten noch einmal im Kasinoraum des »Hotel Metohia«, dann
hiess es wieder scheiden von der Stätte, wo wir so viele neue und an-
genehme Eindrücke gewonnen. Der frühe nächste Morgen, der mit starkem
Nebel einsetzte, brachte uns in Begleitung einiger der unermüdlichen
Herren zunächst nach Aftovac. Das einstige elende Dorf hat sich zu
einem förmlichen Flecken entwickelt. Das Militärlager ist eine kleine
Stadt für sich. Hohe massive Gebäude, Kasernen und Stallungen etc.
bilden, von Mauern umgeben, ein grosses Viereck, in dem sich auch Ge-
müse- und Blumengärten befinden. Hier ist für Offiziersmenagen gesorgt,
ein Kasino ist vorhanden, Fremdenzimmer, Post • alles mögliche, was
den Dienst in diesen Gegenden erträglich machen kann. Heute ist er
nicht mehr so beschwerlich, aber einst stellte er riesige Anforderungen an
die Truppen, die nicht nur Tag und Nacht Patrouillendienste verrichten,
Ablösungen für die einzelnen Blockhauser stellen, sondern auch Strassen
bauen und dazu Steine klopfen mussten. Als ich 1888 in Aftovac über-
nachten wollte, sah der Ort noch wenig civilisirt aus. Eine Anzahl General-
22
Stabsoffiziere, welche auf einem Studienritt längs der Grenze ins Paschalik
Novibazar begriffen waren, hatten alle Fremdenzimmer belegt, und es
musste gesucht werden, in den vorhandenen zwei Kneipen - - ein anderer
Ausdruck wäre schlecht gewählt — ein Unterkommen zu finden. Es war
mehr als primitiv. Die Leute waren nicht auf Fremde zum Uebernachten
eingerichtet und sie selbst betrachteten ihren Aufenthalt nur als einen
vorübergehenden. Gegenwärtig sind auch hier die Verhältnisse bessere;
die Häuser sehen solide aus, es macht sich sogar eine Art Bazarviertel
bemerklich.
Niemand jedoch, der etwas von der Geschichte des Landes kennt,
durchzieht das Gackopolje, ohne des Cengic Aga zu gedenken, dessen
Thaten und Ende ja auch deutschen Lesern nicht unbekannt geblieben sind.
Der ehemalige Banus von Kroatien, Ivan Mazuranic, hat sein Leben und
seinen Tod in einem grandiosen Epos verewigt. Aber nicht nur die
christliche Kunstpoesie, welche dem Helden natürlich feindlich gesinnt
ist, auch die hercegovinische Volksdichtung gedenkt des Smajl Aga
gern, und die Mohammedaner feiern ihn als ihren ritterlichsten Helden.
Sehr richtig sagt Dr. F. S. Krauss: »Smajl Aga ist von Mazuranic falsch
und ungerecht charakterisirt worden; unsere Sympathien sind jedenfalls
auf Seite des muthigen, todesverachtenden Helden Smajl Aga, nicht aber
auf Seiten der Buschklepper und nächtlichen Räuber Montenegros. Cengic
war der echte unverfälschte Südslave, seine Mörder aber ein entartetes,
feiges Gesindel.« Wie sein bereits verstorbener Neffe in Sarajevo erzählte,
haben die Montenegriner, welche ihre Heldenthat mit etwas Christenglauben
verbrämten, die hinterlistige Tödtung Smajl Agas mit siebzehn Köpfen
gebüsst. Von seinem Schlosse, der »Cengic-Kula« in Lipnik, nicht weit
von Aftovac, steht gegenwärtig kein Stein mehr auf dem anderen; selbst
die Ruine der alten Zwingburg ist demolirt und nur ein ausgedehntes
Steinfeld mit einer verfallenen Mauer ist sichtbar. Aber noch heute zeigt
V
jedes Kind den Weg zu Cengic-Kula
Gacko wie Aftovac besitzen wunderschöne Grabsteine aus altchristlicher
Zeit, und Dr. Moritz Hoern.es hat einen grossen Theil derselben beschrieben
und abgezeichnet. Oftmals sind die Skulpturen, die theilweise ganze Jagd-
züge aufweisen, wunderbar erhalten und die reiche Ausführung legt davon
Zeugniss ab, dass das Gackofeld einst dicht bevölkert war, dass es einen
mächtigen Adel besass, der sich den Luxus von künstlerischen Grabdenk-
mälern gönnen konnte. Eigentliche Kampfscenen sind auf den Steinen selten,
meist .-.teilen dieselben - - wo vorhanden - - Zweikämpfe dar, ganz wie die
serbischen Heldenlieder sie besingen. Sehr häufig sind Pferde abgebildet, wie
ja nächs" den Waffen die Pferde die Lust der alten bosnischen Ritter waren,
ganz so wie heute die Pferde der Stolz der mohammedanischen Begs sind,
welch' letztere man mit vollem Rechte als die unmittelbaren Nachkommen
538
A u s d e r S u t j s s k a-S chl u c h t.
22*
der alten Adelsgeschlechter bezeichnen kann. Die Todtenklage um den
Verstorbenen wird oft durch weibliche Figuren mit aufgehobenen Händen
da rsrestellt, auf anderen Steinen finden sich Stern und Halbmond (die
alten Landeszeichen Illyriens), auch der gewappnete Ann mit erhobenem
Schwert (das Wappen Bosniens und der Primorje). Am seltensten ist das
Kreuz vorhanden, was wieder auf bogomilische Gräber schliessen lasst, da
die Bogomilen alle religiösen Abzeichen verschmähten.
Von Aftovac führt einer der wildromantischsten Wege dem Ursprung
V
der Musica entgegen zum Cemerno-Sattel. Der Weg ist wohl etwas her-
gerichtet, aber in dieser Gegend konnte er nicht besser angelegt werden.
Nach abendländischen Begriffen wäre das obere MiAicathal eine ungangbare
Bergschlucht, aber ein echt hereegovinischer Fusssteig führt bald auf dem
einen, bald auf dem anderen Ufer, bald im Wasser, bald durch Gestrüpp
und Felsengen aufwärts. Wo die senkrechten Thalwände hart an das ver-
eno-te reissende Gewässer herantreten, ist er zwei Schuh breit und kaum
mannshoch in den Felsen gehauen, der ihn in Form eines halben Tunnels
überwölbt, sodass man durch ihn gebückt gehen muss. An breiteren Stellen
öffnen sich mächtige Grotten, kühle Rastpunkte mit hübschen Aussichten
auf die jenseitigen Höhen. Dann steigt der Weg über schräge Felsplatten,
in welche Stufen gehauen sind, um das Ausgleiten der Pferde zu verhindern.
Nach einstündigem Wandern wird eine einsame, elende Hütte erreicht, wo
eine kurze Rast gut thut. In tiefster Abgeschiedenheit und grossartig
schöner Umgebung liegt der aus fünf Häusern bestehende Ort Vrba am
Fusse des 1859 m hohen Lebrsnik, dessen Kamm oben kahl, unten etwas
bewaldet ist und auf den Hängen fette, grüne Matten trägt. Je näher man
dem Fusse des Cemerno-Gebirges kommt, desto lieblicher wird das Thal.
Aus Laub- und Nadelholz gebildeter Hochwald drängt zu beiden Seiten
bis ans Wasser, überspinnt es mit seinen Schmarotzergewächsen, beschattet
es mit seinen breiten Kronen. Hier in diesem entlegenen Erdenwinkel
führen Schaaren von Singvögeln ein idyllisches Dasein.
Da plötzlich stehen wir vor einer Felsenmauer, und hier beginnt
einer jener Wege, von denen eine Beschreibung zu geben unmöglich ist.
Wie Gemsen müssen die Pferde klettern, springen, fallen, gleiten — um
diese Felstreppen zu ersteigen. Nach anstrengender Arbeit erreicht man
endlich den Cemerno-Sattel, und eine prachtvolle überraschende Aussicht
lohnt für den mühevollen Weg. Senkrechte, in die Wolken ragende Fels-
wände des Volujak und des Sedlo scheinen den Weg zu versperren. Am
grossartigsten ist der Blick auf den Volujak, dessen Gipfel nur zehn Kilo-
meter entfernt, der aber durch die tiefe Sutjeska-Schlucht vom Cemerno-
Abfall geschieden ist. Ueber die steilen Felswände scheinen Nadelwaldungen
zu klettern. Rechts steigt die Kuk-Planina hoch empor und hinter ihr er-
hebt der König der dinarischen Alpen, der Dormitor, — die -Himmels-
34i —
gabel«, wie er im Volksmunde heisst — sein ewiges Schneehaupt. Hier
muss die Grossartigkeit dieser wilden Gebirgsnatur bewundert werden.
Durch die Sutjeskaschlucht führt ein hochinteressanter, aber be-
schwerlicher Weg nach Foca, ein Pfad für Dichter und für Naturfreunde.
Hier ist Wildniss, unverfälschte Xatur, ein Hochgenuss für Auge und Herz.
Er ist nur von Einheimischen begangen, aber einmal wird er für Touristen
"Im Sutjeska-Defile. (Zwischen Gacko und Foca.)
eine ungemeine Anziehungskraft üben. Die beigegebenen Bilder auf
Seite 339 und 342 sprechen deutlicher von der Romantik der Gegend,
als alle Worte.
Aber die Gegend des Gackopolje bietet noch andere Panoramen,
deren Anblick freilich meist nur Soldaten und Gendarmen gemessen, die
schon ziemlich abgestumpft für diese nur mit Beschwerden zu erringenden
Schönheiten sind. Es ist ihnen daher zu verzeihen, wenn man auf eine
Frage nach besonders sehenswerthen Punkten die Antwort erhalt: »Nichts,
als fade Berge und Steine-. Die Poesie dieser Berge und Klüfte muss
eben erst erkannt und erschlossen werden und auch dies wird in nicht zu
ferner Zeit gelingen.
;-4-
Stepen.
Um Aftovac krönen Kasernen die entfernteren Höhen und vom
Grenzposten Perustica aus kann man bequem sich mit den Montenegrinern
unterhalten, die jenseits der Grenze ebenfalls einen Posten mit einem
Kapetan sitzen haben, der in einem elenden Häuschen untergebracht ist.
Es geht in Montenegro andauernd schlecht genug, der lange und strenge
Winter setzt den Heerden stark zu und so manches Thier verendet, ehe
der wärmende Strahl der Sonne wieder Gras spriessen lässt. Da kommen
— weil die hereegovinische Seite vom Schicksal etwas klimatisch günstiger
bedacht ist — leicht Weidestreitigkeiten vor, und die Grenzposten sind
nothwendig, solche im Entstehen zu verhindern.
Wir überschritten die Musica auf einer Brücke und nahmen Abschied
von Aftovac, um unsere Fahrt nach Bilek fortzusetzen. Bald sahen wir
rechts Cernica liegen, dann passirten wir das auf hohem Felsen ungemein
malerisch erbaute Wachthaus Stepen. Wir traten jetzt in das ehemals
berüchtigtste Räuberterrain, das sich über die Korita bis nach Bilek er-
streckte und das seit Jahrhunderten, obwohl hier eine uralte Handelsstrasse
von Ragusa bis an die Drina führte, der Weg des Todes -mannt werden
musste. Wahrend der Insurrektionsjahre der letzten zwei Jahrzehnte wurde
der Ruf der Gegend nicht besser. Die montenegrinische Grenze ist nahe
und zwischen ihr und der heutigen Fahrstrasse, die in verschiedenen Ab-
theilungen in den Jahren 1883— 1886 fertiggestellt wurde, liegt das Ge-
biet der wilden Banjani, die man auch die > liederberühmten, nennt, weil
sie stets bei allen Erhebungen mit ihren Trutzgesängen an der Spitze
gegen die Türken marschirten.
— 343 —
Noch heute ist dieses Gebiet schwer zugänglich. Von Trebinje aus
führt ein beschwerlicher Saumweg durch das Karstterrain in die Höhen
der Banjani; hier liegt auf steilem Felsenkegel die alte Veste Klobuk,
wie ein Adlerhorst an das Gestein geklebt. Das Raubnest war schon im
Mittelalter gefürchtet, wenn ragusaner Kaufmanns -Karawanen auf der
grossen Handelsstrasse über Bilek nach Novibazar zogen. 1694 zwang der
venetianische Proveditore von Cattaro die Burg durch Hunger zur Ueber-
gabe; 1806 wehrte sie sich erfolgreich gegen Russen und Montenegriner,
und 1878 konnte sie von den österreichisch-ungarischen Truppen auch erst
nach längerer Beschiessung eingenommen werden. Die Annäherung ist
nur für Fussgänger auf einem steilen Grate möglich, und in Zeiten der
Gefahr liessen sich die Yertheidiger an Stricken über die steilen Felswände
herab und entkamen fast stets in die Karstwildniss. Nach der letzten
Einnahme wurde die Burg von den kaiserlichen Truppen gesprengt, und
erst nach harter Arbeit gelang es, die ausserordentlich festen Umfassungs-
mauern und den Thorthurm niederzuwerfen. Von Klobuk aus führt ein
halsbrecherischer Pfad in engem Thale nördlich bis Bilek. Auf diesem
Wege liegt in rauher Schlucht das Kloster Kosijerevo, von wo aus mehr
als einmal das Zeichen zur Erhebung gegen die Türken gegeben wurde.
Die ganze wilde Gegend zu beiden Seiten der heutigen Strasse ist
reich an historischen Erinnerungen. Nicht weit entfernt vom Fort Stepen
liegt die alte Burg Kljuc in einer Gegend, die von Felsklippen starrt,
direkt auf einer gigantischen Felspyramide, wie sie die kühnste Phantasie als
Standort für ein mittelalterliches Raubschloss nicht besser ersinnen konnte.
Die alten Ruinen halten unter dem westlichsten Ausläufer der bis zu
1737 Meter im Djed ansteigenden Baba-Planina bei der Thalenge des Crnica-
baches Wache, — heute ganz vergeblich, denn Niemand sucht die Ruhe
des von der modernen Heerstrasse abseits liegenden Ortes zu stören.
»Kralj Sandalj«, der hier residirt haben soll, hat einen ausgesprochenen
Zug fürs Wildromantische bewiesen, denn zwischen den gleich Schwalben-
nestern an den kahlen Felsen klebenden Hütten der wenigen Bewohner
von Kljuc steht die Burgruine gleich einem Adlerhorste auf der Felsen-
spitze und ihre schmale Pforte, zu der man bloss auf der einen Seite des
Felsens gelangen kann, wird selbst von geübten Kletterern nur mit Mühe,
von ungeübten unter Gefahr erreicht. Aber auch heute noch sind die mit
Schiessscharten versehenen Mauern, an deren Stelle häufig der natürliche
Felsen tritt, stark und widerstandsfähig. Den Hof füllt mit wucherndem
Unkraut bedecktes Bröckelwerk und Gerolle, welches den Eingang zu den
beiden Thürmen, die den Flügel der einzig zugänglichen Seite schützen,
versperrt. .Mauerreste zeigen die einzelnen Oertlichkeiten und Gemächer an.
Westwärts von der Burg- — ich ciüre hier aus Asboths Werke über Bosnien-Hercegovina
ziehen sich drei hohe Felsenmauern in der Stärke von 2 — 3 Metern hin, welche plötzlich
344
in schroffen Abhängen enden. Zwischen diesen natürlichen Schutzmauern lagen, wie das Volk
erzählt, die Stallungen und Gärten. Unter dem Felsabhange Messt ein grösserer I
Wasser bricht plötzlich aus der senkrechten Schlucht der Baba heraus und verschwindet nach
einem kurzen Laufe von 600 Schritten auf der anderen Seite des Thaies in einem Karstloch.
Bevor es aus dem Innern des Babagebirges tritt, sammelt sich das Wasser in einer tiefen, ge-
räumigen Höhle. Der Eingang zu dieser liegt etwa 10 Meter über der Oberfläche des Thaies.
Bei niederem Wasserstande rieseil i\cv Bach zwischen den einzelnen Kissen und Löchern der
Felswand hervor; wenn aber der Schnee schmilzt, oder nach starken Regengüssen, füllt sich
die Tiefe der Höhle und aus ihrem Schlünde stürzt das Wasser in mächtigen nässenden
Fluthen hervor. Wasserfälle bildend, die ihres Gleichen suchen und so gewaltig aus den
Felsen brechend nur im österreichischen Karste zu linden sind. Bei niederem Wasserstande,
wenn der Wasserfall verschwunden ist und das Wasser wie aus einem Schwämme nur aus der
Felswand sickert, kann ein geübter Bergsteiger auf die von dem Sturze glatt geschliffene
riesige Steinplatte hinauf gelangen, die den Eingang zur.Höhle bildet. Aber Niemand ist noch
weiter in ihr vorgedrungen. Von unten herauf gähnt zwischen Felsen der tiefe schwarze
Schlund mit dem ruhigen Wasserspiegel auf seinem Grund.-. Schwalben- und Taubenschwärme
flattern im Innern des gewaltigen Felsendomes. Wunderbar ist die Farbenpracht, mit der die
Natur seine Wände schmückt. Die Moose und die Feuchtigkeit bilden wahre Fresken in den
Kontrasten und Schattirungen vom lebhaften Grün, Gelb und Orange, vom zarten Silbergrau
und Rosa, bis zur tiefen Dunkelheit einzelner Theile und dem Wasserspiegel, der das gebrochen
herablangende Tageslicht zurückwirft. Wie weit die Höhle reicht und wo sie aufhört, lässt
sich kaum bestimmen, denn den Hintergrund deckt tiefe Finsterniss und ein Eindringen ist
unmöglich. Vielleicht stehen die Wässer, die sich in der Höhle ansammeln, mit der Ebene
von Gacko in Verbindung. Ebenso ungewiss ist es. wohin das Wasser fliesst, nachdem
der anderen Seite des Thaies verschwunden ist. Der volkstümliche Nachweis sucht die Fort-
setzung der Gewässer stets dort, wo angeblich Menschenköpfe, blutige Leichen, die in dieselben
geworfen wurden, wieder zum Vorschein kamen. Derlei Erzählungen sprechen aber ebenso
sehr von der bei Bilek plötzlich hervorbrechenden Trebinjcica, wie für die gegen E
hinziehende Opacica, die plötzlich im Dabärpolje, jenseits der Sättel des Koritnik und Liznik
auftaucht. So viel ist sicher, dass in der Höhe der einen Höhlenwand ein zweiter Schlund gähnt.
Im Volke herrscht die Ansicht, dass sich hinter demselben ein beträchtlicher See in den Berg-
massen der Baba-Planina ausbreitet. Der Widerhall mit kräftigem Wurfe hineingeschleuderter
Steine klingt thatsächlich so, als wären sie in tiefes Wasser gefallen. Bei hohem Wasserstande
fliesst das Wasser vielleicht aus diesem Schlünde in die erste Höhlung, während es sonst nur
durch die Felswand sickert.«
Die Bevölkerung von Kljuc lebt heute noch in der Erinnerung an
ihren »König Sandalj«, von dem sie die wunderbarsten Sagen erzählt.
Wie er die Ponors — die Abflusslöcher der Gewässer im Karstgebiet —
verstopfte, als die türkischen Heere das Gefilde rings umher erobert hatten,
wie er das gesammte Gackopolje, den Golinjev-Dol unter Wasser setzte,
sodass nur noch Burg Kljuc auf hoher Felsspitze aus dem wogenden See
emporragte. So trotzte Sandalj allen Angriffen, mittelst »unzähliger Schifte
und Kähne« die Verbindung mit den fernen Ufern aufrecht erhaltend.
Und als sich das Wasser schliesslich dennoch unterirdisch Bahn brach und
abfloss, widerstand die Burg noch drei Jahre der Belagerung und fiel erst
nach dem Tode König Sandalj 's. Auch hier wie im Bjelopolje bei Mostar
behauptet das Volk, dass in den hohen Felsenmauern der Baba noch Eisen-
— 345 —
ringe zu finden seien, die zum Anhängen der Schiffe dienten. Die sonst
lichtgraue Wand der Baba ist bis zu einer gewissen Höhe, welche sich in
wagerechter Linie scharf abzeichnet, thatsächlich dunkler und moosbewachsen.
Wir wollen und können auf alle diese Sagen, welche sicher eines historischen
Grundes, wenn auch in vielfacher Vergrösserung, nicht entbehren, hier
nicht näher eingehen. Das Gackopolje ist sicherlich einmal ein See
gewesen, nur liegt diese Zeit um viele Jahrtausende zurück, die Tradition
hat sich jedoch erhalten. Vom Kralj Sandalj erzählt die beglaubigte
Geschichte: er war eines der grössten Bogomilenhäupter seiner Zeit, ein
Neffe jenes Vlatko Hranic, welcher Kroatien an der Spitze eines bosnischen
Heeres für Tvrtko I. eroberte und der später in der für Serbien verhängniss-
vollen Schlacht am Amselfelde 1389 mit verhältnissmässigem Glücke ein
bosnisches Hilfsheer befehligte. Nach vielen Bürgerkriegen im Innern und
gegen Bosnien sah er sich schliesslich genöthigt, die Oberhoheit des Sultans
anzuerkennen. Er benutzte dieses Verhältniss, um sich von der bosnischen
Königsgewalt ganz unabhängig zu machen. Im Jahre 141 8 blieb er der
Krönung des Königs Stefan Ostoic fern und breitete mit Hilfe Isak Begs
— der damals in Vrh-Bosna residirte — seine Besitzthümer auf bosnischem
Boden aus. Erst nachdem Isak Beg, der das erste türkische Heer von
Bosnien nach Ungarn führte, im Jahre 1420 bei Temesvär gefallen wary
und Tvrtko II. sein Ansehen in Bosnien mit ungarischem Beistande abermals
herzustellen begann, huldigte auch Sandalj wieder dem bosnischen Könige
und erschien bei der Krönung Tvrtko's. Das Ansehen, welches er
sich auch späterhin bewahrte, kann aus dem Umstände ermessen werden,
dass das Concil von Basel, als es angesichts der von den Türken drohenden
Gefahr die Einheit der Christen herzustellen suchte und sein Augenmerk
namentlich auf die bosnischen Bogomilen (die Protestanten des Alterthums)
richtete, im Jahre 1433 sich durch Vermittlung der Republik Ragusa
nicht nur an den König Tvrtko, sondern auch an Sandalj wandte. Die
Antwort des mächtigen Bogomilenführers lautete abweisend, wobei er sich
übrigens auf den damals wüthenden Bürgerkrieg berief, welchen der Sohn
Ostoja's, der Knez Radivoj, mit türkischer Beihilfe angezettelt hatte.
Die Macht Sandalj 's erstreckte sich weit in die Zeta, das heutige
Montenegro, im Norden bis nach Kroatien; er regierte schliesslich, wenn
auch ungekrönt, thatsächlich über den grössten Theil von Bosnien, bis
er 1445 auf dem Gipfel seiner Macht starb. Sandalj Hranic aus dem
Hause Kosaca war es, der die Hercegovina schuf, wenn sie auch später
erst vom deutschen Kaiser Friedrich III. den Namen erhielt. Mit Recht
räumt daher die Sage der Burg Kljuc eine grosse Rolle ein. Heute ist
hier alles Leben erstorben; Heerden und Hirten weiden auf den welt-
entlegenen Fluren und auf den grossen Friedhöfen mit ihren Gedenksteinen,
die von einstigem glanzreichen Leben Zeugniss geben. Ueberall, in Crnica,
— 346 —
Cisterne in der Hercegovina.
in Radmilovic, in Dubovac, um Korito und Plana, zeugen zahlreiche Grab-
steine mit reicher Skulptur von einer grossen Kultur in diesen wilden
Gegenden, die Jahrhunderte lang nur erwähnt wurden, wenn »weit hinten in
der Türkei die Völker auf einander schlugen«. Was muss aber hier für ein
Leben geherrscht haben, wenn so prächtige Grabsteine zu Hunderten er-
richtet werden konnten ? So führt, von Plana auf der grossen Hauptstrasse
westwärts abbiegend, ein Fusspfad nach Montenegro. Nach einer halben
Stunde fällt der Boden in ein waldiges Thal ab ; darüber hinaus steigt
kühn und kahl der hohe Wardar (1129 m) auf, den jetzt eine solide Be-
festigung krönt. Die Wichtigkeit dieses Punktes war aber schon früher
bekannt, denn die Reste alter Mauern zeigen, dass hier eine Festung ge-
standen hat und beim Neubaue wurden 2000 Jahre alte griechische und
makedonische Münzen gefunden. Das ist aber nicht das Interessanteste;
von Bedeutung ist die Riesen-Nekropolis, die in weitem Bogen von Vrbica
bis Trnovica, überall zwischen Gesträuch und Bäumen versteckt, den Fuss
des Berges fast ganz umfasst. Hier ist archäologische Ausbeute für lange
Jahrzehnte, wie überhaupt Bosnien-Hercegovina das wissenschaftliche Er-
forschungsfeld in den nächsten Zeitabschnitten bilden sollte.
Und aus der fernen Vergangenheit treten wir bei unserer Weiter-
fahrt nach Bilek wieder in die lebendige Gegenwart. Wir sind jetzt in
die blutige Korita gelangt, ein wildes Karstterrain, dessen spärliche Ver-
$47
tiefungen (Dolinen) sorgsam angebaut sind. Neue Cisternen zeugen von
der Fürsorge der Regierung. Die auf den »Feldern« arbeitenden Be-
wohner sahen so friedlich drein, als hätte den idyllischen Frieden dieser
Gegend noch nie ein Büchsenschuss gestört. Einst war die Korita von
dichtem Wald und Getreidefeldern bedeckt, und das Volk feiert diese
Gegend, deren trostlose Gegenwart durch die schneebedekten Berge im
Hintergrunde einen hohen landschaftlichen Reiz erhält, in vielen Liedern.
Aber an die zahlreichen Grabsteine der Korita knüpfen sich die Erzählungen
blutiger Katastrophen. So lebte einst in Risano ein reicher Türke, welcher
auf einer Reise die Tochter des Beg von Mitrovica kennen lernte und
sich mit ihr verlobte. Auf der Rückreise prellte er im Uebermuth auf
der Hochebene Glasinac den christlichen Kaufmann Limun, der mit tausend
Ochsen des Weges zog, um seine theueren Waffen, von denen die Gold-
ringe der langen Flinte allein 330 Dukaten schwer gewesen sein sollen.
Limun schnaubte nach Rache. In Venedig kaufte er neue Waffen, verband
sich mit hundert Genossen und ergriff das Räuberhandwerk gegen die
Türken. In der Korita harrt er vier Jahre, bis der Risanote die Braut
heim hole. Dieser sandte seinen Bruder Durmisch Beg mit tausend
Reitern. Der kriegerische Hochzeitszug gelangt glücklich nach Mitrovica,
Golobrdo bei Korito.
54S -
aber auf der Rückreise hat die Braut einen unheilvollen Traum: Wölfe
brechen aus dem Nebel der Korita und zersprengen den Zug der Türken.
Der Führer erschrickt jedoch nicht; schweigend ziehen die Hochzeitspilger
durch die gefährliche Ebene. Da fallt einem der Theilnehmer ein, den
Räubern Hohn zu sprechen. »Und die Trommeln und die Pfeifen klangen,
die Pistolen und die Flinten krachten und es jauchzten auf die guten
Helden«, wie es im Liede heisst. Die Rächer verlegten den Engpass, aus
allen Flinten gaben sie Feuer und »zersprengten die Türken nach allen
Seiten, wie die Wölfe weisse Lämmer jagen«. Dem Brautführer, der mit
beiden Armen das Mädchen umklammert hält, haut Limun die Arme von
den Schultern und entreisst ihm die Braut. Dann steigen die Räuber
empor zur Kobilaglava (Fohlenkopf) und setzen sich, um Wein zu trinken,
den ihnen die arme Gefangene reichen muss. Inzwischen ist aber der
Bräutigam dem Zuge entgegengeeilt, hat auf dem Felde von Rudina die
Schüsse gehört, die Korita erreicht und von seinem sterbenden Bruder
Alles vernommen. Mit seinen Begleitern klimmt er durchs Tannendickicht
zur Felsenhöhe empor, wo die Räuber lagern. Er zielt auf das Haupt seines
Todfeindes, doch die Kugel verfehlt ihr Ziel und trifft das Mädchen ins Herz.
Die Räuber entfliehen, aber todt liegt die Braut auf der Kobilaglava
Solcher Geschichten giebt es viele und Vrcevic, Ljubisa, Hörmann,
Hoernes, Kraus u. a. erzählen so manche blutige Episode nach den Ge-
sängen dieses Volkes. Hier ist stets mit Blut gearbeitet worden und es
darf daher nicht Wunder nehmen, wenn dieser so eigene Saft in dieser
Gegend bis in die jüngste Zeit noch immer reichlich floss. Der Ort Korito
selbst liegt auf einer massigen Erhöhung etwas abseits von der Strasse.
Im Jahre 1888 besuchte ich ihn, da wir wegen Abgabe der Post den Weg
nicht scheuen durften. Eine Art Wachthaus nach Art der türkischen
V
Cardaken diente zur Unterkunft der Truppen, desgleichen einige Baracken.
Ein etwas besseres einstöckiges Steinhaus beherbergte das Post- und
Telegraphenamt. Daneben hatte ein Dalmatiner eine Kantine und einen
Kramladen. Grosse Wolfshunde schienen den Wachtdienst mit zu ver-
sehen, jedenfalls waren sie an die Truppen attachirt und vielleicht haben
sie mit den Stamm zu jenen bosnischen Kriegshunden geliefert, die erst
im März 1895 bei Zwornik ihre Kriegsübung so glänzend bestanden haben.
Es ist ein trostloser Aufenthalt, dieses Korito mitten in der Steinwüste,
und obwohl der Tag warm genug war, wehte hier ein eisiger Wind von
den Grenzbergen. So soll es fast immer sein, und im Winter liegt der
Schnee haushoch, während ganze Rudel Wölfe um die Behausungen heulen.
Auch für sie ist ja in dieser Gegend nicht viel zu holen. Diesmal sah
eine neugebaute Kirche von Korito herüber.
In ziemlich scharfem Abstieg führt die Strasse dann zu der über
900 Meter hohen Schneide von Plana, wo die Strasse nach Stolac abzweigt.
- 349
Eine hübsche Kaserne verschönt die
trostlos öde Karstgegend, in der mit
schwerster Mühe kein Stämmchen
Grün zu entdecken wäre. Weiss und
o-rau ist Fels und Feld, die Häuser
reflektiren förmlich die Sonne, und da
auch nicht eine Spur von Wasser für
die Pferde zu erhalten war, so wurde
unser Aufenthalt so viel als möglich
abgekürzt. Eine Art Wirthsh aus, ver-
bunden mit Kramladen, ist wohl vor-
handen, aber ausser Rakija (dem hei-
mischen Schnaps) und Mastica (dem
angeblich griechischen Branntwein)
war kein Getränk zu haben. Einige
harte Eier mit Brot bildeten das
Mahl zu dem sich eine Heerde halb-
verhungerter Hühner des Wirthes
und fünf junge Kätzchen eingefunden
hatten. Wir theilten brüderlich, denn
hier ist jede Kreatur zu bedauern. In
Plana soll es früher sogar einFremden-
zimmer im Gasthause zum U eber-
nachten gegeben haben. Seit aber
die Frau des Wirthes ein zweites
Geschäft in Stolac übernommen hat,
fehlt es auch an dieser Unterkunft.
Glücklicherweise wird selten Jemand
in die Lage kommen, sie zu be-
nöthigen; Bilek kann noch immer,
auch wenn es spät abends ist, ohne
Gefahr erreicht werden.
Auf der Fortsetzung des Weges
fanden wir recht hübsche neue Wald-
anpflanzungen, meist Eichen und
Eschen. Sie standen vorzüglich, und
es unterliegt keinem Zweifel, dass die
gesammte Gegend einstmals gut be-
waldet war. Die grossen Stämme
wurden aber rücksichtslos niederge-
hlagen, für Nachpflanzung nicht ge-
sorgt, die Ziegen thatrn das Uebrige,
Ansicht von Korito.
350
damit kein junger Wald aufkomme. So verödete die Gegend, sie bot R
und Winden die Möglichkeit, auch noch das letzte Restchen von Humus
wegzuschwemmen und wegzufegen, und so verarmte das Volk, das immer
mehr zu einem blossen Räuber- und Hirtenvolke herabsank. Was hier
zu leisten möglich ist, dass dieser Theil der Hercegovina durchaus nicht
kahl und unfruchtbar zu bleiben braucht, zeigen gewisse Berge und Wald
partien, die durch grosse Tafeln als »Zabranjena suma (als verbotener
oder geschlossener Wald) gekennzeichnet sind. Hier stehen die neuen
Pflanzungen wie die alteren Bestände, seihst das Gestrüpp, im üppigsten
Wachsthum und da in ihnen das Weiden von Vieh streng untersagt ist.
wird in nicht zu ferner Zeit ein grosser Theil der »steinigen Hercegovina
wieder eine »grüne« werden.
Die Aufforstung des Karstes im ganzen Okkupationsgebiete macht
erfreuliche Fortschritte. Allerdings kann von einer vollkommenen Lösung
dieser Aufgabe in absehbarer Zeit nicht die Rede sein, da die räumliche
Ausdehnung des Karstgebietes und die unvermeidlichen grossen Kosten
eine solche immer nur in beschränktem Umfange zulassen. Was zuerst von
der bosnisch -hereegovinischen Landes-Forstverwaltung unter Aufforstung
verstanden wird, ist im Wesentlichen eine Reihe von Maassregeln und
Arbeiten zur Sicherstellung des Kulturbodens gegen die immer weiter um
sich greifende Fortbildung des Karstes in einzelnen Landestheilen. Dies
geschieht zuerst bei bestehenden Waldungen durch Hegungen und an
besonders günstigen Punkten auch durch Aufforstungen. In dieser Richtung
wurde von der Landesvenvaltuno- ein besonders umfassender Plan für den
Bezirk Zupanjac (in Travniker Kreise) ausgearbeitet und haben die Ein-
schonungen schon einige befriedigende Ergebnisse erzielt.
Die Bevölkerung am Karst braucht zwar Holz, aber doch keine langen
und dicken Stämme; weit dringender bedarf sie des Baumlaubes als Futter
für die Erhaltung ihrer Viehheerden, weil Wiese und Grasland von geringer
Ausdehnung und wenig ergiebig sind, weiter, weil für den Anbau von
entsprechenden Futterpflanzen Mangel an kulturfähiger Scholle ist; dieser
zweifachen Anforderung von Holz- und Viehfutter-Produktion kann aber
nur der Nieder- oder Mittehvald genügen. Das Ziel der Karstkultur muss
daher in erster Linie auf die Erziehung und rationelle Behandlung solcher
Waldformen auf allen hierzu geeigneten Standorten gerichtet sein. Auf
den anderen Oertlichkeiten kann dann, wenn Kräfte und Mittel es gestatten,
auch das Ziehen hochstämmiger Wälder ins Auge gefasst werden. In
dieser Art wird sich die schöne Idee der Karstkultur auf jenen Standpunkt
der Verwirklichung führen lassen, von dem aus die glückbringenden
Strahlen des künftigen Wohlstandes auch schon jetzt der Bevölkerung
erkenntlich werden. Der Versuch einer umfassenden Beforstung des Karstes
ohne Rücksicht auf die Weidebedürfnisse der Bevölkerung würde aber, ab-
N e u-B il e k.
gesehen von den unerschwinglichen Kosten, auf einen Widerstand stossen,
der wegen seiner inneren Berechtigung gar nicht zu besiegen wäre. Von
einer solchen Karstkultur kann demgemäss aus politischen Gründen nicht
die Rede sein.
Von Plana aus führt die Fahrstrasse in steter Senkung gegen das
Becken, in welchem Bilek liegt. Es ist ein weiter Bogen zu umschreiben,
ehe man zur Stadt gelangt, aber die sie umschliessende Ebene ist ungemein
lieblich, überall sind Felder in üppigem Anbau. Nur von allen Höhen
grüssen Forts als Wache gegen Montenegro. Bei Bjela Rudina hätten wir
übrigens in der Luftlinie nur eine geringe Entfernung nach Vucidö gehabt,
wo 1876 die Montenegriner ihren letzten Sieg über die Türken erfochten.
Bilek liegt am Rande einer Hochebene, der Bilek-Visocina, auf welcher
Tumuli und hohe Steindenkmäler längs des Weges förmliche Alleen bilden.
Die Stadt ist nicht gross, zählt sie doch noch nicht 2000 Bewohner, aber
sie ist rein und zum grossen Theil neu gebaut; es wurde auch den Mohamme-
danern aus Landesmitteln eine Moschee erbaut, da die alte zerstört worden
war. Bilek besitzt grossentheils orthodoxe Bevölkerung, und so war für
die Türken das Leben nie besonders angenehm; erst jetzt können sie
ihres Daseins froh werden. In einem recht guten Restaurant »Zur Stadt
Wien' kehrten wir ein, wo wir vorzügliches Bier, anständige Verpflegung
und sogar eine Kegelbahn fanden. Einen Kilometer von der »Civilstadt«
liegt aber das Militärlager >Neu-Bilek«, eine von festen Mauern umschlossene
kleine Stadt für sich. Vom Lager und dem unmittelbar vorüberführenden
Wege fällt das Terrain steil ab zur Schlucht der Trebinjöica, die aus einer
Karsthöhle plötzlich als Flu>- zu Tage tritt. Bilek ist trotzdem wasserarm;
erst dei gegenwärtigen Verwaltung hatte es eine grosse gemauerte Cisterne
und nun auch eine Wasserleitung zu verdanken, ein Geschenk, das man
— 352
erst in diesen Gegenden recht schätzen lernt, wo man Tage lang keinen
frischen Trunk Wassers über die Lippen bekommt.
Neu-Bilek ist für Civilpersonen verschlossen. 1888 war dies nicht
der Fall. Damals stiegen ich und mein Reisegefährte in dem Lager ab,
das mit seinen Mauern, aus denen eherne Kanonenschlünde nach ver-
schiedenen Seiten drohend lugten, mit seinen grossen Kasernen und
Stallungen einen imponirenden Eindruck gewährt. Einen sehr sonder-
baren Eindruck machte es, dass auch vom Postzimmer aus Schiessscharten
ins Ereie führten. Das Offizierkorps hatte ein Casino im Lager, wo
gemeinschaftlich menagirt wurde. Ausserhalb der Mauern stand aber ein
recht hübsches Gasthaus, wo ich mich bei schwarzem Dalmatiner für die
Cepelica.
Weiterreise einige Stunden stärkte. Dieses,' ist jetzt verschwunden; nur
Militärgebäude sind errichtet, auch einige Gartenanlagen und sogar auf
einer Erhöhung über dem Trebinjcica -Ursprünge ein Sommer-Pavillon.
Die Strasse führt hoch über dem steilen wild zerklüfteten Bette der Tre-
binjcica dahin, die angeblich bei Ragusa abermals als mächtiger Schlund-
fluss im Omblathale als Ombla ins Meer mündet. Die Gegend ist anfangs
trostloser Karst mit wenig Grün. Immer schroffer erheben sich die Berge
zu beiden Seiten, an deren rechtem Abhänge sich die Strasse in zahllosen
Serpentinen dahinzieht. Auf einer Brücke übersetzen wir die Cepelica,
einen Nebenbach der Trebinjcica, wo eine Kaserne den Uebergang sichert.
Hier kommen wir der montenegrinischen Grenze am nächsten und in eine
fast »heilige Gegend«. Gegen Osten liegt, vom Wege aus nicht sichtbar,
das Kloster Sv. Xikola, dann das Kloster Dobricevo und etwas entfernt
von ihm auf montenegrinischem Boden Sv. Ilija und Kosijerevo.
23
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Tabakarbeiterinnen in Trebinje.
Im Garten
der Hercegovina.
Es war schon Dämmerung
eingetreten, als unsere Pferde
noch immer in schlankem Trabe
in Trebinje einfuhren. So sonder-
bar es klingt, ist es hier mit der
Unterkunft für Fremde immer
mangelhaft bestellt gewesen. Ein
grosses europäisch gebautes »Hotel Orient« traf ich schon 1888 ge-
schlossen; es ist auch diesmal nicht eröffnet. Damals fand sich ein
serbischer Kaufmann, Andrija, der mir in seinem Hause Unterkunft ver-
schaffte; jetzt hatte der Bezirksvorsteher in zuvorkommendster Weise gesorgt.
Es ist ein kleineres »Hotel Trebinje« geschaffen worden, das aber noch
nicht eröffnet war. Dort waren uns Zimmer vorbereitet worden, die in
keiner Weise etwas zu wünschen übrig liessen.
Trebinje besteht aus zwei Theilen: der von der Trebinjcica um-
flossenen, mit Mauern, Basteien und Wallgräben umschlossenen Festungs-
stadt und der neuen Stadt ausserhalb des Kastells, die jetzt alle öffentlichen
Gebäude und europäischen Bauten enthält und die erst in ihren wesent-
lichsten Theilen seit der Okkupation entstanden ist. Durch die vielen
Neubauten hat jedoch Trebinje keineswegs. seinen orientalischen und mittel-
alterlichen Reiz eingebüsst; es ist noch immer halb italienisch, halb türkisch,
verklärt von der südlichen Sonne. Die innere — die Festungsstadt —
ist klein und beschrankt, aber sie ist rein und sauber, und die Stille ihrer
Strassen ist geradezu nervenberuhigend. Die Stadt zählt gegen 1300 Be-
vvohner aller Bekenntnisse, die sich durch den Handel mit Ragusa, durch
- 356 —
Kleingewerbe, besonders aber auch durch Tabakbau ernähren. Der letztere
hat Trebinje jenen Weltruf verschafft, den ihm die geschichtliche Ver-
gangenheit nie gebracht hätte. Der Trebinjer Cigarettentabak ist einer
der feinsten Tabake der Welt, die bevorzugte Marke des Sultans, [mmer
mehr wird der .Anbau gesteigert und doch kann der Nachfrage nicht
genügt werden, obwohl stets neue Machen, die kleinsten Eckchen, die nur
fruchtbaren Boden besitzen, in Kultur genommen werden. 1 Iierin und im
Weinbau liegt der Wohlstand der Bevölkerung, der sich im Aeusseren der
Stadter und Bauern, in ihrem Gesammtauftreten, offenbart. Eine umfang-
reiche ärarische Tabakfabrik beschäftigt eine grosse Anzahl Personen.
Auf dem im Mittelalter wichtigen Handelswege, der von Ragusa in
fünfzehn Tagen nach Nisch und in dreissig Tagen nach Konstantinopel
führte, war Trebinje die erste wichtige Station. Ursprünglich wurde es
Terbunia oder auch Travunia genannt. Es kommt in den frühesten Jahr-
hunderten unserer Zeitrechnung in der Geschichte vor und nach Konstantin
dem Purpurgeborenen sass in der Burg Terbunia ein slavischer Fürst, dessen
Macht im Süden bis Dioclea, im Westen von Cattaro bis Ragusa und
im Norden über das Popovopolje reichte. Nach dem Zusammenbruche
der serbischen Herrschaft an der Adria (1355) gerieth Trebinje unter den
Grafen von Chlum, Vojislav, und trat dadurch in bleibende Verbindung
mit der Hercegovina und Bosnien. Ein Neffe und Nachfolger Vojislavs,
Nikola Altmanic, ist im Jahre 1371 gezwungen, seine Besitzungen gegen
das Bündniss des Königs Vukasin von Rascien mit den in der Zeta zur
Herrschaft gelangten Balsa zu schützen; 1373 überlässt er Travunja dem
Gjuro Balsic unter der Bedingung, dass dieser ihn gegen den bosnischen
König Tvrtko unterstütze, dessen Oberherrschaft er nicht anerkennen
wollte. Tvrtko aber, verbündet mit dem serbischen Fürsten Lazar, nimmt
1376 Travunja zurück, das er nebst anderen Theilen des Landes behält,
und er nennt sich nun König von Bosnien, Rascien und der Primorje (des
Küstenlandes). Unter Tvrtko schwingt sich die Familie Sankovic zu
grossem Ansehen in Chlum und Travunja empor und ihr werden diese
Gebiete, während das königliche Ansehen im Sinken begriffen ist, durch
Pavel Radinovic und Sandalj Hranic 1392 entrissen. Ersterer behält
namentlich Bilek, Trebinje, Klobuk und Canale, und nachdem er durch
Sandalj ermordet worden, halten seine Söhne wenigstens in Bilek und
Trebinje ihre Herrschaft aufrecht. Neben ihnen spielen die Nikolic von
Popovo und die Ljubibratic von Trebinje eine Rolle. Später theilte
Trebinje die Geschicke der Hercegovina, es fiel unter die türkische Herr-
schaft. Für die Osmanen war Trebinje eine Grenzstation, die befestigt
werden musstc wegen der Nähe der montenegrinischen, ragusäischen und
venetianischen Grenzen, und damit die Bevölkerung im Zaume gehalten
werden könne, wurde eine Unzahl fester Knien — steinerner befestigter
Thürme — gebaut, die im Umkreise vieler Stunden iede Bergkuppe krönen,
jede Strassenkreuzung beherrschen.
Aus alter Zeit besitzt Trebinje eine steinerne Brücke, die Arslan-
Agic-Most, die etwa 7000 Schritte oberhalb der Stadt über die Trebinjcica
führt. Den gleichen Namen führt auch das inmitten unwirthl icher Stein-
wüsten liegende, aus 25 Häusern bestehende mohammedanische Dorf, vor
dem sich die Brücke über den zwischen steilen Felsen zusammengedrängten
Gradina bei Trebinje.
Fluss schwingt. Jetzt ist bei Trebinje eine neue und näher gelegene Brücke
gebaut, die schon unter türkischer Zeit begonnen wurde und zu der die
Trebinjaner eine Kindesleiche auf Ragusaner Boden stahlen, um sie in die
Brückenpfeiler einzumauern und damit das uralte Bauopfer zu bringen.
Aus der Vergangenheit treten wir aber lieber in die lebendige Gegen-
wart. Durch die Festungsstadt schreitend und vor dem »Cafe degli Signori«
einen Schwarzen nehmend, hören wir eine Zeit lang dem Recitiren von
Koransprüchen zu, das aus einer türkischen Schule heraustönt. Dann ver-
tiefen wir uns in Häuserstudien, besichtigen die Moschee und gehen durch
das Festungsthor in die neue Stadt, wo sofort hübsche Baumgruppen, freie
weite Platze uns freundlich anmuthen. Eine grosse neue Schule, ein wahrer
- 358
Monumentalbau, fesselt die Aufmerksamkeit. Die Fenster eines unteren
Klassenzimmers stehen offen, wir folgen dem Unterricht. Es ist Geographie-
stunde, die Antworten der Kinder sind präcis und richtig. Welchei ( i
satz zu dem gedankenlosen Geplärre in der türkischen Schule! Eine neue
katholische und eine orthodoxe Kirche sind hier vorhanden, desgleichen
eine Menge moderner Privatgebäude, ganze Strassen bildend. Da reiht
sich Laden an Laden, Cafes und Restaurationen, Buchhandlungen, Amts-
gebäude - alles steht im neuen Viertel, das allerdings auch Theile alterer
Ansiedlungen in sich begreift. Hier ist auch der Marktplatz, auf dem
wundervolles Obst zu Spottpreisen feilgehalten wurde.
Eine prächtige Anlage besitzt dieser Stadttheil aber in einem gro
wohlgepflegten Parke, zu Ehren des Reichsfinanzministers »Källay-Park«
genannt. Prächtige Alleen wechseln mit hübschen Rasengruppen ab, Ranke
stehen überall zum Ausruhen bereit, und eine Restauration sorgt für des
Leibes Nahrung und Nothdurft. Für Trebinje, das sonst wenig Baum-
schatten bietet, ist dieser Park bei der meist herrschenden Hitze ein wahres
Labsal. Selbstverständlich ist auch er eine neue Schöpfung.
Aber einige Stunden von Trebinje ist noch ein Beweis der Fürsorge
der Regierung vorhanden, der gerade hier von weittragendster Bedeutuno-
ist: die Obst- und Weinbaustation Lastva. Von Trebinje führt eine
14 Kilometer lange neue Fahrstrasse über Arslan-Agic-Most am rechten
Ufer der Trebinjcica. Drei Kilometer vor Lastva wird der Fluss auf einer
neuen soliden Eisenbrücke übersetzt; der Weg in das Gebiet der Korjenici,
an die Grenze der Zubci, ist gebahnt. Hier liegt in 770 Meter Höhe ein
reizendes Thal, das ein kleines Paradies für sich bildet. Das ist Lastva,
Weinbaustation Lastva.
- 361 -
wie es heute ist, nicht wie es noch vor wenigen Jahren war. Damals, als
noch von Montenegro herüber tägliche Raubanfälle an der Tagesordnung
waren, lebte hier eine rauhe und arme Bevölkerung, die ihr kärgliches
tägliches Brot von der türkischen Regierung erwartete und erhielt. Die
Unsicherheit an der Grenze, der nie gepflegte Anbau hatten die Regierung
gezwungen, ihre Grenzbevölkerung als Schutz gegen die Montenegriner
gleichsam in Sold zu nehmen. Sie erhielt dafür den »Tai'n«, die Natural-
verpflegung und einen geringen Geldbetrag. Davon lebten die Bewohner,
sie wurden dem Ackerbau entfremdet, das Land verödete gänzlich. Mit
dem Einmarsch der österreichisch -ungarischen Truppen hörte die Tai'n-
Verpflegung auf, die Leute wurden auf ihre eigene Arbeitskraft verwiesen,
wozu ihnen für die Uebergangszeit allerdings Unterstützung gewährt wurde.
Das Jammern um den Tai'n wollte aber Jahre lang nicht verstummen; der
Xothstand in den hercegovinischen Grenzbezirken, darunter auch in Lastva,
wurde zu einer beständigen Rubrik der Landesverwaltung; alljährlich
forderte die Linderung der Noth grosse materielle Opfer und nur ganz
allmählich gelang es, die verwilderte Bevölkerung wieder an die Bestellung
ihres Grund und Bodens und die Führung einer ordentlichen Hauswirth-
schaft zu gewöhnen. Heute sieht es an der Grenze ganz anders aus, und
speciell Lastva, dieser total verarmte und verwüstete Landestheil, gliedert
sich den übrigen wirthschaftlich blühenden Distrikten würdig an. Ab-
gesehen von den Naturschönheiten, welche besonders der vegetations- und
quellenreichen Ortschaft Lastva einen eigenen Reiz verleihen, sind die Thäler
und Hochebenen der ganzen Gegend sehr fruchtbar. Die Bodenerzeugnisse
sind von vortrefflicher Güte, und hauptsächlich die Kartoffel erreicht in
der Bjelagora eine ganz erstaunliche Grösse bei unübertroffenem Wohl-
geschmack.
Die vielfach vorhandenen Spuren einstiger römischer Weinkultur, die
an den Lehnen der Thalenge von Lastva, dann in Skocigrm und Zupa
anzutreffen sind, reiften den Entschluss, die Weinkultur in dieser Gegend,
welche hierzu wie geschaffen erscheint, neu zu beleben. Das Ergebniss
einer fachmännischen Prüfung war ein überraschend günstiges. Die vor-
genommene chemische Analyse des Bodens und die Prüfung der klimatischen
Verhältnisse übertrafen alle Erwartungen. Es wurde im Jahre 1892 ein
Flächenraum von 40 Hektaren für die Anlage der Wein- und Obstgärten
erworben, im folgenden Jahre wurde die Fahrstrasse geschaffen an Stelle
des alten Reitweges, der sich früher am linken Ufer der Trebinjcica,
parallel mit dem nach der alten Burgveste Klobuk hinzog, dann wurden
die Hochbauten vorgenommen und zwar eines Administrationsgebäudes
mit der Wohnung des Oekonomiebeamten, eines Felsenkellers von 20 Meter
Länge und 6 Meter Breite und von fünf Winzerhäusern für je zwei Familien.
Die Winzer wurden aus Ungarn angesiedelt. Mit der Leitung dieser
- 362 _
Station wurde der bis dahin in Gnojnica bei Mostar in gleicher Verwendung
gestandene Stationsleiter Daniel Vargha betraut.
Im Spatherbste 1893 waren die Hochbauten, welche Kosten von 25000 fl.
verursachten, fertiggestellt, die Winzerfamilien, die theils aus dem Tolnaer
Comitat, theils aus den Tokayer Gebirgen stammen, langten in Lastva
an und wurden installirt. Jede Familie erhält, wie erwähnt, ein halbes
Wohnhaus und je l/i Joch Hausgrund. Nach zehn Jahren übergehen diese
Unbeweglichkeiten in das Eigenthum der Familie. Ausserdem erhält jede
Familie ein Fixum von 15 fl. monatlich und einen Taglohn von 50 kl-. für
faktische Arbeitstage. Befinden sich in der Familie ausser dem Oberhaupte
noch andere arbeitsfähige Mitglieder, so erhalten solche einen Taglohn
von 40 kr. Der erste überaus milde Winter gestattete mit wenig Unter-
brechungen die Arbeit im Freien. Es wurden daher 8 Hektar gerodet
und auf eine Tiefe von durchschnittlich 70 Centimeter rigolt. Im Früh-
jahr konnten 6 Hektar theils mit Wurzel-, theils mit Schnittreben (circa
60000 Stück) durchweg edelster Sorte bepflanzt werden. Die übrigen zwei
Hektar wurden zu Obstgärten verwendet. Es kamen nur Obstbäume erster
Sorte, Aepfel, Birnen, Kirschen, Weichsein, Aprikosen und Pfirsiche zur
Auspflanzung. Ueberdies wurden im ersten Jahre 3000 Meter Serpentinen-
wege in den Weinkulturen gebaut, welche zur Noth auch befahren werden
können. Tausende fleissiger Hände mussten arbeiten, um ein solches Er-
gebniss zu erzielen, die Früchte dieser Thätigkeit zeigen sich aber schon
heute. Die Bevölkerung von Korjenici erschloss sich durch diese Arbeiten
eine dauernde Einnahmequelle, welche bereits die letzten Spuren einstigen
Nothstandes in dieser Gegend verwischte.
