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Full text of "Geschichte des deutschen Lustspiels"

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HANDllOUND 
AT  TUE 


UNIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


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GESCHICHTE 

DES     DEUTSCHEN 

LUSTSPIELS 


G  E  S  C  H 

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DR.      KAR 

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PROFESSOR  DER  LITERATURGESCHICHTE  AN  DER 
TECHNISCHEN  HOCHSCHULE  IN  KARLSRUHE 

MIT  100  ABBILDUNGEM 

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VERLAGSBUCHHANDLUNG  J.J.WEBER  • 

LEIPZIG 

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J.J.WEB  ER.  LEIPZIG 


MAX  VON  WALDBERG 

UND 

OSKAR  WALZEL 

IN     DANKBARER    VEREHRUNG 


VORWORT. 

Eine  rein  ästhetische  Betrachtungsweise  sämtlicher,  in  historischer 
Reihenfolge  nacheinander  geordneter  Lustspiele  kann  nie  eine 
Entwicklungsgeschichte  des  Lustspiels  geben,  da  ästhetische  Wertung 
weder  mit  Vor-  noch  Nachgeschichte  sich  befaßt,  sondern  das  Einzel- 
kunstwerk als  losgelöstes,  abgegrenztes,  ruhendes  Sein  betrachtet. 
Aber  wenn  auch  geschichtliches  Werden  unabhängig  vom  ästhetischen 
Werte  ist,  so  würde  doch  andrerseits  die  Darstellung  einer  Entwick- 
lungsgeschichte des  Lustspiels  dessen  Charakter  als  eines  Erzeug- 
nisses der  Kunst  ganz  verlorengehen  lassen,  wenn  darin  auf  alle 
ästhetische  Wertung  verzichtet  würde.  Insbesondere  dürfen  aner- 
kannte Kunstwerke  wohl  immer  eine  ästhetische  Betrachtung  auch 
innerhalb  einer  Entwicklungsdarstellung  ihrer  Gattung  beanspruchen. 

Nach  solchen  Überlegungen  ergab  sich  für  meinen  Versuch  einer 
Geschichte  des  deutschen  Lustspiels  die  Verbindung  von  historisch- 
verknüpfender mit  ästhetisch  isolierender  Betrachtungsweise  derart, 
daß  im  Strome  allgemeiner  Lustspielentwicklung  einzelne  Lust- 
spiele gleich  Inseln  herausragen,  die  besondere  Aufmerksamkeit  er- 
fordern. 

Weiter  muß  aber  selbst  eine  Darstellung,  die  die  einzelnen  Lust- 
spiele nur  rein  geschichtlich  in  ihrer  Stellung  innerhalb  der  Gattungs- 
entwicklung betrachtet,  voneinander  verschiedene  Aufgaben  er- 
füllen, deren  drei  wichtigste  durch  die  Begriffe  Stoff,  Form  und 
Gehalt  bezeichnet  sind.  Von  allen  drei  Gesichtspunkten  aus  könnte 
getrennt  eine  Entwicklungsgeschichte  geschrieben  werden.  Wir 
haben  es  aber  mit  dem  Gesamtkomplex  der  davon  berührten  Pro- 
bleme zu  tun,  wobei  wir,  je  nach  der  bei  dem  Einzellustspiel  im 
Vordergrunde  stehenden  Bedeutung,  entweder  von  dem  stofflichen 
Inhalte  oder  von  der  formalen  Gestaltung  oder  von  dem  gedank- 
lichen Gehalte  handeln.  Daneben  ist  ferner  noch  zu  beachten,  ob 
ein  Lustspiel  Ausdruck  einer  bestimmten  Persönlichkeit  oder  einer 
besonderen  Zeitstimmung  ist,  ob  es  bodenständig  verwurzelt  ist  oder 
internationaler  Tradition  entspringt;   zu  der  Fülle  von  Bedingtheiten 


YlII  Vorwort. 

materialer,  formaler,  technischer,  kultureller,  individueller,  sozialer, 
temporärer,  lokaler  Art  und  andrer  mehr  tritt  schließlich  auch  noch 
die  Frage  vom  Verhältnis  der  Lustspielproduktion  zur  Theorie,  wo- 
bei sich  weitere  Fragen  nach  Absicht,  Zweck  und  Wirkung  von 
selbst  ergeben. 

Wenn  ich  durch  den  Irrgarten  solcher  unzähliger  Problem- 
stellungen einen  gangbaren  Weg  fand,  so  war  dies  natürlich  ein 
Kompromiß,  das  wohl  der  Vorwurf  des  Unsystematischen  wenn 
nicht  Unmethodischen  treffen  kann.  Im  allgemeinen  wollte  ich  die 
Entwicklung  des  deutschen  Lustspiels  in  ihrem  geschichtlichen  Zu- 
sammenhang von  ihren  ersten  Anfängen  bis  zur  jüngsten  Gegen- 
wart darstellen,  wobei  ich  nicht  scheute,  Einzelerscheinungen,  ihrem 
ästhetischen  Werte  entsprechend,  eine  ausgedehntere  isolierende  Be- 
sprechung zu  widmen ,  oder  Nebenzweige  wie  Lokaldichtung, 
Schwank  für  sich  zu  betrachten.  Einzelprobleme  der  inneren  und 
äußeren  Form,  der  theoretischen  Auffassung  u.  a.  habe  ich  jeweils 
an  besonders  geeignet  erscheinenden  Stellen  angeknüpft,  ohne  nun 
diese  Nebenprobleme  ebenfalls  in  der  Ganzheit  ihrer  historischen 
Kontinuität  zu  entwickeln. 

Aber  auch  abgesehen  von  diesen  Verknotungen,  Seitentrieben, 
Zäsuren  des  Hauptentwicklungsstrangs  bietet  dieser  kein  ununter- 
brochenes Ganzes,  so  lange  die  Betrachtung  sich  auf  die  Lustspiele 
selbst  beschränkt;  erst  indem  diese  im  Zusammenhang  mit  der  all- 
gemeinen Kulturentwicklung  betrachtet  werden,  erst  indem  ihre 
Funktion,  die  sie  mit  jedem  Kunstwerke  teilen,  als  Niederschlag 
flutenden  Lebens  erkannt  wird,  kann  eine  tatsächliche  historische 
Kontinuität  gefunden  werden.  Indem  ich  versuchte,  diesem  Ziele 
nachzustreben,  glaube  ich  in  meiner  Darstellung  der  Geschichte 
des  deutschen  Lustspiels  nicht  nur  den  Entwicklungsgang  der 
deutschen  Literatur  überhaupt,  sondern  den  des  deutschen  Lebens, 
deutscher  Kultur  im  Laufe  des  letzten  Jahrtausend  —  wenn  auch 
von  einseitigem  Blickpunkte  aus  und  nur  roh  skizzierend  —  ge- 
spiegelt zu  haben:  durch  das  Monadenfenster  des  Lustspiels  öffnet 
sich  uns  ein  Blick  auf  die  Gesamtheit  der  übrigen  Lebens- 
monaden. 

Dabei  bin  ich  mir  wohl  bewußt,  daß  meine  Darstellung  ein 
erster  Versuch  ist,  der  als  solcher  der  Kritik  leicht  Angriffsflächen 
bieten  dürfte.  Ich  wäre  aber  dankbar,  'wenn  sie  davon  Notiz 
nehmen  wollte,  daß  ich  kein  Nachschlagewerk  beabsichtigte.  Ich 
habe  keinerlei  Vollständigkeit  in  der  Anführung  vorhandenen  Ma- 
terials erstrebt.     Ich  verzichtete   daher  auch   auf  den  billigen  Ruhm, 


Vorwort.  IX 

mit  Massengräbern  literarischer  Namen  und  Titel  meine  Belesenheit 
zu  bezeugen.  Wer  aus  der  Nichterwähnung  eines  ihm  bekannten 
Lustspiels  schließen  will,  daß  ich  es  nicht  gelesen  habe,  wird  mit 
Leichtigkeit  zu  seiner  Genugtuung  reiches  Material  finden;  ich  weise 
ihn  insbesondere  auf  die  Weggenossen  der  Schröder,  Iffland,  Kotze- 
bue  hin  oder  auf  die  Schriftsteller  gleichen  Ranges  aus  der  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts  und  der  Gegenwart. 

Mir  kam  es  darauf  an,  Entwicklungsstadien  aufzuzeigen  und  sie 
in  ihren  charakteristischen  Wesenszügen  zu  kennzeichnen.  Diese 
Skizzen  erheben  dann  allerdings  den  Anspruch,  auf  reiches  empi- 
risches Material  gegründet  zu  sein,  gewissermaßen  dessen  Extrakt 
darzustellen,  wenn  dieses  Material  auch  nur  in  einzelnen  typischen 
Vertretern  zur  Besprechung  sich  verdichtete. 

Sollte  sich  aber  meine  Art  der  Darstellung  dem  Leser  —  und, 
ich  wiederhole  es,  mein  Buch  möchte  gelesen,  nicht  nachgeschlagen 
werden  —  nicht  nachträglich  in  ihrer  Gesamtheit,  trotz  Fehler  im 
einzelnen,  rechtfertigen,  dann  ist  sie  verfehlt  und  kann  auch  durch 
die  Darlegung  meiner  Absichten  und  Wünsche  nicht  gerettet  werden; 
ich  aber  werde  mit  Shakespeare  seufzen:  Strange,  how  desire  does 
outrun  Performance! 

Vorher  aber  möchte  ich  noch  der  Dankespflicht  genügen  denen 
gegenüber,  die  mich  mit  Rat  und  Tat  bei  meiner  Arbeit  unter- 
stützten. In  erster  Linie  seien  dabei  Max  von  Waldberg  und 
Oskar  Walzel  genannt.  Die  Vorarbeiten  zu  meiner  Darstellung 
gehen  zurück  auf  die  Anregungen,  die  mir  mein  verehrter  Lehrer 
von  Waldberg  während  meiner  Heidelberger  Studienzeit  vor  über 
fünfzehn  Jahren  gegeben  hat.  Er  begleitete  auch  ihren  Fortgang 
mit  nimmermüder  Teilnahme.  Schon  vor  dem  Kriege,  als  ich  in 
England  tätig  war,  hat  Oskar  Walzel  meiner  Arbeit  großes  Inter- 
esse zugewandt;  ihm  verdanke  ich  es,  wenn  ich  mich  nach  der 
langen  Kriegsunterbrechung,  innerhalb  derer  meine  bis  dahin  ge- 
sammelten Notizen  größtenteils  in  England  verlorengingen,  von 
neuem  an  die  Arbeit  setzte,  um  mit  dem  Sammeln  von  vorne  zu 
beginnen.  Max  von  Waldberg  und  Oskar  Walzel,  deren  Ermunte- 
rung mich  manche  Ermüdungsstadien  überwinden  ließ,  haben  mich 
erfreut  und  geehrt,  indem  sie  die  Patenschaft  des  vollendeten  Werkes 
übernommen  haben.  Möge  das  Patenkind  ihnen  keine  Unehre 
machen ! 

Ich  hätte  hier  in  Karlsruhe  die  Materialbeschaifung  nicht  be- 
wältigen können,  wenn  nicht  die  Beamten  der  Badischen  Landes- 
bibliothek  mich   in   vorbildHcher  Weise  unterstützt  hätten,   wofür 


y^  Vorwort. 

ich  namentlich  den  Herren  Prof.  Dr.  Oeftering  und  Prof.  Dr. 
Riesser  auch  an  dieser  Stelle  meinen  aufrichtigen  Dank  aus- 
spreche. Weiter  bin  ich  für  werktätige  Hilfe  dankbar  verpflichtet 
dem  Literarhistoriker  Dr.  von  Grolman,  der  in  hebenswürdigster 
Weise  den  größten  Teil  der  ersten  Korrektur  gelesen  hat. 

Karlsruhe,   November  1923. 

KARL  HOLL. 


INHALTSVERZEICHNIS. 

Einleitung.  Seite 

Lustspiel  und  Schwank i 

A.  Mittelalter.  3-59 

I.  Altertum  und  Mittelalter •    ■  3 

II.  Geistliche  Komödien 4 

1.  Die  Komik  im  geistlichen  Drama •     •  4 

2.  Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele 7 

a)  Keimzellen 7 

b)  Quacksalberspiel lO 

c)  Ritterspiel 15 

d)  Teufelsspiel 31 

e)  Täuferspiel 28 

f)  Magdalenenspiel 29 

g)  Teufels-  und  Sünderspiel 3^ 

3.  Komische  Szenen  der  Weihnachts-  und  Dreikönigsspiele 34 

4.  Legendendramen 35 

IIL  Weltliche  Komödien •    •  37 

1.  Heidnisch-kultische  Keime 37 

2.  Ursprung  realistischer  Satire 39 

3.  Puppenspiele 4° 

4.  Neidhartspiele 43 

5.  Fastnachtspiele 45 

a)  Episch-lyrische  Entstehungsformen:  Tänze  und  Umzüge 45 

b)  Dramatische  Formen 47 

aa)  Werbespiele 47 

bb)  Streitspiele 48 

cc)  Realistische  Volkskunst 49 

dd)  Bildungsstoffe  und  politische  Satire 5° 

ee)  Hans  Rosenplüt  und  Hans  Folz    .     .     .     .• 52 

c)  Innere  Form 53 

aa)  Typischer  Stil 53 

bb)  Bürgerliche  Satire 54 

cc)  Nationaler  Charakter 56 

IV.  Das  Komische  Theater 57 


XJJ  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

B.  Sechzehntes  Jahrhundert.  60—77 

I.  Humanistenkomödie 60 

1.  Antike  Quellen 60 

2.  Johannes  Reuchlin 61 

3.  Reformationskomödien 63 

4.  Nicodemus  Frischlin 64 

5.  Martin  Hayneccius:  „Hans  Pfriem,  oder  meister  Kecks" 67 

6.  Studentenkomödien 68 

7.  Humanistentheater 69 

IL  Das  volkstümliche  Drama 70 

1.  Fastnachtspiel  der  Reformationszeit 7° 

a)  Konfessionspolemik 7° 

b)  Allgemeine  Satire 72 

c)  Hans  Sachs 75 

2.  Theater 77 

C  Siebzehntes  Jahrhundert.  78—116 

I.  Englische  Komödianten 78 

1.  Charakter  der  Schauspielertruppen 78 

2.  Repertoire 79 

3.  Rationalisierung  des  Dramas 83 

IL  Jacob  Ayrer  und  Heinrich  Julius  von  Braunschweig  ....  85 

1.  Jacob  Ayrer 85 

2.  Heinrich  Julius 88 

III.  Zwischenspiele  und  Puppenspiele 92 

1.  Zwischenspiele 92 

a)  Improvisationen 92 

b)  Johann  Rist »3 

2.  Puppenspiele 95 

IV.  Andreas  Gryphius 96 

1.  Possenspiele 97 

a)  ,, Peter  Squentz" 97 

b)  „Horribilicribrifax" 97 

2.  Lustspiel:  „Die  geliebte  Dornrose" 98 

3.  Gesamtcharakteristik  des  Dichters 100 

V.  Christian  Weise  und  Christian  Reuter loi 

1.  Christian  Weise ■     •  loi 

a)  Charakteristik 10 1 

b)  Komödienproduktion 105 

aa)  „Komödie  von  der  bösen  Catharine" 105 

bb)  „Tobias  und  die  Schwalbe" 107 

cc)  „Bäurischer  Machiavellus" loS 

dd)  Weitere  Komödien iio 

2.  Französische  Einflüsse iio 

3.  Christian  Reuter 112 

VI.  Drama  und  Theater n6 


Inhaltsverzeichnis.  XJII 


Seite 

D.  Achtzehntes  Jahrhundert.  117— 211 

I.  Die  Sächsische  Komödie 117 

I.  Hanswursttheater 117 

-       2.  Gottsched iio 

I 

a)  Christian   Friedrich  Henrici    gen.  Picander 119 

b)  Theaterreform 120 

c)  Verbannung  des  Hanswurst 12  1 

d)  Komödienvorbilder 122 

aa)  Französische 122 

bb)  Englische 123 

cc)  Destouches 124 

e)  Gottscheds  Komödienreform 125 

f)  Übersetzungskunst 129 

aa)  Gottschedin:    „Die  Pietisterey  im  Fischbeinrocke"        .     .     .     .  129 

bb)  Bedeutung  französischer  Vorbilder 130 

cc)  Bedeutung  Holbergs 132 

g)  Originalkomödien 136 

aa)  Frau  Gottsched 136 

bb)  Quistorp 138 

cc)  Hinrich  Borkenstein:    „Der  Bookesbeutel" 139 

dd)  Johann  Christian  Krüger 141 

V-    3r-  Johann  Elias  Schlegel 145 

a)  Komödientheorie 145 

b)  Komödienpraxis 150 

c)  Fortschritte  im   Technischen 151 

d)  Entwicklung  des  Gefühlsgehalts 154 

4.  Rührkomödie 156 

a)  Gefühlsgrundlage 156 

b)  Vorgänger 157 

c)  Charakter 158 

■— d)   Christian  Fürchtegott  Geliert 158 

aa)  Persönlichkeit        158 

bb)  Theoretische  Anschauung 159 

cc)  Praxis 160 

dd)  Gesamtcharakteristik 164 

5.  Der  junge  Lessing  und  Christian  Felix  Weiße 167 

a)  Lessing 167 

aa)  Leipziger  Genossen 167 

bb)  Jugendkomödien 169 

b)  Christian   Felix  Weiße 172 

6.  Lessings   „Minna  von  Barnhelm" 179 

II.  Sturm  und  Drang 185 

1.  Gesamtcharakteristik 185 

2.  Dramatische  Theorie 187 

3.  Wesen  der  Lustspielproduktion 188 

4.  Reinhold  Michael  Jacob  Lenz 190 

5.  Friedrich  Maximilian  Klinger 191 

6.  Mitläufer 192 

7.  Goethes  Farcen       ....           193 


XIV  Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

III.  Klassische  Periode 196 

1.  Goethe 196 

2.  SchiUer 198 

3.  Mitläufer 200 

a)  Friedrich  Ludwig  Schröder 200 

b)  August  Wilhelm  Iffland 202 

c)  August  von  Kotzebue 205 

E.  Neunzehntes   und  zwanzigstes  Jahrhundert.      212—342 

I.  Romantik 212 

1.  Satiren  und  Märchenkomödien 212 

a)  Romantik  und  dramatischer  Humor 212 

b)  Aristophanes 214 

c)  Satiren 216 

d)  Märchenkomödien 221 

2.  Heinrich  von  Kleist 226 

a)  Gesamtcharakteristik 226 

b)  „Amphitryon" 228 

c)  „Der  zerbrochne  Krug" 234 

3.  Volkskunst 239 

a)  Oberdeutsche  Lokaldichtung 239 

aa)  Südwestdeutsches  Lokalstück 239 

bb)   Wiener  Volksposse 241 

«.   Entstehung 241 

ß.  Gleich,  Meisl,  Bäuerle 246 

y.   Ferdinand  Raimund 248 

8.  Johann  Nepomuk  Nestroy 251 

b)  Norddeutsche  Lokaldichtung 253 

aa)  Berliner  Posse 253 

bb)  Hamburger  Lokalstück        258 

c)  Mitteldeutsche  Lokaldichtung          259 

aa)  Frankfurter  Posse:  Karl  Malß 259 

bb)  Darmstädter  Posse :  Ernst  Elias  Niebergall 260 

4.  Grillparzer:  „Weh  dem,  der  lügt" 262 

II.  Das  Unterhaltungslustspiel  des  19.  Jahrhunderts  (1830 — 1885)  265 

1.  Bürgerliches  Gesellschaftsstück 265 

2.  Politische  Komödie 271 

3.  Historisches  Lustspiel      . 274 

4.  Gesellschaftskritisches  Konversationsstück 277 

5.  „Die  Journalisten" 279 

6.  Schwankproduktion 282 

III.  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber 286 

I.  Friedrich  Hebbel 286 

a)  Theorie 286 

b)  Lustspielproduktion 287 

aa)  „Der  Diamant" 287 

bb)  „Der  Rubin" 290 

cc)  „Michel  Angelo" 292 


Inhaltsverzeichnis.  XV 


Seite 

2.  Richard  Wagner:    „Die  Meistersinger" 293 

3.  Ludwig  Anzengruber 297 

a)  Grundlagen  des  bäuerlichen  Volksstücks 297 

b)  Einzelwerke 299 

c)  Gesamturteil 302 

IV.  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart 303 

1.  Litcraturrevolution  der  achtziger  Jahre 303 

2.  Gerhart  Hauptmann 30 ^ 

a)  „Kollege  Crampton"  und  „Peter  Brauer" 305 

b)  „Der  Biberpelz"  und  „Der  rote  Hahn" 308 

c)  „Schluck  und  Jau"  und  „Die  Jungfern  vom  Bischofsberg"     .     .     .     .  310 

3.  Mitläufer  des  Naturalismus 313 

4.  Emil  Gott 314 

5.  Wiener  Komödie 31  ^ 

6.  Heimatkunst 318 

a)  Josef  Ruederer  und  Ludwig  Thoma 31 8 

b)  Fritz  Stavenhagen 320 

c)  Karl   Schönherr 321 

7.  Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire 324 

a)  Otto  Erich   Hartleben 324 

b)  Frank  Wedekind 326 

c)  Neuromantiker 329 

d)  Carl  Sternheim 332 

e)  Georg  Kaiser 337 

Schluß. 

Ausblicke 343 

Bibliographie 345 

Register 353 

I.  Personen-  und  Sachregister 3cc 

II.   Dramenregister 35g 

Bildteil 377-439 


Vorwort 


3; 


Bilder 378 

Bilderklärungen 435 


EINLEITUNG. 


LUSTSPIEL  UND  SCHWANK.  "^ 

Unter  den  Namen  der  bedeutendsten  Lustspieldichter  der  Welt- 
literatur finden  wir  keinen  Deutschen:  Wohl  aber  den  Athener  Aristo- 
phanes,  die  Römer  Plautus  und  Terenz,  den  Engländer  Shakespeare,  den 
Franzosen  Moliere,  den  Dänen  Holberg.  Man  hat  daher  an  der  Begabung 
des  Deutschen  auf  dem  Gebiete  des  Lustspiels  verzweifeln  wollen. 
Kein  Geringerer  als  Goethe  hat  unserem  Volke  die  Fähigkeit  dazu 
bestritten.  Das  Ergebnis  des  von  ihm  gemeinschaftlich  mit  Schiller 
ausgeschriebenen  Wettbewerbs  um  ein  Lustspiel  war  für  ihn  wenig 
ermutigend.  Und  wenn  wir  heute  eine  Umfrage  nach  den  Lustspielen 
unseres  Volkes  halten,  so  hören  wir  „Minna  von  Barnhelm",  ,,Die 
Journalisten"  und  allenfalls  den  ,,Zerbrochnen  Krug"  nennen.  Viel  mehr 
kennt  der  Durchschnittsbürger  vom  deutschen  Lustspiel  nicht,  und  seine 
Lieblinge  Kadelburg,  Blumenthal,  Schönthan,  Moser  wagt  er  nicht 
zu  nennen.  Mit  Unrecht,  denn  auch  in  ihnen  ist  echte  Komik  wirk- 
sam. Die  Schwierigkeit  der  Urteilsbildung  liegt  darin,  daß  wir  zwei 
Hauptgattungen  der  komischen  Dramatik  unterscheiden  müssen:  um 
in  das  Altertum  zurückzugreifen,  die  Komödie  und  den  Mimus. 
Komödie  entspricht  dem  eigentlichen  Lustspiel,  Mimus  dem  Schwank. 
Das  Lustspiel  ist  eine  Weltbetrachtung,  der  Schwank  ein  Weltabbild. 
Die  Weltbetrachtung  setzt  eine  Weltanschauung  voraus,  ist  ideali- 
stisch; das  Weltabbild  ist  reahstisch.  Das  aus  Humor  geborene  Lust- 
spiel erzeugt  Humor,  der  aus  dem  Sinn  für  Komik  entstandene 
Schwank  erzeugt  Lachen.  Humor  lächelt.  Fein  und  derb,  gebildet 
und  volkstümlich,  besinnen  und  schauen,  Literatur  und  Theater, 
Dämpfung  und  Lösung,  innerlich  und  äußerlich:  dies  sind  charakte- 
risierende Gegensatzpaare  der  beiden  Gattungen.  Der  Schwank  hat 
natürlich  die  robustere  Natur.  Die  attische  Komödie  stirbt,  der  Mimus  lebt 
weiter.  Die  Komödie  blüht  am  schönsten  mit  der  Blüte  des  Staates,  mit 
Kulturhöhe;  in  ihr  belächelt  gefestigte  Weltanschauung  die  Schwächen 
des  Menschen.  Der  Mimus  findet  stets  Stoff  zum  Lachen,  am  liebsten 
hält  er  sich  an  die  Urtriebe  des  Menschen,  seine  ersten  Träger  sind 
ausgestattet  mit  dickem  Bauch,  mächtigem  Podex,  gewaltigem  Phallus. 
Die  dadurch  gekennzeichneten  Triebe   sind    unvergänglich   wie   die 

HoU,  Lustspiel.  i 


Lustspiel  und  Schwank. 


Menschheit  selbst,  und  damit  ist  es  ihre  komische  Auswirkung  im 
Schwank.  Auch  heute  noch  sehen  wir  in  seinem  Hauptvertreter,  in 
dem  französischen  Schwank,  das  geschlechtHche  Motiv  im  Mittel- 
punkt stehen. 

Der  Mimus  ist  Abbild  der  sinnlichen  Welt,  die  Komödie  ist  Er- 
lebnis der  Kulturwelt.  Im  Altertum,  in  der  Renaissance  sind  diese 
beiden  Welten  eins.  In  der  Neuzeit  sind  sie  gespalten.  Von  der  sinn- 
lichen Welt  hat  sich  die  Bildungswelt  losgelöst.  Daher  die  Unzuläng- 
lichkeit der  modernen  Komödie.  Denn  die  Komödie  gestaltet  humo- 
ristisch die  Welt  als  Stoff  und  leidet  deshalb  an  deren  Zwiespalt. 
Hält  sie  sich  an  die  sinnliche  Welt,  so  geht  ihr  der  geistige  Gehalt 
verloren,  sie  ist  Mimus.  Hält  sie  sich  an  die  Bildungswelt,  so  fehlt 
es  ihr  an  sinnlicher  Kraft,  sie  ist  blutleer,  wird  doktrinär.  Nur  die 
Vereinigung  beider  Welten  ist  der  Nährboden  für  das  wahrhaft  große 
Lustspiel  wie  in  Shakespeare,  wie  in  den  „Meistersingern".  Diese  sind 
der  Höhepunkt  deutscher  Lustspielleistung.  Er  ist  erreicht  wesentlich 
durch  Mithilfe  der  sinnlichen  Schwester  der  Poesie,  der  Musik.  Bis 
dahin  aber  ist  ein  weiter  Ablauf  in  der  deutschen  Lustspielgeschichte. 


A.  MITTELALTER. 


I.  ALTERTUM  UND  MITTELALTER. 

Im  Altertum  sind  Tragödie  wie  Komödie  aus  religiösen  Feiern  1 
erwachsen,  aus  dem  Kult  des  Eleuthereus  und  aus  den  Lenäenfesten. 
Das  nachchristliche,  mittelalterliche  Drama  hat  nichts  mit  dem  griechi- 
schen gemein.  Die  Arten  sind  durchaus  verschieden.  Dennoch  hat 
auch  das  christliche  Drama  seinen  Ursprung  in  der  religiösen  Kult- 
handlung, es  ist  aus  der  Liturgie  entstanden.  Und  wie  die  antike 
Tragödie  nach  Aristoteles'  Zeugnis  ursprünglich  komische  Elemente 
enthielt,  die  sie  erst  im  Laufe  der  Entwicklung  ausstieß  und  zum 
Satyrspiel  zusammenband,  so  gewahren  wir  auch  im  frühen  mittel- 
alterlichen Drama  komische  Einsprenglinge,  die  allmählich  immer 
größeren  Umfang  annahmen  und  sich  zum  Spiel  im  Spiel  gestalteten. 
Hier  liegen  die  Anfänge  unseres  Lustspiels.  J 

Auf  die  Menschen  des  Mittelalters  können  wir  ein  Wort  Herders 
anwenden:  sie  haben  zu  nichts  anderem  Kraft  als  zu  glauben.  Die 
Kirche  war  die  Schule  des  mittelalterlichen  Menschen.  Außerhalb  der 
Kirche  existierte  kein  geistiges  Leben.  Die  Welt  der  Antike  war  ver- 
schollen. Das  Mittelalter  hatte  neu  aufzubauen,  und  erst  mit  dem  Fort- 
schritt des  Geistesgebäudes  wurden  allmählich  wieder  die  versunkenen 
Schätze  der  Antike  gehoben  und  nutzbar  gemacht,  dem  Gebäude  ein- 
gefügt. Eine  neue  Welt  entsteht ;  zwischen  ihr  und  der  alten  klafft 
zunächst  ein  breiter  und  tiefer  Spalt.  Das  neue  Weltalter  muß  sich 
seine  Kultur  neu  schaffen.  Daß  es  diese  Aufgabe  mit  Ernst  und  Erfolg 
in  Angriff  nahm,   bleibt   das   unvergängliche  Verdienst   der  Kirche. 

Im  Mittelalter  herrscht  in  allen  Lebensfragen  nur  eine  einheitliche 
Orientierung,  eine  geschlossene  Autorität :  die  der  Kirche.  Der  antike 
Bildungsstoff  wird  nur  insoweit  aufgenommen,  als  die  Kirche  ihn  für 
ihre  Zwecke  meistern  kann.  Da  können  wir  kein  freies  Nachleben  des 
römischen  und  griechischen  Dramas  erwarten.  Was  etwa  an  Kennt- 
nis alter  Dramen  vorhanden  ist,  dient  ausschließlich  Lehrzwecken. 
Der  Terenz  wird  Schullesebuch.  Und  wenn  die  schreibgewandte  Hrots- 
vith  (etwa  935  bis  1000)  eigene  Komödien  verfaßt,  so  geschieht  auch 
dies  wieder  nur  im  Dienste  der  lehrenden  Kirche.  Der  Unterricht 
in  der  lateinischen  Kirchensprache  soll  an  Hand  von  christlichen  Mär- 


Mittelalter:   Geistliche  Komödien. 


tyrergeschichten  erfolgen,  um  den  sonst  üblichen  Terenz  mit  seinem 
heidnischen  Stoff  zu  verdrängen. 

Keineswegs  hat  Hrotsvith  an  eine  Aufführung  ihrer  Lesedramen 
gedacht,  um  Theaterwirkung  zu  erzielen.  Es  sind  trotz  der  derb- 
komischen Motive,  wie  sie  bei  einer  Nonne  nur  in  dem  durchaus 
naiven  Mittelalter  denkbar  sind,  keine  Theaterdramen  im  modernen 
Sinne.  Dramatisch  ist  nur  der  an  Terenz  geschulte,  frisch  bewegte 
Dialog.  Den  Titel  Komödien  erhielten  sie  erst  von  ihrem  huma- 
nistischen Wiederentdecker  Conrad  Celtis  (1494),  nachdem  sie  bereits 
dreihundert  Jahre  verschollen  gewesen  waren.  Aber  der  Titel  ist  nach 
der  damaligen  Theorie  zutreffend,  da  es  sich  in  allen  um  etwas  Frohes 
handelt,  um  Erlösung  von  dieser  Sündenwelt,  um  Verklärung  des 
Nonnenideals,  nach  dem  der  leibliche  Tod  als  glücklicher  Ausgang 
empfunden  wurde. 

Auch  im  modernen  Sinne  Komödie  ist  „Dulcitius".  Die  stark  auf 
dem  Gebiete  des  Geschlechtlichen  sich  bewegende  Komik  ist  Mimus- 
gut:  der  liebestolle  Dulcitius  umarmt  rußige  Kochtöpfe  statt  der  Be- 
gehrten, der  Rußgeschwärzte  wird  von  seinen  Untergebenen  für  den 
Teufel  gehalten,  der  die  Entführten  verfolgende  Sisinnus  kommt  trotz 
aller  Anstrengungen  nicht  vom  Fleck.  Hier  haben  wir  ein  Zeugnis, 
wie  der  Mimus  eine  Hauptbrücke  bildet,  um  Dramatisches  über  die 
Kluft  zwischen  Altertum  und  Mittelalter  hinüberzuführen.  Die  Spiel- 
leute, das  fahrende  Volk  des  Mittelalters  sind  die  echten  Nachkommen 
der  römischen  und  griechischen  Mimendarsteller,  jener  realistischen 
Schilderer  der  Lebensverhältnisse  und  Charaktere  der  Menschen,  jener 
—  nach  ihrem  Historiographen  Hermann  Reich  —  Biologen  und  Etho- 
logen.  Deren  Beliebtheit  erlitt,  wie  aus  den  gegen  sie  wetternden 
Kirchenvätern  zu  entnehmen  ist,  keine  Unterbrechung.  Die  naive 
Freude  an  den  Mimenspäßen,  an  dem  grotesk-realistischen  Abbild 
der  sinnlichen  Welt  ist  in  einer  Zeit,  wo  nur  eine  ganz  dünne  Ober- 
schicht Anspruch  auf  Bildungsgrad  machen  kann,  allgemein  ver- 
breitet, um  so  mehr  als  darin  ein  Gegengewicht  zu  der  durchaus  welt- 
fremden Tendenz   der  christlichen  Kirche   gefunden  werden  konnte. 

IL  GEISTLICHE  KOMÖDIEN. 
I.  DIE  KOMIK  IM  GEISTLICHEN  DRAMA. 

Die  Freude  an  dem  komischen  Abbild  der  umgebenden  Welt  steht 
aber  nicht  etwa  im  Widerspruch  zu  der  durchaus  christlich -kirchlichen 
Haltung  des  Mittelalters.  Deren  Grundgefühl  ist  die  Ehrfurcht  vor 
dem  Göttlichen  mit  ihrer  korrespondierenden  Verwerfung  des  Irdischen. 
„Ich  elender  Mensch,  wer  wird  mich  erlösen  von  dem  Leibe  dieses 
Todes"  ist  der  Sehnsuchtsschrei  des  mittelalterlichen  Nur -Christen. 
Die  Sündhaftigkeit,  Unzulänglichkeit,  UnvoUkommenheit  alles  Irdischen 


Die  Komik  im  geistlichen  Drama. 


ist  dem  Mittelalter  Glaubensdogma.  Die  Komik  aber  stellt  Beispiele 
dar,  die  dieses  Dogma  zu  beweisen  scheinen,  denn  sie  wählt  zu  ihrem 
Abbildungsstoffe  gerade  die  ungöttlichen,  reinmenschlichen,  trieb- 
hafttierischen Seiten  des  Lebens  mit  ihren  Schwächen,  die  Unzuläng- 
lichkeiten, Unvollkommenheiten  des  irdischen  Menschen.  Insofern 
verrichtet  die  Komik  die  Dienste  der  Kirche.  Diese  ist  ihr  auch  nicht 
feindlich  gesinnt,  wenigstens  nicht  so  lange  sie  Mittel  zum  kirchlichen 
Zwecke  bleibt.  Der  zürnende  Eifer  der  Kirchenväter  wendet  sich 
lediglich  gegen  das  Übermaß,  das  die  kirchlichen  Zwecke  verdunkelt, 
hintanstellt  hinter  eine  ungemessene  Weltfreude.  Zur  Erkenntnis 
und  Darstellung  des  Lugs  und  Trugs  im  Weltleben  ist  die  Komik 
der  Kirche  willkommen ;  aus  dem  Zeugen  des  Weltleids  darf  sie  aber 
nicht  zum  Verkünder  der  Weltfreude  werden.  Alles  Irdische  gibt  die 
Kirche  dem  Spiele  der  Komik  preis,  selbst  die  eigenen  Einrichtungen, 
soweit  sie  menschlicher  Herkunft  sind,  selbst  die  eigenen  Diener. 
Doch  das  Geistige  muß  unberührt  bleiben.  Alle  Lehren  sind  heilig 
und  unantastbar.  Und  die  Lehre  der  Kirche  ist  es,  daß  uns  erst  im 
Jenseits  das  Heil  und  die  Freude  erwartet,  im  Diesseits  wandeln  wir 
in  einem  Jammertal. 

Dieses  Jammertal  liefert  der  Komik  ihren  unerschöpflichen  und 
unsterblichen,  weil  jederzeit  aus  dem  Vollen  der  Umwelt  zu  schöpfen- 
den Stoff.  Ihr  ureigentliches  Gebiet  ist  die  Stegreifposse,  wie  sie 
vor  Epicharm  und  nach  ihm  noch  dauernd  in  dem  Mimus  blühte, 
und  wie  sie  später  wieder  ihre  Heimstätte  in  der  commedia  del- 
l'arte  oder  im  immer  noch  zugkräftigen  Kasperletheater  findet.  Der 
naive  Zuschauer  des  Mittelalters  sah  in  den  komischen  Szenen  des 
geistlichen  Schauspiels  seine  ihm  vertrauten  Nachbarn  aus  dem  täg- 
Hchen  Leben  auf  der  Bühne  und  freute  sich  an  deren  derber  Aus- 
drucksweise, an  ihren  Prügeleien.  Es  wird  ihnen  daher  auch  immer 
weiterer  Raum  zugebilligt.  AllmähHch  gewinnen  sie  Selbständigkeit, 
Selbstzweck.  Die  Darstellung  der  Wirklichkeit  in  grober  Holzschnitt- 
manier lag  dem  ungebildeten  mittelalterlichen  Menschen  näher  als 
das  geisthche  Bestreben,  durch  die  heilige  Handlung  das  Übersinn- 
liche zu  versinnhchen.  Und  da  mit  der  Verweltlichung  des  geisthchen 
Dramas  auch  der  weltliche  Schauspieler  wachsenden  Einfluß  gewann 
(die  heimatlosen  Fahrenden,  gerndiu  oder  varndiu  diet)  als  Nachfolger 
der  alten  Mimen,  so  wurde  um  so  mehr  deren  Repertoire  auf  der 
geistlichen  Bühne  heimisch. 

Diese  Entwicklung  findet  besonders  günstigen  Boden  gegen  Ende 
des  Mittelalters.  Im  Ablauf  vom  I4.  zum  1 6.  Jahrhundert  schwellen 
die  komischen  Einsprenglinge  des  geistlichen  Schauspiels  an,  sprengen 
seinen  Rahmen,  lösen  sich  los,  und  analog  dem  Fastnachtspiel  und  in 
dessen  Form  ist  die  Volkskomödie  selbständig  geworden. 

Im  14.  Jahrhundert  ist  das  Mittelalter  noch  ganz  im  Banne  der 
Kirche.    Das  Gemüt  ist  erschüttert  durch  Pest  und  Hungersnot  und 


Mittelalter :  Geistliche  Komödien. 


beugt  sich  demütig  unter  das  Unbegreifliche.  Aber  schon  regt  sich 
in  dieser  Zerknirschung  der  Wunsch  nach  Erheiterung  des  .Lebens- 
dunkels. Die  ganz  zum  Jenseits  gewandte  Seele  klammert  sich  an  die 
diesseitige  Welt.  Gegenüber  einem  einseitigen  Supranaturalismus  ent- 
steht allmählich  eine  naturalistische  Strömung,  die  im  folgenden  Jahr- 
hundert immer  stärkere  Wellen  schlägt.  In  diesen  Ablauf  stellt  sich  die 
gesamte  Kulturentwicklung  des  Mittelalters  ein.  In  seiner  Hauptzeit  ist 
es  bestimmt  durch  den  einheitlichen  christlich -kirchlichen  Charakter 
seiner  Kultur.  Gegen  sein  Ende  aber  zeigt  es  die  Tendenz,  diese  Ein- 
heit zu  durchbrechen,  indem  Adel  wie  Bürgertum  eine  eigene  Kultur 
erstreben.  Mit  dieser  Entwicklung  der  Entgeistlichung  der  Mensch- 
heit geht  Hand  in  Hand  eine  allmähliche  Verbreitung  höherer  Laien- 
bildung. Diese  aber  ist  wieder  innerlich  verknüpft  mit  der  größeren 
Vorliebe  für  die  Volkssprache  gegenüber  dem  Latein.  Jetzt  erst  wird 
die  deutsche  Muttersprache  Kultursprache.  So  zeigt  die  ganze  Ent- 
wicklung ein  Emporwachsen  des  nationalen  Elementes.  Unabhängig 
von  nationalem  Gedankengehalt,  wie  etwa  im  Tegernseer  Antichrist- 
spiel, ist  die  deutsche  Sprachform  an  sich  national,  volkstümlich.  Den 
komischen  Szenen  als  den  Abbildern  der  täglichen  Umwelt  muß  natur- 
gemäß deutsch  als  Ausdrucksform  besonders  förderlich  sein.  Nur 
dadurch,  daß  das  Deutsche  in  das  geistliche  Schauspiel  eindrang  und 
allmählich  das  Latein  immer  mehr  verdrängte,  war  es  möglich,  daß 
diese  komischen  Einsprengunge  sich  zu  selbständigen  Zwischenspielen 
ausgestalten  konnten,  die  sich  schließlich  vollkommen  loslösten  und 
als  gleichartig  neben  das  eigentliche  Fastnachtspiel  traten. 

Von  dem  Wesen  des  komischen  Zwischenspiels  als  Volkskunst  ist 
aber  zu  trennen  seine  Funktion  als  Bildungskunst.  Es  hatte  in  dem 
Ablauf  der  ernsten  Handlung  des  geistlichen  Schauspiels  eine  ganz 
bestimmte  Aufgabe  zu  lösen.  Die  Darstellung  der  heiligen  Hand- 
lung übte  auf  das  naive  Gemüt  des  mittelalterlichen  Menschen  eine 
erschütternde  Wirkung  aus.  Wir  müssen  uns  in  dessen  Seelenver- 
fassung versenken  etwa  in  der  ungeheuren  Erregung  nach  dem 
schwarzen  Tod  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts,  um  zu  ahnen, 
welchen  Eindruck  die  Leiden  Christi  mit  allem  Raffinement  natu- 
ralistischer Darstellung,  wie  wir  sie  aus  Gemälden  zu  erkennen  ver- 
mögen, auf  die  Zuschauer  ausüben  mußten.  Wir  haben  genug  Zeug- 
nisse dafür,  daß  mit  vollem  Bewußtsein  der  Zuschauer  im  Schmerz- 
gefühl hingerissen  werden  sollte.  Welche  Steigerung  die  durch  die 
Darstellung  ausgelöste  seelische  Erregung  nehmen  konnte,  zeigt  uns 
der  Bericht  über  die  Aufführung  des  Spieles  von  den  klugen  und 
törichten  Jungfrauen  zu  Eisenach  1321,  wobei  der  Markgraf  Friedrich 
sich  derart  über  die  Fruchtlosigkeit  der  Fürbitte  Mariens  und  aller 
Heiligen  erregte,  daß  er  fünf  Tage  darauf  einem  Schlaganfall  erlag. 
Der  mittelalterliche  Mensch  kannte  kein  losgelöstes  Betrachten  des 
Dargestellten,   das  Schauspiel  war  ihm   nicht  Spiel.     Er  erlebte  das 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Keimzellen.  7 

Dargestellte  mit,  das  Schauspiel  war  ihm  angeschautes  Leben,  das 
ihn  im  Innersten  selbst  anging,  das  sein  ganzes  Wesen  umschloß. 
Solche  gewaltige  Spannung  konnte  aber  nicht  auf  die  Dauer  ertragen 
werden,  um  so  weniger,  je  länger  die  geistlichen  Schauspiele  aus- 
gedehnt wurden;  in  der  Darstellung  mußten  Ruhepunkte  gegeben, 
es  mußten  Entspannungsmomente  eingeführt  werden.  Diese  Funktion 
hatten  die  komischen  Szenen.  Sie  waren  dramaturgisch  bestimmt  zur 
Entspannung  der  Gemüter,  zur  Lösung  der  Erschütterung,  zur  Ableitung 
der  Erregung.  Diesem  Zwecke  konnte  am  besten  das  Gegenbild  des 
Dargestellten  dienen.  Neben  Christus  trat  der  Teufel,  neben  das 
Himmlische  das  Weltliche,  neben  das  Heilige  das  Menschliche.  Inso- 
fern entstammt  die  Komik  im  geistlichen  Schauspiel  bewußtem  Kunst- 
willen; doch  ist  damit  das  Volksmäßige  ihres  Wesens  nicht  berührt, 
um  so  weniger  als  das,  was  wir  hier  theoretisch  ausgeführt  haben, 
in  der  Praxis  doch  meistens  auf  Nachahmung  und  Duldung  zurück- 
zuführen sein  wird. 

Die  Reihenfolge,  wie  die  einzelnen  komischen  Szenen  in  das 
geistliche  Schauspiel  eingefügt  wurden,  läßt  sich  weder  absolut  noch 
relativ  zeitlich  bestimmen,  weil  nur  ein  außerordentlich  geringer  Teil 
der  geistlichen  Dramen  uns  erhalten  ist,  und  weil  deren  Entstehungs- 
zeit selbst  wieder  nicht  genau  festgelegt  werden  kann.  Die  Chrono- 
logie ist  hier  aber  auch  unwesentlich,  da  sie  uns  in  der  Kenntnis  ihrer 
Wesensart  nicht  fördern  kann.  Uns  genügt  es,  daß  wir  diese  Ein- 
sprengunge selbst  betrachten,  zunächst  im  Passion. 

2.  KOMISCHE  ZWISCHENSPIELE 
DER  OSTER-  UND  PASSIONSSPIELE. 

a)  Keimzellen. 

Das  Osterspiel  ist  erwachsen  aus  dem  Gange  der  Marien  zum 
Grabe,  wo  ihnen  durch  Engel  die  Auferstehung  des  Herrn  kund  wird. 
Der  liturgische  Wechselgesang  wird  dramatisch  dargestellt  mit  ver- 
teilten Rollen  in  voller  Absicht  der  Kirche,  die  Überlieferung  zu  ver- 
anschaulichen. Durch  allerlei,  meist  dem  Ritual  entnommene  Zusätze 
wird  diese  Szene  erweitert,  und  schließlich  wird  eine  zweite  Szene 
angefügt,  die  in  sich  bereits  einen  zur  komischen  Entwicklung  geeig- 
neten Ansatz  barg.  Ihr  Kern  entstammt  dem  Berichte  des  Johannes- 
Evangeliums  20,  4:  Currebant  duo  simul,  et  ille  alius  discipulus  prae- 
cucurrit  cicius  Petro  et  venit  prior  ad  monumentum.  Die  Frauen  sind 
mit  der  Botschaft  der  Auferstehung  des  Herrn  zurückgekehrt,  und  die 
Jünger,  Petrus  und  Johannes,  eilen  zum  Grabe,  um  sich  zu  überzeugen. 
Dabei  läuft  der  jüngere  Johannes  schneller  als  der  ältere  Petrus.  Diese 
Szene  wird  im  Laufe  der  Zeit  komisch  ausgebildet.  Die  Gestalt  des 
Petrus  wird  komisch  aufgefaßt.  Grund  dazu  bot  bereits  die  Evangelien- 


8  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

Überlieferung.  Denn  darin  erscheint  Petrus  ja  mit  deutlichen  mensch- 
lichen Schwächen.  Bei  der  Gefangennahme  des  Herrn  kann  er  sein 
Temperament  nicht  zügeln  und  schlägt  dem  Knechte  Malchus  trotz 
des  christlichen  Grundsatzes  der  Feindesliebe  ein  Ohr  ab,  und  schHeß- 
lich,  da  der  Herr  vor  dem  Gerichtshof  steht,  verleugnet  er  ihn  in 
menschlicher  Angst  und  Sorge  um  das  eigene  Leben  dreimal.  Dazu 
tritt  der  eben  zitierte  Bericht,  daß  er  es  dem  Lieblingsjünger  an  Laufen 
nicht  gleichtun  konnte.  In  der  dramatischen  Ausgestaltung  strauchelt 
er  und  fällt  und  wirkt  dadurch  bewußt  komisch.  Petrus  ist  die  Jünger- 
gestalt, deren  sich  der  Volkshumor  am  liebsten  bemächtigt. 

Dieser  Humor  betätigt  sich  für  unsere  heutigen  Begriffe  ziemlich 
derb,  wenn  etwa  Johannes  dem  hintennachhinkenden  Petrus  vorwirft, 
daß  wohl  die  Vorliebe  für  die  Flasche  ihm  die  Jugendkräfte  verkümmert 
habe  (vgl.  „Ein  Osterspiel"  in  den  von  Pichler  1850  herausgegebenen 
Spielen  des  Mittelalters  in  Tirol,  p.  165/66). 

Es  herrscht  wohl  kein  Zweifel,  daß  hier,  wie  in  dem  risus  pascha- 
lis,  dem  Osterlachen,  das  der  Geistliche  von  der  Kanzel  herab  mit 
derben  Spaßen  auslöst,  bewußter  Wille  zur  Komik  arbeitet.  Die 
ganze  Apostelszene  ist  ja  an  sich  von  vornherein  nicht  aus  dem  Be- 
dürfnis der  Liturgie  hinzugefügt,  da  sie  inhaltlich  nur  eine  Wieder- 
holung der  Grabesszene  der  drei  Marien  gibt.  Sie  ist  daher  einem 
Kunstwillen  der  Ausdehnung  entsprungen,  der  als  solcher  rein  ästhe- 
tisch ist.  Und  bei  solchen  nicht  rituahsch  notwendigen  Szenen  ist  es 
natürlich  leicht,  vom  Evangelienbericht  unabhängige  komische  Ein- 
sprenglinge  einzufügen.  Weiter  liegt  aber  auch  die  Versuchung  nahe, 
solche  Szenen  noch  weiter  auszubauen.  Und  so  haben  wir  auch  tat- 
sächlich noch  größere  Ausweitungen  dieser  Apostelszene,  wobei 
wiederum  die  Petrusgestalt  komisch  ausgewertet  ist.  Auf  die  Bot- 
schaft der  Marien  ist  Petrus  zunächst  ungläubig  und  drückt  seinen 
Unglauben  in  komisch-heftigen  Worten  aus.  Dies  lesen  wir  in  dem 
III.  der  sogenannten  Erlauer  Spiele,  dem  Auferstehungsspiel  ,, Visitacio 
sepulchri  in  nocte  resurreccionis". 

Innig  verknüpft  mit  dieser  Apostelszene  ist  die  des  ungläubigen 
Thomas.  Wenn  wir  eben  hörten,  daß  selbst  Petrus  die  Auferstehungs- 
botschaft Marias  bezweifelt,  so  lag  es  dem  Mittelalter  natürlich  nahe, 
die  typische  Person  des  Unglaubens  im  Evangelienbericht,  Thomas, 
hier  ebenfalls  einzuschalten.  Allerdings  tritt  Thomas  damit  früher 
auf  wie  in  der  Erzählung  des  Chronisten.  Doch  der  Unglaube  des 
Thomas  wurde  so  handgreiflich  belehrt,  daß  der  Bericht  nach  einer 
schauspielerischen  Darstellung  dringend  zu  verlangen  schien,  und  da 
konnte  es  den  Darstellern  keine  große  Überwindung  kosten,  sich  der 
Überlieferung  zu  entschlagen  zugunsten  der  Zusammenziehung  mit 
der  Petrusepisode.  Dieser  Thomasszene  begegnen  wir  also  an  dieser 
Stelle  der  Auferstehungsbotschaft  an  die  Jünger  durch  die  Frauen 
bereits  im  Innsbrucker  und  im  Wiener  Osterspiel.   Ich  erwähne  diese 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Keimzellen.  Q 

Szene,  weil  sie  wiederum  auf  komische  Wirkung  bedacht  ist,  schon 
durch  ihren  allgemeinen  Inhalt  des  handgreiflich  zu  überzeugenden  Un- 
glaubens und  auch  durch  die  komisch-groben  Schimpfworte  Thomas' 
der  vermeintlichen  Lügnerin  gegenüber.  Doch  dürfen  wir  nicht  alles, 
was  uns  heute  komisch  berührt,  auch  in  mittelalterlicher  Zeit  für 
komisch  halten.  Gewiß  faßte  der  mittelalterHche  Mensch  gar  vieles 
durchaus  ernst  auf  —  auch  einzelne  derbe  Ausdrücke  — ,  bei  denen 
wir  uns  heute  des  Lachens  nicht  erwehren  können.  Im  einzelnen 
wird  die  Frage,  ob  komisch  oder  ernst,  nicht  immer  zu  entscheiden 
sein.  Soviel  aber  steht  fest,  daß  mit  fortschreitender  Entwicklung  das 
komische  Element  immer  stärker  in  die  ernste  Handlung  eindringt. 

Wenn  wir  etwa  die  Apostelszene  in  verschiedenen  Spielen  ver- 
gleichen, so  finden  wir  im  Innsbrucker  Spiel  keine  Komik,  im  Wiener 
Osterspiel  ist  die  Szene  erweitert,  beide  Jünger  laufen  mit  Beschwerden, 
wobei  der  ältere  und  schwächere  Petrus  hinter  Johannes  nachhinkt,  im 
Sterzinger  Osterspiel  endlich  wird  die  Szene  schon  zum  Spiel  im 
Spiel:  Petrus  wird  als  hinkender,  dicker,  durstfroher  Alter  geschildert, 
der  gegenüber  dem  klügeren  und  behenderen  Lieblingsjünger  nur 
als  komische  Figur  behandelt  ist  und  als  solche  sogar  die  alten 
Mimenzüge  des  Lügners  und  gefräßigen  Diebes  trägt. 

Die  Entwicklung  schreitet  aber  immer  weiter,  doch  stets  im  An- 
schluß an  die  Evangelienberichte.  Johannes  erzählt,  daß  der  weinenden 
Maria  Magdalena  der  Herr  als  Gärtner  erscheint.  Dies  benutzt  etwa 
der  Verfasser  der  Nürnberger  Osterfeier,  doch  in  der  Reihenfolge  des 
Markusberichts,  so  daß  die  Erscheinungsszene  vor  die  Apostelszene 
gelegt  wird.  Dabei  fließt  auch  wieder  leichte  Komik  ein,  die  be- 
gründet ist  in  der  Verkleidung  des  Auferstandenen  als  Gärtner.  Maria 
Magdalena  erkennt  ihn  nicht,  und  er  gibt  vor,  den  Zweck  ihres 
frühen  Grabbesuches  nicht  zu  wissen  und  sie  im  Verdachte  zu  haben, 
als  suche  sie  ein  Stelldichein. 

„Ist  dyt  gueter  frauwen  recht,  als  frue  in  dyssemme  gartten, 

das  sy  hy  geynt  scherczen  als  eyn  knecht  als  ob  sy  eyn  jungelynges  were  warten?" 

heißt  es  im  Trierer  Osterspiel.  Der  Inhalt  dieser  Rede  erscheint  in 
zahlreichen  anderen  Spielen,  doch  Hegt  nicht  nur  darin  die  Komik, 
sondern  in  der  angeschauten  Szene  in  ihrer  Gesamtheit,  da  in  ihrer 
ganzen  Dauer  der  Zuschauer  ständig  sich  im  klaren  ist  über  die 
unter  der  Hülle  des  Gärtners  verborgene  Gestalt  Jesu,  Die  Gärtner- 
szene löst  sich  aber  auch  vom  Evangelientexte  los  und  schiebt  neue 
Füllsel  ein,  die  nur  auf  komische  Wirkung  berechnet  sind.  So  be- 
richtet Pichler  in  den  Tiroler  Passionsspielen,  wie  der  Gärtner  ohne 
allen  biblischen  Zusammenhang,  nur  in  Anlehnung  an  seinen  Beruf, 
die  Kräuter  seines  Gartens  anpreist  und  dabei  zu  derber,  lasziver 
Komik  greift.  Weiter  sehen  wir,  wie  der  Gärtner  seinem  Knechte 
gegenüber  sich  über   die   augenblickliche  Heilkraft   seiner   Pflanzen 


lO  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

ausläßt  und  dabei  „eine  spöttische  Pharmakologie,  wahrscheinlich 
als  Satire  gegen  die  Ärzte  und  Marktschreier  jener  Tage",  vorträgt. 
Es  wird  uns  klar  werden,  daß  diese  Enveiterung  der  Gärtner- 
szene nichts  anderes  sein  kann  wie  eine  Beeinflussung  durch  die 
Salbenkrämerszene.  Da  sie  großen  Anklang  beim  Publikum  fand, 
so  wurde  eine  ihr  ähnliche  Szene  in  die  Marienklage  eingeschoben. 
Es  stammt  daher  auch  der  Knecht,  der  servus  des  ortulanus,  der  dem 
noch  zu  besprechenden  Rubin  entspricht.  Es  ist  eine  regelrechte 
Kontamination,   die  durch   die  große  Beliebtheit  leicht  erklärlich  ist. 

b)  Ouacksalberspiel. 

Schon  diese  Anlehnungen  und  Entlehnungen  innerhalb  des  Spiels 
bezeugen,  daß  eine  lange  zeitliche  Entwicklung  vorliegt.  In  der  Oster- 
liturgie  wird  von  der  beabsichtigten  Salbung  des  Leichnams  des  Herrn 
gesprochen.  Dieser  Hinweis  wurde  mimisch  ausgewertet.  Die  Salbung 
selbst  konnte  ja  nicht  statthaben.  Aber  bei  der  Tendenz,  alles  im  latei- 
nischen Text  Gesprochene  durch  Darstellung  zu  verdeutlichen,  zu  ver- 
sinnlichen, liegt  es  nahe,  zunächst  die  Frauen  die  Salbe  kaufen  zu 
lassen.  Erst  nachdem  die  Osterfeier  ins  Freie  verlegt  und  in  deutscher 
Sprache  gehalten  war,  war  auch  Möglichkeit  und  Raum  gegeben,  um 
die  Lust  am  Komischen  in  breiter  Erfindung  walten  zu  lassen.  Dieser 
Entwicklung  verdanken  wir  eines  der  ältesten  komischen  Dramen. 

Es  liegt  in  der  Ausweitung  noch  der  dramaturgische  Wert,  daß, 
je  größer  die  Vorbereitungen  sind,  die  die  Frauen  zum  Besuche  des 
Leichnams  treffen,  um  so  stärker  auch  die  Kunde  von  der  Leere  des 
Grabes,  von  der  Auferstehung  wirkt.  So  entsteht  die  Salbenkrämer- 
szene, die  sich  in  ihrer  Urgestalt  in  drei  lateinischen  Strophen  ab- 
spielt: der  Kaufmann  sieht  die  Frauen  herannahen  und  preist  den 
Weinenden  eine  Salbe  an,  die  Frauen  fragen  nach  dem  Preise,  er 
verlangt  unum  auri  talentum,  und  darauf  ziehen  die  Frauen  mit  der 
Salbe  zum  Grabe  weiter.  Eine  frühe  Erweiterung  bietet  das  Wolfen- 
büttler  Osterspiel,  dessen  Handschrift  allerdings  erst  dem  15.  Jahr- 
hundert angehört.  Darin  folgen  den  lateinischen  Strophen  deutsche 
Übersetzungen,  und  auch  der  Knecht  des  Krämers  tritt  bereits  darin  auf. 

Wir  sehen  darin  noch  keinerlei  Komik,  doch  immerhin  ist  der 
Gehalt  schon  durchaus  unevangelisch,  durchaus  weltlich  gerichtet. 
Die  weitere  Entwicklung  ist  nun  derart,  daß  diese  Weltlichkeit  sich 
immer  breiter  macht  und  schließlich  zum  schwankartigen  Abbild 
sinnlicher  Welt  wird,  zum  selbständigen  Schwank.  Diese  Gestalt 
finden  wir  in  dem  III.  Erlauer  Spiel,  das  wir  schon  bei  der  Petrus- 
szene angeführt  haljen.  Die  Personenzahl  hat  sich  wiederum  vermehrt: 
neben  den  Krämer,  wobei  übrigens  aus  dem  Mercator  ein  Medicus 
geworden  ist,  tritt  ein  Knecht  Rubin  und  dazu  dessen  Unterknecht 
Pusterpalk,  dazu  kommen  noch  Medica,  die  Frau  des  Krämers  oder 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Quacksalberspiel.  1 1 

des  Arztes,  sowie  die  Frau  Rubins.  Daß  aus  dem  Krämer  ein  Arzt 
geworden  ist,  darf  ohne  weiteres  auf  den  Einfluß  des  Mimus  zurück- 
geführt werden.  Von  jeher  waren  die  Ärzte  und  ihre  Kunst  ein 
dankbares  Objekt  der  Volkskomik,  wie  auch  heute  noch  der  Doktor 
Eisenbart  sich  großer  Volksgunst  erfreut;  und  wenn  wir  Rubin  seines 
Herrn  Kunst  rühmen  hören: 

„dye  blinden  macht  er  sprechen, 
dye  stummen  macht  er  eßen", 

SO  klingt  diese  Anpreisung  doch  sehr  nahe  verwandt  der  Dr.  Eisen- 
barts: Kann  machen,  daß  die  Blinden  gehn  und  die  Lahmen  wieder 
sehn!  Wenn  keine  andere,  so  ist  die  Salbenkrämerszene  ein  deut- 
liches Beispiel  für  die  Art  und  Weise,  wie  sich  das  mittelalterliche 
Schauspiel  entwickelte. 

Diese  Szene,  die  im  III.  Erlauer  Spiel  von  133 1  Versen  885  Verse 
umfaßt  und  schon  durch  ihre  unverhältnismäßige  Größe  ihre  Be- 
liebtheit bezeugt,  enthält  in  ihrem  Mittelstück,  dem  eigentlichen 
Salbenkauf  der  heiligen  Frauen,  immer  noch  die  drei  lateinischen  Ur- 
strophen,  davor  von  Vers  57 — 680  und  darnach  von  Vers  798—942  nur 
volkstümliche  Schwankkomik.  Die  meist  wörtliche  Übereinstimmung 
überlieferter  Texte  zeigt  uns,  daß  die  Witze  und  Spaße  allerorts  Volks- 
gut waren.  Das  Gerippe  war  gegeben,  und  nun  behängten  die  Fah- 
renden es  mit  dem  Fleisch  ihrer  Erfindungskraft.  Das  lawinenartige 
Anwachsen  der  Salbenkrämerszene  ist  wohl  nur  aus  ihrem  improvi- 
satorischen Charakter  zu  erklären,  sie  ist  Stegreifposse.  Die  Darsteller 
machen  Witze,  oft  sehr  bekannte,  doch  gern  gehörte,  und  je  mehr 
Beifall  sie  finden,  um  so  mehr  Witze  lassen  sie  folgen.  Bleibt  der 
Beifall  an  einer  oder  der  anderen  Stelle  aus,  so  wird  diese  wohl  ohne 
weiteres  bei  der  nächsten  Vorstellung  ausgemerzt,  aber  Stellen,  die 
einschlagen,  werden  sicher  immer  wieder  wiederholt,  gerade  wie  beim 
heutigen  Kasperletheater  oder  den  Clownspäßen  der  wandernden  Zir- 
kusse. Und  diese  belachten  Stellen  bleiben  daher  und  bilden  die 
Szene,  die  gelegentlich  aufgeschrieben  und  überliefert  wird.  Meist 
wird  der  Schreiber  nur  wenig  eigene  Erfindung  dazu  bringen.  Inso- 
fern kann  man  auch  hier  von  dichtender  Volksseele  sprechen.  Der 
Urheber  eines  guten  Witzes  ist  selten  bekannt,  ,,unde  de  dar  speien 
myt  den  docke  unde  den  doren  ere  ghelt  aflocken"  (Redentiner  Oster- 
spiel, V.  1136/37),  die  Spielleute  betrachten  alle  wirkungskräftigen 
Augenblickseingebungen  als  Allgemeingut.  Der  Witz  kennt  kein 
Urheberrecht. 

Die  Reihenfolge  der  komischen  deutschen  Ausgestaltung  der 
Szenen  ist  nicht  identisch  mit  der  Reihenfolge  des  lateinischen 
Szenengerippes,  wie  es  gemäß  dem  Evangelienbericht  aufgebaut 
wurde.  Ja,  es  scheint  wohl,  daß  die  Salbenkrämerszene  am  frühesten 
der  mimischen  Erfindungslust  Angriffsziel  bot,  jedenfalls  aber  bot 
sie  das   dankbarste.     Sie  war  so   beliebt,   daß   sie   einerseits   konta- 


12  Mittelalter:   Geistliche  Komödien. 

miniert  wurde  mit  der  Gärtnerszene,  andererseits  sich  teilte  in  die 
Arztszene  des  Salbenverkaufs  an  die  drei  Marien  und  in  die  Krämer- 
szene des  Schminkeverkaufs  an  die  weltlustige  Maria  Magdalena, 
die  wir  noch  kennenlernen  werden. 

Die  Betrachtung  der  Arztszene  des  Erlauer  Spiels,  die  wir  hier  ihrer 
Ausführlichkeit  wegen  als  Musterbeispiel  wählen  wollen,  zeigt  klar 
die  mimische  Herkunft.  Sie  ist  durchaus  derb-komisch  gehalten  und 
enthält  das  ganze  mimische  Repertoire  an  körperlichen,  geschlecht- 
lichen, Verdauungs-Späßen,  an  Prügeleien,  an  Wortwitzen,  an  Groß- 
sprechereien. Ihr  Handlungsaufbau  ist  folgender:  Zunächst  tritt 
Rubin  auf  und  kündigt  das  Spiel  als  richtiger  Proklamator  oder 
Präkursor  an,  obwohl  doch  der  ganze  ludus  bereits  56  Verse  lang 
gespielt  ist.  Schon  dadurch  wird  die  Selbständigkeit  des  Zwischen- 
spiels betont,  und  dessen  Charakter  kann  der  Zuhörer  schon  aus 
dem  Schlußwort  der  Ankündigung  entnehmen:  „Ez  misticht  ein 
muenich  auf  einer  nunnen",  v.  74.  Darauf  kommen  Pusterpalk  und 
der  Arzt;  Pusterpalk  kündigt  den  Arzt  an,  wobei  er  nicht  verfehlt, 
derbkomische  Worte  zu  gebrauchen  und  auf  den  ausgepolsterten 
Körperteil  des  alten  Mimen  hinzuweisen.  Der  Arzt  preist  sich  dar- 
auf selbst  an.  Hier  heißt  er  also  Medicus,  anderswo  Ypocras,  ur- 
sprünglich ist  er  natürlich  der  Kaufmann,  Mercator,  wie  er  in  dem 
Osterspiele  von  Tours  in  einer  Handschrift  des  12.  Jahrhunderts 
heißt,  wo  übrigens  zum  ersten  Male  das  komische  Element  im  Oster- 
spiel erscheint;  in  zwei  Prager  Texten  aus  dem  13.  Jahrhundert 
heißt  der  Verkäufer  Unguentarius,  in  einer  Benediktbeurer  Überliefe- 
rung vom  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  Apotecarius.  Übrigens  kennt 
bereits  das  Osterspiel  von  Tours  neben  dem  Mercator  noch  einen 
Jüngeren,  anscheinend  seinen  Angestellten,  seinen  Knecht,  Mercator 
juvenis  benannt,  der  auch  in  der  kurzen  Strophe  marktschreierischen 
Inhalts  an  Rubin  erinnert.  In  unserem  Erlauer  Spiel  nun  sucht  der 
Arzt  sofort  einen  Knecht.  Doch  unterbricht  er  sich  selbst  nochmals 
mit  großsprecherischer  Selbstanpreisung  in  Latein  und  in  Deutsch, 
wobei  er  allerdings  die  geläufige  Formel  hinzufügt:  ,,Waz  ich  red,  daz 
ist  nicht  war",  v.  103.  Rubin  springt  nun  aus  dem  Volk,  bietet  sich 
ihm  an  und  charakterisiert  sich  selbst,  indem  er  gleich  gröbstes 
Geschütz  in  Geschlechtswitzen  aufführt.  Dieser  Rubin,  wie  bereits 
der  Mercator  juvenis  des  Wolfenbüttler  Osterspiels  genannt  wird,  ist  wohl 
die  beliebteste  Spielmannsfigur  des  mittelalterlichen  Dramas.  Schon  die 
lustige  Art  seiner  Anwerbung  mit  dem  begleitenden  Lohnschacher  ist 
stets  wiederholtes  Allgemeingut.  Ich  erinnere  mich,  noch  als  Knabe  in 
dem  Kasperletheater  der  Messen  derartige  Werbeszenen  gehört  zu 
haben,  nur  daß  der  Angeworbene  nicht  mehr  Rubin  hieß,  sondern  den 
heute  komisch  wirkungsvolleren  Namen  Jakob  trug.  Rubin  hält  eine 
lange,  mit  Wortwitzen  gespickte  Rede,  worin  er  seine  Welterfahren- 
heit und  Tüchtigkeit  kundtut,    und  als  ihn   der  Arzt  nun  in  Dienste 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Quacksalberspiel.  I3 

nimmt,  da  stellt  er  die  Bedingung,  daß  auch  seine  Frau  mit  ein- 
geschlossen sein  müsse: 

„di  ist  minniglich  als  ein  wasserlagel  (Wasserfaß), 

und  weis  als  ein  rabenzagel, 

und  get  dunkchel  in  der  vinster  her; 

der  teufel  ir  den  part  scherl"     v.  224 — 227. 

Die  Werbeszene  war  so  zugkräftig,  daß  sie  sofort  im  Spiele  selbst 
wiederholt  wird,  indem  Rubin  nun  einen  Unterknecht  sucht  und  mit 
dem  sich  anbietenden  Pusterpalk  unterhandelt.  Auch  hier  wieder  tollt 
sich  die  Spielmannslaune  in  Wortwitzen,  womöglich  noch  eine  Stufe 
tiefer  und  derber,  aus  und  betont  die  Hauptfunktionen  des  mensch- 
lichen Leibes  und  der  menschlichen  Triebe.  Die  gröbsten  Ausdrücke 
sind  gerade  recht,  um  das  Lachen  des  Publikums  hervorzurufen.  Doch 
darf  dabei  wieder  nicht  vergessen  werden,  daß  die  heutige  Zeit  gar 
manche  Dinge  und  Worte  als  derb  auffaßt,  die  das  robustere  und 
naivere  Mittelalter  als  durchaus  angängig  betrachtete.  Nachdem  nun 
Pusterpalk  in  Dienste  genommen  ist,  erhebt  sich  eine  der  beliebten 
Prügelszenen  zwischen  dem  Quacksalber  und  Rubin,  weil,  als  ersterer 
seine  Frau  vermißt,  Rubin  ihm  sehr  obszön  antwortet.  Prüge- 
leien waren  schon  ein  Lieblingsstück  des  alten  Mimusrepertoires,  das 
sich  bis  ins  heutige  Kasperletheater  erhalten  hat.  Die  Pritsche  ist  ein 
unumgängliches  Requisit  des  Puppenspiels.  Die  Medica  wird  nun 
wiedergefunden,  und  nachdem  er  sie  derb  ob  ihres  lasterhaften  Lebens- 
wandels ausgeschimpft  hat,  wobei  gerade  die  Häufung  grober  Schimpf- 
worte Mittel  der  Komik  ist,  führt  sie  Rubin  seinem  Herrn  zu  unter 
Absingen  eines  lustigen  Liedchens  im  Volkston.  Auch  das  Singen 
ist  durchaus  Spielmannsart.  Nach  der  Aussöhnung  von  Arzt  und  Frau 
preist  nun  Rubin  auf  Befehl  seines  Herrn  dessen  Künste  dem  Publikum 
an.  Hierin  liegt  die  ganze  beliebte  Komik  des  Marktschreiers,  der  ja 
auch  heute  noch  als  der  wahre  Jakob  in  Dorf  und  Stadt  bekannt  ist. 
Die  Verbindung  von  Marktschreier  und  Quacksalber  ist  ebenfalls  bereits 
altes  Mimusgut,  das  in  seiner  Beliebtheit  sich  stets  der  Volksgunst  er- 
freut hat.  Einen  breiten  Raum  nimmt  es  daher  auch  in  der  italienischen 
commedia  dell'arte  ein  und  in  allen  deren  Sprößlingen  —  ich  nenne 
etwa  moderne  Operetten. 

Volkskunst  liebt  stets  das  Motiv  der  Wiederholung.  Nachdem  Rubin 
die  Kunst  des  Arztes  ausgerufen  hat,  leiht  Pusterpalk  zu  dem  gleichen 
Zwecke  seine  Dienste  der  Frau.  Hier  ist  natürlich  das  Hauptgewicht 
auf  das  sexuelle  Moment  gelegt.  Die  Szene  schreitet  in  derselben  Art 
weiter,  wobei  es  wieder  zu  einer  Zankszene  kommt  zwischen  dem  Arzt 
und  Rubin,  weil  dieser  dessen  Frau  öffentlich  schlecht  macht.  Dann 
aber  tut  Rubin  wieder  seinen  eigentlichen  Dienst,  indem  er  den  Kram- 
laden aufschlägt  und  die  verschiedenen  Salben  mit  ihren  angeblichen 
Wirkungen  anpreist.  Dies  gibt  wieder  eine  Fülle  von  komischen 
Einzelheiten.  Auch  hier  begegnen  wir  dem  Wiederholungsmotiv  durch 


14  Mittelalter:   Geistliche  Komödien. 

Pusterpalk.  In  dieser  Spielmanns-  oder  Mimusart  wird  die  Farce 
weitergeführt.  Schließlich  wirft  Rubin  die  Salben  unter  die  Zuschauer, 
und  jetzt  erst  setzt  wieder  das  eigentliche  ernste  Auferstehungsspiel 
ein.    Ein  größerer  Kontrast  ist  kaum  zu  denken. 

Und  selbst  in  diese  durchaus  ernste,  auf  Trauer  gestimmte  Szene 
der  drei  klagenden  Frauen:  Maria  Magdalena,  Maria  Jacobi,  Maria 
Salome  ist  nun  die  Komik  eingedrungen.  Da  ist  denn  wohl  das 
Eifern  streng  gesinnter  Geistlicher  gegen  solchen  Unfug  zu  begreifen. 
Aber  der  volkstümliche  Spielmann  erweist  sich  stärker.  So  hören 
wir  den  Rubin: 

V.   716     „Meus  calvo  fier"  (Komisch  verdrehtes  Latein), 
„sprach  ein  ochs  zu  einem  stir. 
got  grüß  euch,  ir  frauen  al  virl 
oder  sint  eur  drei, 
ich  sich,  sam  mir  in  die  äugen  geschißen  seil" 

Der  Ernst  des  heiligen  Kerns  wird  durchaus  verdrängt  von  der 
volkstümlichen  Schwankkomik.  Der  Arzt  selbst  erscheint  und  preist 
den  Frauen  seine  Salben  an,  worauf  ein  Handeln  um  den  Kaufpreis 
anhebt.  Und  als  er  schließlich  das  Geld  der  Käuferinnen  angenommen, 
da  prüft  er  es  noch  nach  altbeliebter  Spielmannssitte  auf  seine 
Echtheit,  wobei  er  einen  der  Pesanden  beanstandet: 

V.   -95      ,,Er  chlingt  sam  ein  fuchszagel: 

er  mag  gemacht  sein  auz  einem  alten  huefnagl". 

Die  heiligen  Frauen  ziehen  ab,  und  sofort  setzt  wieder  der  Schwank 
mit  seiner  ganzen  volkstümlichen  Derbheit  ein  in  absoluter  Selb- 
ständigkeit und  Unabhängigkeit  vom  Kirchlichen.  Er  beginnt  mit 
mimisch  stärkstem  Akzent,  mit  einer  belebten  Zank-  und  Prügelszene 
zwischen  dem  Arzt  und  seiner  Frau.  Diese  ist  verärgert,  daß  er  die 
Salbe  zu  billig  verkauft  habe.  Dabei  kommen  eheliche  Intimitäten 
zur  Enthüllung,  die  sinnHche  Frau  beklagt  sich  über  ihren  alten 
Mann,  doch  er  antwortet  mit  Prügeln.  Und  Rubin  freut  sich  der 
Szene  in  einer  Rede,  die  endet: 

V.  835     ,,Er  tut  ir  gar  recht: 

ich  vancz  nachten  pei  meinem  chnecht". 

Also  Situationen,  die  sicher  nur  dem  Volkswitze  entsprechen. 
Der  alte  Mimus  schon  hat  mit  Vorliebe  das  Motiv  der  ehehchen 
Untreue,  gleichgültig  ob  des  Mannes  oder  der  Frau,  breitgetreten. 
Diesem  entspricht  auch  die  Weiterführung  der  Farce.  Der  Arzt  geht 
ermüdet  schlafen,  und  sofort  macht  sich  Rubin  an  die  Frau,  um  mit 
ihr  eine  Entführung  zu  vereinbaren.  Die  Frau  ist  auch  schnell  bereit, 
der  junge  Knecht  lockt  sie  weit  mehr  als  ihr  alter  Mann.  Dies 
erklärt  sie  auch  offen  dem  Publikum  in  für  uns  Heutige  scham- 
losester Weise.  Es  ist  ja  klar,  daß  hier  das  GeschlechtHche  Trumpf 
ist.   Nach  der  Entführung  weckt  Pusterpalk  den  Arzt  mit  der  Kunde. 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Ritterspiel.  I^ 


Die  Gesinnung  des  Arztes  ist  leicht  aus  seiner  Klage  zu  erkennen, 
die  die  Frau  gar  leicht  verschmerzt  und  nur  um  das  Geschäft  bangt. 
Darauf  packt  er  mit  Pusterpalk  seinen  Kram  auf  und  zieht  weiter. 
Pusterpalk  aber  richtet  das  Schlußwort  an  das  Publikum. 

Damit  ist  das  Zwischenspiel  beendet.  Das  Silete  der  Engel  ertönt, 
und  das  ernste  Auferstehungsspiel  schreitet  weiter  ohne  jede  Erinne- 
rung an  diese  Salbenkrämerfarce.  Nach  dem  Vorgeführten  steht  die 
Selbständigkeit  dieses  Schwankes  im  Osterspiel  außer  Frage.  Sein 
Charakter  ist  uns  nun  klar,  auch  ohne  daß  wir  noch  andere  Er- 
weiterungen ausführlich  besprechen.  So  hat  etwa  das  Innsbrucker 
Osterspiel  eine  Szene  eingeschoben,  in  der  ein  häßlicher,  verkrüppelter 
Genosse  Rubins  mit  Namen  Lasterpalk  auftritt  und  ohne  weiteres  der 
liebebedürftigen  Krämersfrau  seine  obszönen  Anträge  macht.  Ab- 
gewiesen, versucht  er  wenigstens  durch  öffentliche  Bitte  seine  Freß- 
lust  zu  stillen.  Diese  Szene  hat  aber  ebensowenig  innerlichen  Zu- 
sammenhang mit  dem  Schwank  wie  ein  Zusatz  eines  tschechischen 
Osterspiels,  worin  Abraham  seinen  toten  Sohn  Isaak  von  dem  Wunder- 
doktor wieder  ins  Leben  rufen  lassen  möchte.  Dieser  Beitrag  ist  durch- 
aus der  antisemitischen  Tendenz  des  Mittelalters  entsprossen  und  be- 
dient sich  zu  ihrem  Zweck,  die  Juden  zu  verspotten,  der  gröbsten  und 
schmutzigsten  Töne.  Doch  auch  sie  bietet  wieder  einen  Beweis  für  den 
durchaus  volkstümlichen,  spielmannsartigen  Charakter  der  im  Spiele 
wirksamen  Kunst.     Rubin  ist  die  Urgestalt  des  Hanswurst. 

Die  Entstehungsgeschichte  des  Quacksalberspiels,  die  Heinzel  in 
seinen  Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama  erörtert,  dürfte  wohl  so  zu 
erklären  sein,  daß  die  Salbenkrämerszene  der  lateinischen  Osterfeier  von 
streng  ernstem  Charakter  durch  die  Verwandtschaft  des  Verkäufers  mit 
beliebten  Gestalten  des  Marktschreiers  und  Quacksalbers  der  fahren- 
den Spielleute  den  Haken  bot,  um  die  Spielmannsspäße  anzuhängen. 
Dadurch  weitete  sich  die  Szene  immer  mehr  zum  komischen  Zwischen- 
spiel aus,  das  als  solches  durch  die  Salbenkaufszene  der  drei  Frauen 
den  Zusammenhang  mit  dem  Osterspiel  bewahrte,  das  aber  von  den 
Spielleuten  auch  losgelöst  als  selbständiges  Fastnachtspiel  aufgeführt 
wurde,  wobei  die  Kaufszene  dann  wegfallen  konnte.  Dieses  Salben- 
krämerspiel  gehört  als  zweite  Szene  zu  einer  siebenszenigen  Gruppe 
von  Osterspielen,  wie  sie  uns  in  dem  Trierer,  Wolfenbütteler  und 
in.  Erlauer  Spiel  überliefert  ist,  und  die  als  erste  Szene  den  Gang 
der  drei  Marien  zum  Grabe,  als  dritte  die  Grabesszene,  als  vierte  die 
Gärtnerszene,  als  fünfte  die  Verkündigungsszene,  als  sechste  die 
Thomasszene  und  als  siebente  die  Wettlaufszene  enthält. 

c)  Ritterspiel. 

Neben  dieser  ersten  Gruppe  der  Osterspiele  entwickelt  sich  allmäh- 
lich eine  zweite  Gruppe,  die  entweder  selbständig  erscheint,  wie  das 
Redentiner  und  das  Erlauer  V.  Osterspiel,  oder  mit  der  ersten  Gruppe 


l6  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

derart  verbunden  erscheint,  daß  ihre  Szenen  vorbereitend  der  ersten 
Gruppe  vorangestellt  werden.  Dazu  gehören  das  Innsbrucker,  das 
Wiener,  das  Sterzinger  Osterspiel  und  die  Fragmente  des  Passionsspiels 
von  Muri.  Die  Szenen  der  zweiten  Gruppe  sind  viel  unabhängiger 
von  der  biblischen  Überlieferung  und  daher  viel  geeigneter,  weltliche 
Zusätze  und  Darstellungen  aufzunehmen.  Die  zweite  Gruppe  besteht 
ebenfalls  aus  sieben  Auftritten  (wobei  für  beide  Gruppen  zu  bemerken 
ist,  daß  nicht  jedes  Spiel  auch  wirklich  alle  jeweiligen  Gruppenszenen 
enthält):  i.  Einzugsszene  des  Pilatus,  2.  Beratungsszene  der  Juden, 
3.  Bestellungsszene  der  Grabwächter,  4.  Grab  Wächterszene,  5.  Aufer- 
stehungsszene, 6.  Höllenfahrtszene,  7.  Grabwächterszene  nach  der 
Auferstehung. 

Dabei  setzt  die  Komik  hauptsächlich  bei  der  3.,  4.,  6.  und  7.  Szene 
ein.  Eingeführt  wird  sie  wieder,  wie  etwa  bei  der  Quacksalberszene, 
durch  die  weltlichen  Kleriker,  die  von  dem  lockeren,  vagabundierenden 
Leben  der  Spielleute  angezogen  wurden  und  nun  als  fahrende  Schüler 
oder  Kleriker,  scholares  vagantes,  clerici  vagi,  ihre  lateinische  Halb- 
bildung gebrauchten,  um  die  Leitung  der  aus  der  Kirche  ins  Freie 
verwiesenen  dramatischen  Spiele  an  sich  zu  reißen,  und,  um  dem 
Beifall  der  Menge  zu  fröhnen,  immer  mehr  Weltliches  ins  Geistliche, 
Lächerliches  ins  Ernste  hineinbrachten.  Ihre  komischen  Spaße  und 
Mimenkünste  hängten  sie  vor  allem  an  Pilatus,  seine  Ritter  und  die 
Juden  einerseits  und  an  die  Teufelsspiele  andererseits. 

Pilatus  tritt  als  Fürst  des  Mittelalters  mit  reichem  Gepränge  auf 
und  stellt  sich  vor: 

,,Ich  bin  Pilatus  genannt 
und  wil  bei  ein  richte  siezen, 
daz  alle  Juden  muszen  swiczen". 

Dies  entspricht  nur  den  antisemitischen  Gefühlen  der  Zuhörer,  denn 
tatsächlich  handelt  er  im  Spiel  ganz  einig  mit  den  Juden.  Viel  stärker 
ist  das  komische  Element  aber  bei  den  Rittern,  wo  es  sich  vor  allem 
als  Satire  betätigt.  Die  Ritter  gehören  zu  dem  Gefolge  des  Lehens- 
fürsten Pilatus,  führen  aber  ihre  Dienste  nach  mittelalterlicher  Sitte 
nur  gegen  Belohnung  aus,  wie  es  im  Redentiner  Osterspiele  heißt: 

„Dat  ghelt  maket   den  helt  springhen". 

Die  Satire  wendet  sich  sowohl  gegen  den  Ritterstand  als  solchen  wie 
auch  gegen  ihre  Funktion  im  Spiel,  denn  dem  mittelalterlichen  Ver- 
fasser wie  dem  gläubigen  Zuschauer  muß  das  fruchtlose  Beginnen, 
die  Auferstehung  des  Herrn  durch  Bewachung  des  Grabes  verhindern 
zu  wollen,  ja  als  durchaus  lächerlich  erscheinen.  Bei  der  Standes- 
satire müssen  wir  uns  bewußt  bleiben,  daß  das  Eindringen  des 
Komischen  ins  geistliche  Schauspiel  erst  gegen  Ende  des  Mittelalters 
stärker  wurde,   als  einerseits   der  Ritterstand   schon  viel  von   seiner 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Ritterspiel.  JJ 


einstigen  Würde  und  Herrlichkeit  verloren  hatte,  andererseits  der 
Bürgerstand  immer  selbstbewußter  wurde  und  naturgemäß  in  dem 
Handel  und  Wandel  lähmenden  Raubrittertum  seinen  Erbfeind  er- 
bHckte.  Insofern  gibt  uns  auch  hier,  wie  an  so  vielen  Stellen,  das 
Komische  ein  Spiegelbild  mittelalterlicher  Sitten  und  Anschauungen. 

Wie  die  Ritter,  so  werden  vor  allem  die  Juden  verspottet,  als  Klasse 
sowohl  wie  in  ihrer  Tätigkeit  im  Spiel.  Deren  Mißachtung  und  Ver- 
achtung im  Mittelalter  ist  ja  bekannt.  Da  wir  wissen,  daß  auf  der 
mittelalterlichen  Bühne  die  Komik  gerne  sich  auf  körperliche  Äußer- 
lichkeiten bezog,  so  darf  wohl  angenommen  werden,  daß  das  Körper- 
lich-Lächerliche auch  bei  den  Juden  angewandt  wurde.  Der  Zuschauer 
mußte  doch  von  vornherein  sich  im  klaren  sein,  daß  eine  bestimmte 
Gruppe  der  Schauspieler  Juden  darstellen  sollten.  Dies  Kennzeichen 
kann  sich  in  der  Kleidung  sowohl  wie  in  der  Gesichtsbildung  gefunden 
haben.  Die  Darstellungen  mittelalterlicher  Gemälde  betonen  stets  die 
typisch -jüdischen  Gesichtsmerkmale,  wie  Nasenbildung.  Dann  gaben  sich 
die  Judendarsteller,  außer  durch  ihre  Kleidung,  wohl  durch  Bewegungen 
zu  erkennen,  Gebärdenspiel,  heftiges  Gestikulieren, Sprechen  mitHänden. 
Schließlich  aber,  und  dies  ist  uns  in  den  Texten  selbst  überliefert,  be- 
dienen sie  sich  eines  eigenartigen  Kauderwelschs,  das  aus  hebräischen, 
lateinischen,  griechischen,  deutschen  und  willkürHch  gebildeten  Worten 
und  Wortteilen  sinnlos  zusammengesetzt  ist.  So  berichtet  Pichler  im 
Drama  in  Tirol  einen  Judengesang:  „Kados,  Kados  adonai  hoi  cupit 
in  niria  hoi  kahoi  schlami  schlami  hoi  schlamika  pachoi  rudiens  aurum 
emere  prokahi  pkaher  armculare  kos  mica  jesse  armarma  tutabe  perca 
schun  schneia  schuur  ami.  Iste  stola  jus  ranzi,  warine  hud  sulient 
sulient  islabent  labent  esto  michi  widerpe  esten  lu  mina  rie  esto  michi 
paupa  phaloripa  new  new  nentpe  auriculaer.  ami".  Dieses  sinnlose 
Kauderwelsch,  von  heftig  gestikulierenden,  karikiert  jüdischen  Ge- 
stalten durcheinandergeschrien,  konnte  wohl  das  Lachen  der  naiven 
Zuschauer  erregen.  Wir  begegnen  ihm  daher  auch  beim  Eingang 
unseres  2.  Auftritts,  der  Beratungsszene  der  Juden.  Im  Innsbrucker 
Osterspiel  singen  die  Juden  kürzer:  „Chodus,  chadus,  adonay  sebados 
sissim  sossim  chochun  yochun  or  uor  yochun  or  uor  gun  ymbrahel 
et  ysmahel  by  ly  lancze  lare  uczerando  ate  lahu  dilando,  sicut  vir 
melior  yesse,  ceuca  ceuca  ceu  capiasse  amel".  Daß  diesem  Kauder- 
welsch die  lateinische  Regiebemerkung:  „Judaei  cantant  Judaicum" 
vorausgeht,  beweist,  daß  an  ein  unverständliches,  wildes  Durcheinander- 
brüllen gedacht  ist,  wie  sich  dem  Zuschauer  das  Verhalten  der  Juden 
in  der  Synagoge  darstellte;  sprechen  wir  doch  heute  noch  bei  Durch- 
einanderlärmen von  einer  Judenschule.  Dieser  Judenchor  ertönt  nun 
immer,  wenn  die  Juden  zu  einem  neuen  Abschnitt  der  Handlung  ge- 
langen.    Er  ist  gleichsam  ihr  Aushängeschild. 

Um    ihren    Befürchtungen    zu    entgehen,    daß    die   Auferstehung 
des  Herrn    auf  irgendeine  Weise   erfolgen   könne,   beschließen    sie, 

H  o  1 1 ,  Lustspiel.  2 


l8  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

Pilatus  um  Bewachung  des  Grabes  zu  bitten.  Der  Gegensatz  ihres 
Wollens  und  des  den  gläubigen  Zuhörern  offenbaren  Geschehens 
muß  auf  diese  komisch  wirken.  Doch  der  mittelalterliche  Antisemi- 
tismus läßt  sich  daran  nicht  genügen,  er  greift  zu  drastischeren 
Mitteln,  um  die  verachteten  Juden  der  Lächerlichkeit  preiszugeben. 
Creizenach,  dessen  Geschichte  des  Dramas  uns  ein  unerschöpfliches 
Material  bietet,  hat  bereits  darauf  hingewiesen.  In  den  Spielen  der 
Frankfurter  Gruppe  tragen  die  Juden  Namen,  die  noch  heute  in  der 
Gegend  heimisch  sind,  wie  Seligmann,  Liebermann,  Süßkind,  Bei- 
fuß. Die  Aufführungen  können  daher  geradezu  Verhetzungscharakter 
tragen.  Es  ist  somit  nicht  zu  verwundern,  daß  die  Judenschaft 
sich  dagegen  zu  schützen  sucht,  und  tatsächlich  verspricht  der 
Rat  von  Freiburg  i.  Br.  bereits  am  12.  Oktober  1338  in  einem  Frei- 
briefe den  Juden,  es  abzuwenden,  „das  ieman  kein  spil  zu  Friburg 
uffen  sü  mache,  das  inen  laster  oder  schände  mug  gesin"  (Schreiber, 
Urkundenbuch  der  Stadt  Freiburg  i,  339,  zitiert  von  Weinhold,  Gosche, 
p.  28),  und  Wild  in  den  Verhandlungen  des  Historischen  Vereins  der 
Oberpfalz  53,  ii  berichtet,  daß  bereits  1281  in  Regensburg  den  Juden 
zur  besonderen  Pflicht  gemacht  wurde,  während  der  Umzüge  und  Vor- 
stellungen der  Passionsspiele  sich  zu  Hause  zu  halten.  Wie  drastisch 
der  Spott  auf  sie  war,  zeigt  sich  in  der  verbreiteten  Sitte,  bei  den  Auf- 
führungen am  Standorte  der  Juden  ein  ausgestopftes  Kalb  oder  Schwein, 
in  dem  sich  ein  Gefäß  mit  Wein  oder  Bier  befand,  aufzustellen,  wobei  die 
Judendarsteller  während  der  Aufführung  das  Getränk  genossen,  das 
zum  Hinterteile  des  Kalbes  herausfloß.  Das  Alsfelder  Spiel  hat  v.  3273 
die  Regieanweisung:  „Judaei  bibunt  ex  culo  vituli".  Diese  derben 
Spaße  wurden  natürlich  nicht  nur  in  den  Auferstehungsspielen  los- 
gelassen, sondern  auch  in  anderen  geisthchen  und  weltlichen  Schau- 
spielen, wo  eben  immer  Juden  auftraten.  Unsere  Szene  hier  ist  nicht 
nur  ihrer  ganzen  Anlage  nach  von  gewisser  Komik,  auch  die  Reden 
der  beratenden  Juden  sind  öfters  in  den  Spielen  komisch  gestaltet. 
So  sagt  ein  Jude  in  dem  Wiener  Osterspiele  (Hoffmann,  Fundgruben  II, 
p.  296 ff,): 

„Wenn  Jesus  uns  weite   entweichen,  Daß  jm  geschehe   we  alhie, 

Ich  weite  jm  nachsleichen,  Daß  er  müste  werden  lam; 

Und  weite  jn  beissen  in  ein  knie,  Wer  er  wilde,  ich  machte  jn  zam". 

Wenn  es  dann  nach  eines  anderen  Juden  Rat  heißt:  ,, Die  Juden  tanzen 
zu  Pilato  und  singen  jüdisch"  —  ausnahmsweise  haben  wir  hier  im 
Wiener  Osterspiel  deutsche  Regieanweisungen  — ,  so  können  wir  uns 
nach  dem  bereits  Bemerkten  die  groteske  Komik  dabei  wohl  vorstellen. 
Damit  beginnt  nun  der  3.  Auftritt,  die  Bestellungsszene  der  Grab- 
wächter. Diese  bildet  mit  den  beiden  folgenden  Szenen,  der  der  Grab- 
wache und  der  der  Auferstehung,  wieder  eine  kleinere  Einheit,  die 
plautinisch  mit  milites  gloriosi  überschrieben  werden  könnte:  ein  ein- 
heitlicher Zug  der  Komik  geht  hindurch,   der  sich   gründet  auf  den 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Ritterspiel.  IQ 

klaffenden  Widerspruch  von  Worten  und  Taten  der  Grabwächter.  Die 
Juden  bitten  Pilatus,  daß  er  das  Grab  bewachen  lasse,  und  er  weist 
sie  an  seine  Ritter,  die  die  Wache  für  klingenden  Lohn  übernehmen 
wollen.  Dabei  kommt  bereits  die  Geldgier  des  Raubritterstandes  zur 
Darstellung,  indem  die  dargebotenen  Münzen  ängstlich  auf  ihre  Echt- 
heit geprüft  werden,  wie  es  auch  der  Salbenkrämer  getan  hatte.  Das 
entspricht  übrigens  auch  der  damaligen  Zeit,  wo  zahlreiches  Falsch- 
geld im  Umlauf  war.  Die  angeworbenen  Ritter  zeigen  uns  bereits  in 
der  Namengebung  die  Satire.  Wir  können  dabei  drei  Klassen  unter- 
scheiden: Namen,  die  durch  ihren  bloßen  Klang  und  ihren  Inhalt 
komisch  wirken,  wie  Unverzeit,  Schuerenprant,  Wagendrusel,  Helm- 
schrat, Wagsring;  Namen,  die  der  Blüte  der  Heldenzeit  entstammen 
und  durch  ihren  Kontrast  mit  den  damals  gegenwärtigen  Zuständen 
komisch  wirken,  wie  Siegenot,  Dietrich,  Hillebrant,  Laurein ;  und  schließ- 
lich Namen,  die  jüdischer  Herkunft  sind  und  daher  bei  der  damaligen 
Verachtung  der  Juden  für  die  Ritter  erst  recht  komisch  klingen,  wie 
Samson,  Boas  von  Thamar,  Salmon,  Sadock,  Josue,  Johel,  Samuel. 
Mit  am  besten  dargestellt  ist  die  Großsprecherei  der  Ritter  im 
V.  Erlauer  Spiel,  worin  acht  verschiedene  Helden  ihren  Mut  und 
ihre  Stärke  in  gewaltiger  Steigerung  anpreisen  in  einer  Art  dem 
Fastnachtspiel  entsprechender  Revue.  Um  nur  ein  Beispiel  hervor- 
zuheben, der  siebte  Ritter  sagt: 

„Nu  merkcht  all  fleizzleich,  nu  merkcht,  was  ich  euch  wil  sagen: 

nindert  vindet  man  mein  geleich;  hundert  man  an  dieser  frist, 

ich  toerst  den  teufel  selb  westan,  die  wag  ich  als  einen  nunnenvist, 

vnd  hiet  er  halt  neun  panzir  an,  ich  trau  seu  all  erslahen  wol, 

ich  traut  in  auz  der  helle  jagen.  ich  pin  aller  uppichait  vol". 

Im  Sterzinger  Osterspiel  ist  diese  Ruhmrederei  noch  derart  gesteigert, 
daß  der  Wagendrusel  sogar  mit  Jesus  selbst  anbinden  will: 

„So  du  Jesus  in  dem  grab  Und  ge  zu  uns  aus  dem  grab  herfür, 

Bistu  uns  feint,  so  sag  uns  das!  (für  ab)  Und  nimm  zu  hilf  all  dein  kunst. 

Wiltu  ersten,  das  tu  schier  Ich  gelaub  es  sei  ein  blauer  dunst". 

Es  ist  uns  aber  auch  ein  Spiel  überliefert  (von  Pichler  im  Drama 
d.  Ma.),  worin  dem  ruhmredigen  Ritter  immer  sofort  eine  Art  Wahrheit 
sagender  Narr  Josel  als  Diener  Kaiphas'  gegenübergestellt  ist,  der 
auf  jedes  Preislied  des  Selbstlobs  sofort  eine  lächerliche  Tat  berichtet, 
die  das  feige  Maulheldentum  drastisch  offenbart.  Schließlich  aber 
ziehen  die  Ritter  denn  insgesamt  wagemutig  und  schwerterklirrend 
zum  Grabe,  indem  sie  den  Spottvers  singen: 

„Wir  wollen  czue  dem  grabe  ge, 

Jhesus  der  wil  uff  ste; 

ist  daz  war,  ist  daz  war, 

so  sint  gülden  unse  har!"  (Mone,  Altt.,  Schsp.,  p.  113,  Innsbr.  Osp.) 

Am  Grabe  sind  sie  kaum  eingerichtet,  da  erscheint  ein  Engel  und 
schlägt  sie  alle  in  die  Flucht  oder  aber  versetzt  sie  in  Schlaf.     Am 


20  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 


besten  ausgebildet  ist  diese  Szene  im  Redentiner  Osterspiel.  Pilatus 
verteilt  die  Ritter  um  das  Grab.  Doch  kaum  ist  er  fort,  da  vertrauen 
sie  dem  Nachtwächter  die  Hut  des  Grabes  an  und  legen  sich  schlafen, 
wodurch  ihre  Pflichtvergessenheit  um  so  stärker  zum  Ausdruck  kommt. 
Die  Szene  ist  vollkommen  unabhängig  und  zeigt  die  hochentwickelte 
Darstellungskunst  des  Dichters  des  Redentiner  Osterspiels.  Zweifellos 
ist  dies  das  beste  mittelalterliche  Schauspiel.  Der  Wächter  versucht 
wiederholt  die  Schlafenden  zu  wecken,  immer  näher  rückt  die  Gefahr, 
dringender  wird  sein  Mahnen  —  die  Ritter  schlafen.  Da  erfolgt  die 
Auferstehung,  und  während  all  der  Zeit  schlafen  die  ruhmredigen 
Ritter  weiter.  Es  ist  die  Auferstehungsnacht,  in  der  nach  dem  Spiel 
Jesus  die  in  der  Hölle  schmachtenden  Seelen  befreit.  Am  Morgen 
endlich  gelingt  es  dem  Wächter  durch  wiederholte  Hornstöße  und 
Rufen,  die  Schlafenden  zu  wecken,  und  nun  erhebt  sich  großes  Weh- 
klagen. Doch  sie  beschließen,  vor  den  Juden  sich  zu  verantworten. 
Nun  sind  die  Maulhelden  kleinlaut  geworden.  Kaiphas  und  Pilatus 
fahren  sie  derb  an  ob  ihrer  Pflichtvergessenheit,  ja  im  V.  Erlauer  Spiel 
will  Pilatus  sie  einkerkern  lassen,  doch  die  weitere  Fassung  ist  die, 
daß  die  Juden  sie  der  Lüge  zeihen,  und  darüber  kommen  ihnen  die 
großen  Worte  wieder.  Und  da  die  Juden  fürchten  müssen,  daß  die 
Ritter  die  Auferstehung  Jesu  bekanntmachen  werden,  so  lenken  sie 
ein  und  bestechen  nun  die  Ritter,  wenigstens  auszusprengen,  daß  die 
Jünger  den  Leichnam  des  Herrn  gestohlen  hätten,  eine  Wendung,  die 
uns  bereits  aus  einem  epischen  Gedichte  in  einer  Handschrift  des 
13.  Jahrhunderts  bekannt  ist  (Hoffmann,  Fundgruben  I,  p.  180).  Die 
Ritter  lassen  sich  auch  das  gefallen,  und  einer  ruft  als  Schlußwort 
den  Zuschauern  spöttisch  zu: 

„Glaubt  nit,  das  aus  dem  grab  Wier  schlieffen,  darumb  Sachen  wir  es  wol : 

Jesus  sein  leben  wieder  hab:  Schlaffend  zewgen  man  pillich  glauben  sol; 

Sein  junger  kamen  haimlich  Wan  si  nicht  nit  liegen 

Und  stallen  in  diepplich.  Und  niemand  mit  irer  kuntschaflft  betriegen". 

Damit  ist  das  miles-gloriosus- Spiel  zu  Ende.  Von  besonderer 
Komik  ist  dabei  noch  das  Verhalten  der  Juden,  die  dem  Volke  so 
recht  als  die  geprellten  Betrüger  dargestellt  werden.  Zuerst  müssen 
sie  die  Grabwächter  bezahlen,  daß  sie  das  Grab  bewachen,  und  dann 
müssen  sie,  deren  ,,gelust",  deren  Wucher  so  oft  von  den  mittelalter- 
lichen Dichtern  gegeißelt  wird,  die  pflichtvergessenen  Grabwächter 
bezahlen,  daß  sie  ihre  Pflichtvergessenheit  öffentlich  kundmachen. 
Das  Innsbrucker  Osterspiel  findet  den  Schluß  anders.  Nach  der 
Auferstehung  kommt  Pilatus  mit  einem  Boten,  um  die  Grabwache 
zu  revidieren  und  findet  sie  schlafend,  er  verhöhnt  sie,  und  die  Ritter 
wälzen  nun  gegenseitig  die  Schuld  aufeinander.  Darüber  kommt  es 
zum  beliebten  Schwankschluß  der  derben  Prügelei. 

Damit  sind  alle  Erweiterungen  der  kirchlichen  Osterfeier  be- 
trachtet,  soweit  sie  komische  Darstellungen  weltlicher  Geschehnisse 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Teufelsspiel.  21 

bieten.  Als  wichtigste  Einschübe  sind  uns  dabei  die  Salbenkrämer- 
szene  und  die  Grabwächterszene  begegnet,  die  beide  so  stark  aus- 
gebaut werden,  daß  sie  gut  vom  ganzen  geistlichen  Schauspiel  los- 
gelöst werden  können,  um  als  Quacksalberspiel  und  Ritterspiel  in 
voller  unabhängiger  Selbständigkeit  aufgeführt  zu  werden.  Diese  sind 
daher  die  ersten  ausgebildeten  Vorläufer  des  deutschen  Lustspiels. 

d)  Teufelsspiel. 

Mit  den  genannten  Vorläufern  zusammen  ist  das  Teufelsspiel  zu 
betrachten.  Neben  der  Komik  des  Diesseits  steht  die  Komik  des  Jen- 
seits. Das  Teufelsspiel  gründet  sich  auf  den  evangelischen  Bericht, 
daß  der  im  Grabe  liegende  Jesus  zur  Hölle  niedergefahren  sei. 

Bei  der  Rolle,  die  der  Teufel  in  der  mittelalterlichen  Anschauung 
spielte,  konnten  größere  Erweiterungen  nicht  ausbleiben.  Hölle  und 
Himmel  sind,  amoralisch  betrachtet,  dem  mittelalterlichen  Menschen 
gleich  real.  Das  Reich  des  Teufels  ist  gleich  dem  Reiche  Gottes 
mit  umgekehrtem  Vorzeichen;  um  so  leichter  konnte  die  Phantasie 
das  Teufelsreich  mit  ihrer  Fülle  bevölkern.  Wenn  der  Teufel  der 
mittelalterlichen  Bühne  also  auch  tatsächlich  Phantasiegestalt  ist,  so 
ist  er  doch  in  den  Augen  des  Zuschauers  Wirklichkeitsgestalt.  Die 
Haltung  des  neuzeitlichen  und  mittelalterlichen  Menschen  zum  Teufel 
ist  grundsätzlich  verschieden.  Für  den  neuzeitlichen  Menschen  hat 
der  auf  der  Bühne  erscheinende  Teufel  höchstens  symbolische  Funktion. 
Er  bedeutet  etwas.  Für  den  mittelalterlichen  Menschen  ist  er  Vertreter 
einer  Welt,  deren  Existenz  niemand  in  Zweifel  zieht,  ebensowenig 
wie  ihren  Zusammenhang  mit  der  menschlichen  Welt.  Die  Teufels- 
figur der  Bühne  bedeutet  nicht  nur  etwas,  sie  ist  etwas.  Sie  hat 
Wirklichkeitssein.  Infolgedessen  ist  die  Anteilnahme  an  ihrem  Reden 
und  Tun  viel  lebendiger,  viel  unmittelbarer  als  in  der  Gegenwart. 
Der  Teufel  ist  durchaus  menschlich  gefaßt  in  Freude  und  in  Ärger, 
in  Zuversicht  und  in  Furcht.  Denn  wenn  auch  die  Teufelswelt  von 
der  Menschenwelt  verschieden  ist,  so  kann  die  naive  Vorstellungskraft 
des  Mittelalters  sich  doch  diese  andere  Welt  nur  in  Analogie  der 
umgebenden  Naturwelt  denken;  die  Teufel  sind  schließlich  nichts 
anderes  als  eine  Menschenart,  daher  kann  es  leicht  vorkommen,  daß 
ungewöhnliche  menschliche  Erscheinungen,  wie  etwa  Neger,  dem 
naiven  Auge  als  Teufel  erscheinen.  Dieser  unbedingte  Glauben  an 
die  Realität  des  Teufels  muß  festgehalten  werden,  um  die  Wirkung 
der  Teufelsspiele  zu  verstehen. 

Da  der  mittelalterliche  Mensch  durchaus  im  Banne  kirchlicher 
Anschauungen  lebt,  so  ist  es  leicht  verständlich,  daß,  wenn  jen- 
seitige Dinge  dem  Auge  dargestellt  werden,  auch  frühzeitig  das 
Verlangen  sich  einstellt,  neben  den  Vertretern  des  guten  Jenseits 
auch   die  Vertreter  des  bösen  Jenseits  zu   sehen,   neben  dem   über- 


22  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

irdischen  Reich  das  unterirdische,  neben  dem  Walten  des  Himmels 
das  Walten  der  Hölle,  um  so  mehr  als  damit  alten  heidnischen  Volks- 
überlieferungen entsprochen  wurde.  So  treffen  wir  tatsächlich  bereits 
im  12.  Jahrhundert  in  Frankreich  die  Teufel  auf  der  Bühne  in  einem 
lateinischen  Drama  der  klugen  und  törichten  Jungfrauen.  In  Deutsch- 
land besitzen  wir  ein  derartiges  eschatologisches  Drama  aus  dem 
14.  Jahrhundert.  Wenn  wir  dabei  berücksichtigen,  daß  die  aus  dem 
kirchlichen  Rituale,  aus  der  Liturgie  erwachsenen  szenischen  Dar- 
stellungen doch  sicher  den  Dramatisierungen  von  heiligen  Legenden 
und  vom  Jüngsten  Gericht  zeitlich  voraufgehen,  so  darf  ohne  weiteres 
angenommen  werden,  daß  die  Einführung  von  Teufelsszenen  ins 
geistliche  Schauspiel  zu  den  frühesten  Erweiterungen  der  lateinischen 
Osterfeier  gehört,  besonders  da  mit  der  Auferstehung  des  Herrn 
nach  dem  Evangelienbericht,  an  den  sich  doch  der  erste  Aufbau 
des  geistlichen  Dramas  streng  hält,  unmittelbar  die  Niederfahrt  zur 
Hölle  verbunden  ist.  Allerdings  trägt  die  erste  Erweiterung  durch 
die  Szene  der  Vorhölle  durchaus  ernsten  Charakter.  Sie  entbehrt 
noch  jeder  Art  der  Komik.  Denn  da  ja  der  mittelalterliche  Mensch 
an  die  Existenz  des  Teufels  glaubte,  so  enthielt  für  ihn  dessen  Er- 
scheinen an  und  für  sich  nichts  Komisches.  Seine  Wirklichkeit  wurde 
nicht  in  Zweifel  gezogen,  denn  die  Überzeugung  des  Mittelalters, 
daß  jeder  bösen  Tat,  jedem  schädlichen  Ereignis  das  persönliche 
Wirken  des  bösen  Prinzips  zugrunde  liege,  forderte  direkt  die  Ver- 
körperlichung  des  Bösen.  Auch  hier  wieder  ist  die  Tendenz  des 
geistlichen  Schauspiels  wirksam,  alle  religiösen  Glaubensvorstellungen 
sinnlich  zu  veranschaulichen.  Durch  die  greifbar  wirkliche  Darstellung 
überzeugt,  konnten  dann  erst  die  mittelalterlichen  Menschen  mit  In- 
brunst beten:  Erlöse  uns  von  allem  Übel.  Die  Teufelsfigur  auf  der 
mittelalterlichen  Bühne  ist  daher  auch  nicht  einfach  als  Herübernahme 
heidnischer  Vorstellungen  ins  Christliche  zu  deuten,  obwohl  unleugbar 
heidnische  Anklänge  in  ihr  vorhanden  sind.  Als  Ganzes  und  in  ihrem 
Wesentlichen  ist  sie  durchaus  ein  Kind  mittelalterlicher  Phantasie 
und  ist  als  solches  auch  traditionelle  Figur  geworden. 

Die  Forderung  Schillers,  der  Komöde  habe  ,,die  moralische  Ten- 
denz seines  Stoffes  durch  die  Behandlung  zu  überwinden",  hat  aber 
auch  bereits  der  mittelalterliche  Dramatiker  erfüllt,  indem  er  Tugend 
als  Weisheit,  Laster  als  Torheit  betrachtete,  indem  er  also  sittliche 
Werte,  ob  positive  oder  negative,  intellektualisierte.  Darauf  führt  be- 
reits Weinhold  in  seinem  Aufsatze  „Das  Komische  im  altdeutschen 
Schauspiel"  (in  Gosches  Jahrbuch)  die  eigentümliche  Behandlung  des 
Teufels  als  Lustigmacher  zurück,  obwohl  man  sich  vor  ihm  fürchtete. 
Da  auf  diese  Weise  das  Mittelalter  selbst  die  Schwierigkeiten,  die  sich 
einer  dramatisch -komischen  Auswertung  des  Teufels  als  des  sittlich 
bösen  Prinzips  entgegenstellten,  überwunden  hatte,  so  nahmen  die  ur- 
sprünglich durchaus  ernst  gestalteten  Teufelsszenen  auch  bald  komi- 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Teufelsspiel.  23 

sehen  Charakter  an.  Die  Mimenspäße  der  Spielleute  und  Vaganten 
machten  sich  an  den  dankbaren  Stoff  und  bewirkten  bald  seine  große 
Ausweitung  durch  Zusätze  aller  Art.  Man  freut  sich  an  dem  Sieg 
der  Weisheit  über  die  Torheit,  wie  stets  der  Kluge  das  Volk  für  sich 
hat,  wenn  er  den  Dummen  seine  Überlegenheit  fühlen  läßt.  Die 
Rolle  des  Tölpels  ist  von  jeher  eine  dankbare  Rolle,  das  allgemeine 
Lachen  zu  erregen.  Nicht  umsonst  tragen  die  komischen  Figuren  auf 
der  Bühne,  im  Kasperletheater  oder  im  Zirkus  bis  auf  heute  mit  Vor- 
liebe die  Züge  des  Dummkopfs.  Und  der  mittelalterliche  Zuschauer, 
der  im  täglichen  Leben  sich  doch  ganz  gewaltig  vor  dem  bösen  Teufel 
fürchtete,  freute  sich  um  so  mehr,  wenn  er  ihn  nun  als  komisches  Ob- 
jekt, als  geprellten  Betrüger  auf  der  Schaubühne  aus  Herzenslust  aus- 
lachen und  verlachen  konnte.  Auch  hier  ist  die  Schadenfreude  die 
reinste  Freude. 

Die  Teufelsszenen  nehmen  somit  immer  breiteren  Raum  ein  und 
werden  nun  mit  dem  ganzen  höllischen  Apparat  ausgestattet,  den 
die  naive  mittelalterliche  Vorstellungsweise  mit  dem  Worte  Teufel 
verknüpft.  Die  Hölle  auf  der  mittelalterlichen  Bühne  ist  ein  ab- 
geschlossener Raum,  in  dem  stets  ein  wüstes  Lärmen  und  Schreien 
der  Teufelsbewohner  wie  der  von  ihnen  gemarterten  Seelen,  ver- 
bunden mit  einem  Rasseln  von  Kesseln  und  Ketten  ertönt,  und 
aus  dem  Qualm  und  Rauch  als  Höllenschwaden  hervordringen.  Die 
Teufel  springen  von  Zeit  zu  Zeit  aus  ihrem  Höllenrachen  hervor 
oder  zeigen  sich  doch  an  dessen  Eingang,  um  mit  ihrer  schwarzen 
Bemalung  und  ihren  grotesk-fürchterlichen  Kostümen  die  Zuschauer 
teils  in  Schrecken,  teils  in  Heiterkeit  zu  versetzen.  Die  grotesken 
Teufelsgestalten  der  mittelalterlichen  Bühne  sind  uns  ja  durch  die  Dar- 
stellungen mittelalterlicher  Gemälde  bekannt.  Wenn  wir  uns  auf  diese 
verlassen  dürfen,  obwohl  die  Maler  bei  aller  Abhängigkeit  von  den  mit 
eigenen  Augen  gesehenen  Teufelsschaustellungen  gerade  hier  auch  ihre 
eigene  Phantasie  haben  reichlich  walten  lassen,  so  sind  sogar  nackte 
Teufel  mit  obszönsten  Attributen  aufgetreten.  Jedenfalls  waren  diese 
Teufelsgestalten  höchst  grotesk,  wie  überhaupt  das  Groteske  in  jenen 
Zeiten  viel  stärker  entwickelt  war  als  in  unseren  heutigen  rationalistisch- 
gesitteten Zeiten.  Daß  derartige  Vorstellungen  sich  bei  dem  Volke 
großer  Beliebtheit  erfreuten,  kann  uns  wohl  kaum  verwundern.  Im 
Kasperletheater  leben  sie  ja  heute  noch  fort.  Und  daß  sie  auch  auf 
der  geistlichen  Volksbühne  bis  in  die  moderne  Zeit  hinein  fortlebten, 
zeigt  uns  ein  von  Pichler  im  „Drama  des  Mittelalters  in  Tirol"  abge- 
druckter Bericht,  worin  der  Dechant  in  einer  Eingabe  an  das  k.  k. 
Kreisamt  zu  Schwatz  vom  i8.  September  1816  meint,  die  leidenschaft- 
liche Schauspiellust  mancher  Gemeinde  auf  dem  Lande  könnte  von 
selbst  erlöschen,  wenn  man  die  religiösen  Theaterstücke  von  den 
Teufelsszenen  reinige.  König  Maximilian  hielt  es  ja  auch  für  nötig, 
181 1  den  Teufel  aus  dem  Oberammergau  er  Passionsspiel  zu  verbannen. 


24 


Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 


Ein   stärkerer  Beweis   für   die  Beliebtheit   der  Teufelsszenen   bis  ins 
19.  Jahrhundert  hinein  ist  wohl  nicht  zu  geben. 

Es  ist  damit  wohl  verständlich,  daß  die  Komik  sich  frühzeitig  des 
Teufelsstofifes  zu  ihrer  Betätigung  bemächtigte.  Am  frühesten  er- 
blicken wir  die  Teufelsszenen  in  dem  Wiener  Osterspiel  des  13.  Jahr- 
hunderts. Die  vollendetste  Gestalt  aber  in  dieser  Richtung  hat  wieder- 
um das  bereits  seiner  künstlerischen  Form  wegen  hervorgehobene 
Redentiner  Osterspiel.  Wir  besitzen  einen  Abdruck  sowohl  in  Mones 
„Schauspielen  des  Mittelalters"  als  auch  in  der  dankenswerten  Ausgabe 
Fronings  „Das  Drama  des  Mittelalters"  in  Kürschners  Deutscher 
Nationalliteratur.  Nachdem  die  Altväter  in  der  Vorhölle  das  Kommen 
Jesu  begrüßt  haben,  ruft  Luzifer  seine  Gesellen  zusammen.  Die 
Komik  besteht  in  der  Angst  Luzifers  vor  Jesus,  den  Satanas  glaubte 
für  die  Hölle  einfangen  zu  können.  Doch  ist  die  Komik  nicht  ob- 
jektiv, sondern  nur  subjektiv  in  dem  Bewußtsein  der  wissenden  Zu- 
schauer, daß  diese  sich  so  klug  dünkenden  Teufel  eben  doch  Toren 
sind,  denen  all  ihre  Schläue  Jesus  gegenüber  nichts  nützen  wird. 
Auf  diese  Einleitung  folgt  dann  die  Erscheinungsszene  Jesu.  Mit 
Macht  werden  die  Höllenriegel  gesprengt,  Luzifer  in  Ketten  ge- 
legt und  die  Altväter  befreit.  Der  letzte,  der  die  Hölle  verläßt, 
ist  Johannes  der  Täufer,  der  auch  der  letzte  war,  der  in  sie  ge- 
kommen ist.  Dieser  Johannesgestalt  wird  auch  ein  etwas  komischer 
Anstrich  gegeben,  wohl  schon  auf  Grund  des  biblischen  Berichtes, 
daß  er  in  der  Wüste  sich  von  wildem  Honig  nährte  und  sich  mit 
Kamelhaaren  kleidete.  Er  wird  daher  auch  auf  der  Bühne  mit  einem 
rauhen  Fell  dargestellt.  Die  Teufel  Tutevillus  und  Satanas  wollen  ihn 
festhalten,  doch  er  wehrt  sie  derb  und  handgreiflich  ab.  Damit  sind 
die  Teufel  nun  allein  in  der  Hölle,  und  Puck  schilt  seinen  Meister 
und  Herrn  gewaltig  ob  seiner  Schwäche  aus,  und  höhnisch  fügt  er 
hinzu,  es  sei  ja  wohl  auch  recht,  daß  der  Herr  aus  weichem  Erlen- 
holz den  Knecht  aus  hartem  Eichenholz  bezwinge.  Wir  können 
es  uns  leicht  vorstellen,  mit  welcher  Schadenfreude  die  sich  im  Innern 
doch  vor  dem  Teufel  fürchtenden  Zuschauer  zuhörten,  wenn  sein 
eigener  Unterteufel  seine  Schwäche  verhöhnt  und  ihn  ausschmäht,  und 
wenn  der  doch  sonst  so  mächtige  Luzifer  nichts  als  ohnmächtige 
Klagen  über  den  gewalttätigen  Jesus  zu  äußern  weiß. 

Der  letzte  Vers  in  Luzifers  Klage  ist  bereits  die  Vordeutung  auf  die 
am  Schlüsse  des  Osterspiels  angehängten  Teufelsszenen,  worin  Luzifer 
der  Rächer  aller  Sündentaten  ist.  Damit  kommen  wir  erst  zum  eigent- 
lichen Teufelsspiel.  Was  wir  bisher  gehört  haben,  ist  nur  Beiwerk  zu 
Christi  Höllenfahrt.  Durch  die  Befreiung  der  Seelen  ist  aber  nun  die  Hölle 
leer  geworden,  ihre  Neufüllung  bildet  die  Grundlage  der  Handlung  vom 
eigentlichen  Teufelsspiel.  Es  besteht  aus  verschiedenen  Szenen:  Lu- 
zifer beruft  die  Teufel  zusammen,  Teufelrevue,  Aussendung  der  Teufel, 
Gerichtssitzung  über  die  herbeigeführten  Seelen.    Schon  Mone  hat  in 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Teufelsspiel.  25 

diesem  Spiele  zwei  Seiten  der  Komik  gesehen :  i .  die  angemaßte  Klug- 
heit des  Teufels  wird  zuschanden  (Satanas),  2.  die  Standessatire, 
worin  die  Teufelskomödie  wieder  Menschenkomödie  wird. 

Die  Verknüpfung  dieser  Teufelsspiele  mit  dem  Handlungsverlauf 
der  Oster-  und  Passionsspiele  ist  verschiedener  Art.  In  den  Oster- 
spielen selbst  sind  sie  die  Folgen  der  Höllenfahrt  Christi,  in  den 
weit  ausgedehnten  Passionsspielen,  die  am  liebsten  das  ganze  neue 
und  alte  Testament  in  tagelangen  Aufführungen  dramatisch  darstellen 
möchten,  sind  sie  die  Folge  des  Sündenfalls  von  Adam  und  Eva.  In 
letzteren  ist  der  Teufel  das  Symbol  der  dadurch  in  die  Welt  gekommenen 
Erbsünde  und  zugleich  ihr  Rächer.  Oder  aber  die  Teufelsspiele  stehen 
ausschließlich  auf  dem  Boden  des  neuen  Testaments  und  fügen  sich  in 
das  mit  Christus  begonnene  Erlösungswerk  ein,  indem  sie  das  retar- 
dierende Moment  der  Handlung  darstellen.  Dementsprechend  ist  ihre 
Stellung  innerhalb  des  Handlungsablaufs  ganz  verschieden  in  ver- 
schiedenen Spielen.  Sie  sind  nicht  nur  Zwischenspiele,  sondern 
können  auch,  wie  etwa  im  Alsfelder  Passionsspiel,  Vorspiel  oder,  wie 
im  Redentiner  Osterspiel,  Nachspiel  sein.  Der  äußere  Anlaß  der 
Teufelsspiele  ist  die  Vorliebe  des  Volkes  für  Teufeleien  und  die 
Stillung  dieser  Teufelslust  durch  die  Spielleute  und  fahrenden  Kle- 
riker. Es  ist  ein  Vorherrschen  des  Theaters  gegenüber  dem  Drama, 
Schaustellung  gegenüber  Darstellung.  Dies  rein  theatralische,  un- 
dramatische Gepräge  der  Teufelsspiele  führt  bis  zur  Überschreitung 
der  Bühnengrenzen,  indem  im  Verlaufe  der  Vorstellung  gelegentlich 
die  Teufel  unter  die  Zuschauer  springen,  um  einzelne,  die  vielleicht 
sich  als  Ruhestörer  benommen  haben,  auf  die  Bühne  zu  schleppen 
und  dort  in  den  Höllenrachen  zu  werfen. 

Die  für  das  Drama  lebensnotwendige  Illusion  ist  dadurch  unter- 
brochen zugunsten  von  Theaterefifekten.  Es  ist  uns  heute  schwer,  an 
die  Illusionswirkung  der  mittelalterhchen  Bühne  zu  glauben,  wo  wir 
weder  Nacheinander  der  Örtlichkeiten  im  Handlungsablauf  durch  natu- 
ralistischen Bühnenbildwechsel  noch  Neutralisation  der  Örtlichkeiten 
durch  Idealbild  erleben.  Die  mittelalterliche  Bühne  zeigt  sämtliche 
im  Handlungsablauf  vorkommenden  Örtlichkeiten  von  Anfang  bis  zu 
Ende  des  Spiels  nebeneinander  auf  der  Bühne,  und  in  den  meisten 
Fällen  sind  auch  die  Schauspieler  von  vornherein  alle  an  ihren  Plätzen 
durch  die  ganze  Vorstellung  hindurch.  Der  Zuschauer  ist  wirklich '^ 
Zeuge,  wie  der  einzelne  vom  Himmel  durch  die  Welt  zur  Hölle  ge-  | 
langt;  Himmel,  Welt  und  HöUe  liegen  nebeneinander  auf  der  Bühne 
vor  seinen  Augen.  Von  objektiver  Illusionsursache  kann  dabei  keine 
Rede  sein.  Die  Illusion  des  mittelalterlichen  Schauspiels  ist  rein 
subjektiv  in  den  Zuschauern  selbst  begründet,  in  ihrer  gläubigen  Über- 
zeugung, daß  die  dargestellten  Dinge  wirklich  so  verlaufen  sind  und 
so  verlaufen,  denn  sie  sind,  wenn  auch  keine  Erfahrungstatsachen, 
so   doch,   was   von   viel   größerer  Wahrheit   ist:    Glaubenstatsachen. 


20  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 


Schließlich  hat  auch  hier  das  Augustinische  Wort  Geltung:  Credo, 
quia  absurdum  est. 

Doch  der  Glaube  der  Zuschauer  an  das  Dargestellte  ist  nicht  etwa 
ein  Hinderungsgrund  der  komischen  Wirkung.  Die  Komik  der  Teufels- 
spiele beruht  in  dem  Kontrast  zwischen  dem  Wollen  und  Können  der 
Teufel.  Doch  wird  der  Kontrast  erst  dadurch  komisch,  daß  dem  objek- 
tiven Streben  der  Teufel  gleichzeitig  das  subjektive  Wissen  der  Zu- 
schauer von  dessen  Erfolglosigkeit  entspricht.  Die  Komik  ist  also 
verursacht  durch  den  angeschauten  Versuch  am  untauglichen  Objekt. 
Und  deshalb  ist  der  Glaube  der  Zuschauer  an  die  Wirklichkeits- 
existenz der  Teufel  nicht  etwa  hindernd  für  das  Komische,  sondern 
fördernd.  Gerade  weil  die  Zuschauer  an  die  Macht  des  Bösen  glauben, 
so  fassen  sie  die  Worte  der  Teufel  nicht  als  offenbare  Lüge  und  Unmög- 
lichkeit auf,  sondern  im  Augenblick  des  Sehens  und  Hörens  glauben  sie 
an  deren  Möglichkeit,  an  deren  Ausführbarkeit.  Aber  sofort  wird  dieser 
Bewußtseinsinhalt  durch  die  größere  Sicherheit  der  Heilswahrheit  über- 
wunden. Die  Befürchtung  schlägt  im  Entstehen  um  in  die  heitere 
Gewißheit  des  Unbegründeten.  Dieser  plötzliche  Umschlag  in  statu 
nascendi  der  Furcht  in  Sicherheit  ist  die  komische  Kontrastwirkung 
der  Teufelsdarstellungen.  Da  diese  Komik  aber  zu  ihrem  Entstehen 
die  Überzeugung  von  vorausbestimmten  göttlichen  Werten  voraus- 
setzt, so  ist  sie  Weltanschauungskomik.  Weltanschauungskomik  aber 
ist  Humor.  Das  Teufelsspiel  ist  seinem  Grundcharakter  gemäß  also 
humorisch. 

Darin  liegt  ein  Gegensatz  zu  dem  Quacksalberspiel  und  dem  Ritter- 
spiel. Diese  beiden  Urkomödien  sind  realistische  Abbilder  eines  Aus- 
schnitts aus  der  sinnlich  wahrnehmbaren  Welt.  Nach  unserer  Unter- 
scheidung der  beiden  Hauptkomödienarten  in  Schwank  und  Lustspiel 
sind  sie  also  Schwanke.  Sie  beruhen  auf  objektiver  Komik,  wobei 
auch  Wortwitze,  die  als  solche  natürlich  nur  in  dem  subjektiven  Zu- 
hörer durch  intellektuelle  Verknüpfung  komisch  wirken  können,  dazu 
rechnen,  denn  sie  beruhen  ja  auf  Wahrnehmung.  Wir  können  also 
den  Schwank  weiter  bestimmen,  daß  seine  Komik  objektiver  Art  ist. 
Das  Teufelsspiel  rechnet  mit  Komik  subjektiver  Art.  Die  von  ihm 
bewirkte  Komik  beruht  nicht  nur  auf  Sehen  oder  Hören,  nicht  nur 
auf  Bewußtseinsinhalten,  die  durch  Wahrnehmung  des  Dargestellten 
entstanden  sind,  sondern  auf  Bewußtseinsinhalten,  die  unabhängig 
von  der  Darstellung,  ja  unabhängig  von  allem  durch  die  Sinne  Wahr- 
nehmbaren im  Zuschauer  vorhanden  sind  als  Glaubenstatsachen, 
Subjektive  weltanschauliche  Komik  oder  Humor  ist  also  die  Grund- 
lage des  Teufelsspiels  und  läßt  es  uns  daher  nicht  zu  den  Schwänken, 
sondern  zu  den  Lustspielen  rechnen.    Es  ist  das  Urlustspiel. 

Damit  ist  aber  nicht  gesagt,  daß  es  keine  objektive  Komik  enthalte. 
Alles  bisher  über  die  Teufelsdarstellungen  auf  der  mittelalterlichen 
Bühne  Erwähnte  beweist  gerade  das  Gegenteil.    Es  sind  starke  und 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Teufelsspiel.  27 

ausgebreitete  Schwankelemente  im  Teufelsspiel  wirksam.  Es  gibt  über- 
haupt bis  auf  die  heutige  Zeit  kaum  ein  Lustspiel,  das  sich  nicht  der 
Schwankkomik  bedient,  um  das  Lachen  zu  erregen.  Selbst  in  den 
„Meistersingern"  finden  wir  sie  wirksam,  ich  erinnere  nur  an  die  nächt- 
liche Prügelszene. 

Auf  Grund  dieser  allgemeinen  Charakteristik  des  Teufelsspiels  als 
humorischem  Lustspiel  mit  starken  Schwankbeimischungen  betrachten 
wir  zunächst  das  Vorkommen  der  Teufelsfigur  im  Alsfelder  Passions- 
spiel. Dieses  ist  die  Veranschaulichung  des  Lebens  und  Leidens  Christi. 
Die  Darstellung  der  Leiden  Christi  erfordert  aber  den  Hinweis  auf 
den  Urheber  des  Leidens,  wie  des  Leids  der  Menschheit  überhaupt. 
Das  ist  der  Teufel.  Die  höllischen  Kräfte  sind  im  Widerstreit  mit 
der  himmlischen  Macht  und  suchen  sie  zu  verderben,  suchen  das 
Elend  aller  Menschen  zu  bewirken  und  deshalb  ihre  Erlösung  durch 
den  Herrn  zu  hintertreiben.  Die  Teufel  sind  daher  in  dem  vorliegenden 
Spiel  das  retardierende  Moment,  Ihre  Bedeutung  wird  dadurch  betont, 
daß  der  Eingang  des  Spiels  nach  dessen  Ankündigung  sofort  die 
Teufel  in  den  Mittelpunkt  stellt.  Wir  sehen  auf  der  Bühne  die 
richtige  Teufelsrevue: 

„Luciper  ascendit  doleum  et  dicit: 
Woil  her,  woil  her  uß  der  hellen,  (dus  uch  die  ridde  muß  schiddenl) 

Sathanas  und  alle  dyne  gesellen  1  und  losset  mich  nit  alleyn  stan, 

kommet  zu  mer,  er  hellerodden  willet  er  anders  den  Ion  von  mer  honn  I 

Et  tunc  omnes  dyaboli  circueunt  doleum  corisando  et  cantando : 
Lucifer  in  dem  throne,  ryngelyn  ryss  [ 
der  was  eyn  engel  schone,  ryngelin  ryss  1"     v.  133  — 190. 

Wir  sehen,  das  Teufelsspiel  setzt  mit  bewußter  Heiterkeit  ein.  Doch 
sofort  schließt  sich  die  ernste  Note  an,  indem  Luzifer  die  Klage  über 
seinen  durch  Hochmut  herbeigeführten  Fall  ertönen  läßt.  Damit  rückt 
das  Teufelsspiel  aus  dem  Rahmen  der  Schwankkomik  heraus  und  betont 
das  Weltanschauungsmotiv,  wodurch  es  zum  Lustspiel  wird.  Doch 
die  Gemüter  der  Zuschauer  sollen  nicht  zu  ernst  gestimmt  werden, 
deshalb  fällt  sogleich  wieder  die  groteske  objektive  Komik  ein,  indem 
die  Teufel  sich  auf  den  predigenden  Höllenfürsten  stürzen  und  ihn 
verprügeln.  Und  nun  offenbart  er  das  Motiv  des  Gegenspiels  im 
Drama : 

,,Nu  radet,  lieben  frunde  und  knecht,  wie  mer  dit  dingk  griffen  an, 

(das  thut  er  als  wol  mit  recht  1)  das  uns  der  zeuberer  Jhesus  nit  entga". 

V.  175  —  178- 

Damit  ist  die  Teufelsrevue  eröffnet.  Einer  nach  dem  andern  der 
Unterteufel  tritt  hervor  und  bringt  seinen  Rat  an.  Der  erste  und 
klügste  ist  Sathanas.  Er  ist  der  eigentliche  Stellvertreter  Luzifers  auf 
Erden.  Er  hat  auch  bereits  einen  Plan,  wie  er  mit  Hilfe  des  Judas 
Jesus  vernichten  will,  ja  er  hat  bereits  große  Vorarbeit  dazu  geleistet. 
Alle,  wie  sie  nun  hervortreten,  erhalten  für  ihren  Eifer  den  höllischen 


28  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 


Lohn.  Die  Zuschauer  sehen  so  mit  Augen  das  höllische  Gegenspiel 
zu  dem  himmlischen  Reich.  Nach  Sathanas  treten  auf  Bone,  Milach, 
Natyr,  Rosenkrancz,  Raffenzaun,  Binckenbangk.  In  weiteren  Über- 
arbeitungen tritt  dazu  noch  eine  ganze  Reihe  anderer  Teufel,  wie: 
Spiegelglantz,  Kreutzlyun,  Federwysch,  Beltzbugk,  Astorodt,  Berith, 
Belial,  Schorbrandt,  Hehhundt,  Schoppenstuch,  Machdantz,  Zegen- 
bart,  Leviathan,  Hellegruck,  des  Teufels  Großmutter.  Nach  diesem 
Teufelsreigen,  dessen  allmähliche  zahlenmäßige  Erweiterung  deutlich 
die  wachsende  Freude  des  Volkes  daran  offenbart,  ziehen  alle  Teufel 
unter  Anführung  Luzifers  mit  Gesang  in  die  Hölle. 

Damit  ist  die  Teufelsrevue  beendet.  Der  Teufel  ist  darin  nicht 
so  sehr  als  Rächer  begangener  Sünden,  als  wie  als  Anstifter  der 
Sünden,  als  böses  Prinzip  dargestellt.  Wie  dieses  im  einzelnen  wirkt, 
zeigt  die  folgende  Spielentwicklung,  die  eigentlich  aus  einer  Anein- 
anderreihung selbständiger  Szenengruppen  besteht. 

,    .  e)  Täuferspiel. 

Zunächst  das  Täuferspiel,  worin  Johannes  der  Täufer  als  Vorläufer 
Jesu  im  Mittelpunkte  steht.  Diese  Szenengruppe  ist  überaus  geschickt 
in  der  dramatischen  Entwicklung  aufgebaut.  Sie  verdiente  wohl  auch 
heute  noch  aufgeführt  zu  werden. 

Wir  haben  in  dem  Täuferspiel  ein  vollendetes  kleines  Lustspiel 
vor  uns.  Das  Gute  triumphiert,  das  Böse  wird  bestraft.  Der  Unter- 
gang des  Täufers,  der  in  der  Ausübung  seiner  heiligen  Berufspflicht 
stürzt,  also  in  der  Befolgung  einer  göttlichen  Idee  durch  den  Wider- 
streit mit  dem  in  der  Menschheit  wirkenden  teuflischen  Prinzip  sein 
eigenes  Leben  zerstört,  ist  tragisch.  Doch  mit  weisem  Bedacht  ist 
diese  tragische  Wirkung  aufgehoben  durch  die  Versicherung  seines 
ewigen  Lebens.  Die  Stimmung  der  Zuschauer  wird  noch  weiter  durch 
die  komischen  Schwankelemente  in  ihrem  Heiterkeitscharakter  bestärkt; 
hierzu  rechnen  auch  die  beiden  Schergen  Quancz  und  Sreddel,  die 
wie  Urtypen  der  Polizisten  in  Shakespeares  Falstaffszenen  anmuten. 
Der  sittliche  Ernst,  der  das  Stück  durchzieht,  und  der  in  der  gläubigen 
Weltanschauung  seine  Grundlage  hat,  verhindert  aber  eine  possen- 
hafte Wirkung.  Es  ertönt  als  Gesamterfolg  kein  lautes  Lachen,  sondern 
das  in  der  Sicherheit  gefestigter  Weltanschauung  herrschende  humo- 
rische Lächeln  wird  geweckt. 

Die  dramaturgische  Funktion  der  vorausgehenden  Teufelsrevue  in 
bezug  auf  dieses  und  die  folgenden  Spiele  ist  etwa  zu  vergleichen 
mit  der  von  Wallensteins  Lager  in  der  Wallenstein -Trilogie.  Es  er- 
übrigt sich,  alle  Szenen  und  Szenengruppen  zu  betrachten,  in  denen 
der  Teufel,  das  Prinzip  des  Bösen,  eine  Rolle  spielt.  Der  innere 
dramatische  Konflikt  ist  stets  auf  den  christlichen  Dualismus  von  Gut 
und  Böse,  Himmel  und  Hölle,  Gott  und  Teufel  gestellt.  Nur  eine 
Szenengruppe  soll  hier  noch  besprochen  werden,  weil  sie  zu  großer 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Täuferspiel.    Magdalenenspiel.     29 

Bedeutung  im  Mittelalter  gelangte,  weil  in  ihr  das  volkstümliche  Ele- 
ment besonders  stark  vordrängte:  das  Magdalenenspiel. 

f)  Magdalenenspiel. 

Maria  Magdalena  verkörpert  die  weltliche  Sinnlichkeit.  Hinter  ihr 
steht  Luzifer  mit  seinen  Gesellen,  der  sie  durch  Lebensgenuß  dem 
himmlischen  Reich  abtrünnig  machen  und  für  die  Hölle  gewinnen 
will.  Auf  der  anderen  Seite  steht  die  warnende  Schwester  Martha,  die 
die  himmlische  Macht  vertritt.  Wir  erleben  also  den  Kampf  des  guten 
und  bösen  Prinzips  um  eine  Seele,  wie  es  uns  allen  aus  zahlreichen 
Beispielen  der  Dichtung  bekannt  ist.  Dieser  Kampf  der  beiden  ent- 
gegengesetzten Mächte  um  die  menschliche  Seele  wird  besonders  ver- 
anschaulicht, wenn  Martha  ihre  Schwester  zu  belehren  versucht  und 
Luzifer  sie  auf  der  anderen  Seite  zu  verführen  bestrebt  ist.  Die 
Szenengruppe  erhält  frische,  lebenswarme  Farben  durch  die  Einflüsse 
der  Dorfpoesie,  worin  die  Freude  an  sinnlicher  Realistik  sich  kund- 
gibt. Diese  ist  vor  allem  wirksam  in  dem  fest  in  literarischer  Tradition 
stehenden  Mantellied  Magdalenens,  einer  Art  Mädchenbeichte  ihrer 
Mutter  gegenüber  über  eine  Liebesstunde  im  Felde.  Die  sinnenfrohe 
Lebenslust  Magdalenens,  ihre  Freude  am  Spiel,  Tanz  und  Liebes- 
genuß ist  mit  derben  Farben  gemalt.  Die  Parallele  mit  der  Garten- 
szene in  Goethes  Faust  drängt  sich  dabei  auf,  wenn  wir  sehen,  wie 
in  ihrem  Schäferstündchen  zwei  Paare  einander  gegenübergestellt 
sind:  Magdalene  und  ihr  Liebhaber  auf  der  einen  Seite,  ihre  Magd 
und  der  Teufel  auf  der  anderen.  Um  in  unserem  Spiel  das  gute 
frohe  Ende  herbeizuführen,  wird  die  Gestalt  des  Heilands  eingeführt, 
der  die  Bekehrung  der  schönen  Sünderin  bewirkt.  Wiederum  haben 
wir  also  ein  geschlossenes  Spiel  im  Spiel,  das  wir  ebenfalls  wie  das 
Teufelsspiel  ein  Lustspiel  nennen  dürfen;  ohne  Schwank  zu  sein  be- 
dient es  sich  doch  dessen  Komikmittel  im  Dienste  seines  Hauptziels, 
humorische  Heiterkeit  zu  erregen. 

Es  ist  auch  wieder  lateinischen  Ursprungs,  sein  Thema:  „Es  wird  ihr 
viel  vergeben,  denn  sie  hat  viel  geliebt"  wird  ja  auch  noch  in  manchen 
Magdalenenszenen  lateinisch  gesungen.  Schon  in  einem  der  ältesten 
Passionsspiele,  dem  Benediktbeurer,  ist  das  Magdalenenspiel  mit  allen 
charakteristischen  Zügen  ausgeführt.  Es  läßt  sich  an  dieser  Form  wie 
an  den  später  davon  abgeleiteten  gut  zeigen,  wie  für  die  weltlichen 
Züge  der  Dichtung  vor  allem  die  Volks-  und  Dorfpoesie  herangezogen 
wird,  für  die  geistlichen  Züge,  wie  die  Klage  der  Bekehrten  über  ihre 
Sündhaftigkeit,  die  Bildungspoesie,  die  geistliche  Dichtung,  die  Marien- 
klagen. Am  konsequentesten  ausgearbeitet  ist  das  Magdalenenspiel 
in  der  Form,  wie  es  in  dem  IV.  Erlauer  Spiel  vorliegt:  ludus  Mariae 
Magdalenae  in  gaudio.  Gegenüber  der  im  Alsfelder  Passionsspiel 
überlieferten  Form  tritt  hier  eine  Erweiterung  hinzu,  die  mir  deutlich 
auf  den  Mimus  zu  weisen  scheint.    Die  Figur  der  Kupplerin  tritt  auf, 


ßO  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

an  welche  sich  der  Liebhaber  zunächst  um  Vermittlung  wendet,  und 
die  gegen  klingenden  Lohn  bereit  ist,  ihn  mit  dem  Ziel  seiner  Wünsche 
zusammenzubringen.  Einzelne  Züge  erinnern  uns  an  die  Elegien- 
komödie, vor  allem  an  die  von  Creizenach  so  benannte  „Baucis";  u.  a. 
der  Zug,  daß  die  Magd  Magdalena  bestimmt,  sich  zu  schmücken,  sich 
Schminke  zu  kaufen,  wobei  diese  Stelle  die  Brücke  zur  Salbenkrämer- 
szene  bildet.  Im  Gegensatz  zu  den  anderen  Überlieferungen  zeigt  sich 
Magdalena  hier  zuerst  spröde.  Sie  begehrt  kein  Silber  und  Gold,  sie 
begehrt  wahre  Liebe.  Auch  als  der  Freier  sich  ihr  selbst  nähert,  hat 
sie  zunächst  nur  Hohn  für  seine  Liebesglut.  Ein  glücklicher  Zug  des 
Erlauer  Spiels,  das  sonst  durch  allerlei  Wiederholungen  an  Wert  ein- 
büßt, ist,  daß  Magdalena  gerade  im  bewußten  Gegensatz  zur  warnenden 
Schwester  sich  mit  dem  Liebhaber  einläßt.  Hierin  zeigt  sich  psycho- 
logischesVerständnis  des  Dichters.  Doch  wird  dieser  Zug  nicht  weiter  aus- 
geführt. Es  bleibt  bei  neckischem  Wechselgesang  zwischen  Magdalena 
und  ihrem  Liebhaber.  Dieser  Wechselgesang  ist  stark  an  die  Minne- 
dichtung angelehnt  und  zeigt  wiederum,  wie  die  weltliche  Poesie  in 
die  geistliche  eindrang.  Gelegentlich  geht  sie  ins  derb  Sexuelle  über, 
wenigstens  scheinen  mir  die  Strophen  über  die  Griffelschreiber  nicht 
nur  auf  einen  Schreiber  als  begünstigten  Liebhaber  hinzuweisen.  Der 
Wechselgesang  endet,  indem  der  Buhler  die  höhnende  Schöne  mit 
dem  Schwerte  bestrafen  will.  Darauf  setzt  wieder  ein  Bekehrungs- 
versuch Marthas  ein,  der  diesmal  von  Erfolg  gekrönt  ist  und  den 
Schluß  herbeiführt.  Auch  hier  wieder  mag  eine  psychologische  Über- 
legung des  Dichters  zugrunde  liegen,  daß  die  durch  die  Drohung 
geängstigte  Magdalena  in  ihrer  Furcht  nun  um  so  eher  geneigt  ist, 
ihrem  weltlichen  Treiben,  das  solche  leiblichen  Gefahren  mit  sich 
bringt,  Valet  zu  sagen. 

Das  ganze  Spiel  ist  durch  die  Gesangsform  allerdings  eher  ein  Sing- 
spiel als  ein  Lustspiel.  Aber  auch  hier  sehen  wir  wieder,  daß  dichterische 
Kunst  innerhalb  des  geistlichen  Schauspiels  sich  vor  allem  in  den  welt- 
lichen, den  komisch-humorischen  Szenen  betätigt.  Daß  das  Wesen  alles 
dramatischen  Geschehens  Spannung  ist,  hat  der  Dichter  der  Magda- 
lenenspiele  rechtzeitig  erkannt.  Die  Spannung  ist  erregt  durch  die  Zweifel 
im  Zuschauer:  wird  Magdalena  sich  ihrem  weltlichen  Treiben  überlassen, 
oder  wird  sie  sich  zum  Besseren  wenden.  Die  letztere  Entscheidung 
ist  für  den  gläubigen  Zuschauer  lusthaltig.  Marthas  Warnung  arbeitet  in 
dieser  Richtung.  Ihre  Wiederholung  steigert  daher  die  erregte  Spannung. 

Das  eben  besprochene  Erlauer  Spiel  beschäftigt  uns  aber  noch 
weiter  durch  seine  Verknüpfung  mit  dem  Teufelsspiel.  Es  besteht  aus 
zwei  deutlich  getrennten  Teilen:  dem  Teufelsspiel  und  dem  Magda- 
lenenspiel.  Der  Zusammenhang  beider  ist  durch  die  Tradition  ge- 
geben, die  Tradition  selber  mag  begründet  sein  in  dem  Evangelien- 
bericht, daß  Jesus  der  Magdalena  sieben  Teufel  ausgetrieben  habe, 
Marc.  i6, 9,  „Maria  Magdalena  de  qua  eiecerat  septem  daemonia". 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele :  Teufels-  und  Sünderspiel.        3 1 

g)  Teufels-  und  Sünderspiel. 

Das  Teufelsspiel  selbst  besteht  ebenfalls  aus  zwei  Teilen:  einer 
Teufelsrevue  und  einer  Sünderrevue.  In  der  Teufelsrevue  preisen  die 
Unterteufel  Sathanas,  Astaroth,  Tutivill,  Rosenchranz,  Lasterpalkch, 
Nothir  ihrem  Herrn  ihre  Tätigkeit  an,  Luzifer  endet  diesen  Teufels- 
reigen mit  der  höllischen  Beschwörungsformel: 

„Jucafatus  pratus,  vultus  chusultus,  hanglangko  langko,  polfortus  stortus, 

spentus  rimentus,  horante  corante,  schygo  ertrigo,  räkus  protäkus, 

mulsus  molsus,  schibuntus  truncus,  propdesancus,  ein  teufel  haißt  lankusl" 

V.  132  —  137. 

und  er  schließt  daran  die  Aufforderung  an  seine  Gesellen,  auszufahren 
und  ihm  Seelen  herbeizuführen.  Die  teuflische  Beschwörungsformel 
ist  ein  unverständliches  Kauderwelsch,  wie  wir  es  heutzutage  noch 
in  volkstümlichen  Zauberformeln,  Hokuspokus  usw.,  beliebt  und  ver- 
breitet finden,  und  wie  wir  es  in  dem  parodistischen  Judengesang 
kennenlernten. 

Nach  Luzifers  Aufforderung  schwärmen  die  Teufel  sofort  auf  den 
Seelenfang  aus,  und  ohne  weitere  Unterbrechung  beginnt  der  Sünder- 
reigen. Dies  war  auf  der  mittelalterlichen  Bühne  des  Nebeneinanders 
ohne  weiteres  begreiflich.  Die  Teufel  brauchten  nur  ihren  Höllen- 
standort zu  verlassen  und  waren  damit  sofort  in  der  Menschenwelt. 
Die  örtliche  und  zeitliche  Koexistenz  machte  weitere  Begründung  über- 
flüssig, wenn  wir  uns  auch  vorstellen  mögen,  daß  die  Teufel  zunächst 
mal  ihre  grotesken  Sprünge  zur  Belustigung  des  Volkes  vorführten, 
bevor  sie  ihr  erstes  Opfer  vor  Luzifer  schleppten. 

Ebenso  wie  die  Teufelsrevue  ist  der  Sünderreigen  ohne  jede  drama- 
tische Steigerung,  ohne  jeden  dramaturgischen  Aufbau.  Am  meisten 
erinnert  er  an  die  im  Mittelalter  so  beliebten  Totentänze,  wobei  eben- 
falls das  Grundmotiv  ist,  daß  keinerlei  Stand  vor  dem  Tode  schützt. 
Dem  inneren  Zwecke  nach  ist  damit  eine  Standessatire  verknüpft. 
Satire,  um  Allgemeinwert  zu  besitzen,  muß  stets  typisch  sein.  Außer- 
dem ist  die  Kunst  mittelalterlicher  Dramatik  noch  nicht  so  weit  ent- 
wickelt —  sie  zielt  auch  gar  nicht  dahin  — ,  um  Einzelpersönlichkeiten 
in  frischen  Lebensfarben  vor  uns  erstehen  zu  lassen.  Sei  es  nun 
psychologisches  Verständnis  für  das  Wesen  der  Satire,  oder  sei  es 
künstlerische  Unfähigkeit  in  der  Menschengestaltung,  jedenfalls  werden 
keine  Individuen  vorgeführt,  sondern  Standes  Vertreter,  Standestypen. 
Es  erklären  daher  die  nacheinander  vorgeführten  Seelen  ganz  unindi- 
viduell: Herr,  ich  pin  ein  sneider,  ein  schuster,  ein  rauber,  ein  pekch, 
ein  leutgeb,  und  beichten  sodann,  wie  sie  in  der  Ausübung  ihres  Hand- 
werks die  Leute  betrogen  haben.  Luzifer,  der  Gerichtsherr,  verdammt 
sie  darauf  zu  entsprechenden  HöUenstrafen.  Abwechslung  kommt  in 
diese  Gleichförmigkeit,  wenn  die  Schüler,  Schreiber  und  die  Dirne 
auftreten.  Letztere  läßt  Luzifer  laufen,  weil  sie  ihr  sündliches  Treiben 
„durch  hübscher  chnaben  willen  getan"  hat  und  durch  ihren  weiteren 


32 


Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 


Lebenswandel  in  dieser  Richtung  verspricht,  noch  mehr  Seelen  der 
Hölle  zu  überliefern.  Schüler  und  Schreiber  kommen  frei,  weil  sie 
in  ihrer  Durchtriebenheit  und  SinnUchkeit  selbst  vor  des  Teufels  Mutter 
nicht  haltmachen  würden;  „sie  würden  mir  prüeder  machen  an  der 
muter  mein",  deshalb  will  Luzifer  sie  nicht  in  der  Hölle  haben.  Wir 
sehen,  die  Geistlichen  und  Gelehrten  sind  selbst  dem  Teufel  zu  schlecht. 
Diese  bittere  Satire,  in  der  natürlich  wieder  sexuelle  Komik  Gelegen- 
heit hat,  sich  in  derbster  Weise  auszutoben,  kann  nicht  von  einem 
Mönche  oder  einem  in  Amtswürde  stehenden  Geistlichen  stammen; 
dagegen  wäre  sie  von  den  Spielleuten  und  Vaganten  wohl  zu  erwarten. 
Die  selbstbewußte  Ironie  ist  einem  der  fahrenden  Geistlichen,  der 
Scholaren  zuzutrauen;  er  wird  auch  mit  dem  Teufel  fertig  und  ruft 
ihm  spöttisch  zu: 

„Da  mit  so  lauff  ich  enwekch, 

her  teufl,  habt  euch  mein  drekchl" 

Damit  ist  das  Teufelsspiel  beendet,  das  bereits  betrachtete  Magda- 
lenenspiel  beginnt.  Weiter  ausgestaltet  und  künstlerisch  vollendeter 
ist  das  Teufelsspiel  in  dem  Redentiner  Osterspiel,  als  Nachspiel  der 
Auferstehung  angehängt.  Sein  Inhalt  ist  in  dem  Nachwort  des  ganzen 
Spiels  durch  den  Conclusor  gegeben: 

„Nu  is  US  up  dat  leste  en  bylde  gheven, 

wo  de  lüde  van  allen  ammeten  werden  to  ter  helle  dreven: 

dat  enthe  sik  numment  to  hone, 

men  malk  hebbe  syner  sunde  schone  1 

wente  des  arghen  schut  leyder  mer  unde  vele, 

wemme  wol  kan  unde  doer  brynghen  to  speie 

edder  wemme  kan  beschryven".     v.   2008  —  2014. 