Wenn man auch bei der Schaffung staatlicher Musterwirtschaften
nur die Hebung des Volkswohlstandes, nicht den eigenen Nutzen im Auge
hat, so kann bezüglich Lastvas gefolgert werden, dass beide Theile, Volk
und Regierung, auf ihre gute Rechnung kommen. Die von fachmännischer
Seite aufgestellte Wahrscheinlichkeitsberechnung ist folgende: Das In-
vestitionskapital wird sich nach gänzlicher Fertigstellung der Station auf
rund /oooofl. belaufen. Für ausschliessliche Weinkultur sind 30 Hektar
in Aussicht genommen, während die übrige Fläche theils durch Obstgärten,
theils durch verbaute und sterile Flächen absorbirt wird. Wenn nur die
ausschliesslich dem Weinbau zugeführte Fläche in Berechnung eezoeen
wird, so ergiebt sich für das Areal — bei dem Erträgniss durchschnittlich
Mittelernte in Qualität und Quantität angenommen — folgende Jahres-
einnahme: 30 Hektar Weingarten bei einer Durchschnittsernte von 40 Hekto-
liter per Hektar ergiebt ein Quantum von 1200 Hektoliter jährlich. Der
Durchschnittspreis für den Hektoliter nur mit 18 fl. berechnet, ergiebt eine
Jahreseinnahme von 21 600 fl. Werden die Betriebsauslagen mit jährlich
ilöoofl. in Abzug gebracht, so ergiebt sich ein Reingewinn von jährlich
S63 —
In der Suttorina.
rund ioooo fl., was einer mehr als i4prozentigen Verzinsung des Anlage-
kapitals entspricht.
Lastva ist gegenwärtig bereits der Sitz einer Bezirksexpositur, hat eine
besonders von Mohammedanern stark besuchte Elementarschule, einen
Gendarmerieposten, eine Zoll- und Finanzwachabtheilung und eine kleine
militärische Kordonbesatzung. Es ist ein reizender, zwischen duftende Gärten
eingebauter Ort, dessen mildes gleichmässiges Klima ihn zum Sommer-
aufenthalte für die Bewohner des hcissen Trebinje geeignet macht. In
der Nähe sind auch in neuester Zeit Steinkohlenlager aufgefunden worden.
1 ).i icli gerade von den wirtschaftlichen Maassnahmen der Landes-
regierung spreche, möchte ich gleich erwähnen, dass in der Suttorina, jener
— 364
Enklave, die sich zwischen
die dalmatinischen Kreise Ra-
gusa und Cattaro bis ans
Meer einschiebt und die ein
geradezu nordafrikanisches
Klima besitzt, grosse Ent-
wässerungsanlagen vorbe-
reitetwerden, um jenen Theil,
der direkt ans Meer und an
Igalo bei Castelnuovo grenzt,
mit Orangen und Citronen zu
bepflanzen. Es ist dies eine
vorzügliche Idee. Bei Castel-
nuovo selbst gedeihen alle
Früchte und Gewächse des
Südens; Aloen und die mexi-
kanische Agave wuchern an
allen Wegen und auf allen
Mauern, vereinzelte Palmen
stehen in den Gärten, Myr-
then, Lorbeer, Granaten,
Feigen bilden Dickichte und
der Kapernstrauch überzieht
die alten Festungsmauern mit
seinenRanken. DieSuttorina-
Ebene enthält nur wenige
Häuser; einst stand hier eine
mächtige türkische Kaserne
mit einer Moschee, die aber
im Juli 1875 von den Insur-
gentenverbrannt und zerstört
wurde. Seitdem liegt sie in Ruinen und die weiten Flächen um sie tragen
keine Frucht. Es giebt aber auch in der Suttorina noch andere geschützte
Höhenlagen, die jeder Kultur fähig sind, und es ist ein glücklicher Ge-
danke der Landesregierung, dass sie keinen Winkel ihrer weiten Gebiete
aus dem Auge verliert, dass sie für jeden die passende wirthschaftliche
Entwicklung findet. Das ist die echte und zielbewusste Kolonisationsarbeit!
Eine gebahnte Strasse führt von Trebinje durch die Zubci nach der
Krivoscie. Sie berührt altes Insurrektionsgebiet und endet als Fahrstrasse
in Grab. Dann führt ein Weg zum Orjen, wo 1888 Kronprinz Rudolf
seinen Blick hinüber schweifen licss nach Montenegro, nach der Krivo
nach dem Meere Vorüber! ....
Denkmal auf der Orjenska Lokva
zur Erinnerung an den Besuch des
Kronprinzen Rudolf.
365 -
In nordwestlicher Richtung führen von Trebinje aus Reitwege " ins
sogenannte Popovopolje, ins »Pfaffenfeld«. Eine Fahrstrasse besteht
bisher nicht, auch dürfte die Anlage einer solchen durch das eigentliche
Polje bei der Beschaffenheit desselben kaum räthlich erscheinen. Es ist
eine der Tiefebenen der südöstlichen Hercegovina, verwandt und benachbart
der Xarenta-Tiefebene von Gabella. Doch gilt es — wie der orthodoxe
Pfarrer Christophor Mihajlovic in Mostar, der früher lange Jahre Kloster-
vorsteher in Zavala im Popovopolje war, in dem »Glasnik zem. muzeja«
behauptet — trotz seiner Sümpfe und periodischen Ueberschwemmungen
für einen der gesundesten Theile der ganzen Hercegovina, während die
.'§3
Gendarmerieposten Konjsko am \Yeg:e vom Lastvathal
nach Grab in der Zubci.
Ebene von Gabella für den ungesundesten Landstrich gehalten wird. Im
Vergleich zu den Hochebenen mit ihren starken Frösten und Schneefällen
erfreut sich das Popovopolje gleich den Küstengebieten eines herrlich
milden Winters und einer durch erfrischende Meereslüfte gemässigten
Sommerwärme. Ueberdies ist das Polje äusserst fruchtbar und trägt die
verschiedenartigsten Ernten. Es giebt Weingärten in Fülle, Oliven, Aepfel,
Pflaumen, Feigen, Kirschen, Quitten; alle Arten Getreide und besonders
der Tabak gedeihen vorzüglich. Das Gebiet hat die Form eines langen
gekrümmten Armes; auf beiden Seiten umkränzen es hohe steile und
nackte Karstfelsen. Es ist wohl die waldärmste Gegend der ganzen
Hercegovina. Am Fusse dieser kahlen Felsen reihen sich über 20 Dörfer
mit beiläufig 5000 Seelen, mit netten Häusern und fast jedes mit einer
eigenen Kirche. Das Polje erstreckt sich von Tulja, dem höchst-, bis
Utova, dem tielstgelegenen Dorfe, in einer Länge von 30 Kilometern und
366
es erreicht eine Breite von l/s bis über 3 Kilometer. Diese ganze Fläche
ist jedes Jahr regelmässig vom Herbste bis zum Ende des Frühlings über-
schwemmt und bietet dann das Bild eines Sees. Die Wassertiefe beträgt
im oberen Theile über 15, im unteren sogar bis über 40 Meter. I
Wasserfläche wird von keinem Hügel, keinem Walde, nicht einmal von
einem Baumstamme unterbrochen, und wenn dann Sturmwinde über das
Blato« (den Sumpf) dahinbrausen, und hohe Wellen an dem kahlen
Felsengelände branden, wenn dann ein schwaches kunstloses Boot mit
seinen Insassen von dem empörten Elemente hin- und hergeworfen wird
und mit den wilden Wogen kämpft, bis es nach harter Mühe seinen Hafen
erreicht, dann bietet sich ein Schauspiel, wie es der Betrachter der Land-
karte wohl auf der nahen Adria, nicht aber in diesem Theile des Fest-
landes suchen dürfte.
Und doch fliesst dieser ungeheuere Wasserschwal] fast jedes Jahr
rechtzeitig wieder ab und die Ebene wird trocken gelegt. Die ganze ge-
waltige Wassermasse wird von einigen Schlünden (Ponori), welche sich im
unteren Theile des Popovopolje befinden, verschlungen und durch diese
theils dem Adriatischen Meere, theils den Sümpfen bei Gabella zugeführt.
Den Sommer über bleibt die Ebene gänzlich wasserlos, denn die Trebinjcica,
das Flussgerinne des Popovopolje, erscheint in dieser Jahreszeit vollkommen
trocken. Wenn diese Ueberschwemmung, sei es, dass sie im Herbste zu
früh eintritt und die Ernte vernichtet, sei es, dass wegen zu späten Ab-
fliessens des Wassers im Frühjahr die Felder nicht rechtzeitig bestellt
werden können, auch noch so grossen Schaden anrichtet, so ist sie
andererseits doch von unendlichem Segen. Der befruchtende Schlamm,
den sie über die ganze Ebene ablagert, macht das Düngen entbehrlich,
und thatsächlich wird im ge-
sammten Popovopolje mit Aus-
nahme der höher gelegenen
Berglehnen niemals gedüngt.
Dennoch erfreut es sich einer
üppigen Fruchtbarkeit.
Trotz des grossen winter-
lichen Wasserreichthums des
Polje hat es dennoch nur sehr
wenige Fische und diese nur
von einer Gattung, genannt
»Gaovice« (Leucus adspersus
Heckel). Diese Fische sind
kaum von der Grösse einer
Sardelle, aber sehr fett und
wohlschmeckend. Sie werden
Defensivkaserne in Grab Zubci).
- 367
mit aus der besten Hausseide gefertigten Netzen gefischt. Sowohl das
Spinnen der hierzu nöthigen äusserst zarten Seidenfäden, als auch das
Flechten der Netze, wird ausschliesslich durch das Hausgesinde besorgt.
Der Fisch gelangt nicht mit dem Wasser der Trebinjcica ins Popovopolje,
sondern sein Aufenthalt ist das Polje selbst, wo er sich mit dem sinkenden
Wasser in die Schlünde zurückzieht, um dort zu übersommern und erst
im Herbst wieder hervorzukommen. Diese Lebensweise des Fisches wissen
die Einheimischen vorzüglich auszunützen und sie stellen ihm nächst den
Schlünden mit bestem Erfolge nach.
Das Popovopoljc ist an Alterthürnern ungemein reich. Bei jedem
Dorfe ohne Ausnahme findet man alterthümliche Gräber, die im Volks-
munde »griechische Gräber« (greke groblje) genannt und häufig als
Bogomilengräber bezeichnet werden. Iguman Mihajlovic meint aber, dass
diese Bezeichnung hier nicht zutreffe, da auf den meisten der Grabsteine
sich an irgend einer Stelle das Kreuzeszeichen befinde, während die
Bogomilen sowohl das Kreuz wie Kirchen für gänzlich überflüssig erklärten.
Ausser diesen Grabsteinen ist eine grosse Anzahl alter Tumuli zu erwähnen,
dann die Burgruinen Mljecica oberhalb des Dorfes Police, die Kula am
Berge bei Zavala, die Burgruine am Ostrog oberhalb Zavala und die merk-
würdige Höhle bei diesem Dorfe.
Ueber die » Vjetrenica-Höhle « ist noch wenig bekannt.*) Sie ist
aber eines Besuches auch aus weiterer Ferne werth, wie überhaupt die
Hercegovina sehr viel des Merkwürdigen und des Erforschenswerthen bietet.
Ich folge nachstehend den Mittheilungen des gewesenen Klostervorstehers
Mihajlovic von Zavala:
Die Vjetrenica befindet sich gegenüber dem Kloster Zavala, vier Stunden von Ljubinje,
drei von Slano in Dalmatien, mit welchen Orten sie durch gute Reitwege in Verbindung steht.
Der Eingang der Vjetrenica sieht gerade nach Norden und liegt in einer Höhe von etwa
40 Metern über dem Popovopolje, sodass die Gewässer, welche das letztere zur Winterszeit
erfüllen, den Eingang nie erreichen können. Der Berg, in 'dessen Innerm sich die Grotte
befindet, führt den Namen Gradac. doch ist derselbe nur ein Ausläufer der Berge Klissura und
Brekovac, welche zu den höchsten gehören, die das Popovopolje umgeben. Vor der Vjetrenica
liegen die Ruinen eines Hauses, welches nach der mündlichen Ueberlieferung einem Vojvoden
and Popen Namens Stefan gehörte. Mehrere dazu gehörige Mauern stehen auch oberhalb
des Hinganges, sodass sich der letztere innerhalb der Hausruinen befindet. Am Eingange der
Vjetrenica bläst aus dem Innern ein sehr starker kalter Wind, dessen Stärke mit der Steigerung
der Temperatur vor der Höhle wächst. Da dieser Wärmeunterschied im Winter beinahe ver-
schwindet, hört in dieser Jahreszeit auch die erwähnte Luftströmung ganz auf oder schlägt in
das Gegentheil um, d. h. die Luft strömt an kalten Tagen von Aussen nach Innen. Vor dem
Eingange sind in den Felsen einige menschliche Figuren zu Pferde und zu lüiss eingemeiss Lt
Die Mittheilungen der Sektion für Höhlenkunde . VII. Jahrgang 'Wien. iSSS~ \<>. 2
enthalten einen om < 'ivilingciiieur Josef Riedel unter dem Titel: »Eine Ventarole in
der Hercegovina. Riedel polemisirt darin gegen einen im III. Jahrgang desselben Organs
erschienenen Aufsatz des Civilgeometers Hugo Jedlieka. worin am Schlüsse auch der Vjetrenica
Erwähnung gethan wird. Line eingehende Untersuchung ist bisher nicht erfolgt.
— 36S
Sil baben Schwerter umgegürtet and tragen Helme oder Kaipaks auf dem ! \m
Beginn dieser Figurenreihe befindet sich ein Kr lss die Entstehung derselben der
christlichen Zeit zugeschrieben werden darf.
Ihn man sich ilureh den kaum I Meter hohen, ebenso breiten und an.} Meter 1
Eingang hindurch gezwängt, so kann man sich aufrichten und die Laterne anzünden, was früher
nicht möglich ist, weil der starke Luftzug jede Flamme verlos« ht. Im Innern i ., ■. bai a
Stellen schwacher Luftzug. Beim Vordringen gelangen wir durch einen 7 Meter breiten und
2 Meter hohen Gang I a I bor , einem natürlichen, prachtvollen Felsenthor von 3 Meter
Höhe und 2 Met.r Breite. Bis hierher 35 Meter besitzt die Grotte eine 'südostliche Richtung.
Hinter dem Thor sind ZU beiden Seiten Nischen. In dem neuen Gange, der 2—3 Meter hoch
ist. steigen wir, etwa 50 Meter vom Eingange entlernt. 1 Meter empor, treten abermals durch
ein grosses Thor und belinden uns nun in einem weiten Räume, der sogenannten Raskrsnica
Wegekreuzung), liier stösst man auf Spuren, dass einst Menschen da gehaust haben. Man
findet Bruchstücke irdener Gefässe, Feuerstellen, Thierknochen etc. Links von hier. gegen
I »sten, erstreckt sich die Fortsetzung der Vjetrenica, während nach rechts in südwestlicher
Richtuiii,'- eine andere. 50 Meter lange Abtheilung abzweigt, in der sich die Mühlstein
Zrvni), die Trommel Tlubanf und die Mühle Mlin befinden. Wendet man sich von der
breiten Raskrsnica gegen die letztgenannte Abzweigung, so hört man nach etwa 15 Schritten
ein Geräusch, das demjenigen gleicht, welches durch sich drehende Mühlsteine erzeugt wird.
An der linken Seite der Abzweigung befindet sich nämlich ein kleiner Felsspalt, durch welchen
die Luft nach Aussen entweicht. Durch diese Strömung wird jenes Geräusch erzeugt, das
dem Orte seinen Namen verschafft hat. Gehen wir weiter, so hören wir nach etwa 30 Metern
die Töne der Trommel. Die Bevölkerung erzählt, dass bei der Trommel die in der Höhle
wohnenden Vilen Feen" ihre Kolotänze aufführen. Ueberdies glaubt sie. wenn sie einmal
die Trommeltöne im Sommer nicht hört, dass im nächsten Jahre grosses Blutvergiessen bevor-
stehe. Schreiten wir weiter vor. so gelangen wir zur Trommel selbst, die sich am Ende der
Abtheilung befindet. Hochgewachsene Personen müssen an dieser Stelle den Kopf beugen,
jedoch nicht vor der Trommel, sondern vor dem herabhängenden Gestein. Jeder hört nun
zu, wie schön der Trommler das Fell bearbeitet. Die Trommel sammt den dazu gehörigen
Geräthen befindet sich über uns in einer unvollkommen runden Höhlung, welche so gross
ist, dass ein Mann, wenn er sich etwas erhebt. Kopf und Schulter hineinstecken kann. Die
Neugierde reizt Jeden. Trommel und Trommler in Augenschein zu nehmen, doch ist dies leider
unmöglich. Einerseits sieht man in der Höhlung nichts, und andererseits gestattet der Lärm
der Trommel nicht, lauge den Kopf darin zu halten. Man bemerkt nur einige kleine (Jeffnungen.
durch welche die Töne zu uns gelangen. Das ist die ungewöhnlichste Erscheinung in der
Vjetrenica. denn wir vernehmen hier nicht ein gleichmässiges Geräusch wie bei den Mühlsteinen
oder der Mühle, sondern wirkliche Trommelschläge, deren Anzahl in einer Minute sich wohl
auf 200 beläuft. Während die Zeiträume zwischen den Schlägen immer gleich bleiben, wechselt
zuweilen die Kraft derselben. Ob nun der Wind allein diese Töne hervorbringt oder ob sie
dadurch entstehen, dass er einen anderen Körper bewegt, ist unbekannt. Rechts von hier, am
Xordende dieser Abtheilung, befindet sich die Mühle .:, wo sich dieselben Winderscheinungen
wiederholen wie bei den Mühlsteinen«.
Nun kehren wir zur Raskrsnica zurück und dringen in dem Hauptarme der Höhle vor.
Dieser zieht sich südöstlich in den Berg hinein. Sobald man die Raskrsnica der Breite nach
durchschritten hat, ersteigt man eine meterhohe Stufe und es beginnt ein enger Gang von
I Meter Hohe und 5 Meter Länge, in dem ein beständiger Luftzug herrscht. Haben wir uns durch
diesen Gang hindurchgezwängt, so -dangen wir auf eine sandige Fläche und nach einigen
Schritten über diese zum ersten See. I >ie Entfernung vom Haupteingange bis hierher beträgt
100 Meter. Der See ist klein und trocknet schon im Juni aus. was das weitere Vordringen be-
deutend erleichtert, weil man zu anderer Zeit gezwungen ist. durch eine kleine Oeffnung neben
569
dem See durchzuschlüpfen. Ebenso verhält es sich in anderen Theilen der Vjetrenica,
weshalb ihre Besichtigung im Sommer bedeutend leichter ist, als in einer anderen Jahreszeit.
[st man über den ersten See hinaus, so gelangt man zu einem der schöneren Punkte der
Grotte. Hier stehen Tropfsteinsäulen, die mit dem Boden und der Decke verwachsen sind und
andere, die von der 1 »ecke herabhängen. Weiter bemerkt man tief ausgehöhlte Steine, deren
Höhlungen mit Wasser gefüllt sind. An dieser Stelle pflegen Besucher eine Zeit lang aus-
zuruhen, wobei sie sich mit frischem Wasser laben, ihre Namen in die Säulen einritzen,
Cigarretten anzünden u. s. w. Doch werden hier auch oft »die Pässe für die Weiterreise an-
gefertigt«, wenn sich die Besucher hinlänglich mit jenem Stoffe versehen haben, der nach
König Davids Worten des .Menschen Herz erfreut. Auch für Liederklang ist der < >n sehr
geeignet, obwohl dies auch für andere Stellen der Vjetrenica gilt.
Weiter wandernd gelangen wir abermals über eine sandige, etwa 40 Meter lange Fläche
scheinbar an das Ende der Höhle. Wenden wir uns etwas links, so stehen wir vor einer
Thür, bei deren Durchschreiten wir uns etwas bücken müssen. Vorüber an einer 5 — 6 Meter
langen Geröllmasse gelangen wir zu jenem Theil der Höhle, der mit den Namen »Cejreci«
bezeichnet wird. Hier ist die Grotte ziemlich hoch und an der Decke sieht man verschiedene
klumpenförmige Tropfsteinbüdungen, welche Fleischstücken ähneln, die zum Räuchern auf-
gehängt sind. Von diesen Gebilden hat der Platz seinen Namen ^Cejrek = der vierte Theil
eines Schafes). Etwa 30 Meter weiter gegen Süden zeigt sich zwischen nackten Felsen eine grosse
Grube, in welche wir 10 Meter tief hinabsteigen müssen. Dieser Ort heisst »Pjati« (die Schüsseln).
Die Entfernung vom Haupteingange bis hierher beträgt genau 200 Meter. Inmitten des Platzes
erhebt sich ein 3 Meterhoher Stein, der von einer Seite leicht zu erklettern ist und einem Predigt-
stuhle gleicht. Oft haben hier Touristen erleben können, dass einer ihrer Mitgefährten diese
Kanzel besteigt und mit einem Weinglase in der Hand ein »Gebet« für die glückliche Weiter-
reise spricht. »Pjati wird der Ort wegen vieler tellerförmiger Aushöhlungen im Boden ge-
nannt, die auf natürlichem Wege durch das Wasser entstanden sind. Von hier an hebt sich
die Grotte — soweit sie bis jetzt bekannt ist — allmählich, was sieh schon daraus folgern
las an diesem Punkte zur Winterzeit alle Gewässer der Vietrenica zusammenströmen, um
in einem am Ostrande der Pjati befindlichen Schlünde zu verschwinden und am Ende der Ebene,
unterhalb der Vjetrenica, als Lukavica wieder hervorzubrechen. Die Lukavica ist ein fliessendes
Gewässer, das auch im Sommer nicht versiegt. In der Mitte der Pjati befindet sich noch ein
Hügelchen von 2 — 3 Meter Höhe, an welches sich der erwähnte Predigtstuhl anlehnt, während sich
links davon ein etwa 100 Meter langer See ausbreitet, vielleicht der grösste in der Vjetrenica.
Von den Pjati biegt der Weg nach Südwest gegen das Innere der Höhle und geht so-
dann bei geräumiger Breite und grosser Höhe über Felsen am rechten Ufer des Sees entlang,
bis wir nach dem Verlassen desselben an seiner linken Seite auf einen beiläufig 30 Meter langen
abgetheilten Raum stossen, welcher ganz mit Stalaktiten und Stalagmiten angefüllt ist. Schreiten
wir in der Längsrichtung der Haupthöhle 100 Meter weiter, so finden wir den Boden unter unseren
D meist erdig, während die nächsten 100 Meter Weges mit Gerolle bedeckt sind, welches
zur Winterzeit vom Wasser hereingeschwemmt wird. Nun sind wir 500 Meter vom Haupteingang
entfernt. Hier giebt es schone kleine Säulen, die gleichsam aus der Erde herauswachsen und
mohammedanischen Grabsteinen ähnlich sind. Hinter den Säulen streicht ein mit der Haupt-
hohle parallel laufender Raum, welcher sich nach einer Längenausdehnung von 100 Meter wieder
mit der ersteren vereinigt. Durchschreiten lässt sich der Nebenraum nicht vollkommen, denn
am Ende desselben befindet sich eine grosse Vertiefung, auf deren Grunde man Wasser be-
merkt. Setzen wir den Weg von den kleinen Säulen, d. i. von der Entfernung von 500 Meter,
fort, so gelangen wir über theils sandigen, theils nackten Grund bis zu 600 Meter vom Haupt-
eingange. Bevor wir diesen Punkt erreichen, müssen wir eine Grube 5 Meter tief hinabsteigen
und gleich darauf wieder 7 Meter emporklimmen, I de Höhe der Grotte beträgt hier 10 Meter.
ist die Wanderung durch den bisher genau erforschten Theil der Vjetrenica beendigt.
Eines Besuches werth ist in Zavala auch mich das griechische Kloster,
das am Ostrog, am linken Ufer der Trebinjcica liegt. Wegen seiner 70 Meter
hohen Lage über dem Flussthal bietet es zur Sommerszeit eine sehr
schöne Aussicht über dasselbe, während es im Winter, wo die heran-
stürmenden Wellen des »Popovsko blato die Felsen unterhalb des Klosters
peitschen, mehr einem Küstenorte gleicht. Das Kloster selbst ist an eine
Felswand angebaut, die dazu gehörige Kirche befindet sich aber unterhalb
dieses Felsens fast zur Gänze in einer Höhle, wie manche andere griechisch-
orthodoxe der Balkanhalbinsel. Es ist ein wilder und grotesker Bau, zur
Vertheidigung eingerichtet. Das Klostersiegel trägt die Jahreszahl [271.
Die Kirche enthalt noch einige ganz annehmbare Heiligenbilder, die Kloster-
bibliothek alte gedruckte und geschriebene Kirchenbücher, Fermane, Fetwas
und Besitzurkunden aus dem 16. und [ 7. Jahrhundert, sämmtlich in türki
oder bosnischer Sprache. Eine alte Kirchenruine und die Ruinen der alten
Burg Klissura vervollständigen das interessante Landschaftsbild.
Die Bevölkerung des Popovopolje ist fast ausschliesslich christlich,
zum grossen Theil katholisch und sie gilt bei den Hercegovcen wohl als
arbeitssam und geschickt, aber nicht als besonders tapfer. Das hinderte
aber nicht, dass in den letzten Aufständen unter Luka Vukalovic und
1S75 auch Popovianer ihren Mann -teilten. Die von Kiek kommenden
türkischen Truppen verhinderten sie im letztgenannten Jahre allerdings
nicht am Marsche nach Trebinje, wie von ihnen erwartet wurde, und
so konnte das Hauptquartier der Insurgenten, das Kloster Duzi, über-
rumpelt, die Aufständischen zersprengt werden. Dafür stammt aus dem
Popovopolje der katholische Geistliche Fra Ivan Musiö, der mit Frei-
willigen 1878 mannhaft an der Seite der kaiserlichen Truppen focht, der
sich bei Stolac auszeichnete und sich die Kriegsmedaille wie den Franz
Josephsorden erwarb. Die Bewohner des Popovopolje sind vorzügliche
Hauhandwerker, sowohl zum Haus- wie zum Wasserbau, und als solche
ziehen sie nicht allein in Bosnien-Hercegovina herum, sie gehen auch in
die weite Welt, nach Aegypten, nach Amerika und verdienen dort Geld.
Meist kommen sie zu Wohlstand und sie lassen auch die Landsleute in
der Heimath davon mitgeniessen. Der Wandertrieb dürfte wohl durch
die Nähe des Meeres, durch das Beispiel der dalmatinischen Küsten-
bevölkerung in ihre Brust gelegt sein.
^//I^
24*
1^1
Ueber Dalmatien ins Narentathal.
ypressen grüssten mich. In Trebinje, wo ich dem Meere
so nahe, packte mich ein förmliches Heimweh nach
den grünen Fluthen der Adria, nach Ragusa, dessen
Geschichte mit derjenigen Bosniens und der Herce-
govina so innig verwoben ist und in dessen Mauern
ich im Verlaufe mehrerer Jahrzehnte oft und längere Zeit verweilte. Aber
nicht den kürzesten Weg wollte ich dann von Ragusa nach der Narenta-
Mündung einschlagen, um wieder auf hercegovinisches Gebiet zu gelangen, den
Seeweg auf dem Dampfer, sondern ich beschloss, auch von Ragusa auf dem
Landwege längs des Meeres meine Strasse zu ziehen, um die selten besuchte
Enklave Kiek zu durchkreuzen. Meinen Wagen hatte ich schon von Mostar
aus längs der ganzen montenegrinischen Grenze benützt, ich hatte ihn ge-
miethet, so lange und wo ich ihn gebrauchen würde, mit der einzigen Be-
dingung, ihn nach Mostar zurückzuführen. So gab ich denn unserem
Kutscher den Auftrag, sich für i Uhr Mittags bereit zu halten, um die Fahrt
nach dem alten südslavischen Athen anzutreten. Es ist das nicht die ge-
eignetste Fahrzeit für diese Gegenden, aber die Jahreszeit war schon weit
vorgerückt — es war Ende September — die Sonne brannte nicht gerade
mehr mit versengender Gluth und in der Höhe der zu übersteigenden
Gebirge konnten wir auf einen frischen Luftzug vom Meere rechnen.
Kopfleiste: Motiv aus dem hereegovinischen Karst.
372 —
Die dicht an Trebinje grenzenden Ortschaften Mustaci und Gomiljani
sehen heute schon ganz anders aus als noch vor wenigen Jahren, wo sie
förmlichen Ruinenstätten glichen. Ueberall sind die Häuser ausgebessert,
neu gebaut oder getüncht; die nach italienischer Sitte mit Steinmauern
umzäunten Gärten prangten im üppigsten Grün, aus dem sich das silber-
graue Laub der Olive wirkungsvoll abhob. Etwas abseits vom Wege
bemerkten wir die ausgedehnten Trümmer des 1693 von den Türken
zerstörten Klosters Tvrdoschi, aus denen heute noch auf die Mächtigkeit
des Bauwerks geschlossen werden kann. Auf einer neuen Brücke, die
von einer festen Kula flankirt wird, hatten wir die Trebinjöica übersetzt.
Hier ist die Gegend noch gut bewohnt, überall stehen vereinzelte Häuser
und lange Züge von Maulthieren und Eseln, die von Ragusa kommen
oder dorthin zurückkehren, beleben das Landschaftsbild. Meist sind es
Bäuerinnen aus dem Ragusaner Bezirke, die vom Markte in Trebinje
kommen und die in ihren geschmackvollen malerischen Trachten lachend
und laut schwatzend ihres Weges ziehen. Ein hübsches junges Mädchen,
das nicht mehr gut zu Fusse schien, bat uns, sie im Wagen mitzunehmen.
Das geschah mit Vergnügen, und so hatten wir eine fröhliche und er-
zählende Begleiterin.
Nicht lange währt die bebaute Gegend, dann kommen wir in die
Karstregion. Das Grün, welches sogar durch einen kleinen Wald als
Anfang einer rationellen Forstkultur zum Ausdruck kam, verschwindet
gänzlich und die wildeste grossartigste Gebirgswelt umgiebt uns. Nichts
als graue, nackte Bergriesen ringsum, auf denen überall Karaulen —
Wachthäuser — stehen. Wir zählten deren an der Strasse 18.
Immer düsterer wird die Gegend; die Strasse steigt scharf an, um
den Grenzwall zwischen der Hercegovina und Dalmatien zu übersetzen.
In der Tiefe, in einzelnen Dohnen, liegen einsame Gehöfte, die sich
kaum vom grauen Gestein abheben. Alles sieht verbrannt und verödet
aus, entschieden die trostloseste Gegend des Landes. Auf Gluha-Smokva
ist eine Gendarmerie-Kaserne; einige Häuser sind dazu gebaut, der Beginn
einer Ansiedlung. Hier werden die Pässe revidirt, dann geht es weiter.
Wir steigen bis zur höchsten Kuppe. An der Strasse steht ein Finanz-
wachgebäude, dazu einige elende Schänken. Ueber ihnen aber erhebt
sich Fort Drieno, einst die wichtigste Strassensperre gegen das öster-
reichische Gebiet, bekannt durch den tollen Dynamitanschlag Miroslav
Hubmayers während der 1875 er Insurrektion. Jetzt blinken dort die
bosnischen Uniformen herab; ihre Träger sehen von der luftigen Höhe
weit ins Meer, ins blaue unendliche Meer, das vor unseren trunkenen
Augen liegt.
Wohl haben wir noch lange zu fahren, ehe wir auf den endlos ab-
fallenden Serpentinen Ragusa erreichen, aber bald wird das liebliche
Brennothal sichtbar, im Rücken abgeschlossen durch kahle Steinwände; —
dort liegt Ragusa Vecchia, von Flüchtlingen aus Epidaurus gegründet.
Wir passiren Fort Carina, dann das schon dalmatinische Bergatto. Die
Vegetation an der Strasse wird üppig und südlich, Lorbeer, Cypressen,
Feigen und Aloen säumen den Weg ein. warme feuchte Luft umfächelt
uns. Da liegt das einstige Eiland des Kronprinzen Rudolf, das prächtige
Lacroma mit seinen lauschigen Hainen und prachtvollen Anlagen, dominirt
vom Fort Royal, — eine Biegung des Weges und wir sehen rechts unter
uns San Giacomo, wo Palmen ihre Kronen in die Lüfte strecken, und
bald halten wir unseren Einzug in die Perle der Adria, in das wunder-
volle Ragusa, in dieses Stück Afrika auf österreichischem Boden. Sei
gegrüsst, ewig schöne, grüne Adria!
Von jeher hatte das Wort Ragusa einen Zauberklang in meinen
Ohren. Blumen und Blüthenduft sehe ich vor mir, hohe kahle Berge und
am Fusse derselben tropische Vegetation, dazu das Rauschen des Meeres.
Stets bin ich mit Wehmuth im Herzen von diesem wundervollen Fleck
Erde geschieden und wenn ich einmal sterben soll, wünsche ich mir nur
einen Platz auf dem Ragusaner Friedhof, das Grab umsäunt von Aloen,
zu Häupten die dunkle Pinie, vor mir aber das dunkelblaue Meer, das
jeden Erdenschmerz in die Ferne trägt ....
Im Februar, wenn überall die Welt im Winterschlummer liegt, im
Frühjahr und im Herbst, selbst im Winter ist Ragusa ein wundervoller
Aufenthalt. Aprikosen-, Mandel-, Pfirsichbäume strömen hier ihren Duft
aus, goldene Last tragen die Citronen- und Orangenbäume und aus dem
Blättergrün, welches die Stadt und deren Lnigebung umkränzt, leuchtet
das Scharlach der Granaten, schimmern die silberweissen Kelche des
Jasmin und der Myrthe, das zarte Rosa des wilden, das Purpurne, Weisse
und Blaue des gezüchteten Oleanders. Die blauen Blüthen des Rosmarien-
strauches winken dem Wanderer, gigantische Palmen nicken stolz mit
ihren Federkronen, und auf riesig hohem, baumartigem Blüthenstengel
schwanken die glockenartigen Früchte riesiger Aloen. Ein balsamischer
Duft erfüllt die ganze Gegend, und wenn man den Blick hebt gegen
Osten, da sieht man die kaum von Salbei spärlich bekleideten Felsen-
hänge, die Dalmatien von der Hercegovina scheiden. Einst ragten wohl
auch auf diesen jetzt nackten Abhängen dunkle Eichenwälder, denn diese
haben Ragusa zu seinem slavischen Namen verholfen. »Dubrava« (der
Eichenwald) gab den Anlass zu der südslavischen Benennung des Ortes.
Dubrovnik heisst Ragusa heute und so nannten es die Slaven früher, aber
nur als Ragusa feierte es seine geschichtlichen Triumphe, als Ragusa war es
die altehrwürdige Republik durch mehr als ein Jahrtausend und als Ragusa
wurde es von den Soldaten des mächtigen Korsen unterjocht und der wort-
brüchige Marschall Marmont erhielt dafür den Titel: »Duc de Rapuse«.
$74
Nizza und Mentone, Monte Carlo und .Monaco bieten weniger an
landschaftlichen Reizen, als Ragusa mit -einem hereegovinischen Hinter-
lande. Wohl ist hier keine Spielbank, aber die meisten Leute aus
deutschen Landen gehen an diesen Theil der Riviera, um zu gesunden,
nicht um zu spielen. Sie wissen gar nicht, dass es noch Gefilde giebt,
wo der Mensch ausruhen kann von den Lasten des Leb
kann von geistiger Arbeit, wo er nicht ausgesaugt wird bis aufs Blut.
Aber Dalmatien ist ja so wenig bekannt, man reist lieber immer wieder
nach Italien, an den Rhein, in die Schweiz, als dass man einmal das
wunderbare Land betrachtete, das wie kein anderes im Hunde mit Bosnien
den Uebergang zum Orient vermittelt. Und was ist Ragusa für ein
Aufenthalt im Winter! Wahrend selbst am Bosporus der Schnee fusshoch
liegt, während in unseren südlichsten, sogenannten klimatischen Kurorten
die Leute zum Einheizen genöthigt sind, blühen hier in Europas Afrika
die Bäume in vollster Pracht, von Schnee ist am Meere nie eine Spur
und die Bora wüthet nie so schlimm, als in Stambul der eisige Nordsturm,
der aus den russischen Steppen über das Schwarze Meer daherweht und
das Wasser in den Brunnen gefrieren lässt.
Einen Theil der Schuld an der Vernachlässigung Süd-Dalmatiens
tragen wohl auch die früheren österreichischen Regierungen sammt der
Volksvertretung. Viele Leute können die Seefahrt nicht vertragen, obwohl
diese — Dank dem »Lloyd« — wundervoll ist. Von einer direkten Eisen-
bahnverbindung ist aber bisher keine Rede. Die Sackbahn Spalato-Sebenico-
Knin-Siveric ist Gott und der Welt nichts nütze und ohne eine Bahn
mindestens von Wien nach Spalato können diese von der Natur zu
klimatischen Kurorten begnadeten Orte nur schwer aus ihrem bisherigen
Dunkel gehoben werden. (Erwähnt mag werden, dass sich 1S95 in Wien
eine Aktiengesellschaft bildete, die ein neues grosses Kurhötel in Ragusa
baute, das Anfang 1897 eröffnet [wurde und das schon starken Zuspruch hat.)
Wieder war es die bosnische Landesregierung, welche auch Dalmatien
zu Hilfe kam, indem sie von Mostar aus die Eisenbahn bis nach Metkovic
baute, so eine direkte Verbindung von Europa über Brod-Sarajevo-Mostar
mit der südlichen Adria herstellend. Durch den in seinem grössten Theil
vollendeten Bau der Bahn von Lasva (Station der Bosnabahn) über Travnik,
V
Dolnji-Vakuf und Bugojno nach Zupanjac, die bis ArLano an der dalma-
tinischen Grenze führen und dort von der cisleithanischen Regierung bis
Spalato fortgesetzt werden soll, wird aber eine noch wichtigere Verbindung
zum Meere hergestellt. Aber während in Bosnien rastlos gedacht und
gearbeitet wird, vertrödelt man in den cisleithanischen Vertretungskörpern
in Ausschüssen, Kommissionen und selbst in Reichstagssitzungen die kost-
bare Zeit mit nichtigen Gegenständen. Wo wäre Dalmatien heute schon,
wenn es mit unter bosnischer Verwaltung stünde! Und Bosnien ist noch
375 —
nicht zwei Jahrzehnte vom türkischen Joche erlöst, es hat einen kulturellen
Stillstand von vier Jahrhunderten überspringen müssen!
Das sind die Betrachtungen, die sich dem genauen Beobachter der
Verhältnisse dieser Länder aufdrängen, wenn er dalmatinischen Boden vom
Hinterlande aus betritt, und obwohl ein »politisch Lied ein garstig Lied«
genannt wird, ist das Anstimmen dieser Melodie hier nicht zu vermeiden,
wo die Entwicklung der Volkskraft, der gesammten Wohlfahrt des Landes
von der Politik abhängt Doch kehren wir nach dieser Abschweifung
zu unserer Reise zurück. Wir wollen nicht weiter sprechen von Ragusa
und seiner geschichtlichen Vergangenheit; das vorliegende Werk ist dem
aufstrebenden Hinterlande gewidmet und diesem soll der Raum nicht ge-
schmälert werden.
f.
In Canosa.
Nach einem angenehmen Abend und einer guten Unterkunft im »Hotel
Lacroma« wurde am nächsten Morgen die Fahrt zu Lande fortgesetzt. Durch
die Vorstadt Pille, eine prächtige Villenstadt, ging es nach Gravosa, dem
eigentlichen Meerhafen von Ragusa. Ueberall ruht der Blick auf dem Meere,
auf wundervollen Baum- und Pflanzengruppen, auf der bewaldeten Halb-
insel Lapad mit ihren militärischen Anlagen, Meerbädern und Palazzi von
Ragusaner Nobili. Das grosse »Hotel Petka« in Gravosa ist erst
in neuerer Zeit gebaut, das alte Gasthaus Pavlovic gegenüber dem
Landungsplatze der Lloyddampfer scheint dem Verkehre nicht mehr genügt
zu haben. Bei der Dogana (dem Zollamt) grüssen wir die riesige Platane,
;76
die den ganzen Platz beschattet, dann weiter hinein ins Omblathal. Dicht
vor Gravosa, an der Einfahrt in den Hafen vom Meere aus, die vom
Scoglio I);ix;i mit hohem Leuchtthurm (verherrlicht durch eine Sage, die
sich mit jener von 1 lero und Leander deckt) flankirt wird, mündet der
hereegovinische Schlundfluss, einem mächtigen Meeresarme gleich, in die
Adria. In majestätischer Breite tritt die Ombla — der angebliche Aus-
fluss der Trebinjcica — tief hinten im romantischen Thale direkt unter
den Felsen hervor, sie treibt eine grosse Mehl- und Sägemühle und ist so-
fort für grössere Fahrzeuge schiffbar.
Wir mussten unweit von der Einmündung der Ombla ins Meer in
der Nähe des Palazzo Caboga Halt machen, um mit der Fähre über den
Fluss zu setzen und am jenseitigen Ufer, immer im Angesicht des Meeres,
die Fahrt fortzusetzen. Ueber Malfi, links die Inseln Calamotta und Mezzo,
darüber hinaus Meleda in Sicht, kamen wir durch wundervolle Gegenden,
durch die üppigsten Gartenanlagen, in denen malerische Landhäuser zerstreut
lagen, nach Canosa (slavisch Trsteno), dem alten Besitzthum der Conte
Gozze, berühmt durch seine tausendjährigen Platanen, unter deren Aesten
ganze Regimenter im Schatten lagern können. Dieses Canosa ist vielleicht
einer der interessantesten Punkte in ganz Dalmatien und auch der Park
der Grafen Gozze ist einer Besichtigung zu empfehlen. Da unsere Pferde
durch die stundenlange Tour bergauf und bergab einer Erholung dringend
bedürftig waren, schenkten wir ihnen eine längere Rast, uns selbst
Erquickung. Die zwei Gasthäuser sind nur primitiv, aber für Bier, Wein,
vorzüglichen Schinken und Käse ist gesorgt. Dann hielten wir Siesta —
soweit es bei der Neugier der Bevölkerung möglich war — im Schatten
der Platanen. Nur noch eine kurze Strecke hatten wir gut befahrene
Strasse, dann wurde der Weg fürchterlich. Die Strasse ist eine vorzüglich
gebaute Chaussee, einst im Anfang des Jahrhunderts von Marschall Marmont
angelegt und stets in gutem Zustande erhalten. Da sich aber der gesammte
Verkehr zur See vollzieht, ist die Strasse fast gar nicht befahren. Sie ist
wie frisch beschottert und nur eine feine braune Linie zieht sich ausgetreten
durch die fürchterlichen Steine, wo Fussgänger oder ein Tragthier ihres
Weges gewandert sind. Dabei führt der Weg in endlosen Serpentinen um
jede Meeresbucht, er steigt hoch aufs Plateau und fällt sofort tief hinunter,
um nach wenigen Minuten dasselbe Vergnügen von vorne zu bieten. Unter
den glühenden Strahlen der Sonne, ohne eine Spur von Schatten, schleppten
sich unsere Pferde dahin. So lange das Meer in Sicht blieb, war die Tour
für die Menschen erträglich, dann aber kam das öde Karstgebiet, die Stein
wüste, wie sie in der Hercegovina in dieser Trostlosigkeit nirgends zu
finden ist. So weit das Auge reicht, nichts als grauer Stein, ein Meer
von Steinen, dazwischen spärliche Wachholderbüsche und Salbei, ewig
Salbei. Kein Ton unterbricht die Stille, keine Heerden, keine Menschen!
577
So geht es stundenlang fort, der Wagen wegen des Schotters im Schritt
fahrend und dazu nirgends ein Tropfen Wasser! Wohl erreichten wir in-
mitten dieser Sahara ein einsames Haus — Wegeinräumer- und Gasthaus
zugleich, Ruda hiess es — aber ausser jungem Wein war nichts zu haben
und selbst gegen angebotenes schweres Geld konnte unseren Pferden kein
Tropfen Wasser gegeben werden. So zogen wir denn mühselig unsere
Strasse, bis wir in einer Niederung, die gut bestandene eingezäunte Felder
aufwies, Hirtenjungen bemerkten. »Wisst Ihr, wo Wasser ist?« war die Frage.
»Ja, eine Cisterne dort unten im Garten.« Gott sei Dank, die Noth schien
ein Ende zu haben. Gegen Geld- und Gotteslohn erbot sich einer der
Buben, die Perde, die ausgeschirrt werden mussten, nach der Cisterne zu
bringen. Da tauchte auf einmal hinter einer Mauer der angebliche Besitzer
auf, der lebhaft Protest gegen die Benutzung »seines« Wassers einlegte.
Die Burschen antworteten, dass das Wasser der ganzen Gegend gehöre;
aber schliesslich wäre der Streit doch nur zu unseren Ungunsten aus-
gefallen, wenn wir uns nicht entschlossen hätten, auch diesen Ehrenmann
zu bezahlen. Nach einem halsbrecherischen Umweg von einer halben
Stunde waren unsere Pferde getränkt, wir aber wussten, dass uns dasselbe
Quantum Wein nicht viel theurer gekommen wäre.
Und abermals geht es bergauf und bergab, wir suchen um' jeden
Preis hercegovinisches Gebiet zu erreichen, wo wir in Neum eine an-
ständige Unterkunft wissen. Aber es wird Dämmerung und die Enklave
Kiek ist noch immer stundenweit entfernt. Die Pferde sind blutig ge-
schlagen, sie können nicht mehr weiter, der Kutscher flucht in allen
Sprachen, sogar schon deutsch, soweit er es in Mostar gelernt hat und
auch uns klebt die Zunge am Gaumen. Da sehen wir ein einsames Haus
an der Strasse. Es ist ein Strasseneinräumerhaus, in dem man sogar Tabak
und Cigarren verkauft. Der Entschluss ist bald gefasst. Kaum hält der
Wagen, erscheint eine alte Frau, die seit Monaten kein Wasser an sich
gesehen. »Können wir hier übernachten? Hast du eine Stube und auch
Stall?« Alle Fragen werden bejaht und nun konnten wir für die Nacht
die Sorgen abstreiten. Durch zwei höhlenartige Räume wurden wir in
ein Zimmer geleitet, das an und für sich ganz annehmbar gewesen
wäre, aber das sogenannte Bett war mit seinem zerlegenen Stroh nicht
einmal für das Lager eines wilden Thieres geeignet und die darauf-
liegende Decke beförderten wir gleich ins Nebengemach. Dann suchten
wir das Lager mit unseren Decken soweit als möglich herzurichten.
Was das Schicksal Nachts noch in seinem Schoosse barg, mochten die
Götter wissen. Dabei stand aber in diesem Zimmer ein Schreibtisch und
eine Weckeruhr! Der Sohn der Besitzerin war auch Postmeister und daher
kam dieser Glanz in die dalmatinische 1 lutte. Noviput nannte sich Haus
und (Jmerebung.
378
Da die Pferde erträglich untergebracht waren, fügten wir uns in das
Schicksal, tranken schwarzen Wein aus der einzigen vorhandenen Fl
und dem einzigen Glase und da wir den Mangel bemerkten, bedii
wir uns unserer eigenen Gefässe, um andere Gäste nicht zu schädigen.
Solche kamen ^ern^ an. Wegearbeiter, Hauern bald sa raQze
Volksversammlung um u\^ unter freiem Himmel, an dem sich die Sterne
in vollster Klarheit zeigten, und es flog Rede und Gegenrede. Wer die
Gewohnheiten dieser Länder nicht kennt und uns in dieser Umgebung und
in dieser Steinwildniss gesehen, hätte geglaubt, wir waren unter dii
gerathen. Und doch lag diesen braven Leuten nichts ferner, als un
schädigen. Sie suchten nur -- und das noch sehr diskret — ihre Neu-
gierde zu befriedigen und unser Kutscher wurde immer wieder heimlich
um noch genauere Auskunft ersucht. Dabei, kreiste die Flasche, eine Gusla
kam zum Vorschein, und die alten Heldensagen wurden recitirt, die sehr
blutig klangen und hier oben unter Gottes freiem Himmel in der Ab-
geschlossenheit einen tiefen Eindruck hervorbrachten.
Unsere Wirthin hatte ein Huhn geschlachtet und gekocht. Dazu
brachte sie frisches Kuknruzbrod und Wein. Alles war gut- der zurück-
gekehrte Hausherr und eine hungrige Katze leisteten uns Gesellschaft. Der
Hafen von Neu in in der Enklave Kiek.
37J
Enten ein fall. Motiv aus der Umgebung von Metkovic. (Ewald Arndt .
Postmeister und Strassenaufseher war übrigens ein ganz gebildeter Mann
für diese Gegend, er konnte lesen und schreiben und besass sogar Brief-
papier mit seinem Namen. Warum? weiss Niemand. Ueber die Nacht
will ich mit Stillschweigen hinweggehen; als das erste Morgengrauen durch
die kleinen Fenster leuchtete, traten wir ins Freie, wo wir seltsamerweise
den Kutscher schon mit den angespannten Pferden fanden. Er war sehr
kleinlaut und verlangte nur, bald wieder hereegovinischen Boden unter
den Füssen zu haben. Ein schwarzer Kaffee -- auch hier gut — ein Ab-
schiedsgruss, weiter geht es nach dem »türkischen Gebiet«. So nennt man
hier noch heute die Hercegovina und die Enklave Kiek ist bei den dalma-
tinischen Bauern »die Türkei«.
Eine Stunde hatten wir in schnurgerader Richtung zu fahren, dann
waren wir in diesem vielgenannten Erdenwinkel, der zu unzähligen diplo-
matischen Noten Veranlassung gegeben hat. Einst von Ragusa an die
Pforte abgetreten, um zwischen ihr und das venetianische Gebiet einen
türkischen Keil zu schieben, ermöglichte Kiek später der Pforte allein,
auf dem Seewege Truppen nach der Hercegovina zu bringen.
Neun) ist der einzige bemerkenswerthe Ort der Enklave Kiek. Von
der Adria aus führt zwischen der Halbinsel Sabbioncello und der Narenta-
3S0
mündung ein Meeresarm in tlen Kanal von Stagno piccolo, der eine kleine
Abzweigung in den sogenannten Golf von Kiek entsendet. Es ist ein
natürlicher Hafen von hohem Werth, nicht breit, .aber mit tiefem Fahr
wasser, sodass die Hercegovina auch an der Adria ihre Stellung wahren
Burgruine bei Metkovic. Ewald Arndt'.
könnte. Im Jahre 1880 war ich das letzte Mal in Neum, wie noch alles
im Werden begriffen war, aber schon damals wurde durch Militärbauten
gesorgt, dem Platz eine gewisse Wichtigkeit zu verleihen. Ganz hübsche
Anlagen waren im Entstehen, die provisorischen Gasthäuser gut. Dies
dürfte sich heute sehr zum Bessern geändert haben. Unser Weg führte
381
rechts an Neum vorbei, das tief unten am Meere-strande liegen blieb.
Wir sahen nur Befestigungen und überall neue Strassen. Bezeichnender-
weise wurden auch mit dem Ueberschreiten der Grenze die Strassen sofort
besser; der grobe Schlagschotter hörte auf, die Chaussee war befahren und
an Stelle des Schrittes konnte der schlanke Trab treten. Auf der Höhe
hinter Neum kreuzen sich die Strassen, eine führt nach dem Meere, die
frühere türkische Strasse, die in schnurgerader Richtung den Berg nimmt,
ist verlassen und eine neue Strasse, die in sanften Umgehungen dasselbe
Ziel erreicht, ist jetzt im Betrieb. An diesem Kreuzungspunkte nehmen
wir Abschied von der Adria. Wir werfen noch einen Blick auf Sabbion-
cello und Curzola, dann grüssen wir die Sonne, die gerade im Osten, dem
wir uns zuwenden, die Gebirgskuppen vergoldet.
Mitten in die Gebirgswildniss führt unser Weg. Da ist kein Baum
und Strauch, das bescheidenste Pflänzchen verkriecht sich, gleichsam als
solle das Sprichwort zur Wahrheit werden: »Wo der Fuss des Türken
hintritt, wächst kein Gras mehr.« In wirrem Durcheinander thürmt sich
Höhe über Höhe, Kuppe auf Kuppe und jede in einer anderen Farben-
schattirung, aber nur vom reinsten Weiss bis zum dunkelsten Grau. Hier
hätte man die Farbe der preussischen Offiziersmäntel genau durchstudiren
können, wenn man schon das Grau bevorzugen wollte. Eine solche Farben-
skala in Grau existiert auf der Welt nicht mehr. Ein einsamer Spatz ist
hierher verschlagen worden; von was er sich nährt, würde selbst Gott
Aegir, der Herr der Fluthen, nicht wissen, der vielleicht auch schon hier
in den nahen Gewässern dem alten bewährten Neptun den Rang streitig
macht. Aber auf einmal heben sich von den Gebirgslehnen Gestalten ab.
Es sind leibhaftige Schafe, die sich wahrscheinlich an Steinkost gewöhnt
haben. Und wie erhaben und grossartig ist diese Wildniss, wie klein
kommt sich der Mensch vor in dieser Einsamkeit, die er allerdings schon
bezwungen hat, indem er eine wundervolle Strasse hindurch baute. Gerade
dieses Gebiet würde ich jedem Touristen oder Maler empfehlen, besonders
da die Kontraste nicht auf sich warten lassen.
Es dauert nur anderthalb Stunden, da senkt sich der Weg ins Sumpf-
terrain des Narenta-Deltas und des Bächleins Mislina. Während die eine
Seite der Strasse noch immer von hohen Bergen begrenzt wird, ist der
linksseitige Abhang eine weite Ebene, stellenweise angebaut, meist aber
mit grünem Laich überzogener Sumpf, umgeben von hohem Riedgras,
Binsen und später von spanischem Rohr. Eine Anzahl Dörfer liegen an
der Strasse, echt italienisch gebaut, die Häuser von Feigen und Weinreben
überwuchert, vor ihnen ganze Büschel getrockneten Rohres und auch schon
Strohschober. Dann mehren sich die Felder. Das ist Reisgebiet. Quadrat-
förmig sind die einzelnen Gemarke abgetheilt, Wassergräben hindurch-
gezogen, so da-- das Feld stets unter Wasser steht. Wo Reis ist, ist auch
3S:
Malaria und das meilenweite Narentadelta, das durch die Regulirung des
Flusses unendlich gewonnen, ist noch immer einer der ungesundesten
Theile Europas. Ein Sumpf bildet bei einem der kleinen Dörfer einen
förmlichen See. Ein Kahn
— ein echter Einbaum —
vermittelt den Verkehr mit
den nächstgelegenen Fel-
dern. Die Bewohnertrinken
das Wasser, dass sie dabei
gesund bleiben, ist kaum
denkbar. Und doch, wie
fruchtbar ist diese Gegend.
Alle Südfrüchte wachsen
im Ueberfluss, der Kukuruz
erreicht eine fabelhafte
Stärke der Fruchtkolben,
üppig steht der Wein, aus
jedem Gemäuer drängt sich
ein Feigenbaum, — es wäre
ein Paradies im Kleinen,
aber es ist ein tropisches
und die Miasmen zeigen
sich an an den bleichen
schmalen Gesichtern der
Bewohner. Da kommen
Orte, die einer mittel-
afrikanischen Negerstadt
gleichen: neben jedem
Steinhause ein hoher Stroh-
und Heuschober, hübsch
kegelförmig abgerundet,
ganz einer Behausung der
Unyamwesi-Ffäuptlinge ähn-
lich. So berührten wir auf
meist gutem Wege Bacula,
Mislinje, Obradovic, Cele-
tin, Medar, Glava. Links
Hessen wir den Torre di
Norino, noch einige Steigungen, dann kommt die weite Ebene, in der
die »regulirte« Narenta fliesst, die aber trotzdem noch immer ihren eigenen
Kopf behält, und wir fahren in Metkovic ein, das man einst als Ver-
bannungsort bezeichnete und »Oesterreichs Sibirien nannte. Wir legen
25
- 3S5
uns in einem Restaurant, deren es genügend giebt, für einige Stunden
vor Anker.
Hier galt es: mit der Hahn nach Mostar oder auf dem Landwege!
Auf jeden Fall kam ich Abends noch nach Mostar und da ich die Bahn-
strecke schon kannte, unser Kutscher sowieso nach Mostar hätte fahren
müssen, so war bei dem herrsehenden prachtvollen Wetter die Wahl nicht
schwer. Drei Standen Rast, dann Aufbruch nach Gabella!
Wir befinden uns hier in einer der historisch interessantesten Gegenden.
Schon als die alten Griechen diese Rüsten kolonisirten, als sie Epidaurus
gegründet, richteten sie ihre blicke auf die Mündungen des Naron (Narenta),
die allein einen bequemen Eingang ins Hinterland ermöglichten, wahrend
sonst überall hohe Bergketten das Ueberschreiten ermöglichten. Die Römer,
wussten trotzdem die Wichtigkeit der Narenta zu schätzen und es er-
scheint in der Geschichte die grosse Römerstadt Narona, oberhalb des
Flussdeltas gelegen, die heute in den Sümpfen von Vido versunken ist.
Im Mittelalter verfielen die zahlreichen römischen Strassen im Hinterland
und nur die Narenta behauptete ihre Bedeutung für den Handel von
Ragusa und Venedig. Wie in Afrika heutzutage, entstanden im Delta
eine Menge Faktoreien und kleiner Handelsplatze, aber sie hatten auch
mit ungebetenen Gästen zu rechnen. Lange Jahrhunderte waren die
Narentani die gefürchtetsten Seeräuber der Adria. Ihr Gebiet umfasste
Bergland zwischen Makarska und der Narenta am Meer, wo ihre
bargen standen, und Duvnopolje im Binnenland; ausserdem die Inseln
Meleda. Gurzola, Brazza und Lesina. Als sie endlieh gebändigt wurden,
entwickelte sich auf dem Strome ein reger Handel; aber das Delta ver-
sumpfte im Laufe der Jahrhunderte immer mehr, der Fluss brach sich
stets ein neues Bett, sodass eine Regulirung zur dringendsten Not-
wendigkeit wurde. Diese wurde in den siebziger- und achtziger Jahren
unseres lahrhunderts von der österreichischen Regierung durchgeführt; ob
-ie dauernd sein wird, ist zu bezweifeln, wenigstens behaupten in Metkovic
lebende Beobachter des Stromgebietes, dass stets neue Arbeiten erforderlich
werden. Etwas wurde durch die Regulirung aber jedenfalls gewonnen:
sehr viel fruchtbarer Boden, der früher nur Sumpf war und eine theil-
weise Besserung der Gesundheitsverhältnisse. Speciell Metkovic geniesst
heute schon eines ganz guten Rufes.
Der Ort liegt recht malerisch am Eingange der grossen Heicegoviner
Ebene. Im Hintergründe die Berge, mitten durch die Landschaft der
breite Fluss — sieht er wie eine Seestadt aus, die aber Dank der bosnischen
Regierung auch der Eisenbahnverbindung nicht entbehrt. Da ich aut
meiner diesmaligen Tour die Eisenbahn nach Mostar nicht benutzte, im
Juni [885 aber der Eröffnung dieser Strecke beiwohnte, will ich wenigstens
meine damalige Beschreibung hier anfügen.
(86
25*
Die Bahnstrecke Mostar-Metkovic ist 43 Kilometer lang, wurde in
zehn Monaten vollendet, ist schmalspurig und ward unter der Leitung
des Oberlieutenants Strobl vom Eisenbahnregiment von der Bauunter-
nehmung des Baron Schwarz hergestellt. Dies sind die nackten Daten,
denen vielleicht noch beigefügt werden könnte, dass der Bau 1 700000 fl.
kostete. Von Metkovic aus ist die Grenze nach wenigen Minuten erreicht;
der Zug fahrt durch die Ebene die von beiden Seiten durch Gebirge
begrenzt wird, die wohl Karstcharakter, aber doch mehr Vegetation zeigen,
als die dalmatinischen Gebirge. Die Felder sind ausgezeichnet angebaut,
Getreide, Tabak, viel Wein. Alles steht in üppigstem Wüchse. Die
Wege sind mit riesigen Feigen- und Obstbäumen bepflanzt; erstere wachsen
auch wild in unzähligen Mengen, ganze Haine bildend. Ueberall aber
leuchtet das Roth der Granatblüthe, wohin das Auge nur blickt. Bis hoch
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An der Strasse in Capljina.
(3 ■
389 —
auf den Berghängen ist die prachtvolle Blüthe zu sehen, mit dem Grün
der Wiesen und den übrigen Blumen einen wundervollen Teppich bildend.
Der Zug passirt den Gabellatunnel, die verfallenen Wälle der alten
venetianischen Grenzfestung Gabella, dann wird der Trebizatfluss übersetzt
und der Zug erreicht die Station Capljna, einen in hübscher Gegend ge-
legenen Ort, meist von Katholiken bevölkert. (Gegenwärtig befinden sich
hier hinter dem Bahnhofe grosse Tabakmagazine und sind viele europäische
Neubauten errichtet.) In der Xarenta werden hier so viele Aale gefangen,
dass eine Fischkonservenfabrik errichtet wurde. Von Capljina führt eine
moderne Fahrstrasse in zwei Stunden nach LjubuSki, einer reizend
N Ansicht von Capljina, von der Xarenta aus gesehen.
amphitheatralisch gelegenen, meist von Mohammedanern bewohnten Stadt
(3989 Einwohner). Ueber der Stadt auf der Spitze eines hohen Felsens
stehen die Ruinen einer alten Burg, deren Erbauung dem Herzog Stefan
zugeschrieben wird, der sie als Denkmal inniger Liebe zu seiner Gattin
p-eoründet haben soll. Den Thurm nennen die Stadtbewohner noch heute
Ercegusa (Herzogin). Nicht weit von Capljina befindet sich auch ein ganz
sehenswerther Wasserfall.
Von Capljina erreicht man die Haltestelle Dretelj. Jetzt treten wir
in Karstterrain. Die Bahn fährt am Bergesabhange dahin, rechts durch
die Xarenta begrenzt, die hier ein sehr felsiges Bett besitzt. Die Vege-
tation bleibt stets die gleiche südliche, der Anbau des Bodens wird immer
besser und auf den Feldern arbeiten die Hercegoviner Bauern in allen mög-
lichen Volkstrachten. Neben den rothen Kopftüchern und Turbans der
Katholiken sieht man den Fez oder den weissgelben und geblümten Turban
der Mohammedaner. Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses wird das
alte Pofcitelj sichtbar, ein förmliches Korsarennest nach seinem Aussehen,
hoch oben in die Felsen gebaut, von zinnengekrönten Mauern mit Thürmen
— 390 —
umgeben. Terrassenförmig stei-
gen die Häuser am Bergrücken
empor. In der Mitte der Stadt
erhebt sich eine wundervoll
gebaute Kuppelmoschee, da-
neben eine hohe einsame er-
presse. Ueber dem Ganzen eine
'( . ' ...... . .
Kloster Zitomisljic.
.. .
verfallene Befestigung. Nach
dem Passiren der Halte-
stelle Krusevic erreicht die
Bahn die Station Zitomisljic.
I )iese bietet einen reizenden
Anblick. Inmitten einer
prachtvollen südländischen
Vegetation, umgeben von
Parkanlagen, steht in einem
Thale das berühmte serbische Kloster Zitomisljic, das im Jahre 1585 von
der Familie Miloradovic gegründet wurde. Mit seiner breiten Front und
reichen Fagade ist es weithin sichtbar. Dicht neben der Bahnstation
sieht man einige grosse Bogomilensteine mit Kreuzen. Von hier aus bis
Buna bildet die Narenta ein langes Defile. Erst Buna, gegenüber der
Einmündung des gleichnamigen Flusses in die Narenta, liegt wieder in
einer fruchtbaren Ebene. (Wir werden des Ortes genauer bei der Land-
reise gedenken.) Der Zug übersetzt den tiefen und schnell dahinrauschenden
Jasenicabach und tritt dann in die grosse Ebene von Mostar, in das
Biscepolje ein. Rechts ist Blagaj mit Stjepanograd sichtbar, desgleichen
die Abhänge des Podveles. Links die kahlen und schroffen Höhen des
Hum, im Hintergründe aber, wie in einer Felsspalte versteckt, Mostar, wo
volles civilisirtes Leben den fremden Reisenden auf dem Bahnhof empfängt.
Auf dem Landwege führte uns diesmal unser Wagen in sieben
Stunden nach der hereegovinischen Hauptstadt. Hinter Metkovic wurde
ein Zollposten passirt, der dicht neben einer halbverfallenen Grenzkula
steht, wir sind auf dem Boden von Stara-Gabella, das links von uns am
Flusse zwischen Sümpfen und Feldern liegt. Einstmals war hier die
venetianische Zollstätte gegen die Türkei und damals hatte der Ort jeden-
falls grössere Bedeutung wie heute. Bis hierher war auch die Narenta
stets schiffbar. Das Städtchen selbst ist geschützt in einem Sattel zwischen
— 39i —
zwei Hügeln gebaut, die verfallene Festungswerke krönen. Angeblich
sind diese — so schreibt Dr. M. Hoernes — 1558 vom Sultan Sulejman
aus den Bausteinen zweier zerstörter christlicher Kirchen errichtet und
»Sedd i isläm« (Sperrschloss des Islam) benannt worden. Nach dem Aus-
bruch des grossen Türkenkrieges am Ende des 17. Jahrhunderts, im
Sommer 1694, nahm der Generalproveditor der Republik Venedig, Delfino,
durch eine kombinirte Aktion mit starker Truppenmacht Gabella ein »und
erhielt dadurch — wie es in einer zeitgenössischen Quelle heisst — die
Republik einen fruchtbaren Strich Landes nebst dem Eintritt in das Herzog-
thum Nieder-Hercegovina oder, wie es die Franzosen nennen, St. Sabba
und zugleich in den übrigen Theil von Bosnien.« Schwer empfanden die
Türken diesen Verlust und versuchten in den nächsten Monaten wieder-
holt, ihr Sperrschloss zurückzuerobern, Doch erst der venetianische Trakta"
des Karlo witzer Friedens (1699) brachte es ihnen wieder. So wurde der
weissmarmorne Löwe mit der Inschrift: »Pax tibi Marce, evangelista meus!«
vom Hauptthor der Burg wieder herabgestürzt auf die Stelle, wo er heute
noch liegt, zwei von Delfino hergestellte Kirchen abermals zerstört, zwei
andere in Moscheen verwandelt. Eine der ersteren ist 1855/56 von den
Katholiken des Ortes restaurirt und zur Pfarrkirche geweiht worden. Am
$\\ .
I . i che in Zitomisljic.
— 392 —
Hochaltar derselben sieht man die wappengeschmückte Gruftplatte der
Familie Santic. Die amtliche »Ortschafts- und Bevölkerungstatistik von
Bosnien und der Hercegovina« nach dem Volkszählungsergebnisse vom
i. Mai 18S5 zahlte für Gabella 626 Katholiken, 2 18 Orthodoxe, S.Moham-
medaner; 1895 betrug die Bewohnerzahl 960 Köpfe.
Wir fahren, immer in fruchtbarer Gegend, die Krupa und die von
Stolac kommende wilde Bregova überschreitend, bis nach Tasoveic.
Seitwärts der neuen Strasse, auf dem alten Wege, steht eine steinerne
Ueb erfuhr an der Narenta.
Bogenbrücke, jetzt mitten in der Einsamkeit. In Tasoveic, einem sehr
wohlhabenden Orte, begrüsste uns die Gegenwart gleich am Eingange des
Dorfes mit einer neuen Elementarschule. Nicht weit davon liegt ein von
Grün überwucherter Friedhof, der von der hier herrschenden Toleranz ein
rühmliches Zeugniss ablegt. Neben den türkischen Grabsteinen stehen
katholische Kreuze und zwischen allen liegen die gros>en Platten der
Bogomilengraber. Bei einem Kaffeehause unter einem grossen Maulbeer-
baum liessen wir uns eine Weile nieder, mitten unter türkischen Grund-
besitzern, die ihrer Zufriedenheit mit der letzten Ernte und damit auch
mit allen Verhältnissen Ausdruck gaben. Als ich auf die neue Schule zu
— 395
I
I
^ :.
1
Kurze Rast. Motiv aus Gabel a.
sprechen kam, meinten sie, das sei die segensreichste Schöpfung; ihre
Kinder sollten auch so gescheidt werden wie die »Schwabas«. Die Gegend
ist hier wundervoll angebaut ; riesige Tabakfelder, prächtige Weingärten
bedecken, soweit das Auge reicht, bis an das Narenta-Ufer die Ebene.
Hinter Tasov6ic finden wir hübschen Eichenwald, der durch die bekannte
Tafel: ^Verbotener Wald«, geschützt ist. Nach einiger Zeit erreichen wir
Domanovic, einen wichtigen Strassenknotenpunkt. Hier führt rechts die
Strasse nach Stolac, dem historisch berühmten Sitze der Rizvanbegovic,
einer Stadt mit alten Denkmälern und einem merkwürdigen Bogomilen-
v .
friedhofe. Ueber die Xarenta ist eine Ueberfuhr nach Capljina. Doma-
novic besteht aus einer langen Strasse voll kleiner Wirthshäuser, Kaffee-
596
schänken und Kramläden, die ihr Dasein von dem Durchgangsverkehr,
meist aber von dem hier liegenden Militär fristen. Es ist nämlich eine
grosse Infanterie-Kaserne gebaut, in der ein bosnisches Bataillon liegt.
Ein nettes Forsthaus erinnert an die Karstaufforstung, deren Spuren wir
auf unserer Weiterfahrt bald wieder begegnen. Und immer wieder Tabak-
felder, grosse Viehheerden, inmitten der Fluren hübsche Landhäuser. B<
sonders in Bivolje Brdo fiel mir ein türkisches Sommerhaus durch seine Aus-
dehnung und wunderschöne Bauart auf. Der Weg zieht sich bergauf und
bergab, immer an den Lehnen der Dubrava entlang, bis er endgiltig in das
Biscepolje niedersteigt, dessen Umgrenzung wir bereits mehrfach geschildert
haben. Vor Buna lugt über die Zäune bereits wieder der Feigenbaum und die
Olive und in dem hübschen ausgedehnten Orte grüssen von allen Seiten statt-
liche steinerne Häuser moderner Art, eine Sommer-Villeggiatur bildend.
Buna ist ein historisch berühmter Ort. Auch schon in alter Zeit
von Bedeutung, wovon die mächtige Brücke Zeugniss ablegt, die in neun
steinernen Bogen über die Buna führt, erlangte es seinen Ruhm unter dem
letzten Despoten der Hercegovina, unter Ali Pascha Rizvanbegovic. In der
alten Steinburg zu Stolac hausend, hatte er, wie wir bereits in einem
früheren Abschnitte erzählten, während der bosnischen Adelsinsurrektion
von 1 83 1 unter Hussein Berbirli Aga dem Sultan die Treue bewahrt und
er war mit dem Vezirat der Hercegovina betraut worden. Dieses gestaltete
er fast unabhängig und er suchte »seine Provinz« materiell blühend zu
machen. Er führte die Reiskultur in der Narentaebene und um Ljubuski
ein, er pflanzte den Oelbaum und protegirte die Weinkultur, er suchte die
Seidenzucht auszudehnen. In Buna erbaute er ein prächtiges Landhaus
mit einer Moschee und den Befehlen der Pforte gehorchte er soweit, als
ihm genehm war. Als 1849 abermals ein Adelsaufstand in Bosnien aus-
brach, stellte auch er sich auf die Seite seiner Standes- und Stammes-
genossen und er verübte gegen die Christen arge Gräuelthaten. Anfangs
siegreich, kam in der Person Omer Paschas der Rächer der verletzten
Autorität des Sultans. Mit Kugel und Strick wurde in Bosnien Ordnung
gemacht, dann nahte Omer mit Iskender Pascha der Hercegovina. Ali Pascha
Rizvanbegovic war schlau genug, sich nicht selbst dem mächtigen Pacifikator
(dem ehemaligen Grenzerfeldwebel Michael Lattas) entgegenzustellen; er
überliess dies seinen Untergebenen, während er anscheinend unthätig in
der Burg zu Stolac sass. Omer Pascha schlug die Aufständischen und zog
in Mostar ein. Darauf erschien Ali Pascha in Buna, um Verhandlungen
einzuleiten. Mit grossen Ehren empfing Omer Pascha den Vczier; er lud
ihn zum Gastmahle in Mostar und der sonst so schlaue Hercegovce liess
sich übertölpeln. Während er nach Mostar ging, zogen türkische Truppen
nach Buna und Stolac mit der Kundmachung, dass der Vezier abgesetzt
und ein Gefangener Omer Paschas sei. Und dann erfüllte sich sein
397
Schicksal. Wie ein einheimischer Schriftsteller erzahlt, war sein Ende
folgendes :
»Den greisen Ali Pascha, der vor Altersschwäche kaum mehr zu
gehen vermochte, schleppten sie auf die Xarentabrücke und setzten ihn
hier auf einen Esel. So führte ihn Omer Pascha mit sich in die Krajna,
wohin er gegen die Aufständischen zog. Ali Pascha, erbittert über diese
Beschimpfung, brach gegen den Serdar-Ekrem (Oberbefehlshaber = Feld-
mar-^chall) los: »Warum quälst du mich? Auch du bist ein Vlache (Serbe),
eines Ylachen Sohn ! Woher nimmst du die Macht, so mit mir zu ver-
- 39S -
fahren? Ja, hätte ich gegen den Sultan selbst zu den Walten gegriffen,
du wärest nicht würdig, so mit mir umzugehen, als hättest du mich in der
Schlacht zum Gefangenen gemacht und wärest du auch dreimal Serdar-
Ekrem. Oh, unreiner Vlache, sende mich lieber vor den Padischah, damit
er richte über mich und beschimpfe mich nicht- in meinen alten Tagen.«
Omer Pascha begann nun zu furchten, denn Ali Pascha hatte zahlreiche
Freunde beim Padischah, denen er ungeheure Summen Geldes aus der
Hercegovina zu senden pflegte. So drehte Omer Pascha die Sache in
seinem Kopfe, bis er fand, es wäre besser, wenn Ali Pascha nicht auf der
Welt bliebe. Und so wurde Nachts zwei Uhr ein Schuss gehört und es
kam die Nachricht zu Omer Pascha, dass eine Flinte zufällig losgegangen
und die Kugel durch den Kopf Ali Paschas gefahren sei. So starb Ali
Pascha Rizvanbegovic am 20. März 185 1.«
Ob sich die Sache wirklich so verhalten, wissen wir nicht, Thatsache
ist aber, dass Ali Pascha nie wieder zum Vorschein kam. Seine Be
Sitzungen wurden eingezogen und die Gebäude zerstört. . . . Wenn man
in Buna vor dem Gasthause an der Brücke sitzt und den vorzüglichen
weissen Wein — Eigenbau des Wirthes — trinkt, dann kann man von
Zeit zu Zeit einen Blick hinüberwerfen auf das alte Besitzthum Ali Paschas,
das noch immer, auch mächtig in den Ruinen, inmitten einer grünen
Wildniss liegt. Fragt man aber einen der älteren Leute über Ali Pascha,
so erhält man die Antwort: »Herr, er war für die Hercegovina so wie
Herzog Stefan.«
Wir hatten uns in Buna ziemlich lange aufgehalten und die Sterne
standen am Himmel, als wir die Fahrt durch das weite Biscepolje antraten.
Oede und kahl liegt die stundenlange Fläche da, sie wartet noch der
wirtschaftlichen Auferstehung. Einstweilen ist sie nur eine Fundgrube
für Archäologen. Ein scharfer Wind hatte sich erhoben, welcher den
Staub in dichten Wolken peitschte, und wir waren froh, als wir Mostar
wieder erreichten, als uns die gastlichen Räume des »Hotel Narenta« von
Neuem umfingen.
Schlussvignette: Altes Siegel aus Vi.l Narona vom 15. Jahrhundert.
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Durch das
Ramathal
nach Jajce.
Die Eisenbahn
brachte uns am
nächsten Morgen
nach Jablanica, von
wo mit der zweimal in der Woche, am Montag
und Freitag verkehrenden Diligence die Reise
nach Jajce, der alten Königsstadt, angetreten
werden sollte. Die 122 Kilometer lange Strecke
wird in einem Tage — mit unterlegten Pferden
— zurückgelegt. (Jetzt fährt die Diligence nur
bis Bugojno, von dort wird die Bahn bis Jajce
benutzt.) In Jablanica fanden wir im landes-
ärarischen Hotel vorzügliche Unterkunft und
wir benutzten diesen Tag zum Umherstreifen
in der wundervollen Gegend, da erst am andern
Morgen die Wagenfahrt vor sich gehen konnte.
Früh 6 Uhr stand die mit vier Pferden
bespannte Diligence vor der Thür. Wir hatten
uns die beiden Aussenplätze hinter dem Kutscher
gesichert, um die Gegend mit Müsse in Augen-
Der Innenraum war gleichfalls voll besetzt. Ein
Die
schein nehmen zu können
leichter Nebel lag über der Gegend und es fröstelte ziemlich stark
Strasse geht längs der Eisenbahn in nördlicher Richtung bis in die Nähe der
Station Rama, dann wendet sie sich scharf nach Nordwesten und folgt von
der Mündung der Rama in die Narenta dem erstgenannten Flusse in dem
— 400
Eingang ins Ramathal.
gleichnamigen Thale. Wir sind mitten im Hochgebirge. Wie ein Band
nur zieht sich die neugebaute Fahrstrasse an den Lehnen der Bacina-
Planina entlang, auf der rechten Seite von dem tief eingeschnittenen Fluss-
bette begrenzt. 'Es ist aber keine öde oder einsame Gegend; die Höhen
sind gut bewaldet, in der Thalsohle zeigen sich wohlbestallte Felder, auf
den jenseitigen Hängen sogar Weingärten. Häuser liegen überall verstreut.
Dann verengt sich der Weg. Unter der Gracanicki-Wand öffnet sich knapp
an der Strasse eine mächtige Höhle, die wegen ihrer von der Wölbung
herunterhängenden Tropfsteingebilde die »Schinkenhöhle« getauft wurde.
Dann kommt der mächtige Babafelsen in Sicht, die interessante Bildung
der Klokovacke Stjene oberhalb Ustrama, und schliesslich übersetzen wir
401 —
f ■ r damals noch im Bau begriffenen Brücke den Fluss. Die Arberter
auf einer damals noch i 8 Stromufer übernachtet, - ein etwas
hatten ,n offenen Baracken dicht a ^ ^^ Dje
luftiges Bivonak, - und sie suchten . c andauernd
Sonne will durchaus nicht zum Vor, Aem komme , e überwiegenden
empfindUchkuhl Die ^evofcerung ^ * Nichts von der Strasse
Theile katholisch und bO sahen »u
Seferov-Han im Ramathal.
— 402 —
neben einer kleinen Kirche ein neues stattliche- Pfarrhaus, leider gar zu
aufdringlich mit Kreuzen geschmückt. An den Berglehnen kommt noch
die Edelkastanie vor, die gegen die Strasse gerichteten Rutschungen sind
mit Weidenanpflanzungen in sehr praktischer Weise versichert. Eine Reihe
Serpentinen fuhrt uns in eine Höhe von 700 Meter; wir bewundern den
Bauer aus dem Kamathale bei Prozor.
kleinen Gebirgsfluss Ljuk, der einen hübschen Wasserfall bildet und
gemessen gleich darauf einen hoch originellen Anblick. In Prozor war
Militärstellung gewesen und nun kommen die Ausgemusterten auf langen
Leitenvagen, wie die Heringe verpackt, unter militärischer Begleitung
jauchzend und singend dahergefahren. Es war ein sonderbares Bild, be-
sonders da man nach der Kleidung erkennen konnte, dass die ver-
schiedensten Glaubensbekenntnisse friedlich nebeneinander hausten
405 —
.*-*
In Prozor, einem Stadt-
chen von iooo meist moham-
medanischen Bewohnern, war
Halt und Pferdewechsel. Im
»Gasthaus Kraus« stärkten
wir unseren Leib und hier
fanden wir auch recht nette Ge-
sellschaft. Lernten wir doch
auch da erst unsere Reise-
gefährten kennen: einen
Gerichtsrath, einen Doktor,
einen Kaufmann aus Mostar.
Die ersteren beiden waren
Czechen, der Arzt von Prozor '-
desgleichen, ein Beamter
ebenfalls — kurz, es war
auf einmal in dem kleinen
Orte eine vollständige böh-
mischeKolonie. Ausser einer
altenBurg, die sich malerisch
über dem Orte aufthürmt und
an die sich die Sagen von
allen möglichen Königen und
Königinnen knüpfen, die an
anderen Punkten Bosniens
in derselben Art wieder-
kehren, bietet Prozor nichts
Besonderes, doch werden
hier gute gewöhnliche Tep-
piche gewebt und Pflaumen
gebaut.
Eine Zeit lang zieht sich die Strasse in gut angebauter Ebene fort,
dann steigt sie in endlosen Schlangenwindungen zum Makljen-Sattel
(1123 Meter). Wohin das Auge auf diesem Aufstieg blickt, sieht es auf
fruchtbare Felder, auf nette Ortschaften, auf Höhenzüge, die sich über-
einander thürmen und in immer lichteren Tinten am Horizont verschwinden.
Oben aber, auf der Höhe des Makljen, ist die Aussicht überwältigend. Wie
ein Panorama liegt ein grosser Theil der hercegovinischen Gebirgswelt
vor den entzückten Blicken ausgebreitet. Im Westen der Vran-Risovac-
Sattel, die drei Kuppen der 2260 .Meter hohen Cvrtnica, weiter rückwärts
die Muharnica und die Sovica. Vorn aber, gerade gegenüber, hat man
die kolossalen, jäh abfallenden Felswände des Prenj, die wohl von keinem
Mädchen aus Prozor.
— 406 —
der zugänglichen Punkte in so ergreifender Schönheit gesehen werden können.
Ueberall lag auf den höheren Kuppen der Schnee, — es war ein Bild von
unbeschreiblicher Grossartigkeit. Immer aber sieht man auch noch im Thale
die Windungen der Strasse um] tief unten Prozor mit -einer Burgruine.
Wir sind hier im Hochwald. Schöne Einräumerhäuser und ein Han
stehen inmitten der grossartigen Natur und sorgen auch in primitiver
Am M akljen sattel.
409 —
Weise für die Reisenden. Immer abfallend, abermals in zahlreichen
Serpentinen, geht die Strasse durch prächtigen Wald, die Terlicaschlucht
kreuzend, nach Gornji-Vakuf, einem langgestreckten mohammedanischen
Städtchen von i 719 Bewohnern. Ein alter türkischer, mit Schiess-Scharten
versehener Thurm und drei Moscheen sind die einzigen Sehenswürdig-
keiten. Aber Gornji-Vakuf ist ein Sitz der kunstvollen Hausindustrie.
Hier werden die besten türkischen Kaffeemühlen (Handmühlen) angefertigt
und das Aeussere so reich und geschmackvoll mit Arabesken verziert, wie
ich sie nirgends wieder gefunden habe. Auch zu den Messern werden hier
ausgezeichnet gravirte Scheiden angefertigt. Wir hatten in einem serbischen
Wirthshause während des Pferdewechsels Unterkunft gefunden und da
befanden wir uns bald mitten drin im Handeln und Feilschen. Zur Ehre
der Vakufer Meister sei es gesagt, dass sie feste Preise behaupten und
lieber mit der Waare ihres Weges ziehen, als sie billiger verschleudern.
Die Berge der Umgebung enthalten Eisen- und Kupfererz, das von den
Römern bereits ausgebeutet wurde. Sogar auf Gold sollen diese hier
geschürft haben.
Bis Bugojno führt die Strasse in ununterbrochener Ebene zwischen
Getreidefeldern. Dieses Städtchen hat als einstweiliger Endpunkt der von
Lasva über Travnik nach der dalmatinischen Grenze führenden Eisenbahn
eine gewisse Bedeutung erlangt. Es zählt kaum 1000 Bewohner, darunter
etwa 400 Katholiken, und doch besitzt es die grösste katholische Kirche
von Bosnien — vorausgesetzt, dass die innere Ausschmückung jemals fertig
wird. Als im Jahre 1879 ein Bankett aus Anlass der silbernen Hochzeitsfeier
des Kaisers Franz Josef stattfand, regte ein Franziskaner die Idee an, in
Bugojno eine katholische Kirche zu bauen und der Plan fand Beifall.
Das Geld wurde bisher durch Sammlungen in Oesterreich-Ungarn aufge-
bracht. Bugojno hat einige recht gute Unterkunftshäuser und viele neue
europäische Gebäude, selbst ansehnliche Villen.
Die Strasse führt, immer in Sicht des Bahngeleises, in der Ebene
nach Dolnji-Vakuf. Ueberall sieht man türkische Landsitze inmitten gut
bestellter Felder. Die 27 Kilometer lange Ebene längs des Vrbas, die
sich südlich bis Gornji-Vakuf erstreckt, wird das Skoplje genannt, sie ist
im Besitze reicher Begs, die neben Ackerbau auch viel Vieh-, besonders
Pferdezucht treiben. Die Ausläufer der Gebirge treten allmählich immer
mehr an das Bahngeleise und die Strasse heran; links sieht man auf einer
Höhe die alte Veste Prusac, die sich gegen die erobernden Türken am
längsten hielt, dann öffnet sich ein schöner Blick ins Privnicathal und
nachdem die l'rivnica übersetzt ist, haben wir Dolnji-Vakuf erreicht,
dessen ausgedehnter Bahnhof direkt im Vordergrunde steht. Ueber eine
alte Steinbrücke fahren wir in die ausgedehnte Stadt ein und halten vor
dem »Hotel Heller . Das Städtchen ist ungemein lebhaft, wenn es auch
— 4-0
Bosnischer Franziskaner. Motiv aus dem Ramathale bei Prozor.
\Y. Leo Arndt. )
nur 2342 meist mohammedanische Bewohner zahlt. Es hat einige hübsche
Moscheen, gegenüber dem Amtsgebäude steht eine Medresse über einer
Quelle. Der untere Raum des stockhohen Hause- bildet ein Bassin voll
krystallhellen Quellwassers. Eines der best und modernst gebauten
1 [äuser ist die neue Gemeindeschule.
Dicht hinter Dolnji-Vakuf verengt sich das Vrbasthal und nimmt die
Gestalt eines Fluss-Defiles an. Die Strasse bleibt am rechten Ufer des
Flusses, während die neue Bahnlinie nach Jajce sich am linken Eier hin-
— : I j
zieht. Die Gegend zu beiden Seiten ist schon bewaldet und ungemein
romantisch. Beim Kilometerzeiger 26 steht rechts ein interessantes
Bogomilen-Grabmal, dessen Skulptur einen gebogenen Arm mit dem Kreuze
in der Hand darstellt. Unterhalb des Armes ist ein Halbmond sichtbar.
Wundervoll ist der Blick von der Strasse auf die Eisenbahn, die ganz
dicht am Ufer des hier zum wilden Gebirgs>trom gewordenen Vrbas bleibt.
Ueberall sieht man Brücken und Durchlässe, die sich von dem meist grünen
Gestein wirkungsvoll abheben ; am schön-ten aber sehen die Wächterhäuser
An der Eisenbahn bei Dolnji- Vakuf.
aus, die in nettem Schweizerstil wie Landhäuser in dem Schutze der
Walder liegen. Von Zeit zu Zeit führen Holzbrücken über den Fluss; am
linken Ufer liegen nämlich die Ansiedlungen, Dörfer und Hans und hier
haben sich auch die provisorischen Kolonien der Bahnarbeiter gebildet,
die seit Eröffnung der Bahn natürlich wieder verschwinden. Hinter Station
Babinoselo verengt sich der Fluss immer mehr; bei Station Vijenac ragen
auf 1035 Meter hohem Kegel die Ruinen der gleichnamigen Burg auf dem
rechten Ufer empor, das Stammschloss der ungarischen gräflichen Familie
Keglcvic. Dir Strasse umgeht den grössten Theil des Burgfelsens, der
am Yereinigungspunkte dreier Thäler emporragt und der einst ein ungemein
wichtiger strategischer Tunkt war. Immer enger wird das Thal,1 immer
dichter die Bewaldung der Berglehnen. Nach Passirung zweier Tunnels
■\ ' 6
von 150 Meter und j^, Meter Länge bietet sich plötzlich bei einer Biegung
des Weges ein grossartiger Anblick. Vor uns liegt eine mittelalterliche
Bergfestung. Hohe, zum Thcil verfallene Mauern ziehen -ich über die
Bergrücken, von mächtigen Thürmen flankirt, während Häuserreihen sich
nach allen Seiten in die Felsen erstrecken. Das ist das Kastell von Jajcc,
der romantischen Königsstadt. Die Strasse vereinigt sich mit der von
Travnik hier einlaufenden Fahrstrasse, übersetzt auf einer 55 Meter langen
Brücke den Fluss und fuhrt am grossen Plivafall, dessen (Gewässer schäumen
und brausen, vorüber, durch ein mittelalterliches Festungsthor in die Stadt,
wo uns das von der Regierung gebaute »Grand Hotel« in seine behaglichen
gastlichen Räume aufnimmt.
Zwischen D olnji- Vakuf und Babinpotok.
-7
Die Königsstadt
Jajce.
Durch ihre geschichtliche Vergangenheit, durch die archäologischen
Funde ist Jajce eine der interessantesten Städte von Bosnien und der
Hercegovina, durch ihre wunden olle Lage am Zusammenflusse der Pliva
mit dem Vrbas, zum Theil auf einer isolirten Bergkuppe erbaut, eine der
malerischsten und sehenswerthesten und für jeden Fremden ein wahres
Schatzkästchen der Romantik. Um ihre Bedeutung zu ermessen, ihre Bau-
werke zu verstehen, müssen wir auf die Geschichte der Stadt näher ein-
gehen, die schon vielfache Darstellungen erfahren hat. Am eingehendsten
Anfangsvignette : Altes Thor und Kaffeehaus in Jajce.
420
und sachgemässesten schildert sie der Custos des bosnisch-hercegovinischen
Landesmuseums Dr. Giro Truhelka, dessen Werkchen (-Geschichte und
Denkwürdigkeiten von Jajce«, Sarajevo 1888) ich nachstehend folge.
Wann die Stadt gegründet wurde, ist nicht genau bekannt. Schon
Constantin Porphyrogenitus erwähnt die Landschaft Pliva zu jener Zeit, als
die Franken unter ihrem Führer Cotzilinas aus Illyrien vertrieben wurden
und sie bildete nebst zehn anderen Zupen das nachmalige Königreich
Kroatien. Im 12. Jahrhundert stritten der bosnische Ban und der kroatische
König um den Besitz der Landschaft. Später wird ihrer in der bosnischen
Geschichte nicht erwähnt; erst zu Anfang des 15. Jahrhunderts, wo sie in
den Besitz des mächtigen Magnaten Hrvoja gelangte, tritt sie in das öffentliche
Leben. Hrvoja führte schon 1404, wie Klaic in seiner Geschichte Bosniens
erzählt, den Titel »Vojvoda Dolnji Kraj«, womit das Gebiet an der Pliva
bezeichnet wurde. Als er sich mit dem bosnischen Könige Ostoja ent-
zweite und sich dem ungarischen Könige Sigismuncl anschloss, liess er sich
auch von diesem im Jahre 141 1 den Besitz bestätigen, wodurch dieser
Theil auf kurze Zeit unter die Oberhoheit der ungarischen Krone gelangte.
Um diese Zeit bildeten sich an der felsigen Landzunge zwischen der Pliva
und dem Vrbas die ersten Anfänge der Stadt Jajce, welche Hrvoja auf
geraume Zeit zu seiner Residenz wählte. Von 141 1 und 141 2 sind
Dokumente, aus Jajce datirt, vorhanden. Die Stadt überflügelte bald die
meisten Städte Bosniens. Sie wurde Sitz eines Banus, in welcher Würde ein
Manifest des Königs Stefan Tomasevic vom Jahre 1459 den Radivoj Jablanovic
nennt und derselbe König erwählte die Stadt bei seinem Regierungsantritt
zu meiner Residenz, sodass sie der gleichzeitige Geschichtsschreiber Laonicos
Chalkokondilas als die Metropole Bosniens bezeichnet. Während der
stürmischen Zeiten, die über Bosnien kamen, bildete sie den wichtigsten
strategischen Punkt. Im Jahre 1463 brach das Verhängniss über das Land
durch die Türken herein. Als das grosse Heer Sultan Mohammed II. el Fatih
die bosnische Grenze überschritt, floh König Stefan Tomasevic aus seiner
festen Burg Bobovac, deren Yertheidigung er seinem Hauptmann Radak
übergab, nach Jajce. Bobovac fiel, von Radak verrathen, in die Hände des
Sultans, welcher den Kommandanten zum Lohne für seinen Verrath von der
Felswand stürzen liess. Den König liess der Sultan durch Mahmud Pascha
und 20 000 Mann leichter Kavallerie verfolgen. Mahmud setzte über den
Vrbas und erschien vor Jajce, wo er aber erfuhr, dass der König die Stadt
verlassen habe. Er hatte sich zuerst nach der unweit gelegenen Burg Sokol
begeben, und als ihm diese zu wenig Sicherheit zu bieten schien, floh er
nach der festen Burg Kljuc an der Sanna, wo er einige Tage zu rasten
gedachte. Mahmud Pascha schickte eine kleine Abtheilung unter Omer
Beg Turchanoglu nach Kljuö. Es kam zu einem Scharmützel, wobei sich
Omer zurückziehen musste, während sich die Besatzung in die Burg einschloss.
— 421 —
I eisen einschnitt vor Jajce.
Omer Beg hatte keine Ahnung, dass sich der viel gesuchte bosnische
König in nächster Nähe befinde und er versuchte von einigen Bauern, die
er gefangen nahm, seinen Aufenthalt zu erfahren. Als diese beharrlich
jede Auskunft verweigerten, sandte er sie zu Mahmud Pascha. Konstantino vi c
berichtet, dass ein Bosniake den Aufenthaltsort des Königs für einen Kuchen
verrieth, eine Behauptung, welche unglaublich klingt, die aber jener Tage
in Bosnien wohl möglich war. Mahmud Pascha, als er von dem Aufenthalt
des Königs Nachricht empfing, brach mit seiner Reiterei auf und zog, den
Engpässen, die nach Kljuc führten, Trotz bietend, dorthin. An der Sanna
angelangt, wagte er auch den Uebergang über die in hohem Grade gebrech-
liche Sannabrücke und machte Anstalten, die Burg zu belagern. Er hatte
aber trotz seines zahlreichen Heeres wenig Aussicht auf Erfolg. Die Festung
Kljuc ist auf senkrechten Felswänden, deren Sockel der Sannafluss umspült,
erbaut. Von drei Seiten ist sie absolut unzugänglich und den steilen Aufgang,
der von der Südseite zur Burg führt, beherrscht ein mächtiger, auf dem
schroffen Babakaja-Felsen erbauter Thurm, welcher die Festung um ein
beträchtliches überragt. Ausserdem führten zwei über senkrechten Felsspalten
angebrachte Fallthüren ins Freie. Die eine führte zur Sanna und versorgte die
Burg mit Wasser, während die andere im äussersten Nothfalle den Weg zur
Flucht bot. Der modernen Strategie würde die Burg keine grossen Schwierig-
keiten bieten, denn sie lässt sich von dem auf dem andern Sanna-Ufer
liegenden /elenberge leicht bestreichen, aber selbst die spärlichen, heute
noch erhaltenen Reste rufen den Eindruck hervor, dass sie in einer Zeit,
wo nur schweres, plumpes Geschütz ins Feld gezogen und nicht selten,
um «lern schwierigen Transporte auszuweichen, erst am Kampfplatze
422 —
gegossen wurde (wie bei der zweiten Belagerung von Jajce), unüberwindliche
Schwierigkeiten bieten musste.
Mahmud Pascha, der gar kein Geschütz mit sich führte-, sah wohl ein,
dass er mit seinen 20000 leichten Reitern gegen Felsenthürme nichts aus
richten könne. Auch an Aushungern war nicht zu denken, da eine längere
Belagerung nicht in das Programm des Kriegszuges passte. Er versuchte
dahet durch Ueberredung den König zur Kapitulation zu bewegen. Er
versprach alles Mögliche, und als er ihm schriftlich die eidliche Zusage gab,
man würde sowohl sein als auch das Leben seines Onkels und Neffen
schonen und der Sultan werde ihm für Bosnien eine andere gleichwerthige
Provinz verleihen, ergab sich der König. Mit der Besatzung und der
Bürgerschaft verfuhr Mahmud Pascha nach dem Prinzip, das sein Heer bei
allen bisherigen Eroberungen konsequent durchgeführt hatte. Ein Drittel
davon wurde unter die Grossen in seinem Gefolge vertheilt und dem
Janitscharenkorps einverleibt, das andere wurde nach Konstantinopel ge-
schleppt, damit die Bevölkerung der noch öden Vorstädte zu vermehren,
während der dritte und ärmste Theil in der Stadt belassen wurde. Nach-
dem auch des Königs Onkel Radivoj in der unweit von Jajce gelegenen
Burg Ordzaj gefangen genommen worden, kehrte Mahmud Pascha mit
seiner Beute nach Jajce zurück, wo unterdess Sultan Mohammed el Fatih er-
schienen war und die von ihrem Könige verlassene Stadt belagerte. Sobald
die Besatzung den König gefangen sah, ergab sie sich.
Als Mahmud Pascha mit seinen Gefangenen vor Jajce ankam, war
der Sultan entzückt, aber die Zusage, die der Pascha dem Könige gegeben,
war nicht nach seinem Sinn. Trotzdem konnte er die eidliche Zusage
eines seiner besten Heerführer nicht ohne Weiteres über den Haufen werfen.
Um über diesen Gewissenspunkt hinwegzukommen, wandte sich der Sultan
an die Ulema, und einer jener frommen Gelehrten, deren er stets auf seinen
Zügen mit sich führte, der Perser Scheich Ali Bestami, mit dem Beinamen
Massafinek, stellte dem Sultan ein Fetwa aus, das über das Schicksal des
Königs entscheiden sollte. Ueber die Begründungen dieses Fetwa sind
mehrere Versionen bekannt. Die eine im »Tarihi-diari« berichtet, dass
darin auf einen Schwur hingewiesen wird, welchen der Sultan früher geleistet
hatte und wonach er den König hinrichten lassen werde, wenn er ihn in
seine Gewalt bekäme, und dass dieser Schwur eine spätere Zusage seines
Veziers aufhebe. Der anderen, von Hammer- Purgstall aufgenommenen
Version zufolge stützte sich das Fetwa auf das sonderbar klingende Axiom,
ein Herr sei nicht verpflichtet, die Zusage seines Dieners zu halten, wenn
diese ohne seine Ermächtigung gegeben wurde. Beide Versionen genügten,
über das Leben des Königs zu entscheiden. Dem Sultan war nur noch
daran gelegen, die Nothlage seines Gefangenen auszunützen. Er bewog
den durch Versprechungen irregeführten König, an alle seine Städte den
- 423
Auftrag ergehen zu lassen, sich den Türken ohne Widerstand zu ergeben.
Dadurch kamen über 70 befestigte Städte in die Macht des Eroberers.
Sultan Mohammed aber, als er seine Eroberungsoperation in Bosnien
so rasch erledigt sah, brach über den König den Stab. Er bestellte ihn
zu sich und dieser, wohl ahnend, dass seiner ein gleiches Schicksal harre,
wie es den Kaiser von Trapezunt, die Fürsten von Athen und Mytilene
getroffen, nahm jenes eidliche Versprechen Mahmud Paschas mit sich, um
nöthigen Falls darauf hinweisen zu können.
Es nutzte ihm nichts, sein Tod war beschlossen, und auf dem
Carevopolje bei Jajce — nicht, wie es früher hiess, bei Bilaj oder gar bei
Blagaj — wurde Stefan Tomasevic, nachdem ihm angeblich bei lebendigem
Leibe die Haut abgezogen worden, von dem Scheich Ali Bestami geköpft.
Nach der Hinrichtung wünschte der Sultan, wie Ibrahim Beg Basagic im
»Glasnik zem. muz.« erzählt, dass man über die Ursache des Todes nicht
im Zweifel sei und dass das Fetwa des Scheich wörtlich an dem Stadthore
von Jajce eingemeisselt werde. Dort soll es sich bis zu den Insurrektions-
kämpfen in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts befunden haben. Sein
Inhalt ist weder im »Taddzut-tevarih«, noch im »Mir-ati-cajinat«, noch in
anderen türkischen Geschichtsbüchern, die über Bosnien handeln, auf-
gezeichnet, sondern nur mündlich überliefert worden. Es heisst: »El
mumin la juldagu min dzuhrin merretejni«, d. h.: »Der Gläubige wird nicht
zweimal aus einem Schlangenverstecke gebissen«. Damit soll gesagt werden,
dass der König Verrath übte, als er sich schon unter dem Schutze des
Sultans befand. Die Ungerechtigkeit der Hinrichtung sollte dadurch be-
schönigt werden.
Das Grab des Königs war lange unbekannt, obwohl im Volksmunde
eine Stelle am Hum ausdrücklich als »Kraljevski grob« (Königsgrab) be-
zeichnet wurde und die Sage sogar über das Begräbniss des Königs zu
berichten wusste. »So habe der Sultan einer Janitscharen- Abtheilung den
Befehl gegeben, den Leichnam derart zu begraben, dass die Grabstätte von
der Stadt aus sichtbar sei, dass man aber das Grab selbst und vom Grabe
aus die Stadt nicht sehe. Der Begräbnisszug nahm die Richtung gegen
Hum und einer der Männer trug eine hohe Fahne voran. Der Sultan blickte
ihnen nach und als die Janitscharen allmählich seinen Blicken entschwanden
und nur noch die äusserste Spitze der Fahne sichtbar war, gebot er ihnen
durch ein Signal anzuhalten und an der Stelle, wo sie angelangt waren,
den König zu begraben.«
Diese naive Ortsbeschreibung nahm Dr. Truhelka zum Ausgangs-
punkt, um das Grab des Königs zu entdecken und — es glückte ihm!
Im Juni iXXS entstieg die Leiche des letzten bosnischen Königs ihrem
Grabe und sie fand eine würdigere Ruhestätte in der Franziskanerkirche
in Jajce. Ueber den Fund selbst gebe ich dem Ausgraber das Wort:
4^4
Am rechten, dem grossartigen Plivafalle gegenüber liegenden Ufer des Vrbas steigt ein
ziemlich steiler, im Unterbau felsiger Hügel empor, der in eine anregelmässige Terrasse
endet, die von der Südostseite vom schroffen Humgebirge umschlossen ist. Wenn man den
Weg, welcher über die alte Vrbasbrücke aus Jajce nach Podhum führt, verfolgt, so gelangt
man zu einer Stelle auf der erwähnten Terrasse, von wo aus sich dem Auge nach Norden
zu ein herrlicher Anblick auf das Carevopolje öffnet. Gegen Südost steigen die Kalkwände
des Berges Hum empor, während nach Westen zu eine sanfte Erhöhung über den Rand der
Terrasse den Ausblick auf Jajce verwehrt. Hier auf dieser Stelle, knapp am Saume des
Weges, befindet sich eine schmucklose Steinplatte, welche jeder vorübergehende Landmann
als des »Königs Grab« bezeichnete. Die Platte ist etwa i Meter breit, 1,8 Meter lang, roh
behauen und trägt keinerlei nachweisbare Spuren irgend welcher Verzierung oder Inschrift.
Nur auf der nach oben zugekehrten Seite, nicht ganz in der Mitte, ist ein einfaches Kreuzes-
zeichen zu bemerken. Dasselbe ist sehr primitiv, entschieden mit einem höchst ungeeigneten
Werkzeuge circa i Centimeter tief eingeritzt, und zeigt die Vertiefung der Gravirung geringere
Witterungseinflüsse, als sie bei den übrigen Partien der Platte wahrgenommen werden — ein
Zeichen, dass das Kreuz später eingeritzt, als der Stein gesetzt worden, dass es vielleicht eine
spätere pietätvolle Widmung den Manen des hier zur Ruhe Bestatteten ist. ... In einer Tiefe
von beiläufig So Centimeter kamen grössere Steinblöcke, welche die ganze Länge des Grabes
bedeckten, zum Vorschein. Diese wurden weggeschafft, und nach einigen Spatenstichen
zeigten sich die Schädelknochen, und zwar, wie ich vermuthet hatte, an dem Westende des
Grabes. Der ganze Schädel wurde blossgelegt, aber trotz der grössten Vorsicht zerfiel er beim
Heben in seine Bestandtheile. Die Ursache davon war die, dass der Leichnam zuerst mit
grösseren Steinblöcken bedeckt wurde, welche am Schädel einige Knochensprünge verursachten
und den ganzen Brustkorb eindrückten. Erst im Laufe der Zeit lagerte das durchsickernde
Wasser feuchten Lehm auf das Skelett ab und füllte die Fugen zwischen den Steinen und
die Höhlungen des Skeletts aus. . . . Bei den weiteren Nachforschungen wurden die übrigen
Theile des Skeletts zu Tage gefördert. Es war mit dem Kopfende nach West, die Füsse
nach Ost gekehrt, jedoch war der Kopf vom Rumpfe getrennt und auf dem Brustkorbe in
schiefer Lage gelegen, so zwar, dass die linke Profilseite nach oben gerichtet war, wobei der
Schädel auf der rechten Kiefer- und Ohrpartie zu liegen kam. Der Brustkorb war durch die
auf den Leichnam geworfenen Steinblöcke eingedrückt und zertrümmert, die Hände über die
Brust gekreuzt, wobei der linke Arm in Folge der Steinlast, welche auf ihm lagerte, in der-
artiger Lage war, dass der Elbogen nach oben gekehrt war. Die unteren Extremitäten waren
in natürlicher Lage, nur beim linken Oberschenkel konnte ich einen Beinbruch feststellen,
indem beim Biossiegen die obere Hälfte des Knochens normal war; als ich aber plötzlich zur
Bruchstelle gelangte, fand ich seine weitere Fortsetzung nicht in der entsprechenden Richtung,
sondern etwa 8 Centimeter nach rechts, an den rechten Schenkelknochen anliegend.