Hieraus  erkennen  wir,  daß  der  Dichter  bewußt  den  Charakter  seines 
Teufelsspiels  auf  die  Standessatire  einstellt,  daß  er  dazu  allgemeine 
Typen  und  keinerlei  bestimmt  gezeichnete  Individuen  vorführen  will. 
Außerdem  darf  vielleicht  aus  diesen  Schlußworten,  jedenfalls  aber  aus 
dem  vorgeführten  Spiele  selbst,  geschlossen  werden,  daß  es  dem  Dichter 
in  erster  Linie  auf  die  Darstellung  der  Sündertypen  ankommt  und  erst 
dann  auf  die  dadurch  zu  bewirkende  Besserung  der  Zuschauer,  wie 
ja  alle  Satire  ihrem  inneren  Wesen  nach  eine  moralisch  lehrhafte  Ten- 
denz in  sich  schließt.  Wir  dürfen  daher  in  des  Dichters  Schaffen  mehr 
ästhetisches  denn  didaktisches  Streben  erblicken.  Die  lehrhafte  Ten- 
denz des  mittelalterlichen  Schauspielers  im  ganzen,  die  in  der  Ver- 
anschaulichung der  theoretischen  Glaubensüberzeugungen  beruht,  wird 
dadurch  nicht  beeinträchtigt.  Der  Dichter  löst  diese  didaktische  Ge- 
samtaufgabe im  einzelnen  mit  ästhetischen  Mitteln.  Im  Redentiner 
Teufelsspiel  hat  ein  überlegener  Geist  den  mittelalterlichen  Teufels- 
glauben dramatisch  gestaltet,  hier  waltet  echter  Humor.  Aber  einen 
eigentlichen  dramatischen  Aufbau  besitzt  das  Spiel  doch  nicht.  Es 
fehlt  der  eigentliche  Konflikt,  der  erst  das  Drama  macht;  es  fehlt  die 


Komische  Zwischenspiele  der  Oster-  und  Passionsspiele:  Teufels-  und  Sünderspiel.         33 

eigentliche  Spannung,  die  auf  Lösung  wartet.  Das  Teufelsspiel  ist 
auch  dramatisch  nichts  anderes  als  ein  Reigen,  ein  Nacheinander 
komischer  Wirkungen.  Was  es  aus  der  Primitivität  des  verbindungs- 
losen Nebeneinander  von  Gleichwertigem  heraushebt,  ist  die  humor- 
volle Weltanschauung,  die  das  Ganze  geschaffen  und  durchtränkt.  In 
Einzelheiten  ist  es  dramaturgisch  bedacht,  als  Ganzes  hat  es  keine 
Dramaturgie.  Obwohl  es  wirkungsvoller  ist  als  etwa  das  Täuferspiel, 
so  ist  dieses  doch  dramaturgisch  von  größerer  Bedeutung.  Wenn  wir 
trotzdem  das  Redentiner  Teufelsspiel,  ästhetisch  gewertet,  für  das 
größere  Kunstwerk  erkennen,  so  liegt  dies  in  der  humorischen  Ein- 
heit, die  geboren  ist  aus  der  christlichen  Weltanschauung  eines  für 
seine  Zeit  freien  Menschen:  Alles  Menschliche  und  alles  Teuflische 
ist  nur  relativ  gegenüber  dem  Absoluten  des  Himmels;  ihre  Wirklich- 
keit ist  unbestritten,  aber  die  Wahrheit  kommt  doch  nur  dem  Gött- 
lichen zu. 

Aus  dieser  Weltanschauungssicherheit  heraus  schafft  der  Dichter  und 
erzeugt  mit  dem  Geschaffenen  in  seinen  Zuschauern  eben  diese  Welt- 
anschauungssicherheit, diese  aber  ist  eine  lustbetonte  Empfindung; 
somit  ist  auch  das  Teufelsspiel  ein  echtes  Lustspiel.  Die  Einheit  des 
Täuferspiels  liegt  in  der  Person,  die  Einheit  des  Teufelsspiels  im 
Geistigen.  Doch  um  diese  Einheit  zu  finden,  um  sie  zu  gestalten, 
zur  Wirkung  zu  bringen,  brauchte  das  Teufelsspiel  eine  lange  Ent- 
wicklung. Vor  dem  Redentiner  Spiel  von  1464  gab  es  viele  Teufels- 
spiele. Wir  haben  gesehen,  daß  sie,  rituellen  Ursprungs,  mit  zu  den 
frühesten  Erweiterungen  des  geistlichen  Schauspiels  gehören.  Aber 
zunächst  bleiben  sie  humorische  Posse.  Lustspiel  sind  sie  erst  durch 
den  Dichter  des  Redentiner  Spiels  geworden,  und  es  hieße  sein  Ver- 
dienst kürzen,  wenn  wir  nicht  anerkennen  wollten,  daß  wenigstens 
der  IL  Teil  mit  der  Person  des  Geistlichen  im  Mittelpunkt  spannungs- 
erregende dramaturgische  Kunst  aufweist.  z 

Damit  haben  wir  die  wichtigsten  komischen  Vor-,  Zwischen-  und 
Nachspiele  des  geistlichen  Schauspiels  im  Mittelalter  betrachtet.   Zu-     / 
sammenfassend  können  wir  die  beiden  Grundrichtungen  der  Komödie 
von  Anfang  an  unterscheiden,  und  zwar  auf  der  einen  Seite  die  Posse :  das 
Quacksalberspiel  und  das  Ritterspiel,  auf  der  anderen  Seite  das  Lust-     ''~~^ 
spiel:  das  Täuferspiel  und  das  Teufelsspiel.    Das  Magdalenenspiel  ist     /^ 
eher  ein  Singspiel  zu  nennen  und  steht  als  solches  zwischen  Posse     ^^ 
und  Lustspiel,  wobei  es  aber  deutlich  dem  letzteren  zuneigt.   Gerade 
am  Teufelsspiel   haben  wir  beobachtet,   daß  der  eingangs  erwähnte 
Unterschied  zwischen  beiden  Komödienarten  dem  zwischen  Volkskunst 
und  Bildungskunst  nahekommt,  ohne  sich  aber  damit  zu  decken.    Aus 
allen  Betrachtungen  aber  ergibt  sich    ein  Hauptcharakteristikum   als 
unterscheidend  zwischen  Posse  und  Lustspiel:    Die  Posse  zieht  ihr 
Lustgefühl  aus  dem  Verlachen  dargestellter  Schwächen,  das  Lustspiel 
ergötzt  sich  an  der  Bewährung  dargestellter  Kraft. 

H  o  1 1 ,  Lustspiel.  t 


:? 


^A  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

Außer  den  besprochenen  Szenengruppen,  die  wir  ihres  Gesamt- 
komödiencharakters  wegen  auswähhen,  wären  noch  mancherlei  andere 
komische  Einsprengunge  zu  betrachten,  wie  etwa  die  Gestalt  des  Juden 
Rufus,  die  Schergen  bei  der  Kreuzigung,  Jesus  vor  Herodes.  Doch 
bleiben  dies  komische  Einzelheiten,  die  sich  nicht  zu  selbständigen 
Komödien  zusammenfinden. 

3.  KOMISCHE  SZENEN  DER  WEIHNACHTS- 
UND DREIKÖNIGSSPIELE. 

Ähnlich  wie  die  Oster-  und  Passionsspiele,  über  die  wir  Wirth  wert- 
volle Erhellung  verdanken,  entwickelten  sich  auch  andere  kirchliche 
Liturgien  zu  dramatischen  Gebilden.  Vor  allem  trug  die  Weihnachts- 
feier heiteren  Charakter;  sie  ist  als  Lustspiel  oder  doch  als  lustiges 
Spiel  ausgestaltet  worden.  Eigentlich  dramatischen  Kampf  Charakter 
hat  dieses  nicht,  statt  auf  Konflikt  ist  es  auf  Kontrast  gestellt.  Idealismus 
und  Materialismus,  Supranaturalismus  und  Realismus  sind  in  Maria 
und  Joseph  verkörpert;  Maria  ist  durchaus  die  Auserwählte  des  Himmels, 
die  reine  Magd,  die  spätere  Himmelskönigin;  Joseph  ist  der  Träger 
des  sogenannten  gesunden  Menschenverstandes,  der  irdische  Mensch 
mit  seinen  Trieben  und  Begierden.  Dieser  Gegensatz  von  Weltlichem 
und  Himmlischem  durchzieht  das  ganze  Spiel  und  bestimmt  unter 
reichlichem  Zusatz  von  Elementen  der  Spielmannskomik,  wie  Streit- 
und  Prügelszenen,  seinen  Lustcharakter. 

Verwandt  mit  den  Weihnachtsspielen  sind  die  Spiele  des  bethlehe- 
mitischen  Kindermordes  und  die  Dreikönigsspiele.  Deren  Zentralgestalt 
ist  Herodes.  Herodes  ist  der  böse  Mensch  schlechthin,  das  teuf- 
lische, böse  Prinzip  vermenschHcht.  Er  ist  der  Urvater  der  Bösewichter 
in  der  Entwicklungsgeschichte  des  Dramas.  Die  Darstellung  des  Bösen 
wirkt  abschreckend,  furchtbar,  doch  erst  im  Hinblick  auf  das  von  ihm 
ausgehende  Übel.  Ist  ihm  die  Möglichkeit  des  Tuns  versagt,  dann  ist 
er  gleichsam  seiner  Kraft  beraubt,  er  ist  kastriert,  und  ein  Eunuch, 
der  zeugen  will,  ist  lächerlich.  So  bietet  auch  die  Gestalt  des  Herodes 
dem  gläubigen  Zuschauer  des  Mittelalters  früh  dankbare  Gelegenheit 
zur  komischen  Ausschmückung,  da  der  gläubige  Zuschauer  weiß,  daß 
all  die  Machtmittel  des  großen  weltlichen  Herrn  nichts  gegen  die  himm- 
Hsche  Weisheit  vermögen.  Hierin  kommt  wieder  die  grundverschiedene 
Einstellung  des  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  Menschen  auf  die 
Bühnenvorgänge  in  Betracht. 

Weitere  Veranlassung,  komische  Farben  in  das  Herodesbild  zu 
mischen,  fand  der  mittelalterliche  Dichter  durch  sein  Bestreben, 
den  Eindruck  des  Schrecklichen,  den  der  Kindermörder  auf  die  Zu- 
schauer machen  mußte,  zu  mildern.  Also  aus  psychologischer  Be- 
rechnung. Die  mittelalterliche  Psychologie  aber  arbeitet  ganz  naiv  mit 
Kontrasten.  Unmittelbar  neben  Dunkel  wird  Licht  angesetzt,  unmittel- 
bar auf  Tränen  folgt  Lachen.   Dadurch  wird  die  Entspannung  herbei- 


Komische  Szenen  der  Weihnachts-  und  Dreikönigsspiele.    Legendendramen.  35 

geführt.  Der  Mörder,  um  nicht  die  Zuschauer  durch  die  Wucht  des 
Schmerzes  zu  zermalmen,  muß  sich  stellenweise  komisch  gebärden. 
Die  Jähe  des  Wechsels  stört  nicht,  wenn  nur  der  Wechsel  selbst  vor- 
handen ist.  Die  Komik  ist  demnach  nur  Mittel  zu  dem  Zweck,  das  traurige 
Geschehen  für  die  Fassungskraft  der  Zuschauer  aufnehmbar  zu  ge- 
stalten. Sie  wird  aber  nicht  Selbstzweck.  Dazu  ist  der  Inhalt  und 
Kern  der  Dreikönigsspiele  mit  dem  blutigen  Kindermord  doch  zu  ernst. 
So  mag  uns  denn  auch  das  II.  Erlauer  Spiel,  der  ludus  trium  magorum, 
als  Beispiel  für  die  Dreikönigsspiele  dienen;  es  ist  durchaus  ernst  ge- 
halten, besitzt  aber  komische  Einsprenglinge,  wie  etwa  die  Gestalt  eines 
Narren.    Wes  Geistes  Kind  er  ist,  zeigt  uns  seine  erste  Rede: 

„Tunc  lappa  dicit:  der  mir  tat  we  in  meinem  magen, 

Herr  mir  smirzt  der  mag,  würd  mir  ein  wurst  in  meinen  chragen, 

ez  ist  ze  spat  an  dem  tag,  der  möcht  ich  mich  getrösten  wol; 

sam  mir  der  jungist  ta^:,  und  war  dar  zu  süß  weins  vol, 

wann  ich  nicht  lenger  gefasten  mag;  so  würd  mir  di  zung  zu  dem  guem  pachen, 

ich  wil  den  tisch  dekchen,  und  ich  wurd  alz  ein  esel  lachen. 

mich  möcht  leicht  ein  hunger  wekchen.  Et  sie  imponant  mensalia".       v.  119 — 130. 

Wir  erkennen  sofort  den  Narren  als  direkten  Abkommen  des  Mimen, 
der  in  der  Welt  seiner  sinnlichen  Triebe  lebt,  für  den  sein  Bauch  sein 
Gott  ist.  In  der  Kindermordszene  tritt  der  Narr  wieder  auf  und  be- 
kennt sich  als  erbarmungslosen  Kindermörder.  In  seinen  Worten  finden 
wir  keine  Komik,  sondern  nur  Roheit.  Es  verhindert  dies  aber  nicht, 
daß  sein  Gebärdenspiel  dabei  komisch-grotesk  wirken  sollte.  Auch 
sonst  gewahren  wir  gerade  in  der  gräßlichen  Kindermordszene  noch 
komische  Elemente,  die  dargestellt  werden  durch  die  Henkersknechte. 
Es  schlüpft  dabei  gelegentlich  noch  ein  Zug  der  beliebten  Mönchs- 
satire ein: 

„Wol  da  zu  her,  gesellen  mein,  das  ist  ains  münichs  gewesen, 

ich  han  auch  ain  chindelein,  zwar  ich  laß  es  nicht  genesen",     v.  339 — 342. 

Im  ganzen  aber  können  wir  dieses  wie  die  anderen  Dreikönigs- 
spiele nicht  als  zur  Entwicklungsgeschichte  des  deutschen  Lustspiels 
gehörig  betrachten.  Ebensowenig  brauchen  wir  die  eschatologischen 
Dramen  unter  diesem  Gesichtspunkt  zu  betrachten.  Das  nach  dem 
„Tegernseer  Antichrist"  bedeutendste  dieser  Weltuntergangsspiele,  der 
ludus  von  den  klugen  und  törichten  Jungfrauen  etwa,  enthält  wohl 
komische  Beimischungen,  die  mit  den  Mitteln  derber  Realistik  arbeiten; 
sie  verdichten  sich  aber  nicht  zur  Selbständigkeit  und  beeinträchtigen 
nicht  den  durchaus  ernsten  Charakter  des  Spiels. 

4.  LEGENDENDRAMEN. 

Ergebnisreicher  für  unsere  Zwecke  sind  die  Legendendramen.  Das 
Märtyrerdrama  der  hl.  Katharina  enthält  Teufelskomik,  die  mit  den 
altbewährten  Mitteln  der  Teufelsdarstellung  arbeitet.  Nebenbei  sei  er- 
wähnt, daß  hier  das  antike  Kreon- Antigonemotiv  in  christhchem  Ge- 


•55  Mittelalter:  Geistliche  Komödien. 

wände  auflebt,  indem  die  Soldaten,  die  entgegen  des  Königs  Befehl  die 
Leiche  der  verehrten  Königin  bestatten,  zum  Tode  verurteilt  werden.  — 
Das  Drama  des  hl.  Georg  stellt  komisch  dar,  wie  ein  altes  Weib,  das 
dem  Drachen  geopfert  werden  soll  —  auch  ein  antikes,  das  Perseus- 
motiv,  —  vorher  vom  Teufel  geholt  wird.  Neben  der  Teufelskomik 
blieb  durchgängig  beliebt  die  Judenkomik.  Wir  finden  sie  etwa  im 
Legendendrama  von  der  Kreuzerfindung  und  Kreuzerhöhung,  dann 
in  den  Weltendespielen,  den  Antichristspielen.  Die  ganze  Verach- 
tung und  der  Haß,  die  das  ausgehende  Mittelalter  den  Juden  gegen- 
über zeigt,  kommt  darin  zum  Ausdruck.  In  beiden  Fällen,  in  Teufels- 
komik wie  in  Judenkomik,  wirkt  das  Komische  als  eine  Katharsis,  eine 
Reinigung  von  Leidenschaften,  in  einem  Fall  eine  Befreiung  von  Furcht, 
im  anderen  von  Haß  —  wenn  nicht  etwa  gerade  der  Haß  noch  mehr 
aufgepeitscht  und  dadurch  alle  komische  Lust  zerstört  wird. 

Am  künstlerisch  wertvollsten  ist  die  Teufels dramatik  verwendet  in 
dem  niederdeutschen  Theophilusspiel,  dem  bedeutsamen  Vorläufer  des 
Faustdramas.  Unter  diese  Vorläufer  zählt  auch  Schembergs  Spiel  von 
der  Päpstin  Jutta,  worin  ebenfalls  Ansätze  realistischer  Teufelskomik 
sich  finden.  Dieses  Spiel  scheint  mir  überhaupt  von  humorischem 
Geiste  beseelt  und  der  Lustspieldichtung  nahe  verwandt  zu  sein. 
Sein  Wiederentdecker  und  erster  Herausgeber  im  1 8.  Jahrhundert  ist 
Gottsched,  der  es  in  seiner  Sammlung  „Nötiger  Vorrath  der  deutschen 
Dichtung"  „das  älteste  tragische  gedruckte  deutsche  Originalstück" 
nennt.  Keller,  der  erste  große  Sammler  und  Herausgeber  deutscher 
Fastnachtspiele  (Bibliothek  des  Lit.  Vereins  in  Stuttgart),  reiht  es  aber 
unter  diese  als  Nr.  iii  und  meint  mit  Recht,  es  stehe  in  der  Mitte 
zwischen  den  Mysterien  und  den  Fastnachtschwänken. 

Es  ist  allerdings  im  allgemeinen  wohl  zutreffend,  daß,  wenn  im  Laufe 
des  Spiels  der  Tod  des  Helden  notwendigerweise  herbeigeführt  wird, 
dann  das  vom  Lustspiel  zu  bezweckende  Lustgefühl  an  seiner  Entstehung 
verhindert  wird.  Doch  wieder  ist  die  Einstellung  des  neuzeitlichen 
Menschen  durchaus  anders  als  die  des  mittelalterhchen  Zuschauers. 
Für  diesen  hat  die  jenseitige  Welt  dieselbe  Wirklichkeit  wie  die  dies- 
seitige. Der  diesseitige  Tod  —  ganz  abgesehen  davon,  daß  er  dem 
Gläubigen  eine  Erlösung  aus  dem  jammervollen  irdischen  Sündental 
bedeutet  —  einer  Persönlichkeit  vernichtet  diese  daher  nicht  absolut, 
sondern  er  ist  für  sie  nur  die  Schwelle  zu  einem  anderen,  ebenso 
wirklichen  Leben.  Tatsächlich  behandelt  unser  vorliegendes  Stück 
auch  seine  ganze  zweite  Hälfte  hindurch  das  Ergehen  Juttas  im  Jen- 
seits. Darin  liegt  der  Grund,  daß  der  Tod  des  Helden  nicht  unbedingt 
lustzerstörend  für  den  mittelalterlichen  Zuschauer,  der  des  Helden 
Geschick  mit  Sympathiegefühlen  begleitet  hat,  wirken  muß.  Es  hängt 
ganz  von  der  Darstellung  durch  den  Dichter  ab,  ob  das  humorische, 
allerdings  nicht  possenhaft  lachende,  sondern  ernst  lächelnde  Heiter- 
keitsgefühl dem  Zuschauer  bewahrt  bleibt,   und  dies  ist  der  Fall  in 


Weltliche  Komödien.    Heidnisch-kultische  Keime.  37 

Schernbergs  „Päpstin  Jutta"  trotz  seiner  formalen  Ungewandtheit  und 
Schwerfälligkeit.  Gleich  der  Theophiluslegende,  auf  die  übrigens  im 
Texte  selbst  angespielt  wird,  enthält  die  „Päpstin  Jutta"  einen  faustischen 
Kern.  Der  Drang  nach  Klugheit  und  Ehre  läßt  Jutta  im  Einverständnis 
mit  dem  Teufel  die  Welt  betrügen.  Als  Mann  verkleidet,  erwirbt  sie 
die  höchsten  weltlichen  Ehren  und  wird  gar  Papst.  Da  erreicht  sie 
die  Strafe:  als  schwangeres  Weib  wird  sie  entlarvt.  Ein  wahrhaft 
grandios  grotesker  Zug.  Ihr  Ende  ist  Höllenpein,  woraus  sie  aber 
auf  Fürbitte  Maria  durch  Christi  Barmherzigkeit  erlöst  wird.  So  ist 
das  Ende  durchaus  versöhnlich,  und  das  Lustgefühl  des  mittelalter-  >s 
liehen  Zuschauers  wird  noch  außerdem  bestärkt  durch  die  erfreuliche 
Tatsache,  daß  die  gefürchteten  und  gehaßten  Teufel  wieder  einmal 
gründlich  um  ihr  Opfer  geprellt  sind. 

III.  WELTLICHE  KOMÖDIEN. 

I.  HEIDNISCH-KULTISCHE  KEIME. 

Auch  beim  weltlichen  Drama  steht,  wie  beim  geisdichen,  eine  Kult- 
handlung am  Anfang  der  Entwicklungsbahn,  diesmal  aber  keine  christ- 
liche, sondern  eine  heidnische.  Die  Fastnachtfeier  ist  die  Urquelle  des 
Fastnachtspiels.  Diese  Fastnachtfeier  geht  zurück  auf  ein  heidnisches 
Feldbestellungsfest.  Um  die  Frühjahrsarbeit  fruchtbar  zu  machen, 
werden  bestimmte  Kultgebräuche  vollzogen,  von  allem  ein  Umzug, 
in  dessen  Mittelpunkt  die  Fruchtbarkeitsgottheit,  umringt  von  anderen 
Dämonen,  auf  einem  Wagen  thront.  Es  ist  begreiflich,  daß  in  christ- 
licher Zeit  dieser  Wagen,  der  wohl  ursprünglich  ein  Schiff  der  Dämonen 
war  —  später  dürfte  sich  daraus  das  Narrenschiff  entwickelt  haben  — , 
bei  dem  Schempartlauf  als  Hölle  bezeichnet  wurde.  Mit  dem  Umzug 
waren  heidnische  Ritualien  als  natursymbolische  Handlung  verbunden, 
die  die  ersehnte  Fruchtbarkeit  der  Erde  bewirken  sollten:  Tod  und 
Auferstehung  des  Fruchtbarkeitsgottes,  Austragen  des  Winters,  Ein- 
bringen des  Frühlings.  Überbleibsel  sind  heute  noch  in  Sommertags- 
zügen zu  erkennen.  Eine  alte  Volkssitte  in  Deutschland  ist  es,  den,  > 
Tod  durch  Lärm  auszutreiben.  Dieser  Tod  ist  gleichzusetzen  dem  ^ 
Fastnachtbutz,  einem  bösen  Geist,  der  verbrannt  wird.  i 

Das  Symbol  aber  der  toten  Natur,  der  widerwärtigen  Geister,  fordert  ein 
Gegensymbol.  Der  Kampf  gegen  das  Todessymbol  wird  zum  Kampf  des 
Lebens  gegen  den  Tod,  des  Frühlings  gegen  den  Winter,  der  Frucht- 
barkeit gegen  die  Unfruchtbarkeit,  der  guten  gegen  böse  Geister.  So 
gewinnt  der  Ritus  frühzeitig  aus  bloßem  Umzug  dramatischen  Kampf- 
charakter. Dieses  Kampfelement  lebt  im  Fastnachtspiel  fort,  teils  als 
beliebte  körperliche  Prügelei,  teils  als  Redekampf.  In  beiden  Formen 
muß  das  Schwächere  besiegt  werden,  und  dieser  Sieg  findet  im  Rede- 
kampf seinen  Ausdruck  im  Schluß,  im  Urteil.   Diese  Verurteilung  be- 


38  Mittelalter:   Weltliche  Komödien. 

[  günstigt  die  Prozeßform,  Klage  und  Verteidigung,  Wechselrede  mit 
\  Urteilsziel.  Ob  nun  ein  Schwächeres  durch  ein  Stärkeres  mit  körper- 
y  liehen  oder  geistigen  Kräften  in  seiner  Anmaßung  zunichte  gemacht 
I  wird,  stets  bietet  der  Vorgang  ein  Element  der  Komik.  Diese  haftet 
/  für  naive  Zuschauer  ebensosehr  an  der  Prügelei  wie,  auch  für  ge- 
/  bildetere,  an  der  Dialektik.  Beide  Formen  werden  und  bleiben  daher 
/    behebtes  Requisit  des  Fastnachtspiels. 

^  Das  Wesen  der  frühjährlichen  Kulthandlung  berührt  sich  von  vorn- 
herein mit  dem  Lustspiel.  Denn  ihr  Stimmungscharakter  ist  Heiterkeit  über 
den  Abschied,  Tod  des  Winters  und  den  Einzug  des  Frühlings,  Sieges- 
freude über  das  überwundene  Böse,  Feindliche  und  fröhliche  Hoff- 
nung auf  ein  segenreiches  kommendes  Jahr.  Ja,  die  Natursymbolik  der 
Fruchtbarkeitsfeier  soll  nicht  nur  Freude  erregen,  bedeuten,  sie  ist  Freude 
und  Lust.  Lust  aber  ist  Bewegung,  Bewegung  im  Raum,  Bewegung  in 
der  Zeit,  Zeugung.  Tanz  und  phallische  Symbolik  sind  daher  Haupt- 
elemente des  Fruchtbarkeitskults.  Den  Tanz  mit  phallischen  Symbolen 
können  wir  von  der  heidnischen  Fruchtbarkeitsfeier  nicht  trennen.  Ihr 
Charakter  ist  mimisch -chorisch,  und  in  der  erwähnten  Kampfform 
verbindet  sich  mit  dem  Mimisch-Chorischen  bereits  das  Dramatische. 
Wohl  alle  Tänze  naiver  Naturvölker  tragen  solche  mimisch-drama- 
tische Keimzelle  in  sich.  So  berichtet  uns  bereits  Tacitus  von  einem 
,  Schwerttanze  der  Germanen,  und  ein  solcher  wird  uns  in  Nürnberg 
V  für  1350  als  konzessierter  ludus  der  Schempartläufer  angeführt.  Der 
innere  Zusammenhang  der  Schwerttänze,  Morisgentänze  und  Frucht- 
barkeitstänze ist  ja  längst  festgestellt.  Gerade  in  neuerer  Zeit  sind  wir 
uns  wieder  bewußt  geworden,  daß  der  Tanz  mimischer  Ausdruck  ge- 
steigerter Gefühlsbewegung  ist.  Diese  Erkenntnis  haben  schon  unsere 
Vorväter  unbewußt  betätigt.  Da  sie  noch  in  innigerem  Zusammen- 
hang mit  der  Natur  lebten  als  wir,  so  war  für  sie  der  Jahreszeiten- 
wechsel auch  viel  bedeutungsvoller.  Unsere  Frühlingslyrik  ist  nur 
noch  ein  schwacher  Nachhall  von  der  Sehnsucht,  mit  der  sie  die 
Wiederkehr  des  Lenzes  erwarteten,  von  der  Freude,  mit  der  sie  seine 
Einkehr  begrüßten.  Um  diesem  Gefühl  vollentsprechenden  Ausdruck 
zu  verleihen,  griffen  sie  zum  Tanz.  Die  Formen  waren  verschieden. 
Es  mochte  ein  feierlicher  Umzug  sein,  wie  er  heute  noch  im  Heidel- 
berger Sommertagszug  am  Sonntag  Lätare  fortlebt,  oder  ein  Rund- 
tanz um  die  Dorflinde  und  den  Maibaum,  der  gegenwärtig  sich  be- 
sonders in  Bayern  lebendig  erhalten  hat,  oder  aber  ein  kunstvollerer 
Figurentanz  wie  der  schon  erwähnte  Schwerttanz  und  der  Schempart- 
lauf (von  mittelhochdeutsch  scheme  =  Larve,  im  Neudeutschen  in 
Schönbartlauf  verballhornt)  —  immer  und  von  jeher  war  dieser  Tanz 
als  Frühlings-  und  Fruchtbarkeitsfeier  volkstümlich. 

Die  Tänzer  selbst  waren  meistens  vermummt  in  böse  und  gute 
Dämonen,  in  schwarze  und  weiße.  Der  Träger  der  schwarzen  Maske, 
der  mit  fortschreitender  Christianisierung  ohne  Schwierigkeit  in  die 


Ursprung  realistischer  Satire,  39 


Teufelsfigur  überging,  war  wahrscheinlich  zugleich  der  Träger  des 
Phallussymbols.  Der  Phallus  war  ja  von  einem  Fruchtbarkeitskult 
nicht  zu  trennen.  Exhibition,  ob  tatsächlich  oder  bildlich,  hat  aber 
für  unzivilisierte,  naive  Zuschauer  stets  etwas  Komisches.  Diese 
komische  Wirkung  wird  noch  gesteigert  durch  groteske  Größe  des 
Glieds.  Der  Phallus  ist  daher  von  jeher  das  Emblem  der  Komik.  Sein 
Träger  bleibt  aber  nicht  bei  passiver  Komik  stehen,  er  übt  auch  aktive 
Komik  dadurch,  daß  er  seine  mehr  oder  minder  derben  Spaße  mit 
den  Zuschauern  treibt.  Er  wirkt  nicht  nur  komisch,  er  bewirkt  auch 
Komik.  Der  phallische  Dämon  wird  der  Narr  der  Kulttänze.  Dieser 
Narr  schlägt  die  Brücke  zum  Publikum,  das  er  in  seine  Spaße  ein- 
bezieht. Je  mehr  er  für  seine  Narreteien  Raum  gewinnt,  um  so  mehr 
fällt  er  aus  dem  Rahmen  der  Kulthandlung,  um  so  selbständiger  wird 
die  von  ihm  getragene  Handlung.  Wie  im  geistlichen  Drama  sich 
realistisch-komische  Zwischenspiele  bildeten,  so  auch  in  der  heid- 
nischen Kulthandlung.  Wenn  aber  das  Christentum  die  geistlichen 
Dramen  in  ihrer  Fortentwicklung  stützte,  so  tötete  es  allmähb'ch  die 
heidnischen  Rituale.    Nur  das  Narrenspiel,  das  Fastnachtspiel,  blieb. 

2.  URSPRUNG  REALISTISCHER  SATIRE. 

Dieses  Narrenspiel  ist  nicht  mehr  auf  den  Tanz  gestellt,  sondern 
auf  das  Wort.  Frühzeitig  werden  schon  die  Frühjahrstänze  von  spruch- 
artigen Reden  begleitet,  seien  es  Streitreden,  Frage  und  Antwort,  Rede 
und  Gegenrede,  Rätsel  und  Lösung  oder  auch  nur  Charakterisierungen 
der  einzelnen  Tänzer.  Mit  dem  begrifflich  faßbaren  Wort  aber  dringt 
das  realistische  Moment  in  die  Natursymbolik  ein.  Ursprünglich  fehlt 
alles  realistisch  Individualisierende.  Der  dargestellte  Vorgang  ist  der 
Freudetypus  schlechtweg  mit  religiöser,  aber  keinerlei  rationalistischer 
Funktion.  Wenn  realistische  Momente  eindringen,  wenn  der  Typus 
wenigstens  teilweise  individualisiert  wird,  so  zeigen  sich  in  diesem 
Prozeß  Einwirkungen  der  religiös  ungebundenen  Volkskunst,  wie  sie 
sich  in  den  Mimen  darstellt.  Die  Kunst  des  Mimen  oder  seiner  Nach- 
fahren rationalisiert  die  mythische  Kultkunst  immer  mehr,  vermensch- 
licht die  Dämonen,  bindet  die  Natursymbolik  an  die  reale  Welt,  das 
Sein  an  den  Schein.  Während  ursprünglich  die  Realität  nur  Gleichnis 
des  Ideellen,  das  Leben  nur  Behelf  zum  Ausdruck  des  inneren  Er- 
lebens ist,  nur  Schein  des  dahinterliegenden  Seins,  gewinnt  allmäh- 
lich dieser  Schein  Eigenwert,  das  Leben  selbst  wird  abgebildet,  die 
Kunst  ist  realistisch,  in  moderner  Schlagwortprägung:  die  expressio- 
nistische Kunst  wird  Impressionismus. 

Damit  setzt  die  Satire  ein.  Bei  dem  unmittelbaren  Ausdruck  des 
Ideellen,  des  inneren  Erlebens  ist  jede  Wertung  ausgeschlossen,  Kunst  ist 
Formung  des  tiefsten  Seins,  Deutung  des  ursprünglichen  Sinns:  das  Un- 
aussprechliche wird  hier  Ereignis,  und  alles  Vergängliche  ist  nur  ein 
Gleichnis.  Das  Unaussprechliche  ist  das  Göttliche,  dem  gegenüber  jedes 


40 


Mittelalter:   Weltliche  Komödien. 


Urteil  verstummt;  das  Vergängliche  aber  ist  diesseitig,  ist  dem  mensch- 
lichen Darsteller  gleichgeordnet,  es  ist  nicht  mehr  unbegreiflich,  son- 
dern wird  begriffen  und  in  seinem  relativen  Wert  abgeschätzt.  Ist  es 
aber  gewogen  und  zu  leicht  befunden,  dann  erhebt  sich  der  Wägende 
darüber  und  verurteilt  es  in  seiner  Nichtigkeit.  Um  diese  Nichtigkeit 
daher  sinnfällig  darzustellen,  wird  es  in  seiner  Kleinheit,  Verächtlich- 
keit dem  Lachen  ausgeliefert.  Das  Lachen  ist  das  Urteil  über  das  An- 
maßend-Kleine, über  den  wesenlosen  Schein.  Mythische  Kultkunst 
kennt  keine  Satire,  Satire  ist  rationalistisch,  ist  Ausdruck  des  Auf- 
geklärten, im  Endlichen  Befangenen. 

Diese  Entwicklung,  zu  deren  Erhellung  M.  G.  Rudwin  (The  Origin 
of  the  German  Carnival  Comedy,  1920)  Wesenthches  beigetragen  hat, 
ist  nur  im  ganzen  zu  überschauen,  nicht  im  einzelnen  zu  verfolgen. 
Ein  Hauptförderungsgrund  dürfte  in  der  Volksfreude  an  Mimenspäßen 
liegen.  Diese  führte  zu  einer  immer  stärker  werdenden  Betonung  des 
Textes  gegenüber  der  eigentlichen  Tanzbewegung.  Allmählich  tritt  das 
Mimisch-Deklamatorische  in  den  Vordergrund  und  drängt  das  Mimisch- 
Chorische  zurück.  Das  Begleitelement  und  das  Hauptelement  wechseln 
die  Stelle.  Darin  liegt  an  sich  schon  ein  bedeutsamer  Schritt  zur  Indi- 
viduation.  Die  Entwicklung  von  universeller  Tanzkunst  zu  individueller 
Wortkunst,  vom  Tanz  zum  Tanzdrama  setzt  schon  den  Dichter  voraus, 
mag  seine  Kunst  auch  noch  so  primitiv  sein,  mag  er  selbst  auch  noch 
ganz  anonym  bleiben.  Die  Entstehung  des  Volksdramas  entspricht  der 
des  Volksliedes.  Hier  wie  dort  verschwinden  die  Dichterpersönlich- 
keiten. Aber  die  Hauptträger  der  entwickelteren  dramatischen  Volks- 
kunst des  Mittelalters  sind  zweifellos  die  Spielleute.  Sie  bestimmen 
charakteristische  Wesenszüge  des  weltlichen  Fastnachtspiels  wie  der 
komischen  Zwischen-   und  Nachspiele  in   der  geistlichen  Dramatik. 

Die  Geistlichen  haben  mit  diesen  weltlichen  Possen  nichts  zu  tun. 
Nur  indirekt  dürfte  die  Kirche  eingewirkt  haben,  vor  allem  auf  die 
Zeit  ihrer  Darstellung.  Die  freudigen  Tanzdramolette  gehören  anfäng- 
lich wohl  erst  dem  heitern  Maimonat  an,  bald  aber  bewirkte  die  von 
der  Kirche  gebotene  sechswöchige  Fastenzeit,  daß  diese  Freudenfeier 
auch  vorverlegt  wurde,  um  noch  einmal  vor  der  strengen  Enthaltsam- 
keit die  Freuden  des  Lebens  symbolisch  und  realistisch  zu  genießen. 
Je  mehr  diese  Feste  ausgestaltet  wurden,  um  so  mehr  wollte  das  Volk 
sehen  und  hören,  um  so  mehr  wollte  es  lachen. 

3.  PUPPENSPIELE. 

Hier  hatten  die  Gaukler  und  Spielleute  des  Mittelalters  weites 
Feld  zur  Betätigung.  Sie  sind  Nachkommen  der  griechischen  und 
römischen  Mimendarsteller  und  ziehen  als  solche  auf  den  Jahrmärkten 
und  Volksbelustigungen  des  Mittelalters  umher.  Im  Dorfe  wie  in  der 
Stadt  oder  im  Burghofe  sind  sie  gleicherweise  gern  gesehen.  Ihr 
Repertoire  umfaßt  das  ganze  Programm  der  heutigen  Zirkusse  und 


Puppenspiele.  4I 

Varietes.  Sie  betreiben  auch  einen  Kunstzweig,  der  nie  und  nirgends 
ganz  ausstirbt,  sondern  nach  einer  Periode  des  anscheinenden  Todes 
immer  wieder  frisch  belebt  wird:  das  Puppenspiel.  Und  es  scheint 
mir  möglich,  daß  die  komischen  Elemente,  die  in  der  Erweiterung 
des  geistlichen  Dramas  wie  der  weltlichen  Lenzfeiern  die  selbständigen 
Zwischenspiele  und  Fastnachtspiele  aufbauten,  ursprünglich,  wenigstens 
teilweise,  dem  Puppenspiele  entstammten.  Wenn  nach  dem  Verschwinden 
der  geistlichen  Schauspiele  die  Puppenspiele  selbständig  weiterlebten,  so 
ist  dies  natürlich  kein  Beweis  dagegen,  daß  sie  zu  den  Urquellen  der  in 
ersteren  enthaltenen  komischen  Zwischenspiele  zählen.  Zum  mindesten 
ist  es  kein  Beweis  dafür,  daß  sie  erst  aus  den  kirchlichen  Veranstaltungen 
entstanden  seien,  wie  es  Rehm  in  seinem  Buch  der  Marionetten  annimmt, 
um  so  weniger  als  Rehm  für  die  italienischen  Puppenspiele  selbst 
zugibt,  ,,daß  deren  Ursprung  weit  über  das  Mittelalter  hinaus  zurück- 
reicht und  sie  seit  den  Zeiten  ihres  ersten  hinreichend  bezeugten  Auf- 
tretens im  alten  Römerreiche  bis  auf  die  Gegenwart  im  Lande  des 
Apennin  niemals  aufgehört  haben  zu  existieren,  wie  denn  auch  die  in 
Italien  zu  so  hoher  Entwicklung  gelangte  Stegreif  komödie,  die  noch 
heute  nicht  ganz  verschwundene  commedia  dell'arte  als  eine  unmittel- 
bare Fortsetzung  der  römischen  Atellanenspiele  betrachtet  werden 
kann"  (p.  136).  Selbst  wenn  man  das  unmittelbare,  ununterbrochene 
Fortleben  der  Atellanenspiele  in  dem  Puppenspiele  bezweifelte,  so 
steht  doch  fest,  daß  in  Italien  die  Puppenspiele  schon  vor  den 
geistlichen  Dramen  bestanden,  also  sich  nicht  erst  aus  diesen  ent- 
wickelt haben  können.  Warum  sollte  ihnen  in  anderen  Ländern 
diese  Selbständigkeit  fehlen?  Ihrem  Wesen  nach  sind  sie  —  wir  be- 
gegnen ihnen  bei  den  verschiedensten  Völkern  aller  Erdteile  —  un- 
bestreitbar Volkskunst,  das  geistliche  Drama  aber  ist  Bildungskunst. 
Näher  denn  die  Annahme,  daß  Bildungskunst  Volkskunst  erzeugt,  liegt 
die  Vermutung,  daß  Volkskunst  in  Bildungskunst  eindringt  und  all- 
mählich zur  Bildungskunst  wird.  Das  Puppenspiel  wäre  damit  ein 
Urahne  des  Lustspiels. 

Seine  früheste  bildliche  Erwähnung  stammt  bereits  aus  dem  Ende  des 
12.  Jahrhunderts  und  findet  sich  in  dem  hortus  deliciarum  der  Äbtissin 
Herrad  von  Landsberg.  Spilman  und  Spilwip  sind  darin  vereinigt,  an 
Drahtschnüren  zwei  Ritterpuppen  im  Kampfspiel  zu  bewegen,  und  Hugo 
von  Trimberg  berichtet  uns  ja  in  seinem  „Renner"  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert, daß  die  vagabundierenden  Gaukler  stets  solche  Tattermannen 
oder  Tokken  unter  den  Kleidern  trugen,  so  daß  sie  bei  jeder  Gelegen- 
heit, zu  jeder  Zeit  und  an  jedem  Ort  das  Volk  damit  unterhalten  konn- 
ten. Auch  in  den  geistlichen  Schauspielen,  besonders  in  den  Teufels- 
spielen wird  auf  diese  Gaukler  Bezug  genommen,  ,,de  dar  speien  myt 
den  docke  unde  den  doren  ere  ghelt  aflocken"  (Red.  Osp.,  v.  1136/37), 
und  so  kann  wohl  mit  Recht  Ulrich  von  Türheim  die  allgemeine  Be- 
liebtheit des  Puppenspiels  in  das  Wort  fassen:   „Der  warlde  vroude 


42 


Mittelalter:  Weltliche  Komödien. 


ist  tokken-spil".  Wo  immer  die  Spielleute  mit  ihrem  Himmelreich- 
kasten hinkommen,  finden  sie  dankbares  Publikum.  Das  Repertoire 
jener  mittelalterlichen  Puppenspieler  ist  natürlich  dem  Inhalte  nach 
ebensowenig  erhalten,  wie  etwa  das  der  heute  auf  den  Jahrmärkten 
herumziehenden  Kasperletheater,  sofern  sich  nicht  ein  literarhistorisch 
Interessierter  gefunden  hat,  der  es  aufzeichnete.  Solche  gab  es  in 
dem  unhistorischen  Mittelalter  nicht,  und  die  einzelnen  Gaukler  hatten 
kein  Interesse  daran,  ihre  eigenen  mehr  oder  minder  wirkungskräftigen 
Improvisationen  durch  Aufzeichnung  der  Konkurrenz  in  die  Hände  zu 
spielen.     Literarisches  Urheberrecht  gab  es  damals  nicht. 

Der  Schritt  von  der  indirekten  Aufführung  dramatischer  Spiele 
durch  Puppen  zur  direkten  Darstellung  in  der  eigenen  Person  kann 
aber  jenen  mimisch  und  deklamatorisch  gewandten  Spielleuten  nicht 
schwer  gefallen  sein,  um  so  weniger  als  das  einzige  etwaige  Hinder- 
nis :  die  Bühneninszenierung  in  der  damaligen  Zeit  ganz  wegfiel,  da 
ohne  allen  Bühnenapparat  gespielt  wurde  und  andrerseits  Verkleidungen 
auch  sonst  zu  dem  notwendigen  Repertoire  der  Spielleute  gehörten. 

Neben  und  in  den  Puppenspielen  scheint  aber  auch  ständig  der 
antike  Mimus  weitergelebt  zu  haben,  wenn  uns  auch  ebensowenig  wie 
von  den  Puppenspielen  ein  vollständiger  Text  erhalten  ist.  Gewisse 
kompliziertere  komische  Typen  der  Possenbühne,  wie  der  Renommist, 
der  Parvenü,  auch  wohl  der  angeblich  weitgereiste  Quacksalber,  dürften 
kaum  selbständige  Neuschöpfungen  des  Mittelalters  sein,  während 
andere,  einfachere  Figuren  zu  ihrer  Erklärung  nicht  der  Tradition  be- 
dürfen, da  sie  zu  jeder  Zeit  vor  Augen  liegen,  wie  der  Dummkopf, 
der  Trunkenbold,  das  zanksüchtige  Weib.  Außerdem  weisen  gewisse 
immer  wiederkehrende  Mittel  der  Situationskomik  in  ihrer  Übereinstim- 
mung mit  denen  des  antiken  Mimus  auf  Überlieferung.  Hier  muß  aber 
die  Einschränkung  gemacht  werden,  daß  diese  Tradition  nicht  nur  an 
die  Mimusbühne  gebunden  war,  sondern  auch  durch  die  erzählende 
Schwankliteratur  übermittelt  sein  konnte,  worin  etwa  die  beliebten 
Ehebruchsmotive  und  die  Schwiegermutterränke  einen  weiten  Raum 
einnehmen.  Doch  müßten  wir  hier  dann  wenigstens  eine  indirekte 
Tradition  annehmen,  denn  der  Mimus  hat  zweifellos  die  Erzählungs- 
literatur befruchtet,  wie  die  Realistik  der  überlieferten  Typen  wohl 
auch  das  beobachtende  Auge  der  Mimusdarsteller,  der  Spielleute  ge- 
schärft und  sie  zu  Neuschöpfungen  angeregt  und  befähigt  hat.  Soviel 
scheint  festzustehen:  ob  nun  die  Spielleute  traditionelles  Mimusgut 
forterben  oder  ihre  Ränke  aus  der  Literatur  holen  oder  neue  Figuren 
aus  der  Beobachtung  des  täglichen  Lebens  schöpfen  —  überall  wirkt 
ein  zuerst  vom  Mimus  ausgebildetes  und  betätigtes  biologisches  und 
ethologisches  Interesse,  verbunden  mit  der  Vorliebe  für  realistische 
Darstellung.  Neben  den  Puppenspielen  und  mit  ihnen  in  wechsel- 
seitiger Befruchtung  lebt  so  der  antike  Mimus  direkt  oder  indirekt 
im  Mittelalter  fort  und  bildet  mit  den  Marionettend£irstellungen  die 


Neidhart^piele.  43 

Grundlage  zur  Entwicklung  der  Possenkomödie.  Dieser  Zusammen- 
hang wurde  schon  frühzeitig  geahnt.  Bereits  1548  betont  Sibilet  in 
seiner  französischen  Poetik  die  Ähnlichkeit  von  Mimus  und  Farce. 
In  beiden  Quellen  der  Possendichtung  ist  der  Träger  der  Spielmann, 
der  sich,  wie  Moliere,  rühmen  konnte  „de  prendre  son  bien  partout 
oü  il  le  trouvait". 

4.  NEIDHARTSPIELE. 

So  hat  auch  ein  fahrender  Geselle  den  Volksbrauch  vom  Veilchen- 
fest aufgegriffen,  zu  einem  kleinen  Dramolett  verarbeitet  und  dadurch 
aus  dem  Lenz  fest  unser  erstes  weltliches  Drama,  das  erste  Neidhart- 
drama gestaltet  (über  die  Neidhartspiele  unterrichten  die  Monographie 
von  Gusinde  und  die  Studien  von  Singer).  Neidhart  hat  als  Dichter  die 
dörfische  Reimpoesie  in  die  deutsche  Literatur  eingeführt.  An  seinen 
Namen  knüpft  auch  das  kleine  Drama  an,  das  aus  dem  Geiste  ländlicher 
Volksdichtung  geschöpft  ist,  dann  aber  der  Anschauung  des  auf  den 
Ritterburgen  verkehrenden  Spielmanns  entsprechend  den  Gegensatz 
des  Ritters  und  des  tölpischen  Bauern  herausarbeitet.  Die  Grund- 
lage aber  ist  eine  jener  erwähnten  Lenzfeiern.  Das  Veilchen,  der 
erste  Bote  des  wiederkehrenden  Frühlings  soll  gesucht  werden,  und 
der  Finder  erwirbt  damit  die  Huld  seiner  Herrin.  Neidhart  ist  dies 
Glück  beschieden,  er  bedeckt  das  Veilchen  mit  seinem  Hute  und 
geht,  seinen  Fund  der  Herzogin  zu  melden.  Ein  hämischer  Bauer 
aber  hat  ihn  beobachtet  und  setzt  an  Stelle  des  Frühlingsboten  dürres 
Laub,  das  Zeichen  des  toten  Winters,  unter  den  Hut,  ja,  in  späterer, 
derberer  Fassung,  ersetzt  er  das  Veilchen  durch  Menschenkot.  An 
dieser  Wandlung  beobachten  wir  gut,  wie  zuerst  reine  Natursymbolik 
im  Volksgebrauch  zum  Ausdruck  kommt,  während  später  das  satirisch- 
komische Motiv  des  gemeinen,  schajdenfrohen  Bauernstands  überwiegt. 

In  der  ursprünglichen  kürzesten  Form  des  St.  Pauler  Neidhartspiels 
ist  die  Unflätigkeit  ganz  übergangen,  und  wir  sind  nur  Zeugen  der 
Entrüstung  der  Herzogin,  als  sie  das  Veilchen  nicht  findet.  Das  Spiel- 
mannsdrama, wie  es  uns  in  der  St.  Pauler  Fassung  aus  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  erhalten  ist,  hat  noch  durchaus  den  Charakter  des 
Tanzdramoletts  und  ist  somit  von  größter  literarhistorischer  Bedeutung, 
da  es  uns  die  Zwischenstufe  belegt  zwischen  den  Lenzfeiern  und  den 
Fastnachtspielen.  Im  St.  Pauler  Spiel  hält  sich  die  Bedeutung  des 
Tanzelements  und  des  Wortelements  die  Wage,  hier  ist  der  Zu- 
sammenhang der  Fastnachtspiele  mit  den  Frühlingstanzfesten  noch 
offenbar.  Und  wenn  Wirth  („Die  Oster-  und  Passionsspiele")  die  Ähn- 
lichkeit gewisser  Fastnachtspiele,  darunter  des  Neidhartspiels,  mit  den 
Magdalenenszenen  erwähnt,  so  ist  uns  nun  der  Grund  klar  in  deren 
gemeinsamen  Ursprung  aus  Tanzspielen.  Es  ist  dies  ein  Entwick- 
lungsgang, der  der  ganzen  Welt  gemeinsam  ist.  Aus  Frühlingsfeiem 
entwickeln  sich  Tanzspiele,  und  daraus  entsteht  das  komische  Drama. 


/|4  Mittelalter:  Weltliche  Komödien. 

Dem  St.  Pauler  Neidhartspiel  steht  am  nächsten  das  Große 
Neidhartspiel  vom  Anfang  des  15.  Jahrhunderts,  das  mit  seinen 
2268  Versen  das  umfangreichste  komische  Drama  des  Mittelalters 
darstellt.  Es  ist  außerordentlich  erweitert;  die  Veilchengeschichte 
bildet  nur  den  Auftakt,  und  in  einer  Reihe  selbständiger  Spiele  folgen 
die  Streiche,  die  Neidhart  den  Bauern  spielt.  Den  äußeren  Zu- 
sammenhang bildet  die  Rache  des  Ritters  Neidhart  für  den  Veilchen- 
tausch, den  innern  die  Roheit  und  die  Dummheit  der  pöbelhaften 
Bauern,  wodurch  die  Rache  erst  die  Möglichkeit  ihrer  Befriedigung 
findet.  Trotz  seiner  Größe  hat  aber  dieses  Spiel  nichts  mit  der  antiken 
Komödie  gemein.  Dort  wird  ein  Ablauf  von  Ereignissen  vorgeführt, 
die  einen  Umschwung  im  Leben  der  Hauptpersonen  darstellen,  und 
die  einen  bestimmten  Abschluß,  am  liebsten  eine  Heirat,  herbeiführen. 
Die  Possenkomödien  des  Mittelalters  aber,  wie  die  Neidhartspiele  und 
die  Fastnachtspiele,  sind,  abgesehen  von  ihrem  Ursprung  als  'Panz- 
dramen,  dramatisierte  Anekdoten.  Und  das  Große  Neidhartspiel  ist 
nichts  anderes  als  eine  Aneinanderreihung  solcher  dramatisierter  Anek- 
doten, die  beliebig  vermehrt  werden  könnte.  TatsächHch  fehlt  auch 
dem  Großen  Neidhartspiel  der  endgültige  Abschluß;  die  einzelnen 
Streiche,  die  einzelnen  Anekdoten  sind  wohl  zu  Ende  geführt  und 
in  sich  abgeschlossen,  aber  das  Spiel  als  Ganzes  bleibt  offen;  wir 
erwarten  im  Gegenteil  noch  weitere  Streiche,  auf  die  ausdrücklich 
hingewiesen  wird,  da  der  Herzog  dabei  Zeuge  sein  möchte. 

Andererseits  ist  aber  dem  Dichter  eine  große  Kunstfertigkeit  nicht 
abzusprechen,  besonders  in  der  Charakterisierung  sowohl  der  einander 
gegenübergestellten  Stände,  Ritter-  und  Bauernstand,  wie  der  einzel- 
nen Vertreter.  Glücklich  ist  der  Gegensatz  herausgearbeitet  in  dem 
derben  Ton  des  Bauerntanzes  um  den  Maien  und  dem  gezierten 
höfischen  Ton  des  Rittertanzes.  Hier  wirkt  bewußte  Sprachkunst, 
die  in  der  Wortwahl  bereits  die  beiden  Klassen  unterscheidend  cha- 
rakterisiert. Die  Sprachkunst  geht  aber  noch  weiter,  insofern  dieselben 
Menschen  unter  verschiedenen  Umständen,  in  verschiedener  Lage 
ihre  Ausdrucksweise  anpassend  verändern.  So  sprechen  die  Bauern 
bei  Hofe  in  ihrem  Bittgesuche  anders  als  in  ihrer  rohen  Selbstbewußt- 
heit unter  sich,  ebenso  wie  die  Ritter  im  Verkehr  mit  den  Bauern 
ihre  unter  Standesgenossen  geübte  Kultiviertheit  ablegen  und  ihre 
Verachtung  schon  durch  den  Sprachton  kundgeben. 

Wenn  aber  derart  auch  ein  individueller  Kunststil  des  Verfassers 
unverkennbar  vorliegt,  so  steht  doch  das  ganze  Spiel  durchaus  im 
Banne  der  Spielmannsdichtung,  stofflich  sowohl  wie  stilistisch.  Daß 
auch  Beeinflussungen  durch  das  geistliche  Drama  stattfinden,  beweist, 
ohne  alle  sonstigen  kleineren  Übereinstimmungen  im  Formel-  und 
Phrasenschatz,  vor  allem  das  Teufelsspiel,  das  emgeschoben  ist  ohne 
jeden  innerlich  notwendigen  Zwang.  Der  Grund  dürfte  allein  liegen  in 
der  wachsenden  Beliebtheit  der  Teufelsspiele  des  geistlichen  Dramas. 


Fastnachtspiele:  Episch-lyrische  Entstehungsformen:  Tänze  und  Umzüge.  45 


Das  Volk  verlangt  sie,  und  so  wurden  sie  ihm  auch  im  Rahmen 
des  weltlichen  Dramas  geboten.  Sonstige  Anlehnungen  an  das  geist- 
liche Drama  erblicken  wir  in  Erinnerungen  an  die  Rubingestalt  der 
Quacksalberszene  oder  an  Züge  der  Grabwächterszene.  Bei  dem 
Teufelsspiel  finden  wir  Übereinstimmung  sogar  in  einzelnen  Worten, 
ebenso  in  Situationen,  wie  der  Teufelsberufung.  —  Doch  findet  hier 
das  Teufelsspiel  eine  Erweiterung,  die  dem  geistlichen  Drama  fremd 
ist.  Es  wird  ausgestaltet  zu  einer  Satire  auf  die  Kleidermode  der 
Bauern,  wie  sie  im  13.  und  14.  Jahrhundert  besonders  in  Süddeutsch- 
land beliebt  ist.  Seit  dem  13.  Jahrhundert  war  der  Bauernstand  zu 
großem  Wohlstand  gelangt  und  zeigte,  wie  wir  aus  dem  „Meier  Helm- 
brecht" ersehen,  das  eitle  Bestreben,  seine  alten,  einfachen  Sitten 
abzulegen  und  es  den  Rittern  in  Kleidung  und  Gebräuchen  gleich- 
zutun. Es  gibt  aus  der  Zeit  des  15.  Jahrhunderts  eine  ganze  Reihe 
von  Kleiderordnungen,  die  dem  übertriebenen  Luxus  steuern  wollen. 
Die  Teufelssatire  besagt  nun,  daß  mit  dieser  Hoffart  Unfrieden  und 
Uneinigkeit  unter  den  Bauern  selbst  und  zwischen  ihnen  und  den 
Rittern  eingekehrt  sei.  Daraus  aber  folgt  Mord  und  Totschlag,  und 
der  Teufel  hat  den  Gewinn.  Deshalb  sendet  Luzifer  seine  Gesellen 
zum  Seelenfang  unter  die  Bauern,  ähnlich  wie  in  den  Teufelsspielen 
des  geistlichen  Dramas.  —  Nicht  alle  Übereinstimmungen  des  Sprach- 
stils mit  dem  geistlichen  Drama  dürfen  aber  als  Entlehnungen  und 
Angleichungen  aufgefaßt  werden.  Zum  großen  Teil  müssen  sie  auf 
eine  gemeinsame  Grundlage  zurückgeführt  werden,  auf  die  höfische 
episch-lyrische  Dichtung,  auf  die  Spielmannspoesie,  aus  der  sowohl 
weltliches  wie  geistliches  Drama  schöpfen.  Im  allgemeinen  geht  wohl 
das  weltliche  Drama,  wie  es  die  Spielleute  mimusartig  verbreiteten, 
dem  geistlichen  Schauspiel  voran.  Aber  die  Spielleute  schreiben  ihre 
improvisatorischen  Szenentexte  nicht  auf,  während  die  kirchlichen, 
zum  großen  Teil  didaktischen  Zweck  verfolgenden  Schaustücke  früh- 
zeitig durch  die  Geistlichen,  die  sich  an  die  Evangelien  halten  konnten, 
in  Schrift  erhalten  worden  sind. 

Weitere  Fassungen  der  Neidhartspiele  sind  ein  Sterzinger  Szenar, 
das  eine  Quacksalberszene  enthält,  und  das  Kleine  Neidhartspiel  aus 
dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts.  Dieses  ist  schon  ganz  Fastnacht- 
spiel in  der  rohen  Derbheit  Nürnberger  Art,  wobei  auch  wieder  die 
Anklänge  an  die  komischen  Szenen  des  geistlichen  Dramas,  spiel- 
männischer  Herkunft,  sich  aufdrängen.  Das  Große  Neidhartspiel  da- 
gegen ist  noch  ausgedehntes  Frühjahrstanzspiel. 

5.  FASTNACHTSPIELE. 

a)  Episch-lyrische  Entstehungsformen:  Tänze  und  Umzüge. 

Wie  die  Neidhartspiele  sind  auch  die  Fastnachtspiele  ursprünglich 

aus  Tanzfeiern  entstanden,  gewissermaßen  die  Fortentwicklung  jener. 

Viele  sind  noch  Tanzspiel  benannt,  die  meisten  sind  noch  Aufzüge, 


i 


a6  Mittelalter:  Weltliche  Komödien. 

zum  Teil  tragen  sie  auch  die  Benennung  Aufzug  und  entsprechen 
damit  jener  Tanzform  des  Umzugs.  Das  Tanzelement  ist  aber  nun 
von  dem  Textelement  reinlich  getrennt  und  auf  den  Schluß  verwiesen. 
Zum  Abschluß  der  Wechselreden  fordert  gewöhnlich  der  letzte  Sprecher 
oder  auch  einmal  gelegentlich  der  Herold  die  Spieler  zum  Tanz  auf. 
Diese  Aufzugs-  oder  Umzugsform  bedingt  die  ganze  Spielform,  indem 
in  einer  gewissen  gleichförmigen  Regelmäßigkeit  einer  nach  dem 
anderen  der  Mitwirkenden  seine  Rede  vom  Stapel  läßt,  ohne  daß  ein 
lebendiges  Hin  und  Her  dramatischer  Wechselrede  erfolgte.  Wir 
werden  an  die  Teufels-  und  Sünderrevuen  erinnert,  auch  an  die  Werbe- 
reden der  Bauern  und  der  Ritter  im  Neidhartspiele.  Die  Revueform 
ist  ja  seit  Heinrich  von  Melk,  dem  ältesten  deutschen  Satiriker,  also  seit 
dem  12.  Jahrhundert  literarisch  bezeugt.  Ganz  in  diesem  Stile  ist  gehalten 
das  Spiel  von  den  sieben  Weibern,  das  wohl  als  ältestes,  noch  aus  dem 
14.  Jahrhundert  stammendes  Fastnachtspiel  gelten  kann.  Es  ist  nicht 
mehr  Tanzspiel  wie  das  Neidhartdrama,  sondern  reines  Aufzugsspiel: 
jede  der  sieben  Frauen  erhebt  Anspruch  auf  den  einen  Mann,  der 
zum  Schluß  sich  für  die  letzte  erklärt.  Daran  knüpft  der  Proklamator 
die  Moral  des  Jesaias,  daß  sieben  Weiber  einem  Mann  nachjagten. 

Grundlage  solcher  Spiele  sind  also  Umzugstänze,  die  alther- 
gebrachten Volkssitten  entsprechen  und  ihre  Träger  sind  unmittel- 
bare Glieder  des  Volkes  selbst.  Wie  in  ältesten  Zeiten  die  waffen- 
fähige Mannschaft  eines  Dorfes  sich  im  Frühjahr  zum  Schwerttanze 
zusammenfand,  die  Jungmannschaft  zum  Frühjahrsbeginn  in  ver- 
mummten Umzügen  die  tod-  und  gefahrbringenden  Winterdämonen 
austrieb,  so  hatte  sich  in  der  christlichen  Zeit  diese  Sitte  fortgeerbt 
und  sich  unter  zeitgemäßer  Modifikation  zum  Vorrecht  einzelner  Berufs- 
klassen, Zunftgenossenschaften  ausgebildet.  So  wurde  nach  Brauch 
und  Herkommen  1449  in  Nürnberg  etwa  den  Fleischergesellen  das 
Recht  verbrieft,  um  die  Fastnachtzeit  den  Schempartlauf  zu  tanzen, 
was  also  an  sich  schon  eine  mimische  Darstellung  in  Kostümverklei- 
dung war.   Diese  Aufzüge  sind  aber  ihrem  Wesen  nach  undramatisch. 

In  ihre  Gleichförmigkeit  kommt  ein  belebendes  Moment,  wenn,  wie 
es  natürlich  oft  in  diesen  Abkömmlingen  ursprünglicher  Umzugs-  und 
Figurentänze  geschieht,  eine  lustige  Person,  der  Narr,  mit  auftritt. 
Dies  ist  besonders  häufig  der  Fall  gegen  Ende  des  Mittelalters.  Da- 
mals ist  der  Irrationalismus,  der  zur  Blütezeit  der  Mystik  geführt  hatte, 
vom  zunehmenden  Rationalismus  abgelöst  worden.  Entsprechend 
wurde  auch  die  Teufelsgestalt,  die  ja  durchaus  irrationalen,  mysti- 
schen Ursprungs  ist,  rationalisiert.  Das  böse  Prinzip  wurde  als  in- 
tellektuelles Negativum  aufgefaßt  und  demgemäß  der  böse  Dämon, 
der  Teufel,  durch  den  Narren  ersetzt.  Eine  interessante  Zwischen- 
stufe dieses  Übergangs  des  sittlich  Bösen  zum  logisch  Dummen  ge- 
währt uns  die  Narrenfigur  in  dem  II.  Erlauer,  dem  Dreikönigsspiel, 
die  zum  Teil  schon   durchaus   als  Harlekin   sich  gebärdet,  zum  Teil 


Fastnachtspiele:  Dramatische  Formen:   Werbespiele.  47 

aber  ohne  jede  närrische  Beimischung  als  rein  boshafter  Höllenkerl 
sich  zeigt.  Erst  im  1 6.  Jahrhundert,  da  wieder  die  irrationalen  geistigen 
Triebkräfte  der  Welt  und  des  Menschen  größere  Anerkennung  er- 
langten, da  religiöse  Gedanken  den  geistigen  Horizont  beherrschten, 
trat  auch  wieder  vielfach  der  Teufel  an  die  Stelle  des  Narren.  Dieser 
Teufelsnarr  ist,  wie  von  Anbeginn  so  bis  zu  Ende,  eine  Hauptfigur 
der  Fastnachtspiele. 

b)  Dramatische  Formen, 
aa)  Werbespiele. 

So  wesentlich  der  Teufelsnarr  als  erster  Träger  der  Komik  ist,  kann 
er  doch  dem  Umzug  nicht  dramatischen  Charakter  verleihen.  Keimhaft 
war  dieser  durch  das  eingangs  besprochene  Kampfelement  gegeben. 
Aber  wie  nur  ein  Kampfziel  den  Kampf  spannend  macht,  so  ge- 
schieht auch  bei  unseren  Fastnachtsmummereien  der  entscheidende 
Schritt  zum  dramatischen  Konflikt  erst  dadurch,  daß  dem  Umzug  oder 
Aufzug  ein  Ziel  gesetzt  wird,  daß  der  Tanz  ein  Objekt  erhält,  das 
durch  den  Tanz  erworben  werden  soll,  wie  etwa  im  Großen  Neidhart- 
spiel die  Bauern  um  Friederuns  Spiegel,  das  Symbol  ihres  jungfräuHchen 
Magdtums,  tanzen,  der  dem  besten  Tänzer  versprochen  ist.  Darin  liegt 
uralter  Brauch.  Der  Liebeswerbetanz ,  wie  er  heutzutage  noch  im 
Schuhplattler,  in  der  italienischen  Tarantella  fortlebt,  wie  er  besonders 
in  slavischen  Tänzen  erhalten  ist,  gehört  zu  den  ältesten  Tanzformen, 
die  selbst  im  Tierreich  zu  beobachten  sind.  Ich  erinnere  daran,  wie 
der  Täuber  gurrend  das  Taubenweibchen  umhüpft.  —  Im  Fastnachtspiel, 
das  das  Mimisch-Chorische  durch  das  Mimisch-Deklamatorische  ersetzt 
hat,  entsteht  so  das  Werbespiel,  das  dem  Zweck  der  Volksbelustigung 
entsprechend  burleske  Gewandung  erhält.  Hierher  ist  zu  rechnen  Stück 
Nr.  14  in  Kellers  Sammlung,  worin  der  größten  Narrheit  der  Frauen- 
preis, ein  Apfel,  versprochen  ist,  den  der  Erzähler  des  10.  Streichs  auch 
wirklich  erhält.  Hier  ist  Spannung  erregt  durch  die  sich  erhebende 
Frage:  Wer  wird  den  Apfel  erringen?;  es  ist  Steigerung  erstrebt  in 
den  verschiedenen  Liebesnarrheiten,  bis  schließlich  der  Zehnte  in 
seiner  derben  Absurdität  alle  anderen  übertrumpft.  Daß  dies  Spiel 
„Morischgentanz"  benannt  ist,  weist  deutlich  auf  seinen  Ursprung 
hin.  Eine  ähnliche  Revue  mit  darauffolgendem  Tanz  ist  das  „Vast- 
nachtspiel  von  Münch  Berchtolt"  (Nr.  66).  Besonders  gleicht  dem 
Morischgentanz  das  „Vastnachtspiel,  der  alt  Hannentanz",  ein  rich- 
tiges Preistanzspiel  um  einen  Hahn,  wie  dort  um  den  Apfel,  Schon 
im  Namen  zeigt  den  Charakter  des  Werbespiels  Stück  Nr.  70  „Die 
Vasnacht  vom  Werber  umb  die  Junkfrau".  Verschiedene  Stände 
werben  um  ein  Mädchen,  das  sich  schließlich  dem  Schreiber  ergibt. 
Es  erinnert  an  die  Sünderrevuen  und  zeigt,  wie  sehr  die  Charakte- 
ristik der  einzelnen  Stände  und  Berufe  Traditionsgut  war. 


48  Mittelalter:  Weltliche  Komödien. 

Das  in  diesen  und  ähnlichen  Spielen  wirksame  Motiv  der  gegen- 
seitigen Übertrumpfung  weist  schon  auf  die  Entwicklung  hin  von  der 
bloßen  Aneinanderreihung  gleichwertiger  Reden  zu  gegenseitig  sich 
begründender  Rede  und  Gegenrede.  Damit  ist  bereits  wirkliches 
dramatisches  Element  mit  innewohnendem  Spannungscharakter  in  das 
Aufzugsspiel  eingezogen.  Je  mehr  diese  Rede  und  Gegenrede  aus- 
gestaltet wird,  um  so  spannender  wird  das  Spiel,  um  so  dramatischer 
wirkt  es.  Diese  Entwicklung  setzt  aber  auch  die  Befreiung  von  der 
Gebundenheit  des  Aufzugs  der  Spieler  voraus.  Es  erfordert  Regie, 
wenn  auch,  im  Gegensatz  zu  den  Prachtaufführungen  der  Passions- 
darstellungen am  Ende  des  Mittelalters,  im  Fastnachtspiel  ohne  jeden 
Inszenierungsapparat  gespielt  wird.  Tiefengliederung  tritt  an  die  Stelle 
der  Flächenreihung.  Dargestellte  Handlungen  ersetzen  die  wie  auf 
alten  Gemälden  den  Personen  angehefteten  Spruchbänder. 

bb)  Streitspiele. 

Gern  wird  dazu  das  brauchbare  Mittel  der  Streit-  und  Gerichts- 
szenen benutzt.  Auch  dies  Motiv  entspricht,  wie  wir  gehört  haben, 
altem  Volksbrauch.  Außerdem  ist  die  Gerichtsform  an  sich,  worauf 
schon  Bergson  (Le  Rire)  hingewiesen  hat,  durch  ihre  Starrheit  gegen- 
über dem  vor  und  in  ihr  sich  abspielenden  Leben  dem  Komischen 
zugänglich.  Sie  ist  daher  auch  von  jeher,  schon  seit  Aristophanes 
beliebt  und  bietet  in  Klage  und  Gegenklage,  Beschuldigung  und  Ver- 
teidigung von  vornherein  dankbares  Feld  zur  Entfaltung  wirkungs- 
kräftiger Disputationskomik.  Viel  beigetragen  zur  Beliebtheit  der  Ge- 
richtsform haben  auch  die  mit  ihr  innig  verknüpften  Prozessualalle- 
gorien,  die,  durch  Konrad  von  Würzburgs  „Klage  der  Kunst"  im 
13.  Jahrhundert  in  die  deutsche  Literatur  eingeführt,  bis  tief  ins  16.  Jahr- 
hundert gangbare  Ware  blieben. 

Die  einfachste  Form  solcher  Gerichtsszenen  als  Fastnachtspiel  sehen 
wir  im  Stück  40:  „Das  ist  die  Eefrau,  wie  sie  ihren  Man  verklagt 
vor  Hofgericht".  Die  Ehefrau  erhebt  vor  Gericht  Klage,  daß  ihr  Mann 
seinen  ehelichen  Pflichten  nicht  nachkomme  und  die  Ehe  breche:  „Er 
trägt  mir  mein  nachtfuoder  auss  und  ich  bedörft  sein  selber  wol  im 
haus".  Darauf  geben  die  Schöffen  nach  des  Richters  Aufforderung 
der  Reihe  nach  ihr  Urteil  ab.  Zum  Schlüsse  wird  der  Mann  auf  Wohl- 
verhalten entlassen  und  zieht  mit  der  Klägerin  ab.  Für  die  Sitten- 
geschichte der  damaligen  Zeit  ist  es  bezeichnend,  daß  wir  unver- 
gleichlich viel  häufiger  Klagen  über  Ehebruch  seitens  des  Mannes 
begegnen  als  seitens  der  Frau.  Die  Fastnachtspiele  stimmen  darin 
überein  mit  den  Ergebnissen  rechtsgeschichtlicher  Forschung  und 
beweisen  dadurch,  daß  wir  sie  als  Kulturspiegel  benutzen  dürfen. 
Gleicherweise  berichtet  uns  über  Zeitumstände  Stück  54,  worin  Ge- 
richt gehalten  wird  über  den  „Tanawäschel".  Dieser  ist  die  Personi- 
fikation einer  Seuche,  wahrscheinlich  Grippe  oder  Influenza,  die  1414 


Fastnachtspiele:  Dramatische  Formen:  Streitspiele.    Realistische  Volkskunst.  4g 

ganz  Deutschland  heimgesucht  hat.  Das  Stück  erinnert  in  doppelter 
Weise  an  den  Ursprung  der  Fastnachtspiele.  Zunächst  ist  die  Hin- 
richtung der  typische  Schluß  der  Schwerttänze,  worin  zugleich  eine 
Reminiszenz  an  ihren  ursprünglich  sakralen  Charakter  liegt.  Solche 
Schwerttänze  sind  uns  in  urkundlichen  Berichten  überliefert  und 
reichen,  wie  uns  Tacitus'  Bericht  zeigt,  in  älteste  Zeiten  hinauf.  Einer 
dieser  Berichte  erzählt,  daß  155 1  in  Ulm  vierundzwanzig  als  Bauern 
verkleidete  Handwerksburschen  einen  Narren  im  Schwerttanze  um- 
kreisten, wobei  jeder  sein  Schwert  auf  dessen  Schulter  liegen  ließ. 
Dieses  Auflegen  des  Schwerts  auf  die  Schulter  oder  den  Nacken  ist 
die  symbolische  Handlung  der  Hinrichtung.  Der  Narr  aber  ist,  wie 
wir  oben  ausgeführt  haben,  nichts  anderes  als  der  Teufel,  das  böse 
Prinzip  selbst.  Und  so  verquickt  sich  auch  hier  der  Schwerttanz 
mit  seiner  ursprünglichen  heidnischen  Ursache  der  Austreibung  der 
bösen,  schädlichen  Dämonen.  Nichts  anderes  ist  der  Tanawäschel 
als  einer  jener  todbringenden  Geister,  die  in  der  Frühjahrszeit  un- 
schädlich gemacht  werden  sollen.  Das  Tanawäschel-Spiel  knüpft  an 
den  ureigentlichen  Sinn  der  Fastnachtsfeiern  an  und  gestaltet  sie  in 
der  beliebten  Gerichtsform. 

Das  beste  Gerichtsspiel  ist  aber  das  Spiel  von  Rumpolt  und  Ma- 
reth,  Nr.  115:  „Incipit  ludus  solatiosus  exercendus  tempore  nuptiarum  A 
vel  carnis  brevi  in  habit,  ubi  placuerit".  Ähnlichen  Inhalt  hat 
Nr.  130:  „Hye  hebt  sich  an  ein  Recht  von  Rumpolt  und  Marecht, 
dy  yn  dy  ee  ansprach".  Es  scheint,  daß  Vigil  Raber,  der  bekannte 
Tiroler  Regisseur  geistlicher  Dramen,  in  stark  verweltlichter  Form,  wie 
sie  uns  in  der  Sterzinger  Sammlung  erhalten  sind,  auch  das  Stück  115 
redigiert  habe.  Die  Knappheit  und  Naivität  des  Ausdrucks  erhöht  den 
Wert  dieser  alten  Form  des  Deflorationsprozesses  über  die  spätere  Er- 
weiterung durch  Nikiaus  Manuel,  der  bereits  den  Typus  des  Bildungs- 
künstlers vertritt. 

cc)  Realistische  Volkskunst, 

Das  Fastnachtspiel  ist  aber  seiner  inneren  Natur  nach  Volkskunst. 
Diese  Tatsache  erhellt  auch  daraus  und  ist  zugleich  der  Grund  dafür, 
daß  in  den  etwa  140  Fastnachtspielen,  die  uns  überliefert  sind,  so 
zahlreiche  gleichartige  Stücke  enthalten  sind.  Wenn  wir  auch  nicht 
immer  die  kürzeste  Form  zugleich  für  die  früheste,  die  älteste  Ge- 
staltung eines  Stoffes  annehmen  dürfen,  so  darf  doch  im  allgemeinen 
behauptet  werden,  daß  Stücke,  die  bei  ihrer  Aufführung  Beifall  er- 
langten, Zugkraft  bewiesen,  gern  am  selben  und  an  anderen  Orten 
wiederholt  werden.  Bei  diesen  Wiederholungen  werden  dann  Zu- 
sätze, zum  Teil  von  Lokalcharakter,  hinzugefügt  und  derart  wird  der 
improvisatorische  Charakter  gewahrt. 

Dieser  Prozeß  kann  auch  beim  Arztspiel  beobachtet  werden.  Ur- 
sprünglich ist  es,  wie  schon  besprochen,  im  Rahmen  der  Auferstehungs- 

H  o  1 1 ,  Lustspiel,  4 


i 


j 


CQ  Mittelalter:  Weltliche  Komödien. 

spiele  entstanden.   In  seiner  frühen  Selbständigkeit  wurde  es  aber  bald 
ein  beliebtes  Fastnachtspiel,  von   dem  verschiedene  Überlieferungen 
in  der  Sammlung  Kellers  enthalten  sind.    Dabei  sind  dann  wieder  be- 
liebte Erweiterungen  zu  bemerken,   die  sich  wesentlich  um  das  Hei- 
Mungsmotiv  drehen.  Ausschlaggebend  ist  natürlich  derbe  Komik.  Meist 
j- handelt  es  sich  um  einen  an  Leibschmerzen  erkrankten  Bauern.    Da 
wird  denn  zunächst  die  Diagnose  mit  Hilfe  des  Harns   festgestellt. 
iHier  liegt  bereits  eine  Quelle  zu  wirkungskräftiger  Unfläterei.    Diese 
;wird  gesteigert,  indem  dem  Kranken  eine  Salbe  oder  Arzenei  verordnet 
Iwird,  als   deren  Erfolg   er   sich  des   Darminhalts  in   ungewöhnlicher 
Quantität  entledigt.     Der   Stuhlgang  und  besonders   seine  groteske 
Menge  bildet  ja  stets  ein  beliebtes  Motiv  der  Komik  des  Fastnacht- 
spiels. Am  weitesten  treibt  die  Groteske  dieser  Art  Stück  23,  das  schon 
den  charakteristischen  Titel  führt:  „Ein  Vasnachtspil  vom  Dreck".    Der 
Ausrufer  spricht  das  Schlußwort,  das  zugleich  eine  Entschuldigung, 
wie  bei  den  meisten  Fastnachtspielen,  des  etwa  allzu  derben  Inhalts 
ist.    Darin  stehen  die  bezeichnenden  Verse: 

„Ob  wir  das  han  zu  grob  gemacht,  Dar  inn  man  sich  fast  ergem  kan 

So  trifft  es  doch  kein  unzucht  an,  Und  frauenpild  raizen  zu  schänden". 

Die  Spieler  machen  also  einen  klaren  Unterschied  zwischen  erlaubter 
und  unerlaubter  Derbheit.  Unzucht  ist  die  derbe  sexuelle  Komik. 
Doch  dürfen  wir  deshalb  nicht  etwa  denken,  daß  das  Sexuelle  ver- 
pönt gewesen  sei,  im  Gegenteil,  es  wird,  wie  schon  der  Deflorations- 
prozeß  zeigt,  mit  unerschöpflicher  Erfindungskraft  und  unermüdlicher 
Wiederholungslust  immer  wieder  breitgetreten.  Auch  hier  sind  die 
Symbole  des  attischen  Mimus,  der  gewaltige  Podex  und  der  ungeheure 
Phallus,  durchaus  am  Platze,  zählt  doch  auch  das  Fastnachtspiel 
den  Phallusträger  zu  seinen  deutschen  Ahnen.  In  immer  neuen  Be- 
nennungen geschlechtlicher  Dinge  betätigt  sich  die  sprachschöpfe- 
rische Kraft  der  Zeit  am  meisten.  Daran  nahmen  anscheinend  auch 
die  Frauen  keinen  Anstoß,  die,  wenn  auch  nicht  als  Schauspieler, 
so  doch  als  Zuschauer  sicher  anwesend  waren.  Die  Zeit  war  derbe 
Kost  gewöhnt,  und  gar  manches,  das  heute  unmöglich  ist,  war  da- 
mals gangbarer  Artikel.  Es  herrschte  darin  keinerlei  Zensur,  und  so 
konnte  das  Fastnachtspiel  nach  Herzenslust  seinem  Ziel  fröhnen. 
Ausschnitte  des  täglichen  Lebens  in  realistischer  Schilderung  zu 
geben.  In  dieser  karikierenden  Abmalung  der  Umwelt  liegt  das 
Hauptstoffgebiet  der  Fastnachtspiele. 

dd)  Bildungsstoffe  und  politische  Satire. 

Das  Fastnachtspiel  schöpft  gelegentlich  auch  aus  andern  Quellen, 
wobei  allerdings  trotzdem  das  mimisch  porträtierende  Element  zur 
Hintertüre  wieder  eindrängt.  So  gab  die  epische  Überlieferung  Stoff  her, 
wenn  ein  Zug  aus  dem  Leben  Dietrichs  von  Bern  dargestellt  wurde 
unter  dem  Titel   „Ein  Spil  von  dem  Ferner  und  Wundrer"  (Nr.  62), 


Fastnachtspiele:  Dramatische  Formen:  Bildungsstoffe  und  politische  Satire.  ^I 

worin  wieder  der  Ursprung  des  Schwerttanzes  in  dem  Hinrichtungs- 
motiv, wie  beim  Tanawäschel,  zutage  tritt.  Zwei  Spiele  berühren  den 
Sagenkreis  des  Königs  Artus:  (Nr.  80)  „Das  Vasnachtspiel  mit  der 
Krön"  und  (Nr.  81)  „Der  Luneten  Mantel".  Beide  Spiele  gehören  in- 
haltlich zusammen,  indem  sie  sich  gegenseitig  ergänzen;  das  erste 
ist  die  Prüfung  des  treuen  Ehemanns,  dem  allein  die  Krone  paßt, 
das  andere  ist  die  Prüfung  der  treuen  Ehefrau,  der  allein  der  Mantel 
paßt.  Auch  die  im  Mittelalter  beliebte  Sage  von  Salman  und  Morolt 
findet  Bearbeitung;  schon  im  Großen  Neidhartspiel  sind  manche  Züge 
daraus  entnommen.  Aus  der  Reihe  der  Spiele,  die  nicht  direkt  dem 
täglichen  Leben  der  Umwelt  abgelauscht  sind,  seien  noch  vier  hervor- 
gehoben. Zunächst  das  der  Schwankliteratur  der  Anekdotensamm- 
lungen entnommene  Stück  22:  „Ein  Spil  von  einem  Keiser  und  eim 
Apt",  dessen  Inhalt  aus  Bürgers  Ballade  bekannt  ist.  Es  kommt 
darin  noch  gut  die  ursprüngliche  Revueform  zum  Ausdruck,  und 
ebenso  beweist  sich  die  ursprüngliche  Tanzfeier  in  der  Aufforderung 
am  Schlüsse  ,,Her  apt,  erlaubet  uns  ein  tanz,  neur  piß  hinauss  die 
vasnacht  ganz!" 

Besonders  interessant  ist  uns  noch  Stück  Nr.  128:  „Ayn  Spil  von 
Mayster  Aristotiles",  worin  der  Sieg  der  Frauenlist  über  Mannesweis- 
heit dargestellt  wird,  indem  der  gelehrte  Aristoteles  sich  durch  die 
angeblich  in  ihn  verliebte  Königin  betören  läßt,  sie  auf  allen  Vieren 
gehend  auf  dem  Rücken   im  Zimmer  herumzutragen,  wobei  er  von  / 

dem  bestellten  König  überrascht  wird.  Schließlich  haben  wir  noch 
ein  Beispiel  zu  betrachten,  in  dem  das  Fastnachtspiel  zur  poli- 
tischen Satire  wird.  Dies  ist  der  Fall  in  Nr.  68:  „Des  Entkrist  Vas- 
nacht", das  eine  Resonanz  politischer  Vorgänge  aus  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  darstellt.  Bedeutender  ist  die  politische  Satire  aus- 
gestaltet in  Nr.  39:  „Des  Türken  Vastnachtspil",  das,  nach  seinen  zahl- 
reichen Abschriften  zu  urteilen,  überaus  beliebt  und  demgemäß  ver- 
breitet war.  „Der  Großtürke  hat  gehört,  in  welch  verkommenem  Zu- 
stand sich  die  Christenheit  befindet,  wie  Bürger  und  Bauer  unter  der 
Straßenräuberei  leiden  müssen,  wie  Hoffart,  Wucher,  Simonie,  Bestech- 
lichkeit in  der  Rechtspflege  um  sich  gegriffen  haben.  Er  kommt  mit 
nürnbergischem  Geleit  ins  Reich,  um  diese  Not  abzustellen.  Die  Boten 
des  Papstes,  des  Kaisers  und  der  Kurfürsten,  die  ihn  mit  Grobheiten 
und  Drohungen  zurückweisen  wollen,  müssen  sich  von  den  Räten  des 
Sultans  scharfe  Wahrheiten  sagen  lassen,  zudem  erklären  die  Bürger 
von  Nürnberg,  daß  sie  trotz  Kaiser,  Fürsten  und  Herrn  das  freie  Geleit 
unverbrüchlich  halten  wollen;  wer  sich  an  den  Sultan  getraut,  ,muß 
eine  saure  Suppe  mit  uns  essen'.  Dafür  dankt  ihnen  dann  der  Sultan 
und  versichert  sie  eines  ehrenvollen  Empfanges,  wenn  sie  einmal  in 
sein  Land  kommen  sollten"  (Michels).  Deutlich  tritt  darin  des  Bürgers 
Standpunkt  hervor,  dem  es  ankommt  auf  Ruhe  und  Sicherheit  im 
Land,  so  daß  er  ohne  Gefahr  Handel  und  Wandel  treiben  kann. 


/ 


C2  Mittelalter:  Weltliche  Komödien. 

ee)  Hans  Rosenplüt  und  Hans  Folz. 

Das  Fastnachtspiel  vom  Türken  wird  wohl  mit  Recht  Hans  Rosen- 
plüt zugeschrieben,  einem  der  ganz  wenigen  dem  Namen  nach  be- 
kannten Dichter  von  Fastnachtspielen.  Sein  besonderes  Kennzeichen, 
das  gerade  in  diesem  Stücke  zum  Vorschein  kommt,  ist  das  unbedingte 
Selbstbewußtsein  des  Bürgers  eines  blühenden  städtischen  Gemein- 
wesens, der  dreist  sein  Urteil  über  Kaiser  und  Reich  äußert.  Hans 
Rosenplüt,  genannt  der  Schnepperer,  lebte  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts in  Nürnberg.  Sicher  von  ihm  stammend  ist  nur  ein  Fastnacht- 
spiel überliefert,  Nr.  100:  „Des  Künig  von  Engellant  Hochzeit",  ein 
formell  unbedeutendes  Stück,  das  uns  aber  immerhin  Rosenplüts  Vor- 
liebe für  Behandlung  politischer  Stoffe  bezeugt.  Außerdem  werden 
ihm  als  dem  Schnepperer  zugeschrieben  noch  die  Nummern  19,  39, 
41,  42,  46,  49,  88,  96,  108,  109.  Rosenplüt  tritt  uns  als  bürgerlicher 
Dichter  von  stark  ausgeprägtem  Standesbewußtsein  entgegen  und  als 
überzeugter  Patriot  Nürnbergs.  Dieses  Selbstgefühl,  das  sich  gründet 
auf  die  Zugehörigkeit  zu  einem  blühenden  Stadtwesen,  ist  Rosenplüts 
Vorzug.  Im  übrigen  steht  er,  mit  Ausnahme  seiner  politischen  In- 
teressiertheit, ganz  im  Banne  der  Tradition  des  Fastnachtspiels.  Seine 
dramatische  Begabung  ist  in  keiner  Weise  überragend,  ebenso  wie 
seine  moralische  Persönlichkeit  sich  durch  nichts  von  dem  gewöhn- 
lichen Durchschnittsphilister  unterscheidet,  der  alles  verzeiht,  solange 
es  nicht  an  die  Öffentlichkeit  tritt,  und  der  auch  bei  Entdeckungen  kein 
Aufhebens  macht,  sobald  nur  der  Täter  verspricht,  in  Zukunft  sich  zu 
bessern:  „Die  größte  puß  ist  nimmerthun",  lautet  sein  Moralgrundsatz. 

Der  beste  uns  dem  Namen  nach  überlieferte  Dichter  von  Fastnacht- 
spielen vor  Hans  Sachs  ist  Hans  Folz.  Er  arbeitet  etwa  30 — 40  Jahre 
später  als  Rosenplüt.  Von  Geburt  ist  er  Pfälzer,  er  stammt  aus 
Worms,  hat  aber  seinen  Wohnsitz  als  Barbier  und  Chirurg  in  Nürn- 
berg. Mit  seinem  Namen  sind  sieben  Stücke  belegt:  i,  7,  38,  43,  44, 
60,  112.  Wahrscheinlich  stammt  von  ihm  noch  120  und  vielleicht  auch 
20,  22,  32,  35,  37,  51,  55,  106.  Unstreitig  besitzt  der  temperament- 
volle, wortgewandte  Pfälzer  im  Vergleich  zu  Rosenplüt  größere  Kunst- 
fertigkeit, lebendigere  Darstellungskraft,  bewußteres  Kunstverständnis. 
Gegenüber  dem  philiströsen  Moralisten  betätigt  sich  Folz  als  genuß- 
freudiger Humorist.  Charakteristisch  für  seine  Künstlerart  ist  Nr.  60: 
„Ein  Spil  von  König  Salomon  und  Markolfo",  das  der  weitverbreiteten 
Spielmannsepik  den  Stoff  entlehnt.  Am  besten  bewährt  sich  seine 
Kunst  in  der  naturalistischen  Abschilderung  täglichen  Lebens,  wo  er 
mit  erfrischender  Lebendigkeit  die  einzelnen  Typen  vor  uns  hinstellt. 
Eine  ergötzliche  Satire  über  den  mit  seinem  Stande  unzufriedenen 
Bauern  enthält  Stück  55:  „Ein  hübsch  Vastnachtspil".  „Das  ganze 
Stück  von  dem  Bauern,  der  aus  seinem  Stande  hinausdrängt  und  ein 
gutes  festes  Eigen  für  ein  Phantom  hingibt,  ist  deutlich  genug  eine 


Fastnachtspiele:  Dramat.  Formen:  Hans  Rosenplütu.  Hans  Folz,  InnereForm:  Typischer  Stil.     ^3 

Satire  auf  die  sozialistische  Bewegung,  die  sich  zu  regen  begann" 
(Michels).  Politisch  ist  Folz  weniger  interessiert  als  Rosenplüt,  da- 
gegen betont  er  mit  noch  stärkerem  Nachdruck  seinen  Judenhaß. 

Das  Fastnachtspiel  zeigt  uns  ebenso  wie  das  geistliche  Drama, 
daß  im  15.  Jahrhundert  eine  starke  Welle  des  Antisemitismus  durch 
Deutschland  zog.  So  beobachten  wir  überall,  daß  das  Fastnacht- 
spiel ein  realistisches  Abbild  der  Welt  des  Mittelalters  darstellt.  Nur 
aus  dem  Verständnis  mittelalterlicher  Kulturgeschichte  können  wir  das 
Fastnachtspiel  verstehen,  und  seine  Kenntnis  wiederum  gibt  uns  wich- 
tige  Bausteine   zur   mittelalterlichen    Kultur-   und   Geistesgeschichte. 

c)  Innere  Form. 

aa)  Typischer  Stil. 

Der  Stil  des  Fastnachtspiels  ist  durchaus  typisch.  Selten  hören  wir 
Eigennamen.  Die  Spieler  sind  Volksvertreter  oder  Standes-,  Berufs- 
typen. Die  Typizität  des  Fastnachtspiels  liegt  auf  derselben  Linie  wie 
Teufels-  und  Sünderrevuen,  wie  die  beliebten  Totentänze.  Der  antike 
und  der  in  der  Renaissance  wurzelnde  neuzeithche  Mensch  schreitet 
in  seiner  Kunst  vom  Individuellen  zum  Typischen.  Der  naive  mittelalter- 
liche Mensch  geht  vom  Typischen,  vom  allgemeine  Geltung  Habenden 
aus.  So  spiegelt  sich  der  Dualismus  mittelalterlicher  Weltanschauung 
auch  in  der  dramatischen  Kunst  der  Zeit.  Die  dualistischen  Welt- 
anschauungsmächte des  Mittelalters  sind  Himmel  und  Hölle,  beide 
symbolisiert  in  Gott  und  dem  Teufel.  Entsprechend  steht  im  geist- 
lichen Drama  Christus,  im  weltlichen  der  Teufel  oder  seine  intellek- 
tuelle Ersatzgestalt,  der  Narr  —  statt  des  Höllenkerls  der  Harlekin  — , 
im  Mittelpunkt:  Ernst,  Heilswahrheit,  Weisheit,  Tragik  sind  die  Trieb- 
kräfte im  geistlichen  Spiel;  Heiterkeit,  Sündhaftigkeit,  Torheit,  Komik 
die  im  weltlichen.  Diese  Triebkräfte  finden  in  beiden  Spielarten  un- 
mittelbaren Ausdruck  und  besitzen  gerade  in  dieser  Unmittelbarkeit 
ihren  ureigenen  Kunststil.  Es  wird  nicht  dargestellt  der  Heilsglaube 
oder  die  Torheit  des  bestimmten  Hinz  oder  Kunz,  sondern  der  Heils- 
glaube, die  Torheit  der  mittelalterlichen  Menschheit  in  ihrer  Gesamt- 
heit spricht  unmittelbar  sich  aus.  Die  Spieler  sind  tatsächlich  nichts 
weiter  als  jene  frühmittelalterlichen  Gemäldegestalten,  denen  Spruch- 
bänder aus  dem  Munde  gehen.  Individualisierung  liegt  dem  ursprüng- 
lichen Fastnachtspiele  wie  dem  geistlichen  Drama  ferne,  ebenso  fern 
wie  sie  seinen  beiden  Quellen,  der  heidnischen  Tanzfeier  und  dem 
Puppenspiel,  liegt.  Wenn  allmählich  individuelle  Charakterisierung 
eindringt,  so  macht  sich  darin  seine  dritte  Quelle  geltend,  der  aus 
der  Antike  kommende  und  im  Mittelalter,  direkt  oder  indirekt,  fort- 
lebende Mimus.  Je  stärker  das  Ansehen  der  Antike  mit  dem  ausgehen- 
den Mittelalter  und  in  der  Renaissance  wuchs,  um  so  mehr  nahm 
auch  die  Individualisierung  des  Fastnachtspiels  zu. 


54  Mittelalter:   Weltliche  Komödien. 

Entstehungsgeschichte  und  Wesensart  des  Fastnachtspiels  be- 
zeugen, daß  es  unmöglich  nur  als  Fortsetzung  der  Linie  angesehen 
werden  kann,  die  von  den  Weihnachts-  und  Osterspielen  zu  den 
Heiligen-  und  Legendenspielen  führt,  wobei  einfach  das  Stoffgebiet 
zugunsten  der  volktümlichen  Sage  erweitert  würde.  Das  Fastnacht- 
spiel ist  seinem  Wesen  nach  ebenso  unabhängig  vom  geistlichen 
Drama,  wie  dieses  von  ihm.  Beides  sind  Kunstformen,  die  Urerleb- 
nisse  des  mittelalterlichen  Menschen  als  Typus  darbieten.  Und  da  das 
Urerlebnis,  das  dem  geistlichen  Drama  zugrunde  liegt,  christlich-reli- 
giöser Art  ist,  das  des  Fastnachtspiels  aber  heidnischer  Art,  so  ist  die 
Grundlage  des  letzteren  die  ältere.  Indem  die  Spielmannskunst  die 
mimisch -chorische  Ausdrucksform  dieser  Grundlage  zugunsten  des 
Mimisch -Deklamatorischen  in  den  Hintergrund  gedrängt  hat,  ist  sie 
Urheberin  der  Fastnachtspiele  wie  der  weltlich-komischen  Szenen  des 
Dramas  geworden.  Ein  Beispiel,  wie  das  Quacksalberspiel,  zeigt  die 
parallele  Entwicklung  des  geistlichen  und  weltlichen  Dramas,  ihre  gegen- 
seitige Befruchtung  und  die  Wesenseinheit  ihres  Kunstcharakters. 

Dieses  im  Rahmen  des  geistlichen  Dramas  entstandene  Arztspiel 
arbeitet  wie  jedes  Fastnachtspiel  mit  derselben  Triebkraft,  mit  der  un- 
bestrittenen Annahme  der  Narrheit  aller  Menschen.    Diese  Gewißheit 
allgemeiner  Torheit  ist  weltanschauliches  Element,   da   sie  nur  den 
intellektuellen  Ausdruck  darstellt  der  im  mittelalterlichen  Glauben  fest- 
ig       gewurzelten  Überzeugung  von  der  allgemeinen  menschlichen  Sünd- 
j        haftigkeit.    Die  Narrheit  wird  dargestellt  als  Allgemeingut  der  Mensch- 
I         heit  überhaupt  oder  einzelner  Stände.    Sobald  aber  die  gewissen  Stän- 
[         den  oder  Berufsklassen  eigentümliche  Narrheit  zur  Darstellung  kommt, 
I         so  ist  damit  ein  Standpunkt  außerhalb   dieser  Klasse  gegeben,   von 
I         dem  aus  beobachtet  wird.    Der  Beobachtung  folgt  Wertung  bald  nach. 
\         Wenn  aber  der  Darstellung  beobachteter  Narrheit  ein  Werturteil  dar- 
I         über  zugrunde  liegt,  so  ist  die  Darstellung  nicht  mehr  objektiv.    Der 
I         beobachtende  Urteiler  wird  sich  stets  der  beobachteten  Narrheit  gegen - 
\         über  überlegen  finden,  er  wird  sich  als  frei  davon  fühlen,  und  dem- 
gemäß wird  sein  Werturteil  ein  Aburteil,  seine  Beurteilung  eine  Ver- 
urteilung sein.    Eine  lusterregende  Darstellung  beobachteter  Narrheit 
mit  zugrunde  liegendem,   absprechendem  Werturteil  ist  aber  Satire, 
die  damit  frühzeitig  ein  Element  des  Fastnachtspiels  wird. 

t  bb)  Bürgerliche  Satire. 

Die  Art  der  Satire  ist  naturgemäß  bestimmt  von  dem  Standpunkt 
des  Beobachters.  Die  Fragen,  wer  ist  der  Urheber  der  Fastnachtspiele, 
für  wen  und  vor  allem  vor  wem  werden  sie  aufgeführt,  geben  mit  ihrer 
Beantwortung  auch  die  Art  der  Satire  kund.  Es  ist  uns  bekannt,  daß 
Fastnachtspiele  aufgeführt  wurden,  so  weit  die  deutsche  Zunge  klingt: 
vom  Süden  in  der  Schweiz  und  Tirol  bis  zum  Norden  an  Nord-  und 
Ostsee,  bis  zum  äußersten  Nordosten  in  Reval.    Ihre  Hauptblüte  er- 


Fastnachtspiele:   Innere  Form:  Bürgerliche  Satire.  55 

lebten  aber  die  Fastnachtspiele  in  Süddeutschland.  Unzweifelhaft  wur- 
den sie  von  ihren  geistigen  Urhebern,  den  fahrenden  Schülern  und 
Klerikern,  den  Spielleuten,  in  Dorf,  in  Stadt  und  in  die  Burgen  getragen. 
Und  tatsächlich  ist  ja  ihr  heidnischer  Ursprung  als  Tanzfeier  dem 
ganzen  Volke  gemeinsam,  wie  auch  ihr  zweiter  Quell,  das  Puppen- 
spiel, überall  beliebt  war.  Ähnliches  darf  vom  weiterlebenden  antiken 
Mimus  angenommen  werden.  Doch  die  Hauptstätte  ihres  Wirkens 
sind  die  aufblühenden  Städte,  dort  ist  die  größte  geistige  Regsam- 
keit, der  Nährboden  alles  Fortschritts  intellektueller  Anschauung  und 
künstlerischen  Geschmacks.  Und  unter  den  Städten  wiederum  ist 
Nürnberg,  nach  Luther  Auge  und  Ohr  Deutschlands,  der  Ort  gewesen, 
der  die  Hochburg  des  Fastnachtspiels  darstellt.  Das  städtische  Bürger- 
tum ist  somit  Träger  des  Fastnachtspiels.  Bürgerliche  Anschauung, 
bürgerliche  Werturteile  liegen  dem  Fastnachtspiele  zugrunde,  durch- 
dringen und  beherrschen  es.  Die  fahrenden  Schüler  und  Kleriker 
haben  sich  sicherlich  wesentlich  aus  den  Städten  rekrutiert,  und  wenn 
sie  sich  einreihen  in  die  weitergreifende  Klasse  der  Spielleute,  so  sind 
wohl  auch  diese  der  Hauptsache  nach,  vom  Gesichtspunkt  bürger- 
licher Ehrbarkeit  und  gewerblicher  Seßhaftigkeit  aus  gesehen,  ver- 
krachte Existenzen  des  Bürgerstandes.  Wenn  sie  also  geistige  Be- 
fruchter des  Fastnachtspiels  sind,  so  befruchten  sie  es  in  derselben 
Richtung,  die  die  zu  dem  städtischen  Gewerb-  und  Gewerkstande 
zählenden  Verfasser,  gleich  Rosenplüt  und  Folz,  in  bürgerlichem 
Selbstbewußtsein  verfolgten.  Die  im  Fastnachtspiele  wirkende  Satire 
ist  daher  in  erster  Linie  bürgerlicher  Art.  Ein  Beispiel  ist  zu  beob- 
achten in  der  politischen  Satire  des  erwähnten  Fastnachtspiels  vom 
Türken. 

Der  Bürger  urteilt  darin  über  die  anderen  Stände  und  urteilt  über 
sie  ab,  sowohl  über  den  Ritterstand  wie  über  den  Bauernstand.  Der 
Ritterstand  ist  im  Niedergang  begriffen.  Zwischen  den  regierenden 
Mächten  und  den  aufstrebenden  Städten  schwindet  seine  Bedeutung 
dahin.  Dem  Bürger  kommt  er  dazu  meistens  als  lästiger  Störenfried 
des  Wirtschaftslebens  zum  Bewußtsein.  Der  die  schützenden  Tore  der 
Stadt  verlassende  Kaufmann  muß  gewärtig  sein,  auf  einsamer  Straße 
von  rauflustig-feigen  Raubrittern  überfallen  und  im  ungleichen  Kampf 
seiner  Barschaft  und  Waren  beraubt  zu  werden.  In  manchem  sati- 
rischen Bilde,  wie  schon  in  der  Grabwächterszene  des  geistlichen 
Dramas,  macht  sich  daher  sein  Grimm  Luft.  Doch  immerhin  bedeutet 
der  Ritterstand  noch  eine  Macht,  die  sich  nicht  überall  dauernd  un- 
gestraft verspotten  ließ.  Infolgedessen  wendet  sich  denn  die  bürger- 
liche Satire  in  der  Hauptsache  gegen  den  anderen  Stand,  gegen  den 
Bauern. 

Die  Bauernsatire  des  Fastnachtspiels  ist  eine  tragische  Ironie.  Das 
Spiel  kehrt  sich  gegen  seine  Schöpfer,  die  allerdings  unfähig  gewesen 
wären,   es   aus   seinen   Kultkeimen  zum   selbständigen  Kunstwerk  zu 


c5  Mittelalter :  Weltliche  Komödien. 

entwickeln.  Schon  das  Mittelalter  kannte  den  Gegensatz  von  Stadt 
und  Land  mit  aller  Deutlichkeit.  Mit  dem  13.  und  14.  Jahrhundert 
war  der  materielle  Wohlstand  der  Bauern  beträchtlich  gestiegen ;  doch 
ihm  entsprach  nicht  die  kulturelle  Entwicklung.  Der  Bauer  war  der 
Tölpel  geblieben.  Somit  hatte  auch  die  materielle  Verbesserung  seiner 
Lage  vom  Gesichtspunkt  geistiger  Bildung  aus  gesehen  nur  schäd- 
liche Folgen.  Seine  Dummheit  paarte  sich  mit  Hoffart  und  Dünkel 
und  derbsten  materiellen  Genüssen,  die  bis  zur  Sittenlosigkeit  aus- 
/  arteten:  Fressen,  Saufen  und  Huren  im  holden  Verein  mit  unaufhör- 
lichen Schimpfereien  und  Schlägereien  sind  Tätigkeiten  des  Bauern, 
wie  sie  uns  immer  wieder  im  Fastnachtspiel  vorgestellt  werden.  Die- 
ses Kapitel  scheint  den  Fastnachtspieldichtern  unerschöpflich,  immer 
wieder  neue  Variationen  desselben  Themas  werden  vorgetragen.  Somit 
sind  die  Fastnachtspiele  ihrer  Mehrzahl  nach  eine  bewußte  bürgerliche 
Bauernsatire. 

Es  darf  aber  dabei  nicht  vergessen  werden,  daß  die  Vorliebe, 
mit  der  immer  wieder  der  Bauernstand  im  Fastnachtspiel  auftritt, 
nicht  nur  daher  rührt,  daß  der  Bürger  damit  seiner  Verachtung 
Ausdruck  geben  möchte.  Wir  haben  gesehen,  das  Fastnachtspiel  ist 
aus  Lenzfeiern  erwachsen.  Diese  Volkssitten  und  -gebrauche  waren 
aber  noch  am  meisten  auf  dem  Lande  verbreitet.  Von  jeher  ist  der 
Bauer  der  Träger  der  Volkssitten,  er  ist  das  konservative  Element  des 
Staates.  Es  ist  daher  großenteils  nichts  anderes  als  Atavismus,  wenn 
in  den  bürgerlichen  Fastnachtspielen  immer  noch  der  Bauer  Träger  der 
Handlung  ist.   Damit  ist  aber  auch  sein  nationaler  Charakter  bestimmt. 

cc)  Nationaler  Charakter. 

Das  Fastnachtspiel  ist  von  ausgesprochener  deutscher  Eigenart.  Die 
Fülle  seiner  bis  zu  unflätigfem  Schmutz  gesteigerten  Derbheiten  wirkt 
an  sich  als  krasser  Kontrast  zur  Konvention  für  die  damalige  Zeit 
komisch.  Deren  höchste  Kulturform  ist  die  ritterliche  mäze.  Diese 
ist  aber  im  Grunde  romanischen  Ursprungs,  da  sie  die  christliche 
Askese  der  Mönchsbestrebungen  am  Ende  des  ersten  Jahrtausend 
voraussetzt.  Der  Gegensatz  zu  dieser  mäze,  der  Drang  zum  Un- 
gebundenen, Grenzenlosen,  der  in  den  maßlosen  Übertreibungen  des 
Fastnachtspiels  sich  betätigt,  entspricht  germanischer  Wesensart;  eben- 
so auch  die  Vorliebe  für  das  Charakteristische  in  der  Kunst.  Dieses 
offenbart  sich  am  schnellsten  in  dem  Unvollkommenen,  Vereinzelten, 
Ungewöhnlichen;  sein  Stoffgebiet  ist  eher  das  Häßliche  als  das  Schöne, 
eher  die  Karikatur  als  das  Idealbild.  Auch  darin  stimmt  das  Fast- 
nachtspiel mit  ursprünglich  germanischem  Kunstwillen  überein. 

Es  läßt  sich  keinerlei  direkter  Einfluß  gleichzeitiger  Dramatik  be- 
nachbarter Länder  nachweisen.  Wo  Übereinstimmung  in  einzelnen 
Motiven  und  Zügen  zutage  tritt,  beruht  sie  nicht  auf  Entlehnung 
sondern  auf  Gemeingrut.    Es  läßt  sich  nicht  die  astreiche  Krone  eines 


Fastnachtspiele:  Innere  Form:  Nationaler  Charakter.    Das  komische  Theater.  57 


Baumes  stets  auf  eine  einzige  Wurzel  zurückführen.  Das  Fastnacht- 
spiel ist  auf  deutschem  Boden  entsprungen,  hat  sich  als  Spiegel  deut- 
schen Wesens  entwickelt  und  ist  somit  das  früheste  selbständige  dra- 
matische Zeugnis  deutscher  Art  und  Kunst. 

Selbstverständlich  hat  dieser  deutsche  Charakter  nichts  mit  poli- 
tischen Grenzen  zu  tun.  Eines  unserer  besten  Fastnachtspiele  ist 
Schweizer  Ursprungs  und  zeigt  demgemäß  Schweizer  Mundart:  das 
Luzerner  Spiel  „Vom  klugen  Knecht",  das  ich  mit  Baechtold  noch  dem 
15.  Jahrhundert  zuweise  und  das,  wie  ich  in  der  Neuausgabe  von 
Reuchlins  „Henno"  (1922)  nachzuweisen  versucht  habe,  die  Grund- 
lage von  Reuchlins  Komödie  bildet.  Das  Luzerner  Fastnachtspiel, 
das  mit  der  berühmten  französischen  Farce  Maitre  Pathelin  wohl  auf 
denselben  mimischen  Archetypus  zurückgeht,  ist  um  die  Figur  des 
betrügerischen  Knechtes  gruppiert,  der  in  seiner  pfiffigen  Durchtrieben- 
heit an  den  fahrenden  Schüler  erinnert.  Neben  ihm  treten  der  dumm- 
schlaue Bauer,  der  geizige  Kaufmann,  der  Rechtsgelehrte  als  betro- 
gener Betrüger  in  den  Hintergrund.  Wenn  auch  die  typischen  Züge 
noch  vorwiegen,  so  beobachten  wir  hier  doch  wie  in  „Rumpolt  und 
Mareth"  bereits  Anfänge  individueller  Charakteristik.  Der  frische  Ton 
naiver  Volkskunst  ist  hier  im  hochalemannischen  Sprachgebiet  der- 
selbe wie  in  den  Nürnberger  Spielen,  in  den  von  Vigil  Raber  in  Ster- 
zing  aufgezeichneten  Tiroler  Stücken  der  gleiche  wie  in  den  Lübecker 
Fastnachtspielen.  Da  die  Fastnachtspiele  Eintagsfliegen  waren,  so  sind 
sie  uns  nur  in  den  seltensten  Fällen  erhalten.  Aber  auch  bei  zahl- 
reicherer Überlieferung  müßten  wir  unsere  Anschauung  über  das  Fast- 
nachtspiel wohl  kaum  ändern. 


IV.  DAS  KOMISCHE  THEATER. 

Wesentliche  Erhellung  und  grundlegende  Ergebnisse  dankt  die  Ge- 
schichte der  Aufführungen  mittelalterlicher  Komödien  Max  Herrmanns 
„Forschungen  zur  Deutschen  Theatergeschichte  des  Mittelalters  und 
der  Renaissance"  (1914). 

Im  Laufe  unserer  Betrachtungen  haben  wir  immer  wieder  Gelegen- 
heit genommen,  auf  die  Zusammenhänge  des  antiken  Mimus  und  der 
neuen  Volksposse,  des  Fastnachtspieles  hinzuweisen.  Der  Grund- 
charakter beider  dramatischen  Formen  ist  nicht  sowohl  Literatur,  als 
Theater,  körperlich-sinnfällige  Darstellung.  Das  mittelalterliche  Drama 
ist  damit  im  Grunde  genommen  mehr  der  Theatergeschichte  als  der 
Literaturgeschichte  angehörig.  Wenn  wir  uns  die  Aufführungen  mittel- 
alterlicher Fastnachtspiele  vorstellen  wollen,  und  wir  können  uns 
mittelalterliche  Fastnachtspiele  überhaupt  nur  aufgeführt  vorstellen, 
so  müssen  wir  absehen  von  der  heutigen  Trennung  in  Spieler  und 
Zuschauer.    Der  Charakter   des  Fastnachtspiels   ist   durchaus   sozial, 


c8  Mittelalter:  Das  komische  Theater. 

ob  die  Spieler,  wie  in  Nürnberg,  in  Kneipen  und  Zimmern,  an  festen 
Plätzen  spielen,  oder  ob  sie,  wie  in  Lübeck,  auf  Wagen  durch  die 
Stadt  ziehen,  um  auf  diesem  Narrenschiff  zu  spielen,  wo  immer  sie 
geeigneten  Platz  und  willige  Zuhörer  finden. 

Das  Fastnachtspiel  ist  eine  unmittelbare  soziale  Funktion.  Damit  ist 
aber  schon  eine  Trennung  von  Bühne  und  Zuschauer  ausgeschlossen. 
Das  Spiel  entsteht  innerhalb  des  Volkes,  aus  dem  Volke  heraus,  in- 
mitten des  Volkes.  Die  Spielenden  sind  daher  auf  allen  Seiten  vom 
Volke  umgeben,  dessen  Symbol  sie  selbst  sind,  von  dessen  Gefühlen 
und  Stimmungen  sie  Träger  und  Ausdruck  sind.  Diese  Art  der  Auf- 
führung ist  für  die  Anfänge  des  Fastnachtspiels  anzunehmen,  wie  auch 
heute  noch  bei  Dorftänzen  die  Zuschauer  rings  um  die  Aufführenden 
herumstehen.  Wenn  im  Laufe  der  Entwicklung  nun  das  gesprochene 
Wort  größere  Bedeutung  erlangt,  derart  daß  einzelne  Bürgergruppen 
mit  feststehendem  Text  oder  Textgerippe  in  den  verschiedenen  Wirts- 
und Bürgerhäusern  Umzug  halten,  dann  wird  es  sich  von  selbst  be- 
geben, daß  sie  eine  Zimmerwand,  die  Türwand,  von  wo  aus  sie  ein- 
treten, sich  frei  halten.  Sie  spielen  also  gleichsam  auf  einer  Bühne, 
die  in  den  Zuschauerraum  hineinragt,  die  auf  drei  Seiten  vom  Publi- 
kum umgeben  ist.  Anfänglich  dürfte  dies  durchaus  Zufall  sein,  von 
keinerlei  innerer  Notwendigkeit  bedingt.  Da  bei  dem  revueartigen 
Charakter  der  Fastnachtspiele  alle  Spieler  von  Anfang  bis  zu  Ende  an- 
wesend sind,  braucht  ja  kein  Raum  vorhanden  zu  sein,  wohin  etwaige 
Abtretende  verschwinden,  oder,  was  wichtiger  wäre,  wo  neue  Spieler 
vor  ihrem  Auftritte  sich  aufhalten  könnten.  Es  liegt  aber  nahe,  die 
durch  den  Zufall  freigehaltene  Wand  auch  zu  benutzen,  sobald  in  die 
Fastnachtspiel -Revue  größere  Mannigfaltigkeit  eindringt.  Nicht  alle 
Spieler  treten  von  Anfang  an  durch  die  Türe  ein,  sondern  einige 
warten  draußen,  bis  ihr  Stichwort  fällt,  und  benutzen  dadurch  das 
von  jeher  theatralisch  wirksame  Überraschungsmoment.  Damit  wäre 
schon  eine  Bühne  geschaffen,  wenn  auch  ihre  Grenzen  nicht  fest  ge- 
zogen sind.  Von  Inszenierung  ist  dabei  natürlich  keine  Rede;  die  um- 
ziehenden Gesellen  sagen  der  Reihe  nach  ihr  Sprüchlein  auf,  und  damit 
Schluß.  Allenfalls  kann  zu  den  beliebten  Gerichtsszenen  Tisch  und 
Stuhl  benutzt  werden,  die  ja  ohnedies  in  dem  Raum  des  Bürgers  oder 
des  Wirtshauses,  wo  die  Gesellen  ihr  Spiel  vortrugen,  vorhanden  waren. 
Auch  an  Kostümierung  braucht  nicht  gedacht  zu  werden,  es  sei  denn 
für  außerweltliche  Gestalten,  wie  Engel  und  Teufel.  Doch  liegt  die 
Vermummung  den  Ursprüngen  des  Fastnachtspiels  sehr  nahe.  Bei 
den  meisten  Figuren  genügte  wohl  ein  äußerliches  Requisit,  in  dem 
Sinne,  wie  die  famosen  Handwerker  im  „Sommernachtstraum"  ihre  Ver- 
körperung bezeichnen.  Die  Unterscheidung  von  Alten  und  Jungen 
geschah  durch  künstliche  Barte;  die  Altersbezeichnung  durch  Fahnen 
mit  der  Alterszahl  dürfte  wohl  nur  in  Spielen  wie  in  Gengenbachs 
„Die  zehn  Alter  dieser  Welt"  (15 15)  benutzt  worden  sein,  wo   eben 


Das  komische  Theater. 


59 


eine  genaue  Altersdifferenzierung  der  einzelnen  Sprecher  den  Sinn 
des  ganzen  Spiels  ausmacht. 

Über  den  eigentlichen  Darstellungsstil  wissen  wir  nur,  daß  sein 
Grundcharakter  naturalistisch  war.  Allenfalls  käme  eine  Beschränkung 
dieses  Naturalismus  dadurch  in  Frage,  daß  die  Gesten  bei  gewöhnlicher 
Rede  nur  durch  eine  Hand  ausgeführt  werden.  Doch  dem  Wesen 
des  Fastnachtspiels  als  sozialer  Funktion  ist  jede  Stilisierung  im  Sinne 
der  dem  Alltag  fremden  heroisch -pathetischen  Gebärde  zuwider.  Da- 
durch unterscheidet  sich  das  Fastnachtspiel  grundsätzlich  von  dem 
geisthchen  Schauspiel,  das  auf  dem  Boden  religiöser  Symbolik  er- 
wachsen war  und  diesen  Charakter  des  kirchlichen  Rituals  auch 
in  seinem  Gestus  bewahrte.  Die  volkstümlich -komischen  Szenen, 
die  dem  geistlichen  Schauspiel  beigemengt  wurden,  fallen  aber  aus 
diesem  Rahmen  kirchlich-zeremonieller  Gebärde  heraus,  sie  bedienen 
sich  der  naturalistischen  Alltagsgebärde  des  Fastnachtspiels.  Dieser 
Naturalismus  des  mittelalterlichen  Volksspiels,  der,  wie  uns  die  Ge- 
mälde belehren,  allmählich  auch  in  die  ernsten  Szenen  des  geistlichen 
Dramas  eindringt,  kennt  keine  seelische  Verfeinerung,  sondern  nur 
körperliche  Vergröberung.  Diese  Unterstreichung  des  Gestus  im  Sinne 
karikierender  Übertreibung  führt  zur  Groteske,  wie  sie  etwa  der  Dar- 
stellung der  Judenszenen,  besonders  aber  der  Teufelsszenen,  den 
charakteristischen  Stempel  aufprägt. 

Die  Entstehung  und  Entwicklung  des  geistlichen  Schauspiels  wie 
des  Fastnachtspiels  zeigt,  daß  im  Mittelalter  keine  Trennung  von  Drama 
und  Theater  bestand,  daß  es  keinen  Kampf  zwischen  beiden  um  die 
Vorherrschaft  gab.z_Drama  und  Theater  waren  eins.  Das  Drama  ver- 
deutlichte die  Vorgänge  des  Theaters,  das  Theater  veranschaulichte 
den  Inhalt  des  Dramas,  sei  es,  daß  es  die  Versinnlichung  religiöser 
Erzählungen  und  Glaubenssätze  war  wie  im  geistlichen  Schauspiel, 
oder  daß  es  Ausdruck  sozialer  Gefühle  war  wie  im  Fastnachtspiel. 


■^ 


B.  SECHZEHNTES  JAHRHUNDERT. 


I.  HUMANISTENKOMÖDIE. 
I.  ANTIKE  QUELLEN. 

Das  Ergebnis  der  sozialen  Entwicklung  des  Mittelalters  ist  die 
Bewußtheit  des  Bürgers  als  Stand,  als  bedeutsamer  Träger  des 
Staates.  Der  Humanismus  ist  dazu  die  wissenschaftliche  Ergänzung, 
indem  er  dem  von  den  kirchlichen  Bildungsmächten  emanzipierten 
Laienelement  eine  neue  Bildungsgrundlage  vermittelt,  indem  er  dem 
bisherigen  geistlichen  Bildungsideal  das  weltliche  gegenüberstellt. 
Dieses  humanistische  Bildungsideal  ist  an  der  Antike  orientiert. 
Die  Bildungselemente,  die  der  Humanismus  der  deutschen  Nation 
aufdrängte,  sind  von  außenher  importiert,  nicht  von  innen  heraus 
entwickelt.  Bevor  die  Entwicklung  der  Laienkultur,  die  sich  im 
Ablaufe  des  Mittelalters  allmählich  vorbereitet  hatte,  ihren  Abschluß 
erreichte,  wurde  sie  plötzlich  von  den  neu  erschlossenen  Strömen 
der  antiken  Welt  überschwemmt.  Noch  zu  schwach,  um  diese 
überreichliche  Zufuhr  zu  verarbeiten,  erlag  sie  ihr  und  wurde  durch 
sie  bestimmt.  Das  Ergebnis  war  ein  Zurückgedrängtwerden  bis  zur 
Gefährdung  des  nationalen  Charakters.  An  Stelle  nationaler  Volks- 
kultur trat  internationale  Bildungskultur,  an  deren  restloser  Ein- 
deutschung wir  noch  heute  zu  arbeiten  haben.  Insofern  hat,  in 
einer  Umwandlung  eines  bekannten  Goethewortes,  der  Humanismus 
ruhige  Bildung  zurückgedrängt. 

Dieser  Einfluß  des  Humanismus  macht  sich  schon  im  15.  Jahr- 
hundert auch  in  der  dramatischen  Literatur  geltend,  zunächst  in  der 
Verbreitung  der  Kenntnis  antiker  Dramen.  Nicht  aus  dramatischem 
oder  gar  theatralischem  Interesse  wurden  die  alten  Komödien  des 
Terenz  und  Plautus  neu  herausgegeben  und  aufgeführt,  sondern  sie 
waren,  ebenso  wie  das  Mittelalter  den  Terenz  nur  als  Schullektüre 
wertete,  für  den  Humanismus  wichtige  Bildungsmittel.  Zunächst 
wurden  den  lateinischen  Komödien  nur  deutsche  Inhaltsangaben 
beigedruckt,  aber  noch  im  15.  Jahrhundert  wurden  Plautus  und 
Terenz  in  die  Volkssprache  übertragen.  Die  Übersetzungen  häufen 
sich  vom  dritten  Jahrzehnt  des  16,  Jahrhunderts  ab;  so  erscheint 
1535  die  plautinische  „Aulularia"  von  Joachim  Greff,  worüber  Lessing 


Antike  Quellen.    Johannes  Reuchlin.  6l 

urteilt:  „Die  Übersetzung  ist  vor  die  damaligen  Zeiten  noch  sehr 
gut'*.  Auch  Aristophanes  war  sehr  beliebt;  Spangenberg  in  Straßburg 
übersetzt  ihn  und  betreibt  seine  Aufführung  am  dortigen  Gymnasium, 
und  schon  153 1  bearbeitet  Hans  Sachs  den  „Plutos'', 

Die  Humanisten  betätigten  sich  aber  auch  in  Originalkomödien. 
Aber  noch  ist  ihr  dramaturgisches  Verständnis  sehr  dürftig,  noch  ver- 
folgen sie  weniger  künstlerische  als  erzieherische  Ziele.  Die  lateini- 
schen Dialoge  ohne  inneren  dramatischen  Aufbau,  die  in  Schulen 
und  Universitäten  zur  Sprachübung  aufgeführt  wurden,  sind  Kollo- 
quien, keine  Dramen.  So  etwa  ist  die  in  einer  Tegernseer  Hand- 
schrift von  1498  erhaltene  schwäbische  Stammessatire,  worin  Schwaben 
einen  Hasen  für  ein  Ungeheuer  halten,  nichts  weiter  als  ein  harm- 
loser dialogisierter  Schwank,  der  etwa  mit  Goethes  Labores  juveniles 
in  Dialogform  zu  vergleichen  ist.  Es  ist  eine  Schularbeit,  wie  durch- 
weg die  lateinischen  Humanistenkomödien  Übungsstofif  darstellen. 
Sie  haben  ebensowenig  dramatisch-theatralischen  Eigenzweck  wie  jene 
Komödien  der  Hrotsvith,  die  gerade  jetzt  wieder  1501  von  Conrad 
Celtis  neu  herausgegeben  wurden  und  immer  noch  dramatischer  sind 
als  die  meisten  Humanisten- Dramen.  „Stilpho",  eine  Komödie  des 
in  Heidelberg  lehrenden  Elsässer  Humanisten  Jacob  Wimpfeling  (um 
1480)  ist  ein  kurzes  Gespräch  von  sechs  Szenen  zur  Empfehlung 
wissenschaftlicher,  besonders  lateinischer  Studien.  Nur  durch  einzelne 
realistische  Züge  in  der  Charakterisierung  eines  aufgeblasenen  Hohl- 
kopfes erhebt  es  sich  über  eine  trockene  Stilübung. 

2.  JOHANNES  REUCHLIN. 

Eine  strengere  Nachahmung  antiker  Kunstform  versucht  Johannes 
Reuchlin  (1455 — 1522)  während  seines  dreijährigen  Heidelberger  Auf- 
enthalts mit  den  Komödien  „Sergius"  und  „Henno".  Über  beide  Stücke 
orientiert  mein  Nachwort  zu  der  anläßlich  Reuchlins  400jährigem 
Todestag  von  Preisendanz  besorgten  Textausgabe  des  „Henno", 
der  auch  die  gewandte  Übertragung  von  Hans  Sachs  beigegeben  ist. 
„Seine  Komödie  «Sergius»,  die  er  im  ersten  Jahre  seines  Heidelberger 
Aufenthaltes  (1496)  schrieb  und  die  man  gewöhnHch  als  gegen  seinen 
Feind  Holzinger  gerichtet  deutet,  weist  zwar  noch  nicht  die  kanonischen 
fünf  Akte,  sondern  nur  drei  auf,  zeigt  aber  in  der  Versform  des  Tri- 
meters  seine  große  Sprachbeherrschung.  Inhaltlich  mutet  uns  die 
dramatische  Anekdote  heute  freilich  derart  langweilig  an,  daß  wir  ihre 
damalige  große  Beliebtheit  kaum  verständlich  finden.  Auf  weit  höherem 
Rang  steht  die  Komödie  «ScaenicaProgymnasmata»  oder,  wie  sie  nach 
ihrem  Helden  meist  benannt  wird,  «Henno».  Ursprüngliche  Volkskunst 
ist  der  Sauerteig,  der  die  steif  pedantische  Bildungskunst  durchdringt, 
ihre  frische  Lebendigkeit  und  derb  humoristische  Laune  erzeugt  und 
damit  die  Komödie  auch  heute  noch  erfreulich  macht".  Anläßlich  der 
Besprechung  des  Luzemer  Spiels  „Vom  klugen  Knecht"  habe  ich  be- 


02  Sechzehntes  Jahrhundert:  Humanistenkomödie. 

reits  darauf  als  Grundlage  des  „Henno"  hingewiesen,  wobei  allerdings 
Reuchlins  Kenntnis  der  französischen  Farce  ,,Maitre  Pathelin"  wahr- 
scheinlich ist.  „Die  Fastnachtspielvorlage  macht  uns  verständlich,  wie 
der  Humanist,  plötzlich  die  Tradition  seiner  gelehrten  Bildungskunst 
verlassend,  uns  auf  bäuerischen  Boden  führt.  Andererseits  hat  er  aber 
die  naive  Volkskunst  in  das  Gefäß  seiner  Bildungstradition  gegossen. 
Der  «Henno»  ist  ein  spätmittelalterliches  Fastnachtspiel  in  der  Form 
der  römischen  Komödie:  am  Schlüsse  triumphiert  der  verschmitzte 
Sklave,  die  Verwirrung  wird  gelöst,  und  die  Heirat  ist  gesichert.  Auch 
die  äußere  Form  entspricht  der  fünfaktigen  Einteilung  der  römischen 
Komödie,  und  der  nach  terenzischem  Vorbild  knapp  und  flüssig  ge- 
staltete Dialog  ist  durchweg  in  Jamben  gehalten.  Eine  von  Terenz 
abweichende  Neuerung  besteht  allerdings  in  der  Einführung  von  später 
vielfach  nachgeahmten  Zwischenaktschören.  Sie  dienen  als  eine  Art 
Zwischenaktsmusik  der  Stimmungsklärung,  haben  aber  insbesondere 
nach  dem  zweiten  und  dritten  Akte,  wo  sie  ganz  allgemeine  huma- 
nistische Themen,  wie  Preis  der  Dichtung  und  Wissenschaft,  behandeln 
—  Preisendanz  hat  sie  mit  künstlerischem  Sprachgefühl  in  flüssige 
deutsche  Verse  übertragen  —  kaum  Zusammenhang  mit  der  Komödien- 
handlung. Außer  dem  gelehrten  Interesse,  griechisches  Vorbild  nach- 
zuahmen, sind  sie  wohl  der  Musikliebe  des  Heidelberger  Humanisten- 
kreises entsprossen.  Die  einzelnen  Aktschlüsse  sind  dramaturgisch 
oberflächlich  und  bühnentechnisch  unbeholfen. 

Andererseits  führt  Reuchlin  in  seinen  beiden  Komödien  auch  eine 
bedeutungsvolle  bühnentechnische  Neuerung  ein.  Schon  im  «Sergius» 
wird  im  Gegensatz  zu  bisheriger  Praxis  Auf-  und  Abtreten  der  Schau- 
spieler verlangt,  noch  mehr  im  «Henno».  Daran  ist  der  Kenner  der 
Terenzbühne  zu  verspüren,  die  nun  die  mittelalterliche  Bühne  ver- 
drängt. Diese  hatte  in  einem  Nebeneinander  der  Schauplätze  bestan- 
den, so  daß  die  Schauspieler,  die  sämtlich  mit  Beginn  des  Stückes 
die  Bühne  betraten,  im  Verlauf  der  Handlung  sich  von  einem  Ort 
zum  andern  begeben  konnten,  ohne  daß  eine  Szenenänderung  hätte 
stattfinden  müssen.  Die  neuzeitliche  Bühne  hat  demgegenüber  das 
Nacheinander  der  Schauplätze  durch  Szenenwechsel  eingeführt.  Die 
humanistische  Terenzbühne,  wie  sie  Reuchlin  vertritt,  bildet  ein  Mittel- 
ding. Sie  bewahrt  die  Einheit  des  Schauplatzes  der  klassischen 
Bühne,  sie  lehnt  aber  das  mittelalterliche  Nebeneinander  ab.  Da  ihr 
andererseits  das  neuzeitliche  Nacheinander  durch  Dekorationswechsel 
hinter  geschlossenem  Vorhang  noch  nicht  möglich  war,  so  läßt  sie 
denselben  Bühnenschauplatz  je  nach  dem  Inhalt  der  fortlaufenden 
Handlung  nacheinander  bald  diesen,  bald  jenen  Ort  bedeuten,  wenn 
sie  ihn  auch  —  gleich  der  mittelalterlichen  Fastnachtspielbühne  — 
nicht  mit  Requisiten  tatsächlich  verändert.  Damit  erleben  wir  die 
Geburt  der  modernen  Bühne  wenigstens  im  Prinzip.  Diese  Art  der 
Bühnengestaltung   und   -auffassung  ist  vorbildlich  für   das   gesamte 


Reformationskomödien.  63 


lateinische  und  deutsche  Schuldrama,  das  in  Reuchlins  «Henno»  recht 
eigentlich  seinen  Anfang  findet". 

Mit  Recht  wurde  daher  der  Dichter  des  am  31.  Januar  1497  unter 
der  Ägide  des  humanistischen  Gönners  Johann  von  Dalberg  auf- 
geführten „Henno"  als  Begründer  der  Komödie  in  Deutschland  ge- 
feiert. Aber  trotzdem  bleibt  er  ohne  direkte  Nachfolge.  Die  Bedeu- 
tung des  Frühhumanismus  für  die  deutsche  Lustspielgeschichte  be- 
schränkt sich  trotz  Reuchhns  „Henno"  im  wesentHchen  auf  die  Wieder- 
erweckung der  antiken,  besonders  der  lateinischen  Komödie  des 
Plautus  und  Terenz,  ohne  daß  er  selbst  zur  Erkenntnis  ihrer  Wesens- 
art gelangt  wäre. 

3.  REFORMATIONSKOMÖDIEN. 

Einen  neuen  Anlauf  nahm  die  Entwicklung  der  Komödie  erst  nach 
den  Sturmjahren  der  Reformation.  Noch  ist  das  theoretische  Ver- 
ständnis zu  naiv,  um  eine  klare  Trennung  von  Komödie  und  Tragödie 
durchzuführen.  Die  in  beiden  Konfessionslagern  aufs  Ernste  ein- 
gestellte Dramatik  bewegt  sich  in  Bahnen,  die  die  beiden  Nieder- 
länder Georg  Macropedius  (1475  — 1558)  und  Wilhelm  Gnapheus 
(1493 — 1568)  eröffnen  mit  ihren  Gleichnisdramen.  In  der  Dramati- 
sierung der  Parabel  vom  verlorenen  Sohn  ergibt  sich  Gelegenheit, 
die  Schilderung  des  leichtsinnigen  Lebens  durch  drastische  Realistik 
zu  unterstreichen.  Dazu  entlehnt  Macropedius  in  seinem  „Asotus" 
(geschrieben  1507,  veröffentHcht  1535)  der  plautinischen  Komödie  wir- 
kungsvolle Züge.  Ahnlich  realistisch  malt  er  auch  den  liederlichen 
Lebenswandel  des  „Hecastus"  (1538)  in  seinem  allegorischen  Jeder- 
mannspiel.  Noch  bewußter  folgt  Gnapheus  lateinischem  Vorbild  in 
seinem  „Acolastus  sive  de  filio  prodigo"  (1529),  getreu  der  Theorie 
des  Cicero,  der  die  Komödie  bestimmt  als  Nachahmung  des  täghchen 
Lebens,  Spiegel  der  Sitten  und  Gebräuche,  Abbild  der  Wahrheit.  Die 
lateinische  Praxis  des  Plautus  und  Terenz  gab  die  realistisch-komi- 
schen Effekte  in  der  Darstellung  des  Prassens  und  Untergangs  des 
leichtlebigen  Verschwenders.  Sie  leiht  auch  dem  ernsten  Drama  die 
lustigen  Typen  der  Dirne,  des  listigen  Betrügers,  des  habsüchtigen 
Wirts  mit  ihren  entsprechenden  Szenen,  ja  selbst  das  Schema  der 
Personengruppierung.  Neben  dem  betrübten  Vater  steht  ein  alter 
treuer  Berater,  neben  dem  leichtsinnigen  Verschwender  der  durch- 
triebene Verführer,  in  Parallelschilderung  werden  die  Sitten  der  Herren 
von  den  Dienern  vergröbert.  Außer  Muster  zur  realistischen  Dar- 
stellung entnimmt  Gnapheus  der  terenzischen  Komödie  noch  die 
Anregung  zur  seelischen  Vertiefung,  indem  er  in  seinem  zwischen 
Scham  und  Heimweh  schwankenden  Verschwender  den  Entschluß  zur 
Umkehr  reifen  läßt.  Diese  für  die  Entwicklung  heiterer  wie  ernster 
Dramatik  bedeutsame  psychologische  Genesis  des  Entschlusses  ent- 
spricht dem  terenzischen:  nolo-volo,  nolo-volo,  mallo! 


64  Sechzehntes  Jahrhundert:   Humanistenkomödie. 

Dramatisch  begabter  war  noch  Thomas  Kirchmeyer,  genannt  Nao- 
georg  (15 II  — 1563),  doch  stellte  der  glühende  Hasser  alles  Katho- 
lischen, der  leidenschaftliche  Parteigänger  Luthers  seine  Begabung 
durchaus  in  den  Dienst  protestantischer  Tendenzdramatik.  Mit  aristo- 
phanischer Phantasie  sucht  er  in  „Pammachius"  (1538)  das  gewissen- 
lose, herrsch-  und  genußsüchtige  Papsttum  zu  treffen.  Noch  grotesker 
ist  die  satirische  Dialogpolemik  in  seinem  reformatorisch-tendenziösen 
Jedermanndrama  „Mercator"  (1539 — 1540). 

4.  NICODEMUS  FRISCHLIN. 

Der  bedeutendste  deutsche  Lustspieldramatiker  des  Humanismus 
jedoch  ist  der  Schwabe  Nicodemus  Frischlin  (1547 — 1590),  der  bereits 
der  Nachreformation  angehört.  Die  tief  im  Stammes-  und  Volkstüm- 
lichen wurzelnde  sinnliche  Kraftnatur  ist  durchaus  Humanist  in  ge- 
lehrter Wissensbeherrschung,  in  ausgebreiteter  Kenntnis,  in  satirischer 
Begabung,  in  steter  Kampfeslust,  in  der  vielgeschmähten  superbia. 
Die  kampfesfrohe  Unabhängigkeit  des  ruhelosen  Geistes  ließ  den 
ursprünglichen  Tübinger  Professor  schließlich  auf  der  Feste  Hohen- 
Urach  enden.  Weder  die  bezwingende  Energie  des  Macropedius  noch 
die  heiße  reformatorisch-tendenziöse  Leidenschaft  Naogeorgs  finden 
wir  in  seiner  Dramatik,  dafür  aber  eine  durchaus  eigenpersönliche 
vollblütige  Menschlichkeit.  Grundlagen  seines  Schaffens  sind  natio- 
naler Humanismus  und  selbstbewußtes  Bürgertum;  Ziele:  reine  klas- 
sische Erziehung,  soziale  Unabhängigkeit  und  Kampf  gegen  den  ver- 
wahrlosten Adel.  Doch  verfolgt  er  seine  didaktischen  und  sozial- 
moralischen Absichten  weniger  in  direkter  Lehre  als  in  indirekter 
Satire.  Darin  bezeugt  er  sich  als  Sohn  des  grobianischen  Zeit- 
alters; doch  wenn  ihm  auch  dessen  große  Ausdruckskraft  eignet,  so 
ist  diese  doch  frei  von  der  Überfülle  eines  Fischart,  sie  ist  spar- 
samer und  einheitlicher.  Er  paart  Geist  mit  Phantasie  und  weiß  da- 
durch seinen  Reichtum  an  Wortwitzen  und  -spielen  auszustatten  mit 
einer  seltenen  Verbindung  von  Klarheit  des  Ausdrucks  und  Fülle  der 
Beziehungen,  wodurch  er  überraschend,  erleuchtend,  interessant  und 
nur  selten  langweilig  wirkt.  Als  Humanist  legt  Frischlin  Wert  nur 
auf  lateinische  Dramen;  von  deutschen  Stücken  läßt  er  nur  „Frau 
Wendeigard"  (1579)  zu  seinen  Lebzeiten  drucken.  Erst  in  der  Kerker- 
haft schreibt  er  ausschheßlich  deutsche  Dramen,  vielleicht  aus  äußer- 
lichen Gründen,  weil  ihm  die  fremden  Vorlagen  fehlten,  mit  deren 
gehäufter  Zitation  er  in  seinen  lateinischen  Werken  dem  üblichen 
Wissensprunk  der  Humanisten  fröhnte.  Seine  Hauptvorbilder  sind 
Plautus  und  Terenz,  weiter  Aristophanes,  den  er  selbst  übersetzt  hat. 

Eine  ausgezeichnete  Übersicht  über  sein  dramatisches  Schaffen  ver- 
danken wir  Roethe.  Zunächst  behandelt  Frischlin  in  ernsten  Dramen 
bibhsche  Stoffe  wie  „Rebecca"  (1576)  und  „Susanna"  (1577).  „Rebecca" 
ist  symptomatisch  für  Frischlins   dramatische  Baukunst.     Neben  der 


Nicodemus  Frischlin.  65 


ernsten  Haupthandlung  läuft  eine  komische  Nebenhandlung,  in  der  sich 
des  Dichters  eigentliches  Talent  offenbart.  Frischlin  ist  der  erste  be- 
deutende selbständige  komische  Dramatiker  durch  die  Kraft,  komische 
Gestalten  in  voller  Anschaulichkeit  zu  schildern.  Er  zeigt  uns  nicht 
nur  Hanswurstgewänder  aus  zusammengetragenen  Lappen  typischer 
Züge,  sondern  lebendig  gesehene  und  lebendig  dargestellte  Menschen. 
Aber  allerdings  scheint  seine  Komik  noch  nachträglich  beweisen  zu 
wollen,  daß  der  Teufel  der  erste  Komiker  des  Dramas  war,  indem  sie 
sich  meistens  auf  dem  Gebiet  des  Moralisch-Negativen  hält;  dazu  tritt 
noch  die  Übertreibung  der  Charakteristik:  beides  Züge  der  satirischen 
Zeitneigung.  Diese  lassen  aber  noch  keine  volle  Menschengestaltung 
mit  abgetönten  Eigenschaften  reifen;  wohl  zeigt  die  Einzelpersönlich- 
keit bereits  Mischung  von  Licht  und  Schatten,  aber  zu  ihrer  Rundung 
fehlen  noch  die  Zwischentöne ;  Frischlin  zeichnet  noch  keine  typischen 
Individuen,  aber  er  individualisiert  bereits  Typen.  So  betätigt  sich 
in  „Rebecca"  seine  Adelssatire  in  dem  klar  gesehenen  Agrarier  Ismael; 
eine  köstlich  groteske  Schöpfung  ist  der  Falstaff  Gastrodes,  dessen 
fruchtbare  Nachwirkung  noch  in  des  Heinrich  Julius  von  Braunschweig 
„Vincentius  Ladislaus"  zu  verspüren  ist. 

In  der  „Susanna",  deren  Stoff:  eine  von  zwei  lüsternen  Alten 
verleumdete  edle  Frau  —  in  Literatur  und  Malerei  schon  früher  be- 
handelt wurde,  sind  besonders  die  beiden  Alten  treffend  gezeichnet 
in  ihrer  sinnlichen  Stärke  und  körperlichen  Schwäche.  Die  realistische 
Schilderung  gewinnt  durch  die  von  Frischlin  stets  beliebte  kontra- 
stierende Parallelität:  neben  dem  dickwanstigen,  durchtriebenen  Simeon 
steht  der  klapperdürre,  schwerfällige  Midian.  Wiederum  ist  eine  in 
ihrem  derb-komischen  Realismus  sehr  lebendige  Nebenhandlung  mit 
der  Haupthandlung  verknüpft.  Die  Errungenschaften  des  volkstüm- 
lichen Fastnachtspiels  sind  mit  den  komischen  Schätzen  der  antiken 
Komödie  wirkungsvoll  verbunden.  Auch  in  anderen,  in  biblischen  Schul- 
komödien wie  „Ruth",  „Hochzeit  zu  Cana"  bewährt  sich  diese  komisch- 
satirische Gestaltungskraft,   ohne  allerdings  „Susanna"  zu  erreichen. 

„Hildegardis  magna"  (1579)  gehört  wie  die  deutsche  Komödie  aus 
demselben  Jahre  „Frau  Wendeigard"  zu  den  Genovevadramen  und 
arbeitet  mit  rührseliger  Taschentüchertragik.  In  beiden  ist  die  Bibel 
als  stoffliche  Grundlage  verlassen  und  zum  ersten  Male  die  Geschichte 
als  Stoffquelle  für  das  Drama  benutzt.  Auch  hier  wieder  liegt  Frisch- 
lins Stärke  in  der  Komik.  Der  antike  Parasit  Benzelo,  eine  Art  bos- 
hafter Gastrodes,  ist  wie  dieser  mit  modernen  Augen  gesehen  und 
zeigt  nahe  Verwandtschaft  mit  dem  Shakespearischen  König  seines 
Geschlechts:  Falstaff.  Am  lebendigsten  ist  die  Nebenhandlung  der 
„Wendeigard",  worin  ergötzliche  Gaunerszenen  in  köstlicher  Frische 
vorgeführt  werden.  Der  unstete  Frischlin  scheint  solche  Landstreicher- 
kreise gut  gekannt  und  keineswegs  stets  gemieden  zu  haben.  Solche 
Nebenhandlungen  bleiben  aber  im  dramatischen   Gesamtbau  immer 

Holl,  Lustspiel.  5 


66  Sechzehntes  Jahrhundert:  Humanistenkomödie. 

nur  Einzelheiten.  Trotz  antiker  Vorbilder  hat  auch  Frischlin  noch 
keinen  reinen  theoretischen  Begriff  von  dem  Unterschied  von  Tragödie 
und  Komödie.  Das  Vorbild  des  mittelalterlichen  Dramas  wirkt  nach 
und  verhindert  klaren  dramatischen  Aufbau,  Konzentration  und  Technik. 
Grundsätzlich  ist  die  Mischung  tragischer  und  komischer  Elemente 
im  Drama  keineswegs  zu  verurteilen.  Gegenwärtige  Dramatik  will 
gerade  dadurch  gegenüber  der  Übung  der  Klassik  und  des  19.  Jahr- 
hunderts eine  größere  Mannigfaltigkeit  dargestellten  Lebens  erzielen, 
und  in  diesem  Streben  nach  kosmischer  Buntheit  kann  sie  sich  auf 
den  größten  Dramatiker  aller  Zeiten,  den  jüngeren  Zeitgenossen 
Frischlins,  Shakespeare,  berufen.  Doch  ist  Frischlins  Konzentrations- 
kraft zu  schwach,  um  aus  dem  Nebeneinander  ein  Ineinander  zu  schaffen. 

Am  einheitlichsten  im  Stimmungsgehalt  ist  sein  ,  Julius  redivivus" 
(1585),  der  tatsächlich  ein  Lustspiel  ist.  (Die  wirksame  moderne 
Bühnenbearbeitung  durch  E.  L.  Stahl  geht  auf  A}Ters  Nachbildung 
zurück.)  Die  aus  dem  Geiste  des  nationalen  Humanismus,  wie  er 
uns  in  Ulrich  von  Hütten  symbolisiert  erscheint,  geborene  Komödie 
läßt  im  ersten  Akte  das  moderne  Deutschland  durch  die  Vertreter 
der  Antike,  den  Kriegsmann  Caesar  und  den  Friedensmann  Cicero, 
bewundem,  im  zweiten  Akte  lassen  die  Vertreter  Deutschlands  —  der 
Cherusker-Hermann  als  Kriegsmann  mit  der  Flinte  (!),  um  die  Pulver- 
erfindung, und  Eobanus  Hessus  als  Friedensmann  mit  dem  Buch, 
um  die  Druckerfindung  anzudeuten  —  die  Bewunderung  wachsen, 
und  im  dritten  Akte  enthüllen  die  Vertreter  des  Auslands,  der  savoy- 
ardische  Kaufmann  für  Frankreich  und  der  mailändische  Kaminfeger 
für  Italien,  die  Schwächen  ihrer  Länder  gegenüber  den  Stärken  Ger- 
maniens.  Soweit  sind  wir  Zeugen  einer  geschlossenen,  lebendig  und 
interessant  durchgeführten  Handlung,  In  den  beiden  Schlußakten 
geben  die  beiden  Romanen  eine  Extravorstellung,  wobei  sich  der 
vierte  Akt  entsprechend  dem  grobianischen  Zeitalter  gegen  germa- 
nische Trunksucht  und  der  letzte,  wie  schon  Reuchlin  und  Fischart, 
gegen  die  falsche,  angemaßte  Gelehrsamkeit  der  Wahrsager  und  Prak- 
tiker wendet.  Diese  Ausdehnung  des  Dramas  beweist  die  Gerechtig- 
keit des  Humanisten,  der  neben  der  Verherrlichung  des  eigenen 
Landes  auch  seine  Schwächen,  natürlich  mit  satirischer  Besserungs- 
absicht, zeigt.  Da  darin  aber  die  Hauptpersonen  fehlen,  so  wirkt  sie 
wie  eine  selbständige  Nebenhandlung  mit  volkstümlich- realistischen 
Motiven.  So  fehlt  auch  hier  wieder  der  Sinn  für  dramatische  Durch- 
führung und  Geschlossenheit. 

Frischlin  ist  Impressionist  mit  ursprünglich  komischer  Begabung 
und  gewandter  Dialogbeherrschung.  Durch  Vorliebe  für  kontra- 
stierenden Parallelismus  und  Neigung  zu  witziger  Überraschung  weiß 
er  uns  in  Spannung  zu  versetzen  und  unser  Interesse  lebendig  zu 
erhalten;  seine  Freude  am  Volkstümlichen  verleiht  seiner  Kunst,  trotz 
deren  gelehrter  lateinischer  Form,    deutschen  Charakter.     So  haben 


Martin  Hayneccius:   „Hans  Pfriem,  oder  meister  Kecks".  67 

denn  auch  seine  Werke  einen  ungeheuren  Erfolg,  der  sich  in  Auf- 
führungen, Neuauflagen  und  Übersetzungen  kundgibt.  Roethe  urteilt 
über  seine  Nachwirkung:  „Die  lateinische  Schulkomödie  der  Prote- 
stanten dankt  es  größtenteils  Frischlin,  wenn  sie  nicht  an  Ent- 
kräftung und  Langeweile  verschied,  sondern  in  den  neuen  Formen 
dramatischer  Kunst  aufging,  wie  sie  hier  Frischlins  Schüler  Heinrich 
JuHus  von  Braunschweig  und  Ayrer,  dort  das  Jesuitendrama  ver- 
traten". Frischlin  überbrückt  die  Spaltung  von  humanistisch-gelehrtem 
Drama  und  volkstümlich-naivem  Schauspiel  und  legt  damit  Grund- 
steine eines  unabhängigen  deutschen  Lustspiels  im  Sinne  relativistisch - 
humorischer  Weltanschauung. 

5.  MARTIN  HAYNECCIUS: 
„HANS  PFRIEM,  ODER  MEISTER  KECKS". 

In  diese  Richtung  gehört  auch  eine  köstliche  Posse  des  Grimma- 
schen Rektors  Martin  Hayneccius.  Er  hat  des  Plautus  „Captivi"  über- 
setzt und  eine  lateinische  Schulkomödie  „Almansor"  verfaßt  und 
gleichfalls  ins  Deutsche  übertragen.  Doch  bedeutsam  für  die  Ge- 
schichte des  deutschen  Lustspiels  ist  nur  seine  Komödie  ,,Hanso- 
framea",  die  er  1582  in  deutscher  Bearbeitung  veröffentlicht  als  ,,Hans 
Pfriem,  oder  meister  Kecks".  Er  behandelt  darin  einen  MärchenstofF, 
den  zweihundert  Jahre  später  Bürger  auf  dem  Umwege  über  eine  eng- 
lische Fassung  als  „Frau  Schnips"  im  Göttinger  Musenalmanach  ver- 
öffentlichte. Die  Handlung  von  Hayneccius'  Komödie  ist  einfach  ge- 
nug: Der  rechthaberische,  jähzornige  und  grobe  Fuhrmann  Hans 
Pfriem  schmuggelt  sich  unrechtmäßig  ins  Himmelreich  und  soll  nur 
so  lange  geduldet  werden,  bis  er  wieder  in  seine  alten  Untugenden 
zurückfällt.  Die  Spannung  ist  damit  gegeben:  Wird  er  sich  ruhig 
verhalten?  Wird  er  das  Paradies  wieder  verlassen?  Der  Konflikt  ent- 
steht durch  den  Zwiespalt  seiner  verstandesmäßigen  Weltbetrachtung 
und  der  jenseits  alles  verstandesmäßig  Begreiflichen  stehenden  himm- 
lischen Geschehnisse,  ein  Gegensatz  von  Rationalismus  und  Supra- 
naturalismus.  Wir  stehen  in  einem  supranaturalistischen  Zeitalter, 
dem  der  Rationalismus  des  ausgehenden  Mittelalters  für  überlebt  gilt. 
Hans  Pfriem  aber  ist  Rationalist  durch  und  durch,  der  natürlich  auf 
die  Dauer  anscheinende  Widersinnigkeiten,  besonders  wenn  sie  im 
eigenen  Handwerk  passieren,  nicht  ungerügt  hinnehmen  kann.  Doch 
die  zu  seiner  Entfernung  ausgesandten  Heiligen  müssen  unverrichteter- 
dinge wieder  abziehen,  nachdem  Hans  ihnen  derb  die  Wahrheit  ge- 
sagt hat  über  ihr  sündiges  Erdenleben.  Hierin  offenbart  sich  die  pro- 
testantische Tendenz,  die  alle  Heiligenverehrung  und  Heiligenvermitt- 
lung ablehnt.  Nur  von  den  unschuldig  gemordeten  Kindlein  droht 
ihm  Gefahr.  Doch  die  Gnade  des  Herrn  erleuchtet  ihn,  daß  er  sich 
seines  Wortes   erinnert  und  mit   den  Kindern  selbst  Kind  wird,   um 


58  Sechzehntes  Jahrhundert :  Humanistenkomödie. 

damit  das  Reich  Gottes  zu  erlangen.  Die,  wenn  auch  stellenweise 
unbeholfene  Komödie  ist  mit  dramatischem  Geschick  aufgebaut  und 
hebt  sich  dadurch,  daß  sie  Weltanschauungen  selbst  im  Kampfe  zeigt, 
über  das  Niveau  harmloser  realistischer  Possen  zur  Höhe  des  humor- 
gestalteten Lustspiels,  das  in  dem  Typus  des  räsonierenden  Besser- 
wissers Pfriem  gelungene  Ansätze  zur  Charakterkomödie  zeigt. 

6.  STUDENTENKOMÖDIEN. 

Die  angenehm  auffallende  Beschränkung  tendenziöser  Lehrhaftigkeit 
auf  ein  Mindestmaß  konnte  schon  bei  Frischlin  beobachtet  werden. 
Selbst  bei  den  sogenannten  Studentenkomödien,  obwohl  diese  pädagogi- 
schen Absichten  entspringen,  tritt  das  direkt  Lehrhafte  zurück.  Ihre 
Grundlage  bilden  die  pädagogischen  Tendenzstücke,  wie  sie  von 
Gnapheus  und  Macropedius  in  ihren  Prodigusdramen  geschaffen 
wurden.  Aber  ein  volkstümlicher  Zug  verschiebt  den  Akzent  von  der 
Haupthandlung  auf  die  Teilhandlung:  statt  reuevoller  Umkehr  wird 
das  lasterhafte  Leben  in  der  Fremde  ausgemalt.  Der  Humanismus 
leiht  das  Milieu:  Der  Sohn  ist  Student,  das  Leben  in  der  Fremde 
ist  das  derb  materialistische  Studentenleben  der  Zeit.  Somit  ent- 
steht eine  sittenschildernde  Studentenkomödie,  die  einerseits  Typen, 
wie  Verführer,  Parasiten,  Kupplerin,  Dirne,  der  antiken  Komödie  ent- 
lehnt, andererseits  aber  auch  reiche  selbständige  realistische  Be- 
obachtungen einflicht.  Humanismus  und  Volkskunst  verbinden  sich 
zu  einer  Komödienart,  die  durch  das  ganze  17.  Jahrhundert  beliebt 
ist  und  selbst  dem  18.  Jahrhundert,  wie  Lessing,  noch  einzelne  Züge 
vererbt.  Der  älteste  Vertreter  dieses  Typus  sind  die  „Rebelies"  des 
Macropedius  vom  Anfang  der  dreißiger  Jahre.  Neigung  und  Talent 
dazu  hat  er  bereits  in  seinem  ,,Asotus"  bewiesen.  Im  Jahre  1536 
wiederholt  er  den  Stoff  in  neuer  Bearbeitung:  „Petriscus",  worin  vor 
allem  die  törichten,  ihre  Söhne  verziehenden  Mütter  schlecht  weg- 
kommen. Die  eigentlichen  Studentenkomödien  in  Deutschland  werden 
aber  eingeführt  durch  des  Stymmelius  „Studentes"  (1545).  Der  auf- 
fallende Realismus  der  Darstellung  schlug  sofort  ein,  und  zahlreiche 
Nachdrucke  beweisen  seine  Beliebtheit.  Einen  ähnlichen  Erfolg  erzielt 
erst  wieder  am  Ende  des  Jahrhunderts  Albert  Wichgrev  mit  seinem 
„Cornelius  relegatus"  (1600). 

Das  Ergebnis  der  Humanistenkomödie  für  unsere  Lustspielentwick- 
lung ist  die  Kenntnis  antiker  Technik  und  das  Verständnis  für  rea- 
listische Beobachtung  und  Darstellung.  Das  Fehlen  dramaturgischer 
Klarheit  begünstigt  aber  immer  noch  gerne  epische  Schilderung  mit 
außerästhetischen  Tendenzen  und  didaktischem  Endzwecke.  Trotz 
aller,  teilweise  auch  gelungener  Versuche,  Volkskunst  in  die  gelehrte 
Form  einzuschmelzen,  bleibt  die  Humanistenkomödie,  schon  ihrer 
vorherrschend  lateinischen  Sprache  wegen,  Bildungsdrama. 


Studentenkomödien.    Humanistentheater.  69 

7.  HUMANISTENTHEATER. 

Der  Humanismus  löste  die  mittelalterliche  Einheit  von  Theater  und 
Drama.  Seine  dramatischen  Erzeugnisse,  worunter  wir  kaum  seine 
prunkhaften  allegorischen  Festspiele  rechnen  können,  waren  nicht 
fürs  Theater  bestimmt;  sie  verfolgten  Zwecke,  die  mit  dem  Theater 
nichts  zu  tun  hatten.  Wenn  der  Humanismus  sich  des  Theaters 
bediente  —  und  er  tat  dies  in  der  Reformation  mit  Nachdruck  — , 
so  war  es  ihm  nur  um  Erreichung  jener  ihm  höher  dünkenden  Zwecke 
intellektueller  oder  moralischer  Belehrung  zu  tun.  Das  Theater 
war  ihm  Propagandamittel.  Hier  liegen  die  Wurzeln  jenes  durch- 
aus untheatralischen  Wortes  des  i8.  Jahrhunderts,  daß  die  Bühne 
zur  Kanzel  werde.  Das  Wort  beherrscht  die  Bühne;  sie  muß  Mittel 
sein,  um  den  geistigen  Gehalt  des  gesprochenen  Worts  verständlich  zu 
machen;  sie  hat  mehr  rationalistische,  denn  sensualistische  Bedeu- 
tung. Die  absolute  Neutralität  der  Fastnachtspielbühne,  wenn  hier  von 
einer  Bühne,  die  doch  Trennung  vom  Publikum  voraussetzt,  über- 
haupt gesprochen  werden  kann,  bot  keinerlei  Hilfe  zur  Verständlich- 
machung  des  Gesprochenen.  Hier  macht  sich  der  klaffende  Unterschied 
zwischen  dem  Fastnachtspiel  als  sozialer  Funktion  und  dem  Huma- 
nistendrama als  individuellem  Produkt  bemerkbar. 

Die  Häufung  der  Koexistenz  aber,  wie  auf  der  mittelalterlichen  Bühne 
des  geistUchen  Schauspiels,  hätte  auf  den  zu  belehrenden  Zuschauer 
nur  verwirrend  wirken  können.  Von  beiden  mußte  sich  die  Humanisten- 
bühne frei  halten  und  konnte  dies  durch  die  Anlehnung  an  die  Antike. 
Auf  ihr  wollte  ein  Individuum  zu  Wort  kommen,  das  sich  bewußt 
als  Lehrer  gegenüber  der  Allgemeinheit  empfand.  Es  mußte  daher 
abgegrenzt  sein.  Aus  dem  Gesamtkomplex  menschlicher  Lebens- 
probleme wird  eines  ausgewählt  und  zur  Belehrung  dargestellt.  Diese 
Vereinzelung  des  Stoffes  bedingt  eine  Vereinzelung  des  Schauplatzes, 
auf  dem  dieser  Stoff  dargestellt  werden  soll.  Da  aber  das  Darzustellende 
das  Wichtige  ist,  nicht  die  Darstellung  selbst,  so  muß  alles  vermieden 
werden,  was  die  aufnehmenden  Organe  von  dem  Inhalt  des  Dargestellten 
ablenken  könnte.  Es  darf  demnach  das  Auge  nicht  durch  naturaHstische 
Ausstattung  der  Bühne  derart  in  Anspruch  genommen  werden,  daß  das 
Ohr  als  das  Hauptorgan  intellektueller  Beeinflußbarkeit  in  seiner  wahr- 
nehmenden Tätigkeit  beeinträchtigt  würde.  Andererseits  muß  aber  die 
Mitarbeit  des  Auges  herangezogen  werden.  Alles,  was  nicht  durch 
das  gehörte  Wort  selbst  gesagt  wird  und  dennoch  zum  Verständnis 
des  Gesagten  notwendig  ist,  soll  das  Auge  vermitteln.  Die  Haupt- 
fragen, die  es  zu  beantworten  hat,  sind:  Wer  sind  die  sprechenden 
Personen,  woher  kommen  sie,  wohin  gehen  sie?  Das  Auge  gibt  all- 
gemeine Orientierung  über  Personen  und  Situationen. 

Um  dies  zu  ermöglichen,  arbeitet  die  Humanistenbühne  —  auch 
darüber  hat  uns  Max  Herrmann  belehrt  —  mit  Vorhängen,   die  den 


yO  Sechzehntes  Jahrhundert :  Das  volkstümliche  Drama. 

Hintergrund  der  Bühne  abschließen.  Diese  Vorhänge  sind  von  rechts 
nach  Hnks  abgegrenzt  in  einzelne  Türen,  einzelne  Häuser  der  Haupt- 
personen, die  sichtbar  angebracht  den  Namen  ihres  Bewohners  tragen. 
Damit  ist  erreicht,  daß  der  Zuschauer  sofort  weiß,  wenn  jemand  aus 
einem  dieser  Vorhänge  hervortritt,  daß  dies  der  Betreffende  ist,  dessen 
Name  über  dem  Vorhang  steht,  oder  daß  er  doch  mindestens  zu 
seinem  Hausgesinde,  seiner  Partei  gehört.  Außerdem  ist  damit  erreicht, 
daß  die  betreffenden  Spieler  während  des  Spiels  auf-  und  abtreten 
können.  Weiter  muß  die  Bühne  noch  ein  Mittel  schaffen,  um  Leute, 
die  aus  der  Fremde  kommen  oder  in  die  Fremde  gehen,  Leute,  die 
nicht  als  in  diesen  ständigen  Häusern  wohnhaft  zu  denken  sind,  zu 
unterscheiden.  Dazu  wird  auf  beiden  Seiten  der  Bühne,  rechts  und 
links  der  Badezellen,  eine  Straße  frei  gehalten,  die  sogenannte  Markt- 
straße, die  via  ad  forum,  also,  im  Gegensatz  zu  den  Schauplätzen  häus- 
lichen Lebens,  der  Schauplatz  öffentlichen  Lebens.  Diese  Bühnen- 
einrichtung stammt  aus  Italien.  Der  Mann,  der  am  meisten  zu  dieser 
Bühnenreform  beigetragen  hat,  ist  der  niederländisch-französische  Hu- 
manist Jodocus  Badius,  der  1493  zu  Lyon  einen  illustrierten  Terenz 
erscheinen  läßt;  dessen  Bühnenbilder  vermitteln  uns  wichtigste  Ma- 
terialien zur  Kenntnis  der  Renaissancebühne. 

Diese  sogenannte  Terenzbühne  wird  übernommen  von  dem  deut- 
schen Schuldrama,  dem  Kind  der  pädagogischen  Welle,  die,  erregt 
vom  Humanismus,  das  ganze  16.  Jahrhundert  hindurch  anhält.  Seine 
Aufführung  dient  dem  Lehrzweck  des  gesprochenen  Worts.  Doch 
nicht  nur  der  Inhalt  des  Dargestellten,  die  Darstellung  selbst  soll  be- 
lehren, und  zwar  vor  allem  die  darstellenden  Schüler  selbst.  Die  Auf- 
führung ist  Ergänzung  des  Unterrichts  in  Sprache,  Literatur  und 
Rhetorik.  Dazu  bedarf  es  keiner  Augenpracht.  Einfachheit  und  Anti- 
naturalismus  sind  geboten;  die  Dekoration  wird  gesprochen,  wie  über- 
haupt der  Hauptwert  der  Aufführung  auf  dem  Sprechen  liegt.  Die 
Bühne  ist  nur  ein  Ort  für  Vortragskunst,  die  Aufführungen  sind  mehr 
ein  Rezitieren  als  ein  Agieren.  Damit  ergibt  sich  eine  Gehaltenheit 
des  Sprechers;  die  große  ausladende  Geste  ist  nicht  am  Platze.  Die 
körperlicheDarstellungbeschränktsichauf  das  Notwendige,  die  mimische 
Kunst  ist  wesentlich  Gesichtsmimik.  Auch  die  Aufführung  unterstreicht 
den  Charakter  der  Humanistenkomödie  als  Bildungsdrama. 

IL    DAS  VOLKSTÜMLICHE  DRAMA. 
I.  FASTNACHTSPIEL  DER  REFORMATIONSZEIT. 

a)  Konfessionspolemik. 

Von  der  Humanistenkomödie  hebt  sich  grundsätzlich  ab  das  aus  dem 
Mittelalter  in  die  Neuzeit  hinübergerettete  Fastnachtspiel  mit  seiner  hol- 
prigen Knittelversform.  Es  ist  Volksdrama.  Aber  auch  dieses  hat  seine 


Fastnachtspiel  der  Reformationszeit:  Konfessionspolemik.  7I 

Naivität  verloren.   Die  gewaltige  geistige  Bewegung,  die  nun  die  ganze 
Menschheit,   besonders  aber  die  Deutschen   erschüttert  und  zur  un- 
bedingten Anteilnahme  für  oder  wider  zwingt,   die  Reformation  der 
ganzen  Lebenshaltung   und  Weltanschauung,   deren  Einwirkung   auf 
die   Humanistenkomödie   wir  allenthalben   beobachten,    schlägt   auch 
die  Volksdichtung  in  ihren  Bann.    Das  naive  Fastnachtspiel  wird  be- 
wußte  Tendenzdichtung.     Die   Entwicklung    tendenziöser   Sittendar- 
stellung läßt  an  Stelle  des  lustigen  Narrentons  die  Stimme  des  Predi- 
gers erschallen.    Die  Bezeichnung  Fastnachtspiel  erhält  jetzt  die  voni' 
der  Aufführungszeit  losgelöste,  rein  formale  Bedeutung  für  satirisch-l 
lehrhafte    Sittenschilderung    in    dialogisierten    Knittelversreden    mit;! 
heiterem  Ausgang.    Man  kann  daher  wohl  von  moralischen  Fastnacht-I 
spielen  sprechen.     Sie  hängen  zusammen   mit  den  mittelalterlichen 
Moralitäten   und    betätigen   mit   diesen    die  Vorliebe  für  allegorische 
Gestalten.     Mit  dem  mittelalterlichen  Fastnachtspiel  haben   sie  aber, 
trotz    gelegentlicher   Schlußaufforderung  zum   Tanz,   außer   der   Be 
Zeichnung  und  äußeren  Form  wenig  gemein. 

Der  mit  erwachtem  Selbstbewußtsein  aus  dem  Mittelalter  entlassene  ^ 
Bürger   nimmt   leidenschaftlichen  Anteil    an    den    aufregenden    Zeit- ^^ 
ereignissen   und   ist  unmittelbarer  Träger  der  ganzen  Zeitstimmung.- 
Er  legt  jene  deshalb  auch  den  Fastnachtsaufführungen  zugrunde,  wie 
noch    heute    etwa    politische    Geschehnisse    lokaler,    nationaler   oder 
internationaler  Art  in  Fastnachtsumzügen  burlesk  dargestellt  werden. 
Die    Reformationsbewegung    bedeutet    für    das    Fastnachtspiel    seine 
Aktualisierung.     Das   Fastnachtspiel  wird   reformatorisches  Tendenz- 
stück, und  zwar  wesentlich  im  Dienste  der  Angreifer  des  Bestehenden. 
Da  bei  solchen  parteipolitischen  Umzügen  und  Aufführungen  zu  be- 
fürchten war,  es  möchten  Unruhen  daraus  erwachsen,  so  erscheinen 
auch  bald  Verordnungen  vorsichtiger  städtischer  Behörden,  die  solche 
tendenziösen  Spiele  verbieten.    Auch  diese  Verordnungen  teilen  mit 
jeder  einseitigen  Zensur  das  Schicksal  der  Erfolg-  und  Fruchtlosig- 
keit.    Ein    charakteristisches   Zeugnis    für   das  Eindringen    aktueller, 
rehgiös-politisch  orientierter  Polemik  in  das  Fastnachtspiel  bietet  das 
letzte  Stück  der  Sterzinger  Sammlung  „Die  zwen  Steundt";  während 
der  zweite  Teil  eine  Brautwerbung  durchaus  im  alten  drastisch-rea- 
listischen Fastnachtspielstil  ist,  enthält  der  erste  Teil  nur  Disputationen* 
des  weltlichen  und  geistlichen  Standes  über  antiklerikale  Tagesklagen. f 

Die  Reformatoren,  voran  Luther  und  seine  Umgebung,  förderten 
angelegentlich  sowohl  das  Schuldrama,  wie  die  protestantischen  Schul- 
ordnungen mit  ihren  immer  wiederholten  Hinweisen  auf  Plautus  und 
Terenz  bezeugen,  als  auch  das  Volksdrama,  das  die  willkommene  volks- 
tümliche Form  für  die  konfessionelle  Satire  bot.  Darin  betätigte  sich 
zunächst  mit  großem  Erfolge  der  eifernde  Anhänger  der  neuen  Lehre, 
der  Baseler  Buchdrucker,  Theologe  und  klassische  Philologe  Pam- 1 
philus  Gengenbach  (^1525).  Als  geborenem  Nürnberger  war  ihm  diese! 


72 


Sechzehntes  Jahrhundert:  Das  volkstümliche  Drama. 


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Form  besonders  vertraut.  Seine  saftige  und  derbe  Satire  „Die  Gauch- 
matt" (15 16),  die  den  vorgeführten  Typen  bereits  individuaUsierende 
Züge  verleihen  möchte,  ist  gegen  Ehebruch  und  Unkeuschheit  ge- 
richtet, „Die  Totenfresser"  C1521)  aber  sind  eine  dialogisierte  Satire 
gegen  die  katholische  Geistlichkeit  wegen  der  Totenmessen. 

Ihn  weit  überragend  ist  sein  Zeitgenosse,  der  vielgewandte  Maler- 
dichter Nikiaus  Manuel  (1484 — 1531).  1522  veröffentlicht  er  zwei  Fast- 
nachtspiele: „Vom  Papst  und  seiner  Priesterschaft",  worin  er  gleich 
Gengenbach  das  Motiv  des  Totenfressens  behandelt,  und  „Von 
Papstes  und  Christi  Gegensatz",  worin  er  das  naive,  derbe,  unver- 
dorbene Bauernvolk  dem  gleißenden  Prunk  der  gleißnerischen  Diener 
der  Kirche  gegenüberstellt,  um  zu  begründen,  wie  durch  deren  Ver- 
weltlichung die  Bauern  zur  neuen  Religion  getrieben  werden.  Ein 
sehr  wirkungsvolles  reformatorisch-tendenziöses  Fastnachtspiel  „Ab- 
laßkrämer" (1525)  läßt  die  Dorfweiber  dem  Ablaßhändler  die  er- 
schwindelten Reichtümer  abnehmen;  die  Vorgänge  sind  klar  gesehen, 
mit  überlegenem  Humor  geschildert  in  derber,  treifender  Ausdrucks- 
weise. 1528  erscheinen  dann  wieder  zwei  Stücke,  wovon  ,, Krank- 
heit der  Messe"  zu  den  kräftigsten  Satiren  der  Reformation  gehört, 
von  unwiderstehlicher  Wucht  der  Überzeugung  und  schneidender 
Schärfe  des  Spotts,  während  das  „Testament  der  Messe"  leichter  und 
scherzhafter  gehalten  ist;  beide  zeigen  mit  dem  Prozeßmotiv  und  dem 
Krankenstuben-  oder  Operation  smotiv  Fastnachtspieltradition. 

„Elsli  Tragdenknaben"  (1530)  ist  keine  kirchliche  Satire.  Wenigstens 
ist  die  Einwirkung  der  Schweizer  Reformationsbewegung,  die  das  welt- 
liche Leben  auf  Grund  des  Bibeltextes  leiten  will,  nur  nebensächlich 
gegenüber  der  Haupthandlung,  deren  Unterlage  das  alte  Gerichtsspiel 
von  „Rumpolt  und  Mareth"  bildet.  Manuel  hat  die  Vorlage,  nicht  zu- 
gunsten des  Werks,  stark  erweitert,  sowohl  durch  die  Geschwätzig- 
keit der  Personen  als  dadurch,  daß  er  der  Ehe  von  Rumpolt  und 
Mareth  auch  noch  die  von  Rumpolts  Vater  und  Mareths  Mutter  folgen 
läßt  und  außerdem  mit  dem  Stoff  eine  Satire  gegen  die  geldhung- 
rigen, prozeßfördernden  Juristen  verknüpft.  Doch  wenn  er  auch  die 
ursprüngliche  Knappheit  verwässert  hat,  so  bleibt  sein  Spiel  doch 
immer  noch  sehr  lustig  und  ein  Zeugnis,  daß  er  ein  echter  Volks- 
dichter ist  von  scharfer  Beobachtung,  selbständigem  Urteil,  Mut  der 
Überzeugung  und  großer  Gewandtheit  im  sprachlichen  Ausdruck. 
Der  Schweizer  hat  jedenfalls  mehr  Anspruch  auf  den  Ehrentitel  eines 
Germanicus  Comicus   als  sein  deutscher  Zeitgenosse  Joachim  Greff. 

b)  Allgemeine  Satire. 

Erst  im  Laufe  der  dreißiger  Jahre  verebben  die  hochgehenden 
Wogen  der  Reformationsfehden.  Der  Zeit  des  Kampfes  folgt  die  Zeit 
der  Verständigung.  Allgemeinere  Interessen  suchen  wieder  nach 
Sprachrohren,  das  Fastnachtspiel  als  aktuelles  Konfessionspolemikspiel 


Fastnachtspiel  der  Reformationszeit:  AUgemeine  Satire.  73 

macht  allgemeiner  Satire  Platz.  Auch  jetzt  wieder  ist  die  Pflegestätte 
des  Fastnachtspiels  der  ganze  Bereich  deutsch  sprechender  Lande,  und 
seine  Verfasser,  die  wir  im  Gegensatz  zu  früher  jetzt  meistens  kennen, 
da  sie  gerne  im  Schlußreim  selbst  ihren  Namen  angeben,  stammen 
aus  beiden  Konfessionslagem,  wenn  auch  die  Protestanten  überwiegen. 
Es  findet  sich  hier  in  dem  Fastnachtspiel  wieder  ein  gemeinsamer 
Boden  deutschen  Volkstums,  der  sowohl  die  religiöse  Kluft  als  auch 
die  durch  die  humanistische  Bildung  verursachte  kulturelle  Spaltung 
überbrückt.  Darin  sehen  wir  das  größte  Verdienst  des  neuen  Fast- 
nachtspiels. Es  bahnt  sich  darin  eine  Annäherung  beider  Kulturlager 
an ;  das  Fastnachtspiel  ist  der  erste  Zeuge  einer  beginnenden  neuen 
Nationalkultur.  Der  Unterschied  vom  ursprünglichen  Fastnachtspiel 
des  Mittelalters  besteht  wesentlich  darin,  daß  jetzt  an  Stelle  des  Selbst- 
zwecks unmittelbaren  Freudeausdrucks  bestimmte  kulturelle  Absichten 
des  Verfassers  verfolgt  werden.  Das  Fastnachtspiel  tritt  in  den  Dienst 
intellektueller  und  ethischer  Zwecke,  wozu  die  Bauernsatire  des  aus- 
gehenden Mittelalters  und  die  Konfessionspolemik  der  Reformation 
vorgearbeitet  hatten.  Dadurch  geht  viel  von  der  früheren  Unmittel- 
barkeit und  Unbedenklichkeit  verloren. 

Wohl  bearbeitet  das  Fastnachtspiel  des  1 6.  Jahrhunderts  gern  Stoffe 
der  mittelalterlichen  Spiele,  wohl  sind  auch  in  ihm  Typen  und  nicht 
Individualitäten  vorherrschend,  aber  die  humanistische  Renaissance 
macht  sich  auch  bei  ihm  geltend,  indem  es  sich  unter  die  horazische 
Poetiklehre  der  Mischung  vom  Angenehmen  und  Nützlichen  beugt. 
Der  gelehrte,  seine  Richtlinien  aus  der  Antike  holende  Humanismus 
bestimmt  den  geistigen  Horizont  selbst  in  der  Volkskunst.  Dadurch 
erfährt  selbst  die  äußere  Form  eine  gewisse  Veränderung.  Im  Fast- 
nachtspiel des  Mittelalters,  in  dem  Dichter  und  Spieler  in  ihrer  Spon- 
taneität als  eine  Person  erschienen,  redete  diese  gleichsam  wie  ihr 
der  Schnabel  gewachsen  war.  Was  die  Zuschauer  dalDei  hören  mußten, 
war  in  seiner  zur  Unfläterei  gehäuften  Derbheit  wahrhaftig  nicht  hof- 
fähig. Es  gab  keinerlei  konventionelle  Bedenken.  Konvention  und 
Unmittelbarkeit  des  Ausdrucks  sind  unvereinbar.  Im  Fastnachtspiel 
der  Renaissance  ist  der  Dichter  vom  Spieler  getrennt.  Nicht  Spon- 
taneität ist  mehr  sein  Wesen,  sondern  Überlegung  liegt  ihm  zugrunde, 
Überlegung  eines  mit  den  Bildungsmitteln  der  Gesellschaft  mehr  oder 
weniger  vertrauten  Verfassers,  der  eingestandenermaßen  mit  Hilfe 
dieser  Bildungsmittel  im  Rahmen  dieser  Gesellschaft  bestimmte  kulturelle 
Besserungen,  intellektuell  ethische  Besinnungen  erzielen  will.  Für  ihn 
ist  daher  die  Konvention  bindend ;  die  Folge  ist  eine  Beschränkung  der 
Derbheit  im  Ausdruck.  Gegenüber  der  anscheinenden  Roheit  mittel- 
alterlicher  Fastnachtspiele   wirken   die   des  i6.  Jahrhunderts   gesittet. 

Aus  der  großen  Zahl  kürzerer  und  längerer  Stücke,  die  in  ihrem 
Umfang  weit  über  die  durchschnittliche  ursprüngliche  Größe  hinaus- 
schreiten, heben  wir  zwei  Schweizer  Spiele  heraus,  die  zu  den  besten 


JA  Sechzehntes  Jahrhundert :   Das  volkstümliche  Drama. 

des  Jahrhunderts  zählen.  Das  1548  von  jungen  Züricher  Bürgern  auf- 
geführte Weinspiel  „Ein  holdsäliges  Faßnachtspil,  darin  der  edel  wyn 
X  von  der  Truncknen  rott  beklagt,  vonn  Raeblüthen  geschirmbt  un  von 
Richtern  ledig  gesprochen  wirt,  gantz  lieplich  zeläsen"  stammt  von 
Hans  Rudolf  Manuel,  dem  zweiten  Sohne  des  uns  bereits  bekannten 
Nikiaus  Manuel.  Das  Stück  besteht  aus  zwei  Teilen,  wovon  besonders 
der  erste  in  seiner  frischen  Bewegung  und  realistischen  Darstellung 
gut  gelungen  ist.  Es  ist  eine  Frühschoppenszene,  die,  in  ihrer  Aus- 
gelassenheit an  die  Szene  in  Auerbachs  Keller  erinnernd,  bis  in  die 
Nacht  ausgedehnt  wird,  in  der  zum  Schlüsse  die  Trinker  den  Wein 
seiner  schädigenden  Wirkung  halber  beschimpfen.  Der  zweiteTeil  bringt 
die  Gerichtsszene  wegen  der  Klage  des  Weins;  ihre  Form  erinnert 
an  die  frühesten  Vorbilder  des  Fastnachtspiels,  wie  etwa  im  „Tana- 
wäschel"  die  Ankläger  der  Reihe  nach  ihre  Beschwerden  vorbringen. 
Doch  es  erstehen  dem  Wein  auch  Verteidiger,  wie  das  alte  Bauern- 
weiblein,  das  mit  dem  alten  Trinklied  bekennt:  ,,Der  ist  der  liebste 
bule  min".  Mit  der  Ausführung  des  drastischen  Urteilsspruchs  gegen 
die  Ankläger  schließt  das  Spiel.  Ausdrücklich  wird  noch  die  Nutz- 
anwendung betont: 

„Deßhalben  nyemand  mein  noch  acht,  Das  man  darinnen  suften  leer, 

Das  unser  spil  darumb  syg  gmacht,  Sunder  das  man  sich  darvon  keer". 

Doch  neben  dem  didaktischen  Zweck  verfolgt  das  Fastnachtspiel  in 
alter  Tradition  die  mimische  Absicht,  Lachen  zu  erregen  durch  rea- 
listische Schilderung: 

„Wir  bkennends  leider  selber  wol.  Sunder  vollen  narry  und  grillen, 

Das  wir  der  witz  nit  sind  gar  vol.  Doch  nämend  für  die  wärck  den  willen". 

Das  Spiel  ist  ein  Zeugnis  für  die  in  der  damaligen  Zeit  überhand- 
nehmende Trunksucht,  die  mit  Lob  und  Tadel  des  Weins  in  der  Lite- 
ratur, besonders  der  grobianischen,  reichlich  vertreten  ist.  Bei  aller 
dramatischen  Geschicklichkeit,  besonders  im  L  Teil,  wirkt  es  doch 
durch  die  endlosen  Moralisierungen  im  IL  Teil,  die  es  auf  4238  Verse 
anschwellen  lassen,  ermüdend.  Bezeichnend  ist,  daß  auch  die  Figur 
des  Teufels,  der  an  der  Trunksucht  seine  helle  Freude  hat,  auftritt. 
Die  Reformation  hatte  ja  nicht  den  Teufelsglauben  abgeschafft,  son- 
dern, wie  die  Lebensgeschichte  Luthers  und  die  ausgedehnte  protestan- 
tische Teufelsliteratur  beweisen,  eher  neu  belebt,  war  doch  die  Teufels- 
figur ein  willkommenes  Mittel  zur  moralisierenden  Sittenschilderung. 

Bedeutender  in  dramatischer  Gestaltung  als  Manuels  Weinspiel, 
ja  das  bedeutendste  Lustspiel  der  Schweizer  Literatur  des  16.  Jahr- 
r^  hunderts  überhaupt  ist  des  Schaff  hausener  Malerdichters  Tobias  Stim- 
mer „Spiel  von  zwei  Eheleuten"  (1580),  das  neuerdings  Witkowski 
geschmackvoll  mit  Stimmers  Illustrationen  herausgegeben  hat.  Der 
Schweizer  Literarhistoriker  Baechtold  will  in  dem  lustigen,  humorvollen 


Fastnachtspiel  der  Reformationszeit:  Hans  Sachs.  72 

Stück  sogar  Shakespearisches  sehen.  Es  ist  ein  Verwechslungsspiel, 
eine  Komödie  der  Irrungen :  Während  der  Abwesenheit  des  Ehemanns 
vermeint  sein  junges  Weib  in  einem  biederen  Holzhacker  den  ver- 
kleideten Pfafifen  als  ihren  erwarteten  Liebhaber  zu  empfangen,  sie 
erhält  mit  der  kupplerischen  Magd  die  Strafe  für  den  geplanten  Ehe- 
bruch. Das  Motiv  ist  nicht  neu,  schon  ein  altes  Fastnachtspiel  (Nr.  19 
in  Kellers  Sammlung)  behandelt  den  Stoff,  es  klingt  auch  stark  an 
boccaccieske  Schwanke  an;  doch  die  Art  der  Behandlung  macht  es 
zu  einer  unserer  besten  Possenkomödien.  Die  Gewandtheit  der  Dar- 
stellung, die  Kunst  der  Charakterisierung,  die  Komik  der  Situationen, 
der  Witz  des  Dialogs:  alles  verrät  die  beste  Kunst  des  Lustspiels, 
die  wir  in  jener  Zeit  überhaupt  besitzen  und  die  die  naive  Form 
des  Fastnachtspiels  weit  hinter  sich  läßt.  Hier  haben  wir  kein  Fast- 
nachtspiel mehr,  sondern  ein  echtes  Lustspiel,  welche  Bezeichnung 
frühestens  für  das  Jahr  1536  bezeugt  ist;  1537  erscheint  sie  dann 
wieder  im  Titel:  „Ein  lustspil,  der  weyber  Reichstag  genant". 

c)  Hans  Sachs. 

Stärker  in  der  Fastnachtspieltradition  haftend  erweist  sich  Hans 
Sachs  (1494 — 1576),  der  aber  in  Freiheit  des  Humorgefühls  Tobias 
Stimmer  mindestens  erreicht,  in  sprudelnder  Erfindungskraft,  in  Viel- 
fältigkeit literarischer  Interessen  und  Betätigung  ihn  weit  übertrifft, 
Hans  Sachs  ist  in  seinen  Fastnachtspielen  Volksdichter,  aber  trotz- 
dem er  stofflich  und  formell  an  das  mittelalterliche  Fastnachtspiel 
anknüpft,  ist  er  ihm  gegenüber  doch  Vertreter  der  neuen  Bildung. 
Natur  ist  nicht  mehr  der  Natur  wegen  dargestellt,  sondern  der  Lite- 
ratur wegen.  Was  Natur  war,  wird  Literatur,  Natürlichkeit  Grobia- 
nismus. Hans  Sachs  gibt  in  seinen  Fastnachtspielen  Zeugnisse  für! 
diese  grobianistische  Seite  des  16.  Jahrhunderts,  die  die  Kehrseite- 
bildet  zur  humanistischen  Kultur.  Indem  er  sich  aber  der  alten  j 
Fastnachtspielform  bedient,  wenn  er  sie  auch  durch  seine  vertiefte 
Einsicht  in  dramaturgische  Notwendigkeiten  modifiziert,  erlangen 
seine  Fastnachtspiele  jene  Beliebtheit  und  Verbreitung,  die  sie  nach 
Scherers  Wort  wie  Volkslieder  fortdauern  lassen.  Die  Holprigkeit 
ihrer  Knittelverse  war  mindestens  kein  störender  Faktor.  Die  dar- 
gestellten Typen  sind  altbekanntes  und  behebtes  Erbgut,  doch  sind 
sie  mit  charakteristischen  Zügen  bereichert,  die  Hans  Sachsens  scharf 
beobachtendes  Auge  an  seiner  Umwelt  entdeckte.  Dies  ist  das 
Kennzeichen  unseres  bürgerlichen  Meisters:  er  wuchert  mit  über- 
kommenem Pfund,  demokratisiert  den  Humanismus,  macht  dessen 
Gut  volkstümlich. 

Wiederum  zeigt  sich  die  Einwirkung  des  Humanismus  auf  die 
volkstümliche  Dramatik.  Besonderes  Zeugnis  dafür  bildet  die  Aus- 
schöpfung der  beliebten  Schwankliteratur.  Wie  Hans  Sachs  den  Be- 
reich des  alten  Fastnachtspiels  erweitert  dadurch,   daß  er  neben  dem 


76  Sechzehntes  Jahrhundert:  Das  volkstümliche  Drama. 

\  Bauernmilieu  in  fünfzehn  Stücken  bürgerliche  Kreise  spiegelt,  so  durch 
t  die  Stoffentnahme  für  vier  Stücke  aus  dem  „Eulenspiegel",  für  acht 
I  aus  Paulis  „Schimpf  und  Ernst",  für  dreizehn  aus  dem  „Decamerone". 
Als  Dramatisierung  von  Schwänken  sind  die  Possenspiele  nicht  mehr 
Mimen  im  alten  Sinne  der  unmittelbaren  realistischen  Abbildung  des 
Lebens,  sondern  Ergebnisse  literarischen  Studiums;  nicht  mehr  das 
Leben  bildet  ihre  Grundlage,  sondern  das  Buch.  Darin  liegt  der  wesent- 
liche kulturelle  Unterschied,  den  der  Humanismus  ins  volkstümliche 
Drama  gebracht  hat:  am  Anfang  steht  das  Wort,  nicht  mehr  die  Tat. 
Hans  Sachsens  erstes  Fastnachtspiel  stammt  aus  seinem  22.  Lebens- 
jahre, von  15 17;  in  der  Kampfzeit  der  Reformation  verstummt  seine 
Fastnachtspielproduktion;  erst  von  1533  ab  fließt  sie  wieder,  und  bis 
1540  hat  er  15  Fastnachtspiele  verfaßt.  Am  stärksten  blüht  seine 
Schaffenskraft  von  1550  bis  1560,  wo  er  65  Spiele  schreibt.  Der  sorg- 
fältige Herausgeber  der  Fastnachtspiele,  Goetze,  druckt  85  Stücke  in 
seiner  Sammlung  ab.  Der  Vorzug  von  Hans  Sachsens  Kunst  besteht 
in  der  Klarheit  der  Beobachtung  und  der  Kraft  der  Darstellung  des 
Beobachteten  in  gedrängter  Kürze.  Allerdings  kann  er  sich  von  dem 
Zug  der  Zeit,  lehrhaft  zu  moralisieren,  nicht  frei  halten.  Nicht  nur 
daß  er  seinen  Spielen  gern  ein  Moralschwänzchen  anhängt,  er  dehnt 
auch  gelegentlich  durch  die  didaktische  Absicht  den  Bau  der  Posse 
unproportioniert  aus.  Doch  im  Grunde  ist  er  ein  Künstler,  der  bewußt 
den  dramaturgischen  Bau  seiner  Stücke  überwacht  und  sich  darüber  klar 
ist,  daß  in  der  Kürze  des  Witzes  Würze  liegt.  Der  gewöhnliche  Um- 
fang beträgt  360  Verse.  Gerade  daß  er  im  allgemeinen  seine  Neigung 
zur  Geschwätzigkeit  zügelt,  zeigt  uns  sein  bewußtes  dramaturgisches 
Schaffen  und  macht  um  so  bewundernswerter,  daß  er  innerhalb  dieses 
kurzen  Ablaufs  so  treffend  realistische  Schilderungen  zu  geben  ver- 
mag. Auch  die  Personenzahl,  die  in  dem  alten  Fastnachtspiel  bei- 
nahe unbegrenzt  war,  beschränkt  er  auf  drei  bis  sechs,  ebenfalls  zu- 
gunsten der  Konzentration  und  damit  der  dramatischen  Wirkung. 
Diese  gründet  aber  hauptsächlich  in  der  Kunst  der  überaus  knappen, 
witzigen  und  lebendigen  Dialogführung.  Allerdings  eine  innere  Be- 
ziehung von  Stoff  und  Form  war  Hans  Sachs  unbekannt.  Jeder  Stoff 
konnte  in  jede  Form  gezwängt  werden.  Die  ergötzliche  Erzählung 
von  den  ungleichen  Kindern  Evas  behandelt  er  1547  in  einem  höl- 
zernen Meistergesang,  im  September  1553  in  einem  Fastnachtspiel,  im 
November  darauf  in  einer  Komödie,  und  erst  1558  schuf  er  daraus 
einen  schlechthin  vollkommenen  Schwank.  Wenn  darin  auch  ein 
Suchen  nach  der  gemäßen  Form  erkannt  werden  darf,  so  fehlte  ihm 
doch  trotz  aller  wirksamen  dramatischen  Schilderungskunst  das  in- 
stinktiv sichere  dichterische  Gefühl.  Im  Grunde  war  er  ein  Schreiber 
wie  andere  Schreiber  auch  —  keineswegs  die  von  Goethe  und  Richard 
Wagner  verherrlichte  Dichtergestalt  — ,  nur  daß  ihn  sympathisches, 
mildes  und  frohes  Menschtum,  sittliche  Charakterstärke  und  als  Künstler 


Theater.  77 

scharfe  Beobachtungsgabe,  realistische  Darstellungskunst  und  leicht- 
flüssige, volkstümliche  Sprachbeherrschung  auszeichneten  und  über 
seine  Zeitgenossen  hinaushoben.  'I 

2.  THEATER. 

Die  Aufführungsart  des  Fastnachtspiels,  wie  es  der  Meistersinger 
Hans  Sachs  ausbildet  —  darüber  hat  uns  wiederum  Max  Herrmann  be- 
lehrt — ,  hat  nichts  mit  der  heroisch-pathetischen,  dekorativ-stilisierten 
Feiertagskunst  des  Meistersingerdramas  gemein.  Den  grundsätzlichen 
Unterschied  erkennt  auch  Albert  Kösters  Kritik  der  Herrmannschen 
Forschungsergebnisse  „Die  Meistersingerbühne  des  sechzehnten 
Jahrhunderts"  (1921)  an.  Wenn  auch  die  Grenzen  beider  Kunstarten 
flüssig  sind,  so  daß  Köster  darauf  hinweisen  kann,  wie  der  Her- 
ausgeber Goetze  bisweilen  im  Zweifel  war,  ob  das  einzelne  Stück  den 
Komödien  oder  den  Fastnachtspielen  zuzurechnen  sei,  so  entspricht 
die  Darstellung  des  Fastnachtspiels  in  ihrem  Verzicht  auf  die  große 
getragene  Geste  doch  noch  eher  der  der  humanistischen  Schulkomödie, 
und  jene  Übergänge  beider  Kunstarten  finden  wir  auch  hier  zwischen 
Volkskomödie  und  Humanistenkomödie,  so  daß  Reuchlins  „Henno" 
etwa  für  die  Fastnachtspielbühne,  Stimmers  „Eheleute"  für  die  Terenz- 
bühne  geschaff"en  scheinen.  Aber  die  größere  Wirklichkeitsnähe  des 
Fastnachtspiels  durchbricht  auch  die  Gehaltenheit  der  Schulkomödie. 
Seine  Eigenart  beruht  in  seinem  malerisch -genrehaften  Kunststil. 
Psychologisierung  tritt  im  Fastnachtspiel  an  Stelle  des  Dekorativen, 
Vertiefung  an  Stelle  des  Flächenhaften,  naturalistische  Auflösung  an 
Stelle  stilisierender  Gebundenheit.  Die  volkstümliche  Tradition  läßt 
das  Bewußtsein  der  Feiertagskunst  verschwinden.  Alhagswirklichkeit 
wird  drastisch  unterstrichen,  wozu  alle  Mittel  naturalistisch -psycho- 
logisierender  Darstellung,  insbesondere  Gesichtsmimik,  willkommen 
sind;  allerdings  sind  auch  hier  wieder  dämpfende  Züge  zu  beobachten, 
die  den  krassen,  ungebundenen  Naturahsmus  einem  zahmeren  Realis- 
mus, die  individualisierend-psychologische  Darstellung  der  typischen 
annähern.  Selbst  im  Fastnachtspiel  macht  sich,  wenn  auch  weit 
schwächer  als  im  Humanistendrama,  die  Tendenz  des  16.  Jahrhunderts 
geltend,  die  Dichtung,  das  Drama  in  den  Vordergrund  zu  rücken  und 
das  Theater  nur  als  Diener  des  Dramas  oder  aber  einer  über  beiden 
stehenden  pädagogischen  Absicht  aufzufassen;  trotzdem  aber  bewahrt 
sich  das  Theater  Eigenleben. 


'  \ 


C.  SIEBZEHNTES  JAHRHUNDERT. 

I.  ENGLISCHE  KOMÖDIANTEN. 

I.  CHARAKTER  DER  SCHAUSPIELERTRUPPEN. 

Der  Übergang  des  i6.  ins  17.  Jahrhundert  stellt  sich  uns  in  deut- 
scher Lustspieldramatik  an  Jacob  Ayrer  und  Heinrich  Julius  v.  Braun- 
schweig dar.  Sie  wurzeln  noch  fest  in  vorhergehender  Tradition, 
zeigen  aber  auch  schon  deutlich  die  Einflüsse  einer  neuen  Bewegung. 
Diese  Befruchtung  kommt  vom  Ausland,  in  erster  Linie  von  England. 
Zunächst  fördert  sie  das  Theater  und  führt  seine  Herrschaft  über  das 
Drama  herbei.  Wir  stehen  jetzt  vor  einem  Kapitel  deutscher  Drama- 
und  Theatergeschichte,  das  in  dem  Theatervorspiel  zum  „Faust"  der 
Direktor  und  die  lustige  Person  vertreten:  „Die  Masse  könnt  ihr  nur 
durch  Masse  zwingen". 

In  England  haben  im  16.  Jahrhundert  Drama  und  Theater  gewaltige 
Fortschritte  gemacht,  so  gewaltig,  daß  sie  am  Ende  des  Jahrhunderts 
zum  Endziel  ihrer  Bahn  kommen  durch  ihre  harmonische  Vereinigung 
und  Durchdringung  in  Shakespeare.  Dramatische  Kunst  wie  Theater- 
kunst stehen  auf  gleicher  Höhe,  beide  arbeiten  Hand  in  Hand.  Diesen 
Vorteil  hat  schon  um  die  Wende  des  16.  Jahrhunderts  ein  deutscher 
Beobachter,  Johannes  Rhenanus,  erkannt  und  darauf  sein  günstiges 
Urteil  über  die  englischen  Schauspieler  gegründet  in  der  Vorrede  zu 
seiner  Komödie  „Speculum  aistheticum"  (1613).  Die  anerkannte  Vor- 
trefflichkeit englischer  Schauspieler  wird  von  diesen  frühzeitig  auf 
Gastspielreisen  betätigt  und  erwerbsmäßig  ausgenützt.  So  kommen 
sie  auch  nach  Deutschland  —  schon  1556  erscheinen  sie  in  Branden- 
burg —  und  bilden  seit  dem  letzten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts 
ständige  Wandertruppen  auf  deutschem  Boden.  Es  ist  die  Zeit  der 
englischen  Komödianten.  Hohe  literarische  Prätentionen  haben  diese 
Schauspieler  nicht.  In  der  Mehrzahl  sind  es  auch  nicht  gerade  die 
besten,  die  ins  Ausland  streben.  Sie  sind  mehr  Diener  des  Theaters 
als  des  Dramas,  wird  doch  auch  bei  ihrer  Benennung  immer  wieder 
darauf  hingewiesen,  daß  sie  Instrumentisten  und  Springer  sind.  Die 
Hauptelemente  ihrer  Darbietungen  sind  Singewerk,  Spielwerk,  Feuer- 
werk. „In  bunten  Bildern  wenig  Klarheit,  Viel  Irrtum  und  ein  Fünk- 
chen  Wahrheit,   So  wird  der  beste  Trank  gebraut.   Der  alle  Welt  er- 


Charakter  der  Schauspielertruppen.    Repertoire.  7Q 

quiekt  und  auferbaut".  Dies  ist  das  Rezept,  nach  dem  sie  das  drama- 
tische Ragout  zusammenbrauen  als  Rahmen  der  Schaustellung  ihrer 
mimischen  Künste.  Gerade  dadurch  erlangen  sie  aber  allgemeine 
Beliebtheit  und  sind  bald  in  allen  Gegenden  und  Winkeln  Deutsch- 
lands, in  Nord  und  Süd,  in  West  und  Ost  heimisch. 

Diese  englischen  Schauspielertruppen  sind  in  erster  Linie  für  unser 
Theater  bedeutsam  geworden.  Sie  haben  den  deutschen  Schauspieler- 
stand begründet.  Alles,  was  ihnen  vorausgeht:  die  Bürger,  die 
Schüler,  die  Studenten,  ist  Dilettantentum.  Für  die  Auswahl  der 
aufzuführenden  Stücke  waren  ihnen  ebensowenig  didaktische  Ab- 
sichten wie  ästhetische  Rücksichten  bestimmend,  maßgebend  war  nur 
der  Geschmack  des  Publikums.  Kunsterzieherische  Absichten  lagen 
ihnen  fern;  und  da  die  Instinkte  der  Masse  entscheidend  waren,  so 
sank  das  ästhetische  Niveau  immer  tiefer.  Nicht  der  dramatische 
Dichtungswert  war  ausschlaggebend,  sondern  einzig  und  allein  die 
theatralische  Bühnenwirkung.  Wenn  trotzdem  dramatisch  wertvolle 
Stücke  oder  doch  Einzelzüge  und  Motive  in  ihrem  Repertoire  vor- 
handen sind,  so  danken  wir  dies  dem  glückhchen  Zufall,  daß  die 
Komödianten  von  einem  dramatisch  hochentwickelten  Lande  zu  uns 
kamen.  Von  den  beiden  Richtungen  des  englischen  Lustspiels:  dem 
humorvoll  heiteren  Phantasiespiel,  wie  Shakespeares  „Sommernachts- 
traum" oder  „Wie  es  euch  gefällt",  und  dem  satirischen  Sittenstück,  wie 
etwa  die  Komödien  des  Ben  Jonson,  fand  die  erstere  den  größeren 
Anklang  und  ist  daher  mit  zahlreichen  Mustern  vertreten.  In  dieser 
Vorliebe  mag  barocker  Kunstwille  zu  erkennen  sein.  Das  bewegte 
malerisch-lyrische  Stimmungsspiel  entsprach  dem  barocken  Zeit- 
charakter eher  als  das  ruhig  gegHederte,  rationalistische  Sittenstück. 

Je  tiefer  wir  ins  17.  Jahrhundert  hineinkommen,  um  so  mehr  er- 
weitert sich  auch  das  Repertoire  der  Komödianten.  Es  sind  jetzt  schon 
längst  nicht  mehr  nur  englische  Schauspieler.  Früh  haben  sich  ihnen 
deutsche  Mitglieder  angeschlossen,  außerdem  befanden  sich  neben  den 
englischen  auch  italienische  Schauspielertruppen  bereits  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  —  ja  schon  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  kommen 
sie  nach  München  —  auf  der  Wanderschaft,  und  im  Laufe  des  17.  Jahr- 
hunderts erscheinen  noch  weitere  Nationalitäten.  Zu  den  englischen 
Einflüssen  treten  die  der  anderen  Länder:  die  italienischen  der  be- 
liebten commedia  dell'arte  und  des  Schäferspiels,  die  holländischen 
der  Renaissancedramatik,  der  sogenannten  Rederjikers,  endlich  die 
französischen  der  klassischen  Epoche,  der  Corneille,  Racine,  Moliere. 

2.  REPERTOIRE. 

Ein  Teil  des  Repertoires  ist  uns  in  Sammlungen  erhalten,  die  früh- 
zeitig im  Druck  erschienen.  Die  erste  Sammlung  wurde  1620  ver- 
öffentlicht, anscheinend  um  Texte  für  Aufführungen,  seien  es  solcher 
von  Berufsschauspielern  oder  von  Dilettanten,  zu  bieten.    Jedenfalls 


8o  Siebzehntes  Jahrhundert:  Englische  Komödianten. 

ist  es  keine  sorgfältig  vorbereitete  Ausgabe,  sie  gleicht  eher  den 
privaten  Ausgaben,  die  von  behebten,  zugkräftigen  Stücken  von  jeher 
gemacht  wurden,  solange  kein  literarisches  Urheberrecht  den  Autor 
schützte.  Gewöhnlich  wird  die  Sammlung,  die  bereits  1624  eine  zweite 
Auflage  erlebte,  unter  dem  Titel  „Englische  Comedien  und  Tragedien'* 
zitiert.  Im  17.  Jahrhundert  hat  man  die  Sammlung  unter  dem  Namen 
„Der  Pickelhering"  gekannt.  Der  ausführliche  Titel  lautet:  „Englische 
Comedien  und  Tragedien.  Das  ist:  Sehr  schöne,  herrliche  und  aus- 
erlesene, geist-  und  weltliche  Comedi  und  Tragedi  Spiel,  Sampt  dem 
Pickelhering,  welche  wegen  jhrer  artigen  Inventionen,  kurtzweiligen 
auch  theils  wahrhafftigen  Geschieht  halber,  von  den  Engelländern  in 
Deutschland  an  Königlichen,  Chur-  und  Fürstlichen  Höfen,  auch  in 
vornehmen  Reichs-,  See-  und  Handel- Städten  seynd  agiret  und  ge- 
halten worden,  und  zuvor  nie  im  Druck  außgegangen.  An  jetzo.  Allen 
der  Comedi  und  Tragedi  liebhabern,  und  Andern  zu  lieb  und  gefallen, 
der  Gestalt  in  offenen  Druck  gegeben,  daß  sie  gar  leicht  darauß  Spiel- 
weiß wiederumb  angerichtet,  und  zur  ErgetzHchkeit  und  Erquickung 
des  Gemüths  gehalten  werden  können.  Gedruckt  im  Jahr  MDCXX". 
1630  wurde  eine  zweite  Sammlung,  der  sogenannte  „Liebeskampf" 
veröffentlicht.  Der  Titel  lautet:  ,,Liebeskampff  oder  Ander  Theil  der 
Engelischen  Comoedien  und  Tragoedien,  in  welchem  sehr  schöne  auß- 
erlesene  Comoedien  und  Tragoedien  zu  befinden,  und  zuvor  nie  in 
Druck  außgegangen.  Allen  der  Comoedi  und  Tragoedi  Liebhabern, 
und  andern  zu  liebe  und  gefallen,  dergestalt  in  offenen  Druck  ge- 
geben, daß  sie  gar  leicht  daraus  Spielweiß  wiederumb  angerichtet, 
und  zur  ErgetzHchkeit  und  Erquickung  des  Gemüths,  gehalten  werden 
können.  Gedruckt  im  Jahr  MDCXXX".  Diese  zweite  Sammlung 
steht  äußerlich  auf  demselben  Boden  mit  der  ersten ;  formell  weist  sie 
eine  größere  Sorgfalt  in  der  Herausgabe  auf,  wie  sie  auch  inhaltlich 
unleugbar  auf  einem  höheren  ästhetischen,  durch  die  Schäferpoesie 
bestimmten  Niveau  sich  bewegt. 

Die  Sammlung  von  1620  ist  ein  Abdruck  von  Theaterstücken,  der 
keinerlei  literarischen  Ehrgeiz  verrät.  Der  „Liebeskampf"  gibt  sich  auch 
als  eine  Repertoiresammlung  aus.  Werner  Richter  hat  aber  in  seiner 
kenntnisreichen  Untersuchung  über  „Liebeskampf  1630  und  Schau- 
bühne 1670"  (Palaestra  Bd.  78)  gezeigt,  daß  dahinter  ein,  wenn  auch 
sehr  mäßiger  Literat  steht,  der  der  Zeitmode  entgegenkommt.  Trotz 
des  Komödiantenrockes  haben  wir  hier  eine  Art  Literaturdramen,  die 
kraft  ihrer  Komödiantenverwandtschaft  leicht  Zugang  zur  Komödianten- 
bühne erhoffen  können.  Ob  der  Verfasser  —  besser  Bearbeiter  und 
Herausgeber  —  von  den  offiziellen  Poeten  als  ihresgleichen  wäre  be- 
grüßt worden,  darf  füglich  bezweifelt  werden.  Immerhin  hat  er  dazu 
beigetragen,  den  gespannten  Gegensatz  von  Drama  und  Bühne, 
Literatur  und  Theater  abzuschwächen.  Und  er  ging  den  richtigen 
Weg.    Vom  Theater  aus  mußte  man   kommen,   um   die  Massen   für 


Repertoire.  8l 

literarische  Stoffe  in  literarischer  Form  zu  gewinnen.  Eine  formelle 
Wirkung  hat  er  jedenfalls  stark  befördert:  die  Prosadiktion  der 
englischen  Komödien  geht  in  das  Literaturdrama  über.  Bedeutende 
Lustspieldichter  des  17,  Jahrhunderts,  wie  Rist  und  Weise,  wissen 
sich  der  Kunstmittel  der  Komödiantenprosa  bewußt  und  gewandt  zu 
bedienen. 

Die  Sammlungen  bestehen  aus  Tragödien  und  Komödien  und  aus 
Possenspielen,  die  als  Einlagen  in  die  größeren  Schauspiele  verwandt 
werden  können  und  sollen.  In  diesen  Possenspielen  ist  natürlich  die 
lustige  Person  die  Hauptfigur,  sie  erscheint  aber  auch  immer  wieder 
in  den  großen  Dramen.  Wir  begegnen  ihr  unter  den  verschiedensten 
Namen.  Pickelhering  ist  der  gewöhnlichste;  daneben  erscheint  Hans 
Knapkäse,  Schambitasche,  was  Jean  Potage  und  Hans  Supp  entspricht, 
Hanswurst,  dessen  Typus  am  Ende  des  Jahrhunderts  durch  Stranitzky 
berühmt  werden  sollte,  weiter  Schrämgen,  bei  dem  Creizenach  schon 
auf  die  Figur  des  Schramfritz  im  „Wiltbad"  von  Hans  Sachs  hin- 
weist; die  komische  Figur  des  Bauern  Drewes  in  der  „Comedia  und 
Prob  getrewer  Liebe"  des  „Liebeskampf"  scheint  mir  auf  den  eng- 
lischen Merry  Andrew  zurückzuführen  zu  sein.  Schon  in  Rollen- 
hagens  ,,Amantes  amentes"  findet  sich  der  niederdeutsche  Name 
Drewes  für  den  Bauern.  Die  lustige  Person  ist  von  Anfang  an  die 
Hauptperson  der  englischen  Wandertruppen,  nach  ihr  sind  häufig  die 
Truppen  genannt.  Sie  zog  die  naiven  Massen  am  meisten  an.  Jeder 
Clown -Darsteller  hatte  seine  Besonderheiten,  an  denen  er  erkannt 
wurde.  Aber  der  Grundcharakter  ist  altes  Mimusgut,  wie  es  noch 
heutzutage  in  den  Zirkusclowns  lebendig  ist  und  immer  wieder  dank- 
bares Gelächter  bei  den  Zuschauern  auslöst. 

Es  sind  die  alten  Spaße  der  Ankündigung  vor  dem  Erscheinen, 
des  Abgehens  und  unter  nichtigen  Vorwänden  Immerwiederkehrens, 
des  dauernden  Lachens  oder  Weinens,  des  Zotenreißens,  des  Groß- 
mäulig-Feigen, des  Habgierig- Betrügerischen,  des  Gefräßig -Faulen: 
eine  ganze  Reihe  stehender  komischer  Motive,  die  auf  Wort-  und 
Situationskomik  berechnet  sind.  Der  breite  Raum,  den  die  lustige 
Person  in  allen  diesen  Schauspielen  einnimmt,  zeigt  am  besten,  daß 
die  Ziele  nicht  dramatische  sind,  sondern  Theaterwirkung.  Das  Drama 
an  sich  ist  Nebensache.  Dies  hat  auch  Lessing  schon  erkannt,  wenn 
er  im  „17.  Litteraturbrief"  über  die  ganze  Gattung  den  Stab  bricht: 
„Man  kannte  keine  Regeln;  man  bekümmerte  sich  um  keine  Muster. 
Unsere  Staats-  und  Heldenaktionen  waren  voller  Unsinn,  Bombast, 
Schmutz  und  Pöbehvitz.  Unsere  Lustspiele  bestanden  in  Verklei- 
dungen und  Zaubereien,  und  Prügel  waren  die  witzigsten  Einfälle 
derselben". 

Erst  der  literarisch  verankerte  „Liebeskampf"  hat  einen  besonderen 
Pickelheringsstil  geschaffen,  der  weiter  wirkte.  Bisher  bedienten 
sich  die  lustigen  Personen  feststehender  traditioneller  Spaße,  Mimus- 

Holl ,  Lustspiel.  6 


82  Siebzehntes  Jahrhundert:  Englische  Komödianten. 

elemente,  die  wohl  ursprünglich  auch  vom  Leben  abgezogen,  aber  längst 
erstarrt  waren.  Auch  das  Vorbild  des  bald  grotesk-lustigen,  bald  tief- 
sinnig-melancholischen, bald  derb-zotigen,  bald  dialektisch-philosophi- 
schen englischen  Clowns  hat  kaum  Spuren  hinterlassen.  Die  lustige 
Person  hat  sich  in  Deutschland  aus  dem  Fastnachtspiel  entwickelt, 
indem  sie  internationale  Motive  auf  Grund  typischer  Allgemeingültig- 
keit aufnahm.  So  hat  Ayrer  die  komische  Figur  des  Fastnachtspiels 
sowohl  mit  eigenen  Zugaben  als  auch  mit  Übertragungen  aus  eng- 
lischem Beispiel  ausgestattet,  wie  später  in  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  vor  allem  die  französischen  Narren  die  deutschen 
Possen  befruchteten.  Wir  brauchen  nur  an  die  Beziehungen  Weises 
und  Reuters  zu  Moliere  zu  denken.  Gerade  deshalb  ist  es  uns  wichtig, 
im  „Liebeskampf"  die  erste  Fixierung  der  auf  deutschen  Wander- 
bühnen üblichen  Pickelheringsspäße  zu  besitzen,  wenn  sie  ästhetisch 
auch  ein  gar  niedriges  Niveau  haben  und,  von  realistischer  Abschil- 
derung des  Lebens  noch  weit  entfernt,  sich  in  öder  Tradition  gefallen. 

Trotzdem  sind  in  diesen  Dramen,  auch  in  den  Lustspielen,  Ele- 
mente zur  Weiterentwicklung  vorhanden.  Vor  allem  trägt  dazu  das 
neu  eindringende  Genre  des  Schäferspiels  bei,  das  wesentlich  italieni- 
schen Ursprungs  ist.  Die  Hauptvorbilder  sind  Tassos  „Aminta"  und 
Guarinis  „Pastor  Fido".  Der  wertvolle  Beitrag,  den  diese  Schäfer- 
spiele der  deutschen  dramatischen  Literatur  liefern,  liegt  auf  dem 
Gebiete  psychologischer  Vertiefung  und  Verinnerlichung.  Dadurch 
daß  die  Schäferdramen  bewußt  das  Motiv  der  Liebe  in  ihren  Mittel- 
punkt stellen,  bedürfen  sie  zur  Gestaltung  dieses  Hauptereignisses 
menschlichen  Lebens  vertiefter  Seelenkunde.  Diese  aber  ist  frucht- 
tragend für  das  ganze  Gebiet  menschlich -seelischer  Beziehungen 
und  Betätigungen.  Dadurch  wird  wieder  der  veräußerlichten  Theater- 
kunst der  Weg  ins  Innere  gewiesen,  das  Dramatisch -Poetische  er- 
fährt eine  Neubelebung,  die  sich  vor  allem  bewährt  in  der  Entwick- 
lung des  heiteren  Phantasiespiels.  Dieser  Einfluß  des  italienischen 
Schäferspiels  der  damaligen  dramatischen,  lyrischen  und  epischen 
Pastoraldichtung  macht  sich  schon  im  „Liebeskampf"  geltend;  er 
findet  um  so  leichter  Eingang,  als  die  Träger  der  Dramen  ja  vom 
englischen  Drama  herkommen,  a^ls  die  englischen  Komödianten  das 
phantastische  Lustspiel  in  seiner  glänzendsten  Höhe  durch  Shake- 
speare von  Anfang  an  kennen. 

Der  sentimentale  Naturalismus,  wie  er  durch  die  Schäferdichtung 
vertreten  wird,  drang  in  seinen  Anfängen  schon  im  16.  Jahrhundert 
ins  deutsche  Drama.  Dies  ist  vor  allem  in  den  Zwischenspielen 
der  Josephsdramen  zu  beobachten.  Dem  deutschen  Drama  waren  ja 
von  jeher  Zwischenspiele  nicht  fremd.  Sie  sind  also  an  und  für  sich 
durchaus  nicht  eine  Neuerung  der  englischen  Komödianten.  Bereits 
im  geistlichen  Schauspiel  des  Mittelalters  haben  wir  diese  Possenein- 
sprenglinge  kennengelernt,  und  durch  das  ganze  16.  Jahrhundert  hin- 


Rationalisierung  des  Dramas.  83 


durch  haben  sie  sich  in  den  biblischen  und  humanistischen  Dramen 
erhalten.  Sie  bilden  ebensowenig  eine  Neuschöpfung  der  enghschen 
Komödianten  wie  die  komische  Figur  des  Narren.  Beide  sind  nur 
frisch  belebt.  Zwischenspiel  und  Narr  sind  kaum  voneinander  zu 
trennen.  Beide  entsprechen  dem  alten  Mimus  als  realistischer  Spiege- 
lung des  Alltagslebens  und  haben  ihren  Urgrund  in  der  drama- 
turgischen Absicht  der  Spannungserleichterung,  der  Stimmungsab- 
lenkung. Auch  die  im  17.  Jahrhundert  blühende  Jesuitendramatik 
bedient  sich  ihrer  mit  großem  Erfolg. 

Die  Realistik  findet  ihre  besten  Stoffe  in  der  Derbheit  der  kul- 
turell tiefsten  Klasse,  im  Bauernstand.  Realistisch -komische  Bauern- 
szenen, die  von  dem  Fastnachtspiel  her  bereits  sich  so  aus- 
gedehnter Beliebtheit  erfreuten,  werden  daher  auch  immer  wieder  in 
den  Handlungsablauf  ernster  Dramen  hineingeschoben.  Wir  beob- 
achten sie  besonders  in  den  Prodigusspielen  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts.  Eine  Folge  erstrebter  Realistik  in  der  Abschilde- 
rung bäuerlichen  Lebens  ist  auch  die  frühzeitige  Verwendung  des 
Mundartlichen.  Das  Dialektsprechen  ist  daher  keine  den  Einfluß 
der  englischen  Komödianten  verratende  Neuerung  von  Herzog 
Heinrich  Julius,  es  ist  davon  schon  viel  früher  im  16.  Jahrhundert 
Gebrauch  gemacht  worden;  ich  erinnere  nur  an  die  verschiedenen 
Mundarten  in  Frischlins  „Susanna",  die  der  Herzog  ja  seiner  Be- 
arbeitung zugrunde  legt.  Der  erste  nachweisbare  Einfluß  der  eng- 
lischen Komödianten  auf  das  deutsche  Drama  dürfte  aber  frühestens 
1591  festzulegen  sein,  und  zwar  in  Ph.  Waimers  Stück  „Über  EHsa, 
eine  Newe  und  lustige  Comoedia  von  Eduard  dem  Dritten  dieses 
Namens",  dessen  Zwischenspiel  auf  einem  englischen  Singspiel  vom 
„Dominus  Johannes"  beruht.  Die  Schauspiele  der  englischen  Komö- 
dianten führen  somit  den  Gebrauch  des  16.  Jahrhunderts  nur  weiter, 
mit  dem  einzigen  Unterschied,  daß  sie  kaum  didaktisch -moralische 
Absichten  mit  ihren  Zwischenspielen  verknüpfen,  ebensowenig  wie  sie 
der  komischen  Figur  des  Narren  moralisierende  Tendenzen  unterlegen. 

3.  RATIONALISIERUNG  DES  DRAMAS. 

Wenn  diese  moralische  Lehrhaftigkeit  trotzdem  weiterbesteht  das 
ganze  17.  Jahrhundert  hindurch,  so  liegt  dies  begründet  in  der  herr- 
schenden rationalistischen  Anschauung  vom  Wesen  des  Dramas  wie  der 
Dichtung  überhaupt.  Die  poetische  Theorie  des  17.  Jahrhunderts  ist 
durchaus  übereinstimmend  mit  der  Ansicht,  die  Opitz  in  seinem  ,,Buch 
von  der  deutschen  Poeterey"  von  1624  niedergelegt  hat,  und  die  sich 
strenge  an  das  klassische  Vorbild  des  Horaz  hält.  Opitz  tut  ja  das 
Drama  sehr  summarisch  ab  in  seiner  Poetik.  Immerhin  zählt  er  die 
Hauptinhalte  der  Komödie  seiner  Zeit  auf  im  V.  Kapitel:  „Die  Comedie 
besteht  in   schlechtem   wesen   und  personen;   redet  von  hochzeiten, 

6* 


84         Siebzehntes  Jahrhundert:  Englische  Komödianten.    Rationalisierung  des  Dramas, 

gastgeboten,  spielen,  betrug  und  schalckheit  der  Knechte,  ruhmrätigen 
Landsknechten,  buhlersachen,  leichtfertigkeit  der  Jugend,  geitze  des 
alters,  kupplerey  und  solchen  Sachen,  die  täglich  unter  gemeinen 
Leuten  vorlauffen.  Haben  derowegen  die,  welche  heutiges  tages 
Comedien  geschrieben,  weit  geirret,  die  Keyser  und  potentaten  ein- 
geführet;  weil  solches  den  regeln  der  Comedien  schnurstracks  zue- 
wieder  laufFt".  Und  weiter  im  VL  Kapitel:  „In  den  niedrigen  Poeti- 
schen Sachen  werden  schlechte  und  gemeine  leute  eingeführet ;  wie 
in  Comedien  und  Hirtengesprechen.  Darumb  tichtet  man  jhnen  auch 
einfaltige  und  schlechte  reden  an,  die  jhnen  gemäße  sein". 

Dem  Theoretiker  steht  die  Theorie  höher  als  die  Praxis.  Die  eng- 
lischen Komödianten  kannten  ja  die  hier  geforderte  soziale  Tiefstufe 
für  die  Komödie  nicht.  Wir  erkennen  somit,  wie  von  zwei  Seiten 
her  die  Kluft  zwischen  Theater  und  Drama  erweitert  wurde.  Die 
englischen  Komödianten  vernachlässigten  die  Dichtung  zugunsten 
der  Bühne  und  führten  dadurch  die  Verwilderung  des  Dramas  her- 
bei. Die  klassisch  orientierten  Theoretiker  berücksichtigten  nicht  die 
Bühnenpraxis,  das  Volkstümliche,  und  begünstigten  damit  eine  regel- 
haft-autoritative, trockene  und  theaterfremde  Gelehrtenpoesie.  Der 
Notleidende  war  in  beiden  Fällen  das  Drama. 

Der  verderbliche,  wirklichkeitsfremde  Charakter  der  Renaissance- 
poetik geht  aus  den  Lehrsätzen  ihres  Hauptvertreters  Opitz  zur  Genüge 
hervor.  Wie  schädUch  aber  der  Einfluß  der  englischen  Komödianten 
war,  erhellt  aus  der  Bearbeitung,  die  in  der  Sammlung  von  1620 
unter  dem  Titel  „Sidonia  und  Theagenes"  die  Komödie  Rollenhagens 
„Amantes  amentes"  von  1609  gefunden  hat.  Das  humorvolle,  von 
echt  dichterischem  Geist  getragene  Stück  ist  durchweg  vergröbert 
und  verwässert. 

Immerhin  zeigt  ein  Drama  aus  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts, 
das  vom  Einfluß  der  englischen  Komödianten  noch  ziemlich  frei 
scheint,  wie  weit  die  Entwicklung  der  deutschen  dramatischen  Kunst 
bereits  gediehen  war:  „Somnium  vitae  humanae"  von  Ludwig  Hol- 
lonius  (1605).  Die  Haupthandlung  ist  altes  Literaturgut.  Sie  behandelt 
das  Märchen  von  dem  Bauern,  der  in  besinnungsloser  Trunkenheit 
in  fürstliche  Umgebung  gebracht  wird  und  beim  Erwachen  nun  ein 
erhöhtes  Standesleben  führt.  Wir  kennen  den  Stoff"  aus  looi  Nacht, 
aus  dem  Rahmenspiel  von  Shakespeares  „Zähmung  der  Widerspen- 
stigen", aus  Holbergs  ,,Jeppe  vom  Berge"  und  neuerdings  aus  Gerhart 
Hauptmanns  „Schluck  und  Jau",  ohne  weitere  Bearbeitungen  zu  nennen, 
die  A.  V.  Weilen  zusammengetragen  hat.  Hollonius  hat  eine  sittlich- 
lehrhafte Absicht,  die  er  am  Schlüsse  des  Spiels  auch  ausspricht:  er 
will  die  Vergänglichkeit  alles  Irdischen  erweisen.  Das  Spiel  ist  eine 
Aneinanderreihung  komischer  Episoden,  die  untereinander  keine  Ver- 
knüpfung haben.  Die  Episoden  an  sich  zeigen  dichterische  Begabung, 
Charakterisierungskraft,  gute  Sprachbehandlung;  das  Mundartliche  ist 


Jacob  Ayrer  und  Heinrich  Julius  von  Braunschweig:  Jacob  Ayrer.  85 

zur  Verlebendigung  mit  herangezogen.  Wir  erkennen,  das  deutsche 
Drama  ist  auf  guter  Entwicklungsbahn.  Aber  das  Stück  ist  durch- 
aus Gelehrtenkunst,  trotz  der  treffenden  Beobachtungsgabe  und  der 
Fähigkeit  realistischer  Schilderung.  Die  Haupthandlung,  die  von 
größter  humorvoller  Wirksamkeit  wäre,  ist  nur  als  Anfang  und  Ende 
dargestellt.  Jans  Leben  als  Fürst  lernen  wir  nur  aus  epischem  Bericht 
kennen.  Gerade  dies  bühnenwirksame  Mittel-  und  Hauptstück  der 
Handlung  ist  nicht  dramatisch  gestaltet.  Es  fehlt  also  ganz  an  dem 
Verständnis  für  die  Erfordernisse  des  Theaters. 

Dieses  Verständnis  weckten  erst  die  englischen  Komödianten.  Aber 
trotz  aller  szenischen  Erkenntnisse,  die  die  englischen  Komödianten 
brachten,  und  die  für  eine  gesunde  Entwicklung  des  Dramas  nützlich 
und  notwendig  waren,  wurde  das  Dichterische  rücksichtslos  ausge- 
rottet. Derselbe  Prozeß  ist  ja  ungleich  stärker  zu  beobachten  in  den 
Verballhornungen  Shakespearescher  Stücke.  Die  Einwirkung  der 
Komödianten  auf  die  deutsche  Dramatik  war  aber  um  so  größer,  als 
sie  überall  beliebt  waren  und  in  allen  Gegenden  und  Winkeln  Deutsch- 
lands erschienen. 


IL  JACOB  AYRER  UND 
HEINRICH  JULIUS  VON  BRAUNSCHWEIG. 

I.  JACOB  AYRER. 

So  kamen  die  Engländer  auch  in  die  alte  Theaterstadt  Nürnberg.  Dort 
lebte  um  die  Wende  des  1 6.  Jahrhunderts  der  Notar  Jacob  Ayrer.  Dieser 
entfaltete  neben  seinem  Beruf  eine  fruchtbare  Tätigkeit  im  Stücke- 
schreiben. Nach  seinem  Tode  (1605)  erschien  1618  eine  Sammlung  von 
30  Tragödien  und  Komödien  nebst  36  „schönen  lustigen  und  kurtz- 
weiligen  Faßnacht  oder  Possen  Spilen".  Ausdrücklich  heißt  es  in  dem 
Vorwort,  daß  darin  „alles  nach  dem  Leben  ausgestellt  und  dahin 
gerichtet,  das  mans  (gleichsam  auff  die  neue  Englische  manier 
vnnd  art)  alles  persönlich  Agirn  und  Spiln  kan,  auch  so  lieblich  und 
begierig  den  Agenten  zuzusehen  ist,  als  hette  sich  alles  erst  ferden 
oder  heuer  verloffen  und  zugetragen".  Hier  wird  also  bestimmt  auf 
das  englische  Vorbild  hingewiesen.  Uns  berührt  dies  nur  insofern, 
als  es  die  Geschichte  des  Lustspiels  beeinflußt.  Dabei  müssen  wir 
von  vornherein  eine  Einschränkung  machen,  was  den  Titel  Komödien 
angeht.  Man  darf  dabei  nicht  an  moderne  Komödien  denken.  Hier 
ist  noch  wirksam  der  Sprachgebrauch  mittelalterlicher  Theoretiker,  die 
Tragödie  und  Komödie  nach  dem  Ausgang  unterschieden.  Selbst  wenn 
dem  Titel  Komödie  das  Beiwort  „lustig"  oder  gar  „sehr  lustig"  hinzu- 
gefügt ist,  so  ist  damit  noch  nicht  Komödie  im  modernen  Sinne  ge- 
braucht. Lustig  heißt  einfach  unterhaltend.  Eine  sehr  lustige  Komödie 


86  Siebzehntes  Jahrhundert:  Jacob  Ayrer  und  Heinrich  Julius  von  Braunschweig. 

ist  damit  nichts  anderes  als  ein  durch  die  Fülle  vorgeführter  Gescheh- 
nisse unterhaltendes  Spiel,  das  einen  versöhnlichen  Ausgang  hat,  mögen 
während  seines  Ablaufs  auch  noch  so  viele  traurige  Ereignisse,  wie 
etwa  Entthronungen,  Totschlag,  Mord,  vorkommen. 

So  berühren  uns  zunächst  nur  Ayrers  Fastnacht-  oder  Possenspiele. 
Sie  sind  noch  ganz  in  Form  und  Haltung  den  Stücken  des  Hans  Sachs 
angeglichen.  Das  volkstümliche  Element  ist  noch  mehr  als  bei  Hans 
Sachs  dem  Bildungselement  gewichen.  Die  Grundlage  der  Possen 
bilden  Schwanke  aus  der  überaus  reichhaltigen  Renaissanceliteratur. 
Ayrer  ist  durchaus  Bildungskünstler.  Auch  die  Art  der  Verarbeitung 
vorhandener  Anekdoten  zeugt  von  keinem  freischaltenden  Geist,  der 
aus  seinem  Innern  heraus  die  Quellen  des  Humors  sprudeln  ließe: 
Ayrer  schaltet  und  waltet  mit  den  komischen  Elementen,  die  er  vor- 
findet, und  weiß  von  Eigenem  nichts  hinzuzutun. 

Dies  zeigt  sich  auch  in  seinen  größeren  dramatischen  Werken, 
den  Tragödien  und  Komödien.  Er  steht  durchaus  in  der  Tradition. 
Was  er  Neues  hinzubringt,  hat  er  sich  angeeignet  aus  der  Kenntnis 
der  englischen  Komödianten  und  ihrer  Aufführungen.  Und  dadurch 
haben  wieder  diese  englischen  Komödianten,  obwohl  sie  durchaus 
Vertreter  des  Theaters  sind,  mittelbar  zur  Entwicklung  des  deutschen 
Dramas  beigetragen.  Ihnen  ist  es  zu  danken,  wenn  jetzt  die  drama- 
tischen Schriftsteller  beginnen,  Stücke  zu  schreiben  mit  der  Haupt- 
absicht, sie  aufgeführt  zu  sehen,  wenn  sie  infolge  dieser  Absicht  auf 
die  Bühne  Rücksicht  nehmen,  ja  die  Erfordernisse  der  Bühne  erst 
kennenzulernen  sich  bemühen.  Darin  aber  ist,  trotz  der  Naivität  der 
Anfänge,  ein  bedeutsamer  Fortschritt  gegen  früher  zu  sehen.  Tat- 
sächlich steht  in  der  Kenntnis  des  Theaters  und  in  der  Berücksich- 
tigung seiner  Bedürfnisse  Jacob  Ayrer  weit  über  Hans  Sachs, 

Ein  weiterer  Fortschritt  ist  zu  beobachten  in  der  Stoffwahl.  Bisher 
war  Aktualität  aus  der  Dramatik  verbannt  oder  doch  nur  im  Bereich 
der  Posse,  des  Fastnachtspiels  zugelassen.  Nun  kommt  von  England 
her  die  Erweiterung  des  Stoffkreises.  Ein  kulturell  hochentwickeltes 
Volk  schließt  die  Probleme  des  täglichen  Lebens  von  der  Bühne  nicht 
aus.  Der  Stolz  der  Nation  spiegelt  sich  gern  in  der  dargestellten 
nationalen  Geschichte.  Beide  Stoffgebiete  werden  nun  allmählich  dem 
deutschen  Drama  erobert.  Damit  aber  ist  ein  folgenschwerer  Streich 
getan  gegen  die  starre  Bildungskunst.  Es  werden  Möglichkeiten  er- 
öffnet zur  Betätigung  national-volkstümlicher  Kunst,  wie  sie  dann  in 
Lessings  „Minna"  ihre  erste  Höhe  erreichen  sollte. 

Auch  die  Ökonomie  des  Dramas  selbst  holt  sich  fruchtbare  An- 
regungen aus  dem  durch  die  Komödianten  vermittelten  englischen  Vor- 
bild, darunter  allerdings  eine  Anregung,  die  erst  einmal  geil  ins  Kraut 
schießen  sollte  und  daher  zu  Nutz  und  Frommen  des  Ganzen  zunächst 
wieder  im  i8.  Jahrhundert  von  Gottsched  aufs  schärfste  bekämpft 
werden  mußte.  Es  ist  dies  die  Durchbrechung  des  Prinzips  der  Einzig- 


Jacob  Ayrer.  87 

keit  der  Handlung,  die  selbst  Lessing  noch  forderte.  Die  Verwebung 
zweier  oder  auch  mehrerer  Handlungen  zu  einem  einheitlichen  Gan- 
zen, in  der  Shakespeares  Kunst  Triumphe  feierte,  war  auch  in  den 
Stücken  der  englischen  Komödianten  zu  beobachten.  Jacob  Ayrer  ver- 
suchte dieses  Nebeneinander  nachzuahmen,  aber  es  blieb  allerdings 
ein  Nebeneinander,  die  innere  geschlossene  Zusammengehörigkeit  ge- 
lang ihm  nicht.  Die  wichtigste  Figur  als  Trägerin  der  Nebenhandlung 
in  den  großen  ernsten  Schauspielen  ist  der  Narr.  Die  Figur  des  Narren 
wird  jetzt  durch  die  Engländer  als  Element  dramatischer  Ökonomie  in 
die  deutsche  Literatur  eingeführt. 

In  der  bisherigen  Entwicklung  des  deutschen  Dramas  ist  uns  der 
Narr  nicht  unbekannt,  wir  haben  ihn  als  Intellektualisierung  des  ethisch- 
bösen Prinzips,  des  Teufels  kennengelernt.  In  den  Fastnachtspielen 
dann  war  Narrenfiguren  immer  wieder  zu  begegnen  in  Gestalt  dummer 
Bauemtölpel.  Wir  wissen  aus  Shakespeare,  daß  im  englischen  Drama 
die  Figur  des  Narren  eine  andere  Funktion  hatte.  Er  war  das  Symbol 
der  Nichtigkeit  alles  Irdischen  und  wußte  in  Narrengewand  abgrund- 
tiefe Weisheit  zu  geben.  Diese  Gestalt  ist  allerdings  in  der  Version 
der  Komödianten  stark  vergröbert.  Gerade  deshalb  erleichtert  sie  sich 
aber  ihre  Aufnahme  ins  deutsche  Schrifttum.  So  sehen  wir  sie  überall 
in  Ayrers  Stücken  ihr  Wesen  treiben.  Ihre  englische  Herkunft  verrät 
sie  in  einigen  Possenspielen  bereits  durch  den  Titel:  „21.  Von  dem 
Engelländischen  Jahn  Posset,  wie  er  sich  in  seinem  Dienst  verhalten, 
mit  8  Personen".  Dasselbe  Spiel  ist  als  „Ein  Singets  Spiel"  gestaltet 
„in  des  Rohlands  Ton".  Nr.  23  heißt:  „Der  verlohrn  Engelländisch 
Jahn  Posset,  mit  4  Personen".  Der  Jan  ist  die  Gestalt  eines  komischen 
Dummkopfes,  dessen  Streiche  aneinandergereiht  werden.  Im  ganzen 
wirkt  die  Darstellung  mehr  episch  als  dramatisch.  Eines  der  besten 
Fastnachtspiele  Ayrers  ist  Nr.  19:  „Von  Fritz  Dölla  mit  seiner  gewünsch- 
ten Geigen,  mit  10  Personen".  Der  Stoff  ist  als  Märchen  behandelt 
in  Grimms  Sammlung  enthalten. 

Von  den  großen  Dramen  mag  die  „Comedia  von  der  schönen 
Phaenicia"  erwähnt  sein.  Sie  behandelt  den  aus  Shakespeares  „Viel 
Lärm  um  nichts"  bekannten  Stoff.  Ayrer  gestaltet  darin  eine  Doppel- 
handlung. Träger  der  Nebenhandlung  ist  „Jan,  der  Kurzweiler".  Es 
ist  zunächst  versucht,  beide  Handlungen  miteinander  zu  verknüpfen, 
so  daß  die  Janhandlung  das  karikierte,  ins  Derb-Groteske  verzerrte 
Spiegelbild  der  Haupthandlung  ist,  doch  reißt  diese  Verknüpfung  schon 
im  zweiten  Akte  ab.  Im  dritten  Akt  beginnt  daher  Jan  ein  ganz  selb- 
ständiges Spiel  im  Spiel.  Im  vierten  Akt  beteiligt  er  sich  wieder  an 
der  Haupthandlung.  Eine  ähnliche  Parallelhandlung  findet  sich  in 
Ayrers  „Sidea".  Die  „Sidea"  ist  deshalb  besonders  bedeutsam  für  die 
Literaturgeschichte,  weil  hier  in  Ayrers  naiver  Fassung  Shakespeares 
„Sturm"  auftaucht.  Träger  der  Nebenhandlung  ist  „Jan  Molitor,  der 
Müller". 


88  Siebzehntes  Jahrhundert:  Jacob  Ayrer  und  Heinrich  Julius  von  Braunschweig. 

In  der  Tragödie  „Vom  Griegischen  Keyser"  tritt  ebenfalls  Jan  auf. 
Er  wird  als  Bote  verwandt  und  als  Henker.  In  dieser  Verwendung 
leben  Reminiszenzen  auf  an  die  Figur  des  Narren  (lappa)  im  mittel- 
alterlichen Drama,  wie  in  den  Herodesspielen,  beim  bethlehemitischen 
Kindermord,  eine  solche  Gestalt  aus  Lächerlichkeit  und  Grausamkeit 
gemischt  auftritt.  Durch  die  närrische  Kleidung  schaut  die  ursprüng- 
liche Teufelsfratze  hindurch.  Wir  erkennen  daraus  den  vielgestaltigen 
Ursprung  der  Hanswurstfigur  des  17.  Jahrhunderts.  Gerade  an  dieser 
Stelle  kommt  auch  der  echt  Shakespearesche  Narr  als  Verkörperung 
tiefster  Weisheit  zutage:  Jan  wird  gerufen,  um  den  vermeintlichen 
Mörder  Petrian  zu  hängen  —  da  nimmt  er  Maß  mit  seinem  Spieß  an 
dem  tatsächlichen  Mörder  Lorentz.  Hier  blitzt  wirklich  inmitten  des 
wertlosen  Tands  ein  echter  Juwel  auf. 

2.  HEINRICH  JULIUS. 

Gleichzeitig  etwa  mit  Jacob  Ayrer  schreibt  Herzog  Heinrich  Julius 
von  Braunschweig  (1564 — 1613)  seine  Dramen.  Er  steht  schon  ganz 
im  Banne  der  englischen  Komödianten,  die  an  seinem  Hofe  gern 
gesehen  waren  wie  auch  in  Kassel,  das  mit  Wolfenbüttel  freund- 
schaftliche Beziehungen  verknüpften.  In  dem  persönlichen  Ver- 
kehr mit  den  von  ihm  angestellten  Komödianten  erwächst  seine 
eigene  Praxis.  Die  Tradition  der  Fastnachtspiele  ist  bei  ihm  abge- 
brochen. Insofern  ist  er  gegenüber  Ayrer  die  moderne  Schrift- 
stellerpersönlichkeit. Dies  beweist  sich  auch  in  seinen  Schauspielen 
selbst,  die  noch  weit  mehr  als  die  Ayrers  auf  die  Bühnenerforder- 
nisse zugeschnitten  sind.  Die  wichtigste  Person  der  englischen 
Schauspielergesellschaften  war  stets  der  Clown;  er  spielt  daher  auch 
die  Hauptrolle  in  den  Stücken  des  Herzogs.  Ein  Zugeständnis 
dem  Theater  gegenüber  ist  es  auch,  wenn  der  Herzog  grundsätzlich 
von  der  Versform  absieht  und  alle  Personen  seiner  Dramen  in  Prosa 
sprechen  läßt.  Das  englische  Vorbild  macht  sich  natürlich  auch  im 
Aufbau  des  Dramas  geltend,  worin  verschiedene  Handlungen  neben- 
einander herlaufen,  nicht  ohne  daß  versucht  wäre,  sie  innerlich  zu 
verknüpfen.  Mag  diese  Verknüpfung  auch  gelegentlich  sehr  äußerlicher 
Art  sein,  das  Prinzip  der  Handlungsverschlingung  ist  doch  schon  viel 
weiter  entwickelt  als  bei  A3Ter.  Diesem  polymythischen  Aufbau  ist  noch 
größere  Lebendigkeit  verliehen  dadurch,  daß  Anfänge  von  Volksszenen 
zu  beobachten  sind.  Gerade  bei  dem  Hauptdrama  des  Herzogs,  das 
nach  Frischlin  den  alten,  vielfach  bearbeiteten  Susannenstoff  gestaltet, 
tritt  dies  hervor,  indem  Repräsentanten  des  Volkes  nebeneinander 
eingeführt  werden,  um  die  Resonanz  des  Handlungsablaufs  dar- 
zustellen. Starke  Stimmungsmittel  werden  in  Anwendung  gebracht. 
Dies  wirkt  besonders  in  der  barocken  Ausmalung  des  Trennungs- 
schmerzes beim  Abschied  der  verurteilten  Susanna  von  den  Ihren. 


Heinrich  Julius.  89 


Die  Wirkung  wird  noch  erhöht  durch  die  Einführung  der  Kinder 
Susannens.  Doch  neben  dieser  Kunst  theatralischer  Stimmungs- 
mache gewahren  wir  auch  Ansätze  psychologischer  Vertiefung,  so 
bei  der  Einleitung,  worin  die  beiden  lüsternen  Alten  sich  zu  ihrem 
unsittlichen  Vorhaben  zusammenfinden,  oder  in  IL,  5,  wo  mit  wenigen 
Worten  das  dem  Gatten  Susannens  drohende  Unheil  vorgeahnt  wird. 
Wenn  so,  trotz  aller  Veräußerlichung  theatralischer  Mache,  doch  auch 
Anfänge  psychologischer  Verfeinerung  sichtbar  werden,  so  dürfte 
dies  Anregungen  seitens  der  hochentwickelten  englischen  Dramatik 
zu  danken  sein.  Die  Gestalt  des  Narren  Johan  Bouset  dient  wesent- 
lich zur  realistischen  Stimmungsunterstreichung. 

Die  unter  dem  Titel  Komödie  gehenden  Stücke  des  Herzogs  sind 
auch  im  heutigen  Sinne  Komödien  und  Possenspiele,  ebenso  wie  die 
Fastnachtspiele  Ayrers.  Er  ist  darin  abhängig  von  den  bekannten 
Schwanksammlungen.  So  die  „Comedia  von  einem  Edelmann".  Es 
ist  das  alte,  von  uns  bereits  in  einem  mittelalterlichen  Fastnachtspiel 
beobachtete  Motiv  des  Abtes,  dem  drei  Fragen  zur  Beantwortung  ge- 
stellt werden.  Der  Narr  Johan  Bouset,  der  Vertreter  des  einfachen 
klaren  Menschenverstands,  löst  das  Rätsel.  Das  Stück  ist  deshalb 
interessant,  weil  wir  darin  einen  Stimmungsvorläufer  des  bürgerlichen 
Schauspiels  vom  18.  Jahrhundert  erkennen.  Doch  ist  die  Erörterung 
des  Segens  bürgerlicher  Arbeit  und  Tüchtigkeit  vollkommen  undrama- 
tisch weit  ausgesponnen.  Der  Herzog  benutzt  die  Figur  eines  Köhlers 
als  Sprachrohr,  um  seine  eigenen  Ansichten  möglichst  ausführlich 
von  der  Bühne  herab  zu  verkünden. 

Viel  lustiger  ist  die  Posse  „Comedia  von  einem  Wirthe".  Es  ist 
allerdings  kein  durchkomponiertes  Drama,  sondern  eine  Aneinander- 
reihung loser  Streiche.  Die  Haupthandlung  ist  eine  Zechprellerei 
eines  habsüchtigen  Wirts  durch  drei  durchtriebene  Wandergesellen, 
die  sich  dreimal  wiederholt.  Der  Wirt  ist  dargestellt  als  der  Typus 
des  Neugierigen,  von  dem  es  heißt:  „Der  Wirth  will  doch  immer 
neue  Zeitung  wissen".  Es  ist  dies  eine  typische  Figur,  die  vom 
antiken  Mimus  stammt  und  in  der  italienischen  Stegreifkomödie  stets 
beliebt  war.  Wie  die  englischen  Komödianten,  so  gingen  auch  be- 
reits im  16.  Jahrhundert  italienische  Schauspieler  mit  der  commedia 
dell'arte  auf  die  Wanderschaft.  Hier  haben  wir  einen  Niederschlag 
davon.  Der  Typus  bleibt  ja  immerfort  lebendig,  ich  erinnere  an  die 
Wirtsfigur  in  Lessings  „Minna",  in  Goethes  „Mitschuldigen"  und 
weiter  bis  zur  gegenwärtigen  Zeit.  Neben  der  Haupthandlung  läuft 
eine  Nebenhandlung  des  Jan  Bouset.  Wie  immer  bei  Herzog  Hein- 
rich Julius  spricht  der  Narr  niederdeutsch.  Darauf  gründet  sich  die 
komische  Verwicklung.  Es  ist  eine  Reihe  selbständiger,  durch 
das  ganze  Stück  in  leichter  Abwandlung  immer  wiederholter  Markt- 
szenen. Ihre  Komik  beruht  auf  dem  Mißverständnisse,  dem  Jan  Bouset 
bei    den    seine    Sprache    nicht   verstehenden   Verkäufern    begegnet. 


QO  Siebzehntes  Jahrhundert:  Jacob  Ayrer  und  Heinrich  Julius  von  Braunschweig. 

Der  Verfasser  bedient  sich  gern  überlieferter  Theaterlazzis,  so  des 
andauernden  Lachens  oder  des  übertriebenen  Zitterns  des  Narren. 
Außerdem  macht  er  Gebrauch  von  dem  auch  in  englischen  Stücken 
beliebten  Mittel  der  Illusionsstörung,  indem  sich  der  Narr  von  der 
Bühne  aus  an  das  Publikum  wendet,  so  etwa  in  III.,  5.  Eine  andere 
wirkungsvolle  Komödie  benutzt  die  altbekannten,  auch  in  Shakespeares 
„Lustigen  Weibern  von  Windsor"  angewandten  Ränke  einer  schlauen 
Ehebrecherin,  um  ihren  eifersüchtigen  Mann  zu  betrügen. 

Am  interessantesten  ist  aber  die  Komödie  „Von  Vincentio  Ladislao 
Sacrapa  von  Mantua,  Kämpfern  zu  Roß  und  Fuß,  weiland  des  edlen 
und  ehrenvesten,  auch  manhaften  und  streitbaren  Barbarossae,  Belli- 
cosi  von  Mantua,  Rittern  zu  Malta  ehelichen  nachgelassenen  Sohn.  Mit 
zwölf  Personen.  Wolfenbüttel  1594".  Der  langatmige  Titel  läßt  uns 
schon  erraten,  daß  wir  es  hier  mit  einem  jener  ruhmredigen,  groß- 
sprecherischen Helden  zu  tun  haben,  deren  aufgeblasene  Herrlichkeit 
gleich  einer  Seifenblase  beim  geringsten  Anstoß  in  nichts  zerplatzt. 
Tatsächlich  gibt  hier  Herzog  Heinrich  Julius  den  Versuch  einer  Cha- 
rakterkomödie um  den  uralten  miles-gloriosus-Typ.  Dieser  Typus  ist 
uns  aus  der  antiken  Komödie  wie  dem  antiken  Mimus  bekannt.  Wir 
erkannten  ihn  wirksam  in  den  Grab  Wächterszenen  des  mittelalterlichen 
Dramas,  er  ist  der  berühmte  Capitano  der  italienischen  Stegreifposse, 
in  der  englischen  Literatur  ist  die  früheste  dramatische  Gestaltung  die 
des  Ralph  Roister  Doister,  er  lebt  auf  in  Ben  Jonsons  Captain  Bobadill, 
in  Shakespeares  Don  Adriano  de  Armado  und  in  vielen  anderen  Ge- 
stalten zeitgenössischer  und  späterer  Dichter,  wie  Corneilles  Matamore, 
und  in  den  noch  zu  besprechenden  Maulhelden  des  Andreas  Gryphius. 
Wir  sehen,  es  ist  eine  große,  weitverzweigte,  über  alle  Literaturen  ver- 
breitete Familie,  zu  deren  Gliedern  der  edle  und  ehrenfeste  Kämpfer 
zu  Roß  und  zu  Fuß  Vincentius  Ladislaus  zählt.  Doch  trotz  dieser 
festgewurzelten  Tradition  hat  Heinrich  Julius  eine  unleugbare  Selb- 
ständigkeit in  der  Dramatisierung  bewährt.  Wenn  auch  die  Aufzählung 
aller  Rodomontaden  auf  die  Dauer  etwas  eintönig,  langweilig  wirkt  — 
der  Herzog  schreibt  dazu  wesentlich  die  bekannte  Schwanksammlung 
Wendunmuth  aus  — ,  so  offenbart  sich  doch  auch  treffendes  dramatisch- 
komisches Geschick.  Die  Komik  wird  besonders  herausgearbeitet  da- 
durch, daß  dem  eitlen  Großsprecher  der  Hofnarr  Johan  Bouset  gegen- 
übergestellt wird,  der  jenes  Überstiegenheit,  die  stilistisch  bereits  den 
Schwulst  des  17.  Jahrhunderts  vorwegnimmt,  die  nüchterne  Tagesver- 
nunft entgegenhält  oder  seine  Aufschneidereien  noch  im  Übermaße 
karikiert. 

In  diesem  Stück  ist  die  Handlung  der  Charakterkomödie  ent- 
sprechend einheitlich,  auch  die  Gestalt  des  Narren  fügt  sich  vollständig 
in  sie  ein.  Sein  Ursprung  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  so  sehr 
der  Dümmlingstyp  als  der  Hofnarr,  dessen  großartigste  Ausbildung 
wir  im  Narren  in  „König  Lear"  erkennen.    Vice  —  der  Nachkomme  der 


Heinrich  Julius.  ^I 

Teufelsgestalt  — ,  Clown  —  der  dummdreiste,  gefräßige  Dorftölpel  — , 
Pool  —  der  realistisch-pessimistische  Hofnarrentyp:  dies  sind  die  drei 
verschiedenen  Personifikationen  des  Narren,  wie  sie  im  englischen 
Drama  des  l6.  Jahrhunderts  dem  Namen  nach  getrennt  vorkommen 
und  im  deutschen  Schauspiel  ebenfalls,  wenn  auch  vermischt  — 
etwa  in  Ayrers  „Vom  Griegischen  Keyser"  — ,  erscheinen.  Hier  ist  also 
Johan  Bouset  dem  englischen  fool  entsprechend.  Er  zeigt  aber  auch 
noch  Rückstände  des  bösen  Prinzips ;  dies  ergibt  sich  aus  seiner  tätigen 
Rolle,  dem  eitlen  Phantasten,  der  sich  geliebt  glaubt,  einen  derben 
Streich  zu  spielen.  Dadurch  wird  das  Stück  aus  der  epischen  An- 
einanderreihung einzelner  Anekdoten  zum,  wenn  auch  noch  holprigen, 
Drama  emporgehoben;  vor  allem  aber  führt  den  geschlossenen  Ein- 
druck herbei  der  bewußt  und  einheitlich  durchgeführte  Charakter 
des  Helden. 

Hier  bekundet  sich  das  Interesse  der  Renaissance  am  Einzel- 
individuum. Das  kraftgeschwellte  Lebensgefühl  der  Renaissance  be- 
gründete eine  neue  Anthropologie  und  gestaltet  zu  diesem  Zwecke 
die  Affektlehre  aus.  Der  Haupttheoretiker  der  Poetik  der  Renaissance 
im  i6.  Jahrhundert,  Scaliger,  bewährt  dies  in  seinen  poetischen 
Lehrsätzen,  worin  er  sich  als  ethischer  Rationalist  erweist.  Gerade 
mit  Rücksicht  auf  die  Affektlehre  löst  sich  Scaliger  aus  der  traditio- 
nellen Theorie.  Und  wenn  es  auch  noch  lange  dauern  sollte,  bis 
die  individuelle  Charaktergestaltung  in  den  Mittelpunkt  des  Dramas 
gestellt  wurde,  Anfänge  sind  in  der  Renaissancezeit,  wie  in  der 
Theorie  so  in  der  Praxis,  zu  beobachten.  Und  hierher  dürfen  wir 
auch  Heinrich  Julius'  „Vincentius  Ladislaus"  zählen. 

Vielleicht  daß  Heinrich  Julius  bei  dessen  Abfassung  aus  der  Schar 
seiner  Hofkomödianten  Hilfsdienst  geleistet  wurde.  Das  Stück  könnte 
bestes  Vertrauen  einflößen  auf  die  Weiterentwicklung  des  deutschen 
Dramas,  wesentlich  durch  die  Zeichnung  der  komischen  Figur,  die 
durchaus  frei  und  selbständig  humorvoll  wirkt.  Gerade  an  dieser 
Charakterkomödie,  um  von  den  ernsten  Dramen  wie  der  Bearbeitung 
der  „Susanna"  abzusehen,  aber  auch  in  den  Gaunerszenen  der  Posse 
„Von  einem  Wirthe"  erkennen  wir,  daß  der  Verfasser  nicht  nur  eng- 
lisches Komödiengut  verarbeitet,  sondern  auch  an  die  von  Frischlin 
verheißungsvoll  begonnene  Entwicklung  anknüpft.  Doch  demgegen- 
über muß  leider  beobachtet  werden,  daß  sonst  der  Herzog  in  der  Ge- 
staltung der  Narren  durchaus  im  Typischen  steckenbleibt.  Die  reichen 
Ansätze  zu  individueller  Charakteristik,  die  bereits  Frischlin  und  Ayrer 
ihren  komischen  Figuren  verliehen,  sind  hier  vertrocknet.  Mit  Aus- 
nahme der  gelungenen  Komödie  des  ,, Vincentius  Ladislaus''  sind  die 
Stücke  des  Herzogs  weniger  auf  beobachtender  Erfahrung,  als  auf  er- 
lernter Tradition  aufgebaut.  An  dichterischen  Qualitäten  hat  uns  die 
auf  äußerliche,  grobschlächtige  Theatereffekte  eingestellte  Kunst  der 
englischen  Komödianten  herzlich  wenig  geliefert. 


Q2  Siebzehntes  Jahrhundert :  Zwischenspiele  und  Puppenspiele. 

III.  ZWISCHENSPIELE  UND  PUPPENSPIELE. 

I.  ZWISCHENSPIELE. 

a)  Improvisationen. 

Da  der  Kunststil  der  englischen  Komödianten  auf  grobe  Effekte  aus- 
ging, so  ist  ihnen  das  Gebiet  des  feinen,  zartheiteren,  humorvollen 
Lustspiels  fremd;  ihr  Gebiet  ist  die  derbe,  grobzotige,  witzig-komische 
Posse,  wie  sie  dem  beliebten  Zwischenspiel,  dem  Rüpelspiel  entspricht. 
Die  poesiefremde  Art  ihrer  Stücke  erhellt  am  besten  daraus,  daß  wir  mit 
dem  Fortschreiten  des  17.  Jahrhunderts  immer  häufiger  den  szenischen 
Bemerkungen  begegnen,  die  die  komischen  Figuren  zu  Improvi- 
sationen auffordern.  Solche  Improvisationen  waren  dem  englischen 
Drama  nicht  fremd.  Ihr  ureigentliches  Betätigungsfeld  aber  ist  die 
italienische  Stegreifposse.  Der  Einfluß  dieser  commedia  dell'arte 
ist  bereits  zu  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  zu  verspüren.  Bolte  hat 
in  seinen  theatergeschichtlichen  Forschungen  über  das  ,,Danziger 
Theater"  eine  Handschrift  von  1602  unter  dem  Titel  „Tiberius  von 
Ferrara"  herausgegeben,  worin  wir  den  italienischen  Narrentypen- 
namen Zani  und  Pantalon  begegnen.  Diese  Namen  mögen  ja  auch 
auf  indirektem  Wege  in  Deutschland  bekannt  geworden  sein.  Da  aber 
die  Italiener  nachweisbar  schon  in  den  siebziger  Jahren  des  16.  Jahr- 
hunderts in  England  anzutreffen  sind,  so  wäre  es  ja  leicht  möglich, 
daß  sie  von  da  aus  auch  den  Weg  zu  der  Seehandelsstadt  Danzig 
gefunden  hätten,  selbst  wenn  sie  nicht  direkt  von  Süddeutschland 
aus  so  frühe  schon  den  Weg  zum  äußersten  Norden  eingeschlagen 
hätten.  Jedenfalls  treffen  wir  1616  in  der  Komödie  „Turbo"  des 
Valentin  Andreae  schon  wieder  einen  Typus  der  commedia  dell'arte, 
den  Harlekin,  auf  deutschem  Boden.  Ob  nun  direkte  oder  indirekte 
Beeinflussung  anzunehmen  ist,  sie  läuft  in  derselben  Richtung  äußer- 
licher Theaterwirkung  wie  die  englischen  Komödianten,  sie  unter- 
streicht deren  Nachteile  und  Vorteile. 

Der  Nachteil  ist  die  Verwahrlosung  des  Dichterischen,  der  Verzicht 
auf  ein  geschlossenes  Ganze  —  worin  sich  eine  nur  ganz  entfernte 
Verwandtschaft  mit  der  atektonischen  Stilform  des  Barock  zeigt  — 
zugunsten  einer  Auflösung  in  Einzelepisoden.  Der  Anschauung  vom 
Wesen  des  Dramas  als  eines  trotz  aller  Handlungsverschlingung  einheit- 
lichen Kunstwerkes  kommt  man  mit  keinem  Schritte  näher,  man  kommt 
über  Hollonius  etwa  nicht  hinaus.  Dieser  Nachteil  wird  aber  auch 
zum  Vorteil  gewendet.  Die  episodische  Vereinzelung  der  Dramen 
durch  Einführung  von  Zwischenspielen,  die  mit  der  Haupthandlung 
lose  oder  überhaupt  nicht  verknüpft  waren,  stellte  der  Gestaltungs- 
kraft der  Verfasser  kleinere  Aufgaben,  deren  sie  infolgedessen  eher 
gewachsen  waren.  Unter  Verzicht  auf  dichterische  Phantasietätigkeit 
forderten   diese   Episoden    realistische   Beobachtung.     Diese    bedarf 


Zwischenspiele:  Improvisationen.    Johann  Rist.  Q3 


nicht  so  sehr  angeborener  poetischer  Begabung,  als  vor  allem 
einer  sorgfältigen  Ausbildung  sinnlicher  und  intellektueller  Fähig- 
keiten. Wenn  das  große  Kunstwerk  nur  in  einer  Epoche  bestimmter 
Kulturhöhe  gedeihen  kann,  so  ist  die  realistische  Beobachtung  und 
Schilderung  auch  in  Zeiten  zerrütteter  Kultur  möglich,  ja  um  so  eher 
möglich,  als  gerade  die  Zeiten  des  Verfalls  dem  satirisch  geschärften 
Auge  die  besten  Objekte  bieten.  So  finden  wir  tatsächhch  einen 
Fortschritt  des  Dramas  des  17.  Jahrhunderts  in  der  Ausgestaltung 
der  Episoden,  der  Zwischenspiele  zu  kulturell  bedeutsamen  Genre- 
stücken von  köstlich-frischer  Wirklichkeitszeichnung.  Die  nieder- 
ländische Kleinmalerei  derber  Lebensfreude,  urwüchsigen  Bauern- 
tums spiegelt  sich  in  diesen  lebendig  bewegten  Einzelszenen. 

b)  Johann  Rist. 

Der  begabteste  Vertreter  dieser  possenhaften  Zwischenspiele,  neben 
der  unzweifelhaft  italienisch  beeinflußten  süddeutschen  Jesuiten- 
dramatik, in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ist  der  Holsteiner 
Johann  Rist  (1607 — 67).  Sein  Ziel  ist  echte  VolkstümHchkeit.  Zu 
diesem  Zwecke  bedient  er  sich  mit  großem  Erfolg  des  niederdeutschen 
Dialekts.  Auch  theoretisch  tritt  er  für  den  Naturahsmus  der  Sprach- 
behandlung ein.  Im  Vorbericht  seines  „Friedejauchtzenden  Teutsch- 
land" begründet  er  diesen  Naturalismus  seiner  Bauemgestalten:  „Man 
muß  keine  andere  Art  zu  reden  führen,  als  eben  die  jenige,  welche  bey 
solchen  Personen,  die  auf  dem  Spielplatz  erscheinen,  übhch.  Zum 
Exempel:  Wenn  ein  NiQd ersächsischer  Bauer  mit  der  Hochteutschen 
Sprache  bey  uns  kähme  aufgezogen,  würde  es  fürwar  leiden  seltzam 
klingen,  noch  viel  Närrischer  aber  würde  ein  solches  Zwischenspiel 
den  Zuschaueren  fürkommen,  darinn  man  einen  tollen,  vollen  Bauren 
und  fluchenden  Dreweß,  als  einen  Andächtigen  betenden  und  recht 
Gottseligen  Christen  aufführete,  dann,  was  ein  ruchloser  Baur,  wenn 
er  zu  Kriegeszeiten  für  seiner  ordentlichen  landes  Obrigkeit  sich 
nichts  hat  zu  fürchten,  sondern  nach  seinem  eigenen  Belieben  mag 
hausen,  dafern  er  dem  Feinde  und  dessen  Kriegesbedienten  nur 
richtig  die  Contribution  erleget,  für  eine  wilde,  Ehre-  und  Gott- 
vergessene Creatur  sey,  davon  können  wir,  die  wir  auff  dem  Lande 
wohnen,  und  die  Krieges  Beschwerligkeiten  selber  ziemlich  hart 
gefühlet  haben,  zum  allerbesten  Zeugnisse  geben,  also,  daß  der 
Bauren  Gottlosigkeit  in  diesen  Zwischenspielen  noch  gar  zu  gelinde 
ist  fürgebildet.  Ja,  solte  man  ihre  Leichtfertigkeit,  Morden,  Rauben, 
und  andere  grausame  Thaten,  in  welcher  Verübung  sie,  in  Zeiten 
dess  Unfriedens,  auch  die  Kriegsleute  selber  weit  übertroff'en  haben, 
allhier  recht  abmahlen,  es  dörffte  mancher  darüber  für  Schrecken 
erstaunen.  Ja  sprichstu:  Deine  Bauren  gebrauchen  sich  gleichwol 
gar  unhöflicher  Reden,  für  welchen  ehrbare  Leute  etwas  Scham  und 
Abscheu  haben,  könte  man  die  nicht  hinweg  lassen,  oder  ein  weinig 


QA  Siebzehntes  Jahrhundert:  Zwischenspiele  und  Puppenspiele. 

subtiler  beschneiden?  Nein,  viel  geliebter  Leser:  Was  hat  man  doch 
von  einem  übelerzogenem,  groben  Tölpel  und  Baurflegel,  von  einer 
unflätigen  und  versoffenen  Sau  für  Höflichkeit  zu  erwarten?  Kan 
man  auch  Trauben  lesen  von  den  Dörnern,  oder  Feigen  von  den 
Disteln?  der  Vogel  singet  nicht  anders,  als  wie  ihm  der  Schnabel 
gewachsen".  Rist  bekennt  sich  also  in  seinen  Bauernpossen  zum 
Naturalismus  der  Gestaltung,  zum  Naturalismus  der  Sittenschilderung 
wie  der  Sprachbehandlung.  Nicht  die  Komik,  sondern  die  Natur- 
wahrheit ist  dem  glühenden  Patrioten,  dem  eifrigen  Sittenprediger 
das  Hauptziel,  aber  mit  der  Naturwahrheit  stellt  sich  die  Komik  von 
selber  ein. 

Sein  erstes,  sehr  beliebtes  Stück  ist  die  „Irenaromachia"  von  1630. 
Darin  ist  ein  ergötzliches  Zwischenspiel  enthalten,  das  in  der  Leben- 
digkeit der  dramatischen  Gestaltung,  in  der  wirksamen  voneinander 
abhebenden  Charakterisierung  der  einzelnen  Personen  zu  dem  Besten 
gehört,  was  die  deutsche  Possendramatik  hervorgebracht  hat.  Natür- 
lich ist  auch  Rist  ein  Kind  seines  Zeitalters,  dessen  Grundzug  in 
literarischer  Tätigkeit  Anlehnung  und  Entlehnung  ist.  Wir  können 
zahlreiche  Züge  der  Possenhandlung  bei  früheren  Stücken  nach- 
weisen. Trotzdem  wird  die  künstlerische  Selbständigkeit  Rists  da- 
durch nicht  beeinträchtigt.  Das  Milieu  der  Kriegszeit  ist  glänzend 
getroffen  und  die  Verrohung  der  Soldaten  und  Bauern  zur  eindrück- 
lichen Anschaulichkeit  gebracht:  Ein  bramarbasierender  Quartier- 
m.eister  wird  von  Bauern  ausgeplündert;  während  sie  in  derbem 
Zechgelage  die  Beute  verteilen,  überfällt  er  sie  und  läßt  sie  abführen. 
Die  Gestalt  des  Narren  Jäckel,  aus  dem  Dümmlings-  und  Teufels- 
typ zusammengesetzt,  ist  wirksam  mit  der  Handlung  verknüpft. 
Als  die  Bauern  weggebracht  werden,  läuft  Jöstken,  der  Sohn  des 
Hauptrohlings  unter  ihnen,  hintennach  und  ruft  halb  rührend,  halb 
groteskkomisch:  „O  Gott,  O  Gott,  lathet  my  doch  mynen  Vaer,  ich 
hebbe  jo  men  den  einen  Vaer".  Dieser  Ausschnitt  aus  dem  Kultur- 
bilde des  Dreißigjährigen  Krieges  ist  nur  mit  der  Eindringlichkeit  der 
Schilderungskraft  eines  Grimmeishausen  zu  vergleichen.  Wenn  auch 
die  Figur  des  Landsknechts  schon  im  Fastnachtspiel  des  16.  Jahr- 
hunderts beliebt  ist,  so  war  er  damals  doch  nur  Typus,  jetzt  hat  ihn 
die  Unmittelbarkeit  täglicher  Beobachtung  zur  Individualität  gestaltet. 
Rist  gibt  uns  typische  Sittenmalerei  der  verrohten  Kriegszeit  mit 
Individualitäten  als  Handlungsträger. 

Diese  Kunst  dramatischer  Schilderung  bewährt  er  auch  in  den 
Zwischenspielen  des  „Perseus"  von  1634.  Der  Auftakt  ist  eine  köst- 
liche Werbeszene ,  die  an  Shakespeares  Heinrich  IV.  erinnert.  Der 
miles-gloriosus-Typ  des  Narren  Hans  Knapkäse,  der  als  komische 
Figur  der  englischen  Komödianten,  als  Trommelschläger  auftritt, 
wirbt  den  Tölpel  Laban,  den  halbblinden  Cocks  und  den  halb- 
lahmen Loripes  für  seine  Kompanie.    Im  Zwischenspiel  exerziert  er 


Zwischenspiele.   Puppenspiele.  QC 


alsdann  mit  seinen  Söldnern,  um  vor  herannahendem  Kriegslärm 
in  höchster  Angst  schleunigst  davonzulaufen.  Das  beste  Zwischen- 
spiel ist  aber  das  nach  dem  zweiten  Akte.  Eine  üble  Metze  Talsche 
läßt  ihre  verführerischen  Künste  Hans  Knapkäse,  Laban  und  dem 
Aufschneider  Lurco  gegenüber  spielen.  Ein  drastisch  -  komisches 
Idyll  dabei  ist  die  Szene,  in  der  sie  den  Tölpel  Laban  ausbeutet. 
Von  bester  Situationskomik  ist  aber  der  Schluß,  wo  sie  ihren  drei 
Verehrern,  unabhängig  voneinander,  Liebesproben  auferlegt.  Hans 
Knapkäse  soll  lautlos  in  einem  Sack  die  Nacht  zubringen.  Lurco 
muß  das  angebliche  Tier  im  Sack  stillschweigend  bewachen,  und 
Laban  endlich  soll  ihm  den  Sack  stehlen.  Das  Ende  ist  natürlich 
eine  solenne  Prügelei  unter  den  dreien.  Bewundernswert  ist  die 
Selbständigkeit,  mit  der  Rist  Entlehnungen  aus  Shakespeares  Fal- 
stafFszenen  verarbeitet. 

Weitere  Zwischenspiele  gibt  Rist  in  dem  „Friedwünschenden 
Teutschland"  von  1647  und  in  dessen  Fortsetzung:  „Das  Friede- 
jauchtzende  Teutschland"  von  1653.  Er  benutzt  darin  das  Vorbild  des 
Don  Quijote  und  das  französisch-italienische  Schäferspiel,  dessen  über- 
triebene Sprechweise  er  verspottet.  Es  ist  darin  auch  persönliche 
Satire  vermengt  gegen  den  bekannten  Philipp  von  Zesen,  dessen 
bukolische  Sentimentalität  dem  realistisch  gesinnten  Rist  zuwider  war. 
Wieder  beweist  er  sich  in  diesen  Zwischenspielen  als  begabt  mit 
straffer  Konzentrationskraft  und  naturalistischer  Schilderungskunst, 
die  die  besten  dramatisch-komischen  Wirkungen  erzielt.  Die  Kunst 
des  Holsteiners  Rist  charakterisiert,  was  Christian  Weise  1690  in  „Lust 
und  Nutz"  schreibt:  „Die  Niedersächsischen  Possen-Spiele  praesen- 
tieren  sich  besser  als  die  Hochdeutschen.  Und  wer  die  Ursache  wissen 
will,  der  mag  nur  dieses  bedencken.  Die  Nieder-Sachsen  bleiben  bey 
ihrer  familiären  pronunciation,  damit  ist  alles  lebendig  und  naturell: 
hingegen  die  Hochdeutschen  reden  ofift,  als  wenn  sie  Worte  aus  der 
Postille  lesen  solten,  damit  werden  dem  Auetori  die  besten  Inventiones 
verdorben.  Soll  das  Sprüchwort  wahr  bleiben:  Comoedia  est  vitae 
humanae  speculum,  so  muß  die  Rede  gewißlich  dem  Menschlichen 
Leben  ähnlich  seyn". 

2.  PUPPENSPIELE. 

Eine  solche  Blüte  dramatischen  Talents,  wie  wir  sie  in  Johann 
Rist  erleben,  steht  aber  ganz  vereinzelt  in  der  Zeit  des  trostlosen 
Verfalls,  den  der  andauernde  Krieg  auf  allen  Kulturgebieten  ver- 
ursachte. Die  Kriegsläufte  brachten  natürlicherweise  allmählich  ein 
Versiegen  des  Wandertriebs  der  Schauspielertruppen  mit  sich.  Die 
Theaterkunst  sah  ihrem  Untergang  entgegen.  Wenn  sie  trotzdem 
bei  den  breiten  Massen,  nicht  nur  an  einzelnen  Höfen,  ihr  Leben 
weiterfristete,   so  war  dies  teilweise  das  Verdienst  des  Puppenspiels. 


q6  Siebzehntes  Jahrhundert :  Andreas  Gryphius. 

Dieses  erlebte  dank  seiner  leichten  Beweglichkeit  und  seines  ge- 
ringen Apparats  im  Dreißigjährigen  Krieg  einen  schnellen  und  be- 
deutsamen Aufschwung.  Es  bildete  sich  eine  ganze  Zunft  der 
Puppenspieler  aus.  Sie  sind  die  Erben  der  englischen  und  sonstiger 
internationaler  Komödianten.  Von  diesen  übernahmen  sie  das  Reper- 
toire; sie  hatten  es  ja  leicht  genug,  da  ein  großer  Teil  der  Komö- 
diantenschauspiele bereits  gesammelt  vorlag.  Außerdem  wird  wohl 
gar  mancher  Schauspieler,  dessen  Truppe  nun  aufgelöst  wurde,  mit 
einem  Puppenkasten  weitergezogen  sein.  Das  Auswendiglernen 
ganzer  Stücke,  wie  es  der  zünftige  Puppenspieler  übte,  war  ja  dem 
Berufsschauspieler  keine  ungewohnte  Arbeit.  Wie  bei  den  eng- 
lischen Komödianten,  so  war  auch  in  den  Puppenspielen  der  Narr 
die  Hauptfigur.  Dies  blieb  auch  so,  als  nach  dem  Friedensschluß 
Marionettenspieler  aus  allen  Ländern  —  England,  Frankreich,  Spanien, 
Italien  —  Deutschland  überschwemmten.  Wie  bei  den  Schauspielen 
der  englischen  Komödianten,  war  auch  ihnen  die  al-fresco-Manier  der 
gegebene  Kunststil,  grobe  Veräußerlichung  in  starken  Stimmungs- 
affekten, Vermengung  des  Rührenden  und  Lustigen.  Die  komischen 
Nebenhandlungen  sind  meistens  ohne  Verknüpfung  mit  der  Haupt- 
handlung oder  doch  mit  nur  sehr  loser.  Ihr  Träger  ist  der  gutmütige, 
halb  schlaue,  halb  dumme  Hanswurst,  der  immer  noch  die  alten 
Mimuszüge  der  Faulheit,  Gefräßigkeit,  Geilheit  an  sich  trägt.  Alle 
Ansätze  individualisierender  Charakteristik  verschwinden,  Hanswurst 
ist  der  Narrentypus,  der  mit  gleichen  Witzen  und  gleichen  Streichen 
in  allen  Stücken  wiederkehrt.  So  wenig  Dichterisch-Dramatisches 
diese  Puppenspiele  aber  auch  bieten,  sie  geben  doch  der  Theater- 
kunst eine  gewisse  Tradition. 


IV.   ANDREAS  GRYPHIUS. 

Wie  groß  die  Gefahr  war,  daß  die  Erkenntnis  von  der  Notwendig- 
keit, im  dramatischen  Gebilde  die  Erfordernisse  der  Bühne  zu  be- 
rücksichtigen, bereits  wieder  verlorenging,  zeigt  uns  das  Beispiel 
des  größten  dramatischen  Dichters  des  17.  Jahrhunderts:  Andreas 
Gryphius  (1616 — 1664).  Der  zahlreichen  Ansätze  und  Anfänge,  die 
wir  bemerkt  haben,  ungeachtet,  bedeutet  Andreas  Gryphius  den  Be- 
ginn des  modernen  deutschen  Lustspiels.  Nicht  als  ob  er  nun  durch- 
aus selbständig  in  Erfindung  und  Gestaltung  gewesen  wäre.  Auch 
er  fügt  sich  in  den  Rahmen  seiner  Zeit,  die  das  Gute  nahm,  wo 
immer  sie  es  fand.  Die  Dramatik  aller  Länder,  die  der  vielbelesene 
und  -gereiste,  sprachgewandte  Gryphius  kannte,  machte  ihren  Ein- 
fluß auf  ihn  geltend.  Aber  er  weiß  das  fremde  Metall  zu  deutscher 
Münze  umzuprägen.  Seine  Hauptlustspiele  sind  „Herr  Peter  Squentz", 
„Horribilicribrifax",  ,,Die  gehebte  Dornrose". 


Possenspiele:  Peter  Squentz.    Horribilicribrifax.  Qy 

I.  POSSENSPIELE. 

a)  „Peter  Squentz". 

Die  „Absurda  Comica  oder  Herr  Peter  Squentz,  Schimpfifspiel" 
stammt  wahrscheinlich  von  1648  und  ist  frühestens  1657  im  Druck 
erschienen.  Der  Stoff  ist  das  Rüpelspiel  aus  Shakespeares  „Sommer- 
nachtstraum". Doch  hat  Grj'phius  wohl  das  Shakespearische  Stück 
nicht  direkt  gekannt.  Auch  daß  Schwenters  auf  denVerballhomungen 
der  Wandertruppen  fußende  Behandlung  des  Handwerkerspiels  ihm 
vorgelegen  habe,  ist  zweifelhaft.  Die  ganze  silbrige  Sommernachts- 
stimmung, der  dichterische  Elfenzauber,  die  phantastische  Liebes- 
sehnsucht Shakespeares  sind  verschwunden.  Es  ist  nur  das  theater- 
wirksame Rüpelspiel  geblieben.  Und  dieses  hat  Gryphius  wohl  ohne 
Zusammenhang  mit  älteren  deutschen  Bearbeitungen  in  ausgelassener 
Heiterkeit,  in  grotesker  Verspottung  der  pritschmeisterlichen  Meister- 
sänger gestaltet.  Wenn  auch  der  Humor  der  Shakespearischen  Dich- 
tung ausgeschaltet  ist,  so  ist  dafür  die  Komik  zu  stärkster  Wirkung 
gekommen.  Peter  Squentz  zählt  zu  unseren  besten  Possenspielen  und 
ist  zugleich  Literatursatire  gegen  das  Meistersingerdrama  der  Hand- 
werkerdilettanten. 

b)  „Horribilicribrifax". 

Unter  die  Kategorie  satirischer  Possenspiele  rechnen  wir  auch  das 
Scherzspiel  „Horribilicribrifax".  Der  sonderbare  Name,  der  nicht 
Gryphius'  Erfindung  ist,  soll  schon  äußerlich,  wie  der  Name  des 
Gegenspielers  Daradiridatumtarides,  die  groteske  Gestalt  ihres  Trägers 
kennzeichnen;  "weiter  ist  aber  die  sprachliche  Bedeutung  von  Horri- 
bilicribrifax als  schrecklicher  Siebmacher  zugleich  auch  ein  Schild 
seines  Charakters:  mit  mächtigem  Getue  bringt  er  doch  nie  etwas 
zuwege.  Die  beiden  Helden  sind  milites  gloriosi.  Der  eine  verbrämt 
seine  Rede  mit  italienisch-spanischen,  der  andere  mit  französischen 
Floskeln.  Was  sie  an  Taten  nicht  leisten  können,  suchen  sie  durch 
Aufwand  von  Worten  zu  ersetzen.  —  Die  Sprachmengerei  ist  neben 
der  feigen  Großmäulerei  das  zweite  Motiv  des  Stücks.  Sein  Vertreter 
ist  neben  den  beiden  Bramarbassen  vor  allem  der  gelehrt-pedantische 
Schulmeister  Sempronius.  Ein  Vorbild  hat  er  in  der  Gestalt  des 
Pedanten  Holofernes  in  Shakespeares  „Verlorener  Liebesmüh",  wo 
uns  in  Don  Adriano  de  Armado  ja  auch  bereits  ein  Vertreter  des  miles 
gloriosus -Typus  begegnete.  Sempronius'  Wissen  ist  ebenso  leer 
und  inhaltlos  wie  das  Heldengetue  der  beiden  Eisenfresser,  und  er 
verfällt  infolgedessen  trotz  seiner  angeblichen  Gelehrsamkeit  den 
plumpen  Stricken  einer  kupplerischen  Vettel  C3a-illa.  —  Er  findet  in  der 
Liebe  was  ihm  gebührt  und  ist  damit  Gegenstand  des  dritten  Motivs 
des  Stücks,  des  Liebesmotivs,  durch  das  neben  der  grotesken  Satire 
auch  wärmere  Gefühlstöne  in  das  Scherzspiel  einlaufen.  Immerhin 
bleibt  es  Possenspiel,  dessen  Vorzüge  seine  Volkskunst  sind,  dessen 

Holl,  Lustspiel.  7 


gS  Siebzehntes  Jahrhundert :  Andreas  Gryphius. 

Nachteile  seiner  Bildungskunst  entspringen.  Diese  betätigt  sich  vor 
allem  in  der  Sprachmengerei,  die  bis  sieben  Sprachen  zusammen- 
bringt, in  einer  solchen  Häufung,  daß  kein  Bühnenstück  mehr  spricht, 
sondern  nur  noch  ein  Lesedrama,  und  dies  auch  nur  noch  zu  ge- 
lehrten Lesern.  In  dieser  abermaligen  Trennung  von  Theater  und 
Drama  muß  die  Wirkung  des  Krieges  erblickt  werden.  Daß  die 
Quellen  der  Volkskunst  aber  noch  sprudelten,  bezeugen  die  beiden 
Ritter  von  der  traurigen  Gestalt  ,,Horribilicribrifax"  und  ,,Daradiri- 
datumtarides"  und  die  von  diesen  getragenen  Situationen. 

2.  LUSTSPIEL:  „DIE  GELIEBTE  DORNROSE". 

Das  beste  Lustspiel  unseres  Dichters  aber  ist  „Die  geliebte  Dorn- 
rose". Ein  so  guter  Kenner  des  deutschen  Dramas  und  des  Lustspiels 
insbesondere  wie  Gustav  Freytag  nannte  ,,Die  geliebte  Dornrose"  das 
beste  deutsche  Lustspiel  vor  Lessings  „Minna  von  Barnhelm".  Der 
Stoff  ist  uns  bekannt  aus  Gottfried  Kellers  Novelle:  „Romeo  und 
Julie  auf  dem  Dorfe",  doch  ist  bei  Gryphius  der  tragische  Ausgang 
in  heitere  Lust  umgebogen.  Formell  ist  das  Stück  nicht  selbständig, 
sondern  als  Spiegelhandlung  in  ein  heiteres  Singspiel  ,, Verliebtes 
Gespenst"  zerstreut.  Immer  nach  einem  Akte  des  Versspiels  folgt  ein 
Akt  des  Prosastücks.  Beide  Handlungen  haben  außer  der  Spiege- 
lung einer  Liebeshandlung  in  hohen  und  niederen  Ständen  nichts 
Gemeinsames.  Sie  sind  voneinander  unabhängig,  in  sich  selbständig 
und  können  jede  für  sich  aufgeführt  werden. 

Das  Singspiel  ist  im  steifen  Alexandrinerstil  der  süßlich-unwahren, 
rührsamen  französischen  Schäferspiele  gehalten  und  beruht  auf  einem 
Stücke  des  Franzosen  Quinault  (1635 — 1688)  mit  demselben  Titel: 
,,Le  fantöme  amoureux".  Im  Gesamtschaffen  von  Gryphius  von 
einiger  Bedeutung,  auch  durch  die  heitere  Verwendung  des  Ge- 
spenstermotivs, trägt  es  zur  Geschichte  des  deutschen  Lustspiels  nichts 
anderes  bei,  als  daß  seine  Aufzüge  mit  denen  der  „Geliebten  Dorn- 
rose" untermischt  sind.  Es  ist  so  recht  ein  blutloses  Allegorienstück, 
um  von  Bürgern  zur  Vermählungsfeier  des  Herzogs  Georg  III.  von 
Brieg  und  Liegnitz  mit  der  Fürstin  Elisabeth  Marie  Charlotte,  Pfalz- 
gräfin bei  Rhein,  1660  zu  Glogau  aufgeführt  zu  werden.  Das  hohe 
Standesstück  ist  längst  begraben  und  vermodert,  die  Bauernfolie  lebt 
und  findet  erst  in  der  Neuzeit  gebührende  Anerkennung.  In  den 
letzten  Jahren  wurde  sie  mit  großem  Beifall  in  Berlin,  Dresden,  Karls- 
ruhe und  auf  anderen  großen  und  kleineren  Bühnen  aufgeführt. 

Auch  „Die  geliebte  Dornrose"  beruht,  wie  „Das  verliebte  Ge- 
spenst", nicht  auf  eigener  Erfindung  des  Dichters.  Der  Stoff  lag  ihm 
vor  in  dem  Schäferstück  des  Holländers  Joost  van  den  Vondel:  „Die 
Leeuwendalers".  Die  dichterisch-realistische  Gestaltung  aber  ist  sein 
Eigentum.     Wie  Rist,  so  bemüht  sich  auch  Gryphius,  das  Bauemvolk 


Lustspiel:  nDie  geliebte  Dornrose".  99 


seiner  Heimat  in  Sitte  und  Sprache  naturwahr  zu  schildern;  aber  trotz 
aller  Derbheit,  Saftigkeit,  die  gelegentlich  auch  zur  Roheit  ausarten 
kann  —  Gryphius  ist  Zeitgenosse  des  Dreißigjährigen  Krieges  — , 
hat  er  doch  den  krassen  Naturalismus  durch  warme  Gemütstöne  ge- 
mildert und  damit  zum  dichterischen  Realismus  geformt.  Wir  wissen, 
daß  das  MundartHche  bereits  im  i6.  Jahrhundert  im  deutschen  Drama 
verwandt  wurde.  Wir  haben  gesehen,  zu  welcher  Wirkung  Rist  mit 
der  Verwendung  des  Dialekts  in  den  Zwischenspielen  seiner  Stücke 
gelangte.  Bei  Gryphius  erleben  wir  zum  ersten  Male  ein  geschlossenes, 
selbständiges  schlesisches  Dialektstück.  (Als  solches  müssen  wir  es 
wenigstens  auffassen,  trotzdem  es  zwischenspielartig  in  das  hoch- 
deutsche Stück  vermengt  ist.)  Gryphius  ist  damit  Gerhart  Haupt- 
manns größter  Vorläufer.  Daß  Gryphius  die  Verwendung  des  Dialek- 
tischen nicht  nur  ein  äußerlich  naturalistischer  Tic  war,  erkennen  wir 
aus  dem  Stücke  selbst,  wo  er  durch  ihre  häufige  Anwesenheit  auf 
dem  Edelhofe  begründen  läßt,  daß  Dornrose  hochdeutsch  spricht.  Hier 
sehen  wir  künstlerische  Psychologie  sich  in  der  Sprachtechnik  aus- 
wirken. Etwas  Ähnliches  beobachten  wir,  wenn  der  richterliche  Guts- 
verwalter —  ein  Ahne  von  Gerhart  Hauptmanns  Wehrhahn  —  sich 
bemüht,  gehobenes  Schriftdeutsch  zu  sprechen. 

Der_Inhalt  ist  kurz  der:  Der  Onkel  des  verwaisten  Greger  Korn- 
blume, Barthel  Klotzmann,  und  der  Vater  der  Lise  Dornrose,  Jockei 
Dreyeck,  leben  seit  langem  in  grimmiger  Bauernfehde,  deren  nichtige 
Gegenstände,  wie  später  der  zerbrochene  Krug  bei  Kleist,  zur  Gerichts- 
verhandlung stehen.  Der  Streit  der  querköpfigen  Bauern  scheint  dem 
Glück  der  beiden  Liebenden  unüberwindHche  Hindernisse  in  den  Weg 
zu  legen.  Der  Mitbewerber  Kornblumes,  der  grobschlächtige  Matz  Asche- 
wedel, versucht  die  ihn  abweisende  Dornrose  mit  Gewalt  zu  zwingen. 
Kornblume  befreit  die  Geliebte  und  gewinnt  dadurch  Anspruch  auf  ihre 
Hand.  Einstweilen  erhebt  sich  aber  ein  neues  Hindernis  in  der  alten 
kupplerischen  Hexe  Salome,  die  den  schmucken  Burschen  für  sich 
selbst  gewinnen  möchte,  und  die  eine  Neuschöpfung  der  Cyrille  im 
,5Horribilicribrifax"  darstellt.  Die  verschiedenen  Knoten  werden  zum 
Schlüsse  glücklich  durch  den  Richterspruch  des  etwas  großspreche- 
risch angehauchten  Wilhelm  von  hohen  Sinnen,  Arendator  des  Dorfs 
Vieldünkell,  gelöst.  Die  beiden  Streithähne  versöhnen  sich,  Korn- 
blume erhält  seine  geliebte  Dornrose,  der  üble  Aschewedel  muß  die 
alte  Salome  heiraten. 

Die  Namen  der  handelnden  Personen  sind  Wesensschilder:  die 
natürlichen  Feldblumen  Dornrose  und  Kornblume,  die  knorrig-wider- 
borstigen Klotzmann  und  Dreyeck,  der  widerwärtige  Aschewedel,  der 
stolze  Wilhelm  von  hohen  Sinnen.  Diese  äußerliche  Charakteristik 
ist  für  die  Bühne  im  allgemeinen  bedeutungslos,  sie  ist  Lesedrama- 
effekt. Nur  an  einer  Stelle  zieht  Greger  Kornblume  seinen  und  seiner 
Geliebten  Namen  mit  ins  Gespräch,  als  er  Jockei  um  die  Hand  seiner 


lOO       Siebzehntes  Jahrhundert :  Andreas  Gryphius:  Gesamtcharakteristik  des  Dichters. 

Tochter  bittet:  „Je  bedenkt  ich  ok  recht;  saht,  ich  heeße  Kornblume 
und  sie  heest  Durnruse.  Swürde  su  en  schünen  krantz  gähn,  blow 
und  fleeschfarbe;  swächst  och  su  hübsch  zesammen,  swürde  och  .  .  ." 
Jockei:  „Wäg,  wäg,  siß  wider  gehohn,  noch  gestochen". 

Andreas  Grj'phius  gab  uns  in  der  „Geliebten  Dornrose"  nicht  eine 
Posse,  sondern  ein  Lustspiel,  das  erste  selbständige,  ausgereifte  Lust- 
spiel in  straffer  Konzentration  der  Handlung,  in  Kontrastierung  der 
Charaktere,  in  psychologischer  Sprachbehandlung.  Die  Quellen  der 
Wirksamkeit  liegen  in  der  Volkstümlichkeit,  in  dem  nationalen  Kultur- 
gehalt. Der  Bildungskünstler  tritt  ganz  hinter  sein  Werk  zurück.  In 
klarem,  gemütsvertieftem  Realismus  spielt  sich  das  Lustspiel  frisch 
lebendig  vor  unseren  Augen  ab.  Die  Lebenswahrheit  beruht  nicht  zum 
kleinsten  Teil  in  der  gefühlswarmen  Dorfmädelgestalt  der  Domrose. 

3.  GESAMTCHARAKTERISTIK  DES  DICHTERS. 

Die  Darstellung  des  Liebesmotivs  war  bisher  dem  deutschen 
Drama  nicht  gelungen.  Daß  Gryphius  hierin  eine  glückliche  Hand 
zeigt,  ist  wohl  die  erste  Folge  der  Wandlung,  die  sich  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  in  der  Darstellung  der  Frauenrollen  auf  der 
deutschen  Bühne  vollzogen  hatte.  Bisher  waren  mit  wenig  Ausnahmen 
die  Träger  der  Frauenrollen  Männer.  Dabei  war  es  schwierig  gewesen, 
psychologisch  verfeinerte  Frauencharaktere  zu  schildern.  Tatsächlich 
waren  bis  jetzt  die  im  Drama  auftretenden  Frauengestalten  im  besten 
Falle  geschlechtlich  neutrale  Wesen.  Wenn  jetzt  Schauspielerinnen 
auf  der  Bühne  erscheinen,  dann  entfaltet  sich  damit  auch  eine  viel 
reichere  Möglichkeit,  das  Gefühlsleben  der  Frau  dramatisch  zu  ver- 
werten. Die  nächstliegende  Gelegenheit  dazu  ist  aber  die  Liebes- 
beziehung der  Geschlechter.  Hier  setzt  Gryphius  ein.  Vorarbeit  war 
durch  die  Schäferdichtung  geleistet  worden.  Die  tiefste  Grundlage 
aber  des  Wandels  der  grobianischen  Auffassung  des  16.  Jahrhunderts 
zur  verinnerlichten  Eheauffassung  des  17.  Jahrhunderts  war  durch  den 
Protestantismus  gebracht  worden.  Der  Protestantismus  hat  die  soziale 
Stellung  der  Frau  gehoben.  Die  Folge  war  eine  vertiertere  Darstellung 
in  der  Literatur.  Auch  in  dieser  Hinsicht  ist  Andreas  Gryphius  der 
erste  bedeutende  Lustspieldichter  der  deutschen  Literaturgeschichte. 

Aber  wenn  auch  seine  Hauptbedeutung  die  des  Dichters  ist,  der 
in  jener  Zeit  grassierender  Theatromanie  wieder  das  Literarische 
in  der  Dramatik  zur  Geltung  bringt,  so  schafft  er  doch  auch,  so- 
wohl durch  seine  für  Berufsschauspieler  geschriebenen  Freudenspiele 
,, Peter  Squentz"  und  ,,Horribilicribrifax"  wie  durch  sein  für  Dilettanten 
berechnetes  Mischspiel,  „in  theatralibus  Tradition".  Darüber  gibt 
W.  Flemming  in  „Andreas  Gryphius  und  die  Bühne"  (192 1)  auf- 
schlußreiche Belehrung.  Er  zeigt,  wie  mit  Gryphius,  der  „den  neuen 
Typus  der  Kulissenbühne  ausnutzt  zu  künstlerischer  Wirkung  seines 


Christian  Weise  und  Christian  Reuter.    Christiaa  Weise:  Charakteristik.  lOI 

neuen  Barockdramas",  „der  Weg  der  protestantischen  Schulbühne 
in  jenen  der  Oper,  also  des  reinen  Theaters  mündete.  Gerade 
durch  Gryphius  wahrte  sie  noch  ihr  Herkommen  aus  der  »reinen« 
Literatur,  daß  sie  eben  seine  Stücke  aufführte,  die  eine  Harmonie 
zwischen  Drama  als  Kunstwerk  und  Theater  als  sozialer  Institution  dar- 
stellen,  eine  Harmonie,  soweit  sie  eben  jener  Zeit  beschieden  war". 


V.  CHRISTIAN  WEISE   UND  CHRISTIAN  REUTER. 

I.  CHRISTIAN  WEISE. 

a)  Charakteristik. 

In  diese  Tradition  stellt  sich  auch  der  Zittauer  Rektor  Christian 
Weise  (1642 — 1708).  Der  ausgesprochene  Gegner  des  verstiegenen, 
innerlich  hohlen  Gefühlsüberschwangs,  wie  er  als  barocker  Schwulst 
der  II.  schlesischen  Dichterschule  anhaftet,  erklärt  sich  bewußt  für 
einen  unsentimentalen  Realismus.  Die  bisherige  Entwicklung  des 
deutschen  Lustspiels  zeigt,  daß  darin  die  besten  Keime  zu  echter 
Lustspielwirkung  zu  finden  sind.  Doch  kann  nicht  geleugnet  werden, 
daß  Weise  in  seinem  berechtigten  Streben,  sich  leerer  Phantastik 
fernzuhalten,  allzuhäufig  zu  platter  Trivialität  hinabsinkt.  Doch  wenn 
Weise  als  Haupt  der  sogenannten  Wasserdichter  angesehen  wird,  so 
ist  diese  Beurteilung  bei  seiner  reichen  schriftstellerischen  Tätigkeit  am 
wenigsten  zutreffend  für  seine  Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Komödie. 
Das  Weisesche  Lustspiel  ist  nach  Fulda  bereits  die  Antizipation  der 
sächsischen  Komödie  dadurch,  daß  er  wieder  Plautus  und  Terenz, 
Shakespeare  und  Moliere  zum  Vorbilde  nimmt,  daß  er  seine  Technik 
von  dem  zusammengeflickten  Possenschwanke  zum  Intrigenspiel  ver- 
feinert, daß  er  statt  der  nur  typischen  auch  individuelle  Züge  auf- 
weisende: komplexe  Charaktere  zeichnet,  endlich,  daß  er  bereits  das 
Familienmilieu  zu  umgrenzen  sucht.  Christian  Weises  dramatische 
Tätigkeit  ist  gegründet  auf  naturalistischer  Volkstümlichkeit  und  pe- 
dantischer Gelehrsamkeit,  wodurch  sie  der  einheitlichen  Ausreifung 
ermangelt.  Immerhin  gibt  er  uns  ein  zwar  noch  nicht  in  innerem 
Kausalnexus  straft"  ausgebautes,  aber  volkstümliches  Lustspiel,  das 
in  bühnenwirksamer  Kombinationskunst  und  witziger,  der  Derbheit 
nicht  ausweichender  Schwankkomik  sich  stellenweise  wenigstens  an- 
nähernd bis  zu  Humor  zu  erheben  vermag.  Leider  beeinträchtigen 
die  Schulkomödien  in  ihrem  pädagogischen  Charakter  des  Gelegen- 
heitsgedichtes seine  Volkstümlichkeit,  so  daß  er  im  ganzen  als 
Dichterpersönlichkeit  unter  Gryphius  steht,  wenn  er  ihn  auch  bis- 
weilen an  vertiefter  Charakteristik  übertrifft. 

In  Weises  Arbeiten  ist  deuthch  eine  Entwicklung  zu  verfolgen, 
die  aus  der  Tradition  heraus  zur  größeren  Selbständigkeit  führt.    Dies 


I02  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 

zeigt  sich  in  der  Verwendung  der  komischen  Figur.  Weise  individua- 
hsiert  den  Narrentypus,  Daß  ihm  die  komische  Figur  kein  feststehen- 
der Typus  mehr  ist,  beweist  schon  seine  Abkehr  von  der  gewöhnhchen 
Namengebung.  Wir  treffen  noch  einen  Potage,  die  sonstigen  Narren- 
namen lauten:  Allegro,  Babel,  Buffone,  Courage,  Flinckfleck,  Haso, 
Maraveglio,  Marcolphus,  No,  Passetemes,  Poncinello,  Refaenel,  Spa- 
vento,  Svinekof,  Trictract,  Uz,  Wazek,  Zzakzaku,  worin  wir  ebenso  viele 
französische  und  italienische  Anleihen  als  eigene  Erfindungen  er- 
kennen. Die  komische  Figur  wird  allmählich  immer  mehr  in  die 
Handlung  einbezogen.  Wir  könnten  daher  die  Namenreihe  der  komi- 
schen Figuren  bei  Weise  beliebig  erweitern,  da  noch  zahlreiche  Per- 
sonen, besonders  Dienergestalten,  zu  nennen  wären,  deren  Verwandt- 
schaft mit  jenen  nicht  zweifelhaft  ist.  Gut  offenbart  sich  der  Übergang 
vom  alten  selbständigen  Narrentypus  zum  Glied  der  dramatischen 
Handlung  in  der  Gestalt  des  Allegro  im  „Masaniello"  von  1683.  Zu 
Beginn  der  Tragödie  ist  er  durchaus  in  die  Handlung  verflochten 
im  Sinne  der  satirisch-weisen  Narren  Shakespeares.  Diese  Rolle  hat 
er  auch  in  der  ergötzlichen  Szene  mit  den  durch  die  Revolution  nun 
obenauf  gekommenen  und  infolgedessen  unbändig  stolz  sich  ge- 
bärdenden Fischweibern,  eine  Szene,  die  heutigen  Verhältnissen  ein 
Spiegelbild  sein  könnte.  Daneben  vollführt  er  eine  ganze  Reihe  von 
Narrenstreichen,  deren  Verbindung  mit  der  Tragödie  sehr  schwierig 
herzustellen  ist. 

Weise  hat  dem  Allegro  individuelle  Züge  verliehen.  Er  ist  nicht 
mehr  der  alte  Typus,  sondern  mit  frischen  bunten  Lappen  auf- 
geputzt, aber  noch  nicht  zum  individuellen  Charakter  kristallisiert. 
Allegro  zeigt  uns  das  Bestreben  Weises,  das  dieser  auch  theoretisch 
ausspricht,  den  Narren  zum  Raisonneur  des  Stückes  zu  machen,  zur 
Gestalt,  „welche  gleichsam  die  Stelle  der  allgemeinen  Satirischen 
Inclination  vertreten  muß".  Dem  Sinne  dieses  Satzes  nach,  wie  er 
der  in  den  Dramen  geübten  Praxis  entspricht,  ist  der  Narr  daher 
nichts  anderes  als  der  Vertreter  des  gesunden  Menschenverstandes, 
dessen  Urteil  der  Durchschnittsanschauung  entnommen  ist.  Er  spricht 
in  anscheinenden  Torheiten  Weisheiten  aus  und  off*enbart  dadurch 
seine  Shakespearische  Herkunft.  Ausgehend  von  der  komischen  Figur 
der  englischen  Komödianten  hat  Weise  daraus  eine  eigenartige  Ge- 
stalt geschaffen,  die  in  jedem  Stücke  anders  aussieht,  im  Grunde  aber 
immer  wieder  der  lustig  schmunzelnde  Herr  Rektor  selbst  ist.  Die 
Selbständigkeit  in  der  Formung  des  Narren  beweist  die  Richtigkeit 
des  Urteils,  das  Ludwig  Fulda,  sein  Herausgeber  in  Kürschners  Deut- 
scher Nationalliteratur,  über  den  artverwandten  Dichter  fällt:  „Der 
poetische  Kobold,  der  ihm  im  Nacken  sitzt,  triumphiert  über  den 
würdigen  Schulmeister,  reißt  ihm  die  steife  Perücke  ab  und  offenbart 
ihn  als  das,  was  er  seinem  innersten  Wesen  nach  ist,  als  einen  Volks- 
dichter im  eigentlichen  Sinne". 