Die Lage des Skeletts lässt es als unzweifelhaft erscheinen, dass ich die Ueberreste
eines Hingerichteten blossgelegt, welcher geköpft, massakrirt und nackt begraben wurde —
nackt, denn nicht ein einziger Knopf, Spange oder sonstiges Objekt fand sich vor, welches
auf ein Kostüm hinweisen würde. Nur ein gebogenes Eisenstück wurde am Fussende vor-
gefunden, und bei genauer Untersuchung stellte es sich heraus, dass es der Bügel eines
Vorhängeschlosses sei und zweifellos ein Bestandtheil der Fussfesseln war. Ausserdem fand
ich etwa ,10 Centimeter über den Brustknochen, dort wo sich die Hände kreuzten, zwei kleine
ungarische Silbermünzen von Ludwig dem Grossen, — Münzen, welche im 15. Jahrhundert in
Bosnien häufig im Umlauf waren. Alle angeführten Umstände sind im Einklang mit dem
Schicksal des Königs Tomasevic und es sind noch manche Anhaltspunkte, welche die Identität
bestätigen. Die gefundenen Knochen gehörten einem Manne im ersten Mannesalter von
untersetzter Statur, was bei Tomasevic der Fall war. Ausserdem zeigt die Schädelformation
eine auffallende Verwandtschaft mit derjenigen, welche ich auf den beiden Bildnissen des
— 425 —
Königs beobachten konnte. Das eine im Besitz der Strossmayer-Galerie in Agram stellt den
König dar. wie ihm Christus im Traume erscheint und ist unzweifelhaft zu seinen Lebzeiten
gemalt. Das andere in Sutjeska ist jünger und bringt denselben Gegenstand zur Ansicht.
Auf beiden ist ein ovales, nach unten zugespitztes Gesicht mit vorstehendem Kinn, hoher
schön gewölbter Stirn charakteristisch und bedingt einen Schadelbau, wie ihn der vom
■^Kraljevski grob« aufweist. Die rrofillinien beider Porträts sind congruent mit denen des
Schädels — ein Beweis mehr zur Identität und davon, dass die Tradition, obwohl sie von
der Phantasie begünstigt und grossgezogen wird, immer einen historischen Hintergrund, eine
positive Basis besitzt, auf der sie der Volksgeist und die dahinziehenden Jahrhunderte aufbauten.
Nach dem Niederbruche des bosnischen Königthums ging der König
von Ungarn gegen die Türken vor. Im Oktober 1463 erschien Mathias
Corvinus vor Jajce und begann die Stadt zu belagern. Die Bosnier, die der
J .' : c e in 1 1 .1 en l'l Lva fäll e n.
426 —
Sultan in der Stadt gelassen hatte, Leisteten bedeutenden Vorschub,
bemächtigten sieh eines Thurmes und rissen von dessen Zinnen die
türkische Fahneherab. Die Besatzung erschrak darüber, gab dieVertheidigung
der unteren Stadt auf und schloss sich in die Burg ein, [während König
Mathias nach kaum viertägiger Belagerung in die untere Stadt einzog. Aber
erst nach achtwöchentlicher Belagerung gelang es, die Besatzung zur (
gäbe des Kastells zu zwingen. Nach der Eroberung von Jajce war [es
leicht, die angrenzende Landschaft den Türken zu entreissen und so kamen
die Landschaften Usora und Dolnji Kraj mit 26 Städten in die Gewalt
des Königs von Ungarn. Im Jahre 1464 rüstete der Sultan ein neues,
30000 Mann starkes Heer aus und zog vor Jajce. Vor der Stadt liess
er grosse Kanonen giessen, aus der er sie beschoss. Sein Heer theilte er
in drei Theile und führte durch drei Tage immer frische Kräfte in die
Bresche. Auf beiden Seiten war der Kampf verzweifelt und wurden Proben
höchsten Heldenmuthes geliefert. Ein Türke erstieg sogar einen Wall,
kletterte auf einen Thurm und war schon im Begriff, das Festungsbanner
von seinen Zinnen herabzureissen, als ihn einer von des Königs Trabanten
daran verhinderte. Er umklammerte ihn und beide stürzten in den Ab-
grund. Emerich Zäpolya, der die Vertheidigung leitete, konnte sich
unmöglich auf 'die Dauer halten und die Stadt wäre verloren gewesen,
wenn er nicht die Nachricht verbreitet hätte, Konig Mathias sei auf dem
Anzüge. Darauf hob der Sultan die Belagerung auf, nachdem er sein
grosses Geschütz in den Vrbas hatte werfen lassen.
König Mathias begann noch im selben Jahre mit |der Organisation
der wiedereroberten Landestheile, die in zwei Banate getheilt wurden,
Jajce und Srebrnik. Damit aber in Bosnien die Erinnerung an das einstige
Königreich wach bleibe, ernannte er den Banus von Macva, Nikolaus von
Ujlaky, 1472 zum Könige von Bosnien. Jajce wurde die Hauptstadt, und
vor seinen Mauern spielt sich durch volle 64 Jahre die Geschichte des
Landes ab. Immer und immer wieder führten Mehmed und Bajazid
türkische Heere gegen Jajce, aber alle Angriffe wurden abgeschlagen.
Nach dem Tode Ujlaky's wurde kein neuer König ernannt. Sein Sohn
nennt sich in einer Urkunde vom Jahre 1492 blos »Dux Bosnae«. Aber
ungarische Bane regieren Bosnien weiterhin. Banus von Jajce war von
1499 — 1501 Graf Franz Berislavic, welchem Balthasar Batthyänyi, Ladislaus
von Kanisza und Johann Bebek folgten. Dann kamen Bartol, Prior von
Vrana, Georg von Zthresemley und Peter Keglevic. Nach dem Tode
König Mathias' erneuerten sich in rascher Folge die türkischen Unter-
nehmungen gegen Jajce. 1500 erschien Sultan Bajazid vor der Festung.
er wurde jedoch von Mathias Corvinus entscheidend geschlagen. Die
Vertheidigung der Stadt wurde aber später immer mehr vernachlässigt,
so dass die Türken in den nächsten Jahren weiter vorrücken und ein
— 427
Gebiet nach dem anderen besetzen konnten. Im Jahre 1520 führten die
Sandschak-Begs von Serbien und Bosnien schwere Schläge gegen die noch
in christlichen Händen befindlichen Theile. Zwornik, die Schutzveste der
Drina, fiel durch Nachlässigkeit des Befehlshabers, Tesanj fiel, der Schlüssel
von Usora. Jajce aber Hess der greise Peter Keglevic nicht fahren und
die Verteidigung dieser Stadt ist das letzte glänzende Denkmal der
ungarischen Herrschaft in Bosnien. Nach der Einnahme von Zwornik und
Tesanj überschritt der Beglerbeg von Bosnien, Ferhad Pascha, mit
I 5 000 Mann die Save, wurde jedoch durch die Hauptleute Paul Tomori,
Jakob Bänffy, Franz Radö, Johann Kallay und Stefan Bardy gänzlich
geschlagen und fiel selbst. Sein Nachfolger Usref Pascha ging, um die
Scharte auszuwetzen, mit dem Pascha von Epirus, Sinan, und mit den
Paschas von Belgrad und Semendria abermals an eine Belagerung von
Jajce. Nachdem die Türken eine Zeit hindurch die Burg vergebens
belagert hatten, gewann es den Anschein, als wollten sie ihre fruchtlosen
Bemühungen aufgeben. Peter Keglevic aber erfuhr, dass dies blos eine
List sei, dass die Türken Halt gemacht, sich unter dem Schutze der
Walder und Schluchten bergen und dort Tag und Nacht Belagerungs-
leitern anfertigen. Keglevic bewachte daher die Mauern noch eifriger,
einen Theil seiner Truppen aber entsendete er in die Wälder, um dort
im Hinterhalt zu stehen, bis ein Kanonenschuss das Zeichen zum Angriff
auf den Feind gäbe. Er ersann aber auch noch eine andere List. Da
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Altes Stadtthor in Jajce.
- 428
es eben am Vorabende eines Festes war, versammelte er die Mädchen
und Frauen und forderte sie auf, vor die Stadt zu ziehen und auf der
»Königswiese^ zu singen und zu tanzen, wie sie es in sicherer Friedens-
zeit zu thun pflegten. Im Laufe der Nacht kamen die Türken mit Belagerungs-
leitern aus ihren Verstecken hervor. Als sie sich der Stadt näherten, hörten
sie lustige Lieder zur Gusla singen, sahen die im Mondenschein tanzenden
muthigen Weiber und angesichts solcher Sorglosigkeit lösten sie auch sorg
los ihre Reihen und warfen die Leitern von sich, um nicht auf die Burg,
sondern auf die Frauen einzudringen. In diesem Augenblick erdröhnt
die Kanone, Peter Keglevic stürmt aus der Festung, die im Hintergründe
stehenden Truppen stürzen sich auf die Türken, die Frauen und Mädchen
greifen zu den Waffen, die Türken werden bis zum letzten Mann nieder-
gemacht.
Bald erschien ein neues Heer vor Jajce. Die Stadt wurde eng ein-
geschlossen und durch anderthalb Jahre belagert. Auf zwei Seiten liess
Ghazi Usref Pascha Minen anlegen und bedrängte die Stadt mit ununter-
brochenem Geschützfeuer. Sämmtliche Wege und Pässe in der Umgebung
wurden besetzt, sodass Jajce von jedem Verkehr nach Aussen abgeschnitten
war, was sich um so fühlbarer machte, als die Mundvorräthe in der Festung
auf die Neige gingen. Bisher erhielt Jajce so ziemlich alle Vierteljahre
frische Vorräthe, während jetzt anderthalb Jahre vergingen, ohne dass es
denkbar war, aus Ungarn frischen Proviant zu verschaffen. Der König
Ludwig hatte zwar 1520 Anordnungen getroffen, dass dies geschehe, unter
Andern waren damit die Bane Franz Batthyänyi und Graf Tahi, wie der
sonst tapfere Michael Török betraut, aber keiner wagte sich an die Aus-
führung der heiklen Mission. Die Türken hatten alle kleinen Burgen in
der Umgebung besetzt und einzelne Janitscharen- Gruppen durchstreiften
das ganze Gebiet und machten es dem Bauer unmöglich, sein Feld zu
bestellen. Bald zeigten sich die ersten Spuren der Hungersnoth, die sich
besonders in der Stadt doppelt fühlbar machte. Sie nahm solchen Umfang
an, dass mancher Bürger vorzog, Weib und Kind zurückzulassen und
heimlich zu fliehen, um sich auf Tod und Leben zu übergeben.
Der tapfere Vertheidiger der Stadt sah ein, dass Jajce, wenn nicht
bald Hilfe komme, verloren sei. Er schickte auf gut Glück einen gewissen
Jure Mrsi6 ab, um Hilfe zu suchen. Diesem gelang es, sich durch den
Türkenkordon zu schleichen und er gelangte nach Ofen, wo er vor dem
König und den versammelten Ständen die Noth Jajces in den grellsten
Farben schilderte. Er erzählte, dass alle Vorräthe bereits aufgezehrt, dass
selbst Pferdefleisch nicht mehr aufzutreiben sei. Eine Mutter, vom Hunger
bis zum Wahnsinn gebracht, habe ihr eigenes Kind in den Vrbas ge-
worfen, um an ihm nicht die Qualen des Hungertodes sehen zu müssen.
Seine Schilderung machte tiefen Eindruck auf Alle und besonders auf
— 429 —
den Grafen Krsto Frankopan, welcher sich erbot, der bedrängten Stadt
Nahrung und Munition zu bringen. Unterdessen wehrte sich Peter
Keglevic sammt seiner tapferen -Mannschaft mit beispiellosem Heroismus
gegen den doppelten Feind — Belagerer und Hunger — und lieferte
dadurch den Beweis, dass der Heldenmuth eines Leonidas selbst in einer
politisch zerrütteten Zeit zum Ausdruck kommen kann. Von den Ver-
sprechungen, welche Graf Frankopan gemacht wurden, blieben wohl zwei
Dritttheile Versprechungen, was aber seiner brennenden Begierde, der be-
drängten Stadt Rettung zu bringen, keinen Abbruch that. Er unternahm
seine Expedition im Frühjahr 1525 und Dank einem Berichte, den er selbst
seinem Freunde, dem Dogen Dandolo von Venedig sandte, sind wir in
der Lage, sie genau zu schildern.
Am iS. April verliess er mit dem geringen Heere, das ihm der König
gab, Ofen und zog nach Kroatien, um es dort zu vervollständigen. Der
König erliess am 29. April an die beiden Bane von Kroatien, Batthyanyi
und Karlovic, den Auftrag, ein Heer zu sammeln und sich dem Grafen
Frankopan anzuschlie.—en. Unterdessen hatte sich dieser bemüht, in Zdenci
bei Brod und in Slobodstina im Belovarer Comitat Mannschaften zu werben,
sich gehörig mit Proviant und Munition zu versehen und liess sich darin
gar nicht beirren, obwohl man ihn von seinem waghalsigen Zuge abzu-
bringen suchte. Beson-
ders Hessen es sich die
beiden Bane angelegen
sein, ihm davon abzu-
reden. Auf diese Ex-
pedition war nicht nur
die ganze Aufmerksam-
keit Kroatiens und Un-
garns, denen sieLebens-
frage war, gerichtet,
sondern auch Europas,
und Papst Clemens
versprach Allen, die sich
an ihr betheiligen wür-
den, denselben Ablass,
welcher bei Jubiläen
den Rompilgern zu
Theil wurde. Im Juni
war das Heer an der
Save versammelt. Es
zählte im Ganzen kaum
etwas über 6000 Mann
Festungsthor in Jajce.
— 430 —
(40QO Reiter, 2000 Fussvolk), und e^ hatten sich ihm nebst den beiden Banen
die tapfersten Magnaten Ungarns und Kroatiens angeschlossen. Wir finden
unter ihnen einige Verwandte Frankopan's, die Grafen Georg Baglay,
[ohann Zrinyi, Peter Krufrc, Georg Orloviö und als Vertreter des Priors
von Vrana, Mathias von Barac, den Grafen Franz Tahi.
Am 7. Juni setzte das Meer bei Svinjar auf 80 von Deshäzy auf Auf
trag des Königs erbauten Booten über die Save. Als die Nachricht vom
Uebergange nach Jajce gelangte, führte Usref Pascha 15 000. Mann dem
Christenheere entgegen. Am 9. Juni, dem ersten Marschtage, stiess Frankopan
auf eine Burg, welche erstürmt und geschleift wurde. Beim Weitermarsche
zeigten sich die ersten Vorposten des türkischen Heeres. Dasjenige
Frankopans war bald argen Plänkeleien ausgesetzt und gegen Abend kam
es zu einem Scharmützel, bei dem besonders Graf Tahi ins Feuer gelangte.
Als die Nacht anbrach, zeigte sich auch der Kern des türkischen Heeres
und beide Heere schlugen ihr Nachtlager, nur von einem schmalen Thale
getrennt, auf. Vor Morgengrauen brach das türkische Heer auf und zog
in der Richtung gegen Jajce, um einen Vorsprung zu gewinnen, sich dann
in zwei Theile zu scheiden und womöglich dem nachfolgenden christlichen
Heere in die Flanken zu kommen und es zu erdrücken. Der anbrechende
10. Juni brachte in der That scharfe Kämpfe, und das Christenheer er-
reichte nur mit schwerer Noth Abends Bocac. Unter ununterbrochenen
Plänkeleien seitens der Türken kam es am 1 1. Juni Jajce nahe. Frankopan
ertheilte dem Peter Kruzic die schwierige Mission, mit einer kleinen Ab-
theilung den türkischen Kordon zu durchbrechen und die mitgeführten
Vorräthe in die Stadt zu schaffen, wahrend er selbst sich gegebenenfalls
in eine Schlacht mit dem Türkenheere einlassen wolle, um die Auf-
merksamkeit des Feindes von den Bewegungen Kruzic's abzulenken.
Frankopan und Tahi nahmen das ihnen von den Türken angebotene
Treffen auch an. Der Kampf war heiss, die Entscheidung schwankte. Unter-
dessen war es Kruzic gelungen, in die Stadt ^einzudringen, wo er von der ver-
zweifelten Besatzung mit Jubel empfangen wurde. Als er die Vorräthe
untergebracht hatte, kehrte er zurück. Man hatte an dem Gelingen seiner
Mission gezweifelt und gab ihn verloren. Als er aber, von Peter Keglevic
und anderen von der Besatzung unterstützt, an der Schlacht theilnahm, lebte
der Muth des christlichen Heeres von Neuem auf und Frankopan errang
einen glänzenden Sieg. Istvanfi berichtet, dass Sinan Pascha auf der Flucht
erschlagen wurde, dass sämmtliche türkische Geschütze erbeutet und in
der Festung aufgestellt wurden, während das kostbare Zelt Ghazi Usref
Pascha's mit 60 Fahnen und zahlreichen kunstvollen Geräthschaften in die
Hände Frankopan's gelangten, der sie dem Könige nach Ofen sandte.
Aus dem Berichte FYankopan's an den Dogen Dandolo ist zu ent-
nehmen, dass sein Heer, nachdem es seine Mission so glänzend erfüllt
431 —
hatte, eine Meile weit von Jajce entfernt übernachtete und am andern
Tage den Rückmarsch antrat. Batthyänyi und Tahi, die es für klüger er-
achteten, in aller Stille den sichersten Weg zum Rückmarsche zu wählen
und die auch ein besiegtes Türkenheer nicht für geheuer hielten, schlugen
vor, den viel sicheren Weg über Kamengrad zu nehmen. Frankopan
aber erklärte stolz, er werde sein Heer denselben Weg zurückführen, den
er es hergeführt, und sei er noch so gefahrvoll. In der That übersetzte
er unter ununterbrochenen Plänkeleien am 12. Juli die Save.
Der Sieg von Jajce, welcher dem Heldenmuthe Frankopan's und
Keglevic's zu verdanken ist und ersterem den Ehrentitel »Regnorum Dal-
matiae, Croatiae et Slavoniae specialis tutor atque protector«, den ihm
König Ludwig beilegte, einbrachte, genügte leider nur, um die Lebensfrist,
welche der Stadt Jajce beschieden war, um drei Jahre zu verlängern. Am
5. August 1526 wurde die verhängnissvolle Schlacht bei Mohacs geschlagen.
Die Panik, welche sich nach dieser Ungarn verderbenden Schlacht der
ganzen Christenheit bemächtigte, schloss jede bedeutendere Aktion gegen
die vordringenden Türken aus. Während Ferdinand, dem Nachfolger des
bei Mohacs gefallenen Königs Ludwig, der Besitz der Länder der Stefans-
krone von Zäpolya streitig gemacht wurde und Ungarn vor einer endlosen
Reihe von Bürgerkriegen stand, wuchs die Macht der Türken zusehends.
Jetzt war auch für den Vezier Ghazi LTsref Pascha der Zeitpunkt ge-
kommen, seine Niederlage von 1524 wettzumachen. Der tapfere Ver-
theidiger von Jajce, Peter Keglevic, welcher bedeutend gealtert war, sehnte
sich nach Ruhe und übergab die Stadt dem König Ferdinand, der unter
Stefan Grbonog und Kozijaner in sie eine deutsche, mit der türkischen
Kriegführung gänzlich unerfahrene Besatzung legte. Als im Jahre 1527 das
vereinigte Heer Usref Paschas und des serbischen Veziers Mehmed Jahioglu
vor Jajce erschien, hielt die Stadt nur eine zehntägige Belagerung aus.
worauf die beiden Vertheidiger gegen freien Abzug die Stadt den Türken
und ihrem Schicksale überliessen. Dadurch kam der letzte Theil von
Bosnien in die Gewalt der Türken. Eine Stadt nach der andern wurde
vom Vezier genommen und als auch der Vertheidiger von Banjaluka,
Andreas Radulovic, die Vertheidigung aufgab, die Stadt in Brand steckte
und sich über die Save zurückzog, waren die Osmanen Herren des ganzen
bosnischen Königreiches. Dieses hatte gänzlich aufgehört zu existiren und
Jajce sank von seiner ursprünglichen Grösse in die Vergessenheit. Erst
nach Jahrhunderten, im August 1878, musste wieder um Jajce gekämpft
werden. Wieder waren es die gleichen Gegner. Die mohammedanischen
Begs stellten sich den einmarschirenden österreichisch-ungarischen Truppen
unter dem Herzog Wilhelm von Württemberg im Pliva-Defile entgegen.
Sie leisteten Wunder der Tapferkeit, aber sie wurden entscheidend ge-
schlagen und am 7. August wurde Jajce, hoffentlich für immer, besetzt.
432
Medvedkula in Jajce.
Und wegen seiner interessanten geschichtlichen Vergangenheit gilt
auch einer der ersten Gänge in Jajce stets dem Kastell, von dem man
eine entzückende Aussicht über die ganze Gegend geniesst. Weithin
nach Westen erstreckt sich unter dem senkrecht abfallenden Felssturze
der unvergleichlich schöne Anblick der Seen von Jezero, die sich in
Katarakten einer in den anderen stürzen, an ihren nördlichen Ufern von
kahlen Felsterrassen, an den südlichen von üppig bewaldeten Gebirgen
umsäumt, aus welchen die Pyramiden des Ottomal, des OStro-Brdo und
bei dem letzten Wasserfall, mit alten Ruinen und kleinen Häusergruppen
gekrönt, diejenigen von Zaskopolje emporragen. Letzteren gegenüber auf
kahlem Felsen steht die einsame kleine Moschee von Mile. Nach Norden,
jenseits des steilen Hanges, in welchen der Festungsberg abfällt, breiten
sich an den beiden hohen Ufern des tief gebetteten Vrbas fruchtbare
Felder aus, unter diesen am linken Ufer jenes Kraljevopolje, das in der
Keglevic-Sage -- wie früher erzählt — als Tanzplatz der Mädchen erwähnt
wird. Näher, hart unter der Burg und neben dem zu ihr hinaufführenden
Wege erhebt sich, von türkischen Friedhöfen umgeben, ein kleiner pyra-
midenförmiger Hügel, auf welchem einst das Sommerlustschloss der alten
28
— 433
Könige gestanden haben soll. Hart am Wege liegen die Gräber der
Familie Kulinovic, tiefer einzelne Türkenhäuser, in deren Hofraum man
hinabsieht. Stromab an der rechten Seite des Vrbas ziehen sich zahlreiche
Dörfer hin, meist Vakufgründe, die von Usref-Beg der Begova-Dzamija in
Sarajevo gestiftet wurden. Gegen Südosten sehen wir an der sanft ab-
fallenden Lehne des Berges die Altstadt hingebreitet, umschlossen vom
Bette des Vrbas und der Pliva und den von der Burg zu den Flüssen
hinablaufenden zinnengekrönten Festungsmauern. Aus ihrer nach der Pliva
absteigenden Linie erhebt sich das Banjalukaner Thor, während aus der
dem Vrbas zustrebenden Mauer das Travnik-Thor mit seiner, einen mächtigen
Thurm tragenden Wölbung emporragt. Im Osten aber baut sich die
mächtige Pyramide des Hum auf, die des letzten bosnischen Königs Grab
trug und hinter ihm, als eine leichte bläuliche Linie am fernen Horizont
gezeichnet, der Vlasic, die höchste Erhebung des bosnischen Mittellandes.
Es ist ein unsagbar schöner Anblick, auch wenn er auf die Stadt
fällt, die auf einem nicht allzu hohen Hügel aufgebaut ist, der an der Pliva-
und Vrbasseite steil abfällt. Nur der an der Xordwestseite liegende Stadt-
theil Volujak besitzt ein minder abwechselndes Niveau. Im Osten liegt
der Stadttheil Kozluk, der sich auf den letzten Ausläufern des Humgebirges
verläuft. Ueberall sieht man die türkischen Holzbauten, wie Schwalben-
nester an die Lehnen geklebt, baufällig und gebrechlich, dabei so malerisch,
dass Tausende von Motiven für Künstler gefunden werden können. Und
mitten aus dem Gewirr der eigentlichen Stadt erheben sich die Spitzen
der Minarets, die neuen ziegelgedeckten europäischen Häuser, in der Ebene
das Franziskanerkloster mit seiner Kirche, — alles zusammen aus der Vogel-
schau ein bezauberndes Ganzes bildend.
Doch wenden wir uns dem Kastell selbst zu, das einer genauen Be-
sichtigung werth ist. Es ist ja auch heute nicht vergessen und verlassen,
es dient noch immer der kleinen Garnison als Aufenthalt. Den Grund-
stein zum Kastell legte, wie früher erwähnt, Herzog Hrvoja, doch hat es
durch spätere Zubauten so viele Veränderungen erfahren, dass die Grund-
form nicht die ursprüngliche ist. Die ältesten Befestigungsanlagen waren
auf die Akropole beschränkt. Heute ist diese öde, und wo früher umfang-
reiche Bauten standen, sind nur einige nothdürftig aufgeführte Gebäude,
die militärischen Zwecken dienen. Die Mauer selbst ist stellenweise und
besonders an der Plivaseite in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Ein
regelmässiges, gut gearbeitetes Quaderwerk zeichnet sie aus, während die
späteren Zubauten in der Ausführung minder exakt, die neueren Datums
sogar roh sind. Im Grundriss zeigt die obere Kastellmauer — ich folge
hier den wissenschaftlichen Untersuchungen des Custos Dr. Truhelka —
die Form eines unregelmässigen länglichen Ovals, sie ist stellenweise über
10 Meter hoch, die vorhandenen Ueberreste deuten aber nirgends auf einen
434 —
Thurmbau, welcher in früheren Zeiten der Hauptbestandteil einer Be-
festigung war. Nur an der Xordseite, gegen Volujak zu, befinden
die Ueberreste einer Bastei, die aber türkischen Ursprungs ist. Zum Kastell
führte von der Plivaseite ein Thor, während ein anderes in entgegen-
gesetzter Richtung nach dem ausserhalb der Festungsmauer liegenden
Stadttheile Volujak führt. Neben dem Plivathore, einige Schritte links,
befinden sich die Ueberreste eines Thorbaues, welcher mit einem Wappen-
bilde gekrönt ist. Die Pfeiler des Thores, welches heute vermauert ist,
sind an der Aussenseite reich gegliedert und ihr Profil zeigt ein stufen-
förmig abfallendes System von Hohlkehlen und Rundstäben. Dasselbe
Profil setzt sich ohne Zwischenglied am flachen Bogen, der die beiden
Pfeiler verbindet, fort. Oberhalb des Portals ist ein von gezackten Bogen-
schnitten umrahmtes, durch zwei kleine Säulen in drei Theile getheiltes
Feld, wovon das mittlere mit einem Wappenbilde verziert ist. Vor diesem
Thore befand sich früher ein viereckiger kleiner Vorbau, der abgetragen,
wurde und wovon nur noch die Grundmauern sichtbar sind. Es wurde
vielfach behauptet, dass dieser Vorbau eine Kapelle gewesen und dass unter
jenem Wappen das Grabmal eines bosnischen Königs — Tvrtko I. —
sich befand, eine Meinung, die nicht mehr stichhaltig erscheint. Die
ganze Anlage des Vorbaues, soviel davon ersichtlich ist, zeigt mit einem
Kapcllenbaue keine Aehnlichkeit. Der Vorbau stammt entschieden erst
aus der türkischen Epoche, wofür das rohe Quaderwerk deutlich spricht,
und dass er stockhoch aufgeführt war, — was bei einer Kapelle kaum
der Fall sein dürfte — dafür spricht der oberhalb der Thorbekrönung deut-
lich sichtbare Mörtelverputz des oberen Traktes mit den darin befindlichen
Balkenspuren.
Dass dies nicht Tvrtko's Denkmal sei, folgt schon daraus, dass dieser
König 1391 starb, während Jajce erst zu Anfang des 15. Jahrhunderts
durch Hrvoja gegründet wurde. Wir haben hier unzweifelhaft einen Thor-
bau vor uns, welchem die Türken später einen Vorbau anfügten, der als
Wachthaus diente. Später wurde er abgebrochen, die Thoröffnung ver-
mauert und einige Schritte daneben, nach rechts, wurde ein anderes Kastell-
thor— das noch heute bestehende Plivathor — gebaut. Das Wappen am
Thore zeigt eine dreizackige Lilienkrone; es ist von einem Helme gekrönt,
auf dem sich dieselbe Krone befindet. Der dem Helme als Agraffe
dienende Lilienbusch und der längs des Wappens herabfallende Wappen-
mantel sind plump ausgeführt und die Stilisirung des Faltenwurfes ist roh.
Dieses Wappen wird für dasjenige Tvrtko's gehalten, was aber nicht stich-
haltig ist. Die Lilienkrone ist das Wappenbild, dessen sich alle Könige
Bosniens bedienten, es wurde nur durch einzelne Zuthaten modifizirt. So
finden wir z. B. auf den Münzen Tvrtko's I. unter der Lilienkrone regel-
mässig den Buchstaben T, nie aber die Krone allein. - ein Anhaltspunkt
— 435 —
dafür, dass sich Tvrtko der Krone mit seinem Initiale als Wappenbild
bediente. Nur auf einer Münze des Königs Thomas steht im Wappenfelde
die Krone allein, während dies auf den meisten Münzen Tomasevic's der
Fall ist, bei denen sich nur auf einigen unter der Lilienkrone eine Perle
befindet. Nachdem König Thomas selten oder nie in Jajce weilte, während
Stefan Tomasevic hier seine Residenz aufschlug, glauben wir nicht fehl-
zugehen, wenn ihm das obige Wappen zugeschrieben wird.
Eine der ältesten Zubauten zum Kastell ist der um ein Beträchtliches
tiefer gelegene runde Thurm an der Südseite, von welchem heute nur
ein Stockwerk erhalten ist. Er ist auf einem Abgrund roh aufgebaut, von
massivem Mauerwerk umschlossen. Dieser Thurm war es, den Mathias
Corvinus zuerst in seine Gewalt bekam und von welchem aus er seine
Belagerungsoperationen leitete. Von diesem Thurme stürzten der Türke
und der Ungar (vergl. die geschichtliche Uebersicht) bei dem Kampfe um
das Festungsbanner in den Abgrund. Später wurde der Thurm als Kerker
benutzt und der Volksmund bezeichnet ihn noch heute als Kerkerthurm
(Hapsahana). Ein anderer späterer Zubau ist der einige hundert Schritte
in gleicher Höhe mit dem vorigen stehende Uhrthurm (Sahat-kula),
ein viereckiger roher Bau, von dem ein Stockwerk noch erhalten ist
und unter dem sich ein Durchgang befand. Beide Thürme waren unter-
einander und mit dem Kastell durch Mauern, deren Ueberreste in den
Häusergruppen heute nur noch schwer sichtbar sind, verbunden. Hier,
wo der Uhrthurm und das Haus des Sulejman Beg Dzabic stehen, befand
sich früher der königliche Palast, ein Bau, über dessen architektonischen
Stil zahlreiche in den Kastellmauern eingemauerte Ueberreste Aufschluss
geben. Dieselben sind schöne, stilvoll und sorgfältig ausgeführte Details
in venetianischer Gothik, wie sie zu Ende des 14. Jahrhunderts in Blüthe
stand. Wenn man diese Fragmente betrachtet, glaubt man unwillkürlich,
sie einmal früher an irgend einem Palaste Venedigs gesehen zu haben.
Nach ihnen zu schliessen, war der Königspalast für bosnische Zustände
ein Monumentalbau.
Unter diesen Fragmenten sind hervorzuheben: zwei gothische, schön
gearbeitete Kapitale mit Akanthus-Motiv und Rosetten an dem geschweiften
Abacus. Dieselben befinden sich dicht nebeneinander auf einem schön
profilirten Gesimsstück, mit plastisch ausgeführtem gedrehten Seilmotiv
und Zahnschnitten darunter und sind in die Plivamauer rechts vom Thore
in ziemlicher Höhe eingemauert. Ein ähnliches Gesimsstück ist gleich da-
neben und ein anderes einige Schritte nach rechts vertikal eingemauert.
Am Kastell, in den Pulverthurm eingemauert, befindet sich das Fragment
eines Arkadensockels. Die Profile der beiden Gurtbogen-Ansätze sind
schön gegliedert und oben mit einer doppelten, schachbrettförmig ab-
wechselnden Zahnschnittreihe verziert. Zwischen den Bösen befindet sich
- 436 —
eine durchbrochene Rosette, wie sie an den Arkaden venetianischer Palast-
bauten häufig zu sehen sind und beiderseits davon je ein kleiner, erhaben
gemeisselter Stern. Oberhalb der Thür des Pulvermagazins befinden sich
noch zwei sorgfältig- ausgeführte Kapitale und unweit davon eine l'feiler-
verkröpfung mit Kapitalen, welche ein ähnliches .Motiv aufweisen. Schliesslich
befindet sich in den Treppen, welche zur obersten Terrasse am K
führen, das Fragment eines schön profilirten Sockelstückes einer Wand.
Aus diesen Ueberresten Hesse sich mit einiger Mühe das dekorative
architektonische Motiv des Palastes rekonstruiren, aber die Form und der
Umfang desselben bleiben ein Geheimniss, da die Grundrissform in Folge
L u käst hur m in Jajce.
späterer Bauten gänzlich verwischt wurde und nur noch die Tradition die
Stelle bezeichnet, wo der Palast stand. Die Türken begnügten sich nicht
mit der oben angeführten Erweiterung der Befestigungen von Jajce. sie
dehnten diese aus, ohne dass dadurch zur Sicherheit der Stadt mehr bei-
getragen wurde. Einerseits wurde vom runden Thurme eine Mauer längs
der steilen Felswand an der Plivaseite gezogen, andererseits wurde eine
Mauer von der Bastei in nahezu paralleler Richtung mit der Ersteren auf-
geführt und beide führten zum Vrbas, dessen linkes Ufer schroffe Kalktuff-
wände unzugänglich machen. So wurde auch derjenige Stadttheil, welcher
sich über die zwischen dem Yrbas und der Pliva liegende Landzunge er-
streckt, in den Festungsring eingezogen. Diese Mauer besitzt zwei Portal-
thürme, die eine ziemlich breite, unregelmässige Strasse, die gegenwärtige
Franz-Josefstrasse, verbindet.
Aber Jajce nennt sich auch eine Stadt des Evangelisten Lukas!
Nach der Kirchengeschichte soll der Evangelist zwar in Theben in Böotien
gestorben und sein Leichnam auf Befehl des byzantinischen KaisersKonstantin
nach Konstantinopel überführt worden sein, aber die Lokaltradition von
Jajce weiss es besser, der heil. Lukas lebte und malte in Jajce, hier starb
er und sein Leichnam wurde an die Yenetianer verkauft. Hundert Schritte
unterhalb des Kerkerthurmes steht ein echt italienischer Campanile, der zu
einer Kirche gehört haben muss. Diese Kirche, St. Lucas genannt, wurde
nach der Eroberung von Jajce von den Türken in eine Moschee um-
gewandelt, aber nach einem Brande verlassen. Heute sind nur noch die
kahlen Wände sichtbar und der Thurm selbst zeigt mancherlei Sprünge.
Vier hohe massive, mit je einem schmalen länglichen Fenster versehene
Wände dienen ihm als Unterbau und auf diesem sind drei Stockwerke auf-
geführt. Die Fenster der einzelnen Stockwerke sind auf jeder Seite durch
je zwei mit Bögen verbundene Doppelsäulen in drei Theile getheilt in
den unteren Etagen gut erhalten, während sie in den oberen vermauert
sind. In die innere Kirchenmauer ist ein altchristlicher Grabstein ein-
gemauert, welcher, der plastischen Ausführung nach dem Verfalle römischer
Kunst angehörend, den symbolischen Motiven zufolge der frühesten Zeit
des Christenthums angehört. Die Platte ist mit einem Rahmen verziert,
dessen Hauptmotiv das auf den altchristlichen Skulpturen so häufig vor-
kommende Traubenmotiv ist. In diesen jRahmen ist oben eine runde
Brotscheibe, unten ein Weinkrug eingemeisselt, während sich in der Mitte
zwei einfache Rosetten befinden.
Die Sage erzählt von der Lukaskirche:
Die Kirche erhielt ihren Namen von den Ueberresten des Evangelisten Lukas, welche
dein Könige Stefan Tomasevic von seiner Gemahlin Mara, der Tochter des serbischen Des-
poten, als Mitgift zugebracht und hier aufbewahrt wurden. Das klingt schon annehmbarer,
als dass Lukas in Jajce gelebt haben soll. Als Konstantinopel von den Türken erstürmt
wurde — so heisst es — wurden die Ueberreste des heiligen Lukas nach der Burg Rogos
in das Gebiet des Herrn von S. Mauritius gebracht, ohne dass es bekannt wäre, auf welche
Art. Als diese Burg von den Türken erobert wurde, kam auch die Reliquie in den Besitz
der I-lamiten, die sie mit ehrfurchtsvoller Scheu verehrten. Als der Despot Georg Brankovic
von seinem Ahnen erfuhr, dass die Türken im Besitz dieser kostbaren Reliquie seien, bot er
ihnen dafür 30000 Dukaten an und als das Angebot angenommen wurde, Hess er sie nach
Semendria übertrafen. Als König Stefan Thomas Semendria den Türken abtreten wollte, kam
die Reliquie nach Telzach (T und als sich auch dieses nicht mehr halten konnte, wurde sie
nach Jajce übertragen. Dies sind die Daten, welche der Herzog von Spalato, Andreas Veniero,
im Auftrag der Republik Venedig am 15. September 1463 dem Dogen berichten konnte,
und als seine Gewährsleute erwähnt er die Königin von Bosnien, Xikola Civatovic, Jovan
Babic und Jovan Kurie. Als im Jahre 1463 das Türkenheer gegen Jajce zog und der König
flüchtete, suchte Jeder zu retten, was zu retten war und die Franziskaner bemächtigten sich
iles heiligen Leichnams, um ihn nach Ragusa zu bringen. Als sie ihn aber auf einem Pferde
des Klesic über die Grenze führen wollten, wurden sie daran von dem der Königin Mara
zugethanen Vojvoden Ivanis Vlatkovic gehindert. Die Kagusaner glaubten sich durch diese
— 43s —
Reliquie ein Palladium zu erwerben, welches sie vor Türkeneinfällen schützen würde und
obwohl .-ich l.isselbe bei Jajce nicht bewährt hatte, war ihnen viel daran gelegen, es zu er-
halten. Am 13. Juli 1463 liess der Rath von Ragusa an [vanis ein Schreiben ergehen, worin
derselbe ersucht wurde, die Reliquie passiren zu lassen und zugleich wurde der Gesandte
G indulic betraut, mit [vanis mündlich Rücl zu nehmen. Letzte]
blickte in dem Betragen der Fran iskaner bei dieser A.i mächtigkeit,
d im die Reliquie war Krons- und nicht Kircheneigenthum und stand das Verfügungsrecht
darüber nur dem Könige und nach seinei 1 ide der Königin Mara zu. Er nahm sie auch in
lag und liess sie auf Auftrag der Königin nach Venedig bringen, wo sie der Republik
zum Kauf angeboten wurde. Der Rath fand die Reliquie nicht preiswürdig und verhielt sich
aend. Sie wurde in das Kloster Santa Justina nach Padua gebracht und die dortigen
skaner sollen, über die Reinheit befragt, diese in Zweifel gezogen haben, obwohl der
Kardinal von Xieäa, Bessarion, für sie einstand und den Glauben, welchen die Bosnier in
die Reliquie setzten, mit Beweisgründen unterstützte. Hierauf beauftragte der Doge
Christoforo Moro den Herzog von Spalato, Yeniero, über die Echtheit Erkundigungen ein-
zuziehen. Königin Mara führte ein drastisches, wenn auch nicht schlagendes Argument dafür
uif und schreibt au [vanis Vlatkovic: »Che '1 siL,rnor despoth Zeorzi ed signor despoth Razaro
tum ze stadi tal inteletto, che havesse dato tanti ducati non sapiando di certo : utrum fosse
s. Luca o no.« (Der Herr Despot Georg und der Herr Despot Razar waren wohl zu ver-
nünftig, als dass -ie so viele Dukaten hergegeben hätten, ohne genau zu wissen, ob es der
heilige Lukas sei oder nicht/ Die Cdeichgiltigkeit, welche die Republik in dieser Angelegen-
heit zur Schau trug, veranlasste die darüber erbitterte Königin, I vanis zu beauftragen, den
Handel abzubrechen und die Reliquie ihr zu überbringen. Ihre Erbitterung über die Vene-
lianer zeigt sie sehr deutlich in den Worten, womit sie ihren Rrief schliesst: »Obwohl ich die
Italiener nicht so gut kenne als liir, so kann ich doch behaupten, die Signorie sei wohl
und klug, aber sehr geizig, obwohl reich.« Hierbei leitete Mara gleichwohl ein anderes
Motiv, denn sie fand in dem König Mathias von Ungarn einen Käufer für die Reliquie, welcher
ihr drei oder vier Kastelle dafür »in perpetuum« zusagte. Als die Venetianer von diesem
Konkurrenten erfuhren, wollten sie ihm wohl nicht nachgeben und schienen sich zum Ankauf
der Reliquie geneigter zu zeigen. Darüber jedoch, ob und zu welchem Preise sie schliesslich
veräussert wurde, ist nichts bekannt. Xur wird sie noch heute in der Basilika San Marco
in Venedig gezeigt und neben einem eigenhändig von Lukas gemalten Bilde der Madonna
verehrt. Jedenfalls ist dieser Heiligenschacher ein recht erbauliches Sittenbild aus der Zeit
der Türkenkriege.
Nicht weit vom Lukasthurm und unmittelbar am Sockel der Felsen-
partie, welche das Kastell von Jajce trägt, befindet sich, halb versteckt
unter Gebüsch, eine Oeffnung, die über einige Stufen zu einer der
originellsten Bauten in Bosnien, zu einem Felsentempel führt. Oberst
Gustav Bancalari hat im Jahre 1887 in der Wiener » Deutschen Rundschau
für Geographie und Statistik« zuerst die »Katakomben von Jajce« ein-
gehender beschrieben und nach den Plänen des damaligen k. k. Majors
Reis vom Geniestabe einen Plan derselben veröffentlicht. Seither sind
nähere Untersuchungen im amtlichen Auftrage von Dr. Truhelka erfolgt*)
und ihnen folgen wir im Wesentlichen bei der nachstehenden Schilderung.
*) Die Katakomben von Jajce«, Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und d< r
Hercegovina, 2. Band, S. 94 — 107. Wien, 1S04.
439 —
Die Erlaubniss zum Besuche der Katakomben, die man lange für
die unterirdischen Grüfte der bosnischen Könige hielt, erhält man bei der
Bezirksbehörde. Ein Wächter leitet den Fremden. Sobald man einige
Stufen abwärts gestiegen, tritt man durch eine kleine eiserne Thür in den
engen Vorraum des unterirdischen Gotteshauses (denn ein solches ist es),
von welchem eine weitere Thür in die Innenräume führt. Schwarz sind
die Wände, dadurch allerdings den düsteren Eindruck einer Todtenherberge
hervorrufend. Der ganze Bau ist mit vieler Mühe in die Felsen gehauen.
Die einheimische Bevölkerung nennt ihn keineswegs »Katakomben«, mit
denen er auch nur die unterirdische Lage und das Material gemeinsam
hat, sondern mit dem türkischen Worte »halvat« = Einsiedeleien, Klausuren.
Die bekannten Katakomben von Rom, Neapel etc. sind Netze von engen,
verschlungenen, vielfach verzweigten, viele Kilometer weit fortlaufenden
Gängen, die sich nur stellenweise zu kleineren Hallen erweitern, während
wir in den Katakomben von Jajce eine nach einem einheitlichen archi-
tektonischen Plane ausgeführte Baulichkeit, ein christliches Gotteshaus mit
allem Zubehör erkennen. Einigermaassen erinnert es an die alten indischen
Tempel, die ebenfalls in Felsen ausgehöhlt wurden. Eigenthümlich ist nur
die Erscheinung, dass dieses Baues, zu dessen Herstellung ein gut Stück
Arbeit aufgewendet worden sein mag, in gar keiner älteren geschichtlichen
Aufzeichnung Erwähnung gethan wird und dass die Ueberlieferung über
die Entstehung dieses Denkmales im Laufe der Zeiten vollständig ver-
loren ging. Wenn wir die »Katakomben« auch noch so eingehend
besichtigen, so bietet sich uns doch kein Fingerzeig, welcher es ermög-
lichen würde, die Entstehung derselben mit einiger Sicherheit der einen
oder der anderen Kulturepoche zuzuschreiben und die Zeit ihrer Gründung
auch nur annähernd festzustellen. Am empfindlichsten macht sich in
dieser Hinsicht der gänzliche Mangel an ornamentaler Ausschmückung
und architektonischen Details, wie Säulen, Kapitalen u. s. w. fühlbar. Wir
sind daher gezwungen, unsere ganze Aufmerksamkeit dem Anlageplan
zuzuwenden, der aber gleichfalls zahlreiche Widersprüche aufweist.
Die unterirdische Anlage in dem Felsen würde auf die erste Zeit
des Christenthums als Entstehungszeit hinweisen, als dieses noch gezwungen
war, im Schoosse der Erde vor Verfolgungen Schutz zu suchen, während
die Finzelanlage des Baues, seine Eintheilung und Gliederung, die Art
der Ausführung und insbesondere die unter dem Hauptbaue angebrachte
Krypta, auf das Zeitalter des romanischen Stiles, also auf eine frühere
Periode des Mittelalters deuten und endlich in den Gewölben auch
rein gothische Formen gefunden werden, welche erwiesenermaassen erst
gegen den Ausgang des Mittelalters zur allgemeinen Anwendung gelangt
sind. Diese gothischen Motive — die in eine Spitze auslaufenden Wöl-
bungen — sind übrigens im vorliegenden Falle für die Altersbestimmung
— 440 —
belanglos, weil bekanntermaassen der Spitzbogen, den wir schon bei den
alten babylonischen Baudenkmälern und in abgeänderter Form auch in
Mykenae finden, viel älteren Ursprungs ist, als der Rundbogen. Xur die
Konstruktion des Spitzbogens, wie wir sie an rein gothischen Bau
denkmälern finden, könnte einen Anhaltspunkt liefern. In dem vor
liegenden Falle aber ist es schwer, Motiv und Konstruktion auseinander
zu halten, weil die Wölbungen nicht durch regelmässiges Aneinanderfügen
von Stein zu Stein hergestellt, sondern aus einem einzigen riesigen Fels-
blocke ausgehauen sind. Die Regelmässigkeit dieser Bogen und die
wohlüberlegte Anwendung derselben führen zu der Ansicht, dass wir in
diesen Formen eine Anlehnung an eine länger dauernde bauliche Tradition
zu suchen haben. Die Unsicherheit und Unvollständigkeit aller urkund-
lichen Denkmäler war Ursache, dass es bisher Niemand wagte, sich ein
Urtheil über die Entstehungszeit dieses Baues zu bilden.
Da wurden vor einigen Jahren unter einer im Verlaufe der Zeit ge-
schwärzten und vom Felsen kaum zu unterscheidenden Kalkschicht verdeckte
Skulpturen gefunden. Unmittelbar an der Thür zeigen sich die Umrisse einer
menschlichen Gestalt, deren Füsse schon unter das Niveau des Fussbodens
fallen. In der Rechten hält diese Figur eine Lanze, in der Linken den
Knauf eines mächtigen Schwertes. Gegenüber dieser Figur, an der linken
Seite der Thür, ist eine heraldische Darstellung angebracht. Dieselbe zeigt
einen grossen Helm von der zu Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahr-
hunderts üblichen Form, auf dessen Kamm sich ein Schild befindet, von
welchem ein Wappenmantel niederwallt. Oberhalb des Schildes ist ein
Arm dargestellt, der ein grosses Schwert schwingt. Die ganze Komposition
wird von einer klaffenden Spalte durchschnitten, die mit Steinen und Kalk
ausgefüllt war. Dieses Wappen war vom Künstler erst begonnen und nur in
seinen Umrissen angedeutet; denn offenbar musste er die Arbeit abbrechen,
ehe es ihm vergönnt war, dieselbe zu plastischer Vollendung zu bringen.
Die einzige hervorragende Persönlichkeit in der Geschichte Bosniens.
welche den schwertbewehrten Arm im Wappen führt, ist der Grossvojvode
von Bosnien und Herzog von Spalato, Hrvoja. Auf der rechten Seite der
Thür findet sich die Ergänzung. Hier hatte der Künstler gleichfalls eine
Komposition begonnen, eine weibliche Gestalt, welche in der Linken eine
Lilie, das zweite Sinnbild Hrvoja's, hält. Die Auffindung dieses Wappens
hat Licht gebracht in das Dunkel, welches bisher über die Entstehungszeit
der Katakomben herrschte, denn nun können wir mit voller Sicherheit
Hrvoja als deren Gründer annehmen. Aus der Geschichte wissen wir, dass
V
die Zupa Dolnji Kraj (Unterland), in welcher Jajce lag, 1 Irvoja unterthan
war, der schon im Jahre 1404 den Titel >Vojvoda dolnjih kraj« führte;
ebenso ist bekannt, dass Hrvoja nach seiner Entzweiung mit dem bosnischen
Könige Ostoja und nach seinem Anschlüsse an König Sigismund von Ungarn
441 —
von diesem im Jahre 141 1 im Besitze des Unterlandes bestätigt wurde. In
diesem letzteren Jahre weilte Hrvoja in Jajce, wahrscheinlich um den An-
schluss an das ungarische Heer, das bosna-aufwärts gegen Ostoja im
Anzüge war, abzuwarten. Am 27. April 141 1 erliess Hrvoja von Jajce aus
den Aufruf an seine Spalatiner, sich von Ostoja loszusagen, und am
2. März 14 12 fertigte er zu Jajce die Schenkungsurkunde, welche der Königin
Katharina das ihm vom Ragusaner Rath geschenkte Haus überträgt.
Es wird nun keineswegs angenommen, dass Hrvoja, der in Spalato
so viele künstlerisch ausgeführte Gebäude kennen gelernt, sich mit der
Absicht getragen habe, in diesen Katakomben sich ein originelles Denkmal
zu errichten. Eine derartige vorchristliche Idee wäre in einer Epoche, in
welcher sich schon die Renaissance an der dalmatinischen Küste bemerkbar
machte, nicht am Platze gewesen. Viel mehr Wahrscheinlichkeit hat die
Annahme, dass sich hier einst eine natürliche Höhle befand, welche zur
Kirche umgestaltet worden war und sodann von Hrvoja während seines
Aufenthaltes in Jajce erweitert und verschönert wurde, wodurch die
Katakomben ihre gegenwärtige Gestalt erhielten. Ueber den Zweck dieses
Tempels klären uns die theils fertiggestellten, theils begonnenen Sarkophage
in den Wänden und vor allem die unter der Kirche selbst befindliche
Krypta auf. Wahrscheinlich beabsichtigte Hrvoja, hier eine letzte Ruhe-
stätte für sich und seine Familie anzulegen. Die Ueberlieferung sagt, dass
hier die Gruft der bosnischen Könige sei; wir aber wissen, dass von den
alten bosnischen Königen, mit Ausnahme des letzten derselben, kein einziger
in Jajce starb. Ostoja war der Todfeind Hrvoja's, König Thomas fiel
durch Mörderhand auf dem Bilajsko Polje und Stefan Tomasevic gönnte
das Schicksal nicht einmal ein christliches Begräbniss; erst 1888 fand er
eine Ruhestätte in Jajce selbst!
Im Uebrigen blieb der Bau unvollendet und von seinen Schicksalen
ist wenig bekannt. Die Bewohner von Jajce sagen, dass er einst als
Kerker gedient habe; zur Zeit der Feldzüge Omer Paschas flüchteten die
Weiber und Kinder hierher vor den Schrecken des Kampfes und zur Zeit des
Einmarsches der k. k. Truppen hatte in ihnen ein findiger Mohammedaner
einen Bierkeller errichtet. Erst die jüngste Zeit hat die Aufmerksamkeit
auf dieses ehrwürdige Denkmal der bosnischen Vergangenheit gelenkt,
welches jetzt, gereinigt und in Stand erhalten, für die Fremden eine der
bemerkenswerthesten Sehenswürdigkeiten bietet.