Christian  Weise :  Charakteristik.  IO3 

Weises  Stärke  liegt  einerseits  auf  dem  Gebiete  der  Erfindung, 
andererseits  auf  dem  Felde  scharfer  Beobachtung.  Beide  Gaben  zu- 
sammen lassen  den  Reichtum  an  Gestalten  und  Episoden  erstehen, 
die  der  Stücke  schreibende  Rektor  für  seine  bretterruhmbegierigen 
Schüler  aufbringen  mußte.  Es  wird  immer  wiederholt,  der  Schulmeister 
Weise  habe  dem  Dichter  Weise  Zwang  angetan.  Zweifelsohne.  Doch 
wenn  man  behauptet,  Weise  hätte  bessere,  motivreichere  Stücke  ge- 
schrieben, wenn  er  nicht  alljährlich  drei  bis  vier  Dramen  zu  Schul- 
aufführungen hätte  liefern  müssen,  so  verkennt  man  die  Begabungs- 
richtung Weises.  Sein  Erfindungsquell  sprudelt  immer.  Daran  fehlt 
es  ihm  nicht,  und  zudem  könnte  einem  Erfindungsarmen  auch  die 
Zeit  wenig  helfen.  Doch  selbst  der  unbedingte  Gegner  Weises,  der 
über  seine  Formlosigkeit  entsetzte  Gottsched,  muß  die  Reichhaltigkeit 
seiner  Erfindung  anerkennen.  Und  Weises  Beobachtungsgabe  findet  das 
Jahr  über  so  reiche  Gelegenheit  zur  Betätigung  in  der  nächsten  Um- 
welt, daß  aus  ihren  Ergebnissen  ein  reicher  Niederschlag  in  die  Dramen 
fällt.     Auch  hier  hätte  mehr  Zeit  kaum  etwas  bessern  können. 

Die  Erfindungskraft  gestattet  ihm,  seinem  Bühnenprinzip,  das  er 
in  „Lust  und  Nutz"  kundgibt,  stets  gerecht  zu  werden:  „Allemal 
lasse  man  die  Affekten  kontrar  aufeinanderfolgen,  daß  die  Zuschauer 
in  immerwährender  Veränderung  erhalten  werden";  und  weiter:  „Wenn 
ein  langes  Spiel  nicht  soll  verdrießlich  werden,  so  muß  alles  hurtig 
nacheinander  fließen,  daß  ein  Affekt  gleichsam  den  andern  treibet". 
Dazu  füllt  er  die  Handlung  mit  zahlreichen  Episoden  an,  die  für  seine 
praktischpädagogischen  Zwecke  wohl  nützlich  sind,  aber  die  Hand- 
lungsentwicklung sehr  verlangsamen.  Eine  Fülle  von  Personen  und 
Episoden  ist  ja  noch  kein  Beweis  für  dichterische  Gestaltungskraft. 
Auch  hier  zeigt  sich  der  Meister  in  der  Beschränkung.  Wir  werden 
an  die  dickleibigen,  endlosen  Romane  des  17.  Jahrhunderts  er- 
innert, deren  Unerschöpflichkeit  in  immer  neuen  Personen  und  Epi- 
soden nicht  reich,  sondern  arm  wirkt.  Die  künstlerische  Spannung 
ist  äußerlich;  die  innere  Einheit  geht  durchgängig  bei  der  äußeren 
Fülle  verloren.  Andererseits  verleiht  diese  dem  ganzen  Stücke  doch 
einen  lebendig  bewegten  Rhythmus  und  prägt  ihm  trotz  des  klaren 
Realismus  einen  barocken  Stilcharakter  auf.  Außerdem  aber  ist  in 
der  Durchführung  dieses  Prinzips,  dem  Stücke  stets  neue  Lichter  auf- 
zusetzen, Schlager  und  Reißer  einzuführen,  das  selbstherrliche  Lite- 
raturdrama verlassen  und  bewußt  die  Rücksicht  auf  das  Publikum  für 
den  dramatischen  Aufbau  hereinbezogen.  Die  Zuschauer  müssen  in 
dauernd  bewegter  Spannung  erhalten  werden;  nicht  der  Wasser- 
dichter, sondern  der  Volksdichter  gibt  sich  hier  zu  erkennen. 

Durch  die  Betätigung  seiner  Beobachtungsgabe  verbindet  nun 
Weise  den  bewegten  Barockstil  mit  einem  klaren  Darstellungsrealis- 
mus, der  ihn  immer  wieder  in  den  Geruch  der  Nüchternheit  gebracht 
hat.    Weise  aber  geht  so  folgerichtig  vor,  daß  er  der  erste  Vertreter 


IQA  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 


des  deutschen  bürgerlichen  Schauspiels  wird,  indem  er  die  tragischen 
Probleme  des  Lebens  nicht  nur  auf  den  sozialen  Höhen  sieht,  sondern 
in  der  Welt,  die  ihn  umgibt.  So  ein  klares  Auge  konnte  sich  natür- 
lich auch  den  kleinen  Schwächen  menschlichen  Lebens  nicht  ver- 
schließen und  fand  darin  unerschöpfliche  Quellen  der  Komik.  Da  er 
aber  keineswegs  ein  eifernder  Zelot  war,  sondern  ein  kluger  Mensch 
mit  Herzensbildung,  so  gelingt  es  ihm  immer  wieder,  statt  satirischer 
Geißelung  humorisch  verstehendes  Lächeln  hervorzurufen. 

Diese  Wirklichkeitsfreude  betätigt  Weise  auch  in  seiner  Sprach- 
behandlung. Grundsätzlich  verwendet  er  Prosa,  und  er  versucht,  unter 
Benutzung  des  Mundartlichen,  die  Sprechweise  verschiedener  Per- 
sonen zu  differenzieren,  ebenfalls  wieder  aus  grundsätzlichen  theoreti- 
schen Erwägungen.  In  der  Differenzierung  der  Sprache  aber  sind  An- 
lagen von  Charakterdifferenzierung  enthalten,  die  im  1 6.  Jahrhundert 
bereits  angehoben  hatte,  dann  aber  wieder  durch  die  veräußerlichende 
Theaterkunst  der  enghschen  Komödianten  und  den  Verfall  der  Kriegs- 
jahre verlorengegangen  war;  Ausnahmen  bilden  Gryphius  und  allen- 
falls Rist.  Der  Theaterkunst  der  enghschen  Komödianten  verdankt 
aber  Weise  ein  anderes  Stilmittel  der  Sprache.  Wenigstens  scheint 
mir  die  Vermutung  nicht  allzu  weit  herbeigeholt,  daß  der  Pickelhering 
Pate  gestanden  habe  bei  Weises  starker  Neigung  zu  Kraftausdrücken 
und  Zoten.  Von  Waldberg  machte  auf  dieses  Stilmittel  schon  in  Weises 
prosaischen  Schriften  aufmerksam.  Es  scheint,  dail  es  in  die  Lust- 
spiele vor  allem  von  den  Singspielen  hereinkam.  Doch  ist  es  keines- 
wegs nur  äußerliche  Entlehnung,  sondern  wir  erleben  darin  bewußte 
Wortkomik,  die  auf  Kontrastwirkung  beruht.  Die  Gegensätze  sind  die 
nüchterne  Alltagssprache  mit  ihrem  Salz  und  Pfeffer  einerseits,  und 
der  Schwulst  der  gehobenen  Kunstsprache  anderseits,  und  noch  weiter 
und  tiefer  können  wir  diesen  Gegensatz  spannen,  wenn  wir  den  krassen 
Derbheiten  des  Ausdrucks  die  strenge  konventionelle  Form  der  Zeit- 
epoche gegenüberstellen:  jedenfalls  hat  Weise  damit  der  Lustspiel- 
sprache ein  Stilmittel  gewonnen,  das  in  den  nächsten  Jahrzehnten  den 
weitesten  Umfang  nehmen  sollte. 

Die  sprachliche  Charakterabtönung  bei  Weise  ist  aber  noch  keines- 
wegs Individualisierung.  Dazu  war  Weise  doch  selbst  zu  wenig  künst- 
lerische Persönlichkeit.  Aus  sich  heraus  vermochte  er  im  Gegensatz 
zu  der  herrschenden  Kulturströmung  seiner  Zeit  diese  Aufgabe  noch 
nicht  zu  lösen.  Hierin  ist  die  DichterpersönHchkeit  des  Andreas 
Gryphius  ihm  bereits  voraus.  Der  deutsche  Individualismus  ist  ein 
Erzeugnis  des  auf  mystischer  Grundlage  sich  erhebenden  Protestan- 
tismus. Seine  Vorbedingung  ist  die  bewußte  Einkehr  nach  innen, 
wodurch  die  seelischen  Gefühls-  und  Gemütskräfte  gelöst  werden. 
Neben  der  Mystik  ist  aber  der  Rationalismus  die  andere  Stütze  des 
Protestantismus.  Dieser  aber  bedeutet  Bindung  der  gelockerten  Indi- 
vidualitäten durch  überindividuelle,  allgemeingültige  Gesetze.   Nun  ist 


Christian  Weise :  Komödienproduktion:  „Komödie  von  der  bösen  Catharine".  I05 

zweifellos  die  Not  des  Krieges  im  17. Jahrhundert  ein  starker  Antrieb  des 
Pietismus.  Anderseits  aber  ist  durch  den  Krieg  die  Gesamtkultur  derart 
zerfallen,  daß  aus  der  pietistischen  Verinnerlichung  keine  Erneuerung 
erblühen  konnte.  Den  matten  Geistern  war  die  rationalistische  Welt- 
auffassung mit  ihrem  nüchternen  Nützlichkeitsziele,  ihrem  platten 
Glückseligkeitsstreben  gerade  angepaßt.  Und  so  ist  auch  Weise  Ratio- 
nahst.  Die  individuellen  Züge  seiner  Gestalten  sind  nicht  von  innen 
heraus  erwachsen,  sondern  von  außen  an  typische  Gestalten  angeklebt. 
Dem  Dichter  sind  die  Einzelpersonen  nicht  aus  innerem  Erleben  ent- 
sprungen gleich  Pallas  dem  Haupte  des  Zeus,  sondern  der  kluge  Be- 
obachter hat  die  Einzelzüge  mit  scharfem  Auge  bei  seiner  Umwelt 
gesammelt  und  verteilt  sie  nun  auf  die  einzelnen  Figuren  seines  Stückes. 
Wir  beobachten:  Gryphius  stand  hinter  seinem  Werk;  Weise  steht 
vor  seinem  Werk. 

Die  warmblütige  Menschengestaltung  eines  Greger  Kornblume  geht 
über  Weises  Vermögen.  Er  versagt  gegenüber  dem  Zentralmotiv  in 
der  Geschlechterbeziehung.  Die  Geschlechtsliebe  ist  bei  Weise  weder 
psychologisch  ergründet  noch  dargestellt.  Hier  erweist  sich  die  Wahr- 
heit des  Wortes,  das  er  selbst  in  der  Vorrede  des  Zittauischen  Theaters, 
einer  Sammlung  seiner  Stücke,  niederschreibt:  „Die  Schule  ist  ein 
schattichter  Ort,  da  man  dem  rechten  Lichte  gar  selten  nahe  kömt". 
Es  ist  wohl  überhaupt  nicht  denkbar,  daß  ein  Schuldramatiker,  der 
nur  für  seine  Schüler  schreibt  und  eingestandenermaßen  den  Schüler- 
darstellern die  Rolle  auf  den  Leib  schreibt,  so  daß  eine  Aufführung 
von  anderen  Kräften  ihm  das  eigene  Stück  unkenntlich  macht,  das 
Liebesproblem  zwischen  Mann  und  Frau  in  seinen  Gefühlsqualitäten 
erfassen  und  dramatisch  verwerten  könnte.  Hier  wirkt  wirklich  der 
Schatten  der  Schule  erkältend.  Damit  haben  wir  auch  die  Grenzen 
von  Weises  Schaffenskraft  gekennzeichnet.  Innerhalb  dieser  Grenzen 
aber  hat  er  brauchbare,  wirkungsvolle  Possen  und  Lustspiele  ge- 
schrieben, die  in  ihrer  gesunden  Lebensauffassung,  ihrem  klaren 
Realismus,  ihrem  gemütlichen  Behagen  an  Komik  und  Humor  und, 
trotz  aller  Episoden,  technisch  in  ihrer  Handlungsdurchführung  nahe 
an  die  sächsische  Komödie  des   18.  Jahrhunderts  hinführen. 

b)  Komödienproduktion, 
aa)  „Komödie  von  der  bösen  Catharine". 
Ein  Beispiel,  woran  wir  klar  Weises  Eigenart  beobachten  können, 
ist  seine  „Komödie  von  der  bösen  Catharine",  deren  Abfassung  gegen 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  fallen  dürfte.  Der  Stoff  ist  der  der  Shake- 
spearischen  Posse  von  der  „Zähmung  der  Widerspenstigen".  Weise  hat 
allerdings  wohl  kaum  aus  direkter  Kenntnis  Shakespeares  geschöpft. 
Durch  Vermittlung  der  englischen  Komödianten  waren  ihm  deutsche 
Bearbeitungen  zugänglich.  1658  wurde  in  Zittau  „Die  wunderbare 
Heurath  Petruvio  mit  der  bösen  Catharine"  aufgeführt,  wobei  er  viel- 


I06  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 

leicht  selbst  als  löjähriger  Schüler  beteiligt  war.  Aus  dem  Jahre  1672 
existiert  ein  Weise  ebenfalls  bekanntes  Stück:  „Kunst  über  alle  Künste, 
ein  bös  Weib  gut  zu  machen".  Leider  ist  uns  der  Text  der  „wunder- 
baren Heurath"  nicht  erhalten.  Doch  darf  aus  dem  Titel  geschlossen 
werden  im  Verein  mit  der  „Kunst  über  alle  Künste"  und  mit  Weises 
Stück  selbst,  wie  auch  aus  der  bis  in  modernste  Zeit  geübten  Bühnen- 
praxis, daß  alle  diese  deutschen  Bühnenbearbeitungen  das  Shake- 
spearische  Vorspiel  ausscheiden.  Gerade  darin  aber  bewies  sich  der 
Dichter  gegenüber  dem  nur  Theaterpraktiker. 

Die  „Zähmung  der  Widerspenstigen"  ist  ein  toller  Schwank.  Er  baut 
sich  als  solcher  auf  äußere  Wirkungen  von  Situationskomik  auf.  Der 
künstlerische  Wert  erwächst  ihm  durch  den  überaus  bewegten  Rhythmus, 
in  dem  die  tollen  Streiche  vor  unserm  Auge  vorüberziehen.  Das  Vor- 
spiel des  betrunkenen  Bauern,  der  sich  als  Lord  wiederfindet,  ist  erst 
die  Erklärung,  die  Grundlage  für  den  Schwank.  Der  Bauer  muß  die 
Gestalten  der  Bühne  mit  den  Ausgeburten  seiner  Alkoholdünste 
vermengen.  Der  Schwank  ist  nur  ein  Teil  des  „over-merry  spieen". 
Sein  Kennzeichen  ist  das  Wort:  „Let  the  world  slip:  we  shall  ne'er 
be  younger".  Alle  die  Unwahrscheinlichkeiten,  die  Roheiten  stören 
uns  nun  gar  nicht  mehr,  sie  erheben  ja  gar  keinen  Anspruch  dar- 
auf, ernst  genommen  zu  werden,  sie  sind  ja  gar  kein  Abbild  der 
tatsächlichen  Welt.  Das  natürliche,  vernunftgemäße  Weltgeschehen 
ist  ausgeschaltet.  Die  Traumwelt,  die  Alkoholwelt  mit  ihren  grotes- 
ken Widersprüchen  und  Ungereimtheiten  herrscht.  Jetzt  erst  erfreuen 
wir  uns  vorbehaltlos  an  dem  tollen  Wirbel  des  Geschehens.  Es  ist 
klar,  daß  mit  dem  Ausscheiden  des  Vorspiels  die  psychologische 
Einstellung  auf  den  Schwank  uns  verlorengeht.  Jetzt  muß  die 
Zähmung  der  bösen  Catharine  vernunftmäßig  vor  sich  gehen.  Der 
Vorgang  wird  rationalisiert.  Dies  entspricht  allerdings  unserm  Ratio- 
nalisten Weise,  es  widerspricht  aber  dem  Wesen  des  Schwanks.  Der 
poetische  Blütenstaub  wird  abgestreift,  und  es  bleibt  ein  künstlicher 
Bühnenmechanismus,  dem  Weise  allerlei  Einzelheiten  zur  Belebung 
und  psychologischen  Begründung  hinzufügt,  der  aber  trotzdem  kein 
Eigenleben  mehr  gewinnen  kann. 

Zunächst  verringert  Weise  seinem  reahstischen  Darstellungsstil 
entsprechend  die  Distanz  zwischen  Bühnenspiel  und  Zuschauer,  indem 
er  den  Schwank  ganz  in  deutsches  Milieu  versetzt.  Zur  stärkeren 
Belebung  dieses  Milieus  macht  er  Anleihen  bei  seiner  reichen  Er- 
findungskraft und  führt  noch  komisch  wirksame  Bauernszenen  ein. 
Um  die  Gestalt  der  bösen  Catharine  noch  deutlicher  zu  zeichnen, 
unterstreicht  er  ihren  sittlich  negativen  Charakter,  indem  er  ihrer 
Boshaftigkeit  noch  die  Heuchelei  hinzufügt.  Aber  gerade  durch  dies 
Plus  verliert  der  Charakter  an  Menschlichkeit.  Sie  ist  nun  nicht  mehr 
ein  übertemperamentvolles  Weib,  sondern  eine  Megäre.  Damit  ist  ihm 
allerdings  die  Möglichkeit  gegeben,  die  äußeren  Theaterinstinkte  noch 


Christian  Weise :  Komödienproduktion:  „Tobias  und  die  Schwalbe".  I07 

besser  zu  befriedigen,  indem  er  die  rohen  Zwangsmittel  ihrer  Zähmung 
noch  vermehrt,  besonders  auch  durch  das  grobianische  Motiv  des 
Wiegens  und  Bürstens.  Alles  Äußerliche  ist  derart  vergrößert  und 
vergröbert,  das  InnerHche  verliert  dadurch.  Während  bei  Shakespeare 
auf  beiden  Seiten,  bei  Catharina  wie  bei  Petruchio,  schnell  die  Liebe 
aufkeimt  und  sich  nur  noch  zunächst  scheu  verbirgt,  ist  bei  Weise 
das  Liebesmoment  ganz  ausgeschaltet.  Sein  Hermen  ist  kein  kraft- 
bewußter, intellektuell  überlegener  Gegner  Catharines,  sondern  ein 
roher  Tierbändiger.  Er  vollzieht  an  Catharine  nichts  anderes  als  eine 
Tierdressur,  auf  die  wir  außerdem,  anstatt  daß  sie  aus  dem  Augen- 
blick des  Gegenüberstehens,  ex  tempore  erwächst,  noch  rationalistisch 
sorgfältig  von  Beginn  des  Stückes  an  vorbereitet  werden.  (Schluß 
I.  Akt,  IL,  2,  IL,  12,  III.,  6.)  ÄhnHch  sind  auch  die  anderen  Charaktere 
menschHch  verflacht.  Anderseits  ist  eine  Fülle  gut  beobachteter  rea- 
listischer Züge  bei  den  an  Zahl,  entsprechend  dem  Bedürfnis  der 
Schüleraufführung,  vermehrten  Personen  angebracht,  die  in  Verbindung 
mit  der  lebendig  fließenden  Erfindungsgabe  eine  Reihe  von  Situationen 
neu  schaffen,  um  zielbewußte  komische  Wirkungen  zu  erreichen.  Aus 
allem  geht  hervor,  Weise  ist  kein  Dichter,  aber  er  ist  ein  mit  Er- 
findung begabter  kluger  Beobachter,  der  seinen  realistischen  Kunst- 
stil mit  rationalistischer  Psychologie  begründet. 

bb)  „Tobias  und  die  Schwalbe". 

Wie  sehr  sich  Weise  von  der  Dichterpersönlichkeit  des  Andreas 
Gryphius  unterscheidet,  zeigt  seine  Schulkomödie  von  „Tobias  und  der 
Schwalbe",  die  1682  aufgeführt  wurde.  Die  Idee  der  Rüpelszenen  von 
Shakespeares  ,, Sommernachtstraum"  liegt  wie  dem  „Peter  Squentz" 
auch  Weises  Schwank  zugrunde.  Doch  während  Gryphius  sich  stoff- 
lich eng  an  Shakespeare  anschließt,  gibt  der  erfindungsreiche  Weise 
der  Idee  eine  selbständige  Einkleidung.  Er  selbst  beschreibt  uns 
kurz  den  Inhalt:  „Ein  vornehmer  Graff  begehet  seinen  Geburts-Tag 
so  wil  dessen  Hof-Rath  eine  Lust  machen,  und  lasset  allenthalben  den 
Befehl  ausgehen,  wer  etwan  eine  Comoedie  fertig  hätte,  der  möchte 
sich  einstellen.  Aber  zu  allem  Unglück  kommen  jhrer  zwölff'e,  und 
wollen  jhre  Kunst  anbringen.  Wiewohl  einer,  der  die  Invention 
von  dem  alten  Tobias  und  der  Schwalbe  ausgearbeitet  hat,  wird 
am  meisten  beliebt;  Und  ob  er  wol  seine  Comoedie  ziemlich  schlecht 
ausführet,  so  hat  er  dennoch  so  viel  darvon,  daß  ihm  die  Mühe  be- 
lohnet wird". 

Unstreitig  ist  der  „Peter  Squentz"  des  Gryphius  dichterisch  wert- 
voller. Die  Konzentration  der  Gestaltung,  der  einheithche  Stimmungs- 
akzent in  allegro  zeugen  von  der  Gestaltungskraft  eines  in  unbän- 
diger Heiterkeit  schaffenden  Künstlers,  der  eine  derbe  Posse  in 
einem  Zug  hinwirft.  Weises  Stück  ist  viel  ausgedehnter,  derart  daß 
schHeßlich  die  ursprüngliche  Idee  überhaupt  verlorengeht.    Eine  ein- 


Io8  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 

aktige  Posse  ist  für  vier  Aufzüge  gestreckt.  Nicht  als  ob  es  an 
Erfindung  mangelte.  Doch  die  erfundenen  Episoden  sind  an  den 
Kern  der  Handlung,  die  groteske  Aufführung  eines  Dramas,  nur 
lose  vorn  und  hinten  angeheftet,  oder  aber  sie  nehmen  derart 
überhand,  daß  dieser  Handlungskern  vollkommen  verdunkelt  wird. 
Die  besonders  im  englischen  Drama  Shakespeares  und  seiner  Zeit 
beliebte  Technik  des  Spiels  im  Spiel,  die  später  bei  unseren  Ro- 
mantikern wieder  so  stark  aufleben  sollte,  macht  sich  hierin  geltend. 
Allerdings  bewährt  sich  hier  aber  auch  wieder  der  Witz  des  Ver- 
fassers, indem  er  uns  wirklich  komische  Bemerkungen  und  Situa- 
tionen vorführt.  Aber  es  ist  alles  zersplittert  und  auseinander- 
gezogen, es  fehlt  die  gedrängte  Schlagkraft.  Die  witzige  Idee  wird 
zu  Tode  gehetzt.  Wir  finden  uns  daher  gelegentlich  auch  Szenen 
gegenüber,  die  in  ihrer  Ausdehnung  geradezu  langweilig  wirken,  wie 
im  1.  Akt  bei  der  Prüfung  der  eingereichten  Komödien.  Es  trägt 
auch  nicht  zur  allgemeinen  Heiterkeitswirkung  bei,  wenn  sich  der 
Schulmeister  Weise  geltend  macht,  indem  er,  wahrscheinlich  zur 
Belehrung  seiner  Schüler,  dem  Fabianus  eine  Menge  lateinischer 
Zitate  in  den  Mund  legt.  Dazu  sind,  bis  auf  die  Zentralfigur  des 
Bonifacius  Lautensack,  Kirchschreiber  zu  Bettelrode,  die  einzelnen 
Personen  des  Stücks  nur  schematisch  gezeichnet.  Eigentlich,  inter- 
essiert uns  nur  der  vielgeplagte  Bonifacius,  dessen  Charakterisierung 
allerdings  sehr  gut  geglückt  ist.  Er  gehört  zu  den  besten  Gestalten, 
die  Weise  geschaffen  hat, 

cc)  „Bäurischer  Machiavellus". 

Das  dichterisch  wertvollste,  wenn  auch  nicht  technisch  aus- 
gereifteste Lustspiel  Weises  ist  der  „Bäurische  Machiavellus",  der  am 
15.  Februar  1679  aufgeführt  wurde.  Es  ist  umrahmt  von  einem  steif- 
ledernen allegorischen  Spiel,  worin  nach  der  Ursache  der  Verderbtheit 
der  Menschen  gefahndet  wird.  Machiavellus,  der  angebliche  Anstifter 
alles  Bösen  auf  Erden,  beruft  sich  zu  seiner  Entlastung  auf  die 
Sittenverderbnis  der  Bauern,  die  ihr  Handeln  sicherlich  nicht  aus 
einer  Kenntnis  seiner  Schriften  herzuleiten  vermöchten.  Das  Stück 
ist  somit  ein  Bekenntnis  Weises  zu  der  ethisch -philosophischen 
Anschauung,  daß  Laster  wie  Tugend  den  Menschen  eingeboren  und 
nicht  erst  anerzogen  sind.  Er  glaubt  an  die  ursprünglichen  bösen 
Triebe. 

Diese  betätigen  sich  bei  der  Besetzung  der  freien  Pickelherings- 
stelle in  Querlequitsch.  Drei  Bewerber  haben  sich  eingefunden,  und 
jeder  hat  durch  Bestechung  und  sonstige  Versprechungen,  wobei 
insbesondere  heiratsfähige  Töchter  von  Gemeindeältesten  eine  Rolle 
spielen,  mindestens  eines  der  mehr  oder  minder  gewaltigen  Gemeinde- 
häupter auf  seine  Seite  gebracht.  Es  entwickelt  sich  nun  ein  köstliches, 
kraus    verschlungenes    Intrigenspiel,    in    dem    schließlich    der    ver- 


Christian  Weise:  Komödienproduktion:  „Bäurischer  Machiavellus".  IO9 


schlagene  Schulmeister  und  Konsulent  Scibilis  mit  seinem  Kandidaten 
und  Schwiegersohnprätendenten  Ziribiziribo  Sieger  bleibt,  nicht  ohne 
daß  auch  für  die  Kandidaten  der  andern  Gemeindeväter  gesorgt 
würde.  Es  ist  ein  Beweis  für  Weises  Kunst  der  Handlungsführung, 
daß  er  uns  trotz  der  verschlungenen  Verwicklung  das  Ziel  nicht  aus 
den  Augen  verlieren  läßt,  zugleich  aber  auch  für  seine  immer  wieder 
zu  beobachtende  Erfindungsgabe,  wie  er  es  versteht,  die  Verwicklung 
einzufädeln  und  stets  neue  Hindernisse  und  Lösungen  einzuschieben 
bei  absoluter  Bewahrung  des  realistischen  Darstellungsstils.  Weise 
zeigt  sich  hier  als  Vorläufer  Kotzebues,  mit  dessen  ,, Kleinstädtern" 
die  Idee  seiner  Querlequitscher  übereinstimmt.  Lustig  malt  er  uns 
das  egoistische,  feig  brutale  Treiben  der  PhiHster  ab  und  gibt  uns 
dadurch  eine  köstlich  humorvolle  Kultursatire  auf  eine  Philister- 
kleinstadt des  17.  Jahrhunderts.  Der  künstlerische  Eindruck  wird 
verstärkt  durch  die  Charakterisierungskraft  in  der  überraschenden 
Mannigfaltigkeit  der  auftretenden  Personen.  Neben  dem  Pantoffel- 
helden und  eingebildeten  Dorfschulzen  steht  eine  maulfertige,  die 
Gemeindeangelegenheiten  mitregierende  Xantippe  als  Ehehälfte.  Sein 
Gegner  im  Gemeinderat  ist  der  gewalttätige,  klingendem  Händedruck 
sehr  zugängHche  Landschöppe  Durandus.  Von  diesen  heben  sich 
dann  die  andern  armen  und  daher  schüchternen  Gemeindeältesten 
wirkungsvoll  ab.  An  Ränken  allen  überlegen  ist  aber  der  durchtriebene 
Schulmeister,  dessen  Gestalt  nur  leider  wieder  getrübt  wird  durch 
eine  Vermischung  seiner  Reden  mit  einer  Unmasse  von  Lateinzitaten. 
Der  pädagogische  Rektor  will  wieder  in  platter  Auslegung  des  Horaz 
das  Angenehme  mit  dem  Nützlichen  verbinden  und  seinen  Schülern 
dadurch  das  Latein  mundgerecht  machen.  Dazu  treten  noch  andere 
Typen,  wie  der  bramarbassierende  Soldat,  die  schwerfällige  Dorftrulle 
und  vor  allem  die  drei  Bewerber  um  das  Pickelheringsamt  selbst, 
die  gut  in  ihren  Charakteren  voneinander  abgetönt  sind.  Im  einzelnen 
läßt  es  Weise  allerdings  sehr  an  Motivierung  fehlen.  Darin  war  man 
zu  seiner  Zeit  nicht  kleinlich.  Es  ist  ein  ewiges  Hin  und  Her,  ein 
Auftreten  und  Abtreten,  eine  dauernde  Bewegung  verbunden  mit 
dauerndem  Wechsel  des  Schauplatzes,  was  schon  eine  entwickeltere, 
mehrteiligere  Bühne  voraussetzt. 

Im  ganzen  bleibt  uns  der  Eindruck  eines  lebendigen,  humorvoll 
aufgefaßten  und  mit  reicher  Komik  durchgeführten  Philisterlust- 
spiels, das  in  seinem  Realismus  wie  eine  heiterlustige  Idylle  wirkt. 
Zur  Technik  der  komischen  Figur  im  Drama  ist  vorliegendes  Lust- 
spiel bedeutsam  insofern,  als  das  Bestreben  Weises,  sie  in  den 
Handlungsverlauf  einzubeziehen,  hier  vollständig  durchgeführt  ist. 
Es  ist  komische  Ironie,  daß  in  einem  Stück,  dessen  Intrige  auf  der 
Idee  der  Besetzung  der  Pickelheringsstelle  aufgebaut  ist,  der  Pickel- 
hering seine  Selbständigkeit  verloren  hat,  gerade  deshalb,  weil  er 
selbst  zum  Mittelpunkt  der  Verwicklung  gemacht  wird. 


j  jO  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 


dd)  Weitere  Komödien. 

Von  den  andern  Lustspielen,  die  Weises  fleißige  Tätigkeit  uns 
liefert,  ist  von  besonderem  literarischen  Interesse  noch  „Der  nieder- 
ländische Bauer"  von  1685.  Hier  verarbeitet  Weise  das  Thema,  das 
uns  schon  aus  Hollonius'  „Somnium  vitae  humanae"  bekannt  ist. 
Mit  Shakespeares  Vorspiel  zur  „Zähmung  der  Widerspenstigen"  teilt 
sich  Weise  in  das  französische  Vorbild  von  Goutart  „Thresor  d'his- 
toires  admirables  et  merveilleuses  de  notre  temps".  Es  ist  ja  ein 
internationales  Motiv,  wie  Calderons  „Das  Leben  ein  Traum"  und 
Holbergs  auf  J.  Biedermanns  „Utopia"  beruhende  Komödie  „Jeppe 
vom  Berge"  beweisen.  Weises  Bearbeitung  hat  keine  besonderen 
(lichterischen  Qualitäten,  ihre  Stärke  liegt  in  der  Gestaltung  des 
Helden,  des  Bauern,  der  im  Mittelpunkte  steht. 

Wie  die  meisten  seiner  Stücke  offenbart  „Der  niederländische  Bauer" 
Weises  Neigung,  gangbare  Motive  literarischer  Tradition  zu  benutzen. 
Das  antike  Motiv  vom  gestohlenen  Schatz  und  dem  geizigen  Besitzer, 
berühmt  durch  Molieres  geniale  Verarbeitung  im  „Geizigen",  uns  aber 
auch  schon  im  Fastnachtspiel  bekannt  als  ein  altes  Mimusgut,  liegt  dem 
„Betrogenen  Betrug"  von  1690  zugrunde.  Der  bekannte  Typus  des  miles 
gloriosus  vermengt  mit  Shakepeares  Malvoliotyp  steht  uns  gegenüber 
in  dem  Titelhelden  des  lächerlichen  Schauspiels  vom  ,, großmäuligen 
und  wunderthätigen  Alfanzo"  von  1685.  Fastnachtspielartig  und  an  die 
Sünderreigen  erinnernd  mutet  „Der  politische  Quacksalber"  von  1684, 
eine  Art  Standes-  und  Berufsrevue,  an.  Es  macht  sich  überall  der  viel- 
belesene Polyhistor  geltend.   Ihm  war  ja  auch  bereits  Moliere  bekannt. 

2.  FRANZÖSISCHE  EINFLÜSSE. 

Inder  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  wurde  das  deutsche  Theater 
von  dem  englischen  Drama  beherrscht.  Seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts 
strömten  daneben  die  Einflüsse  von  den  Niederlanden,  von  Frankreich, 
von  Italien,  ja  selbst  von  Spanien.  Frankreich  erlebte  damals  gerade 
die  Blütezeit  seiner  klassischen  Dramatik.  Sein  Vorbild  sollte  nun 
bis  zur  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  Deutschland  unumschränkte 
Geltung  finden.  Die  Wandlung  der  Zeit  läßt  sich  schon  äußerlich 
in  den  Sammlungen  der  wandernden  Schauspielertruppen  erkennen, 
die  mit  Kriegsende  sofort  wieder  überall  auftauchen.  Im  Jahre  1620 
lautete  der  Titel:  „Engelische  Comedien  und  Tragedien".  Dieser  Titel 
ist  1624  wiederholt,  und  er  findet  sich  auch  noch,  wie  wir  gesehen 
haben,  im  „Liebeskampf"  von  1630,  obwohl  hier  schon  das  Ein- 
drängen des  italienischen  Schäferspiels  zu  beobachten  war.  Im 
Jahre  1670  finden  wir  eine  Reihe  der  in  diesen  Sammlungen  ent- 
haltenen Dramen  zusammen  mit  solchen  französischer  Herkunft  ver- 
bunden, aufgelegt  unter  dem  Titel:  „Schaubühne  Englischer  und 
Französischer   Comödianten,    auff   welcher  werden    vorgestellet   die 


Französische  Einflüsse.  III 


schönsten  und  neuesten  Comödien,  so  vor  wenig  Jahren  in  Franck- 
reich,  Teutschland  und  andern  Orten  bey  follkreicher  Versammlung 
seynd  agirt  und  praesentirt  worden.  Franckfurt.  In  Verlegung 
Johann  Georg  Schiele,  Buch -Händlers.  Im  Jahr  MDCLXX".  Wir 
begegnen  darin  einer  verhältnismäßig  großen  Zahl  Übersetzungen 
französischer  Originalstücke.  Außer  von  Ouinault  (3),  Thomas 
Corneille  (2),  Donneau  de  Vise,  Abbe  Bois-Robert  sind  allein  von 
^loliere  5  Stücke  vorhanden :  Amor  der  Arzt  (L'amour  medecin),  Die 
köstliche  Lächerlichkeit  (Les  Precieuses  ridicules),  Sganarelle  oder 
der  Hahnrei  in  der  Einbildung  (Sganarelle  ou  le  cocu  imaginaire), 
Der  Geitzige  (L'Avare),  Georg  Dandin  oder  der  verwirrete  Ehemann; 
die  beiden  letzten  Stücke  waren  schon  im  ,, Liebeskampf"  enthalten. 
Daraus  ist  ersichtlich,  wie  beliebt  das  französische  Drama,  und  zwar 
besonders  die  französische  Komödie,  die  gern  sich  in  ihren  Stoffen 
und  Motiven  an  die  Verwechslungs-  und  Verkleidungsstücke  Spaniens 
anlehnte,  auf  der  deutschen  Wanderbühne  war. 

Die  „Schaubühne"  aber  hat  keineswegs  ein  Monopol  für  ein 
Wanderbühnenrepertoire,  welches  diese  Sammlung  wohl  benutzte, 
aber  daneben  auch  über  andere  Übertragungen  verfügte.  Um  so 
größer  ist  die  Zahl  der  Bearbeitungen  französischer  Komödien. 
Rasch  nehmen  unter  ihnen  die  Stücke  Molieres  den  ersten  Rang  ein. 
Es  ist  nicht  erst  Veltens  Verdienst,  Moliere  in  Deutschland  ein- 
geführt zu  haben.  Auch  die  Wandertruppen  des  Paulsen,  des  Elen- 
son  spielen  ihn.  An  Stelle  der  üblichen  Singspiele  und  Kluchten 
werden  allmählich  die  lustigen  Farcen  Molieres  als  Nachspiele  auf- 
geführt. 1690  wurden  im  Laufe  von  zwei  Spielmonaten  in  Torgau  durch 
Veltens  Dresdner  Schauspieler  mindestens  neun  verschiedene  Stücke 
von  ihm  aufgeführt;  1694  erschien  eine  Übersetzung  Molierescher 
Komödien  in  Prosa  in  drei  Bänden,  die  schon  1695  eine  verbesserte 
und  1700  die  dritte  Auflage  erlebte;  1696  war  sie  um  einen  vierten  Teil 
vermehrt  worden.  Der  Titel  lautet:  „Histrio  GalHcus,  Comico-Satyricus, 
sine  exemplo.  Oder  die  überaus  anmuthigen  und  lustigen  Comödien 
des  fürtreflichen  und  unvergleichlichen  Königlich  Frantzösischen  Co- 
mödiantens  Herrn  von  Moliere".  Auf  Grund  einer  unbegründeten  Ver- 
mutung Ekhofs  erscheint  in  Literaturgeschichten  als  Name  des  Über- 
setzers Joh.  Veiten  (oder  Veitheim).  Dieser  bedeutende  Schauspiel- 
truppenführer konnte  seiner  Vorliebe  für  Moliereaufführungen  um  so 
leichter  gerecht  werden,  als  er  konsequent  Frauenrollen  durch  weib- 
liche Schauspieler  darstellen  ließ  und  gerade  dadurch  den  Reiz 
Molierescher  Komödien  besser  als  seine  altmodischeren  Kollegen  aus- 
schöpfte. Seine  Moliereaufführungen  trugen  viel  dazu  bei,  daß  die 
Kenntnis  Molieres  sich  in  Deutschland  so  rasch  ausbreitete. 

Dadurch  ist  es  auch  weiter  nicht  verwunderlich,  daß  der  drama- 
tisch so  stark  interessierte  Weise  den  genialen  französischen  Lust- 
spieldichter   schon     frühzeitig    kennenlernte.     Levinstein    hat    diese 


j  j2  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 


Kenntnis  im  einzelnen  nachgewiesen  in  seiner  Berliner  Dissertation 
von  1899  und  damit  zugleich  die  Nachwirkung  der  „Schaubühne"  von 
1670  aufweise  festgestellt.  Besonders  auffallend  ist  die  Einwirkung 
Molieres  auf  Weises  Lustspiel  „Der  verfolgte  Lateiner",  dessen 
Vorrede  vom  28.  Dezember  1695  datiert  ist.  Es  ist  fraghch,  ob  das 
Stück,  das  nicht  die  ausgedehnte  Personenzahl  der  gewöhnlichen 
Schuldramen  hat,  tatsächlich  aufgeführt  wurde,  obwohl  es  auf  Grund 
der  Straffheit  seiner  Handlungsführung,  der  geschickt  eingefädelten 
Verwicklung,  der  Satire  auf  den  sprachmengerischen,  hohlköpfigen 
Gelehrten  eine  Aufführung  wohl  verdient  hätte.  Es  ist  darin  das 
komische  Motiv  aus  Molieres  „Precieuses  ridicules"  verwertet,  daß 
zwei  abgewiesene  Freier,  um  den  sozialen  Dünkel  der  eingebildeten 
Bürgerschönen  lächerlich  zu  machen,  ihre  Diener  in  Adelskleidung 
stecken  und  sie  jenen  ins  Haus  senden.  Die  Damen  fühlen  sich 
sehr  geschmeichelt  durch  die  Huldigungen  der  vermeintlichen  Adligen 
und  nehmen  gern  teil  an  einem  von  diesen  arrangierten  Tänzchen. 
Dabei  erscheinen  die  Spottvögel  und  entlarven  die  adligen  Schwere- 
nöter zur  Beschämung  der  Dämchen.  Weise  hat  die  Komik  der 
Situation  gut  herausgearbeitet,  besonders  auch,  indem  er  den  einen 
der  verkleideten  Essenkehrer  durch  seine  Derbheit  immer  wieder  aus 
der  Rolle  fallen  läßt.  Zur  Erklärung  dieser  Entlehnung  brauchen  wir 
keine  direkte  Kenntnis  Weises  von  Moliere  anzunehmen.  Alles  für 
ihn  Wesentliche  hat  er  bequem  in  der  deutschen  Übersetzung  der 
„Köstlichen  Lächerlichkeit"  im  L  Bande  der  „Schaubühne  Englischer 
und  Französischer  Comödianten"  finden  können. 

3.  CHRISTIAN  REUTER. 

Es  wäre  aber  auch  möglich,  daß  Weise  dieses  Motiv  auf  einem 
weiteren  Umwege  kennengelernt  hätte.  Im  Jahre  1695  schrieb  Christian 
Reuter  seine  Komödie  „L'Honnete  Femme  Oder  die  Ehrliche  Frau 
zu  Plißine",  die  eine  persönliche  Satire  auf  seine  Leipziger  Wirtin 
Witwe  Müller  und  deren  Kinder  darstellt.  Darin  ist  ebenfalls  das 
Motiv  angewandt,  und  zwar  mit  stärkerer  Anlehnung  noch  an  Moliere 
bzw.  an  dessen  Übersetzung.  Reuters  Komödie  erregte  sofort  nach 
Erscheinen  das  größte  Aufsehen  in  Leipzig  und  trug  ihm  und  seinem 
Verleger  He3'^bey  eine  Beleidigungsklage  ein,  in  deren  Verlauf  sie 
beide  verurteilt  wurden. 

Unstreitig  hat  Reuter  Weises  Dramen  gekannt.  Er  ahmt  ihn 
nach  im  allgemeinen  realistischen  Kunststil  wie  in  der  ins  einzelne 
gehenden  Technik.  Er  selbst  äußerte  seinem  Verleger  gegenüber, 
daß  er  Redensarten  aus  Weise  entnommen  habe.  Reuter  steht 
durchaus  auf  den  Schultern  Weises.  Trotzdem  halte  ich  es  für  mög- 
lich, daß  Weise  in  diesem  Spezialfall  aus  Reuter  geschöpft  hat.  Die 
Erregung,  die  Reuters  Komödie  in  Leipzig  hervorrief,  war  so  stark, 


Christian  Reuter. 


113 


daß  Weise  wohl  davon  gehört  haben  mag.  Dies  scheint  um  so  wahr- 
scheinUcher,  als  er  mit  dem  strebsamen  Verleger  Heybey  auch  in 
Verbindung  stand  oder  doch  kurz  darauf  in  Verbindung  kam.  Heybey, 
der  bereits  1700  starb,  verlegte  Weises  „Augustini  et  Lutheranorum 
consensus".  Er  war  auch  der  Verleger  des  Joh,  Christoph  Wenzel, 
der  17 13  ein  Rektoratsnachfolger  Weises  in  Zittau  wurde.  Es  würde 
Weises  rascher  Schreibweise  wohl  entsprechen,  wenn  er,  durch  das 
Aufsehen  von  Reuters  Komödie  im  Oktober  angeregt,  deren  Idee  der 
Lächerlichkeit  sozialen  Dünkels  mit  eigener  Erfindungsgabe  in  einem 
selbständigen  Stück  bearbeitet  hätte,  wobei  er  das  Hauptmotiv  mit 
herübernahm.  Im  Dezember  ist  sein  Stück  fertig,  und  er  schließt  am 
28.  Dezember  die  Vorrede  ab.  Diese  ganze  Entstehungsart  würde  auch 
begreiflich  machen,  warum  er  diesmal  nicht  an  eine  Schüleraufführung 
mit  entsprechend  großer  Personenzahl  dachte.  Weises  dramatische 
Praxis  und  erfindungsreiche  Selbständigkeit  machten  ihn  allerdings  nicht 
zum  bloßen  Abschreiber,  dennoch  aber  ist  Christian  Reuters  Komödie 
künstlerisch  wertvoller  in  der  frischen  Lebendigkeit  des  kecken  Wurfs. 
Weise  hat  der  deutschen  Dramatik  das  bürgerliche  Milieu  erobert. 
Darin  bewegt  sich  natürlich  auch  Reuters  Komödie;  als  Pasquill  ge- 
dacht, beruht  ihre  Stärke  in  der  Schärfe  der  Beobachtung.  Frau  Schlam- 
pampe, ihre  beiden  Töchter,  der  Sohn  Schelmuffsky  sind  durch  eine 
Reihe  von  Charakterzügen  und  ihnen  eigentümliche  Redensarten,  die 
in  Leipzig  stadtbekannt  waren,  zu  lebenden  Personen  gestaltet.  Die 
Kunst  des  Studenten  Reuter  hat  volle  Anschaulichkeit  erreicht,  so  daß 
statt  verzerrter  Karikaturen  komische  Charaktere  lebenswahr  vor  unse- 
ren Augen  sich  bewegen.  Das  Stück  ist  daher  im  Unterschiede  zu 
dem  Weises  eher  eine  Charakter-  als  eine  Intrigenkomödie.  Die  Cha- 
raktere, obwohl  auf  persönliche  Eigenheiten  sich  gründend,  sind  zur 
typischen  Allgemeinheit  ausgeweitet,  so  daß  wir  nicht  mehr  nur  eine 
Satire  auf  die  Familie  Müller  erleben,  sondern  eine  satirische  Komödie 
des  über  seinen  Stand  in  hohler  Eitelkeit  hinausstrebenden  Bürger- 
tums. Es  ist  also  eine  Bürgersatire,  wie  etwa  neuerdings  die  Komödien 
Carl  Sternheims  ebenfalls.  Die  verwerteten  persönlichen  Züge  dienen 
nur  dazu,  die  typischen  Charaktere  individuell  zu  gestalten.  Damit 
ist  es  Reuter  gelungen,  in  dem  Zweig  der  Bürgersatire  den  Gipfel  der 
bisherigen  deutschen  Lustspielentwicklung  zu  erreichen.  Erleichtert 
wurde  ihm  das  dadurch,  daß  er  sich  an  Weise  und  Moliere  anlehnte. 
Wie  Weise  steht  er  unter  der  Nachwirkung  der ,, Schaubühne"  von  1670, 
und  beide  entnehmen  dem  Volksdrama  Motive.  „Laux,  ein  lustiger 
Bothe  aus  Hamburg"  als  Cursus  Germanus,  deutscher  Postläufer,  dem 
täglichen  Leben  entnommen,  ist  der  alte  Narrentyp,  dessen  Boten- 
eigenschaft bereits  im  Mittelalter  beliebt  war.  Reuter  überweist  ihm 
nach  dem  Schema  der  Pickelheringsspäße  ganze  Soloszenen.  Aller- 
dings ist  die  scharfe  Trennung  von  Kunst-  und  Volksdrama  zumal  auf 
dem  Gebiete  der  Komödie  längst  verwischt.   Wir  erkannten  dies  be- 

Holl,  Lustspiel.  8 


jl^  Siebzehntes  Jahrhundert:  Christian  Weise  und  Christian  Reuter. 

reits  in  der  Redaktion  des  „Liebeskampfs",  und  diese  Tendenz,  Literar- 
gut  zu  popularisieren,  Volksgut  zu  literarisieren,  hatte  schließlich  aus 
der  Komödie  eine  Art  Mischgattung  entstehen  lassen,  die  weder  Kunst- 
noch  Volksdrama  war,  und  gerade  diese  Mittelstellung  befähigte  sie 
dann,  realistische  Lebenskomik  zu  beobachten  und  zu  gestalten.  So 
bereitet  diese  Entwicklung  im  17.  Jahrhundert  bereits  die  realistische 
Komödie  des  18.  Jahrhunderts  vor.  Auf  dieser  Bahn  bedeutet  Reuter 
einen  Gipfelpunkt. 

In  der  dramatischen  Technik  ist  Reuter  allerdings  nicht  weit  über 
Weise  hinausgekommen.  Auf-  und  Abtreten  der  Bühnenfiguren  ist 
noch  wenig  oder  schlecht  motiviert.  Epische  Berichterstattung  statt 
dramatischer  Handlungsvorführung  lähmt  unser  Interesse,  besonders 
wenn  der  Bericht  inhaltlich  bereits  Bekanntes  nur  wiederholt.  Immer- 
hin entwickelt  sich  im  ganzen  die  Handlung  der  „Ehrlichen  Frau 
zu  Plißine"  frisch  lebendig  vor  uns  und  weiß  durch  die  witzige, 
lebenswahre  Charakterschilderung  unser  Interesse  immer  wieder  an- 
zuspannen. 

Christian  Reuter  hat  diese  zielbewußte  und  wirkungsvolle  Cha- 
rakterkomödie zu  der  bekannten  Reisebeschreibung  des  Aufschneiders 
Schelmuffsky  ausgearbeitet  und  damit  um  die  Gestalt  des  ältesten 
Sohnes  der  Gastwirtin  Witwe  Müller  den  besten  komischen  Roman 
des  17.  Jahrhunderts  geschrieben. 

Aber  auch  in  seiner  dramatischen  Tätigkeit  fährt  Reuter  fort  und 
verfaßt  1696  eine  Fortsetzung  der  „Ehrlichen  Frau",  die  unter  dem 
Titel  „La  Maladie  et  la  mort  de  l'honnete  Femme,  das  ist:  „Der 
ehrlichen  Frau  Schlampampe  Krankheit  und  Tod"  erscheint.  Der 
Charakter  dieser  Komödie  gleicht  dem  der  ersten.  Doch  teilt  sie 
das  allgemeine  Schicksal  von  Fortsetzungen  erfolgreicher  Literatur- 
werke, daß  sie  dem  Vorgänger  gegenüber  abfällt.  Wieder  ist  deut- 
lich der  Einfluß  Weises  und  Molieres  zu  verspüren.  Doch  lehnt 
sich  Reuter  diesmal  weniger  an  das  Kunstdrama  an  als  an  das 
Volksdrama.  Durch  die  groben  und  veräußerlichten  Spaße  des  Volks- 
dramas sucht  er  der  weiteren  dramatischen  Ausschlachtung  der  glück- 
lichen Idee  Leben  einzuhauchen.  Besonders  scheint  die  deutsche 
Verballhornung  von  Tassos  „Aminta  und  Silvia"  ihm  vorzuliegen, 
die  sowohl  im  „Liebeskampf"  als  auch  in  der  „Schaubühne"  von 
1670  enthalten  war.  Die  Technik  des  dramatischen  Aufbaus  ist 
schwächer,  die  epischen  Wiederholungen  zahlreicher  und  vor  allem 
die  Zentralfigur  des  Volksdramas,  der  Pickelhering,  stärker  betont. 
Allerdings  ist  Reuter  nicht  wieder  hinter  Weise  zurückgeschritten. 
Die  Verknüpfung  der  komischen  Figur  mit  der  Handlung  bleibt  be- 
stehen, doch  gegenüber  seiner  ersten  Komödie  hat  jetzt  der  Pickel- 
hering —  er  heißt:  „Lorentz,  Schlampampe  lustiger  Hauß-Knecht"  ^ 
einen  weit  größeren  Spielraum.  Alte  Narrenspäße  des  Volksdramas 
werden  herangezogen,  wie  das   bereits   aus  dem  Fastnachtspiel  be- 


Christian  Reuter. 


115 


kannte  Motiv,  wonach  der  Hanswurst  mit  einem  Uringlas  zum  Arzt  ge- 
schickt wird,  das  Glas  unterwegs  zerbricht  und  nun  ein  neues  Glas 
mit  eigenem  Wasser  dem  Arzt  darbietet  zur  Feststellung  der  Krank- 
heit von  Frau  Schlampampe.  Besonders  der  Schluß  der  Komödie, 
wo  Lorentz  am  Sarge  der  toten  Schlampampe  seine  Narrenpossen 
treibt,  ist  künstlerisch  geschmacklos.  Immerhin  steht  auch  diese 
Komödie  weit  über  dem  Durchschnitt  der  LustspielHteratur  der  Zeit. 

Den  beiden  Komödien  sind  noch  Singspiele  angehängt,  wie  sie 
unter  dem  Einfluß  der  englischen  Komödianten  von  Jacob  Ayrer  in 
die  deutsche  Literatur  eingeführt  wurden  und  im  Volksdrama  des 
17.  Jahrhunderts,  mit  dem  Harlekin  im  Mittelpunkt,  sich  dauernd 
lebendig  erhielten. 

Aus  dem  Jahre  lycx)  haben  wir  noch  ein  weiteres  Lustspiel  von 
Reuter,  der  dann  im  ersten  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts  sich  als 
fader  Festspieldichter  in  Berlin  selbst  degradierte.  Dies  Lustspiel 
,, Graf  Ehrenfried"  knüpft  wiederum  an  eine  lebende  Persönlichkeit  an. 
Friedrich  Zarncke,  der  in  sorgfältigster  Forscherarbeit  uns  über  alle 
Verhältnisse  und  Beziehungen  Reuters  und  seiner  dramatischen  Per- 
sonen aufgeklärt  hat,  gibt  uns  auch  über  die  historische  Grundlage 
des  „Grafen  Ehrenfried"  Aufhellung.  Diesmal  schildert  Reuter,  worauf 
schon  Zarncke  aufmerksam  macht,  die  Kehrseite  seiner  früheren 
Komödien.  Er  verlachte  das  Bürgertum,  das  eitel  über  seine  solide 
Grundlage  hinausstrebte,  jetzt  macht  er  den  Adel  lächerlich,  der  seine 
hohen  Ansprüche  nicht  ausfüllt.  Gespreizte  Nichtigkeit,  leerer  Schein 
liegen  der  Komik  zugrunde.  Es  ist  die  Komödie  des  großmäuligen 
Zwergs  in  der  Ritterrüstung,  des  Esels  im  Löwenfell.  Die  Satire  auf 
den  bettelstolzen  Adligen  Graf  Ehrenfried  ist  wohl  angeregt  durch 
die  lächerlichen  Marquis  Molieres.  Es  lebt  in  ihm  wieder  der  Typus 
des  Vincentius  Ladislaus  auf.  Hierin  zeigt  sich  wirksam  die  Tra- 
dition des  Volksdramas,  das  ja  immer  die  eitlen,  verliebten,  groß- 
sprecherischen, feigen  Gecken  zu  seinen  Lieblingen  zählte,  noch  von 
den  Zeiten  des  Mimus  her.  Reuter  vertieft  wieder  diese  typischen 
Züge  durch  lebenden  Personen  abgelauschte  Eigenheiten  und  Redens- 
arten und  schafft  dadurch  wiederum  eine  wirksame  Charakterkomödie. 
Doch  ist  die  Technik  noch  geringwertiger  als  in  „Frau  Schlam- 
pampes  Tod".  Die  Handlungsführung  ist  aufgelöst  in  komische 
Einzelepisoden,  die  Fickelheringsfigur  des  Courage  ist  noch  selb- 
ständiger geworden.  Interesse  hat  für  uns  die  Komödie  nur  durch 
die  gelungene  Charakterschilderung  des  Titelhelden  und  eines  rabu- 
listischen Rechtsverdrehers  sowie  durch  die  famose  Wirtshausszene 
in  der  Weinstube  des  lustigen  Johannes.  Hier  atmen  wir  Leben,  das 
über  die  typischen  Narrenspäße  hinaus  humorischen  Geist  verrät. 
Die  künstlerische  Höhe  seiner  Erstlingskomödie  erreichte  Reuter  nicht 
wieder,  aber  in  ihm  findet  das  17.  Jahrhundert  auf  dem  Gebiete  der 
Lustspieldichtung  einen  vielverheißenden  Abschluß. 


I  j  5  Siebzehntes  Jahrhundert :  Drama  und  Theater. 

VI.  DRAMA  UND  THEATER. 

Das  17.  Jahrhundert  ist  im  Gegensatz  zu  seinem  Vorgänger  ge- 
kennzeichnet durch  ein  Vorherrschen  des  Volksdramas  gegenüber  dem 
Kunstdrama,  einem  Vorherrschen  des  Theaters  gegenüber  dem  Drama. 
Aber  gerade  die  frische  Unbekümmertheit,  mit  der  sich  die  Wander- 
bühne ausländischer  —  holländischer,  französischer,  italienischer, 
spanischer  —  und  deutscher  Kunstdramen  bemächtigt  und  für  ihre 
Zwecke  herrichtet,  zeigt  bereits  eine  Tendenz,  die  Kluft  zwischen 
Volks-  und  Kunstdrama  zu  überbrücken.  Weiter  aber  haben  wir  be- 
obachtet, wie  besonders  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  das 
Drama  wieder  vorrückt  und  beginnt,  die  Eigenmächtigkeiten  des 
Theaters,  wie  sie  etwa  in  der  Selbständigkeit  der  komischen  Figur 
zum  Ausdruck  kommen,  einzudämmen.  Das  ausländische  Kunstdrama, 
das  Schäferspiel  und  auf  dem  Gebiete  der  Komödie  Moliere,  be- 
schneidet durch  seinen  Einfluß  die  Auswüchse  des  Theaters  und  be- 
wirkt einerseits  innerlich  eine  Vertiefung  in  psychologischer  Menschen- 
kenntnis und  anderseits  äußerlich  eine  stärkere  Ausbildung  drama- 
turgischer Technik. 

Die  besten  Erzeugnisse  der  Lustspielliteratur  verdanken  ihre  Wirk- 
samkeit der  Durchdringung  beider  Kunstarten,  des  Volks-  und  des 
Kunstdramas.  In  Weise  und  Reuter,  ja  schon  in  Gryphius,  erleben 
wir  Versuche,  beide  Kunstrichtungen  zu  verschmelzen,  und  sie 
haben  damit  die  Entwicklung  nahe  an  das  bürgerliche  Lustspiel  des 
18.  Jahrhunderts  hingeführt.  Aber  noch  ist  es  nicht  erreicht,  noch 
lebt  die  Stegreifposse,  es  bedarf  noch  sehr  wichtiger  Reinigungs- 
arbeit mit  Hilfe  des  Auslandsdramas,  bevor  wir  die  Blüte  der  sächsi- 
schen Komödie  und  mit  ihr  das  deutsche  Nationallustspiel  erleben. 


D.  ACHTZEHNTES  JAHRHUNDERT 

I.  DIE  SÄCHSISCHE  KOMÖDIE. 
I.  HANSWURSTTHEATER. 

Trotz  einzelner  Erfolge,  eine  Lustspielform  zu  finden,  ist  doch  das 
Kennzeichen  der  Gesamtlustspielliteratur  des  17.  Jahrhunderts  ihre 
Formlosigkeit.  Sie  ist  weniger  Lustspielliteratur  als  Lustspieltheater. 
Das  Stoffliche  hat  die  Vorherrschaft.  In  diesem  Stofflichen  kann  sich 
der  Hanswurst  nach  Herzenslust  und  zur  Herzensbelustigung  des 
Publikums  tummeln.  Solange  die  komische  Figur  die  Hauptrolle 
spielt  und  nicht  durch  geschriebenen  Text  gebunden  ist,  sondern  sich 
frei  den  Launen  und  Eingebungen  des  Augenblicks  überlassen  darf, 
kann  von  dichterischer  Form  nicht  die  Rede  sein.  Formung  kann 
natürlich  auch  nicht  erreicht  werden,  wenn  der  Hanswurst  immer 
wieder  die  gleichen  Spaße  anbringt,  wenn  sich  Überlieferungen  aus- 
bilden. Im  Grunde  unterscheidet  er  sich  nicht  vom  heutigen  Zirkus- 
clown. Er  bewegt  sich  in  ausgefahrenen  Gleisen,  wenn  er  auch  immer 
wieder  improvisatorisch  Beziehung  zu  seinem  augenblicklichen  Publi- 
kum nimmt. 

Der  Grundcharakter  ist  demnach  karikatur artig  übertriebener  Na- 
turahsmus  und  führt  zu  stehenden  komischen  Typen  mit  bleibenden 
Namen.  Diese  Benennungen  wurden  schon  im  17.  Jahrhundert  von 
ihrem  Träger  als  dem  Hauptdarsteller  seiner  Truppe  auf  diese  Truppe 
selbst  übertragen.  Im  18.  Jahrhundert  und  bis  ins  19.  Jahrhundert 
hinein  erhielt  sich  dieser  Brauch  mindestens  in  der  Weise,  daß  der 
Darsteller  der  komischen  Figur  einer  Schauspielertruppe  einen  bleiben- 
den Namen  sich  beilegte  und  dadurch  zum  Repräsentanten  eines  be- 
stimmten komischen  Typus  wurde,  der  von  ihm  nach  traditionellen  und 
eigener  Beobachtung  entspringenden  komischen  Einzelzügen  aufgebaut 
war.     Dafür  liefert  besonders  die  Wiener  Posse  zahlreiche  Beispiele. 

Trotz  ihres  naturalistischen  Grundcharakters  aber  wurden  solche 
Stücke,  vor  allem  durch  den  Schatz  der  Überheferung,  mit  Vorliebe 
zu  Phantastereien  ausgestaltet.  Diese  Neigung  zum  Wunderbaren, 
die  ihres  Ziels  der  Massenunterhaltung  ja  immer  sicher  ist,  wird 
schon  in  der  Sammlung  des  „Theätre  de  la  foire"  betont,  wie  ja 
überhaupt  die  damals  so  überaus  beliebten  Operntexte  ihr  Reich  fast 


Il8  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 


ausschließlich  im  Banne  phantastischer  Abenteuer  fanden.  Wenn 
der  als  Opernverfasser  überaus  fruchtbare,  berühmte  sächsische  Hof- 
poet Johann  Ulrich  von  Koenig  auf  dies  Stoffgebiet  zurückgreift,  in- 
dem er  in  der  „Verkehrten  Welt"  (1725)  ein  französisches  Singspiel 
bearbeitet,  so  ist  er  sich  seiner  Wirkung  ebenso  sicher  wie  der 
Bearbeiter  von  Legrand's  „Roi  de  Cocaigne",  der  seine  Abkunft 
aus  Gherardis  italienischem  Theater  herleitet.  Diese  Quelle  ist 
auch  das  Vorbild  des  bedeutenden  Wiener  Hanswurstdarstellers 
Stranitzky  und  anderer,  geringerer  Vertreter  seines  Fachs. 

Immer  wieder  kommt  das  Element  des  realistisch  beobachtenden 
und  karikierenden  alten  Mimus  neben  dem  des  Phantastischen  zur 
gleichmäßigen  Geltung.  Wenn  die  Gottsched -Neubersche  Reform 
diesem  Treiben  der  Harlekinspossen  ein  Ende  setzen  will,  so  wendet 
sie  sich  bewußt  gegen  beide  Zweige  ihrer  theatralischen  Betätigung. 
Das  „deutsche  Vorspiel"  der  Neuberin  von  1734  zeigt  uns  genügend, 
worin  die  abzuschaffenden  Mißbräuche  bestehen:  die  realistische  Ab- 
bildung der  Laster  und  menschlichen  Fehler,  die  leeren  Possen  und 
,,Zötgen",  das  Verstandlose  (das  Wunderbare?),  die  Wirkung  auf  die 
grobe  Lachlust,  also  das  Derb-Komische.  Wenn  die  Neuberin  das 
Phantastische  hier  nicht  direkt  erwähnt,  so  ist  dies,  wo  sie  die  Gnade 
des  Opern  begünstigenden  Dresdner  Hofes  nachsucht,  ohne  weiteres 
verständlich;  wir  vergessen  trotzdem  nicht  die  unbedingte  Ablehnung 
alles  Opernhaften,  der  verstandesmäßigem  Geschehen  hohnsprechen- 
den Zauberwelt  durch  den  strengen  Richter  Gottsched.  Die  Harlekins- 
possen sollen  abgeschafft  werden.  Von  diesen  „groben  Narrenpossen" 
der  Wandertruppen  trennte  ja  schon  1682  der  gelehrte  Daniel  Georg  Mor- 
hof  in  seinem  Unterricht  von  der  deutschen  Sprache  und  Poesie  scharf 
die,  den  in  Deutschland  noch  im  18.  Jahrhundert  beliebten  hollän- 
dischen Kluchten  verwandten,   edleren  Possenspiele  eines  Gryphius. 

Vorläufig  stehen  Narrenpossen  aber  noch  auf  dem  breiten  Boden  der 
Gunst  des  Publikums.  Sie  sind  die  wahren  Vertreter  des  Volksdramas, 
wobei  allerdings  stets  zu  beachten  ist,  daß  dies  Volksdrama  mit  viel 
größerer  Berechtigung  Volkstheater  hieße.  Und  auch  die  Silbe  „Volk" 
muß  hinsichtlich  des  nationalen  Ursprungs  der  aufgeführten  Stücke 
stark  eingeschränkt  werden.  In  ihnen  herrscht  die  komische  Inter- 
nationale, deren  dargestellte  realistische  Typen  und  phantastische 
Situationen  aus  allen  europäischen  Kulturländern  der  Zeit  gespeist 
werden.  England,  Frankreich,  Itahen,  Holland  und  darüber  hinaus 
Spanien  bieten  uns  Quellen  des  deutschen  Komödientheaters  am 
Anfange  des  18.  Jahrhunderts,  besonders  aber  ist  im  Verlaufe  des 
1 7.  Jahrhunderts  die  italienische  commedia  dell'arte  mit  ihren 
Maskentypen  nach  Deutschland  gedrungen. 

Diese  Quellen  fließen  auch  für  ausgeschriebene  Komödien,  deren 
Wesen  sich  von  den  Stegreifpossen  durch  nichts  anderes  als  durch 
das  fixierte  Wort  unterscheidet.    Auch  ihr  Kennzeichen  ist  daher  die 


Hanswursttheater.  —  Gottsched:  Christian  Friedrich  Henrici  gen.  Picander.  II9 


Formlosigkeit.  Ob  improvisiert  oder  ausgeschrieben,  bedienen  sich 
die  Komödien  der  Tradition,  die  sie  zugunsten  einer  schnell  vergäng- 
lichen Aktualität  mit  Anspielungen  auf  ihre  Umwelt  ausschmücken, 
wie  etwa  heutzutage  in  Operetten  Tageseinlagen  billigen  Triumph  auf 
der  Bühne  feiern.  In  dieser  Richtung  wußte  der  findige  Hofpoet 
Koenig  leicht  zu  wirken,  wie  in  der  erwähnten  „Verkehrten  Welt"  so 
auch  in  dem  damals  sehr  beliebten  „Dresdner  Schlendrian".  Tages- 
satire hat  ja  von  jeher  das  gleiche  Schicksal  schneller  Wirkung  und 
raschen  Erlöschens.  Die  ganze  Produktion  in  dieser  Richtung  ist 
daher  nur  noch  in  den  Massengräbern  geschichtlicher  Grundrisse 
aufzufinden.     Dichtung  enthält  sie  kaum. 

Aber  gerade  das  Moment  der  Aktualität  hat  doch  weiterreichende 
Bedeutung.  Es  schärft  den  Sinn  für  die  Wirklichkeit,  es  ist  Vor- 
bereitung für  die  Kunst  des  Realismus,  Wenn  das  deutsche  Lust- 
spiel sich,  unter  Ablehnung  der  ihm  in  germanischer  Art  wesens- 
gemäßen phantastischen  Traumwelt  eines  Shakespeare,  zur  bürger- 
lichen Realitätsschilderung  entwickelt,  so  mag  dies  eine  Machtprobe 
des  mächtig  erstarkenden  deutschen  Bürgerbewußtseins  sein.  Die 
Ursprünge  dieser  Entwicklungsbahn  aber  liegen  bereits  in  den  scharf 
beobachtenden,  improvisierenden  oder  ausgeschriebenen  Harlekins- 
komödien. Und  mit  ihnen  und  sie  selbst  befruchtend  ist  es  das 
französische,  das  romanische  Vorbild,  das  auf  die  Gestaltung  des 
deutschen  Lustspiels  bestimmenden  Einfluß  ausübt. 

2.  GOTTSCHED. 
a)  Christian  Friedrich  Henrici  gen,  Picander. 

Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  haben  wir  Christian  Reuter  als 
den  bezeichnendsten  Vertreter  dieser  Produktionsart  kennengelernt. 
Ihm  folgt  am  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  Christian  Friedrich  Henrici, 
genannt  Picander,  und  unser  Urteil  über  ihn  lautete  —  falls  wir  den 
braven  Bürger  nicht  besser  kennen  würden  und  seine  Lebensführung 
erst  aus  seinen  Lustspielen  erschließen  müßten  — ,  daß  er  sich  auch 
im  Leben  jenem  „genialen  Lumpen"  angeglichen,  ja  ihn  übertrumpft 
habe.  Sein  Lustspielton  ist  so  derb,  daß  er  auch  für  die  Ohren  der 
damaligen  Zuhörer  zu  stark  auftrug  und  daher  wohl  eine  Aufführung 
verbot.  Die  naturalistische  Tendenz  ist  im  Geschlechtlichen  zum 
Äußersten  getrieben.  Die  Neigung  der  Harlekinaden  zum  Gepfeffert- 
Saftigen  triumphiert  in  Henricis  Stücken:  „Der  Erzsäufer",  „Der 
akademische  Schlendrian",  „Die  Weiberprobe"  (1725),  Wenn  Henrici 
im  Vorwort  angibt,  er  habe  die  Stücke  „nach  dem  Geschmack  der 
Leipziger  Bühne"  geschrieben,  dann  war  es  allerdings  höchste  Zeit, 
daß  hier  Wandel  geschaffen  wurde. 

Dennoch  bedeutet  Henrici  einen  Fortschritt,  indem  er  in  der 
derben    Nur-Posse    schon    leichte    rührselige   Töne    anklingen    läßt. 


I20  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 


Wenn  wir  in  der  eindringenden  Rührseligkeit  als  solcher  auch  keinen 
Gewinn  erblicken  können,  so  bedeuten  diese  Ansätze  doch  einen 
Schritt  weiter  in  der  geschichtlichen  Entwicklung  dadurch,  daß 
neben  der  Beobachtung  des  äußeren  Geschehens  Anfänge  psycho- 
logischer Gefühlsentwicklung  auftauchen.  Deshalb  hält  auch  Schlen- 
ther,  wie  Gervinus,  Henrici  für  einen  Grenzstein.  „Er  steht  auf  dem 
Wege  vom  älteren  obersächsischen  Lustspiel  zum  Jüngern,  von 
Weises  Schulkomödien  zu  Gottscheds  Komödienschule,  von  Zittau 
nach  Leipzig".  Auch  darin  steht  ihm  Christian  Reuter  gleich,  ist 
ihm  aber  allerdings  in  dichterischem  Können  weit  überlegen.  Ihre 
zeitliche  Aufeinanderfolge  wäre  selbstverständlich,  wenn  die  Ironie 
der  Literaturgeschichte  nicht   beider  Jahreszahlen   vertauscht   hätte. 

b)  Theaterreform. 

Was  diese  Entwicklungsmöglichkeit  von  innen  heraus  nicht  ge- 
bracht hat,  suchte  nun  der  junge  Magister  Gottsched  (1700 — 1766)  von 
außen  hineinzutragen  durch  straffe  Theorie,  durch  Mithilfe  der  Neu- 
berschen  Schauspieltruppe,  durch  Übersetzungstätigkeit  seiner  Frau 
und  seiner  Freunde.  Schon  seit  Jahrzehnten  war  den  Patrioten  das 
schmutzige  Possenwesen  zuwider:  Morhof,  Schottelius,  Leibniz  haben 
sich  gelegentlich  dagegen  ausgesprochen. 

Zu  Gottscheds  Anfängen  hatte  auch  der  Schwabe  und  sächsische 
Hofpoet  Koenig  eine  gewisse  Reform  zur  Verfeinerung  der  zotigen 
Harlekinspossen  erstrebt,  wenn  er  diese  selbst  auch  nicht  von  der 
Bühne  verbannen  durfte.  Dies  hatte  Gottsched  ihm  bereits  mit 
dem  Ehrentitel  eines  deutschen  Molieres  gedankt.  Die  Neuberin 
hat  diese  Reformideen  des  Possenspiels  entschlossen  aufgegriffen 
und  verwertete  sie  in  ihrem  Existenzkampfe  gegen  ihren  Rivalen 
Müller.  In  ihrer  Bittschrift  an  den  sächsischen  Hof  vom  21.  April 
1734  betont  sie:  „Unsere  Bemühung  ist  überhaupt  iederzeit  dahin 
gegangen,  in  unsere  Vorstellungen  die  strengste  Moral  beyzubehalten, 
alle  leere  Possen  und  unerbare  Zweydeutigkeiten  zu  vermeiden,  und 
welches  der  eigentliche  und  vernünfftige  Endzweck  des  Schau 
Plazes  seyn  soll,  die  Zuschauer  nicht  sowohl  zum  Lachen  zu  reizen 
als  solche  zu  verbeßern".  Die  gleichen  Gedanken  haben  wir  in 
ihrem  „Deutschen  Vorspiele"  aus  demselben  Jahre  gefunden.  Sie 
scheint  sich  damit  deutlich  auch  an  die  Adresse  des  ihr  ungün- 
stigen, mächtigen  Hofpoeten  zu  wenden,  der  ebenfalls  in  der  „Ver- 
kehrten Welt"  Vernunft  und  Sittsamkeit  fordert,  der  im  „Dresdner 
Schlendrian"  ja  nicht  nur  das  Lächerliche  an  den  Pranger  stellen,  son- 
dern auch  das  Gute  an  den  Leuten  anerkennen  will.  Allerdings  ist 
seine  Reform  nicht  weit  gediehen.  Seine  Besserungsversuche  des 
Harlekins  blieben  im  Keime  stecken,  da  er  weder  das  künstlerische 
Talent  hatte  sie  auszuführen,  noch  die  menschhche  Kraft,  sie  am 
Hofe  durchzusetzen.     Und  da  es  schließlich  1730  über  seine  Opern- 


Gottsched:  Theaterreform.    Verbannung  des  Hanswurst.  121 

schriftstellerei  mit  Gottsched  zum  Bruch  gekommen  war,  da  konnte 
dieser  und  mit  ihm  seine  Verbündete  Neuber  nicht  mehr  auf  Koenigs 
Beistand  rechnen  bei  den  Versuchen  der  Theaterreinigung. 

Gottsched  fühlte  sich  aber  auch  Manns  genug,  die  Arbeit  zu 
leisten.  Ein  edler  Wille  beseelte  ihn,  er  war  ausgestattet  mit  all 
dem  geistigen  Rüstzeug,  das  ihm  die  damalige  Zeit  zu  seiner  Auf- 
gabe geben  konnte.  Darin  lag  begründet  seine  Stärke  wie  seine 
Schwäche.  Gottsched  war  Rationalist.  Alle  Kräfte  einer  ausgebildeten 
Verstandestätigkeit  stellte  er  in  den  Dienst  seiner  literarisch-theatra- 
lischen Reform.  Aber  es  blieb  Verstandestätigkeit.  Auf  allen  Ge- 
bieten seiner  ausgebreiteten  Reformbestrebungen  hat  stets  der  In- 
tellekt das  entscheidende  Wort,  so  auch  auf  dem  uns  hier  allein  be- 
rührenden Gebiete  der  Komödie.  Negatives  und  Positives  sucht  er 
zu  bewirken,  niederzureißen  und  aufzubauen.  Beides  muß  mit  Hilfe 
unbeugsamer,  zwingender  Regeln  geschehen.  Am  Anfang  seiner 
Reform  steht  ihm  nicht  künstlerisches  Erleben,  sondern  intellektuelles 
Durchdenken,  auf  Grund  dessen  er  zu  festgefügter  Theorie  kommt, 
die  ich  früher  in  einer  Abhandlung  zur  Geschichte  der  Lustspiel- 
theorie zusammenfaßte:  Die  Komödie  ist  ein  sozialer  Faktor  und  dient 
daher  einem  ethisch-didaktischen  Endzweck,  weshalb  sie  in  reaHstischer 
Naturnachahmung  mit  begründeter  und  konsequenter  Charakterschilde- 
rung deforme  bürgerliche  Typen  —  Moraltypen  —  als  lächerlich  ab- 
malt mit  Hilfe  gemäßigter  Sprache  und  freier  Diktion  und  sie  dar- 
stellt mit  phantasiefeindlicher,  naturalistischer  Technik  in  unbedingt 
gewahrter  Einheit  der  Handlung,  der  Zeit  und  des  Ortes. 

c)  Verbannung  des  Hanswurst. 

Diese  Theorie  galt  es  in  die  Praxis  umzusetzen.  Dazu  konnte 
Gottsched  sich  der  willkommenen  Hilfe  der  Neuberin  bedienen.  In- 
dem er  die  Bühne  in  den  Dienst  seiner  literarischen  Reform  stellte, 
konnte  er  diese  erst  fruchtbar  machen.  Zunächst  mußte,  wenn  seine 
Regel  Gültigkeit  haben  sollte,  alles  vom  Theater  vertrieben  werden, 
was  mit  ihr  nicht  übereinstimmte.  Es  durfte  im  Sinne  seiner  autori- 
tativen Regel  nicht  mehr  Literatur  und  Theater  geben,  sondern  nur 
noch  Literaturtheater.  Die  Kluft  mußte  überbrückt,  die  Seitensprünge 
eines  ungebundenen  Theaters  der  Stegreifpossen  mußten  abgestellt 
werden.  Der  Harlekin  in  seiner  Verstand  und  Moral  hohnsprechenden 
Schrankenlosigkeit  hatte  keine  Daseinsberechtigung  mehr.  Um  das 
Ende  seiner  buntscheckigen  hölzernen  Pritschenherrschaft  auch  äußer- 
Uch  zu  dokumentieren,  wurde  er  von  der  Neuberin  in  öffentlicher  Vor- 
stellung im  Oktober  1737  in  der  Bude  vor  dem  Grimmaischen  Tore 
zu  Leipzig  verbannt. 

Später  haben  sich  mit  guten  Gründen  beredte  Verteidiger  des 
Harlekins  gefunden.  1761  schreibt  Justus  Moser  seine  bekannte  Schrift 
„Harlekin  oder  Vertheidigung  des  Groteske-Komischen",  von  der  mir 


122  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 

eine  neue,  verbesserte  Auflage  aus  dem  Jahre  1777  vorliegt.  Die  hier 
sprechende  Anschauung  ist  in  ihrer  moralinfreien  Haltung  allerdings 
bereits  Ausdruck  einer  gewandelten  Zeit.  Lessing,  der  schon  in  der 
Verteidigungsschrift  des  Harlekins  angeführt  wird  als  „ein  Mann,  der 
Einsicht  genug  besitzt,  um  dermaleinst  mein  Lobredner  zu  werden", 
bekennt  sich  am  30.  Juni  1767  in  der  Hamburgischen  Dramaturgie 
unumwunden  dazu:  „Seitdem  die  Neuberin,  sub  auspiciis  Sr.  Magni- 
ticenz,  des  Herrn  Professors  Gottsched,  den  Harlekin  öffentlich  von 
ihrem  Theater  verbannte,  haben  alle  deutschen  Bühnen,  denen  daran 
gelegen  war,  regelmäßig  zu  heißen,  dieser  Verbannung  beizutreten 
geschienen.  Ich  sage  geschienen,  denn  im  Grunde  hatten  sie  nur 
das  bunte  Jäckchen  und  den  Namen  abgeschafft,  aber  den  Narren 
behalten.  Die  Neuber  selbst  spielte  eine  Menge  Stücke,  in  welchem 
Harlekin  die  Hauptperson  war.  Aber  Harlekin  hieß  bei  ihr  Hänschen, 
und  war  ganz  weiß,  anstatt  scheckigt  gekleidet.  Wahrlich  ein  großer 
Triumph  für  den  guten  Geschmack".  August  Wilhelm  Schlegel  endlich 
in  seinen  Vorlesungen  über  dramatische  Kunst  und  Literatur  meint 
unehrerbietig  und  historisch  auch  sicherlich  ungerecht,  der  Hanswurst 
habe  trotz  gelegentlicher  Plattheiten  immer  noch  mehr  Verstand  in 
seinem  kleinen  Finger  gehabt  als  Gottsched  in  seinem  ganzen  Leibe. 
Und  Gottsched  mußte  seines  Körpermaßes  wegen  den  Gardewerbern 
des  preußischen  Königs  entfliehen!  Mit  dem  dem  Romantiker  eigenen 
Sinn  fürs  Unsterbhche  des  Volkstümlichen  fällt  Schlegel  sein  Schluß- 
urteil: „Hanswurst,  als  allegorische  Person,  ist  unsterblich,  und  wenn 
man  ihn  noch  so  sicher  begraben  zu  haben  glaubt,  so  kommt  er 
unversehens  in  irgend  einer  gravitätischen  Amtskleidung  wieder  zum 
Vorschein". 

Creizenach  hat  in  die  verwickelten  Beziehungen  Gottscheds  und 
der  Neuberin  zu  der  vielerörterten  Verbannung  des  Harlekins  Klarheit 
gebracht.  Wenn  darnach  Gottsched  auch  nicht  direkt  die  Verbannung 
—  von  Lessing  als  größte  Harlekinade  bezeichnet  —  bewirkt  hat, 
so  stimmte  sie  mit  seinen  Reformgrundsätzen  doch  durchaus  überein. 
Diese  aber  sind  Wahrscheinlichkeit  und  Moral  als  Auswirkungen  eines 
absoluten  Verstandes. 

d)  Komödienvorbilder, 
aa)  Französische. 
Auf  Grund  dieser  Prinzipien  mußte  Gottsched  nun  für  die  be- 
fehdeten Harlekinspossen  Ersatz  bieten,  er  mußte  dem  Negativen  das 
Positive  gegenüberstellen.  Da  er  von  festgefügter  Theorie  aus  dedu- 
ziert und  nicht  aus  Erfahrungen  induziert,  so  konnte  ihm  seine 
Kenntnis  deutscher  Lustspielentwicklung,  auch  wenn  sie  tiefer  ge- 
wesen wäre  als  sie  trotz  ihrer  Weite  tatsächlich  war,  kein  Vorbild 
geben.  Er  suchte  es  daher  im  Auslande  und  fand  es  in  Frankreich. 
Ihm  geschah  nicht  das  Wunder,  daß  er  ausging  eine  Eselin  zu  suchen 


Gottsched:  Komödienvorbilder:  Französische.    Englische.  123 

und  fand  ein  Königreich.  Er  ging  mit  Scheuklappen  bewehrt.  Er 
fand  nicht  Moliere,  der  ja  schon  längst  im  deutschen  Theater  nicht 
mehr  unbekannt  war,  der  aber  seiner  Regelhaftigkeit  durchaus  nicht 
ohne  Abstriche  zusagte.  Nie  hätte  er  ihn  als  unbedingtes  Muster 
aufgestellt,  als  solches  galten  ihm  der  geistreiche  Regnard,  der  sitten- 
schildernde Dufresny,  der  weiche  Destouches,  der  gefühlskundige 
Marivaux. 

Diese  Namen  bedeuten  ein  Programm,  ein  Programm  wie  es  dem 
unbedingten  Rationalisten  allein  angemessen  war.  Deren  Komödien 
sind  bis  ins  einzelne  sorgfältigst  durchdachte  Kunstwerke,  die  ihren 
intellektuellen  Mechanismus  nur  durch  die  spielerische  Leichtig- 
keit ihrer  Form  verdecken.  Alles  ist  bis  ins  kleinste  berechnet; 
es  ist  nicht  Gefahr,  daß  sich  plötzliche  Seelentiefen  auftun  wie  bei 
Moliere,  von  dem  Goethe  sagt:  „Es  ist  ein  Mann  für  sich,  seine 
Stücke  grenzen  ans  Tragische,  sie  sind  apprehensiv,  und  niemand 
hat  den  Mut,  es  ihm  nachzutun";  es  ist  auch  nicht  die  Gefahr  wie 
ebenfalls  bei  dem  unbequemen  Moliere,  daß  die  ruhige  Heiterkeit 
plötzlich  in  derber  Possenlust  auflacht.  Der  ganze  Handlungsablauf 
hält  sich  in  einem  verstandesmäßig  zu  erfassenden  Mittelmaß  und 
dient  trefflich  zur  Sittenschilderung  und  damit  vermeintlich  zur 
Sittenbesserung.  All  die  Forderungen  seiner  rationalistischen  Theorie 
fand  Gottsched  in  dem  französischen  Vorbild  erfüllt. 

Strenggenommen  ist  allerdings  für  den  Deutschen  nur  ein  Teil 
des  französischen  Vorbilds  maßgebend,  der  intellektuell  zu  begreifende. 
Das  ästhetisch-sinnliche  Erbe,  das  die  romanischen  Völker  der  Antike 
entnommen  hatten  und  das  erst  ihre  stark  intellektualisierten  Dicht- 
werke des  17.  Jahrhunderts  im  pathetischen  Schwung  des  Barock 
zur  Höhe  wahrer  Kunst  erhob,  blieb  dem  Deutschen  unverständlich, 
weil  er  es  nicht  mit  dem  Verstände  begreifen  konnte,  sondern  es  nur 
nachlebend  hätte  erfühlen  können.  Von  dem  Aesthetisch-Sinnlichen, 
dem  Anschaulichen,  ist  scharf  zu  trennen  das  Sexuell-Sinnliche,  das 
auf  die  Spitze  getrieben  wurde  in  jener  unter  dem  Regime  des 
Louis  XV.  dann  erst  voll  erblühenden  pikanten  Rokokokunst.  Dieses 
geschlechtliche  Element  konnte  intellektuell  begriffen  werden  und  fand 
daher  auch  schnell  Herübernahme  in  die  deutsche  Produktion,  um 
nur  um  so  derber  und  zotiger  zu  wirken,  weil  das  Spielerisch- 
Künstlerische  des  Aesthetisch-Sinnlichen  der  französischen  Rokoko- 
kunst dem  Deutschen  fremd  bheb. 

bb)  Englische. 

Zu  dem  französischen  Vorbild  trat  dann  noch  das  englische  der 
Restorationskomödie.  Sie  ist  mit  Recht  comedy  of  manners  genannt 
und  hat  ihren  Vorläufer  bereits  zu  Shakespeares  Zeiten  noch  am  Ende 
des  16.  Jahrhunderts.  Aber  ihre  eigentliche  Prägung  hat  sie  doch 
erst  durch  das  französische  Urbild  erhalten.    Die  Restorationskomödie 


124  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ist  ihrem  Wesen  nach 
durchaus  romanisch  und  baut  sich  auf  spanischer  Intrige  und  fran- 
zösischer Dialogführung  auf.  Ihr  Wesen  ist  Abbild  der  herrschenden 
Sitten  der  oberen  Klassen.  Diese  waren  in  England  nicht  weniger 
als  in  Deutschland  das  vergröberte  Abbild  des  französischen  Hofes 
zu  Versailles.  Die  Ironie  war,  daß  die  Komödien  in  der  Vergröberung 
dieser  Vergröberung  realistisch  zu  sein  glaubten  und  nicht  etwa  kari- 
kierende Übertreibung  erstrebten.  Sie  überboten  die  tatsächliche 
Unmoral  der  Gesellschaftssitten  und  glaubten  das  Leben  in  seiner 
Wahrheit  abzuschildern. 

Ihre  Hauptstärke  war  nicht  Charakterwiedergabe  —  darin  ver- 
sagten sie,  da  sie  durchaus  an  der  Oberfläche  hängen  blieben  — , 
sondern  der  witzige  Dialog.  Nur  zum  Zwecke,  diesen  zu  gestalten, 
werden  moralische  Charaktertypen  ausgewählt.  Es  erscheinen  daher 
keine  wirklichen  Menschen  vor  uns,  sondern  Schemen,  die  nur 
im  Dialoge  Leben  erhalten.  Nur  dadurch,  daß  wir  rein  intellektuell 
gefesselt  werden,  ohne  daß  es  uns  bewußt  wird,  daß  die  Sprecher 
der  witzigen  Unmoralitäten  Menschen  vorstellen  sollen  mit  sittlichem 
Verantwortlichkeitsgefühl,  können  wir  sie  erträglich  finden  und 
stimmen  mit  ein  in  das  lustige  Lachen,  das  den  letzten  Rest  sitt- 
lichen Bedenkens  hinwegspült.  Wenn  beim  historischen  Rückblick 
sich  die  Reflexion  wieder  einstellt,  dann  erstaunen  wir  allerdings 
über  die  moralischen  Tiefen  und  Untiefen,  die  damals  einem  sich 
gebildet  dünkenden  Publikum  geboten  werden  durften  und  des 
uneingeschränkten  Beifalls  gerade  deshalb  sicher  waren,  weil  sie 
ein  Abbild  der  Wirklichkeit  zu  sein  vorgaben.  Von  Dryden  bis 
Farquhar  mit  Wycherley  und  vor  allem  Congreve  als  Häuptern, 
Etherege,  Shadwell,  Vanbrugh  als  kleineren  Geistern  sind  sie  alle 
Vertreter  desselben  Typus  der  comedy  of  manners,  Sittenkomödie, 
die  besser  Unsittenkomödie  hieße. 

Mit  der  Regierung  der  Königin  Anna  setzt  dann  in  England  eine 
Moralisierungsperiode  puritanischen  Ursprungs  ein,  die  ihren  Nieder- 
schlag auch  in  der  Komödie  findet.  Addison  und  Steele,  die  Be- 
gründer der  moralischen  Wochenschriften,  betätigen  ihr  prediger- 
haftes Sittenlehren  auch  in  der  Komödie.  Der  freie  ungebundene 
Witz  der  Restorationskomödie  versiegt  und  macht  der  Langeweile  Platz. 
Zur  Sittenverderbnis  tritt  Moralprüderie  und  läßt  die  ganze  Atmosphäre 
noch  angefaulter  erscheinen;  Derbheit  wird  Lüsternheit,  die  Zote 
triumphiert. 

cc)  Destouches. 

Dies  war  aber  gerade  der  Geist,  der  nun  in  Frankreich  willkommen 
war.  Das  offene  Eingeständnis  der  Sittenlosigkeit,  wie  es  allen- 
falls absolutistischem  Herrenstandpunkt  entsprechen  konnte,  mußte 
der  tugendhaften  Geste  Platz  machen,  wenn  damit  die  Sitten 
selbst  auch  nicht  gebessert  wurden.     Dies  lernt  Destouches  in  Eng- 


Gottsched:  Komödieavorbilder :  Destouches.    Gottscheds  Komödienreform.  I25 


land  und  bringt  die  Frucht  seiner  englischen  Erfahrungen  mit  nach 
Frankreich.  Es  ist  ein  Symbol,  daß  der  einstige  Verfasser  der 
,,Triple  mariage"  und  des  „Obstacle  imprevu"  jetzt  den  „Drummer" 
Addisons  als  „Tambour  nocturne"  übersetzt  und  bearbeitet.  Die 
lehrhafte  Nützlichkeitsästhetik  im  Moralsalbaderton  wird  der  franzö- 
sischen wie  englischen  sittenlosen  Sittenkomödie  aufgepfropft.  Der 
Verlust  des  Witzes  soll  durch  den  Gewinn  des  Rührenden  aus- 
gegHchen  werden,  an  die  Stelle  des  Komischen  tritt  das  Sym- 
pathische. Mit  Recht  hat  man  darauf  hingewiesen,  daß  das  End- 
urteil des  alten  Grafen  in  Destouches'  „Glorieux":  „Mon  fils  a  le 
coeur  bon,  cela  repare  tout"  auf  alle  Helden  dieser  Komödiengattung 
neuen  Stils  anzuwenden  ist.  Wie  Addison  und  Steele  in  England,  so 
ist  Destouches  in  Frankreich  der  Vater  der  ernsthaften  Komödie. 

Dieser  Destouches  ist  nun  für  Gottsched  der  bedeutendste  Ver- 
treter der  Komödie,  die  er  in  Deutschland  einbürgern  möchte.  „Die 
edle  Art  der  Lustspiele  des  Destouches"  stellt  er  höher  als  die  bis- 
weilen ,, niedrigen  Moliereschen  Comödien".  Es  war  ihm  aus  der 
Seele  gesprochen,  wenn  er  in  der  Vorrede  zum  ,, Glorieux"  las,  daß 
Destouches  sich  die  Aufgabe  gestellt  habe  „ä  epurer  la  scene,  la 
purger  de  ces  frivoles  saillies,  de  ces  debauches  d'esprit,  de  ces  faux 
brillants,  de  ces  sales  equivoques,  de  ces  fades  jeux  de  mots,  de 
ces  moeurs  basses  et  vicieuses  dont  eile  a  ete  souvent  infectee,  et 
ä  la  rendre  digne  de  l'estime  et  de  la  presence  des  honnetes  hom- 
mes".  Im  Jahre  1740  glaubte  er  dasselbe  von  sich  sagen  zu  dürfen 
in  seiner  Ankündigung  der  „Deutschen  Schaubühne",  wenn  er  von 
dem  neuen  deutschen  Lustspiel  meint:  „Wie  auch  dieses  von  dem 
alten  Wust  gereinigt  und  soweit  gebracht  worden,  daß  man  auf  der 
Neuberschen  Bühne  weder  den  Harlekin,  noch  Skaramuz,  noch  die 
anderen  Narren  der  Welschen  mehr  sieht,  die  doch  Moliere  in  seinen 
Komödien  nicht  gänzlich  vermieden".  Schon  aus  dieser  Ankündi- 
gung, in  der  er  neben  Übersetzungen  auch  Originalarbeiten  ein- 
fordert, geht  aber  hervor,  daß  für  Gottsched  die  Übersetzungen  und 
Bearbeitungen  ausländischer  Vorbilder  keineswegs  Selbstzweck  waren, 
sondern  Mittel  zum  Zweck.  Um  überhaupt  seine  Reform  durchführen 
zu  können,  mußte  er  Muster  aufstellen.  Die  Auswahl  dieser  Muster 
konnte  bei  ihm  nicht  zweifelhaft  sein. 

e)  Gottscheds  Komödienreform. 

Es  gibt  im  Grunde  trotz  zahlreicher  Spielarten  nur  zwei  Richtungen 
des  Lustspiels,  entweder  es  ist  phantastisch  im  Stile  Shakespeares, 
oder  es  ist  realistisch  im  Stile  Molieres.  Shakespeare  kannte  Gott- 
sched nicht,  das  Phantastische  lehnte  der  nur  die  Oberfläche  der 
Dinge  sehende  Rationalist  als  opernhaft  ab.  Es  blieb  ihm  die  rea- 
listische Komödie,  die  er  allerdings  nicht  im  Sinne  des  Menschen- 
ergründers Moliere,  sondern  im  Sinne  von  dessen  französischen  und 


126  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

englischen  an  der  Oberfläche  haftenden  Epigonen  faßte.  Die  rea- 
listische Komödie  ist  aber  eine  dichterische  Spiegelung  der  tatsäch- 
lichen Welt  in  ihren  menschlichen  Vertretern.  Die  phantastische 
Komödie  hält  sich  in  erster  Linie  an  die  Handlungen,  sie  sind  ihr 
ein  Ausschnitt  des  Welttreibens  im  ganzen  und  spiegeln  daher  das 
Weltsein  unmittelbar.  Die  realistische  Komödie  dagegen  hält  sich  in 
erster  Linie  an  die  Personen,  sie  sind  in  ihrer  körperlichen  Ab- 
geschlossenheit am  ehesten  als  Wirklichkeit  zu  erfassen.  Der  Sinn 
des  Weltseins  ergibt  sich  aus  deren  im  Metaphysischen  wurzelnden 
Charakteren.  Die  phantastische  Komödie  geht  aus  von  dem  Geschehen, 
die  realistische  Komödie  von  dem  im  Menschen  verkörperten  Geist. 
Sie  braucht  daher  mehr  als  jene  ein  nationales  gesellschaftliches 
Milieu,  eine  Gesamtheit  Standes-  oder  klassenbewußter  Vertreter,  um 
ihrer  Abspiegelungsaufgabe  Breite  und  Tiefe  verleihen  zu  können. 

Ein  solches  Milieu  mit  Nationalcharakter  gab  es  aber  zu  Beginn 
des  1 8.  Jahrhunderts  in  Deutschland  schlechterdings  nicht.  Der  Adel 
und  die  Höfe  waren  durchaus  ausländisch  gesinnt  ohne  jedes  vater- 
ländische Bewußtsein,  der  Bürgerstand  äffte  entweder  die  oberen 
Klassen  nach,  oder  er  war  in  Roheit  versunken.  Nationales  Gesell- 
schaftsbewußtsein fehlte  dem  Bürger.  Es  ist  erstaunlich,  wie  schnell 
es  sich  dann  entwickelte.  Solange  es  aber  nicht  vorhanden  war, 
mußte  auch  jeder  Versuch,  eine  deutsche  bürgerliche  Komödie  zu 
erzwingen,  fruchtlos  bleiben,  da  sie  weder  Stoff  zur  Gestaltung 
noch  Gehalt  zur  Durchdringung  hatte,  noch  auch  Resonanzboden 
vorfand.  Daran  mußte  Gottscheds  Komödienreform  scheitern.  Er 
wollte  ein  nationales  Lustspiel  schaffen  und  blieb  am  Internationalen 
haften.  Mit  den  Übertreibungen  des  Harlekins  hatte  er  auch  dessen 
volkstümlichen  Kern  vernichtet  —  soweit  er  sich  vernichten  ließ. 

Vor  allem  aber  war  seine  Reform  deshalb  zum  Scheitern  verurteilt, 
weil  er  Dichterisches  mit  undichterischen  Mitteln  erstrebte.  Ihm  ordnet 
begreifendes  Denken  die  Komödien,  sie  sind  nicht  gestaltet  durch 
inneres  Erleben.  Die  Komödien  sind  nichts  anderes  als  in  Dialog- 
form gebrachte  Kapitel  aus  rationalistischen  Lehrbüchern  der  Welt- 
weisheit. Die  Kunst,  Komödien  zu  schreiben,  ist  lernbar  und  lehr- 
haft. Daraus  ist  ihr  Wesen  zu  verstehen  und  zu  beurteilen.  Der 
Rationalismus  gibt  ihnen  ihr  Gepräge.  Und  wenn  der  Verbreiter 
des  Rationalismus,  Christian  Wolff,  als  typischer  Kopfphilosoph  an- 
gesprochen wurde,  so  sind  die  Komödienschreiber  ä  la  Gottsched  die 
typischen  Kopfdichter.  Sie  sind  vollkommen  mit  Wolff  einverstanden, 
daß  aus  der  Erkenntnis  direkt  das  Lustgefühl  entspringe:  ex  cogni- 
tione  nascitur  primum  voluptas.  Kunst  ist  Können.  Sie  hätten  den 
Satz  Hans  Thomas:  „Das  Gefallen  ist  wichtiger  als  das  Verstehen", 
gerade  umgekehrt.  Die  Errungenschaft  von  Leibniz:  „Le  goüt  distin- 
gu^  de  l'entendement  consiste  dans  les  perceptions  confuses,  dont 
on  ne  saurait  assez  rendre  raison.    C'est  quelque  chose  d'approchant 


Gottsched:  Gottscheds  Komödienreform.  127 


de  l'instinct",  diese  Errungenschaft  war  zum  Schaden  der  deutschen 
Aesthetik  durch  WolfF  wieder  verlorengegangen. 

Die  Komödie  Gottscheds  ist  keine  Lebensspiegelung,  aus  dem  per- 
sönlichen Erleben  nationalbewußter  Bürger  heraus  gestaltet;  sie  ist 
ein  atomistisches  Abmalen  der  Umgebung  mit  Hilfe  des  Intellekts, 
wie  es  etwa  auch  in  der  epischen  Naturschilderung  eines  Brockes 
geübt  wird.  Doch  ist  diese  intellektuelle  Tätigkeit  nicht  in  sich  selbst 
beschlossen,  sie  ist  kein  künstlerischer  Naturalismus,  der  ein  Stück 
Natur  durch  ein  künstlerisches  Temperament  sieht  und  als  Einheit 
wiedergibt,  sondern  sie  ist  zweckbestimmt.  Die  moralische  Teleo- 
logie  des  Rationalismus  gibt  der  Komödie  ihren  Charakter.  Die  ratio- 
nalistische Komödie  soll  Moral  lehren.  Dazu  wird  die  Umwelt  auf 
ihre  Tugenden  und  Laster  beobachtet  und  gleichsam  ein  Zettelkasten 
des  Beobachteten  angelegt.  Auf  irgendeine  besondere  moralische 
Eigenschaft  mit  negativem  Vorzeichen  wird  dann  eine  Fabel,  vorhan- 
den oder  erfunden,  angepaßt.  Daraus  entsteht  nach  vorgeschrie- 
bener Oekonomie,  „Einrichtung",  die  Komödie.  Offensichtlich  ergibt 
dieser   Werdegang    eher    Charakterkomödien    als    Intrigenkomödien. 

Allerdings  ist  bei  dieser  Benennung  wieder  die  Auffassung  der 
Zeit  über  Charakter  zu  berücksichtigen.  Charaktere  im  heutigen, 
eigentlich  erst  durch  Herder  geprägten  Sinne,  sind  es  natürlich 
nicht.  Es  sind  sogenannte  moralische  Charaktere,  d.  h.  Träger  einer 
hervorstechenden  moralischen  Eigenschaft.  Bis  Lessing  werden  ja 
im  1 8.  Jahrhundert  moralische  und  persönliche  Charaktere  scharf  ge- 
schieden. Um  ein  Beispiel  anzuführen,  sei  die  durchaus  nicht  origi- 
nale Definition  Bodmers  erwähnt,  wonach  moralische  Charaktere  „uns 
den  Menschen  in  einer  einzigen  absonderlichen  Gemütsbeschaffen- 
heit geben,  welche  ihn  zu  einer  gewissen  Tugend  oder  einem  Laster 
lenket",  während  persönliche  „viel  vermengter  und  aus  mehreren  Ge- 
mütseigenschaften zusammengesetzt  und  insgemeine  mittelmäßig  sind". 

Die  Richtung  dieser  Art  moralischer  Charakterkomödien  wurde 
noch  durch  das  ausländische  Vorbild  gestärkt,  und  wie  sehr  sie  ge- 
pflegt wurde,  beweisen  bereits  die  Titel  der  damaligen  Komödien: 
Destouches'  „Verschwender"  übersetzt  von  der  Gottschedin,  Dufresnys' 
„Spielerin"  übersetzt  von  Straube,  Dufresnys'  ,,Widersprecherin"  über- 
setzt von  der  Gottschedin,  „Der  geschäftige  Müßiggänger"  von  Joh. 
Elias  Schlegel,  „Der  Hypochondrist"  von  Quistorp,  „Der  Unemp- 
findliche" von  Uhlich,  „Herr  Witzling"  von  der  Gottschedin,  „Der 
Gefällige",  „Der  Ruhmredige",  „Der  Neugierige",  „Der  Undankbare", 
„Der  Unschlüssige",  „Der  Verläumder",  „Der  Ehrgeizige",  „Der  Ver- 
wirrungsstifter", „Der  Rachsüchtige"  —  alle  nach  Destouches,  und 
diese  Liste  könnte  nach  Belieben  in  Übersetzungen  und  Original- 
lustspielen erweitert  werden.  Solche  moralische  Charakterkomödien 
sind  aber  ihrem  Wesen  nach  international,  denn  die  darin  vorgestell- 
ten Moraltypen  sind  an  sich  international,  und  da  ihnen  in  Deutsch- 


J28  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 


land  das  national-  und  standesbewußte  Milieu  als  Pflanzgrund  fehlte, 
so  blieben  sie  es  trotz  aller  künstlichen  Eindeutschungen.  Mag  noch 
so  viel  Beobachtung  darin  verarbeitet  sein,  im  Grunde  sind  sie  gleich 
jenen  verpönten  Harlekinspossen,  ohne  deren  volkstümlichen  Kern 
zu  besitzen,  internationaler  Tradition  angehörig.  Der  Unterschied  ist 
der,  daß  jene  komische  Typen,  diese  moralische  darstellen. 

Für  den  Augenblick  aber  war  mit  der  geforderten  und  durchgeführten 
Regelmäßigkeit  des  dramatischen  Baues  Positives  erreicht  und  gerade 
deshalb  erreicht,  weil  der  Reformator  sich  im  Bereich  des  Möglichen  und 
Erreichbaren  hielt.  Mit  den  schönsten  Regeln  konnte  kein  dichterisches 
Erleben  geschaffen  werden,  aber  verstandesmäßigem  Erlernen  waren 
die  gangbaren  Wege  gezeigt.  Dr3^dens  Wort  bewahrheitet  sich:  ,,Now 
what,  I  beseech  you,  is  more  easy  than  to  write  a  regulär  French 
play,  or  more  diff"icult  than  to  write  an  irregulär  English  one,  like  those 
of  Fletcher  or  of  Shakespeare?"  Und  es  entstand  tatsächlich  neben 
den  Übersetzungen  eine  ganze  Reihe  von  Originallustspielen,  die  alle 
der  langen  internationalen  dramaturgischen  Praxis  entsprachen,  wo- 
nach Tragödien  Nachahmungen  von  Handlungen,  Komödien  Nach- 
ahmungen von  Personen  sind,  wobei  dem  Grundsatz  des  herrschen- 
den RationaHsmus  entsprechend  überall  der  Verstand  das  ordnende, 
regelnde,  gliedernde  und  zusammensetzende  Prinzip  ist. 

Da  die  Form  nicht  aus  dem  Innern  heraus  entstand,  sondern  von 
dem  berechnenden  Verstand  von  außen  aufgeprägt  ist,  so  gleichen 
sie  sich  —  von  der  Verschiedenheit  der  Stoff"e  abgesehen  —  alle  wie 
ein  Ei  dem  andern.  Ein  Stück,  willkürlich  ausgewählt,  läßt  die  Technik 
aller  erkennen.  Fünfzahl  der  etwa  gleichlangen  Akte  mit  unbedingter 
Bewahrung  der  bekannten  Einheiten  und  Höhepunkt  im  dritten  Akt, 
der  Schauplatz  innerhalb  der  Akte  nie  leerbleibend,  neu  auftretende 
Personen  stets,  wenn  auch  in  oberflächlichster  Weise:  „Da  kommt  — " 
zuvor  angekündigt,  jeder  Aktschluß  die  Bühne  leermachend,  der  Spiel- 
schluß alle  Spieler  zum  Schlußbild  vereinigend,  Beschränkung  der 
Personenzahl  auf  höchstens  zwölf,  kontrastierende  Eltern  und  Kinder, 
guterzogene  naive  oder  schlechterzogene  dumme  Töchter,  ein  retten- 
der Onkel,  das  Zimmermädchen  als  listig  schlaue  Vertrautin,  der  Diener 
als  Träger  derber  Komik,  die  Sprache  am  besten  in  Prosa,  der  Um- 
gangssprache des  gehobenen  Mittelstandes  entsprechend,  mit  Neigung 
zu  Kraftausdrücken  als  humoristisch  aufgesetzten  Lichtern,  ausnahms- 
weisejambische, möglichst  reimlose  Verse,  Beseitigung  der  Monologe  und 
Apartes  als  unnatürlich:  dies  sind  die  praktischen  Regeln,  nach  denen 
die  Gottschedsche  Komödie  aufgebaut  sein  muß,  soll  sie  der  Theorie 
des  Lehrmeisters  von  ihrer  „Einrichtung"  entsprechen.  Doch  selbst 
dann  noch  wäre  sie  verfehlt,  wenn  der  Stoff  nicht  unter  dem  vorge- 
schriebenen Gesichtspunkt  ausgewählt  wäre,  daß  nur  die  „Nachahmung 
einer  lasterhaften  Handlung"  in  der  Komödie  dargestellt  werden  dürfe. 
Wir  sehen,  die  Gottschedjünger  gehen  eng  umgrenzte  Marschroute, 


Gottsched:   Übersetrungskunst:  Gottschedin:  ,,Die  Pietisterey  im  Fischbeinrocke".      I29 

die  nur  öde  Gleichartigkeit  erzeugen  kann,  und  zwar  so,  daß  die 
sogenannten  Originallustspiele  ebensowenig  nationalen  Charakter 
tragen  wie  die  Übersetzungen. 

Die  große  Zahl  von  Übersetzungen  und  Bearbeitungen  ausländi- 
scher Komödien  bedarf  hier  nur  insoweit  einer  Besprechung,  als 
dafür  besondere  Regeln  der  Eindeutschung  vorgeschrieben  und  be- 
achtet wurden.  Gottsched  hatte  bereits  1730  einen  Versuch  begonnen, 
indem  er  „Les  Operas"  von  St.  Evremond  bearbeitete.  Die  Anregung 
dazu  hatte  ihm  wohl  weniger  das  Lustspiel  als  solches  gegeben  als 
das  Lustspiel  als  Satire  auf  die  Opernleidenschaft.  Ist  doch  1730  in 
seiner  „Critischen  Dichtkunst"  zum  ersten  Male  seine  öfifentliche  aus- 
führliche Kampfansage  wider  die  beliebten  Opern  erschienen.  Er 
beendete  die  Arbeit  nicht,  sie  erschien  erst  1740  unter  dem  Titel  „Die 
Opern"  im  IL  Bande  der  „Deutschen  Schaubühne",  nachdem  seine 
Frau  den  fehlenden  V,  Aufzug  übertragen  hatte.  Dem  Abdruck  geht 
eine  Vorrede  voraus,  in  der  Gottsched  die  Grundsätze  der  Über- 
setzungskunst festlegt:  „In  dem  ganzen  Stücke  aber  hat  man  sich 
eine  Freyheit  genommen,  die  ohne  Zweifel  allen  Comödien,  die  man 
aus  fremden  Sprachen  in  die  unsrige  bringet,  zu  keinem  geringen 
Vortheile  gereichen  wird.  Ich  habe  nämlich  alle  französischen  Namen, 
die  unsern  deutschen  Ohren  so  widerlich  klingen,  und  solchen  über- 
setzten Lustspielen  ein  ganz  fremdes  Ansehen  geben,  in  lauter 
deutsche  verwandelt.  Dadurch  hat  nun  dieß  Stück  ein  ganz  ein- 
heimisches und  deutsches  Ansehen  bekommen:  und  ein  deutscher 
Leser  oder  Zuschauer  nimmt  mehr  Theil  daran,  als  wenn  es  in  so 
fremder  Gestalt  aufgezogen  käme.  Aus  eben  der  Ursache  nun,  und 
derselben  Regel  zu  folge,  habe  ich  aus  den  parisischen  Opern, 
hamburgische,  und  aus  der  Stadt  Lion,  wo  dort  die  ganze  Geschichte 
vorgeht,  Lübeck  gemacht". 

f)  Übersetzungskunst. 
aa)  Gottschedin:  ,,Die  Pietisterey  im  Fischbeinrocke". 

Gottsched  erstrebt  darnach  bewußt  die  Eindeutschung  der  zu  über- 
setzenden Stücke  dadurch,  daß  deutsche  Personen-  und  Ortsnamen 
gewählt  und  deutsche  Verhältnisse  zugrunde  gelegt  werden.  Viel 
deutlicher  kommt  diese  Praxis  zur  Wirkung  in  der  Bearbeitung,  die 
seine  „geschickte  Freundin",  die  Gottschedin,  dem  Lustspiel  des 
französischen  Jesuiten  Bougeant  „La  femme  docteur"  angedeihen 
läßt.  Bougeant  satirisiert  darin  das  Treiben  der  Jansenisten  unter 
Zuhilfenahme  von  Motiven  Molierescher  Komödien:  „Femmes  sa- 
vantes",  „Tartuffe",  „Malade  imaginaire".  Die  Gottschedin,  die  ihr 
Lustspiel  „Die  Pietisterey  im  Fischbeinrocke"  zunächst  1736  in  Ro- 
stock anonym  erscheinen  ließ,  setzt  an  die  Stelle  der  Jansenisten  die 
Halleschen  Pietisten,   statt  des  jansenistischen  Bücherkatalogs  zählt 

Ho  11,  Lustspiel.  9 


j-jQ  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 

sie  Titel  von  Büchern  deutscher  Mystiker  und  Pietisten  auf,  ähnlich 
wie  in  den  „Opern"  Hamburger  Titel  die  französischen  ersetzt 
hatten,  und  schließlich  läßt  sie  die  ganze  Intrige  in  Königsberg  sich 
abspielen.  Der  durch  Spener  begründete  Pietismus,  der  Ausdruck 
eines  durch  das  ganze  17.  Jahrhundert  schon  unter  der  Oberfläche 
fließenden  religiösen  Gefühlsstroms,  wird  hier  in  seiner  Ausartung, 
dem  mystisch -verschwommenen  Muckertum,  das  in  eigennützige 
Heuchelei  nach  Art  des  Tartuffe  einläuft,  verspottet. 

Die  deutschen  Personennamen  sind  Eigenschaftsschilder:  Frau 
Glaubeleichtin ,  Herr  Wackermann,  Magister  Scheinfromm,  Frau 
Zanckenheimin,  Frau  Seuffzerin,  Frau  Ehrlichin,  Frau  Bettelsackin 
zeigen  genügend  den  moralischen  Charakter  der  Namensträger  gemäß 
der  oben  erwähnten  Definition  Bodmers.  Die  Einseitigkeit  solcher 
Namensgebung  liegt  auf  der  Hand,  sobald  mehrere  Familienglieder  mit 
verschiedenen  Charaktereigenschaften  notgedrungen  dasselbe  Namens- 
schild tragen.  Bei  der  beliebten  Technik  kontrastierender  Ehegatten 
wird  die  Unsinnigkeit  dieses  Prinzips  besonders  offenbar.  Vor  allem 
aber  wird  dadurch  schon  äußerlich  der  Entwicklung  der  Komödienkunst 
zur  Menschendarstellung  ein  Riegel  vorgeschoben.  Das  rationalistische 
Prinzip  solcher  Namenswahl  wurde  in  Deutschland  um  so  beHebter  — 
wir  begegnen  ihm  bereits  im  17.  Jahrhundert  — ,  als  es  im  Vorbilde  der 
englischen  moralischen  Wochenschriften  eine  Unterstützung  fand. 

Immerhin  muß  anerkannt  werden,  daß  gerade  die  Komödie  der  Gott- 
schedin durch  die  gelungene  Eindeutschungsmethode  stofflich  wenig- 
stens Nationalcharakter  aufweist.  Die  Form  ist  allerdings  durchaus  kon- 
ventionell-international, entsprechend  den  vorhergenannten  zusammen- 
gefaßten Vorschriften  der  Technik.  Doch  weiß  sich  die  Verfasserin 
gelegentlich  von  der  moralischen  Gebundenheit  zu  freierer  komischer 
Wirkung  zu  lösen.  Am  gelungensten  und  unleugbares  Talent  ver- 
ratend ist  die  Dialektszene.  Hier  taucht  in  dem  engsten  Kreise  des 
Rationalisten  Gottsched  eine  Neigung  zum  Volkstümlichen  auf,  dessen 
Pflege  und  Ausbau  dem  deutschen  Lustspiel  zum  größten  Heile 
hätte  dienen  können.  Bei  aller  Abhängigkeit  der  Gottschedin  von 
ihrem  gestrengen  Gemahl  darf  nicht  verkannt  werden,  daß  sie  ent- 
schieden mehr  Sinn  für  Volkstümliches  hatte  als  er;  ja  dies  geht  so 
weit,  daß  in  ihren  Übersetzungen,  wie  etwa  von  Molieres  „Menschen- 
feind", bereits  wieder  Harlekinslazzi  zugelassen  werden. 

bb)  Bedeutung  französischer  Vorbilder. 

Der  Übersetzungskunst  der  Gottschedin  und  der  anderen  Bearbeiter 
ausländischer  Komödien  ins  einzelne  nachzugehen,  verlangt  eine  Ab- 
handlung für  sich.  Vor  allem  bedeutet  die  reiche  Übersetzungstätigkeit 
eine  stoffliche  Bereicherung.  Darin  liegt  der  Hauptgewinn  für  die 
deutsche  Literatur.  Die  psychologischen  Feinheiten,  die  Charakter- 
vertiefung gingen  auf  dem  Wege  nach  Deutschland  verloren.   Die  tief- 


Gottsched:   Übersetzungskunst :   Bedeutung  französischer  Vorbilder.  I"?! 

gründige  Menschendarstellung  Molieres  wurde  durch  grobe  Zeichnung 
einzelner  moralischer  Eigenschaften  ersetzt.  Deutlich  erweist  sich  dies 
an  der  Bearbeitung  von  Molieres  Meisterschöpfung  „Misanthrope". 
Aber  wenn  auch  der  platte  Rationalismus  eines  Gottsched  und  seiner 
Nachahmer  jene  Kunst  verwässerte  und  sie  ins  Lehrhaft-Moralische 
umbog,  so  beschäftigte  man  sich  doch  mit  dieser  Kunst.  Es  konnte 
nicht  ausbleiben,  daß  allmählich  der  Sinn  für  psychologische  Entwick- 
lungen sich  vertiefte,  wenn  auch  die  Wiedergabe  damit  noch  nicht 
Schritt  hielt.  Nicht  zuletzt  an  der  Beobachtung  der  Menschengestaltung 
Molieres  erwachte  in  Deutschland  das  Verständnis  für  das  Irrationale 
im  Menschen  und  damit  das  Verständnis  für  den  größten  Menschen- 
gestalter aller  Zeiten:  Shakespeare.  Es  ist  kein  Zufall,  daß  gerade 
das  größte  Lustspieltalent  in  der  Gottschedschen  Zeit  auch  die  ersten 
warmen  Töne  für  Shakespeare  fand. 

Aber  auch  der  Weg  zu  Moliere  —  nicht  zu  seiner  äußerlichen 
Kenntnis,  sondern  zu  seiner  innerlichen  Erkenntnis  —  mußte  erst 
geebnet  werden  durch  die  Beschäftigung  mit  seinen  Nachfolgern. 
Dabei  ist  vor  allem  auf  Marivaux  hinzuweisen,  der  der  erste  Psycho- 
log der  Frau  genannt  wurde.  Wie  stark  gerade  Marivaux  gewirkt 
hat,  bezeugt  der  Nachhall  seines  eigenartigen  Sprachstils  in  der  deut- 
schen Komödie.  Bewußt  will  Marivaux  seinen  Stil  dem  Inhalte  an- 
passen. Sein  Ziel  ist  nicht,  Leidenschaften  auszudrücken,  sondern 
galante  Beziehungen,  die  spielerisch  zwischen  den  Personen  hin- 
und  herzittern,  deren  Wesen  nicht  Kraft,  sondern  Zierlichkeit  ist. 
Dementsprechend  gestaltet  er  seine  zierliche  Sprache,  die  sich  vor 
dem  entscheidenden  Wort  verschließt,  die  graziös  trippelt  und  da- 
durch Spannung  zu  erwecken  und  erhalten  sucht.  Aber  wie  der  In- 
halt als  echtes  Kind  seines  Zeitalters  des  Rokoko  in  der  Zierlichkeit 
haften  bleibt,  nicht  zu  starken,  nachhaltigen  Akzenten  sich  aufzu- 
schwingen vermag,  so  bleibt  auch  der  Stil  an  der  Oberfläche  des 
Gedanklich-Flatternden  haften  und  löst  statt  der  erstrebten  Wirkung 
des  Impressionistisch-Lebendigen  nur  den  Eindruck  des  Geschraubten 
aus,  der  auf  die  Dauer  langweilig  wirkt.  Die  deutsche  Nachahmung 
dieser  sogenannten  Marivaudage  muß  auch  hier  wieder  noch  weiter 
veräußerlichen  und  vergröbern,  da  ihr  die  impressionistisch-psycho- 
logische Begabung  Marivaux',  die  dem  Romanen  eigentümliche  Be- 
herrschung der  Sprachform  versagt  blieb. 

Deutlich  erkennen  wir,  daß  diese  ganze  Periode  Gottscheds  die 
Lehrzeit  der  deutschen  Komödie  darstellt.  Das  Ausland  ist  der  Lehr- 
meister, und  es  wird  das  dauernde  Verdienst  Gottscheds  bleiben,  der 
deutschen  Komödie  diesen  Lehrmeister  gewiesen  zu  haben.  Er  hat 
auch  als  Erster  die  moralischen  Wochenschriften  Englands  in  Deutsch- 
land eingeführt,  und  es  hieße  wesentliche  Bausteine  deutscher  Psy- 
chologie verkennen,  wenn  wir  uns  nicht  erinnerten,  daß  in  diesen 
wichtigste  Materialien   zu   charakterologischem   Verständnis   geboten 


1-22  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 

wurden.  Trotz  all  dieser  Lehrstoffe  aber  blieb  die  rationalistische 
Komödie  immer  äußerliche  Nachahmung,  sei  es  fremder  Muster,  sei 
es  eigener  Sitten.  Es  kam  nie  zum  Erleben.  Deshalb  drang  sie  nie 
in  den  Kern  der  Dinge  und  Menschen,  sie  blieb  immer  an  der  Ober- 
fläche haften.  Jedoch  die  Versenkung  in  die  ausländische  Literatur 
schuf  Werkzeuge,  die  den  streng  intellektualistischen  Bau  des  Ra- 
tionalismus lockerten.  Diese  Lockerung  machte  sich  in  der  poetischen 
Praxis  geltend,  wie  sie  in  der  Theorie  in  der  Begründung  und  Aus- 
gestaltung einer  neuen  Disziplin,  der  Aesthetik,  ihre  Parallele  fand. 
Das  Bewußtsein  erhebt  sich  und  festigt  sich  allmählich,  daß  es 
Rätsel  der  Menschennatur  gibt,  die  jenseits  stehen  der  Begreifbarkeit 
durch  Denkkräfte.  Noch  geschehen  keine  Versuche  zur  Lösung  dieser 
Rätsel.  Noch  ist  dies  Bewußtsein  mehr  ein  Unterbewußtsein  als 
ein  Vollbewußtsein.  Doch  die  Grundlagen  zum  Erlebnis,  das  allein 
zur  Lösung  des  Menschenrätsels  werden  kann,  werden  gelegt.  Nicht 
in  einem  bestimmten  Individuum,  sondern  in  der  allgemeinen  Kultur- 
lage. Gottsched,  der  überzeugte  Rationalist,  wird  durch  die  Anregung 
der  Übersetzungen  zum  unbewußten  Anreger,  den  Rationalismus  zu 
überwinden. 

cc)  Bedeutung  Holbergs. 

Gottsched,  der  erbitterte  Kämpfer  gegen  das  im  Harlekin  sich  be- 
tätigende volkstümliche  Element,  führt  es  selbst  wieder  in  die  deutsche 
Komödie  ein.  Wir  haben  diese  Entwicklung  bei  der  Gottschedin  schon 
beobachten  können.  Sie  ist  aber  nicht  an  ihre  Person  gebunden,  sie 
ist  ein  Zeichen  der  unsterblichen  Natur  des  Volkstümlich-Possenhaften. 
Soweit  es  sich  in  Molieres  Schaffen  betätigt  hatte,  im  Scapin  etwa, 
war  es  mit  dem  „gottschädlichen"  Bannfluche  belegt.  Nun  regte 
aber  Gottsched  an  und  beförderte  auf  alle  Weise,  den  dänischen 
Moliere,  Holberg,  zu  übersetzen.  Dadurch  hat  er  selbst  am  meisten 
dazu  beigetragen,  das  volkstümliche  Possenelement  im  deutschen 
Lustspiel  heimisch  zu  machen.  Im  zweiten  Bande  der  „Deutschen 
Schaubühne"  von  1740  druckt  er  die  Übersetzung  von  Holbergs  „Jean 
de  France"  („Der  deutsche  Franzose")  durch  den  Altonaer  Professor 
Detharding  ab.  In  der  Vorrede  dazu  schreibt  er  von  Holberg:  „Dieser 
berühmte  und  sinnreiche  Mann  hat  in  Dänemark  dasjenige  geleistet, 
was  Plautus  in  Rom,  oder  Moliere  in  Frankreich  getan  haben.  .  .  . 
Ohngeachtet  wir  in  Deutschland,  außer  Christian  Weißen,  einen  so 
fruchtbaren  Dichter,  in  dieser  Art,  noch  nicht  aufzuweisen  haben: 
so  machen  wir  uns  doch  eine  Ehre  daraus,  auch  diesen  unsern 
Nachbar  aus  einem  mit  uns  verschwisterten  Volke,  den  südlichen 
und  westlichen  Völkern  Europas  zum  Beweise  darzustellen:  daß  die 
nordischen  Geister  der  Gelehrten  eben  so  träge  nicht  sind,  als  sie 
zu  glauben  pflegen".  Weiter  verteidigt  er  den  dänischen  Lustspiel- 
dichter gegen  den  Vorwurf  der  Unwahrscheinlichkeit  seiner  Gestalten 


Gottsched:  Übersetzungskunst:  Bedeutung  Holbergs.  I33 


in  der  Vorrede  zum  dritten  Bande  der  „Schaubühne"  von  1741,  worin 
er  Dethardings  Übersetzung  des  „Jacob  von  Tyboe"  unter  dem  Titel 
„Bramarbas"  bringt,  und  endlich  druckt  er  im  ersten  Bande  der 
„Schaubühne"  von  1742  Dethardings  Übertragung  von  Holbergs  , »Poli- 
tischem Kannegießer"  ab.  Damit  ist  schon  deutlich  genug  bezeugt, 
wie  hoch  Gottsched  Holberg  einschätzt.  Es  kommt  dies  noch  dadurch 
zum  Ausdruck,  daß  er  die  Verdeutschungen  weiterer  Werke  Holbergs 
sehr  begünstigt,  so  daß  tatsächlich  in  kurzer  Zeit  alle  Lustspiele  des 
Dänen  bis  auf  wenige  Ausnahmen  in  deutscher  Sprache  vorliegen. 
Außer  Detharding  ist  vor  allem  J.  G.  Laub  als  Holbergübersetzer  tätig. 
Die  Zahl  der  Übersetzungen  Holbergscher  Lustspiele  —  schon  vor 
Gottsched  haben  wandernde  Schauspielertruppen  solche  aufgeführt  — 
ist  so  groß,  daß  sie  etwa  ein  Fünftel  der  Gesamtzahl  von  Überset- 
zungen ausländischer  Komödien  aus  der  Gottschedschen  Periode, 
etwa  1737 — 68,  beträgt.  Gleichermaßen  spricht  für  Holbergs  Beliebt- 
heit, daß  in  Hamburg,  dessen  Miheu  der  Däne  allerdings  besonders 
nahe  stand,  bei  einem  Schauspielrepertoire  von  190  Vorstellungen  im 
Jahre  1742/43  auf  Holberg  allein  44  Vorstellungen  fielen. 

Es  darf  wohl  als  sicher  vorausgesetzt  werden,  daß  die  Beliebtheit 
der  dänischen  Lustspiele  beim  Publikum  nicht  auf  denselben  Gründen 
beruhte,  die  Gottscheds  Lob  hervorriefen.  Der  deutsche  Regelrichter 
sah  in  dem  Dänen  einen  Rassevetter,  auf  den  er  stolz  sein  durfte, 
da  er  sich  der  Einheitsregeln  der  Zeit  und  des  Orts  befleißigte. 
Trotzdem  Gottsched  für  seine  Reform  das  französische  Muster  für 
notwendig  hielt,  war  diese  Reform  doch  durchaus  national  gedacht. 
Um  so  mehr  mußte  er  sich  nun  zu  dem  nordgermanischen  Vetter 
hingezogen  fühlen,  wenn  er  sah,  daß  er  seine  theoretischen  An- 
schauungen bei  diesem  bestätigt  fand. 

Holberg  ist  ein  echter  Lustspieldichter  trotz  seines  unleugbaren 
RationaHsmus.  Er  sieht  die  Welt  vom  Standpunkte  des  Intellekts 
an  und  bewahrheitet  dadurch  das  Bonmot  Horace  Walpoles:  The 
World  is  a  comedy  for  those  who  think,  a  tragedy  for  those  who 
.  feel.  Gefühlsleidenschaft  hält  er  sich  fern  und  weiß  sie  auch  nicht 
zu  gestalten.  Seine  Komödien  sind  in  klare,  harte,  nüchterne 
Atmosphäre  getaucht,  die  die  Fehler  und  Eigenheiten  des  Einzelnen 
scharf  hervortreten  läßt,  die  aber  jede  Gefühlswärme  abkühlt.  Ja, 
er  schreibt  bewußt  Stücke,  in  denen  er  nicht  nur  jede  Liebeshändel 
vermeidet,  sondern  überhaupt  jede  weibliche  Figur  ausschaltet.  Aller- 
dings macht  er  dann  auch  den  Versuch,  in  einer  einaktigen  Komödie 
alle  Mannspersonen  zu  verbannen.  Wir  sehen,  die  Geschlechter- 
beziehung in  ihrer  Ursächlichkeit  menschlich-leidenschaftlicher  Ge- 
fühle interessiert  ihn  wenig.  Er  und  mit  ihm  seine  Komödien  sind 
geschlechtlich  frigid,  was  man  fast  versucht  wäre,  trotz  aller  üblen 
Nachrede,  auch  von  Gottsched  anzunehmen,  der  seine  Frau  nur  als 
„geschickte  Freundin"  betrachtet. 


l'XA  Achtzehntes  Jahrhundert :   Die  Sächsische  Komödie. 

Vor  allem  aber  bekundet  sich  Holberg  dadurch  als  echter  Ratio- 
nalist und  Gesinnungsgenosse  Gottscheds,  daß  auch  ihm  das  hora- 
zische  utile  cum  dulce  das  Grundprinzip  seiner  Aesthetik  ist.  Wie  in 
seinen  Komödien  immer  wieder  die  moralische  Lehrhaftigkeit  sich 
geltend  macht,  so  bekennt  er  sich  zu  ihr  auch  in  der  Theorie:  ,,Ich 
räume  zwar  ein,  daß  eine  moralische  Handlung  oder  eine  Charakter- 
komödie überhaupt  noch  keine  Komödie  ist,  es  sei  denn,  sie  habe 
zugleich  etwas  Lustiges  an  sich:  allein  es  muß  eine  sinnreiche  Lustig- 
keit sein,  die  zwar  ergötzen,  aber  auch  unterrichten  kann,  und  nicht 
bloße  Narrenspossen,  die  den  Geschmack  verderben  und  Anlaß  ge- 
ben, das  Komödienwesen  überhaupt  in  Verruf  zu  bringen,  ja  die  an 
sich  zunichte  werden,  sowie  man  ihnen  die  Maschinen,  die  Grimassen 
und  den  äußerlichen  Prunk  entzieht".  Dies  hätte  auch  Gottsched 
sagen  können,  ebenso  wie  Holberg  nur  dessen  Meinung  ausspricht, 
wenn  er  schreibt,  daß  Übersetzungen  nur  dann  zulässig  seien,  wenn 
sie  zugleich  gänzliche  Umarbeitungen  seien  und  die  gebührende 
Rücksicht  auf  die  Sitten  des  Landes  nähmen,  wohin  sie  verpflanzt 
werden  sollten.  Auch  im  Urteile  über  die  Sprachform  der  Komödie 
stimmt  der  dänische  Rationahst  mit  Gottsched  oder  mit  dessen  ge- 
treuem Schüler  Straube  überein,  der  gegen  Johann  Elias  Schlegel 
aus  Gründen  naturalistischer  Wahrscheinlichkeit  in  der  Komödie  die 
Prosa  forderte  und  den  Vers  verwarf.  Straube  hätte  seine  Gründe 
dem  dänischen  Dichter  entnehmen  können,  der  es  „als  ein  Zeichen 
und  einen  Beweis  von  dem  guten  und  natürlichen  Geschmack  der 
dänischen  Nation"  ansieht,  daß  ihre  Schauspiele  in  ungebundener 
Rede  geschrieben  seien,  „indem  nichts  Seltsameres  und  Törichteres 
zu  erdenken  ist,  als  Reden,  die  im  täglichen  Umgange  vorkommen, 
in  Verse  und  Reime  einzukleiden".  Ja,  wenn  Straube  in  der  Hitze 
der  Diskussion  auch  für  die  Tragödie  die  Möglichkeit  der  Prosa 
wenigstens  ventiliert,  so  hätte  er  auch  dafür  auf  Holberg  als  einen 
theoretischen  Vorläufer  hinweisen  können.  Aus  all  diesen  Überein- 
stimmungen mögen  wir  ersehen,  wie  wenig  bedeutsam  die  Mei- 
nungsäußerungen einzelner  historischer  Individuen,  wie  ausgebreitet 
andrerseits  solche  Meinungen  als  Zeitstrebungen  sind.  Aus  allem 
geht  klar  hervor,  Holberg  ist  in  seinen  theoretischen  Überzeugungen 
durchaus  Gottschedianer.  Als  solcher  wählt  er  auch  das  Milieu  seiner 
Lustspiele  nach  dem  Prinzip  der  sozialen  Fallhöhe,  die  von  jeher 
zwischen  der  Tragödie  und  Komödie  bestanden  hat  und  von  den 
Rationalisten  der  damaligen  Zeit  in  Ehrfurcht  vor  den  herrschenden 
Klassen  erst  recht  gefordert  wurde. 

Doch  hier  offenbart  sich  der  Dichter  in  Holberg  und  drückt  den 
Rationalisten  an  die  Wand.  Er  erobert  der  Komödie  eine  neue  Menschen- 
klasse: den  Kleinbürger  und  Bauern.  Gelegentlich  waren  diese  auch 
früher  schon  in  der  Komödie  erschienen,  abgesehen  von  ihrer  satiri- 
schen Verspottung,  so  in  Gryphius'  „GeHebter  Dornrose".    Doch  sie 


Gottsched:   Übersetzungskunst:  Bedeutung  Holbergs.  I3? 

als  Klasse  für  den  Humor  der  Komödie  gewonnen  zu  haben,  ist  das 
Verdienst  Holbergs.  Das  ist  das  Zeichen  des  wahren  Dichters,  daß 
er  neue  AusbHcke  eröffnet,  die  uns,  sobald  sie  eröffnet  sind,  als  selbst- 
verständlich erscheinen.  Darin,  daß  er  uns  die  Augen  öffnet  für  die 
Leiden  und  Freuden  des  Kleinbürgerstandes,  daß  wir  diesen  in  seinen 
Eitelkeiten  und  allem  Menschlichen  und  Allzumenschlichen  lachend 
beobachten,  liegt  Holbergs  Beliebtheit  begründet.  Der  Dichter  Holberg 
hatte  instinktiv  das  Milieu  gefunden,  das  dem  rationalistischen  Denker 
Gottsched  versagt  blieb.  Während  dieser  daher  an  der  Oberfläche 
von  Sittenschilderung  haften  blieb,  drang  jener  zum  Kerne  des  Mensch- 
lichen vor.  Gewaltige  Leidenschaften  darzustellen,  ist  ihm  nicht  ge- 
geben, aber  ohne  Bitterkeit  menschlich  Lächerliches  körperlich  uns 
vor  Augen  zu  führen,  ist  seine  Kunst. 

Allerdings  ist  er  noch  weit  entfernt  von  der  Menschengestaltung 
eines  Shakespeare,  der  das  Individuum  an  den  letzten  Wurzeln  er- 
faßt, wo  Physisches  und  Psychisches  sich  verschlingen  wie  in  Fal- 
staff,  Percy,  Othello,  Richard  III.  Holberg  zeichnet  uns  keine  psycho- 
logisch komplizierten  Charaktere.  Doch  während  der  sogenannte 
moralische  Charakter  der  Gottschedschen  Komödie  eine  einzelne 
Eigenschaft  ist,  die  dem  Darzustellenden  äußerlich  übergeworfen  wird 
wie  ein  Maskenkleid,  sei  es  nun  Domino  oder  Pierrot,  sind  die  Cha- 
raktere Holbergs  aus  dem  Innern  heraus  gesehen.  Auch  bei  ihnen 
ist  eine  einzelne  Eigenschaft  die  Grundlage  der  Darstellung,  aber  da 
sie  nicht  konventionellen  Maschinen  äußerlich  aufgeklebt  ist,  sondern 
von  innen  her  die  ganze  Konstruktion  bestimmt,  so  gibt  sie  uns 
den  Eindruck  der  Individualität.  Es  sind  grobschlächtige,  primitive 
Menschen,  aber  es  sind  Menschen  und  keine  farblosen  Puppen. 
Wenn  sie  auch  auf  Grund  einer  einzelnen  Eigenschaft  aufgebaut 
sind,  so  sind  sie  doch  von  innen  heraus  aufgebaut.  Das  ist  das 
Neue,  das  Dichterische.  Damit  aber  ergeben  sich  von  selbst  neben 
der  Haupteigenschaft  kleinere  Züge,  die  dem  dargestellten  Charakter 
den  belebenden  Kontur  geben.  An  die  Stelle  flächiger  Zeichnung 
tritt  körperliche  Gestaltung.  Ausarbeitung  der  Figuren,  feine  Model- 
lierung gar,  fehlen  allerdings.  Das  allgemeine  Urteil  des  verdienst- 
vollen Holbergbiographen  Prutz,  daß  Holbergs  Gestalten  „leibhaftige 
Wesen  von  Fleisch  und  Blut,  mit  ausgeprägtem,  individuellem  Cha- 
rakter" seien,  übertreibt.  Sie  streifen  ihre  Herkunft  aus  den  komi- 
schen Maskentypen  doch  nicht  so  völlig  ab,  daß  wir  in  ihnen  voll- 
endete charakteristische  Individuation  zu  erkennen  vermöchten.  Der 
Stil  erinnert  an  derbe  Holzschnittmanier.  Gerade  deshalb  aber  ist  er 
dem  Wesen  der  dargestellten  Kleinbürgertypen  entsprechend,  er  wird 
als  wahr  empfunden  und  nicht  als  gekünstelt. 

Und  dies,  trotzdem  die  Stilmittel  zum  großen  Teil  der  Possen- 
überlieferung entstammen,  wie  sie  ihren  Niederschlag  in  Gherardis 
„Theätre  itahen"  gefunden  hat.  Ja,  gerade  daß  Holberg  zu  den  Mitteln 


j-5^  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 


der  Stegreifposse  greift,  läßt  die  Aufmachung  seiner  Kleinbürger- 
komödien als  stilecht  wirken.  Die  steife  Konvention  des  Rokoko  ist 
durchbrochen,  Naturwahrheit  schaut  uns  entgegen.  Seine  Hauptstoff- 
quelle ist  Gherardi,  außerdem  vor  allem  der  derbkomische  Plautus, 
der  ihm  viel  artverwandter  ist  als  Terenz.  Seine  Stärke  liegt  auf  dem 
Gebiete  des  bis  zum  Grotesken  gesteigerten  Derbkomischen.  Sein  wir- 
kungsvoller Kunstcharakter  ist  seine  Volkstümlichkeit,  die  echt  genug 
sprudelt,  um  die  überlieferten  Maskentypen  der  commedia  dell'arte 
lebendigen  Individuen  in  ihrer  Wirkung  anzugleichen.  In  Holberg 
lebt  bestes  Mimusgut  auf.  Es  gereicht  ihm  nicht  zum  Nachteil,  daß 
er  wie  Aristophanes  der  Verfechter  guter  alter  Sitte  ist,  daß  er  seine 
komische  Darstellung  auf  konservative  Gesinnung  aufbaut,  auf  den 
Glauben  an  das  Bestehende  und  Althergebrachte.  Und  ebensowenig 
wie  der  Grieche  verdient  er  den  Vorwurf  der  Sittenlosigkeit,  wenn 
er  diesem  Glauben  in  kräftigsten  Worten  Ausdruck  verleiht. 

Auch  seine  Sprache  ist,  fern  aller  Künstelei,  seinem  Darstellungs- 
stil in  ihrer  Natürlichkeit  durchaus  angemessen.  Wie  Weise,  so  ver- 
wendet auch  Holberg  bewußt  das  Stilmittel  der  Wortkomik,  indem 
er  die  Rede  mit  den  saftigsten  Ausdrücken  pfeffert.  Dieses  volkstüm- 
liche Element  der  Lustspielsprache  liegt  ihm  natürhch  nahe.  Aber 
bei  aller  Derbheit  des  Ausdrucks,  bei  allen  geschlechtHchen  Ein- 
deutigkeiten befinden  wir  uns  bei  ihm  doch  nie  in  der  stickigen 
Atmosphäre  der  Lüsternheit.  Somit  führt  er  in  die  Gottschedsche 
Komödie  einen  frischen  Luftzug  derber  Volkstümlichkeit.  Der  gute 
Kern  der  Harlekinspossen  kehrt  mit  ihm  auf  die  deutsche  Bühne  zu- 
rück, gerufen  durch  Gottsched,  nachdem  diese  eben  von  dem  ge- 
strengen Regelsüchtigen  verbannt  worden  waren.  Darin  liegt  die 
Mission  Holbergs  für  die  Entwicklung  des  deutschen  Lustspiels. 
Er  öffnet  der  Volkstümlichkeit  wieder  die  eben  verschlossene  Türe. 
Dadurch  durchbricht  er  auch  die  engen  Grenzen  des  Stoffkreises, 
in  den  nur  Nachahmungen  lasterhafter  Handlungen  zugelassen 
waren.  Sie  werden  erweitert,  um  alles  Lächerliche  aufzunehmen, 
neben  dem  moralischen  Endzweck  gewinnt  das  komische  Endziel 
größere  Bedeutung. 

g)  Originalkomödien. 

aa)  Frau  Gottsched. 

Zunächst  ist  bei  den  Originalwerken  deutscher  Lustspielkunst  wenig 
von  dem  Wandel  zu  bemerken.  Wohl  werden  mit  Vorliebe  Motive  und 
Situationen  aus  Holbergs  Komödien  entlehnt,  doch  gerade  für  das 
Dichterische  darin  hat  der  Gottschedkreis  wenig  Verständnis,  und 
wenn  er  es  schon  gehabt  hätte,  so  hatte  er  nicht  die  unbekümmerte 
Kraft,  es  in  eigener  Lustspielkunst  wieder  aufleben  zu  lassen.  Die 
aus  Holberg  entlehnten  Züge  sind  äußere  Intrigen,  lächerliche  Cha- 


Gottsched:  Originalkomödien:  Frau  Gottsched.  IT.'J 


rakter-  und  Gebarenseigenheiten  und  vor  allem  Lazzi,  die  an  sich 
traditionell -typisch  auch  anderen  Quellen,  wie  etwa  dem  „theätre 
italien",  Stranitzkys  „Ollapotrida"  u.  dgl.,  entstammen  könnten.  Nur 
die  Tatsache,  daß  diese  Possenelemente  trotz  aller  theoretischen  Ab- 
wehr in  der  Gottschedschen  Komödie  Eingang  fanden,  darf  mit  auf 
Holbergs  Vorbild  zurückgeführt  werden,  das  um  so  eher  anerkannt 
wurde,  als  der  Däne  sich  in  der  äußeren  Form  doch  durchaus  als 
gesinnungsverwandter  Rationalist  bekannte.  Die  rationalistische  For- 
derung der  Lehrhaftigkeit  verhinderte  den  Durchbruch  einer  freien, 
in  sich  selbst  genügsamen  lustigen  Posse. 

Diese  Lehrhaftigkeit  wird  derart  verflacht,  daß  längst  nicht  mehr 
Charaktereigenschaften  in  ihrem  sittlichen  Wert  oder  Unwert  vorge- 
führt werden,  sondern  Umgangs-,  Betragenseigenschaften.  Nicht  Sitt- 
lichkeit, sondern  Sitten  bilden  in  seichter  Aufmachung  die  Probleme 
der  Originallustspiele.  Dies  zeigt  sich  an  den  Originalen  der  Frau 
Gottsched.  Schon  die  Benennung  „Original"  ist  zu  weitgehend.  Im 
Grunde  sind  die  Lustspiele  der  Gottschedin  nichts  weiter  als  freie  Be- 
arbeitungen eines  oder  mehrerer  fremder  Vorbilder  auf  Grund  äußer- 
licher deutscher  Verhältnisse.  Ihr  erstes  „Original":  „Die  ungleiche 
Heirat",  im  IV.  Bande  der  „Deutschen  Schaubühne"  abgedruckt,  ist  im 
Stofflichen  wesentlich  Moliere  verpflichtet  und  illustriert  die  wichtige 
Lehre,  daß  man  nicht  über  oder  unter  seinem  Stande  heiraten  solle. 

Moliere  hatte  den  uralten  Possenstoff"  der  Hstenreichen  Ehebrecherin 
vertieft  zur  Komödie  des  betrogenen  Ehemanns.  Heute  mutet  uns  das 
Geschick  George  Dandins  tragisch  an.  Frau  Gottsched  greift  dieses 
Thema  auf,  doch  in  ihrer  Bearbeitung  verliert  es  wohl  den  Possen- 
charakter, gewinnt  aber  nicht  die  tragische  Vertiefung;  ihre  Wirkung 
ist  die  Langeweile,  Gottsched  behauptet  in  der  Vorrede,  unter  Ver- 
leugnung des  Moliereschen  Vorbildes,  seine  Frau  habe  sich  „mehr 
die  edle  Art  der  Lustspiele  des  Hm,  Destouches,  als  die  niedrigen 
molierischen  Comödien  zum  Muster  genommen",  und  sicherlich 
darf  die  Moralisierung  eher  auf  Kosten  des  Vertreters  der  comedie 
serieuse  als  auf  die  Molieres  gerechnet  werden.  Daß  der  Verfasserin 
der  „George  Dandin"  wohl  bekannt  war,  zeigt  schon  die  Übernahme 
des  Herrn  v.  Sotenville  in  ihr  nächstes  Stück  „Die  Hausfranzösin 
oder  die  Mamsell". 

Darin  verflacht  die  Gottschedin  die  lustige  Posse  von  Holbergs 
„Jean  de  France",  Wiederum  verschweigt  Gottsched  in  der  Vor- 
rede das  ihm  wohlbekannte,  in  seiner  „Schaubühne"  sogar  schon 
abgedruckte  dänische  Muster,  obwohl  sogar  einzelne  Witze  daraus 
übernommen  werden.  Einiges  ist  ja  auch  anderen  Vorlagen  ent- 
nommen, wie  etwa  das  Däfftle-Motiv  aus  Christian  Reuter.  Auch 
diesmal  ist  das  Stück  nichts  weiter  als  die  platte  Illustrierung  eines 
Lehrsatzes:  „Man  wird  vielleicht  daraus  das  große  Übel  einiger- 
maßen einsehen  lernen,   das  die   seit  fünfzig  bis  sechzig  Jahren  in 


1-23  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 

Deutschland  eingerissene  französische  Kinderzucht  gestiftet  hat".  Man 
kann  schon  aus  dieser  Absicht  auf  die  grenzenlose  Langeweile  des 
Stückes  schließen.  Lessing  hatte  im  26.  Stücke  seiner  Hamburgischen 
Dramaturgie  über  seine  Aufführung  zu  berichten  und  schreibt:  „Die 
Hausfranzösin  ist  ganz  und  gar  nichts.  Noch  weniger,  als  nichts:  denn 
sie  ist  nicht  allein  niedrig,  und  platt,  und  kalt,  sondern  noch  oben- 
drein schmutzig,  ekel,  und  im  höchsten  Grade  beleidigend.  Es  ist  mir 
unbegreiflich,  wie  eine  Dame  solches  Zeug  hat  schreiben  können.  Ich 
will  hoffen,  daß  man  mir  den  Beweis  von  diesem  allen  schenken  wird". 

Voran  stellte  Lessing  den  Satz:  „Das  Testament,  von  eben- 
derselben Verfasserin,  ist  noch  so  etwas".  Dies  ist  das  dritte,  im 
6.  Band  der  „Schaubühne"  erschienene  Originallustspiel  der  Frau 
Gottsched.  Lessings  relativ  günstigeres  Urteil  ist  wohl  die  An- 
erkennung, daß  hier  so  etwas  wie  Charakterkomödie  versucht  wird. 
Die  Possenelemente,  von  denen  vor  allem  in  der  „Hausfranzösin" 
nach  derbster  Harlekinmanier  starker  Gebrauch  gemacht  wird,  sind 
in  den  Hintergrund  gedrängt,  die  typischen  Dienermasken  ver- 
schwinden, schon  sind  in  der  Schilderung  der  Erbtante  Ansätze 
zu  individuellem,  nicht  nur  moralischem  Charakter  vorhanden.  Den- 
noch aber  bleibt  die  Gestaltung  an  der  Oberfläche  haften,  ein- 
gespannt in  die  Regelmäßigkeit  der  fünf  Akte  mit  Orts-  und  Zeit- 
einheit und  ausgedrückt  in  einer  platten,  durchaus  unindividuellen, 
ins  Breite  gezogenen,  konventionellen  Sprache.  Mag  auch  der 
Heiratsschluß  unerwartet  kommen,  über  dem  Ganzen  schwebt  doch 
die  gewohnte  Langeweile.  Was  dem  Stück  geschichtliche  Bedeutung 
gibt,  ist  die  Neigung  zum  Rührenden,  wie  es  dann  bei  Geliert 
stärkste  Ausbildung  finden  sollte.  Ein  frischer  Einakter  als  literarische 
Satire  pro  domo  der  „Schaubühne"  beschließt  die  Tätigkeit  von 
Gottscheds  geschickter  Freundin  („Herr  WitzHng"). 

Unstreitig  hatte  sie  mehr  Begabung  für  die  Komödie  als  ihr  ge- 
strenger Gemahl.  Der  Anfang  in  der  „Pietisterey"  verhieß  Besseres, 
als  sich  später  entfaltete.  Feinheiten  der  Motive  und  der  Sprache  ihrer 
Vorbilder  vergröbert  sie,  Charaktere  verflacht  sie,  Ideen  verrationali- 
siert sie  in  platte  Nützlichkeitslehren.  Sie  hat  Sinn  für  das  Derb- 
Possenhafte  und  darf  ihrer  Neigung  nicht  nachgeben.  Gerade  da- 
durch aber  wirkt  bei  ihr  viel  übernommenes  Possengut  um  so  wider- 
licher, daß  es  mit  dem  Mäntelchen  der  Moral  umhängt  wird.  Ihre 
Komödien  sind  typisch  für  die  Durchschnittsproduktion  ihrer  Zeit; 
für  uns  Heutige  sind  sie  sämtlich  ungenießbar  bis  auf  die  Dialekt- 
szene in  der  „Pietisterey". 

bb)  Quistorp. 

In  der  „Deutschen  Schaubühne"  sind  außerdem  noch  vier  weitere 
Originallustspiele  und  ein  Nachspiel  enthalten.  Joh.  Theodor  Quistorp 
ist   der   Verfasser   von   zwei   Komödien:    „Der   Bock   im    Processe" 


Gottsched:   Originalkomödien:  Quistorp.    Hinrich  Borkenstein:   „Der  Bookesbeutel".      I3Q 

und  „Der  Hypochondrist",  und  von  dem  Nachspiel  „Die  Austern". 
Quistorp  verfügt  noch  nicht  einmal  über  das  bescheidene  Maß  von 
Theaterinstinkt,  das  die  Gottschedin  unleugbar  besitzt.  „Der  Bock 
im  Processe",  angeregt  durch  Racine's  „Plaideurs",  ist  zwar  an  sich 
eine  komische  Idee,  doch  so  langatmig  ausgesponnen,  in  seiner  auf 
komische  Wirkung  berechneten,  seitenlangen  knifflig-juristischen  Ter- 
minologie so  durchaus  untheatralisch,  daß  wir  füglich  von  einer  Be- 
sprechung absehen  können.  Quistorp  ist  ein  Sudler,  wie  ihn  Erich 
Schmidt  bezeichnet,  und  ein  Pedant  dazu,  dem  es  auch  nichts  hilft, 
wenn  er  gelegentlich  seine  Zuflucht  zu  uralten  Pickelheringsmotiven 
nimmt. 