Die Eintheilung des Baues entspricht vollständig derjenigen aller älteren Kirchen
romanischen Stils. Ihre Hauptbestandteile sind der Narthex [Vorhalle] , das Baptisterium
mit dem Taufbecken und die eigentliche Kirche, welche in Kreuzesform von dem Sanctuarium
oder Presbyterium überquert wird, und schliesslich der Altar. Der Narthex ist ein schmaler
Kaum von 2,1 S .Meter Breite und 5,50 Meter Länpe, nach oben durch ein Tonnengewölbe
abgeschlossen, ohne irgend welche architektonische Ausschmückung. Nur zur rechten und zur
linken Seite der zur Kirche führenden Thür sind die beiden oben beschriebenen Wappenbilder
— -442 —
eingehauen. Dieser Raum ist nicht ausschliesslich aus dein Felsen ausgehauen, sondern es
wurden an zwei Seiten zur Ergänzung der Umfassung Steinmauern aufgeführt. Line enge,
niedrige Thür, die üben durch einen Kundbogen abgeschlossen ist, führt durch eine dicke
Wand in die Kirche, deren vorderer Theil sich beiderseits erweitert und mit zwei zur rechten
und linken Seite angebrachten überwölbten Xischen abschliesst. In der rechten Ecke neben
dem Eingänge befindet sich eine aus dem Felsen gehauene Bank, welche drei muldenförmige,
offenbar zur Aufnahme der Gefässe für das geweihte Wasser bestimmte Vertiefungen zeigt.
Dieses Baptisterium ist 7,50 Meter, beziehungsweise bis zum Grunde der seitlichen Xischen
9,50 Meter breit und 2,05 Meter lang. Das Hauptschiff der Kirche, welches sich an das
Baptisterium anschliesst, ist schmäler und verhältnissmässig kurz gehalten. 2,80x4,60 Meter.
Linker' und rechter Hand ist in den Wanden des Hauptschiffes je ein niedriges Rundgewölbe
von 1,20 Meter Tiefe ausgehauen, dessen hintere Wand mit einem in den Felsen ein-
geschnittenen Doppelkreuze geziert ist, welches zu beiden Seiten von Sonne und Mond flankirt
wird. Diese beiden Rundbogen umspannen je einen Sarkophag [Grüfte), und zwar ist der
links befindliche zur vollen Tiefe von 2 Meter ausgehöhlt, während der rechte erst begonnen
und nur etwa 10 Centime ter tief ausgehauen erscheint. Diese beiden Grüfte nehmen beinahe
die ganze Länge der Seitenwände des Hauptschiffes ein, welches sich gegen das Presbyterium
zu bedeutend erweitert. Die beiden Seitenwände endigen gegen das Presbyterium zu in Eck-
pfeilern, die durch ihre bedeutende Zurückstellung die Erweiterung des Hauptschiffes I
Das schmale, aber lange Presbyterium (2,94X10,66 Meter überquert das Hauptschiff wie
die Arme den Stamm eines Kreuzes. Auf der linken Seite des Sanctuariums ist in der gegen
das Kirchenschiff gelegenen Seitenwand eine kleine niedrige Thür angebracht, welche durch
einen kurzen engen Gang den Eintritt in einen kleinen Kaum von 2 Meter Länge und 1 Meter
Breite gestattet. Der noch die Spuren der Yertieiungsarbeit zeigende Boden dieses Raumes
weist darauf hin, dass hier ebenfalls eine Gruft ausgehöhlt werden sollte. Svmmetrisch mit
dieser war an der rechten Seite des Sanctuariums eine zweite Grabkammer geplant, deren
Eingang jedoch nur in seinen Umrissen angedeutet und nur ganz seicht ausgearbeitet ist.
Den Hintergrund der Kirche nimmt der breite, aber niedrige Altar ein. Die weite und tiefe
Apsis, in welcher der Opfertisch aufgestellt werden sollte, ist durch einen gothischen Spitz-
bogen überwölbt und zu beiden Seiten des Altars zeigen sich dem Beschauer zwei ähnliche,
aber kleinere Spitzbogen. Die beiden durch diese Bogen überspannten Kämmerchen waren
offenbar nicht zur Aufstellung von Altären bestimmt, sondern dienten höheren geistlichen
Würdenträgern, welche den heiligen Handlungen etwa beiwohnten, als Aufenthaltsort. Die
rechte dieser beiden Kammern ist fertig, während die linke nur aus dem Gröbsten heraus-
gearbeitet er-cheint. An der linken Abschlusswand des Sanctuariums finden wir abermals
eine Nische, gleich den Xischen im Baptisterium, welche durch einen niedrigen Rundbogen
überwölbt und in deren Hinterwand ein kleiner Spitzbogen ausirehauen ist. An der rechten
Stein wand des Baptisteriums ist der Beginn der Arbeit zur Herstellung einer gleichen Xische
-:u erkennen. Zu beiden Seiten des Altars zeigt sich ein enger GaiiL,r ausgehöhlt, welcher
etwas um den Altar umbiegt und sodann nicht weiter fortgesetzt wurde. Zweifellos bestand
die Absicht, mit diesem Gange den Altar zu umgreifen und hier, wie wir es in allen Kirchen
romanischen Stils finden, den den Altar umgürtenden Chor aufzustellen. Im Grunde dieses
Chores wäre sodann noch eine den Abschluss der Kirche bildende halbkreisförmige Concha
anzubringen gewesen.
Wie aus dieser kurzen Beschreibung hervorgeht, ist die Kirche unvollendet geblieben
und nicht einmal der Anlageplan vollständig durchgeführt worden. Wenige Schritte vom
Eingange in die eigentliche Kirche stossen wir auf eine im Boden derselben, beinahe in
Mitte ausgehobene länglich -rechteckige < »effnung, in welcher einige steile Stufen hinabführen,
über die man in die unter der Kirche Lrele^ene Krypta urelan^t. 1 »iese Krypta ist ein enger.
niedriger Raum von 3,92 Meter Län^e und 4,22 Meter Breite, i<^en Decke unregeli
— 44;,
ausgehauen ist und welcher eine Höhe von 1,90 Meter bis 2,20 Meter besitzt. Die Mitte
dieses Raumes nimmt ein grosser, aus dem Felsen ausgehauener und unten wie oben mit
dem Gestein verwachsener Altar ein. In der Platte, welche den Opfertisch dieses Altars mit
der Decke verbindet, finden wir das Doppelkreuz mit Sonne und Mond, Symbole des Todten-
kultus, denen wir schon in der oberen Kirche über der Gruft begegnet sind. Die Krypta
bildete eine Hauptzier der Kirche, im Mittelalter wurden die Todtenceremonien an diesem
Ort vollzogen.
Schon in der Kirche selbst wird der Aufenthalt durch die dort
herrschende, drückende, feuchtmodrige Luft unangenehm, in der Krypta
vollends ist ein längeres Verweilen in Folge der beklemmenden Athmo-
sphäre unmöglich. Vom künstlerischen Standpunkte bietet diese Kirche
nichts Bemerkenswerthes, weil ihr jedwede Ausschmückung fehlt. Die
Finsterniss, die in diesen Räumen herrscht, der Qualm der Fackeln und
Kerzen, mit denen wir unseren Weg erleuchten, die drückende, athem-
benehmende Luft verursachen ein beängstigendes Gefühl, welches in der
allerdings unbegründeten Befürchtung, die über uns befindliche Bergeslast
könne sich senken, seinen Ausdruck findet. Aber gerade derartige schaurige
Eindrücke waren es einstens, die man von einem dem Tode und der ewigen
Ruhe geweihten Tempel wünschte. Jeder nicht ganz und gar dem Realismus
verfallene gebildete Mensch wird diesen Bau mit Ehrfurcht betrachten.
Und wenn auch die vielen romantischen Sagen von den in diesen Räumen
in Kerkernacht Verschmachteten, von den vor den wüthenden Verfolgungen
Andersgläubiger hier Schutz suchenden Christen und von den zur
ewigen Ruhe bestatteten bosnischen Königen und Helden, welche in der
Erinnerung beim Betreten dieser Hallen stets neu belebt werden, des
historischen Hintergrundes zum grossen Theile entbehren, so bleibt dieser
Bau doch immerhin ein bemerkenswerthes Denkmal der bosnischen Ver-
gangenheit.
^P
Jajee und Umgegend in der Gegenwart.
Und so schreiten wir aus der Nacht zum Licht, von der christlichen
Kirche des Alterthums zu derjenigen des heurigen Zeitalters. Es ist Sonntag
und trotz herrschenden Regenwetters, welches die Strassen der Stadt in eine
grosse Pfütze verwandelt, ist viel Landbevölkerung anwesend, die Einkäufe
besorgt, aber auch dem Gottesdienste anwohnen will. Die Stadt Jajce
selbst zählt unter 3929 Bewohnern (nach der Volkszählung von '1895)
19S2 Katholiken gegenüber 1644 Mohammedanern, 245 Orthodoxen und
57 Israeliten. Die Dörfer der Umgebung sind gleichfalls vielfach katholisch,
darum konnte sich hier der katholische Gottesdienst durch die Franziskaner
V
stets mächtig erhalten. Durch die Carsija folgen wir daher dem Zuge der
Leute in die neugebaute Franziskanerkirche, die mit dem Kloster zusammen
einen grossen Komplex bildet. Durch eine Menge schmaler Gässchen,
stets auf ausgetretenen Stufen, steigen wir in die Tiefe, bis wir endlich
die Ebene erreichen, wo beide Gebäude liegen. Die sehr geräumige hohe
Kirche, die nur wenige Sitzbänke zeigt, ist ziemlich schmucklos, die
Malereien erinnern stark an die Türkei, aber noch viel mehr die anwesenden
Gläubigen. Man könnte sich in eine Moschee versetzt glauben. Ausser
uns ist nur noch eine Frau in europäischer Kleidung anwesend, sonst
durchweg Leute in Landestracht und mindestens drei Viertel davon Bauern.
Sie kauern, knieen oder sitzen mit gekreuzten Beinen auf dem blossen
Steinboden der Kirche, einige haben einen Teppich, andere eine Jacke,
dritte eine Torba (Einkaufstasche) untergelegt; alle aber haben die Kopf-
bedeckung (durchweg der rothe Turban oder Calma, das Abzeichen meist
der katholischen Bauern) abgenommen, und da bietet sich freilich ein sonder-
barer Anblick. Fast alle Köpfe sind rasirt wie bei den Mohammedanern,
nur in der Mitte ist ein langer Strähn Haare stehen gelassen, der wirr in
den Nacken fällt, oft aber auch regelrecht als Zopf geflochten ist. Es ist
445 —
eine Verquickung zwischen der Türkei und China! Noch ähnlicher wird
der Vergleich mit dem Mohammedanismus, als der Geistliche bei der
Wandlung die Monstranz erhebt und alle Gläubigen mit der Stirn direkt
den Boden berühren, beim Segen aber die Hände in die Höhe strecken
und mit ausgespreizten Fingern hinter die Ohren fahren, ganz wie der
Gläubige in der Dzamija. Augenscheinlich ist diese Gewohnheit noch aus
der Zeit der türkischen Herrschaft zurückgeblieben.
Vor dem Altare aber stand ein Franziskaner in mittleren Jahren, eine
kräftige, sympathische Erscheinung, der eine flammende Rede über das
Festhalten am Glauben, über die Vorzüge des Katholicismus hielt. Es
hätte sich so Manches gegen die Argumentation, gegen die zu starke Be-
tonung des allein seligmachenden Glaubens in einem religiös gemischten
Lande einwenden lassen, und unter türkischer Zeit wäre diese Rede
sicherlich nicht gehalten worden, aber sie war interessant, auch durch die
Art des Vortrages, die mächtige Stimme des Franziskaners und die
flammende Begeisterung, die aus seinen Worten sprach.
Als der Gottesdienst beendet, suchte ich den Pater auf, um die
Krlaubniss ersuchend, den Sarg des Königs Stefan Tomasevic besichtigen
zu dürfen. Er empfing mich an der Thür der Sakristei mit kräftigem
Händedruck wie einen alten Bekannten und er freute sich, als ich ihm
meinen Beifall über seinen schönen Vortrag aussprach. Der letzte König
von Bosnien hat seine Ruhestätte, seit er dem Steingrabe am Hum ent-
rissen wurde, an der rechten Wand der Kirche, mitten im Hauptschiff
gefunden. Auf einem erhöhten Katafalk ruht der hingerichtete König
Stefan in einem gläsernen Sarge. Das Skelett ist wieder zusammengefügt,
auch den Kopf hat man wieder an seine richtige Stelle gebracht. Eine
Inschrift in der Landessprache nennt Namen, Todesjahr und den Auf-
tindungstag, im Juni 1888. Eine Decke in schwarzgelben Farben bedeckt
gewöhnlich Sarg und Skelett.
Als wir aber aus der Kirche traten, sahen wir wieder ein Stück
kirchlichen Mittelalters. An der Kirchthür kniete ein hübsches, frisches
Landmädchen, blutroth vor Scham und bitterlich weinend. Sie war mir
schon früher aufgefallen, aber erst jetzt gelangte ich zur Erkenntniss, dass
sie einen Fehltritt begangen, dass sie Kirchenbusse thun musste, offen an
der Kirchthür, den Blicken aller Ein- und Austretenden preisgegeben.
Diese Stellung an den Pranger verwischte den guten Eindruck, den ich
sonst von den Franziskanern in Jajce empfangen hatte und ich wünschte
nichts sehnlicher, als dass die Behörde solche Strafen verbieten möchte.
Ich erwähnte vorhin die türkische Haartracht der Katholiken. Es ist aber
noch eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung bei diesen, die man beobachten
kann, wenn man sich nach dem Gottesdienste unter die Gruppen der Frauen
und Mädchen mischt. Alle sind nämlich tätowirt, meist an der (grossentheils
446 —
offen getragenen) Brust, an Vorderarmen, Händen und manchmal sogar an
der Stirn. In Jajce war dies besonders auffällig, wo fast keine der weiblichen
Kirchgangerinnen dieses sonderbaren blauen Schmuckes entbehrte Wie-
der Kreisarzt Dr. Leopold Glück in Sarajevo i,„ Glasnik mittheilt ist
die ratowirung der Katholiken um so auffälliger, als sie bei den anderen
Konfessionen Bosniens und der Hercegovina viel seltener, fast gar nicht
vorkommt. Weder bei den Mohammedanerinnen in Cclebic (Bezirk Foca)
in manchen Gegenden des Narentathales und um Kulen-Vakuf, wo sich'
die islamitischen Frauen nicht verschleiern, noch bei anderen, die er als
Arzt unverschleiert und mit entblössten Armen zu sehen Gelegenheit hatte
fand er eine Tätowirung. Auch bei den Griechisch-Orthodoxen tätowiren
sich die Frauen viel seltener, als bei den Katholiken und das auch nur
in Gegenden, wo sie mit diesen vermischt wohnen. Ihre Tätowirungen
sind auch nicht so ausgedehnt und bieten keine so reichen Verzierungen
wie die der katholischen
krauen. Die Männer täto-
wiren sich viel seltener, auch
da wieder vorwiegend Ka-
tholiken. Bei den Mannern
bildet da- Kreuz das wich-
tigste Zeichen, aber ohne
Verzierungen. Unter den
Griechisch -Orthodoxen hat
der genannte Arzt Tätowir-
ungen nur bei den jüngeren
Männern gesehen, welche in
der bosnischen Gendarmerie
oder als Soldaten gedient
haben. Doch spielt bei diesen
nicht mehr das Kreuz die
Hauptrolle, sondern Merz
und Krone, Anker, Anfangs-
buchstaben des Vor- und Zu-
namens, Jahreszahlen u. s. w.
Selbst ein doppelköpfiger
Adler fand sich bei einem
gewesenenTrainsoldatenvor.
Auch bei ehemals türkischen
Soldaten ist in vereinzelten
Fällen auf dem Oberarm ein
Krummsäbel oder ein Halb-
mond mit Stern zu finden.
Mejtef (mohammedanische Religionsschule)
in Jajce.
447
Das Tätowiren war bei den alten Slaven nicht Sitte und für die
Annahme, dass dasselbe ein in seiner Form verändertes Ueberbleibsel aus
der vorchristlichen Zeit sei, finden sich weder in den Annalen der slavischen
Urgeschichte irgend welche Anhaltspunkte, noch kann man bei den
heutigen Slaven ausserhalb des Okkupationsgebietes, selbst unter der Land-
bevölkerung, das Tätowiren in irgend einem ausgedehnten Maasse be-
obachten. Es dürfte demnach in Bosnien diese Sitte kaum auf die Zeit
vor der osmanischen Invasion zurückgehen. Dagegen spricht schon der
Umstand, dass das Tätowiren nur bei einem Theile der trotz konfessioneller
Verschiedenheit in ihren Sitten und Gebräuchen so gleichartigen Be-
völkerung geübt wird. Wäre das Tätowiren ein alter Landesbrauch, so
hätte es sicher eine eigene Bezeichnung. Es heisst aber im Volke lediglich
»kriz nabocati« (Kreuz einstechen), was wohl schon an und für sich auf
einen jüngeren Ursprung der Sitte hindeutet. Dr. Glück meint nun folgende
Erklärung gefunden zu haben: In der letzten Zeit des Königreiches war
das Bogomilenthum zwar scheinbar durch den Katholicismus verdrängt,
der letztere aber beim Volke bei Weitem noch nicht in Fleisch und Blut über-
gegangen. Jenes Sektenwesen hatte in Bosnien zu lange gewährt, es
bildete zu lange das Glaubensbekenntniss der Mächtigen und der Armen,
als dass es in einer kurzen Zeitspanne aus dem Gedächtniss und dem
Herzen des Volkes hätte schwinden können. Haben doch Viele den
Katholicismus nur äusserlich und widerstrebend angenommen und blieben
im Herzen dem alten ^bosnischen« Glauben treu. Als die Osmanen die
Balkanhalbinsel überflutheten, hat die Bevölkerung der nacheinander
eroberten Staaten nirgends in solchen Massen den mohammedanischen
Glauben angenommen, als eben in Bosnien. Es ist nun selbstverständlich,
dass die katholischen Priester, sobald einmal ein gewisser Stillstand ein-
getreten war, alle erdenklichen Mittel aufboten, um die weitere Glaubens-
abschwörung zu beschränken. Da der Islam das Kreuz als Symbol des
Christenthums verpönt, musste es den katholischen Priestern naheliegen,
durch Einprägung des Kreuzes an einer sichtbaren Körperstelle die An-
nahme des mohammedanischen Glaubens zu erschweren. Wollte ein
tätowirter Katholik den Glauben wechseln, so musste er vor Allem das
Kreuz von seiner Haut entfernen, was aber eine recht schmerzhafte Procedur
war, weil man die Haut bis in die tieferen Schichten des Coriums ver-
nichten musste. Da jedoch das Ertragen grosser Schmerzen nicht Jeder-
manns Sache ist, so dürfte Mancher aus diesem Grunde vor dem ent-
scheidenden Schritte zurückgeschreckt sein. Hätte sich aber dennoch
einer entschlossen, trotzdem den Glauben zu wechseln, so wäre er durch
die sichtbaren und recht ausgedehnten Narben, welche nach der Ver-
nichtung der Tätowirung zurückbleiben mussten , in fataler Weise als
Neophyt kenntlich geblieben. Der Brauch, Tätowirungen gewöhnlich an
448
Sonn- und Feiertagen nach der Messe und in der Nähe der Kirche vor-
zunehmen, dürfte die obige Annahme über den Ursprung des Tätowirens
in Bosnien einigermassen unterstützen.
Unter den Matrosen, Soldaten, Arbeitern u. s. w. selbst der kultivirtesten
Staaten herrscht bekanntlich die Unsitte des Tätowirens in recht aus-
gedehntem Maasse. Die »Tinten« werden aus Losungen von Carmin,
Zinnober, Indigo, Kohlen- oder Schiesspulver zubereitet. Die Maut der
zu tätowirenden Stelle wird angespannt und die gewünschte Zeichnung
mit einer feinen Nadel durch dichte, nebeneinander angebrachte Stiche
»vorgestochen«, hierauf wird die »Tinte« auf die Stiche eingerieben und
schliesslich ein Verband angelegt. In einigen Gegenden taucht man die
Nadel in die Tinte und tätowirt so mit der armirten Nadel, was das Ver-
fahren abkürzt. In Bosnien werden die Tinten anders hergestellt, und
zwar entweder aus Kienruss oder aus gewöhnlichem Russ, oder aber in
seltenen Fällen aus Schiesspulver. Man entzündet einen Kienspahn (Luz)
und sammelt in einem Findzan (kleine türkische Kaffeetasse) das ab-
träufelnde Harz, in das man den gleichfalls während der Verbrennung
des Kienspahns auf einer Blechplatte gesammelten Russ mischt. Diese
schwarze Pasta wird nun nach vorheriger Spannung der zu tätowirenden
Hautstelle mit einem zugespitzten Holzstäbchen auf die Haut in der ge-
wünschten Zeichnung aufgetragen und dann mit einer bis nahe an die
Spitze mit einem Faden umwickelten Nadel bis zur Blutung durchstochen.
Die Einstiche werden natürlich dicht nebeneinander gemacht Die tätowirte
Stelle wird hierauf verbunden und nach drei Tagen abgewaschen. Da in
Bosnien nur schwarze Tinten bei der Tätowirung zur Verwendung kommen,
so ist es erklärlich, dass dieselbe immer nur einfarbig ist, und zwar blau
mit einem Stich ins Grünliche. Als Tätowirer fungiren meistens ältere
Frauen. Die Gründe, welche zur Einführung des Tätowirens geführt
haben, sind zwar geschwunden, aber der den Menschen innewohnende
Trieb der Nachahmung und das Festhalten am Hergebrachten dürften
hinreichen, um die Verunzierung des Körpers durch das Tätowiren noch
lange als Volksgebrauch bei den Katholiken Bosniens und der Hercegovina
zu erhalten.
An sonstigen städtischen Besonderheiten bietet Jajce nichts; es ist
ein eng gebauter Ort, der sich nach und nach etwas europäisirt, aber noch
immer überwiegend Orientalisches zeigt. Dadurch ist das Gesammtbild
um so malerischer und wir würden, mit Ausnahme der Amts- und Schul-
gebäude, auch garnicht wünschen, dass sich das Aeussere der Stadt so-
bald verändert. Das landesärarische »Grand Hotel« hat einen wunder-
hübschen Platz. Wenn wir vom Speisesaal hinaus auf die Gartenterrasse
treten, sehen wir tief unter uns den Vrbas, dessen Wasser hier von den
nahen Fällen stets stürmisch bewegt ist. Eigenthümliche Auswaschungen,
29
— 449 —
die ganz abenteuerliche Bildungen erzeugten, beobachten wir am gegen-
überliegenden Ufer, nicht ahnend, dass die seltsamsten Bildungen unter
uns sind, denn die Terrasse steht auf der Decke einer Grotte, die vom
Wasserfalle auf der linken Seite des Ufers sich fast bis zur Vrbasbrücke
erstreckt.
Die berühmteste Naturschönheit von Jajce ist sein Plivafall. Durch
das alterthümliche Travniker Thor, ganz nahe dem Hotel, gehen wir über
eine lange Holzbrücke nach der Unterstadt, von der aus man einen
schönen Blick auf die wunderlichen Tuffsteinbildungen der Ufer hat. Bald
sehen wir die Staubwolken des Wassers in die Höhe jagen und mächtig
schlägt das Donnern und Tosen der sich vermählenden Gewässer an das
Ohr. Die durch mehrere hinausragende und überhängende Felsstücke in
Am
Plivafall
— 45° —
etwa zehn Arme getheilte Pliva stürzt sich von einer Höhe von 30 Metern
mit betäubender Gewalt in den Vrbas, der liier eine tiefe Schlucht bildet,
aus der der weisse Gischt, von einem hohen Felsblocke zurückgeworfen,
wieder meterhoch emporschäumt. Ein wunderbares Farbenspiel bietet die
kochende und schäumende Wassermasse, wenn das Sonnenlicht darauf
funkelt, wenn die zahllosen, gleich Thauperlen an den Grasspitzen hängen
den Tropfen wie Tausende und Abertausende von Diamanten und
Smaragden glänzen.
An der Strasse, die das Vrbasthal aufwärts führt, ist, wenn man auf
hölzerner Brücke zwischen den im Flussbett stehenden Mühlen vorüber-
geschritten, ein wenig oberhalb des Falles eine Terrasse angebracht. Es
ist der »Rudolfs-Ausblick«, zu Ehren des verstorbenen Kronprinzen er-
richtet. Auf gutem Treppenwege gelangt man zu einem Pavillon über
den Fällen. Hinter diesem ist im Felsen folgende Inschrift errichtet: »Er-
baut 1887 von der Pionier-Abtheilung 2. Bataillon Erzherzog Ernst No. 4«.
Hier ist die schönste Stelle am Plivafall. Die unmittelbare Nähe lässt
uns die Masse des niederstürzenden, donnernd aufschlagenden Wassers be-
sonders gewaltig erscheinen. Alle Einzelheiten in dem Wogenkampf des
überstürzenden, brausenden, als Wassersäule und als Staubwolke sich
wieder erhebenden Wassers nehmen wir hier wahr. Wir sehen, wie es
mit wilder Wucht gegen den mächtigen Tuffsteinblock anschlägt, um von
ihm hoch empor geschleudert zu werden, der, wie man sagt, erst vor
einigen Decennien von oben sich löste. Ein guter Weg führt hier zu dem
Falle hinunter und hinter dem östlichen Theile desselben in eine Tuff-
steingrotte, eine geräumige Halle. Mit betäubendem Lärm stürzt vor uns
das Wasser nieder, während die mächtigen Teppiche des kalkwasser-
liebenden Farnmooses (Hypnum filicinum), die der Halle natürliche Tapete
bilden, unaufhörlich einen feinen Regen auf uns niederträufeln lassen.
Verfolgen wir die Strasse längs des türkischen Friedhofes eine Strecke
weit ostwärts, dann sehen wir, wie diese ein bedeutendes Lager dichten
Tuffsteins durchschneidet, in dem hin und wieder kleine Höhlen an-
geschnitten sind, in deren Räumen groteske Stalaktiten hängen. Auf dem
Rückwege besuchen wir den Stadtpark, der hoch über dem Plussbette
liegt und der noch im Werden begriffen ist, und machen einen Gang durch
die Vorstadt Kozluk, bis uns der Regen wieder in unser Heim treibt.
Am Donnerstag und Sonntag verkehren die Diligenccn nach einem
zweiten wundervollen Punkte, nach dem 10 Kilometer entfernten Jezero,
das in anderthalb Stunden erreicht wird. Die Landschaft, die wir hierbei
durcheilen, wird mit Recht als ein Glanzpunkt Bosniens gerühmt. Durch das
Travniker Thor Jajce verlassend, folgen wir der Strasse auf dem linken
Flussufer. Das Bett ist mit Felsen und Felsblöcken übersät, über welche
die Pliva in einer Reihe von Katarakten schäumend und tosend ihrem
- 45'
jähen Sturze in den Vrbas zueilt. Die Gegend ist durchwegs bewaldet
und prächtiges Grün erfrischt das Auge. So erreichen wir Jezero, türkisch
Gjölhissar (die Seeburg) an den Plivaseen. Das Dorf liegt inmitten uralter
mächtiger Bäume, wie die kühnste Phantasie es nicht in eine schönere
Lage zaubern könnte. In einem Engthal, umgeben von hohen bewaldeten
Bergen, breitet sich der sogenannte untere See aus, ein tiefgrüner Wasser-
spiegel, wie ein echter Alpensee. Auf hohem Felsgrat werden die Trümmer
der alten Veste Zaskopolje sichtbar. Am Ende dieses Sees stürzt aber-
mals in herrlichen Kaskaden über einen breiten Riegel von Klippen das
KozluJc, Vorstadt von Jajce.
Wasser des gleichfalls von der Pliva gebildeten 31/ä Kilometer langen und
über 600 Meter breiten oberen Sees. Eine breite Landzunge trennt die
beiden Seen, in deren Wasser sich der dunkle Porica mit seiner höchsten
Pyramide, dem Ottomal, spiegelt. An dieser schönsten Stelle des Pliva-
gebietes stellten sich am 7. August 1878 die Insurgenten den kaiserlichen
Truppen entgegen, hier wurden sie gründlich geschlagen.
Jezero selbst — einst und nicht ganz mit Unrecht das »Bosnische
\\-nedig« genannt - - ist ein entzückender Ort für Sommerfrischler. Im
westlichsten Winkel des Sees am rechten Pliva-Ufer erbaut, bietet es dem
Mohammedaner Alles, was er zu seiner Erholung wünscht: frisches Wasser,
schöne Aussicht, grüne Bäume und idyllische Ruhe. Das hat er hier und
die 600 Bewohner des Ortes, die in theihveise sehr schönen türkischen
Landhäusern leben, führen ein beneidenswerthes Dasein, in das allerdings
die Fremden jetzt einige Störung bringen. Aber viele Tage der Woche
— 452 —
gehören ihnen noch ganz und sie können Kahn fahren und fischen, sie
kennen im Röhricht des oberen Sees auf Wildenten jagen, ganz wie es
nach ihrem Geschmacke ist. Die Landesregierung aber hat, um auch ein
Uebernachten und ein längeres Verweilen zu ermöglichen, ein Touri
haus für die Fremden erbauen lassen, dessen Schlüssel der Kafed/.ija Latif
Kasper in Verwahrung hat. Auch bei ihm lässt sich's gut sein und süsser
Ruhe bei echtem Mokka und Xargileh pflegen.
Ein weiterer Ausflug von Jajcc, eine Tagpartie, der mit demjenigen
nach Jezero verbunden werden kann, ist der nach den Plivaquellen. Es
ist eine Strecke von 35 Kilometern, wovon 31 Kilometer Fahrweg, 4 Kilo-
meter Reitweg längs des Plivaflusses. Am Fussc hoher, kahler Bergwände
von steiler, gleichmässiger Böschung entspringt die Pliva aus mehreren
Schlundflüssen in bedeutender Stärke aus mächtigen Grotten. Mit jähem
Fall jagen sie weiss schäumend oder grün dunkelnd in ihren felsigen Betten
dahin, treiben zahlreiche, primitive, unterschlächtige Mühlen und rütteln
an den Stegen, die über sie führen. Nach ihrer Vereinigung ziehen sie
beruhigter dahin. Dreiviertel Stunden abwärts von den Quellen treten
rechts Felsen an den Fluss heran; er rauscht wieder im engen Kanäle
und nach einer Stunde kommt der erste Wasserfall, dem bis Jezero noch
zwei weitere folgen. Ueberall aber sind Berge, ist Wald und Gebüsch,
ein bezauberndes Landschaftsbild!
Schlussvignette: Siegel des Klosters Labostin in Duvno.
* ^CC A € w K 84 HWKoM$€* 6° V4
ro(t no& KvHt4
"T
Von Lasva über Travnik nach Jajce.
Jajce ist vom Auslande aus ungemein bequem auf den verschiedensten
Routen zu erreichen. Wie man über Metkovic-Mostar-Jablanica nach Jajce
kommt, haben wir bereits geschildert. Da inzwischen die Eisenbahn von
Bugoino über Dolnji-Vakuf nach Jajce fertiggestellt, ist die Verbindung
noch schneller und leichter. Vom Norden aus führt die Bahn von Agram
über Sissek und Dobrlin nach Banjaluka, von dort mit Post oder Diligence
in einem Tage nach Jajce. Wer aber mit der Bosnabahn das Land betritt,
kann leicht von der Station Lasva aus die ganze Strecke über Travnik
mit der Eisenbahn zurücklegen. Ehe ich daher an die Schilderung meiner
Weiterreise von Jajce in den nördlichsten Theil Bosniens schreite, will ich
von der Travniker Strecke erzählen, die ich einstmals zu Pferd, später zu
Wagen und zuletzt stellenweise mit dem Dampfross zurücklegte.
Wir haben die Bosnabahn in Lasva verlassen. Oberhalb der Mündung
des gleichnamigen Flüsschens in die Bosna liegt die Station in idyllischer
Waldeinsamkeit. Die Bahn, die nach Travnik führt, tritt sofort in das
enge Thal der Lasva. Ihr musste am rechten Ufer in die Berglehnen
Raum gebrochen werden, während die Fahrstrasse sich am linken Ufer
hinzieht. Es ist eine wundervolle Gegend, durchweg gut bewaldet, aber
einsam. Erst in Busovaca, wo wir die Heerstrasse Brod-Sarajevo erreichen,
herrscht wieder Leben. Der Ort hat etwas Eisenindustrie, sonst wenig
dcwerbsthätigkeit, dafür aber ausgedehnten Feldbau.
Die nächste Station ist Han Kompanija oder Vitez. Eine förmliche
Ansiedlung ist an diesem Strassen-Kreuzungspunkt, wo auch die Strasse
nach Travnik von der Broder Hauptstrasse abweicht, entstanden. Hier
herrscht jetzt die Holzindustrie durch die Firma Rüdgers aus Wien.
ifleiste: Altbosnische Inschrift bei Kaostice: »Hier ruht Juraj bei seinem Herrchen
Rad" .
— 45° -
Berge von eichenen Bahnschwellen und von Holzpflaster sind aufge-
schichtet, — das Produkt der nahen Wälder. In der Ebene, die sich bis
zu dem Flecken Vitez zieht, fährt unser Zug. Er hat die LasVa über-
schritten und folgt der Strasse. Zur Rechten haben wir das Massh der
Vjetrenica, vor uns aber die hohe, meist mit Schnee bedeckte Vlasiö
Planina (i 919 Meter). Wir erreichen Hau Bjela, wo wir in ebene < iebiet
gelangen. Zur Rechten erblicken wir das allerdings noch 9 Kilometer
entfernte Kloster Gucjagora, eine Hauptburg des bosnischen Franziskaner-
Ordens, das im Jahre 1857 neu hergerichtet wurde. Immer in der gut
angebauten fruchtbaren Ebene, erreichen wir endlich Dolac, das schon als
Vorstadt von Travnik gerechnet werden kann, und nach weiteren 3 Kilo-
metern (die Bahnlinie hat 30 Kilometer) die ehemalige Residenz der bos-
nischen Veziere: Travnik, die in überraschender Lage ganz plötzlich in
der Enge des Lasva-Defiles sich ausbreitet.
Seine einstige politische Bedeutung ist Travnik (6804 Einwohner)
freilich nicht anzusehen. In der Hauptstrasse stehen in bunter Mischung
neue europäische Gebäude neben den wackligen Holzbauten der Türken-
zeit, aber das Strassenbild wird immer wieder von Gärten unterbrochen,
sodass ein recht erfrischender Zug im Ganzen liegt. Und wenn man von
Travnik einen herzerfreuenden Anblick gewinnen will, dann muss man aui
eine der vielen Erhöhungen um und in der Stadt steigen; dann sieht man
die langen Häuserreihen auf dem rechten Ufer der Lasva, in einer Spalte
der Gratovina fast versteckt, mit Kuppeln und Minarets einen anmuthigen
Stadttheil, am linken Ufer, auf einem steilen und kahlen Eelsblocke des
Vlasic, das alte Kastell, wie eine mittelalterliche Burg mit massiven Mauern
und Thürmen und doch echt türkisch verwahrlost. Um sie herum gruppirt
sich der mohammedanischeste Theil des Ortes. An den Höhen beider
Ufer aber sieht man überall Landhäuser inmitten blühender Fluren, dar-
über hinaus gegen Norden und Osten Gebirge über Gebirge, nach Süden
sanftere Abhänge und dunkle Wälder. Vom Tarabovac, einer Höhe südlich
von der Stadt, ist im Glänze der Morgensonne ein zauberischer Eindruck
zu gewinnen. Da blitzt und glitzert es von allen metallenen Bedachungen
der Moscheen und Minarets, und die neuen Bauten, die zum Theil im
maurischen Stil in den bosnischen Farben (roth-gelb) gehalten werden,
werfen den wirksamsten Reflex. Dazu tritt stets der dunkle Hintergrund,
das Felsengewirre des Vlasic . . .
Es ist nicht leicht, von einer orientalischen Stadt eine genaue Be-
schreibung zu geben; sie bleibt stets hinter der Wirklichkeit zurück, und die
bosnischen Städte erfreuen sich meist einer so raffinirt schönen Lage, dass
der beste Landschaftsmaler der Wirklichkeit nur entfernt nahe kommen
kann. Im Innern der alten Stadtviertel allerdings mit ihren engen krummen
Strassen, dem grauenhaften Pflaster, den tiefen Löchern zwischen den
459 —
einzelnen Steinen, da ist es oft genug fürchterlich. Und doch, wendet
man den Blick an den Häusern empor, so bemerkt man so manches
interessante Detail, so manche schöne Holzarbeit, so zierliche feingearbeitete
Gitter (Muschebak, arabisch Muscharabieh) ver den Haremsfenstern, dass
die Phantasie mächtig angeregt wird.
Wann Travnik gegründet wurde, ist nicht bekannt. Es soll einst hier
die Stadt Lasva am linken Ufer des gleichnamigen Flusses, in der Nähe
der heutigen Ortschaft Putacevo gelegen sein. Wie Dr. M. Hoernes an-
führt, sollen sich in dem Engthale, in dem die heutige Stadt liegt, noch
zu türkischer Zeit Weideplätze, Haine und Gärten befunden haben, worauf
der Stadtname (Travnik = Grasplatz) deutet. Zu einer nicht näher an-
gegebenen Frist übersiedelten die Türken aus Lasva an die gegenwärtige
Stelle und überliessen ihre Häuser in der Ebene dem Verfalle. Diese
Meinung hat entschieden einen historischen Hintergrund, denn es existirt
noch eine recht interessante Chronik über bosnische Ereignisse von einem
Franziskaner, der sich ausdrücklich Pater Nikolaus von Lasva nennt. Ur-
kundlich wird Travnik 1503 zum ersten Male genannt. In der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts, als das südliche Bosnien schon ganz in den
Händen der Türken war, gingen die Heerzüge der letzteren zur Bezwingung
der von den Ungarn noch besetzten Festungen im Norden des Reiches
vielfach über die Stelle des heutigen Travnik und die Zerstörung von
Lasva oder die Verlegung der Stadt muss um diese Zeit erfolgt sein.
Wie Asböth mittheilt, fehlt es nicht an Anzeichen, dass auf dem Gebiete des
heutigen Dorfes Putacevo, wohin Lasva verlegt wird, zur Römerzeit und im
späteren Mittelalter eine ansehnliche Stadt gestanden hat. Römische Alter-
thümer werden in der ganzen Gegend gefunden. Eines derselben, gegenwärtig
im Wiener Belvedere, ist deshalb von besonderem Interesse, weil es den
Uebergang von der verfallenden antiken Bildhauerkunst zu jener altslavischen
barbarischen Steinhauerei zeigt, die in den bogomilischen Grabdenkmälern
erhalten blieb. In Travnik selbst wird ein interessanter römischer Stein
aufbewahrt, der bei dem Podrunicer Han, 10 Kilometer auf dem Wege nach
Jajce. gefunden wurde. Er ist 0,80 Meter hoch, 0,57 breit, 0,19 dick. Seine
Randverzierung bilden Epheu- und Weinblätter. Seine Inschrift, die von
Dr. Hoernes in >,Arch. Epigr. Mitth. IV.« veröffentlicht wurde, lautet:
Ultima clauseiunt Parcarum stamina filo
Principii miserandi diem, quem, tdoria irf nisi,
Avus adque pater puerum dedere (p)raeclara(e
Milita e patruoque suo iunxere fovendum,
Cum primum pulchra lanuLriiie suineret annos,
Spectantes magnum patriae columeiKjue futurum,
Heu miseri, gloriari sibi lactatinpie seneetam.
Crudele'm) luctum domui Ravenna remisit,
Hoc miseros titulo proprium signasse dolorem.«
— 460 —
Bald nach Gründung der Stadt wurde der Sitz der bosnischen Veziere
von Bosna-Saraj (Sarajevo) nach Travnik verlegt, wahrscheinlich, um dein
nördlichen Theile des Landes, in dem noch stets Kriege stattfanden, näher
zu sein. Blieb doch auch der offizielle Titel der eines A eziers der
ungarischen Länder«. Als Hussein Berbirli Aga den bosnischen Adel
1S30 zum Aufstand rief, da wurde auch Travnik genommen, der Vezier aber
musste strenge Busse thun. Als bei der zweiten grossen mohammedanischen
Insurrektion 1S40 — 50 Omer Pascha Sarajevo erobert hatte, machte er der
dortigen Oligarchie ein Ende; er verlegte den Sitz des Vali oder Veziers
nach Sarajevo und Travnik büsste seine bisherige Bedeutung ein. Jetzt
hat es die Bahn in den Weltverkehr eingeschlossen, und es sind bereits
einige neue Unternehmungen entstanden, wenn auch in bescheidenen
Grenzen. Die Landesregierung hat eine Tabakfabrik errichtet, eine Handels-
schule gegründet und eine wunderschöne Medresse mit Moschee für die
mohammedanischen Studirenden gebaut.
Das alte, noch bewohnbare Kastell gewährt eine hübsche Aussicht
auf die Stadt. Hinter ihm stürzt aus einem muldenartigen Thale eine
Neue Medresse in Travnik.
— 461 —
starke Quelle, Sumec, aus ansehnlicher Höhe. Sie wurde eine Zeit lang
zum Betriebe einer Lederfabrik benutzt, aber einstweilen steht diese wieder
still, es fehlt aus Oesterreich Unternehmungsgeist und Kapital; Alles
soll und muss die Regierung machen, obwohl Bosnien gerade für private
Unternehmungen noch ein ausgezeichnetes Feld bietet. In der Haupt-
strasse liegen der hübsche ehemalige Konak des Vali, jetzt Sitz des Kreis-
amtes, mit nettem Garten, das Bezirksamt, die Handelsschule, das
Kloster der Barmherzigen Schwestern, das »Hotel zum Kaiser von Oester-
reich«, die grosse Moschee und dazwischen verstreut die Türbes (Grab-
mäler) der Veziere, meist schön verzierte Mausoleen mit Säulenhallen und
Livno: Part hie am Flusse.
Kuppeln, förmlichen Wohnhäusern ähnlich. Was wir aber nicht zuletzt
erwähnen dürfen, ist das grosse Jesuitenkollegium und die neue katholische
Kirche. Travnik, das früher nur in Dolac seine fast 2000 Köpfe zählende
katholische Bevölkerung mit einem Seminar und einer Kirche besass, formt
sich mit Macht zu einem katholischen Centrum um. Seit der Jesuiten-
orden in Bosnien zugelassen ist, was erst nach starkem Widerstreben der
bis dahin in Bosnien allein arbeitenden Franziskaner geschah, hat dieser
in Travnik seinen I [auptsitz aufgeschlagen. Das neu errichtete Jesuiten-
kollegium ist eines der grössten und schönsten Gebäude der Stadt, ein
zweistöckiger Bau inmitten eines ausgedehnten Hofes, welcher der Spiel-
platz der jungen Studenten ist. Den Berg hinan zieht sich der Garten,
eine noch junge Anlage, die allmählich zu einem Obstgarten werden soll.
462
\lprnhof auf der Krug-Planina ^bei Livno .
Die Parterre-Räumlichkeiten des klosterartigen Gebäudes sind die Werk-
stätten der verschiedensten Handwerker, die vor Allem für den Bedarf
der zahlreichen Hausgenossen, der Professoren und Internen 7.11 sorgen
haben. Auch eine grosse Küche liegt hier unten. Schöne, helle Lehr-
zimmer und grosse Sammlungszimmer sind im ersten und zweiten Stock.
Reich ist das physikalische Kabinett ausgerüstet; auch die naturhistorischen
Sammlungen sind beachtenswerth, besonders das umfangreiche Herbarium,
das allerdings an dasjenige im Sarajevoer Landesmuseum nicht heranreicht.
Eine treffliche zoologische und eine Mineraliensammlung vervollständigen
das naturwissenschaftliche Anschauungsmaterial. Es ist nicht zu leugnen,
dass das Gymnasium — ein solches ist es, und die Maturität berechtigt
zum Uebergang an eine österreichische Universität — vorzügliche Erfolge
aufzuweisen hat. Seine Schüler sind meist Katholiken, aber auch einzelne
Serben und viele Juden besuchen es.
Einen recht anheimelnden Platz besitzt Travnik am östlichen Ende
der Stadt im »Cafe Dervent . Es ist ein türkischer Kef-Punkt, dicht von
Bäumen beschattet, von einem Bache umgeben. Hier hat Kronprinz
Rudolf geweilt und den vorzüglichen Kaffee getrunken. Pietätvoll bewahrt
463 —
464
der Besitzer noch die Trinkgefässe zur Erinnerung an den verstorbenen
Erben des Habsburger Reiches. . . .
Zwei Wege führten bisher von Travnik nach Jajce; die Postroute
über den Komar nach Dolriji-Vakuf (70 Kilometer bis Jajce) und die Strasse
über die Karaulagora durch prächtiges Waldterrain, 20 Kilometer näher.
Beide Wege sind landschaftlich interessant, sie dürften aber jetzt für den
fremden Touristen wenig in Betracht kommen, da er die bequeme Eisen-
bahn benutzen kann. Am 14. Oktober 1894 wurde die Strecke Travnik—
Dolnji-Vakuf — Bugojno eröffnet; von Dolnji-Vakuf zweigt sich die Linie
nach Jajce ab, die wohl einstmals in Banjaluka anschliessen wird.
Von Bugojno wird über Zupanjac in nicht zu ferner Zeit die Bahn bis
Ar/.ano an der dalmatinischen Grenze fertiggestellt sein, von wo ein
Anschluss an die dalmatinischen Staatsbahnen und damit die Verbindung
Bosniens mit dem Hafen von Spalato erreicht wird. Dadurch wird auch
die weite Hochebene von Livno in den allgemeinen Verkehr einbezogen,
deren von der Regierung errichtete landwirtschaftliche Einrichtungen
schon jetzt alles Interesse verdienen, so die landwirtschaftliche Station Livno
und der Alpenhof auf der Krug-Planina, von denen unsere Abbildungen
Zeugniss geben. Der vorgenommenen Wasserbauten im Livanjskopolje haben
wir bereits bei der Schilderung ähnlicher Arbeiten im Gackopolje gedacht.
Die Errichtung der landwirtschaftlichen Station Livno erfolgte 1888
und wie erwähnt, ist mit ihr eine Alpenwirthschaft verbunden, so wie mit
jenen in Gacko und Ilidze, auf denen Rinder und Schafe gehalten, sowie
der moderne Sennereibetrieb theils zu Lehr-, theils zu Ertragszwecken ein-
geführt ist. In Livno wird besonders viel Käse erzeugt, in neuerer Zeit
auch Roquefort, für welche Fabrikation die Station die erforderlichen
Kellereien in den natürlichen, hierzu vorzüglich geeigneten Karsthöhlen
besitzt. Es dürfte nicht uninteressant sein, an dieser Stelle einen allgemeinen
Ueberblick über die landwirthschaftlichen Stationen Bosniens an der Hand
der neuesten Daten zu geben. Sie umfassen heute ein Areal von rund
4000 Hektar, wovon etwa 3000 Hektar Hochalpen sind. Auf den Stationen
werden in grösserem Massstabe nachstehende Rassen von Rindern, Schafen
und Schweinen gezüchtet: in Livno Möllthaler Rinder und Ostfriesenschafe,
dann Electoral- und persische Fettschwanzschafe, sowie Berkshire-Schweine.
In Gacko Wippthaler Rinder, Ostfriesenschafe und Berkshire-Schweine; in
Modric Rinder der ungarischen Steppenrasse und Berkshire-Schweine; in
Ilidze-Butmir Möllthaler Rinder, Hampshire-Zackelschafe (Rorriaskanschafe)
und persische Fettschwanzschafe. Die Ostfriesenzucht wird auch in
Kreuzungen mit einheimischen Schafen betrieben. Um die Rindviehzucht
des Landes in grösserem Umfange verbessern zu können, wurden an ge-
eigneten Orten fremdrassige, aus Oesterreich-L ngarn eingeführte landes-
ärarische Zuchtstiere aufgestellt und gelangten je nach den betreffenden
30
— 465 —
Zuchtgebieten, in die das Land eingetheilt worden ist, theils Möllthaler,
theils Wippthaler Zuchtstiere zur Verwendung, die zur unentgeltlichen
Benutzung der einheimischen Viehbesitzer unter staatlicher Kontrolle und
Pflege gehalten werden. Hand in Hand hiermit ging die Einfuhr fremd-
rassiger Zuchtkühe auf Bestellung und Rechnung einheimischer Viehzüchter,
wobei der Ankauf der Thiere durch Vermittlung der Regierung besorgt
und den Abnehmern die Kreditirung der Anschaffungskosten gegen Rück-
zahlung in Jahresraten bewilligt wurde. Auch der Pferdezucht ist die
grösste Aufmerksamkeit zugewendet worden. Schon 1884 wurden fünf
edle Zuchthengste, ein Geschenk des Kaisers Franz Josef, in der Hercegovina
/•wüB
^.-
Livno: Part hie bei der Quelle.
untergebracht. Seither wurde die Anzahl der zumeist aus dem königlich
ungarischen Staatsgestüt Bäbolna angekauften, arabischem Blute ent-
stammenden Deckhengste beträchtlich vermehrt, sodass gegenwärtig 92
I [engste, wovon 5 aus Syrien, zur Verfügung stehen, die zur Saison aus
den landesärarischen Hengstcndepöts Sarajevo und den Filialen Mostar und
Travnik auf 61 Beschälstationen vertheilt werden. Ausserdem befinden
sich in den Hengstendepots noch 15 Stück von der Insel Cypern ein-
geführte Eselhengste, die zumeist in der Hercegovina für die Maulthierzucht
verwendet werden. Ausserdem sind im Fohlenhofe bei der landwirth-
schaftlichen Station Ilidze 1 1 Mutterstuten und 4 Hengstfohlen aufgestellt.
Eine weitere Maassnahme auf landwirtschaftlichem Gebiete bildet die 1892
— 466
erfolgte Einrichtung sogenannter Bauernmusterwirthschaften. Ihr
Wesen besteht darin, dass einzelne Bauernwirthschaften unter der Anleitung
und fortgesetzten Aufsicht eines landwirthschaftlichen Fachbeamten der
Station, in deren Bereich sich die Wirthschaft befindet, mit den gegel><
Mitteln des betreffenden Bauers einer rationelleren Wirthschaftsweise zu-
geführt werden. Den betreffenden Besitzern wird von der Station auch
materiell durch Hergäbe von Saatgut vorzuglicher Qualität, sowie durch
Zuwendung kleinerer Geldbeträge zur Adaptirung von Stallungen und
sonstiger Wirtschaftsgebäude an die Hand gegangen. Solche Bauern-
wirthschaften bestehen gegenwartig in den Bezirken Livno, Gacko und
(iradacac. Gleichzeitig mit der Einführung der Zuckerrübenkultur in Nord-
bosnien (wir brachten die näheren Daten bei Erwähnung der Zuckerfabrik
Usora) wurde die Einführung, beziehungsweise Hebung des Kartoffelbaues
in den südlichen Theilen der Hercegovina, hauptsächlich in den Bezirken
Bilek und Trebinje durch Hergabe ansehnlicher Mengen aus Ungarn und
Slavonien bezogener Saatkartoffeln bewirkt, und wurde später mit dem vor-
handenen Saatgute eigener Produktion, sowie mit den in den landwirth-
schaftlichen Stationen Gacko und Livno zu diesem Zwecke angebauten
Saatkartoffeln auch die Bevölkerung der Bezirke Livno und Bugojno nebst
dem Expositursbereichc Kupres mit guten Saatkartoffeln versehen. Ferner
wurden erhebliche Mengen von oberungarischer und schottisch-böhmischer
Saatgerste an die Bevölkerung abgegeben. Was zur Hebung der Weinbau-
und Obstbaumzucht geschieht, ist an anderen Stellen unserer Schilderung
erwähnt worden. Beachtung verdient die Thätigkeit der Landesregierung
auch auf dem Gebiete der Seidenraupenzucht. Es sind 17 Maulbeerbaum-
schulen errichtet und bisher 250000 Stück Maulbeerbäumchen vertheilt
worden.
Livno speziell ist bereits ein landwirthschaftlicher Mittelpunkt in
fortschrittlicher Beziehung geworden, dessen Wirksamkeit auch im benach-
barten Dalmatien zu spüren ist. Die Stadt, die gegen 5300 Bewohner,
die Hälfte Mohammedaner, besitzt, treibt ziemlichen Handel, und ihre Kunst-
industrie in eingelegten Arbeiten (meist Cigarren- und Cigarettenspitzen
wie Messer) ist seit jeher berühmt.
.... Von Travnik aus führt die Eisenbahn (41 Kilometer bis Bugojno)
in prächtigster Gebirgsgegend über die Stationen Turbet und Goles auf die
Höhe des Komar. Es ist eine Strecke für Hochbauten; Eisenbrücken,
Aquädukte, Viadukte wechseln in bunter Reihenfolge ab. Ueber den Komar
(12 17 Meter) ist, wie auf der Mostar — Sarajevoer Strecke über den Ivan,
das Zahnstangensystem für die Steigungen eingeführt. Die Höhe des
Komar selbst wird nicht übersetzt, sondern von einem mächtigen Tunnel
durchbrochen. Von der Station Komar aus wird nach weiteren 278 Metern
die Station Oborci erreicht, wo die Zahnstange überwunden ist. 1 )ie
30*
— 467 —
Trace fährt, stetig i 5 Prozent fallend, als Adhäsionsbahn durch ein ziemlich
fruchtbares, wohlbebautes, sich stellenweise verengendes Thal weiter, er-
reicht nach 6 Kilometer Thalfahrt die ersten Häuser von Dolnji-Vakuf und
zieht an der rückwärtigen Lehne mitten durch einen Theil dieses Ortes,
um zunächst die Hauptstrasse und dann mittelst einer 45 Meter weiten
Eisenbahnbrücke den Vrbas zu übersetzen, wo die Station Dolnji-Vakuf
erreicht wird. Von hier fährt die Bahn auf einem 2 bis 3 Meter hohen
Damme durch die Ebene Skoplje — die wir bei der Landtour bereits
beschrieben — und erreicht die Personen-Haltestelle Kopcic. Von den
flachen Ufern des Vrbas aus gewinnt man rechts einen Blick in das
Station Uhorci mit dem Koraar.
Koprivnicathal und auf die Veste Prusac. In der Fahrtrichtung erheben
sich drei mächtige, bis in den Hochsommer mit Schnee bedeckte Berge,
links die Vranica (2000 Meter), rechts die Radusa (1800 Meter) und weiter
nach Südwest der Stozcr (1600 Meter). Sechs Kilometer weiter führt der
Zug — stets auf hohem Damme — in den Bahnhof von Bugojno.
Die Zweigbahn von Dolnji-Vakuf nach Jajce läuft sofort nach Ver-
n der Station in einem scharfen Bogen in das sich hier verengende
Vrbasthal ein. Immer am linken Ufer des Vrbas auf meist steilen Ge-
hängen, vielfach in deren scharfen Buchtungen mittelst Steinsätzen ein-
gemauert, verfolgt sie seinen Lauf in Richtung und Steigung nahezu
parallel mit ihm. Die Steigung beträgt auf ungefähr 30 Kilometer durch-
— 468
schnittlich 5 Meter auf 1000 Meier. Drei Kilometer vor Jajce beginnt die
Bahn beträchtlich zu steigen. Die Steigung ist bedingt durch die einzig
mögliche Anlage der Station Jajce in der über dem Vrbas höher liegenden
Pliva-Thalsohle. Die Bahnanlage fügt den Eigenthümlichkeiten von Jajce
manches neue Bild zu. Da ist z. B. ungefähr einen Kilometer von der
Stadt entfernt ein Felseneinschnitt, der seine beiden steilen rothgefarbten
Böschungen schroff in die Lüfte streckt. Er sieht aus wie eine gigantische
Zahnlücke, durch die man von Weitem den alten Königsthurm wie in
einem Rahmen erblickt. Unmittelbar vor der Pliva folgt ein riesiger Tuff-
einschnitt, wie herausgesägt aus dem Gestein, und gleich darauf erreicht
man die hohe dominirende Plivabrücke, die in ihrer schönen Eisen-
konstruktion einen neuen Schmuck des unvergleichlichen Stadtbildes bietet.
Im Vrbasthal nach Banjaluka.
Die frühere Hauptverbindung von Jajce nach
Banjaluka führte in einem grossen .Bogen ununter-
brochen über steile Gebirgshöhen, über Varcar-Vakuf
und Han Cadjavica, die unwirthliche Hochebene der
Dobrnja-Planina hinunter nach der zweitgrössten Stadt
Bosniens. Allerdings bestand auch im Vrbasthale ein
Gemsensteig, aber Dr. Blau meinte schon im Anfang
der Siebziger Jahre, dass er so wenig betreten und so schwer zu passiren
sei, dass ihn noch kein Reisender gewählt hätte. Diesem bedauerlichen
Mangel an einer kürzeren und guten Verbindung hat die bosnische Landes-
regierung mit gewohnter Entschlossenheit schnell und gründlich abgeholfen;
sie Hess eine neue Fahrstrasse längs des Vrbas in die Felsen sprengen
und fügte so ihren phänomenalen Strassenbauten ein Meisterwerk ersten
Ranges hinzu, das eine Gegend voll unvergleichlicher Schönheiten dem
Reisenden erschliesst.
Der Regen hatte in Jajce noch nicht nachgelassen, als wir mit einem
Mohammedaner, der eine leichte europäische Kalesche besass, wegen der
Fahrt auf der neuen Strasse nach Banjaluka unterhandelten. Er stellte hohe
Preise, doch Hess er sich schliesslich für 18 fl. herbei, uns dorthin zu bringen.
Sie war noch nicht eröffnet, aber die behördliche Erlaubniss zum Befahren
der neuen Strasse hatten wir in der Tasche, wir wussten, da^s ein Objekt,
die Eisenbrücke bei Karanovac, noch nicht fertig montirt, dass der Wagen
aber auf einer Fähre über den Vrbas gebracht werden könnte. So
nahmen wir denn beim Anbruch des Tages Abschied vom »Grand Hotel«
in Jajce und vertrauten uns dem Wagen an, den unser Mohammedaner
stolz eine Kalesche nannte. Als Kutscher stellte er uns einen seiner
Knechte, der abgerissen und wenig vertrauenswürdig aussah, der sich aber
in der Folge ausgezeichnet bewährte.
470 —
Kaum hatten wir in die Strasse am linken Vrbasufer eingebogen, als
auch schon die Sonne hervorbrach und noch einmal mit goldenem Scheine
das alte romantische Jajce bestrahlte, das mit seinen Zinnen und Mauern
einen unbeschreiblichen Anblick gewährte. Auf einer provisorischen Holz-
brücke, die jetzt durch eine solche von Kisenkonstruktion (47 Meter lang)
ersetzt ist, überschritten wir den Fluss. Ein uraltes Franziskaner-Kirchlein,
Podmiljaca, steht nicht weit von der Strasse, ein Bild der Verlassenheit und
des gezwungenen Verbergens in osmanischer Vorzeit. Mehrere Kilometer
weit führt die Strasse am rechten Ufer, immer in wundervoller Gebirgs-
gegend, bis endlich eine wilde Gebirgsengc erreicht ist. Der Felsen Greben
überspannt den schäumenden Fluss, überall erheben sich steile, grossen-
theils bewaldete Abhänge, das Dcfilc förmlich abschliessend. Wir über-
setzen abermals den Vrbas und fahren direkt in einen $6 Meter langen
Tunnel, der in mehrfachen Windungen in der Fahrstrasse am linken I fer
ausmündet. Wir sind mitten in einem schmalen Kessel von bezaubernder
Wildheit. Bald folgt ein zweiter Tunnel von 44 Meter Länge, der durch
die Vlasinje Stjene gebrochen ist. Man sieht, die Anlage der Strasse hat
grosse Schwierigkeiten bereitet. Alle Abhänge zu beiden Seiten des im
engen steinigen Bette rauschenden und schäumenden smaragdgrünen
Flusses sind schroff und dicht bewaldet, meist Nadelholz, aber auch
hübsche Steineichen und Xussbäume. Die »Bijele Stjene« (Weisse Felsen)
Von der Strasse Jajce-Banjaluka. ;Vor dem Tunnel.)
— 473 —
474 —
Parthic von der Strasse im Vrbasthal.
werden auf einer 30 ' Meter hohen Felsenböschung umgangen; Ab-
rutschungen und Geröllhalden sind untermauert und versichert. An den
meisten Stellen ist die Strasse direkt den Felsen abgewonnen und die
mächtigen Riesen des Waldes, die den Sprengungen mit zum Opfer ge-
fallen, liegen noch am Steilrande des Flusses. Mehrmals zeigten sich in
diesem primitive Mühlen, ohne dass weit und breit eine menschliche
Wohnung oder ein gangbarer Steg zu entdecken gewesen wäre. In
Waldlichtungen lagen verfallende Arbeiterbaracken, die für die beim
Strassenbau beschäftigten Leute als Unterkunftsorte gedient hatten.
Wir hatten den Einfluss des Ugar, eines wilden Gebirgswassers, am
rechten Ufer passirt und einen Blick in eine schmale Felsenenge gewonnen,
wo viel Gemswild seinen Standort haben soll, als wir links abermals ein
Flüsschen dem Hauptstrom zueilen sahen. Hier öffnete sich ein hübsches
Thal mit grünen Matten und ein schmaler Weg führte nach Westen.
Es war die Crna Rjeka, längs deren Ufer ein Reitpfad nach Varcar-Vakuf
führt. Bald darauf erreichte die Strasse eine grössere Lichtung, eine
ziemlich ausgedehnte Ebene, die sich aber nur jenseits desVrbas erstreckte.
An einigen neuen Strassenhäusern und einem hübschen Brunnen vorüber
gelangen wir nach Bocac. Links einige Türkenhäuser mit einem Hau.
rechts wieder mohammedanische Behausungen inmitten von Xwetschken-
und Nussgärten, vor uns aber auf einem steilen Felsen eine alte mächtige
475
>
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Burgruine mit einem gut erhaltenen Rundthurm und einem Vorbau direkt
am Vrbasufer, wie auch auf der gegenüberliegenden Seite. Neben den
Ruinen steht eine kleine Moschee, im Thale und auf den Berglehnen aber
liegen wieder Häuser nebst einem kleinen weiss getünchten Kirchlein und
den aufgedeckten Resten einer altchristlichen Basilika. Im I lau, wo wir
wegen der Fütterung der Pferde hielten, war nicht einmal Heu, auch kein
Burg Krupa.
Kaffee zu erhalten, doch versorgte uns ein alter mohammedanischer Aga
mit beidem und er brachte uns auch noch frische Wallnüsse. Gegen-
wartig ist hier eine Frühstücksrestauration errichtet.
Nach einer Stunde Rast setzten wir die Reise fort. Durch die
Felsenenge bei der Burg Bocac treten wir in ein weites Thal, Aginoselo,
das reichen Ackerbau zeigt, dann geht es wieder in eine Wald- und
Gebirgswildniss, die aber viele liebliche Bilder bringt. Ein lichter Hain
schönster Buchen bedeckt bis hinauf zum Grat der Berge die Hänge.
Aus ihnen schimmert das Laub der Silberlinde, die stellenweise in grosser
Zahl auftritt. Auch Hainbuchen und Hopfenbuchen (Ostrya Carpinifolia),
die reich mit Früchten behangen sind, deren krugförmige, aufgeblasene,
dünne, das Nüsschen umschliessende Hülle die hängenden Fruchtkätzchen
477
einem Hopfenzäpfchen ähnlich macht, sind in diesem Laubwaldpark
vorhanden. Und ehe wir aus dieser Thalenge treten, gewahren wir hoch
über uns auf dem hohen Zacken der Manjaca die mächtigen Ruinen der
alten Veste Krupa, deren gut erhaltene, an die senkrechten Felswände
sich anschmiegenden Schutzmauern über den ganzen Abhang gegen den
Fluss bis hart an das Wasser hinunterreichen. Sie bildete einst, wie so
- 478 -
Enge Tjesno an der Strasse Jajce-Banjaluk;
viele der alten Burgen, die vollendetste Thalsperre. Wir gelangen in eine
weite Ebene, in sanften Wiesengrund, auf dem Heerden weiden und ein
Dorf malerisch gebettet liegt. Es ist Krupa, meist von Griechisch-
Orthodoxen bewohnt, mit dem schonen Tschardak (Sommervilla) des lieg
Gjumisic aus Banjaluka. Die Sonne leuchtet in wunderbarer Klarheit, die
Luft ist von entzückender Frische und Reinheit, so dass wir eine Strecke
des Weges zu Euss zurücklegen, begleitet vom Gezwitscher der sonst
ziemlich seltenen Vögel.
Wir treten jetzt in die Enge von Tjesno, eine Felsschlucht, wie sie
selten so wildromantisch in Bosnien, in dieser Eigenart auch nur an wenigen
Punkten der Hochalpen zu finden sein dürfte. Den Eingang in das schmale
Defile beherrschen auf einem förmlichen Felsenlabyrinth die Ruinen von
Zvecaj-Grad, einer Veste, die einstmals ein echtes Raubnest gewesen sein
mag. Der bosnische Herzog Hrvoja soll im 15. Jahrhundert hier residirt
haben. Dann kommen wir aus dem Licht in ein mystisches Halbdunkel.
Hoch über dem gänzlich eingeengten Wasserspiegel des Vrbas — etwa
15 Meter — zieht sich die neue Strasse hin. Sie ist durchweg in die
senkrecht emporsteigenden Felsen gesprengt, dadurch vielfache weite
Höhlen biossiegend. Auf den Hängen überragen oft mächtige Wallnuss-
bäume den Weg, während stellenweise wilder Wein (Yitis silvestris) herab-
rankt. Rechts aber, über dem Vrbas, ist das Terrain des Hochgebirges.
Soweit das Auge reicht, himmelanstrebende Wände, mit schlanken Nadel-
hölzern und vereinzelten Buchen bestanden. In den Klüften jedoch hausen
mächtige Adler und fünf derselben kreisen auf einmal über dem engen
Thal. Wer sollte sie auch hier stören und verfolgen, wo ein Erklimmen
ihrer Höhen und Horste ganz undenkbar, wo selbst bei einem möglichen
sicheren Schusse das Thier nicht zu erlangen ist? Ein Blick hinunter in
den Vrbas ist aber ein unbeschreibliches Schauspiel. Eingeengt auf eine
Breite von kaum 10 Meter scheint es, als ob der Fluss sein Bett sprengen
wolle. Er schäumt und brodelt, er kocht und wirft seinen Gischt hoch
empor an den Ufern, seinen Feinden, deren Starrheit er erst im Laufe
von Jahrtausenden besiegen kann. Und doch gerade dort, wo sich die
weissen Schaumkämme stets stossen, da stehen Blumen, da ist die blaue
Glockenblume, die in Bosnien so häufig ist, und aus dem Schutt der
Sprengungen blüht neues Pflanzenleben in Gestalt des Lerchensporns mit
gelblich-weissen Blüthen. Am oberen Uferrand aber hauchen Cyclamen
ihren betäubenden Duft aus.
Drei Kilometer ist die Tjesno -Schlucht lang, die grossartigste Partie
auf der 72 Kilometer langen Strecke. Da öffnet sich auf einmal die Enge
und so weit das Auge reicht, sehen wir grünes Hügelland, fruchtbare
Fluren, Dörfer und Gehöfte, durch deren Gemarkungen sich der nun zahm
gewordene Vrbas schlängelt. Wir halten in Karanovac, einer Anlage der
31
— 4S1 —
432
Strassenbau- Inspektion mit Arbeiterhäusern und Kantinen. Sektions
Ingenieur Herda, der den Bau geleitet, empfängt uns, und er sorgt dafür
dass unser Wagen über den Vrbas gebracht wird. I),, damals bestandene
provisorische Ueberfuhr war für solche Fuhrwerke schlecht eingerichtet
es dauerte geraume Zeit, bis wir den Wagen auf die Plätte gebracht
hatten, wahrend die Pferde mit unserem Kutscher den I durch
schwimmen mussten. Und doch stand schon wenige Meter von uns die
machtige neue Eisenbrücke, an deren Fertigstellung noch , heitet
Trubel1 'tT irr^'" HindriiSS la^St ***** Und in schl-kem
rrabe fahrt die Dihgence /waschen Banjaluka und Jajce auf der Wbasthal
Strasse, die in ihrer landschaftlichen Schönheit und Erhabenheit der
Auf der Strasse im Vrbas thal.
31*
— 4S3 —
Via mala an die Seite zu stellen ist. Wenn man nun erfährt, dass der
Bau nur anderthalb Jahre in Anspruch nahm, wird man der Bauleitung
die rückhaltloseste Anerkennung nicht versagen.
Die letzten 14 Kilometer von Karanovac bis Banjaluka, die schon
alten Weg bedeuten, wurden von uns in der Kühle des Abends zurück-
gelegt. Ueberall Dörfer, Felder, Heerden, reitende und gehende, singende
und schwatzende Landleute — ein echtes Feierabendbild. In Novoselo,
einer erst in den siebziger Jahren durch eingewanderte Mohammedaner aus
Serbien gegründeten Ortschaft, mit ihren vier kleinen Dzamijen verkündete
der Muezzin bereits Aksam, als wir durchfuhren. Dann wechselten wir
wieder das Flussufer, und durch die ausgedehnten Vorstädte von Banjaluka,
das grüne Gornji-Scheher, durch die ganze weitgestreckte Stadt, dauerte
es noch lange, ehe wir unser Quartier im »Hotel Bosna« erreichten. Es
hatte wieder zu regnen begonnen, der Tag aber war uns nicht durch die
Witterung verdorben worden. Es war eine der lohnendsten und genuss-
reichsten Fahrten in landschaftlicher Hinsicht auf bosnischem Boden.
T^
Banjaluka.
Banjaluka vermittelt den Uebergang vom Orient zum Abendland und
doch ist es eine noch echt bosnische Stadt, trotz des vielen Europäischen
und Halbeuropäischen, das hier zu sehen ist. Diejenigen Besucher des
Landes, welche mit der Bahn von Kroatien aus nach Banjaluka kommen,
erhalten den ersten Eindruck des bosnischen Lebens und Treibens; hier
wird ihnen die Einführung vermittelt, bis sie immer tiefer ins Innere, in
den Kern des vielen Interessanten, das sich im Lande verbirgt, eindringen.
Die grosse Handelsstadt [Banjaluka zählte 1885 gegen 12OOO Bewohner
(unter denen 7000 Mohammedaner waren), heute 147 891 war schon lange
vor der Okkupation mit »Europa« — auf der Balkanhalbinsel und auch
in Bosnien sagt man stets Europa, wenn man von den übrigen Ländern
unseres Welttheiles spricht, sich selbst rechnet man zum Orient — durch
die Bahn Dobrlin-Banjaluka verbunden. Sie hatte zwar keinen Anschluss
an eine kroatische Strecke, denn die Linie Kostajnica-Sissek wurde erst
lange nach der Besitznahme Bosniens erbaut, aber der Verkehr nach der
Grenze war erleichtert und abgekürzt und es schien fast, als würde Bosnien
der Militärgrenze den Rang ablaufen. Wohlverstanden unter türkischer
Zeit; heute maasse ich mir eine Parallele nicht an, ich konstatire nur. wie
die Verhältnisse in Bosnien liegen, ohne die Nachbarländer zu streifen.
Aber die normalspurig gebaute Eisenbahn nach Banjaluka, die nach
Sarajevo und über Sjenica im Paschalik Novibazar nach Mitrovica zum
Anschluss an die Bahn nach Salonichi weitergeführt werden sollte, blieb
Kopfleiste : Am Park in Banjaluka.
- 4S5 -
eine Sackbahn; das türkische »Jawasch, jawasch« (am besten mit: »Immer
langsam voran« zu übersetzen) hinderte jeden Fortschritt, jeden Weiterbau;
die Geldmittel waren auch nicht flüssig und so kam die Insurrektion von
1875 der damaligen Bahnverwaltung (Gesellschaft der ottomanischen Bahnen,
die in Deutschland ihren Sitz hat) sehr gelegen. Sie ermöglichte, im
Januar 1876 den Betrieb einzustellen, der die Kosten nicht lohnte, und
Gras wuchs auf den Schienen, die Bosnien dem Weltverkehr erschliessen
sollten. Erst 1878 wurde nach der Okkupation der Betrieb von der k. k.
Militärverwaltung wieder aufgenommen, die ihn auch bis heute im An-
schlüsse an die ungarischen Staatsbahnen führt.
Eine Art fremden Elementes, ein gewisser frischer Luftzug, kam aber
auch schon unter türkischer Zeit nach Banjaluka, und es gab hier immer
eine österreichisch-ungarische Kolonie, für die ein Vicekonsul wirkte. In
der Anschauung der maassgebenden mohammedanischen Grundbesitzerkreise
änderte dies freilich nichts; sie blieben starr abgeschlossen und erst die
letzten anderthalb Jahrzehnte haben sie zu anderen Ansichten bekehrt.
So scheidet sich eigentlich Banjaluka seiner ganzen Anlage nach in eine
echt türkische, eine gemischte und eine ganz europäische Stadt. Und diese
Theilung kommt im Handel und Wandel, im Leben und Treiben zum
Ausdruck. Selbst die Lage der Stadttheile ist dementsprechend. Die
Stadt liegt im südlichen Zipfel der 40 Kilometer langen und im Norden
30 Kilometer breiten deltaförmigen Ebene längs der Save, deren östlichen
Theil der Vrbas durchfliesst, deren westlicher die Strasse über Gradiska
nach Slavonien durchzieht. Das neue europäische und ein Theil des ge-
mischten Stadtviertels liegen noch in der Ebene, die echt mohammedanischen
Viertel sind in die Berge eingekeilt, die sich zu beiden Seiten des Vrbas
erstrecken und sich ganz nahe der Stadt zu förmlichen Schluchten ver-
engen. Durch seine Lage ist Banjaluka ungemein bevorzugt, es liegt
praktisch im Handels- und Geschäftssinne, es ist aber auch ungemein
pittoresk in landschaftlicher Beziehung.
Den schönsten Anblick geniesst man allerdings, wenn man von Norden
aus der Ebene kommt. Schon weit vor der Stadt sieht man die Minarets
sich vom Horizont abheben; am Fusse eines Bergabhanges wird das
Trappistenkloster Maria-Stern mit seinem bedeutenden Gebäude-Komplex
erkennbar, und nach einer Biegung des Weges hat man die volle Sicht
auf die Stadt. Von drei Seiten in einem grossen Halbmonde von Bergen
umschlossen, am mächtig rauschenden Vrbas, über den mehrere Brücken
führen, präsentirt sie sich in der weiten Ebene wunderhübsch. Von Weitem
sehen auch die türkischen Häuser, umgeben von Gärten und Bäumen recht
nett und anmuthend aus, während sie in der Nähe oft genug ein Bild des
Verfalles bieten. Wer mit der Eisenbahn ankommt, tritt zuerst ins
europäische Viertel. Bis vor nicht langer Zeit lag der Bahnhof weit
— 4S6 —
Stadttheil am Vrbasflusse in Banjaluka.
draussen vor der Stadt, im sogenannten Trn, das nur aus wenigen Häusern
besteht und wohin die Archäologen die alte Stadt vor der türkischen Er-
oberung verlegen wollen. Jetzt ist ein grosser Bahnhof in der Stadt gebaut,
dicht hinter dem »Hotel Bosna«. Am Eingange des Ortes liegt an der
breiten Heerstrasse, welche die Eisenbahn übersetzt, das Militärspital mit
vielen Nebengebäuden, umgeben von neu angelegten üppigen Gärten, die
Promenadenwege von Bäumen begrenzt. Dann kommt das grosse Militär-
lager mit seinen Baracken und Kasernen, wieder mit Gartenkultur. Jede
der Baracken besitzt ihren eigenen Gemüsegarten, der stets gut gepflegt
ist. Wie die römischen Legionen hat das Militär in diesem Lande arbeiten
müssen, erobernd, kolonisirend und kultivirend. Neben dem Bau von
Strassen und Gebäuden (ehe die Civilverwaltung eingreifen konnte) musste
auch eine Gartenkultur eingeführt werden, sonst wäre die Menage sehr
einförmig ausgefallen. Jetzt versteht jeder Soldat, wie er seinen Salat und
seinen Kohl bauen soll und die Bosnier wunderten sich nicht wenig über
die Geschicklichkeit der Truppen. Nachgeahmt haben aber gerade in
Banjaluka das lohnende Geschäft des Gemüsebaues nur wenige Eingeborene;
sie überlassen dies den »Schwaben« in den deutschen Kolonien an der
Gradiskaner Strasse und den am rechten Ufer des Vrbas in der Nähe der
Zigeuner-Mahala angesiedelten Bulgaren, welche prächtige Gartenkultur
489 -
besitzen und auch die eigenthümliche Bewässerungsmethode mit den grossen
Schöpfrädern aus der Heimath hierher verpflanzt haben.
Von dem Barackenlager weiter schreitend, kommt man zu der riesigen,
aus türkischer Zeit stammenden »Vrbas-Kaserne«, die in guten Bauzustand
versetzt wurde. Besonders die Ställe für die Pferde imponiren durch ihre
Ausdehnung und Reinlichkeit. Ein grosses, mehrstöckiges Amtsgebäude
schliesst dieses Viereck ab, worauf man zu einer der schönsten Anlagen
von Banjaluka gelangt: zum »Rudolfs-Weiler«. Es ist dies eine Park- und
Waldanlage, innerhalb welcher sich verschiedene Gebäude für militärärarische
Zwecke, Offizierswohnungen u. s. w. befinden. Grosse breite Strassen, mit
Alleen von Linden, Platanen und anderen Bäumen bepflanzt, durchschneiden
die Anlage, von Gebwegen mit blühenden Hecken eingefasst. Blumen-
beete und Xadelholzanpflanzungen machen den Gesammteindruck zu einem
sehr anheimelnden und freundlichen. Auf dem Exercierplatze — einer
weit ausgedehnten Wiese, auf der eine Armee Aufstellung nehmen könnte
- befindet sich ein Denkmal für die am 14. August 1878 anlässlich des
verräterischen Ueberfalles Gefallenen. Dasselbe ist in Gestalt einer Halb-
pyramide aus Quadern erbaut und mit einer gusseisernen Gedenktafel
versehen.
In seinem nördlichen Theile macht Banjaluka ganz den Eindruck
einer slavonischen Grenzstadt durch seine riesig breite Fahrstrasse und die
weiten Gehwege. In diesem Viertel stehen die neue katholische Kirche,
das »Hotel Bosna« mit umfangreichen Restaurations- und Kaffeehaus-
räumen (ausserdem sind noch das »Hotel Austria«, »Brückner« und viele
Einkehrvvirthshäuser in Banjaluka zu nennen), die serbische öffentliche
Volksschule in einer ehemaligen grossen türkischen Kaserne, viele Kauf-
läden und Privatsrebäude von wohlhabenden Orthodoxen und Fremden.
v
Dann beginnt das eigentliche Handelscentrum der Stadt, die Carsija
(Bazarviertel) mit ihren niederen Häusern und hölzernen Läden, in denen
nach alter Sitte die Waaren feilgehalten werden. Es war gerade Haupt-
markttag, als ich das letzte Mal hier weilte, daher herrschte ein un-
beschreibliches Gedrücke und Gedränge, ein Feilschen und Handeln, ein
Geruch von gebratenem Fleisch, Zwiebeln und Knoblauch. Unten aber, in
Folge des mehrtägigen Regenwetters, trat man in fusstiefen Schlamm. Die
Gässchen der Carsija sind eng, schlecht gepflastert und ungemein
schmutzig. Scheu drängt sich hin und wieder einer der wenigen noch vor-
handenen herrenlosen Hunde — dieser echten Staffage des Orients — durch
die Menge, meist den Fremden anschnüffelnd und von ihm eine Gabe fin-
den halbverhungerten Leib erflehend.
Die Carsija bietet zu lebendigem Sehen überreichen Anlass. Schon
die verschiedene Kleidung der Käufer! Nirgends sieht man so viele schöne,
buntgestickte Kleider, Hemden, Schürzen, als bei den nach Banjaluka
— 490
kommenden Hauerinnen. Die prächtigsten Muster wechseln mit einander
ab und dabei herrscht eine Farbenfreudigkeit, wie sie weiter im Süden
Bosniens nicht so ausgeprägt vorkommt. Dazu die verschiedenen Haar-
frisuren, die merkwürdigen Kopfbedeckungen und die schönsten Gold-
und Silberschmucksachen, die man sich nur denken kann. Der gebräuchliche
Münzenschmuck, meist geschmackvoll angebracht, dazu heitere und lachende,
wenn auch nicht gerade immer schöne Gesichter -- es ist ein Bild, das
zur Fröhlichkeit stimmt. Die Manner allerdings lassen sehr viel an ihrer
Tracht vermissen, was der Schönheit dienen würde und sie erinnern stark
an die kroatischen und slavonischen Bauern. Aber sie lernen, sie arbeiten,
sie werden immer mehr Freibauern, des Kmetenverhältnisses los und ledig
und darum sei ihrer mit Achtung gedacht. Es ist jüdischer Feiertag, die
Geschäfte der einheimischen Juden, der Spaniolen, geschlossen. Aber in
den Strassen spazieren überall die Frauen in ihren reichen, glänzenden
Kleidern. Meist sind es hübsche Gestalten mit schönen Gesichtern,
prächtigen Augen und selbstbewußter Haltung. Sie bilden den schärfsten
Gegensatz zu den Türkinnen, die scheu und vermummt sich immer in der
Nähe dev Häuser halten, als ob sie zur Klasse der Paria gehören würden,
während doch die Mohammedaner auch heute mit Recht eine Achtung
gebietende, vollkommen geschützte, wenn auch nicht mehr über dem
Gesetze stehende Stellung einnehmen.
Banjaluka ist eine alte Stadt. Römische Bäder beweisen, dass hier
eine Kolonie sich befand; vielleicht das nach der Peutinger'schen Tafel am
Flusse Urbanus gelegene »Castra«. Gewiss ist, dass die aus Salona an
der Adria über Dalmatien nach Pannonien erbaute Strasse über
»Ad Fines« und >;Servitium« zum heutigen Berbir (Bosn.-Gradiska)
an der Save führte. Das ist auch der Weg, welchen die Avaren
nahmen, als sie ins römische Reich einbrachen und Bosnien verheerten,
was die Gothen später noch gründlicher besorgten. In der Zeit der
bosnischen Könige besass Banjaluka (Lukasbad) wenig Bedeutung; es war
nur ein festes Kastell zwischen Berbir und Jajce; erst die Türken erkannten
die Wichtigkeit der Lage und erhoben den Ort zu einer Stadt höheren
Ranges. Viele Kämpfe und Schlachten sah Banjaluka in seiner Ebene und
vor den Mauern seines Kastells, i 527, 1688, 1737 fochten hier österreichisch-
ungarische Heere gegen die Türken. Von hier aber ging auch die
charakteristischste Bewegung aus, welche das mohammedanische Bosnien
aufzuweisen hat. Noch im serbischen Aufstande zu Anfang unseres Jahr-
hunderts unter Karagjorgje und später 181 5 unter Milosch Obrenovic
kämpften die kriegslustigen bosnischen Begs und Agas für die Pforte.
Kaum aber kam die Kunde, dass der Sultan die serbische Rajah befreien
wolle und sich sogar in Unterhandlungen mit den Empörern eingelassen
habe, als auch schon die bosnischen Janitscharen unter Führung von Ali
493 —
Beg Yidaic, des Kapetans von Zwornik, zu den Waffen griffen, um gegen
diesen Friedensschluss zu protestiren. Erst im Jahre 1821 unterdrückte der
energische Dschcllaleddin Pascha, der in einer Nacht dreissig bosnische
Adelige um einen Kopf kürzer machen liess, die Bewegung. Als aber im
Jahre 1826 die Begs hörten, dass in Stambul alle Janitscharen niedergemetzelt
seien, da entfaltete Ali Beg Vidaic neuerdings die Fahne der Revolution und
der damalige bosnische Vezier Hadzi Mustafa Pascha musste, als er den
die Auflösung der Janitscharen ankündigenden Ferman und die konfessionelle
Gleichberechtigung verlautbaren wollte, aus Travnik flüchten. Sein Nach-
folger, der energische Abdurrahman Pascha, vermochte den Aufstand
wieder nur mit zahlreichen Hinrichtungen und vielem Blutvergiessen zu
unterdrücken. Da kam der russisch-türkische Krieg von 1828 und 1829.
Die Russen standen in Adrianopel, Sultan Mahmud II. schritt ernstlich zu
europäischen Reformen. Auch in Bosniens Gebirgen, dem Sitze des
starresten Alttürkenthums, sollten sie Eingang finden. Aber der bosnische
Adel war nicht geneigt, sich den Giauren und dem »Giaursultan« zu fügen.
Wieder wurde zu den Waffen gerufen und der Kapetan von Gradacac,
Hussein Berbirli Aga, war es, der in Banjaluka die Aufständischen ver-
sammelte. Der »Zmaj bosanski« (bosnische Drache) entfaltete die grüne
Fahne des Propheten, er eroberte ganz Bosnien, er zog mit 40 OOO Mann
aufs Amselfeld, er eroberte alle Städte bis weit nach Rumelien, und ohne
die Geschicklichkeit des Grossveziers Reschid Pascha, der Zwietracht zwischen
Bosniaken und Albanesen säte, wäre Hussein Berbirli Aga auch nach
Konstantinopel gekommen. So mussten die Bosnier zurückkehren (wir
haben den Verlauf dieser Bewegung an anderer Stelle geschildert), und
1 hissein Aga musste auf ungarischen Boden nach Essek flüchten, von wo
er später als Begnadigter nach Bosnien zurückkehrte, aber nach Trapezunt
gebracht wurde, wo er starb. Und trotz aller Hinrichtungen erhob sich
der trotzige bosnische Adel 1849 wieder, er wollte nie den Christen die
Gleichberechtigung zugestehen. Omer Pascha — der einst als österreichischer
flüchtiger Militärfeldwebel in Banjaluka zum Islam übergetreten war —
schlug den Aufstand mit unerbittlicher Strenge nieder und auch in
Banjaluka flogen die Häupter von den Rümpfen. Es ist ein seltsames
Zeichen, dass einst gerade an den österreichisch -ungarischen Grenzen die
Mohammedaner am fanatischsten waren. Samac, Brcka, Kostajnica
und Banjaluka sind die besten Beispiele hierfür, und am 14. August 1878
legte die Banjalukaner Bevölkerung die letzte Probe ihres alten aufrührerischen
Geistes ab. . . .
Und nun zum Kastell, der Festung! Dort, wovon Osten der Ponir, vom
Westen der Laus die tosenden Wasser des Vrbas zusammendrängt, wo dieser
aus dem schmalen Felsdefile der Waldberge hervortritt, beginnt die Stadt.
Der Ponir nach Osten, der Laus nach Westen verlaufend, geben einer
— 494
schmalen langen Ebene Kaum, durch welche der Vrbas noch eine Weile hart
am Ponir dahinfliesst, bis er den von der nordöstlichen Leime de> Gebirges
herabstürzenden Vrbanjabach aufgenommen hat, wonach er in di
Ebene der Save sich verläuft. Während der Vrbas noch unter dem Ponir
fortfliesst, ergiesst sich in ihn von der westwärts liegenden Lehne des
Laus, gerade dort, wo die Ebene in grösserem Maasse -ich erweitert, der
Crkvinabach. Jenseits desselben, zwischen seinem rechten und dem linken
Ufer des Vrbas, im Winkel, den die beiden Wässer bilden, auf den Laus
gelehnt, liegt die alte Stadt mit ihrer Citadelle und der grossen Moschee.
Das Kastell ist von Aussen halb verfallen, doch wird es so viel als möglich
Festung in Banjaluka.
erhalten, wegen der vielen in demselben befindlichen militärischen Gebäude,
des Monturdepöts, des Bettenmagazins, der Gefangnisse, des Pulvermagazins
u. s. w. Eine Offiziers- und eine Mannschaftskantine sorgen für die
leiblichen Bedürfnisse der Besatzung. Ein geradezu idyllischer Punkt Lt
aber der Offiziersgarten, direkt an der dem Vrbas zugekehrten Mauer ge-
legen. Das ist ein wirklich schattiger Punkt in Banjaluka mit üppiger
Vegetation. Hier fand ich blühende Rosen. Die Offiziere haben sich
einen netten Pavillon, Sommerhäuschen, eine Kegelbahn errichtet und
Bänke laden überall zum Ausruhen ein; da giebt es eine »Rudolf-Laube .
eine »Rebenlaube«, und ein tief unten gelegenes lauschiges Plätzchen, in
das kaum ein Sonnenstrahl dringen kann, wurde »Zum kühlen Grunde«
getauft. Der Anblick von diesem Garten auf den Vrbas, die jenseits
desselben gelegenen einsamen türkischen Viertel mit ihren vielen kleinen,
aus dem Grün hervortretenden Moscheen mit zum Theil hölzernen Minarets,
— 495 —
und auf die Abhänge der Ko-
zara, istwundervoll. Nebenbei
hat man auch die Aussicht auf
den beim Zigeunerviertel ge-
legenen Richtplatz, wo schon
einige schwere Verbrecher, da-
runter der berüchtigte Räuber
Vuksan, ruhen.
Der Konak , jetzt das Ge-
bäude der Kreisbehörde, bildet
mit der nahen grossen Ferhad
Pascha-Moschee das Centrum
der Altstadt, in dem auch der
vornehmere Theil der mo-
hammedanischen Bevölkerung
seinen Wohnsitz hat. Die
Ferhadija ist die bedeutendste
unter den 45 Dzamijen Banja-
lukas und sie wurde eigent-
lich auf Kosten der öster-
reichischen gräflichen Familie
Auersperg erbaut. Der bos-
nische Vezier Ferhad Pascha
hatte, als er im Jahre 1576
bei Radonja in Kroatien den
General Eberhard Auersperg schlug, dessen Sohn Engelbert gefangen
genommen. Aus dem Lösegeld wurde dieFerhadija-Moschee gebaut. Grosse
Lindenbäume beschatten den Vorplatz. In dem Friedhof, welcher die
Moschee umgiebt, befinden sich einige kunstvollere Denkmäler. Erwähnens-
werth ist aber in Banjaluka die Kiraet-hana, die mohammedanische Lese-
halle, die in der nach der Carsija führenden Hauptstrasse als ein Achtung
gebietendes, im maurischen Stil (wie in Sarajevo) erbautes Gebäude sich
repräsentirt. Diese Kiraethane dienen nicht mehr ausschliesslich als Lese-
hallen, sie sind Kasinos, Klubs geworden, in denen Versammlungen und
Vorträge abgehalten werden, die also einen sehr nützlichen Zweck ver-
folgen. Sie besitzen ihr Seitenstück in den Militär- und Beamten-Kasinos,
m den orthodoxen Citaonicas u. s. w. Dass sie den Zusammenhalt der
dort verkehrenden Klassen fördern, ist sicher, noch gewisser aber, dass
sie einst politische Bedeutung gewinnen werden, wenn einmal Bosnien in
den Bannkreis des Parlamentarismus gezogen werden sollte. Nach den Er-
fahrungen, die man in Serbien und Bulgarien, gar erst in Kreta gemacht
hat, wird es allerdings das Beste bleiben, wenn die bisherige Verwaltung —
Ferhad Pasc ha -Moschee in Banjaluka.
— 496
welcher selbst die seinerzeitigen Oppositionellen in den Delegationen die
»mit dem grössten Wohlwollen gepaarte Gemässigtheit nicht absprechen
können — noch eine lange Reihe von Jahren in ihrer gegenwärtigen Ge-
staltung erhalten wird.
Wir besuchen noch eines der erhaltenen Denkmäler aus römischer
Zeit: die alten Bäder. Sie liegen am rechten Ufer des Vrbas, in dem
ungefähr dem Kastell gegenüber beginnenden und eine Stunde weit in die
Bergenge hinaufreichenden Stadttheile, ein gutes Stück flussaufwärts. Der
ganze Stadttheil erstreckt sich dicht neben dem Flusse und dem Ponir.
Der Berg erhebt sich anfangs ioo, weiter oben 300 Fuss über den Fluss,
in den er an manchen Stellen wie eine steile Wand abfällt. Das Bett
des Vrbas ist felsig, sein Fall stark und er wird durch die für unzählige
Mühlen errichteten Wehre noch rauschender. Das Wasser ist gegen 300 Fuss
breit. Am jenseitigen Ufer beginnt sich in Hügeln, die mit Obstbäumen
bestanden sind, wieder ein Höhenzug zu erheben. Die Schlangenwindung
der Bergenge mit ihrer bald verschwindenden, bald wieder auftauchenden
Häuserreihe, hie und da mit einer Moschee zwischen den lauschigen
Gärten und Felswänden, belebt durch den tosenden Wirbel und das Ge-
klapper der Mühlen, ist eine der schönsten Idyllen. Und inmitten derselben
liegen in zwei Gruppen die römischen Bäder. Das eine in der Nähe einer
Brücke ist nur eine Ruine, aus der eine warme Quelle sprudelt. An dieser
Stelle wurden in den siebziger Jahren 600 römische Münzen — wahrscheinlich
die ganze Badekasse — gefunden. Etwas weiter flussaufwärts steht das
noch heute benutzte Bad, ein massives Gebäude mit Kuppeln, dessen
Entstehung in das sechste Jahrhundert verlegt wird, daneben ein anderes,
gleichfalls in Trümmer zerfallen. In der Nähe befinden sich noch drei
bisher nicht gefasste Quellen.
Und überall zwischen Häusern, Gärten und Feldern finden sich die
türkischen Friedhöfe, oft als grosse Keile zwischen den schönsten Frucht-
feldern. Der Todtenkultus mag ja recht schön sein, er hat eine gewisse
Berechtigung, aber am Ende dürfen die Todten doch nicht die Lebenden
aus ihrem Besitz drängen und dies ist in einigen bosnischen Städten fast
der Fall. Immer und überall die Leichensteine sehen, ist nicht Jedermanns
Sache, obwohl der Tod auf dem Balkan nicht im dunkeln Trauergewande
auftritt. Hier ist der Friedhof mehr ein Feld mit wirren Steinsäulen, auf dem
anstandslos Schafe und Ziegen weiden. Nur bei den Moscheen sind die
Friedhöfe wohl nicht gepflegt, aber geschützt und vom Grün überwuchert.
Und dieses Grün, das sich überall findet, ist es, was auch der ganzen
Berggegend, die des eigentlichen Hochwaldes entbehrt, ihren Reiz verleiht.
Die Bergkegel, die aus dem Hochplateau durch zahlreiche Erosionen
herausgewachsen sind, deckt ein Buschwald, hier kaum kniehoch, dort
über mannshoch und ausserordentlich schwer durchdringbar. Knorrige
32
— 497 —
Hainbuchenbüsche, dornige Birnbäume, die nicht aus ihrer krüppelhaiten
Natur herauszukommen scheinen, dichte Buchenbüsche, Haselnusssträucher,
Schwarzdorn, strauchige Feldahorne, Wacholder — alle demüthig dem
Boden angeschmiegt, als würden sie vom Sturme niedergedrückt — bilden
hier den Wald. Und doch grüssen aus ihm Arten, die in den sonnigsten
Süden versetzen. Die kleinen purpurnen Blüthen des Labkrautes (Galium
purpureum), die Zweige des Mäusedornes, die Blüthenköpfchen der kleinen,
weissen mit schwarzblauem Kiel gezeichneten Blumen des krautigen Backen-
klees (Dorycnium herbaceum), die duftende Blume des Alpenveilchens,
die borstigen Aehren des Kammgrases (Cynosurus eclivatus) sind in ihm
versteckt oder kleben in den Ritzen der kahlen Felsen, die hin und wieder
über einige Quadratmeter weit gleich ernsten Mahnern und Warnern die
Schrecken der Yerkarstung in Miniaturbildern zeigen.
Von der Höhe schreiten wir wieder durch stille mohammedanische
Viertel zur hastenden, nie rastenden Europäerstadt, wo Damen wirkliche
Schleppen durch den fusstiefen Koth schleifen, wo die verrücktesten Hut-
moden der Grossstädte in getreuer Nachahmung getragen werden, zum
Schrecken und zum Abscheu der Einheimischen und — der eigenen Ehe-
männer! Im Kaffeehause halten wir Rast und lesen die neuesten Wiener
und Budapester Zeitungen, wir sehen die Spiele, die Unterhaltungen —
es ist schon Abendland. Vorüber zieht ein Leichenzug mit Kreuzen und
Fahnen; Nonnen und Kinder vor und nach dem Sarge. Er erinnert uns,
dass Banjaluka auch ein katholisches Centrum ist, dass es einen Bischof,.
Tr ap pi s ten k 1 o s t er Maria-Stern.
— 49S —
zwei vorzügliche Mädchen -Erziehungsanstalten und selbst ein Trappisten-
kloster besitzt. Ueberall steht der konfessionelle Unterricht, die kon
fessionelle Erziehung im Vordergrunde; nur die von der Landesregierung
errichteten Schulen wahren auch hier den für dieses I.aud allein richtigen
Standpunkt der Interkonfessionalität.
Die Trappisten gehören, allerdings in sein- vereinzelten Exemplaren,
zum Gesammt-Strassenbilde von Banjaluka. Die barhäuptigen Schweiger
in ihren weissgrauen Kutten erinnern sehr an die Derwische. Die sti
Regel des Ordens hatte ihnen einstmals die Zulassung in Bosnien ermög-
licht und sie vor dem Fanatismus der Bevölkerung geschützt. Asböth
schreibt über die Trappisten:
»Im Jahre 1868 vom Rheine vertrieben, suchten sich diese Mouche vergebens in <len
christlichen Staaten anzusiedeln. Schliesslich gewährte ihnen der Sultan einen Zufluchtsort in
«ler Nabe von Banjaluka, wo sie am rechten Ufer des Vrbas Baugründe kauften und ihr
Kloster errichteten. In diesem Kloster herrscht die volle, unerbittliche Strenge des Ordens.
Und vielleicht ist es gerade diese Strenge, die der Bevölkerung so sehr imponirt, dass die
Verehrung der Trappisten hei allen Konfessionen eine, man kann sagen unbegrenzteist. Die tiefe
Religiosität der Bosnier, welche so viel überschwenglichen Hass und so viele blutige Zusammen-
stösse verursachte, ehrt die strenge Religiosität auch bei Andersgläubigen, und wenn Jemand im
Rufe eines heiligen Lebens steht, wenden sich auch die Angehörigen anderer Religionen voll
Ehrerbietung und Vertrauen an ihn. Seihst die strengsten der Derwische führen kein so strenges
Leben wie die Trappisten. Mit Staunen horten und überzeugten sich Katholiken. Orthodoxe und
Mohammedaner, dass diese Männer in kleinen Zellen, wo eben nur ein Strohsack Platz hat,
wohnen, nach kurzer Nachtruhe, während der sie ihre Kutten nicht ablegen, schon um 2 Uhr
Morgens ihre täglichen Gebete und ihre nützlichen Arbeiten beginnen, dass sie sogar dem
entsagt haben, was selbst dem elendesten Erdensohne unverkürzbare Freude und Trost gewährt
und in ewigem Schweigen ihre Tage verbringen, um in ihren überirdischen Betrachtungen
nicht durch weltliche Gedanken gestört zu werden, dass sie nur mit besonderer Erlaubniss in
Erfüllung ihrer Pflichten sprechen und auch jene Sünden, die sie bei ihrer entsagungsvollen,
strengen Lebensweise höchstens in Gedanken begehen können, an jedem Feiertage durch
grausame Geisselung an sich selbst zu strafen bemüht sind, wie denn ausser dem Strohsack
die Geissei ihr einziges Mobiliar bildet. Diese Lebensweise, diese Hebungen mussten auf das
zur Schwärmerei hinneigende Volk einen tiefen Eindruck machen. . . . Dieses strenge Leben
gewann den Trappisten vielleicht mehr als ihr nützliches Wirken das Wohlwollen der Be-
völkerung, ebnete aber auch ihrer Thätigkeit den Weg. sodass sich das Kloster bald zu einem
Brennpunkte civilisatorischer Entwicklung erhob. Nicht nur den Furtschritt der Bodenkultur
fördern die Mönche durch ihr Beispiel, indem sie ihre Gründe mit Dampfmaschinen bebauen,
sondern sie verbreiten auch die Industrie.«
Mit gewissen kleinen Einschränkungen ist dieses Lob wohl zutreffend;
unter den Trappisten — etwa hundert in Maria-Stern — giebt es Schuh-
macher, Schneider, Weber, Schmiede, Töpfer, Landwirthe und Bierbrauer.
Sie verfertigen alles, was sie für sich selbst brauchen und auch vieles zum
Verkaufe; jeder Mönch muss eine bestimmte Beschäftigung haben und
junge Bosniaken werden angelernt. Ueberdies halten sie eine Schule, in
welcher der Unterricht unentgeltlich ertheilt wird; sie nehmen Waisen zu
— 499 —
sich und üben freigebig alle Arten des Wohlthuns. Jetzt beschäftigt sich
das Kloster seit seine Bierbrauerei stark Schiffbruch gelitten, meist mit
Erzeucnino- des sogenannten »Trappistenkäses«, der einen wohlverdienten
Ruf ceniesst und auch ins Ausland verschickt wird. Da das Kloster selbst
nicht einen so grossen Viehstand besitzt, liefern hauptsächlich die nahen
deutschen Kolonien die Milch für die Klosterkäserei.
Vrbasbrücke in Banjaluka.
In den Kolonien.
Zweimal habe ich die deutschen und die italienischen Kolonien be-
sucht, die sich von Banjaluka bis in die Nähe von Bosnisch-Gradiska (das
einstige Berbir) zu beiden Seiten der grossen Heerstrasse über sechs Fahr-
stunden weit dahinziehen. Es geschah dies mit einem Zwischenräume von
acht Jahren, und um den Fortschritt so recht zu verdeutlichen, will ich
meinen Bericht vom Jahre 1886 demjenigen von 1894 voranstellen. Da-
durch ergiebt sich am Besten, wie hier zielbewusst gearbeitet wurde und
noch wird.
1886.
3. Mai .... Ich war in Altgradiska, Der seit mehreren Tagen
anhaltende Regen war vergangen, ein kalter, aber wunderschöner Frühlings-
tag begünstigte die Fahrt zu unseren deutschen Brüdern in Bosnien. Mein
kroatischer Kutscher, den ich aufgenommen, um stehen bleiben zu können
wo ich wollte, um nicht durch die festgesetzte Fahrzeit der Post behindert
zu werden, hatte sich früh Morgens pünktlich eingefunden, und wenn auch
der Wagen an Bequemlichkeit nicht das Mindeste bot, so reichte er doch
für meinen Zweck vollkommen aus. Eine Plättenüberfuhr besorgt die
Verbindung mit Berbir oder wie es amtlich heisst: Bosnisch-Gradiska.
Dieser Ort, obwohl er Sitz der Bezirksbehörde ist, bietet nichts Bemerkens-
werthes. Es ist noch dasselbe Nest wie zehn Jahre früher, wo ich mich
einmal in Berbir befand, als es zu Ehren der Thronbesteigung Sultan
Murads flaggte und illuminirte. Die Häuser sehen halsbrecherisch aus,
der in kleinen türkischen Orten obligate Schmutz ist hier tiefer als anders-
Kopf leiste: Auf dem Wege zur Stadt.
— 501 —
wo, von einer ordentlichen Pflasterung ist in diesem durch die Grafen
von Berbir (Bribir) und durch Hussein Berbirli Aga historisch gewordenen
Flecken keine Rede. (Seitdem haben sich auch hier die Verhältnisse
gründlich geändert. D. Verf.) Ich war redlich froh, als wir Berbir hinter
uns hatten und auf der gut erhaltenen und wohlgebauten Fahrstrasse nach
Banjaluka dahinrollten. Die Wiesen und Gestrüppflächen zu beiden Seiten
des Weges waren theilweise mit Wassertümpeln bedeckt , die aber nicht
verhinderten, dass ganze Heerden von Rindern und Pferden darauf weideten.
Die Gegend bleibt eine halbe Stunde lang einförmig, nur in der
Ferne sieht man die bewaldeten Berge der Kozara-Planina, einst der Tummel-
platz christlicher Insurgenten gegen die Türken. Die Wälder dieses Ge-
birges werden jetzt grossentheils ausgestockt und so, wie die Eichenwälder
bereits zu Fassdauben verschnitten den Weg nach Frankreich angetreten
haben, so folgen jetzt Nadelhölzer, die ein Holzhändler Brabetz zur Ver-
werthung gekauft hat. In Berbir befindet sich ein grosses Lager von
Balken und Brettern, die ihren Weg mit den Saveschiffen nach Sissek
nehmen.
Nach einer weiteren Viertelstunde zeigen sich schon nett bearbeitete
Felder, denen man ansieht, dass nicht Bosniaken den Boden bestellen,
dass hier ein ordentlicher Pflug gehandhabt wurde. Bald tauchen auch
Ziegeldächer zwischen bosnischen Hütten auf, und es dauert nicht lange,
so befinden wir uns inmitten einer Ansiedlung, welche man getrost nach
Norddeutschland versetzen könnte. Durchwegs aus Ziegeln aufgeführte
zweistöckige Gebäude wechseln mit einstöckigen ab, an den blank geputzten
Fensterscheiben Gardinen oder farbige Vorhänge, meist braune Fenster-
laden und auch vereinzelte grüne Jalousien. Auf den Fensterbrettern aber
stehen Blumenstöcke, ein Anblick, den man in bosnischen Bauernhäusern
nicht geniesst. Oft ist vor dem Hause ein kleines Gärtchen angelegt, in
dem das Sommerhäuschen nicht fehlt. Das ist schon Ober-Windhorst,
das sich längs der Strasse erstreckt, bei den Eingeborenen auch nach
dem früheren Namen Rovince oder Laminci geheissen. Ein Theil der
Gebäude ist ganz solid fertiggestellt, ein noch grösserer im Bau begriffen.
Holz und Ziegel stehen überall bereit. Man sieht deutlich, dass hier ge-
arbeitet wird, dass die Leute sich auf eine dauernde Niederlassung vor-
bereiten. Die den Ankömmlingen vor Jahren zur provisorischen Unterkunft
dienenden Bretterhütten sind im Abbruch begriffen; nur hin und wieder stehen
bosnische Bauernhäuser und der Zigeuner aus Zweigen geflochtene, mit
etwas Lehm verschmierte Unterkunftsorte, in die man in civilisirten Ländern
keinen Hund einsperren würde. Die Wirthschaftsgebäude sind ebenso solid
wie die Wohngebäude gebaut. Anstatt der landesüblichen Hambars, die zur
Aufbewahrung des Kukuruz und anderer Feldfrucht dienen, erblickt man
-e gemauerte Scheunen mit grossen Thoren und gestampften Tennen,
— 502 —
ganz wie in den Marschen Frieslands und Oldenburgs. Die Gemüsegärten
sind gepflegt; was das Frühjahr zeitigt, steht im üppigen Wachsthum.