Das  Nachspiel  hat  allenfalls  noch  historisches  Interesse,  da  es 
ein  spätes  Glied  der  noch  aus  dem  i6.  Jahrhundert  stammenden  und 
im  17.  Jahrhundert  sehr  beliebten  Komödien  vom  Studentenleben  ist. 
Für  die  Beliebtheit  dieses  Genres  zeugt,  daß  noch  Lessing  komische 
Motive  J.  G.  Schochs  „Comoedia  vom  Studentenleben"  (Leipzig  1657) 
entnommen  hat.  Sie  waren,  wie  auch  Quistorps  „Austern"  beweisen, 
von  jeher  ein  Tummelplatz  des  Pickelherings,  der  gewöhnlich  in  der 
Rolle  des  gefräßigen,  dummschlauen,  verprügelten  Studentendieners 
auftritt.  Bemerkenswert  ist  bei  Quistorp,  als  unbedingtem  Anhänger 
Gottscheds,  der  breite  Raum,  den  die  Hanswurstlazzi  in  seinen  Stücken 
einnehmen.  Sonst  aber  hält  er  sich  durchaus  an  Gottscheds  Regeln 
flacher  rationalistischer  Komödien.  Dazu  ist  in  der  „Schaubühne" 
auch  das  Lustspiel  „Der Unempfindliche"  von Uhlich  zuzählen,  der,  als 
Übersetzer,  sich  wohl  mehr  Gewandtheit  in  sprachlichem  Ausdruck 
und,  als  Mitglied  der  Neuberschen  Schauspielergesellschaft,  mehr  Sinn 
für  Theaterpraxis  hätte  aneignen  können. 

cc)  Hinrich  Borkenstein:  „Der  Bookesbeutel". 

Gottsched  rühmt  in  der  Vorrede  von  Quistorp  besonders,  wohl 
weil  er  sonst  nichts  Rühmenswertes  aufzutreiben  weiß,  daß  er  Nieder- 
sachse sei.  In  Niedersachsen,  vor  allem  in  Hamburg,  lebte  eine  tüchtige 
dramatische  Tradition.  Ich  erinnere  an  Rist,  an  Rollenhagen.  Der 
Grundcharakter  niedersächsischer  Dramatik  war  von  jeher  der  Rea- 
lismus. Deshalb  war  auch  die  realistische  Harlekinsposse  aus  Ham- 
burg viel  weniger  zu  vertreiben  als  aus  dem  französierten  Leipzig. 
Noch  1740  wurde  in  zahlreichen  Vorstellungen  der  Müllerschen  Truppe 
in  Hamburg  dem  niedrigsten  Harlekinsgeschmack  des  Publikums  ge- 
fröhnt.  Und  wenn  auch  Schönemann  mit  seiner  Truppe  etwas  höhere 
Auffassungen  von  Theaterkultur  betätigte,  dem  Pubhkum  war  doch 
nur  dadurch  beizukommen,  daß  an  Stelle  der  traditionellen  Posse  ein 
ebenso  wirkungskräftiges  Genre,  wenn  auch  von  höherer  künstle- 
rischer Eigenart,  geboten  wurde.  Dies  geschah  1741  durch  Hinrich 
Borkenstein  in  seinem  „Bookesbeutel",  der  die  überaus  glückliche 
Geburt  der  Hamburger  Lokalposse  bedeutet. 


I AO  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 

„Der  Bookesbeutel"  ist,  wie  sein  Name  andeutet,  eines  der  damals 
häufigen  Stücke,  die  einen  Schlendrian,  althergebrachten  Brauch  in 
seiner  blinden  Unbelehrbarkeit  persiflieren  wollen,  indem  sie  sein 
verstocktes  Hinterwäldlertum  in  Gegensatz  stellen  zu  den  Sitten  und 
Gebräuchen  einer  neuen,  verfeinerten  Zeit  und  aus  diesem  Kontrast 
die  Komik  entstehen  lassen.  „Der  Bookesbeutel",  der  zahlreiche 
Nachahmungen  erlebte,  ist  das  beste  Stück  seiner  Gattung.  Hierin 
sehen  wir  den  ersten  bedeutsamen  Einfluß,  den  Holbergs  Komödien 
auf  die  Entwicklung  des  deutschen  Lustspiels  ausübten.  Wieder  er- 
leben wir  dasselbe  Verhältnis  zu  Gottsched,  wie  wir  es  bei  Holberg 
gewahrten.  In  der  äußeren  Regelhaftigkeit,  der  Prosadiktion,  der 
lehrhaften  Absicht,  der  theoretischen  Abkehr  vom  Harlekin  stimmt 
Borkenstein  durchaus  mit  dem  rationalistischen  Gesetzgeber  überein. 
Aber  sein  Sinn  für  drastische  Komik,  für  realistische  Schilderung 
des  Bürgerstandes  ist  so  stark  ausgeprägt,  daß,  wo  Gottsched  und 
seinesgleichen  nur  blutlose  Schemen  langweilige  Witze  und  Zwei- 
deutigkeiten sprechen  lassen,  im  Bookesbeutel  urwüchsige  Natur  in 
grober,  aber  überzeugender  Wahrhaftigkeit  uns  gegenübersteht.  Auch 
Borkenstein  bleibt  ein  Kind  seiner  Zeit.  So  wenig  wie  Holberg  bringt 
er  es  zu  vertiefter  psychologischer  Charakteristik.  Ja,  seine  Personen 
sind  weit  einseitigere,  durch  ihre  Namen  bezeichnete  ,, moralische" 
Charaktere  als  die  des  Dänen.  Dieser  ist  ein  Dichter,  Borkenstein 
ein  scharfer  Beobachter  mit  angeborenem  Sinn  für  komische  Sitten 
und  Situationen.  Sein  freier,  etwas  behäbiger  Humor  nimmt  seiner 
Satire  den  Stachel.  Wohl  ist  seine  Ausdrucksweise  oft  stark  gepfeff"ert, 
doch  einmal  entspricht  dies  dem  naturalistischen  Darstellungsstil  des 
Ganzen,  zum  andern  ist  die  damalige  Zeit  vom  Pickelhering  her 
ganz  anderes  gewöhnt  als  wir  heute.  Wenn  Grobian  im  Bookesbeutel 
die  kultivierte  Leipzigerin  zu  deren  Entsetzen  als  „das  Mensch"  an- 
redet, so  tut  er  1741  nichts  anderes,  als  1732  noch  der  König  von 
Preußen  in  einem  Brief  über  die  Braut  des  Kronprinzen  lobenswert 
schreibt:  „Sie  ist  ein  gottesfürchtiges  Mensch".  Für  uns  Moderne 
wirkt  natürlich  die  Technik  allzu  naiv,  als  daß  wir  an  eine  Wieder- 
belebung der  Posse  denken  könnten.  Aber  für  den  Literarhistoriker 
bietet  sie  in  dem  seichten  Gewässer  Gottschedscher  Lustspielkunst 
einen  frisch  sprudelnden,  lebendigen  Quell.  Jedenfalls  haben  die  bis 
in  die  Gegenwart  beliebten  Hamburger  Lokalpossen  in  Borkensteins 
„Bookesbeutel"  den  würdigsten  Urahn.  Er  arbeitet  mit  im  Volks- 
stück stets  beliebten  Kontrastmitteln,  indem  er  der  Kultur  ihr  Gegen- 
stück vorhält,  allerdings  noch  nicht  Natur  als  wertvolle  Ursprüng- 
lichkeit —  die  Zeit  Rousseaus  ist  noch  nicht  gekommen  — ,  sondern 
als  Unbildung,  Natur  nicht  in  positiver,  sondern  negativer  Wertung. 
Deshalb  ist  auch  der  Naiventypus,  den  er  in  Susanna  zeichnet, 
gegenüber  der  Kulturvertreterin  Carolina  durchaus  unsjTiipathisch 
gehalten. 


Gottsched:   Originalkomödien  :  Johann  Christian  Krüger.  lAI 

dd)  Johann  Christian  Krüger. 

Als  Hamburger  Stück  wirkt  auch  „Der  Bauer  mit  der  Erbschaft", 
obwohl  es  nur  eine  Übersetzung  aus  dem  Französischen  und  der  Über- 
setzer zudem  nicht  geborener  Hamburger,  sondern  Berliner  ist:  Johann 
Christian  Krüger  (1722 — 1750).  Das  Original  ist  »L'heritier  de  village« 
von  Marivaux.  Im  Gegensatz  zu  Destouches,  der  unter  dem  Einfluß 
der  englischen  Moralisten  in  Frankreich  die  comedie  serieuse  einführte, 
ist  Marivaux  stets  der  comedie  gaie  treu  geblieben.  Ihr  Witz,  ihre  frohe 
Heiterkeit  bewährt  sich  auch  in  diesem  Einakter,  über  den  Lessing  im 
28.  Stück  der  Hamburgischen  Dramaturgie  Worte  lobendster  Kritik 
findet:  „Die  drolligste  Laune,  der  schnurrigste  Witz,  die  schalkischste 
Satyre,  lassen  uns  vor  Lachen  kaum  zu  uns  selbst  kommen;  und  die 
naive  Bauernsprache  gibt  Allem  eine  ganz  eigene  Würze".  Diese  naive 
Bauernsprache  ist  das  Hamburger  Platt.  Wieder  bewährt  sich  der  Rea- 
lismus als  fördernder  Kunststil  für  die  deutsche  Komödie.  Für  die  Ent- 
wicklung des  deutschen  Lustspiels  ist  es  sehr  zu  bedauern,  daß  die 
comedie  gaie  eines  Marivaux  auf  der  deutschen  Bühne  von  der  comedie 
serieuse  des  Destouches  und  schließlich  von  der  comedie  larmoyante 
des  Nivelle  de  la  Chaussee  verdrängt  wurde. 

Diese  Entwicklung  geht  wesentlich  auf  englischen  Einfluß  zurück. 
Die  englischen  Moralisten  unter  ihren  Führern  Addison  und  Steele 
hatten  in  ihren  Zeitschriften  sich  die  Beobachtung  des  Moralischen 
im  Einzelmenschen  und  in  der  Gesellschaft  als  Ziel  gesteckt.  In  der 
dem  I.  Bande  des  Spectator  vorgestellten  Dedikation  (ich  zitiere  aus 
einer  späteren  Auflage  von  1753)  schreiben  sie:  Das  Werk  „endeavours 
to  cultivate  and  polish  human  life,  by  promoting  virtue  and  knowledge, 
and  by  recommending  whatsoever  may  be  either  useful  or  ornamental 
to  Society".  Privates  und  öfi'entliches  Leben,  vor  allem  das  Familien- 
leben des  mittleren  Bürgerstandes  bildet  den  Gegenstand  der  Beobach- 
tung, Kritik  und  Belehrung.  Dazu  wird  die  Hilfe  der  Komödie  mit 
herangezogen  oder  wenigstens  das  lehrhafte  Nützlichkeitsziel  der 
Komödie  auf  die  in  den  moralischen  Wochenschriften  behandelten 
Eigenschaften  und  Verhältnisse  gerichtet.  Dieser  Anregung  folgend 
hatte  Destouches   die  ernsthafte   Komödie  in  Frankreich  begründet. 

Da  Gottsched  ihn  vor  allen  andern  seinen  Anhängern  als  Vor- 
bild anpries  und  zudem  die  Verbreitung  moralischer  Wochenschriften 
aufs  tätigste  förderte,  so  gab  er  selbst  die  Veranlassung,  daß  die 
deutsche  Komödie  von  ihrem  durch  ihn  festgesetzten  Ziel  der 
Nachahmung  lasterhafter  Handlungen  abwich  und  auch  die  Nach- 
ahmung tugendhafter  Handlungen  mit  in  ihren  Wirkungskreis  ein- 
bezog. Dies  hatte  bereits  in  freundlicher  Diskussion  mit  Gottsched 
der  Annaberger  Rektor  Adam  Daniel  Richter  gefordert,  indem  er 
dessen  Komödiendefinition  seine  eigene  gegenüberstellte  als  „eine 
Nachahmung  einer  moralischen  Handlung,  die  durch  ihr  natürliches 


IA2  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 

Wesen  die  Zuschauer  belustigen,  aber  auch  zugleich  erbauen  soll". 
Holberg  hatte,  wie  wir  oben  bemerkt  haben,  in  umgekehrter  Reihen- 
folge auf  das  Lächerliche  den  Hauptton  gelegt  und  ihm  dann  erst  das 
Moralische  beigesellt.  Der  Niederschlag  beider  Entwicklungsreihen 
in  dem  deutschen  Lustspiele  bedeutet  dementsprechend  eine  Fort- 
entwicklung von  Gottsched  weg.  Die  Vertreter  der  damit  erreichten 
neuen  Lustspielstufe  fühlen  sich  daher  mehr  und  mehr  in  Gegensatz 
zu  Gottsched,  ihrem  Ausgangspunkte,  gedrängt. 

Ursprünglich  sind  sie  seine  Anhänger.  Da  er  sich  aber,  mit  zu- 
nehmendem Alter  und  je  mehr  sich  seit  dem  Beginn  des  fünften 
Jahrzehnts  die  Angriffe  gegen  ihn  häuften,  immer  mehr  auf  seine 
Regeln  versteifte,  so  mußte  er  gerade  die  besten  seiner  Anhänger 
mehr  und  mehr  von  sich  abdrängen.  Der  erste  sichtbare  Ausdruck 
dieser  Sezession  war  die  Gründung  der  „Bremer  Beiträge".  Unter  den 
Teilnehmern  daran  sind  für  die  Geschichte  des  deutschen  Lustspiels 
die  wichtigsten:  Johann  Elias  Schlegel  und  Christian  Fürchtegott 
Geliert.  Den  Übergang  zu  diesen  bildet  der  Übersetzer  jenes  wir- 
kungsvollen Bauernschwanks  „Der  Bauer  mit  der  Erbschaft":  Johann 
Christian  Krüger. 

Der  ursprüngliche  Theologe  ging  1742  zur  Schönemannschen 
Schauspieltruppe  und  erwarb  sich  dort  eine  beträchtliche  Kenntnis 
der  Theaterpraxis.  Diese  verwertete  er  in  seinen  eigenen  Lustspielen, 
die  er  als  Theaterdichter  verfaßte.  Bezeichnend  sind  die  zahlreichen 
Bühnenanweisungen  für  die  Schauspieler  in  seinen  Stücken.  Eben- 
falls als  Theaterdichter  hatte  er  die  Aufgabe,  Übersetzungen  aus- 
ländischer Stücke  anzufertigen.  Es  ist  für  seine  Neigung  charakteri- 
stisch, daß  er  sich  dazu  den  Hauptvertreter  der  comediegaie  aussuchte: 
Marivaux.  Da  er  selbständiges  Talent  mit  ausgebreiteter  Kenntnis 
und  Erfahrung  verband,  so  konnte  er  sich  auf  die  Dauer  dem  Gott- 
schedschen  Regelzwange  nicht  fügen.  Er  löste  sich  allmählich  von 
ihm  und  suchte  das  Lager  der  Bremer  Beiträger.  Sein  Biograph  weist 
auf  seine  geschickte  Technik  logischer  Handlungsführung  hin,  die 
ihn  nicht  nur  vorteilhaft  von  Geliert  unterscheidet,  sondern  ihn  selbst 
Johann  Elias  Schlegel  überlegen  zeigt.  Sein  erstes  Lustspiel  „Die 
Geistlichen  auf  dem  Lande"  (1743)  dürfte  durch  persönliche  Erfah- 
rungen des  Hallenser  Theologiebeflissenen  befruchtet  sein.  Ein  Vor- 
bild satirischer  Verspottung  des  Pietismus  lag  ihm  in  der  Gottschedin 
„Pietisterey"  nahe,  und  weiter  stand  ihm  Pate  das  unübertreffliche 
Meisterstück  jeden  Muckertums:  Molieres  „Tartuffe".  Im  allgemeinen 
hält  er  sich  strenge  an  die  Gottschedschen  Regeln.  Auch  ihm  ist 
die  Komödie  die  Nachahmung  einer  lasterhaften  Handlung.  Schon 
ist  aber  die  heilige  Fünfzahl  der  Akte  verlassen,  und  es  darf  wohl 
auf  das  Vorbild  seines  Lieblings  Marivaux  zurückgeführt  werden,  wenn 
er  zum  Heile  der  Handlungsführung  diese  in  drei  Akten  sich  abwickeln 
läßt.    Der  Einfluß  des  Marivaux  macht  sich  auch  geltend  in  der  Be- 


Gottsched:   Original komödien:  Johann  Christian  Krüger.  IA3 


tonung  der  Liebesintrige,  wodurch  der  Satire  entschieden  reichere 
Färbung  verliehen  wird.  Sicher  ist  Krüger  eine  ursprüngHche  Lust 
am  Komischen  eigen,  die  ihn  auch  die  comedie  gaie  der  serieuse  vor- 
ziehen Heß.  Aber  es  dürfte  doch  wesentlich  ein  Zugeständnis  an 
die  Bühne  sein,  für  die  er  als  Theaterdichter  verpflichtet  war,  wenn 
er,  die  derbe  Komik  Holbergs  nutzend,  in  der  Bedientenrolle  des 
Peter  die  alte  Harlekinsfigur  wieder  aufleben  läßt. 

Krügers  nächstes  Lustspiel  „Die  Candidaten"  (1747)  steht  äußer- 
lich den  Forderungen  Gottscheds  eher  noch  näher.  Der  Harlekins- 
bediente ist  verschwunden,  die  regelmäßige  Aktzahl  eingehalten. 
Seiner  Übertreibungslust  in  der  Satire  des  ersten  Lustspiels  legt  der 
Verfasser  hier  Zügel  an.  Aber  wiederum  bewährt  sich  sein  Talent 
zum  Niedrig-Komischen,  das  schon  Lessing  ihm  zuerkennt.  Christin- 
chen etwa  ist  die  längst  in  Harlekinspossen  traditionelle  Figur,  die 
heiratet,  um  den  reichen  Gemahl  um  so  besser  schröpfen  zu  können. 
Der  Untertitel  der  Komödie:  „Die  Mittel  zu  einem  Amt  zu  gelangen" 
zeigt  bereits  die  Richtung  der  Intrige;  es  ist  ein  Intrigenspiel,  das 
mit  Christian  Weises  „Bäuerischem  Machiavell"  zu  vergleichen  ist. 
Dadurch  aber  trennt  er  sich  innerlich  von  dem  Gottschedschen  Vor- 
bild. Was  er  an  Charakteristik  einfügt,  ist  nicht  mehr  die  einseitig- 
moralische Fixierung,  sondern  sind  verheißungsvolle  Versuche  zur 
individuellen  Verlebendigung.  Wenn  auch  die  dem  Theologen  ver- 
traute Zeitneigung  zum  Sentimental-Rührsamen  seine  Ansätze  wieder 
durchkreuzt,  so  liegt  doch  unter  dem  Firnis  des  Tugendhaften  in  der 
Gestalt  des  Hermann  lebendig  Geschautes,  mag  sein  Selbsterlebtes. 
Die  romanhafte  Verwicklung  mit  Verwandtenentdeckung,  verbunden 
mit  reichlicher  Rührseligkeit,  deutet  bereits  auf  den  Engländer 
Richardson  hin,  der  später  die  deutschen  Gemüter  so  beherrschen 
sollte.  Wie  ein  hellhöriger  Journalist  scheint  der  Theaterdichter  die 
Stimmung  der  Zeit  zu  wittern. 

Geliert  hat  bereits  seine  Wirksamkeit  entfaltet.  Hermann  und  Caro- 
line erweisen  sich  beide  als  typische  Figuren  der  Rührkomödie,  Her- 
mann schon  durch  seinen  Grundsatz  „Weh  dem,  der  lügt",  Caroline 
sowohl  durch  ihr  romanhaftes  Geschick  als  durch  ihre  edle  Haltung, 
mit  der  sie  trotz  ihres  unerwartet  entdeckten  Adels  und  Reichtums 
am  treuen  Verlobten  festhält:  „Ihr  Herz  ist  mehr  als  Adel  und  Reich- 
tum". Wir  vermeinen  Gellerts  Frauenideale  zu  hören,  denen  auch 
ohne  weiteres  jenes  Wort  Carolinens  in  den  Mund  gelegt  werden 
könnte:  „Was  uns  an  äußerlichem  Glücke  abgeht,  müssen  wir  uns 
durch  das  Glück  einer  zärtlichen  und  tugendhaften  Liebe  ersetzen". 
Bereits  der  Bearbeiter  des  Stückes  W.  C.  S.  Mylius  erkennt  1783,  daß 
Krüger  diese  „edlen  und  ernsthaften  Karaktere"  hatte  ,,warm  und 
rührend"  machen  wollen.  Element  der  Rührkomödie  ist  ja  auch  das 
stark  betonte  bürgerliche  Selbstbewußtsein.  In  der  unbedeutenden 
einaktigen,  Johann  Adolf  Schlegel  ausschreibenden,  im  Problem  dem 


144  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

„Bauer  mit  der  Erbschaft"  ähnlichen  gereimten  Posse  „Herzog  Michel", 
die  durch  das  ganze  Jahrhundert  hindurch  billige  Beliebtheit  bewahrte, 
fehlen  diese  Rührelemente  natürlich. 

„Der  blinde  Ehemann"  endlich,  wahrscheinlich  von  1749,  zeigt 
eine  weitere  Stufe  der  Entwicklung.  Der  Realismus  der  Gottsched- 
schen  Komödie  ist  durchbrochen;  Phantastik  dringt  in  das  Reich  des 
Rationalismus.  Das  viele  Jahrhunderte  alte  Gesetz  von  der  sozialen 
Fallhöhe  der  Komödie  hat  seine  Geltung  verloren,  insofern  als  ein  leib- 
haftiger Prinz  und  gar  eine  leibhaftige  Fee  in  der  Komödie  auftreten. 
Auch  hier  dürfte  das  Motiv  zur  Neuerung  bei  Krüger  die  Rücksicht 
auf  die  Bühnenwirkung  sein.  Aber  gerade  darin  sehen  wir  nicht  zu- 
letzt Krügers  geschichtliche  Wirkung.  Gottsched  hatte  die  Herrschaft 
des  Theaters  gebrochen.  Aber  obwohl  er  seine  Reform  in  Zusammen- 
arbeit mit  Fachleuten  des  Theaters  durchführte,  bedingte  der  strenge 
Rationalismus  seiner  dramatischen  Regeln  doch  auch  wieder  eine  Los- 
lösung des  Literaturdramas  von  der  Bühne,  da  seine  Komödie  im 
Gedanklichen  versandete.  Gottsched  schlägt  sich  mit  seinen  eigenen 
Waffen.  Krüger  eröffnete  der  Komödie  nun  wieder  neue  Gebiete, 
worin  eine  stärkere  Beteiligung  des  Theaters  ermöglicht  war.  Gewiß 
ist  Krüger  nicht  durch  theoretische  Erwägungen  dazugekommen, 
sondern  einerseits,  wie  erwähnt,  durch  praktische  Theatererfahrungen, 
andererseits  durch  fremdes  Vorbild.  Unzweifelhaft  hat,  außer  Marivaux' 
„Überraschung  der  Liebe"  und  „Sklaveninsel",  das  durch  verschiedene 
Übersetzungen  in  Deutschland  gut  bekannte  „Orakel"  von  Saint -Foix 
ihn  beeinflußt.  Die  gedankenblasse  Komödie  erhielt  dadurch  leb- 
haftere  Farbe,    wenn    es   auch   vorerst   noch  Theaterschminke   war. 

In  derselben  Richtung  wirkt  seine  Einführung  eines  neuen  Be- 
diententypus in  die  Komödie.  Schon  vor  Romanus,  dem  Verfasser  des 
„Crispin  als  Vater",  hat  Krüger  die  Figur  des  französischen  Crispin  in 
die  deutsche  Literatur  eingeführt.  Er  verschmilzt  den  Crispin,  wie  er 
nach  Flögel-Ebeling  —  darin  C.  H.  Schmids  Schreiben  über  die  Leip- 
ziger Bühne  von  1770  folgend  —  seine  Entstehung  Raimond  Poisson 
verdankt,  mit  dem  lustigen  Naturburschen  des  Marivaux  und  gibt  der 
deutschen  Komödie  eine  neue  Abart  des  Bedienten -Vertrauten.  Auch 
dieser  ist  natürlich  ein  Abkömmling  Harlekins. 

Deutlich  erkennen  wir  aus  all  diesen  Neuerungen,  daß  Krüger 
allmählich  von  Gottsched  abgerückt  ist.  Und  nicht  nur  in  seiner 
Komödienpraxis,  auch  theoretisch  tritt  er  für  größere  Freiheit  in 
der  Regelmäßigkeit  des  Lustspiels  ein,  wobei  er  auch  wieder  sich 
von  seinen  Theatererfahrungen  und  von  fremden  Vorbildern,  be- 
sonders Marivaux,  leiten  läßt.  Bedeutsam  ist,  daß  Krüger,  wie  sein 
Vorbild,  nicht  nur  gemäß  Gottscheds  Lustspieltheorie  lasterhafte 
Handlungen  verspottet,  sondern  die  Tugend  einer  standhaften  Frau 
triumphieren  läßt  und  dadurch  wiederum,  wie  schon  in  den  „Candi- 
daten",  ein  wesentliches  Element  der  Rührkomödie  einbezieht.     Der 


Johann  Elias  Schlegel:  Komödientheorie.  I45 

Praxis  der  Rührkomödie,  wie  sie  von  Geliert  geübt  wurde,  ent- 
spricht es  ja  auch,  wenn  Krüger  im  Gegensatz  zu  Gottsched  den 
Monolog  wieder  stärker  benutzt,  vor  allem  in  den  „Candidaten". 

3.  JOHANN  ELIAS  SCHLEGEL. 

a)  Komödientheorie. 

Krüger  erklärt  sich  nicht  ausdrücklich  als  Gegner  Gottscheds. 
Er  gehört  auch  nicht  offiziell  zu  dem  Lager  der  Bremer  Beiträger, 
die  von  Haus  aus  ja  ebenfalls  weniger  ausgesprochene  Gegner  Gott- 
scheds sind,  als  Neutrale  in  dem  Kampf  literarischer  Meinungen.  Ihr 
Hauptvertreter  des  Lustspiels  ist  Johann  Elias  Schlegel  (1719 — 1752). 
Auch  er  hat  sich  durch  Übersetzungen  Kenntnisse  erworben;  gerade 
den  von  Krüger  genutzten  Saint-Foix  übertrug  er  ins  Deutsche.  Doch 
weniger  seine  Lustspielpraxis  als  seine  Lustspieltheorie  mußte  ihn 
zum  Gegner  Gottscheds  machen. 

Der  grundsätzliche  Unterschied  zwischen  der  Theorie  beider  besteht 
darin,  daß  Gottsched  das  Drama  seinen  vorgefaßten  Regeln  anpaßt, 
während  Schlegel  die  Regel  aus  dem  Drama  herausholt.  Johann  Elias  |  cL^ 
Schlegel  sucht  ins  Innere,  ins  Wesen  des  Dramas  einzudringen,  er 
geht  der  inneren  Form  nach,  wenn  jener  an  der  äußeren  haften 
bleibt.  Gottscheds  Werkzeug  ist  der  Verstand,  Schlegels  das  Herz. 
Mit  vollem  Bewußtsein  stellt  er  das  Herz  als  Organ  des  Fühlens  in 
den  Vordergrund  zur  Aufnahme  von  Kunsteindrücken.  Bei  aller  An- 
erkennung der  historischen  Tat,  die  darin  liegt,  dürfen  wir  aber  auch 
nicht  vergessen,  daß  darin  die  Zeitstimmung  zum  Ausdruck  kommt, 
die  allmählich  von  der  nüchtern-rationalistischen  Weltbetrachtung  zur 
Epoche  der  Empfindsamkeit  sich  gewandelt  hatte.  Schlegel  ist  ihr 
Vertreter  in  seiner  Kunstanschauung.  Grundlage  des  Erlebens  eines 
Dramas  ist  ihm  das  Mitleben,  das  Mitldden  und  Mitfreuen  mit  dem 
Helden,  die  Sympathie.  „Nichts  ist  geschickter,  die  Zuschauer  in 
der  Aufmerksamkeit  zu  erhalten,  nichts  thut  hierinnen  eine  so  unge- 
meine Wirkung,  als  wenn  man  in  die  Handlung  eine  Person  von  einem 
solchen  Charakter  einflicht,  daß  der  Zuschauer  sie  lieb  gewinnt,  daß 
er  für  sie  leidet  und  wünschet  .  .  .  Denn  nie  kann  man  zuverlässiger 
von  der  Aufmerksamkeit  des  Zuschauers  versichert  seyn,  als  wenn 
sein  Herz  an  der  Handlung  Antheil  nimmt".  (Gedanken  zur  Auf- 
nahme des  dänischen  Theaters  1747.)  Darin  liegt  der  Grund,  aus  dem 
Schlegel  die  Harlekinaden  und  Possen  ablehnt.  Es  genügt  ihm  nicht,  j 
daß  die  Komödie  nur  Lachen  erre^.  So  sehr  es  ihre  Absicht  und 
Bestimmung  ist,  Lachen  zu  erwecken,  „muß  sie  doch  alle  Zeit  mit 
Erregung  einiger  Leidenschaften  vermischt  seyn".  Schlegel  ist  der  A 
erste  deutsche  Theoretiker,  der  die  heute  so  triviale  Entdeckung  ^ 
machte,   daß    in   Sachen    der   Kunst   das   Fühlen   vor   dem   Denken_ 

Holl,  Lustspiel.  lo 


jAf)  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

komme.     Nicht    logische   Beweisführung,    sondern    sinnliche   Beein- 
druckung fordert  er  vom  Kunstwerk. 

Deshalb  gibt  er  auch  die  äußere  Übereinstimmung  mit  der  Natur, 
das  naturalistische  Prinzip  der  Wahrscheinlichkeit,  das  Grundgesetz^ 
Gottschedscher  Theorie,  gern  preis,  wenn  er  nur  die  innere  Wahr- 
scheinlichkeit, die  ihren  eigenen  Kausalnexus  in  sich  trägt,  dafür  ein- 
tauscht.  Bereits  1741  schreibt  er  eine  „Abhandlung,  daß  die  Nach- 
ahmung der  Sache,  der  man  nachahmet,  zuweilen  unähnlich  werden 
müsse",  denn,  folgert  er,  „wie  kann  man  diese  Unähnlichkeit  tadeln; 
da  sie  allein  fähig  ist,  uns  die  Neugierigkeit  zu  belohnen,  derent- 
wegen wir  eine  Satyre  lesen,  oder  den  Schauplatz  besuchen,  da 
wir,  wenn  entweder  die  Comödie  dem  gemeinen  Leben,  oder  das 
gemeine  Leben  der  Comödie  vollkommen  ähnlich  seyn  sollte,  ent- 
weder in  der  Comödie  einschlafen,  oder  im  gemeinen  Leben  uns 
beständig  aus  dem  Athem  lachen  müßten;  kurz  da  wir  das  Ver- 
gnügen, das  wir  daraus  schöpfen,  nicht  genießen  könnten,  wenn  der 
Comödienschreiber  von  dem  Wahren  nicht  ein  wenig  abgewichen 
wäre".  Er  rechtfertigt  also  die  Unähnlichkeit  der  Nachahmung  mit 
dem  von  der  Komödie  bezweckten  Vergnügen. 

Darin  liegt  aber  wieder  ein  grundsätzlicher  Gegensatz  zu  Gottsched. 
Seine  Kunstanschauung  ist  nicht  mehr  von  moralischer  Teleologie  be- 
stimmt, sondern  von  ästhetischer;  ni(±it_jnelir._ili£--m-OraIisGhe  Lehr- 
Imftigkeit-ist  der  Endzweck  der  Komödie,  sondern  „das-Zii-erregende 
Vergnügen.  In  den  bemerkenswerten  „Gedanken  zur  Aufnahme  des 
dänischen  Theaters"  von  1747  betont  er  mit  aller  Entschiedenheit  das 
Vergnügen  als  den  Hauptzweck  des  Theaters.  [,,In  der  That  hat  das 
Theater  nicht  nöthig,  eine  andere  Absicht  vorzugeben,  als  die  edle 
Absicht,  den  Verstand  des  Menschen  auf  eine  vernünftige  Art  zu  er- 
getzen.l  Wenn  es  lehrt,  so  thut  es  solches  nicht  wie  ein  Pedant,  welcher 
es  allernal  voraus  verkündigt,  daß  er  etwas  Kluges  sagen  will;  sondern 
wie  ein  Mensch,  der  durch  seinen  Umgang  unterrichtet,  und  der  sich 
hütet,  jemals  zu  erkennen  zu  geben,  daß  dieses  seme  Absicht  sey.  Es 
ist  genug,  wenn  der  Poet  weis,  daß  er  in  seinem  Werke  Gelegenheit 
hat,  der  Sittenlehre  Dienste  zu  thun.  Und  der  dramatische  Poet  hat 
diese  Gelegenheit,  besonders  durch  eine  genaue_und  feine  Abschilde- 
rung  der^Gfimüther  und  Leidenschaften.  Die  Kenntniß  des  Menschen 
macht  einen  sehr  wichtigen  Teil  der  Sittenlehre  aus.  Diese  Kennt- 
niß besteht  größtenteils  in  der  Kenntniß  der  Charaktere  und  Leiden- 
schaften.    Das  Theater  ist  ein  Bild  von  beyden". 

Wir  vermögen  aus  diesen  Worten  sogar  noch  weiter  zu  folgern, 
daß  Schlegel  überhaupt  die  teleologische  Bestimmung  des  Kunst- 
werkes ablehnt,  daß  er  sich  zur  ästhetischen  Immanenz  bekennt. 
Diesem  Grundsatz  hat  er  schon  klaren  Ausdruck  verliehen  in  der 
„Abhandlung  von  der  Nachahmung",  die  er  1742  und  1743  in  den 
„Beyträgen   zur   critischen   Historie"   und  1745    im   „Neuen   Bücher- 


Johann  Elias  Schlegel:  Komödientheorie.  147 

saal  der  schönen  Wissenschaften  und  freyen  Künste"  abdruckt.  Dort 
lesen  wir  in  §§  17  und  19:  „Alles  Vergnügen  gehört  zu  den  Sachen, 
die  man  um  ihrer  selbst  willen  sucht  .  .  .  Alles  Vergnügen  also,  das 
aus  dem  Wesen  einer  Sache  fließt,  hat  die  Vermuthung  für  sich, 
daß  es  der  Endzweck  derselben  Sache  sey  .  .  .  Man  giebt  sonst  zum 
Endzwecke  der  Dichtkunst  zwey  Dinge  zugleich  an,  nämlich  Ver- 
gnügen und  Unterrichten  .  .  .  Wenn  wir  aber  fragen,  welches  von 
beyden  der  Hauptzweck  sey:  so  mögen  die  strengsten  Sittenlehrer 
sauer  sehen,  wie  sie  wollen,  ich  muß  gestehen,  daß  das  Vergnügen 
dem  Unterrichten  vorgehe,  und  daß  ein  Dichter,  der  vergnügt  und 
nicht  unterrichtet,  als  ein  Dichter,  höher  zu  schätzen  sey,  als  der- 
jenige, der  unterrichtet  und  nicht  vergnüget  ...  So  daß  überhaupt 
die  Regel  der  Nachahmung  nicht  näher  als  so  bestimmt  werden 
kann:  Suche  so  viel  Vergnügen  zu  erwecken,  als  dein  Vorbild  und 
die  Art  der  Nachahmung,  und  diejenigen,  für  die  du  nachahmest, 
zulassen".  Die  unmittelbare  Wirkung  des  Vergnügens^  ist.  das_ Ge- 
setz, dem  Schlegel  die"^ömodie~ünterordnet. 

Demgegenüber  fallen  natürlich  alle  die  wichtigen  Regeln  Gott- 
scheds in  ihrer  Kleinlichkeit  in  sich  selbst  zusammen.  Jetzt  gibt  es, 
nach  Comeilles  Vorgang  in  „Don  Sanche",  keine  soziale  Fallhöhe 
mehr  zwischen  Tragödie  und  Komödie.  Über  Krüger  hinausgehend 
lehnt  Schlegel  ausdrücklich  diese  äußerliche  Unterscheidung  ab. 
Nicht  das  Was  macht  die  Komödie^^  sondern  das  Wie.  Nur  zwei 
Gesetze  gibt  es  darin  für  Schlegel :  die,.  innere_Wahrheit  der _dar- 
gestellten  Charakter^_und_die_folgerichtige  Verknüpfung  der  Hand- 
lung injDrsachen...und  Wirkungeji.  ob  "eine  Komödie  Intrigen-  öder 
Charakterstück  sei,  stets  muß  dieHandlung  im   Charakter_der-han^ 

riplndpn  Pprt;nnpn  hegrÜn^lft  seinnTTärmtist  aber  aUCh  die  moralisch- 

einseitige  Charakteristik  überwunden.  „Je  größer  der  Meister  ist, 
desto  mehr  wird  man  den  Charakter  der  Person,  r|jp  ey  vorctpllt,  fast 
ang_jpHPTn  \Ä7r.rtp  prirrnnm — In  ihren  Leidenschaften,  in  ihren  Ent-  f^ 
Schlüssen,  in  ihren  vernünftigsten  Reden,  und  so  gar  in  ihren  Com- 
plimenten  wird  sie  ihre  schwachen  Seiten  verrathen"  (G.  z.  A.  d.  d.  Th.). 
Schlegel  fordert  lebendige  Charakteristik,  Individuation.  Es  ist  klar, 
daß  ihm  die  italienischen  Maskentypen  nicht  genügen  können.  Aber 
er  erkennt  auch,  daß  die  rohe  Natur  der  Engländer  mehr  innere 
Charakterwahrheit  verbürge  als  die  konventionelle  Eleganz  der  Fran- 
zosen. In  der  gerechten  Würdigung  englischer  Charakterisierungs- 
kunst steht  Schlegel  seinen  Zeitgenossen  weit  voraus.  Gegenüber  der 
Praxis  der  deutschen  Lustspieldichter  bedeutet  der  Ruf  Schlegels  nach 
indjvidnpllpn  rhaj;^ktei:£n_  einen  bedeutenden  Schritt  vorwärts. 

Mit  der  Forderung  eingehender  Charakteristik  der  Haupt-  und  Neben- 
personen verbindet  er  zugleich  den  nachdrücklichen  Hinweis  auf  kon- 
sequente Handlungsführung.  „So  bald  man  diese  Hauptregel  in  Acht 
nimmt,  daß  die  Handlung  beständig  fortgeheii_aQlL  und  daß  man  die 


SS 


1^8  Achtzehntes  Jahrhundert :   Die  Sächsische  Komödie. 

Absichten  und  Mittel  mit  ihren  Folgen,  und  die  Folgen  wiederum  mit 
ihren  neuen  Folgen  zu  verbinden  hat;  so  wird  eine  Handlung  mit 
leichter  Mühe  wahrscheinlich  werden.  Denn  eine  Begebenheit  ist  als- 
danji^wahrscheinlich,  wenn  sie  ihre  zureichende  Ursache  hat.  Durch 
jeden  Sprung  hingegen,  den  ich  begehe,  wenn  ich  etwas  ohne  Ursache 
geschehen  lasse,  verursache  ich  eine  Unwahrscheinlichkeit"  (a.  a.  O.). 
Diese  Forderung  könnte  identisch  sein  mit  Gottscheds  Einheitsregel 
der  Handlung.     Doch  Schlegd_Jiom_rnt  _  ej_jdel  ^mel^  die  innere 

kausale  Verknüpfung  an  als  auf  die  äußere  Einheit.  Wenn  wir  lesen, 
daß  er  gern  auch  mehrere  Handlungen  zuläßt,  wenn  sie  nur  im  dra- 
matischen Ablauf  schließlich  zu  einem  Knoten  verknüpft  werden,  so 
/erkennen  wir,  daß  es_Jhm  nicht  sx^  sehr  nuf  diff  Kin7igk^it  der  Hand- 
/  lung,  als  auf  die  Einheitlichkeit  des  dramatischen  Ablaufs  ankommt. 
I  Weiter  weist  er  darauf  hin,  daß  ihm  noch  lange  nicht  das  Gesetz 
^  dramatischen  Aufbaus  erfüllt  sei,  wenn  diese  einheitliche  Handlung 
sich  begnüge  mit  endlosen  Reden  um  ein  und  denselben  Gegenstand. 
Mit  scharfem  dramatischen  Blick  erkennt  er,  daß_  Geschelien  das 
Wesen  alles  Dramatischen  sei,  heute  würden  wir  es  Kampf  "nennen . 
Darin  sieht  er  gerade  das  Versagen  der  meisten  deutschen  Original- 
lustspiele, und  obwohl  ihm  alles  Possenhafte  zuwider  ist,  führt  er 
Holberg  als  Vorbild  an,  woran  seine  Landsgenossen  richtige  Handlungs- 
führung erlernen  könnten.  „Wie  die  Holbergischen  Komödien  auf  der 
einen  Seite  die  überhäuften  Absichten  und  Verwirrungen  vermeiden, 
so  vermeiden  sie  auf  der  andern  die  Unthätigkeit,  da  immer  eine  Szene 
nach  der  andern  verplaudert,  immer  von  denselben  Dingen  geredet, 
und  gleichwohl  nie  etwas  gethan  wird;  welchen  Fehler  insonderheit 
die  meisten  neuen  deutschen  Originalstücke  haben.  E^e  w_ohlein- 
gerichtete  Handlung  soll  in  jeder -^r^ne  von  pinlgpr  Erheblichkeit  etnen 
Schritt  weiter  gehen;  entweder  einen  neuen  Umstand  .ejrzählen,  oder 
ein  neues  Hinderniß»  in^en  Weg_  legeiU-eine  neue  That,  oder  wenig- 
stens einen  neuen  Entschluß  etwas  zu  thun  veranlassen  oder  vorstellen" 
(a.  a.  O.).  Dieses  dramatische  Verständnis  Schlegels  steht  weit  über 
den  nüchternen  Regeln  des  rationalistisch-absolutistischen  Gottsched. 
Folgerichtig  ergibt  sich  für  Schlegel  die  äußere  Form  als  unab- 
hängig von  jeder  äußeren  Regel,  bestimmt  allein  durch  die  Absicht, 
das  Dargestellte  möglichst  eindringlich  wirken  zu  lassen,  das  Fühlen 
des  Zuschauers  möglichst  anzuregen.  Deshalb  hat  er  schon  1740  für 
die  Komödie  im  Gegensatz  zu  dem  strengen  Gottschedgläubigen 
Straube  das  Recht  des  Verses  in  der  Komödie-yerfprhtrrr  Dieselbe 
Ansicht  spricht  er  wieder  aus  in  den  ausführlichen  ,, Gedanken  zur 
Aufnahme  des  dänischen  Theaters".  Aber  er  fordert  nun  keineswegs 
den  Vers  als  alleingültige  Sprachform.  Das  erste  deutsche  Lustspiel 
in  fünffüßigen  Jamben  stammt  1755  von  Cronegk  „Der  ehrliche  Mann, 
der  sich  schämt,  es  zu  sein".  Schlegel  selbst  hat  ja  nur  eines  seiner 
uns   erhaltenen   Lustspiele   in   Versen   geschrieben.     Er  weiß   sogar 


Johann  Elias  Schlegel:  Komödientheorie.  149 


1745  in  der  Vorrede  zur  Übersetzung  des  „Glorieux"  von  Destouches 
den  Gegnern  der  Verskomödie  einen  gewichtigeren  Grund  zu  ihrer 
Rechtfertigung  zu  liefern,  als  sie  selbst  vorgebracht  hatten:  „Diejenigen 
kennen  also  die  Natur  der  Poesie  besser,  welche  die  Comödie  in 
Versen  aus  dem  Grunde  angreifen,  daß  es  allzuschwer,  ja  gar  un- 
möglich sey,  die  dialogische  Art  zu  reden,  mit  dem  Zwange  des 
Sylbenmaaßes  zu  verbinden,  ohne  sie  undialogisch  zu  machen;  daß 
also  die  kleinere  Anmuth,  nämlich  die,  so  das  Sylbenmaas  dem  Werke 
ertheilt,  der  größeren  Anmuth,  nämlich  der,  welche  die  dialogische 
Art  zu  reden,  einem  Lustspiele  giebt,  weichen  müsse".  Es  erscheint 
allerdings  zweifelhaft,  ob  Schlegel  wirklich  der  Verfasser  dieser  Vor- 
rede sei;  gerade  gegen  den  angeführten  Satz  sprechen  seine  Theorie 
und  die  Praxis  der  „Stummen  Schönheit". 

Immerhin  dürfen  wir  nicht  vergessen:  ihm  ist  keine  Regel  von 
außen  her  an  sich  wertvoll,  sondern  Wert  findet  sie  erst,  insoweit 
sie  die  Wirkung  des  Dramas  auf  den  Zuschauer  fördert.  Immer 
wieder  hebt  er  die  Rücksicht  des  Bühnendichters  auf  den  Zuschauer 
hervor.  Hierin  nimmt  er  einen  bedeutsamen  Zug  der  dramatischen 
Aesthetik  auf,  der  bereits  im  i6.  Jahrhundert  in  Castelvetro  zur  För- 
derung der  Einheiten  einen  Vertreter  gefunden  hatte,  aber  in  Deutsch- 
land durch  die  apodiktische  Gesetzgeberei  rationalistischer  Theorie 
in  den  Hintergrund  gedrängt  worden  war.  Die  Freiheit  und  Selb- 
ständigkeit seiner  Kunstanschauung  bekundet  sich  auch  darin,  daß 
er,  der  erste  Verteidiger  Shakespeares,  auch  immer  wieder  auf  das 
Beispiel  der  Engländer  im  Gegensatz  zu  den  Franzosen  hinweist. 
Der  Fortschritt  über  Gottsched  hinaus  ist  offenbar.  Und  da  diese 
Neigung  zur  englischen  Literatur  nicht  auf  religiös-epischem  Boden 
gewachsen  ist,  sondern  in  der  empirischen  Erkenntnis  des  Wesen- 
haften des  englischen  Dramas,  so  bedeutet  sie  auch  einen  Fortschritt 
über  Gottscheds  unmittelbare  Gegner,  die  Schweizer.  Sie  rückt 
Schlegel  in  die  Nähe  Lessings.. 

Da  wäre  es  wirklich  verwunderlich,  wenn  er  sich  noch  an  Gott- 
scheds oberflächliche  Einheitsregeln  der  Zeit  und  des  Ortes  halten 
wollte.  Schon  in  seiner  ersten  Streitschrift  von  1740  hat  er  sie  als 
nebensächlich  charakterisiert.  In  den  ,, Gedanken  zur  Aufnahme  des 
dänischen  Theaters"  verwahrt  er._SLchL_£ntsch^ 

diese,  an  sich  nicht  unbegründeten  äußeren  Regeln— zum  Wesen  des 
Schauspiels  macheT  Nachdem  er  den  bissigen  Vorschlag  gemacht 
hat,  statt  des  neutralen  Zimmers  doch  einfach  das  Theater  selbst~als 
Schauplatz  anzugeben,  fährt,  er  fort;  _„es  würde  weit  besser  gewesen 
seyn,  wenn  der  Verfasser,  nach  dem  Gebrauche  der  Engländer,  die 
Scene  aus  dem  Hause  des  einen  m_-^^^  Haus  eines  andern  verlegt 
und  also  den  Zuschauer  seinem  Helden  nachgeführt  hätte,  als  daß 
er  seinem  Helden  die  Mühe  macht,  den  Zuschauern  zu  gefallen,  an 
einen  Platz  zu  kommen,    wo   er_  nichts  zu  thun  hat".     Damit  trennt 


JCQ  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 

SrTilpgel  scharf  äußere  Form  von  innprpr  .'srVinnhpit  nnH  warnt  mit 
alfer  Entschiedenheit  davor,  diese  durch  jene  bestimmen  zu  lassen. 
Für  unsere  Zwecke  ist  es  ohne  Bedeutung,  die  ausländischen  Theore- 
tiker zu  nennen,  über  die  Antoniewicz  eindringlich  belehrt  hat,  die 
Schlegels  freie  Anschauungen  gebildet  haben.  Das  wichtige  Moment 
für  die  Entwicklung  deutscher  Lustspieltheorie  ist,  daß  er  als  erster 
Deutscher  sie  nachdrücklichst  ausspricht. 

b)  Komödienpraxis. 

Unstreitig  ist  Johann  Elias  Schlegel  in_  seinen  ästhetischen  -  und 
dramaturgischen  Schriften  seirien  Zeitgenossen  weit  voraus  und  be- 
kundet sich  damit  als  unmittelbarer  Vorgänger  Lessings.  Doch  ebenso 
deutlich  muß  betont  werden,_daß  er  in  der  Praxis  seiner  Theorie  nicht 
entfernt  nahekommt  Von  ihm  gilt:  ,,Meliora  video,  deteriora  sequor". 
Deshalb  konnte  Gottsched  auch  kein  Bedenken  tragen,  im  IV.  Band 
seiner  Schaubühne  sein  Prosalustspiel  „Der  Geschäfftige  Müßiggänger" 
von  1741  zu  bringen,  das,  außer  in  einer  gewissen  Flüssigkeit  der 
Di^logführ^ipg^  sich  in  keiner  Weise  von  den  üblfcherLKomödien  nach 
Gottscheds  Rezept  unterscheidet.  Ihm  entspricht  auch  „Der  Geheim- 
nisvolle" von  1747.  Die  X)ialo^ü.hmiig.ist.noch~iebendiger  geworden, 
stellenweise  machen  sich  Ansätze  psychologischer  Entwicklung  bemerk- 
bar —  etwa,  wie  Amalia  allmählich"  sich~ihrer  Liebe  bewußt  wird  — , 
der  Handlungsablauf  ist  im  allgemeinen  in  seiner  Verwickeltheit  ge- 

SChickt  durchgeführt  und  verrät   eine   sichere  Beherrgrhnngr  wirksamer 

Bühnentechnik.     Die  Charaktere  des  Dieners  und  der  Dienerin  sind 


unter  dem  Einfluß  Holbergs  frisch  und  natürlich  angelegt  —  doch 
die  Hauptperson  wirkt  von  Anfang  an  durch~'3reTjbertreibung  seiner 
unbegründeten  Geheimnistuerei  eher  langweilig  als  komisch,  gerade 
in  ihm  ist,  wie  üblicTi  m  derlei  sogenannten  CEäirakterlustspielen, 
keinerlei  Entwicklung  zu  verspüren,  ebensowenig  wie  in  seinem  Gegen- 
bild, dem  törichten  und  schwatzhaften  Alleswisser,  dessen  Urbild  der 
Molieresche  Marquis  ist.  Wie  „Der  Geschäfftige  Müßiggänger"  ist 
auch  „Der  Geheimnißvolle"  in  Nachahmung  französischer  Vorbilder 
entstan^n.  Der  Hauptfortschritt  liegt  m  der  ^prachbehandlung,  in 
der  Schtegel  seinen  Vorgängern  und  Zeitgenossen  was  Natürlichkeit 
des  Ausdrucks  und  Biegsanikeit  der  Form  angehj-_entsrh jeden  über- 
legen ist.  Gegenüber  der  Komödientheorie  Gottscheds  ist  darin  ein 
Fortschri"fr~zu  sehen,  daß  es  Schlegel  mehr  um  die  Darstellung  kleiner 
Lächerlichkeiten,  die  allerdings  in  ihrer  Auswirkung  bedeutsam  genug 

werden   können,     als    um    Nach^hrrinngpri    Ifiste^haftpr    Hanrjlnnorpn    y^^ 

-tun  ist,  wodurch  £r.jdie  allzii,  grobe  moralische  Lehrhaftigkeit  der  Gott- 
schedianer  mit  Glück  meidet.  Trotzdem  aber  verdienen  beide  Komö- 
dien vollauf  das  harte  UrteilT^as  Lessing  im  52.  Stück  der  Hamburger 
Dramaturgie  über  sie  fällt. 


Johann  Elias  Schlegel:  Komödienpraxis.    Fortschritte  im  Technischen.  I^I 

Auf  Destouches  und  Moliere  zurückgehend,  angeregt  wahrschein- 
lich durch  Geliert,  haben  wir  aus  dem  Jahre  1748,  wie  Schlegels 
Biograph  Eugen  Wolff  nachgewiesen  hat,  dann  endlich  ein  Lustspiel 

Schlegels,   dag  in    ripr  porm    spinpr  yprfpir|ignng  der  VpTSknm^di^  '^n^"- 

sprichti_  „Die  stumme  Schönheit".     Es  ist  ein  Einakter  und  besitzt 
gerade  deshalb  eine  Gedrängtheit  des  T^fipdlnnggahlanfs^  wip  Sphlegel 
sie  weder  vorher  noch  nachher  erreicht  hat.    Dazu  sind  die  Charak- 
tere in  guteii-KontrastwJrkung  lebendig,  teilweise  individuell  gekenn- 
zeichnet. Die  Gegenüberstellung  von  Charlotte  und  Leolfiöre^  entspricht 
jener  von  Susanna  und  Carolina  im  „Bookesbeutel".    Zwischen  kon- 
ventioneller SieiHierMjnc^  ist  die  richtige 
Mitte  eingehalten.    Vor  allem  aber  erstaunen  wir,  ivie  geschickt  und 
frei  Schlegel  deiT Dialog  in  den  abwechselnd  stumpf  und  klingend 
rei DP en derL_ALgMI3xt ri n erp   si cli  jiBspiejen^jällAt.     Diese~irbeFrascHende 
Sicherheit  in  der  Verstechnik  ist  es  wohl  noch  vor  der  anschaulichen 
Charakteristik  und  der  fesselnden  Intrige,  dieLessings  Lob  im  13.  Stück 
der  Hamburger  Dramaturgie  hervorruft:  „Die  Sitten  darin  sind  daher  jl 
auch  wirklich  dänischer  als  deutsch.    Q^umngeachtet  ist  es  unstreitig  1/ 
unser  bestes  komisches  Original,  das  in  V^r^pn  gpsrVirifihen  i.st.  Schlegel  l 
hatte  überall  eine  ebenso  fließende  wie  zierliche  Versifikation,  und  esl 
war  ein  Glück  für  seine  Nachfolger,  daß  er  seine  größeren  Komödien ' 
nicht  auch  in  Versen  schrieb.     Er  hätte  ihnen  leicht  das  Publikum 
verwöhnen  können,  und  so  würden  sie  nicht  allein  seine  Lehre,  son- 
dern auch  sein  Beispiel  wider  sich  gehabt  haben". 

Schlegels  letztes  Lustspiel  „Der  Triumph  der  guten  Frauen",  das 
^XZ4S— gedruckt  wurde,  ist  wieder  in  Prosa  geschrieben.  Im  allge- 
meinen teilt  es  mit  dem  „Geheimnißvollen"  die  Fehler  und  Vorzüge.  / 
Die  Sprachtechnik  ist  derart  entwickelt,  daß  sie  nur  noch  selten  For- 
men  des  äußerlich erij  konventionellen  Schemas  aufweist  ihre  Beleb't- 
heit  wirkt7~wenn  auch  noch  .nicht  indiyidueU_  den  ein^^  Charak- 
teren angepaßt,  so  doch  durchaus  natürlich  und  ungezwungen,  die 
Spontan eitärtiber wiegt  bei  weitem  die  Berechnung.  Die  Namens- 
gebung wendet  sich  von  den  bisher  üblichen^amensschildern  zu 
den  französischer  Tradition  entnommenen  konventionellen  Namen, 
wie  sie  Geliert  schon  vor  Schlegel  verwendet.  In  dramaturgischer 
Technik  zeigt  sich  eine  Befreiung  von  der  rationalistischen  Wahr- 
scheinlichkeitsregel  Göttscheds~schon  dann,  daß  Schlegel  schön  wie- 
der  ohne~BedenEerr^fonologe  einführt.  Auch  darin  ist  ihm  Geliert  — 
und  auch  Krüger  —  vorangegangen. 

c)  Fortschritte  im  Technischen. 

Diese  Monologe  sind  sowohl  innerhalb  der  Akte  als  zum  wirk- 
samen Mittel  des  Abschlusses  verwendet.  Schlegel  hält  durchaus  fest 
an  der  Theorie,  daß  bei  jedem  Aktende  die  Bühne  frei  zu  machen 
ist,  eine  Theorie,  die  bis  in  modernste  Zeit  nachwirkt.    Aber  im  Gegen- 


ir2  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

satz  zu  seinen  Zeitgenossen  genügt  es  ihm  nicht,  rein  äußerlich  die 
Personen  zum  Verlassen  der  Bühne  aufzufordern,  wie  etwa  in  der 
„Pietisterey  im  Fischbeinrocke"  zu  Ende  des  vierten  Aktes  Herr 
Wackermann  sagt:  „Ich  will  aber  hier  nicht  weit  weggehen:  damit 
ich,  wenn  Scheinfromm  kömmt,  gleich  da  bin",  oder  wie  auch  noch 
Lessing  am  Ende  des  ersten  Aktes  der  „Minna  von  Barnhelm"  ganz 
äußerlich  die  Bühne  leer  macht;  wir  dürfen  auch  an  die  oft  zitierten 
Aktschlüsse  moderner  Lustspiele  erinnern:  „Das  Essen  ist  serviert" 
oder  „Die  Pferde  sind  gesattelt".  Schlegel  zeigt  das  Bestreben,  sich 
von  allzugroßenÄ-ußgrlLchkeit  in  der  Abgangsmotivierung  freizuhalten. 
Dies  beobachten  wir  schon  in  deni,,Müßiggänger"~und  dem  „Ge- 
heimnißvollen".  Lieber  läßt  er  seine  Begründung  ganz  weg  wie  im 
„Geheimnißvollen",  Akt  I,  als  daß  er  sie  an  den  Haaren  herbeizöge. 
Gerade  der  „Triumph  der  guten  Frauen"  zeigt  uns  deutlich  Schlegels 
entwickelteJTechnik  in  Hpr  Hprbpjführung  der  Aktschlüsse  mit  den_^ 
obligaten  Abgängen.  Das  Ende  des  ersten  Aktes  bildet  ein  Monolog 
Julianens,  der  uns  die  psychologische  Genesis  eines  Entschlusses  aus 
Für_ und  Wider  gibt.  Der  Entschluß  selbst  ist  dann  das  Abtreten 
Juhanens,  um  dem  geliebten  Gatten  nachzugehen.  Der  zweite  Akt- 
schluß besteht  wieder  in  einer  Rede  Julianens.  Da  Kathrine  am  Schluß 
dieser  Rede  nicht  mehr  erwähnt  wird,  darf  angenommen  werden,  daß 
der  erste  Satz:  „Bezahlet  dem  Phiiinte  .ineine-Schuld"  ihr  das  Stich- 
wort zum  Abgange  gibt.  Dann  ist  wieder  ein  Monolog  der  Abschluß, 
wobei  das  Abtreten,  um  sich  dem  Gatten  für  das  angebliche  Geschenk 
vergnügt  zu  erweisen,  folgerichtig  motiviert  ist.  Der  Beginn  des 
folgenden  Aktes  zeigt  uns  die  Folge  dieses  Entschlusses.  Ähnlich 
sind  der  dritte  und  vierte,  und  der  vierte  und  fünfte  Akt  verbunden. 
Schlegel  führt  hier  in  der  Praxis  aus,  v^^as  Lessing  im  45.  Stück  der 
Hamburger  Dramaturgie  als  Forderung  aufstellt,  ohne  sie  allerdings 
selbst  immer  in  seinen  Stücken  zu  befolgen:  „Esist  nicht  genug, 
daß  eine  Person  sagt,  warum  sie  kömnil;,_jiiail.-m"ß  auch  aus  der  Ver- 
biiidung:  einsehen,  daß  sie  darum  kamJBen  müssen.  Es  ist  nicht  genug, 
daß  sie  sagt,  warum  sie  abgeht,  man  muß  auch  in  dem  folgenden 
sehen,  daß  sie  wirklich  darum  abgegangen  ist".  Daß  Schlegel  diese 
Forderung  bereits  durchführt,  berechtigt  uns  um  so  mehr  an  seinem 
Beispiel  die  allgemeine  Technik  des  Aktschlusses  zu  erläutern.  Am 
En^e  des  dritten  Aktes  begründet  Philinte  ihrenAbgang  damit,  ihrem 
Mann  aus  einer  WechseTscTTUld  /ij|  jiHir^rr"  hip  Motivation  greift  auf 
Vorausgegangenes  zurück  und  entbehrt  daher  des  Eindruckes  des 
ad  hoc  Erfundenen.  Der  nächste  Akt  setzt  sofort  mit  dem  Berichte 
ein,  daß  sie  ihr  Vorhaben  ausgeführt  hat.  Für  Kathrinens  Abtreten 
ist  keinerlei  Begründung  gegeben.  Der  vierte  Aktschluß  muß  drei 
Personen  von  der  Bühne  entfernen.  Der  Abgang  Julianens  und 
Kathrinens  ist  durch  der  ersteren  ruhe-  und  hilfsbedürftigen  Zustand 
motiviert.  Nikander  geht  ab,  um  unterdessen  den  angemeldeten  Besuch 


Johann  Elias  Schlegel:  Fortschritte  im  Technischen.  IC 7 

Julianens  zu  unterhalten,  wozu  er  um  so  geneigter  ist,  als  dieser  Be- 
such die  ihm  schon  früher  anpy]ciindigi-e  Schwester  Philintes  ist. 
Wieder  zeigt  dann  der  Beginn  des  folgenden  Aktes  die  Ausführung 
seines  Vorhabens.  Der  Schluß  des  fünften  Aktes  und  damit  der  Stück- 
schluß vereinigt  nach  gewohntem  Schema  die  Hauptpersonen  zum 
Schlußbild  und  läuft  aus  in  die  spruchförmig  gefaßte  Lehre:  „Ihr 
Herren  Ehemänner,  ihr  mögt  noch  so  wild  oder  ausschweifend  seyn, 
als  ihr  wollt,  eine  gute  Frau  findet  schon  Mittel,  euch  wieder  zu- 
rechte zu  bringen". 

Daß  dieser  epigrammatische  Schluß  üblicher  Brauch,  zeigen  uns 
Beispiele,  wie  der  „Bock  im  Prozesse":  „Juristen,  böse  Christen; 
und  proceßiren  heißt  vexiren",  oder  der  „Bookesbeutel":  „Gleich  und 
gleich  gesellet  sich  gerne".  Stücke,  die  mehr  auf  das  Charakterlust- 
spiel angelegt  sind,  in  dem  Sinne,  daß  eine  vorherrschende  tadelns- 
werte oder  lächerliche  Eigenschaft  in  ihrer  Wirkung  auf  andere 
und  auf  den  Träger  selbst  dargestellt  wird,  laufen  gewöhnlich  auf 
eine  Pointe  aus,  die  das  Unverbesserliche  des  Hauptcharakters  aus- 
drückt. Schlegels  „Geschäfftiger  Müssiggänger"  hat  durch  seine  eitle 
Vielgeschäftigkeit  seine  eigentlichen  Obliegenheiten  versäumt  und  da- 
durch sich  um  Amt,  Beruf  und  Frau  gebracht.  Er  schließt  mit  den 
bezeichnenden  Worten:  „Ich  will  meinen  Fuchs  mit  den  sauren  Trauben 
vollends  fertig  zeichnen".  Der  „Geheimnißvolle"  muß  ebenfalls  zum 
Schlüsse,  nachdem  er  noch  durch  die  Gunst  des  Schicksals  trotz  seiner 
Geheimnistuerei  sein  Glück  erreicht  hat,  um  Verschwiegenheit  bitten 
und  dadurch  seine  Unbelehrbarkeit  bekunden.  Ähnlich,  nur  poin- 
tierter, durch  die  Darstellung  komisch  wirkungsvoller  ist  der  Schluß 
der  ,, Stummen  Schönheit",  worin  für  Charlotte,  getreu  ihrer  Rolle,  nach 
der  Schlußfrage  des^^oniusLujjyillst  du  mich?"  nur  die  szenarische 
Bemerkung  folgt:  „Charlotte  neiget^  sich^  Um  das  Lustspiel  recht 
vergnügt  unH~heiter  ausklingen  zu  lassen  und  ein  möglichst  heiteres 
Schlußtableau  herbeizuführen,  gehen  die  meisten  Komödien  auf  Heirats- 
sohließung  aus.  Ihr  Schutzpatron  scheint  der  kupplerische  Merkur  zu 
sein.  Auch  Schlegel  huldigt  diesem  Brauch,  wenn  er  sich  theoretisch 
auch  dagegen  wehrt. 

Schlegel  hält  sich  also  in  den  Bahnen  traditioneller  Technik,  aher 
er  vervollkommnet  sie,  indem  er  Äußerliches  innerlich  begründet.  Da 
der  „Triumph  der  guten  Frauen"  mit  dieser  dramaturgischen  Technik 
eine  Forderung  Lessings  besser  als  die  meisten  anderen  Werke  der 
zeitgenössischen  Schriftsteller  erfüllt,  da  er  zudem  mit^  Jebhaftnatür- 
lichem  Dialog  Witz  und  Gedanken  verbindet,  da  er  endlich  verschiedene 
Hajidlungen  zu  verwickelter  einheitlicher  Intrige  geschickt  verwirrt 
und  unter  Wachhaltung  unseres  Interesses  auflöst,  so  begreifen  wir, 
daß  der  scharfe  Kritiker  im  52.  Stück  der  Hamburger  Dramaturgie 
davon  urteilt:  ,, Dieses  Lustspiel  ist  unstreitig  eines  der  besten  deut- 
schen Originale".   Und  Mendelssohn,   dem  er  voll  beistimmt,  meint: 


jc^  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

„Hier  finde  ich  Leben  in  den  Charakteren,  Feuer  in  den  Handlungen, 
echten  Witz  in  ihren  Gesprächen  und  den  Ton  einer  feinen  Lebensart 
in  ihrem  ganzen  Umgange".  Wir  erkennen  gern  an,  daß  Schlegels 
Komödie  den  Werken  seiner  Zeitgenossen  überlegen  ist,  andererseits 
ist  das  ausgesprochene  Lob  aber  auch  nur  deshalb  möglich,  weil  diese 
zeitgenössischen  Werke  einen  so  tiefen  ^stlietischen  Pegelstand  auf- 
weisen. Wenn  Hinkende  um  die  Wette  laufen,  so  bleibt^derrwelcHer" 
von  ihnen  zuerst  an  das  Ziel  kommt,  doch  noch  ein  Hinkender.  Von 
dem  Hauptcharakter  Agenor,  den  selbst  Mendelssohn  tadelt,  sind  wir 
unsicher,  ob  er  ein  prößerer  Tyrann  ist  adex^-^in^räßerer  Dummkopf, 
weil  er  auf  Einreden  des_Verführers  seiner  Frau  eben  diese  treue  Frau 
in  der  schmählichsten  Weise  unbegründet  tyrannisiert.  Doch  gewinnt 
seiiie  Tyrannei  noch  ein  schärferes  Gesicht  durch  seine  eigene  Un- 
treue.  Der  junge  Goethe  wußte  dies  alles  unter  Benutzung  des 
Schlegelschen  Tanzmotivs  weit  liebenswürdiger  im  Schäferspiel  „Die 
Laune  des  Verliebten"  zu  gestalten.  Die  wuchtigen  Akzente  ertöten 
den  Reiz.  Dem  schwerblütigen  Agenor  ist,  wie  Lamon  dem  Eridon, 
der  leichtsinnige  Nikander  gegenübergestellt,  der  seine  ihn  liebende 
Frau  kurz  nach  der  Hochzeit  _gmndlQS_iieiiass£rLhat,  zehn  Jahre  lang 
allen  möglichen  Liebesabenteuern  nac  wie  der  Fall 

Juliähens  beweist,  nicht  vor  Schurkereien  zurückschreckt,  um  sein  Ziel 
zu  erreichen,  kurz  ein  Mensch,  dem  zur  Befriedigung  seiner  sinnlichen 
Lü^tCL  auch  da.s  gemeinste  Mittel  rechList.  Da  dies  alles  seiner  be- 
trogenen Frau  bekannt  ist,  ihr  also  nicht  das  Prädikat  eines  ahnungs- 
losen Engels  zukommen  kann,  und  sie  ihm  dennoch  alles  im  voraus 
verzeiht,  so  zweifeln  jyjr  wphl  mit  Rprht  P"  ihrpm  rnpnsrhlirhen  Fühlen 
und  halten  sie  weniger  für  eine  liebende  Fra.u  als  für  eine  gefühllose 
Puppe  des  Dichters.  Das  Motiv  der  Verkleidung  einer  Frau,  um  in 
Mannskleidern  den  Geliebten  zu  erobern,  ist  seit  Moliere  in  der  franzö- 
sischen Komödie  heimisch  und  vQJl-dg:_ans  in  die  deutsdl&-g£drungen. 
Doch  findet  es  sich  schon  in  den  lateinischen  Komödien  des  Mittel- 
alters und  dürfte  auf  Menander  zurückzuführen  sein.  Im  Gegensatze 
zu  Mendelssohn  und  Lessing  zweifeln  wir  weniger  an  der  Bekehrung 
Agenors,  dem  immerhin  die  mildernden  Umstände  des  Verführten. zur 
Seite  stehen,  als  an  der  Nikariders.  Hier  stimmen  wir  mit  den  Be- 
fürchtungen Kathrinens  zum  Stückschlusse  überein:  „Die  geschwin- 
desten Bekehrungen  sind  sonst  nicht  allemal  die  aufrichtigsten"  und 
„Das  Schlimmste  ist,  daß  man  bey  dergleichen  Sachen  sich  auf  das 
bloße  Versprechen  verlassen  muß". 

d)  Entwicklung  des  Gefühlsgehalts. 

Die  gegensätzliche  Stellung  Lessings  und  Mendelssohns  in  ihrem 
Urteil  zu  uns  Heutigen  ist  nur  aus  ihrer  Zeit  zu  verstehen.  Auch  sie 
sind  in  der  Zeitstimmung  der  Empfindsamkeit  befangen,  unter  derem 
Zwange  Schlegel  in  Philinte — Hilaria  wie  in  Juliane  ein  Tugendideal 


Johann  Elias  Schlegel:  Entwicklung  des  Gefühlsgehalts.  I55 

darstellt.  Das  Prinzip:  ^i'^^Tiig^nd  si^gt,  n^ll  "iliVil'^il  'iV'ii'^n  Es 
ist  kein  Zufall,  daß  die  romanhaften  Beziehungen  zwischen  Philinte — 
Hilaria  und  Nikander  denen  der  Hauptpersonen  von  Nivelle  de  la 
ChausseeSj^pausse  Antipathie"  und  „Melanide"  entsprechen.  Auch 
die  Forderung  Schlegels,  der  Dichter  müsse  die  Sympathie  des  Zu- 
schauers für  die  Helden  seiner  Dramen  erregen,  rückt  die  beabsich- 
tigte Gefühlswirkung  nahe  an  das  Endziel  der  Rührkomödie.  Die  zu 
erregenden  Leidenschaften  sind  nach  Schlegels  Sprachgebrauch  mehr 
als  weiche  Reaktionsgefühle  der  Lust  oder  Unlust  zu  verstehen  als 
im  heutigen  Sinne  sinnlich  mangelhafter,  triebhafter  blinder  Willens- 
ausschließung. Der  Zusammenhang  von  Schlegels  geforderter  Her-» 
zensanteilnahme  und  der  erstrebten  Rührung  der  comedie  larmoyante 
liegt  damit  nahe,  wie  in  der  Theorie,  so  auch  in  der  Praxis  des  vor- 
liegenden Lustspiels. 

Die  Personen  selbst  scheinen  aus  Richardsons  Romanen  zu  stammen. 
Nikander  wäre  der  Lovelace  aus  der  „Clarissa",  Clarissa  selbst  Juliane, 
wenn  nicht  der  Roman  erst  1748  erschienen  wäre.  Aber  „Pamela" 
erschien  1740.  Auch  hier  ist  das  Motiv  die  standhafte  Tugend  gegen- 
über begehrlich  er  Verführungskunst:  Juliane-Nikander,  und  das  Neben- 
motiv, die-Standhaftigkeit  des  Mädchens  niederen  Standes  gegenüber 
dejo^sinnlichen  Ajiträgen  des_Hau^herrn,  in  Schlegels  Lustspiel  ent- 
sprechen ebenfalls  den  Verhältnissen  der  „Pamela".  Und  schließlich 
sind  Philinte — Hilaria  und  Juliane,  wenn  sie  auch  nicht  mehr  moralisch-, 
einseitige  Charaktere  darstellen,  doch  ni<3ht~-mdividuell  gestaltete^, 
als  vielmehr. im^inne  Richardsons  vollkommene  Charaktere.  Als  un-* 
mittelbares  Vorbild  des  Nikander  glauben  wir  den  Verführer  Stuckeley 
in  Moores  bürgerlicher  Tragödie  „The  Gamester"  zu  erkennen.  Neben 
diesen  modernen  Motiven  benutzt  Schlegel  aber  auch  unbekümmert 
schon  längst  durch  die  Tradition  geheiligte.  Dajß.eine  als  Mann  ver- 
kleidete Frau  einen  Liebhaber  eifersüchtig  macht  uad„.gar  von  ihm 
zu  ernstem  Waffengang  herausgefordert  wirdj_ist  StammguLder  alteru 
spanischen  Vervvechslungskomö-dien.jind^-elaii^^  über  französische 
Rparbpitnng  in  Gilhprts  „Les  intrignes  amoureuses"  bereits  in  die 
Sammlung  der  Schaubühne  englischer  und  französischer  Komödian- 
ten von  1670.  Aber  auch  in  der  Aufwärmung  solcher  traditioneller  Ver- 
kleidungsmotive entfernt  sich  Schlegel  nicht  etwa  von  der  modernen 
Rührkomödie,  die  mit  Vorliebe  diese  Züge  für  ihre  romanhaften  Ver- 
wicklungen gebraucht. 

Schlegel  berichtet  uns  selbst,  daß  er  die  Anregungen  zu  seinem 
Lustspiele  von  Steeles  „Zärtlichem  Ehemann"  empfangen  habe.  Der 
Gehalt  ist  auch  durchaus  der  englischen  Moralistenliteratur  ent- 
sprechend. Wir  wissen,  wie  die  Addison,  Steele  und,  als  Komödien- 
schreiber ihnen  weit  überlegen,  Cibber  die  Bühne  zur  Kanzel  machten, 
von  der  herab  Moralpredigten  das  Bürgertum  auf  die  verklärte  Tugend 
hinweisen  sollten.    Richardson  verfolgt  dieselben  Tendenzen  in  seinen 


j  r5  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 

Romanen  und  erreicht  gerade  deshalb  so  einen  ungeheuren  Erfolg  in 
Deutschland.  Dem  englischen  Vorbild  ist  es  in  erster  Linie  zu  danken, 
wenn  in  Deutschland  ein  neues  Lebensgefühl  emporwächst,  das  seinen 
wesentlichen  Inhalt  in  einem  unerschütterHchen,  sittlichen  Optimis- 
mus findet.  Daß  Gottsched  sich  gegen  das  zunehmende  Interesse 
an  englischem  Denken  und  Dichten  immer  mehr  verschloß,  gab  ihm 
den  Todesstoß.  Gerade  daß  seine  Schweizer  Gegner  Milton  auf  ihre 
Fahne  geschrieben  hatten,  gewann  ihnen  die  meisten  Anhänger. 
Aber  wir  dürfen  daneben  auch  nicht  die  originalen  deutschen  Kräfte 
vergessen,  die  auf  ihrer  Seite  standen. 

4.  RÜHRKOMÖDIE, 
a)  Gefühlsgrundlage. 

Der  Kampf  der  Schweizer  gegen  Gottsched  ist  bereits,  wieder  unter 
Anlehnung  an  die  ästhetischen  Theorien  der  Engländer,  die  Auf- 
lehnung der  Phantasie  gegen  die  lastende  Herrschaft  des  Verstands, 
wenn  die  Schweizer  uns  persönlich  auch  nicht  weniger  hölzern  an- 
muten als  Gottsched.  Die  Triebkräfte,  die  aus  der  Tiefe  nach  oben 
streben  und  an  den  Grundpfeilern  des  Rationalismus  rütteln,  sind  im 
Grunde  rehgiöser  Art,  sie  sind  die  Regung  des  pietistischen  Unter- 
stroms deutschen  Geisteslebens,  der  nie  ganz  versiegt  war  und  stets 
den  Hort  des  Gefühls-  und  Gemütslebens  bildete.  Je  mehr  die  Ge- 
fühlsseite neben  dem  Verstand  im  menschlichen  und  gesellschaft- 
lichen Leben  nach  Anerkennung  ringt  und  sie  erringt,  um  so  mehr 
findet  sie  natürlich  auch  Eingang  in  die  Anschauungen  über  Kunst 
und  Erzeugungen  der  Kunst. 

Aber  noch  ist  das  Gefühlsleben  nicht  zum  selbständigen  Durch- 
bruch gekommen.  Dazu  bedurfte  es  in  Deutschland  erst  des  religiösen 
Erlebnisses  von  Klopstock.  Es  bleibt  bei  mehr  oder  minder  starken 
Gefühlsregungen,  die  die  in  der  starren  Verstandesherrschaft  erkältete 
Seele  anwärmten  und  verweichlichten  und  dadurch  befähigten,  den 
in  Frankreich  vorausgegangenen  Übergang  vom  großartigen  Schwung 
des  Barock  zur  gezierten  Sentimentafität  des  Rokoko  nachzuleben. 
In  Deutschland  vollzieht  sich,  vorzüglich  unter  englischem  Einfluß, 
ein  Wandel  des  Lebensgefühls,  der  wie  in  England  und  Frankreich 
seinen  Ausdruck  in  der  Kunst  und  damit  auch  im  Drama  findet. 
Mit  Recht  wurde  von  Walzel  bei  der  Entwicklung  des  bürgerlichen 
Dramas  darauf  hingewiesen,  daß  Rührung  dem  Rokoko  entspricht. 
„Dem  erhaben  schwungvollen  Lebensgefühl  der  Barockzeit  war  die 
beinahe  katzenjämmerliche  Stimmung  des  Rokoko  gefolgt.  Nun  war 
Rührung  zum  erwünschten  Endziel  der  Bühnenkunst  geworden".  Diese 
Zeitstimmung,  getragen  von  einem  sich  bewußt  gewordenen,  erstarkten 
Bürgertum,  bewirkt  einerseits  die  Entwicklung  der  heroischen  Tragödie 
zur  bürgerlichen,  andrerseits  die  Entwicklung  der  Komödie  zur  rühren- 


Rührkomödie:  Gefühlsgrundlage.    Vorgänger.  I^JT 


den.  Die  beiden  einander  genäherten  Dichtungsarten  stehen  auf  dem 
gemeinsamen  Boden  des  empfindsamen  Lebensgefühls  des  Rokoko: 
es  ist  das  Genre  larmoyant,  das  beiden  zugrunde  Hegt.  Beide  sind 
Familiengemälde,  stellen  dasselbe  Bürgermilieu  dar,  befassen  sich  mit 
Schwächen,  nicht  mit  Verbrechen  oder  Lastern,  legen  den  Leidenschaften 
Zügel  an  und  haben  ihre  höchste  Kunstabsicht  erfüllt,  wenn  die 
Tränen  der  gerührten  Zuschauer  reichlich  fließen.  Es  ist  nur  natür- 
lich, daß  beide  Dramenarten  leicht  und  häufig  ineinander  übergehen, 
so  daß  es  bei  einzelnen  Stücken  schwer  ist  zu  entscheiden,  ob  sie 
bürgerliche  Tragödie  oder  weinerliche  Komödie  benannt  werden  sollen. 
Dies  wurde  frühzeitig  erkannt.  Schon  der  erste  Gegner  der  neuen 
Komödienart,  Chassiron,  weist  in  seinen  von  Lessing  verdeutschten 
,, Reflexions  sur  le  Comique-larmoyant"  von  1749  darauf  hin,  daß 
dadurch  die  Grenzen  zwischen  Tragik  und  Komik  aufgehoben  würden. 
Die  geschichtliche  Entwicklung  läßt  daraus  das  bürgerliche  Schau- 
spiel entstehen,  das  im   19.  Jahrhundert  seine  Blütezeit  erlebte. 

b)  Vorgänger. 

Die  weinerliche  Komödie  jedoch  war  von  vornherein  ein  Zwitter- 
ding, dem  jede  Lebenskraft  außerhalb  der  tränenseligen  Rokoko- 
stimmung fehlte,  die  daher  auch  nur  vorübergehend,  eben  in  dieser 
sentimentalen  Epoche  Bedeutung  gewann.  Wieder  hatte  sie  ihr  Vor- 
bild in  Frankreich.  Daß  dort  die  Wendung  zum  Sympathisch-Rühren- 
den durch  die  enghsche  Moralgeste  mit  herbeigeführt  wurde,  haben 
wir  schon  oben  bei  Destouches  beobachtet.  Zum  Durchbruch  kam 
sie  aber  erst  bei  Nivelle  de  la  Chaussee,  bereits  mit  seinem  ersten 
Stück  „La  fausse  Antipathie"  von  1733,  dem  als  wichtigste  Vertreter 
des  neuen  Genres  1735  „Le  Prejuge  ä  la  mode",  1737  „L'Ecole  des  amis", 
1741  „Melanide",  1747  „La  Gouvernante"  folgten.  Wie  sehr  diese 
Tendenzen  mit  der  englischen  Literaturrichtung  übereinstimmten,  er- 
hellt daraus,  daß  Nivelle  de  la  Chaussee  1743  bereits  Richardsons 
„Pamela"  dramatisierte.  Louis  Riccoboni  hatte  1738  in  seinen  ,, Re- 
flexions historiques  et  critiques  sur  les  diff"erens  Theätres  de  l'Europe" 
dazu  theoretisch  den  Weg  geebnet,  indem  er,  unter  Heranziehung 
von  Nivelle  de  la  Chaussees  „Ecole  des  amis"  als  Beispiel,  die  Be- 
rechtigung einer  zwischen  tragischer  Erschütterung  und  komischer 
Belustigung  die  Mitte  haltenden  Gefühlserregung  erwies.  Mit  Nivelle 
de  la  Chaussee  ist  es  Voltaire,  die  zusammen  die  praktischen  Bei- 
spiele der  neuen  aufs  Entzückende,  Rührende  gehenden  dramatischen 
Kunst  liefern,  wobei  der  Marivaux  und  Destouches  als  kräftigsten 
Vorbereitern  nicht  vergessen  werden  darf.  Doch  während  Nivelle 
konsequent  zu  seiner  ,, Melanide"  fortschreitet,  worin  er  zugunsten 
der  Alleinherrschaft  des  Rührenden  alle  Komik  ausmerzt,  erkennt 
Voltaire  die  ästhetisch  weit  wertvollere  Art  der  Mischgattung  an  und 
lehnt  die  nur  Rührung    erstrebende  Komödie   durchaus    ab:    Si   eile 


jcg  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

manquait   de   comique,    si    eile   n'etait   que   larmoyante,    c'est   alors 
qu'elle  serait  un  genre  tres-vicieux  et  tres-desagreable. 

In  der  deutschen  Theorie  war  der  Boden  vorbereitet  durch  die 
vorher  erwähnte  Forderung  der  tugendhaften  Komödie,  wie  sie  von 
A.  D.  Richter  gegenüber  Gottscheds  lasterhafter  aufgestellt  worden 
war.  Johann  Elias  Schlegels  den  Schweizern  sich  zuwendende,  freie 
Kunstanschauungen  enthalten  dann  bereits  alle  wesentlichen  Grund- 
lagen der  Rührkomödie:  Abschaffung  des  Ständeunterschieds  zwischen 
Tragödie  und  Komödie,  Betonung  der  sympathetischen  Teilnahme 
des  Zuschauers  an  den  dargestellten  Vorgängen,  Erregung  der  Leiden- 
schaften in  Verbindung  mit  der  Wirkung  des  Komischen,  Vermeidung 
der  komischen  Charaktertypen.  Er  selbst  aber  hat  sich  in  dem  neuen 
Genre  noch  kaum  versucht,  wenn  wir  nicht  den  „Triumph  der  guten 
Frauen"  hierher  rechnen.  Dagegen  hat  er  schon  frühzeitig  sein  Auf- 
tauchen beobachtet.  Das  erste  rührende  Lustspiel,  das  in  Deutsch- 
land aufgenommen  wurde,  ist  Voltaires  „L'Enfant  prodigue",  dessen 
Aufführung  in  der  Übertragung  des  versgewandten  Schauspielers  Koch 
von  Schlegel  bereits  in  seiner  Streitschrift  gegen  Straube  1740  ge- 
rühmt wurde. 

c)  Charakter. 

Durch  Nacht  zum  Licht,  die  Tugend  siegt:  dies  sind  Sinnsprüche, 
wie  sie  für  die  comedie  larmoyante  des  Nivelle  de  la  Chaussee  und 
damit  für  die  ganze  Gattung  bezeichnend  sind.  Sie  entspricht  dem  ver- 
klärenden Tugendideal  der  Aufklärung,  ihrem  sittlichen  Eudämonis- 
mus,  der  mit  seinem  vertrauensvollen  Optimismus  lähmend  auf  die 
Tatkraft  wirkt,  quietistische  Resignation  gebiert.  Ihre  Gefühlsrichtung 
ist  durch  die  Vorliebe  für  das  in  ihr  immer  wiederkehrende  Wort 
„zärtlich"  gekennzeichnet.  Die  Komödie  ist  in  einen  Nebel  tränen- 
seliger Tugendhaftigkeit  eingehüllt,  der  mit  seinem  grauen  Dunst  alle 
Umrisse  ineinander  übergehen  läßt,  der  alle  Akzente  der  romanhaft 
verwickelten  Handlung,  der  Charaktere  und  der  Sprache  zu  gleich- 
förmiger Verwaschenheit  abschwächt.  Die  Tonstärke  der  Komposition 
ist  gedämpft.  Dies  ist  von  vornherein  günstiger  für  Entwirrungen 
als  Verwirrungen,  und  damit  stimmt  die  Anlage  der  Rührkomödie 
überein.  Da  die  Tugend  zum  Ziele  führen  muß,  so  muß  sie  zu  Be- 
ginn der  Handlung  in  Frage  gestellt  sein,  am  Schlüsse  aber  in  er- 
habener Verklärung  strahlen.  Mit  Recht  ist  daher  auf  die  analytische 
Komposition  als  Kennzeichen  der  Rührkomödie  hingewiesen  worden : 
Durch  Nacht  zum  Licht. 

d)  Christian  Fürchtegott  Geliert, 
aa)  Persönlichkeit. 
Die  von  Lessing  als  weinerliche  bezeichnete  Komödie  fand  in  Deutsch- 
land ihren  Hauptvertreter  ebenfalls  in  einem  der  Bremer  Beiträger,  in 
Christian  Fürchtegott  Geliert  (17 15  — 1769).    Mehr  als  bei  allen  bis  jetzt 


Rührkomödie:  Charakter.    Chr.  F.  Geliert:  Persönlichkeit.    Theoretische  Anschauung.      159 


genannten  Komödiendichtern  fließt  Gellerts  Schaffen  aus  dem  Grunde 
einer  einheitlichen  PersönHchkeit.  Dichter  und  Werk  sind  eins.  Aller- 
dings ist  die  Bezeichnung  Dichter  zu  hoch  gegriffen.  Dazu  fehlt 
Geliert  der  göttliche  Funke.  Er  ist  Schriftsteller,  dessen  Schreiben 
bestimmt  ist  von  seiner  Charakteranlage,  von  seiner  Lebensstellung. 

Goethe  schildert  uns  den  Leipziger  Professor  aus  der  Zeit,  da  er 
ihn  selbst  noch  hörte,  nach  seinem  Äußern  und  Innern:  „Nicht  groß 
von  Gestalt,  zierHch,  aber  nicht  hager,  sanfte,  eher  traurige  Augen, 
eine  sehr  schöne  Stirn,  eine  nicht  übertriebene  Habichtsnase,  ein 
feiner  Mund,  ein  gefälliges  Oval  des  Gesichts:  alles  machte  seine 
Gegenwart  angenehm  und  wünschenswert"  (,,Dichtung  und  Wahr- 
heit" 11,6).  Geliert  „glaubte  uns  mit  den  kirchhchen  Anstalten  zu  be- 
zwingen; deswegen  er  gewöhnlich,  wenn  er  uns  einmal  vor  sich 
ließ,  mit  gesenktem  Köpfchen  und  der  weinerlich-angenehmen  Stimme 
zu  fragen  pflegte,  ob  wir  denn  auch  fleißig  in  die  Kirche  gingen, 
wer  unser  Beichtvater  sei,  und  ob  wir  das  heilige  Abendmahl  ge- 
nössen. Wenn  wir  nun  bei  diesem  Examen  schlecht  bestanden,  so 
wurden  wir  mit  Wehklagen  entlassen;  wir  waren  mehr  verdrießlich 
als  erbaut,  konnten  aber  doch  nicht  umhin,  den  Mann  herzlich  lieb 
zu  haben"  .  .  .  „Die  schöne  Seele,  der  reine  Wille,  die  Teilnahme  des 
edlen  Mannes  an  unserem  Wohl,  seine  Ermahnungen,  Warnungen 
und  Bitten,  in  einem  etwas  hohlen  und  traurigen  Tone  vorgebracht, 
machten  wohl  einen  augenblicklichen  Eindruck;  allein  er  hielt  nicht 
lange  nach,  um  so  weniger,  als  sich  doch  manche  Spötter  fanden, 
welche  diese  weiche  und,  wie  sie  glaubten,  entnervende  Manier  uns 
verdächtig  zu  machen  wußten"  (a.  a.  O.  II,  7).  Diese  Beschreibung, 
der  noch  das  bezeichnende  Wort  aus  dem  Schema  zu  „Dichtung  und 
Wahrheit"  angereiht  sei:  „Geliert:  Wehklage  unter  den  Lebendigen", 
möge  uns  genügen,  um  uns  ein  Bild  des  zart-ängstlichen  Charakters 
zu  geben,  dessen  Vorname  Fürchtegott  sehr  gut  zu  seinem  Träger  paßt. 

Bei  dem  frommen  Theologen  wundern  wir  uns  nicht,  daß  er  seine 
Lustspiele  zu  moralisch -didaktischen  Erbauungstraktätchen  gestaltet, 
wir  wundem  uns  nicht,  daß  er  immer  mehr  alles  Derbkomische, 
Possenhafte  als  dem  erhabenen  Zwecke  zuwider  ausschaltet,  wir  wun- 
dem uns  endHch  nicht,  daß  er  dies  edle  Ziel  durch  zärtliche  Rührung 
in  Anschauung  reiner  Tugend  erstrebt.  Er  schreibt  selbst  im  Vorwort 
zur  Ausgabe  seiner  Lustspiele:  „Sollten  einige  an  der  Betschwester, 
dem  Lose  in  der  Lotterie  und  den  zärtlichen  Schwestern  überhaupt 
tadeln,  daß  sie  eher  mitleidige  Tränen,  als  freudige  Gelächter  erregten: 
so  danke  ich  ihnen  zum  voraus  für  einen  so  schönen  Vorwurf". 

bb)  Theoretische  Anschauung. 

Gellerts  Vorbilder  sind  Richardspn  und  Nivelle  de  la  Chaussee. 
Durch  Wesensgleichheit  Richardson  verbunden,  den  er  für  noch  „un- 
sterblicher bei  Christen"  als  Homer  preist  und  dessen  „Pamela"  er  in 


l50  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 

der  „Betschwester"  charakterisiert:  „Ein  sehr  guter  Roman,  der  die  Un- 
schuld und  Tugend  hebenswürdig  zu  machen  sucht",  erklärt  er  sich 
unbedingt  für  die  durch  Nivelle  de  la  Chaussee  gepflegte  comedie 
larmoyante,  zu  deren  Verteidigung  er  beim  Antritt  seiner  Professur 
/■1751  eine  Abhandlung  schreibt:  „Pro  comoedia  commovente".  Lessing 
übersetzte  sie  und  druckte  sie  zusammen  mit  Chassirons  Angriffs- 
schrift 1754  in  der  Theatralischen  Bibliothek  ab. 

Geliert  unterscheidet  zwei  Arten  von  Komödien,  eine  lustige  und 
/eine  ernste,  eine  aufs  Äußerliche  gehende  und  eine  das  Innerliche 
/  treffende,  eine  lachende  und  eine  lächelnde,  eine  das  Laster  verlachende 
/  und  eine  die  Tugend  verherrlichende.  Dieser  letzteren  Art  erkennt 
'  er  den  Preis  zu,  sie  ist  mit  dem  „Schein  der  Traurigkeit"  „ungemein 
süße".  Die  damit  gerechtfertigte  Rührkomödie  verteidigt  er  gegen  den 
Vorwurf  Chassirons  der  Verwischung  der  Grenzen  von  Komik  und 
Tragik,  indem  der  Komödie  nur  die  zärtlichen,  gedämpften  Leiden- 
schaften zugewiesen  werden.  Auf  den  andern  Vorwurf  des  Wider- 
spruchs mit  sich  selbst  durch  ernsthafte  Erregung  der  Affekte  spricht 
er  sich  für  geschickte  Mengung  komischer  und  rührender  Charaktere 
aus.  Wenn  Geliert  auch  die  Lachen  bezweckende  Komödie  nicht  ver- 
urteilt, so  fordert  er  doch  auch  Anerkennung  für  jene  Komödie,  die 
ernste  Gemütsbewegung  erregt,  und  er  sieht  als  moralischer  Erzieher 
in  der  Darstellung  rührender  Tugend  die  preiswerte  moralische  Be- 
deutung der  neuen  Lustspielart.  Im  tiefsten  Grunde  ist  es  derart 
//  wiederum  eine  außerästhetische  Betrachtung,  durch  die  er  die  Rühr- 
komödie rechtfertigt.  Darin  liegt  ein  Rückschritt  gegenüber  Schlegel. 
Andrerseits  durchbricht  Geliert  die  strenge  Regelhaftigkeit  rationali- 
stischer Kunstanschauung,  indem  er  von  dem  durch  die  Schweizer 
zuerst  vertretenen  Prinzip  ausgeht,  das  Kunstwerk  schaffe  sich  die 
Regel  und  dürfe  daher  auch  deren  Grenzen  erweitern.  Und  weiter 
fördert  die  geforderte  Verschmelzung  komischer  und  ernsthafter  Cha- 
raktere —  der  er  allerdings  in  seiner  Lustspielpraxis  je  länger  je  mehr 
entsagte  —  eine  Kunstanschauung,  die  vom  Drama  eine  erweiterte 
und  vertiefte  Mannigfaltigkeit  dargestellten  Lebens  erwartet,  die  damit 
Vorbedingung  war  zur  Aufnahme  Shakespeares  in  Deutschland.  Doch 
diese  Konsequenzen  lagen  dem  zärtlichen  Magister  ferne.  Er  suchte 
als  empfindsamer  Moralist  durch  Rührung  das  moralische  Endziel 
menschlicher  Besserung  zu  erreichen.  Darin  lagen  ihm  Grund  und 
Zweck  der  Rührkomödie,  in  der  Theorie  wie  in  der  Praxis. 

cc)  Praxis. 

Schon  Gellerts  erstes  Lustspiel  „Die  Betschwester"  von  1745  zeigt 
dies.  Es  gehört  einerseits  noch  durchaus  in  die  Tradition  typischer 
lasterhafter  Charakterbilder  der  sächsischen  Komödie.  Molieres  „Tar- 
tuffe" ist  der  Ahnherr  des  Geschlechts,  dem  die  Betschwester  Richardinn 
angehört,  ihre  ältere  Schwester  ist  die  Frau  Glaubeleichtin  aus  der 


Rührkomödie:  Chr.  F.  Geliert:  Praxis.  l6l 

Gottschedin  „Pietisterey".  Mit  der  Darstellung  dieses  Charakters  eigen- 
nütziger heuchlerischer  Frömmigkeit  ist  eine  Heiratsintrige  verbunden, 
die  durchaus  auf  dem  Boden  der  Rührkomödie  steht.  Die  wesent- 
lichen Züge  sind  der  französischen  Komödie  entnommen.  Die  Heirat 
zwischen  Christianchen  und  Simon  ist  wegen  allzu  großer,  als  Blödig- 
keit erscheinender  Schamhaftigkeit  der  Braut  und  des  geizigen  Cha- 
rakters der  scheinfrommen  Schwiegermutter  in  Frage  gestellt.  Durch 
den  selbstverleugnenden  Edelmut  Lorchens  werden  die  Hindernisse 
überwunden  und  der  Heiratsschluß  herbeigeführt  und  damit  die 
Freudentränen  gerührter  Zuschauer  ob  so  viel  Tugend. 

Der  Unterschied  in  der  dichterischen  Begabung  Gellerts  und  Johann  \ 
Elias  Schlegels  wird  sofort  offenbar,  wenn  wir  die  „Betschwester"  mit  \ 
der  davon  angeregten  ,, Stummen  Schönheit"  vergleichen.  Schlegel  löst 
die  von  der  Betschwestersatire  durchaus  unabhängige  Heiratsintrige 
los  und  gestaltet  sie  allein.  Die  Parallelität  der  Personen  ist  auffallend, 
selbst  wenn  wir  in  Rechnung  stellen,  daß  der  traditionelle  schematische 
Aufbau  der  damaligen  Komödien  solche  nicht  nur  begünstigt,  sondern 
bedingt:  Zwei  junge  Mädchen,  die  in  schwesterlich  vertrautem  Ver- 
hältnis stehen,  offenbaren  sich  bei  der  Werbung  in  ihrem  Wertunter- 
schiede. Die  umworbene  Haustochter  weiß  nichts  zu  reden,  die  andere 
ist  der  Typus  des  Frauenideals  der  damaligen  Zeit  und  zieht  daher 
ihres  überragenden  inneren  W^ertes  halber,  obwohl  sie  arm  ist,  den 
Bewerber  zu  sich  herüber.  W^enn  sie  ihn  auch  selbst  liebgewinnt,  so 
will  sie  doch  aus  Tugend  auf  ihn  zugunsten  der  Reichen  verzichten 
und  selbst  sich  bemühen,  diese  durch  ihre  Hilfe  und  Erziehung  der 
Liebe  des  Bewerbers  würdig  zu  machen.  Die  Mutter  der  stummen 
Schönheit  ist  in  beiden  Fällen  eine  geizige,  selbstsüchtige  alte  Witwe. 
Mutter  und  Tochter  sind  Vertreter  des  äußeren  Wertes  —  Geschenke 
spielen  bei  ihnen  wie  bei  der  Werbung  im  ,,Bookesbeutel"  eine  große 
Rolle  — ,  Lorchen  (Leonore)  ist  Vertreterin  des  inneren  Wertes,  der 
über  jenen  siegt. 

Soweit  stimmen  beide  Intrigen  bei  Schlegel  und  Geliert  überein. 
Es  mag  ihnen  beiden  das  gleiche  Urbild  in  Destouches'  „La  fausse 
Agnes"  vorgelegen  haben.  Doch  Schlegel  schaltet  im  Gegensatz  zu 
Geliert  das  Motiv  der  Rührung  aus,  er  benutzt  daher  nur  die  beiden 
ersten  Aufzüge  Gellerts  und  betont  darin  um  so  stärker  die  Komik, 
besonders  die  Situationskomik,  und  um  sie  wirkungsvoll  zu  gestalten, 
drängt  er  in  richtiger  Erkenntnis  die  Handlung  in  einen  Akt  zu- 
sammen. Der  Bewerber  ist  mit  größerer  Realistik,  individueller  ge- 
zeichnet, ich  erinnere  daran,  wie  ihm  der  Angstschweiß  ausbricht  bei 
den  vergeblichen  Anstrengungen,  mit  seiner  Braut  eine  Unterhaltung 
anzuknüpfen;  die  stumme  Schönheit  ist  in  der  Motivierung  ihrer  ' 
Stummheit  natürlicher,  indem  sie  tatsächlich,  wie  schon  Lessing 
erkannt  hat,  aus  Unbegabtheit  nichts  zu  reden  weiß,  von  Natur  aus 
nicht  in  das  ihr  aufgedrängte  Standesmilieu  paßt  und  infolgedessen 

H  o  1 1 ,   Lustspiel.  1 1 


1^2  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

gesellschaftlich  erst  recht  scheu  ist  und  daher  verstummt.  Schlegel 
scheidet  aus  der  Handlung  alle  ihr  fremden  Elemente  aus.  Den  mit 
der  UnWahrscheinlichkeit  des  Hauptmotivs  unvereinbaren  Naturalis- 
mus der  äußeren  Form  meidet  er  durch  Versdiktion,  vertieft  aber  die 
Wirksamkeit  durch  individuelle  Zeichnung  der  Hauptcharaktere. 
Geliert  demgegenüber  verquickt  die  Komik  mit  Rührung  und  dehnt 
dadurch  die  Handlung  über  ihren  inneren  Gehalt  hinaus  aus.  Charak- 
teristisch für  das  erstrebte  Rührende  ist  die  5.  Szene  im  II.  Aufzug 
mit  dem  Worte  Lorchens:  „Ich  bin  über  diese  unschuldige  Aufrich- 
/  tigkeit  so  gerührt,  daß  ich  gehen  muß,  wenn  Sie  nicht  die  Zeichen 
meiner  Schwachheit  in  meinen  Augen  sehen  sollen".  Die  Verquickung 
der  Rührintrige  mit  der  Betschwestersatire  ist  innerlich  unbegründet 
und  wohl  nur  vollzogen,  um  der  später  ausgesprochenen  theoretischen 
Forderung  der  Mengung  komischer  und  rührender  Charaktere  zu 
entsprechen;  die  psychologische  Erziehung  seiner  stummen  Schön- 
heit ist  unglaublich  rasch,  obwohl  an  sich  gut  bedacht.  Sie  vertritt 
den  sentimentalen  Naiventypus  auf  der  deutschen  Bühne.  Schlegel 
dagegen,  der  seinen  Naiventypus  ohne  sentimentale  Beimischung,  ja 
eher,  wie  etwa  die  Gestalt  der  ungebildeten  Naiven  im  „Bookesbeutel", 
ohne  Sympathie  darstellt,  hat  erkannt,  daß  das  Motiv  der  Intrige  ein 
Possenmotiv  ist,  das  ohne  Versuch  innerer  Psychologie  im  tempo 
presto  abgespielt  werden  muß;  er  paßt  Gehalt  und  Form  einander  an, 
Geliert  gestaltet  nach  außerästhetischen  Überlegungen  und  Zwecken 
und  muß  daher  das  Motiv  einer  ihm  fremden  Form  zuliebe  über 
seine  innere  Tragfähigkeit  ausdehnen  und  seiner  Wirkung  berauben. 
Schlegel  gestaltet  als  Dichter,  Geliert  als  berechnender  Schriftsteller. 
Eine  Aufführung  von  Schlegels  Posse  wäre  auch  heute  noch  mög- 
lich, etwa  in  einem  historischen  Lustspielabend,  während  eine  solche 
von  Gellerts  „Betschwester"  undenkbar  ist. 

Ebensowenig  erreicht  Geliert  Schlegels  Begabung  in  seiner  Ko- 
mödie „Das  Loos  in  der  Lotterie".  Wie  die  „Betschwester"  ist  auch 
dieses  technisch  geschicktere  Stück  in  den  Bremer  Beiträgen  erschienen 
(1746/47).  Wiederum  laufen  darin  zwei  Handlungen :  eine  Heiratsintrige 
und  die  Geschichte  eines  mit  jedem  der  fünf  Akte  wandernden,  zum 
Schluß  aber  doch  in  die  rechten  Hände  gelangenden  Loses.  Doch 
das  Nebeneinander  ist  gut  zu  einem  Ineinander  verflochten.  Das  Ende 
zeigt  uns  natürlich  das  im  Glänze  belohnter  Tugend  strahlende  zärt- 
liche Brautpaar.  Zwei  Ehepaare,  Dämon  und  Orgon,  sind  kontrastiert, 
in  dem  Eheverhältnis  wie  in  den  einzelnen  Ehegatten:  der  geizige, 
stets  geschäftige  Dämon  steht  dem  uninteressierten,  stets  schläfrigen 
Orgon  gegenüber,  die  tugendhafte,  selbstlose  Frau  Dämon  der  klatsch- 
süchtigen, neidischen  Frau  Orgon;  Dämon  beherrscht  seine  Frau, 
Frau  Orgon  ihren  Mann.  Dazu  treten  Carolinchen  und  Simon.  Der 
noch  im  letzten  Augenblick  als  deus  ex  machina  auftretende  Anton, 
der  Verlobte  Carolinchens,  ist  überhaupt  ohne  jede  Zeichnung.    Caro- 


Rührkomödie :  Chr.  F.  Geliert:  Praxis.  163 

linchen  aber  ist  wieder  das  Frauenideal  Gellerts,  das  gleichmäßig 
religiöse,  ethische  und  intellektuelle  Vollkommenheit  verbindet.  Geliert 
kennt  als  Geistlicher  der  Aufklärungszeit  überhaupt  nur,  bei  dem  männ- 
lichen wie  dem  weiblichen  Geschlecht,  die  Dreieinigkeit  der  Begriffe 
ReHgion,  Tugend  und  Bildung,  im  positiven  wie  im  negativen  Sinne. 
Die  Seelenkunde  ist  entschieden  vereinfacht,  indem  die  Menschen  ent- 
weder gut  und  klug  und  fromm  oder  schlecht  und  dumm  und  un- 
fromm sind.  Simon  ist  das  negative  Gegenstück  zu  Carolinchen.  Er 
ist  dementsprechend  einer  jener  dem  frommen  Geliert  verhaßten  Frei- 
denker, die  er  im  Einklang  mit  seiner  vereinfachten  Seelenkunde  im 
Stücke  selbst  charakterisiert  (111,6):  ,,Zur  Profeßion  eines  Freydenkers, 
den  Sie  vermuthlich  vorstellen  wollen,  gehört  nichts  mehr,  als  wenig 
Verstand,  ein  wildes  Herz,  etliche  englische  oder  französische  Blätter 
voller  Galle  wider  die  Schrift,  ein  gut  Glas  Wein,  ein  gesunder  Körper, 
der  Besuch  gewisser  Häuser,  die  ich  ohne  Schamröthe  nicht  nennen 
kann,  und  wenn  man  es  recht  hoch  bringen  will,  eine  ohne  Vorsich- 
tigkeit und  Klugheit  angestellte  Reise  in  fremde  Länder".  Bei  dieser 
Charakteristik  ist  es  natürlich,  daß  Geliert  dem  dummen  und  unmora- 
lischen Freidenker  Simon  auch  die  Züge  der  seit  Holberg  beliebten 
Figur  des  Deutschfranzosen  beilegt.  Gellerts  komische  Motive  deuten 
auf  Kenntnis  Holbergs;  aber  größtenteils  dürfte  er  sie  dessen  Nach- 
ahmern in  der  sächsischen  Komödie  entlehnt  haben,  soweit  sie  nicht 
deren  französischen  Vorbildern  entstammen. 

Das  dritte  Lustspiel  Gellerts  endlich  von  1747  zeigt  uns  die  Rühr- 
komödie in  ihrer  ausgebildetsten  Form:  „Die  zärtlichen  Schwestern". 
Zärtlichkeit  bedeutet  nach  Gellerts  Sprachgebrauch  tugendhafte  Liebe. 
Diese  bildet  das  Hauptmotiv  des  tränenreichen  Stückes.  Julchen,  die 
jüngere  Tochter  Cleons,  widerstrebt  aus  mißverstandenem  Freiheits- 
begriff dem  Eheglücke  an  der  Seite  ihres  reichen  Bewerbers  Damis. 
Diese  Motivierung  ist  allerdings  für  die  deutsche  Literatur  eine  NeuH 
schöpfung,  aber  von  Geliert  aus  der  französischen  Komödie  entnom-' 
men.  Die  weibliche  Ehescheu  wird  erst  viel  später  durch  Immermann 
in  „Cardenio  und  Gelinde"  dramatisch  ausgewertet.  Julchen  wird  durch 
eine  unschuldige  List  ihrer  älteren  Schwester  Lottchen,  des  typischen 
Gellertschen  Frauenideals,  am  Stückschlusse  ihrem  Glücke  zugeführt. 
Lottchen  selbst  aber  muß  zu  ihrem  und  unserem  Leidwesen  erkennen, 
daß  ihr  eigener  Bewerber  Siegmund  nicht  treu  genug  ist,  um  sie, 
der  Versuchung  des  Geldes  erliegend,  nicht  zu  verraten.  Überhaupt 
spielt  in  allen  Komödien  Gellerts  trotz  ihrer  tränenreichen  Empfind- 
samkeit das  Geld  eine  sehr  bedeutsame  Rolle  zur  Herbeiführung  der 
nach  den  Worten  so  unmaterialistischen  Glückseligkeit.  Die  starke 
Betonung  des  Geldpunktes  bei  allen  Eheschließungen  läßt  die  rühren- 
den Herzensbündnisse  doch  auf  sehr  wohl  berechneter  materieller 
Grundlage  aufbauen.  Und  auch  Lottchens  Tugend  sieht  sich,  wenn 
auch    nicht   mit    einem    zärtlichen   Ehegatten,    so    doch   mit   einem 


164  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

Rittergute  belohnt.  Das  Bürgertum  hat  nicht  vergessen,  daß  der 
Grund  seiner  pohtisch  -  sozialen  Erstarkung  wirtschaftlicher  Natur 
war:  Geld. 

Die  Komik  ist  in  der  Komödie  bis  auf  die  Figur  eines  pedantischen 
Magisters,  der  aber  weniger  komisch  als  langweilig  wirkt,  ausge- 
schaltet. Die  Rührung  herrscht  unumschränkt,  und  die  Tränen  fließen 
reichlich,  allzu  reichlich.  Die  einzelnen  Figuren  sind  durchaus  schemen- 
haft gezeichnet,  der  untreue  Liebhaber  zudem  mit  im  Laufe  des  Stückes 
vollständig  widersprechendem  Charakter.  Sein  Vorbild  ist  der  Damis 
aus  Destouches'  Komödie  „Ingrat",  auf  die  schon  Erich  Schmidt  die 
ganze  Handlung  der  „Zärtlichen  Schwestern"  zurückführt.  Am  besten 
geraten  innerhalb  der  quallenhaften  Lacrymosen  sind  noch  Julchen  und 
ihr  Liebhaber  Damis.  Das  Schema  der  Gegenüberstellung  eines  einigen 
und  eines  uneinigen  Liebespaares  entstammt  dem  Schäferspiele,  in  dem 
sich  ja  Geliert  ebenfalls  wiederholt  versucht  hat.  Die  Doppelhandlung, 
die  das  geeinigte  Paar  trennt,  das  uneinige  einigt,  ist  dürftig,  voll 
breiter,  langweiliger  Erörterungen  und  in  ihrem  Schneckentempo  nur 
durch  Belauschungen  und  Mißverständnisse  schwerfällig  zu  Ende 
geführt,  ein  im  Tränenbade  aufgelöstes  Gebilde.  Der  Vorzug  der 
„Zärtlichen  Schwestern"  gegenüber  den  früheren  Komödien  besteht 
höchstens  darin,  daß  sich  hier  Geliert  die  zu  seiner  moralisierenden 
Haltung  so   schlecht  stimmenden  lüsternen  Frivolitäten  versagt  hat. 

dd)   Gesamtcharakteristik. 

Gallerts  Komödien  zeigen  in  ihrer  Gesamtheit  — •  das  einaktige 
unbedeutende  Nachspiel  ,,Die  kranke  Frau"  mit  dem  in  der  sächsi- 
schen Komödie  längst  verbrauchten  französischen  Motive  des  ein- 
gebildeten Kranken  dürfen  wir  hier  füglich  trotz  geschickter  Technik 
aus  unserer  Betrachtung  ausschalten  —  nur  darin  einen  Fortschritt, 
daß  das  Rührende  immer  stärker  überwuchert  und  die  in  den  beiden 
ersten  Komödien  noch  verhältnismäßig  zahlreichen  komischen  Züge  in 
der  letzten  schließlich  gänzlich  verdrängt.  Seine  Lustspieltechnik  bleibt 
im  Traditionellen  haften;  nur  beobachten  wir,  daß  er  zum  Schaden 
der  Belebtheit  der  Handlung  die  listigen,  dreisten  Bedientenfiguren 
entfernt  hat;  sie,  als  die  üblichen  Hauptträger  der  Komik,  müssen 
dem  Rührelemente  weichen.  Äußerlich  hat  er  sich  von  der  Gott- 
schedschen  Fünfaktzahl  wenigstens  in  zwei  Stücken,  der  „Bet- 
schwester" und  den  „Zärtlichen  Schwestern",  zum  italienischen  Drei- 
akter gewandt.  Weiter  ist  noch  zu  bemerken,  daß  er  zur  Benennung 
seiner  Figuren  französierende  Renaissance-Namen  den  beliebten  Namen- 
schildern der  sächsischen  Komödie  vorzieht.  Auch  die  Sprache 
zeigt  uns  nichts  grundsätzlich  Neues.  Wohl  ist  die  Dialogführung 
belebt  und  zeigt  das  Bestreben,  sich  der  Umgangssprache  des  sächsi- 
schen Mittelstands   anzupassen;   selbst  die  Höflichkeitsfloskeln  sind 


Rührkomödie:   Chr.  F.  Geliert:   Gesamtcharakteristik.  165 

trotz  ihrer  Steifheit  realistisch,  da  sie  nur  die  damalige  zeremonielle 
Konvention  wiedergeben.  Gegenüber  der  Starrheit  Gottschedscher 
Prinzipien  zeigt  die  stärkere  Verwendung  der  Monologe  in  den  „Zärt- 
lichen Schwestern"  eine  gewisse  psychologisch-dramaturgische  Frei- 
heit. Aber  alle  diese  kleinen  Fortschritte,  die  zudem  wie  Gellerts  Indi- 
vidualisierungsstreben aus  Kraftmangel  in  den  Anfängen,  im  Wollen 
stecken  bleiben,  können  nicht  die  breiige  Verwässerung  der  Sprach- 
behandlung verdecken.  Auch  im  Dialog  erreicht  er  Schlegel  nicht. 
Für  die  Entwicklung  des  deutschen  Lustspiels  im  ganzen  hätte  Geliert 
außer  durch  die  Einführung  des  Rührenden  —  und  dies  hat  nur 
historischen  Wert  für  seine  empfindsame  Zeitepoche  —  also  kaum 
irgendwelche  Bedeutung,  wenn  er  nicht  bewußter  und  stärker  als 
seine  Vorgänger  das  bürgerliche  Mittelstandsmilieu  betont  hätte. 

Seine  Komödien  sind,  wenn  auch  nicht  lebenskräftig  gestaltete, 
so  doch  realistisch  geschaute  Familienstücke  des  sächsischen  Bürgers 
seiner  Zeit  und  berühren  sich  dadurch  mit  denen  Johann  Elias  Schlegels. 
Nur  in  diesem  Sinne  ist  Lessings  übertriebenes  Lob  im  22.  Stück  der 
Hamburger  Dramaturgie  zu  verstehen : ,, Unstreitig  ist  unter  allen  unseren 
komischen  Schriftstellern  Herr  Geliert  derjenige,  dessen  Stücke  das 
meiste  ursprünglich  Deutsche  haben.  Es  sind  wahre  Familiengemälde, 
in  denen  man  sogleich  zu  Hause  ist".  Wir  müssen  dabei  allerdings 
an  Lessings  Grundsatz  literarischer  Kritik  denken:  „Einen  elenden 
Dichter  tadelt  man  gar  nicht,  mit  einem  mittelmäßigen  verfährt 
man  gelinde,  gegen  einen  großen  ist  man  unerbittlich".  Die  Natio- 
nalisierung der  Komödie  durch  die  realistischen  Famihenbilder  ist 
keine  originale  Leistung  Gellerts,  da  sie  auf  das  von  englischer 
religiös -moralischer  FamilienHteratur  bestimmte  französische  Rühr- 
drama zurückgeht. 

Dieses  bedeutet  kulturhistorisch  die  Spiegelung  der  bürgerlichen 
Mittelstandsbewegung  im  18.  Jahrhundert.  Die  mit  der  Lösung  aus 
strenger  kirchhcher  Gebundenheit  zu  moralisierender  Aufklärung  ver- 
bundene Erstarkung  des  Bürgertums  innerhalb  des  Staates  findet  lite- 
rarischen Ausdruck  im  rührenden  Lustspiel.  Der  Bürger  ist  sich  seiner 
Bedeutung  bewußt  geworden  und  verzichtet  darauf,  noch  länger  nur 
Objekt  der_Komik  zu  sein,  die  seine  Laster  verlacht,  er  will  rivalisieren 
mit  den  der_Tragödie  vorbehaltenen  höheren  Ständen,  auch  er  will 
Objekt  der  Sympathie,  der  Bewunderung  seiner  Tugenden  sein.  In  Eng- 
land hat  diese  Entwicklung  am  frühesten  eingesetzt.  Dort  findet  man 
zuerst  ihren  Niederschlag  in  den  moralischen  Wochenschriften  und 
Richardsons  Familienromanen.  In  Frankreich  nahm  die  Literatur 
diese  Anregungen  frühzeitig  auf  und  baute  auf  ihnen  durch  Nivelle 
de^  la  Chaussee  die  der  Tragödie  angenäherte  comedie  larmoyante 
auf.  Deutschland  wurde  gleichermaßen  von  England  und  Frank- 
reich befruchtet.  Es  läßt  sich  daher  im  einzelnen  schwer  oder  über- 
haupt nicht  entscheiden,  wieweit  das  in  die  deutsche  Komödie  ein- 


l66  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 

dringende  rührende  Element  direkt  von  Richardson  oder  auf  dem 
Wege  über  Nivelle  de  la  Chaussee  hergekommen  ist.  Soviel  steht 
aber  fest,  daß  die  Rührkomödie  durch  das  Interesse  der  moralischen 
Wochenschriften  angeregt  die  Motive  von  Richardsons  Familienroman 
auf  die  Bühne  bringt.  Der  neue  kulturelle  Faktor  hat  in  ihr  seine  erste 
dramatische  Veranschaulichung  erfahren.  Neben  ihre  sittlich-erbauliche 
Tendenz  tritt  früh  die  politische,  wie  sie  bei  Nivelle  de  la  Chaussees 
Zeitgenossen  Voltaire  bereits  zum  Durchbruch  gelangt  und  schließlich 
über  Diderot  in  Beaumarchais,  dessen  „Hochzeit  des  Figaro"  Napoleon 
„la  Revolution  en  action"  nannte,  Hauptzweck  wird.  Mit  Recht  hat  man 
bereits  in  der  Vergleichung  von  de  la  Chaussees  Bearbeitung  der 
„Pamela"  und  Voltaires  Bearbeitung  „Nanine"  den  Gegensatz  der 
beiden  Schriftsteller  erkannt.  Doch  wenn  de  la  Chaussees  und  mit  ihm 
Gellerts  Komödie  auch  keine  politische  Fanfare  ist,  sie  spiegelt  doch 
die  soziale  Entwicklung  wider.  Diese  ist  auch  in  den  „Candidaten" 
Krügers  zu  beobachten. 

Und  vielleicht  ist  es  nur  natürlich,  daß  nun  bei  dem  Hervortreten 
eines  bislang  unterdrückten  Standes  gerade  die  Glieder  am  weitesten 
in  den  Vordergrund  geschoben  werden,  die  am  tiefsten  im  Dunkel 
gehalten  worden  waren:  die  Frauen.  Die  moralischen  Wochenschriften 
schreiben  über  Mädchenerziehung,  Frauenbildung,  Ehe-  und  Familien- 
leben. Der  Familienroman  Richardsons  zeichnet  Frauenideale.  Alle 
diese  Schriften,  Romane  und  ihre  Nachahmungen  entfachen  ein  leb- 
haftes Interesse  an  der  Stellung  der  Frau  innerhalb  der  neuen  bürger- 
lichen Gesellschaft;  andrerseits  zeigen  sie  auch,  daß  die  Frau  als 
literarischer  Konsument,  die  bisher  sich  auf  die  reiche  Erbauungs- 
literatur beschränkte,  jetzt  für  alles  Schöngeistige  mit  empfindsam 
moralischer  Tendenz  in  Frage  kommt.  Es  ist  daher  um  so  leichter 
erklärlich,  daß  auch  das  aus  der  Erbauungsliteratur  genährte  drama- 
tische Schaffen,  die  Rührkomödie,  die  Frau  in  den  Mittelpunkt  des  Inter- 
esses stellt,  und  zwar,  entsprechend  den  Ansprüchen  des  neuen  sozialen 
Faktors  auf  Bewunderung,  als  Idealgestalt,  die  Tugend,  Religion  und 
Bildung  vereinigt,  um  standhaft  allen  Schlägen  eines  widerwärtigen 
Schicksals  zu  trotzen  und  endlich,  zur  Rührung  aller  Herzen,  dank  ihrer 
Tugend  die  Wiederherstellung  und  Erhöhung  ihres  Glückszustandes 
zu  erfahren.  Märtyrerinnen  der  Tugend!  Dies  sind  die  in  Gellerts  Ko- 
mödien immer  wieder  zu  beobachtenden  Frauenideale.  Die  damit  ver- 
anschaulichte Frauenemanzipation  konnte  die  Unterdrückung  heirats- 
fähiger und  -lustiger  Mädchen  durch  allzu  strenge  Eltern  nicht  länger 
zugeben.  Die  Ehe,  nach  Geliert  „die  größte  Glückseligkeit  des  gesell- 
schaftlichen Lebens",  mußte  auf  freier  Wahl  tugendhafter  Zärtlichkeit 
beruhen.  Ausdrücklich  sagt  Vater  Cleon  in  den  „Zärtlichen  Schwestern" 
zu  dem  unentschlossenen  Julchen:  „Ich  will  dich  gar  nicht  zwingen". 
Wenn  wir  damit  die  früheren  Komödien  Gottschedscher  Richtung  ver- 
gleichen,  worin   stets   strenge  Väter  oder  eigensinnige  Mütter   ihren 


Der  junge  Lessing  und  Chr.  F.  Weiße:  Lessing:  Leipziger  Genossen.  167 


Kindern  wider  deren  Neigung  reiche  oder  heuchlerische  Ehegatten 
aufnötigen  wollen,  so  verstehen  wir,  welchen  kulturellen  Fortschritt 
die  soziale  Stellung  der  Frau  erfahren  hat.  Alle  diese  Betrachtungen 
zeigen  uns,  daß  die  Rührkomödie  zwar  kein  bedeutendes  Lustspiel 
innerhalb  der  deutschen  Literatur  hervorbringt,  daß  sie  aber  als  Spiege- 
lung einer  empfindsamen  Zeit  voll  folgereicher  sozialer  Entwicklungen 
unverlöschlichen  kulturhistorischen  Wert  besitzt. 


5.  DER  JUNGE  LESSING 
UND  CHRISTIAN  FELIX  WEISSE. 

a)  Lessing. 

aa)  Leipziger  Genossen. 

Die  dritte  Periode  in  der  Entwicklung  der  sächsischen  Komödie, 
die  für  jene  Zeit  die  deutsche  bedeutet,  beginnt.  Gottsched  hat  den 
Grundstein  gelegt,  Christian  Krüger  und  Johann  Elias  Schlegel  er- 
reichen in  jener  ersten  Entwicklungsphase  die  Höhe.  Die  Einführung 
des  rührenden  Elements  bildet  die  zweite  Epoche,  die  in  Geliert  ihren 
konsequentesten  Ausdruck  findet.  Jetzt  werden  beide  Perioden  mit- 
einander verschmolzen  und  zeitigen  in  Lessing  die  Vollendung.  Diese 
drei  Perioden,  deren  angeführte  Vertreter  alle  dem  deutschen  Pfarr- 
hause entstammen,  sind  zeitlich  nicht  zu  trennen.  Krüger  und  Schlegel 
sind  noch  jahrelang  tätig,  als  Geliert  bereits  sein  letztes  Lustspiel  ge- 
schrieben hat.  Weiße  und  der  junge  Lessing,  als  Vertreter  der  dritten 
Periode,  setzen  mit  ihrem  Schaffen  schon  ein,  als  Geliert  erst  ein 
Lustspiel  veröffentlicht  hat.  Die  Fäden  laufen  wirr  durcheinander,  und 
die  Trennung  der  Epochen  läßt  sich  nur  dem  wesentlichen  Gedanken- 
inhalt, der  bestimmenden  Kunstanschauung  nach  rechtfertigen.  Mit 
Schlagworten  unterscheiden  wir  die  drei  sich  wechselseitig  durch- 
dringenden Perioden  als  satirische  Lachkomödie,  weinerhche  Rühr- 
komödie, sinnend-heitere  Mischkomödie. 

Der  Mittelpunkt  geistigen  Lebens  in  Deutschland  bleibt  nach  wie  vor 
Leipzig.  ,,Mein  Leipzig  lob'  ich  mir,  es  ist  ein  klein  Paris  und  bildet  seine 
Leute",  Hier  sollte  auch  Lessing  (1729— 1781)  die  ersten  Jahre  seines 
Schriftstellertums  durchmachen.  Im  Herbst  1746  bezog  der  Kamenzer 
Pastorensohn,  der  auf  der  Fürstenschule  St.  Afra  in  Meißen  im  Studium 
der  alten  Sprachen  sich  schon  tief  eingelesen  hatte  in  Plautus  und 
Terenz,  die  Leipziger  Universität.  Schnell  fand  er  einen  Kreis  von 
Freunden,  die  alle  mehr  oder  minder  starke  literarische  Neigungen  be- 
tätigten. Der  älteste  unter  ihnen  war  Lessings  Vetter  Christlob  Mjdius, 
der  als  leichtsinniger  Freigeist  und  liederlicher  Lohnschreiber  aller- 
dings schlecht  genug  zu  dem  um  sieben  Jahre  jüngeren  Theologie- 
beflissenen passen  mochte.    Doch  Gotthold  Ephraim  hatte  gar  nicht 


l68  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie. 

das  Bedürfnis,  mit  Scheuklappen  bewehrt,  sich  hinter  sein  Brotstudium 
zu  machen.  Ihm  galt  es,  sich  auszudehnen.  Die  Universität  war  ihm 
keine  Fachschule,  sie  war  ihm  die  universitas  litterarum.  Die  viel- 
seitigen Kenntnisse,  die  er  bei  ihr  sich  erwarb,  verbreiterte  und  ver- 
tiefte er  durch  eifriges  Studium  in  dem  Buche  des  Lebens,  dessen 
Erfahrungen  auszuschöpfen  ihn  keinerlei  engherzig -prüde  Vorurteile 
hemmten.  Ihn  störten  daher  auch  nicht  das  verkommene  Äußere  und 
der  Lebenswandel  des  Vetters,  solange  er  glaubte,  von  ihm  in  irgend- 
welcher Beziehung  lernen  zu  können.  Allerdings  für  seine  früh  ge- 
setzte Zielrichtung,  ein  deutscher  Moliere  zu  werden,  fand  er  in  Mylius, 
außer  daß  ihn  dieser  in  Schauspielerkreise  einführte,  wenig  fördernde 
Führung. 

Der  Komödienschreiber  Mylius,  dessen  Feder,  außer  einem  Sing- 
spiel „Der  Kuß"  und  einem  Schäferspiel  „Die  Schäferinsel",  die  Lust- 
spiele ,,Die  Ärzte"  von  1745  und  „Der  Unerträgliche"  von  1746  ent- 
stammen, ist  kein  Dichter.  „Die  Ärzte",  eine  die  Derbheiten  über- 
trumpfende Nachahmung  von  Krügers  „Geistlichen  auf  dem  Lande", 
ist  technisch  das  geschicktere  Stück  und  zeigt  ebensoviel  Sinn  für 
Bühneneffekte  und  naturalistische  Beobachtungsgabe  wie  Mangel  an 
dichterischer  Eigenart.  Daß  dieses  unflätige  Machwerk  einer  Buch- 
händlerspekulation seine  Entstehung  verdankt,  ist  eine  vielsagende 
Erläuterung  zu  dem  Ruhmestitel  Leipzigs,  ein  Zentrum  feingesitteter 
Kultur  zu  sein.  „Der  Unerträgliche",  im  traditionellen  Stil  des  ein- 
seitig-oberflächlichen Charakterlustspiels  der  sächsischen  Komödie,  ist 
mit  seiner  unbeholfenen  Technik  ebenso  langweilig  wie  hundert  Vor- 
gänger. Mylius  zeigt  als  Komödienschreiber  keine  eigene  dichterische 
Note.  Er  ist  mutatis  mutandis  ein  Schriftsteller  vom  Schlage  unserer 
modernen  Kaff"eehausliteraten.  Es  eignet  ihm  Anfühlung,  keine  Ein- 
fühlung, seine  Komödien  sind  Satiren,  die  durch  Übertreibung  ihr 
Ziel  zu  erreichen  suchen.  Er  ist  ein  Nachkomme  Picanders  mit  den 
Mitteln  einer  vervollkommneten  Technik,  wie  sie  die  sächsische  Komödie 
allmählich  erlangt  hatte.  Realistik  im  Sinne  derber  Schilderungen 
des  Niedrigen  ist  sein  Kunststil,  wenn  von  Kunst  bei  ihm  die  Rede 
sein  kann.  Auch  Ossenfelder,  der  St.  Afraner  Schulkamerad,  mit 
dem  Lessing  nun  in  Leipzig  im  seichten  Gewässer  der  Anakreontik 
plätschert,  konnte  diesem  für  die  Entwicklung  seines  dramatischen 
Talents  nichts  bedeuten.  Die  satirisch -realistisch  gemeinten  Lust- 
spielversuche des  leichtlebigen  Ossenfelder  sind  Wassersuppen,  denen 
der  Myliussche  Pfeffer  fehlt. 

Am  nächsten  steht  dem  jungen  Dramatiker  Lessing  Christian  Felix 
Weiße.  Er  war  der  dramatisch  Begabteste  unter  Lessings  Genossen. 
Wären  Lessings  Jugendkomödien  alle  verloren,  so  könnte  uns  Weißes 
Lustspielproduktion  am  besten  ihre  Charakteristik  geben.  Der  Lust- 
spieldichter Weiße  ist  ein  typischer  Aneigner,  der  mit  Fleiß  und  Um- 
sicht sich  der  Kunstmittel  seiner  Zeit  bemächtigt  und  mit  ihnen  dann 


Der  junge  Lessing  und  Chr.  F.  Weiße.    Lessing:  Jugendkomödien.  i6q 

ein  Vierteljahrhundert  lang  wirtschaftet,  ohne  irgendwelche  weiteren 
bedeutsamen  Fortschritte  zu  machen.  Er  ist  ein  Frühreifer,  der  keine 
Entwicklung  aufweist,  eine  jener  literarischen  Erscheinungen,  die  mit 
dem  Erstlingswerke  Wechsel  auf  die  Zukunft  ausstellen,  sie  aber  nie 
einlösen.  Mit  den  fortschreitenden  Jahren  enttäuschen  sie  um  so  mehr, 
je  mehr  Hoffnungen  an  ihre  Anfänge  geknüpft  werden.  Weiße  reprä- 
sentiert auch  mit  seinen  spätesten  Komödien  das  deutsche  Lustspiel 
am  Ende  der  vierziger  Jahre.  Persönliches,  wie  Lessing  schon  in 
seinen  Jugendlustspielen,  weiß  er  nicht  zu  geben.  Sein  Gesamtschaffen 
ist  daher  auch  am  besten  geeignet,  uns  am  Schlüsse  des  Kapitels  noch 
einmal  die  wesentlichen  Züge  der  sächsischen  Komödie  vorzuführen. 

bb)  Jugendkomödien. 

Lessings  Jugendproduktion  ist  zwiespältig.  ,, Dämon  oder  die  wahre 
Freundschaft"  (1747)  und  ,,Die  alte  Jungfer"  (1749)  wurden  von  ihm 
selbst  der  Aufnahme  in  seine  ,, Schriften"  nicht  für  wert  gehalten.  Der 
Einakter  ,, Dämon"  wandelt  auf  Holbergs  Spuren,  ohne  aber  auch  nur 
annähernd  dessen  bühnensichere  Technik  und  Natürlichkeit  der  Sprach- 
behandlung zu  erreichen.  „Die  alte  Jungfer",  die  ihre  Intrige  dem 
„theätre  Italien"  entlehnt,  ist  gewandter  im  sprachlichen  Ausdruck, 
unbedenklicher  in  der  moralischen  Gebärde.  Die  größere  Lebendigkeit 
der  Handlungsführung  ist  der  Vorlage  zu  danken,  deren  Wahl  allein 
schon  Lessing  in  Gegensatz  zu  Gottsched  stellt  und  der  er  überdies 
die  verpönte  Hanswurstfigur  entnimmt.  Der  ,,Gebackensherumträger" 
Peter  ist  der  altbekannte  Harlekin  der  Stegreifposse,  wenn  er  jetzt 
auch  statt  des  bunten  Wamses  einen  weißen  Kittel  trägt;  kommt  es 
doch  nicht  auf  die  Farben  an,  wenn  die  Kleidung  ihn  nur  von  der 
gewöhnlichen  Umgebung  heraushebt.  Doch  der  Gegensatz  zu  Gott- 
sched bedeutet  keine  Eigenart,  er  bedeutet  nur  eine  Vertauschung 
der  Traditionsbahnen.  Immerhin  ist  doch,  wie  schon  Erich  Schmidt 
andeutet,  darin  eine  Entwicklung  des  Verfassers  zu  erblicken,  daß 
statt  der  harmlosen,  sittlich  indifferenten  Haltung  des  „Dämon"  jetzt 
eine  gewisse  lebemännische  Skepsis  sich  äußert,  wie  sie  in  dem  Klein- 
paris unter  den  Literaten  und  Schauspielern  nicht  verwunderlich  ist. 

Zu  dieser  französierenden,  internationalen  Komödientradition,  deren 
Quellen  aus  griechischer,  lateinischer,  dänischer,  englischer,  franzö- 
sischer, italienischer  Literatur  gespeist  werden,  die  in  Deutschlandaber 
auch  schon  wieder  auf  deutsche  Vorbilder  zurückgreifen  kann,  gehört 
auch  der  Einakter  „Der  Misogyne",  der  1767  auf  drei  Akte  erweitert 
wird,  ohne  dadurch  an  ästhetischem  Wert  zu  gewinnen.  Auch  hier 
ist  wieder  das  Beste  der  Dialog.  In  allem  anderen  dramatischer  Pro- 
duktion, wie  Motiven,  Aufbau,  Handlungsführung,  Personengestaltung, 
ja  selbst  in  Namengebung,  ist  Lessing  nicht  minder  wie  Weiße  ein 
Aneigner.  Wenn  man  aus  diesen  Jugendkomödien  bereits  Lessings 
Physiognomie  erkennen  will,  so  scheint  mir  das  eine  Konstruktion  a 


lyo  Achtzehntes  Jahrhundert :   Die  Sächsische  Komödie. 

posteriore;  bestenfalls  kann  man  darin  den  gewandten  und  klaren 
Sprachbildner,  den  schlagfertigen  Dialektiker,  den  witzigen  Epigram- 
matiker in  seinen  Anfangsregungen  erstehen  sehen.  Im  übrigen 
stimmen  diese  Erstlingswerke  nur  in  dem  Negativen  mit  Lessings 
späteren  dichterischen  Versuchen  überein:  daß  der  mit  scharfem, 
durchdringendem  Intellekt  begabte  Verfasser  an  Erfindungskraft  arm 
war,  daß  seine  Phantasie  lahme  Schwingen  hatte. 

Drei  andere  Jugendkomödien:  „Der  junge  Gelehrte",  „Der  Frei- 
geist" und  „Die  Juden"  zeigen  formell  dieselbe  unpersönliche  Hand- 
schrift, aber  gehaltlich  offenbaren  sie  den  selbständigen,  mutigen 
Bekenner,  und  dieser  Gehalt  beeinflußt  schließlich  auch  die  Form 
Schon  sein  frühestes,  in  Meißen  bereits  begonnenes  Lustspiel  „Der 
junge  Gelehrte",  das  1748  die  Neuberin  mit  großem  Erfolg  aufführte, 
ist  ein  Bekenntnis.  Er  wendet  sich  in  der  Hauptfigur  Damis  gegen 
die  Pedanterie  und  den  Dünkel  eines  lebensfremden  Gelehrtentums; 
daß  er  Damis  auch  noch  zum  heuchlerischen  Dummkopf  macht,  ist 
ein  Übermaß,  das  der  Tradition  der  lasterhaften  Charakterkomödie 
entspricht.  Der  eifrige  Bücherleser  Lessing  war  selbst  gleich  seinem 
Helden  in  Gefahr,  über  den  Büchern  das  Leben  zu  vergessen,  er 
wäre  aber  nicht  jener  männlichste  Charakter  unserer  Literatur,  wenn 
er  nicht  entschlossen  die  Bücher  beiseitegeworfen  hätte,  um  sich 
im  Strom  der  Welt  zu  bilden.  Damis  ist  die  Puppenschale,  der  der 
Schmetterling  Lessing  entschlüpft,  um  jenes  Gegenspieler  Valer 
gleich  zu  werden,  von  dem  der  gespreizte  Hohlkopf  abschätzig  be- 
richtet: „Er  hat  seit  einigen  Jahren  die  Bücher  beiseite  gelegt:  er 
hat  sich  das  Vorurteil  in  den  Kopf  setzen  lassen,  daß  man  sich 
vollends  durch  den  Umgang  und  durch  die  Kenntnis  der  Welt 
geschickt  machen  müsse,  dem  Staate  nützliche  Dienste  zu  leisten". 
Bei  dem  Ekel  vor  dem  toten  Bücherwissen  und  dem  Drang,  das 
Leben  zu  fassen,  das  Leben  zu  leben,  drängt  sich  dem  jungen 
Lessing  bereits  der  Vergleich  mit  dem  Faust  der  Volksdichtung  auf, 
so  daß  wir  wiederholt  Anspielungen  darauf  begegnen.  Gegenüber 
diesem  persönlichen  Erlebnisgehalt  wirkt  die  Technik  doppelt  un- 
beholfen. Sie  hebt  sich  aus  der  international  begründeten  Tradition 
der  sächsischen  Komödie  nur  durch  die  Frische  der  Situations- 
komik und  die  witzige  Dialektik  des  Dialogs,  der  schon  —  allerdings 
auch  nur  —  die  Klaue  des  Löwen  zeigt.  Die  Hauptvorbilder  der 
Komödie  sind  Holberg  und  Destouches,  deren  Vereinigung,  gestärkt 
durch  Beimischungen  aus  Moliere,  Marivaux  und  Plautus,  bereits  die 
Grundlage  zu  jener,  heitere  und  ernste  Elemente  j^aarenden  Misch- 
komödie andeutet,  die  später  in  „Minna  von  Barnhelm"  ihren  Gipfel 
erreichen  sollte.  Zwischen  den  Personen,  etwa  von  Juliane  Gellert- 
scher Abstammung  zu  Minna,  von  dem  Holbergischen  Anton  zu  Just, 
ist  allerdings  noch  ein  weiter  Weg,  und  nur  die  Lisette  steht  der 
Franziska  näher.    Aber  bedeutsam  für  den  späteren  Dichter  unseres 


iJer  junge  Lessing  und  Chr.  F.  Weiße:  Lessing:  Jugendkomödien.  171 

ersten  Lustspiels  mit  deutschem  Nationalgehalt  ist,  daß  er  bereits  hier 
die  antinationale,  kosmopolitische  Neigung  des  Aftergelehrten  geißelt. 

Auch  der  „Freigeist"  (1749),  ein  Lustspiel  in  fünf  Aufzügen,  ist 
ein  Bekenntnis,  zugleich  aber  auch  eine  captatio  benevolentiae  des 
Vaters.  Der  alte  Kamenzer  Pastor  konnte  es  nicht  verstehen,  daß 
sein  Sohn  unter  die  Rotte  Korah  der  Komödienschreiber  ging,  von 
denen  ihm  sein  Neffe  Mylius  allerdings  keinen  erfreulichen  Ein- 
druck geben  konnte.  Da  will  ihm  sein  Sohn  an  einem  praktischen 
Beispiele  zeigen,  daß  ein  Komödienschreiber  ein  Mensch  ist,  „der  die 
Laster  auf  ihrer  lächerlichen  Seite  schildert";  und  in  demselben  Briefe 
(April  1749)  kündigt  er  ihm  hypothetisch  eine  Komödie  an  „auf  die 
Freigeister  und  die  Verächter  Ihres  Standes".  Auch  bei  dieser  Ab- 
sicht verleugnet  Lessing  nicht  seine  Überzeugung.  Wohl  läßt  er  den 
Freigeist  Adrast  durch  den  Theologen  Theophan  bekehren,  aber  nicht 
etwa  von  dem  Freigeistertum  überhaupt,  sondern  von  seiner  lächer- 
lichen Seite,  seiner  unduldsamen  Selbstüberhebung.  Den  platten 
Rationalismus,  der  zugunsten  nüchterner  Verstandeserklärung  alles 
religiöse  Erleben  leugnet,  lehnt  er  ab,  aber  ebenso  entfernt  er  sich 
weit  von  jener  bei  Geliert  beobachteten  moralisierenden  Auffassung, 
daß  jeder  Freigeist  zugleich  auch  ein  törichter,  lasterhafter  Heuchler 
sei.  Adrast  ist  ,, voller  tugendhafter  Gesinnungen",  wie  schon  der 
erste  Entwurf  ausdrücklich  hervorhebt.  Aber  auch  Theophan  bringt 
ihn  von  seiner  Verachtung  und  Unduldsamkeit  gegenüber  den  Gläu- 
bigen nicht  etwa  durch  dogmatische  Beweisgründe  ab,  sondern  durch 
eine  vorbildlich  edle,  menschenfreundliche  Lebensführung.  Nicht  die 
Zugehörigkeit  zur  Religionsgemeinschaft  beweist  seine  Tugend,  son- 
dern ihre  Betätigung  und  Bewährung  im  Leben.  In  beiden  Lagern 
gibt  es  minderwertige  Exemplare,  die  das  Urteil  der  Gegenseite  zu 
rechtfertigen  scheinen:  der  gläubige  Diener  Martin  des  gläubigen 
Theophan  ist  ein  Dummkopf  und  der  freigeistige  Diener  Anton  des 
freigeistigen  Adrast  ist  ein  Spitzbube.  Daraus  ergibt  sich  aber  nur, 
daß  nicht  das  Glaubensbekenntnis  den  Wert  des  Menschen  ausmacht, 
sondern  seine  aktive  sittliche  Lebenshaltung. 

Aus  dieser  Forderung  des  sittlichen  Aktivismus  spricht  das  Humani- 
tätsideal Lessings,  wie  es  in  „Nathan  dem  Weisen"  seine  höchste  Ver- 
klärung findet.  Ein  weiterer  Vorläufer  dieser  edelsten  Toleranzdichtung 
ist  das  Lustspiel  ,,Die  Juden"  (1749).  Lessing  spricht  sich  selbst  in 
der  späteren  Vorrede  über  dessen  Grundlage  aus.  „Es  war  das  Re- 
sultat einer  sehr  ernsthaften  Betrachtung  über  die  schimpfliche  Unter- 
drückung, in  welcher  ein  Volk  seufzen  muß,  das  ein  Christ,  sollte 
ich  meinen,  nicht  ohne  Art  von  Ehrerbietung  betrachten  kann.  Aus 
ihm,  dachte  ich,  sind  ehedem  so  viel  Helden  und  Propheten  auf- 
gestanden und  jetzo  zweifelt  man,  ob  ein  ehrlicher  Mensch  unter 
ihm  anzutreffen  sei?  Meine  Lust  zum  Theater  war  damals  so  groß, 
daß   sich   alles,   was   mir   in   den  Kopf  kam,   in   eine  Komödie   ver- 


j-72  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

wandelte.  Ich  bekam  also  gar  bald  den  Einfall,  zu  versuchen,  was 
es  für  eine  Wirkung  auf  der  Bühne  haben  werde,  wenn  man  dem 
Volke  die  Tugend  da  zeigte,  wo  es  sie  ganz  und  gar  nicht  ver- 
muthete".  Im  Mittelpunkt  steht  ein  Reisender,  der  bei  einem,  von 
schurkischen,  als  Juden  verkleideten  Christen  ausgeführten  Überfall 
auf  einen  Gutsherrn  diesen  rettet  und  der  sich  schließlich,  als  ihm 
der  Gerettete  zum  Dank  seine  Tochter  anverloben  will,  als  Jude  zu 
erkennen  gibt  und  dadurch  den  Antisemitismus  des  Barons,  wie  später 
durch  seine  Großmut  den  seines  Dieners,  ins  Wanken  bringt.  Die 
Handlungsdurchführung  ist  durchaus  ungeschickt  und  unwahrschein- 
lich; der  künstlerische  Wert  der  Komödie  ist  gleich  Null,  und  selbst 
die  Gestalt  des  jüdischen  Reisenden  ist  in  dessen  übergroßer  Zurück- 
haltung, Scheu  und  Vorsicht  im  ganzen  verfehlt.  Dennoch  ist  das 
Lustspiel  für  die  Entwicklung  und  Darstellung  von  Lessings  Huma- 
nitätsideal von  großer  Bedeutung.  Nie  war  vorher  mit  solchem  Nach- 
druck für  die  Toleranz  gegenüber  den  verachteten  Juden  in  der  Lite- 
ratur eingetreten  worden.  Bisher  war  vom  Mittelalter  her  der  Jude 
in  der  komischen  Literatur  stets  nur  Karikatur,  Objekt  verlachen- 
der Komik  gewesen,  die  stets  einer  mehr  oder  minder  starken  anti- 
semitischen Neigung  ihr  Dasein  verdankte.  Schon  Erich  Schmidt 
weist  darauf  hin,  daß  Lessings  Reisender  „der  erste  gebildete  Israelit 
unserer  Literatur,  gleichzeitig  mit  den  ersten  gebildeten  Israeliten  im 
deutschen  Leben"  ist. 

b)  Christian  Felix  Weiße. 

Der  Wert  von  Lessings  Jugendkomödien  liegt  in  ihrem  persönlichen 
Bekenntnischarakter.  Dadurch  fallen  sie  aus  der  Tradition  der  säch- 
sischen Komödie  heraus,  deren  Eigenart  weit  besser  gewahrt  bleibt 
durch  die  Produktion  von  Lessings  Jugendgefährten  Christian  Felix 
Weiße.  Die  noch  heute  maßgebende  Monographie  über  ihn  hat  uns 
Jacob  Minor  gegeben  in  „Christian  Felix  Weiße  und  seine  Bezie- 
hungen zur  deutschen  Literatur  des  1 8.  Jahrhunderts"  (1880).  Ihr  folgen 
wir  auch,  wenn  wir  hier  zum  Schlüsse  unserer  Betrachtung  der  säch- 
sischen Komödie  deren  wesentliche  Züge  aus  einer  Durchmusterung 
von  Weißes  konventionellen  Stücken  zu  erkennen*  versuchen. 

Weiße,  der  um  drei  Jahre  ältere  Genosse  Lessings,  beginnt  seine 
Komödienproduktion  noch  vor  diesem.  Der  Stoff  seiner  einaktigen 
Alexandrinerkomödie  „Die  Matrone  von  Ephesus"  (1744)  entstammt 
dem  Erzählungsschatze  indischer  Literatur.  Der  junge  Weiße  be- 
kundete darin  ein  unbestreitbares  Talent  in  der  Dramatisierung  einer 
wirkungsvollen  Anekdote  und  in  der  Versifizierung  der  Umgangs- 
sprache. Er  zeigt  Witz  und  Begabung  für  dramatische  Bühnenwir- 
kung, die  trotz  ihrer  mangelnden  Übung  doch  schon  so  weit  durch 
seinen  steten  Besuch  der  Neuberschen  Schaubühne  geschärft  ist,  daß 
sie  hinter  keinem  zeitgenössischen  Komödienschreiber  zurückstehen 


Der  junge  Lessing  und  Chr.  F.  Weiße:  Christian  P>lix  Weiße.  I73 

muß.  Andererseits  zeigt  diese  Erstlingsarbeit  ebensowenig  wie  die 
ersten  Lustspiele  Lessings  künstlerische  Eigenheiten,  die  auf  kommen- 
des Neuland  vorbereiteten.  Der  weiche  Weiße  und  spätere  brave 
Steuereinnehmer  war  in  keiner  Weise  Revolutionär.  Er  steht  fest  ver- 
ankert in  dem  breiten,  flachen  Strome  der  Überlieferung. 

Interessanter  sind  die  ,, Poeten  nach  der  Mode"  (1751),  weil  hier 
die  übliche  Heiratsintrige,  wonach  verblendete  Eltern  der  vernünf- 
tigen Tochter  einen  Mann  aufnötigen  wollen  und  durch  das  In- 
trigenspiel zur  Erkenntnis  des  Unwerts  des  eigenen  Kandidaten 
gebracht  werden,  mit  einer  Literatursatire  verknüpft  ist.  Diese 
zeigt  Weiße  als  Unparteiischen  in  dem  Kampf  der  Gottschedianer 
und  der  Schweizer,  der  reimreichen  platten  Wasserdichter  und  der 
dunklen  seraphischen  Feuerdichter.  Die  Parodie  der  feindlichen  Lager 
ist  durch  Reimreich,  den  Kandidaten  des  Vaters,  und  Dunkel,  den 
Kandidaten  der  Mutter,  nicht  schlecht  geglückt,  und  wir  erleben  hier 
jene  Wirkung  des  theoretischen  Literaturgezänks  auf  die  Familie,  von 
der  Goethe  in  ,, Dichtung  und  Wahrheit"  berichtet.  Dadurch  erhält 
das  traditionelle  zänkische  Ehepaar  als  Grund  der  Entzweiung  ein 
literarisches  Motiv.  Valer  aber  ist  der  Vertreter  gesunder  ästhetischer 
Anschauungen  und  erhält  dadurch  in  sein  typisches  Bild  des  farb- 
losen Liebhabers  belebende  Töne,  um  so  mehr,  da  die  Intrige  nicht 
wie  gewöhnlich  durch  eine  Lisette  geführt  wird,  sondern  er  selbst 
die  treibende  Kraft  zur  Verwirklichung  seiner  Herzenswünsche  dar- 
stellt. Auch  seine  Partnerin  ist  etwas  lebhafter  gezeichnet  als  sonst, 
dadurch,  daß  sie  die  Soubrettentöne  der  diesmal  abwesenden  Lisette 
erhielt. 

Einen  lebhaften  Erfolg  erzielte  Weiße  mit  der  „Haushälterin" 
(zwischen  1758  und  1760).  Das  Thema  ist  der  italienischen  Spiel- 
oper entnommen.  Die  geldgierige,  mannstolle  serva  padrona  und  der 
von  ihr  beherrschte  trottlige,  heiratslustige  Pimpinone  der  opera  ber- 
nesca  sind  die  Vorbilder  der  Haushälterin  Kleonte  und  des  alten 
Geronte.  Kleonte  will  das  Vermögen  des  Geronte  an  sich  reißen 
und  nimmt  dazu  den  alten  Filz  mit  in  Kauf.  Der  aus  der  Fremde 
zurückkehrende  Sohn  Valer  durchkreuzt  ihre  Pläne,  bringt  sie  zur 
Flucht  und  erlangt  selbst  das  tugendhafte  Mündel  Clarissa  zur  Frau. 
Das  Motiv  des  Heimkehrenden  konnte  Weiße  ebensowohl  aus  den 
lateinischen  Komödien  wie  aus  den  romanhaften  Verwicklungen  der 
Literatur  seiner  Zeit  entnehmen.  Ebensowenig  originell  ist  das  Motiv 
von  Valers  Intrige,  der  die  Entlarvung  der  Haushälterin  herbeiführt, 
indem  er  sich  selbst  in  sie  verliebt  stellt.  Wir  erkennen  daraus, 
worauf  schon  Minor  hingewiesen  hat,  die  Verwandtschaft  der  Haus- 
hälterin mit  Lessings  alter  Jungfer,  die  beide  den  beliebten  Typus 
der  mannstollen  alten  Jungfern  repräsentieren.  Die  Bedienten  Johann 
und  Christiane  haben  zwar  die  Intrigenführung  an  Valer,  wie  in  den 
„Poeten  nach  der  Mode",  abgeben  müssen,  sind  aber  nicht  weniger 


lyj.  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

vorlaut  und  dreist  als  ihre  zahlreichen  Vorbilder.  Schließlich  wird 
die  Abhängigkeit  von  der  Tradition  noch  durch  den  mit  Valer  sich 
in  die  Intrigenführung  teilenden  Arist  bekundet,  der  der  bekannte 
wohlmeinende  Onkel  ist,  wie  ihn  schon  die  Gottschedin  als  Wahr- 
mund in  der  „Pietisterey"  eingeführt  hat.  Wir  sehen  daraus,  daß 
Weiße  mit  dem  ganzen  Apparat  traditioneller  Lustspieltechnik  arbeitet. 
Dennoch  darf  der  Fortschritt  nicht  zu  gering  angeschlagen  werden, 
daß  bei  ihm  nicht  länger  die  Bedienten  die  Träger  der  Handlung 
sind.  Dadurch  wird  diese  von  vornherein  einheitlicher,  indem  die 
Vorbedingungen  gegeben  sind,  sie  aus  dem  Charakter  der  Haupt- 
personen abzuleiten.  Die  Handlung  wird  dramatisch  wirksamer.  Da 
Weiße  trotzdem  versteht,  die  in  der  Intrige  steckenden  komischen 
Motive  theatralisch  auszuwirken,  so  bekenne  auch  ich  mich  zu  jenen 
Gegnern  Lessings,  die  entgegen  dessen  Urteil  die  ,, Haushälterin"  für 
Weißes  bestes  Lustspiel  erklärten. 