Die Felder dehnen sich meist hinter dem Hause aus und werden zum
Tlieil erst jetzt bearbeitet. Man erkennt die -schwabischen Komplexe
sofort daran, dass die Landesübliche Einzäunung, welche sonst auch bei dem
kleinsten Stück Feld in Bosnien angebracht wird, fehlt — eine Einrichtung,
welche den Ansiedlern schon viel Aerger und Verdruss bereitete, da das
frei weidende Vieh die Aecker verwüstete. Aber bei den grossen Flächen,
die hier jeder Ansiedler besitzt, wäre eine Einzäunung kaum durchführbar.
Die Häuser bilden noch kein geschlossenes Dorf; meist liegen die-
selben von Gärten und Feldern umschlossen und sogar eine halbe Stunde
weit nach links tauchen vereinzelte rothe Dächer aus der Ebene auf.
Die Kolonie Windhorst im Entstehen.
Ober-Windhorst besitzt auch ein zur Kirche eingerichtetes Haus und daneben
auf einem hohen Holzgerüst eine Glocke, welche Mittags geläutet wird.
Unter-Windhorst, zehn Fahrminuten weiter an der Strasse gelegen,
sieht noch stattlicher und viel fertiger aus. -Ein grosses einstöckiges
Gebäude mit einer um das ganze Haus gehenden Holzveranda trägt die
Aufschrift: »Gasthaus und Handlung des Ferdinand Brenzinger«. Ich liess
meinen Kutscher halten und trat in die nach Art der deutschen Dorf-
schänken gehaltene Trinkstube, welcher gegenüber ein Kramladen lag.
Eine freundliche Frau begrüsste mich in schwäbischem Dialekt und bot
mir einen echten Kornbranntwein als Getränk. Ich liess mich mit ihr,
in ein Gespräch ein und erfuhr, dass sie und ihr Mann aus der Gegend
von Heidelberg stammen, mit noch zwei badischen Familien hierher aus
gewandert sind und seit sechs Jahren rechtschaffen hausen und wirken.
Es gehe ihnen Gott sei Dank recht gut, sie hätten etwas vor sich gebracht,
besässen drei Zieeelöfen und eine Kalkbrennerei ausser vielem Feld und
— 503 —
fänden für ihre Erzeugnisse einen guten Markt in Berbir und Banjaluka,
für die Erntefrüchte aber, wie auch die meisten anderen Kolonisten, einen
solchen in Sissek, wohin die Frucht mit Schiffen expedirt werde. Bren-
zinger ist nebenbei auch der Bürgermeister oder der Knez des Dorfes.
Unter-Windhorst besitzt eine Kirche und einen hölzernen Glocken-
thurm. Mit Maglaj am Vrbas zusammen bilden diese Kolonien eine Pfarr-
gemeinde. Selbstverständlich ist auch eine Volksschule vorhanden, in
der deutsch und bosnisch gelehrt wird. Das Gros der Ansiedler traf
bereits im Februar 1879 hier ein und kaufte — da die Leute Geld mit
sich brachten — von Salih Beg Dzinic und Sivic, wie einigen anderen
türkischen Grossgrundbesitzern, grosse Flächen zu günstigen Bedingungen
an. Der Boden bestand allerdings aus Wiesen, Niederwald und Gestrüpp
und die Rodung, wie die Drainage der versumpften Flächen erforderte
viel Zeit und Geduld. Da aber die letztere bei den Deutschen in hohem
Maasse vorhanden ist, so gelang das schwere Werk und heute ist der
Boden zu mindestens zwei Dritttheilen urbar gemacht. Das Joch Grund
kostete im Anfang durchschnittlich 40 fl., doch sind die Begs jetzt schon
bis auf 200 fl. gestiegen.
Die Ansiedler in Windhorst stammen meist aus Hannover, Oldenburg,
Braunschweig und Rheinpreussen. Von den letzteren traf ich zwei, welche
aus der Gegend von Koblenz zu Hause sind und den dortigen schwer
verständlichen Dialekt noch unverfälscht sprachen. In den letzten Jahren
hat sich aber auch ein nicht kapitalkräftiges Element, Arbeiter aus der
Gegend von Essen, hierher gezogen. Diesen Leuten geht es nicht besonders,
da sie meist bei den anderen Ansiedlern arbeiten müssen, bis es ihnen
gelingt, ein Stück Grund zu erwirthschaften. Die Kolonisten gehen aber
einander sehr an die Hand, und so werden wohl auch die Aermeren sich
nach und nach zu etwas Wohlstand emporarbeiten. Was die Kleidung der
Ansiedler anbelangt, so ist dieselbe noch ganz die heimische; auch die Holz-
schuhe sind bei vielen geblieben. Dem Fremden kommen die Leute
höflich und freundlich entgegen, jedes Kind — fast alle flachsblond —
grüsst und antwortet artig auf jede Frage. Wie schon aus dem Namen
der Kolonie ersichtlich, sind die Ansiedler in Windhorst fast durchweg
Katholiken. Nach der Volkszählung von 1885 zählte die Gemeinde Wind-
horst 802 Bewohner, von denen 700 Fremde, d. h. deutsche Staatsangehörige,
14 österreichisch - ungarische Unterthanen waren. Im ganzen waren
206 freie Kolonisten und nur I Kmet vorhanden. Katholiken waren 791,
Protestanten 6, Juden 5. Mohammedaner und Griechisch-Orthodoxe fehlten
gänzlich.
Fast eine Stunde von Windhorst entfernt befindet sich wieder eine
kompakte Kolonie von Deutschen, Hannoveranern, Oldenburgern und
Preussisch - Schlesiern, zusammen 60 Familien. Ausserdem sind hier
— 5°4 —
K o 1 o n i s t e n h a u s in Windhorst.
20 Familien aus Ungarn, aus der Gegend von Steinamanger angesiedelt;
dicht dabei aber, in Mahovljani, 98 Wälschtiroler Familien, die sich mit
den Deutschen gut vertragen und fast eine Gemeinde mit diesen bilden.
Die genauen Volkszählungsziffern waren: Maglaj am Vrbas: 318 Bewohner,
darunter 251 Fremde, 55 österreichisch-ungarische Staatsangehörige, von
denen 3 Gutsbesitzer, 60 freie Bauern (Kolonisten), 9 Knieten (Pächter)
waren. Die Zahl der Katholiken betrug 303, die der Protestanten 10, der
Orthodoxen 1, Juden 4, Mohammedaner keinen. In Mahovljani (Tiroler
Kolonie): 303 Bewohner, darunter 98 Bauernstellenbesitzer, durchweg
österreichisch-ungarische Unterthanen und katholisch.
Auch die Ansiedlung in Maglaj am Vrbas (heute Rudolfsthal) wurde
Anfang 1879 begonnen, gewann immer mehr durch Zuzug und dieser
dauert noch fort. Ein gewisser Anton Märton, welcher eine Gastwirthschaft
betreibt und eine grosse Oekonomie besitzt, war einer der ersten Ansiedler.
P> reist fast alle Jahre in seine ungarische Heimath und immer schliessen
sich ihm einige Familien bei der Rückkehr zur Uebersiedlung nach Bosnien
an. Die Wälschtiroler aus der Trienter Gegend sind Regierungskolonisten,
und diesen geht es fürs Erste noch kümmerlich, doch arbeiten sie sehr
fleissig und sind bei den wohlhabenden Deutschen recht beliebt. Sie er-
— 505 —
hielten von der Regierung Land zugetheilt gegen nach Jahren eintretende
minimale Abzahlungen, zur Bestellung des Bodens jede Familie eine Kuh
und einen Ochsen und im ersten Jahre den nöthigen Kukuruz. Im zweiten
Jahre erhielten nur die Bedürftigen die Unterstützung.
Die deutschen Ansiedler sind fast sämmtlich Grossbauern; drei der-
selben, ein Herr von Ebeling, ein gewisser Jansen und ein Oldenburger
aus Löhningen, dessen Name mir nicht gegenwärtig ist, sind Grossgrund-
besitzer. Der letztere kaufte zum Anfang eine Area von ioco preussischen
Morgen an, auf welcher aber sechs Knieten (Pächter) waren. Diese konnte
er nur dadurch los werden — zur Bearbeitung brauchte er sie nicht —
dass er ihnen ein Stück Land als Abfertigung gab. Nun nahmen die
Bosniaken ihre Hütten und sogenannten Wirtschaftsgebäude auf ihr neues
Besitzthum mit, was in ziemlich origineller Weise geschah. Die Hütten
waren gänzlich aus Holz gebaut; dieselben wurden untergraben, man schob
einen 18 Meter langen Schlitten darunter und verband die ganze Herrlichkeit
fest mit Stricken. 146 Ochsen bewerkstelligten das Wegziehen und Trans-
portiren, an dem sich natürlich die ganze Nachbarschaft unter grossem
Geschrei betheiligte. Auf diese Weise wurden 8 Häuser und 50 Neben-
gebäude ohne Unfall übersiedelt.
Die Besitzungen von Ebeling und Jansen sind holländischen grossen
Meiereien mit herrschaftlichen Wohngebäuden ähnlich und es wird auch -
wie in allen Wirtschaften im Kleinen — eine bedeutende Milchwirtschaft
betrieben. Ich ass dort Butter, wie sie nur noch in unseren Alpenländern
angetroffen wird. Für die Butter ist hauptsächlich Banjaluka mit seinen
vielen Beamten, Militärs und Fremden ein guter und sicherer Abnehmer.
Das Kilo stellt sich auf 80 bis 90 Kreuzer. Uebrigens beschäftigen sich
die Unternehmer auch mit dem Plane, ihre Erzeugnisse nach Jajce, Travnik
und Sarajevo, sowie in die kroatischen Savestädte zu verschicken.
Wie die Kultivirung des Bodens begonnen wird, zeigt am deutlichsten
das Beispiel Jansens. Nachdem derselbe eine ziemliche Anzahl Joch ur-
bar gemacht hatte, baute er das erste Jahr auf dem ganzen Grundstück
Klee. Die Bosnier lachten ihn aus ; ein so närrischer Kerl war ihnen noch
nicht vorgekommen. Jansen aber, welcher Brotfrucht billig kaufen konnte,
Hess sich als echter Norddeutscher nicht beirren; er erntete sechs Meter-
centner Kleesamen und brachte ihn zum Verkauf nach Altgradiska. Der
Kaufmann sah ihn gross an, dass er dieses Quantum auf seinem eigenen
Boden gewonnen haben wollte, denn so viel Kleesamen kommt in ganz
Slavonien nicht vor. Er erhielt für den Metercentner 35 Fl. und war zu-
frieden. Im zweiten Jahr baute er schon etwas Brotfrucht, aber auch
wieder viel Klee. Von letzterem betrug die Fechsung 30 Metercentner.
Jetzt führte er das ganze Quantum zu Schiff nach Sissek und machte ein
ganz erträgliches Geschäft dabei. Heute baut er Weizen, Roggen, Hafer,
506 —
Klee, Raps und viele Gemüsearten, auch ziemlich viel Kartoffeln, welche
in Bosnien immer Absatz finden. Als die Kolonisten sahen, was hier für
speckige, schlechte Kartoffeln genossen wurden, erklärten sie, dass der
niedersächsische Bauer es sich überlegen würde, solche den Schweinen 7.u
geben. Auf bosnischer Erde seien auch die mehligen guten Speisekartoffeln
zu ziehen. Die Kartoffeln zum Stecken wurden aus Deutschland gebracht —
die Frucht war wunderbar. In richtiger Erkenntniss aber, dass in dem
fetten Boden Bosniens die Kartoffeln leicht entarten, wird stets der nicht
fürs Haus gebrauchte Ertrag der Ernte verkauft und jedes Jahr nimmt man
frische aus der Heimath importirte Früchte zur Auspflanzung. Auch mit
dem Anbau von Flachs will man Versuche im Grossen machen, damit die
viele Leinwand, welche die Bosniaken zu ihren Kleidern brauchen, durch-
wegs im Lande erzeugt werden könne.
In Maglaj besteht ein recht nettes katholisches Kirchlein und ein
Kloster, das sich in den Händen von Schulschwestern oder, wie sie von
den Ansiedlern genannt werden, »Nazarenerinnen« befindet. Ihnen ist
auch der gesammte Schulunterricht anvertraut. Eine Schwester unterrichtet
die Knaben, die andere die Mädchen. Ob die Resultate besonders er-
spriesslich sind, weiss ich nicht, die Ansiedler erklären, sie hätten keinen
Grund zur Klage. So viel kann ich aus eigener Wahrnehmung bestätigen,
dass die Kinder, welche ich examinirte, recht gut lesen, sowie deutsch,
bosnisch und theilweise auch italienisch sprechen konnten. Auch bei den
R i 11 d e r t y p u s aus \Y i n d h o r s t.
507
Kindern von Walschtirolern war dies der Fall. Mädchen werden später
gewöhnlich zur besseren Ausbildung nach Banjaluka bei Beamtenfamilien
auf ein Jahr in Dienst gegeben.
In Maglaj stehen noch einige grosse Militärbaracken von Holz gebaut,
nach deren Verwendung ich mich erkundigte. Man theilte mir mit, dass
die ersten Ansiedler, welche nach Bosnien kamen, sich schon an das Kriegs-
ministerium in Wien mit der Bitte gewendet hatten, das Militärärar möge
ihnen an die Hand gehen, besonders bei der Beschaffung von provisorischen
Wohnungen. Der Kriegsminister bewilligte sofort das Ansuchen und gab
den Befehl, wo Baracken vorhanden seien, solche den Kolonisten nach
Thunlichkeit immer auf drei Monate zu überlassen. Dies geschah in
Maglaj in liebenswürdigster Weise und die Ansiedler können die Truppen
nicht genug loben. Als dann die Tiroler kamen, erbten sie die Baracken,
und da das Militär gänzlich von Maglaj wegkam, schenkte ihnen das
Aerar diese mit der Bedingung, dass das Material einer halben Baracke
zum Bau einer Kapelle in der Tiroler Kolonie zu verwenden sei.
Es sind zwei Gasthäuser am Orte, dasjenige von Bökmann und eines
von Märton. Letzterer hat auch einen Weingarten angelegt, von dem er
schon einmal Erträgniss hatte. Er erzählte mir, dass die häufigen Nacht-
fröste den Reben nichts schadeten, dass der Boden für Weinbau ganz
geeignet sei und dass er ungarische Sorten kultivire. In dem Weingarten
hat er Aprikosen gepflanzt und in Beeten sah ich den wunderschönsten
Spargel. Um das Fortkommen solcher Kolonisten braucht niemand bange
zu sein; die helfen sich fort und durch den Anschauungsunterricht wirken
sie civilisirend und kultivirend auf die bosnischen Bauern ein. Anfangs
misstrauisch, fangen diese nach und nach an, sich bei den »Schwabas«
Auskunft zu erbitten und anstatt des aus den Römerzeiten stammenden
Pfluges sah ich bei einem Bosnier schon einen »schwabischen« Pflug.
Um das Mehl nicht von auswärts kaufen zu müssen, legte man eine
Dampfmühle an, die für den Bedarf der Umgebung ausreicht, und in
Klasnice — eine halbe Stunde von hier auf Banjaluka zu — wo sich noch
drei deutsche Ansiedler befinden, erbaut die Banjalukaner Firma Milic
eine grosse Turbinen-Dampfmühle. Was mir in Maglaj am besten gefiel,
war, dass die Ansiedler erklärten, sie hätten über die Behörden keinerlei
Klage zu führen. Man sei gerecht und helfe den Deutschen, soweit dies
möglich sei. Das Einzige, was einer weiteren Ausdehnung der Kolonien
in dieser Gegend im Wege stehen dürfte, ist, dass die Begs jetzt kein
Land mehr verkaufen wollen; zum Türken als Pächter kann aber kein
Fremder gehen. Uebrigens ist in Windhorst noch Platz und Salih Beg,
den ich von früher her kenne, wird wohl von seinem brachliegenden Boden
noch einige tausend Joch hergeben können. Das Prosperiren der Maglajer
Kolonie, speciell der Schlesier, war mir darum so angenehm, weil ich im
- 508 —
Jahre 1S78 den Anstoss zur Einwanderung gegeben und auf Anfragen auf
das Vrbasthal und auf die Posavina hingewiesen hatte.
1894.
Im Oktober .... Es hatte schon lange geregnet, es regnete
wieder, als ich von Banjaluka aus meine abermalige Fahrt in die Kolonien
antrat. Gleich am Ausgange der Stadt stehen eine Menge neuer moderner
Häuser, die sich an der Strasse fortsetzen. Links ein neues grosses Nonnen-
kloster, wie ein Schloss aussehend. Es herrscht starker Wagenverkehr, viele
Erzeugnisse des Ackerbaues werden nach Banjaluka gebracht. In Jakupovci-
Klasnice steht am Yrbasufer ein imposantes Gebäude, das die deutsche
Inschrift trägt: »Erste bosnische Walzmühle«. Ein schöner Park nebst
villaähnlichem Wohnhaus umgiebt die Anlage. Gegenüber am andern Ufer
des Vrbas steht eine alte, baufällige, bosnische Wassermühle, so recht als
Gegenstück zur neueren Zeit. Jakupovce hat einen Gendarmerieposten, eine
Anzahl YVirths- und Kaffeehäuser. Der durchweg katholische Ort scheint
regen Verkehr zu haben.
An der Strasse beginnen bereits die Kolonistenhäuser, die meist in-
mitten der Grundstücke stehen. Es wechselt die deutsch-ungarische Bauart
mit der niederdeutschen. Durchweg herrscht Ziegelbau vor, überall grosse
Scheuern, hübsche Gemüse- und Blumengärten. Das Vieh sieht vorzüglich
gepflegt aus, die grossen ungarischen Rassen überwiegen bereits. Auf den
Feldern steht noch Kukuruz (Mais), Kohl, Knöterich, Lupine, Wasserrüben
und Futterrüben (Burgunder). Ueberall tummeln sich blonde Kinder, die
schon Fez tragen und höflich grüssen. Die Wasserbrunnen in den Höfen
sind meist Schwengelbrunnen nach ungarischer Art. In Maglaj-Rudolfsthal
steht an der Strasse die »Josefsburg«, ein stattliches Kloster. Auch eine
evangelische Kirche mit schönen gothischen Fenstern und ein Pfarrhaus
ist gebaut worden, seit sich die Ansiedler stark vermehren. Das Schloss
des Herrn v. Ebeling ist in andere Hände übergegangen. Ebeling kehrte
nach Hannover zurück; seitdem hat das Besitzthum zweimal den Herrn
gewechselt.
In Windhorst sind schon zwei Kirchen gebaut, das Kloster der
Schwestern der göttlichen Liebe ist eine mächtige Ansiedlung und die
Kolonie dehnt und streckt sich in jeder Weise. Windhorst ist seiner Aus-
dehnung nach wohl das grösste Dorf; es ist 16 Kilometer lang, 5 Kilo-
meter breit und zählt ungefähr 1 500 Köpfe. Im Gasthause Brenzinger
kehrte ich ein, wie vor acht Jahren, und war vorzüglich aufgehoben. Die
Gattin des Wirthes ist leider gestorben, er hat aber dem Hause eine neue
Hausfrau aus Agram gegeben, was in der Kolonie, welche der unver-
— 509 —
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Bosnischer Schweinehirt.
heiratheten Töchter genug zählt, nicht gern gesehen wurde. Kleinlicher
Zank und Tratsch herrscht eben hier wie in jedem deutschen Dorfe, Streitig-
keiten kommen, wie überall wo Deutsche wohnen, genug vor, dabei gedeiht
aber doch die gemeinsame Arbeit und selbst das Vereinswesen blüht. Wie
mir versichert wurde, hätten alle Kolonisten ihr sicheres Auskommen. Ein
gutes Geschäft machen sie mit den bosnischen Bauern, die von einer Stall-
fütterung nichts wissen und gewöhnlich auch wenig Vorräthe fürs Vieh
einernten. Diesen kaufen sie das überschüssige Magervieh bei Anbruch
des Winters ab und mästen es im Stalle. Für diese genügsamen Thiere
sei — so wurde mir gesagt — schon die gekochte Spreu mit Rüben und
Kartoffeln ein köstliches Futter, bei dem sie dick und fett würden. Sie
brächten dann auf dem Markte ganz ansehnliche Preise. In den Wirth-
schaften, die über nicht genug eigene Arme zur Arbeit verfügen, werden
meist Zigeuner als Feldarbeiter, Kutscher etc. verwendet. Sie erhalten
60 bis 80 Kreuzer den Tag und sind ganz verlässlich.
Die Schule wird noch immer von den Schulschwestern geleitet und
bezahlt man 3 Gulden für jedes Kind im Monat. Die Lehrerinnen werden
im Wagen abgeholt und zur Schule gebracht und ebenso nach Hause ge-
führt. Die Wagen stellen die Kolonisten abwechselnd. Die Landesregierung
wollte eine öffentliche konfessionslose Schule errichten, doch lehnte die
Gemeinde, die noch sehr bigott ist, das Anerbieten ab. Die talentvolleren
männlichen Schüler werden später meist dem Jesuitenkollegium in Travnik
- 510
zur besseren Ausbildung zugeführt. Wie mir Brenzinger erzählte, kam er
schon Ende 1 8 7 S das erste Mal nach Bosnien, um sich zu Orientiren; dann
kam er 1879 wieder und arbeitete monatelang bei den Trappisten als
Knecht, ohne zu verrathen, dass er Grund kaufen wolle. So kante er die
Verhältnisse kennen, entdeckte sich spater dem Guardian P. Franz und
erlangte sein heutiges Besitzthum, das ihn zum reichen Mann gemacht.
Katholische Kirche in Windhorst.
Seine Ziegelbrennereien, in denen er meist italienische Arbeiter aus den
Kolonistenfamilien beschäftigt, bringen viel Geld, denn überall wird gebaut
und es entsteht eine Ansiedlung nach der andern, auf meilenweite Ent-
fernung nach Ost und West.
Die deutschen Bauern haben sich durchweg um zwei Drittel ver-
bessert, sobald sie nur mit eigenen Kräften zu arbeiten brauchten. Sonst
verzehrt der Tagelohn einen beträchtlichen Theil des Gewinnes, weil die
— sii —
Feldfrüchte selbst billig verkauft
werden müssen. Die 14 Familien
aus Essen — die ich in meiner
Schilderung von 1886 erwähnte —
die mit nur je 225 fl. Kapital ein-
wanderten, sind heute durch rast-
lose Arbeit ausnahmslos sehr
wohlhabend.
Die Wahl der Gemeinde-
vorsteher ist frei; stets muss aber
einer aus der Kolonie gewählt
werden. Jede Wahl muss bei 25 fl.
Strafe angenommen werden. Mit
der Regierung und den Bezirks-
wie Kreisbehörden besteht ein
gutes Verhältniss; viele Kolonisten
sind schon bosnische Landesange-
hörige geworden, andere stehen
im Begriff, die Staatsangehörigkeit
zu erwerben. Zuzug ist jetzt aus
Deutschland wenig, dafür sind
aber die Heirathen stark. Mit den bosnischen Bauern ist das Einvernehmen
fast herzlich geworden. Sie kommen um Rath zu den Schwabas, sie lassen
bei ihnen ihr Getreide reutern oder mit der Maschine dreschen und suchen
sich die verschiedenen Fertigkeiten und Handgriffe anzueignen. Die Körner-
frucht geht durchweg nach Gradiska. Ueberall sieht man Fortschritt, überall
ist fleissige Arbeit und Wohlstand; es ist ein anregender Besuch, den man
den Kolonien abstattet.
Jetzt wird auch eine Bahnverbindung zwischen Banjaluka und Gradiska
im Anschluss an die ungarische Staatsbahn geplant. Am 6. März 1895
trat in Banjaluka die Kommission zur Vornahme der Tracen- und Stations-
revision für diese Vicinalbahn zusammen, für die sich in der Person des
Herrn Gautier aus Agram ein Konzessionär gefunden hat. Diese Bahn —
das erste rein private Eisenbahnprojekt in Bosnien — würde den Kolonien
und der sich entwickelnden Industrie neben der Landwirthschaft grosse
Vortheile bieten.
Deutscher Kolonist aus Windhorst.
Wie gleich hier erwähnt sein möge, besteht auch in der Posavina (im
Nordosten Bosniens) eine blühende Kolonie »Franz Josefsfeld« bei Bjelina.
— 512 —
Im Frühjahr [886 kamen dorthin aus der .Muttergemeinde Franzfeld bei
Pancsova in Südungarn 61 Familien. Die Bezirksbehörde kaufte für dieselben
von Grundherren 300 Joch Grundstücke in der unmittelbarsten Nähe von
Bjelina, die unter die Ansiedler vertheilt wurden. Die Rückzahlung des
sehr billigen Kaufschillings wurde i\cn Kolonisten unter äusserst günstigen
Zahlungsbedingungen eingeräumt. Sofort entstanden ebenso viele Häuser
als Familien und die Ansiedlung wurde mit Bjelina durch eine Strasse
verbunden. Schon im darauf folgenden Jahre erhielt die Kolonie einen
Zuwachs von weiteren 22 Familien, grösstentheils aus Neu - Pazua in
Syrmien, dann nach und nach kleinere Zuwächse, so dass 1889 bereits
121 Familien mit 700 Köpfen ansässig waren. Eine Schule mit 136 Kindern
war errichtet, ein Gemeindehaus erbaut, eine evangelische Kirche geplant.
Franz Josefsfeld ist nämlich eine durchwegs protestantische Kolonie. Die
Kolonie besass damals 546 Joch eigenen Grundbesitz und 907 Joch Pacht-
gründe. Sie versorgte Bjclina mit Milch, Käse, Butter, Geflügel, Eiern und
Gemüse, und Versuche mit Tabakbau ergaben gute Resultate. Ausserdem
sind im Bezirke Bjelina in vielen Gemeinden vereinzelte ungarische
Kolonisten ansässig, die den Boden vom Beg gepachtet haben; so um
Bjelina 104, in Brodac 20, Janja 9 und 30 in Dragaljevac, Zabrgje und
Koraj. Dass in den deutschen Kolonien die Viehzucht nicht vernach-
lässigt wird, ist selbstverständlich. Man ist bei den kleinen harten bosnischen
Rassen geblieben, die nur mit gutem Vieh von auswärts gekreuzt und im
Winter durchaus in Ställen gehalten werden. Es existiren aber auch ganze
Pferde- und Schweineheerden, am meisten jedoch Schafe mit feiner langer
Wolle, welche selbst die Bosnier in der Savegegend stark züchten. Also
womöglich ein neuer Ausfuhrartikel ! Leider wurde Franz Josefsfeld und
die gesammte Gegend um Bjelina, wie überhaupt die Drinabezirke Bosniens
im Spätherbst 1896 von einer furchtbaren Ueberschwemmung heimgesucht,
welche die Kolonie fast vernichtete. Die Landesregierung sandte sofort
Hilfe, auch Bosniens guter Engel, Frau Minister Vilma v. Källay, erschien
augenblicklich auf dem Schauplatze der Ueberschwemmungen und ver-
theilte Lebensmittel, Kleider und Geld. Was aber besonders ins Gewicht
fiel, war die trostvolle Zuspräche der edlen Dame, durch welche wieder
der Muth bei den Verunglückten geweckt wurde. Dadurch ist zu hoffen,
dass die erlittenen Schäden bald überwunden sein werden und die deutschen
Kolonien im bosnischen Nordosten blühen und gedeihen wie jene im
Nordwesten.
Von sonstigen grösseren Kolonien in Bosnien sind noch zu nennen:
die von ungarischen Deutschen (Schwaben) gegründeten Kolonien Branjevo
und Dugopolje im Bezirke Zwornik, die Tiroler Kolonie in Palaskovci
(Bezirk Prnjavor), die Görzer Kolonie bei Bukvik und Ralutinac (Bezirk
Prnjavor), die Galizianer Kolonien in Obsjeko und Bakinacka Kozara im
33
— 513 —
Bezirk Banjaluka, die Ansiedlungen deutscher Protestanten aus Russland
in Prozara und Vranovac (Bezirk Kostajnica) und die Ansiedlungen aus
Russland ausgewanderter tschechischer Familien in Kobas-Seferovci (Bezirk
Prnjavor) und in Yranduk und Detlacki Lug (Bezirk Dervent).
Schulkindergruppe aus der Kolonie Windhorst.
Von Banjaluka nach Kostajnica.
hristlichen Ländern — sagte unser Hotelier in Ban-
jaluka — gehe jetzt unsere Reise zu. Damit meinte
er Kroatien, das allerdings keine mohammedanischen
Bewohner besitzt. An Christen ist aber gerade in
der Banjalukaner Gegend kein Mangel, doch ver-
leiht die mohammedanische Mischung erst den
richtigen Reiz.
Der Zug der Militärbahn Banjaluka-Dobrlin verlässt die Stadt vom
neuen Stadtbahnhofe aus, durchfährt das europäische Viertel und hält
nach kurzer Zeit in Trn, dem früheren Hauptbahnhofe. In ebener, gut
angebauter Gegend zwischen Wiesen und sanften Abhängen wird die
Strasse Banjaluka-Gradiska übersetzt; bis zur Station Ivanjska führt die
Strecke durch von Bächen durchschnittenes, mit Buschwerk bestandenes
Terrain; nur selten sieht man einzeln stehende bosnische Häuser. Bei
Omarska stossen wir auf grosse Holzlager, die aus den Wäldern der
Kozara kommen. Dann geht es im Sannathale entlang bis Prjedor, wo
die Sanna schon schiffbar ist. Die Stadt mit ihren 5000 Bewohnern liegt
am rechten Ufer des Flusses, an dem Punkte, wo die Thalenge aus den
Gebirgsmassen in die lockende blühende Ebene hinaustritt. Prjedor ist
der Geschäftswelt durch seinen ausgedehnten Getreidehandel bekannt;
seine Fruchtschiffe, an die ägyptischen Dahabyen erinnernd, gehen aus
der Sanna in die Unna und die Save, sie kommen bis Semlin und selbst
bis Budapest. Während der 1875 er Insurrektion litt Prjedor am meisten,
seine Kaufleute flohen fast sämmtlich auf das kroatische Ufer. Kaum hatte
sich der Ort nach der Okkupation etwas erholt, so verheerte eine furcht-
bare Feuersbrunst die Stadt. Jetzt sieht sie sehr gefällig aus, sie hat
regen Verkehr, in der Umgebung verschiedene fremde Ansiedler und
eine grosse landesärarische Geflügelzucht-Anstalt, die sich eines bedeuten-
den Rufes erfreut. Sie hat den Zweck, entsprechendes Rassegeflügel
33*
— 515 -
5i6
(Langhans, Minorca, Plymouth-Rock und Houdans, dann Perlhühner, Trut-
hühner, Peking- und Rouen-Enten, Emdener Gänse u. s. \v.) zu züchten
und diese, wie Bruteier an die Bevölkerung abzugeben. Ueber der Stadt
in den Spalten der Felsen nisten Hunderte von Falken und die Begs der
Krajna heben hier die jungen Falken aus, um sie zur Jagd abzurichten.
Die in Europa längst ausgestorbene Jagd mit Falken hat sich in einzelnen
bosnischen Beg-Geschlechtern bis jetzt erhalten und Othmar Reiser vom
Sarajevoer Museum, wie Hofrath Hörmann haben darüber interessante
Schilderungen veröffentlicht. Viele Volkslieder erwähnen noch immer in
bilderreichen Versen des edlen Falken. Eines derselben erzählt von der
Trauer des Mustaj Beg um seine Verlobte:
Als zur Jagd die Herren ausgezogen,
Trug ein Jeder auf der Hand den Falken,
Mustaj Beij nur hielt die Hand am Herzen.
Fragen ihn besorgt die treuen Freunde :
»Sag', o Mustaj Beg, was dir wohl fehlet,
Weil den Falken du nicht mitgenommen,
Sondern deine Hand am Herzen haltest?«
In einem andern Liede fragt die treue Gattin des Ibrahim Cehaja
den in ihrem Schoosse ruhenden kranken Gatten:
»Wenn du stürbest, Ibrahim Cehaja,
Um was würdest du zumeist wohl trauern?
Thät es leid dir um die alte Mutter,
Oder um dein Schloss mit seinen Ställen,
Um die vielen Dörfer und die Timars,
Oder um die nicht geritt'nen Hengste
Und die Hunde, die zur Jagd geübten,
Oder gar um deine grauen Falken,
Oder aber um dein treues Weibchen?«
Ein drittes Lied endlich, dessen Gegenstand ein brüderlicher Zwist
ist, hebt an:
»Bei einander zwei der Burgen lagen,
Hausten drin zwei Brüder, die sich theilten,
Hassan Aga und Mohammed Aga.
Alles konnten friedlich sie vertheilen
Bis auf einen Zagorjaner Ciftluk,
Ein gar edles Pferd in ihrem Stalle,
Und den Falken im Orangenbaume.«
Mit der Falkenjagd befassen sich in anderen Gegenden Bosniens
gegenwärtig noch die edlen Geschlechter Uzeirbegovic in Maglaj, Sirbe-
govic und Smajlbegovic in Tesanj. Man pflegt die Falken mit Netzen zu
fangen. Zwei solcher Netze von ungefähr zwei Meter Länge und eben-
solcher Breite werden unter einem spitzen Winkel nur sehr lose auf dem
Erdboden befestigt. Von aussen werden beide Netze mit kleinen Zweigen
und grünen Reisern bedeckt. In der Mitte des Netzes wird eine lebende
Dohle angebunden, während sich die Jäger in geschickter Weise hinter
einem in der Nähe befindlichen Buschwerk verstecken. Die Dohle schlägt
natürlich mit den Flügeln um sich, krächzt ununterbrochen tund macht
alle Anstrengungen, sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Hierdurch
lässt sich der unerfahrene junge, meist einjährige Falke verleiten, sich mit
aller Hast auf die vermeintliche Beute zu stürzen. Die Dohle beginnt in
der Todesangst einen verzweifelten Kampf mit dem Angreifer, welcher
natürlich auch mit den Flügeln herumschlägt und sich allmählich so in
den Netzen verstrickt, dass der im geeigneten Zeitpunkt herbei eilende
Jäger ihn mit Leichtigkeit fassen und nach Hause bringen kann. Zur
Jagd bedient man sich lieber des Weibchens als des schwächeren und
kleineren Männchens. Nich1- jeder Falke lässt sich leicht zähmen und zur
Jagd abrichten. Mit Rücksicht auf die letztere Eigenschaft werden sie auch
nach den Nestern unterschieden, in denen sie ausgebrütet worden sind. In
einigen Nestern finden sich die besten jFalken, welche nicht nur auf
Wachteln, sondern auch auf Rebhühner und Wasserschnepfen stossen.
Anderwärts sind die Falken schon etwas schwerfällig; sie lassen sich zwar
abrichten, sind jedoch nur zur Jagd auf Wachteln verwendbar Eine dritte
Abart endlich ist wegen ihrer Wildheit zur Jagd überhaupt nicht geeignet.
Der Volksmund nennt sie die »wilden Falken«. Die Liebhaber der Beize
unterscheiden sehr genau die Horste dieser drei Abarten und wissen die
Stellen genau anzugeben, wo die besten Falken vorkommen. Im Walde
Ozren giebt es an ungefähr 20 Stellen Falkenhorste, aber blos an drei
derselben kommen brauchbare Edelfalken vor.
Von Prjedor aus erreichen wir die Haltestelle Blagaj, wo von steiler
Höhe die Ruinen eines alten Sommerschlosses der bosnischen Herrscher
grüssen, und gelangen dann nach Novi an dem Zusammenflüsse der Unna
und Sanna. Wie ein grosser Garten sieht die Gegend aus, die einzelnen
Häuser an Villen mahnend. Hier sieht man offenkundig den Wohlstand.
Die weite Ebene wird durch die Ausläufer der Pastirevo-Planina und über
der Unna durch die kroatischen Gebirge begrenzt. Novi gegenüber sieht
man Dvor und in weiterer Entfernung die hoch liegende Kirche von [Di-
vusa. Die Bahn nimmt ihren Lauf längs der Unna, bis sie Dobrlin er-
reicht. Hier ist der Anschluss an die ungarische Staatsbahn. Die Unna
wird bei Volinja auf einer eisernen Brücke übersetzt; in Sunja — wo
Mittagsstation ist — zweigt sich eine Linie nach Brod, die andere nach
Sissek ab.
In Dobrlin, wo einst 1875/76 die albanesischen Baschibozuks die
grössten Schändlichkeiten gegen zurückgekehrte Flüchtlinge verübten, hat
sich Vieles verändert. Ein grosses neues Stationsgebäude steht an
5*8
Stelle des alten türkischen, die meisten der bosnischen I lütten sind ver-
schwunden und hübsche Ziegel- und Holzbauten nach Art unserer Alpen-
hauser erheben sich an den Gebirgsabhängen und längs der nach Bosnisch-
Kostajnica führenden Strasse. Es ist die deutsch-tiroler Kolonie, schon
l879 gegründet. Zwölf Familien kamen damals hierher, kauften von
Rustan Beg ziemlich bedeutende Grundstücke, von denen einige be-
arbeitet, die meisten aber noch unkultivirt waren. Die Mohammedaner
waren zu jener Zeit noch der irrigen Meinung, dass ihnen in nicht zu
ferner Zeit ihr Land abgenommen und den Christen übertragen werden
würde, darum gaben sie die Felder billig her. Gearbeitet haben aber auch
die Tiroler in nicht zu unterschätzender Weise. Wo man Felder sieht,
welche gut gepflügt und geeggt sind, wo nicht mehr die Kukuruzstengel
vom vorigen Jahre in den Furchen liegen, da kann man getrost an-
nehmen, dass dies Tiroler Felder sind. Auch sie bauen meist Kukuruz,
daneben verschiedene Getreidesorten und halten viel auf einen ordent-
lichen Viehstand. Ein Theil der Ansiedlerhäuser liegt malerisch in einer
Bergeinsattlung und hier — wie überhaupt um ganz Dobrlin und Kostajnica
— können sich die Kolonisten nach Tirol versetzt wähnen, obendrein
in einen Theil ihres Vaterlandes, in dem der Hochwald noch nicht zur
Seltenheit geworden ist. Ein mächtiges Sägewerk mit Dampfbetrieb ist in
Dobrlin erbaut worden und weit hinausführende besondere Schienengeleise
und Hebewerke lassen erkennen, welch bedeutender Verkehr in Holz ist.
Es werden viele Arbeiter beschäftigt, Gasthäuser sind überall vorhanden.
Näher gegen Bosnisch-Kostajnica giebt es noch verschiedene fremde
Einwanderer. So hat sich auch auf einem Hügel der Pastirevo-Planina ein
Schweizer angesiedelt, welcher ein ansehnliches Besitzthum erwarb. Nur
kann er hier keine Milchwirthschaft ausüben, weil die Bewohner der be-
nachbarteren Städte und Orte alle selbst Kühe besitzen. Er beschäftigt
sich daher mit Ackerbau und Gemüsezucht und erwirbt ein schönes Stück
Geld. Selbst auf kroatischer Seite sind drei Tiroler Familien sitzen ge-
blieben, und zwar an den Berglehnen des über Kroatisch-Kostajnica sich
erhebenden hohen Djed. Sie bewiesen den Grenzern, welche erklärt
hatten, an diesen Stellen gedeihe nichts, dass sich sehr schöne Wein-
gärten anlegen Hessen und diese liefern bereits guten Ertrag. Ausserdem
bauen sie Getreide, Rüben und Zwiebeln, sind fleissig und sparsam und
finden ihr ganz erträgliches Auskommen.
Am wunderbarsten hat sich aber Bosnisch-Kostajnica entwickelt.
Erst im Jahre 1862 mit türkischen Auswanderern aus Serbien besiedelt, blieb
es unter ottomanischer Verwaltung ein kleines Städtchen, das seinen Bedarf
grossentheils auf kroatischem Boden deckte. Eine Brücke über die Unna
verbindet Kroatisch- und Bosnisch-Kostajnica. Eine kleine Feste, die mit
ihren romantischen alten Mauern und Thürmen zwischen beiden Ortschaften
— 521 —
auf einer Insel der Unna steht, hält noch immer die Grenzwacht. Auf
dicht mit Epheu umzogenen Kalksteinfundamenten bilden gegen Kroatien
drei massige Thürme, gegen Bosnien runde Basteien ihre Werke. Sie
wurde zur Zeit des Prinzen Eugen von Savoyen erbaut und gehört noch
zum kroatischen Gebiet. Anf derselben Insel steht auch das alte Mauth-
haus und das sogenannte Kastell, eine von Mauern umgebene Fläche, auf
der einst an einem Tage der Woche zwischen der türkischen und der
Grenzbevölkerung Handelsverkehr gepflogen wurde. Bosnisch-Kostajnica
war früher ein ziemlich armseliger Ort. Gegenwärtig hat es die kroatische
Schwesterstadt längst überflügelt. Ueberall sind neue Gebäude, Geschäfts-
läden, Restaurationen, gewerbliche Anlagen entstanden, und wenn die
Kroaten vom anderen Ufer sich gut unterhalten, wenn sie gutes und
billiges Bier und Wein trinken wollen, müssen sie auf bosnischen Boden
gehen, wo die Steuern bedeutend niedriger sind. Der Ort, der 1895
1375 Bewohner, darunter 638 Mohammedaner, zählte, ist in stetem weiteren
Aufschwünge begriffen.
- <s
-Sa.
Ein Abstecher in die
westliehe Krajna.
rajna ist ein magisches Wort in den Ohren der
mohammedanischen Bosnier, wenn es auch
heute einen Theil seines Zauberklanges
eingebüsst hat. Einst bedeutete es das
Gebiet, wo der Fanatismus am
stärksten war, wo durch Jahr-
hunderte die Glaubenshelden des
Islam aus dem mit Blut gedüngten
Boden wuchsen; es bedeutete
steten Kampf mit den tapferen
kroatischen Grenzbewohnern, aber
es bedeutete auch Sang und frohe
Feste, denn die Krajna wird nicht
umsonst die liederreiche genannt.
Es ist landschaftlich eines der
prachtvollsten Gebiete Bosniens.
Gebirgig und voll Wald, wechseln reich angebaute Felder mit üppigen
Wiesen, freundlichen Städten und Dörfern; unzählige alte Burgruinen er-
innern aber an die geschichtliche Vergangenheit. Einer der lohnendsten
Ausflüge ist in den Nordwesten von der Bahnstation Novi der Dobrlin-
Banjaluka-Bahn aus nach Bihac an der kroatischen Likaner Grenze. Die
schöne Fahrstrasse folgt bis Krupa dem Ufer der hier ziemlich ungeberdigen
Unna, in der die vielen natürlichen Flusswehren auffällig sind, die sich in
dichter Folge die ganze Breite des Flusses hinziehen, so dass derselbe in
fortwährenden Katarakten durch sein von waldigen Bergen eingeengtes
Kopfleiste: Altbosnische Inschrift vom Grabsteine des Radoslav Hrabren in der Vor-
halle der Kirche zu Osanic bei Stolac. (Am 24. April 1505 starb Vojvode Radoslav Hrabren
und wurde in der Kirche zu Osanic bestattet.)
- 523 —
Thal fliesst. Freilich sind sie, so sehr es die Schönheit der Landschaft
hebt, ein unüberwindliches Hinderniss der Schifffahrt. Aber auch ohne
Schiffsverkehr ist der Fluss reich belebt. Mühle um Mühle sieht man in
diesem zügellosen Flusse, bei hoher Fluth oft bis zum Dache unter Wasser,
denn all' diese Bauten sind, um den unbändigen Fluthen trotzen zu können,
fest auf Piloten gebaut oder an Senkkasten verankert. Es sind sehr
primitive Mühlen, wie sie schon zur Römerzeit bestehen mochten. Um
so mehr sind sie aber verwachsen und Eins geworden mit der sie um-
gebenden Natur.
Nach etwa 20 Kilometer Wagenfahrt von Novi ab wird in der Ferne
das rauhe, sich bis zu 1649 m aufthürmende Pljesevicagebirge sichtbar,
die Grenze der Sagenreichen Lika. Bei dem Marktflecken Otoka, von dem
ein Theil sammt der Moschee und einer alten Befestigung auf einer Unna-
Insel äusserst malerisch liegt, übersetzt die Strasse auf einer Jochbrücke
den Fluss. Hier zweigt die Strasse nach Buzim, dem Stammschlosse der
gräflichen Familie Jellacic und nach der mittelalterlichen Burg Vranograc
ab, die in zwei, beziehungsweise vier Fahrstunden erreicht werden können.
Von Otoka kommt man in einer Stunde nach Krupa, das ungemein reizend
an dem hier etwa ioo Meter breiten Flusse liegt. Die 2863 Einwohner
zählende Stadt wird von einer alten Burgruine überragt; die Häuser sind
zum grossen Theile erst seit der Okkupation gebaut, daher meist modern.
Es ist ein sehr wohlhabender Ort, der auch zwei gute Hotels besitzt.
Sehenswerth ist in der Nähe die Quelle des Krusnicaflüsschens, eines
echten Karstflusses, der in seiner ganzen Mächtigkeit einer Felsenhöhle
entströmt. Die die Quelle umschliessenden senkrechten Felswände, die
verfallenen primitiven Löffelmühlen, die Uferhöhlen bieten mit dem rasch
dahinschiessenden Wasser einen genussreichen Anblick. Von Krupa aus
ist die Quelle mit Kahn in anderthalb Stunden zu erreichen. Eine Seiten-
strasse in nordwestlicher Richtung führt nach Cazin und in die wilde
Kampfgegend um Peci, wo 1878 das letzte Gefecht im Feldzuge stattfand.
Hier ist die Heimath unzähliger Lieder, Helden- und Liebesgesänge.
Dichter sind die Mohammedaner. Als Beispiel möge nur Eines aus Cazin
nach Asböth mitgetheilt sein:
Siehst Du dieses rothe Haar da?
Bist Du böse, wenn ich's streichle?
— Ei so geh' doch! War' ich böse,
Liesse ich mir's ja nicht streicheln!
Siehst Du dieses weisse Antlitz?
l!ist Du böse, wenn ich's küsse?
— Ei so geh' doch ! War' ich böse,
Liesse ich mir's ja nicht küssen.
524
Siehst I>u diesen weissen Busen?
Bist Du böse, wenn ich kose?
— Ei so gfeh' doch! War' ich böse,
Liesse ich Dich ja nicht kosen.
Siehst Du <la Dein weisses Füsschen:
Bist Du böse, wenn ich's hebe?
— War' ich böse, Hess ich's ja nicht,
Nimmer Hesse ich mir's heben.
Die Strasse verlässt bald hinter Krupa das immer unwegsamer
werdende Unnathal und entwickelt sich an der Lehne des Debeli-Oklinjak,
von wo aus man einen hübschen Blick auf die Stadt geniesst und tritt
Mühlen in Sp ahi ci bei B i h a c.
527 —
dann in ein enges trockenes, schluchtartiges Thal. Links von den dicht-
bewaldeten Hängen des Crni Vrh (1002 m), rechts von jenen der Velika
Kosa eingeengt, gelangt man nach einstündiger Fahrt in den Hochthal-
kessel von Veliki-Radic mit der gleichnamigen Ortschaft, die eine Kirche
und Schule besitzt. Der höchste Punkt der Strasse wird nach weiteren
drei Viertelstunden im Drieno-Passe mit 482 m erreicht, von wo sie, lang-
sam fallend, ein mit zahlreichen Dolinen (Einsturztrichtern) bedecktes
Karstplateau durchquert und oberhalb des Dorfes Zalozje Turske den
Rand des fruchtbaren Beckens von Bihac erreicht. Von der Höhe ist der
Blick ein wundervoller. Die grüne Tiefe des Bihacer Beckens liegt wie
Ansicht von Bihac.
ein trockengelegter See, ringsum eingefasst von flachen, gleichmässig hohen
Bergesstufen, vor Augen. Von Süden kommend bricht die Unna aus
einem dunkeln Defile, um die trichterförmig spitz in die Lüfte ragenden
Mali- und Veliki Ljutoc (941 und 1 168 m) sich windend, hervor, durch-
fliesst träge, sich immer wieder ausbreitend und dann jäh eine Tuffbank
hinabspringend, den Ackerboden des weiten Beckens, um sich im Norden
bei den Mühlen von Kostel abermals in die sich zusammendrängenden
Kalkberge einzuwühlen. Und drüben über der kroatischen Grenze schliesst
der lang hingelagerte kahle Gebirgsstock der Pljesevica und anschliessend
daran weiter gegen Norden das höhlenreiche und wasserarme Kapela-
gebirge den Horizont ab. Von den die isolirten Kuppen beherrschenden
Ruinen der verlassenen Vesten und Burgen sind von hier aus nur drei
- 52S
sichtbar: gegen Süden das scharf profilirte Sokolac, gegen Westen Iza&cgrad
und nach Norden, in der Richtung der nach Cazin führenden Strasse, die
weithin sichtbare einsame Kula Bisovac.
In der Mitte dieses Beckens liegt auf einer leichten Bodenanschwellung,
um beide Ufer der Unna, die 6000 Bewohner zählende Stadt Bihac, deren
einstige Festungsmauern geschleift wurden und die sich nun mit neuen
Vorstädten weit in die Ebene hinaus erstreckt. Die Strasse senkt sich
von Zalozje in ziemlicher Neigung hinab, der Stadt zu, das Dorf Cekrlje
links lassend, in einem grossen Bogen um die Maskarakuppe mit ihren
werthvollen Sandsteinbrüchen. An dem landwirthschaftlichen Versuchs-
garten vorbei, geht es durch die Vorstadt Prekounje und bald halten wir
vor dem Hotel »Kaiser von Oesterreich«. Bihac ist gegen früher kaum
zu erkennen. Die noch von König Bela IV. von Ungarn gebaute Festung
ist verschwunden und an ihrer Stelle umschliesst eine hübsche Ringstrasse
die innere Stadt. Auf dem Platze, der an der Westseite in gemauerten
Böschungen in den Stadtgraben abfällt und auf dem bis 1878 die Citadelle
mit dem »Deutschen Thore«, dem Pulverthurm und der Icizar- Moschee
stand, erhebt sich jetzt der orientalische Bau einer Medresse mit einer
Dzamija und einer Bibliothek. Nebenan steht das grosse Schulgebäude
und auf der Stelle der Zablja-Kula eine neuerbaute katholische Kirche,
deren hoher Thurm die Stadt überragt. Als einziger Zeuge der ehemaligen
Grenzfestung Bihac dient ein fünfstöckiger Thurm, der zum Kreisgerichts-
gefängnisse gehört. In einem der an dem sehr gut erhaltenen alten
Bauwerk angebrachten Basreliefs, einen Pelikan darstellend, will man das
Wappen des ungarischen Adelsgeschlechtes der Batthyäny erkennen.
Die grösste Sehenswürdigkeit in Bihac ist die in der inneren Stadt gelegene
Fethija-Dzamija, ursprünglich eine dem heiligen Antonius geweihte christ-
liche Kirche. Sie ist das schönste Denkmal gothischer Baukunst in Bosnien
und seine Erhaltung ist nur der nach der Einnahme von Bihac durch die
Türken erfolgten Umwandlung in eine Moschee zu danken. Bei einer
vor einigen Jahren vorgenommenen Ausbesserung der Moschee deckte man
unter dem Fussboden 8 Gruftplatten auf, 6 davon zeigen Wappenschilder
und Inschriften, 2 blos Inschriften. Die älteste Gruftplatte stammt aus dem
Jahre 1502, die jüngste von 1565. Diese für die Geschichte der Krajna
und für die Heraldik gleich wichtigen Denkmäler sind gegenwärtig nächst
der Kirche aufgestellt. An der »Otoka«, einer mit Kaufläden, Häusern
und Mühlen bedeckten Insel vorüber, führt eine Jochbrücke in die handels-
und baulustige Vorstadt Prekounje, dagegen gelangt man aus der inneren
Stadt gegen Westen in den Stadtpark und zum Krankenhause.
Während in Bihac selbst eigentlich die neue Zeit die interessantere
ist, bietet die Umgebung die überraschendste Ausbeute für Alterthums-
forscher; in erster Linie den bisher einzigen bosnischen prähistorischen
34
— 529 —
Pfahlbau bei Ripac und die Nekropole von Jezerine. Das Don
Ripac liegt 9,5 Kilometer südöstlich von Bihac auf dem Wege nach
Petrovac und ist ein Ausflug leicht zu unternehmen. Nach halbstündiger
Fahrt erreicht man zuerst den Fuss des Schlossberges von Sokolac, wo
ein stilles mohammedanisches Dörfchen liegt, dessen Bewohner früher
durch ihre Gräuelthaten berüchtigt waren. Die in einer halben Stunde zu
ersteigende, sehr gut erhaltene Ruine Sokolac lohnt die Mühe. Das Dorf
Ripac liegt auf einer Unna-Insel und auf beiden Ufern des Flusses, im
Mittelpunkt der Insel war einst eine Burg errichtet, von der noch die bis
Altes Thor in Bihac.
auf drei Meter Höhe erhaltenen Umfassungsmauern und Reste von vier
runden Thürmen erhalten sind. Von den Umwohnern wird die Ruine
»Forkolangrad« genannt.