Traditioneller  ist  wieder  „Ehrlich  währt  am  längsten  oder  der  Miß- 
trauische gegen  sichselbst"  (1761).  Der  Titel  schon  erinnert  uns  an  zahl- 
reiche Vorläufer.  Doch  wieder  beobachten  wir  bei  Weiße  eine  Ände- 
rung, die  Verinnerlichung  und  Vertiefung  bedeutet.  Die  Umbiegung 
ist  schon  im  Titel  angedeutet.  Arist  ist  nicht  gegen  andere  miß- 
trauisch, sondern  gegen  sich  selbst,  und  wenn  er  seinen  eigenen 
Fähigkeiten  nur  schwer  glauben  kann,  so  glaubt  er  um  so  leichter 
den  anderen.  Indem  Weiße  den  Arist  im  Gegensatz  zu  den  bisher 
üblichen  anmaßenden  gelehrten  Pedanten  als  schüchternen  Gelehrten 
zeichnet,  hat  er  einen  neuen  Typus  eingeführt,  der  bis  zum  Ende 
des  19.  Jahrhunderts  eine  beliebte  Figur  der  komischen  Literatur 
bleibt.  Da  er  sich  selbst  erniedrigt,  muß  er  notwendigerweise  die 
anderen  erhöhen.  Der  Charakter  des  Mißtrauischen  wird  daher  mit 
dem  des  Leichtgläubigen  verbunden.  Dadurch  findet  Weiße  Gelegen- 
heit, den  Lessingschen  Einakter  „Dämon"  in  seine  Komödie  einzu- 
beziehen.  Arist-Damon  hat  seinen  Gegenspieler  in  dem  gerissenen 
Freunde  Kleanth-Leander,  dem  Weiße  noch  Züge  des  sittenlosen 
Jean  de  France  beimengt.  Beide  bewerben  sich  um  die  reiche  Witwe; 
diese  ist  aber  bei  Weiße  zur  Erweiterung  der  Handlung  das  Mündel 
des  Geronte,  der,  entsprechend  dem  Grobian  des  „Bookesbeutel",  als 
Anhänger  des  billigen  und  bequemen  Alten  mit  seiner  neuerungs- 
süchtigen Frau  den  bekannten  Typus  des  zänkischen  Ehepaars  bildet. 
Nach  dem  Grundsatz:  Wer  sich  selbst  erniedrigt,  soll  erhöhet  werden, 
erhält  schließlich  Arist  doch  noch  trotz  aller  Hindernisse  die  Hand 
der  begehrten  Witwe. 

Die  Komödie  „Die  unerwartete  Zusammenkunft  oder  der  Natu- 
raliensammler" (1764)  arbeitet  stärker  als  ihre  Vorgängerinnen  mit 
den  in  der  Rührkomödie  beliebten  romanhaften  Verwicklungen.  Im 
Mittelpunkt  steht  ein  Frauenideal:  Henriette.  Als  Neuerung  gegenüber 
Geliert  wird  hier  der  Ton  auf  die  Hausfrauentugenden  gelegt,   die 


Der  junge  Lessing  und  Chr.  F.  Weiße:  Christian  Felix  Weiße.  I75 

Hand  in  Hand  mit  unbedingter  Moral  gehen.  Wir  werden  dadurch 
noch  mehr  als  bisher  ins  Innere  der  Bürgerhäuser  geführt.  Bürger- 
liche Moral  und  Sitte  geben  die  Atmosphäre.  Da  darf  denn  auch 
nicht  die  Gestalt  des  groben  Wahrheitsverkündigers  in  dem  alten 
Wahrmund  fehlen.  Der  Naturaliensammler  scheint  nur  deshalb  mit 
der  Sammelwut  behaftet,  um  ein  Objekt  für  Wahrmunds  Derbheiten 
zu  bilden.  Aber  dieser  grobe  Freund  hat  natürlich  trotz  seiner  rauhen 
Schale  den  bekannten  guten  Kern  und  ist  daher  den  moralischen 
Lehren  der  gut  bürgerlichen  Henriette  zugänglich,  so  daß  auch  hier  die 
Tugend  belohnt  und  das  Mädchen  von  ihrem  GeHebten  heimgeführt  wird. 
In  der  äußeren  Form  ist  ein  Fortschritt  darin  zu  gewahren,  daß  alle 
Personen  des  Stückes,  nicht  nur  die  Bedienten,  deutsche  Namen  tragen. 

Wieder  sächsische  Lachkomödie  ist  ,,Der  Projektenmacher"  (1764). 
Der  Titelheld  ist  eine  Kreuzung  aus  Schlegels  ,,Geschäfftigem  Müssig- 
gänger"  und  Lessings  ,  Jungem  Gelehrten".  Minor  setzt  ihn  unseren 
Sozialdemokraten  gleich,  heute  würde  er  wahrscheinlich  weiter  nach 
links  greifen.  Die  Verwandtschaft  mit  Lessings  „Jungem  Gelehrten" 
besteht  nicht  nur,  wie  die  mit  Schlegels  Komödie,  in  dem  Charakter 
des  Titelhelden,  sondern  in  einer  ganzen  Reihe  von  Einzelzügen. 
Wie  der  junge  Gelehrte  Damis  in  dem  lateinische  Sentenzen  reden- 
den Chrysander  einen  Abklatsch  seiner  pedantischen  Aftergelehrsam- 
keit neben  sich  hat,  so  bei  Weiße  der  „Projektenmacher"  Klean th  in 
dem  Weltverbesserer  Geronte.  Arist  entspricht  Valer,  Isabella  der 
gehorsamen,  tugend vollen  Juliane.  Weiße  hat  die  Personenzahl  des 
Stückes  noch  vermehrt,  indem  er  an  Stelle  der  typischen  beiden  Be- 
dienten deren  vier  aufnimmt  und  außerdem  als  Intrigenführer  einen 
Bruder  Isabellens,  Dämon,  nach  dem  Vorbilde  lateinischer  Komödien 
erfindet.  Die  angezettelte  Intrige  gipfelt  darin,  daß  dem  Projekten- 
macher ein  Wäschermädchen  als  Gräfin  vorgeführt  wird  und  er  derent- 
wegen auf  Isabella  verzichtet.  Dieses  Verkleidungsmotiv  ist  in  Hol- 
bergs ,,Jean  de  France"  vorgebildet,  in  männlichem  Geschlecht  er- 
scheint es  nach  dem  Vorgange  Molieres  bei  Christian  Weise  und 
Reuter  sowie  in  Lessings  „Alter  Jungfer".  An  Lessings  „Juden" 
klingt  das  Motiv  der  gestohlenen  Dose  an. 

Ein  neues  dramatisches  Genre  meldet  sich  in  „Amalia"  (1765)  an. 
Lessing  urteilt  darüber  im  20.  Stück  der  Hamburger  Dramaturgie: 
,, Amalia  wird  von  Kennern  für  das  beste  Lustspiel  dieses  Dichters  ge- 
halten. Es  hat  auch  wirklich  mehr  Interesse,  ausgeführte  Charaktere 
und  einen  lebhaftem  gedankenreichen  Dialog  als  seine  übrigen 
komischen  Stücke".  Die  „Amalia"  ist  ein  rührendes  Lustspiel,  wie 
es  etwa  de  la  Chaussees  „Melanide"  ist.  Die  Zugehörigkeit  zur  Lust- 
spielgattung ist  wesentlich  negativ  bestimmt  durch  die  Abwesenheit 
tragischer  Form  und  Technik.  Die  Lustspieltechnik  ist  hier  in  den 
Dienst  eines  neuen  Genres  gestellt,  das  Lessing  mit  seiner  „Miß  Sara 
Sampson"  zehn  Jahre  vorher  in  Deutschland  eingeführt  hatte:  desbürger- 


lj()  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

liehen  Dramas.  Wie  Lessing,  so  führt  uns  auch  Weiße  ein  englisches 
Milieu  vor  und  beweist  damit  seine  Unfähigkeit,  seiner  fortgeschrittenen 
Zeit  den  Puls  zu  fühlen.  1755  war  das  deutsche  Bürgertum  innerlich  und 
äußerlich  noch  nicht  so  erstarkt,  um  Träger  tragischer  Spannung  zu 
sein.  Aber  es  ging  mit  Riesenschritten  voran.  Und  Weiße  versuchte  ja 
keine  tragische  Auswertung,  er  wollte  ja  nur  rühren.  So  gut  wie  Geliert 
hätte  er  daher  in  Deutschland  bleiben  können.  Weiße  ist  Nachfühler. 
Lessings  Engländerstück  mit  bürgerlicher  Familienmoral  hatte  sich  be- 
währt, so  wagte  er  es  auch  nun  nach  zehn  Jahren,  dessen  Form  für 
die  eingebürgerte  Rührkomödie  zu  verwenden.  Den  Inhalt  gibt  die 
Lösung  eines  Pflichtproblems  in  der  Form  des  Graf- von -Gleichen- 
Motivs,  das  hiermit  zum  ersten  Male  in  die  neue  deutsche  Literatur 
eintritt  und  dann  über  Goethes  „Stella"  das  19.  Jahrhundert  immer 
wieder  beschäftigt.  Der  lebenslustige  Freemann  hat  Amalie  verlassen, 
um  mit  Sophien,  der  Mutter  seines  Kindes,  in  Bristol  zu  leben.  Amalie 
folgt  nach  bekanntem  Muster  in  Manneskleidern  dem  Geliebten  und 
erprobt  als  skrupelloser  Verführer  ihre  Nebenbuhlerin.  Da  diese  die 
Probe  besteht,  entsagt  die  tugendreiche  Amalie,  und  zur  eigenen  Be- 
lohnung reicht  ihr  der  Konfident  die  Hand.  Dieser  Vertraute  ist  an 
Stelle  des  früher  üblichen  Bedienten  das  Mundstück  des  Dichters,  um 
die  Absichten  und  Pläne,  das  innere  Geschehen,  wenn  nicht  zu  ver- 
anschaulichen, so  doch  zu  verlautbaren.  Entsprechend  Lessings  ,,Sara" 
spielt  auch  Weißes  Stück  in  einem  neutralen  Gasthofe,  dessen  Wirt 
Tricks  und  die  kupplerische  Wirtin  Träger  der  Komik  sein  sollen,  aber 
trotzdem  das  bürgerliche  Drama  nicht  zum  Lustspiel  zu  gestalten  ver- 
mögen. Nicht  nur  der  äußere  Rahmen,  Einzelzüge  wie  die  Moores 
„Gamester"  entlehnte  Spielleidenschaft,  die  ganze  Atmosphäre  ist  der 
englischen  Literatur  entnommen.  Auch  hier  ist  Richardson  der  Ahn- 
herr. Weißes  Begabung  für  natürliche  Dialogführung  hat  in  dem 
beabsichtigten  Moralsalbaderton  ihr  wirksamstes  Hemmnis:  ,,Und  was 
für  eine  Quelle  unaussprechlicher  Freuden  sind  nicht  Handlungen, 
durch  die  wir  andere  auf  der  Welt  glücklich  machen".  In  diesen 
Worten  des  Titelhelden  erkennen  wir  wieder  den  Zusammenhang  des 
bürgerlichen  Dramas  mit  der  Rührkomödie. 

In  seinem  nächsten  Stück  „Die  Freundschaft  auf  der  Probe"  (1767) 
hat  Weiße  einen  neuen  Typus  in  das  deutsche  Lustspiel  eingeführt:  die 
Figur  der  naiven  Wilden.  Naive  waren,  wie  uns  Schlüchterers  Disser- 
tation belehrt,  auch  schon  früher  aufgetreten.  Schon  Gryphius'  Dorn- 
rose trägt  diesen  Charakter,  stärker  Weises  Ouantitas  im  ,, Bäuerischen 
Macchiavellus".  Vor  allem  aber  hat  Molieres  Agnes  aus  der  „Ecole 
des  Femmes"  auf  die  deutsche  Komödie  weiter  gewirkt.  Die  bisherigen 
bedeutendsten  Vertreterinnen  des  Typus  sind  Susanne  in  Borkensteins 
„Bookesbeutel",  Gellerts  Christinchen  und  Schlegels  Charlotte.  Ihr 
gemeinsamer  Grundzug  ist  naive  Unwissenheit,  die  sich  gerade  in 
Liebesangelegenheiten    kundgibt.      Ihnen    stehen   als   Kontrastfiguren 


Der  junge  Lessing  und  Chr.  F.  Weiße:  Christian  Felix  Weiße.  177 

Frauenideale  der  Aufklärung  gegenüber.  Von  Borkensteins  Susanne 
bis  Gellerts  Christinchen  liegt  allerdings  bereits  eine  Entwicklung. 
Susanne  ist  streng  rationalistisch  als  negatives  Ideal  gefaßt,  und  daher 
entspricht  ihrer  intellektuellen  Unwissenheit  sittliche  Verkommenheit, 
Christinchen  dagegen  ist  bereits  Tochter  der  empfindsamen  Epoche, 
die  das  gute  Herz  anerkennt,  wenn  auch  der  Verstand  infolge  mangel- 
hafter Erziehung  sich  nicht  voll  entfaltet  hat.  Es  macht  sich  darin 
der  Wandel  sittlicher  Anschauungen  in  der  Aufklärung  geltend,  der 
durch  Shaftesburys  Virtuositätsmoral  bedingt  ist.  Sittliches  Handeln 
ist  nicht  länger  der  Ausfluß  entwickelter  Verstandestätigkeit,  seine 
Grundlage  ist  das  Gefühl.  Der  moral  sense  ist  unabhängig  von  ver- 
standesmäßiger Erkenntnis.  Sittlichkeit  ist  natürliches  Gefühl  des 
Menschen,  unabhängig  von  dem  gesellschaftlichen  Zusammenhang, 
in  dem  er  lebt,  unabhängig  von  Zivilisation.  In  England  nehmen 
die  moralischen  Wochenschriften  sofort  das  Thema  auf,  und  wir  lesen 
bereits  im  ii.  Stück  des  Spectator  die  rührende  Geschichte  von  „Inkle 
und  Yariko",  die  bis  ins  19.  Jahrhundert  ihre  Nachwirkungen  in  der 
deutschen  Literatur  zeitigt.  Diese  Erzählung  ist  somit  eine  um  zehn 
Jahre  ältere  Vorläuferin  von  Defoes  „Robinson",  dessen  zahllose  Nach- 
ahmungen ja  ebenfalls  Deutschland  und  die  ganze  Welt  über- 
schwemmten. Für  unsere  Figur  der  naiven  Wilden  ist  aber  die 
,, Yariko"  der  kleinen  Erzählung  das  Vorbild.  Sie  ist  das  Muster- 
beispiel, wie  ein  von  Zivilisation  unbeleckter  Wilder  rein  durch  sein 
natürliches  Gefühl  dem  Vertreter  der  Kultur  weit  überlegen  ist.  „Wir 
Wilden  sind  doch  bessere  Menschen". 

Im  Laufe  des  18.  Jahrhunderts  tritt  nun  das  Gefühl  immer  mehr 
in  den  Vordergrund  und  wird  schließlich,  wie  für  die  Sittlichkeit,  auch 
für  die  Erkenntnis  der  letzte  bestimmende  Urgrund.  Diese  Über- 
zeugung wird  seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts  vor  allem  von  Rousseau 
verkündet.  Bereits  1751  kündigt  ihn  Lessing  „voll  heimlicher  Ehr- 
furcht" an,  nachdem  eben  erst  sein  „Discours  sur  les  sciences  et  les 
arts"  erschienen  war.  Wir  erkennen  daraus  nicht  nur  Lessings  scharfes 
Witterungsvermögen  für  bedeutsames  Neues,  sondern  mehr  noch  die 
Bereitschaft  des  Bodens,  die  Ideen  Rousseaus  aufzunehmen.  Rousseau 
stellt  dem  gebildeten  Menschen  den  natürlichen  gegenüber  und  zeigt, 
wie  der  von  Natur  aus  gute  Mensch  durch  die  Zivilisation  degeneriert. 
Was  spielerisch  in  der  Schäferdichtung  angedeutet  war,  wird  jetzt 
vollbewußt  betont;  Natur  ist  die  Vollkommenheit,  Kultur  ist  Barbarei. 
Die  Entwicklung  des  Menschen  muß  nicht  durch  den  Intellekt  er- 
folgen, sondern  ausgehen  vom  Boden  des  natürlichen  Gefühls.  Den 
dichterisch  reifsten  Ausdruck  dafür  fand  Rousseau  in  seinem  stark 
durch  Richardson  beeinflußten  Roman  der  „Nouvelle  Heloise"  von 
1761.  In  der  Kritik  der  bestehenden  Zustände  geht  er  zusammen  mit 
seinem  Antipoden  Voltaire,  der,  ebenfalls  den  Intellektualismus  zurück- 
weisend,  das  sittliche  Gefühl  als   dem  Menschen  angeboren  erklärt. 

Holl,  Lustspiel.  12 


lyS  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

So  macht  auch  er  einen  Wilden,  einen  Huronen  1767  zum  Helden 
seines  Romans  „L'ingenu",  um  seine  Anklagen  gegen  Europa  zu 
schleudern.  Auch  seine  Worte  finden,  wie  die  Rousseaus,  sofortigen 
Widerhall  in  Deutschland. 

Den  ersten  Niederschlag  dieser  Überzeugung  von  einer  unbe- 
fleckten Natürlichkeit,  der  eine  naive  Wilde  Ausdruck  verleiht,  finden 
wir  in  Weißes  Lustspiel  „Die  Freundschaft  auf  der  Probe".  Die 
Fabel  von  „Inkle  und  Yariko"  war  schon  seit  1739,  als  sie  die  Gott- 
schedin verdeutschte,  ein  Lieblingsthema  geworden:  Eine  Wilde  rettet 
einen  Europäer  aus  dem  Schiffbruch  und  muß  dann,  als  sie  ihm  nach 
dem  fremden  Europa  folgt,  erfahren,  wie  dieser  Vertreter  sogenannter 
höherer  Kultur  ihre  Liebe  treulos  verrät.  Im  Jahre  1764  hat  Chamfort 
das  Thema  zum  ersten  Male  in  einer  Komödie  ,,La  jeune  Indienne" 
behandelt,  die  Pfefi'el  1766  ins  Deutsche  überträgt.  Chr.  F.  Weilte 
lieferte  im  folgenden  Jahre  das  erste  Originallustspiel  darüber,  wobei 
er  allerdings  auch  wieder  den  Stoff  einem  Franzosen  entlehnte,  den 
„Contes  moraux"  des  Marmontel.  Die  Hauptfigur  seines  Lustspiels 
ist  Corally,  der  Typus  der  naiven  Wilden,  von  der  Minor  erklärt: 
„Trotz  alledem  aber  bleibt  die  naive  heißblütige  Indianerin  die  beste 
Frauengestalt,  welche  Weiße  (allerdings  nach  fremden,  festgezeich- 
neten Grundstrichen)  dargestellt  hat".  Wie  Rousseaus  Julie,  deren 
Name  von  Weiße  für  die  Beraterin  seiner  Heldin  übernommen  ist,  so 
wird  auch  Corally  zwischen  Pflicht  und  Neigung  hin-  und  hergerissen. 
Die  Naivität  der  Wilden  folgt  dem  ursprünglichen  Gefühl;  Corally 
hängt  sich,  ungeachtet  sie  ßlandford  verlobt  ist,  dessen  treuem  Freund 
Nelson  an  den  Hals.  Sie  kennt  nur  Natur,  nicht  Konvention.  Das 
Problem  wird  dadurch  verwickelt,  daß  auch  Nelson  für  sie  in  Leiden- 
schaft entbrennt,  aber  dem  Freunde  unbedingt  die  Treue  bewahren 
möchte.  Auch  hierin  wirkt  Rousseaus  Vorbild  nach.  Das  komische 
Element  erwächst  hauptsächlich  auf  dem  Boden  unkonventioneller 
Offenheit  Corallys;  weiterer  Träger  der  Komik  ist  die  traditionelle 
Figur  des  aufdringlichen  Woodbe.  Die  Lösung  findet  Weiße  trivial 
genug,  indem  er  Corally  mit  Nelson  und  dessen  Schwester  Julie  mit 
Blandford  verbindet.  So  dürfen,  wie  am  Schlüsse  der  „Amalia", 
zwei  Paare  den  gerührten  Zuschauern  für  ihren  Beifall  danken. 

Die  Betrachtung  anderer  Komödien  Weißes  erübrigt  sich,  sie  führen 
weder  dem  bestehenden  Bilde  neue  Züge  zu,  noch  zeigen  sie  irgend- 
wie deutlicher  das  Traditionsgut  der  sächsischen  Komödie.  Weißes 
Lustspielproduktion  ist  typisch  und  spiegelt  die  gesamte  Entwicklung 
von  Gottsched  bis  Lessings  „Minna  von  Barnhelm".  Dichterisch- 
schöpferische Eigenart  besitzt  Weiße  nicht.  Seine  Stärke  beruht  in 
einer  flüssigen  Handhabung  des  Dialogs,  ohne  aber  Lessings  dialek- 
tische Schärfe,  noch  gefühlsbetonte  Innerlichkeit  zu  erreichen.  Im 
Grunde  gibt  er  banale  Prosa  mit  witzigen  Pointen.  Er  ist  ausgegangen 
von  Lessings  Jugendlustspielen;   als   er  nach   langer  Unterbrechung 


Lessings  „Minna  von  Barnhelm".  I79 

der  Produktion  1783  seine  Werke  nochmals  sammelt  und,  im  Dialoge 
umredigiert,  neu  herausgibt,  muß  er  in  der  Vorrede  gestehen:  „Seit 
der  Zeit  —  als  er  1744  mit  Lessing  die  Leipziger  Universität  bezog  — 
haben  wir  von  beiden  Seiten  unsere  Kräfte  versucht.  Er,  der  mit 
größern  ausgerüstet  war,  ist  mir  zuvorgekommen". 

Wenn  auch  Weiße  in  einer  Geschichte  des  Lustspiels  stets  be- 
handelt werden  muß,  seine  Hauptbedeutung  liegt  auf  anderem,  aller- 
dingsverwandtem Gebiet.  Er  ist  mit  „Der  Teufel  ist  los"  (nach  Coffey's 
„The  devil  to  pay")  1752  trotz  der  Gegnerschaft  Gottscheds  der  Neu- 
gründer des  deutschen  Singspiels,  der  Operette  geworden;  noch  heute 
sind  Gesangseinlagen  seiner  weiteren  Singspiele  ,,Lottchen  am  Hofe", 
„Die  Liebe  auf  dem  Lande",  „Walder"  lebendig. 

6.  LESSINGS  „MINNA  VON  BARNHELM". 

Die  sächsische  Komödie  macht  den  Weg  von  der  Posse  zum  Rühr- 
stück. Gerade  Chr.  F.  Weiße  zeigt  diese  Entwicklung  deutlich.  Der 
Gipfel  der  deutschen  Rührkomödie  ist  in  seiner  „Amaha"  erreicht,  die 
nicht  nur  stofflich,  sondern  vor  allem  ihrem  ganzen  Gefühlsgehalte  nach 
Nivelle  de  la  Chaussees  „Melanide"  gleicht.  Rührung  als  Endzweck 
des  Dramas  kann  aber  nie  die  tiefen,  reinen  Wirkungen  des  Humors 
erreichen.  Sie  bedeutet  stets  eine  Schwächung  des  Dramas  in  seinem 
Wesenhaften.  Jedes  Drama,  ob  Trauerspiel  oder  Lustspiel,  sei  sein 
Träger  willensstark  oder  willensschwach,  ist  ein  Kampf,  in  dem  Kräfte 
aufeinanderprallen  und  Lösung  suchen,  sei  es  in  tragischem  oder 
humorischem  Sinne.  Die  Rührung  aber  duldet  kein  freies  Kräftespiel. 
Rührung  und  Kraft  sind  unversöhnliche  Gegensätze.  Die  Rührung 
entkräftet,  sie  erstrebt  das  liebe  Mittelmaß.  Die  dem  Drama  not- 
wendige Spannung  erzielt  sie  nicht  durch  Stoß  und  Gegenstoß  von 
Kraftauswirkungen,  sondern  durch  romanhafte  Verwicklungen.  Ihr 
Wesen  ist  nicht  dramatisch,  sondern  episch.  Alle  Rührstücke  zielen 
daher  auf  stoffliche  Anregung,  nicht  auf  dynamische  Erregung.  Und 
damit  die  stoffliche  Anregung  in  einer  möglichst  großen  Zahl  von 
Zuschauern  die  der  Rührung  notwendige  weiche  Gefühlsstimmung 
erzeugt,  muß  sie  im  Umkreis  mittelmäßiger  Alltäglichkeit  bleiben, 
sie  darf  die  Grenzen  nach  oben  und  unten  nicht  überschreiten.  Die 
Wirkung  geht  ins  Breite,  nicht  ins  Tiefe.  Das  Rührstück,  so  sehr 
es  auch  immer  wieder  bei  der  großen  Masse  Anklang  findet,  ist  stets 
kleinlich,  ja  gerade  dieser  Charakter  ist  wohl  nicht  die  letzte  Ursache 
seines  Massenerfolges. 

Eine  andere  Ursache  aber  für  seine  damalige  Beliebtheit  liegt 
darin,  daß  die  Masse  der  bürgerlichen  Theaterbesucher  in  seiner  senti- 
mentalen Aufmachung  das  vertraute  eigene  Milieu  zu  erkennen  glaubte. 
Obwohl  nun  die  Rührkomödie  von  erstarktem  Bürgerbewußtsein  ge- 
tragen ist,  so  ist  sie  doch  noch  weit  entfernt  von  ursprünglich  bürger- 
lich-demokratischem Wesen.    Sie  ist  die  Dramatisierung  des  Wirtschaft- 


l3o  Achtzehntes  Jahrhundert:  Die  Sächsische  Komödie. 

lieh  hochgekommenen  Bürgerstandes,  der,  wie  Louis  Riccoboni  in 
seinem  Brief  an  Muratori  vom  30.  Mai  1737  ausführt,  sozial  zu  hoch 
steht  für  den  komischen  Soccus  und  zu  tief  für  den  tragischen  Ko- 
thurn. Aber  dieser  Bürgerstand  wird  nur  seiner  äußeren  Kleidung 
nach  dargestellt.  Sein  Denken,  Sprechen  und  Handeln  entstammt 
nicht  Motiven,  die  ihm  als  sozialem  Stande  eignen,  sondern  ist  dialogi- 
sierter Niederschlag  der  Aufklärung.  Die  dargestellten  Bürger  sind 
nicht  Vertreter  ihres  Standes,  sondern  der  Aufklärung,  deren  Bedeu- 
tung für  die  Lebensbezüge  der  Bürgerfamihe  in  allgemeingültigen,  in 
typischen  Regeln  ausgesprochen  wird.  Diderot  hat  wohl  den  Weg 
gewiesen  von  den  üblichen  Maskentypen  zu  Standestypen  und  dadurch 
mehr  als  andere  realistische  Darstellungskunst  vorbereitet.  Niemand 
hat  dies  früher  erkannt  und  anerkannt  in  Deutschland  als  Lessing. 
Doch  eben  weil  Diderot  Standes  Vertreter  fordert,  stellt  er  alle  Mittel 
realistischer  Beobachtung  in  den  Dienst  dieser  Forderung  und  strebt 
nicht  nach  Darstellung  individueller  Gegenwartsmenschen. 

Hier  setzt  Lessing  ein.  Schon  1754  hatte  er,  damals  Geliert  noch 
nahestehend,  im  Anschluß  an  dessen  Abhandlung  über  die  Rühr- 
komödie erklärt:  „Ich  getraue  mir  zu  behaupten,  daß  nur  dieses  allein 
wahre  Komödien  sind,  welche  sowohl  Tugenden  als  Laster,  sowohl 
Anständigkeit  als  Ungereimtheit  schildern,  weil  sie  eben  durch  diese 
Vermischung  ihrem  Originale,  dem  menschlichen  Leben  am  nächsten 
kommen".^/,, Das  Possenspiel  will  nur  zum  Lachen  bewegen;  das 
weinerliche  Lustspiel  will  nur  rühren;  die  wahre  Komödie  will  beydes"^'' 
Damit  folgt  Lessing  den  Anschauungen  Voltaires,  der  die  ästhetischen 
Konsequenzen  N.  de  la  Chaussees  zurückgewiesen  und  in  dem  Vor- 
worte seiner  „Nanine"  sich  für  die  Mischgattung  erklärt  hatte:  „La 
comedie  peut  donc  se  passionner,  s'emporter,  s'attendrir  pourvu  qu'en- 
suite  eile  fasse  rire  les  honnetes  gens".  Diese  Mischung  war  seit  den 
vierziger  Jahren  immer  wieder  gepflegt  worden.  Doch  es  war  nie  zu 
einer  innerlichen  Durchdringung  der  widerstrebenden  Elemente  ge- 
kommen. Neben  komischen,  burlesken,  possenhaften  Zügen  und 
Szenen  standen  solche  rührender  und  rührseliger  Natur.  Es  ist  Les- 
sings  Verdienst,  in  seiner  „Minna  von  Barnhelm"  dies  bisherige  physi- 
kalische Gemenge  zur  chemischen  Verbindung  überführt  zu  haben. 
Komik  und  Rührung  sind  nicht  länger  wesensverschieden  und  nur  in 
berechnender  W^irkungsabsicht  einander  zugesellt,  es  sind  Äußerungen 
desselben  Wesens,  verschiedene  Seiten  desselben  Dings,  Blüten  der- 
selben Wurzel.  •  Damit  aber  ist  Lessing  gelungen,  was  kein  anderer 
vor  ihm  erreicht  hat:  Gestaltung  von  Humor,  jenes  Weltgefühls,  von 
dem  der  Aesthetiker  Fr.  Th.  Vischer  sagt:  „Diese  Rührung,  die  durch 
das  Lachen  selbst  hindurchschimmert,  ja  wohl  Tränen  und  Lächeln 
in  einem  Momente  verbindet,  ist  das  Charakteristische  des  Humors". 

Lessing  gelang  diese  humorische  Gestaltung,  indem  er  den  Ge- 
halt seiner  eigenen  Persönlichkeit  seinem  Lustspiele  zugrunde  legte. 


Lessings  „Minna  von  Barnhelm".  l8l 

indem  er  aus  seinem  eigenen  seelischen  Gehalte  heraus  die  Menschen 
seines  Lustspiels  und  ihre  gegenseitigen  Bezüge  formte.  Was  wir 
bisher  an  Lustspielen  des  i8.  Jahrhunderts  betrachteten  war  Mache, 
wie  es  etwa  auch  die  Komödien  von  Benedix  sind. /,Minna  von  Bam- 
helm"  ist  Schöpfung.  Sie  ist  nicht  mehr  nur  Ergebnis  berechnenden 
Verstandes,  sie  ist  geboren  aus  innerem  Erlebnis,  Ausdruck  eines 
neuen  Lebensgefühls.  /Deutscher  Kunstanschauung  hatte  Winckel- 
mann,  in  entschlossener  Formulierung  unbestimmter  Zeitahnungen, 
1755  das  aller  Rührseligkeit  absagende  herbe  Richtwort  geprägt: 
„Edle  Einfalt  und  stille  Größe".  Lessing  fand  damit  sein  Lebens- 
wie  sein  Kunstideal  ausgesprochen.  Seine  PersönHchkeit  ist  bestimmt 
durch  den  sittlichen  Optimismus,  der  sich  auf  dem  Boden  rationalisti- 
scher Weltanschauung  entwickelt  hat.  Dieser  Charakter  hat  sich  aber 
in  dem  Strom  der  Welt  gebildet.  Leidenschaftliche  Anteilnahme  am 
Geschehen,  an  den  geistigen  Strömungen  seiner  Zeit  ist  ein  hervor- 
stechendes Kennzeichen  Lessings. 

Das  wichtigste  Ereignis  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  für  die 
Erweckung  und  Förderung  deutschen  Nationalbewußtseins  ist  der 
Siebenjährige  Krieg,  in  dem  ein  kleiner  deutscher  Staat  sich  im  Kampf 
mit  ganz  Europa  siegreich  behauptet./  Dieses  Erleben  gibt  bedeut- 
samsten Anstoß  zur  Entwicklung  des  Gefühls  des  Staatsbürgertums, 
des  Nationalpatriotismus.  Klopstock  ist  der  erste  gewesen,  in  dem 
das  deutsche  Nationalgefühl  flammend  ausbricht.  Das  Erlebnis  seines 
Gefühls,  aus  der  Sehnsucht  geboren,  stößt  sich  aber  hart  im  Räume 
der  nüchternen,  kläglichen  Wirldichkeit.  Er  flüchtet  daher  zur  Ver- 
anschauhchung  seines  idealen  Inhalts  in  ideale  Ferne  urchristlicher 
und  altgermanischer  Zeiten.  Lessing  dagegen  läßt  im  Anschluß  an 
den  Siebenjährigen  Krieg  das  gleiche  Erlebnis  deutschen  Nationalbe- 
wußtseins Tat  werden,  indem  er  es  in  der  Gegenwart  gestaltet,  indem 
er  diese  Gegenwart  selbst  als  Schauplatz  nationalen  Fühlens  dar- 
stellt. Seine  „Minna  von  Barnhelm"  ist  die  Verkündigung  und  Ver- 
körperung des  deutschen  Volksbewußtseins,  der  deutschen  Natio- 
nalitätsidee der  damaligen  Zeit.  Schon  Goethe  hat  nachdrücklichst 
an  bekannter  Stelle  von  „Dichtung  und  Wahrheit"  diese  große  Be- 
deutung hervorgehoben. 

Lessing  ist  weit  entfernt  davon,  etwa,  wie  es  in  seiner  Zeit  üblich 
war,  fritzische  Gesinnung  mit  lauten  Ruhmesworten  zu  betätigen  oder 
gar  den  Krieg  zu  verherrlichen.  Sein  Stück  spielt  nach  dem  Kriege, 
im  Frieden,  und  der  große  König  blickt  nur  von  ferne  ins  heiter-ernste 
Spiel.  Seine  Bewunderung  des  Preußenkönigs  kommt  direkt  nur  in 
dem  schlichten  Worte  der  sächsischen  Gegnerin  —  darum  ist  es  um 
so  wirkungsvoller  —  Minna  zum  Ausdruck,  daß  der  große  Mann  auch 
ein  guter  Mann  sei.  Auch  darin  bekundet  sich  Lessings  sittlicher 
Individualismus,  der  über  das  patriotische  Gefühl  das  Humanitätsideal 
stellt,  der  die  Ausbildung  des  sittlichen  Menschen  sich  als  oberstes 


l82  Achtzehntes  Jahrhundert :  Die  Sächsische  Komödie. 

Ziel  setzt.  Er  versucht  keine  Darstellung  von  sozialen  Lebenspro- 
blemen, sondern  von  individuellen  Vertretern  sittlichen  Menschen- 
tums. Lessings  ethischer  Optimismus  gibt  den  Gehalt,  seine  scharf- 
gespitzte Dialektik,  wie  er  sie  in  seinen  Prosaschriften  übt,  die  Form. 
Ebensowenig  wie  daher  die  Sprache  seiner  Personen  naturalistische 
Sprechweise  ist,  ist  der  Gehalt  aus  Leidenschaft,  aus  reinem  Gefühl 
geboren;  er  gründet  in  sittlichen  Überlegungen  und  Überzeugungen. 
Der  Untertitel  „Soldatenglück"  ist  weniger  treffend  als  der  Titel 
einer  englischen  Übersetzung  von  1799:  „The  School  of  Honour". 
Ethischer  Rationalismus  gestaltet  die  Menschen,  ihre  Handlungen, 
ihre  Beziehungen.  Hier  ist  der  Wandel  zu  verspüren,  den  nach 
Lessings  Überzeugung  Diderot  herbeigeführt  hatte.  Selbst  Arthur 
Böhtlingk,  der  energische  Verfechter  der  Ansicht,  daß  Lessing  in 
erster  Linie  shakespearisch  arbeite,  daß  ,, Minna  von  Barnhelm"  shake- 
spearischen  Dramen,  wie  „Hamlet",  „Der  Kaufmann  von  Venedig", 
„Othello",  nachgearbeitet  sei  —  womit  er  zweifellos  der  Deutung  von 
Tellheims  Charakter  durch  den  Hinweis  auf  den  Mohren  von  Venedig, 
von  Minnas  Ringgeschichte  durch  die  Parallele  mit  der  Porzias 
wertvolle  Hinweise  gegeben  hat  — ,  betont  mit  allem  Nachdruck,  daß 
Lessing,  durch  Diderots  Theorie  verleitet,  das  shakespearische  Ideal 
verkleinbürgerlicht  habe. 

Doch  darf  über  der  allzu  edelmütigen  Tugendhaftigkeit  von  Lessings 
Helden  nicht  außer  acht  gelassen  werden,  daß  des  Dichters  starke 
Persönlichkeit  über  Diderots  bürgerlich-ständisches  Sittenstück  weiter- 
schreitet zur  individuellen  Ciiarakterkomödie.  Der  Mensch  der  Auf- 
klärung wird  geleitet  von  moralischem  Gefühl.  Er  ist  in  erster  Linie 
moralisches  Individuum.  Aber  er  muß  auch  der  Tatsache  Rechnung 
tragen,  daß  er  in  eine  Umwelt  hineingestellt  ist.  Diese  zu  erkennen 
und  durch  die  Erkenntnis  sich  mit  den  Lebenswirklichkeiten  abzu- 
finden, ward  ihm  der  Verstand.  Seine  Existenz  in  der  Welt  der  Reali- 
-^  täten  mit  seinem  moralischen  Wollen  in  Einklang  zu  bringen,  ist  die 
Aufgabe  seines  Verstandes.  Tellheim  läßt  es  daran  fehlen.  Seine 
moralische  Haltung  ist  tadellos.  Aber  er  läßt  sich  in  seiner  Lebens- 
einstellung nicht  von  der  verstandesmäßigen  Rücksicht  auf  die  Tat- 
sachen des  Lebens  leiten,  sondern  mißt  auch  diese  an  seinem  mora- 
lischen Gefühl.  Damit  verlangt  er  von  der  Welt,  die  auch  nach  Leibniz 
nur  unter  möglichen  die  beste  ist,  rnehr^^als.  die  Gebrechlichkeit  alles 
Irdischen  zu  geben  vermag.  Sein  moralisches  Gefühl  verdunkelt  seinen 
Verstand.  Er  gerät  somit  in  eine  schiefe  Stellung  zur  Welt  und  wird 
dadurch  Objekt  der  Komik.  Wir  erkennen  zugleich  aber,  wie  nahe 
diese  Komik  der  Tragik  verwandt  ist,  die  Dilthey  in  ihrer  typischen 
Ausprägung  durch  Lessing  aufgezeigt  hat  als  Gegensatz  eines  sitt- 
lichen Affekts  zur  umgebenden  Welt.  Dieser  gleiche  Kontrast  gebiert 
Tellheims  Komik,  die  zugleich  das  Grundgesetz  jeder  humorischen 
Komik  aufweist:  ein  Relatives  für  ein  Absolutes  anzusehn. 


Lessings  „Minna  von  Barnhelm".  I83 

Verstandesmäßige  Einstellung  auf  die  Lebensnotwendigkeiten 
braucht  natürlich  nicht  das  sittliche  Gefühl  zu  verleugnen.  Doch  muß 
die  richtige  Spannung  gewahrt  werden.  Bei  Tellheim  aber  ist  der^ 
sittliche  Affekt  überspannt.  Tellheim  ist  Soldat,  ist  Offizier  der  preu- 
ßischen Armee,  deren  stärkste  Stützen  der  Ehrbegriff  des  Einzelnen, 
die  Subordination  des  Einzelnen  unter  das  Ganze  und  die  diese  selbst- 
entäußernde Unterordnung  allein  ermöglichende  Überzeugung  von 
der  alles  und  alle  ordnenden  Gerechtigkeit  sind.  Wir  erkennen  hieraus, 
daß  das  Soldatenmilieu  für  Lessing  nicht  Selbstzweck  ist.  Er  hätte 
sonst  wohl  auch  besser  die  dargestellten  Soldaten  nicht  in  der  ihnen 
feindlichen  Friedensatmosphäre  gezeigt,  sondern  in  waffenklirrendem 
Krieg.  Der  Soldatenstand  ist  für  den  Humanitätsgläubigen  nur  Mittel 
zum  Zweck.  Er  zeigt,  wie  ein  an  sich  berechtigter  sittlicher  Affekt 
in  der  Ausprägung  durch  eine  bestimmte  Standestradition  Unrecht 
werden  kann,  da  er  das  menschliche  Gefühl  verletzt.  /Der  überspannte 
soldatische  Ehrbegriff  Tellheims  gefährdet  die  aus  dem  menschlichen 
Gefühl  der  Liebe  sich  ergebenden  Pflichten  gegenüber  Minna.  Da 
er  aber  an  sich  positiv  wertvoll  ist  und  nur  seine  Maßlosigkeit  die 
beschränkende,  bindende  Gewalt  alles  Irdischen  zur  Anschauung 
bringt,  da  er  also  die  Ursache  einer  lustbetonten  Erkenntnis  der  Rela- 
tivität aller  Erscheinungen  ist,  so  steht  sein  Träger  im  Lichte  ernst- 
heiteren Humors.  >/ 

Darstellung  und  Erziehung  des  Tellheimschen  Ehrbegriffs  ist  die  A 
innere  Handlung  des  Stückes.  Tellheims  steifes,  soldatisch-ständisches 
Ehrgefühl,  das  hart  an  grillenhaften  Eigensinn  grenzt,  erhält  seinen 
ersten  Stoß  in  der  Szene  mit  dem  treuen  Wachtmeister  Werner  (III,  7), 
dessen  hilfsbereites  Geldangebot  er  ablehnen  will,  weshalb  er  sich 
von  seinem  Wachtmeister  belehren  lassen  muß,  was  Kameradschaft 
bedeutet.  Eine  weitere  Lockerung  erfährt  die  starre  Konvention  durch 
die  Erkenntnis  (IV,  6),  daß  er,  Othello  gleich,  wie  ein  Abenteurer  in 
fremde  Dienste  sich  vermietet  hat,  also  ohne  den  sittlichen  Beweggrund 
der  Vaterlandsliebe.  (Wir  hören  aus  diesen  Worten  den  weltbürger- 
lichen Humanitätsphilosophen  der  Aufklärung.)  Und  schließlich  stürzt 
die  Nachricht  von  Minnas  Unglück  (IV,  7)  alle  noch  widerstrebenden 
Bedenken.  Menschlichkeit  besiegt  alle  ständische  Konvention.  Nun 
sind  alle  Zweifel  behoben.  Tellheim  steht  bei  Minna.  Der  Schluß  ist 
äußere  Theaterabwicklung. 

Minna,  die  Gegenspielerin  des  Majors,  ist  eine  der  lieblichsten 
Frauengestalten  des  deutschen  Lustspiels.  Sie  ist  eine  köstliche  Blume 
in  dem  Blütenkranz,  den  das  deutsche  Lustspiel  der  deutschen  Frau 
geflochten  hat:  die  geliebte  Dornrose  von  Gryphius,  Lessings  Minna, 
Kleists  Eve,  Grillparzers  Edrita,  Wagners  Evchen  sind  die  Perlen 
deutscher  Frauenbilder  in  der  deutschen  Lustspielproduktion.  Ihr  aller 
Reiz  beruht  in  ihrer  Lebenswahrheit,  in  ihrer  ungezwungenen  Natürlich- 
keit, ihrer  wohlabgewogenen  Mischung  von  gesundem  Verstand  und 


184  Achtzehntes  Jahrhundert:   Die  Sächsische  Komödie.  —  Sturm  und  Drang. 

warmem  Herzensgefühl. /ihre  Hauptstärke  aber  liegt  in  dem  tiefen 
sittlichen  Untergrund  ihres  Wesens.  Es  ist  der  stärkste  Beweis  für 
die  jeweilige  Schöpferkraft,  der  sie  entsprossen,  daß  diese  so  gleich- 
artig aufgebauten  Frauencharaktere  doch  alle  voneinander  verschieden 
sind,  daß  jede  eine  bestimmte,  abgerundete  Einzelpersönlichkeit  ist. 
Minnas  Eigenart  liegt  wesentlich  in  ihrer  Grazie,  die  dem  leicht  be- 
weglichen, spielerischen  Charakter  des  Rokoko  entspricht,  die  die 
fesselnde  Erscheinungsform  eines  überaus  gewandten  Intellekts  dar- 
stellt. Dramaturgisch  bildet  sie  damit  einen  lebhaften  Kontrast  mit 
ihrem  Partner.  ^ 

Diese  Charakterverschiedenheit  ist  aber  zugleich  auch  ein  Stam- 
mesgegensatz der  beiden  Hauptspieler.  Tellheim  ist  Norddeutscher, 
sowohl  seiner  baltischen  Abkunft  wie  seinem  preußischen  Soldaten- 
tum  nach,  in  aller  Herbheit  und  Strenge  des  Pflicht-  und  Ehr- 
gefühls. Minna  ist  Sächsin,  sie  stammt  aus  dem  Lande  Augusts 
des  Starken,  wo  das  leichtherzige,  graziöse  Rokoko  seine  besondere 
Pflege  gefunden  hatte.  Die  Verbindung  der  Liebenden  bedeutet  daher 
zugleich  eine  Überwindung  und  einen  Ausgleich  partikularistischen 
Geistes.  Schon  Goethe  erkannte  diese  nationaldeutsche,  ja  allgemein 
menschliche  Absicht  des  Stückes:  „Die  gehässige  Spannung,  in  der 
Preußen  und  Sachsen  sich  während  dieses  Krieges  gegeneinander 
befanden,  konnte  durch  die  Beendigung  desselben  nicht  aufgehoben 
werden.  Der  Sachse  fühlte  nun  erst  recht  schmerzlich  die  Wunden, 
die  ihm  der  überstolz  gewordene  Preuße  geschlagen  hatte.  Durch  den 
politischen  Frieden  konnte  der  Friede  zwischen  den  Gemütern  nicht 
sogleich  hergestellt  werden.  Dieses  aber  sollte  gedachtes  Schauspiel  im 
Bilde  bewirken.  Die  Anmut  und  Liebenswürdigkeit  der  Sächsinnen 
überwindet  den  Wert,  die  Würde,  den  Starrsinn  der  Preußen,  und  so- 
wohl an  den  Hauptpersonen  als  den  Subalternen  wird  eine  glückliche 
Vereinigung  bizarrer  und  widerstrebender  Elemente  kunstgemäß  dar- 
gestellt". Der  Sachse  Lessing  war  als  großer  Verehrer  des  Preußen- 
königs und  als  Humanitätsschwärmer  zu  solchem  Ausgleich  beson- 
ders berufen.    Sein  Lustspiel  schreitet  damit  seiner  Zeit  voraus. 

Andrerseits  wurzelt  es  aber  auch  trotz  seiner  überragenden  Bedeu- 
tung in  seinerzeit.  Daraus  erklären  sich  die  sterblichen,  ja  bereits  toten 
Teile  des  Werks:  die  an  Shakespeares  gemütvoll-launige,  übermütig- 
heitere, witzig- sprudelnde  Lustspielfrauen  erinnernde  Minna  bietet  in 
der  ausgeklügelten  Ringepisode,  als  Opfer  des  Rationalismus,  Theater- 
mache; die  Stimmungsszene  Tellheim — Rittmeisterin  Marloff,  als  Opfer 
der  Empfindsamkeitsepoche,  läßt  einen  süßlich-faden  Geschmack  ab- 
gestandener Rührseligkeit  zurück;  billige  Traditionsmittel  sind  der  neu- 
trale Hotelboden,  um  das  Zusammentreffen  aller  Personen  zu  ermög- 
lichen, oder  der  Brief  des  Königs,  um  Tellheims  Ehre  zu  rehabilitieren. 
Doch  trotz  aller  Makel  historischer  Zeitgebundenheit,  wozu  wir  auch 
die  unwirkliche  und  unindividuelle  Buchsprache  rechnen,  freuen  wir 


Gesamtcharakteristik.  l8c 


uns  der  Fülle  des  Gebotenen:  neben  den  Hauptpersonen  die  Kammer- 
zofe Franziska,  die  den  kokett-schnippischen  Soubrettenton  der  fran- 
zösischen Lisette  mit  deutscher  Ehrhchkeit  und  Innigkeit  verbindet; 
Werner  und  Just  als  gegeneinander  klug  abgeschattete  Vertreter  sol- 
datischer Untergebenentreue  und  opferwilliger  Anhänglichkeit,  beson- 
ders Just  als  prachtvoller  Typ  des  hundetreuen,  ungeschliffenen  Kerls ; 
der  aus  der  Tradition  selbständig  geschaffene  und  selbst  Muster  bildende 
neugierige  Wirt;  der  französisch -internationales  schwadronierendes 
Abenteurertum  köstlich  persiflierende  Riccaut  —  eine  reiche  Galerie 
lebensvoller,  humorisch  beleuchteter  Charaktere,  die  jeder  für  sich 
einen  Beitrag  liefern  zu  unserer  Erkenntnis  von  Lessings  tief  wurzeln- 
der sittlicher  Überzeugung,  von  seinem  klaren  Urteile,  von  seinem 
reichen  und  reifen  Verständnis  für  die  mannigfaltigen  Originale  der 
Wirklichkeit.  Lessing  zeigt  sich  hier  auf  der  Höhe  eindringlicher 
psychologischer  Charakterisierungskunst,  die  die  Fülle  von  Haupt-, 
Neben-  und  Kontrastfiguren  zu  beleben  weiß. 

Ein  buntes,  arabeskenreiches  Geflecht  entsteht  in  der  Verwirrung 
von  verschiedenen,  mit  Episoden  durchsetzten  Entwicklungs-  und 
Zielhandlungen,  um  zum  Schlüsse  sich  in  der  Vereinigung  der  lieben- 
den Paare  zu  lösen.  Eine  shakespearisierende  Reichhaltigkeit  des 
dramatischen  Aufbaus  läßt  wohl  die  französisch-klassische  Klarheit 
und  übersichtliche,  zwangläufige  Folgerichtigkeit  vermissen,  wirkt 
aber  gerade  deshalb  um  so  lebendiger,  reizvoller,  bewegter  auf  der 
Bühne.  Es  ist  das  zeitgenössische  Rokoko,  und  wie  dieses  trotz  seines 
üppig  wuchernden  Formenreichtums  leicht  kühl  anmutet,  so  empfin- 
den wir  auch  in  Lessings  Lustspiel  einen  allzu  reichlichen  Zuschuß 
an  dialektisch-spitzfindiger  Intellektualität.  Der  Rokokocharakter  des 
Werks  findet  schönsten  Ausdruck  in  Chodowieckis  meisterhaften  Illu- 
strationen, die  bis  heute  nicht  übertroffen  werden.  Der  klassische 
Wegbereiter  Lessing  ist  hier  für  die  sächsische  Komödie  zum  Weg- 
vollender geworden,  sein  Lustspiel  ist  das  einzige  klassische  Werk 
der  Vorklassik,  das  in  Milieu,  Motiven  und  Charakteren  weit  über  die 
von  ihm  erzeugte  Flut  der  Soldatenstücke  bis  zur  Gegenwart  nach- 
gewirkt hat  und  auch  heute  noch  seine  Bühnenwirksamkeit  bewährt. 

IL  STURM  UND  DRANG. 

I.  GESAMTCHARAKTERISTIK. 

Der  Sturm  und  Drang  ist  längst  etikettiert  als  revolutionäre  Lite- 
raturepoche. Aber  die  jugendlichen  Stürmer  und  Dränger  bleiben 
doch  die  Kinder  ihrer  Väter.  Der  eigentliche  Sturm  und  Drang  ist 
nur  eine  kurze  Gipfelzeit  der  jahrzehntelang  sich  entwickelnden  Genie- 
bewegung. Die  Bausteine,  die,  aus  Frankreich  und  England,  aber 
auch  aus  Italien   und   der  Antike  stammend,  das  deutsche  Lustspiel 


l85  Achtzehntes  Jahrhundert:  Sturm  und  Drang. 

im  1 8.  Jahrhundert  bis  zu  Lessings  „Minna"  aufgebaut  haben,  bilden 
auch  für  die  Stürmer  und  Dränger  noch  brauchbares  und  gern  be- 
nutztes Material.  Wie  stets  verkennen  aber  die  jugendlichen  Revo- 
lutionäre das  angetretene  Erbe  und  begrüßen  jubelnd  als  Neuland, 
was  bereits  ihre  Väter  entdeckt  haben. 

Die  drei  Schlagworte  der  Zeit  sind  Natur,  Gefühl,  Genie,  Alle 
drei  haben  sie  ihre  Vorgeschichte.  Einen  Beweis  für  die  bekannte 
Vorbereitung  und  Aufnahme  von  Rousseaus  Naturevangelium  bietet 
der  Lustspieltypus  der  Naiven,  woran  sich  deutlich  erkennen  läßt, 
daß  schon  vor  dem  Sturm  und  Drang  die  Betonung  des  Naturreinen 
gegenüber  dem  Kulturverderbten  beliebt  war.  Die  kindliche  länd- 
liche Naive  Lise  in  Lenzens  „Hofmeister"  oder  Klingers  Luise  im 
„Sturm  und  Drang"  haben  ihre  unmittelbaren  Vorgängerinnen  in 
Stephanies  d.  J.  „Werberin"  von  1769  und  in  Chr.  F.Weißes  „Walder", 
ohne  dabei  der  früheren  bis  ins  17.  Jahrhundert  zurückgehenden  Ver- 
treterinnen des  Faches  zu  gedenken.  Daß  auch  die  Gefühlsforderung 
vorbereitet  war,  zeigt  die  Rührkomödie.  Und  für  den  Genieruf  hat 
uns  Walzeis  Studie  über  „Das  Prometheussymbol  von  Shaftesburj' 
zu  Goethe"  die  lange  Vorgeschichte  nachgewiesen. 

Dennoch  wirken  diese  Stürmer  und  Dränger  revolutionär,  sind 
sie  Revolutionäre:  durch  die  viel  tiefere  Ausschöpfung  dieser  Begriffe, 
ihre  unbedingte  Hingabe  an  sie.  Was  neben  anderem.  Traditionellem, 
Konventionellem  bisher  Geltung  hatte,  herrscht  jetzt  absolut.  Ein  ober- 
flächlicher Vergleich  von  Lessings  Soldatenstück  und  dem  von  Lenz 
zeigt  dies  sofort.  In  beiden  wird  der  relative  Unwert  des  Ständischen 
gegenüber  dem  Menschlichen  dargetan.  Und  doch  wirkt  diese  lo- 
gische Reduktion  auf  einen  gleichen  Kern  grotesk  gegenüber  dem 
in  die  Augen  stechenden  Unterschiede  beider  Stücke.  Der  edle  Soldat 
Teilheim  wird  zur  Erkenntnis  geführt,  daß  Ehr'  und  Pflicht  reinen 
Menschentums  höher  stehen  als  Ehr'  und  Pflicht  des  Standesbewußtseins. 
Der  revolutionäre  Lenz  zeichnet  mit  satirischem  Grimme  die  Verderbt- 
heit des  Soldatenstandes  schlechtweg.  Dort  individuelle  Charakterent- 
wicklung, hier  soziale  Kritik.  Daher  auch  der  Unterschied  im  Zeitein- 
druck. Lenz  gibt  Satire,  die  Bestehendes  niederreißen  will,  also  zeitlich 
Vergängliches  behandelt.  Sein  Stück  hat  daher  für  seine  Gegenwart 
großes  Aktualitätsinteresse.  Wenn  diese  Gegenwart  sich  gewandelt 
hat  und  damit  der  Satire  ihr  Objekt  genommen  ist,  so  wirkt  das  Stück 
veraltet.  Wenn  wir  heute  noch  mit  Genuß  einer  Aufführung  der 
„Soldaten"  beiwohnen,  so  ist  die  Quelle  unseres  Genusses  ganz 
anderer  Art  als  die  seiner  Zeitgenossen,  und  die  stoffliche  Veraltung 
bewirkt  eine  Beeinträchtigung  unseres  ästhetischen  Genusses.  Bei 
Lessing  dagegen  vergessen  wir  heute  leicht,  daß  er  uns  ebenso  wie 
Lenz  Menschen  seiner  Gegenwart  vorführt.  Im  Gegensatz  zu  Lenz 
behandelt  Lessing  zeitlose  Probleme  und  unterliegt  daher  nicht  dem 
Wirkungsschwächenden   Einfluß   des   Zeitwandels.    Wir  können   uns 


Dramatische  Theorie.  187 


Lessings  ,, Minna"  im  Gewand  der  Neuzeit  aufgeführt  denken,  während 
dies  bei  dem  zeitlich  gebundenen  Lenz  unmöglich  ist. 

Damit  haben  wir  auch  den  sinnfälligsten  Unterschied  der  Sturm- 
und-Drang-Komödie von  ihren  Vorgängerinnen  gefunden.  Mit  über- 
raschender Lebendigkeit  schildert  sie  das  Leben  ihrer  Gegenwart, 
nicht  in  objektiver  Ruhe,  sondern  in  leidenschaftlicher  Anteilnahme. 
Hierin  liegt  ihre  Stärke  und  ihre  Schwäche. 

2.  DRAMATISCHE  THEORIE. 

Die  literarische  Revolution  des  Sturm  und  Drangs  ist  die  Spiege- 
lung der  sozial-politischen,  die  sich  in  jenen  Jahren  vorbereitete,  ohne 
allerdings  auf  deutschem  Boden  zum  Austrag  zu  kommen.  Die  Lite- 
raturwerke der  Stürmer  und  Dränger  sind  daher  stark  tendenziös  ge- 
färbt, sie  sind  Kampfrufe  für  die  neuen  sozialen,  politischen  und 
kulturellen  Überzeugungen.  Darin  gleichen  sie  mehr  jenen  des  Jung- 
deutschlands als  denen  der  allzuoft  in  Parallele  gestellten  Romantik. 
Daher  holen  sie  sich  die  Stoffe  nicht  so  sehr  aus  dem  Reiche  der 
Phantasie,  wie  die  Lustspiele  des  zum  unumschränkten  theoretischen 
Herrscher  ausgerufenen  Shakespeare,  als  aus  dem  des  realen  Lebens. 
Ihr  revolutionäres  Stürmen  gegen  jede  unwahre  Konvention  setzt 
sich  für  packende  Lebenswirklichkeit  ein. 

Der  theoretisch  —  in  den  „Anmerkungen  übers  Theater"  —  wie 
praktisch  —  etwa  im  „Hofmeister"  —  maßgebende  Lenz  spricht  ihrer 
aller  Meinung  aus,  wenn  er  die  Komödie  Gemälde  der  menschlichen 
Gesellschaft  nennt.  Sie  wurden  daher  von  ihrem  Herausgeber  Freye 
und  anderen  mit  den  Naturalisten  am  Ende  des  19.  Jahrhunderts  ver- 
glichen. Tatsächlich  besteht  ihre  Wirkung  großenteils  auf  der  an- 
schaulichen Darstellung  von  wirkhch  Beobachtetem.  Und  dennoch 
ist  es  eine  Verkennung,  ihre  Kunst  als  NaturaHsmus,  und  sei  es 
auch  stilisierter  Naturalismus,  zu  bezeichnen.  Wie  Lenz  es  ausspricht, 
geht  der  Sturm  und  Drang  nicht  nur  auf  „die  treffende  Ähnlich- 
keit", sondern  auf  ihre  „Verstärkung",  „Erhöhung".  Der  Naturalis- 
mus ist  nur  Mittel,  um  im  Ausdruck  die  traditionelle  Form  zu  zer- 
brechen. Schon  Gerstenberg  wendet  sich  von  der  bloßen  Absicht 
ab,  „das  menschliche  Leben  zu  malen".  Nicht  die  äußere,  scheinende 
Natur  soll  der  Dichter  geben,  sondern  eine  Illusionskunst,  die  den 
Zuschauer  glauben  macht,  „er  sehe  das  wahre  Werk  der  Natur".  In- 
dem die  Stürmer  und  Dränger  den  Dichter  als  prometheischen  Schöpfer 
auffassen,  fordern  sie  keinen  impressionistischen  Naturalismus,  sondern 
eigenschöpferische  Ausdruckskunst.  Auch  hier  wieder  hat  Lessing 
bereits  die  Wege  gewiesen  (34.  St.  Hamb.  Dramat.),  wenn  er  die  eigen- 
gesetzliche Welt  des  Künstlergenies  der  Gotteswelt  gegenüberstellt. 
Damit  hat  schon  Lessing  die  Bahnen  des  Rationalismus  verlassen, 
und  Naturalismus  ist  stets  rationalistisch.    Der  Sturm  und  Drang  aber 


l88  Achtzehntes  Jahrhundert:  Sturm  und  Drang. 

ist  der  Höhepunkt  jener  Bewegung  gegen  den  Rationalismus.  Er  ist 
im  Grunde  irrational,  individualistisch  gerichtet.  Deshalb  kommt  er 
auch  über  das  Bürgertum  als  seinen  eigentlichen  Träger  hinaus,  dessen 
Aufkommen  wir  in  dem  vorangehenden  Lustspiel  beobachten  konnten. 
Das  Bürgertum  des  Sturm  und  Drangs  ist  selbstzufriedenes  Philister- 
tum. Die  literarische  Revolution  des  Sturm  und  Drangs  geht  darin  über 
die  politische  Revolution  des  dritten  Standes  hinaus,  sie  ist  aristo- 
kratisch gewillt. 

3.  WESEN  DER  LUSTSPIELPRODUKTION. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  die  Tragödie  des  Sturm  und 
Drangs  positiv  gerichtet,  sie  zeigt  das  tragische  Schicksal  des  großen 
aristokratischen  Einzelmenschen,  Übermenschen,  Die  Komödie  des 
Sturm  und  Drangs  dagegen  ist  negativ  gerichtet,  sie  zeigt  das  eitle 
Beginnen  der  Masse,  die  in  Standeskollektiven  dargestellt  wird.  Des- 
halb konnte  der  Theoretiker  des  Sturm  und  Drangs,  Lenz,  in  seinen 
„Anmerkungen  übers  Theater"  der  Tragödie  die  großen  Charaktere, 
der  Komödie  die  Handlung  zuweisen.  Uns  will  es  heute  allerdings 
scheinen,  daß  damit  dem  Komödientitel  unzulässiger  Zwang  angetan 
wurde,  widersprach  doch  der  Praktiker  Lenz  selbst  dem  Theoretiker. 
Die  allgemeine  theoretische  Überzeugung  des  Sturm  und  Drangs  sucht, 
von  Shakespeare  beeinflußt,  Komik  und  Tragik  im  Drama  zu  mischen. 
G.  A.  Bürger  spricht  dies  als  Daniel  Wunderlich  aus  und  stimmt  darin 
durchaus  mit  Führern  und  Vätern  der  Bewegung,  wie  Lenz,  Herder, 
Hamann,  überein.  Die  jugendlichen  Revolutionäre  sind  zu  stark  in 
ihren  sozialethischen  Problemen  befangen,  als  daß  sie  Freiheit  des 
Humors  erlangten.  Sie  leiden  selbst  zu  sehr,  als  daß  sie  sich  über 
das  eigene  leidvolle  Erleben  humorvoll  zu  erheben  vermöchten.  Des- 
halb schlagen  ihre  Komödien  allzu  leicht  ins  Tragische  um,  und  ihr 
Schluß  könnte  meistens  auch  tragisch  sein.  Es  ist  daher  verständlich, 
daß  Herausgeber  Stücke,  die  der  Verfasser  als  Komödie  bezeichnete, 
Schauspiel  tauften,  haben  wir  doch  in  Lenz  ein  Beispiel,  daß  der  Dichter 
selbst  nachträglich  diese  Namensänderung  vorschlug. 

Bei  der  leidenschaftlichen  Anteilnahme  an  den  Problemen  des  ge- 
sellschaftlichen Lebens  bringen  die  Stürmer  und  Dränger  es  nur  zur 
Satire,  über  die  im  besten  Falle  Humorblitze  aufleuchten.  Hier  sind 
in  erster  Linie  zu  nennen  die  Komödien  von  R.  J.  M.  Lenz,  dessen 
genialisches  Talent  bei  physischer  und  psychischer  gesunder  Reifung 
ihn  wohl  zum  Lustspieldichter  hätte  entwickeln  können,  aber  auch 
das  Drama  Fr.  M.  Klingers,  das  der  Epoche  den  Namen  gegeben 
hat:  Sturm  und  Drang. 

Bei  allem  geistigen  Zusammenhang  mit  der  vorausgehenden  Ent- 
wicklung zeigt  namentlich  die  dramaturgische  und  sprachliche  Technik 
die  grundsätzliche  Neuerung.  Auch  hier  wieder  finden  wir  Grund- 
linien, die  heutiger  Ausdruckskunst  verwandt  sind,   die,   um  Walzels 


Wesen  der  Lustspielproduktion.  I89 

Formunterscheidungen  zu  folgen,  barockem  Stilwillen  entwachsen  sind. 
Wenn  der  impressionistische  Naturalismus  zwangläufig  zu  strenger 
Beobachtung  der  Einheitsforderungen  führt,  so  bemerken  wir  bei  dem 
Sturm  und  Drang  eine  starke  Entsprechung  dramatischer  Praxis  und 
Theorie,  die  Lenz  zu  dem  bekannten  Ausfall  gegen  die  jämmerliche 
Bulle  der  drei  Einheiten  führt.  Statt  streng  geschlossenem,  ziel- 
bewußtem Aufbau  begegnen  wir  der  Technik  loser  Bildfolgen,  die 
allein  es  begreiflich  macht,  wie  willkürHch  der  Schluß  der  Dramen 
oft  gestaltet  ist,  so  daß  er  gelegentlich  ins  direkte  Gegenteil  geändert 
werden  kann. 

Die  Sprache  gibt  allerdings  zunächst  den  Eindruck  des  Natura- 
lismus, namentlich  durch  Vorliebe  für  volkstümliche  Ausdrücke,  durch 
fragmentarische  Sprechweise,  Pausen-  und  Gebärdensprache.  Aber 
bald  werden  wir  gewahr,  daß  hier  ein  bewußter  Stilwille  an  der 
Arbeit  ist,  der  darauf  ausgeht,  den  Gefühlsgehalt  des  Werks  mög- 
lichst auszuschöpfen,  ihn  zu  schwellen,  bis  zum  Zerreißen  zu  spannen. 
Daher  jenes  gesteigerte  Tempo,  das  durch  das  Weglassen  des  Präfixes 
und  anderer  Elisionen  nicht  nur  altertümlich  wirken  möchte,  das  mit 
synkopierten  und  apokopierten  Formen  arbeitet,  Kraftworte,  Wieder- 
holungen, Antithesen  liebt,  das  durchaus  unnaturalistisch,  dafür  aber 
bewußt  barock  musikalische  Effekte  sucht;  hierher  gehört  auch  der 
beliebte  Parallelismus  von  psychischen  und  Natur- Vorgängen.  Es  ist 
daher  kein  Wunder,  wenn  heute  nicht  nur  Dichter  wie  Grabbe  und 
Büchner,  sondern  vor  allem  auch  die  Stürmer  und  Dränger  wieder 
aufleben. 

Das  Irrationale,  das  die  Epoche  heutiger  Kunst  verwandt  er- 
scheinen läßt,  zieht  auch  die  Trennungslinie  gegen  die  vorhergehende 
Zeit,  auch  gegen  Lessing.  Aber  ihr  grundsätzlich  neuer  Stilwille 
verleitet  die  Stürmer  und  Dränger  auch,  die  überkommenen  Errungen- 
schaften dramatischer  Formkunst  allzu  leicht  zu  achten  und  des- 
halb schließlich  doch  zu  scheitern.  Große  ausgereifte  Kunstwerke 
haben  sie  bei  allem  Talent,  das  mindestens  in  Lenz  genial  genannt 
werden  muß,  nicht  hervorbringen  können.  Sie  schenkten  uns  nicht 
das  große  Lustspiel,  das  in  barocker  Kunstform  dem  klassischen 
Lessings  sich  hätte  zur  Seite  stellen  können.  Jedoch  auf  dem  Wege 
dazu  befinden  sie  sich. 

Ihre  Lustspiele  stehen  im  Zeichen  des  Eros.  Daran  tritt  der 
Unterschied  der  Natur  fordernden  Epoche  gegenüber  der  voran- 
gehenden rationalistisch -konventionellen  Rokokozeit  am  sichtbarsten 
zutage.  Die  Liebe,  bisher  höchstens  Schmuck,  Dekoration,  Arabeske 
des  bürgerlichen  Gemeinschaftslebens,  die  wie  alles  unter  dem  Ge- 
setze des  Verstandes  stand,  wird  nun  beherrschende  Leidenschaft, 
die  unbeherrscht,  eigengesetzlich  strömt.  Von  vornherein  neigt  die 
Darstellung  dieser  Erosleidenschaft  daher  weit  eher  zur  Tragödie 
als  zur  Komödie. 


IQO  Achtzehntes  Jahrhundert:  Sturm  und  Drang. 

4.  REINHOLD  MICHAEL  JACOB  LENZ. 

Typisch  ist  der  „Hofmeister"  von  Reinhold  Michael  Jakob  Lenz 
(1774).  In  buntem  Szenenwandel  rollt  eine  Handlung  vorüber,  die 
die  urmenschliche  Verflechtung  von  Tragik  und  Komik  an  dem  trieb- 
haften Liebesgefühl  erhellt.  Trotz  aller  Predigt  über  den  relativen 
Wert  von  Hofmeister-  und  Schulerziehung  öffnet  sich  in  der  Ent- 
hüllung von  Menschlichem  und  Allzumenschlichem  die  Blüte  echten 
Humors.  Es  bedarf  schon  einer  starken  Dosis  von  Sittlichkeits- 
schnüfflertum,  um  sich  in  der  Szene,  in  der  der  selbstentmannte 
Läuff"er  dennoch  nicht  seiner  triebhaften  Menschennatur  entrinnen 
kann,  der  Freude  am  Humorischen  zu  enthalten.  Und  selbst  der 
Räsonneur  des  Stückes,  der  allzuweise  Rat,  ist  eine  Humorfigur,  in- 
dem er  seiner  eigenen  vermeintlichen  Weisheit  zum  Opfer  fällt  und 
sich  von  einer  Seifenblase  gegen  seinen  Sohn  einnehmen  läßt:  Humor 
des  Sturm  und  Drangs,  der  den  superklugen  Verstand  an  dem  Trieb- 
gefühl zuschanden  werden  läßt. 

Zur  Zeit  der  Arbeit  am  „Hofmeister"  versuchte  sich  Lenz  in  einer 
Bearbeitung  Plautinischer  Komödien.  Die  Kühnheit  seiner  Moderni- 
sierung offenbart  den  geborenen  Lustspieldichter,  aber  zugleich  lernt 
er  auch  bei  seiner  Übersetzungstätigkeit,  dem  alten  römischen  Prak- 
tiker das  Geheimnis  lustiger  Possenwirkung  abzufragen. 

Mit  seiner  nächsten  Originalkomödie  vom  „Neuen  Menoza"  zahlt 
der  Stürmer  und  Dränger  den  Zoll  seines  Deutschtums,  indem  er  die 
Theorie  des  wechselnden  Bühnenbilds  zu  einem  praktischen  Irrgarten 
übertreibt,  in  dem  jede  verstandesmäßige  Führung  nicht  nur  versagt, 
sondern  von  vornherein  verboten  ist.  Allerdings  wirken  gerade  durch 
die  bewußte  Abschließung  aller  intellektuellen  Begrifflichkeit  einzelne 
Szenen  überraschend  eindringlich  in  ihrer  barocken  Erfindungskraft. 

Technisch  viel  geschlossener  und  daher  als  Ganzes  weit  bühnen- 
wirksamer ist  „Die  Freunde  machen  den  Philosophen"  (1776).  Wie 
stets  bewährt  sich  auch  hier  Lenzens  Kunst,  Menschen  in  runder 
Körperlichkeit  vor  uns  aufleben  zu  lassen  und  an  ihnen  als  Träger 
den  Sieg  des  Urmenschlichen,  des  Triebhaften,  des  Gefühlslebens 
gegenüber  Verstandestheorien  und  -einbildungen  zum  Durchbruch 
kommen  zu  lassen.  Die  Zentralfigur  der  Komödie  ist  Selbstdarstellung. 
Der  Philosoph  Reinhold  Strephon  ist  der  Dichter  Reinhold  Lenz.  Wenn 
wir  auch  nicht  alle  Einzelheiten  für  Erlebnis  und  unmittelbare  Über- 
tragung halten  dürfen,  sah  sich  doch  auch  Lenz,  wenigstens  subjektiv, 
gleich  Strephon  hilflos  und  zur  Tat  unfähig  der  rohen  Zudringlich- 
keit der  Welt  preisgegeben.  Gleich  Strephon  (IV,  3)  fühlte  sich  Lenz 
in  Weimar  als  lahmer  Kranich.  Aber  der  versöhnende  Schluß  der 
Komödie,  selbst  wenn  er  nach  des  Dichters  eigenem  Wort  Notdach 
ist,  gründet  auf  der  echten  Sturm-und-Drang-Überzeugung,  daß  das 
Rein-Menschliche  schließlich   doch  alle  Konventionen   und  Irrungen 


Reinhold  Michael  Jacob  Lenz.    Friedrich  Maximilian  Klinger.  IQI 

überwindet.  Lenz,  in  dem  das  Genial-Dämonische  zur  Groteske  ge- 
steigert ist,  fehlt  der  menschliche  Schwerpunkt,  und  so  erliegt  er  der 
Fratze  seiner  Dämonie.  Aber  in  seinem  Lustspiel  fühlt  er  sich  doch 
noch  ganz  als  siegreicher  Stürmer  und  Dränger,  dessen  aristokratisches 
Selbstgefühl  deutlich  in  Erscheinung  tritt  in  der  Darstellung  der 
hämischen,  geschwätzigen,  ichsüchtigen  Philister  des  ersten  Aktes. 
Dramaturgisch  interessant  ist  an  dieser  Komödie,  wie  der  eifernde 
Verfechter  der  Sturm -und -Drang -Theorie  einer  reinen  Handlungs- 
komödie in  der  eigenen  Praxis  auf  die  Bahn  des  Charakterlustspiels 
getrieben  wird  und  dadurch  zu  einer  wenigstens  relativen  Geschlossen- 
heit der  Technik  gelangt.  „Die  Soldaten"  (1776)  sind  Komödie  nur 
durch  den  starken  Komikzuschuß,  der  nach  Shakespeares  Vorbild 
der  Tragödie  helle  Lichter  aufsetzen  soll. 

5.  FRIEDRICH  MAXIMILIAN  KLINGER. 

Lustspielartiger  ist  Friedrich  Maximilian  Klingers  Schauspiel ,, Sturm 
und  Drang"  geraten.  Der  tolle  Wirrwarr  der  Handlung  hat  sein  Spiegel- 
bild in  dem  ebenso  tollen  Wirrwarr  der  Stimmungen.  Klinger  charakte- 
risiert sein  Stück  am  besten  selbst  mit  den  Worten:  „Ich  hab  die 
tollsten  Originalen  zusammengeschrieben.  Und  das  tiefste  tragische 
Gefühl  wechselt  immer  mit  Lachen  und  Wiehern".  Es  ist  eine  der 
modernsten  Gefühlssymphonien.  Das  Verstandesmäßige  ist  aus- 
geschlossen, oder  wenn  es  vorhanden  ist  wie  in  der  kalten  Schönheit 
der  Luise,  so  tötet  es  den  Rest  von  Gefühlsgehalt,  der  noch  in 
dem  blasierten  Blasius  lebt.  Während  er  in  ihrer  Gegenwart  sich  nur 
gelangweilt  fühlt,  erweckt  ihn  wieder  die  Natur.  Neben  diesen  beiden 
Gestalten  stehen  ihre  Gegenbilder  in  der  alternden  koketten  Katharine 
und  dem  schwärmerisch  phantasierenden  La  Feu.  Die  in  sich  selbst 
leere  Phantasie  kann  sich  auch  an  der  bloßen  Maske  von  Schönheit, 
an  dem  bloß  vorgetäuschten  Feuer  entzünden  und  zur  Flamme  werden. 
Sie  begnügt  sich  mit  dem  Scheindasein  des  Schäferlebens.  Die  wahren 
Gefühle  liegen  in  Karoline  und  Wild,  in  Karoline  weiblich  gedämpft, 
in  Wild  zur  männlichen  Leidenschaft  gesteigert.  Der  Kapitän  Harry 
ist  dann  das  Gegenbild  von  Wild.  Er  ist  die  falsche,  des  inneren 
und  innigen  Gefühls  bare  Leidenschaft.  Aber  auch  bei  ihm  kommt 
nach  des  Dichters  Willen  der  gute  Kern  zum  Durchbruch,  ist  er  doch 
der  Typus  des  „Löwenblutsäufers",  als  der  sich  der  Stürmer  und 
Dränger  so  gern  gebärdet. 

Technisch  ist  allerdings  das  Stück  nicht  zu  verteidigen.  Nicht 
nur,  daß  die  gezeichneten  Originale,  aller  plastischen  Anschaulich- 
keit ledig,  Schemen  aus  verpuffenden  Stimmungsexplosionen  sind,  der 
dramatische  Aufbau  auf  Grund  einer  naiv-unbeholfenen  Fabel  ist  er- 
setzt durch  ein  wirres  Neben-  und  Durcheinander,  das  den  ursprüng- 
lich von  Klinger  erwählten  Titel   „Wirrwarr"   berechtigt    erscheinen 


IQ2  Achtzehntes  Jahrhundert :  Sturm  und  Drang. 


läßt.  Aber  gerade  in  dieser  Auflösung  alles  Tektonischen  hat  es  den 
Formwillen  der  Sturm-und-Drang-Epoche  zum  Extrem  und  damit,  un- 
gewollt, ad  absurdum  geführt. 

Wir  verspüren  hier,  wie  in  Klinger  das  Dämonische  weit  schwächer 
entwickelt  ist  als  in  Lenz;  es  ist  mehr  Zeitmanier.  Klinger  ist  mit- 
gerissen durch  seine  Umgebung.  Seine  Dämonie  ist  daher  weniger 
Eigentum  als  Nachahmung  und  daher  im  Ausdruck  fratzenhaft. 
Für  dieses  Minus  aber  hat  er  gegenüber  Lenz  das  stärkere  sittliche 
Schwergewicht.  Sobald  er  dem  Kreis  entfernt,  der  Nachahmung  ent- 
zogen ist,  wirkt  das  Gesetz  und  läßt  ihn  zum  Manne,  zur  Persönlich- 
keit von  Maß,  Zahl  und  Ordnung  reifen. 

Diese  Entwicklung  ist  bereits  in  der  phantastischen  Komödie  „Der 
Derwisch"  (1780)  zu  verspüren,  die  entschieden  dramatisch  wirksamer 
als  der  „Sturm  und  Drang"  ist.  Hier  sind  die  grotesk-wilden  Nerven- 
zuckungen zu  jovialen  Menschlichkeitsgefühlen  gewandelt,  die  sich 
in  einer  lustigen  erfindungsreichen  Handlung  offenbaren. 

6.  MITLÄUFER. 

Während  Lenz  und  Klinger  als  wahre  Dichter  ihr  Gut  verschwende- 
risch verschleudern,  handeln  die  Mitläufer  ihrer  Bewegung  vorsichtig 
mit  gangbarer  Münze.  Die  Erlebnisse  werden  Erkenntnisse,  und  diese 
werden  zu  Schlagvvorten  verflacht,  Gefühlstiefe  wird  zur  Rührselig- 
keit verwässert,  aber  statt  der  chaotischen  Technik  werden  Bühnen- 
erfahrungenverwertet, um  in  möglichst  geschlossenem  Aufbau  wirkungs- 
volle Bühnenauftritte  zu  erzielen.  Im  Dichterischen  versagen  sie,  im 
Technischen  überragen  sie. 

Es  unterscheiden  sich  in  der  Sturm-und-Drang-Komödie  deutlich 
wie  in  jeder  literarisch  bedeutsamen  Epoche  zwei  Ströme:  die  Genies 
und  die  Talente,  die  Dichter  und  die  Schriftsteller,  um  es  mit  einem 
modernen  Beispiele  zu  belegen:  die  Hauptmänner  und  die  Suder- 
männer. Diese  sind  im  Sturm  und  Drang:  Gemmingen,  Großmann, 
Karl  Gotthelf  Lessing,  Stephanie  d.  J.,  Friedrich  Ludwig  Schröder  u.a. 
Auch  sie  sehen  ihre  Aufgabe  in  gesellschaftskritischer  Satire,  wobei 
Motive  des  Gegensatzes  von  Alt  und  Jung  dankbar  begrüßt  werden. 
Aber  der  Essig  der  Satire  wird  stark  verdünnt  mit  dem  Zuckerwasser 
billiger  Sentimentalität.  Sie  sind  die  Spießbürger,  die  den  Revolu- 
tionären die  großen  Worte  nachplappern.  Die  Nachahmer  sind  wie 
stets  der  unvermeidliche  Schatten  des  Genies,  das  sich  davon  um  so 
leuchtender  abhebt. 

Wenn  die  Führer  des  Sturm  und  Drangs  Merciers  Theorie  nach- 
eifern, so  scheinen  die  Mitläufer  seine  Praxis  nachzuahmen.  Mercier, 
der  Prophet  der  Revolution,  dessen  von  den  Regeln  klassischer  Ge- 
setzgebung sich  entschlossen  befreiende  theoretische  Kunstanschauung 
den  deutschen  Stürmern  und  Drängern  zum  Glaubensbekenntnis  wurde, 
ist  in   praktischer  Kunstübung  auf  der   deutschen  Bühne  nur  durch 


Mitläufer.     Goethes  Farcen.  1^3 


spießbürgerliche  Rührstücke  bekannt.  Er  vertritt  jene  französische 
Dichtung,  die  in  Diderots  FamiHendramatik  gipfelt.  Doch  ist  die  ganze 
Epoche  viel  zu  sehr  nach  englischen  Vorbildern  ausschauend,  als  daß 
nicht  auch  für  die  satirischen  Gesellschaftsstücke  englische  Muster 
gesucht  würden.  Die  englische  Restorationskomödie  hatte  den  Vorzug, 
Satire  mit  Frivolität  zu  mischen;  ihre  deutschen  Nachahmer  lernten 
an  ihr,  unter  bedeutungsvollem  Augenzwinkern  sich  sittlich  zu  ent- 
rüsten. Im  übrigen  gehören  ihre  Komödien  trotz  erstrebter  und  teil- 
weise auch  erreichter  komischer  Einzelwirkungen  nicht  so  sehr  in 
die  Geschichte  des  Lustspiels  als  in  die  des  bürgerlichen  Schauspiels. 
Im  Prolog  zur  Eröffnung  des  Berliner  Theaters  am  26.  Mai  1821 
gibt  Goethe  eine  knappe  Charakteristik  dieser  Dramatik,  wenn  auch 
mit  Hinblick  auf  Iffland: 

Ein  Bürger  kommt,  auch  der  ist  gern  gesehn, 
Mit  Frau  und  Kindern  häuslich  eingezwängt. 
Von  Grillenqual,   von  Gläubigern  gedrängt. 
Sonst  wackrer  Mann,  wohltätig  und  gerecht. 
Nach  Freiheit  lechzend,   der  Gewohnheit  Knecht; 
Die  Tochter  liebt,  sie  liebt  nicht,  den  sie  soll; 
Ein  muntrer  Sohn,  gar  mancher  Schwanke  voll. 
Und  was  an  Oheim,  Tanten,  dienstbaren  Alten 
Sich    Charaktere  seltsamlich  entfalten: 
Das  alles  macht  uns  heiter,  macht  uns  froh. 
Denn  ohngefähr  geht  es  zu  Hause  so. 
Und  was  die  Bühne  künstlich  vorgestellt, 
Erträgt  man  leichter  in  der  Werkelwelt; 
Die  Toren  läßt  man  durcheinander  rennen, 
Weil  wir  sie  schon  genau  im  Bilde  kennen. 

Eine  solche  generelle  Zusammenfassung  hat  um  so  mehr  Berech- 
tigung, als  die  einzelnen  Stücke  immer  wieder  auf  denselben  Motiven 
aufgebaut  sind,  immer  wieder  die  gleichen  Probleme  behandeln:  wesent- 
lich Geschlechts-  und  Standesunterschiede,  woraus  nach  Richardsons 
Programm  die  Verführung  der  bürgerhchen  Tugend  durch  das  adlige 
Laster  erfolgt.  Diese  Gleichartigkeit  und  Gleichförmigkeit  sind  min- 
destens ebensosehr  durch  die  Schamlosigkeit  literarischer  Freibeuterei 
wie  durch  die  herrschende  Zeitströmung  begründet. 

7.  GOETHES  FARCEN. 

In  dieser  schematischen  Lustspieldramatik  des  Sturm  und  Drangs 
hat  sich  dessen  Führer  Goethe  nicht  betätigt.  Seine  Lustspiele  „Die 
Laune  des  Verhebten"  und  „Die  Mitschuldigen"  gehören  noch  der 
vorhergehenden  Epoche  an.  Im  ersteren  bewahrt  er  trotz  des  zu- 
grunde liegenden  persönlichen  Erlebnisses  das  konventionelle  Gewand 
des  Schäferspiels  aus  der  Rokokozeit.  In  den  „Mitschuldigen"  geht 
er  kühn  auf  realistische  Schilderung  aus,  doch   ist  es  ihm  nicht  ge- 

Holl,  Lustspiel.  13 


IQA  Achtzehntes  Jahrhundert:  Sturm  und  Drang. 

lungen,  den  dargestellten  sittlichen  Konflikt  restlos  in  die  Humorsphäre 
amoralischer  Betrachtung  zu  heben. 

Als  Humorist  bewährt  sich  Goethe  in  jenen  genialen  Farcen,  die 
symbolisch  das  ureigenste  Wesen  des  Sturm  und  Drangs  zu  spiegeln 
scheinen.  Diese  Farcen  bilden  ein  eigenes  Kapitel  in  der  komischen 
Dichtung  der  Sturm-und-Drang-Zeit.  Stark  satirisch  geartet,  sind  sie 
von  aristophanischem  Geiste  belebt.  Eine  ausdrucksvolle,  kraftge- 
schwellte Form  fanden  sie  in  dem  Muster  Hans-Sachsischer  Fastnachts- 
spiele. „Im  Possenspiel  regt  sich  die  alte  Zeit,  Gutherzig,  doch  mit 
Ungezogenheit". 

Goethe  vor  allen  weiß  den  holprigen  Knittelvers  zu  blutvoller 
Lebendigkeit  zu  erwecken  durch  eine  geniale  Sprachbehandlung,  die 
das  Überkommene  im  Tiegel  inneren  Gefühlserlebens  umschmilzt  und 
zu  höchster  Ausdrucksfähigkeit  steigert.  Dadurch  ist  es  ihm  möglich, 
vom  Boden  leichtverständlicher  sinnlicher  Wirklichkeit  aus,  deren 
schlicht  altertümliche  Form  ihre  Faßbarkeit  noch  erhöht,  unmittelbar 
zu  symbolkräftigster  Rede  zu  gelangen.  So  zwanglos  und  frei  auch 
die  Form  anmutet,  so  derb  naturalistisch  auch  die  einzelnen  Ausdrücke 
sind,  stets  behält  er  das  höhere,  vereinheitlichende  künstlerische  Ziel 
vor  Augen  und  bewährt  damit  auch  hier  wieder  jene  innere  Spann- 
kraft barocken  Stilwillens,  den  wir  als  der  Sturm-und-Drang-Zeit  eignend 
erkannt  haben.  So  wirkungsvoll  und  mitreißend  ist  seine  Kunst,  daß 
sie  wie  jede  echte  Kunst  nicht  vereinzelt  bleibt,  sondern  vorbildlich 
für  Freund  und  Feind  wirkt.  Denn  nicht  nur  die  Lenz,  Wagner  folgen 
seiner  Spur,  auch  die  ausgesprochenen  Gegner  der  ganzen  Bewegung 
finden  seine  Satirenform  die  geeignetste,  um  ihre  Spottpfeile  zu  ver- 
senden. Um  aus  dem  Wüste  der  Gegenschriften  nur  eine  herauszu- 
greifen, nenne  ich  den  1778  anonym  von  Joh.  Friedrich  Schink  ver- 
öff"entlichten  „Hanswurst  von  Salzburg  mit  dem  hölzernen  Gat",  der 
als  „Historisch  Schauspiel  in  drei  Aufzügen"  die  Dramen  der  Stürmer 
und  Dränger,  wie  Goethes  „Götz",  Lenzens  „Soldaten",  Wagners 
„Kindermörderin"  u.  a.,  satirisieren  will.  Aber  was  bei  Goethe  Ausdruck 
vollsten  Lebens  ist,  das  Niederstes  wie  Höchstes  aus  einem  Mittel- 
punkte heraus  als  wesenseigen  erkennt  und  ausspricht,  ist  in  solch 
jämmerlicher  Gegenschrift  zu  einseitigster,  plattester  Unfläterei  ge- 
sunken. Es  zeigt  dies  nicht  nur,  wie  tief  das  Können,  sondern  auch 
das  Verstehen  der  Gegner  unter  Goethes  Kunst  stand. 

Goethes  engere  Genossen  dagegen,  wie  Lenz  etwa  im  „Tantalus", 
erreichen  oft  seine  eigene  Höhe.  Der  Gehalt  dieser  Geniefarcen  ist 
die  Auseinandersetzung  der  Innenwelt  mit  der  Außenwelt.  Diese  Außen- 
welt kann  die  reale  Umwelt  sein,  sie  kann  auch,  wie  meist,  nur  die 
literarische  Außenwelt  sein.  Die  Innenwelt  ist  das  innere  Erlebnis, 
das  durch  den  Gegensatz,  die  Reibung  mit  der  Außenwelt  leid- 
voll ist.  Gerade  dadurch  ist  es  zur  Humorerzeugung  geeignet.  Denn 
die  Wurzel  des  Humors  ist  selbsterlebtes  Leid.     Dieses  Leid  ist  der 


Goethes  Farcen.  1^5 


Widerspruch  des  eigenen  Wünschens  undWollens  zu  dem  der  Außen- 
welt, die  vom  Ich  erlebte  Unvollkommenheit  des  Nicht-Ich. 

Diese  Unvollkommenheit,  Unzulänglichkeit  wi^d  aber  nicht  immer 
auch  wirklich  erlebt,  mit  allen  Fasern  des  Wesens  und  Fühlens  auf- 
genommen. Häufig  wird  sie  nur  mit  dem  Intellekt  erkannt  oder  mit 
den  äußeren  Sinnen  wahrgenommen.  Solche  nicht  erlebte,  sondern 
erkannte  Unvollkommenheit,  geschautes  Leid,  ist  die  Wurzel  der  Satire, 
nicht  des  Humors.  Der  Satiriker  wird  Humorist  in  dem  Maße,  wie  er  ge- 
schautes Leid  zum  selbsterlebten  macht;  er  bleibt  Satiriker,  solange 
er  das  Maß,  an  dem  er  das  Leid  mißt,  durch  das  er  die  Unvollkom- 
menheit bestimmt,  beibehält.  Denn  Humor  ist  einheitlich,  Satire  aber, 
aus  Vergleich  geboren,  zweiheitlich.  Humorist  ist  Goethe  im  ,,Satyros", 
allenfalls  auch  in  den  aristophanisierenden  „Vögeln".  Aber  bei  letzteren 
verdrängt  schon  die  Tradition  das  Erlebnis  und  dementsprechend  der 
Satiriker  den  Humoristen.  Die  genialen  Literatursatiren  sind  so  ur- 
sprünglich aus  persönlichster  Überzeugung  geflossen,  daß  sie  durch- 
aus humorisch  anmuten,  ohne  es  allerdings  wie  „Das  Jahrmarktsfest 
zu  Plundersweilern"  und  „Das  Neueste  von  Plundersweilern"  infolge 
weitgehender  Übernahme  traditioneller  Stil-  und  Ausdrucksmittel  immer 
zu  sein. 

Ähnlich  sind  das  „Pandämonium  Germanikum"  und  der  „Tantalus" 
von  Lenz  zu  bewerten.  Leider  ist  uns  dessen  Wielandsatire  „Wolken", 
jener  „Junge,  der  rasch  und  frei  ist  wie  sein  Vaterland",  nicht  erhalten. 
Lenz  hat  den  stürmenden  Prosastil  seiner  Epoche  dem  Knittelvers 
vorgezogen,  wie  es  auch  Goethe  gelegentlich  tat  in  „Götter,  Helden 
und  Wieland"  oder  Klinger  in  dem  angefühlten  „Der  verbannte  Götter- 
sohn". Auch  Heinrich  Leopold  Wagner  benutzt  einmal,  in  „Prometheus, 
Deukahon  und  seine  Rezensenten",  den  Knittelvers,  dann,  in  „Voltaire 
am  Abend  seiner  Apotheose",  die  Prosaform.  Wagner  zeigt  sich  auch 
hierin,  wenn  auch  das  letzte  Stück  Anläufe  ins  Grandiose  nimmt,  als 
Geringster  der  drei,  indem  er  bei  der  reinen  Satire  stehenbleibt.  Er 
ist,  wie  Goethe  es  bereits  ausdrückte,  ein  guter  Geselle,  der,  obgleich 
von  keinen  außerordentlichen  Gaben,  doch  auch  mitzählte. 

Aber  auch  die  wertvollsten  Farcen  Goethes  sind  doch  keine  Lust- 
spiele im  engeren  Sinne.  Der  Form  nach  kommt  diesen  näher  sein 
„Triumph  der  Empfindsamkeit",  der  aber  zu  leicht,  zu  harmlos  geraten 
ist,  als  daß  wir  darin  ein  Zeugnis  von  Goethes  genialischer  Dich- 
tung sehen  dürften.  Das  zugrunde  liegende  ernste  Erlebnis  ist  rein 
spielerisch  behandelt,  so  daß  es  uns  eher  an  das  Rokoko  mahnt 
als  an  den  Sturm  und  Drang.  Das  Werk  ist  nicht  dichterisch- 
humorische  Selbstbefreiung,  sondern  Befreiung  anderer  von  be- 
drängender sentimentalischer  Sturzflut,  die  das  Wertherfieber  überall, 
selbst  in  des  Dichters  nächster  Nähe  gezeitigt  hatte.  Es  ist  daher 
nicht  aus  Leid  erblühter  Humor,  sondern  aus  Überlegenheit  skizzierte 
Karikatur,  die  zudem  persönliche  Satire  gegen  den  in  Weimar  Eseleien 


jq5  Achtzehntes  Jahrhundert :   Klassische  Periode. 

verübenden  Lenz  noch  deutlich  erkennen  läßt.  Aber  ohne  jede  Auf- 
regung lacht  Goethe  darüber  und  weiß  das  persönliche  Objekt  zum 
Symbol  zu  weiten  und  damit  die  allgemeine  empfindsame  Narrheit  ad  ab- 
surdum zu  führen.  Die  anmutige  Schalkhaftigkeit,  der  heitere  Spott  er- 
heben die  Gelegenheitsdichtung  nicht  zum  großen  Kunstwerk,  aber 
zum  witzigen  Produkt,  das  eine  leichte  Hand  in  munterer  Laune  zu 
eigener  und  anderer  Ergötzung  hingeworfen  hat.  Die  leise  Tönung 
mit  Ernst  läßt  gerade  noch  zwischen  den  Zeilen  Goethes  eigene  Mit- 
verantwortung an  der  Zeitkrankheit  verspüren  und  vertieft  einerseits 
die  Laune   fast  zum  Humor,   andrerseits   die  Satire  zur  Selbstironie. 

Diese  Ironie  bewirkt  in  Vorwegnahme  romantischer  Neigung  die 
Desillusionierung  im  fünften  Akte.  Aber  gegenüber  dieser  bewußten 
Ironie  beobachten  wir  eine  weit  bedeutsamere,  unbewußte,  die  hervor- 
gerufen wird  durch  die  ergreifende  Nänie  Proserpinas.  Diese  edle, 
reife,  klassische  Kunst  zerstört  den  launisch-satirischen  Rahmen,  ihr 
gehaltvolles  und  formvollendetes  Gewicht  wuchtet  das  harmlose 
Rahmenspiel  ins  Nichts.  Daß  Goethe  so  ein  edles  Angesicht  inmitten 
toller  Fratzen  zu  enthüllen  wagt,  kann  nicht  nur  stilwidrige  Gewissen- 
losigkeit sein;  es  ist  uns  Beweis,  wie  stark  er  selbst  noch  im  Über- 
gang sich  fühlt,  wie  nahe  er  noch  die  Gefahr  sieht,  der  er  in  reinere 
Sphären  entfliehen  möchte.  Aber  aus  der  Oberflächlichkeit  des 
Rahmens  und  der  Tiefe  der  Einlage  ist  keine  Einheit  geworden, 
künstlerisch  ist  das  ganze  Werk  nur  Zwitterding. 

Im  ganzen  ist  daher  das  Ergebnis  der  Sturm- und-Drang-Epoche 
für  unsere  Lustspielgeschichte  dürftig,  es  beschränkt  sich  auf  einige 
wenige  Dramen  von  Lenz  und  Klinger.  Die  fruchtbare  Produktion 
der  Mitläufer  steht  qualitativ  in  umgekehrtem  Verhältnis  zu  ihrer 
Quantität.  Sie  fließt  breit  und  träge  weiter  bis  ins  19.  Jahrhundert, 
zeigt  daher  in  der  klassischen  Blüteperiode  unserer  Literatur  keinen 
grundsätzlichen  Unterschied  gegenüber  der  genial  stürmenden  und 
drängenden  Vorbereitungszeit,  mit  der  einzigen  Einschränkung,  daß 
das  in  dieser  Zeit  des  Gefühlsüberschwangs  unermüdlich  abgehan- 
delte und  abgeleierte  Verführungsmotiv  mehr  in  den  Hintergrund  ge- 
drängt wird,  da  jener  Überschwang  allmählich  nicht  nur  aus  Un- 
kraft,  sondern  auch  aus  Prinzip  gedämpft  wird.  Diese  Produktion 
wird  daher  auch  besser  im  Zusammenhang  mit  ihren  Hauptvertretem 
Schröder  und  Iffland  besprochen. 

m.  KLASSISCHE  PERIODE. 

I.  GOETHE. 

Vollzieht  sich  bei  den  Mitläufern  der  Übergang  vom  Sturm  und 
Drang  unmerklich,  so  bedeutet  er  für  die  Führer  eine  grundsätzliche 
Neueinstellung.  Goethe  der  Klassiker  hat  an  humorischer  Produktions- 
kraft  nicht   mehr   den   jungen   Goethe   erreicht.     Die   selbstgewisse 


Goethe.  I97 

Sicherheit  des  Stürmers  und  Drängers,  dem  noch  nicht  ob  seiner 
GottähnHchkeit  bange  wurde,  ist  verrauscht.  In  unablässigem  Ringen 
sucht  er  die  Jakobsleiter  des  Lebens  zu  erklimmen ;  Ich,  Natur,  Welt 
geben  ihm  täglich  neue  Probleme,  immer  neu  erfährt  er  die  Wahr- 
heit, daß  Mensch  sein  Kämpfer  sein  heißt.  Er  vermag  nicht  in  jugend- 
licher Zuversicht  Ikarus  gleich  sich  zu  erheben,  ohne  des  möglichen 
Sturzes  zu  gedenken. 

Doch  wenn  er  aus  den  Notwendigkeiten  der  Welt  sich  auch 
nicht  zur  Freiheit  ihrer  humorischen  Darstellung  aufzuschwingen 
vermochte,  so  war  doch  dem  Faust -Mephisto -Dichter  humorische 
Weltbetrachtung  nie  fremd.  Selbst  die  bedeutsamsten  Weltereignisse 
gaben  ihm  Anlaß  zur  Lustspielproduktion.  Die  bekannte  Halsband- 
geschichte im  französischen  Königshause  hatte  Goethe  seinem  eigenen 
Zeugnisse  nach  aufs  tiefste  erschüttert.  Trotzdem  fand  er  gerade  im 
Lustspiel  die  Form,  die  ihm  geeignet  erschien,  sich  von  dem  Er- 
lebnis zu  befreien. 

Indem  er  die  Intrige  der  Halsbandgeschichte  mit  der  Aufsehen 
erregenden  Gestalt  des  betrügerischen  Grafen  Caghostro,  launige 
Darstellung  vorrevolutionärer  Stimmungen  mit  Verspottung  beliebter 
Geheimbündelei  verband,  ergaben  sich  ihm  die  Grundlagen  zu  seinem 
„Groß-Cophta"  (1791),  der  namentlich  in  den  ersten  Akten  von  feinster 
Lustspielwirkung  ist.  Doch  kommt  gegen  den  Schluß  immer  mehr  der 
Epiker  zum  Vorschein,  der  zugunsten  psychologischer  Erörterungen 
die  dramatische  Gebundenheit  auflöst  und  damit  ihre  Wirkung  ver- 
nichtet. 

Von  dieser  undramatischen  Erörterungsliebe  sucht  Goethe  sich  fern- 
zuhalten in  dem  Lustspiele,  worin  er  die  Wirkung  der  großen  revo- 
lutionären Bewegung  auf  kleine  Geister  in  Deutschland  schildert: 
„Der  ßürgergeneral"  (1793).  Vorbilder  sind  ihm  Anton  Walls  (Pseu- 
donym für  Chr.  Leberecht  Heyne)  Possen,  die  selbst  wieder  dem 
französischen  Komödiendichter  Florian  als  Muster  verpflichtet  sind: 
„Die  beyden  Billets"  und  „Der  Stammbaum".  Die  gleichen  Per- 
sonen: Gürge,  Rose,  Märtens,  Schnapps,  ein  Edelmann  treten 
darin  auf,  und  ein  Richter,  mit  dem  der  leichtgläubige  Märtens  ver- 
feindet ist,  wirkt  auf  die  Verwicklung  ein,  obwohl  er  selbst  nicht 
persönlich  auftritt.  Stets  handelt  es  sich  darum,  daß  der  durch- 
triebene Schnapps  dem  sich  klug  dünkenden  Märtens  in  Abwesenheit 
seines  Schwiegersohnes  Lügen  aufbindet,  um  ihn  zu  prellen,  auf  die 
der  alte  Bauer  auch  prompt  hereinfällt.  Immer  aber  findet  zum  Schluß 
das  Recht  seinen  Sieg.  Der  Unterschied  liegt  außer  in  der  künst- 
lerischen Form  natürlich  darin,  daß  bei  Wall  der  Revolutionshinter- 
grund der  Goetheschen  Komödie  durchaus  fehlt.  Eine  Fortsetzung 
der  Walischen  Possen  bildet  „Das  Bauerngut",  nach  Goedeke  von 
G.  L.  P.  Sievers,  das  mit  den  gleichen  Personen  und  Motiven  arbeitet, 
aber  die  Person  des  schlichtenden  Edelmanns  Goethe  entnommen  hat. 


igg  Achtzehntes  Jahrhundert:  Klassische  Periode. 


Pniower  hat  in  treffender  Charakteristik  die  stilistische  Zwiespältig- 
keit des  „Bürgergenerals"  nachgewiesen.  Die  Dialogführung  ver- 
läuft durch  ihre  bis  zum  Fragmentarischen  echte  Naturalistik  in 
Redseligkeit.  Aber  andrerseits  wird  dadurch  wieder  volkstümliche 
Wirkhchkeitsluft  gewahrt.  Aus  dem  Rahmen  heraus  fällt,  wie  schon 
Schiller  erkannte,  nur  die  Räsonneurfigur  des  Stückes,  der  Edelmann, 
der  in  weiser  Lebensauffassung  das  Dogma  von  der  Ruhe  als  erster 
Bürgerpflicht  predigt.  „Der  Bürgergeneral"  ist  eine  auf  Situations- 
komik eingestellte  Posse,  bei  der  das  Theater  in  erster,  die  Dichtung 
nur  in  zweiter  Linie  kommt.  Tiefer  aufgefaßt,  dichterischer  empfunden 
ist  das  gleiche  Problem  in  dem  Stück  ,,Die  Aufgeregten",  die  leider 
Fragment  geblieben  sind.  Ein  gleichlaufender  Stilwillen  hat  sich  in 
diesen  Revolutionskomödien  zunehmend  verfeinert. 

Goethe  hat  mit  dem  Problem  humorischer  Darstellung  des  Revo- 
lutionserlebnisses gerungen,  ohne  es  allerdings  endgültig  zu  meistern. 
Im  Grunde  lag  es  seinem  auf  organische  Entwicklung  eingestellten 
Wesen  zu  feindhch,  als  daß  er  sich  zu  gemütvoll-abgeklärter,  humo- 
rischer Betrachtungsweise  hätte  erheben  können.  Er  blieb  in  kari- 
kierender, parodierender  Satire  haften,  zu  der  er  gern  Anleihen  bei 
der  Volkskomödie,  bei  Holberg  machte.  So  wirkungsvoll  solche  derb- 
komischen Motive  sind,  im  ganzen  ist  das  erschütternde  Weltereignis 
doch  zu  bedeutungsvoll,  als  daß  possenhafte  Verulkung  unser  Emp- 
finden nicht  abstieße,  wenn  sie  nicht  mit  leichter  Hand  geführt  ist. 
Und  hier  fehlt  eben  doch  Goethe  jene  absolute  dramatisch-technische 
Sicherheit,  jener  sprühende  Witz,  der  auch  das  Gefährlichste  in 
schillernden  Schaum  aufzulösen  vermag  —  typische  Gaben  des  Ro- 
manen. 

Goethes  ganzes  Leben  war  ein  dauernder  Klärungsprozeß.  Zu  leicht 
wird  übersehen,  daß  der  Olympier,  als  der  er  so  gern  geschildert 
wird,  sein  Leben  lang  kämpfte,  um  die  ersehnte  innere  Harmonie  zu 
erlangen.  Die  Ruhelage,  die  humorische  Darstellung  der  Welt-  und 
Lebensprobleme  als  Voraussetzung  fordert,  war  ihm  versagt,  und  darin 
sehen  wir  auch  den  tiefsten  Grund  in  seinem  eigenen  Versagen  auf 
dem  Gebiete  des  Lustspiels. 

2.  SCHILLER. 

Ebensowenig  war  es  Schiller  vergönnt,  sein  ersehntes  Ziel,  ein 
gutes  Lustspiel  zu  schreiben,  zu  erreichen.  Er  hat  selbst  die  Grund- 
sätze dazu  aufgestellt,  als  er  in  Vereinbarung  mit  Goethe  am  9.  No- 
vember i8co  in  den  Propyläen  ein  Preisausschreiben  veröffentlichte: 
,Jene  geistreiche  Heiterkeit  und  Freiheit  des  Gemüts,  welche  in  uns 
hervorzubringen  das  schöne  Ziel  der  Komödie  ist,  läßt  sich  nur  durch 
eine  absolute  moralische  Gleichgültigkeit  erreichen;  es  sei  nun,  daß 
der  Gegenstand  selbst  schon  diese  Eigenschaft  habe,  oder  daß  der 


Schiller.  I99 

Dichter  die  Kunst  besitze,  die  moralische  Tendenz  seines  Stoffs  durch 
die  Behandlung  zu  überwinden". 

Das  sittliche  Pathos  Schillers  war  dazu  nicht  geeignet.  In  reifer 
Selbsterkenntnis  schreibt  er  am  13.  Mai  1801  dem  Freunde  Körner: 
„Ich  fühle  aber,  wie  fremd  mir  dieses  Genre  ist.  Zwar  glaube  ich  mich 
derjenigen  Comödie,  wo  es  mehr  auf  eine  comische  Zusammenfügung 
der  Begebenheiten  als  auf  comische  Charactere  und  auf  Humor  an- 
kommt, gewachsen,  aber  meine  Natur  ist  doch  zu  ernst  gestimmt; 
und  was  keine  Tiefe  hat,  kann  mich  nicht  lange  anziehen".  Das  Lust- 
spiel, wie  wir  es  als  Höchstgattung  dramatischer  Komik  auffassen, 
entbehrt  allerdings  nicht  der  Tiefe,  aber  für  Schiller  bedeutet  Tiefe 
die  Betonung  des  Sittlichen,  und  über  dessen  Stellung  im  Lustspiel 
stimmen  wir  seiner  Forderung  in  der  Preisaufgabe  zu. 

Am  ehesten  ist  ihm  der  Versuch  zum  Lustspiel  gelungen  in  der 
Bearbeitung  von  Gozzis  „Turandot"  (1802).  Und  dennoch  ist  das 
Original  in  seiner  losen,  widerspruchsvollen  Zusammenstellung  wir- 
kungsvoller als  Schillers  Werk  mit  seiner  kunstvollen  Einheit,  die  den 
tollen  Wirbel  frechster  Ungebundenheit  und  märchenhafter  Phantastik 
stilbewußt,  aber  stilfremd  abgedämpft  hat.  Schiller  ist  selbst  der  er- 
habene Charakter,  dem  er  die  Tragödie,  und  nicht  der  schöne  Cha- 
rakter, dem  er  das  Lustspiel  zuweist.  Wenn  auch  nach  ihm  („Über 
naive  und  sentimentale  Dichtung")  die  höchste  Komödie  „alle  Tra- 
gödie überflüssig  und  unmöglich  machen"  würde,  uns  zu  absolut  freien 
Göttern  erhöbe,  so  bleibt  dies  doch  eine  uns  schicksalbestimmten 
Menschen  nie  erreichbare,  rein  theoretische  Zielsetzung  ohne  Mög- 
lichkeit praktischer  Verwirklichung.  Der  Idealist  hatte  trotz  aller  theo- 
retischen Erkenntnis  so  wenig  Verständnis  für  die  Geeignetheit  des  derb 
Realistischen,  ja  Naturalistischen  im  Lustspiel,  daß  er  einen  der  besten 
Vertreter  realistischer  Komödie  in  der  Weltliteratur  mit  den  bekannten 
Worten  abtut:  „In  welchen  Schlamm  zieht  uns  nicht  Holberg  hinab". 

Diese  seelische  Fremdheit  unserer  beiden  Klassiker  gegenüber 
dem  Lustspiel  ist  sicherhch  keine  Feindschaft,  spricht  doch  Schiller 
wiederholt  den  Wunsch  aus,  auch  als  Lustspieldichter  sich  Lorbeer 
zu  erringen,  aber  sie  bewirkt  doch  eine  relativ  geringere  Einschätzung 
der  Gattung.  Das  Lustspiel  ist  nicht  in  das  Programm  ästhetischer 
Menschen-  und  Menschheitserziehung  einbezogen,  es  wird  schlecht- 
hin als  Unterhaltungsstück  gewertet.  Diese  gegenseitige  Abschätzung 
von  Tragödie  und  Komödie  ist  ein  altes,  immer  wiederkehrendes 
Problem.  Schon  Plato  hat  darüber  nachgedacht  und  es  im  Sinne 
der  Gleichwertigkeit  gelöst.  Doch  der  modernen  Kunstanschauung, 
wie  sie  sich  im  Laufe  der  christlichen  Jahrhunderte  allmählich  aus 
dem  mißverstandenen  Aristoteles  heraus  entwickelte,  hat  die  angeb- 
liche soziale  Fallhöhe  zwischen  beiden  Gattungen  die  Grundlage 
einer  ästhetischen  Minderwertung  der  sozial  tiefer  stehenden  Komödie 
geboten.    Selbst  in  der  Heimat  Molieres   hält   Lesage   das   Problem 


200  Achtzehntes  Jahrhundert :  Klassische  Periode. 


noch  für  erörterungswürdig.  Und  wenn  noch  das  ganze  19.  Jahr- 
hundert hindurch  bei  uns  in  Deutschland  das  Urteil  der  Allgemein- 
heit zuungunsten  der  Komödie  lautete,  so  war  neben  der  mangelnden 
Gesellschaftskultur  die  Haltung  unserer  Klassiker  dabei  mitbestimmend. 

3.  MITLÄUFER, 
a)  Friedrich  Ludwig  Schröder. 

Die  Praxis  der  zeitgenössischen  Hauptlieferanten  des  Lustspiels 
war  allerdings  nicht  geeignet,  unsern  Klassikern  eine  bessere  Meinung 
beizubringen.  Friedrich  Ludwig  Schröder  und  August  Wilhelm  Iffland 
waren  die  erfolgreichen  Chorführer  in  dem  lauten  Kreis  der  Mit- 
läufer der  Klassik.  Mit  ihren  Gefolgsleuten  Jünger,  Bretzner  u.  a. 
übernahmen  sie  Stoffe  und  Probleme  der  Sturm-und-Drang-Zeit,  der 
sie,  wie  Schröder,  teilweise  selbst  angehörten.  Adelstand  und  Bürger- 
stand werden  gegeneinander  ausgespielt,  reiches  Laster  wird  der  armen 
Tugend  gegenübergestellt,  Naturunschuld  in  versüßlichtem  Rousseau- 
ismus von  Kulturverderbtheit  abgehoben  im  beliebten  Gegensatz  von 
Stadt  und  Land.  Der  Unterschied  der  klassischen  Periode  vom  Sturm 
und  Drang  zeigt  sich  an  diesen  Mitläufern  vor  allem  darin,  daß  gegen- 
über dem  Gefühlsüberschwang,  worauf  wir  die  Vorliebe  für  Verfüh- 
rungsmotive zurückführten,  wieder  ein  moralischer  Rationalismus,  der 
Aufkläricht,  die  Vorherrschaft  gewinnt.  Deutlich  ist  dies  zu  beobachten 
an  Schröders  (1744 — 1816)  „Stille  Wasser  sind  tief". 

Der  Sturm  und  Drang  mit  seiner  Abkehr  vom  gesetzesklaren  ratio- 
nalistischen Drama  der  Franzosen  und  seiner  Liebe  zum  emotionalen 
Drama  der  Engländer  hatte  in  Christian  Heinrich  Schmid,  dem  von 
Lenz  bitter  verhöhnten  Gießener  Schmid,  einen  Förderer  seiner  eng- 
lischen Neigung  gefunden  durch  dessen  „Englisches  Theater",  worin 
er  von  1771  an  eine  Reihe  englischer  Dramen  übersetzte.  Darin  ist 
Beaumont  und  Fletchers  „Rule  a  wife  and  have  a  wife"  als  „Der  beste 
Mann"  enthalten.  Die  mir  vorliegende  anonyme  Ausgabe  von  1778 
ist  überraschend  frisch  in  der  Dialogführung,  lebendig  in  der  in 
spanischem  Milieu  verlaufenden  Possenhandlung,  die  wirksame  Situa- 
tionen unbekümmert  um  Wahrscheinlichkeit  aneinanderreiht  und  unser 
Interesse  bis  zum  Schlüsse  wachhält.  Sie  steht,  wie  schon  Lichtenberg 
erkannt   hat,    turmhoch    über    den   zeitgenössischen   Originalstücken. 

Sechs  Jahre  darnach  bearbeitet  Schröder  dieselbe  Posse,  indem  er 
die  Handlung  —  die  Bezähmung  einer  Widerspenstigen  —  in  deutsche 
Umgebung  versetzt  und  die  Unwahrscheinlichkeiten  durch  Motivie- 
rungen zu  verbessern  sucht.  Aber  gerade  seine  vermeintlichen  Ver- 
besserungen werden  Verschlechterungen  dadurch,  daß  er  glaubt,  ver- 
standesmäßige Wahrscheinlichkeit  sei  auch  künstlerische.  Schmid 
steht  dem  englischen  Original  so  nahe  wie  Schröder  dem  Rationalisten 


Mitläufer:  Friedrich  Ludwig  Schröder.  201 

Christian  Weise,  bei  dem  wir  ähnliche  Wege  in  der  Bearbeitung  der 
„Zähmung  der  Widerspenstigen"  verfolgen  konnten  (S.  106/7). 

Aber  darin  ist  Schröder  typisch  für  den  Aufkläricht.  Sein  wie 
seiner  Genossen  Grundfehler  ist,  daß  sie  künstlerische  Illusion  durch 
platte  Vemünftelei  zu  erreichen  glauben.  Sie  verstehen  gar  nicht,  daß 
es  sich  hier  um  zwei  durchaus  verschiedene  Erlebniswelten  handelt, 
deren  gegenseitige  Distanz  allerdings  in  verschiedenen  Zeiten  ver- 
ringert oder  vergrößert  werden  kann.  Durch  seine  Rationalisierung 
macht  Schröder  einen  frischen,  lustigen  Possenstoff  zu  einem  der  Zeit 
angepaßten,  platt-langweiligen  Schauspiel,  dessen  Komik  nur  auf  den 
alten  übernommenen  Situationen  beruht,  und  das  er  dadurch  zeit- 
gemäß gestalten  will,  daß  er  fürstenfeindliche  Verführungsmotive  des 
Sturm  und  Drangs  hinzumischt. 

Der  Theaterpraktiker  ist  ein  Zeugnis  dafür,  wie  tief  und  breit  die 
Kluft  war,  die  die  Klassiker  vom  Publikum  trennte.  Schröder,  obwohl 
er  das  Theater  als  Bildungsinstitut  auffaßte,  rechnete  doch  genau 
mit  dem,  was  er  seinem  in  rational-moralistischer  Aufklärung  be- 
fangenen Pubhkum  zumuten  durfte.  Dies  zeigen  seine  zahlreichen 
Bearbeitungen  fremdländischer,  wesentlich  englischer  Stücke,  worin 
er  gern  mit  den  den  Zuschauem  vertrauten  Motiven  arbeitet.  So  gibt  er 
im  „Ring"  eine  Molieresche  Tartuffegestalt,  einen  Tellheimschen  Haupt- 
mann und  eine  Bamhelmsche  Ringgeschichte,  Typen  und  Motive,  die 
auch  in  der  englischen  Sittenkomödie  vorhanden  sind.  Dazu  werden 
in  den  Handlungsverlauf  gelegentlich  patriotische  und  moralische 
Phrasen  verwoben,  die  zwar  mit  dem  Stücke  selbst  nichts  zu  tun 
haben,  aber  bei  den  Zuschauem  Beifall  auslösen,  für  den  Schauspieler 
also  dankbare  Rollen  schaffen  und  überdies  zur  Befriedigung  des 
Autors  erzieherisch  wirken  sollen. 

Unbedenklich  macht  also  der  Übersetzer  die  Originale  seinen 
Zwecken  durch  Veränderungen  dienstbar.  Immerhin  ist  sein  eigent- 
liches Talent  am  besten  in  seinen  Originalstücken  zu  erkennen.  Wir 
nennen  den  „Fähndrich"  (1782)  und  „Das  Portrait  der  Mutter  oder  die 
Privatkomödie"  (1786).  „Der  Fähndrich"  ist  das  typische  rührende 
Familiengemälde,  das  Lustspiel  benannt  ist,  weil  einige  Personen 
komische  Eigenschaften  haben:  Der  Vater:  eine  durch  Unglück 
erworbene  Gedächtnisschwäche;  —  eine  Kontrastfigur  des  Helden: 
lästige  Fragewut.  Der  Stoff  ist  die  seit  Nivelle  de  la  Chaussee  der 
Rührkomödie  eignende  romantische  Verwicklung  mit  Verwechslungen 
—  auch  die  Komödien  Shakespeares  und  der  Alten  hätten  unschwer 
Vorbilder  liefern  können  — ,  bis  sich  zum  Schlüsse  alles  in  Zufrieden- 
heit auflöst.  Das  Stück  ist  aber  auch  t3^isch  für  Schröders  Dramatik. 
Eine  glänzende  Technik  weiß  von  Szene  zu  Szene,  von  Akt  zu  Akt 
Spannung  zu  erregen,  wobei  Abschweifungen  von  der  Handlung  nur 
gerade  so  weit  zugelassen  werden,  als  sie  direkt  oder  indirekt  zur  Ent- 
hüllung beitragen.   Noch  heute  müßte  das  Stück  bühnenwirksam  sein, 


202  Achtzehntes  Jahrhundert:  Klassische  Periode. 


wenn  der  Stoff  in  seiner  Rührseligkeit  nicht  gar  zu  kindlich-naiv  wäre, 
wenn  die  Personen  blutvolle  Menschen  und  nicht  nur  Träger  bestimmter 
Eigenschaften  wären.  Es  bezeugt  den  erfahrenen  Theaterpraktiker, 
wie  er  durch  Kontrastierung  der  Eigenschaften,  etwa  des  anscheinen- 
den Menschenfeindes  und  heimlichen  Wohltäters,  auf  die  Zuschauer 
zu  wirken  versteht  —  es  bezeugt  allerdings  auch  das  geistige  Niveau 
dieser  Zuschauer,  welche  Kraßheit  der  Kontraste  er  ihnen  bieten  darf. 
Schröder  ist  Schauspieler,  und  er  schreibt  vor  allem  Rollen.  OfiFen- 
sichtlich  wird  dies,  wenn  er  eine  ganze  Szene  (III,  6)  nur  durch  eine 
Regiebemerkung  für  den  Darsteller  ausfüllt. 

Mit  denselben  Mitteln  arbeitet  Schröder  im  „Portrait  der  Mutter". 
Es  ist  klar,  daß  diese  Arbeitsweise  zu  Ähnlichkeiten  führt.  Motive, 
Situationen,  Charaktere,  deren  Wirkung  auf  das  Publikum  erprobt 
wurde,  werden  gern,  leicht  verändert,  wieder  aufgenommen.  So  etwa 
ist  auch  hier  ein  Vater,  dem  das  Unglück  das  Gedächtnis  geraubt  hat. 
Auch  in  diesem  Stück  ist  die  Komik  nur  Beiwerk  zu  der  auf  Rührung 
berechneten  romantischen  Verwicklung,  die  mit  der  Erkennung  des 
zurückgekehrten,  falsch  verdächtigten  Sohnes  ihre  glückliche  Auf- 
lösung findet.  Ein  Dichter  ist  Schröder  sicherlich  nicht,  aber  als 
Handwerker  verdient  er  den  Meistertitel. 

b)  August  Wilhelm  Iffland. 

Tiecks  Lob,  daß  Schröder  hoch  über  Iffland  (1759 — 1814)  stehe,  ist 
nur  aus  seiner  Gegnerschaft  zu -letzterem  erklärlich.  Denn  Iffland  ist 
Schröders  Spiegelbild.  Er,  der  Dramatiker  des  Rührstücks,  stellt  eben- 
so wie  Schröder  das  Lustspiel  in  den  Dienst  belehrender  Rührselig- 
keit. Er  kennt  keinen  grundsätzlichen  Unterschied  zwischen  beiden 
dramatischen  Spielarten.  Das  Lustspiel  ist  ein  Rührstück  mit  komi- 
schen Elementen.  Schon  daraus  ergibt  sich,  daß  Iffland  kein  Dichter 
ist,  der  ein  Lustspiel  nach  Eigengesetzen  mit  Eigenzielen  aufbauen 
kann.  Hierin  liegt  der  tiefste  Grund  seines  Versagens  in  der  Lust- 
spielproduktion, soweit  sie  einem  Theaterpraktiker  —  nicht  Dichter  — 
hätte  gelingen  können. 

Außer  acht  Übersetzungen  hat  Iffland  dreizehn  Lustspiele  geliefert, 
Devrient  in  der  „Geschichte  der  Schauspielkunst"  urteilt  darüber:  „Wie 
alle  unsere  Schauspielerarbeiten  gehen  Schröders  und  Ififlands  Stücke 
nur  darauf  aus,  ihre  Kunst  zu  fördern  und  nicht  die  Litteratur".  Alle 
seine  Figuren,  die  er  gern  zueinander  in  Kontrast  stellt,  verkörpern 
eine  oder  mehrere  Eigenschaften,  ohne  daß  diese  bei  diskreten  Ab- 
schattungen in  dem  Kerne  menschlichen  Charakters  ihre  gemeinsame 
Wurzel  fänden,  ohne  daß  diese  in  reicher  Mannigfaltigkeit  ein  be- 
sonderes Erfindungstalent  ihres  Verfassers  verrieten.  Trotz  des  aus- 
geführten, redseligen  Dialogs  gleichen  sie  Figuren  der  Stegreifposse, 
die  erst  durch  die  Schauspieler  verlebendigt  werden.  Darin  liegt  der 
Grund,  warum  einzelne  Stücke  über  ihren  Eigenwert  hinaus  auf  der 


Mitläufer:  August  Wilhelm  Iffland.  203 


deutschen  Bühne  lange  dauerndes  Heimatsrecht  gefunden  haben.  Die 
Darsteller  wußten,  unterstützt  durch  zahlreiche  Regiebemerkungen, 
die  leeren  Kleider  immer  wieder  wirkungsvoll  zu  tragen.  Heute  be- 
dürfte es  schon  ganz  hervorragender  darstellerischer  Kunst,  um  uns 
die  öde  Mischung  moralsalbadernder  Rührseligkeit  und  unwahrschein- 
licher grober  Possenmotive  erträglich  zu  gestalten. 

Da  Haubenstöcke  von  Eigenschaften  und  keine  Charaktere  auf- 
treten, so  können  wir  billigerweise  auch  keine  Entwicklung  erwarten 
und  atmen  auf,  wenn  endlich  der  im  V.  Akt  eintretende  Umfall  den 
nahen  Schluß  verkündet. 

Der  Inhalt  ist  stets  eine  Heiratsgeschichte,  in  die  mit  Vorliebe  alte 
Junggesellen  und  Jungfern,  womöglich  auch  eine  Schwiegermutter 
verwickelt  sind,  und  deren  Intrige  nach  altem  Brauch  durch  die  stets 
bereiten  Bedienten  eingeleitet  und  betrieben  wird.  Die  darin  ent- 
haltene Komik  ist  wesentlich  Situationskomik,  häufig  rein  mimischer 
Art.  Bei  dieser  Betonung  des  Schauspielerischen  ist  es  nur  natürlich, 
daß  das  Beiseitesprechen  beliebt  ist,  lassen  sich  doch  dadurch  nicht 
nur  erhellende,  belehrende  Aufschlüsse  geben,  sondern  auch  mit 
leichter  Mühe  komisch  kontrastierende  Wirkungen  erzielen.  Der 
Theaterpraktiker  weiß,  daß  sich  mit  grellen  Gegensätzen  am  leichte- 
sten der  Beifall  der  Masse  erringen  läßt:  so  bedrängt  das  Laster  die 
Tugend,  der  verderbte  hohe  Würdenträger  kontrastiert  mit  dem  tugend- 
samen einfachen  Bürger,  der  Briefadel  mit  dem  Herzensadel,  der  gute, 
treue  mit  dem  schurkischen,  habsüchtigen  Diener,  die  ränkesüchtige, 
eitle  Frau  mit  dem  geraden,  tüchtigen  Mann,  der  nichtswürdige  Hei- 
ratskandidat der  Eltern  mit  dem  edelsinnigen  Liebhaber  der  Kinder, 
und  ebenso  wie  bei  Schröder  wird  dieses  Zweifarbengemälde  mit 
reichlichen  Zutaten  von  sentimentalem  Patriotismus  und  süßlicher 
Moral  durchsetzt.  Iffland  ist  der  durch  die  Sturm-und-Drang-Periode 
hindurchgegangene  Geliert. 

Ifflands  beliebteste  Lustspiele  waren  „Der  Herbsttag"  (1790)  und 
„Die  Hagestolzen"  (1791).  Wie  gewöhnlich  werden  im  „Herbsttag" 
Adel  und  Bürger,  Stadt  und  Land  als  schlecht  und  gut  einander  gegen- 
übergestellt. Schließlich  bewirkt  der  äußerlich  lächerliche,  innerlich 
um  so  wertvollere  Licentiat  Wanner,  daß  alle  Hindernisse  überwunden 
werden  und  drei  Paare  zum  Schlüsse  glücklich  vereint  sind.  Die  Ge- 
stalt des  Wanner,  die  in  ihrem  Widerspruch  von  Sein  und  Schein 
dem  für  solche  Kontraste  besonders  empfänglichen  E.  Th.  A.  Hoff- 
mann sehr  zusagte,  ist  darum  um  nichts  lebenswahrer  als  die  anderen 
Figuren  des  Stückes.  Auch  die  ehemals  besonders  geschätzten 
,, Hagestolzen"  verdienen  nur  insoweit  Anerkennung,  als  Iffland  hier 
tatsächlich  versuchte,  die  Handlung  mit  ihren  Verwicklungen  aus  dem 
Charakter  selbst  abzuleiten.  Besonders  stark  arbeitet  er  hier  mit 
rousseauistischen  Tönen,  zu  deren  Verstärkung  er  auch  die  beliebte 
Figur  einer  rührenden  Landnaiven  einführt.    Doch  die  weiblichen  wie 


204  Achtzehntes  Jahrhundert:  Klassische  Periode. 

männlichen  Naiven  —  Peter  im  „Herbsttag"  — ,  die  Träger  billigen, 
sittlich  einwandfreien  Humors  sein  sollen,  sind  gleichermaßen  un- 
erträglich. Wenn  Goethe  meint,  „Die  Hagestolzen"  seien  Ifflands 
einziges  Stück,  das  „aus  der  Prosa  ins  Ideelle  gehe",  so  ist  die 
Prosa  doch  so  stark,  das  Ideelle  so  sehr  mit  unwahrer  Sentimentalität 
umwuchert,  daß  wir  höchstens  Triviales,  jedenfalls  keinen  reinen 
Genuß  verspüren. 

Beide  Lustspiele  offenbaren  uns  Ififlands  dramaturgische  Scha- 
blone: Zunächst  geben  Bedienstete  —  selten  wie  im  „Hausfrieden" 
(1796)  die  Hauptpersonen  —  die  Exposition,  dann  zeigt  die  Hand- 
lung der  ersten  vier  Akte  den  wahrscheinlichen  Sieg  der  schwarzen 
Partei,  um  mit  dem  fünften  und  Schlußakte  den  Umschwung  und 
den  Triumph  des  Guten  zu  bringen.  Dieser  Schluß  ist  meist  der 
Entschluß  zur  Umkehr,  sei  es  von  einer  intellektuellen  Torheit  — 
hauptsächlich  in  Possen  wie  „Der  Komet"  —  oder,  wie  in  den  meisten 
Lustspielen,  von  einer  ethischen  Irrung.  „Der  Poet  ist  der  Wirt,  der 
letzte  Aktus  die  Zeche,  Wenn  sich  das  Laster  erbricht,  setzt  sich  die 
Tugend  zu  Tisch". 

Dieses  Xenion  Schillers  trifft  nicht  unverdient  den  ganzen  Kreis, 
auch  Iffland  wie  Schröder.  Ihrer  beider  Unterschied  besteht  im  wesent- 
lichen nur  darin,  daß  Schröder  analytisch  eine  vor  Beginn  des  Stückes 
liegende  romantische  Verwicklung  im  Handlungsverlauf  langsam  auf- 
dröselt, bis  die  Enthüllung  den  Stückschluß  bringt,  während  Iffland 
die  Fäden  der  Verwicklung  allmählich  spinnt,  um  im  letzten  Akte  den 
Knoten  resolut  durchzuhauen  —  daß  Schröder  also  Entwicklungsstücke 
liebt  und  Iffland  Verwicklungsstücke.  Im  übrigen  passen  die  zur 
Charakterisierung  von  Schröders  Schaffen  angeführten  Züge  auch 
auf  Iffland. 

So  geschickt  sich  beide  auch  in  ihrer  Bühnentechnik  erweisen, 
sie  sind  als  Dramatiker  keine  Künstlernaturen.  Jedes  Kunstwerk  hat 
als  Kunstschöpfung  etwas  die  bürgerlichen  Maße  und  Grenzen 
Überschreitendes,  Sprengendes.  Die  Schröder,  Iffland  und  Ge- 
nossen waren  gerade  peinlichst  bestrebt,  diese  Maße  und  Grenzen 
in  ihrer  Geltung  zu  erweisen,  sich  bewußt  innerhalb  ihrer  zu  halten. 
Sie  sind  nicht  die  Träger  eines  individuellen  Weltgefühls  oder  eines 
universalen  Persönlichkeitsgefühls,  sie  repräsentieren  nur  das  Ge- 
fühl einer  beschränkten  Büigerklasse  von  bestimmter  Konvention, 
von  paragraphierter  Moral.  Daher  die  Enge,  die  Philistrosität  ihrer 
Stücke.  Diese  KleinUchkeit  und  Unfreiheit  zeigt  sich  auch  in  der 
Sprache.  Überall  nur  tote  Worte,  nirgends  ein  plattes  Sprechen 
durchbrechender  Ton,  stets  die  brave  Mittellage,  nirgends  ein  Jauch- 
zen, ein  Singen,  stets  bürgerliche  FamiHenkonvention,  nie  der  Auf- 
schrei, die  Ekstase  einer  leidenschaftlich  erregten  Persönlichkeit.  In 
Sprache  wie  in  Dramatik  sind  sie  Handwerker,  Theaterpraktiker,  nicht 
Schöpfer,  Dichter. 


Mitläufer:  August  von  Kotzebue.  205 

c)  August  von  Kotzebue. 

Mit  Schröder  und  Iffland  wird  immer  wieder  August  von  Kotzebue 
(1761  — 1819)  in  eine  Linie  gestellt.  Zu  Unrecht.  Vergebens  hat  bereits 
Kotzebue  selbst  dagegen  protestiert.  Als  Mensch  steht  er  unter,  als 
Künstler  ebenso  hoch  über  ihnen. 

Schröder  und  auch  Iffland  hatten  das  aufrichtige  Bestreben,  ihr 
Publikum  zu  belehren,  zu  bessern.  Kotzebue  verschmäht  nicht  die 
wirkungsvollen  moralischen  Tiraden,  aber  er  wendet  sie  nur  des  damit 
zu  erzielenden  Beifalls  wegen  an.  Er  ist  viel  zu  sehr  Skeptiker,  als 
daß  er  an  die  Schaubühne  als  moralische  Anstalt  glaubte.  Wenn 
Schröder  und  Iffland  Schillers  hohes  ästhetisches  Erziehungsideal  ins 
Philiströse  verflacht  haben,  so  steht  ihm  Kotzebue  vollkommen  fremd 
gegenüber  und  verfällt  daher  nicht  in  die  gleiche  Philistrosität. 

Kotzebues  Stärke  und  Schwäche  ist  seine  Gesinnungslosigkeit.  Er 
hat  nie  die  reine,  auf  sittlichem  Urgründe  sich  aufbauende  Humorhöhe 
von  Lessings  Meisterlustspiel  erreicht.  Und  doch  berechtigt  ihn  die 
Fülle  und  Art  seiner  Produktion  mehr  als  Lessing  zu  dem  Titel,  den 
dieser  sich  in  der  Jugend  schon  setzte:  ein  deutscher  MoHere  zu  wer- 
den. Vielleicht  deshalb,  weil  er  im  Grunde  seines  Wesens  so  un- 
deutsch war.  Es  fehlt  ihm  die  Gefühlswärme,  die  allzuoft  in  deutsche 
Sentimentalität  ausartet.  Hierin  gleicht  er  dem  modernen  Sternheim 
oder  vielleicht  noch  mehr  dem  irisch-englischen  Shaw.  Wohl  mangelt 
es  bei  ihm  nicht  an  sentimentalen  Zügen  und  Szenen,  doch  sind  sie 
nicht  einem  inneren  Bedürfnis  entsprungen,  sondern  seiner  Kenntnis 
der  Bedürfnisse  des  Publikums.  Er  wirkt  international  in  seiner  vor- 
herrschenden Intellektualität. 

Kotzebue  war  kein  Bürgerphilister  wie  Iffland,  er  war  auch  keine 
sittliche  Macht  wie  Schiller  oder  eine  starke  Weltpersönlichkeit  wie 
Goethe,  er  war  ein  reicher  Gourmet,  der  weder  Diesseits-  noch  Jen- 
seitswerte als  unerschütterlich  und  absolut  anerkannte,  der  daher  auch 
nicht  die  Relativität  alles  Diesseitigen  am  Jenseitigen  maß.  Für  ihn 
gab  es  überhaupt  kein  Absolutes,  keine  ewig  gültigen  Wertmaßstäbe. 
Er  bezieht  alles  in  seinen  Blickbereich,  auf  sein  kritisches  Ich,  das  aber 
selbst  keinen  dauernden  Standort,  keine  feste  Wurzel  besitzt.  Er  ist 
ein  Geschmäckler,  der  an  allem  seine  Laune  üben  kann,  seien  es  Cha- 
raktere oder  Stände,  Gefühle  oder  Erkenntnisse,  Leidenschaften  oder 
Überzeugungen,  individuelle  oder  soziale  Betätigungen.  Aber  gerade 
weil  ihm  die  unbeirrbare  Orientierung  fehlt,  sei  es  durch  den  Glauben 
an  ein  Absolutes,  sei  es  durch  den  gesicherten  Besitz  eigener  Persön- 
lichkeit —  was  beides  ja  meist  zusammenfällt  — ,  so  fehlt  die  Grund- 
lage versöhnenden  Humors,  so  fehlt  die  Kraft  überzeugender  Klarheit, 
natürlicher  Größe,  Einfachheit  und  Schlichtheit.  Sein  Feinschmecker- 
tum  ergötzt  sich  an  Sittlichem  und  Unsittlichem,  an  Pathetischem 
und  Naivem,  an  Grobem  und  Feinem.    Es  fehlt  ihm  Liebe  und  Haß. 


206  Achtzehntes  Jahrhundert:  Klassische  Periode. 

Diese  Entthronung  des  sittlichen  Ideals,  dieser  Mangel  an  entschie- 
dener Persönlichkeit  läßt  ihn  nie  die  Tiefe  Molieres  erreichen.  Aber 
sie  erleichtern  ihm  andrerseits  die  Erreichung  seines  selbstgesteckten 
Ziels  komischer  Darstellung  der  Welt.  Nichts  ist  davon  von  vorn- 
herein ausgeschlossen,  die  ganze  unerschöpfliche  Fülle  der  Erschei- 
nungen ist  ihm  Objekt,  alles  tut  sich  ihm  in  relativer  Nichtigkeit  kund. 
Überall  steht  er  und  kann  auch  anders.  Heute  verlacht  er  die  Deutsch- 
franzosen, morgen  die  Deutschtümler. 

Nicht  nur  äußerlich  ahmt  Kotzebue  Moliere  nach,  indem  er  ihm 
Charaktere,  Motive,  Situationen  entlehnt.  Gleich  dem  genialen  Vor- 
bild versucht  auch  der  talentierte  Nachbildner,  seiner  Zeit  den  Spiegel 
vorzuhalten,  und  die  erstaunliche  Fülle  seiner  Beobachtungen,  die 
dank  der  eigenen  Prinzipienlosigkeit  kein  Gebiet  seiner  Persiflage 
vorenthält,  gibt  eine  ganze  Kulturgeschichte  seiner  Gegenwart. 

Kotzebue  ist  Satiriker,  aber  er  ist  kein  Eiferer.  Dazu  fehlt  ihm 
ja  der  Ernst.  Selbst  sein  eigenes  Schaffen  ist  ihm  nicht  wichtig  genug, 
daß  er  es  nicht  seiner  Selbstpersiflage  preisgäbe.  Seine  berühmte 
Gurli  wird  von  ihm  selbst  verlacht.  Es  sollte  überhaupt  mehr  bedacht 
werden,  daß  die  Naturnaive  eine  Figur  in  einem  —  überaus  sentimen- 
talen —  Lustspiel,  „Die  Indianer  in  England",  und  daher  von  vorn- 
herein auf  komische  Wirkung  angelegt  ist.  Deshalb  wird  ihm  die 
Verspottung  der  Gurli-Nachahmungen  leicht.  Immerhin  liegt  darin  ein 
Zug  ins  Große.  Er  ist  weltmännisch,  allem  geistig  Kleinbürgerlichen 
abgewandt.  Sein  Spott  erwächst  nicht  aus  Grundsätzen  —  das  hat 
man  ihm  bis  heute  nicht  verziehen  — ,  sondern  aus  der  Freude  am 
Spott  selbst.  Wer  das  erkannt  hat,  kann  ihm  darob  nicht  mehr 
grollen,  und  so  erleben  wir,  daß,  wie  Sokrates  in  der  Aufführung  der 
„Wolken"  des  Aristophanes  über  seine  eigene  Verulkung  gelacht 
haben  soll,  auch  der  Phrenologe  Gall  bei  der  Vorstellung  der  seine 
Schädellehre  karikierenden  Posse  „Die  Organe  des  Gehirns"  sich 
des  Lachens  nicht  enthalten  konnte. 

Aus  der  rationalistischen  Aufklärung  stammend,  lehnt  Kotzebue 
alles  skeptisch  ab,  was  den  gesicherten  realen  Boden  verstandesmäßig 
begreiflicher  Erscheinungen  verläßt,  er  ist  aber  auch  so  sehr  ein 
Sohn  seiner  Zeit,  die  mit  Fichte  das  Nicht-Ich  als  ursprünglich  irreal 
ansieht,  daß  er  selbst  die  tatsächliche  Erscheinungswelt  mit  seiner 
Skepsis  durchdringt.  Es  ist  klar,  daß  eine  solche  Haltung  besonders 
diejenigen  verletzen  mußte,  die  mit  glutvoller  Innigkeit  sich  neuen 
Ideen  hingaben,  seien  es  nun  die  Romantiker,  die  er  im  „Hyper- 
boreischen  Esel"  verspottete,  oder  die  nationalen  Liberalen  der 
Burschenschafterkreise,  die  er  mit  Stücken  wie  „Hans  Max  Gies- 
brecht  von  der  Humpenburg"  (1815)  oder  „Der  deutsche  Mann  und 
die  vornehmen  Leute"  (18 18)  traf. 

Im  Grunde  ist  dies  Schicksal  jedes  Zeitsatirikers.  Jede  neue  Be- 
wegung nimmt  ihren  Anfang  in  Geburtskrämpfen.    Ihre  Träger  sind 


Mitläufer:   August  von  Kotzebue.  10~J 


daher  mit  zu  wehem,  stechendem  Schmerz  erfüllt,  als  daß  nicht  ihr 
Spott  über  das  Alte,  das  sie  überwinden  wollen,  tragisch  getönt  wäre, 
als  daß  nicht  ihre  Satire  zur  Tragödie  würde.  Das  zeigten  uns  die 
Stürmer  und  Dränger.  Die  Vertreter  des  Alten,  Bewährten  fühlen  sich 
dagegen  gesichert  genug  in  dem  überkommenen  Besitz,  als  daß  sie 
nicht  über  die  jugendlichen  Neunmalklugen  lachen  könnten.  So  tat 
es  Aristophanes,  so  tut  es  Kotzebue.  Der  Unterschied  ist  nur  der, 
daß  auch  das  Alte  für  Kotzebue  kein  gesicherter  Besitz  ist,  auch  die 
Lächerlichkeiten  der  altmodischen  „Deutschen  Kleinstädter"  enthüllt  er. 

Allen  Gesinnungstüchtigen  mußte  er  infolgedessen  natürlich  ein 
Greuel  werden.  Doch,  wie  später  Heine,  war  auch  er  ein  besserer 
Musikant  als  diese  braven  Leute.  Gewiß  gebrach  es  ihm  an  der 
Grundlage  jedes  echten  Dichterberufs:  der  sittlichen  Stärke.  Aber 
seine  Theaterwirksamkeit  war  nicht  zu  leugnen.  Der  Theaterdirektor 
Goethe,  dem  seine  ,, Nullität"  im  Innersten  zuwider  war,  führte  ihn 
dauernd  auf.  Und  diese  Theaterwirksamkeit,  der  sich  auch  der  Gegner 
beugen  mußte  —  man  mag  noch  so  hohe  Anforderungen  an  das 
Theater  stellen,  seine  Existenz  ist  doch  von  dem  Gefallen  der  Masse 
abhängig,  es  ist  eine  soziale  Institution  — ,  beruhte  nicht  zum  wenigsten 
auf  jenem  Charaktermangel.  Kotzebues  Bedenkenlosigkeit  erlaubte 
ihm,  tiefen  Problemen  aus  dem  Wege  zu  gehen,  sie  ins  Seichte  und 
damit  dem  Massenpublikum  Faßliche  zu  verflachen  und  durch  den 
nötigen  Schuß  sentimentalen  Zuckerwassers  gefällig  zu  machen. 

Ohne  jede  tiefer  gehende  Erregung  konnte  man  bei  ihm  lachen, 
ganz  im  Gegensatz  zu  den  Klassikern,  deren  hohe  ästhetische  Kunst 
allenfalls  Feiertagskost  dünkte,  bei  der  sich  der  Philister  aber  doch 
unbehaglich  fühlte.  Die  ästhetische  Erziehung,  die  sich  die  Klassiker 
zum  Programm  gesetzt  hatten,  war  der  Masse  fremd  geblieben.  Sie 
freute  sich,  wenn  sie  jetzt  bei  Kotzebue  das  Feiertagsgewand  ablegen 
konnte  und  sich  nach  Herzenslust  kannibalisch  wohlfühlen  durfte. 
Man  fühlte  sich  unsicher  auf  jenen  lichten  Höhen  und  sehnte  sich 
nach  der  bequemen,  schwindelfreien  Tiefe.  Man  hatte  genug  jener 
vornehmen  Distanz,  die  die  klassische  wie  jede  reine  Kunst  von  der 
Gegenwart  fern  hielt  —  daß  ihr  Gehalt  dennoch  Zeiterlebnis  war, 
wußte  man  ja  nicht,  da  man  sich  nur  an  das  Stoffliche  klammerte 
— ,  und  sah  mit  Entzücken,  daß  Kotzebue  die  Erscheinungen  seiner 
Zeit  aus  nächster  Nähe  beschaute.  Diese  Zeit  ist  dargestellt  in  einer 
überaus  fruchtbaren  dramatischen  Produktion,  deren  Reichhaltigkeit 
mit  ihrer  Beliebtheit  wetteiferte,  die  die  deutsche  Literatur  zum  Welt- 
gute machte,  wie  es  bisher  nur  die  ,, Leiden  des  jungen  Werther"  ge- 
worden waren.  Diesen  Weltruhm  dankte  Kotzebue  sicherlich  nicht 
der  rein  dichterischen  Qualität  seiner  Dramen,  sondern  eher  dem 
Undichterischen  daran,  dem  Unpersönlichen. 

Der  prometheische  Dichter  bewährt  sich  dadurch,  daß  er  in  seiner 
Brust  seine  Zeit,  seine  Welt  erlebt  und  daraus   die   gestalteten  Ver- 


2o8  Achtzehntes  Jahrhundert :   KUassische  Periode. 

dichtungen  seines  Fühlens  hervorzaubert.  Solche  Schöpfungen  sind 
wohl  zeitbedingt,  aber,  aus  dem  Schöße  der  Mütter,  in  dem  sich  in- 
dividuelles und  kosmisches  Erleben  trefifen  und  entzünden,  heraus 
geboren,  im  tiefsten  Grunde  zeitlos,  Kotzebues  Werk  ist  nicht  zeit- 
los und  daher  im  wesentlichen  Sinne  keine  Kunst,  es  ist  zeitgemäß, 
Handwerk. 

Dagegen  scheint  die  seit  Minor  immer  wieder  angeführte  Tatsache 
zu  sprechen,  daß  allein  an  der  Wiener  Hofburg  von  1790  bis  1867 
Kotzebue  3650  Abende  füllte.  Die  Erklärung  dieser  langdauemden 
Beliebtheit  scheint  mir  aber  vor  allem  darin  zu  liegen,  daß  sein  klares, 
von  leidenschaftlicher  Parteinahme  nicht  geblendetes  Auge  in  der 
Hauptzielscheibe  seines  Spottes,  dem  Bürgertum,  Züge  erspähte,  die 
fast  unvergänglich  scheinen,  und  daß  andrerseits  die  Kultur-  und 
Sittenwandlung  des  Volks-  und  Bürgertums  außerordentlich  langsam 
vorwärtsschreitet.  Gerade  der  Bürgerstand,  dessen  satirische  Beob- 
achtung die  Grundlage  der  meisten  Komödien  Kotzebues  bildet,  sollte 
mit  seiner  Entwicklung  noch  bis  ins  letzte  Drittel  des  Jahrhunderts 
im  Brennpunkte  allgemeinen  Interesses  stehen.  Weiter  ist  diese  selbe 
Zeit,  nach  der  Klassik,  an  bühnenfähiger  dramatischer  Produktion 
sehr  dürftig  gesegnet,  um  so  mehr  als  die  großen  Dramatiker  des 
19.  Jahrhunderts  erst  in  dessen  zweiter  Hälfte  zu  allgemeiner  An- 
erkennung durchbrachen.  Man  war  daher  dankbar  für  Kotzebues 
bühnenkräftige  Theaterware  in  jener  Zeit,  die  nach  Gervinus  das 
Reich  der  Dichtung  und  Phantasie  mit  dem  Reich  des  Handelns  und 
der  Tat  vertauscht  hatte. 

Und  schließlich  sind  jene  satirischen  Ausfälle  kultureller  oder 
literarischer  Art,  die  gerade  seine  beliebtesten  Dramen  füllen,  so 
wenig  aus  dem  inneren  Kerne  der  handelnden  und  redenden  Cha- 
raktere geschöpft,  daß  sie  ohne  Schaden  durch  den  Regisseur  aus- 
gewechselt werden  können,  um  das  betreffende  Stück  stets  wieder 
zeitgemäß  zu  machen.  Er  selbst  macht  gelegentlich  in  dem  „Weib- 
lichen Jacobiner-Clubb"  darauf  aufmerksam.  Diese  Sorglosigkeit  der 
Charakterzeichnung,  die,  eine  Reihe  klug  berechneter  Bühneneffekte 
verbindend,  den  Schauspielern  nur  Skizzen  gab,  brachte  den  Dar- 
stellern nur  leichte  Aufgaben,  sich  selbst  zur  Wirkung  zu  bringen. 
Sie  fanden  in  Kotzebues  Stücken,  ähnlich  wie  in  denen  Ifflands,  gern 
gesuchte  Paraderollen,  und  das  Publikum  schenkte  leicht  seinen  Dank, 
der  dem  Darsteller  galt,  der  Rolle  und  damit  auch  dem  Verfasser  des 
Stückes.  Immerhin  ist  ein  Unterschied  zwischen  der  Charakteri- 
sierungskunst Kotzebues  und  der  der  Schröder  und  Iffland.  Diese 
gaben  uns  Puppen,  jener  zwar  auch,  aber  er  verleiht  ihnen  doch  auf 
Grund  seiner  geschärften  realistischen  Beobachtungsgabe  gelegentlich 
individuelle  Züge,  Wohl  fehlt  auch  seinen  Gestalten  das  innere 
Leben,  das  nur  aus  dem  inneren  Erleben,  nie  aus  äußerer  Beobachtung 
des  Künstlers   erwachsen   kann,    aber   wenn  jene   Puppen    mit  lang- 


Mitläufer:  August  von  Kotzebue. 