Wie der prähistorische Pfahlbau entdeckt wurde, schildert der in-
zwischen verstorbene Berghauptmann W. Radimsky in den »Wissensch.
Mitth.« des bosnisch-hercegovinischen Landesmuseums in folgender Weise:
1891 besuchte er die Nekropole von Jezerine zum ersten Male und da
führte ihn der Pfarrer Kosta Kovacevic aus Pritoka zu einer Stelle gegen-
über von Golubic, an der vor etwa 20 Jahren die Unna infolge des Hoch-
wassers ihren Lauf geändert hatte, worauf in dem neuen Flussbette eine
Menge von Pfählen zum Vorschein gekommen war.
— 530 —
»Ich sah daselbst — schreibt Radimsky —
in dem seichten Wasser Längs des Ufers viele
Köpfe eingerammter Holzpfähle; da aber damals
meine Zeit beschränkt und bei oberflächlicher
Besichtigung zwischen den Pfählen nichts Be-
sonderes zu bemerken war, beschloss ich, später
bei sich darbietender Gelegenheit die Stelle
näher zu untersuchen. Ich setzte übrigens keine
grosse Hoffnung auf das Ergebnisa dieser Unter-
suchung, da ich in Otoka, Brekovica, Bihac
und Kulen-Vakuf auch die heutigen Anwohner
des Unnaflusses noch als »Pfahlbauern'< kannte,
die ihre Mühlen an den Katarakten des Flusses,
sowie ihre Verkaufsbuden neben den Brücken
mit Vorliebe mitten im Fluss auf Pfählen auf-
stellen. Bei den öfter vorkommenden Aende-
rungen des Flusslaufes der Unna war
somit nicht ausgeschlossen, dass diese
Pfähle einer jüngeren Zeit angehörten.
Im Sommer 1892 kam ich wieder
nach Bihac, um die systematische Unter-
suchung des Gräberfeldes von Jezerine
einzuleiten und bei dieser Gelegenheit
wurden mir von Herrn Evidenzgeometer
Julius Grauner verschiedene prähistorische
Funde gezeigt, die aus einem Pfahlbau
in der Unna bei Ripac stammen sollten.
Da ich meine Zeit damals der Grabung
in Jezerine widmen musste, ersuchte ich den genannten Herrn, so viele Artefakte als möglich von
jener Lokalität, die mit der obenerwähnten zwischen Pritoka und Golubic nicht identisch ist, zu
sammeln und mir nähere Mittheilungen über die Fundverhältnisse zu machen. Diesem An-
suchen hat Herr Grauner entsprochen, er hat einen Plan der Fundstelle entworfen und die
gefundenen Objekte nach Sarajevo gesandt. Im Jahre 1890 war bei Ruznici, unterhalb Ripac,
ein Kalktuffkatarakt, wie solche in der Unna häufig vorkommen, durchbrochen worden, wodurch
bei Ripac ein um 1,5 m tieferer Wasserstand erzielt, und den häufigen Ueberschwemmungen
der Ufergelände ein Ziel gesetzt wurde. Durch diese Melioration verloren aber die Mühlen-
besitzer von Ripac einen Theil ihrer Wasserkraft, und um diese wieder zu heben, gingen sie
daran, einige trockenliegende Katarakte oberhalb ihrer Mühlen zu durchstechen, wobei unter
einer stellenweise bis 1 m mächtigen Tuffschicht der erwähnte Pfahlbau entdeckt wurde. Es
scheint, dass wir es in Ripac mit einem der seltenen alten Flusspfahlbaudörfer zu thun
haben, denn es sind nicht nur die Pfahlköpfe, sondern an einzelnen Stellen auch die Platt-
formen, jedoch nur bei sehr niedrigem Wasserstande, über dem Flussspiegel sichtbar. Der
Wasserstand muss daher in alter Zeit niedriger gewesen sein als heute und eine Anschwellung
des Unnawassers bei Ripac zu einem förmlichen See dürfte damals kaum bestanden haben.«
Der Pfahlbaugrund zeigt an einer Stelle oben eine 1,5 m starke
Schichte von Lehm und Erde, darunter etwa 50 cm Flussgerölle und
Kalktuff, die wieder auf einer etwa 50 cm starken Kulturschichte lagern.
Unter dieser Kulturschichte ist fester Untergrund. An einer zweiten Stelle
lag unter dem bei 50 cm starken Kalktuffe die Kulturschichte und unter
I u r g r u i n e S o k o 1 a c bei Bihac.
— 533
dieser der feste Fussboden. Die schwarze Kulturschichte besteht aus
Holzkohle, Asche und Schlamm; die grosse Masse der Holzkohlenstücke
lässt vermuthen, dass das einstige Pfahldorf durch Feuer zu Grunde ge-
gangen ist. Die Pfähle sind unten zugespitzt; sie bestehen ausschliesslich
aus Eichenholz von 10 bis 30 cm Durchmesser und sind in unregelmässigen
Abständen von 0,5 bis 2 m eingerammt. Auch die an mehreren Stellen
noch erhaltenen Plattformen sind aus gespaltenen Eichenstämmen hergestellt.
Nur an zwei Stellen wurde hierzu auch Nadelholz verwendet. Die Balken
der Plattform zeigen stets die gleiche Lage von Südost gegen Nordwest.
In der Kulturschichte, sowie in den unteren Partien des Tuffes kommen
zwischen den Pfählen massenhaft Thongefässscherben, Hirschgeweihe,
Eberzähne und Thierknochen vor. Die Thongefässe sind ausschliesslich
Handarbeit; nur zwei davon sind nahezu ganz erhalten, ein grauer Topf
mit schwach auswärts gebogenem Rande und kleinem rundem Henkel
(14,5 cm hoch, 12 cm Durchmesser) und ein kegelstutzförmiger Tiegel,
rothbraun, schwach verziert, 18 cm hoch, 11 cm Durchmesser. Das Loch
im Boden ist nicht ausgebrochen, sondern, wie die dünnen Ränder be-
Das den gefallenen Soldaten 1878 gesetzte Monument in Zegar bei Uihac.
— 534 —
Türken an der Quelle. (Motiv aus der Umgebung von P>ihac.)
weisen, ausgebrannt. Dieser Umstand, sowie die Form des Gefässes
charakterisiren dasselbe als einen Schmelztiegel, dessen Vorkommen die
Kenntniss des Metallgusses bei den Pfahlbaubewohnern von Ripac ver-
muthen lässt. Das Material der übrigen Scherben ist mit kleinen Kalk-
steinkörnchen gemischt, schwach gebrannt und zeigt im Bauche häufig
drei Lagen, eine innere schwärzliche und zwei äussere rothe. Wahrschein-
lich sind die Gefässe in der Weise gebrannt worden, dass man sie mit
Feuergluth nicht nur umstellte, sondern auch anfüllte, wodurch die beiden
Oberflächen stärker gebrannt wurden, während der Kern roh blieb und die
durch Rauchschwärzung verursachte dunkle Färbung beibehielt. Die Farbe
der Scherben ist grau, braun, schwarz, röthlich oder gelblich. Im Ganzen
zeigen sich die Thongefässe des Ripacer Pfahlbaues, wenn auch höchst
primitiv, so doch häufiger und reicher verziert, als die in der nahen
Nekropole von Jezerine. An Thonartefakten wurden ausserdem ein ge-
brochenes und zwei ganz pyramidale Webstuhlgewichte gefunden; von
Metallgegenständen eine Zierscheibe aus Kupfer oder zinnarmer Bronce,
von 7 cm Durchmesser, mit einem Buckel und einem eingravirten Kreise
an der oberen Fläche und mit zwei nietenförmigen Stiften an der Unter-
seite, ferner ein offener Fingerring aus Bronce oder Kupfer, quergerippt,
1,8 cm Durchmesser. Da die Durchforschung fortgesetzt wird, ist wohl
noch mancher Fund zu erwarten.
Ruine Brekovica bei Bihac.
Das Grabfeld von Jezerine liegt mitten in der Ebene der Unna
auf einem im Südosten unbedeutend erhöhten, gegen Nordwesten in das
Niveau des umgebenden Geländes verlaufenden Hügel und besitzt eine
Länge von 60 m bei einer grössten Breite von 34 m. Es sind etwa ein
halbes Tausend Grabstätten geöffnet worden, von denen etwa drei Fünftel
auf Brandgräber und zwei Fünftel auf Skelettgräber entfallen. Ausserdem
wurden einige Punkte mit Funden ohne Leichenbrand oder Skelette an-
getroffen und an fünf Stellen innerhalb der Nekropole Leichenverbrennungs-
plätze aufgedeckt. Wir müssen es uns hier versagen, auf die näheren
Einzelheiten der Leichenbestattung und die Art der Beigaben einzugehen,
aber die Zahl der Funde ist enorm. Als Material der Beigaben wurde
Eisen, Bronce, Silber, dann ein weisses Metall, wahrscheinlich Zinn, ferner
Bernstein, Glas, Stein, Bein und Thon festgestellt. Die Waffen beschränkten
- 536 -
sich aut sechs Eisenschwerter und einige dolchförmige Messer. Die Eisen-
schwerter sind einschneidig und sehr ähnlich den gekrümmten Schwertern
aus Hallstadt in Oberösterreich und St. Michael in Krain. Am zahlreichsten
und wichtigsten sind die Funde aus Bronce, die aus wenigen Gcräthen,
einigen kleinen Gefässen und sehr vielen Schmucksachen bestehen. Von
Bernstein und Glas wurden viele Gegenstände gefunden, von Glasperlen
bis zu IOOO Stück in einem Grabe. Das keramische Material ist ein
massenhaftes, es lässt sich ein ganzes Museum damit füllen und das
Landesmuseum in Sarajevo hat Schätze aus Jezerine geerntet, dessen
Unnafluss mit Mühlen in Baksais (Vorort von Bihac).
ISfekropole etwa 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung entstanden sein mag,
die ganze La Tene- Periode überdauerte und erst zur Zeit der römischen
Herrschaft ausser Gebrauch kam.
Von sonstigen bedeutenderen Fundorten wäre in diesem Theile der
Krajna noch die Gradina Cungar bei Cazin, ein sehr ausgedehnter Wallbau,
anzuführen, ausserdem sind bis jetzt 26 prähistorische Wallbauten im Be-
zirke Bihac bekannt geworden.
Einen prächtigen Ausflug von Bihac kann man, wenn auch ohne
prähistorischen Genuss, der ja doch nicht Jedermanns Sache ist, nach
Kostel und Brekovica machen. In zwanzig Minuten erreicht man, die
nette katholische Ortschaft Kralje passirend, die Unnabrücke bei Vrkasic,
537 —
von wo in den landesüblichen, zu zweit aneinander gekoppelten Kähnen
die Flussfahrt beginnt. Die die Ufer begleitenden Lehnen treten immer
näher zusammen, weichen wieder auseinander, auf einmal scheint kein
Ausweg mehr vorhanden, man hört nur das Brausen und Schäumen der
Katarakte von Kostel. Dicht unterhalb einer Kuppe, welche die Veste
Brekovica trägt, bricht sich die Unna gewaltsam Bahn, in tollen Wirbeln
schäumend und donnernd über die vorgelagerten Felsmassen sich stürzend.
Oberhalb der Katarakte stehen auf Pfählen zahlreiche landesübliche
Mühlen, die auf schwanken Bretterstegen erreichbar sind. Der steile Auf-
stieg nach Brekovica wird durch den Anblick eines rein mohammedanischen
Städtchens gelohnt, das inmitten der verfallenden Festungsmauern liegt.
Typische Figuren und Erinnerungen an die Vergangenheit findet man
hier auf Schritt und Tritt. So erzählt die Sage von Kostel: In uralten
Zeiten, als die ganze Ebene von Bihac ein See war, herrschte in Brekovica
ein junger König Namens Kosta (Konstantin). Dieser fasste den Entschluss,
die »Brekovacka strana«, die den Abfluss des Wassers hinderte, zu durch-
graben und so den Bihacer See in fruchtbares Ackerland zu verwandeln.
In seinem Plane wurde Kosta von den benachbarten Häuptlingen unter-
stützt, doch ging der Durchbruch des Gebirges nur langsam von Statten
und es dauerte viele Jahre, bis der Durchstich der letzten festen Wand
erfolgen konnte. Als Kosta diesen Zeitpunkt herannahen sah, erkannte
er, dass die mit furchtbarer Gewalt in den engen Durchlass eindringenden
Wasser Hunderte von Arbeitern vernichten müssten. Da es ihm um die
jungen kräftigen Leute leid that, das ganze Werk aber gleichwohl nicht
unvollendet bleiben sollte, versammelte er alle Alten und Kranken und befahl
ihnen, reiche Belohnung in Aussicht stellend, die letzte Hand an den
Durchstich zu legen. Dieser erfolgte und mit Macht stürzte das Wasser
in die Bresche, die Greise und Siechen mit sich fortreissend. Ihr Opfer
war nicht umsonst gebracht, denn der See verwandelte sich in das frucht-
bare Kulturland, das heute als die Ebene von Bihac bezeichnet wird.
Der Durchbruch aber führt den Namen König Kostas und wird nach
diesem »Kosteo« oder »Kostel« genannt.
Solcher Sagen erzählt Pfarrer Konstantin Kovacevic in Bihac noch
viele im »Glasn. zem. muzeja«, wir aber nehmen für diesmal Abschied
von der Krajna und von der Bihacer Ebene, von der es im Volksmunde
heisst: »Die Ebene von Bihac ist ein zweites Aegypten!« oder: »Es giebt
keine zweite Ebene von Bihac bis zu den Thoren von Stambul!« und
kehren in sechsstündiger Wagenfahrt nach Novi zurück.
V
Koksofen im Kohlen werk Kreka.
Nach Tuzla.
Dreimal habe ich im
Verlaufe zweier Jahrzehnte
Bosniens Nordosten besucht
und dreimal habe ich Dolnja-
Tuzla berührt, jedesmal
unter gänzlich geänderten
Verhältnissen. Das erste
Mal 1878 bei der Besetzung.
Damals war es eine echt
türkische Stadt, welcher die
Salzgewinnung zu einer Be-
deutung verhalf; sie hatte
dadurch beträchtlichenVer-
kehr, der sich aber nur auf Tragthieren vollzog. Das alte verfallene Kastell,
der Konak und die bischöfliche Residenz waren die hervorragendsten
Punkte des Ortes. Dann sah ich Tuzla im Jahre 1886, als die Eisenbahn
von Doboj bis Siminhan eröffnet wurde; da war es schon eine halb
moderne Stadt geworden, der Bergwerksbetrieb war im Beginne. Bei
meinem letzten Besuche fand ich ein industrielles und Montancentrum der
überraschendsten Art vor, recht deutlich zeigend, dass man in Bosnien
mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts schreitet.
.... Doboj an der Bosnabahn lag wieder einmal hinter uns. Die
Burgruine winkte uns förmlich einen Abschiedsgruss zu, als wir in den
Waggons der bosnisch -hercegovinischen Eisenbahn -Verwaltung sassen.
Hinter der Station wird die Bosna auf einer über hölzerne Gruppenjoche
erbauten Eisenbrücke übersetzt, die 100 Meter lang ist. Jetzt stehen wir
direkt vor den Bergen; es sieht so aus, als sollten wir unseren Weg hinauf
— 539
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Partie aus dem Sprccathal.
mitten im Walde, liegt das altberühmte Kloster Ozren mit einer im Jahre
1 1 50 von einem Herrscher aus dem Geschlechte der Nemanja erbauten
Kirche. Auch soll sich dort noch eine ungarische Inschrift befinden, welche
aus den Zeiten der ungarischen Oberherrschaft über Bosnien stammt. Das
Kloster wird von der Station aus aui einem fünf Kilometer langen Reit-
wege erreicht. Es liegt in einem schönen, von dichten Waldgehängen
umsäumten Thalkessel; die Berge um das Kloster erreichen eine Höhe
von 200 — 300 Meter und man geniesst von ihnen eine Fernsicht bis weit
über die Save. Südöstlich vom Kloster liegt das mit jungem Eichenwald und
fettem Weideland bedeckte Gradisnik-Gebirge, während sich auf der Nord-
seite der Berg Gredelj erhebt, auf dessen Spitze noch heute die Spuren
des einstigen Sommersitzes der Mönche sichtbar sind. Von hier aus öffnet
sich ein herrlicher Ausblick ins Sprecathal. An der nordwestlichen Seite
des Klosters liegt der gleichfalls bewaldete Ausläufer Krvavac des Ozren-
gebirges. Alle diese Wälder bieten gute Jagd, namentlich auf Rehe,
Füchse, Wölfe, Wildkatzen und Marder, wogegen Hasen selten vorkommen.
Einige 150 Meter südlich vom Kloster befindet sich eine mächtige, in Stein
gefasste Quelle, »Kalugjerica« genannt, die sich in das Flüsschen Rijecica
ergiesst. Im Winter ist ihr Wasser nahezu lauwarm, während es im Sommer
derart kalt ist, dass es kaum getrunken werden kann. In der Bevölkerung
543 —
weiss sich Niemand zu erinnern, wer diese Quelle ummauert hat, es
dürften dies wahrscheinlich die Mönche gethan haben. Eine halbe Stunde
vom Kloster, hart am Fusse der Ozren-Planina, befindet sich ein Höhen-
rücken, auf welchem, der Ueberlieferung nach, einst der Klosterweingarten
stand. An dieser Stelle ackern jetzt die Bauern von Vasiljevici; von den
Weinstöcken findet sich keine Spur, aber die Bewohner nennen das Gelände
noch heute »Kalugjerske vinogradina« (die Weinberge der Mönche). Vor
mehr als 200 Jahren wurden sämmtliche Mönche des Klosters Ozren
Zwischen Olovo und Kladanj. (Von Ewald Arndt.)
gelegentlich eines Ueberfalles niedergemetzelt. Welcher Anlass zu dieser
Blutthat führte, ist nicht bekannt. Damals wurde auch das Kloster zerstört
und mehr als hundert Jahre wurde kein Gottesdienst mehr abgehalten.
Das Kirchendach verfiel, auf den Mauern wuchsen Bäume, deren Stämme
Mannesstärke erreichten. Erst zu Anfang dieses Jahrhunderts hat die
orthodoxe Bevölkerung die verfallenen Klostermauern wieder eingedeckt und
fortan kam von Zeit zu Zeit aus den umliegenden Pfarreien ein Pope, um hier
die Messe zu lesen. Im Jahre 1885 wurde das Kloster wieder besiedelt,
und eine orientalisch-orthodoxe Klosterschule eingerichtet, die zum grossen
Theil aus den Jahresbeiträgen der Landesregierung erhalten wird. Der
— 544
schöne Thurm wurde im ersten Jahre nach der Okkupation aus den Bruch-
steinen der ehemals berüchtigten »Nietova Kula in Krtova errichtet. Die
Dörfer liegen hier weit verstreut im Gebirge und bestehen aus einzelnen
Gehöften. Die Kinder müssen daher das Schuljahr über — das heisst
hier ungefähr fünf Monate im Jahre — im Kloster bleiben, wohin ihnen
die Eltern die nöthigen Lebensmittel bei Gelegenheit mitbringen. Selbst-
verständlich bleibt davon auch noch für die Klostcrbewohnerschaft ein
kleiner Rest übrig.
Von Pctrovoselo aus geht die Bahnlinie durch eine wundervolle, park-
artige Gegend zur Uebersetzung des Sprecaflusses. Das Flussthal ist hier
Brennende Halde.
35
— 545
durch Gebirgsausläufer von beiden Ufern auf ungefähr 300 Meter ein-
geengt, das Bett des Flusses selbst durch sehr hohe und steile Ufer be-
grenzt. Ueber die Spreca führt eine auf Piloten erbaute Brücke. Das
landschaftliche Panorama, welches jetzt nur durch die Aufeinanderfolge
von Wald und Wiese etwas Abwechslung bietet, wird hinter der Halte-
stelle Miricina angenehm durch Felspartien unterbrochen, die bei Dubosnica
ihr Ende erreichen. Die nächstfolgende Station Puracic-Rukavac war bis
vor wenigen Jahren ein Centrum des bosnischen Holz-Industrie-Konsortiums.
Hier wurden Unmengen von Fassdauben erzeugt und versendet, die
hauptsächlich vom nördlichen Abhänge des Konju-Gebirges und von der
Oskova kommen. Der Grossbetrieb scheint jetzt eingestellt zusein, wenigstens
konnte ich davon bei meiner letzten Durchfahrt nichts wahrnehmen. Der
Marktflecken Puracic' mit etwa 1000 mohammedanischen Einwohnern, liegt
3 Kilometer von der Station. Es führt von dort ein guter Reitweg nach
Maglaj und bildet dieser die kürzeste Verbindung zwischen Maglaj und Tuzla.
Kurz hinter Puracic verlässt die Bahn die hier aus einem Felsendefile hervor-
tretende Spreca und tritt in das Thal der in diesen Fluss mündenden Jala,
der sie bis kurz vor Tuzla am rechten Ufer folgt. Die Bahn entfernt sich
von der Strasse, von welcher sie durch sehr breite versumpfte Wiesen
und Niederungen getrennt ist, bis sie bei der Station Bistarac in der Nähe
von Han Pirkovac wieder die Strasse erreicht. Bei Bukinje zweigt die
Strasse nach dem reizend inmitten von Waldungen gelegenen Städtchen
Kladanj ab, das in etwa fünf Fahrstunden erreicht wird. Rechts erblickt
man am anderen Jala-Ufer den schönen Landsitz von Schemsi Beg Tuzlic,
einem der reichsten Grossgrundbesitzer in diesem Theile von Bosnien.
Kurz nach Verlassen der Station öffnet sich dem Blicke der die Stadt
Tuzla einschliessende Thalkessel. Ganz eigenthümlich erscheint dem
Reisenden das schiefe Minaret der Jalska-Dzamija , eine unbeabsichtigte
und etwas missglückte Nachahmung des Thurmes von Pisa. Links zeigt
sich jetzt die zwischen der Fahrstrasse und dem Bergabhang eingebaute
ärarische Ringofenanlage, gegenüber derselben liegt die im Jahre 1 891
neu erbaute Saline, beide durch eine Schleppbahn mit der Eisenbahn ver-
bunden. Nach Passirung dieser Anlagen wendet sich die Bahn in scharfem
Bogen nach rechts und überschreitet die Jala, um am jenseitigen Ufer die
Station Kohlengrube zu erreichen. Von hier aus führen Schleppgeleise
zu dem in unmittelbarer Nähe gelegenen, durch seine mächtigen Mulden
erkennbaren ärarischen Kohlenwerke. Mit zwei Einbauen, dem Förder-
und Wasserstollen, wurde die an Mächtigkeit und Ausdehnung gleich
grossartige Braunkohlen- (Lignit-) Ablagerung erschlossen, welche in dem
Tuzlaer Tertiärbecken auftritt und eine der besten Kohlensortcn liefert,
die überhaupt vorkommen. Vor der Einfahrt in die Station Kohlengrube
befindet sich rechts die musterhaft eingerichtete und geleitete Grauaug'sche
546
Spiritusfabrik, die mit maschinellen Anlagen zur Erzeugung von Trocken-
schlempe, die nach dem Auslände exportirt wird, eingerichtet ist und
auch mit den vorhandenen Maschinen Mahl und Walzmühlen in Be-
wegung setzt.
Links am jenseitigen Jala-Ufer wird zuerst das Militärbarackenlager,
dann der Marktplatz von Tuzla sichtbar. Die Bahn erreicht das Weich-
bild der Stadt mitten durch die zu beiden Seiten der an drei Stellen üb< r-
brückten Jala von Häu-
sern dicht besetzten
Strassen und hart an
der Strasse sich hin-
ziehend. Nachdem die
Hahn den grösstenTheil
der Stadt passirt hat,
übersetzt sie abermals
die Jala und erreicht in
kurzem Bogen knapp
hinter der Turalibeg-
Moschee die Station.
Tuzla, welches
seinen Namen den Salz-
quellen verdankt, die
sich hier, in Siminhan
und in Gornji-Tuzla be-
finden (vom türkischen
Worte »Tuz«, welches
Salz bedeutet), zählt
10227 Civilbewohner,
darunter 5984 Moham-
medaner. Die Volks-
zählungsziffern von
1885. wo die Stadt
noch nicht ganz
8000 Einwohner zählte, darunter etwa 5000 Mohammedaner, lassen den
industriellen Aufschwung erkennen. Auch der Handelsverkehr, be-
sonders mit Brcka, der grössten bosnischen Savestation (1885 : 4281,
x895 : 5998 Einwohner), ist sehr lebhaft und dürfte noch mehr steigen,
wenn das Projekt einer Eisenbahn Tuzla-Brcka im Anschlüsse an die
ungarischen Bahnen zur Ausführung gelangen sollte. Eine neue grosse
Savebrücke verbindet dort ohnedies bereits das slavonische mit dem bos-
nischen Ufer. Erst Anfangs der fünfziger Jahre wurde Tuzla Haupt-
stadt des politischen Bezirkes, wahrend früher Zwornik Sitz des Mutesari f
Im Huf der Spiritusfabrik Dolnja-Tuzla.
— 547 —
war. Omer Pascha, der während der Beg-Revolution auch in diesem
Theile desLandes seine Strenge gegen dieUebergriffeder mohammedanischen
Edlen zur vollen Geltung brachte, traf die neue politische Einrichtung
zum Segen des Ortes. Auch er konnte freilich nicht voraussehen, was
aus Tuzla für ein Bergwerks- und industrielles Centrum werden würde, und
unter türkischer Verwaltung wäre es ein solches auch nie geworden.
Die Stadt ist beinahe gänzlich umgebaut worden; sie besitzt zwar
auch noch ihre türkischen Viertel, aber in der Hauptsache sind d:e
Strassen breit und rein, die Gebäude neu und modern. An Stelle des
verfallenen Kastells, das demolirt wurde, ist der Sooo Quadratmeter grosse
Appellplatz getreten. In dessen Mitte steht ein Obelisk, am Nordende das
im maurischen Stile erbaute Rathhaus. An modernen Amtsgebäuden sind
das Kreisgebäude, das Bezirksamt, das Brigadekommando, das Saline-Amt
u. s. w. erstanden. Ein bedeutender Fortschritt zeigt sich auch in den
zahlreichen Schulen, die- allerdings meist noch konfessionell sind. Einen
543
■ J&r*' li ' '
Ä^25^||||
'
imponirenden Eindruck macht die Handelsschule und das neue öffentliche
Yolksschulgebäude mit einem praktischen Versuchsgarten. Selbst die Moham-
medaner raffen sicli zu neuen Schulbauten auf, tue modernen Ansprüchen
entsprechen. So fand ich an einem sehr hübschen Hause die Aufschrift:
Mohamedanska osnovna skola« (moham-
medanische öffentliche Schule). Die
»Schwestern der göttlichen Liebe
sitzen eine gut besuchte Mädchenschule
und auch eine höhere türkische Schule
(Medresse) ist vorhanden. Eines der her-
vorragendsten Gebäude der Stadt ist
orientalisch-orthodoxe Kirche, ein ziemlich
geschmackloses, im byzantinischen Stile
errichtetes Bauwerk. Unter den Moscheen
zeichnet sich nur die aus neuester Zeit
stammende, im Mittelpunkt der Stadt
liegende, arabisch gebaute Rehrambeg-
Moschee aus. Am Nordwestrande liegt
auf einem niederen Bergrücken das die
Stadt überragende Militärhospital, sowie
das Militär - Stationsgebäude mit dem
Elisabethparke. Zu erwähnen ist noch
die neugebaute Wasserleitung, von welcher
ein auf dem Appellplatze errichteter mau-
rischer Monumentalbrunnen gespeist wird,
und das »Hotel Tuzla«.
Für das mohammedanische Frauen-
leben in Bosnien erhielt Tuzla eine be-
sondere Wichtigkeit dadurch, dass hier
zuerst ein weiblicher Arzt vom Staate
angestellt wurde. Während man in ver-
schiedenen europäischen Ländern wohl
weibliche Aerzte, die in der Schweiz oder
in Frankreich promovirt haben, zur
privaten Praxis zulässt, war es doch der
bosnischen Landesregierung vorbehalten,
solchen auch eine staatliche Stellung zu
sichern. Es hing dies mit der Abgeschlossenheit der mohammedanischen
Frauen zusammen, die nur in den seltensten Fällen männliche ärztliche
Hilfe in Anspruch nehmen, solche bei Krankheiten, die operative Eingriffe
erfordern, überhaupt verschmähen. Daher nehmen bei ihnen Krankheiten
viel häufiger einen tödtlichen Ausgang, wie auch der Kurpfuscherei durch
"iS^-^S-j?
Zigeuner als Lastträger (Ha mal)
in Dolnja-Tuzla.
551
alte Frauen Thür und Thor geöffnet ist. So wurde denn im Jahre 189I
zuerst in Dolnja-Tuzla Frau Dr. Theodora Krajewska als weiblicher Arzt
angestellt und nach Ueberwindung gewisser Anfangsschwierigkeiten gelang
es ihr, festen Boden in der Bevölkerung zu fassen. Wie ich einem äusserst
interessanten Vortrage entnehme, den Ihre Excellenz Frau Minister Vilma
v. Källay im Budapester Frauenverein hielt, behandelte FrauDr. Krajewskaim
Jahre 1894 bereits 613 Kranke, von denen 224 Mohammedanerinnen,
269 Katholikinnen, 99 Griechisch-Orthodoxe und 20 Spaniolinnen waren.
In Mostar, wo im Jahre 1893 gleichfalls eine Aerztin in der Person der
Frau Dr. Bohuslava Kek angestellt wurde, sind die Ziffern für 1894
folgende: Behandelt wurden 763 Personen, davon 404 Mohammedanerinnen,
136 Katholikinnen, 200 Griechisch-Orthodoxe, 20 Spaniolinnen, 3 Pro-
testantinnen. Aber nicht nur in sanitärer Beziehung äussert sich der Einfluss
der weiblichen Doktoren. Sie können auch in anderen Fragen des Frauen-
lebens leicht Rath ertheilen, sie erwerben sich das Vertrauen und wirken
aufklärend und civilisirend auf jene Kreise, die bisher hinter den Musch-
arabiehs der Harems ein einförmiges und abgeschlossenes Dasein führten.
"W
Der Salz- und Kohlendistrikt.
Förderungsthurm im Kohleinverk K r e k n..
Was Tuzla in erster Linie
seine grosse Bedeutung verleiht,
ist die Kohle und das Salz. Unter
türkischer Verwaltung wurde letz-
teres aus zwei armen Salzquellen
in denkbar primitivster Weise ge-
wonnen und doch war es schon
damals ein grosses Wunder, denn
zwischen der Adria und dem
Schwarzen Meere kennt man
auf der Balkanhalbinsel keinen
zweiten Fundort von Salz. Von
den Kohlen hatte die türkische
Regierung keine Ahnung, sie hätte auch nie einen Bergwerksbetrieb eröffnet,
für dessen Erzeugnisse sie keine Verwendung besass. Im Jahre 1884 liess die
bosnische Verwaltung die Schürfungen auf Kohle und Salz durchführen; es
entstand ganz dicht bei Tuzla das Braunkohlenwerk Kreka und im selben
Jahre wurde mit dem Bau einer Saline in Siminhan begonnen, die längere
Zeit die alleinige Abnehmerin der Kohle war. Mit Eröffnung der Eisen-
bahn von Doboj bis Siminhan nahm die Kohlenproduktion einen raschen
Aufschwung. Wer die Schwierigkeiten einer grösseren Kohlenerzeugung
vom grünen Rasen weg kennt, wird es zu würdigen wissen, wenn schon
im Jahre 1890 die Jahresförderung 500000 Metercentner erreichte. Als
dieses Produktionsquantum erreicht war, wurde das erste grössere Arbeiter-
fest gefeiert, an dem schon damals 400 Arbeiter theilnehmen konnten.
Die ausgezeichnete Verwendbarkeit der fast schwefelfreien Kohle zu
Industriezwecken begründete zunächst eine Ausfuhr über die bosnischen
Landesgrenzen, lockte aber auch die Industrie an, sich in dem so ungemein
554
reichen Kohlenreviere selbst niederzulasssen. So entstanden die -ehr be
deutende Spiritusfabrik, mehrere kleinere Dampfmühlen, eine Brauerei,
Ziegeleien mit und ohne maschinellen Betrieb. Die Salinen wurden er-
weitert und im Jahre 1894 eröffnete die einige Kilometer vom Ben
etablirte grosse Ammoniak-Sodafabrik ihren Betrieb.
l'.s geschah dies bei Bistarac in Lukavac, in dem malerischen Thale,
wo sich die Jala mit der Spreöa vereinigt, in einer idyllischen Gegend, wo
nichts sonst als der Pfiff der Lokomotive und höchstens noch ein das
Buschwerk durchstreifender Jäger, Wildenten aufscheuchend, die tiefe Stille
und bestandige; Ruhe unterbricht. Dank der Initiative des Herrn Reichs-
finanzministers von Kallay wurde hier — 14 Kilometer von Dolnja-Tuzla —
von einer Aktiengesellschaft das grosse Fabriks-Unternehmen errichtet,
dessen Anlage 12000 Quadratmeter bebauter Fläche repräsentiren. Es
werden vorläufig 380 Arbeiter ständig beschäftigt, und zwar in einander
ablösenden Gruppen, da Tag- und Nachtbetrieb besteht. Es werden
täglich gegen drei Doppel-Waggons calcinirter Soda, ein Waggon Aetz-
natron und ein WTaggon Krystallsoda erzeugt. Später soll die Fabrikation
auf das Doppelte gesteigert werden. Eine Leitung von 14 Kilometer Länge
führt aus eigenen Bohrlöchern die zur Salzgewinnung nöthige Salzsoole in
die Fabrik. Die Soolenleitung mündet in Reservoire, in denen die Speisung
der Soda mit Ammoniak erfolgt. In eigens hierzu konstruirten Oefen wird
durch Brennen von Kalkstein Kohlensäure erzeugt und aus diesen in die
Reservoire geleitet, in denen sich die mit Ammoniak gesättigte Salzsoole
befindet. Hierdurch entsteht ein Niederschlag von doppclkohlensaurem
Natron, der sodann in gusseisernen Röhren geglüht und dem Calciniren
unterzogen wird. Die durch dieses Verfahren gewonnene Soda wird je
nach der Qualität und Quantität in Säcken oder Fässern zum Y ersandt
hergerichtet. Das Absatzgebiet der Fabrikate ist ein grosses und der
Betrieb dürfte bald eine weitere Steigerung erfahren. Die Anlagekosten
betrugen bisher I 300000 fl.
Eine weitere neue Industrie ist der Koksofen an der Kreka, die
erste derartige Anlage in Bosnien. In der Gemeinde Jasenica, auf der
Majevica-Planina, befindet sich ein ausgedehntes Kohlenlager, das sich durch
besondere Güte des Produktes auszeichnet. Es ist ein Uebergangsprodukt
von der Braunkohle zur Steinkohle. Der grosse Prozentsatz der flüchtigen
Bestandtheile besteht aus Theer, Gasen und Ammoniak; che Kohle ver-
brennt daher mit langer, leuchtender klamme und ist demzufolge ein vor-
züglicher Brennstoff. Um den technischen Werth der Jasenicaer Kohle
festzustellen, wurde eine grössere Menge derselben in eine ungarische Koks-
anstalt gebracht, wo Versuche über die Verkokbarkeit des Material- an-
gestellt wurden. Diese Versuche lauteten absprechend. Das gemeinsame
Finanzministerium wandte sich nun wegen neuer Versuche an den Berg-
555 —
und Hüttendirektor Wil-
helm von Reusz inPitten
bei Wiener-Neustadt, der
sich seit mehr als zwan-
zig Jahren mit Unter-
suchungen der Braun-
kohle behufs deren Ver-
kokung beschäftigt und
fast sämmtliche Braun-
kohlen der österreich-
isch - ungarischen Mon-
archie seinen Arbeiten
unterzogen hat. Herr
von Reusz wies nun nach,
dass d er Jasenicaer Kohle
nicht nur eine technische
Wichtigkeit im Allge-
meinen beizulegen ist,
sondern dass sie auch vorzüglichen Koks
liefert. Auf Grund dieser Ergebnisse wurde
die Salinenverwaltung in Siminhan beauftragt,
einen Koksofen für Versuchszwecke nach den
Plänen des genannten Fachmannes zu bauen. Kohlengrube an der Kreka.
Der Ofen, der an der Kreka isolirt in der
Nähe der Saline aufgestellt ist, fasst 4000 Kilogramm Rohkohle, die in einem
Zeitraum von 30 Stunden zu Koks gebrannt wird. Die bisherigen Versuche
waren erfolgreich und es soll daher dicht neben dem Kohlenlager in
Jasenica eine umfassende Koksofenanlage errichtet werden.
Auf die Kohle der Tuzlaer Gegend sind auch die Zuckerfabrik in
Usora und die Mineralölraffinerie in Bosnisch-Brod basirt. Die mit inlän-
discherKohlegespeistenBahnen und Dampfschiffe führen den Brennstoff weiter
ins Land und zum Theil auch über die Grenzen. Eine wichtige Frage
bildete die Unterbringung der Bergarbeiter. Zu diesem Zwecke wurde
eine Kolonie errichtet, die heute 60 Doppel-Familienhäuser zählt, eine
freundliche mit kleinen Gärten versehene Anlage, die sich alljährlich ver-
grössert. Der steigende Kohlenbedarf führte im Laufe des Jahres 1894
zur Erzeugung von mehr als einer Million Metercentnern und diese er-
freuliche Thatsache wurde in den Weihnachtstagen durch ein den Beamten
und Arbeitern von der Regierung gegebenes Fest gefeiert. Beinahe zur
selben Zeit erreichten die Salinen die Jahresproduktion von 100000 Meter-
centnern Sudsalz, sodass ein doppelter Anlass zum Feste vorlag. Uebrigens
hat auch in Zenica, dem südlichen Kohlenwerke au der Bosna, die Jahres-
556 -
förderung bereits 500000 Metercentner erreicht. Eine neuerrichtete Saline
ausserhalb Tuzlas ist zur Erzeugung von Feinsalz bestimmt, wahrend die
Anlage in Siminhan nur das gebräuchliche bosnische Kochsalz erz<
Das Tuzlaer Etablissement ist zur Gewinnung von 60000 Metercentnern
jährlich eingerichtet.
Die Saline in Siminhan besuchte ich im Jahre [886 und ich lasse
meine damaligen Eindrücke unverändert folgen. Die Station Tuzla ver
lassend, erreicht die Bahn, auf den am rechten Jala-Ufer gelegenen Wiesen
sich hinziehend, den in die Jala mündenden Solinabach, welchen sie auf
einer Holzbrückc übersetzt. Unmittelbar in der Nähe dieser Holzbrückc
und bei der knapp liier vorüberführenden Fahrstrasse nach Zwornik befindet
sich die dem serbischen Metropoliten gehörende Dampfmühle. 1 1
Siminhan mit Saline.
gegenüber zweigt von der Hauptstrasse die alte im Solinathale geführte
Strasse nach Brcka ab, die durch einen im Jala- und Gnjica-Thale ge-
führten Fahrweg über Lopare ersetzt wurde. Nach Passirung der Solina-
brücke zieht sich die Bahn abwechselnd auf Dämmen und in Einschnitten
— zur linken Hand die landwirtschaftliche Niederlassung der »Schwestern
der göttlichen Liebe« — zumeist parallel mit der Strasse und hart an
dieser bis zur Saline in Siminhan. Bis 1884 noch war Siminhan eine
einsame, von allem Geräusch fern gelegene Gegend, die nur durch den
Hau eines gewissen Simo - daher der Name — bezeichnet und den
mit der Gegend vertrauten Bewohnern bekannt war. Zur Ausnutzung der
Soolquellen von Gornja-Tuzla, die von der türkischen Verwaltung nur
sehr primitiv bearbeitet wurden und deren Salz wegen Mangels jedes
Reinigungsprozesses nicht gern gekauft wurde, fasste die bosnische Landes-
regierung den Entschluss, daselbst eine Saline zu erbauen. Der Bau wurde
im Mai 18S4 begonnen und die Saline im März 18S5 in Betrieb gesetzt.
- 559
Es ist eine prachtvolle Gegend, in
der sich diese Anlagen befinden. Die
netten Fabrik- und Wohngebäude sehen
wie Schweizer-Häuser aus und die
grünen Wälder an den Bergabhängen
im Hintergrunde würden eher die Ver-
muthung erwecken, dass sich hier die
Cottage-Anlage von Dolnja-Tuzla be-
finde. Für einen klimatischen Kurort
könnte man sich eine schönere Land-
schaft kaum denken und auf Schritt
und Tritt wird man durch die Scenerie
an die hübschesten Partien der Steiermark
erinnert. Sobald man von der Bahn
aussteigt, sieht man die Aufschrift:
»Franjo Josipa Solina« — »Franz Josef-
Saline«, welcher wir in ihren inneren
Räumlichkeiten einen eingehenden Be-
such abstatteten. Die Soole wird mittelst
Dampfpumpe gehoben und in Röhren,
die eine Länge von 4100 Meter be-
sitzen, von Gornja-Tuzla nachSiminhan
geleitet. In den zwei Sudapparaten
(gegenwärtig sechs) zischt und brodelt
es unaufhörlich und der Reinigungs-
prozess, welcher bezweckt, das Glauber-
salz und die Magnesia aus dem Koch-
salze zu entfernen, wird nach den
neuesten Erfindungen vollzogen. Grosse
Dörrpfannen sind aufgestellt und überall
sieht man nur bosnische Arbeiter be-
schäftigt, die sich recht anstellig und
gelehrig zeigen. Ihre Verwendung hatte
wieder die Anlage von landesüblichen
Wohnhäusern im Gefolge und sogruppirt
sich ein Dorf um die Saline, die auch
sehr ausgedehnte Magazine besitzt.
Diese Anlage soll durch das Erbohren
weiterer Quellen noch eine namhafte
Ausdehnung erfahren und man hegt
die Hoffnung, mit der Zeit den ganzen
bosnischen Bedarf aus dieser Saline
Landwirtschaftliche Station
Modric.
— 560 —
Salzsiederei in Gornja - Tuzla zur Türkenzeit.
Von W. Leo Arndt.'
decken zu können, was gegenwärtig (1895) 30 ziemlich der Fall ist.
Siminhan bildet gleichzeitig einen Strassenknotenpunkt nach Zwornik
und Bröka, indem unmittelbar bei der Saline die über Gornja-Tuzla
und Lopare nach Bröka führende, durch ihre landschaftlichen Reize er
wähnenswerthe Kunststrasse von der Hauptstrasse Tuzla-Zwornik ab
zweigt. Von Siminhan aus kann Bröka in 51 2, Zwornik in 6 Fahrstunden
erreicht werden. Vier Kilometer von der Saline liegt <kr durch seinen
Salzreichthum bemerkenswerthe rein mohammedanische Ort Gornja-Tuzla.
In einem hinter der Saline
gelegenen netten Gasthause
mit elegantem Sommer-
pavillon wurde ein Früh-
stück eingenommen, das
nichts zu wünschen übrig
liess. lyrisches Bier, gute
Weine, Sodawasser war
vorhanden. Der Wirth war
ein Ungar, wie überhaupt
in der Tuzlaer Gegend sehr
viele Magyaren in amtlichen
und geschäftlichen Stellun-
gen sich befinden. Ueber-
all hört man auch un-
garisch reden und es kann
nicht geleugnet werden,
dass im Bereiche der
Stefanskrone viel mehr
Verständniss für den Werth
Bosniens besteht, als in
Cisleithanien, wo man bei
oftem Nörgeln gänzlich
Übersicht, welch' werth-
volles Land das Habsburger Reich durch die Okkupation gewonnen hat.
Allerdings mussten die natürlichen Schätze erst gehoben, die Hilfsmittel de-
Landes vorher erschlossen werden. Dass dies geschehen und noch geschieht,
ist das grosse Verdienst der gegenwärtigen bosnischen Landesverwaltung.
Bohrungen im Salz werk Dolnj a-Tuzla.
(Von W. Leo Arn.lt.
Der Tuzlaer Kreis hat das Glück, das beste Hornvieh und einen vor-
züglichen Pferdeschlag zu besitzen. Eine grossartige landwirtschaftliche
Station besteht in Modric. Darum bilden auch in Tuzla — wie übrigens
in den meisten Theilen des Landes — die Pferderennen einen nationalen
36*
- 563 ~
Sport. Anlässlich der Bahneröffnung wurde ein grosses Volksfest ab-
gehalten, das mir stets in angenehmer Erinnerung bleiben wird. An der
Kreuzung der Brckaer mit der Zworniker Strasse, ziemlich ausserhalb der
Stadt, auf einem riesigen Wiesenraume, der von Bergen an einer Seite
begrenzt wird, war der Festplatz abgesteckt worden. Für die Gäste war
eine eigene Tribüne errichtet, mit Logen für Herrn Reichsfinanzminister
.-*£ W
•
Einheimische Reiter beim Wettrennen.
v. Kallay und seine Gemahlin, sowie für den Landeschei General der
Kavallerie Baron v. Appel nebst Gattin. Das Volk drängte sich bunt auf
der Wiese, und an den Berglehnen zeigten sich Kopf an Kopf die meist
rothen »Behauptungen« - - Fez und Turban — einen Anblick bietend,
wie riesige Plätze voll Alpenrosen. Nur landesüblicher Sport sollte zur
Darstellung gelangen, zuerst ein echt bosnisches Pferderennen.
1 )en Rennplatz bildete die Landstrasse und die Strecke war mit
r>} j Kilometer bestimmt. Für das grosse Rennen mit Reitern waren
564
22 Pferde angemeldet, durchweg von mohammedanischen Grundbesitzern
aus Tuzla, Bjelina, Gradacac, Graöanica, Kladanj, Janja, Brezovopolje und
einigen Dörfern. Ein Böllerschuss gab das Zeichen, dass die Pferde von
ihrem Standplätze abgegangen, und nicht lange wahrte es, so erblickte
man an einer Strassenkreuzung einen Falben daherrasen, dessen Reiter fast
gar nicht sichtbar war. Bald kamen ein zweites und drittes Pferd, dann
folgen ganze Rudel, die von den die Strasse einsäumenden Zuschauern
zu immer schnellerem Laufe angeeifert werden. Der Falbe aber blieb der
erste Sieger; er gehörte dem Ali Beg Hadzi Alibegovic in Modriö und
war von einem halbnackten zehnjährigen Zigeunerjungen geritten. Alle
»Jockeys« waren Zigeunerkinder oder Eingeborene, der älteste 13 Jahre.
Sattel war nirgends vorhanden, meist auch kein Zaum; nur durch bunte
Tuchstreifen um den Hals der Pferde waren diese für die Eingeweihten
kenntlich gemacht worden. Wie rasend jagte ein Pferd nach dem andern
über das Ziel, das in einem Bündel Heu auf der Strasse bestand, oft
mitten in die Zuschauer hinein.
Die vier Sieger wurden von dem Preisrichter- Kollegium, an dessen
Spitze sich der Bürgermeister von Tuzla, Haschim Aga, befand, in feier-
lichem Zuge in einen abgegrenzten Raum vor den Tribünen geführt und
hier mit Ehrungen überhäuft. Unter Vortritt einer türkischen Zigeuner-
musik, die einen gräulichen Spektakel vollführte, begann der Rundgang
der Pferde. Dann wurden die Preise — 39, 9, 6 und 4 Dukaten —
welche als Stirnband gefasst waren, den Pferden um den Kopf gebunden,
worauf wieder Musik und das Ausrufen der Preisgekrönten durch den
Tellal (öffentlicher Ausrufer) von Tuzla erfolgte. Dieser, ein alter Moslim,
hatte die Rolle des Hanswurstes übernommen. Unter den lächerlichsten
Kapriolen sprang er herum, dabei aus Leibeskräften schreiend und einem
Tulum (türkische Trommel) jämmerliche Töne entlockend. Es war ein
ganz eigenartiger Anblick, die kleinen Reiter, zerrissen und beschmutzt,
zu sehen, wie es sie mit Stolz erfüllte, so hoch geehrt zu werden, und
der Besitzer des besten Rennpferdes konnte es sich nicht versagen, aus
seiner stoischen muselmännischen Ruhe herauszutreten, das Pferd und den
Jungen zu streicheln und ihm 15 Dukaten zu geben. Die Strecke war in
12 Minuten zurückgelegt worden.
Solche Rennen sind Feste für ganze Gemeinden. Tage lang vorher
schläft Niemand vor Aufregung; die Pferde werden müde gehetzt, dann,
wenn sie in Schweiss gekommen, ganz dicht in Decken eingehüllt und
diese mit Riemen fest zugezogen, damit die Muskeln nicht schlaff werden.
Erst bei Beginn des Rennens werden sie der Hüllen entledigt. Das Ist die
bosnische Trainirung, die von der bei uns üblichen recht bedeutend abweicht.
Sodann fand ein zweites Rennen mit Pferden ohne Reiter statt, das
eigentlich einen noch viel originelleren Anblick bot. Man konnte sich
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auf die Prairien Amerikas versetzt und etwa eine Heerde Mustangs von
Indianern verfolgt glauben. Die letzteren fehlten hier aber; die kleinen
bosnischen »Katzen« setzen selbst einen Ehrgeiz darein, als Erste zum
Ziele zu gelangen.
An dem Stangenklettern betheiligten sich nur Zigeuner, die Preise
von Stücken rothen Tuches, einem Napoleon und je 2 Gulden erhielten.
Originell war wieder das Springen auf den Ziegenbalg. Eine der Haare
beraubte Haut wird straff aufgeblasen, mit Oel eingerieben und von Zeit
zu Zeit wieder mit Wasser übergössen, damit sie recht schlüpfrig wird. Es
handelt sich nun darum, so auf den Balg zu springen, dass dieser platzt
— etwas, was oft erst nach Stunden gelingt, denn fast Jeder gleitet aus
und fällt nieder, was bei den Zuschauern grosses Gelächter hervorruft.
Bei dieser Preisbewerbung that sich besonders ein Zigeuner hervor von
fast schwarzer Hautfarbe, offenbar ein Mischling mit Negerblut, aber von
regelmässiger schlanker Gestalt und mit Muskeln wie von Stahl. Leider
errang er den Siegespreis nicht.
Beim Weitspringen wurde wenig Bemerkenswerthes geleistet, dagegen
bot das Wettlaufen einen interessanten, wenn auch nicht angenehmen
Anblick. Die Theilnehmer daran mussten sich bis auf eine Schwimmhose
vollkommen nackt entkleiden. Die Distanz betrug 372 Kilometer und wurde
von den meisten dieser menschlichen Rosse in zwölf Minuten zurückgelegt!
Eine geplante Reise in die Posavina — die grosse Saveniederung
— konnte wegen steten Regenwetters nicht ausgeführt werden, und so
blieb sie einer späteren Zeit vorbehalten. Wir schieden von Tuzla mit
dem Bewusstsein, hier viel gesehen und viel gelernt zu haben, hauptsächlich
auch, wie mit zielbewusster Verwaltung ein zurückgebliebenes Land
systematisch aui eine höhere Stufe der Entwicklung gebracht, wie mit
Erfolg kolonisirt werden kann.
So nehme ich diesmal Abschied von dem schönen Lande, das meine
Jugendliebe war, das mir im späteren Alter nur immer liebenswerther er-
scheint. Ich habe mich bemüht, in meinen Schilderungen das zu zeigen,
was einst war und was jetzt ist. Soviel ist gewiss: Bosnien und die
Ilercegovina sind nicht nur landschaftlich und ethnographisch, sondern
auch durch ihre rasche kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung die
interessantesten Gegenden des europäischen Orients und eines Besuches
werth. Touristen, Volkswirthe und Gelehrte finden ihre Rechnung bei
einem Besuche des Landes, das sich Jedem so ins Herz schmeichelt, dass
er immer von Neuem an die romantischen Gebirge, an die Ufer der Bosna,
des Vrbas, der Drina und Narenta mit Sehnsucht zurückdenkt, dass er
dahin zurückkehrt. Aber auch den in Europa jetzt so zahlreichen Kolonial-
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Politikern ist ein Besuch zu empfehlen; in Bosnien wird praktische Kolonial-
politik getrieben, und was geleistet wurde, stellt dm Leitenden Personen
und Oesterreich-Ungarn im Allgemeinen das höchste Ehrenzeugniss aus
Einst gänzlich zurückgeblieben, reiht sich heute die bosnische Schwester
europäischen Ländern als würdige Genossin an.
Am Daum der Menschheit
Drängt sich JJlüth' an IJlüthe,
Nach ew'gen Regeln wiegen sie sich <lrnuf.
Oh hier die eine matt und welk verglühte,
Blüht dort die andre voll und prächtig auf.
Es ist ein ewig Kommen und ein ewig <,
Und nie und nimmer träger Stillestand.
Man sieht sie auf-, man sieht sie niederqvh.n
Und jede Blüthe ist ein Volk, — ein Land.
So singt Freiligrath. Bosnien aber ist das Land des Aufgehen., das
echte Land der Morgensonne!
ß.,i.
Waldpart hie im bosnischen Waldgebiet
TW '
Renner, Heinrich
Durch Bosnien und die
Herzegovin? kreuz und
ouer; Wanderungen
#2. in Wort und Bild
ergänzte und verm. Aufl.
D. Reimer (E.
Vohsen) (1897)
Efe
Sb«^B
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