209 


weilig-typischen  Porzellanköpfen  gaben,  so  schenkt  Kotzebue  Künstler- 
puppen mit  modellierten  Wachsköpfen. 

Überdies  hat  Kotzebue  das  alte  Schema  des  Charakterlustspiels 
insofern  erweitert,  als  er  es  mit  der  vom  Sturm  und  Drang  geforder- 
ten Handlungskomödie  verband,  indem  er  an  Stelle  des  einzigen  Zen- 
tralhelden gern  zwei  oder  mehrere  Parallelfiguren  treten  Heß  und 
dadurch  eine  größere,  wenn  auch  äußerliche  Lebendigkeit  erreichte. 
Ein  Beispiel  sind  „Die  beiden  KHngsberg"  (1801).  Dieses  vieraktige 
Lustspiel  ist  direkt  Schröder,  mittelbar  dem  Engländer  Farquhar  ver- 
pflichtet. Die  beste,  am  ehesten  noch  mit  Humor  gesehene  Gestalt 
in  Schröders  „Ring"  ist  der  Graf  Klingsberg.  Kotzebue  hat  ihn  ver- 
doppelt als  Vater  und  Sohn  und  erzielt  nun  seine  Komik  dadurch, 
daß  beide,  gleichgeartet  in  ihrem  Rouetum,  sich  teils  bewußt,  teils 
unbewußt  bei  den  gleichen  Objekten  ihrer  illegitimen  Wünsche  Kon- 
kurrenz machen  und  sich  gar  dabei  unverhofft  begegnen. 

Darin  ist  bereits  der  Hauptmechanismus  von  Kotzebues  Komödien 
erkennbar:  Kotzebues  Talent,  die  Komik  des  Alltags  wahrzunehmen,  und 
zugleich  seine  ästhetische  Bedenkenlosigkeit,  zugunsten  komischer 
Wirkungen  alles,  was  er  sieht,  zu  karikieren,  komische  Situationen 
ohne  Rücksicht  auf  Charakterschilderung  oder  künstlerischen  Aufbau 
aneinanderzureihen.  Vor  allem  gilt  es,  die  Langeweile  fernzuhalten. 
Abgerundete  Kunstwerke  entstehen  dadurch  nicht,  im  besten  Falle 
eine  Folge  gelungener  Karikaturen  der  Umwelt,  die  mit  Geschick  zu 
einem  lustigen  Ausschnitt  aus  dem  Alltag  sich  runden,  aber  doch 
eigentlich  immer  ein  willkürliches  Theaterende  finden.  Daher  können 
auch  die  gelungensten  Stücke  beliebig  erweitert  werden:  „Die  deut- 
schen Kleinstädter"  (1803)  mit  ,,Carolus  Magnus"  (1806)  und  „Des 
Esels  Schatten  oder  Prozeß  in  Kraehwinkel"  (18 16).  Letzteres  hat 
neuerdings,  unter  Benutzung  der  Wielandschen  Abderitengeschichte, 
der  Kotzebue  verwandte  Ludwig  Fulda  mit  gewohnter  Bühnenroutine 
und  schillerndem  Witz  aufgewärmt  und  als  „Des  Esels  Schatten"  in 
Mannheim  zur  Uraufführung  gebracht.  Auch  hier  findet  allerdings 
das  Erfahrungsgesetz,  daß  Fortsetzungen  eines  geglückten  Werks 
stets  enttäuschen,  seine  Bestätigung.  Aber  die  „Kleinstädter"  be- 
weisen noch  heute  ihre  W^irkungskraft,  Das  philisterhafte  Kräh- 
winklertum,  das  auch  in  der  Großstadt  heimisch  ist,  mit  seiner  Titel- 
und  Rangsucht,  seiner  Aufgeblasenheit  gegen  Untergebene  und  Katz- 
buckelei gegen  Höherstehende,  seinem  Cliquenwesen,  seiner  bösen 
Zunge,  seinem  Aufbauschen  von  Neuigkeiten:   es  lebt  heute  noch. 

Wieder  hat  sich  Kotzebue  darin  durch  ein  fremdes  Vorbild  —  Picard  — 
anregen  lassen.  Weit  mehr  als  Moliere  nimmt  er  das  Gute,  wo  immer 
er  es  findet.  Es  ist  kein  Zeichen  von  Erfindungsarmut,  daß  Kotzebue 
immer  bereit  ist,  bei  deutschen  und  fremdländischen  Autoren  Anleihen 
zu  machen.  Es  sei  darunter  außer  Molieres  und  Holbergs  insbesondere 
Goldonis  gedacht,  von  dessen  aus  der  reformierten  commedia  dell'arte 

Holl ,  Lustspiel.  14 


2  I O  Achtzehntes  Jahrhundert :  Klassische  Periode. 

gestalteten  Charakterkomödie  seine  Situationskomik  bereichernde  Ele- 
mente bezog.  Trotzdem  ist  fließende  Erfindung  sein  eigen.  Nicht  daß 
ihm  die  Gabe  der  Phantasie  verliehen  sei,  die  über  das  Reale  hinaus  frei 
gestaltet.  Er  hebt  sich  nicht  von  der  Wirklichkeit;  diese  beobachtet  er, 
sammelt  seine  Eindrücke  und  schaltet  mit  ihnen  souverän,  indem  er  sie 
zu  den  mannigfaltigsten  Kombinationen  zusammenfügt,  immer  nur  ein 
Ziel  unbeirrbar  im  Auge  behaltend:  Lachen  zu  erregen.  Dadurch  sind 
seine  besten  Stücke,  wie  die  „Kleinstädter",  die  „Pagenstreiche",  die 
„beiden  Klingsberg"  und  der  zu  Unrecht  als  unmoralisch  verurteilte 
„Rehbock"  (1813),  so  lebendig,  daß  sie  voll  von  kaleidoskopartiger 
Bewegung  sind.  Deshalb  hat  er  die  Helden  seiner  Stücke  vermehrt, 
deshalb  läßt  er  kontrastierende  Bediententypen  auftreten:  treue,  ehr- 
liche Seelen  nach  Lessings  Just  und  gerissene  französische  Filous, 
deren  Stammbaum  über  Moliere  hinaus  auf  Plautus  zurückgeht  und 
die  gleichgesinnte  Landsmänninnen  treffen  in  den  kokett-gewandten, 
schnippischen  Soubrettenkammerzofen  von  Marivaux'  Gnaden. 

Was  der  heutigen  Wiederaufnahme  gelungener  Stücke,  wie  des 
verwechslungsreichen  „Rehbock",  in  den  Spielplan  entgegensteht,  ist 
vor  allem  die  Sprache,  —  die  ein  geschickter  Regisseur  oder  Drama- 
turg überdies  unschwer  modernisieren  könnte,  besonders  im  „Rehbock", 
der  eine  Neuaufführung  an  Stelle  französischer  Ehebruchsschmarren 
sicher  lohnen  würde.  Lortzing  hat  sicheren  Bühnenbhck  bewiesen, 
daß  er  den  Text  seinem  „Wildschütz"  zugrunde  legte.  Kotzebue  ist 
voll  von  Laune,  voll  von  Witz.  Das  reiche  Kapitel  der  Wortkomik 
beherrscht  er  unbedingt.  Die  lebendige  Führung  des  Dialogs  macht 
seiner  Intellektualität  keine  Schwierigkeit.  Dennoch  stört  uns  heute 
die  Unnatürlichkeit  der  Sprache.  Nur  selten  erreicht  die  gekünstelte, 
geschwollene  Ausdrucksweise  die  Schlagkraft  des  unmittelbar  Über- 
zeugenden. Sie  könnte  wohl  wie  bei  Sternheim  einem  bewußten 
Stilwillen  entspringen,  indem  die  hohle  Aufgeblasenheit  der  Redenden 
unmittelbar  Wort  wird  in  einem  leeren,  schulmäßigen  rhetorischen 
Pathos  und  dadurch  das  geschilderte  Bürgertum  direkt  charakterisiert 
—  bei  einer  Neuaufführung  ließen  sich  aus  dieser  Verwandtschaft 
Wirkungen  herausholen.  Doch  nur  ausnahmsweise  versucht  Kotzebue 
bewußt  solche  Wortkomik.  Im  allgemeinen  ist  es  ihm  mit  der  ge- 
zwungen-konventionellen Ausdrucksform,  die  uns  heute  in  ihrer  Fad- 
heit höchstens  unfreiwillig-komisch  anmutet,  bitterer  Ernst.  Kotzebue 
fehlt  der  Stil.  Er  will  realistisch  sein  und  hat  nicht  den  Mut,  um 
diese  Realistik  konsequent  durchzuführen,  alle  tote  Büchersprache  über 
Bord  zu  werfen.  Er  kann  nichts  an  ihre  Stelle  setzen,  da  seine  Per- 
sonen ja  innerlich  tote  Puppen  sind.  Auch  hier  wieder  erkennen  wir 
den  tiefsten  Mangel  von  Kotzebues  Kunst:  den  Mangel  an  innerem 
Erleben. 

Deshalb  dürfen  wir  von  Kotzebue  kein  humorvolles  Lustspiel  er- 
warten. Aber  sein  Possentalent  wird  dadurch  nicht  beeinflußt.  Kotzebue 


Mitläufer :  August  von  Kotzebue.  211 


gehört  zu  unseren  besten  Possenkünstlern  oder  Schwankdichtern,  die 
mit  toller  Laune,  frischem  Witz  und  souveräner  Beherrschung  der 
Situationskomik  bühnentechnisch  einwandfreie  Stücke  liefern.  Ein 
Publikum,  das  sich  nur  unterhalten,  nur  aus  Herzenslust  lachen  will, 
wird  bei  ihm,  vor  allem  in  den  „Deutschen  Kleinstädtern"  und  dem 
,, Rehbock",  stets  auf  seine  Kosten  kommen. 

In  Kotzebues  Werk,  und  darin  ist  er  der  Vollender  der  durch 
Schröder  und  Iffland  bezeichneten  Linie,  hat  in  dem  steten  Kampf 
zwischen  Theater  und  Drama  das  erstere  gesiegt,  gerade  in  der  Zeit, 
da  Klassik  und  Romantik  das  literarische  Drama  zu  einer  bisher  un- 
geahnten Höhe  erhoben  hatten.  Kotzebue  gehört  daher  zu  den  eigent- 
lichen Gegnern  der  Klassik  und  Romantik,  und  Goethe  hat,  wie  die 
Romantiker,  dies  klar  erkannt,  obwohl  er  auch  wußte,  daß  solche 
Gegner  nie  zu  unterdrücken  seien.  Die  Gegnerschaft  geht  auf  das 
tiefste  Wesen  der  Kunst,  worin  Klassik  und  Romantik  übereinstimmen, 
auf  jene  höchsten  Menschheitsziele  künstlerischer  Erziehung,  die  mit 
Unterhaltungsware  nie  vereinbar  sind.  Beide  stehen  sich  feindlich  gegen- 
über. Was  Kotzebue  gegen  die  angesehenen  Klassiker  nicht,  oder 
nur  versteckt  wagte,  das  tat  er  sofort  gegen  die  jungen  Stürmer  und 
Dränger  der  Romantik.  Von  der  Froschperspektive  aus  suchte  er  ihr 
metaphysisches  Streben  der  Lächerlichkeit  preiszugeben  in  dem 
,,HyperboreischenEsel  oder  die  heutige  Bildung"  (1799).  In  der  reinen 
Literatursatire,  zu  der  er  witzig  das  Material  sich  aus  den  Schriften 
der  Angegriffenen  selbst  holte,  mußte  der  Theaterpraktiker  allerdings 
die  Palme  den  angegriffenen  Romantikern  lassen.  Jedenfalls  ist  aber 
die  Zahl  unserer  guten  Komödiendichter  viel  zu  gering,  als  daß  wir 
uns  die  Mißachtung  Kotzebues  gestatten  könnten. 


E.  NEUNZEHNTES  UND 
ZWANZIGSTES  JAHRHUNDERT. 

I.  ROMANTIK. 

I.  SATIREN  UND  MÄRCHENKOMÖDIEN. 

a)  Romantik  und  dramatischer  Humor. 

In  der  Romantik  sind  Kräfte  für  und  wider  das  humorgestaltete 
Lustspiel  wirksam.  Humor  ist  grundsätzlich  relativistisch  gerichtet. 
Er  beansprucht  weder  den  idealistischen  Standpunkt  absoluter  Frei- 
heit noch  den  materialistischen  absoluter  Bedingtheit.  Er  weiß,  das 
Reich  des  Diesseits  ist  überhaupt  kein  Reich  des  Absoluten,  und  mag 
auch  der  einzelne  noch  so  sehr  sich  durch  das  Jenseits  bestimmen 
lassen,  die  Masse  lebt  doch  im  Diesseits  und  nur  im  Diesseits.  Er 
trauert  nicht  darüber,  da  einmal  über  Unabänderliches  zu  trauern 
zweck-  und  sinnlos,  zum  andern  da  dieses  Unabänderliche  dennoch 
dem  Wechsel  der  Zeiten  unterworfen  ist,  dem  nichts  Irdisches,  Dies- 
seitiges entrinnen  kann.  Im  Grunde  wird  das  Diesseitige  immer  bleiben 
was  und  wie  es  ist,  aber  seine  Erscheinungsformen  wechseln.  Dieser 
ewige  Wandel  ist  das  fließende  Leben  selbst,  und  der  Humorist  freut 
sich  seiner  Geistesfreiheit,  durch  die  als  fester  Pol  in  der  Erschei- 
nungen Flucht  allein  das  Erlebnis  des  Lebens  als  Fluß  ermöglicht 
wird,  er  freut  sich  dieses  Fließens,  dessen  Erlebnis  ihm  erst  das  Be- 
wußtsein seiner  Geistesfreiheit  bringt. 

Der  Inhalt  des  romantischen  Erlebnisses  ist  die  Geburt  eines  um- 
fassenden Natur-  und  Weltgefühls,  das,  im  Laufe  des  1 8.  Jahrhunderts 
langsam  vorbereitet  und  durch  Goethe  zum  Durchbruch  gebracht, 
Natur  und  Ich  als  Einheit  faßt.  Erst  dadurch,  daß  der  Romantiker 
die  Natur  gleichermaßen  wie  den  Menschen  als  Glieder  des  Kosmos 
beseelt,  lebendig  empfindet,  ist  der  intellektuellen  Einstellungsform 
seines  Humors  der  gefühlsbetonte  Gehalt  gegeben.  Der  Romantiker 
steht  damit  von  vornherein  dem  Lustspieldichter  nahe  kraft  seines 
Suchens  nach  Verinnerlichung,  die  nach  dem  Ausdruck  der  Verein- 
heitlichung von  Mensch,  Natur  und  Gott  ringt.  Der  panentheistische 
Zug  der  Romantik,  dem  alles  Irdische  von  dynamischen,  ins  Jenseits 


Satiren  und  Märcheakomödien:   Romantik   und   dramatischer  Humor.  213 

weisenden  Kräften  bewegt  ist,  verbunden  mit  ihrer  Ichbetonung,  die 
im  eigenen  Innern  den  ewig  waltenden  Schöpfergeist  erschaut,  führt 
durch  die  Naturbeseelung  zur  Gefühlsvertiefung  und  Bereicherung 
der  Phantasie,  was  sich  in  einer  stimmungsvollen  Vielgestaltigkeit  des 
dargestellten  Lebens  kundgibt. 

Der  Gestaltreichtum  des  Lebens  und  dessen  unerschöpfliche 
Zeugungskraft,  die  sinnliche  Freude  an  den  zahllosen,  wechselnden 
Erscheinungsformen  des  Lebens  ist  Voraussetzung  des  Humors,  aber 
nur  bedingt  Wesensart  romantischen  Erlebens.  Dadurch  ist  die  Ver- 
wandtschaft des  Romantikers  mit  dem  Humoristen  begrenzt. 

Der  Romantiker  ist  in  erster  Linie  Idealist  und  nicht  Realist,  er 
legt  daher  folgerichtig  stärkeres  Gewicht  auf  die  bewußte  Geistes- 
freiheit als  auf  die  angeschaute  Lebensbewegtheit,  auf  die  subjektive 
Bewußtheit  als  auf  deren  objektive  Inhalte.  Da  sein  primäres  Ur- 
erlebnis  aber,  wie  schon  oft  beobachtet,  die  Schöpfung  als  Bewegung 
ist,  so  ist  ihm  diese  Bewußtheit  kein  Zustand,  sondern  eine  Funktion. 
Er  ordnet  seinen  Geist  der  Form  seines  Erlebnisses  ein.  Gerade  weil 
er  Romantiker  ist,  will  er  den  Geist  immer  in  Bewegung,  in  Tätigkeit 
sehen.  Daraus  ist  seine  Vorliebe  für  intellektuelle  Regsamkeit  zu  ver- 
stehen, die  sich  betätigt  in  romantischem  Witz,  romantischer  Satire, 
romantischer  Ironie,  die  diese  Formen  der  Einstellung  zur  Welt  und 
ihrer  Betrachtimg  allzu  gern  der  humorischen  vorzieht.  In  den  Ko- 
mödien der  Romantiker  ist  daher  auch  mehr  Witz,  Satire,  Ironie  am 
Werk  als  Humor.  Sie  sind  mehr  dem  Kopf  entsprungen  als  dem 
Herzen,  sie  haben  mehr  Geist  als  Seele. 

Der  Romantiker  als  bewußter  Vertreter  extrem  idealistischer  Welt- 
anschauung steht  der  Grundlage  jeden  echten  Humors,  dem  Relativis- 
mus, gegen  den  Kant  bereits  Dämme  baute,  fremd,  ja  feindlich  gegen- 
über. Er  sucht  ihm  durch  die  zur  Ichvergottung  gesteigerte  Subjek- 
tivität zu  entgehen.  Die  absolute  Ichgeltung  der  Romantiker  findet 
in  ihrer  Dichtungstheorie  dadurch  Ausdruck,  daß  der  Willkür  des 
Dichters  kein  Gesetz  Einhalt  gebietet.  Diese  theoretische  Grundlage 
sogenannter  romantischer  Ironie  hat  ihre  praktische  Entsprechung  in 
der  unvergleichlichen  Fähigkeit  des  Romantikers,  sich  in  jede,  auch  die 
widersprechendste  Stimmung  jederzeit  freiwillig  versetzen  zu  können. 
Für  solche  Reizbarkeit,  überaus  leichte  Beweglichkeit  ist  jene  Welt 
absoluter  Geistigkeit,  die  sich  die  Romantiker,  nicht  ohne  Originalitäts- 
sucht, aufbauen,  besonders  geeignet,  da  in  ihr  die  Erdenschwere  hem- 
mender Wirklichkeiten  überwunden  ist.  Romantischer  Phantasie  sind 
vSchwingen  verliehen,  die  sie  schrankenlos  schweifen  lassen.  Auch 
darin  offenbart  sich  jener  charakteristischste  Grundzug  der  Romantik, 
das  All  als  Bewegung  aufzufassen. 

Aus  dieser  Wurzel  alles  Romantischen  könnte  wohl  das  bewegte, 
lyrisch-musikalische  Phantasielustspiel  sprossen.  Aber  daran  mußte 
auch  wieder  das  eigentliche  Dramatische  der  Romantik  scheitern,  das 


21A  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

nicht  wie  das  Lyrische  in  einer  Bewegungsrichtung  fließt,  sondern 
den  Kampf  entgegengerichteter  Tendenzen  spiegelt.  Diese  Tendenzen 
mögen  Bewegungen  sein,  aber  ihr  Kampf  bedingt  einen  Schnittpunkt, 
einen  Ruhepunkt,  in  dem  die  Bewegungen  sich  treffen,  türmen  und  die 
Entscheidung  finden.  Das  Drama  ist  daher  von  einem  Knotenpunkte 
aus  aufgebaut,  mag  dieser  auch  nicht  in  der  Mitte  liegen,  während 
das  lyrische  Gedicht  von  einem  Ausgangspunkt  aus  strahlenförmig 
sich  bewegt.  Der  lyrische  Strahl  ist  daher  an  sich  unbegrenzt,  er 
entspricht  der  grenzenlosen  Bewegung  der  Romantik.  Der  dramatische 
Aufbau  —  oder  auch  Abbau  wie  in  analytischen  Formen  —  dagegen 
ist  stets  begrenzt,  da  die  Ökonomie  des  Dramas  nicht  erlaubt,  mehr 
Triebkräfte  in  Bewegung  zu  setzen  als  zur  Schürzung  des  Knotens 
notwendig  sind  oder  als  bei  der  Aufdröselung  zur  Entfaltung  kommen. 
Das  romantische  Drama  sucht  das  Erlebnis  des  bewegten  Lebens 
wiederzugeben  und  vergißt,  daß  das  Dramatische  nur  einen  begrenz- 
ten Ausschnitt  des  Lebens  in  Personen,  Dingen  und  Kräften  zu  geben 
vermag.  Dem  romantischen  Drama  fehlt  daher  die  Möglichkeit  zur 
Gestaltwerdung;  der  Romantiker  hat  auch  gar  nicht  den  Willen  dazu, 
da  er  seinem  inneren  strömenden  Gehalt  die  entsprechende  Form  zu 
geben  sucht,  die  in  ihrer  Entsprechung  keine  Formung  ist  noch  sein 
kann,  sondern  nur  unbedingter,  ungehemmter  Ausdruck.  Daher  jenes 
Zerfließen,  jene  Knochenerweichung,  die  romantische  Dramatik  keinen 
festen  Halt  auf  der  Bühne  gewinnen  läßt. 

Beflügelte  Phantasie,  Lyrismus,  Verleugnung  der  Gesetze  der  Wirk- 
lichkeit, spielende  Ironie:  überall  liegen  Bausteine  zu  den  beliebten 
romantischen  Märchenkomödien,  deren  Musterbildner  der  allzeit  be- 
wegliche Tieck  ist,  der  als  Berliner  eine  besondere  Begabung  zu  der 
darin  vorherrschenden  parodistischen  Schilderung  mitbringt.  Denn 
diese  Märchenkomödien  sind  nicht  naiv,  sie  sind  höchst  bewußt,  sie 
dienen  intellektuellen  Zwecken.  Wie  stets  Neuerer,  sind  die  Roman- 
tiker Kämpfer.  Auch  die  Märchenkomödien  sind  Mittel  ihres  Kampfes 
gegen  zu  überwindende  Anschauungen.  Sie  sind  Satire,  die  nach 
der  Romantiker  Theorie  am  Anfang  erstrebter  Transzendentalpoesie 
stehen  muß  als  Ausdruck  der  absoluten  Verschiedenheit  des  Idealen 
und  Realen. 

b)  Aristophanes. 

Den  praktischen  Anstoß  aber  zur  Form  der  romantischen  Komödie 
hat  ein  geschichtliches  Vorbild  gegeben:  Aristophanes.  Die  so  unab- 
hängig sich  gebärdende  Romantik  kann  der  Vergangenheit  nicht  ent- 
raten.  Im  Laufe  ihrer  Entwicklung  tritt  dies  stärker  als  zu  Beginn 
hervor,  so  daß  allmähHch  neben  das  Reich  willkürlicher  Geistigkeit 
das  Reich  der  Wirklichkeit  gesellschaftlicher  Gegebenheiten,  neben  das 
Reich  zeitloser  Natur  das  Reich  geschichtlicher  Vergangenheit  tritt: 
die  freie  solipsistische  Romantik  endet  in  Legitimität  und  Tradition. 


Satiren  und  Märchenkomödien:  Aristophanes.  215 

Diese  Historisierung  der  Weltanschauung  im  Zeitalter  des  absoluten 
Idealismus  hat  bereits  in  dem  extremsten  Subjekt! visten,  in  dem  Theo- 
retiker der  Frühromantik  Friedrich  Schlegel  eine  Vorbereitung  gefunden 
in  dessen  starker  Betonung  des  griechischen  Vorbilds.  Mit  ihm  sehen 
die  Romantiker  in  Aristophanes  den  glänzendsten  Vertreter  der  echten, 
einen  Rausch  der  Fröhlichkeit  darstellenden  Komödie,  die  sie  den 
moralsalbademden,  rührseligen  Ifflandiaden  entgegenstellen. 

Bei  Aristophanes  herrscht  freie  Phantasie.  Ungehemmt  durch  Dar- 
stellungsabsichten verstandesmäßig  erkennbarer  Realität  kann  er  seine 
tolle  Possenlaune  ein  Reich  der  Fröhlichkeit  errichten  lassen,  das,  ob- 
wohl nicht  von  dieser  Welt,  dennoch  und  gerade  deshalb  das  Mensch- 
liche und  Allzumenschliche  in  nackter  Reinheit  in  Erscheinung  treten 
läßt.  Er  scheut  nicht  die  Zote,  ist  er  sich  doch  des  phallischen  Ur- 
sprungs der  Komödie  wohl  bewußt,  er  scheut  sich  auch  nicht,  die 
Komödie  als  Organ  seines  Kampfes  gegen  ihm  widerwärtige  Formen 
der  Politik  und  Literatur  seiner  Zeit  zu  gebrauchen.  Die  Komödie  ist 
der  Tummelplatz  seines  an  witzigen  Einfällen,  an  beißendem  Spott, 
an  lustiger  Erfindung  überreichen  Geistes,  der  aber  selbst  in  tollster 
Ausgelassenheit,  in  groteskem  Übermut,  in  schärfster  Bitterkeit  nie 
Gesundheit  der  Gesinnung,  Anmut  der  Form  vermissen  läßt. 

Romantisches,  in  ungehemmter  Spottlaune  sich  äußerndes  Über- 
legenheitsgefühl hätte  kein  besseres  Vorbild  sich  wählen  können.  Um 
so  eher  fand  man  den  Weg  zu  ihm,  als  auch  die  Farcendichtung 
Hans -Sachsischer  Manier,  die  der  vom  bewunderten  jungen  Goethe 
geführte  Sturm  und  Drang  gepflegt  hatte,  aus  aristophanischem  Geiste 
geboren  war.  Ähnlich  leichtgeschürzte  Fastnachtschwänke  sind  Ludwig 
Tiecks  „Ein  Prolog"  und  „Der  neue  Herkules  am  Scheidewege"  (1800), 
der  in  seiner  späteren  Benennung  ,,Der  Autor,  ein  Fastnachtschwank'' 
diese  Verwandtschaft  auch  direkt  ausspricht. 

Des  Aristophanes  noch  heute  lebendige  Wirkung  entsprießt  dem 
Dionysosmythos,  der  seiner  Komödie  zugrunde  liegt  und  demgegen- 
über die  Satire  immer  nur  beigeordneter  Bestandteil  bleibt.  Und 
selbst  wenn  sie  in  den  Vordergrund  drängt,  empfängt  sie  ihre  Be- 
seelung durch  jenen  Mythos.  Da  er  der  Romantik  fehlt,  so  sucht 
Tieck  einen  Ersatz  dafür  in  der  Märchenpoesie.  Diese  ist  dem  Ber- 
liner Tieck  aber,  um  mit  Gundolf  zu  reden,  nicht  Urerlebnis,  sondern 
nur  Bildungserlebnis,  sie  bedeutet  daher  bei  ihm  nicht  wie  jener 
Mythos  bei  Aristophanes  Zeugung,  sondern  Ausstattung.  Sie  beseelt 
nicht  Tiecks  Komödien,  sondern  verleiht  ihnen  nur  die  Kleidung.  Aus- 
gefüllt wird  diese  durch  die  beabsichtigte  Satire,  die  damit  Wesens- 
kern, Hauptelement  ist  und  mit  ihrer  intellektuellen  Schärfe  gar  zu 
häufig  das  phantastische  Gewand  auflöst.  Am  besten  noch  gewahrt 
ist  das  Märchenhafte  in  Tiecks  ,, Gestiefeltem  Kater". 

Weiter  war  Aristophanes  als  Bürger  Athens  Glied  eines  Staates, 
der  gerade   zu    seiner  Zeit  eine  Kulturblüte  sondergleichen   erlebte 


2l6  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 


und  der  durch  seine  demokratische  Verfassung  freieste  Meinungs- 
äußerung gestattete.  In  Deutschland  war  das  Nationalbewußtsein  erst 
in  der  Entstehung,  die  Teilnahme  des  Bürgers  am  Staate  beschränkt, 
seine  Kritik  verboten  und  endlich  die  Kulturhöhe,  die  durch  die 
Klassik  bezeichnet  wird,  so  wenig  Gemeingut  geworden,  daß  selbst 
ein  Goethe  weichen  mußte,  wenn  sein  Fürst  einen  Pudel  auf  der  Bühne 
zu  sehen  wünschte,  daß  Iffland  und  Kotzebue  unvergleichlich  größeren 
Erfolg  hatten  als  Goethe  und  Schiller.  Über  diese  Literaturzustände 
aber  war  wenigstens  freie  Meinungsabgabe  erlaubt.  Des  Romantikers 
satirisches  Bedürfnis  fand  hier  ein  Betätigungsfeld ;  und  doch  wie  groß 
ist  der  Unterschied  auch  in  den  Objekten  der  Literatursatire  eines 
Aristophanes  und  eines  Tieck:  dort  Sokrates,  Euripides,  hier  Iffland, 
Kotzebue.  Wenn  das  Objekt  einer  Satire  infolge  seiner  nur  ephemeren 
Bedeutung  für  spätere  Zeit  tot  ist,  dann  muß  auch  die  Satire  selbst 
einen  großen  Teil  ihrer  Wirkung  verlieren.  Dieses  Schicksal  haben 
die  Romantikersatiren  erfahren  müssen.  Wenn  sie  gelegentlich  in  der 
Gegenwart  neu  aufgeführt  werden,  so  bleiben  solche  Versuche  der 
Wiederbelebung  immer  Experimente  für  literarisch  Gebildete. 

c)  Satiren. 

Von  Vorstehendem  macht  Tiecks  „Gestiefelter  Kater"  (1797)  keine 
Ausnahme,  obwohl  seine  Verbindung  naiver  Volksmärchenstimmung 
mit  ursprünglichem  Witz  noch  am  ehesten  den  Zeitwandel  über- 
dauert. Die  Satire  richtet  sich  außer  gegen  Jünger,  Stephanie  d.  J., 
Schikaneder,  Kotzebue  in  der  Hauptsache  gegen  Iffland  und  dessen 
Lobredner  Böttiger  sowie  gegen  das  philiströse  Publikum,  das  im 
platten  Aufkläricht  befangen  echte  Poesie  verkennt  und  rührselige 
Familiendramatik  preist.  Tiecks  romantische  Ironie  betätigt  sich 
darin,  daß  Zuschauer  und  Darsteller  gemeinschaftlich  Schauspielen. 
Durch  diese  Art  des  Stückes  im  Stück,  das  an  sich  ein  uraltes,  auch 
von  Lenz  in  „Die  Freunde  machen  den  Philosophen"  benutztes  Motiv 
ist,  wird  das  Neue  der  romantischen  Komödie  gewonnen,  das  in  einer 
jedesmaligen  Zerstörung  der  Illusion  beruht,  sobald  diese  gerade  zu 
wirken  beginnt.  Diese  ironische  Desillusionierung  bedeutet  ein  ästhe- 
tisches Selbstmordspiel  der  Komödie,  das  dieser  eine  flimmernde  Be- 
weglichkeit verleiht.  Der  bunte  Wechsel  von  Parterre  und  Bühne, 
Zuschauer  und  Darsteller,  Spiel  und  Spiel  im  Spiel  —  Pate  standen 
außer  Aristophanes  und  Shakespeare  ebensowohl  Holberg  wie  der 
dem  improvisatorisch  veranlagten  Tieck  geistesverwandte  Gozzi  — 
hätte  wohl  ein  launiges  Phantasielustspiel  entstehen  lassen  können, 
wenn  nicht  der  Berliner  Tieck  durch  seinen  Intellekt  in  der  Satire 
die  Phantasie  immer  wieder  zerstört  hätte,  nicht  etwa  unbewußt,  son- 
dern aus  der  gewollten  Willkür  des  romantischen  Dichters   heraus. 

„Gewissermaßen  eine  Fortsetzung  des  « Gestiefelten  Katers  > "  kün- 
digte Tieck  in  „Prinz  Zerbino   oder  die  Reise  nach   dem  guten  Ge- 


Satiren   und  Märchenkomödien:   Satiren.  217 

schmack"  an  (1799).  Romantische  Ironie  treibt  hier  noch  tollere  Blüten. 
Mitten  im  Stücke  fängt  plötzlich  der  Dichter  auf  der  Bühne  an,  das 
Stück  umzukehren,  so  daß  wie  bei  einem  rückwärts  gekurbelten  Film 
die  bereits  gespielten  Szenen  sich  in  umgekehrter  Reihenfolge  wieder- 
holen. Mit  dieser  witzigen  Erfindung  ist  das  Bühnendrama  natürlich 
erledigt;  von  Dramatik  kann  hier  keine  Rede  mehr  sein.  Dazu  fehlt 
dem  ,,Zerbino",  der  auch  im  Phantastischen  Eigentum  des  Dichters 
ist,  jene  stimmungsvolle  Märchenfabel.  Andrerseits  bietet  aber  „Zer- 
bino"  dem  Leser  wahrhaft  poetische  Schönheiten  in  den  lyrischen 
Partien,  und  außerdem  schreitet  hier  die  negative  Satire  gegen  Kleine 
der  Tagesliteratur  zur  positiven  Musteraufstellung  Großer  der  Welt- 
literatur. Wie  der  „Zerbino"  zeigt  auch  die  im  gleichen  Jahre  er- 
schienene „Verkehrte  Welt",  die  vom  Epilog  zum  Prolog  verläuft, 
bei  absoluter  Auflösung  alles  Dramatisch -Tektonischen  emotionell: 
lyrisch-musikalische  Stimmungspoesie,  intellektuell:  Verbreiterung  der 
Grundlage  derart,  daß  darin  die  Satire  sich  nicht  nur  literarische  Ziele 
setzt,  sondern  die  prosaisch-platte  Aufklärung  in  ihrer  Gesamtheit  als 
kulturelle  Verödung  verspottet. 

Für  die  romantische  kämpferische  Jugend  war  Tiecks  parodisti- 
sches  Schaffen  vorbildlich.  Als  sich  nun  1799  Kotzebue  mit  seinem 
„Hyperboreischen  Esel"  offen  als  Gegner  enthüllt  hatte,  da  folgten 
rasch  ihre  Gegenschläge.  Schon  1800  verspottete  Clemens  Brentano 
im  „Gustav  Wasa"  das  gleichnamige  Stück  Kotzebues,  wobei  er  sich 
den  Witz  erlaubte,  seine  Satire  als  Fortsetzung  des  „Hyperboreischen 
Esels"  auszugeben.  Und  auch  die  eigenthchen  Angegriffenen,  die 
Brüder  Schlegel,  blieben  die  Antwort  nicht  schuldig.  August  Wilhelm 
Schlegel  errichtete,  indem  er  des  Angreifers  Methode  der  Stoffsamm- 
lung aus  des  Angegriffenen  Dichtungen  verwertete,  die  „Ehrenpforte 
und  Triumphbogen  für  den  Theaterpräsidenten  von  Kotzebue"  (1801) 
und  zahlte  darin  mit  sprühendem  Witz  und  schneidender  Satire  Kotze- 
bue alle  Angriffe  gedoppelt  zurück.  Allerdings  stehen  Brentano  wie 
Schlegel  hinter  Tieck  zurück,  da  sie  dessen  kulturelle  Breite  vermissen 
lassen;  dagegen  zeigt  sich  wenigstens  Schlegel  mit  „Ein  schön  kurz- 
weilig Fastnachtspiel  vom  alten  und  neuen  Jahrhundert.  Tragiert  am 
ersten  Januarii  im  Jahre  1801"  Tieck  entschieden  überlegen  in  der 
historischen  Form  der  Hans-Sachs-Goetheschen  Farcen. 

Die  Romantiker  sind  stolz  darauf,  Träger  eines  neuen  Bildungs- 
ideals zu  sein  und  lassen  ungern  Gelegenheiten  verstreichen,  den  zu 
überwindenden  Anhänger  der  Aufklärung  als  Bildungsphilister  —  eine 
von  Haym,  dem  Historiker  der  Romantik,  zuerst  gedruckte  Prägung  — 
zu  verspotten.  Ähnlich  erhaben  hatten  sich  die  Stürmer  und  Dränger 
ihren  Zeitgenossen  gegenüber  gefühlt.  Diese  überlegene  Einstellung 
kommt  bereits  im  Titel  zum  Ausdruck  in  Eichendorffs  dramatischem 
Märchen  „Krieg  den  Philistern"  (1824).  Hier  zeigt  sich  aber  auch 
schon  die  Neigung  des  Romantikers,  selbstbewußt  auch  das   eigene 


2l8  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

Lager  satirischer  Kritik  nicht  zu  entziehen.  Er  lehnt  gleichermaßen 
die  platten  Antiromantiker  wie  die  verstiegenen  Romantiker  selbst  ab. 
Ähnlich  wendet  sich  auch  Ludwig  Robert,  der  Bruder  der  Rahel  von 
Varnhagen,  in  „Kassius  und  Phantasus  oder  der  Paradiesvogel"  (1825) 
ebensowohl  gegen  die  sentimentale  Spießbürgerlichkeit  Kotzebuescher 
Familiengemälde  wie  gegen  romantische  Verschrobenheit,  zugleich 
aber  greift  er  mit  seiner  Satire,  die  übrigens  ziemlich  geist-  und  witz- 
los ist,  die  Schicksalstragödie  an. 

Diese  Schicksalstragödie  ist  ein  sonderbares  Zwitterprodukt  roman- 
tischer Zeit,  das  romantische  Stimmungen  mit  einem  Epigonentum 
Schillers  verknüpft.  Der  Schicksalsbegriff,  den  Schiller  sich  aus  der 
Antike  geholt  hatte,  wird  romantisch  durchsetzt  mit  Gefühlen,  wie  sie 
Tiecks  Waldeinsamkeitsschauern  und  E.  Th.  A.  Hoffmanns  grausigen 
Gespenstergeschichten  entsprechen.  Schillers  Vorbild  und  das  strenge 
Gesetz  notwendigen  Handlungsverlaufs,  das  durch  das  bestimmende, 
unentrinnbare  Schicksal  gegeben  ist,  verleihen  diesen  Tragödien  eine 
Geschlossenheit  und  damit  Theaterfähigkeit,  wie  sie  sonst  dem  roman- 
tischen Drama  durchaus  unbekannt  sind.  Deshalb  ihr  Erfolg,  dem  Mit- 
läufer der  Bewegung  um  so  eher  nachstrebten,  als  seine  Erzielung 
keine  großen  Anforderungen  an  dichterische  Genialität  erhob.  Da 
damit  der  bereits  von  Minor  und  Walzel  beobachtete  Übergang  von 
der  Schicksalstragödie  zum  Zufallsdrama  beschleunigt,  die  ganze 
Schicksalsdramatik  veräußerlicht  und  verflacht  wurde,  so  konnte  die 
Reaktion  gerade  bei  den  dichterisch  Begabteren  nicht  ausbleiben.  Sie 
äußerte  sich  gemäß  romantischem  Brauch  in  Satiren. 

Selbst  Houwald,  der  18 19  mit  seinem  „Leuchtturm"  die  schlimmste 
und  schwächste  der  Schicksalstragödien  veröffentlicht,  satirisiert  bereits 
ein  Jahr  zuvor  die  Gattung  in  „Seinem  Schicksal  kann  Niemand  ent- 
gehen". Im  gleichen  Jahre  verspottet  Castellis  „Der  Schicksalsstrumpf" 
die  Werner,  Müllner  und  Houwald,  und  im  folgenden  Jahre  wandelt 
Anton  Richter  ähnliche  Bahnen  in  „Eumenides  Düster".  Noch  1827 
verlacht  Eichendorff  im  Ton  Tieckscher  Ironie  neben  sonstigen  Mode- 
torheiten die  Schicksalsdramen  in  „Meierbeths  Glück  und  Ende". 

Der  bedeutendste  Gegner  aber  erwuchs  der  Schicksalstragödie  in 
Platen.  Seine  1826  entstandene  „Verhängnisvolle  Gabel"  zählt  zu 
den  besten  dramatischen  Literatursatiren,  die  wir  in  Deutschland  be- 
sitzen. Ihr  Vorzug  liegt  nicht  so  sehr  in  dem  dramatischen  Aufbau 
als  in  der  vollendeten  Sprachform  und  dem  aristophanischen  Gehalt. 
Seit  1794  Friedrich  Schlegel  den  ästhetischen  Wert  der  griechischen 
Komödie  dargelegt  hatte,  war  Aristophanes  das  bewunderte  Vorbild 
romantischer  Komödienkunst  geworden.  Die  Romantik  hat  erst  das 
Verständnis  erschlossen  für  die  poetische  Grundstimmung  und  den 
grotesken  Stil  des  Aristophanes.  Sie  wuchert  darin  mit  einem  vom 
Sturm  und  Drang  überkommenen  Erbe.  Hamann,  Lenz,  Goethe  haben 
aristophanische  Literatursatiren   geschrieben,   stammt  doch   auch   die 


Satiren  und  Märchenkomödien:   Satiren.  219 

treifende  Bezeichnung  des  Aristophanes  als  „der  ungezogene  Lieb-, 
ling  der  Grazien"  von  Goethe.  Nachdem  nun  Romantiker  wie  Tieck, 
A.  W.  Schlegel,  Eichendorff  auf  Grund  theoretischer  Einsicht  eine 
Neubelebung  aristophanischer  Satire  betrieben  hatten,  erstrebte  Graf 
August  von  Platen  den  Ehrentitel  eines  deutschen  Aristophanes.  Um 
die  Schicksalstragödie  zu  persiflieren,  sucht  er  die  aristophanische  Ko- 
mödie in  Charakter  und  Form  nachzuahmen,  wobei  er  gepfefferte  Zoten 
einstreut,  die  ihn  als  Anhänger  von  Wilamowitz'  Wort  erkennen  lassen : 
,,Wer  den  Phallus  nicht  ehrt,  ist  der  Komödie  nicht  wert".  Doch  die 
Ungeschminktheit  des  Ausdrucks,  die  Überlegenheit  des  Spottes,  die 
Geschliff"enheit  der  Form  lassen  nicht  den  widerwärtigen  Eindruck 
des  Lüsternen  aufkommen.  Da  Platen  außerdem  mit  vollem  Bedacht 
und  im  Gegensatz  zu  romantischer  Praxis  Rücksicht  auf  die  Bühnen- 
erfordernisse genommen  hat,  so  werden  Neuaufführungen  der  Satire 
immer  wieder  auf  Erfolg  rechnen  können,  obwohl  das  stoffliche  Inter- 
esse mit  der  Schicksalstragödie  abgestorben  ist.  Mit  den  Schicksals- 
dramatikern Müllner,  Houwald  sind  noch  der  süßliche  Mimili-Clauren, 
der  philiströse  Kotzebue  und  der  geschwätzige  Raupach  Zielscheibe 
seines  Spottes. 

Der  zwei  Jahre  später  erschienene  „Romantische  Oedipus"  zeigt 
die  Zahl  der  Angrififsobjekte  noch  vermehrt.  Jetzt  wendet  sich  Platen 
gegen  die  shakespearisierenden  und  calderonisierenden  Spektakel- 
stücke, die  im  Gefolge  der  romantischen  Shakespeare-  und  Calderon- 
übersetzungen  Mode  wurden.  Als  typischer  Vertreter  dieser  spätroman- 
tischen Schauerdramatik,  die  das  ganze  Leben  des  dargestellten  Hel- 
den von  der  Wiege  bis  zur  Bahre  vorführt,  wird  unter  dem  durchsich- 
tigen Decknamen  Nimmermann  unverdienterweise  Immermann  als 
der  Held  des  Rahmenspiels,  dessen  Dramatik  im  Zwischenstück 
parodiert  wird,  mit  blutigem  Hohn  überschüttet.  Die  ungehemmt 
fließende  Erfindung,  der  Reichtum  an  Witz,  die  vollendete  Sprach- 
beherrschung lassen  hier  eine  Literatursatire  entstehen,  die,  wie  die 
,, Verhängnisvolle  Gabel",  ihresgleichen  nur  noch  in  der  souveränen 
Geistesfreiheit  der  aristophanischen  „Frösche"  findet.  Wohl  bricht 
immer  wieder  d,er  maßlos  eitle  Verfasser  durch,  aber  Ausgangspunkt 
seiner  Satire  ist  doch  eine  tief  innere,  aufrichtige  und  leidenschaft- 
liche Überzeugung  von  der  dichterisch  wie  sittlich  gleichermaßen 
verderbten  und  verderblichen  Afterkunst  der  Spätromantik. 

Während  die  souveräne  Beherrschung  wechselnder  Versmetren 
immerhin  eine  direkte  Weiterbildung  Tieckschen  Formenreichtums 
durch  eine  Fülle  antiker  Mal^e  darstellt,  zeigt  der  Gehalt  einen  grund- 
sätzlichen Unterschied  dadurch,  daß  an  Stelle  jener  spielerischen 
Intellektualität,  die  alles  in  sich  aufhebt,  ein  tiefer  sittlicher  Ernst  ge- 
treten ist.  Es  off"enbart  sich  darin  jene  Sonderstellung  Platens  zur 
Romantik,  die  ihm,  obwohl  er  in  der  Romantik  wurzelt,  ihr  untrenn- 
bar verbunden  ist,  doch  ein  klassizistisches  Gepräge  verleiht.    Er  teilt 


220  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 

mit  den  Romantikern  die  Bewußtheit  des  Schafifens,  aber  während 
deren  Subjektivitätsgefühl  auch  vor  dem  eigenen  Ich  nicht  hahmacht, 
sich  selbst  vernichtet  und  damit  das  Bewußte  und  als  solches  Ge- 
staltete wieder  ins  Bewußtlose  verflüchtigt,  ins  Ungestaltete,  Chaotische 
auflöst,  steht  ihm  dieses  Ich  unerschütterlich  fest  als  eine  begnadete 
und  darum  verantwortliche  Künstlerpersönlichkeit.  Gewiß  sind  die 
Romantiker  in  Schillers  Sinn  sentimentalisch,  sind  doch  romantisch 
und  sentimentalisch  Synonyme,  aber  ihre  Selbstübersteigerung  läßt 
sie  ins  Naive  umschlagen.  Darin  zeigt  sich  ihre  Ziel-,  Maß-  und 
Grenzenlosigkeit. 

Nur  der  ungehemmte  Spieltrieb  vermag  jene  jauchzende  Lust  zu 
zeugen,  die  tiefe,  tiefe  Ewigkeit  will.  Platen  lechzt  nicht  nach  diesem 
dionysischen  Rausch,  er  strebt  nach  der  apollinischen  Weihe.  Er  setzt 
an  Stelle  der  Vergottung  des  Spielerischen  das  Pflichtgebot  des  Ernstes, 
dem  brausenden  Strome  setzt  er  Dämme  in  grenzbestimmenden  Maßen. 
Er  begibt  sich  seiner  Bewußtheit  nie,  er  wird  nie  naiv.  Diese  ein- 
geborene Wesenstendenz  kann  durch  den  Bildungsprozeß  zurück- 
gedrängt werden,  zwangsläufig  bricht  sie  aber  bei  seiner  allmählichen 
Reifung  durch.  Seine  Literatursatiren  bleiben  daher  nicht  im  rein 
Spielerischen,  Auflösenden,  Satirisch-Negativen  haften,  in  den  Para- 
basen  schreitet  er  zur  Aufstellung  bestimmter,  positiver  Werte.  Vor 
allem  aber  war  dem  Formkünstler  jene  romantische  Polarität,  die  Poe- 
tisches und  Prosaisches  nebeneinander  häufte,  im  Innersten  zuwider. 
Klassizistisch  sucht  er  die  Disharmonien  zu  versöhnen,  in  einer  höheren 
Einheit  aufzuheben:  in  der  Schönheit  der  Formgebung. 

Wenn  Platen,  als  ein  zweiter  ungezogener  Liebling  der  Grazien, 
in  klassischem  Bestreben  einer  Fülle  von  Derbheiten  und  Zynismen 
die  reine  Form  der  Anmut  verleiht,  so  offenbart  sich  ganz  im  Gegen- 
satz dazu  der  gleichzeitige  Christian  Dietrich  Grabbe  als  echter  Ro- 
mantiker, der  in  bewußt  barockem  Stilwillen  seine  Literatur-  und 
Zeitsatire  „Scherz,  Satire,  Ironie  und  tiefere  Bedeutung"  (1822,  ge- 
druckt 1827)  zur  üppig  wuchernden  Groteske  anschwellen  läßt.  Die 
sittliche  Leidenschaftlichkeit  eines  zerrissenen,  mit  sich  selbst  und 
der  Welt  zerfallenen  Charakters  duldet  keine  Dämpfung  und  Klärung. 
Sie  taucht  ihre  spontan  hervorbrechenden  Ein-  und  Ausfälle  in  eine 
elektrisch  geladene  Atmosphäre,  um  die  Schwüle  immer  wieder  durch 
zuckende  Blitze  zu  zerreißen,  in  denen  sich  die  Verbitterung  des 
Autors  entladen  möchte.  Die  beißende,  ironisch-satirische  Groteske, 
die  sich  selbst  einbezieht  und  gegen  Pedanterie  und  erheuchelten 
Gefühlsüberschwang,  gegen  Verwaschenheit  des  Ausdrucks  und  Er- 
findungsarmut loszieht,  gleichermaßen  gegen  Naturforscher,  Dichter, 
Journalisten,  Philologen  —  sie  verhindert  die  rein  humorische  Wir- 
kung; Grabbe  spricht  sich  sein  Urteil  selbst,  wenn  er  den  Teufel 
sagen  läßt:  „Die  Hölle  ist  die  ironische  Partie  des  Stücks  und  ist 
dem  Primaner,   wie  das   so  zu  gehen  pflegt,  besser  geraten  als  der 


Satiren  und  Märchenkomödiea :   Märchenkomödien.  221 


Himmel,  welches  der  rein  heitere  Teil  desselben  sein  soll"  (II,  2). 
Wir  stehen  verwirrt  vor  diesem  vulkanisch-barocken  Talent  GraV)bes, 
das  auch  heute  noch  —  und  heute  mehr  denn  je  —  seine  Wirkung 
nicht  verfehlt,  wir  erleben  aber  nicht  die  Freiheit  eines  rein  humorisch 
gestalteten  Lustspiels. 

d)  Märchenkomödien. 

Grabbes  Stück  teilt  damit  das  Schicksal  aller  jener  bisher  be- 
trachteten Romantikerkomödien:  das  satirische  Interesse  verdrängt  in 
ihnen  das  rein  menschliche.  Dieses  findet  weit  besseren  Ausdruck 
in  dem  Lustspiele  von  Clemens  Brentano  ,,Ponce  de  Leon"  (1800), 
worin  uns  ein  intuitiv  geschautes  romantisches  Lebensbild  geboten 
wird,  das  gar  manchen  charakteristischen  Zug  seines  zwiespältigen 
Verfassers  trägt.  Es  steht  unter  dem  Zeichen  der  Liebe.  Ponce,  der 
sich  in  romantischer  Sehnsucht  von  innerer  Leere  bedrückt  fühlt,  sucht 
sie  mit  Liebschaften  auszufüllen,  bis  ihn  die  Liebe  selbst  beseelt,  ihm 
Inhalt  gibt,  von  ihm  Besitz  nimmt.  Dieser  Werdegang  eines  Roman- 
tikers ist  mit  graziöser  Freiheit  skizziert.  Nur  Brentano  konnte  aus 
eigenem  Erleben  heraus  das  sinnliche  Wunder  weiblicher  Schönheit 
so  durchgeistigen.  Keine  moralischen  Bedenken  greifen  irgendwie 
störend  ein.  Ein  Reichtum  von  Gefühl  und  Gemüt  ist  ausgeschüttet, 
das  Ganze  durchdrungen  von  den  tausendfach  blitzenden  Strahlen 
des  leichtbeschwingten  Intellekts,  der  sich  in  hin-  und  herhuschenden, 
sich  jagenden  und  überstürzenden,  quecksilbrigen  Wortspielen  nach 
Herzenslust  tummelt.  Und  mitten  in  diesem  tollen  Karnevals  wirr  warr 
wieder  sanft  ausladende  Oasen  beschaulicher  Gefühlsruhe  in  solchen 
Perlen  der  Lyrik  wie  die  Lieder:  „Ich  wollt'  ein  Sträußlein  binden" 
oder  „Nach  Sevilla,  nach  Sevilla".  Goethe  bereits,  der  das  reizende 
Lustspiel  nicht  für  aufführbar  hält,  muß  doch  seinen  „guten  Humor" 
rühmen,  und  Roethe  urteilt:  „So  individuell  das  Problem  gefärbt  ist, 
es  ermangelt  nicht  des  allgemein  Menschlichen,  des  tiefsinnig  Typi- 
schen", „Eine  geistreiche,  nie  ermattende  Spielfreude  löst  den  ernsten 
seelischen  Gehalt  wohl  auf,  aber  so,  daß  er  alles  durchdringt". 

Auch  hier  ist  der  Triebquell  der  Kunst  jene  romantische  Ironie, 
doch  nicht  so  sehr  als  Ausdruck  mutwilliger  oder  auch  pathetisch 
gestimmter  Geistreichigkeit,  sondern  mehr  als  Ausdruck  überschäumen- 
der Lebensfülle.  In  orgiastischem  Rausch  läßt  sie  Geist  und  Gefühl, 
individuelles  Erkennen  und  kosmisches  Erleben  ineinanderströmen 
und  schafft  dadurch  in  uns  ein  Ahnen  jener  Sphäre,  die  wir  reine, 
freudvolle  Lust  nennen.  Die  Freude  ist,  nach  Friedrich  Schlegel,  der 
eigentümliche,  natürhche  und  ursprüngliche  Zustand  der  höheren 
Natur  des  Menschen.  Die  Erregung  dieser  Freude  in  uns  bezeugt 
das  humorische  Talent  Brentanos.  Mehr  als  der  stachlig-satirische 
Aristophanes  steht  ihm  der  heiter-launige  Shakespeare  Pate.  Und  da 
Brentano  mit  seinem  Lustspiel  den  Preis   des  Propyläen  Wettbewerbs 


222  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:   Romantik. 

aus  den  Händen  der  Klassiker  zu  erlangen  hofft,  so  bemüht  er 
sich  auch,  die  illusionszerstörende  romantische  Auflösung  zurück- 
zudämmen  zugunsten  einer  einigermaßen  geschlossenen,  bühnen- 
fähigen Handlung.  Wenn  ihm  dies  auch  nicht  zur  vollen  Zufrieden- 
heit des  Klassikers. Goethe  gelang,  so  hat  er  damit  doch  dem  roman- 
tischen Phantasielustspiel  Bahnen  gewiesen,  auf  denen  allein  das 
höchste  Ziel  erreichbar  ist. 

Auf  diesen  Bahnen  wandelt  auch  Platen  mit  seinen  Märchen- 
komödien. Da  ihm  blühende,  aus  dem  Innern  treibende  Phantasie 
versagt  ist,  sein  schönheitsdurstendes  Auge  aber  an  nüchterner  Wirk- 
lichkeit kein  Genügen  findet,  so  greift  er  zu  Märchen  als  willkommenen, 
phantasiereichen  Stoffen,  um  sie  durch  seine  Formkunst  zu  gestalten. 
Der  Zuschuß  von  Eigenem  ist  gedanklicher  Art,  ist  kein  Erlebnis, 
sondern  Ergebnis  kritischer  Auseinandersetzung  mit  Zeiterscheinungen. 
Was  in  den  Literaturkomödien  die  Grundlage  bildet,  das  ethisch- 
intellektuelle Urteil  über  Zeitmoden,  drängt  sich  auch  in  den  Märchen- 
boden seiner  Märchenkomödien.  Daraus  entsteht  ein  Mißklang  von 
Gefühl  und  Verstand,  von  Symbol  und  Allegorie,  über  den  wohl 
seine  Formkunst  zeitweise  hinwegzutäuschen,  den  sie  aber  nicht  auf- 
zuheben vermag.  Aber  auch  die  Wirkung  der  kunstvollen  Form 
selber  wird  zwiespältig.  Platens  bewundernswerte  Gestaltungskraft 
bewältigt  den  entliehenen  Märchenstoff  derart,  daß  er  ihn  zu  Eigenem 
macht,  aus  dem  die  Form  mit  Notwendigkeit  erwächst.  Doch  wenn 
in  der  gleichen  Form  verstandesmäßige  Erkenntnisse  und  Entschei- 
dungen zu  uns  sprechen,  so  wirkt,  was  dort  notwendig  erschien,  hier 
zufällig,  was  dort  natürlich,  hier  spielerisch.  Damit  zahlt  Platen  den 
Zoll  seiner  Zugehörigkeit  zu  der  ihm  verhaßten  Romantik.  Auch  er 
bedient  sich  der  romantischen  Ironie,  er  kann  ihr  nicht  entgehen. 
Auch  er,  der  Gestaltungsmeister,  kann  nicht  im  großen  gestalten,  auch 
seine  Dramen  zerfließen,  lösen  sich  auf  in  intellektuellen  Wortspielen. 

„Der  gläserne  Pantoffel"  (1823)  hat  keine  Einheit.  Wohl  herrscht 
darin,  nach  Platen  selbst,  eine  einheitliche  Idee,  aber  zu  deren  Durch- 
bruch dienen  zwei  gleichbedeutenden,  voneinander  unabhängigen 
Trägem  selbständige,  voneinander  verschiedene  Handlungen.  Mit 
der  gleichen  Berechtigung  hätte  Platen  die  Idee  an  noch  mehr  Trägern 
mit  weiteren  neuen  Handlungen  zur  Darstellung  bringen  können. 
Daß  die  Heldin  der  Aschenbrödel-  und  der  Held  der  Dornröschen- 
Fabel,  jedes  in  seiner  Sphäre,  auf  den  gleichen  Gedanken  —  Über- 
windung des  Widerstandes  der  stumpfen  Welt  und  ihrer  prosaischen 
Denkweise  —  deuten,  setzt  die  Einheit  der  intellektuellen  Idee  noch 
keineswegs  in  Einheit  der  künstlerischen  um.  Daran  krankt  das 
liebenswürdige  Märchenspiel,  das  Tiecks  ,,Blaubart"-Spuren  folgt,  aber 
auch  unmittelbar  bei  den  Göttern  romantischer  Dramatik:  Calderon, 
Gozzi,  Shakespeare  sich  Rat  holt.  Trotz  allem  Streben  nach  Klassik 
kann  der  Dichter  seine  Zugehörigkeit  zur  Romantik  nicht  verleugnen. 


Satiren  und  Märchenkomödien:  Märchenkomödien.  22"^ 

Auch  das  charakteristische  desillusionierende  Element  romantischer 
Ironie  ist  vertreten  durch  den  shakespearisierenden  Narren.  Doch 
aller  Witz  und  Geist,  alle  Leichtigkeit  und  Anmut  vermögen  selbst 
dem  günstigsten  Beurteiler,  wie  Platens  Biographen  Rudolf  Schlösser, 
nicht  die  mangelnde  Personenplastik  und  das  Fehlen  des  dramatischen 
Lebensnervs  zu  ersetzen. 

Entschieden  kräftiger  gezeichnet  in  Handlungsverlauf  sowie  in 
charakteristischer  Menschengestaltung  ist  „Der  Schatz  des  Rhamp- 
sinit"  (1824).  Andererseits  sind  hier  allerdings  die  nach  romantischer 
Neigung  schon  im  ,, Gläsernen  Pantoffel"  vorhandenen  literarischen 
Anspielungen  noch  stark  erweitert,  nicht  zugunsten  des  Märchenspiels. 
Doch  gibt  der  rationalistische  Don  Quijote-Bliomberis  mit  seinem 
Sancho-Pansa- Kasper  ein  ergötzliches  Paar,  das  einen  wirksamen 
Kontrast  zu  Rhampsinits  Hof  bildet,  gerade  wie  die  köstliche  Wächter- 
szene den  weichen  Farben  des  Phantasiespiels  überraschend  wirkungs- 
volle derbrealistische  Töne  beimengt.  Vor  allem  darf  sich  ,,Der  Schatz 
des  Rhampsinit",  trotz  romantischer  Wucherungen,  im  Gegensatz  zum 
,, Gläsernen  Pantoffel",  der  Einheitlichkeit  rühmen,  die  durch  Span- 
nungselemente belebt  ist.  Trotzdem  er  mit  seinen  zahlreichen  Ver- 
wandlungen äußerlich  weniger  Rücksicht  auf  die  Bühnenerfordernisse 
nimmt,  übt  er  daher  eine  größere  Bühnenwirksamkeit  aus.  Doch  die 
Schwäche  des  zugrunde  liegenden  seelischen  Erlebnisses,  die  der 
Dichter  vergeblich  mit  Hilfe  seines  gebildeten  Geistes  zu  stärken  sucht, 
verhindert  eine  restlose  ästhetische  Befriedigung.  Im  Grunde  läßt 
sich  das  Urteil  über  Platen  nicht  besser  zusammenfassen  als  mit  den 
Worten  Goethes  nach  der  Lektüre  des  „Gläsernen  Pantoffels":  «Der 
Deutsche  verlangt  einen  gewissen  Ernst,  eine  gewisse  Größe  der  Ge- 
sinnung, eine  gewisse  Fülle  des  Innern.  —  Ich  zweifle  nun  keines- 
wegs an  Platens  sehr  tüchtigem  Charakter,  allein  das  kommt,  wahr- 
scheinlich aus  einer  abweichenden  Kunstansicht,  hier  nicht  zur  Er- 
scheinung. Er  entwickelt  eine  reiche  Bildung,  Geist,  treffenden  Witz 
und  sehr  viel  künstlerische  Vollendung;  allein  damit  ist  es,  besonders 
bei  uns  Deutschen,  nicht  getan". 

Eichen dorff  sucht  mit  seinen  mutwilligen  „Freiern"  (1833),  deren 
Vorlage  über  Jüngers  ,, Maske  für  Maske"  auf  Marivaux'  „Le  jeu  de 
l'amour  et  du  hasard"  zurückgeht,  noch  bewußter,  trotz  aller  Ver- 
kleidungs-  und  Verwechslungsmotive,  den  Gesetzen  klarer,  wirkungs- 
voller Bühnenpraxis  gerecht  zu  werden.  Doch  kommt  einerseits  der 
musikliebende,  stimmungszarte  Lyriker  erst  recht  nicht  aus  dem 
opakenen  Dunst  der  Romantik  zu  durchsichtiger,  heller  Wirklichkeit, 
und  andrerseits  fehlt  es  ihm  doch  an  dem  Erfindungsquell  eigentlich 
dramatischer  Phantasie,  obwohl  er,  über  sein  direktes  Vorbild  „Ponce 
de  Leon"  hinausgehend,  neben  dem  englischen  Paten  sich  noch  den 
Spanier  Lope  de  Vega  zur  Gevatterschaft  suchte.  Diesen  Mangel 
sucht  er  zu  verdecken  durch  eine  Überfrachtung  mit  Wortwitzen,  die 


224  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

aber  gerade  durch  ihre  Überzahl  in  der  leichten  shakespearisierenden 
Liebeskomödie  fast  schwerfällig  wirken. 

Eine  einfache  Heiratsintrige  im  Lustspielstile  des  i8.  Jahrhunderts 
ist  verbunden  mit  dem  beliebten  phantastischen  Standestauschmotiv, 
woraus  sich  eine  Fülle  von  Quiproquos  ergibt,  die  Grobheit,  Torheit, 
Verstand,  Laune,  Gefühl,  Berechnung  und  Liebe  toll  durcheinander- 
wirbeln. In  den  verkommenen  Vagabunden  Flitt  und  Schlender  er- 
scheinen, wie  aus  einer  Nestroyschen  Posse  geschnitten,  Ahnen  von 
Hauptmanns  „Schluck  und  Jau",  in  Leonard  ein  Sprößling  „Ponce 
de  Leons",  der  Malvoliotypus  des  streberhaften  Hofrats  Fleder  ge- 
sellt sich  den  Typen  des  simplen  Gärtners  mit  seinem  naiv- auf- 
geweckten Mühmchen,  des  Fremdwörter  verwechselnden  dicken  Wirts 
und  des  immer  lustigen  Jägers;  und  über  dieser  Galerie  verschieden- 
artigster Originale  steht  die  von  der  graziösen  Kammerzofen-Soubrette 
begleitete  Gräfin  Adele,  die,  gleich  Leonard,  von  brausenden  un- 
klaren Liebesgefühlen  durchloht,  sich  in  traumschwere  Sommernachts- 
erinnerungen an  das  romantische  Heidelberger  Schloß-  und  Land- 
schaftsbild versenkt  und  in  stimmungsvollster  Lyrik  überströmt. 

Dem  Brentanoschen  Lustspiel  am  nächsten  steht  das  des  allzu 
jung  verstorbenen  Georg  Büchner,  der  in  seinem  „Leonce  und  Lena" 
(1836),  wie  schon  der  Name  andeutet,  auch  äußerlich  von  dem  ersteren 
angeregt  wurde.  Mit  erstaunlicher  Freiheit  behandelt  der  Dreiund- 
zwanzigjährige  hier  in  romantischer  Technik  das  Thema  der  Ent- 
wicklung aus  der  Realität  zur  Idealität.  Büchner  vereinigt  in  sich  Ro- 
mantik und  Jungdeutschland,  die  Handlung  seines  Lustspiels  spiegelt 
daher  die  Gegensätzlichkeit  zweier  Weltanschauungen,  um  in  deren 
Vereinigung  echt  heinesch  ein  drittes  Reich  entstehen  zu  sehen. 
Der  byronisierende  Leonce  ist  einer  jener  Menschen,  die,  wie  Lena 
meint,  „unglücklich  sind,  unheilbar,  bloß  weil  sie  sind".  Sein  geistiger 
Vater  ist  jener  Melancholiker  Jacques  in  Shakespeares  schwermütig- 
heiterem Phantasielustspiel  ,,As  you  like  it".  Er  fühlt  die  bedrängende 
Leere  der  Wirklichkeit  und  wird  verzehrt  von  der  Sehnsucht,  dieser 
Langeweile,  die  sich  vergebens  vor  sich  selbst  in  einem  Scheinreich 
der  Geistigkeit  verbergen  möchte,  ein  Ziel  zu  setzen.  Valerio  ist  sein 
Gegenstück.  Seine  Sancho-Pansa-Natur  genießt  die  Welt,  wie  sie  ist, 
ohne  sich  viel  um  die  Narreteien  Leonces  zu  kümmern.  Ihm  ist  das 
ganze  Weltgebäude  nur  ein  Wirtshaus.  Wie  Leonce  ein  Glücksucher 
wird,  so  auch  Lena.  Denn  auch  ihre  Bücherwelt  gebiert  die  Sehn- 
sucht. Auch  sie  sucht  den  Weg  ins  Freie,  auch  sie  ist  jungdeutsch 
genug,  um  den  Drang  des  Blutes,  das  Gebot  und  das  Recht  der 
Sinnenfreude  zu  verspüren.  Treffen  beide  zusammen,  so  fühlt  Leonce: 
,,Mein  ganzes  Sein  ist  in  dem  einen  Augenblick.  Jetzt  stirb!  Mehr 
ist  unmöglich  1"  (zweiter  Akt),  und  am  Schlüsse,  nach  ihrer  Verhei- 
ratung, kommt  es  ihnen  beiden  zum  Bewußtsein:  ,,Das  war  die  Flucht 
in  das  Paradies"  (dritter  Akt).    Jetzt  erst  haben  sie  in  der  Wirklich- 


Satiren  und  Märchenkomödien:  Märchenkomödien.  225 

keit  die  Idealität  gefunden;  der  sehnsüchtige  Drang  nach  außen  ist 
gestillt;  sie  sind  sich  selbst  genug. 

Shakespeares  humorvoll  versonnene  Innigkeit  und  Calderons 
blühende  Phantastik  vereinigen  sich  zu  einem  Lustspiel,  das  ohne 
Rücksicht  auf  Kausalität  in  tollem  Wirbel  Leben  in  seiner  wider- 
spruchsvollen Reichhaltigkeit  an  uns  vorüberziehen  läßt.  Mit  der  poli- 
tischen Satire  des  revolutionären  Dichters  schwingt  in  „Leonce  und 
Lena",  wie  im  „Ponce  de  Leon",  etwas  von  jener  Sinnenfreude,  die 
bereits  den  Stürmer  und  Dränger  Heinse  zum  Frühromantiker  machte 
und  die  Heine  für  Jungdeutschland  wiederbelebte.  Geniale  Welt- 
betrachtung, intuitive  Lebenswahrheit  zeigen  Menschhches  und  Allzu- 
menschliches in  phantastischen  Gestalten  mit  sinnlich  fruchtbarer 
Bildersprache,  die,  obwohl  reich  an  sich  haschenden  Witzen  und 
Wortspielen,  von  warmem  Gefühl  durchtränkt  ist.  Jean  Paul  hat  für 
solche  romantische  Kunst  das  glückhche  Wort  gefunden,  das  Drama 
bestehe  aus  „lyrischen  Blitzen  der  Worte  und  Taten". 

Die  Mitläufer  der  Bewegung  suchen  romantische  Einzelzüge  der 
von  Iffland  und  Kotzebue  übernommenen  Tradition  aufzupfropfen. 
Im  allgemeinen  gilt  für  alle  gleichmäßig  der  Grundsatz,  daß  sie,  je 
geringer  ihre  Kunst  ist,  um  so  genauere  Regiebemerkungen  machen, 
um  durch  des  Darstellers  Kunst  die  eigene  zu  retten.  Außerdem 
schreiben  sie  Possen,  die  als  solche  auf  Elementen  der  Situations- 
und Körperkomik,  auf  Gesichts-  und  Gebärdenmimik  aufgebaut  sind 
und  damit  der  genauen  Anweisungen  durch  den  Verfasser  bedürfen. 
Neben  der  rein  literarischen  Dramatik  der  romantischen  Führer  treffen 
wir  bei  deren  Mitläufern  nur  Theaterware. 

Um  wenigstens  einige  Bekanntere  zu  nennen,  erwähnen  wir  Theodor 
Körners  lustige  Leipziger  Studentenposse  „Der  Nachtwächter"  und 
seine  dem  Charakterlustspiel  zustrebende  „Gouvernante"  sowie  Gott- 
fried Adolf  Müllners  nach  französischem  Muster  in  geschickter  Technik 
aufgebaute  Liebeskomödien,  bei  denen  allerlei  Intrigen  um  den  Onkel 
als  Zentralfigur  zur  glücklichen  Vereinigung  der  liebenden  Jugend 
führen,  und  die  der  Verfasser  selbst  parodiert  in  „Die  Onkelei  oder 
das  französische  Lustspiel". 

An  solchen  Mitläufern  und  ihrem  Erfolg  beim  Publikum  merken 
wir  die  große  Kluft,  die  die  Masse  von  den  Führern  trennt.  Zweifel- 
los wäre  es  von  Reiz,  auch  einmal  Literaturgeschichte  vom  Stand- 
punkte der  Masse,  von  der  Froschperspektive  aus  zu  schreiben.  Die 
Kunst  der  Führer,  deren  Darstellung  immer  wieder  Aufgabe  des  Histo- 
rikers bleibt,  dringt  wenig  in  die  Tiefe,  in  die  Breite.  Die  Zahl  ihrer 
Konsumenten  ist  beschränkt.  Wollte  man  eine  Reliefkarte  kulturge- 
schichtHcher  Entwicklung  geben,  so  bildeten  jene  Führerkreise,  die  wir 
unter  den  Namen  Sturm  und  Drang,  Klassik,  Romantik  usw.  zusam- 
menfassend betrachten,  die  Erhöhungen,  die  sich  über  der  ausge- 
dehnten  Fläche   erheben.     Diese   Fläche,    das   MassenpubHkum   mit 

HoH,   Lustspiel.  '  iS 


226  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

seinem  Geschmack,  seiner  Neigung,  seiner  Gedankenwelt  bleibt  gleich- 
artig in  Tradition  befangen  und  steht  den  geistigen  Erhebungen  in 
verständnisloser  Rückständigkeit  gegenüber.  Nur  ganz  allmählich 
und  immer  zeitlich  weit  zurückbleibend  erfolgt  eine  langsame  allge- 
meine Niveauerhöhung.  Träger  der  bestimmenden,  Richtung  weisen- 
den Entwicklung  aber  sind  jene  Gipfelerhebungen,  innerhalb  derer 
es  natürlich  auch  wieder  Höhenunterschiede  gibt,  die  aber,  wenn  auch 
vom  bescheidenen  Hügel  bis  zum  himmelragenden  Gipfel  reichend, 
im  Verhältnis  zu  der  breiten  Durchschnittsfläche  im  allgemeinen  ge- 
ring sind. 

Um  so  überraschender  ist  es,  wenn  sich  in  der  Darstellung  roman- 
tischer Dramatik  plötzlich  ein  Koloß  auftürmt,  der  nicht  nur  die  Grund- 
fläche, sondern  auch  die  Nebenerhebungen  weit  überragt:  Heinrich 
von  Kleist. 

2.  HEINRICH  VON  KLEIST. 

a)  Gesamtcharakteristik. 

Die  Klassiker,  Goethe  von  der  Natur  und  Schiller  von  der  Ver- 
nunft ausgehend,  hatten  die  Harmonie  von  Vernunft  und  Natur  er- 
strebt und  mindestens  in  Goethe  erlebt.  Kant  konnte  auf  Grund  seiner 
Lehre  von  der  Phänomenalität  der  sinnlich-empirischen  Wirklichkeit 
in  diese  Harmonie  einbezogen  werden.  Wenn  Fichte,  diese  Kantische 
Lehre  aufgebend,  die  Welt  restlos  als  System  der  Vernunft  betrachtet, 
dann  läßt  sich  die  Vereinigung  nicht  mehr  ermöglichen.  Es  bleibt 
nur  noch  das  vorstellungbildende  Ich,  dem  die  Natur  nur  Bewußt- 
sein selbsterzeugter  Vorstellung  bildet.  Dieser  Fichtesche ,, Solipsismus" 
macht  schließlich  auch  vor  dem  vorstellungbildenden  Ich  nicht  mehr 
halt,  auch  das  Ich  ist  als  Individuum  stofi"lich  und  sittlich  gebunden. 
Allein  frei  ist  nur  das  Bewußtsein,  in  dem  die  Vorstellungen  erzeugt 
werden.  Damit  war  auch  das  Ich  in  die  endlose  Bewegung  des  Uni- 
versums eingeordnet  und  der  dichterischen  Phantasie  freies,  zweck- 
loses Spiel  mit  Endlichem  und  Unendlichem  gelassen.  Die  Romantiker 
leiteten  daraus  die  Ironie  dichterischer  Genialität,  die  allen  Stoff"  durch 
die  Form  auflöst. 

Die  letzte  kühnste  Übersteigerung  der  Subjektivität,  die  zur  Selbst- 
vernichtung des  Ichs  bedenkenlos  schreitet,  widerstrebte  dem  stark  aus- 
geprägten sittlichen  Pflichtbewußtsein  Kleists  (1777-181 1),  des  Sprossen 
eines  alten  Soldatengeschlechts,  der  sich  für  die  Richtigkeit  des  ein- 
geborenen Pflichtgesetzes  die  theoretische  Bestätigung  in  Kant  holte. 
Die  Romantiker  hatten  in  ihrer  Forderung  einheitlicher  Totalität  des 
Menschen  dem  klassischen  Harmoniebegriff"  etwas  Gleichwertiges  zur 
Seite  gestellt.  Es  ist  daher  begreiflich,  daß  der  alte  Goethe  sich 
ihnen  nähern  konnte.  Kleists  erschütterndes  Erlebnis  ist  die  unheil- 
bare Disharmonie  alles  Seins  mit  dem  Ich,  zu  ihm  konnte  daher  der 


Heinrich  von  Kleist:  Gesamtcharakteristik.  227 

Klassiker  die  Brücke  nie  finden.  Die  Frage  nach  Kleists  Stellung 
zur  Romantik  und  zur  Klassik  ruft  immer  wieder  Erörterungen  her- 
vor. Sie  ist  befriedigend  zu  beantworten  nur  aus  seiner  geistigen 
Gesamthaltung  heraus.  Dafür  hat  uns  Cassirer  in  feinsinnigen  Beob- 
achtungen über  „Heinrich  von  Kleist  und  die  Kantische  Philosophie" 
die  leitenden  Gesichtspunkte  gegeben. 

Kleist,  dessen  tiefstes  Wesen  auf  das  Entweder-Oder  gestellt  ist, 
und  der  gerade  deshalb  zum  Dramatiker  widerstreitender  Kräfte  be- 
rufen erscheint,  ist  antiklassisch.  Echt  Kantisch,  ja  den  Philosophen 
übersteigernd,  betont  er  einzig  und  allein  den  Wert  der  Persönlich- 
keit, der  in  ihrer  sittlichen  Unbestechlichkeit,  selbst  transzendenten 
Wünschen  gegenüber,  beruht,  und  der  folgerichtig  auch  seinen  Grund 
nicht  außerhalb  der  Persönlichkeit,  sondern  nur  in  ihr  selbst,  in  ihrem 
unbeirrbaren  ethischen  Gesetz  findet.  Er  kann  keinen  harmonischen 
Ausgleich  finden  zwischen  persönHchem  Wollen,  individueller  Willens- 
freiheit und  der  Zwangsläufigkeit  alles  Geschehens,  universeller  Not- 
wendigkeit. 

Antiklassiker  sein  heißt  aber  noch  nicht  Romantiker  sein.  KJeists 
Anschauungen  und  sein  Kunstschaffen  decken  sich  durchaus  nicht 
unbedingt  mit  romantischer  Wesensart.  Der  grundlegende  Philosoph 
der  Romantik  ist  Fichte,  von  dem  sich  gerade  die  tiefsten  Gedanken 
der  Romantik,  wie  sie  von  Friedrich  Schlegel,  Novalis  und  selbst  von 
Schelling  geäußert  werden,  ableiten  lassen.  Für  die  Romantiker  ist 
es  eine  unbestreitbare  Tatsache,  wenn  Friedrich  Schlegel  neben 
der  französischen  Revolution  und  Goethes  „Wilhelm  Meister"  Fichtes 
Wissenschaftslehre  als  eine  der  drei  Tendenzen  des  Jahrhunderts 
nennt.  Kleist  ist  daher  sicherlich  insofern  Romantiker,  als  auch  seine 
Denk-  und  Anschauungsweise  auf  Fichte  zurückzuführen  ist. 

Während  aber  die  Romantik  Fichtes  Lehre  von  der  Irrationalität 
des  Seins  zu  einem  ästhetisch-ironischen  Illusions-  oder  Desillusionie- 
rungsspiel  verwertet,  erlebt  Kleist  die  Unvereinbarkeit  der  äußeren 
und  inneren  Welt  als  tiefste  Tragik.  Während  jene  gleichermaßen 
Weh  und  Ich  ironisch  auflöst,  glaubt  Kleist  an  die  volle  Bestimmt- 
heit des  Ichs,  das  an  der  Unbegreiflichkeit  des  Weidaufs  wohl  zer- 
schellen kann,  aber  gerade  in  diesem  Untergang  seine  Ichheit,  seine 
Sonderheit  erweist.  Mit  Recht  hat  daher  Erich  Schmidt  seiner  Aus- 
gabe von  Kleists  Werken  das  Motto  vorangestellt:  Individuum  est 
ineffabile. 

Kleists  Menschen  sind  keine  romantisch  verfließende  Traumge- 
stalten, sie  sind  geschlossene  Persönhchkeiten  von  fest  geprägtem, 
eigengesetzlichem  Charakter.  Sie  sind  keine  Gemälde  in-  und  aus- 
einanderfließender Farben,  sondern  körperlich  gesehene,  plastische 
Figuren.  Wenn  dem  Romantiker  in  seiner  geistreich  übersteigerten 
Subjektivität  alles,  auch  das  Ich,  Bewegung  ist,  so  stellt  für  Kleist 
das  Ich  den  ruhenden  Pol  in  der  Erscheinungen  Flucht  dar.     Der 


228  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 


Romantiker  Schaffen  geht  vom  Erlebnis  des  Universums  aus,  das 
Kleists  vom  Erlebnis  des  Individuums.  Es  liegt  etwas  von  dem  Trotz 
des  ostpreußischen  Junkers  darin,  daß  er  das  Ich  nicht  in  dem  steten 
kosmischen  Wandel  aufgehen  läßt  und  ironisch  darüber  zu  lächeln 
versucht,  sondern  daß  er  an  der  Unvereinbarkeit  beider  zähe  festhält 
und  lieber  ihren  unüberbrückbaren  Gegensatz  zur  Quelle  tiefsten 
tragischen  Leids,  Untergangs  für  das  Ich  werden  läßt,  als  daß  er 
ein  Kompromiß  zu  schließen  bereit  wäre.  Während  der  Romantiker 
das  Ich  im  Zeichen  der  Willkür  sieht,  steht  es  für  Kleist  unter  dem 
unentrinnbaren  Gesetz  der  Notwendigkeit. 

Wohl  gehört  er  also  in  Wesentlichem  der  Romantik  an,  aber  seine 
Stellung  in  dem  romantischen  Kreis  ist  eine  exzentrische.  Seine  Welt- 
anschauung wie  sein  sich  darauf  gründendes  und  davon  durchdrungenes 
Künstlertum  sind  so  stark  individuell,  daß  er  eine  Sonderstellung 
gegenüber  den  eigentlichen  Romantikern  einnimmt;  und  gerade  das 
ihn  von  den  übrigen  Romantikern  Trennende  macht  ihn  zum  ge- 
borenen Dramatiker  —  was  die  Romantiker  nicht  sind  — ,  und  zwar 
wesentlich  zum  Tragiker,  der  nach  einem  treffenden  Wort  Eloessers 
„in  dramatischen  Situationen  denkt,  noch  bevor  er  Dramen  erfindet". 
Wir  dürfen  aber  bei  allen  Erörterungen  seiner  Denk-  und  Anschau- 
ungsweise nie  vergessen,  daß  es  sich  dabei  überhaupt  nur  um  an- 
nähernde Bestimmungen  handeln  kann,  denn  Kleist  ist  durchaus  un- 
dogmatisch, bei  noch  so  starkem  metaphysischen  Bedürfnis  ist  er  doch 
kein  Metaphysiker  im  Sinne  eines  systematischen  Theoretikers;  er  ist 
in  erster  Linie  Künstler,  seine  Dramen  sind  Form  gewordenes  künstle- 
risches Erlebnis,  keine  Gleichnisse  spekulativen  Denkens;  wohl  sind 
sie  Symbole  seines  innersten  dichterischen  Fühlens,  aber  sie  sind 
keine  Allegorien. 

b)   „Amphitryon", 

Nach  den  leidenschaftlichen  Stürmen  der  Guiskardtragödie  und 
seinem  äußeren  und  inneren  Zusammenbruch  konnte  Kleist  nur  all- 
mählich und  langsam  den  Weg  zu  eigenem  dramatischen  Schaffen 
zurückfinden.  So  lag  es  nahe,  daß  er  sich  in  der  Königsberger  Zeit 
innerer  Sammlung  (1806),  als  er  sich  viel  mit  französischer  Dichtung 
beschäftigte,  zunächst  an  einer  Übersetzung  versuchte.  Wo  hätte  er, 
der  vor  allem  Tragischen  noch  zurückscheute,  in  der  ihm  vorliegenden 
französischen  Literatur  ein  besseres  Vorbild  finden  können  als  in 
Moliere!  Allerdings  liegt  darin  ein  Gegensatz  zur  romantischen  Zeit- 
mode, die  gegenüber  dem  bewunderten  Lustspielvorbilde  Aristophanes 
den  Franzosen  Moliere,  wie  noch  A.  W.  Schlegel  in  seinen  Wiener 
Vorlesungen,  eher  mißachtete.  Während  Kleist  nun  an  der  Über- 
tragung von  Molieres  „Amphitryon"  arbeitete,  wuchs  aber  sein  drama- 
tischer Appetit.  Seiner  Phantasie  nahen  sich  wieder  schwankende 
Gestalten.    Äußeres  und  inneres  Erleben,  Denken,  Fühlen  und  Wün- 


Heinrich  von  Kleist:  „Amphitryon".  229 

sehen  drängen  nach  Ausdruck.  Aus  einer  Bearbeitung  wird  eine  Um- 
arbeitung. Er  eignet  sich  den  Stoff,  der  bis  in  die  indische  Sagen- 
welt zurückreicht,  inneriich  an  und  prägt  ihn  in  Kleistische  Form. 
Des  Dichters  Stärke  wird  allerdings  des  Stückes  Schwäche. 

Das  Grundproblem  von  Kleists  Drama  erwächst  aus  seinem  Er- 
lebnis an  der  ,, sogenannten  Kantischen  Philosophie",  das  in  seinem 
Bestimmungswert  für  Kleists  Gesamtdichtung  längst  erkannt  ist.  Die 
menschliche  Unzulänglichkeit  der  Wahrheitserkenntnis  über  die  Grenzen 
unserer  Erfahrung  hinaus  muß  uns  notwendig  scheitern  lassen,  wenn 
es  gilt,  verstandesmäßig  intelligible  Welt  zu  fassen  und  von  empi- 
rischer zu  trennen.  Der  Gegensatz  von  Sein  und  Schein  führt  zu 
Sinnesverwirrung,  die  für  unser  menschliches  Denken  unlösbar  ist. 
Ihr  Erlebnis  muß  im  erlebenden  Individuum  zur  Gefühlsverwirrung 
werden,  wie  Kleist  selbst  in  tragischer  Erschütterung  erfahren  hatte. 
Diese  Erfahrung  sucht  Kleist  in  Alkmene  zu  gestalten.  Sie  wird  damit 
die  Hauptperson  von  Kleists  Drama  und  dieses  selbst,  ebenso  wie 
die  damals  wohl  schon  konzipierte  „Penthesilea",  ein  Drama  des  Indi- 
vidualismus, des  Subjektivismus. 

Hierin  unterscheidet  er  sich  von  Moliere.  Diesem  sind  Amphi- 
tryon und  Jupiter  die  Hauptpersonen,  Alkmene  verschwindet;  er  be- 
handelt die  objektiv  anschauliche  Kontrastkomik  des  Wirklichen  und 
Scheinbaren  und  nicht  das  subjektive  Erlebnis  dieses  Kontrasts  in 
der  Seele  der  Frau.  Ihn  interessiert  die  Handlung,  nicht  ihre  Wirkung 
auf  die  Persönlichkeit.  Diese  Handlung  unterstreicht  er  noch,  indem 
er  sie  eine  Stufe  tiefer  —  in  der  Komik  daher  derber  und  sinn- 
fälliger —  wiederholt  in  der  Parallelhandlung  der  beiden  Sosien. 
Kleist  behält  diese  derbkomische  Nebenhandlung  bei,  ja  er  fügt  noch 
wirkungsvolle  Einzelstriche  hinzu  und  offenbart  damit  seine  große 
Kunst  realistisch  anschaulicher  Komik,  die  er  kurz  darauf  im  „Zer- 
brochnen  Krug"  bewährt.  In  der  Haupthandlung  aber  hat  er  sich 
von  Moliere  getrennt,  ihn  interessieren  die  beiden  Amphitryons  nur 
insoweit  sie  auf  Alkmene  einwirken ;  Alkmene  ist  die  Zentralfigur,  der 
Brennpunkt,  in  dem  sich  alle  Strahlen  sammeln,  von  dem  sie  wieder 
reflektiert  werden;  diesem  Zwecke  dient  auch  eine  vom  Vorbild  un- 
abhängige Hauptszene  II,  4.  Damit  ist  die  Nebenhandlung  nicht  länger 
das  komische  Spiegelbild  der  Haupthandlung.  Die  beiden  Kreise  sind 
nicht  mehr  konzentrisch,  da  die  Mittelpunkte  verschoben  sind.  Darin 
hegt  der  Zwiespalt  in  Kleists  Spiel.  Die  Vertiefung  und  dadurch  Ver- 
schiebung des  Hauptinteresses,  die  Kleists  Werk  im  zweiten  und  dritten 
Akte  gegenüber  dem  Vorbilde  stark  anschwellen  läßt,  hat  den  künst- 
lerischen Bruch  mit  der  Nebenhandlung  zur  Folge.  Zwei  Handlungen 
laufen  nebeneinander,  deren  Wesenskern  verschieden  orientiert  ist. 
Die  Molieresche  Harmonie  ist  gestört,  Kleists  Stück  ist  disharmonisch. 

Die  Disharmonie  liegt  aber  auch  noch  tiefer  begründet.  Gerade  der 
Vergleich  mit  dem  Moliereschen  Urbild  zeigt  uns  dies.   Der  Franzose 


2'?0  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

hat,  getreu  den  Anschauungen  der  Zeit  des  Sonnenkönigs,  die  stän- 
dische Relativität  der  Moral  dargestellt,  und  er  versteht  auch  unsere 
heutigen  gewandelten  ethischen  Überzeugungen  vor  dem  Verletztsein 
zu  bewahren,  indem  er  den  zugrunde  liegenden  sittlichen  Konflikt  des 
Ehebruchs  in  die  freie  Sphäre  intellektueller  Betrachtung  erhebt.  Unser 
ethisches  Empfinden,  Mißfallen  wird  ausgeschaltet  durch  die  spiele- 
rische Form  heiterer  Grazie,  die  jenseits  von  Gut  und  Böse  sich  be- 
lustigt an  der  Phantastik  intellektueller  Verwirrungen. 

Kleist  sinnt  über  den  Charakter  des  reinen  Weibes,  in  das  er  eigenes 
Erleben  projiziert,  und  zeigt  uns,  wie  folgerichtig  in  Alkmene  die 
Sinnestäuschung  zur  tiefinnerlichen  Gefühlsverwirrung  werden  muß. 
Diese  Gefühlsverwirrung  bedeutet  aber,  gerade  weil  Alkmene  der 
Typus  der  reinen  liebenden  Frau  ist,  für  sie  den  schwersten  seelischen 
Konflikt.  Sie,  die  Reflexionslose,  hat,  wie  Hanna  Hellmann  schön 
gezeigt  hat,  den  Schwerpunkt  ihres  Wesens  in  der  Liebe,  die  den 
Gatten  vergottet,  den  Gott  vergattet,  vermenschlicht  und,  wenn  ihr 
das  Idealbild  des  Geliebten  erschienen,  nur  resignierend  zum  Real- 
bild zurückzukehren  vermag.  Zweifellos  ist  diese  Alkmene  an  Seelen- 
adel und  menschlicher  Tiefe  der  Molieres  weit  überlegen.  Aus  einer 
Rokokodame  ist  ein  Bild  selig-schöner,  innig-scheuer,  edler  Weiblich- 
keit geworden.  Ihr  Erlebnis  ist  tragisch  wie  das  der  Penthesilea,  sie 
bricht  am  Schlüsse  zusammen  in  dem  einen  Empfindungslaut:  Ach! 
So  steht  neben  der  durchgeführten  komischen  Sosienhandlung  eine 
Haupthandlung,  die  anfänglich  wohl  auch  komisch  anmutet,  aber  im 
Weiterschreiten  immer  mehr  zur  Tragödie  des  reinen  Weibes  sich 
entwickelt. 

Kleist  möchte  diese  tieftragische  Wirkung  aufheben,  indem  er 
Alkmene,  wenn  auch  nur  andeutend,  das  christlich-heilige  Mysterium 
unbefleckter  Empfängnis  erleben  läßt.  „Es  wird  sich  alles  dir  zum 
Siege  lösen"  (v.  1575).  Dies  war  der  einzige  Ausweg,  um  den  Riß 
in  ihrer  Seele  zu  überbrücken,  um  sie  über  den  erlebten  Konflikt 
hinauszuheben  in  Sphären  jenseits  von  Gut  und  Böse,  wie  es  Moliere 
durch  die  durchgeführte  Intellektualisierung  geglückt  ist.  Darin  nähert 
sich  Kleist  der  religiösen  Anschauung  eines  Schleiermacher.  Die 
Romantiker  vergotteten  sich  selbst,  indem  sie  die  Identität  von  Denken 
und  Sein  im  Diesseits  vollzogen  durch  Vernichtung  des  Stoff"lichen 
in  der  Form;  Kleist  kennt  trotz  seines  titanischen  Ringens  diese  Blas- 
phemie nicht.  Gerade  weil  er  den  Menschen  echt  spinozistisch  die 
Unzerstörbarkeit  seines  Wesens  bewahren  läßt,  steht  er  dem  Schleier- 
macherschen  Gottesbegriff,  der  jene  Identität  im  Wissen  nie,  nur  im 
Gefühl  des  Unendlichen  erreicht,  nahe,  und  gerade  in  diesem  mystischen 
Gefühl  liegt  wiederum  der  Grund  jenes  unablässigen  Ringens,  das  wir 
in  Kleists  eigener  Seele  wie  in  der  seiner  Dramenhelden  beobachten. 
Aus  diesem  mystischen  Gefühl  heraus  griff  auch  Kleist  im  Gegensatz 
zu  Moliere  jene  Vordeutung  des  Göttersohnes  wieder  auf,  wie  sie  so- 


Heinrich  von  Kleist:   ,,Amphitryon".  23 1 

wohl  bei  Plautus  als  noch  bei  Molieres  unmittelbarem  Vorgänger  Rotrou 
vorhanden  ist.  Aber  er  wandelt  den  altdorischen  Heraklesmythos  ins 
Christliche,  um  Alkmene  von  ihrer  seelischen  Pein  zu  erlösen  und  — 
vielleicht  auch  zugleich  als  Ausdruck  ersehnter  Prophezeiung  eigenen 
künftigen  Ruhms.  Doch  ist  diese  Umbiegung  ins  Christlich-Mytho- 
logische weder  vollbewußt  durchgeführt  noch  auch  in  ihrer  Andeu- 
tung restlos  geglückt.  Sie  bleibt  in  der  komisch  angelegten,  tragisch 
vollendeten,  rein  menschlichen  Haupthandlung  ein  unbefriedigender 
deus  ex  machina. 

Wie  Alkmene  dem  Göttlichen  genähert  wird,  so  der  Gott  dem 
Menschlichen.  Gerade  deshalb  ist  Kleists  Jupiter  gegenüber  dem 
galanten  Sonnenkönig  Molieres  seelisch  vertiefter,  sittlich  ernster.  Er 
ist  im  Sinne  echt  deutscher  Mystik  getragen  von  der  heißen  Sehn- 
sucht geliebt  zu  werden;  nur  in  der  Liebe  wird  er  erkannt:  Tantum 
deus  intelligitur,  quantum  diligitur.  Er  ist  nicht  mehr  der  auf  galante 
Abenteuer  ausziehende  Grandseigneur  Molieres.  Kleist,  der  Sohn  des 
kühlen  preußischen  Nordens,  der  Sproß  einer  strammen  Militäraristo- 
kratie, der  scharfe  Dialektiker  hat  doch  auch  schon  von  Hause  aus 
so  viel  des  pietistischen  Gefühlsstroms  in  sich  aufgenommen,  daß  er 
im  innersten  Wesenskern  metaphysisch  verankert  ist.  Kleist  ist  Mystiker, 
dem  alles  Vergängliche  nur  ein  Gleichnis  ist,  dem  alle  äußere  Er- 
fahrung zu  nichts  verblaßt  gegenüber  der  inneren.  Andrerseits  kann 
er  aber  seinen  Ursprung  nicht  verleugnen,  der  ihn  am  Empirischen 
festhält,  der  ihm  die  Welt  der  Wirklichkeiten  in  ihrer  ganzen  prak- 
tischen Bedeutung  immer  wieder  vor  Augen  rückt.  Diesen  Zwiespalt, 
der  wohl  noch  ein  letzter  Grund  zu  seinem  Ende  gewesen  sein  mag: 
seiner  Flucht  in  ein  romantisch  gedachtes  vervollkommnendes,  den 
diesseitigen  Zwiespalt  aufhebendes  Jenseits  —  diesen  Zwiespalt  hat 
Kleist  in  Amphitryon  und  Jupiter  verkörpert. 

Auch  Amphitryons  ernste  Menschlichkeit  hat  Kleist  in  tragisch  er- 
zitternder Leidenschafthchkeit  vertieft.  Sein  höchstes  Gut  ist  seine 
Ehre.  Er  sucht  den  Ruhm,  wie  ihn  nur  Kleist  in  heißester  Leiden- 
schaft erstrebt  hat.  Nach  einem  Wort  Varnhagens  vergötterte  Kleist 
sein  eigenes  Talent.  Wie  Amphitryon  dem  Höheren,  Göttlichen  weichen 
muß,  so  auch  Kleist  seinem  eigenen  Ideal,  das  er  in  dem  trotz  allem 
immer  vergötterten  und  darum  beneideten  Goethe  Wirklichkeit  geworden 
sah.  Zur  Zeit  des  „Amphitryon"  lebt  Kleist  in  der  Stimmung  seiner  Pen- 
thesilea,  seinem  ergreifenden  Klagegesang  über  seine  heroische  Guis- 
kardniederlage. Kleist  resigniert.  Amphitryon  weicht  vor  Jupiters  Götter- 
erscheinung. Er  sieht  ein,  alle  seine  irdischen  Kräfte  können  nie 
leisten,  was  der  Gott  ihm  zu  schenken  vermag.  Alles,  was  er  auch 
im  heißesten  Kampf  erringt,  muß  dem  nachstehen,  was  der  Göttliche 
ihm  erzeugt:  „Es  wird  an  Ruhm  kein  Heros  sich  der  Vorwelt  mit  ihm 
messen,  auch  meine  ew'gen  Dioskuren  nicht".  Einen  strengen  Pa- 
rallelismus Kleist— Amphitryon,  Goethe— Jupiter  durchführen  zu  wollen, 


2 "22  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

wäre  ödeste  Pedanterie.  Aus  Kleists  Briefen,  die  über  den  „  Amphitryon" 
nur  Geschäftliches  berichten,  haben  wir  keinerlei  Anhaltspunkt.  Kleist 
selbst  dürfte  die  Parallele  auch  mehr  unbewußt  nahe  gewesen  sein 
als  in  helles  Bewußtsein  gerückt.  Kleist  glaubte  damals  auf  seine 
,, halben  Talente"  verzichten  zu  müssen,  und  doch  war  ihm  dieser  Ver- 
zicht höchstens  in  Augenblicken  tiefster  Ermattung  Wahrheit.  Was 
ihn  wieder  aufrichtete,  war  immer  wieder  die  leise  Hoffnung,  daß  der 
Himmel  ihn  doch  noch  begnaden  werde,  daß  ihm  das  eingeborene 
Göttliche  doch  noch  ein  Ruhmeskind  zeuge,  daß  er  selbst  Goethe,  dem 
größeren  der  beiden  Weimarer  Dioskuren,  den  Ruhmeskranz  entreiße. 

Daß  die  Umbiegung  des  Moliereschen  Vorbilds  Kleists  innerem  Er- 
leben entspricht,  leugnet  niemand,  der  diesen  persönlichsten  und  eigen- 
willigsten Dichter  unserer  deutschen  Literatur  kennt.  Schon  Goethe 
hat  dies  mit  Mißfallen  bemerkt:  „Der  antike  Sinn  in  Behandlung  des 
Amphitryon  ging  auf  Verwirrung  der  Sinne,  auf  den  Zwiespalt  der 
Sinne  mit  der  Überzeugung.  Es  ist  das  Motiv  der  Menächmen  mit  dem 
Bewußtsein  des  einen  Teils.  Moliere  läßt  den  Unterschied  zwischen 
Gemahl  und  Liebhaber  hervortreten;  also  eigentlich  nur  ein  Gegen- 
stand des  Geistes,  des  Witzes  und  zarter  Weltbemerkung  ....  Der 
Gegenwärtige,  Kleist,  geht  in  den  Hauptpersonen  auf  Verwirrung  des 
Gefühls  hinaus". 

Diese  Subjektivität  der  Behandlung  des  Stoffes  bewährt  Kleist 
auch  in  der  Auffassung  des  alle  Konflikte  tragenden  Liebesproblems, 
worin  er  sich  durchaus  als  Romantiker  erweist.  In  Alkmene  hat  der 
Dichter  das  Wundererlebnis  jener  mystischen,  romantischen  Liebe 
dargestellt,  der  Tieck  im  „Abdallah"  Ausdruck  verleiht:  „Ach  nein, 
es  ist  nicht  das,  es  ist  nicht  jenes  Gefühl,  das  unsere  Dichter  so 
oft  beschreiben  —  kein  Mensch  hat  noch  je  dieses  hohe,  heilige,  un- 
aussprechliche Wesen  in  seiner  Brust  beherbergt,  Liebe  ist  es  nicht, 
es  ist  das  Gefühl  der  Seligen,  mir  allein  seit  Ewigkeiten  aufbewahrt, 
mich  aus  dieser  Welt  hinauszureißen;  eine  allmächtige  Woge  hat 
mich  auf  die  hohe,  jähe  Spitze  einer  Klippe  geschleudert,  die  Welle 
sinkt  ins  Meer  zurück  und  ich  stehe  schwindelnd  über  Wolken,  von 
allen  Menschen,  die  einst  waren  und  sind,  auf  ewig  abgerissen,  die 
Unendlichkeit  um  mich  her.  Die  Gottheit  hat  heute  mein  Leben  von 
neuem  berührt  und  durch  die  leisesten  Töne  hindurch  zittert  der  all- 
mächtige Stoß".  Diese  ewig  sehnsüchtige  Liebe  lebt  wie  in  Alkmene 
auch  in  Kleists  Jupiter.  Selbst  Amphitryon  muß,  wenn  auch  nicht  über- 
zeugend, der  romantischen  Liebesauffassung  entgegenreifen,  die  des 
Novalis  Heinrich  von  Ofterdingen  ausspricht:  „O  Geliebte,  der  Himmel 
hat  dich  mir  zur  Verehrung  gegeben.  Ich  bete  dich  an.  Du  bist  die 
Heilige,  die  meine  Wünsche  zu  Gott  bringt,  durch  die  er  sich  mir 
offenbart,  durch  die  er  mir  die  Fülle  seiner  Liebe  kund  tut.  Was  ist 
die  Religion  als  ein  unendliches  Einverständnis,  eine  ewige  Vereini- 
gung liebender  Herzen?     Wo  zwei  versammelt  sind,   ist  Er  ja  unter 


Heinrich  von  Kleist:  „Amphitryon".  233 

ihnen.  Ich  habe  ewig  an  dir  zu  atmen;  meine  Brust  wird  nie  auf- 
hören, dich  in  sich  zu  ziehen.  Du  bist  die  göttHche  Herrlichkeit,  das 
ewige  Leben  in  der  UebHchsten  Hülle".  Diese  Vermischung  von 
irdischer  und  himmlischer  Liebe  und  Religion  ist  durchaus  roman- 
tisch, und  aus  dieser  romantischen  Auffassung  führt  auch  der  Weg 
zu  dem  von  Kleist  angefügten  christlichen  Mysterium.  Doch  zuviel 
des  Persönlichen,  des  eigenen  Erlebens  Kleists  steckt  in  Alkmene, 
als  daß  dieser  zarte  christlich- mythologische  Hinweis  mehr  als  der 
Ausgang  von  Goethes  Faust  für  die  katholischen  Neigungen  des 
Dichters  bewiese. 

Man  könnte  auch  versucht  sein,  Kleists  „Amphitryon"  als  eine  — 
romantischem  Brauch  naheliegende  —  Parodie  Fichtescher  Wissen- 
schaftslehre auszudeuten,  wenn  nicht  schon  die  Vorbilder  Plautus, 
Rotrou,  Moliere  in  der  Sosienhandlung  die  Ichverwechslung,  den 
steten  Kampf  von  Ich  und  Nichtich  zu  derbkomischen  Wirkungen 
hätten  gelangen  lassen.  Immerhin  mag  doch  diese  Parallelität  mit 
Fichtes  subjektivem  Idealismus,  der,  wie  Cassirer  mit  guten  Gründen 
nachzuweisen  versucht  hat,  Kleists  erschütterndes  und  bestimmendes 
Seelenerlebnis  geworden  ist,  den  Dichter  gerade  auf  den  „Amphi- 
tryon" unter  Molieres  Komödien  zur  Bearbeitung  gelenkt  haben. 
Kleist  hat  sein  Vorbild  so  stark  umgeschaffen,  daß  bei  ihm  der  Titel 
nur  noch  durch  die  Stofftradition  berechtigt  ist;  besser  hieße  er 
,, Alkmene".  Alkmenens  vermeintliches  Bewußtsein  von  Amphitryon 
ist,  echt  fichtesch,  nur  das  Bewußtsein  einer  selbsterzeugten  Vor- 
stellung von  Amphitryon.  Die  Möglichkeit  ist  daher  gegeben,  daß 
von  einer  anderen  Persönlichkeit,  von  Jupiter,  ihr  Bewußtsein  ebenfalls 
eine  Vorstellung  erzeugt,  die  mit  der  ersten  identisch  ist.  Kleist  ver- 
deutlicht dies  noch  durch  die  Parallelität  des  geistigen  Vorgangs  bei  ihrem 
Gebet,  bei  dem  Alkmene  ebenfalls  zwei  Vorstellungen,  deren  Gegen- 
stände nicht  identisch  sind,  identifiziert,  indem  sie  den  angebeteten 
Gott  in   der  Gestalt  des  geliebten  Gatten  sich  vorstellt  und  verehrt. 

Wie  einst  Kleist  selbst  durch  die  Entdeckung,  daß  uns  Wissen 
keine  Wahrheit  geben  kann,  so  wird  auch  Alkmene  durch  die  gleiche 
Erfahrung  aufs  tiefste  erschüttert.  Da  aber  für  Kleist  ,, Wahrheit  der 
einzige  Reichtum,  der  des  Besitzes  würdig  ist",  so  suchte  und  fand 
er  als  neuen  Wahrheitsspender  für  das  entwertete  Wissen  den  Glauben 
und  wird  dadurch  in  den  Bereich  religiösen  Fühlens  geführt.  Ebenso 
Alkmene,  wenn  ihr  dieser  Ausweg  auch  nur  ein  ,,Ach"  entlocken 
kann.  Wohl  will  sie  im  Gebet  hinfort  des  Gottes  nicht  mehr  in  der 
Vorstellung  der  Gestalt  des  vergotteten  Geliebten  denken,  „jedoch 
nachher  vergeß'  ich  Jupiter".  Auch  darin  erkennen  wir  wieder  einen 
echt  Kleistischen  Zug,  daß  Erdensein  und  Erden  wallen,  pflichtgemäßes 
Handeln,  wie  er  es  in  dem  wichtigen  Schreiben  an  die  Braut  vom 
i6.  September  1800  ausdrückt,  in  dem  Herzen  des  Menschen  selbst 
ein  Gebot  finden  müssen  und  nicht  erst  in  dem  Gedanken  an  Gott  und 


2 "14  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

Unsterblichkeit,   welcher   höchstens   wie   ein  Träumen   nach   getaner 
Pflicht  beseligende  Gefühle  auslöst. 

Alle  diese  Beziehungen  zu  den  tiefsten  philosophischen  Ideen  der 
Zeit,  zu  Kleists  metaphysischen  Überzeugungen  sind  nur  unbewußt, 
oder  doch  nur  halbbewußt  aus  der  schaffenden  Künstlerseele  in  das 
Werk  übergegangen;  sie  haben  der  Bearbeitung  des  graziös  leichten, 
allenfalls  augurisch  lächelnden  Moliereschen  Vorbilds  jene  eigenartige 
Tönung  verliehen,  die  uns  inmitten  der  komischen  Handlung  tragische 
Schauer  anwehen  läßt. 

c)   „Der  zerbrochne  Krug". 

Fem  aller  Tragik,  auf  scheinbar  unromantischen  Pfaden  wandelt 
dagegen  Kleists  nächstes  Lustspiel  „Der  zerbrochne  Krug".  Die  erste 
Anregung  entstand  in  jenen  lichten  Tagen  des  Bern  er  Freundeskreises 
(1802),  als  Kleist  mit  seinen  Kameraden  Heinrich  Zschokke,  Lud- 
wig Wieland  und  Heinrich  Geßner  eine  Art  dichterischen  Wett- 
kampfs vereinbarte,  um  einen  auf  Debucourt  zurückgehenden  Stich 
Le  Veau's  „Le  juge  ou  la  cruche  cassee"  literarisch  zu  gestalten. 
1803  hat  der  Dichter  drei  Szenen  seines  Lustspielentwurfs  dem  Freunde 
Pfuel  in  Dresden  aus  dem  Kopfe  diktiert.  Doch  erst  in  der  Resi- 
gnationsstimmung der  Königsberger  Zeit  (1806)  brachte  er  das  langsam 
innerlich  gereifte  Lustspiel  zur  abgeschlossenen  Niederschrift,  die  1808 
in  Weimar  aufgeführt,  im  selben  Jahre  redigiert  und  fragmentarisch 
im  „Phöbus"  abgedruckt  wurde.  Erst  181 1  erschien  sie  in  Buchform, 
wobei  der  ursprüngliche,  episch  ausgedehnte  Schluß  nur  noch  als 
Variante  der  zugunsten  dramatischer  Konzentration  gekürzten  Fassung 
angehängt  ist. 

Die  mißglückte  Weimarer  Aufführung  litt  wohl  unter  dem  lang- 
weiligen Schluß,  der  die  mit  dem  Ende  des  elften  Auftritts  gelöste 
Spannung  nicht  mehr  frisch  zu  erregen  vermag,  wie  auch  unter  der 
Dreiteilung  des  Werkes,  die  Goethe  als  Regisseur  vorgenommen 
hatte,  und  schließlich  auch  unter  dem  üblichen  Weimarer  klassischen 
Darstellungsstil.  Alles  widersprach  der  Wesensform  des  Kleistischen 
Werkes,  das  auf  Einheit,  Lebendigkeit,  schnelles  Tempo  und  Realistik 
angelegt  ist. 

Die  Einheit  ist  bewirkt  durch  die  beherrschende  Zentralfigur  des 
Dorfrichters  Adam,  woraus  die  von  Romantik  und  Klassik  gleicher- 
maßen geteilte  Begeisterung  für  das  starke  Individuum  zu  fühlen  ist. 
Die  Handlung  ist  eine  Gerichtssitzung  zur  Ermittlung  des  Krug- 
zerbrechers, die  die  Entlarvung  des  Richters  wird.  Gleich  die  Ein- 
gangsszenen lassen  die  Täterschaft  des  Richters  vermuten,  und  diese 
Vermutung  wird  dem  Zuschauer  schnell  zur  Gewißheit.  Nicht  mehr 
das  Faktum  interessiert,  sondern  die  Frage:  Wie  wird  sich  der  ge- 
rissene Adam  aus  der  Schlinge  ziehen,  wie  lange  wird  er  zappeln? 
Es   ist  ein  rein  intellektuelles   Interesse.     Damit   ist  das  Eindringen 


Heinrich  von  Kleist:  „Der  zerbrochne  Krug".  235 

tragischer  Empfindungen  verhütet,  das  bei  dem  mit  dem  Susanna- 
stoff verwandten  Thema  nahehegt.  Bei  dem  heiklen  Stoffe  des  An- 
griffs eines  geilen  alten  Lüstlings  auf  ein  unschuldiges  junges  Weib 
mußte  Kleist  sorgfältig  alles  vermeiden,  was  sitthche  Unlustgefühle 
hätte  erwecken  können. 

Der  unsittliche  Anschlag  Adams  muß  daher  zur  Seite  geschoben 
werden;  an  seine  Stelle  tritt  als  Objekt  der  Verhandlung  der  zer- 
brochene Krug.  Diese  Substitution  ist  an  sich  komisch  dadurch,  daß 
eine  lebendige,  wertvolle  Beziehung  durch  eine  tote,  gleichgültige 
ersetzt  wird,  wobei  andrerseits  das  rein  Possenhafte  humorisch  ver- 
tieft wird  dadurch,  daß  der  Zuschauer  durch  die  Lappalie  immer  das 
Wertvolle  hindurchleuchten  sieht.  Damit  aber  der  äußere  Schein  nicht 
durch  das  dahinterstehende  Sein  zerstört  und  dadurch  die  komische 
Wirkung  aufgehoben  werde,  muß  er  stark  betont  werden;  dazu  dient 
die  undramatische,  epische  Krugbeschreibung,  die  ihrer  im  Theater 
lähmenden  Wirkung  halber  mit  Recht  von  dem  Schauspielbearbeiter 
F.  L.  Schmidt  gekürzt  wurde.  Die  Substitution  ergibt  aber  auch 
den  festen  Knoten,  von  dem  aus  sich  die  Fäden  des  dramatischen 
Spannungsgeflechtes  schlingen.  Eine  Vielfältigkeit  komischer  Span- 
nungen wird  erzeugt  und  zugleich  doch  ein  fester  Aufbau.  Der 
innere  Konflikt  Adam— Eve  wird  durch  den  äußeren  Marthe— Ruprecht 
ersetzt.  Eine  Komplexität  spannungsreicher  Beziehungen  ist  damit  auf 
möglichst  einfache  Form  reduziert:  einerseits  Adam,  Marthe  —  andrer- 
seits Eve,  Ruprecht;  zu  Ruprecht  gesellt  sich  sein  Vater  Veit  wie  zu 
Marthe  ihre  Verwandte  Brigitte;  über  den  Parteien  stehen  der  persön- 
lich interessierte  helle  Licht  und   der  objektive  Rechtswalter  Walter. 

Doch  dieser  klare  symmetrische  Aufbau  wird  keineswegs  festge- 
halten. Schon  die  Eingangsszenen  zeigen,  daß  der  Dichter  nicht  auf 
koordinierende  Gegenüberstellung  zielt,  sondern  auf  die  Darstellung 
einer  Zentralfigur.  Der  in  mihtärischer  Familientradition  aufge- 
wachsene Dichter  sieht  seinen  Helden  gleichsam  als  wetterharten 
Soldaten,  der  jeden  Fußbreit  Boden  verteidigt,  nur  schrittweise  zurück- 
weicht, um  immer  wieder  zu  neuem  Angriffe  vorzugehen,  der  noch 
zum  Schluß  die  Flucht  der  läppischen  Pardonbitte  und  dem  damit  ver- 
bundenen Peccavi  vorzieht.  Adam  ist  eine  Rembrandtsche  Charakter- 
figur, kein  rührseliger  Spießer  von  Ifflands  Gnaden.  Alle  Fäden  gehen 
von  ihm  aus,  laufen  auf  ihn  zurück.  Es  ist  ein  Kampf:  Einer  gegen 
alle,  und  gerade  deshalb  gewinnt  dieser  Eine  unsere  Sympathie.  Adam 
muß  sich  der  Reihe  nach  gegen  jeden  verteidigen  und  ist  ebenso 
bereit,  jeden  Augenblick  in  unbedenklichem  Frontwechsel  mit  einem 
anderen  zu  paktieren.  Dazu  dient  ein  Netz  von  Widersprüchen,  die  für 
den  eingeweihten  Zuschauer  eine  ebensolche  Fülle  von  Komik  dar- 
stellen. Kleists  leidenschaftliche,  aus  allen  seinen  Werken  rufende 
Forderung  nach  Wahrheit,  die  in  ihrem  metaphysischen  Sein  intellek- 
tuell unergründbar  bleibt,  wird  hier  rein  spielerisch  behandelt  und 


/ 


236  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

auf  ihre  empirische  Erfüllbarkeit  geprüft.  Alle  Widersprüche  und 
damit  alle  Komik  gehen  stets  auf  das  Wahrheitsproblem  aus  dadurch, 
daß  der  äußere  Schein  trügend  das  innere  Sein  in  sein  Gegenteil 
verkehrt. 

Auf  Grund  dieser  Unzulänglichkeit  individuellen  Wissens  werden 
dauernd  Unschuldige  verdächtigt,  Ruprecht  von  Marthe,  Eve  von 
Ruprecht,  und  nur  der  allein  Schuldige  soll  Richter  sein.  Die  äußere 
Form  der  Gerichtsszene  ist  mit  ihrer  Dialektik  am  besten  geeignet, 
alles  in  die  Sphäre  intellektueller  Betrachtung  zu  heben  und  dadurch, 
unsere  sittliche  Urteilskraft  ausschaltend,  Komik  zu  erzeugen.  Daher 
hat  auch  die  Komik  von  jeher  eine  unversiegliche  Liebe  für  Gerichts- 
szenen. Dadurch  daß  Kleist  den  Richter  einbezieht  in  den  Prozeß- 
gang, dadurch  daß  der  bestallte  Rechtsfinder  am  meisten  Anlaß  hat, 
das  Recht  zu  verbergen,  ist  von  vornherein  große  Spannung  gegeben 
zwischen  den  beiden  Tendenzen,  den  Rechtsfaden  zu  entwirren  und  ihn 
noch  mehr  zu  verwirren.  Der  Zuschauer,  dem  wie  dem  Schreiber 
Licht  gleich  vom  Anfang  an  ein  Licht  aufgeht,  beobachtet  vergnügt, 
wie  an  dem  Rechtswagen  zu  gleicher  Zeit  vorn  und  hinten  Kräfte 
in  entgegengesetzter  Richtung  ziehen.  Und  gerade  daß  Kleist  ihn 
von  vornherein  Adams  Schuld  ahnen  läßt,  macht  ihn  gespannt,  wie 
sich  dieser  nun  aus  der  gelegten  Schlinge  befreien  wird. 

Die  ganze  Gerichtshandlung  dient  nur  dazu,  Adams  Listen-  und 
Lebensfülle  zu  entwickeln.  Am  Schlüsse  kennen  wir  ihn  mit  all  seinen 
körperlichen  und  sittlichen  Schwächen,  mit  all  seiner  List  und  Tücke. 
Kleist  hat  nichts  beschönigt.  Der  Richter  Adam  ist  unwissend  und 
rechts  verletzend,  er  ist  ein  häßlicher  Dickbauch  mit  Klumpfuß  und 
Kahlkopf,  unordentlich,  schmutzig,  gefräßig,  trunkliebend ,  in  geiler 
Brunst  zum  Schlimmsten  fähig,  dabei  feig,  sobald  das  eigene  Heil 
ernstlich  bedroht  scheint.  Und  trotzdem  macht  der  Jovialität  mit 
Brutalität  vereinigende  Dorfsultan  uns  lachen,  denn  Kleist  hat  ihn 
im  innersten  Menschlichen  erfaßt.  Er  überzeugt  uns,  daß  Adam  aus 
seiner  Natur  heraus  zwangsläufig  handelt.  Er  offenbart  das  Triebhafte 
aller  menschlichen  Natur  in  seiner  Nacktheit. 

Adam  ist  der  ursprüngliche  Triebmensch,  auch  seine  intellektuelle 
Gewandtheit  entsteht  gleichsam  triebmäßig  aus  der  Anpassung  an  die 
jeweilige  Lage.  Daher  die  Fülle  der  Erfindungen,  die  keineswegs 
untereinander  zusammenhängen  oder  gar  einem  logisch  aufgebauten 
Verteidigungsplan  entspringen.  Reflektierendes  Bewußtsein  ist  ihm 
fremd,  seine  ganze  schillernde,  durch  nichts  zu  verblüffende  Ver- 
teidigung ist  ein  mechanisch-unbewußtes  Tun  gleich  dem  der  Mario- 
nette, ist  naiv.  Er  stammt  noch,  um  Kleists  eigene  Worte  aus  dem  be- 
rühmten Aufsatze  „Über  das  Marionettentheater"  anzuwenden,  aus  der 
Zeit,  da  das  Paradies  noch  nicht  verriegelt  war,  er  hat  noch  nicht  von 
dem  Baum  der  Erkenntnis  gegessen.  Dieser  schwerfällige  Körper  mit 
dem  Klumpfuße  ist  gleich  den  Puppen  „antigrav",  von  der  Trägheit 


Heinrich  von  Kleist:  „Der  zerbrochne  Krug".  237 

der  Materie  weiß  er  nichts.  Da  ihm  das  Bewußtsein  fehlt,  so  besitzt 
er  die  natürliche  Grazie  des  ursprünglichen  Menschen.  Er  hat  nicht, 
wie  sein  Ältervater  nach  dem  Sündenfall,  die  Erkenntnis,  daß  er  nackt 
sei,  er  schämt  sich  daher  nicht  und  hat  bei  all  seiner  objektiven  Ver- 
dorbenheit seine  subjektive  Unschuld  nicht  verloren.  Das  ist  die 
tiefste  Wurzel  seiner  Komik,  der  tiefste  Grund  seiner  geschlossenen 
Einheitlichkeit,  mit  der  der  Dorfrichter  wie  aus  einem  Guß  vor  uns 
steht.  Er  entspricht  dem  plumpen,  unbewußten  Bären  in  jenem  Auf- 
satze Kleists,  der,  alle  Finten  seines  menschHchen  Gegners  nicht 
achtend,  wie  der  erste  Fechter  der  Welt  alle  Stöße  pariert. 

Ihm  steht  insofern  Eve  nahe,  als  auch  sie  die  unmittelbare  Grazie 
der  Reflexionslosigkeit  besitzt.  Darin  besteht  auch  ihre  Verwandtschaft 
mit  Alkmene,  mit  der  sie  außerdem  das  Geschick  teilt,  daß  ihre  Rein- 
heit den  Angriffen  eines  Übermächtigen  ausgesetzt  ist  und  ihr  wie 
jener  „sich  alles  zum  Ruhme  (Siege)  lösen"  muß  (Amphitryon  v.  1575, 
Zerbr.  Krug  v.  I172).  Die  Namenswahl  Adam  und  Eva  ist  nicht  nur 
die  komische  Hindeutung  auf  den  Sündenfall,  sie  weist  auch  darauf 
hin,  daß  hier  noch  zwei  ursprüngliche,  naive  Menschen  vor  uns 
stehen,  deren  Handeln  nicht  erkenntnismäßig,  sondern  triebhaft  be- 
stimmt ist.  Von  Natur  aus  sind  beide  möglich.  Es  hat  daher  keinen 
Sinn,  den  einen  zu  verurteilen  und  den  andern  zu  preisen.  Der  eine 
ist  die  Ergänzung  des  anderen,  wie  Licht  und  Schatten.  Eve  handelt 
instinktiv  aus  ihrer  Liebe  heraus,  wie  Adam  aus  seinen  sinnlichen 
Begierden.  Der  äußere  Schein  ist  ihr  gleichgültig.  Sie  ist  daher 
auch  im  Innersten  verletzt,  daß  ihre  Mutter  und  gar  ihr  Geliebter, 
dem  äußeren  Schein  glaubend,  sie  verdächtigen.  Wie  Kleist  selbst 
von  seiner  Braut  unbedingtes  Vertrauen  ohne  alle  Überlegung  forderte, 
so  auch  Eve,  so  auch  Alkmene.  Nichts  erschüttert  Eves  Haltung, 
alle  Verdächtigungen  der  ganzen  Verhandlung  mit  ihrem  dauernden 
Schwanken  vermögen  ihr  nicht  den  Mund  zur  Aufklärung  zu  öffnen, 
solange  sie  dadurch  den  Geliebten,  dessen  Rettung  ihr  einziger  Wille 
ist,  zu  gefährden  glaubt.  Erst  als  zum  Schlüsse  trotz  ihres  Schweigens, 
ihrer  moralischen  Selbstaufopferung  der  Geliebte  von  ihr  getrennt 
werden  soll,  da  zerreißt  sie  mit  einem  Schlag  das  Netz  und  erklärt 
Adam  für  den  Schuldigen.  Wieder  werden  wir  an  den  Bären  in 
Kleists  Marionettenaufsatz  erinnert :  alle  Finten  läßt  er  unbeachtet,  nur 
den  wirklich  bedrohenden  Stoß  lenkt  er  mit  einer  Bewegung  ab. 

Eve  entspricht  in  ihrer  inneren  Anlage  durchaus  Adam.  Aber  dieser 
beherrscht  die  Komödie.  Deren  Stärke  ist  die  greifbare,  bis  in  kleinste 
Einzelheiten  gehende  und  doch  den  Gesamteindruck  nicht  auflösende 
Schilderung  Adams.  Der  Aufbau  dieser  bäuerlichen  Falstaffgestalt 
ist  derb  realistisch  mit  allen  Mitteln  impressionistischer  Technik.  Adam 
steht  im  Blickpunkte  unseres  Interesses.  Alle  anderen  Figuren  leiten 
zu  ihm  hin,  auch  die  der  Eve  ist  kein  gleichwertiges  Gegenstück, 
sondern  dient  zu   seiner  Erhellung,   gerade  wie  alle  Handlung,   ob 


2^8  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

Anklage  oder  Verteidigung,  immer  wieder  auf  ihn  zielt.  Er  gibt  die 
Bildeinheit,  ihm  ist  alles  andere  subordiniert.  Die  reiche  Lebensfülle, 
die  über  ihn  ausgegossen  ist,  aus  ihm  herausdrängt,  ihn  umspielt 
in  hundert  Lichtern  eines  sprühenden,  urwüchsigen,  triebhaften  In- 
tellekts, läßt  diese  wuchtige,  plastische  Gestalt  in  barocker  Bewegung 
erscheinen.  Kleist  hat  bewußt  barock  und  nicht  klassisch  gestaltet, 
wie  seine  Bemerkung  bezeugt,  daß  sein  Lustspiel  nach  Teniers  ge- 
arbeitet sei,  während  er  sonst  lieber  Raphael  nachstrebe,  wobei  wir 
allerdings  die  Einschränkung  machen  müssen,  daß  diese  Barockform 
im  Sinne  Walzels  zu  jener  durchaus  individualistischen,  unschau- 
spielerischen deutschen  Form  gewandelt  ist,  die  für  unsere  Romantik 
>  charakteristisch  ist.  Weiter  dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß  Kleists 
y  Bemerkung  in  erster  Linie  darauf  zielt,  daß  er  nicht  idealisiere, 
sondern  derb  realistisch  bäurisches  Leben  in  seiner  Bewegtheit  zur 
Erscheinung  gebracht  habe.  Dieser  Wirklichkeitsschilderung  dient 
auch  seine  volkstümliche  Sprache,  die  er  allerdings  nicht  zur  Prosa 
verflacht,  sondern  die  er  trotz  ihrer  Natürlichkeit  rhythmisch  bändigt 
in  mit  Anapästen   und  Trochäen   durchsetzten  fünffüßigen  Jamben. 

Auch  hier  ist  sein  vereinheitlichender  Stilwille  tätig,  der  zum 
erstenmal  wieder  für  ein  deutsches  wirklichkeitfrohes  Lustspiel  die 
Versform  anwendet.  Gegenüber  den  rührselig-lehrhaften  Machwerken 
Ififlands  voll  erheuchelter  Zustandsschilderung,  gegenüber  der  blühen- 
den aber  zerfließenden  Phantastik  der  Komödien  der  Romantiker  oder 
ihren  tendenziösen  Literatursatiren  gibt  Kleist  in  glänzend  beherrschter 
Technik  ein  Lustspiel  voll  saftiger  Realistik,  ungeschminkter  Wahr- 
haftigkeit, künstlerischer  Einheit  ohne  jede  andere  Absicht  als  lachen 
zu  machen.  Dazu  bedient  sich  der  in  niederdeutscher  Stammesart 
wurzelnde  Dichter  volkstümlich-bäurischen  Milieus  und  entsprechen- 
der, dialektisch  gefärbter  Sprache.  Er  führt  die  geistgeborene,  blut- 
leer gewordene  Komödie  zurück  zu  blutvollem  Leben  und  knüpft 
damit  an  die  aus  mittelalterlichem  Fastnachtspiel  im  i6.  Jahrhundert 
sich  verheißungsvoll  entwickelnden  Komödien,  an  die  Linie,  die 
im  17.  Jahrhundert  Gryphius  krönte.  Das  Paar  Ruprecht — Eve  er- 
innert an  Korngold — Dornrose,  wie  die  ganze  Prozeßhandlung  an 
Niklas  Manuels  „Elsli  Tragdenknaben"  und  darüber  hinaus  an  das 
mittelalterliche  Fastnachtspiel  des  Deflorationsprozesses  von  „Rumpolt 
und  Mareth". 

In  dieser  unbewußten  Fortführung  echt  volkstümlicher  Kunst  steht 
Kleist  den  Lokalpossen  nahe,  die  großenteils  in  der  Zeit  der  Romantik 
ihren  Ursprung  nehmen  oder  doch  neu  befruchtet  werden.  In  der 
Romantik  erwacht  aus  dem  früher  schon  vorhandenen  Interesse  an 
der  Vergangenheit  unter  dem  Druck  des  politischen  Unglücks  der 
Sinn  fürs  Nationale,  Volkstümliche,  Stämmische  und  damit  gleichzeitig 
die  Liebe  zum  Kleinen,  die  Andacht  vor  dem  Unbedeutenden,  die 
Vorliebe  für  das  Eigenartige.   Dieses  Streben  nach  Besonderem,  dieser 


Volkskunst:  Oberdeutsche  Lokaldichtung:    Südwestdeutsches  Lokalstück,  239 


Zug  zum  Pittoresken,  in  die  die  Spätromantik  die  frühromantische 
Sehnsucht  nach  dem  Universalen  verblassen  läßt,  in  denen  die  Spät- 
romantik aber  auch  wieder  den  von  der  Frühromantik  verlassenen 
Wirklichkeitsboden  findet:  alles  dient  jenem  poetischen  Impressionis- 
mus, der  in  Dichtung  wie  bildender  Kunst  das  schönste  künstlerische 
Erbe  der  Romantik  bleibt.  Die  metaphysische  Sehnsucht  nach  Un- 
erreichbarem wird  zur  Sehnsucht  nach  Entschwundenem,  in  dem 
sentimentalisch  das  Gute  und  Gesunde  erblickt  wird.  Hieraus  entsteht 
in  Verbindung  mit  dem  erwachenden  Nationalgefühl  das  Interesse  am 
Lokalen,  die  Freude  an  der  Dialektsprache,  die  zu  einer  bewußt-naiven 
Volkskunst  führen.  In  Kleists  „Zerbrochnem  Krug"  haben  wir  beides 
enthalten;  wir  sehen  das  Nationale,  das  Walter  nach  Wein  von  „unserm 
Rhein"  verlangen  läßt,  wie  das  Individuelle,  das  Volkstümliche.  Ein 
kleines,  aber  immerhin  bedeutsames  Zeichen  bildet  die  Wiederkehr 
der  im  ,,Amphitryon"  wie  im  ,,Zerbrochnen  Krug"  angewandten 
Redensart,  daß  eine  Aussage  „nicht  gehauen  und  nicht  gestochen" 
sei,  die  sowohl  in  Gryphius'  „Geliebter  Dornrose"  als  auch  in  Arnolds 
Straßburger  Dialektposse  „Der  Pfingstmontag"  (1808)  gebraucht  wird. 
In  letzter  Linie  ist  es  der  Ekel  vor  den  konventionellen  Daseins- 
formen, der  aus  der  Aschermittwochstimmung  des  Rokoko  geborene 
Ennui,  der  einst  den  Rousseauismus  hervorgebracht  hat,  der  auch  die 
metaphysische  Sehnsucht  der  Romantiker,  den  Exotismus  —  diesen 
teilweise  auch  in  Nachahmung  des  englischen  Dramas  — ,  wie  das  Ver- 
senken in  stämmische,  lokale  Sonderart  zeitigt;  die  Frucht  kehrt  sich 
wider  die  Wurzel.  Kleists  Lustspiel  zeigt  sich  auch  hierin  als  Werk 
eines  Dichters,  das  aus  der  Zeit  geboren  in  die  Zukunft  weist,  und 
sein  Schöpfer  bewährt  sich  als  jener  Dichter  im  Sinne  Piatos,  dem 
es  gleichermaßen  verliehen  ist,  Komödien  wie  Tragödien  zu  gestalten. 

3.  VOLKSKUNST. 

a)  Oberdeutsche  Lokaldichtung. 

aa)  Südwestdeutsches  Lokalstück. 

Ein  Beispiel  für  die  bewußte  Pflege  des  Stämmischen,  wie  es  etwa 
der  liebenswürdige  Alemanne  Peter  Hebel  bietet,  gibt  uns  auf  dem 
Gebiete  des  Lustspiels  Georg  Daniel  Arnold.  Er  veröffentlichte  18 16 
in  seinem  „Pfingstmontag"  ein  Dialektlustspiel  in  Elsässer  Dütsch, 
das  an  frischer  Lebendigkeit  weit  über  den  Ifflandiaden  steht.  Aller- 
dings fehlt  der  Erdgeruch  des  Ursprünglichen.  Wir  fühlen  deuthch, 
ein  Gelehrter  ist  am  Werk,  um  bewußt  Stammessitte  und  Stammes- 
sprache wiederzugeben.  Aber  selbst  ein  Goethe  fand  18 17  viel  Be- 
hagen daran  und  rühmte  seine  „höchst  liebenswürdige  Erscheinung". 
Eine  ausführliche  Besprechung,  die  der  1850  erschienenen  zweiten 
Auflage  als  Vorwort  beigegeben  ist,  veröffentlichte  Goethe  in  Kunst 


240  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

und  Altertum  IL  Darin  lesen  wir:  „Der  Dichter  führt  uns  zwölf 
Personen  aus  Straßburg  und  drei  aus  der  Umgebung  vor.  Stand, 
Alter,  Charakter,  Gesinnung,  Denk-  und  Sprechweise  kontrastieren 
durchaus,  indem  sie  sich  wieder  stufenartig  aneinander  fügen.  Alle 
handeln  und  reden  vor  uns  meist  dramatisch  lebhaft;  weil  sie  aber 
ihre  Zustände  ausführlich  entwickeln  sollen,  so  neigt  sich  die  Be- 
handlung ins  Epische,  und  damit  uns  ja  die  sämtlichen  Formen  vor- 
geführt werden,  weiß  der  Verfasser  den  anmutigsten  lyrischen  Abschluß 
herbeizuleiten". 

Ein  großer  Dramatiker  ist  der  Rechtsprofessor  an  der  Straßburger 
Universität  Arnold  sicherlich  nicht,  aber  er  weiß  mit  Geschick  und 
Witz  sein  Handlungsschifflein  sicher  in  den  Verlobungshafen  zu  steuern. 
Wenn  Roethe  Richard  Wagners  „Meistersingern"  reiche  Lebensfülle 
nahen  Alltagsdaseins  und  heitere,  genrehafte  Zufälligkeit  nachrühmt, 
so  gilt  dies  in  seinen  dichterisch  bescheidenen  Grenzen  auch  von 
Arnolds  Lustspiel. 

Gerade  mit  den  „Meistersingern"  weist  „Der  Pfingstmontag"  über- 
raschende Parallelen  und  selbst  wörtliche  Anklänge  auf,  so  daß  sich 
die  Vermutung  aufdrängen  möchte,  Wagner  habe  das  elsässische 
Stück  gekannt.  Ein  Vergleich  beider  Werke  mutet  an,  als  ob  die 
Grenzen,  die  den  ,, Pfingstmontag"  zu  einem  engen  charakteristischen 
Lokalbilde  einhegen,  in  den  „Meistersingern"  niedergerissen  und 
erweitert  seien  zu  einem  großen  Nationalgemälde.  Beiderseits  dreht 
sich  die  Handlung  darum,  daß  ein  von  der  Ferne  kommender  Lieb- 
haber, ein  Dichtergemüt  und  klarer,  aufrichtiger  Charakter,  trotz  seines 
höheren  Standes  und  seines  weiteren  Kultumiveaus  eine  liebliche, 
frische  und  tatkräftige  Mädchenknospe,  die  Tochter  achtbarer  und 
wohlhabender  Bürger,  aus  reiner  Liebe  sich  erringen  möchte  und 
dabei  Widerstand  findet  durch  die  Rivalität  eines  heimtückischen, 
aufgeblasenen,  einheimischen  Pedanten:  Reinhold  =  Walter  Stolzing, 
Lissel  =  Evchen,  Licentiat  =  Beckmesser.  Wie  Beckmesser  wird 
auch  der  Licentiat  im  Stück  verprügelt  und  muß  zum  Schlüsse  trotz 
seiner  vermeintlichen  Gelehrsamkeit  seinem  Nebenbuhler  neben  der 
Braut  auch  die  Dichterkrone  im  meisterlichen  Wettgesang  überlassen. 
Die  Entscheidung  erfolgt  an  einem  allgemeinen  Feiertag,  hier  Pfingst- 
montag wie  dort  Johannistag,  draußen  auf  der  Wiese  vor  der  Stadt. 
Das  Milieu  wird  gebildet  durch  ein  tüchtiges,  stammhaftes  Bürgertum, 
das  stolz  auf  seine  Sitten  und  Eigenheiten  —  auch  die  Straßburger 
pflegen  wie  die  Nürnberger  ihren  Meistersang  —  sich  seiner  Vater- 
stadt Straßburg  oder  Nürnberg  rühmt  und  darüber  hinaus  aber  noch 
echtes  deutsches  Nationalgefühl  bekundet.  Die  Mischung  von  froher 
Laune  und  tüchtiger  Gesinnung,  die  aus  Arnolds  Stück  uns  anspricht, 
hält  es  auch  heute  noch  frisch  und  hat  noch  in  jüngster  Zeit  eine 
Fortsetzung  erzeugt,  die  Schneegans  1899  als  „Pfingschtmondäa  vun 
hitt  ze  Däa"  veröffentlichte. 


Volkskunst:    Oberdeutsche  Lokaldichtung:   Wiener  Volksposse :    Entstehung.         24! 

Arnold  gibt  uns  ein  Beispiel,  wie  die  volkstümlichen  Tendenzen 
der  Romantik  sich  im  Lustspiel  auswirken.  In  ähnlicher  Weise  pflegt 
etwa  Johann  Heinrich  de  Noel,  der  Rheinromantiker,  aber  Gegner 
der  romantischen  Philosophie  Fichtes  ist,  die  Kölner  Lokalposse,  nur 
mit  derberem,  volkstümlicherem  Einschlag  „Der  verlorene  Sohn"  (l8l  i). 
Derartige  Versuche  sind  überall  zu  beobachten.  Während  sie  aber 
ihre  Entstehung  intellektueller  Besinnung,  gewissermaßen  einem  Bil- 
dungserlebnis danken,  entstehen  und  entstanden  bereits  im  i8.  Jahr- 
hundert in  Süddeutschland:  Schwaben,  Bayern,  Österreich  ähnliche 
Volkspossen  ohne  jede  Bildungstendenz,  gewissermaßen  stämmisches 
Bodengewächs.  Daß  darin  jedes  sittsame  Schambedenken  der  Freude 
am  volkstümlich  Drastischen,  Derben  und  Ungeschminkten  wich, 
zeigen  etwa  die  „Biblischen  und  Weltlichen  Komödien"  des  schwäbi- 
schen Pfarrers  Sebastian  Sailer  (1714 — 1777;  neu  herausgegeben  von 
Dr.  Owlglaß  19 14),  der  seine  Nachfolge  in  den  stark  ins  Gemein- 
Sexuelle  treibenden  Dialektlustspielen  von  Karl  Weitzmann  (1767  bis 
1828)  fand;  reiner  in  Gehalt  und  künstlerischer  in  Form,  wenn  auch 
weniger  urwüchsig  im  Ausdruck,  erweist  sich  schließlich  Gottlieb  Frie- 
drich Wagner  (1774— 1839),  dessen  lustige  „Schulmeisterwahl  zu  Blind- 
heim" an  Weises  „Bäurischen  Machiavellus"  und  Kotzebues  „Klein- 
städter" erinnert.  Das  eigentliche  Feld  aber  der  romantischen  Volks- 
posse ist  Österreich. 

bb)   Wiener  Volksposse, 
a.  Entstehung. 

Ursprünge  der  Wiener  Volksposse,  über  die  Moriz  Enzinger  uns 
eingehend  belehrt  hat,  sind  bereits  in  dem  barocken  Jesuitendrama 
des  17.  Jahrhunderts  zu  beobachten,  wenn  Johann  Adolf  in  ernsten 
Dramen  Bauern-  oder  Marktszenen  als  Einlagen  bringt.  Das  Jesuiten- 
drama nimmt  damit  Gebräuche  des  Komödiantenschauspiels  auf,  aber 
auch  des  Humanistendramas.  Ähnliche  derbrealistische  Hanswurst- 
possen werden  auch  in  Operntexte  eingeschoben,  mit  Allegorien  ver- 
mengt. Auch  der  französische  Klassizismus  konnte  mit  seiner  Form- 
strenge die  Freude  an  diesen  formlosen  Spaßen  und  Possen  nicht 
ausrotten.  Gerade  die  kathoHschen  Geistlichen,  deren  ganzes  Be- 
streben der  Gegenreformation  galt,  d.  h.  der  Wiedergewinnung  der 
breiten  Volksmassen,  bemühten  sich  volkstümlich  zu  wirken.  Sie  sind 
in  erster  Linie  die  Träger  der  Volkskunst,  denn  sie,  aus  dem  Volk 
erwachsen,  im  Volke  lebend,  wußten  gut  genug,  daß  der  Volksruf 
neben  panem  circenses  heißt.  Gerade  wo  das  stämmische  Volkstum 
sich  am  reinsten  und  lebendigsten  erhalten  hat,  erstehen  die  wirkungs- 
vollen Volksredner,  und  diese  sind  in  erster  Linie  katholische  Priester. 

Ihre  Absicht  war,  ähnlich  wie  im  Mittelalter,  dem  Volke  das  Über- 
sinnliche der  Religion  nicht  intellektuell  begreiflich  zu  machen,  sondern 

Hol],   Lustspiel.  i6 


2A2  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:   Romantik. 

sinnlich  zu  veranschaulichen.  Sie  hüllten  daher  den  christlich-katho- 
lischen Mythos  in  ein  bekanntes  Volksgewand.  Derbknorrige  Bauern- 
gestalten mit  grobrealistischer  Alltagsmundart  repräsentierten  die  gött- 
lichen und  heiligen  Personen,  die  biblischen  Vorgänge  wurden  um- 
gesetzt ins  dörfliche  Leben,  der  Mythos  wird  travestiert.  Dadurch 
wird  dem  Volke  eine  naive  Freude  an  Travestien  und  Parodien  ein- 
gepflanzt, die  bis  ins  19.  Jahrhundert  fortlebt  und  dort  eine  neue 
Anregung  durch  romantische  Ironie  empfängt. 

In  der  Travestierung  des  Mythos  wird  dem  Volke  leicht  Faßliches 
aus  seiner  nächsten  Alltagsumgebung  geboten,  wobei  durch  die  grobe 
Form  stets  noch  der  erhabene  Kern  hindurchleuchtet.  Es  sind  stän- 
dige Beziehungen  geknüpft  vom  Diesseits  ins  Jenseits,  vom  Naturalen 
ins  Supranaturale,  vom  Realen  ins  Irreale.  Diese  ins  Tiefe  strebende, 
die  Umrisse  auflösende,  vom  Hellen  ins  Dunkle  verschwebende  Kunst 
entspricht  barockem  Formwillen.  Barock  ist  der  Stil  der  Jesuiten- 
dramatik. Die  eigentliche  Heimat  des  Barock  ist  das  stämmische, 
katholische  Süddeutschland:  Schwaben,  Bayern,  Österreich.  Hier  ist 
auch  die  Heimat  des  barocken  Volkstheaters:  der  Stegreifposse.  Wie 
im  mittelalterlichen  Schauspiel  die  komischen  Einsprengunge  wuchsen, 
das  Gefüge  sprengten,  sich  selbständig  machten,  so  auch  die  komi- 
schen Szenen  der  Jesuitendramen. 

Die  Entwicklung  wurde  gefördert  und  größtenteils  selbständig  be- 
gründet durch  das  Vorbild  der  Komödiantenschauspiele,  insbesondere 
durch  das  Vorbild  der  italienischen  Komödianten,  die  seit  der  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  ihre  commedia  dell'arte  nach  Bayern  und  Öster- 
reich brachten.  Daß  von  Anfang  an  Musik  darin  Raum  fand,  beweist 
uns  das  Szenarium  der  ältesten  bekannten  italienischen  Posse,  bei  deren 
Aufführung  in  München  1568  die  bekannten  Musiker  Massimo  Trojano 
und  Orlando  di  Lasso  mitwirkten.  Da  die  Stegreifposse  in  ihrem  impro- 
visatorischen Charakter  stets  innigste  Verbindung  mit  dem  jeweiligen 
Publikum  erstrebte,  so  wurde  die  dürftige,  traditionelle  Handlung  immer 
wieder  mit  neuen  Lokalfarben  bunt  ausgemalt.  Gerade  Gegenden  von 
bewußter  Stammeseigenart  brachten  deren  typischen  Vertretern  große 
Vorliebe  entgegen.  Was  dem  Venetianer  der  Magnifico  Pantalones, 
dem  Neapolitaner  Scaramuccia,  das  bedeuteten  dem  Österreicher  der 
Salzburger  Hanswurst  Stranitzkys  und  dessen  Wiener  Nachfolger. 

In  Wien  fand  die  Stegreifposse  mit  ihren  stehenden  Masken  offi- 
zielle Anerkennung  als  gültige  Kunstgattung,  als  Josef  Anton  Stranitzky 
17 12  ins  Theater  am  Kärntnertor  einzog.  Der  Steiermärker  hat  den 
im  Mittelpunkte  heiterer  wie  ernster  Stücke  stehenden  internationalen 
Typus  des  gefräßig-geilen,  dreist-feigen,  dumm-schlauen  Dieners,  der 
seine  mit  lokalen  Anspielungen  gewürzten  lazzi  nach  Belieben  im- 
provisierte, zum  Salzburger  Kraut-  und  Sauschneider  geformt  und 
damit  den  Grund  zur  Wiener  Volksposse  gelegt.  Eine  Sammlung 
von  Szenarien  —  sie  sind  größtenteils  Gherardis  Theätre  italien  ent- 


Volkskunst:    Oberdeutsche  Lokaldichtung:  Wiener  Volksposse:    Entstehung.         243 

lehnt  —  gab  er  bereits  171 1  unter  dem  Titel  „OUapotrida  des  durch- 
triebenen Fuchsmundi"  heraus. 

Als  im  protestantischen  Mittel-  und  Norddeutschland  schon  der 
Rationalismus  die  Bühne  dem  Drama  Untertan  machen  wollte,  kam 
in  dem  sinnlicheren,  katholischen  Süddeutschland  das  Theater  zur 
unbedingten  Herrschaft.  Der  Hanswurst  regiert  die  Bühne.  Die  ur- 
sprüngliche symbolische  Aufgabe  des  realistischen  Spiels  als  Ver- 
sinnlichung  des  Übersinnlichen  ist  vergessen  über  der  Freude  an  der 
sinnlich  wahrnehmbaren  Erscheinung  selbst.  Die  geistlichen  Vor- 
stellungen leben  weiter  in  der  naiven  Volksphilosophie  von  Gut  und 
Böse,  Recht  und  Unrecht,  Schuld  und  Strafe,  deren  Träger  der  be- 
herrschende Hanswurst  mit  seiner  Pritsche  ist.  In  dieser  Rolle  feierten 
Stranitzky  und  sein  Erbe,  der  Wiener  Gottfried  Prehauser,  ihre  Tri- 
umphe. Die  Hanswursthandlung  hat  eine  ideelle  Verwandtschaft  mit 
ihrem  schärfsten  Gegner,  dem  auf  Besserung  zielenden  Sittenstück  des 
18. Jahrhunderts,  aber  ohne  dessen  aufdringliche Lehrhaftigkeit.  Indem 
beherrschenden  Komödientheorem  castigat  ridendo  mores  betont  das 
Regelstück  das  castigare,  die  Hanswurstposse  das  ridere.  Sie  arbeitet 
mit  den  Mitteln  des  Fastnachtspiels.  Aber  im  Gegensatz  zu  diesem 
ist  sie  nicht  nur  derbe  Unterstreichung  des  typisch  Wirklichen,  son- 
dern sie  hat  zugleich  Kontrastfunktion,  wie  sie  in  ihren  Ursprüngen 
aus  dem  Komödiantenschauspiel  und  aus  dem  Jesuitendrama  begrün- 
det ist.  Durch  die  Realität  soll  die  Idealität  um  so  anschaulicher 
hervorgehoben  werden. 

Dieses  Zweiweltensystem  wurde  in  der  stofflichen  Handlung  betont 
durch  den  dritten  großen  Pritschenverwalter  in  Wien,  den  bayrischen 
Abkömmling  Johann  Josef  Felix  von  Kurz,  der  den  Hanswursttypus  zu 
dem  naiv-drolligen  Tölpel  Bernardon  umschuf.  Er  hat  der  realistischen 
Handlungstradition  das  Wunderbare  hinzugefügt  und  vollzog  damit 
in  Wien,  was  Carlo  Gozzi  in  Italien  aus  Gegnerschaft  zu  Goldoni 
durch  seine  Fiabe  erreichte,  worin  er  die  stehenden  Masken  der  alt- 
italienischen commedia  dell'arte:  Arlecchino,  Brighella,  Dr.  Gratiano, 
Pantalone,  Capitano  Spavento  mit  Hilfe  von  feenhaften  Märchenstoflfen 
neubelebte.  Die  Verbindung  von  Wirklichkeit  und  Traumwelt,  von 
Prosadialog  und  Gesangseinlagen  ergibt  ein  den  Barockstil  des  Jesuiten- 
dramas übertreibendes  Durcheinander,  das  aber  maßgebend  werden  sollte 
für  das  kommende  Wiener  Volksstück.  Improvisation,  schauspielerisches 
Talent,  Mimik,  Prachtausstattung,  Maschinentechnik,  Musik:  alle  Ele- 
mente theatralischen  Effektes  werden  verwandt  im  Dienste  fröhlicher 
Unterhaltung,  lauten  Lachens  und  anspielungsreicher  satirischer  Parodie. 

Um  1740  feierte  in  Wien  das  Theater  unbekümmert  um  literarische 
Gesetze  seine  Triumphe.  „So  war  durch  Stranitzky,  Prehauser  und 
Kurz  die  Kunst  des  Barock  lebendige  Volkskunst  geworden.  Ganz 
Wien,  ohne  Unterschied  der  Stände,  saß  vor  dieser  Bühne.  Es  war 
ein  Rausch  der  freien  Persönlichkeit  ohnegleichen,  ein  göttliches  Spiel 


2AA  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 


mit  Menschen  und  Stimmungen,  die  große  Kunst  großer  Schauspieler, 
die  nur  an  der  sächsischen  Schule  um  Ekhof  und  Schröder  eben- 
bürtige Miteiferer  fand.  Hanswurst  war  hier  keine  Kunstfigur,  sondern 
eine  Weltanschauung.  Ostbayern  hatte,  wie  einst  Hellas,  den  Ring 
geschlossen,  vom  nationalen  Volksepos  über  das  Volkslied  zum  ganz 
stammestümlichen,  volksgemäßen  Theater".   (Josef  Nadler.) 

Doch  schon  erstand,  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts,  auch  Wien 
ein  reinigender  Gottsched,  Sonnenfels,  der  das  Verbot  des  Stegreif- 
spiels durchsetzte.  Das  literarische  Regeldrama  hatte  gesiegt.  Im  Lust- 
spiele herrschten  die  französischen  Vorbilder,  allenfalls  noch  Goldoni, 
der  italienische  Reformator  seiner  heimatlichen  commedia  dell'arte. 
Cornelius  Hermann  von  Ayrenhofif,  der  Gegner  Lessings  und  dessen 
enghscher  Orientierung,  ist  typisch  für  die  neue  Richtung.  Sein  Lust- 
spiel „Der  Postzug"  (1769)  genoß  die  Auszeichnung,  von  Friedrich  dem 
Großen  gelobt  zu  werden,  ohne  aber  über  das  Niveau  der  Lessing- 
schen  Jugendlustspiele  hinauszukommen.  Berühmter,  vor  allem  in 
Wien  und  am  Wiener  Hof,  wurde  Paul  Weidmanns  „Der  Bettelstudent" 
(1776),  der  das  alte  Schwankmotiv  vom  Studenten  als  Teufelsbanner, 
das  auch  schon  Hans  Sachs  bearbeitet  hat,  auf  Grund  eines  Zwischen- 
spiels von  Cervantes  neu  behandelt. 

Hanswurst  war  verbannt,  um  aber  ebenso  wie  in  Mittel-  oder  Nord- 
deutschland wieder  durch  die  Hintertüre  einzuschlüpfen.  Die  Grün- 
dung des  Burgtheaters  1776  schloß  ihn  zwar  von  der  Stätte  der  Adels- 
unterhaltung aus,  dafür  fand  er  aber,  begrüßt  von  dem  Volke,  eine 
Heimat  im  altvertrauten  Kärntnertortheater.  Das  Extemporieren  aller- 
dings ist,  dank  der  1770  eingeführten  Theaterzensur,  verboten.  Um  so 
mehr  suchte  Kasperl,  wie  Marinellis  Hanswursttypus  sich  benannte, 
durch  Mimik  zu  wirken;  mit  großem  Erfolg,  wie  der  Beiname  „Lach- 
theater" beweist,  den  die  zweite  Stätte  seiner  Künste,  das  1781  von 
Marinelli  eröffnete  Leopoldstädter  Schauspielhaus,  sich  errang.  Hier, 
wo  auch  Perinets  ergötzliche  Singspiele  zuerst  die  Begeisterung  der 
Wiener  hervorriefen,  erweckte  der  berühmte  Thaddädl  des  Komikers 
Hensler,  der  dann  später  zu  dem  dritten  Volkstheater,  dem  Theater 
an  der  Wien,  überging,  wahre  Lachsalven  des  dankbaren  Publikums. 

Die  Figuren  des  Thaddädl,  Kasperl  treten  nicht  mehr  wie  ehedem  der 
Hanswurst,  der  Bernardon  in  Stegreifpossen,  sondern  in  ausgeführten 
Volkskomödien  auf.  Der  Vater  dieser  neuen  Wiener  Volksposse  ist 
Philipp  Hafner,  der  ebenfalls  einen  komischen  Typus,  den  Riepel,  ge- 
schaffen hat,  denn  ohne  solchen  sind  diese  Stücke  nicht  zu  denken. 

Er  hat,  auf  Kurz-Bernardon  und  dessen  unmittelbaren  Nachfolger 
Friedrich  Wilhelm  Weiskern,  dem  Dichter  von  Mozarts  graziösem 
Schäferspiel  „Bastien  und  Bastienne",  weiterbauend,  die  Elemente  der 
Stegreifposse  benutzt  und  darauf  das  literarische  Volksstück  gegründet. 
Schon  der  gewandte  Kurz  mit  seinem  unfehlbaren,  genialen  Schau- 
spielerinstinkt hatte   die   komische  Posse   ebensowohl   dem   Zauber- 


Volkskunst:    Oberdeutsche  Lokaldichtung:  Wiener  Volksposse:  Entstehung.  245 

stück  —  „Die  „Zaubertrommel"  —  wie  der  Götterparodie  —  „Bernar- 
don,  der  aus  einem  Schmeltz-Degel  entsprungene  flüchtige  Mercuria- 
lische  Geist"  —  genähert.  Hafner  vollzieht  diese  Entwicklung,  indem 
er  seinem  Lustspiele  ,,Der  von  dreyen  Schwiegersöhnen  geplagte 
Odvardo",  das  bereits  den  Typus  echter  Wiener  Volksposse  dar- 
stellt, seine  „Megära,  die  förchterliche  Hexe"  folgen  läßt,  womit  er 
die  erfolgreiche  Laufbahn  Wiener  Zauberstücke  eröffnet. 

Die  Literarisierung  hat  die  Masken  der  früheren  Stegreifposse 
nicht  ertötet,  sondern  sie  eher  glücklich  verlebendigt,  indem  sie  ihnen 
durch  die  lyrischen  Einlagen  und  den  behaglichen  Wiener  Dialekt 
vertrauliche  Wärme  und  anheimelndes  Lokalkolorit  verlieh.  Indem 
Hafner  nun  die  Vermählung  der  realistischen  Volksposse  mit  dem  phan- 
tastischen Zauberstück  vollzog,  hat  er  dem  Barock  eine  neue  Blütezeit 
im  Wiener  Theater  beschert:  Aktion,  Dekoration,  Orchestration  sind 
seine  Hauptelemente.  Gerade  im  Zauberstück  kommt  jene  Kontrast- 
funktion des  Hanswurstspiels  zu  besonderer  Wirkung,  indem  dem 
Zuschauer  sinnfällig  zwei  Welten  vor  Augen  gestellt  werden,  die 
ineinander  übergreifen,  wie  im  Jesuitendrama:  Suprang-turales  und 
Naturales.  Dieser  Dualismus  bildet  den  Grundzug  des  Wiener  Volks- 
stücks bis  zu  Grillparzers  ,,Weh  dem,  der  lügt"  mit  seinem  Gegen" 
satz  von  Kultur  und  Unkultur.  Die  gehaltliche  Einheit,  deren  humor- 
volle Verkörperung  die  irn  Vordergrunde  stehende  Hanswurstfigur 
bildet,  ist  die  resignierende  Moral,  die  vom  laxen  Quietismus  zum 
bittern  Pessimismus  alle  Stufen  durchläuft  und  ihren  Ausdruck  vor 
allem  in  den  charakteristischen  Rollenliedern  findet,  die  oft  tiefsten 
Ernst  in  burleskester  Form  bieten.  Gerade  diese  Theaterlieder  reizten 
die  verschiedensten  Komponisten  zur  Vertonung,  von  denen  aber 
keiner  an  Fruchtbarkeit  und  Volkstümlichkeit  den  Wiener  Wenzel 
Müller  übertraf.  Wenn  dieser  aber  in  seiner  naiv-humorvollen  Volks- 
kunst ein  Bänkelsänger  im  besten  Wortsinne  blieb,  so  haben  von 
Haydn  an  die  Versuche  nicht  aufgehört,  die  Wiener  Posse  zum  Sing- 
spiel zu  formen,  und  daraus  erwuchs  schließlich  über  solche  liebens- 
würdige und  wertvolle  Talente  wie  Karl  Ditters  von  Dittersdorf  und 
Johann  Schenk  die  große  komische  Oper,  die  in  Mozarts  „Figaros 
Hochzeit"  ihre  reizvollste  Blüte  erlebte. 

„Die  Zauberflöte",  deren  Textdichter  Schikaneder  zu  den  frühesten 
Vertretern  der  Wiener  Volksposse  gehört,  ist  Beweis  genug,  wie  nahe 
Mozart  dem  Wiener  Zauberstück  stand.  Dessen  realistische  Darstellung 
übersinnlicher  Mächte,  das  Hineinwirken  jenseitiger  Kräfte  ins  Dies- 
seits leitet  naturgemäß  zur  Allegorie.  Die  dichterische  Kraft  des 
jeweiligen  Verfassers  bekundet  sich  darin,  wieweit  die  tote  Allegorie 
zum  Symbol  verlebendigt  wird.  Der  Weg  von  Hafner  über  Gleich, 
Meisl,  Bäuerle  zu  Raimund  bedeutet  den  Weg  von  der  Allegorie 
zum  Symbol,  wenn  auch  Raimund  noch  gelegentlich,  wie  in  seiner 
„Gefesselten  Phantasie",  allegorisch  gefesselt  ist. 


X 


246  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhimdert :  Romantik. 

ß.  Gleich,  Meisl,  Bäuerle. 

Wurzbach  (Biographisches  Lexikon  des  Kaisertums  Österreich) 
nennt  Gleich,  Meisl,  Bäuerle  das  „Dreigestirn  der  dramatischen  Volks- 
muse durch  vier  Jahrzehnte".  Wenn  es  auch  nur  Sterne  minderer 
Größenordnung  sind,  so  haben  sie  doch  größte  Erfolge  erzielt  und 
das  Wiener  Volksstück  endgültig  eingebürgert.  In  der  Zeit  ihrer 
Hauptwirksamkeit,  dem  Jahrzehnt  von  1813  bis  1823,  beherrschten  sie 
unumstritten  die  Wiener  Volksbühnen.  Sie  gaben  in  ihrer  schier  un- 
erschöpflichen Fruchtbarkeit,  die  Bäuerle  etwa  80,  Meisl  200,  Gleich 
300  Theaterstücke  zusammenschreiben  ließ,  der  Wiener  Lokalposse 
den  Charakter,  der  für  beide  Arten  ihrer  Erscheinungsformen:  Ko- 
mödie wie  Parodie  gleicherweise  feststeht.  Die  Komödie  ist  das  eigent- 
hche  Lokalstück  und  erscheint  entweder  als  realistisches  Sittenstück, 
das  die  von  dem  FamiHenlustspiel  der  Schröder,  Iffland  und  Genossen 
übernommene  Handlung  mit  Wiener  Lokalgewand  bekleidet  und  mit 
Hanswurstideen  ausstattet,  oder  als  Zauberstück,  das  unter  roman- 
tischem Einfluß  die  gleiche  Umrahmung  mit  Märchenstoffen  von 
Geistern,  Feen,  Prinzen  und  allerlei  Exotismen  ausfüllt.  Die  Parodie 
weist  ebenfalls  zwei  Hauptformen  auf:  entweder  ist  sie  Offen- 
bachiade,  die  ebensosehr  antiromantisch  —  im  tiefsten  Grunde 
wirkt  natürhch  auch  hier  die  gegen  das  eigene  Selbst  sich  kehrende 
romantische  Ironie  —  wie  antiklassisch  die  antike  Götterwelt  persifliert, 
oder  sie  ist  als  getreue  Zeitgenossin  der  Romantik  Literatursatire,  wie 
sie  bereits  der  drollige  Perinet  in  seinem  „Hamlet,  Prinz  von  Tandel- 
markt"  (1807)  geübt  hatte. 

Die  drei  Hauptlieferanten  des  österreichischen  Volksstücks :  Gleich, 
Meisl,  Bäuerle  erweisen  sich  in  ihrer  Pflege  aller  vier  Spielarten  als 
Angehörige  der  Romantik.  Sie  wuchern  dabei  alle  drei  mit  traditio- 
nellen Pfunden.  Der  älteste,  Gleich  (1772 — 1841),  geht  dabei  am  un- 
bedenklichsten vor;  er  weiß  am  wenigsten  Eigenes  dazu  zu  geben 
und  ist  auch  am  unbeholfensten  in  der  äußeren  Technik.  Meisl  (1775 
bis  1853)  ist  die  ausgeprägteste  Persönlichkeit,  die  ihre  düstere  Welt- 
anschauung mit  Vorliebe  in  bissig  pessimistischen  Sarkasmen  sich 
entladen  läßt  und  dafür  in  der  Offenbachiade  das  geeignete  Feld  findet. 
Bäuerle  (1786  — 1859)  ist  die  liebenswürdigste  Gestalt;  er  hat  auch 
die  größten  Erfolge  der  Drei  errungen  durch  die  joviale  Bonhommie, 
die  seinen  realistischen  Scharfblick  mildert;  sein  Hauptgebiet  ist  die 
Komödie,  sowohl  Zauberstück  wie  realistische  Posse.  Letzterer  ge- 
hört sein  erfolgreichstes  Stück  „Die  Bürger  von  Wien"  (1813)  an,  das 
mit  seinem  Hanswursttypus  des  Parapluiemachers  Staberl  die  zahl- 
reichen Staberliaden  einleitet,  denen  selbst  Nestroy  noch  huldigt  mit 
„Staberl  als  konfuser  Zauberer"  und  „Staberl  im  Feendienst".  Als 
Paradigma  Wiener  Lokalstücke  hat  es  Rudolf  Fürst  charakterisiert: 
„Der  arme  und  der  intelligente  Liebhaber,  der  dem  biederen  Vater  nicht 


Volkskunst:  Oberdeutsche  Lokaldichtung:  Wiener  Volksposse:    Gleich,  Meisl,  Bäuerle.      247 

paßt,  noch  minder  der  eitlen  und  dummen  Mutter;  der  Schwindler, 
der  sich  als  vornehmer  Freier  ins  Haus  schleicht  und  spät,  aber  doch 
entlarvt  wird;  der  biedere  Tiroler;  gewaltsame  Entführung,  Sprung  ins 
Wasser,  Rettung  und  ein  Graf  ex  machina  als  Lösung;  sehr  viel 
Patriotismus,  Wiener  Gemüthchkeit,  Wiener  Lokalkenntnisse,  Preis 
des  Wiener  Bürgertums,  dessen  Schwächen  —  man  schrieb  das  Jahr 
von  Leipzig  —  noch  ziemlich  schüchtern  hervorlugten,  all  diese  Ele- 
mente sind  in  den  «Bürgern  in  Wien»  innig  gesellt.  Und  Staberl, 
der  eben  aus  dem  Ei  schlüpfte,  in  der  Mitte". 

Er  ist  der  eigentliche  Träger  der  Komik,  die,  halb  Satire  halb  Humor, 
die  Wiener  Backhänderl-Gemütlichkeit  zur  Darstellung  bringt.  Gewiß 
liegt  darin  keine  bewundernswerte  sittliche  Hingabe  an  absolute  Werte, 
kein  erhabenes  Pflichtbewußtsein  und  hinreißender  Idealismus  der  Welt- 
anschauung. In  der  Zwangsjacke  des  Metternichschen  Systems,  der 
man  höchstens  in  den  Offenbachiaden  zeitweise  entschlüpfen  konnte, 
sind  solche  Dinge  nicht  zu  erwarten,  um  so  weniger  als  der  Josefinis- 
mus in  Verbindung  mit  der  Stärkung  der  Staatsautorität  eine  der- 
artige Schwächung  der  Staatsbürgerpersönlichkeit  gebracht  hatte,  daß 
damit  wohl  eine  allgemeine  Gleichheit,  aber  eine  Gleichheit  in  Unter- 
ordnung, ja  serviler  Unterwürfigkeit  die  Folge  war;  die  josefinische 
Liberalität  war  dadurch  die  direkte  Voraussetzung  der  Metternichschen 
Reaktion. 

Aber  im  Grunde  liegt  der  calvinisch-kantische,  auf  sittlich  ver- 
antwortlichem Selbstgefühl  gründende  idealistische  Schwung  dem 
Wiener,  dem  österreichischen  Charakter  überhaupt  nicht.  Es  mag 
sich  darin  die  durch  Jahrhunderte  hindurch  ungestörte  Herrschaft  des 
Katholizismus  geltend  machen.  Da  hier  kein  zeitlicher  Bruch,  keine 
räumliche  Spaltung  durch  die  Reformation  verursacht  wurde,  so  er- 
freut sich  Bayern-Österreich  einer  beneidenswerten  Einheit  des  Lebens- 
gefühls. Es  fehlt  darin  die  zerklüftende  Tendenz  des  ausgesprochen 
individualistischen  Persönlichkeitskults,  wie  ihn  die  starke  Betonung 
der  Selbstverantwortlichkeit  im  Protestantismus  begünstigt.  Die  Stärke 
katholischen  Gemeinschaftsgefühls  verbindet  sich  andrerseits  leichter 
mit  einer  Lässigkeit  in  Sachen  der  praktischen  Vernunft.  Der  Mittler- 
glaube, der  zwischen  Gott  und  Mensch  die  Heiligen  und  den  ge- 
weihten Priester  stellt,  ordnet  die  Feen  und  Zauberwesen  als  im  Jen- 
seits verankerte  und  im  Diesseits  wirkende  Mächte  viel  leichter  in 
seine  Gesamtweltanschauung  ein.  Der  dem  Gnadenschatz  vertrauende 
Katholik  ist  naiver  in  seinem  Bewußtsein,  daß  letzten  Endes  doch 
für  ihn  gesorgt  wird,  als  der  grüblerische  Protestant;  er  ist  auch  ge- 
duldiger, ergebungsvoller,  bereiter  zum  Sichdreinschicken.  Wie  die 
Heldenhaftigkeit  der  Märtyrer  wesentlich  passiver  Art  ist,  so  eignet 
überhaupt  dem  katholischen  Glauben  eher  Passivität  denn  Aktivität. 

In  dieser  metaphysischen  Neigung  zum  Quietismus,  und  mehr  als 
ein  vergleichsmäßiges  Hinüberneigen  soll  damit  nicht  angedeutet  sein, 


2A.S  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

scheint  mir  die  berühmte  Wiener  Gemütlichkeit  zu  wurzeln,  die  auch 
in  jener  stammeseigentümlichen  Spielfreude  Ausdruck  findet,  wie  sie 
Josef  Nadler  in  seiner  Literaturgeschichte  aus  einer  Fülle  von  klima- 
tischen, ethnographischen  und  historischen  Quellen  ableitet.  Gut 
schwarzgelb  gesinnt,  bedeutet  für  sie  Wien  den  Mittelpunkt  der  Welt. 

Der  Wiener  und  seine  Donaustadt  stehen  in  einer  Art  Kindschafts- 
verhältnis. Wien  ist  Blut  vom  eignen  Blut.  Wohl  kennt  er  seine 
Fehler,  aber  er  liebt  es  darob  nicht  minder,  ja  oft  scheint  es,  daß 
es  sich  auch  hier  bewahrheitet,  daß  Sorgenkinder  die  liebsten  sind.  Mag 
es  ihm  noch  soviel  Anlaß  geben,  seiner  spielerischen  Spottlaune  die 
Zügel  schießen  zu  lassen,  schließlich  gibt  es  halt  doch  „Nur  a 
Kaiserstadt,  nur  a  Wien"  (Bäuerle,  Aline  oder  Wien  in  einem  andern 
Weltteil,  1822). 

Wiener  Persönüchkeiten,  Wiener  Gesinnungen,  Wiener  Ereignisse, 
Wiener  Verhältnisse,  Wiener  Räumlichkeiten,  Straßen  und  Plätze, 
Wiener  Dialekt:  überall  wird  Wien  gespielt.  Ob  realistischer  Schwank, 
ob  Zauberstück,  ob  Götterparodie,  ob  Literatursatire:  Wien  leiht  die 
Farben.  Hier  ist  wirklich  eine  echte  Lokalposse  entstanden,  die  ohne 
literarische  Ansprüche  sich  in  theatralischer  Spiel-  und  Schaufreude 
tummelt,  deren  Hauptelement  das  Wiener  Frozzeln  und  Raunzen  ist. 

y.  Ferdinand  Raimund. 

In  das  Reich  wahrer  Poesie  wird  die  Lokalposse  durch  den  Wiener 
Drechslersohn  Ferdinand  Raimann  (1790 — 1836)  gehoben.  Unter  dem 
Bühnennamen  Raimund  begann  er  1815  nach  mancherlei  mißglückten 
Versuchen  seine  erfolgreiche  Laufbahn  als  Schauspieler  mit  der  Rolle 
des  Adam  Kratzerl  in  Gleichs  ,, Musikanten  am  hohen  Markt".  Seine 
Dichterlaufbahn  trat  er  1823  an  mit  der  Umarbeitung  eines  Zauber- 
märchens von  Meisl  zu  seinem  ,,Der  Barometermacher  auf  der  Zauber- 
insel". Dieses  parodistische  Märchenstück,  das  noch  ganz  in  den 
Bahnen  der  Tradition  verläuft,  zeigt,  daß  der  Schauspieldichter  alle 
Register  zu  ziehen  versteht,  um  auf  das  Wiener  Volk  zu  wirken.  Selb- 
ständiger erweist  sich  „Der  Diamant  des  Geisterkönigs"  (1824).  Die 
relative  Selbständigkeit  liegt  allerdings  nicht  in  der  Form,  sondern 
im  Gehalt,  der,  gegenüber  der  üblichen  Philistrosität  mit  realistisch- 
pessimistischer Gebärde,  ein  idealistisch-optimistisches  Vertrauen  auf 
Frauen-  und  Dienertreue  ausspricht  und  damit  an  Stelle  boshaft  ver- 
zerrter Karikatur  menschliches,  sittlich  wertvolles  Fühlen,  Denken  und 
Handeln  den  Frauen  und  Dienern  nicht  minder  zuerkennt  als  den 
Herren  der  Schöpfung. 

Das  Mädchen,  das  der  Feenkönig  dem  tugendhaften  jungen  Mann 
beschert,  ,,ist  der  schönste  Diamant",  den  es  geben  kann.  Es  ist 
makellos  und  mit  allen  fraulichen  Reizen  und  Tugenden  geschmückt, 
ganz  im  Gegensatz  zu  den  keifenden,  widerborstigen  Geschöpfen,  die 


Volkskunst:  Oberdeutsche  Lokaldichtung:  Wiener  Volksposse:  Ferdinand  Raimund.      249 


bisher  im  Volksstück  beliebt  waren.  An  ihr  tritt  auch  das  Wahrheits- 
motiv in  Erscheinung,  das  Grillparzers  edles  Lustspiel  mit  dem  Wiener 
Volksstück  verknüpft.  Der  Diener  Florian,  den  Raimund  selbst  in 
der  Uraufführung  verkörperte,  verbindet  Dienertreue  mit  Thaddädl- 
einfalt,  Schläue  mit  Dummheit,  Mut  mit  Feigheit,  überwindet  damit 
die  grobe  Possenkomik  des  traditionellen  Hanswurst  und  bereitet 
hierdurch  auf  die  vollkommeneren  Vertreter  seiner  Art  in  Habakuk 
und  Valentin  vor.  Technisch  unterscheidet  sich  das  Werk  nicht  von 
dem  eingebürgerten  Zauberstück  und  macht  insbesondere  Gebrauch 
von  den  behebten  Tierverkleidungen.  Allerdings  darf  man  die  Wiener 
Vorliebe  für  Tierstücke  nicht  ausdeuten  im  Sinne  romantischer  Natur- 
philosophie, die,  Gedankengänge  von  Leibniz  über  die  Beseeltheit 
der  Tiere  aufgreifend  und  erweiternd,  zu  einer  allgemeinen  Natur- 
beseelung und  -vergeistung  geschritten  ist.  Das  Wiener  Tierstück 
steht,  getreu  thomistisch-aristotelischer  Auffassung  von  der  nur  trieb- 
haften Beseeltheit  der  Tiere,  noch  dem  cartesianischem  Standpunkt 
nahe  und  verwendet  die  Tiere  im  Grunde  nicht  anders  als  der  ratio- 
naHstische  Fabeldichter,  der  in  ihnen  nur  willkommene  Masken  sieht, 
um  Menschliches  zu  verallgemeinern. 

Das  Stück  „Das  Mädchen  aus  der  Fremde  oder:  Der  Bauer  als 
MilHonär"  (1826)  zeigt  sich  auch  in  der  stoff hohen  Erfindung  selb- 
ständig, wenn  es  auch  der  Idee  nach  der  Fabel  vom  träumenden 
Bauern  verwandt  ist  und  damit  traditionell  nicht  nur  dem  Wiener 
Volksstück,  sondern  derWekliteratur  überhaupt  angehört.  Raimund  hat 
dieses  uralte,  bis  auf  die  jüngste  Gegenwart  —  Gerhart  Hauptmann!  — 
wirksame  Märchenthema  verbunden  mit  der  Abneigung  gegen  die 
sozialwirtschafthchen  und  sozial  ethischen  Schäden  seiner  Zeit,  wie 
sie  in  den  von  Eipeldauer  geschilderten  „Negozianten",  die  etwa 
heutigen  Kriegs-  und  Revolutionsgewinnlern,  Schiebern  entsprechen, 
zutage  traten.  Grillparzer  nennt  den  „Bauern  als  MilUonär"  ein 
natürlich-anmutiges  Stück,  das  der  gesunde  Sinn  der  Nation  hervor- 
gebracht habe. 

Raimunds  nächste  Werke  „Die  gefesselte  Phantasie"  (1826)  und 
„Moisasurs  Zauberfluch"  (1827)  lassen  leider  diese  ursprünghche  Volks- 
natur vermissen  und  atmen  Stubenluft,  Bildungsgeist.  Dadurch  fehlt 
ihnen  die  Wärme,  ihr  allegorischer  Prunk  läßt  uns  kalt,  obwohl  auch 
hier  wieder  der  Dichter  durchdringt  in  einzelnen  reahstisch  geschauten 
Gestalten  wie  dem  Bänkelsänger  Nachtigall  in  der  „Gefesselten  Phan- 
tasie" oder  den  derben  Bauern  in  „Moisasurs  Zauberfluch",  mit  denen 
er,   ebenso  wie  schon  im  Millionärbauern,   Anzengruber  vorbereitet. 

Noch  wirksamer,  lebenswahrer  malt  er  das  Bauernmilieu  in  dem 
Meisterwerke  seines  dichterischen  Schaffens,  in  „Der  Alpenkönig  und 
der  Menschenfeind"  (1828).  Grillparzer  hat  darüber  eine  ausführliche 
Besprechung  geschrieben,  die  in  ihrem  begeisterten  Lobe  auch  heute 
noch  Wort  für  Wort  Geltung  hat.    Durch  den  Hinweis  ersparen  wir 


250  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

uns  Wiederholungen.  Innerstes  Selbsterlebnis  wird  hier  zum  tragisch 
getönten  Lustspiel  in  Zaubergewand;  Raimund  ist  hier  Moliere  in 
Märchenlanden.  Im  „Alpenkönig  und  Menschenfeind"  wandelt  sich 
Raimund  von  dem,  im  Schillerschen  Sinne,  naiven  Dichter  zum  senti- 
mentalischen  und  nähert  sich  dadurch  dem  vom  Barock  abgegrenzten 
deutschen  Formwillen  der  Romantik,  allerdings  mit  der  Einschrän- 
kung, daß  er  das  Einmalige,  Persönliche  wieder  verschleiert  durch 
die  Verwendung  traditioneller  barocker,  überindividueller  Formen. 
Hiermit  zahlt  er  den  Tribut  seiner  Zugehörigkeit  zur  Wiener  Romantik, 
der  er  im  tieferen  Grunde  seines  Wesens  auch  durch  sein  ursprüng- 
liches Schauspielertum  verwandt  ist,  denn  sie  unterscheidet  sich  ge- 
rade von  der  allgemeinen  Romantik  durch  die  stärkere  Betonung  des 
Theatralischen,  Schauspielerischen  und  neigt  damit  mehr  dem  Barock 
zu.  Hierin  decken  sich  die  Ergebnisse  der  allzuhäufig  übersehenen 
oder  befehdeten  Formunterscheidungen  Walzels  mit  den  ethno- 
graphischen Feststellungen  Nadlers. 

Nur  noch  einmal  hat  Raimund  solche  Höhe  dichterischen  Erlebens 
und  Gestaltens  erreicht:  im  „Verschwender"  (1833).  Auch  hier  ist 
wieder  jener  deutsche  Formwille  der  Romantik  zu  verspüren,  der 
aus  der  Betonung  des  Ichs  heraus  in  Ablehnung  allgemeingültiger 
Formen  zur  Formauflösung  neigt,  weil  er  den  Ausdruck  individuellen 
Erlebens  möglichst  unverfälscht  gestalten  möchte.  Schon  der  ursprüng- 
liche Titel  „Bilder  aus  dem  Leben  eines  Verschwenders"  weist  auf 
die  Lockerung  des  dramatischen  Aufbaus  hin.  Die  Bildfolge  der  drei 
Akte  ist  zuerst  durch  drei,  dann  durch  zwanzig  Jahre  unterbrochen, 
und  ihr  loser  Zusammenhang  wird  überdies  noch  angedeutet  durch 
die  vor  den  jeweiligen  Akten  frisch  aufgeführten  Personen  Verzeich- 
nisse. Die  stoffliche  Idee  entspricht  dem  Materialismus  der  in  Eipel- 
dauers  Briefen  geschilderten  ,, Schieberzeit"  Wiens  im  zweiten  und 
dritten  Jahrzehnt  des  Jahrhunderts.  Der  Verschwender  Herr  von 
Flottwell  ist  eine  jener  von  der  Welle  des  Glücks  auf  den  Gipfel  ge- 
tragenen und  dann  wieder  in  den  Abgrund  geschleuderten  Existenzen. 
Doch  mit  Recht  hat  man  als  die  eigentliche  Hauptperson  Valentin 
angesprochen.  In  diesem  Diener  und  ehrsamen  kleinen  Handwerks- 
meister verherrlicht  Raimund  die  Dankbarkeit,  die  er  so  bitter  in  seiner 
Umwelt  vermißte.  Er  stellt  damit  seiner  selbstsüchtigen,  materiaUsti- 
schen  Zeit  in  dem  Vertreter  sozialer  Stände,  die  bisher  dem  Volks- 
stück nur  erniedrigende  Karikaturen  geliefert  hatten,  den  uneigen- 
nützigen Idealisten  als  Vorbild  vor  Augen,  von  dem  wir  das  schöne 
Wort  hören:  „Mit  unglücklichen  Leuten  muß  man  subtil  umgehen, 
die  Glücklichen  können  schon  eher  einen  Puff  aushalten".  Seine 
resignierende,  humorvolle  Lebensphilosophie  spricht  das  viel  ge- 
sungene, noch  heute  bekannte  Hobellied   aus. 

Mit  Valentin  ist  die  Entwicklung  vom  alten  Wiener  Hanswurst 
über  Florian  und  Habakuk  zum  Gipfelpunkt  geführt;  statt  der  Possen- 


Volkskunst:  Oberdeutsche  Lokaldichtung:  Wiener  Volksposse:  Johann  Nepomuk  Nestroy.      25  I 

komik  des  Vorbilds  im  Arlecchino  der  italienischen  Stegreifposse 
bietet  er,  durch  die  Übertragung  ins  Wienerisch  -  Gemütliche  und 
-Gemütvolle  und  durch  die  Läuterung  der  künstlerischen  Form,  die 
Verkörperung  reinen  Humors.  Der  Entwicklungslinie  des  Harlekin 
in  Florian  —  Hababuk  —  Valentin  entspricht  die  seiner  Colombine 
in  Mariandel  —  Lieschen  —  Rosel.  Gerade  Rosel  zeigt,  wie  klug 
Raimund  versteht,  zusammengestellte  Kräfte  auszubalancieren.  Dem 
weichen,  leicht-sinnigen,  unbekümmerten  Valentin  steht  die  sorgende 
Hausfrau  zur  Seite,  die,  fest  im  Boden  der  Tatsächlichkeit  wurzelnd, 
energisch  zupackt,  ohne  in  ihrem  gesunden,  aller  Schwärmerei  ab- 
holden Empfinden  sich  dauernd  zu  verhärten. 

In  solchen  Gestalten  beweist  Raimund,  daß  es  ihm  als  echtem 
Dichter  vergönnt  ist,  mehr  als  bloße  Allegorien  zu  bilden.  Er 
schafft  lebenswahre,  blutvolle  Gestalten  aus  dem  Volke  für  das  Volk 
und  wird  dadurch  zum  klassischen  Volksdichter  Österreichs.  Trotz 
seiner  unlösbaren  Verwurzelung  in  der  Tradition  schöpft  er  doch  aus 
tiefem,  innerem  Erleben.  Gerade  dadurch  gewinnen  seine  Stücke  den 
eigentümlichen  Schmelz  von  kalt  und  warm,  lachen  und  weinen, 
Freude  und  Trauer,  den  wir  seit  Jean  Paul  gern  als  charakteristisch 
für  deutschen  Humor  betrachten.  Und  diese  Mischung  ist  letzterdings 
der  Ausdruck  ureigensten  Wesens,  das  ihn  gleichzeitig  Philister  und 
Bohemien  sein  läßt,  ihn  mit  Weichheit  und  Jähzorn  begabt,  das  den 
Menschenscheuen  zum  Schauspieler  macht  und  ihn,  der  nur  in  der 
einsamen  Natur  sich  wohlfühlt,  nach  dem  Beifall  der  Masse  geizen 
läßt.  Nur  ein  Jahrzehnt  blieb  ihm  dieser  treu,  nur  zehn  Jahre 
(1823 — 1833)  dichtete  er  seine  zugkräftigen  Volksstücke;  am  Schlüsse 
sah  er  sich  bereits  aus  der  Gunst  der  leichtbeweglichen  Wiener 
entthront. 

(5.  Johann  Nepomuk  Nestroy. 

Noch  zu  seinen  Lebzeiten  muß  Raimund  seinen  Nachfolger  erblicken 
in  Johann  Nepomuk  Nestroy  (i8oi — 1862).  Im  selben  Jahre,  in  das  die 
Entstehung  des  „Verschwenders"  fällt,  findet  die  Aufführung  jener 
Posse  statt,  die  Nestroys  Meisterstück  bildet:  „Der  böse  Geist  Lum- 
pacivagabundus  oder  das  liederliche  Kleeblatt"  (1833).  Sie  ist  ähnlich 
wie  „Der  Verschwender"  aus  der  sozialen  Schwindelatmosphäre  ge- 
boren, doch  die  beibehaltene  Märcheneinkleidung  ist  nur  Parodie  auf 
Raimunds  Märchendichtung.  Ist  Raimund  sinnig,  so  ist  Nestroy  sar- 
kastisch; ist  jener  Idealist,  so  dieser  Realist;  pflegt  jener  von  den 
verschiedenen  Zweigen  des  Wiener  Volksstückes  das  Zauberstück,  so 
dieser  die  Parodie  und  das  realistische  Sittenstück.  Nestroy  gehört  be- 
reits einer  neuen  Zeit  an  und  läßt  auf  die  mondbeglänzte  Zauber- 
nacht der  Romantik  die  Satire  folgen.  An  Stelle  von  Raimunds  Sinnig- 
keit setzt  er  Sinnlichkeit,  an  Stelle  des  Idealen  das  Materielle,  an 
Stelle  des  Versöhnenden  das  Beißende,  an  Stelle  sittlicher  Forderung 


2C2  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Romantik. 

naturalistisches  Abbild  des  Verkommenen.  Er  kommt  dabei,  wie  in 
„Zu  ebener  Erde  und  im  ersten  Stock"  (1838)  zur  Schilderung  kon- 
trastierender sozialer  Rangstufen,  wie  sie  in  dieser  Prägnanz  erst 
wieder  in  der  naturalistischen  Epoche  gegen  die  Jahrhundertwende 
beobachtet  wird. 

Leicht  wird  dabei  der  Ernst  der  Auffassung  in  der  Darstellung 
durch  die  üppig  quellende  Flut  seines  unbedenklichen  Witzes  zur 
Frivolität.  Aber  die  zynische  Gemeinheit,  die  man  für  seinen  Haupt- 
charakterzug erklärt  hat,  liegt  mehr  in  der  Zeit  als  in  ihm.  Gewiß 
gibt  das  Wahrgenommene  ein  Mittel,  die  Art  des  Wahrnehmenden  zu 
beurteilen,  und  Nestroy  sieht  nur  die  Verwahrlosung  seiner  Zeit.  Aber 
er  sieht  sie  mit  so  unerbittlicher  Schärfe,  daß  wir  auch  in  diesem  essig- 
sauren Pessimismus  eine  sittliche  Veranlagung  erkennen  müssen.  Und 
indem  er  aus  ihr  heraus  die  Schilderung  der  beobachteten  Zeitverhält- 
nisse mit  erbittertem  Hohn  übergießt,  erhebt  er  sie  trotz  aller  Ge- 
meinheit und  burleskem  Unsinn  zur  Groteske.  Durch  seine  scharfe 
Beobachtungsgabe  und  sein  schlagfertiges  Stegreiftalent  kehrt  das 
Wiener  Volksstück,  indem  es  das  Zaubergewand  abwirft,  wieder  zu 
seinem  Ursprung,  der  improvisatorischen  Hanswurstposse  zurück.  Wie 
diese  sind  Nestroys  Stücke  keine  Literaturwerke,  sondern  Theater- 
werke, deren  Wirkung  in  der  Hauptsache  auf  der  Bühnendarstellung 
beruht.  Den  Theaterapparat  beherrscht  er  aber  unbedingt  und  ver- 
mag daher  um  so  leichter  auf  die  Märchenkomparserie  zu  verzichten. 

Doch  werden  dadurch  seine  witzigen  Parodien  und  Possen  keine 
Lustspiele.  Dazu  fehlen  ihm  der  tiefere,  aus  Erlebnis  quellende  Humor 
und  die  Kraft,  geschlossene  Handlung  mit  lebensvollen  Menschen 
aufzubauen.  Seine  Kenntnis  der  Schwächen  und  Fehler  seiner  Um- 
gebung entschädigt  dafür  nicht,  wenn  auch  im  Augenblick  der  Auf- 
führung der  Reichtum  seiner  Situationskomik  und  die  Fülle  seines 
Wortwitzes  darüber  hinwegzutäuschen  vermögen.  Im  Grunde  bleibt 
er  im  Stofflichen  befangen,  er  schildert  das  Leben,  wie  er  es  wahr- 
nimmt; er  erlebt  das  Leben  nicht  innerlich,  wodurch  allein  der  Stoff 
erst  zum  Symbol  wird,  das  als  ideeller  Gehalt  ihn  in  der  dichterischen 
Formung,  dem  künstlerischen  Ausdruck  seines  Erlebens,  durchdringt 
und  sich  dem  Zuschauer  überträgt.  Darin  liegt  einerseits  der  Grund 
der  ideellen  Beschränkung  seiner  Stücke,  die  gegenüber  der  allgemein- 
menschlichen Bedeutung  von  Raimunds  Werken  nur  zeitlich  und  ört- 
lich begrenzten  Charakter  tragen.  Andrerseits  berührt  er  sich  darin 
mit  dem  Volksstück  überhaupt,  und  er,  der  ebenso  geborener  Wiener 
ist  wie  Raimund,  tritt,  ungleich  diesem,  in  nähere  Verwandtschaft  mit 
den  volkstümlichen  Dialektdichtern  Mittel-  und  Norddeutschlands,  die 
alle  wie  er  dazu  neigen,  ihre  Umwelt  in  charakteristischen  Zügen 
realistisch  darzustellen,  die  wesentlich  Stoff-Former  und  keine  Gehalt- 
Dichter  sind,  die  Leben  beschreiben  und  nicht  Erleben  in  künstle- 
rischer Form  verdichten. 


Volkskunst:  Norddeutsche  Lokaldichtung:  Berliner  Posse.  253 

b)  Norddeutsche  Lokaldichtung, 
aa)  BerHner  Posse. 

In  Berlin,  der  Hauptstadt  des  nordostdeutschen  Koloniallandes,  hat 
der  rationalistische  Aufklärer  Julius  von  Voss  (1768 — 1832)  das  lokale 
Volksstück  mit  Gesang  begründet,  ebenso  wie  er  als  erster  den  Ber- 
liner Dialekt  auf  die  Bühne  gebracht  hat.  Sein  „Stralower  Fischzug" 
(1821)  gibt,  wie  schon  ,, Damenhüte  im  Theater",  einen  guten  Auftakt 
zur  Entwicklung  des  Berliner  Lokalstücks.  Auch  Achim  von  Arnim, 
der  bereits  in  seiner  von  romantisch  tragischer  Ironie  umwitterten 
Puppenkomödie  „Die  Appelmänner"  (18 13)  märkisches  Milieu  ge- 
zeichnet hatte,  bildete  einen  „Stralauer  Fischzug"  (gedruckt  1846)  als 
ein  historisch  nationales  Lustspiel  auf  Berliner  Heimatboden.  Den  Ton 
des  Volksstücks,  gleichsam  eine  Mischung  von  Holbergs  Kleinbürger- 
komödie mit  dem  Singspiel  des  Rokoko,  trifft  besser  Louis  Angely 
(1788 — 1835),  der  gleich  den  meisten  erfolgreichen  Volksdichtem  die 
Beherrschung  der  Bühnenwirkung  aus  eigener  Schauspielertätigkeit 
erlernt  hatte.  Sein  „Fest  der  Handwerker"  zeigt  die  für  das  Volksstück 
charakteristische  Durchsetzung  mit  Musikeinlagen  und  weiß  die  reali- 
stische Genrezeichnung  mit  Farben  guter  Laune  und  dem  französische 
Abkunft  verratenden  graziösen  Witz  auszumalen.  Wie  Arnolds  „Pfingst- 
montag", wie  Nestroy,  Voss,  wie  das  Volksstück  überhaupt,  bringt 
Angely  den  Handwerkerstand,  worin  das  arbeitende  —  und  feiernde  — 
Volk  zusammengefaßt  wird,  in  einzelnen  Gewerbevertretern  auf  die 
Bühne;  im  „Fest  der  Handwerker"  ist  der  köstliche  Maurerpolier  Kluck 
die  wirkungsvolle  Inkarnation  dieses  gewerklichen  Volksgemüts. 
Angely  steht  auch  der  Schlesier  Karl  v.  Holtei  (1798 — 1880)  nahe, 
der  nicht  nur  in  seiner  heimatlichen  Mundart  dichtete,  sondern  auch 
seiner  realistischen  Wirklichkeitsfreude  im  lokalen  Vaudeville  voll  Ber- 
liner Jargon  die  Zügel  schießen  ließ  und  damit  großen  Erfolg  er- 
zielte in  seinen  lustigen  „Wienern  in  Berlin". 

Doch  der  eigentliche  Berolinismus  zieht  erst  mit  Adolf  Glasbrenner 
(18 10 — 1876)  ein,  den  man  schon  zu  seinen  Lebzeiten  den  „Erzieher 
des  Berliner  Witzes"  genannt  hat.  Seine  unter  dem  Pseudonym  Brenn- 
glas veröffentlichten  32  Hefte  „Berlin  wie  es  ist  und  —  trinkt"  (1832 
bis  1850)  geben,  illustriert  von  Theodor  Hosemann,  eine  Reihe  von 
Berliner  Berufstypen,  die  wir  in  ihrer  drolligen  Komik,  mit  ihrer 
drastisch-witzigen  Ausdrucksweise  noch  heute  auf  den  Straßen  Berlins 
zu  treffen  glauben:  den  Eckensteher  Nante,  den  Droschkenkutscher, 
das  Dienstmädchen  Juste,  wozu  auch  noch  der  Philister  Buffey  zu 
zählen  ist,  dem  er  1835  vier  Sonderhefte  widmete. 

So  betätigte  sich  in  Berlin  auf  mannigfaltigste  Art  realistisch- 
witzige Volkskunst,  aber  in  einer  Weise,  die  mit  der  Wiener  Zauber- 
posse nichts  zu  tun  hatte,  obwohl  Wiener  Kunst  in  Berlin  nicht  un- 
bekannt war.     Seit  Jahrhundertbeginn   wurde  das  Wiener  Lustspiel, 


254  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 

sei  es  das  literarisch -regelmäßige  eines  Steigentesch,  Castelli  oder 
das  volkstümlich-vaudevilleartige  eines  Hensler,  Schikaneder,  auf  den 
Berliner  Bühnen  aufgeführt.  Doch  wenn  auch  daraus  erklärliche  An- 
regungen sich  ergeben:  ein  Volksstück  ist  bodenständig,  und  die 
Berliner  Physiognomie  ist  von  der  Wiener  durchaus  verschieden. 
Alle  Einflüsse  vermögen  bei  der  Volkskunst  die  Kraft  des  heimat- 
lichen Wurzelbodens  nicht  aufzuheben. 

Berlin  und  sein  Hinterland  weisen  andere  klimatische,  ethno- 
graphische und  historische  Bedingungen  auf  als  Wien  und  dessen 
bayrisches  Stammland.  Nordostdeutschland  ist  Siedelland,  in  dem 
erst  in  jüngerer  Zeit  sich  die  Vermischung  und  Durchdringung  der 
germanischen  und  slawischen  Volksbestandteile  vollzogen  hat.  Es 
ist  das  Verdienst  Josef  Nadlers,  auf  die  literarhistorische  Bedeutung 
dieses  ostdeutschen  Siedellands  nachdrücklicher  als  bisher  hin- 
gewiesen zu  haben,  wenn  er  auch  —  hoffentlich  —  seine  extremen 
Folgerungen  daraus  für  die  Romantik  in  Zukunft  noch  revidieren  wird. 

Im  Gegensatz  zum  Süddeutschen,  den  die  Natur  weit  mehr  be- 
günstigt hat  und  der  daher  weicher,  lässiger  geartet  ist,  hatte  der 
Nordostdeutsche  einen  härteren  Daseinskampf  zu  führen,  der  ihn 
zwang,  zugunsten  einer  intensiveren  Anspannung  der  Verstandes- 
und Willenskräfte,  die  weicheren  Gefühlselemente  zurückzudrängen. 
Da  er  als  Pionier  Neuland  mit  eingesessenem  Fremdvolk  erobern 
muß,  so  ist  er  stolz  auf  seine  Wesensart,  liebt  deren  Betonung,  denn 
in  ihr  sieht  er  Mittel  und  Berechtigung,  sein  Siedelwerk  zu  behaupten 
und  auszudehnen.  Indem  er  aber  dieser  Aufgabe  lebt,  indem  er  täglich 
Freiheit  wie  das  Leben  sich  erobern  muß,  bewahrt  er  sie  sich,  ver- 
fällt er  nicht  der  Gefahr  stagnierender  Tradition,  ist  er  jung  mit  all 
der  unbekümmerten  Frische,  der  besinnungslos  zupackenden  An- 
maßung, die  Kennzeichen  der  Jugend  ist.  Schon  allein  die  Tat- 
sache intensiver  Rassenmischung  selbst,  zwischen  Germanentum  und 
Slawentum,  begründet  eine  Bluterneuerung.  Er  gehört  zu  den  Neu- 
stämmen, denen  die  verpflichtende  Vergangenheit  der  Altstämme  fehlt. 

Daß  der  Protestantismus  so  rasch  überall  in  diesem  Neuland  die 
Herrschaft  gewinnen  konnte,  scheint  mir  nicht  zuletzt  in  dieser  ich- 
betonten Traditionslosigkeit  zu  liegen,  die  allein  in  Selbstprüfung  und 
Selbstbewährung  ihr  Ziel  erreichen  kann.  Die  spätere  Entwicklung 
des  Protestantismus  gerade  hier  zur  Orthodoxie  mit  ihrer  strengen 
Bindung  spiegelt  nur  die  Behauptung  der  Kolonialherrschaft,  nicht 
ihre  Eroberung.  Aus  der  Tatsache  aber  des  Protestantismus  strömen 
gerade  Kräfte,  die  jene  jugendfrische  Siedleraktivität  —  im  Gegen- 
satz zu  der  im  katholischen  Süddeutschland  beobachteten  Passivität  — 
verstärken.  Dadurch  und  durch  die  Notwendigkeit,  sich  praktischer 
Arbeit  der  Siedlung  zu  widmen,  wurde  der  jedem  jugendlichen 
Schwung  innewohnenden  Neigung,  sich  in  phantastischen  Gefühls- 
wallungen zu  verlieren,  gesteuert. 


Volkskunst:   Norddeutsche  Lokaldichtung:   Berliner  Posse.  255 

Alle  diese  Kräfte  verdichten  sich  in  dem  Kernlande  des  Siedel- 
gebiets, der  Mark,  zu  einem  ausgesprochenen  intellektualistischen 
und  voluntaristischen  Individualismus,  der  in  der  Mark  um  so  stärker 
und  bewußter  ausgebildet  wird,  als  hier  die  Herrschaft  gründet  über 
das  neugewonnene  Kolonialland.  Durch  den  begünstigten  Zustrom 
calvinistisch  gerichteter  französischer  Hugenotten  mag  hier  in  der 
Mark  das  rationalistische  und  individualistische  Aktivitätsstreben  noch 
neue  Nahrung  erhalten  haben,  wie  insbesondere  hier,  und  vor  allem 
in  der  Hauptstadt,  diese  gallische  Blutmischung  die  Neigung  zum 
Witz  förderte.  Ich  bin  mir  bewußt,  damit  keine  zureichende  Charakte- 
rologie des  Märkers  und  Berliners  zu  geben,  den  schon  Grabbe  in 
,, Napoleon"  typisch  verkörpert  als  schnoddrigen,  selbstischen,  überheb- 
lichen und  doch  im  entscheidenden  Augenblicke  ,, klugbraven  Kerl"; 
aber  ich  hoffe  doch,  die  Hauptzüge  der  Berliner  Lokalposse  in  ihren 
tieferen  Wurzelungen  verständlich  gemacht  zu  haben.  Im  Vergleich 
mit  denen  der  Wiener  Posse  bestehen  sie,  in  Schlagworten  zusammen- 
gefaßt, in  der  stärkeren  Betonung  von  Realismus  und  Intellektualismus. 
Die  Liebe  zum  Einzelnen,  Eigenartigen,  Kleinen  haben  wir  bereits  als 
Grundcharakter  aller  Romantik  betrachtet.  Das  Nationalgefühl,  das, 
aus  dem  nationalen  Unglück  erwachsend,  zum  Bestandteil  romantischen 
Fühlens  wurde,  mußte  in  Preußen,  das  am  schmerzlichsten  unter  napo- 
leonischer Gewaltherrschaft  seufzte,  am  stärksten  sich  entwickeln.  In 
dem  Kernlande  und  der  Hauptstadt  äußerte  es  sich  in  der  Besinnung 
auf  lokale  Eigenart.  Schon  die  1810  gegründeten  „Berliner  Abendblätter" 
ersehnten  im  Sinne  ihrer  Leiter  Arnim,  Kleist,  Adam  Müller  märkische 
Heimatliteratur:  „Leider  aber  begnügen  sich  unsere  Theaterdichter,  die 
Spaße  fremder  Städte,  besonders  Wien,  zu  wiederholen;  was  aber  bei 
uns  lustig  und  erfreuHch,  dafür  haben  sie  keine  Fassung.  So  finden  sich 
manche  auf  unserer  Bühne,  die  den  Wiener  oder  schwäbischen  Dialekt 
nachsprechen,  aber  keiner,  der  zum  Beispiel  gut  pommerisch-plattdeutsch 
redete,  was  in  der  Rolle  des  Rochus  Pumpernickel  sicher  recht  eigen- 
tümliche Wirkung  bei  uns  täte".    (Bereits  von  Nadler  nachgedruckt.) 

In  dieser  Richtung  entwickelten  sich  die  besprochenen  Anfänge 
des  märkisch-berliner  Volksstücks.  Zur  eigentlichen  Berliner  Lokal- 
posse wurde  dieses  aber  erst  durch  den  Einschuß  eines  neuen,  des 
jüdischen  Elements.  Wiederum  kann  es  nicht  unsere  Aufgabe  sein, 
rassenpsychologisch  eine  jüdische  Charakterologie  zu  versuchen.  Es 
genügt  uns  der  Hinweis  auf  einzelne  Züge,  die  mit  dem  Eindringen 
des  Judentums  in  die  Possenkunst  in  dieser  sich  ausbilden,  wobei 
allerdings  eine  reinliche  Scheidung  von  bodenständigem  Berolinismus 
und  importiertem  Judaismus  mir  unmöglich  scheint,  um  so  mehr  als 
gerade  in  der  Zeit  der  Possenentwicklung  Berlin  selbst  die  Wandlung 
von  Provinzialhauptstadt  zur  Reichshauptstadt,  von  Kleinstadt  zur 
Großstadt,  Weltstadt  durchmacht.  Dadurch  wird  seine  Physiognomie 
stark   verändert,   es    steht   unter  dem  Zeichen  wogender  Fluktuation 


2^6  Neunzehntes  and  zwanzigstes  Jahrbondert :  Romantik. 


und  bietet  gerade  dadurch  dem  jüdischen  Geiste  besonders  gute 
Gelegenheit,  sich  zu  betätigen.  Als  dessen  hervorstechendes  Kenn- 
zeichen fällt  uns  seine  Einfühlungs-  und  Anpassungsfähigkeit  auf, 
die  verbunden  ist  mit  dem  festgegründeten  Bewußtsein  der  Eigenart. 
Die  starke  intellektuelle  Begabung  weiß  diese  Eigenschaften  zu  nutzen, 
um  alles  rasch  aufzufassen  und  zu  beurteilen,  und  da  der  Beurteiler 
aus  seiner  sozialen  Unterdrückung  sich  erst  emanzipieren  muß,  so 
erfolgt  dies  Urteil  mit  oft  verletzender  Schärfe,  und  da  er  in  dem 
Urteil  selbst  ein  Mittel  zur  Emanzipation  sieht,  so  betont  er  darin 
seine  Überlegenheit,  indem  er  aburteilt.  Daraus  verstehen  wir  jene 
Neigung  zu  zersetzender  Kritik,  die  sich  mit  scharfem  Auge  überall, 
auch  unter  den  eigenen  Stammesgenossen  —  die  Selbstpersiflage  ist 
gerade  in  jüdischen  Kreisen  stark  —  ihre  Opfer  sucht  und  sie  mit 
einer  unvergleichlichen  Wortgewandtheit  unbedenklich  der  tötenden 
Lächerlichkeit  preisgibt.  Werden  Gemüts-  und  Gefühlstöne  ange- 
schlagen, so  scheint  sich  der  Verfasser  im  Innern  darüber  selbst  zu 
belustigen  oder  er  benutzt  sie  in  klarer  Erkenntnis  der  Massenpsycho- 
logie, zu  sentimentalen  Wirkungen. 

Mit  dieser  Charakteri.sierung  sind  die  Wesenszüge  der  Berliner 
Posse  klargelegt,  wie  sie  sich  uns  von  ihren  geistreich -witzigen 
Anfängen  bis  zu  ihrer  Versumpfung  gegen  Ende  des  Jahrhunderts 
darstellt.  Ihre  ganze  Entwicklung  ist  ein  fortdauernder  Niedergang. 
Ihren  Höhepunkt  hat  sie  durch  ihren  Gründer  erreicht.  David  Kaiisch 
C 1 820  — 1872 j,  ein  Breslauer  Jude,  der  seit  1846  in  Berlin  wirkte  und 
dort  im  Revolutionsjahr  den  „Kladderadatsch"  begründete,  ist  als 
,, Vater  der  Berliner  Posse"  bekannt.  1847  hat  er  im  Königstädter 
Theater  mit  „Einmal  hunderttausend  Taler"  den  Grund  zu  diesem 
Ehrentitel  gelegt.  Eine  ganze  Reihe  erfolgreicher  Possen,  die  alle  den 
charakteristischen,  skeptisch  getönten  Berliner  Witz  aufweisen,  folgen 
und  zeigen  in  Verwicklungshandlungen,  deren  einziges  Ziel  Situations- 
komik ist,  reali-stisch- genrehaft  unvergänghche  Berliner  Tj^^en  wie 
„Müller  und  Schulze".  Schon  die  Titel  sind  bezeichnend:  „Einer 
von  unsere  Leut",  „Berlin  wie  es  weint  und  lacht",  „Berlin  bei  Nacht", 
„Berlin  wird  Weltstadt".  Deutlich  ersehen  wir  daraus,  welche  Wand- 
lung mit  Berlin  vorgegangen  ist.  Berlin  ist  die  Stadt  des  Fortschritts, 
mit  allen  Nachteilen  für  alte  Sitte,  geworden. 

Die  Zeit  der  Romantik,  die  Biedermeierzeit,  mit  ihrer  beschau- 
lichen Ruhe  unter  der  alles  und  allein  ordnenden  Staatsgewalt  ist 
vorüber.  Liberalismus  und  Demokratie  sind  nicht  nur  die  Schlag- 
worte der  Zeit  geworden,  sie  prägen  die  politische  Ideenwelt  des 
Bürgertums,  sie  erfüllen  seine  geistige  Lebenshaltung,  formen  seine 
Weltanschauung.  Berhn  wird  der  Resonanzboden  für  die  neuen 
sozialen  und  politischen  Töne.  Die  Erregung  der  letzten  Jahre  des 
Vormärzes,  der  Revolution  und  ihrer  Folgezeit  konnte  einer  Kunst, 
deren   Wesen    und    Sinn    das    unmittelbare    realistische    Abbild    der 


Volkskunst:  Norddeutsche  Lokaldichtung:  Berliner  Posse.  25? 

Stunde  war,  nicht  fremd  bleiben.  Je  mehr  die  Politik  Gegenstand 
aktiver  Teilnahme  des  Bürgertums  wurde,  um  so  mehr  wurde  auch 
die  Posse  ihr  Sprachrohr.  Rudolf  Gottschall  wollte  in  der  Mischung 
von  schwankartigem  Stoff  mit  politischer  Satire,  wie  sie  in  den  ein- 
gestreuten Couplets  sich  auswirkte,  eine  künstlerische  Verirrung  er- 
blicken. Sicher  klingen  die  in  den  Gesangseinlagen  witzig  geäußerten 
politischen  Meinungen  des  Verfassers  nicht  immer  harmonisch  zu- 
sammen mit  den  biederen  Handwerkertypen  der  Handlung.  Und 
doch  gibt  der  kecke  Schmiß  dieser  Couplets  den  Possen  einen  Cha- 
rakter, der,  wenn  auch  das  Kennwort  aristophanisch  zuviel  sagte, 
den  frischen  Berliner  Fortschrittsgeist  oft  in  glänzender  Weise  zum 
Ausdruck  bringt,  wie  etwa  in  Kalischs  ,, Gebildetem  Hausknecht". 

Diese  Entwicklung  trägt  natürlich  andere  Züge  als  ihre  romantische 
Entstehungszeit,  es  prägt  sich  darin  der  Unterschied  des  Jahres  1848 
von  1813  aus.  Zwei  weitere  Namen  führen  sie  noch  näher  an  die 
Gegenwart  heran:  August  Weirauch  und  Adolph  L'Arronge.  In  ihnen 
tritt  nicht  so  sehr  die  politisch-satirische  Posse  in  Erscheinung  —  ob- 
wohl Weirauch  gemeinsam  mit  Kaiisch  durch  „Die  Mottenburger" 
große  Erfolge  im  Wallnertheater  einheimste  —  als  die  andere  Seite 
dramatischer  Lokaldichtung:  das  sozial-gemütliche  Volksstück.  Wei- 
rauch bietet  in  seinen  „Maschinenbauern  von  Berlin"  als  Echo  der 
sozialen  Bewegung  zum  Industriestaat,  die  mit  der  Gründung  des 
Zollvereins  und  den  ersten  Eisenbahnen  einsetzte,  das  Vorbild,  von 
dem  der  Theaterpraktiker  L'Arronge  (1837 — 1909)  sich  leiten  ließ. 
„Mein  Leopold"  (1873),  dem  1877  und  1879  die  vielgespielten  „Hase- 
manns Töchter"  und  ,, Doktor  Klaus"  folgten,  ist  das  Werk,  das  nun 
zum  Schlüsse  noch  einmal  die  von  Voss  und  Angely  begründete  Tra- 
dition aufgriff,  um  sie  in  Verwertung  der  mittlerweile  weit  fühlbarer 
gewordenen  sozialen  Gegensätze  zum  Preise  des  Handwerkerstands 
ausklingen  zu  lassen,  und  welches  damit  einen  Bühnenerfolg  erringt, 
der,  gegründet  auf  die  geschickte  Mischung  von  Ernst  und  Heiterkeit, 
Laune,  Witz,  Sentimentalität  und  sozial-moralistischer  Gebärde,  auch 
heute  noch  immer  wieder  sich  einstellt. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  Gottfried  Kellers  Urteil  über  die  Berliner 
Posse  angeführt,  das  er  als  Augenzeuge  ihrer  Glanzzeit  in  einem 
Briefe  an  Hermann  Hettner  ausspricht:  ,, Inzwischen  ist  es  schon 
immerhin  eine  bedeutende  Sache,  die  Bevölkerung  einer  so  pfiffigen 
Weltstadt,  wie  Berlin  ist,  vor  der  Bühne  versammelt  und  dem  muth- 
willigen  Schauspieler,  der  ihr  seine  Anspielungen  mit  wehmüthiger 
Laune  vorsingt,  eifrigst  lauschen  und  zujubeln  zu  sehen.  Bemerkens- 
werth  ist  auch,  daß  die  Kunst  der  komischen  Darstellung  der  Dich- 
tung unendlich  weit  vorgeschritten  ist.  Sie  ist  bereits  schon  jetzt 
für  eine  klassische  Komödie  reif  und  fertig,  während  in  der  Tragödie 
umgekehrt  die  Darstellung  fast  eben  so  weit  hinter  den  großen  Dich- 
tungen, die  wir  besitzen,   zurückgeblieben  ist.    Besonders  beim  Vor- 

Holl,  Lustspiel.  i 


258  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 

trage  der  Couplets  sind  diese  Komiker  ausgezeichnet.  Sie  machen 
wunderliche  und  höchst  ausgelassene  Gesten  und  Sprünge  dazu, 
meist  zwei  Komiker  zusammen,  das  Werfen  der  belebten  Beine  giebt 
der  Satire  noch  Nachdruck,  und  auch  das  Orchester  erhöht  seiner- 
seits bei  und  nach  den  Refrains  den  Eindruck  durch  brummige 
Paukenschläge,  durch  einen  schrillen  Pfeifentriller  oder  einen  lächer- 
lichen Strich  auf  der  Baßgeige.  Unermeßliches  Gelächter!  —  Ich 
habe  es  lebhaft  mitgefühlt,  wie  in  solchen  Augenblicken  das  arme 
Volk  und  der  an  sich  selbst  verzweifelnde  Philister  Genugthuung  findet 
für  angethane  Unbill,  ja  wie  solche  leichte  Lufthiebe  tiefer  dringen 
und  nachhaltiger  wirken  als  manche  Kammerrede.  Auch  Mimik  und 
Musik  also  bringen  ganz  neue  und  selbständige  Lebenskeime.  Und 
damit  wird  ganz  von  selbst  das  innige  Zusammenwirken  des  Dichters 
mit  den  anderen  Bühnenkünsten  bewirkt.  Der  Dichter  wird  sich  vor 
unplastischen  und  unsingbaren  Phantasien  hüten  müssen,  während 
diese  lustigen  Schnurren  ihm  neue  Ideen  und  einen  kräftigeren  Ton 
geben  werden.  Die  Natur  dieser  Komödie  bedingt  es  ferner,  daß 
Vieles  in  Übereinkunft  mit  dem  ganzen  Personal  der  Bühne  nach 
den  momentanen  Vorkommnissen  und  Stimmungen  der  Öffentlich- 
keit eingerichtet  werden  muß.  Und  daraus  kann  wieder  nur  etwas 
Neues  und  Lebendiges  entstehen.  Denn  es  ist  eine  Lüge,  was  die 
literarischen  Schlafmützen  behaupten,  daß  die  Angelegenheiten  des 
Tages  keinen  bleibend  poetischen  Werth  hätten.  Der  Großmeister 
Aristophanes  kann  sie  hierüber  eines  Besseren  belehren.  Kurz,  es 
ist  rührend,  zu  sehen,  wie  unverkennbar  hier  Volk  und  Kunst  zu- 
sammen unbewußt  nach  einem  neuen  Inhalt  und  nach  der  Befreiung 
eines  allmälig  reifenden  Ideales  ringen". 

bb)  Hamburger  Lokalstück. 

Noch  weiter  gegen  Norden  bildet  das  plattdeutsche  Sprachgebiet 
mit  Hamburg  als  Hauptstadt  eine  Heimat  dramatischer  Kunst  in  volks- 
tümlichem Sprachgewand.  Nur  dem  bayrischen  Dialektgebiet  ist  das 
niedersächsische,  dem  oberdeutschen  das  niederdeutsche  in  seiner 
ungebrochenen  stammestümlichen  Tradition  zu  vergleichen.  Schon 
im  Mittelalter  betätigte  es  sich  dramatisch,  etwa  in  dem  Redentiner 
Osterspiel  oder  in  den  Lübecker  Fastnachtspielen.  Auch  die  im  Ge- 
folge der  Reformation  siegreich  vordringende  hochdeutsche  Schrift- 
sprache konnte  die  Neigung  zu  realistischer  Darstellung  bodenstän- 
diger Typen  in  heimatlicher  Dialektsprache  nicht  ertöten.  Im  17.  Jahr- 
hundert hat  namentlich  Johann  Rist  sich  als  niederdeutscher  Dramatiker 
bewährt.  Auf  die  Bedeutung  der  Opern  und  Singspiele  mit  ihren 
Dialekteinlagen  im  18.  Jahrhundert  hat  nachdrücklich  Theodor  Gaedertz 
hingewiesen.  Den  „Bookesbeutel"  und  Krügers  „Bauer  mit  der  Erb- 
schaft", eine  Lieblingsrolle  Ekhofs,  haben  wir  bereits  früher  kennen- 
gelernt, und  der  Nachfolger  Ekhofs,  der  findige  Hamburger  Schauspiel- 


Volkskunst:  Mitteldeutsche  Lokaldichtung:  Frankfurter  Posse:  Karl  Malß.  259 

direktor  Schröder,  hat  sich  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  mit  nieder- 
deutschen Komödien  großen  Beifall  geholt. 

In  der  Franzosenzeit  wuchs  natürlich  das  Interesse  des  stets  auf 
seine  Eigenart  stolzen  Hamburger  Publikums  an  lokaler  Stammeskunst 
erst  recht  und  hat  sich  in  Johann  Gottwerth  Müllers  franzosenfresse- 
rischem  „Siegfried  von  Lindenberg"  eine  beliebte  Volksfigur  geschaffen, 
die  1813  in  der  dramatischen  Bearbeitung  durch  P.  L.  Bunsen  eine 
erfolgreiche  Verkörperung  im  Gänsemarkttheater  fand.  Als  Haupt- 
vertreter des  Hamburger  Lokalstücks  ist  aber  Jürgen  Nikiaas  Baermann 
(1785 — 1850)  zu  nennen.  Seine  Burenspillen  gehören  mit  zum  Besten, 
was  plattdeutsche  Dramatik  hervorgebracht  hat.  Gleichgültig  gegen 
den  Stoff,  den  er  etwa  in  „Stadtminschen  und  Burenlüd"  von  Kotzebue 
entlehnt,  sorglos  in  der  mit  Versen  durchsetzten  Form,  zeigt  er  doch 
so  viel  ernsten,  humorgewürzten  Gehalt  und  urwüchsige  Bodenständig- 
keit, daß  seine  derbknorrigen  Niedersachsen  in  ihrer  erfrischenden 
Lebenswahrheit  uns  auch  heute  noch  erfreuen.  Weit  ausgelassener 
in  drastischer  Komik  und  dialektischem  Witz  ist  Jakob  Heinrich  David 
(181 1 — 1839),  dessen  Bürgerwehrposse  „Eine  Nacht  auf  Wache"  un- 
verwüstlich in  ihrer  Lachwirkung  ist. 

c)  Mitteldeutsche  Lokaldichtung, 
aa)  Frankfurter  Posse:  Karl  Malß. 

Im  Gegenständlichen  entspricht  dem  Hamburger  David  der  Frank- 
furter Karl  Malß  mit  seinem  „Bürgerkapitän".  In  Mitteldeutschland 
liegen  die  Voraussetzungen  zu  einer  stammesbewußten  Dichtung 
wesentlich  ungünstiger  als  in  Nieder-  und  Oberdeutschland.  Es  ist 
Übergangs-  und  Ausgleichsgebiet,  das  Einflüssen  von  allen  Himmels- 
richtungen her  offensteht.  Gebhardt,  der  den  „Bürgerkapitän"  an- 
läßlich des  Hundertjahrjubiläums  neu  herausgegeben  hat,  konnte 
daher  mit  Recht  behaupten,  das  Frankfurter  Lokalstück  sei  „in  merk- 
würdiger, fast  zufälliger  Weise"  entstanden.  Immerhin  besitzt  Frank- 
furt, die  topographisch  überaus  begünstigte  Stadt,  die  bereits  794  als 
,, locus  celeber"  erwähnt  wird,  seit  1372  freie  Reichsstadt,  seit  1562 
Krönungsstadt  und  seit  181 5  Sitz  des  Deutschen  Bundes  ist,  seit  langem 
den  Lokalstolz,  der  stets  die  Grundlage  zur  Lokaldichtung  bildet. 

Es  ist  ein  Vetter  Goethes,  Friedrich  Karl  Ludwig  Textor,  der  mit 
seinem  dialektischen  Primanerstück  „Der  Prorektor"  (1794)  die  Reihe 
der  Frankfurter  Lokaldramatiker  bescheiden  genug  anhebt.  Der  eigent- 
liche Vater  der  Frankfurter  Lokalposse  aber  ist  Karl  Malß  (1792  bis 
1848).  Er  weist  Ähnlichkeit  mit  dem  pessimistisch  gestimmten  Wiener 
Meisl  auf.  Unzufrieden  mit  seinem  Beruf  fühlt  er  sich  vom  Theater 
angezogen,  tauscht  die  Leitung  eines  solchen  gegen  jenen  ein,  lebt  trotz- 
dem das  Leben  eines  menschenscheuen  Einsiedlers  und  offenbart  damit 
die  widerspruchsvolle  Unausgeglichenheit  seines   Charakters.     Daran 


200  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 


litt  er  wohl  noch  mehr  als  an  den  politischen  Zuständen,  deren 
niederdrückendes  Symbol  im  Deutschen  Bund  mit  seiner  trostlosen 
Mischung  von  tatenloser  Ohnmacht  und  bedrückender  Reaktion  ihm 
täglich  vor  Augen  stand.  Wie  in  Brentanos  und  Büchners  Lust- 
spielen die  romantische  Sehnsucht  brennt  als  pessimistische  Weltflucht, 
so  brannte  sie  auch  in  diesem  Sonderling,  der  sich  aus  der  drücken- 
den Welt  der  Wirklichkeit  zurückzog  und  sie  durch  Spott  überwinden 
wollte.  Doch  diese  düstere  Lebensstimmung  trübt  sein  Auge  nicht, 
sie  macht  es  nur  noch  schärfer  für  die  Schwächen  seiner  Umgebung. 
Er  beobachtet  sie  in  ihren  typischen  Vertretern  und  gibt  seine  Be- 
obachtung wieder  mit  so  erstaunlicher  Treffsicherheit  und  Lebens- 
wahrheit, daß  sie  nicht,  was  bei  seinem  Pessimismus  verständlich 
wäre,  verzerrte  Karikaturen  werden,  sondern  in  all  ihrer  Absonder- 
lichkeit und  Schnurrigkeit  einen  liebenswerten  Kern  besitzen. 

Dies  zeigt  er  gleich  in  seinem  ersten  und  berühmtesten  Stück 
„Die  Entführung  oder  der  alte  Bürger-Capitain"  (1820),  worin  er  die 
zopfige  Bürgerwehr  der  Reichsstadt  mit  ihrem  komischen  Kontrast 
von  martialischer  Gebärde  und  bravem  Kleinbürgertum  belacht.  Nach 
einigen  Bearbeitungen  Berliner  Lokalstücke  läßt  er  darauf  „Herr 
Hampelmann  oder  die  Landpartie  nach  Königstein"  (1832)  folgen. 
Im  Mittelpunkte  steht  der  philiströse  Frankfurter  Bürger  der  Bieder- 
meierzeit, der  in  dem  „baumwollenen  und  wollenen  Warenhändler 
Hampelmann"  eine  köstliche  Verkörperung  findet.  Dieser  Hampel- 
mann entspricht  dem  Wiener  Staberl  Bäuerles,  er  ist  aber  mit  tieferem 
sittlichen  Ernst  geschaut  und  enthält  daher  trotz  all  seiner  possen- 
haften Komik  Würde.  Außerdem  sprechen  sich  darin  ebensowohl 
die  zwei  Jahrzehnte  späterer  Abfassung  als  auch  der  Unterschied  des 
ernsteren,  geschäftstüchtigeren  Frankfurt  von  dem  leichtlebigeren, 
unbedenklicheren  Wien  aus.  Aber  wie  Staberl  eine  ganze  Reihe 
Staberliaden  zeugte,  so  Hampelmann  die  Hampelmanniaden,  teils  aus 
des  Urhebers  Feder  selbst,  teils  aus  der  seiner  heute,  mit  Recht,  ver- 
gessenen Nachahmer. 

bb)  Darmstädter  Posse:  Ernst  Elias  Niebergall. 

Seinen  eigentlichen  Nachfolger  fand  Malß  in  dem  Darmstädter 
Ernst  Elias  Niebergall  (18 15 — 1843).  Durch  Niebergall  wird  die  Lokal- 
posse zum  echten  humorvollen  Lustspiel  auf  dem  Gebiete  des  rea- 
listischen Charakterstücks.  Der  Unterschied  des  Possenschreibers 
Malß  von  dem  Lustspieldichter  Niebergall  besteht  letzterdings  in  der 
Weltanschauung.  Malß  haftet  am  einzelnen,  fühlt  sich  von  dessen 
Unzulänglichkeit  bedrückt  und  verfällt  daher  immer  mehr  einem  hoff- 
nungslosen Pessimismus,  in  dessen  Nachtumschattung  er  schließlich 
sein  Ende  findet.  Er  ist  weltflüchtiger  Romantiker  ohne  den  befreien- 
den Glauben  an  ein  ideelles  Ziel.  Er  bleibt  daher  auf  dem  Niveau 
der   Posse   stehen,    da   er   nicht   aus    einer   übergreifenden    Gesamt- 


Volkskunst:  Mitteldeutsche  Lokaldichtung :  Darmstädter  Posse :  E.  E.  Niebergall.      26 1 

anschauung  heraus  das  umgebende  atomistische  Weltbild  formt,  son- 
dern dessen  Nichtigkeiten  aneinanderreiht,  um  sie  schonungslosem 
Lachen  preiszugeben.  Zweifellos  zeigt  er  darin  ein  großes  Talent, 
das  ihn  unseren  besten  impressionistischen  Genremalem  zugesellt, 
aber  im  Grunde  bleibt  er  am  Äußerlichen  haften. 

Niebergall  dringt  ins  Innere.  Der  daseins-  und  hoffnungsfreudigeren 
jungdeutschen  Generation  angehörend,  ist  er  erfüllt  von  ihrem  Opti- 
mismus und  vermag  sich  deshalb  über  das  Elend  der  Gegenwart  zu 
erheben,  um  von  oben  her  humorvoll  zu  lachen,  nicht  ohne  sich  selbst 
in  dies  Belachenswerte  einzubeziehen,  da  er  trotz  Hypochondrie  und 
körperlicher  Gebresten  seehsch  gereift  ist.  Er  erreicht  daher  den 
Lustspielstandpunkt  des  echten  Dichters.  „Des  Burschen  Heimkehr 
oder  der  tolle  Hund"  (1837)  atmet  noch  Malßschen  Possengeist,  sein 
„Datterich"  (1841)  jedoch  ist  das  beste  realistische  Dialektlustspiel, 
das  bis  dahin  die  deutsche  Literatur  hervorgebracht  hat. 

Walzel  hat  bereits  betont,  daß  Niebergalls  Lokalposse  trotz  der 
stofflichen  Verwandtschaft  mit  Karl  Malß  durch  die  Nähe  Büchners, 
der  wie  Niebergall  als  Darmstädter  in  Gießen  studierte,  erst  ihren  eigent- 
lichen Charakter  empfing,  den  er  als  einen  beachtenswerten  Versuch 
bezeichnet,  „deutschem  Formwillen  durch  eine  kühne  Mischung  von 
Wirklichkeitstreue  und  grotesker  Komik  gerecht  zu  werden".  Daher 
der  lockere  Aufbau  der  nur  durch  den  Helden  zusammengehaltenen 
unbedeutenden  Handlung,  den  der  „Datterich"  mit  allen  Volksstücken 
gemeinsam  hat,  und  der  schon  in  dem  Untertitel  „Lustspiel  in  sechs 
Bildern"  zum  Ausdruck  kommt.  In  diesen  aneinandergereihten  Bildern 
erscheint  eine  Philisterwelt,  wie  wir  sie  in  ihrer  neugierigen  Ge- 
schwätzigkeit, ihrer  Eitelkeit  und  gutmütigen  Leichtgläubigkeit  aus 
Kotzebues  „Kleinstädtern"  kennen,  und  in  der  der  Lump  der  einzige 
Bedeutende  ist.  Dessen  lebende  und  literarische  Vorbilder  hat  die 
Liebe  des  Verfassers  zu  allgemeingültiger  menschlicher  Bedeutsamkeit 
erhöht.     Auf  „Datterich"  paßt  Liliencrons  launiger  Vers: 

Gottvater  hat  es  auch  gehört 

Und  denkt:  Mein  Musikante, 

Du  bist  zwar  sehr  vom  Wein  betört 

Und  torkelst  an  der  Kante, 

Du  bist  ein  liederliches   Vieh, 

Doch  bist  und  bleibst  du  ein  Genie, 

Das  ist  das  Amüsante. 

In  prachtvoller  realistischer  Plastik  steht  er  als  direkter  Nachkomme 
des  gerissenen  Maitre  Pathelin  vor  uns.  Beide  sind  Lumpen,  die  ihre 
Umwelt  betrügen  und  mit  Hilfe  ihrer  Suada  aus  allen  Verlegenheiten 
sich  herauszuziehen  wissen.  Selbst  in  Einzelheiten  verspüren  wir  An- 
klänge an  die  französische  Farce  —  die  ja  gleichfalls  Charakterkomödie 
ist  — ,  wie  in  der  Szene,  da  Datterich  sich  fieberkrank  stellt,  um  dem 
unbequemen  Gläubiger  zu  entgehen.   Dieser  als  tüchtiger,  aber  grober 


202  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 

Handwerksmeister  ist  uns  aus  der  Komödie  der  Mitläufer  des  Sturm 
und  Drangs  und  der  klassischen  Periode  bekannt,  etwa  aus  Ludwig 
Erdmanns  Lustspiel  „Alles  was  Recht  ist"  (1782).  Ein  anderer  be- 
liebter Komödientypus  ist  der  politisierende  Kleinbürger  Dummbach, 
der  über  Bürger  Eppelmeier  in  Malß'  „Bürgerkapitän"  in  direkter  Linie 
von  Meister  Hermann,  Holbergs  politischem  Kannegießer,  abstammt. 
Trotzdem  sind  es  keine  traditionellen  Schemen,  sondern  lebens- 
wahre Gestalten  von  Fleisch  und  Blut,  die  wie  naturgetreue  kultur- 
geschichtliche Porträts  aus  ihrer  zwiespältigen  Zeit  wirken.  Diese 
Naturwahrheit  gestaltet  auch  den  Dialog  mit  einer  Frische  und  Leben- 
digkeit, daß  Rieh.  M.  Meyer  mit  Recht  darin  erreicht  sah,  was  unsere 
Naturalisten  am  Ende  des  Jahrhunderts  erst  anstrebten.  Mit  den 
anderen  Lokalstücken,  insbesondere  der  Berliner  Posse,  teilt  der 
„Datterich"  die  Neigung,  jüdische  Ausdrücke  einzumengen.  Aber 
auch  hierin  hat  Niebergall  aus  eigener  Erfahrung  geschöpft,  wohnen 
doch  gerade  in  der  Nähe  der  Fläche  Darmstadt-Gießen-Dieburg,  auf 
der  sein  Leben  sich  abspielte,  von  jeher  zahlreiche  Juden,  was  wiederum 
gerade  dort  zahlreiche  Judenpossen,  meist  antisemitischen  Charakters, 
entstehen  läßt.  Aber  im  Vergleich  mit  diesen  zeigt  sich  auch  wieder, 
daß  Niebergall  bei  aller  derben  Naturalistik  doch  nicht  in  deren 
Schmutz  und  Unflat  verfällt;  er  bewahrt  sich  immer  die  humorvolle 
Freude  am  Menschhchen,  als  dessen  reinste  Blüte  uns  die  liebliche 
Marie  entgegentritt.  Einfache  Natürlichkeit,  gemütvolle  Weichheit, 
aber  auch  schlagfertiger  Witz  und  tatkräftige  Entschlossenheit  ver- 
einigen sich  in  ihr  und  reihen  sie  dadurch,  wenn  auch  in  schlichtem 
Kleide  wie  Lieschen  in  Arnolds  „Pfingstmontag",  den  schönsten 
Mädchentypen  unseres  deutschen  Lustspiels  an.  Mit  Niebergalls 
„Datterich"  hat  die  lokale  Dialektdichtung  in  der  ersten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  ihren  dramatischen  Gipfelpunkt  erreicht. 

4.  GRILLPARZER:  „WEH  DEM,  DER  LÜGT". 

In  schrillem  Gegensatz  zu  dieser  bewußten  Volkskunst  steht  das 
Lustspiel  „Weh  dem,  der  lügt"  von  Grillparzer  (1791  — 1871).  Und  trotz- 
dem teilt  es  mit  ihr  nicht  nur  den  romantischen  Ursprung,  sondern 
auch,  wie  wir  bereits  beobachten  konnten,  grundlegende  Motive.  Das 
Wahrheits-  wie  das  Zweiweltenproblem,  die  beiden  Pfeiler  von  Grill- 
parzers  Dichtung,  sind  dem  Wiener  Volksstück  ebenso  vertraut,  wie 
der  Küchenjunge  Leon  in  der  Phäakenstadt  heimisch  ist,  der,  ganz 
abgesehen  von  seinem  Stand,  überhaupt  die  Edelzucht  der  Wiener 
lustigen  Person  darstellt.  Es  ist  nicht  Grillparzers  erster  oder  einziger 
Versuch  auf  dem  Gebiete  der  Komik.  Schon  sein  Ifflandsches  Rühr- 
stück „Die  Schreibfeder"  behandelt  das  Lüge-  oder  Wahrheitsproblem, 
ein  anderes  unbedeutendes  Lustspielchen  ist  ,,Wer  ist  schuldig"  im 
Stile  Körners  und  Müllners;  dazu  treten,  weit  höher  an  dichterischem 


Grillparzer:  „Weh  dem,  der  lügt".  263 

Wert,  Humorfiguren  in  seinen  Tragödien,  wie  Melitta,  Heros  Vater, 
Bancbanus,  Zanga,  Zawisch  u.  a. 

Grillparzer  bestimmt  selbst  seine  Auffassung  des  Komischen:  „Die 
komische  Poesie  strebt  dem  Ideal  ebenso  nach  wie  die  ernsthafte. 
Nur  spricht  letztere  das  Ideal  aus,  indes  erstere  dasjenige  angreift 
und  verspottet,  was  dem  Ideale  entgegensteht".  Dadurch,  daß  auch 
das  Entgegenstehende  in  seiner  naturbedingten  Berechtigung  erkannt 
wird,  wandelt  sich  der  verspottende  Angriff  in  lächelnde  Duldung,  wird 
die  Komik  zum  Humor.  Grillparzers  Humor  erwächst  aus  der  schmerz- 
lichen Erkenntnis,  daß  der  Mensch  seiner  triebhaft  bestimmten  sinn- 
lichen Natur  nicht  entrinnen  kann,  daß  der  Glaube  an  eine  auf 
Willensfreiheit  gründende  Sittlichkeit  wohl  ein  hohes  theoretisches 
Ideal  (Gregor),  aber  ein  nie  zu  verwirklichendes  ist.  Das  Leben 
fordert  die  Annäherung  von  Idealem  und  Realem,  und  diesen  Aus- 
gleich läßt  er  uns  in  der  vollsten  und  reifsten  Frucht  seiner  komischen 
Muse  erleben:  „Weh  dem,  der  lügt"  (1837). 

Dessen  Grundproblem  ist  daher  der  Gegensatz  von  Ideal  und 
Wirklichkeit,  Sein  und  Schein.  Das  sittliche  Ideal  ist  die  unbedingte 
Wahrheitsforderung,  wie  sie  der  grübelnde  Wahrheitsfanatiker  Grill- 
parzer gegen  sich  selbst  erhob.  Aber  Wahrheit  ist  kein  totes  Buch- 
stabengesetz, das  über  dem  Menschen  steht.  Wenigstens  könnten 
wir  so  ein  absolutes  Gebot  nie  entziffern  und  dementsprechend  nie 
fehllos  handeln.  Auch  der  strengste  Richter  kann  nicht  Unmögliches 
verlangen.  Aber  er  kann  verlangen,  daß  der  Mensch  im  Einklang 
mit  seiner  inneren,  unveränderlichen  Natur  handelt.  Diese  innere 
Wahrhaftigkeit  ist  lebendige  Wahrheit.  Wir  reden  und  handeln  wahr, 
wenn  wir  uns  selbst,  ohne  Rücksicht  auf  irgendwelche  Zwecke  und 
Absichten,  zum  Ausdruck  bringen.  Diese  individualistische  Wahrheits- 
form erhält  ihren  Gehalt  gemäß  dem  in  unserem  Inneren  verankerten 
Bewußtsein  vom  sittlich  Guten.  Solche  Überlegungen  lassen  Grill- 
parzer nahe  an  Kleist,  insbesondere  auch  an  dessen  Marionetten auf- 
satz  herankommen,  sie  verleihen  auch  seinem  Lustspiel  eine  solche 
tragische  Schwere,  daß  fast  dadurch  sein  dichterischer,  aus  der  Ver- 
mählung von  Lope  de  Vega  und  Shakespeare  erblühender  Reiz  ge- 
fährdet wird.  Keine  andere  Nation  kann  solche  tiefernsten  Lust- 
spiele nachfühlen. 

Sein  Aufbau  ist  überaus  klar.  Der  erste  Akt  stellt  die  Aufgabe: 
Atalus,  der  Neffe  des  Bischofs,  soll  von  dessen  Küchenjungen  Leon 
ohne  jede  Wahrheitsverletzung  aus  der  Geiselhaft  bei  den  ger- 
manischen Barbaren  befreit  werden. 

Der  Küchenjunge  ist  nicht  nur  im  Wiener  Volksstück  beliebt,  seit 
Gil  Blas  ist  er  in  der  komischen  Literatur  eingebürgert,  ja  sein  Stamm- 
baum läßt  sich  auf  universales  Märchengut  zurückführen;  doch  seine 
direkten  Wesensahnen  sind  der  Lopesche  Grazioso  und  Shakespeares 
junger   Edelmann.     Die   ergebene  Demut   vor   dem   Herrn    und   die 


264  Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Romantik. 

energfische  Selbständigkeit  seiner  Handlungsweise,  keckes,  verwegenes 
Abenteurertum  und  innige,  sympathische  Gefühlswärme,  leichtherzige 
Weitläufigkeit  und  sittlich  ernste  Lebensauffassung  verschmelzen  in 
ihm  zu  einem  Menschen  mit  seinem  Widerspruch,  der  in  all  seiner 
schillernden  Beweglichkeit  von  einer  greifbaren  Körperlichkeit,  einer 
erstaunlichen,  lebensvollen  Jugendfrische  ist,  wie  sie  Grillparzer  nur 
als  Sehnsuchtsbild  gestalten  konnte.  Ihm,  dem  leichtblütigen  Welt- 
menschen, gegenüber  steht  der  dem  Dichter  viel  verwandtere  edle, 
ernste  Bischof,  eine  durchaus  grüblerische  Reflexionsnatur,  ein  schwer- 
blütiger Theoretiker,  der  in  einer  Idealwelt  lebt. 

Die  nächsten  Akte  (IL — IV.)  zeigen  nun  die  Lösung  der  gestellten 
Aufgabe  und  führen  daher  von  der  Kulturwelt  mit  ihren  strengen 
sittlichen  Forderungen  ins  Barbarenland.  Dieses  Zweiweltensystem 
Wiener  Barockdichtung  dient  Grillparzer  zur  Vertiefung  seiner  Dar- 
stellung des  Wahrheitsproblems.  Leon,  der  Kulturvertreter,  ist  in  der 
Barbarenwelt  der  geistig  Überlegene.  Auch  die  Lüge,  der  er  den 
Schein  der  Wahrheit  gibt,  ist  den  Barbaren  gegenüber  potenzierte 
Intelligenz.  Ihm  stellt  der  Dichter  Edrita  als  reines  Naturkind  gegen- 
über und  spinnt  damit  die  Fäden  der  Liebeshandlung.  Sie,  die  ge- 
sundeste Nachfahrin  des  sentimentalen  Gurlitypus  der  wilden  Naiven, 
repräsentiert  das  Wahrheitssein  gegenüber  Leons  Wahrheitsschein. 
Für  sie  gibt  es  keinen  Zwiespalt,  denn  sie  ist  Natur  selbst  und  „wahr 
ist  die  ganze  kreisende  Natur".  Selbst  wenn  sie  ihre  nächsten  Ver- 
wandten hintergeht,  handelt  sie  wahr,  denn  sie  handelt  ihrem  Wesen 
entsprechend.  Leon,  der  in  seinem  Kulturübermut  Edrita  zu  bilden 
sich  vermißt,  muß  erfahren,  daß  er  durch  sie  gebildet  wird.  Dieser 
sich  vollziehende  innere  Wandel  Leons  macht  das  Intrigenstück  zum 
Charakterlustspiel,  wodurch  die  Vermählung  shakespearischer  und 
spanischer  Dramatik  vollzogen  ist.  Indem  sich  Leon  nun  entschließt, 
Wahrheitsschein  durch  Wahrheitssein  zu  ersetzen,  geht  im  vierten 
Akt  die  Führung  der  Intrige  an  Edrita  über.  Und  nun  ist,  in  allem 
Humor,  ergreifend,  wie  Grillparzer,  der  die  übermenschliche  sittliche 
Bindung  Kants  und  Schillers  ablehnt,  in  sittlichem  Aristokratismus 
Leon  wachsen  und  selbst  Gott  zur  Rechenschaft  fordern  läßt.  Die 
innere  Läuterung  gibt  ihm  die  vollendete  Sicherheit:  die  Aufgabe 
ist  gelöst. 

Der  Schluß  bringt  die  Rechenschaftsablage  vor  Gregor.  Auch 
dieser,  der  Wahrheitsfanatiker,  muß  erkennen,  daß  unsere  Lebensfüh- 
rung nicht  durch  starren  Buchstabenglauben  sich  regeln  läßt.  Der 
Trieb  ist  göttlicher  als  der  Wahrheitszwang.  Die  instinktive  Sinn- 
lichkeit des  Menschen  ist  ebenso  göttlich  wie  die  Vernunft,  und 
damit  stimmt  Grillparzer,  wie  schon  Strich  beobachtet  hat,  mit  Ha- 
mann, Herder,  Goethe  überein.  Der  Wahrheit  letzter  Schluß,  die 
Deutung  der  buntverworrenen  Welt,  ist  ihm  das  heiter  resignierende: 
„Das  Unkraut,  merk'  ich,  rottet  man  nicht  aus,   Glück  auf,  wächst 


Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885).     Bürgerliches  Gesellschaftsstück.  265 


nur  der  Weizen  etwa  drüber".  Er  hat  seine  starren  Prinzipien  an 
die  Realität  der  bestehenden  Welt  angegUchen.  Das  ganze  Thema  — 
Weh  dem,  der  lügt  —  ist  in  seiner  Starrheit  aufgehoben.  Die  aske- 
tische Wahrheit  eines  Ibsenschen  Brand  taucht  unter  in  dem  Ge- 
webe des  „ungekünstelt  künstlichen  Benehmens"  des  Leon,  und  doch 
ersteht  dafür  in  ihm  die  höhere  Wahrheit,  die  die  lebendigmachende 
Wirkung  des  nicht  an  den  Buchstaben  gebundenen  Geistes  beweist. 
So  geht  scheinbar  die  Wahrheit  hier  in  Stücke  und  wird  vernichtet, 
nur  um  desto  schöner  und  reiner  sich  aus  den  Trümmern  zu  erheben. 
In  diesem  Sinne  nenne  ich  Grillparzers  „Weh  dem,  der  lügt"  das 
Lustspiel,  in  dem  sich  vielleicht  am  reinsten  wahrer  Humor  offenbart. 

Objektiv  komische  Elemente,  wie  Situationskomik  und  dergleichen, 
sind  fast  nur  in  den  drei  ersten  Akten  zu  finden,  aber  dafür  enthält 
das  Lustspiel  mehr  des  allgemein  Menschlichen,  über  das  ein  duftiger 
Schleier  der  Märchenstimmung  sich  breitet.  Von  diesem  stimmungs- 
vollen, märchenhaften  Hintergrund  hebt  sich  eine  ganze  Skala  leben- 
diger, gegeneinander  abgetönter  Lustspielfiguren  ab :  neben  Leon,  Edrita, 
Gregor  der  gefangene  Atalus,  der  als  den  Naturtrieben  entfremdeter 
Kastenvertreter  nicht  instinktmäßig,  sondern  durch  traditionelle  Sitten- 
anschauungen gebunden  handelt,  der  also,  als  Typus  des  herabge- 
kommenen Adeligen,  zwiefach  unfrei  ist;  die  Kalibannatur  Galomirs 
als  unterste  Stufe  des  Triebmenschentums,  von  dem  aber  der  Dichter 
ausdrücklich  sagt,  daß  er  tierisch,  aber  nicht  blödsinnig  sei;  schließ- 
lich der  mit  Humor  gesehene  Kattwald  als  originelle  Verkörperung 
des  traditionellen  Typus  des  polternden  Vaters. 

Gewiß  wird  das  Stück  nie  Volkstümlichkeit  erwerben;  dazu  ist 
sein  Gehalt  zu  ernst,  sind  die  tragischen  Dissonanzen  zu  stark,  und 
wenn  außerdem  die  dramatische  Konzentration  stellenweise  fast  zum 
epischen  Bericht  erschlafft,  dann  verstehen  wir  wohl,  warum  ein 
Bühnenkenner  wie  Heinrich  Laube  ihm  den  Lustspielcharakter  ab- 
erkennen wollte.  Und  dennoch  bedeutet  das  Fiasko  bei  der  Urauf- 
führung am  6.  März  1838  eine  Verurteilung  des  banausischen  Burg- 
theaterpublikums. „Weh  dem,  der  lügt"  ist  ein  Juwel  unserer  deut- 
schen Lustspielliteratur,  dessen  Wert  mit  den  Jahren  immer  mehr 
wächst  und  —  hoffentlich  —  immer  mehr  anerkannt  wird. 

IL    DAS  UNTERHALTUNGSLUSTSPIEL  DES 

19.  JAHRHUNDERTS  (1830-1885). 

I.  BÜRGERLICHES  GESELLSCHAFTSSTÜCK. 

Zweifellos  bedeutet  der  Schluß  von  „Weh  dem,  der  lügt"  eine  Ver- 
söhnung krasser  Gegensätze  im  Sinne  bürgerlich  dämpfenden  Gemein- 
schaftsgefühls. Was  Walzel  in  Unterscheidung  zweier  MögHchkeiten 
deutscher  Form  als  klassizistisch-dampfenden  Formwillen  dem  gotisch- 


266     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885). 

übersteigernden  gegenüberstellt,  wäre  also  auch  für  Grillparzer  zu- 
treffend. Seine  Abkehr  von  dem  barock-kontrastierenden  Helldunkel 
der  Wiener  Volksbühne  ist  aber  zugleich  auch  eine  Erklärung  zu- 
gunsten des  Burgtheaters,  das  solche  Dämpfung  um  so  lieber  pflegte, 
als  sie  dem  Josefinismus  mit  seiner  Züchtung  einer  gleichförmigen 
Typizität  konventionellen  Bürgertums  entsprach.  Wenn  derart  selbst 
eine  geniale  Künstlerpersönlichkeit  wie  Grillparzer,  der  durchaus  in 
barocker  Tradition  wurzelt,  der  Verbürgerlichung  des  Dramas  unter- 
liegt, so  kann  es  um  so  weniger  überraschen,  wenn  die  zahlreichen 
kleinen  Talente  bewußt  sich  darauf  einstellen,  diese  bürgerliche  Ge- 
sellschaft in  ihrer  konventionellen  Vereinheitlichung,  ihrer  sozialen 
und  sittlichen,  ihrer  weltanschaulichen  Nivellierung  zu  spiegeln. 

Dies  ist  das  Streben  des  Unterhaltungslustspiels  im  19.  Jahrhundert, 
das  damit  realistischen  Kunstwillen  bekundet,  aber  allerdings  einen 
Realismus,  der,  mit  Scheuklappen  bewehrt,  nur  die  soziale  Oberschicht 
des  besitzenden  und  gebildeten  städtischen  Bürgertums  sowie  des 
gleichgeordneten  niederen  Adels  betrachtet.  Dieser  bourgeoise  Rea- 
lismus muß  in  dem  Augenblicke  überwunden  sein,  in  dem  die  Scheu- 
klappen fallen,  die  Blicke  über  die  Stadtbezirke  hinausschweifen  ins 
weite  Land  oder  sich  innerhalb  der  Stadt  eine  neue  Unterschicht 
derart  zur  Geltung  gebracht  hat,  daß  sie  nicht  mehr  übersehen  wer- 
den kann,  in  dem  vor  allen  Dingen  eine  gründliche  naturwissenschaft- 
liche und  sozialwirtschaftliche  Schulung  verbunden  mit  dem  Auf- 
schwung empirischer  Psychologie  die  Augen  geschärft  hat  für  die 
vielgestaltige  atomistische  Struktur  der  Gesellschaft.  Damit  beginnt 
die  Heimatkunst,  beginnt  der  Naturalismus,  der  Impressionismus. 
Da  aber  auch  diese  Kunstrichtungen  sich  bestreben,  die  über- 
kommenen Gesetze  innerer  Formgebung  zu  beachten  und  demgemäß 
in  ihrem  Dienste  stoffliche  wie  gehaltliche  Kontraste  zu  mildern,  so 
scheint  sich  doch  darin  ein  gemeinsamer  Kunstwille  zu  betätigen, 
der  nicht  nur  Ausdruck  sozialer  Kräfte  ist,  sondern  jene  Möglichkeit 
deutscher  Form,  die  der  Deutung  der  Eindruckskunst  zugrunde  ge- 
legt werden  kann. 

Diese  Entwicklung  beobachten  wir  in  dem  Unterhaltungslustspiel, 
dessen  Hauptproduktion  von  der  Romantik  bis  zum  Naturalismus  ge- 
kennzeichnet ist  durch  Eduard  von  Bauernfeld  (1802  — 1890);  ihm 
wurde  jüngst  von  Wilhelm  Zentner  eine  eingehende  und  wertvolle 
Monographie  gewidmet.  Bauemfeld  geht  aus  von  jener  Lustspiel- 
produktion, die  ohne  große  Umwälzung  vom  Sturm  und  Drang  in 
die  Klassik  und  weiter  in  die  Romantik  als  ewig  plätschernder  seichter 
Bach  floß:  Als  ihre  Hauptvertreter  haben  wir  Iffland  und  Kotzebue 
kennengelernt.  Einer  der  liebenswürdigsten  der  noch  geringeren 
Geister  ihres  Chors  ist  August  Freiherr  von  Steigentesch  (1774  bis 
1826).  Durch  ihn,  den  aristokratischen  Wahlwiener,  der  bereits  die 
niederen  Stände  aus  dem  Lustspiel  verbannen  und  dessen  Gesprächs- 


Bürgerliches  Gcscllschaftsstück.  267 


ton  verfeinern  wollte,  steht  Bauernfeld  mit  jenen  Theaterdichtern  in 
Verbindung.  Einen  weiteren  Einschlag  erhält  sein  Schaffen  durch 
jene  Trivialromantik,  die  nach  der  weltanschaulichen  Frühzeit  und 
der  eigentlichen  dichterischen  Periode  der  Spätromantik  den  Verfall- 
ausgang bildet  und  in  ihrem  gemütvoll-nationalen,  schwärmerisch- 
naiven Wesenskern  das  romantische  Biedermeier  bedeutet.  Schließ- 
lich ist  für  ihn  noch  bedeutsam  das  Wirken  Josef  Schreyvogels,  der 
als  geistiger  Burgtheaterleiter  (18 14  — 1832)  in  Wien  die  „höhere" 
Dramatik  mit  josefinischem  Geist  imprägnierte,  vor  allem  aber  auch 
ihre  bühnentechnische  Gestaltung  bestimmte,  indem  er  auf  Grund 
einfachster  Bühnenausstattung  des  Burgtheaters,  im  Gegensatz  zu 
den  Volksbühnen,  als  Wirkungsziel  das  Ohr  und  nicht  das  Auge  des 
Publikums  entscheiden  ließ  und  damit  das  Schwergewicht  auf  den 
Dialog  legte.  Außerdem  aber  hat  er  sich  Verdienste  um  das  Drama 
erworben,  nicht  so  sehr  durch  eigenes  Schaffen,  wie  das  oberfläch- 
liche Lustspiel  „Die  Gleichgültigen  oder  die  gefährliche  Wette"  (1815), 
als  durch  die  ganz  im  Sinne  der  von  ihm  befehdeten  Romantik 
liegende  Erschließung  spanischer  Dramatik  für  die  Bühne:  In  der  Be- 
arbeitung von  Moretos  „Trotz  wider  Trotz"  (El  desden  con  el  desden) 
hat  er  unter  vielen  Motivänderungen  als  „Donna  Diana"  (1816)  dem 
vornehmen  Konversationslustspiel  in  Intrigen-  wie  Dialogführung  ein 
noch  heute  bewundernswertes  Muster  gegeben. 

Fügen  wir  zu  dieser  dreifachen  Grundlage  von  Bauernfelds  Lust- 
spielen noch  sein  geselliges  Wienertum,  seine  intellektuelle  Regsam- 
keit, seine  sensible  Anteilnahme  an  den  Zeitströmungen,  so  kennen 
wir  die  sein  Schaffen  bestimmenden  Elemente.  Sicherlich  ist  er  da- 
mit keine  in  sich  gründende,  isolierte  Dichterpersönlichkeit.  Er  be- 
stimmt nicht,  er  wird  bestimmt.  In  allen  seinen  Entwicklungsstadien 
schwimmt  er  daher  im  Strom  zahlreicher  Gleichgesinnter,  Gleich- 
gearteter und  Gleichschaffender,  allerdings  nicht  ohne  kraft  seiner 
Sensibilität  und  seiner  geistreichen  Sprachgewandtheit  über  die  Durch- 
schnittsmasse der  Mitströmenden  hinauszuragen. 

Die  Vorbereitungszeit  seiner  Produktion  erhält  1833  ihren  Ab- 
schluß und  ihre  Krönung  in  dem  Gesellschaftsstück  „Die  Bekennt- 
nisse" und  dem  romantischen  Spiel  „Fortunat".  Am  besten  zeigt 
der  Vergleich  mit  einem  der  bedeutenderen  Talente  der  Durchschnitts- 
schriftsteller, Karl  Töpfer  (1792 — 1871),  wie  scharf  sich  schon  sein 
Profil  von  diesen  abhob.  Töpfers  bis  dahin  erschienene  beste  Lust- 
spiele sind  „Des  Königs  Befehl"  (1821)  und  „Der  beste  Ton"  (1828). 
Beides  sind  typische  Familienlustspiele,  wenn  auch  das  frühere  ein 
historisches  Gewand  erhält.  Aber  man  merkt  doch,  der  Verfasser 
ist  durch  die  Schule  Kotzebues  gegangen,  er  bietet  Iffland  ohne 
Rührseligkeit,  namentlich  im  späteren  Stück,  und  setzt  dafür  leben- 
dige Intrigenknüpfung  mit  drastischer  Situationskomik  ein.  Auch 
Töpfer  macht  bereits  eine  Entwicklung  durch;  „Des  Königs  Befehl" 


268     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885). 

ist  noch  typisches  Vorspiel  zur  Ehe,  „Der  beste  Ton"  aber  ist  bereits 
Erziehung  innerhalb  der  Ehe.  Das  ist  im  Grunde  auch  das  Thema 
von  Bauemfelds  „Bekenntnissen". 

Darin  machen  sich  jungdeutsche  Bestrebungen  fühlbar.  Die  braven 
Staatsbürger,  wie  der  Berliner  Töpfer  und  der  Wiener  Bauernfeld  mit 
ihrem  Chor,  bekreuzen  sich  natürlich  vor  dem  Ruf  nach  Eheemanzi- 
pation, aber  immerhin  nehmen  sie  die  Ehe  zweier  Menschen  nicht 
mehr  als  bloße  Gegebenheit  hin,  sondern  fordern  die  Abstimmung 
beider  Individuen  aufeinander.  Während  bisher  die  Lustspiele  mit 
der  Zustimmung  widerstrebender  Eltern  oder  Vormünder  zur  Heirat 
der  Liebenden  schlössen,  wird  jetzt  die  Ehe  selbst  das  Thema.  Der 
Wandel  der  Zeiten  spiegelt  sich  in  der  Literatur.  Gerade  aus  dem 
Unterhaltungslustspiel,  wie  es  von  Bauernfeld  u.  a.  gepflegt  wird, 
hören  wir  das  Echo  des  Jungdeutschland,  jenes  Sturm  und  Dranges 
im  19.  Jahrhundert,  der  den  Realismus  in  unserer  Literatur  einleitet, 
der  Kunst  und  Leben  einander  wieder  nähert,  der  als  Ausdruck  eines 
vorwärtsdrängenden,  machtstrebenden  Bürgertums  Politik  und  Dich- 
tung verbündet,  der  Tatmenschen  fordert,  der  in  einer  neugegrün- 
deten Presse  Kritik  übt,  der  aber  über  allen  Anregungen  aus  dem 
Auslande  sein  Nationalbewußtsein  stolz  bewahrt.  Sein  Programm- 
buch, Wienbargs  „Aesthetische  Feldzüge"  (1834),  schreibt:  „National- 
gefühl muß  dem  Gefühl  fürs  Schöne,  politische  Bildung  der  ästhe- 
tischen vorangehen".  Mit  der  Julirevolution  hebt  eine  neue  Zeit  an, 
die  kulturell  den  Übergang  von  Individualbewußtsein,  Individualkultur 
zu  Sozialbewußtsein,  Sozialkultur  betätigt. 

Der  Kritik  dieser  Sozialkultur,  wie  sie  sich  in  der  sogenannten 
guten  Gesellschaft,  d.  h.  den  Kreisen  des  wohlhabenden  Bürgertums 
und  niederen  Adels  —  nur  ausnahmsweise  tritt  ein  Graf  oder  gar 
ein  Fürst  auf  —  darstellt,  dienen  die  Hauptlustspiele  Bauernfelds. 
Die  Psychologie  seines  Schaff'ens  erhellt  daraus,  daß  er  gern  Motive, 
die  er  in  einem  Lustspiel  episodisch  berührt,  in  einem  späteren  in 
den  Mittelpunkt  stellt,  wobei  gelegentlich  sogar  das  Wort,  das  in  der 
früheren  Situation  fiel,  später  den  Titel  gibt.  So  ergibt  sich  im 
„Letzten  Abenteuer"  (1832)  eine  Situation,  in  der  von  „Bekenntnissen 
zweier  schönen  Seelen"  gesprochen  wird,  und  sie  bildet  das  Thema 
für  „Die  Bekenntnisse"  (1833);  darin  wiederum  wird  von  den  „Krisen" 
Juliens  gesprochen,  und  diese  Situation  wird  das  Thema  für  „Krisen" 
(1852).  Da  Bauernfelds  Stärke  die  Erfindungsabe  nicht  ist,  so  be- 
gnügt er  sich  mit  dem  Stoffgebiet  des  traditionellen  bürgerlichen 
Schauspiels,  das  er  mit  Hilfe  eines  geistreichen  Gesellschaftsdialogs 
entwickelt.  Die  „bestimmte  Grundanschauung",  die  ihm  Laube  nach- 
rühmt, ist  die  Weltanschauung  der  liberalen  Wiener  Bourgeoisie,  die 
mit  einer  genießerischen  Grundstimmung  aufgeweckte  Intellektualität, 
mit  gefühlsmäßig-toleranter  Lässigkeit  klare  Einschätzung  der  Lebens- 
wirklichkeiten verband.    Diese  Grundanschauung  der  Gesellschaft,  die 


Bürgerliches  Gesellschaftsstück.  269 

in  ihrer  Bestimmtheit  und  Fortschrittlichkeit  von  der  des  Volkes  weit 
verschieden  war,  begründete  durch  ihre  Mischung  von  Aufklärung 
und  Gefühlsweichheit  eine  seltene  Urbanität  der  Verkehrs-  und  Aus- 
drucksformen. Gerade  gegenüber  dem  Aufkommen  unsoliden  Par- 
venütums  nach  dem  Niederbruch  in  der  napoleonischen  Zeit  be- 
sannen sich  das  gebildete  Bürgertum  und  der  niedere  Adel  mit  be- 
sonderem Stolze  der  historischen  Tradition  der  Stadt  und  des  Reiches, 
dessen  stützendes  Beamtentum  aus  ihren  Kreisen  sich  rekrutierte,  zu- 
gleich aber  wuchs  mit  dem  Bewußtsein  ererbter  geistiger  Güter  auch 
der  Ansporn,  sie  zu  weiterem  Besitz  neu  zu  erwerben. 

So  entstand  ein  klassenartiges  Gemeinschaftsgefühl  von  nationaler 
Tradition  und  fortschrittlichem  Geiste,  das  jene  urbane  Gesellschafts- 
kultur erst  ermöglichte.  Bauernfeld  gehörte  dieser  Kulturschicht  an, 
ihre  Ausdrucksformen  füllen  seine  Lustspiele.  Der  gemeinschaftliche 
Boden,  wo  sich  die  Angehörigen  dieser  Kulturschicht  treffen,  ist  das 
Gesellschaftszimmer,  der  Salon.  Im  Salon  konversieren  sie  in  ihren 
kulturell  gepflegten,  witzigen,  leichtflüssigen  Causerien.  Da  Bauern-, 
felds  Lustspiel  nichts  anderes  sein  will,  als  ein  verfeinertes  Spiegel- 
bild davon,  so  erhebt  es  sich  von  dem  braven  Familienstück  zum 
Salonstück,  zum  Konversationsstück.  Da  in  solcher  Konversation, 
wie  etwa  im  englischen  small  talk.  Reden  mehr  bedeutet  als  das 
Geredete,  so  überwiegt  in  dem  Konversationsstück  leicht  der  Dialog 
gegenüber  der  Handlung.  Er  ist  nicht  mehr  Mittel  zum  Zweck  der  \ 
Handlungsführung,  er  ist  Selbstzweck. 

Diese  Entwicklung  wurde  nachdrücklichst  gefördert  durch  die 
Franzosen,  die,  nachdem  sie  die  politische  Weltherrschaft  verloren 
hatten,  sie  auf  der  Bühne  neu  eroberten.  Schon  von  Laube  wurden 
im  Burgtheater  die  neusten  Franzosen  aufgeführt,  unter  seiner  Lei- 
tung (1849 — 1867),  die  die  Burg  zum  ersten  Theater  Deutschlands 
machte,  wurde  das  französische  Sittenstück  herrschend. 

Eugene  Scribe  (1791 — 1861)  war  sein  unbestrittener  Meister.  Er 
ist  kein  Dichter.  Seine  Stücke  haben  keinen  ideellen  Gehalt,  aber 
sie  sind  mit  einem  unfehlbaren  Bühneninstinkt  aufgebaut  aus  allen 
möglichen  längst  erprobten  Motiven,  in  unbedenklichsten  Anleihen 
bei  älteren  Autoren  und  wissen,  in  der  rafi"iniertesten  Ausnutzung  aller 
Bühneneff"ekte  die  verwickeltsten  und  unwahrscheinlichsten  Intrigen 
stets  spannend  zu  erhalten.  Scribe,  der  seine  gewerbsmäßige  Komö- 
dienfabrikation skrupellos  im  Kompaniegeschäft  florieren  ließ,  war 
ebenso  unbedenklich  in  der  Stoffwahl.  Der  Stoff  mußte  nur  das 
Publikum  interessieren.  Mit  besonderer  Vorliebe  schrieb  er  daher 
Sitten-  und  historische  Komödien,  in  denen  allen  die  gleichen 
Bürger  unter  Louis -Philippe  auftreten.  Sie  alle  bedienen  sich  auch 
jener  hochentwickelten  Sprachkultur,  die  die  Pariser  Konversation 
überall  vorbildüch  machte.  Es  ist  die  Kunst,  ohne  Tiefe  geistreich 
zu  sein,  mit  Armut  zu  glänzen  durch  eine  Fülle  von  Aktualitäten, 


270     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885). 

von    beziehungsreichen   Andeutungen,    von    witzigen    Pointen,    von 
frappierenden  Aphorismen. 

Daraus  konnte  die  Ausgestaltung  des  Dialogs  im  Wiener  Salon- 
stück wertvolle  Kräfte  ziehen.  Es  ist  daher  verständlich,  daß  die 
autochthone  Anlage  so  schnell  reiche  Blüten  entwickelte  wie  bei 
Bauernfeld.  Allerdings  teilt  dieser  die  Bedenkenlosigkeit  des  Fran- 
zosen nicht.  Er  besitzt  auch  nicht  dessen  Kraft  und  Erfindung  in 
der  Intrigenführung.  Um  so  mehr  mußte  er  dem  Dialog  ideellen  Ge- 
halt geben,  um  so  mehr  mußte  er  ihn  zum  ,, Mittel-  und  Brennpunkt 
des  Ganzen"  machen.  Da  dieser  in  der  Tat,  wie  Zentner  schreibt,  ge- 
radezu Stoff  und  Handlung  aufsaugt,  so  muß  er  ebensowohl  Träger 
der  Spannung  wie  der  seelischen  Vertiefung  sein.  Dieses  psychologi- 
sierende  Moment,  zu  dessen  Unterstützung  gern  der  französische 
Räsonneur  herangezogen  wird,  ist  gerade  für  das  Wiener  Plauder- 
stück charakteristisch  geworden;  ich  erinnere  aus  der  Gegenwart  nur 
an  Arthur  Schnitzler  und  Thaddäus  Rittner.  Ein  Dialog,  wie  ihn 
Bauernfeld  zwischen  dem  Gatten  und  dem  Hausfreund  —  dem  Rä- 
sonneur —  in  „Krisen"  IV,  7  führen  läßt,  zeigt  ohne  weiteres,  wie 
stark  Bauernfeld  der  Gegenwart  vorgearbeitet  hat.  Allerdings  ist 
,, Krisen",  worin  er  das  bereits  besprochene  Eheproblem  behandelt, 
wohl  sein  bestes  Lustspiel,  sowohl  im  Handlungsaufbau,  in  der 
Charakterisierung,  wie  im  Dialog. 

Ähnlich  wirkungsvoll,  wenn  auch  nicht  so  geglückt  in  der  einheit- 
lichen Höhe  der  Durchführung,  ist  bereits  „Bürgerlich  und  Roman- 
tisch" (1835),  worin  er  Kritik  an  der  geistigen  Lebenshaltung  der  eige- 
nen Gesellschaftsschicht  übt.  Es  werden  die  beiden  darin  herrschenden 
Anschauungen  einander  gegenübergestellt,  wobei  bürgerlich  die  haus- 
backene Prosa  und  romantisch  die  wirklichkeitsfremde  Schwärmerei 
bedeutet;  zwischen  beiden  steht  als  Ausgleichsfaktor  Baron  Ringel- 
stern als  der  weltmännische  Räsonneur,  der  Vertreter  aufgeklärter 
liberaler  Weltanschauung,  die  durch  Bauernfeld  für  das  Lustspiel 
des  19.  Jahrhunderts  erobert  wurde.  Bürgerlich  bedeutet  also  spieß- 
bürgerlich und  romantisch  romanhaft,  die  bürgerliche  Cäcilie  vertritt 
den  Kochtopf  und  die  Küche,  die  romantische  Katharina  den  Roman 
und  den  Salon.  Wieder  begegnen  wir  hier  jenem  Zweiweltensystem  — 
allerdings  in  viel  geringerer,  psychologisierter  Spannung —  des  Wiener 
Volksstückes,  dem  Bauernfeld  auch  sonst,  vor  allem  in  seinen  roman- 
tischen Komödien,  verpflichtet  ist,  sei  es  für  Handlungsmotive  wie  in 
,,Fortunat",  oder  für  Typen  wie  den  sentimentalen  Naturburschen  mit 
Dialektanklang  in  „Fata  Morgana"  (1855),  den  Küchenjungen  Leopold 
in  den  „Geschwistern  von  Nürnberg"  (1870).  Aber  Gegenstand  seiner 
Behandlung  ist  stets  die  Wiener  Gesellschaft,  die  er  gern  in  kontra- 
stierenden Typen  vorführt;  wie  Cäcilie  und  Katharina  die  Gegensätze 
weiblicher  Liebhaberinnen  darstellen,  so  werden  auch  männliche 
Liebhaber    kontrastiert    als    Schwadronneur    und    Sentimentaler,    als 


Politische  Komödie.  27 1 


Weltmann  und  Arbeitstier,  wobei  jener  meistens  ein  Adliger,  dieser 
mit  Vorliebe  ein  bürgerlicher  Beamter  ist.  Doch  auch  den  neuen 
Elementen  der  guten  Gesellschaft,  die  durch  den  Aufschwung  von 
Finanz  und  Industrie  ihr  zugeführt  werden,  hat  er  bereits  Heimat- 
recht in  seinem  Lustspiel  gewährt,  zunächst  noch  in  dem  Bankier 
Müller  vom  „Liebesprotokoll"  (1831)  als  jüdischem  Parvenü  mit  Komik- 
wirkung, dann  aber  als  vollberechtigte,  durchaus  ernst  zu  nehmende 
Bürger.  Auch  darin  bekundet  sich  sein  offener  Blick,  sein  klares 
Verständnis  seiner  Zeit,  sein  innerer  Kontakt  mit  ihren  Strömungen 
und  Interessen. 

2.  POLITISCHE  KOMÖDIE. 

In  den  Jahren  des  Vormärz  waren  die  Interessen  großenteils  politisch 
orientiert  und  fanden  dementsprechend,  gemäß  dem  jungdeutschen 
Programm,  auch  Ausdruck  in  der  Dichtung.  Aber  auch  hier  wieder 
geht  die  Entwicklungslinie  auf  die  Romantik  zurück.  Tiecks  „Zerbino" 
enthält  Ansätze  zur  politischen  Satire.  Freimund  Raimar  (Friedrich 
Rückert),  der  große  Anfühler  fremder  Formen,  suchte,  in  Überein- 
stimmung mit  romantischer  Vorliebe  für  das  griechische  Lustspiel,  auch 
die  aristophanische  Form  der  politischen  Komödie  sich  anzueignen,  in- 
dem er  sie  aus  starkem  Nationalgefühl  heraus  mit  dem  Haß  gegen  den 
verabscheuten  Korsen  füllte.  Doch  da  wir  gleichsam  nur  Helenas  Schleier 
erblicken  und  nicht  sie  selbst,  so  weckt  er  nur  unser  Interesse  für 
Historisch-Kunstgewerbliches,  nicht  für  Lebendig-Dichterisches.  Der 
grandiose  Stoff  ist  geistlos -giftig  vergewaltigt,  der  nationale  Gehalt 
engbrüstig  verspießbürgerlicht  und  damit  die  Form  aufgeklebter  toter 
Stuck.  „Napoleon  und  der  Drache"  (1815),  „Napoleon  und  seine  For- 
tuna" (18 18)  waren  erste  Teile  einer  Trilogie,  deren  letzten,  „Der  Leipziger 
Jahrmarkt",  Georg  Schenk  1906  aus  dem  Nachlaß  herausgab.  Auch 
der  vielgewandte  Kotzebue  hatte  in  seinem  feinhörigen  Spürsinn  für 
Aktualitäten  Napoleons -Komödien  geschrieben.  Weiter  hatte  der 
nationalgesinnte  Platen  in  seine  „Verhängnisvolle  Gabel"  politische 
Anspielungen  einfließen  lassen. 

Die  jungdeutsche  Epoche  drängt  bewußt  das  PoHtische  in  den 
Vordergrund.  Aus  politischen  Stimmungen  ist  ja  auch  die  Romantiker- 
komödie des  radikalen  Büchner  geboren,  wie  schon  das  launige  Ver- 
wechslungsspiel des  Romantikers  Eichendorff  „Die  Freier"  politische 
Töne  in  das  lyrische  Konzert  einklingen  läßt.  Doch  die  politische 
Betätigung  jungdeutscher  Führer  wurde  bekanntlich  rasch  lahmgelegt. 
Trotzdem  machte  die  politische  Komödie  weitere  Fortschritte.  Der 
Schwabe  Fritz  Rapp  Heß  in  seinem  „Wolkenzug"  (1835)  weit  stärker 
als  Platen  neben  Literarischem  Politisches  zu  Wort  kommen,  wobei 
er  sich  wesentlich  gegen  das  burschenschaftliche  Jungdeutschland 
wendete.  Weiter  als  er  war  aber  der  Danziger  Otto  Friedrich  Gruppe 
gegangen  in  seinem  dreiaktigen  Zauberspiel  „Die  Winde  oder  ganz 


272      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830  — 1885). 

absolute  Konstruktion  der  neueren  Weltgeschichte  durch  Oberons 
Hörn,  gedichtet  von  Absolutus  von  Hegelingen",  worin  schon  das 
Pseudonym  wie  der  Nebentitel  deutlich  die  Tendenz  zeigen.  In  ähnlichen 
politischen  Bahnen  bewegt  sich  „König  Kodrus"  (1839)  von  Karl  Stahl. 

Die  stürmischen  vierziger  Jahre,  die  die  Blütezeit  politischer  Lyrik 
bedeuten,  geben  auch  den  Versuchen  politischer  Komödien  neue  An- 
stöße durch  die  verstärkte  politische  Interessiertheit,  die  einerseits  dem 
fortdauernden  Druck  des  Metternichschen  Systems  entsprach,  anderer- 
seits der  allgemeinen  Enttäuschung  durch  Friedrich  Wilhelm  IV. 
Hans  Prutz  (Zur  Geschichte  der  politischen  Komödie  in  Deutsch- 
land, Sitzungsbericht  der  Bayrischen  Akademie  1919)  beobachtet,  daß 
gerade  in  Ostpreußen,  wo  von  1840  an  politisches  Leben  sich  besonders 
rasch  entfaltete,  auch  die  politische  Komödie  neue  Antriebe  erhielt  durch 
Otto  Seemanns  und  Albert  Dulks  „Die  Wände"  (1848).  Aber  schon  1842 
ließ  Karl  Heinrich  seine  „Kaiserwahl  in  Frankfurt"  erscheinen  und  griff 
dabei  bereits  den  politischen  Ereignissen  voraus.  An  dichterischem 
Talent  wie  philosophischer  Weltbetrachtung  überragend  war  jedoch 
Heinrich  Hoffmann,  dessen  Komödie  der  Gegenwart  „Die  Mond- 
zügler"  1843  ij^  Frankfurt  erschien. 

An  ihn  schließt  sich  unmittelbar  an  R.  E.  Prutz,  dessen  „Politische 
Wochenstube"  stellenweise  direkte  Anleihen  vermuten  läßt.  Das  Nach- 
wort, daß  die  Komödie  „der  Hauptsache  nach  bereits  im  Herbst  1843 
vollendet  war  und  daß  nur  zufällige  Umstände  den  Druck  bis  jetzt 
(1845)  verzögert  haben",  brauchen  wir  darum  in  seiner  Richtigkeit 
nicht  zu  bezweifeln,  denn  sollte  Prutz  auch  von  Hoffmann  angeregt 
worden  sein,  so  ist  seine  Gesinnung  in  ihrer  Freiheitlichkeit  doch  so 
bekannt,  sein  Werk  so  stark  persönlich  geartet,  daß  wir  von  seiner 
Selbständigkeit  ohne  weiteres  überzeugt  sind.  Allerdings  ein  Bühnen- 
werk ist  seine  Komödie  nicht.  An  ihre  Aufführung  war  bei  dem 
politischen  Inhalt  in  der  damaligen  Zeit  auch  gar  nicht  zu  denken. 
Das  war  dem  Verfasser  von  vornherein  bekannt,  er  hat  daher  so  ein 
unerreichbares  Ziel  auch  gar  nicht  verfolgt,  obwohl  er  die  Romantiker 
gerade  wegen  der  Theaterfremdheit  ihrer  Dramen  scharf  getadelt  hatte. 
So  erkennen  wir  in  dieser  Komödie  ein  Schulbeispiel  dafür,  daß  in 
unfreier  Zeit  keine  freie  Kunst  sich  entfalten  kann,  vor  allem  nicht  auf 
dem  Gebiete  der  politischen  Komödie.  „Die  politische  Wochenstube" 
ist  nur  Lesedrama,  stark  in  der  Überzeugung,  von  unleugbarem  Tempe- 
rament. Sie  gleicht  etwa  der  politischen  Lyrik  eines  Herwegh,  doch 
überwiegt  bei  ihr  die  Reflexion  noch  weit  mehr  die  Leidenschaft. 
Sie  ist  Denkwerk,  nicht  Dichtwerk,  eine  große  Abrechnung  mit 
Regierungssystem  und  geistigen  Führern  des  Volkes,  die  alle  als 
armselige  Verführer  dargestellt  werden.  Auch  sie  ist  der  Ausdruck 
jenes  Rausches  der  Kritik,  der  gerade  die  fortschrittlichsten  Geister 
in  den  vierziger  Jahren  umnebelte.  Trotz  des  positiven  Ausklangs 
in  eine  ideologische  Hoffnung  auf  das   mündig  gewordene  Volk  ist 


Politische  Komödie.  273 


die  Komödie  in  ihrem  ganzen  Verlauf  rein  negativ  gerichtet,  sie  ist 
verurteilende  Satire. 

Auch  Bauernfeld,  der  sich  im  Einklang  mit  der  Stimmung  seiner 
Wiener  Gesellschaftsschicht  in  jenen  Jahren  des  Vormärz  einem 
demokratischen  Radikalismus  stark  näherte,  verfolgte  in  „Großjährig" 
(1846),  ohne  allerdings  aristophanische  Pfade  zu  betreten,  deuthch 
politische  Ziele  gegen  das  engherzige  Spür-  und  Verbotsystem  Metter- 
nichscher  Regierungsweise,  die  den  Bürger  unentwegt  als  Minder- 
jährigen am  straffen  Gängelbande  der  Polizei  führte.  Während  er 
hier  noch  durchaus  das  Gesellschaftsmilieu  seiner  üblichen  Lustspiel- 
produktion beibehalten  hat,  schlägt  er  1848  phantastischere  Bahnen 
ein,  indem  er  das  Wiener  Volksbühnen tradition  vertraute  Tierstück 
zu  —  fast  —  aristophanischer  Satire  benutzte  in  der  „Republik  der 
Tiere".  Gemäß  seinem  skeptischen  Liberalismus  läßt  er  ideahstische 
Schwärmer  wie  Radikalinski  gleichermaßen  verzagen,  sie  sind  nur 
Schrittmacher  für  den  Diktator  Drache,  der  allein  das  Chaos  über- 
winden kann. 

Im  gleichen  Revolutionsjahr  wurde  im  Burgtheater  das  Lustspiel 
„Verbot  und  Befehl"  von  Friedrich  Halm  (Eligius  Franz  Josef  Frei- 
herr von  Münch-Bellinghausen  1806 — 1871)  aufgeführt,  das  in  der 
Form  eines  Liebesintrigenstücks  die  Revolutionsstimmung  der  Zeit 
widertönt.  Das  geknechtete,  unmündige  Volk,  Bürgertum  wie  Adel, 
das  lebenentfremdete,  im  Aktenstaub  vertrocknete  Beamtentum,  die  be- 
drückende, herzlose  Gewaltherrschaft  einer  aristokratischen  Oligarchie, 
die  in  einem  „lächerlichen  Vize-Herrgottspielen"  durch  harte  Willkür 
jede  freie  Lebensregung  erstickt:  dies  alles  wird,  in  deutlichster  Be- 
ziehung auf  Österreich,  auf  venetianischem  Boden  vorgeführt.  Der 
große  Dialog  zwischen  den  Liebenden  Stella  und  Camill  IV,  4  ist 
Rechtfertigung  und  Weckruf  der  Revolution.  Die  Freiheit  regt  sich, 
in  der  Regierung  selbst  erheben  sich  mahnende  Stimmen.  Venier, 
das  Sprachrohr  maßvoller  liberaler  Anschauung,  spricht: 

„Das  eben  ist's,  das  macht  das  Herz  mir  schwer, 
Daß  wir  fürs  Vaterland  nicht  leben  dürfen, 
Nur  sterben,  wenn  es  not  tut,  und  nicht  mehrl" 

Und  Morosini,  das  Haupt  der  morosen  ,, Dunkelwaltenden",  Metter- 
nich  selbst,  muß  bekennen: 

,,Daß  rings  die  Völker  wie  Sciroccohauch 

Ein  Drang  nach  Neurung  anweht  und  Bewegung, 

Das  ist's,  wovor  ich  bange,  was  mich  schreckt". 

Halm,  der  Rivale  Grillparzers  und  der  Verdränger  Laubes  in  der 
Burgtheaterleitung,  ein  Anempfinder  ohne  ursprüngliches  dichterisch- 
dramatisches Talent,  hat  seinem  Verslustspiel  durch  die  Unmittelbar- 
keit in  der  Wiedergabe  revolutionärer  Zeitstimmung  und  liberaler 
Forderung  eine  lebendige  Frische  verliehen,  die  auch  heute  noch  dank 

Hol  1,  Lustspiel.  i8 


274      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885). 

seiner  geistreichen,  kultivierten  Wortkunst  und  seiner  geschickten 
Bühnentechnik  sich  erhalten  hat.  Halm  hat  die  politische  Komödie 
mit  dem  Konversationsstück  in  historischem  Gewände  vermählt  und 
ihr  damit,  wie  sein  Vorgänger  Eugene  Scribe,  Bühnenwirksamkeit 
verschafft. 

3.  HISTORISCHES  LUSTSPIEL. 

Auf  Scribe  geht  auch  die  Pflege  des  historischen  Lustspiels  zu- 
rück, das  Hermann  Hettner  in  seiner  geistvollen  Schrift  über  „Das 
moderne  Drama"  (1852)  als  „ins  Dramatische  übersetzten  Memoiren- 
stil" bezeichnet.  „Große  Wirkungen  werden  aus  kleinen  Ursachen 
abgeleitet,  entscheidende  geschichtliche  Bewegungen  aus  Zufällig- 
keiten, aus  Hofintriguen,  aus  Verliebtheiten,  verletzten  Eitelkeiten 
und  ähnlichen  Geringfügigkeiten.  Es  ist  eine  Art  von  parodierender 
Behandlung  der  geschichtlichen  Vernunft  und  Notwendigkeit,  und 
ein  solches  Lustspiel  ist  um  so  feiner,  mit  je  bewußterer  Ironie  es 
diese  parodische  Seite  herauskehrt".  Das  historische  Lustspiel  erhielt 
aber  ebenfalls  einen  politischen  Einschlag  dadurch,  daß  es,  wie  auch 
die  politische  Komödie,   den  nationalen  Gedanken  der  Zeit  betonte. 

Die  Führer  der  jungdeutschen  Bewegung,  Gutzkow  und  Laube, 
bedienten  sich  seiner,  um  im  Gewand  der  Vergangenheit  Fragen  der 
Gegenwart  zu  erörtern.  Zunächst  versuchte  sich  Gutzkow  (181 1— 1878) 
allerdings  in  einem  sozialen  Lustspiel  der  Gegenwart  „Die  Schule  der 
Reichen",  worin  er  mit  der  seinem  Charakter  eignenden  Lehrhaftigkeit 
dem  Gedanken  Ausdruck  verleiht:  „Arbeit  ist  die  Schule  der  Reichen. 
Das  ist  das  Wort,  das  uns  alle  fortan  gut  machen  soll  und  glücklich". 
In  den  Situationen  und  in  der  Bühnentechnik  erinnert  es  an  Ififland; 
aber  er  erzielte  1841  in  Wien  damit  einen  großen  Erfolg,  während  es 
in  Hamburg  durchfiel  und  dadurch  seine  folgenschwere  Bekannt- 
schaft mit  Therese  von  Bacheracht  vermittelte. 

In  seinem  nächsten  Lustspiel  „Zopf  und  Schwert",  das  am 
I.  Januar  1844  in  Dresden  seine  Uraufführung  erlebte,  dramatisiert 
er  eine  geschichtliche  Anekdote  aus  den  Denkwürdigkeiten  der  Mark- 
gräfin von  Baireuth.  Er  führt  uns  an  den  spartanischen  Hof  des  preu- 
ßischen Soldatenkönigs  Friedrich  Wilhelm,  aber  die  Hofumgebung 
ist  verbürgerlicht  und  der  könighche  Held,  dessen  Charakter  ihm 
noch  am  besten  gelungen  ist,  ein  strenger,  derber,  aber  guter 
und  tüchtiger  Hausvater.  Seine  Natur  bestimmt  auch  die  ganze 
Atmosphäre  des  Stückes,  die  Natürlichkeit,  Solidität,  Geradheit  ist, 
ohne  jede  romantische  Verklärung  des  Königtums.  Ein  einheitliches 
Dichtwerk  ist  das  Lustspiel  sicher  nicht  mit  seinem  häufigen  Szenen- 
wechsel, durch  den  wohl  die  Entwicklung  der  Situationen,  aber  nicht 
die  der  Charaktere  gefördert  wird;  aber  als  einfach  angelegtes 
Situationsstück  enthält  es  gute  Einzelheiten,  wie  die  beiden  Unter- 
redungen mit  dem  englischen  Gesandten  und  das  Tabakskollegium. 


Historisches  Lustspiel,  2 7  "5 


Es  ist  auf  Bühneneffekte  berechnet,  und  darin  ist  Gutzkow  ein  ge- 
lehriger Schüler  Scribes.  Die  gänzlich  undramatische  und  unnötige, 
aber  bühnenwirksame  Ekhofepisode  dürfte  eher  auf  das  Vorbild  des 
Franzosen  zurückzuführen  sein  als  auf  Lessings  Riccautszene,  wie 
wir  ja  stets  gern  vom  Ausland  nehmen,  was  wir  zu  Hause  besser 
besitzen.  Von  Scribes  „Oscar  ou  le  mari  qui  trompe  sa  femme" 
stammt  auch  das  Lösungsmotiv,  das  dann  später  wieder  von  Hack- 
länder in  seinem  „Geheimen  Agenten"  aufgegriffen  wird. 

Im  Jahre  1844  läßt  Gutzkow  sein  gelungenstes  Lustspiel  folgen: 
„Das  Urbild  des  Tartuffe".  Die  Vorgeschichte  von  Höheres  „Tartuffe" 
benutzt  er,  ohne  historische  Echtheitsansprüche,  zur  Darstellung  der 
zur  Unterdrückung  eines  Kunstwerkes  angezettelten  Kabalen,  wobei  ihm 
willkommene  Gelegenheit  zu  Ausfällen  gegen  zeitgenössische  Zensur 
geboten  ist,  ohne  daß  aber  eine  aufdringliche  Tendenz  störend  wirkte. 
Der  gegen  seine  Zeitgenossen  sehr  kritische  Hebbel  lobt  mit  noch 
heute  gültigem  Recht  die  „hohe  Rundung  und  Geschlossenheit  in 
Erfindung  und  Ausführung",  Aufbau  und  Behandlung  sind  diesmal 
entsprechend  dem  Milieu,  das  „Zopf  und  Schwert"  in  Potsdam,  das 
„Urbild  des  Tartuffe"  in  Versailles  spielen  läßt,  viel  feiner  geraten, 
und  dementsprechend  ergibt  auch  die  besonnen  gefeilte  Sprache 
einen  viel  geschliffeneren  und  geistvolleren  Dialog.  Wenn  auch  die 
Charakteristik,  die  in  Umrißzeichnungen  steckenbleibt,  wieder  ver- 
sagt, so  sind  doch  die  Verwicklungen  mit  klarer  Übersichtlichkeit  ge- 
führt und  so  gehaltvoll  vertieft,  daß  das  Intrigenstück  mit  seiner 
Zeitsatire  zur  zeitlosen  Menschensatire  erhoben  scheint.  Diese  Höhe 
erreicht  weder  das  politische  Intrigenspiel  „Anonym"  (1845)  noch  das 
Goethefestspiel  „Der  Königsleutnant"  (1849),  das  eine  durchaus  un- 
künstlerische Gelegenheitsmache  ist. 

In  „Rokoko"  (1842)  hatte  bereits  Heinrich  Laube  (1806— 1884) 
die  Umgebung  des  Sonnenkönigs  und  der  Pompadour  zur  Darstel- 
lung einer  Tartuffegestalt  benutzt.  Aber  wie  stets  beim  Intrigenspiel 
bewahrheitet  sich  auch  hier  Schopenhauers  Wort:  Alles  Ende  ist 
schwer.  Zum  Schlüsse  entscheidet  nicht  List,  sondern  ein  Wettlaufen 
der  Gegenspieler.  Laube  findet  in  deutschem  Milieu  seine  Stärke. 
Sein  nationales  Lustspiel  „Gottsched  und  Geliert"  (1845)  spielt  zur 
Zeit  von  Lessings  ,, Minna",  am  Ende  des  Siebenjährigen  Kriegs,  und 
verherrlicht  den  deutschen  Einheitsgedanken  im  Gegensatz  zu  dem 
eigennützigen  und  beschränkten  Partikularismus.  Die  geschickte  und 
lebendige  Führung  der  Intrige  läßt  in  Gemeinschaft  mit  der  Lauter- 
keit der  Gesinnung  und  der  wirkungsvollen  Situationskomik  die  ge- 
waltsame Auflösung  gern  in  Kauf  nehmen. 

Zu  diesen  national  gerichteten  historischen  Lustspielen  zählt  auch 
Gustav  Freytags  (18 16 — 1895)  „Die  Brautfahrt  oder  Kunz  von  Rosen" 
(1842),  Nach  dem  Vorbilde  von  Don  Quijote  und  Sancho  Pansa  oder 
Prinz  Heinz  und  Falstaff  sind  in  den  Hauptpersonen  Maximilian  und 


270      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830  — 1885). 

Kunz  vermenschlichte  IdeaHtät  und  Realität  diskret  kontrastiert.  Das 
Lustspiel  bewegt  sich  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  im  Egmont- 
milieu,  mit  dessen  tragenden  Charakteren  auch  seine  Hauptpersonen 
deutliche  Verwandtschaftszüge  aufweisen.  Der  lose  Aufbau  der  histo- 
rischen Liebeswerbung  Maximilians  geschieht  in  den  einzelnen  Szenen 
wirkungsvoll,  ohne  aber  künstlerische  Einheit  des  Ganzen  zu  er- 
reichen. Auch  hier  begegnen  wir,  wie  bei  Gutzkow,  einer  jener 
im  19.  Jahrhundert  beliebten  undramatischen,  aber  an  sich  reiz- 
und  humorvollen  Episodenszenen:  der  Montrepasepisode.  Doch  die 
Frische  der  shakespearisierenden  Sprache,  die  bühnentechnisch  ge- 
schickten Situationen  und  der  von  ursprünglichem  deutschen 
Nationalgefühl  beseelte,  stimmungsvolle  Gehalt  berechtigt  das  Urteil 
Droeschers  (Gustav  Freytag  in  seinen  Lustspielen,  1919):  „In  der 
Freudigkeit,  Innigkeit,  man  könnte  fast  sagen:  Jungfräulichkeit 
der  Produktion,  liegt  ihr  Reiz". 

Der  Stoff  ist  in  der  deutschen  Literatur  vielfach  behandelt 
worden,  seit  Arnim  in  den  „Kronenwächtern"  Kunz  von  Rosen 
episodisch  einführte.  In  der  Reihe  dramatisierter  Bearbeitungen,  die 
von  Deinhardsteins  „Erzherzog  Maximilians  Brautzug"  (1832)  bis  zur 
Gegenwart  führt,  ist  auch  Bauernfelds  „Landfrieden"  (1870)  zu  nennen, 
der  aber  ein  schwächliches  Alterswerk  ist,  obwohl  man  ihn  an  die 
Seite  von  Richard  Wagners  „Meistersingern"  hat  stellen  wollen. 

Bauernfeld  hat  hiermit,  v/ie  in  ernsteren  Schauspielen,  der  histori- 
schen Muse,  die  in  jenen  Jahrzehnten  die  deutsche  Bühne  belebte, 
seinen  Tribut  entrichtet.  Auch  er  bezeugt,  wie  die  historische  Dramatik 
den  Niedergang  dramatischer  Kunst  überhaupt  befördert.  Die  histo- 
rischen Lustspiele  bleiben  am  Anekdotischen  haften  und,  indem  sie 
den  Masseninstinkten  entgegenkommen,  wissen  sie  durch  das  Interesse 
am  Stofiflichen  die  Mängel  künstlerischer  Form  zu  vertuschen,  um  so 
mehr  als  der  geschichtliche  Stoff  stets  Gelegenheit  gibt,  teils  über- 
zeugte, teils  erheuchelte  nationalpatriotische  Gefühle  zum  Ausdruck 
zu  bringen.  Was  man  in  der  Gegenwart  an  ideellem  Schwung  ver- 
mißte —  bedeuten  doch  jene  Jahrzehnte  von  den  vierziger  Jahren  an 
eine  Zeit  pessimistisch  gestimmter  Weltanschauung,  die  seit  den  fünf- 
ziger Jahren  den  abgelebten  Idealismus  endgültig  durch  den  natur- 
wissenschaftlich begründeten  Materialismus  abgelöst  hat  — ,  fand  man 
in  der  Schönfärbung  historischer  Vergangenheit,  und  man  erkannte 
es  dort  um  so  leichter,  als  nach  dem  bereits  beobachteten  Rezept 
der  Jungdeutschen  die  geschichtliche  Welt  im  Geiste  der  Gegenwart 
verbürgerlicht  wurde. 

Ein  überzeugter  Liberaler  wie  Rudolf  Gottschall  fand  dafür 
wenigstens  einen  passenden  Stoff  in  der  inneren  Geschichte  des 
damals  als  Ideal  freiheitlicher  Regierungsform  gepriesenen  Eng- 
lands. Sein  geistreiches  Lustspiel  „Pitt  und  Fox"  (1854)  gibt  eine 
Kritik  des  englischen  Parlamentarismus,  wobei  die  konträren  Haupt- 


Historisches  Lustspiel.     Gesellschaftskritisches  Konversationsstück.  277 

Charaktere  die  komischen  Situationen  herbeiführen.  Der  Verfasser 
bezeichnet  selbst  als  sein  Ziel,  „Interessen  des  öffentlichen  Lebens 
dem  Humor  der  Bühne  zugänglich  zu  machen".  Ihm  gegenüber 
scheint  Hermann  Hersch  in  seiner  „Anna-Lise"  (1859)  noch  un- 
zeitgemäß einen  aufgeklärten  Despotismus  zu  preisen,  wenn  es  ihm 
überhaupt  um  mehr  als  Theaterwirkung  zu  tun  ist.  Diese  aber  hat 
er  erreicht  in  seinem  Lustspiel,  das  durchaus  auf  den  ,, resoluten" 
Ton  des  Dessauers  eingestellt  ist.  Das  Thema  der  Überbrückung 
sozialer  Klassen-  und  Standesunterschiede  durch  eine  Heirat  ist  der 
Zeitanschauung  geläufig,  es  wird  auch  bei  Bauernfeld  in  ,,Aus  der 
Gesellschaft"  (1867)  im  fortschrittlichen  Geiste  behandelt.  Doch  Hersch 
kommt  es  weit  weniger  auf  Gesellschaftskritik  an  als  auf  die  durch 
die  krassen  Kontraste  zu  erzielende  Wirkung,  die  er  durch  die  klug 
berechnete  Mischung  von  Komik  und  Sentimentalität  auch  vollauf 
erreicht.  In  der  Theatermache  steht  ,, Anna-Lise"  daher  entschieden 
über  dem  Durchschnitt  geistloser  und  sentimentaler  historischer 
Lustspiele  und  überragt  auch  noch  ihre  schwächliche  Fortsetzung 
in  Karl  Niemanns  „Wie  die  Alten  sungen"  (1895).  Die  Bühnen- 
wirkung solcher  historischen  Lustspiele  beruhte  nicht  so  sehr  auf 
ihrem  künstlerischen  Eigenwert  als  auf  Assoziationselementen,  seien 
es  solche  volkstümlich -nationaler  Art,  wie  Martin  Schleichs  witziges 
Kulturbild  „Bürger  und  Junker"  (1855),  oder  aber  solche  romantischer 
Schwärmerei,  wie  sie  Wilhelm  Jordan  in  formaler  Kunstfertigkeit  durch 
seine  Verslustspiele  zu  erwecken  wußte:  „Die  Liebesleugner"  (1855), 
„Tausch  enttäuscht"  (1856),    „Durchs  Ohr"  (1870). 

Gegenüber  der  Verflachung  der  historischen  Dramatik  und  ihrer 
Auflösung  aller  dichterischen  Form,  was  etwa  durch  die  Tatsache  be- 
leuchtet wird,  daß  Hippolyt  Schaufferts  derbkomische  Posse  „Schach 
dem  König"  1869  in  der  Lustspielkonkurrenz  des  Wiener  Hoftheaters 
preisgekrönt  werden  konnte,  stehen  die  gesellschaftskritischen  Kon- 
versationsstücke Bauernfelds  auf  weit  höherem  künstlerischen  Niveau. 
In  reifer  Erkenntnis  kehrt  er  nach  den  politischen  Stürmen  der  acht- 
undvierziger  Jahre  zu  ihnen  zurück. 

4.    GESELLSCHAFTS- 
KRITISCHES KONVERSATIONSSTÜCK. 

In  Bauernfelds  Lustspiel  „Der  kategorische  Imperativ",  das  1850 
in  dem  Preisausschreiben  des  Burgtheaterleiters  Laube  von  103  Kon- 
kurrenten gekrönt  wurde,  bildet  der  Wiener  Kongreß  ein  Milieu,  das  noch 
stark  pohtisch-historisch  gefärbt  ist.  Aber  das  Problem  ist  ein  soziales, 
gesellschaftliches,  trotz  aller  politischen  Färbung.  Ein  baronisierter 
Hofbankier,  in  dem  sofort  der  Frankfurter  Rothschild  erkannt  wurde, 
offenbart  sich  als  ebenbürtige  Großmacht  der  Kongreßteilnehmer. 
Seine  Finanzmacht  möchte  er  koppeln  mit  der  alten  Aristokratie  durch 


278      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1S85). 

die  eheliche  Verbindung  mit  der  Gräfin  Flora.  Doch  mag  sein  Geld 
auch  Weltgeschichte  machen,  Herzensgeschichte  wird  —  wenigstens 
in  dem  galanten  Wien,  dessen  Losung:  ,, Freut  Euch  des  Lebens" 
heißt  —  nur  durch  Liebe  gemacht,  und  diese  wendet  sich  in  etwas 
allzu  sentimentalem  Bühnenkontrast  dem  zum  Krüppel  geschossenen 
preußischen  Oberst  zu,  der  selbst  seine  Ähnlichkeit  mit  Tellheim  aus- 
spricht. Mit  dieser  Verbindung  treibt  das  Herz  gegenüber  der  inter- 
nationalen Kongreßpolitik  die  allen  Patrioten  wünschenswerte  groß- 
deutsche Einheitspolitik.  Gräfin  Flora  ist  das  Idealbild  derWien er  Salons : 
geistreich,  witzig,  schlagfertig,  übermütig,  politisierend  und  dennoch 
voll  warmen  Gefühls,  bei  aller  feschen  Kaprizität  doch  ernst  und  wahr, 
ist  sie  jener  wohlbekannte  Typus  der  Salondame  Wiener  Geblüts,  wie 
'"  sie  seit  Bauernfeld  die  Wiener  Gesellschaftsstücke  bis  zur  jüngsten 
Gegenwart  eines  Felix  Saiten,  Hermann  Bahr,  Hugo  von  Hoffmanns- 
thal  belebt.  Wie  sehr  aber  auch  im  historischen  Milieu  des  Wiener 
Kongresses  der  Geist  der  nachachtundvierziger  Jahre  zu  uns  spricht, 
erhellt  an  der  Figur  des  Lothar,  des  radikalen,  ungestümen  Burschen- 
schafters und  feurigen  Kantianers.  Er  ist  dem  Dichter  Humorgestalt, 
wie  es  zur  Zeit  der  Romantik  nur  dem  amoralischen  Kotzebue  möglich 
gewesen  wäre,  und  bringt  durch  den  Kontrast  die  Ansicht  des  Ver- 
fassers und  damit  die  der  Zeit  am  deutlichsten  zum  Ausdruck.  Seine 
Lehre:  „Leben  heißt  lernen"  kehrt  das  Ergebnis  des  Stückes  um  in: 
Lernen  heißt  leben.  Die  Metaphysik  ist  in  Mißkredit  gekommen.  Die 
heutige  Zeit  handelt  nach  dem  Grundsatze  des  Finanzbarons:  Ver- 
dienen und  wieder  verdienen.  Es  ist  die  Zeit,  die  nach  Gervinus 
Schwärmen  und  Dichten  durch  die  Tat  ersetzt.  Noch  ist  es  Übergang, 
der  Baron  trägt  noch  die  Züge  seiner  niederen  Abkunft,  es  haftet 
ihm  noch  ein  leichter  Hauch  des  Parvenütums  an,  aber  er  ist  stolz 
auf  seinen  Aufstieg  aus  eigener  Kraft,  er  ist  ein  ernster,  tüchtiger 
Charakter,  eben  von  jener  Prägung,  die  die  Zeit  braucht.  Sein  Wahl- 
spruch lautet:  „Ich  bin  gern  praktisch".  Wie  Napoleon  der  Mann 
der  Vergangenheit,  so  ist  der  Baron  der  Mann  der  Zukunft.  Mit 
allem  Nachdruck  wird  das  Recht  der  Wirklichkeit  verfochten,  finan- 
zielle Spekulation  gilt  mehr  als  philosophische,  und  selbst  der  rein- 
blütige  Idealist  Lothar  findet  sein  Glück  nur  in  der  Diesseitswirklich- 
keit. Wir  vernehmen  auf  diese  Weise  aus  dem  graziösen  Lustspiel, 
das  George  Altmann  neuerdings  geschickt  für  die  Bühne  eingerichtet 
hat,  bereits  die  Töne  des  historischen  Materialismus  mit  seinem  Primat 
ökonomischer  Verhältnisse. 

Damit  hat  Bauernfeld  wieder  den  Weg  vom  historisch-politischen 
Lustspiele  zum  gesellschaftskritischen  Konversationsstück  gefunden, 
dessen  Höhepunkt  im  Rahmen  seines  Schaifens  das  geistreiche,  im 
Dialog  noch  heute  lebendige,  bühnentechnisch  überaus  wirkungs- 
volle —  eine  auch  hier  vorhandene  Episodenszene  ist  klug  mit  dem 
Ganzen  verknüpft  —  und  doch  mit  zartester  Hand  aufgebaute  Cha- 


Gesellschaftskritisches  Konversationsstück.     „Die  Journalisten".  279 

raktergemälde  „Krisen"  (1852)  bildet.  So  eine  elegante,  leichtflüssige 
Sprachbehandlung  war  nur  in  der  verfeinerten  Gesellschaftsatmo- 
sphäre der  alten  Kulturstadt  Wien  möglich.  In  dieser  getreuen  Spiege- 
lung bewährt  sich  Bauernfeld  als  Realist. 

Immer  mehr  fallen  auch  die  Schranken,  die  den  Blick  auf  die  be- 
stimmte Gesellschaftsschicht  gebannt  hielten.  Je  gründUcher  das  Jahr 
1848  mit  dem  erschütterten  Glauben  an  die  Kraft  des  Idealismus  auf- 
geräumt hatte,  je  gründlicher  das  Reich  der  Träume  versagt  hatte,  um 
so  williger  verläßt  man  nun  des  Herzens  heilig  stille  Räume,  um  sich 
in  des  Lebens  Drang  hineinzustürzen.  Daher  in  Roman  wie  Dramatik 
das  starke  Interesse,  das  Volk  an  seinen  Arbeitsstätten  zu  belauschen. 
Auch  das  Lustspiel  spiegelt  diese  Bewegung.  Ein  Beispiel  ist  Karl 
Töpfers  „Rosenmüller  und  Finke"  (1850),  worin  in  komischer  Behand- 
lung des  Romeo -und -Julie -Themas  zwei  Väter  als  feindliche  Brüder 
dargestellt  werden.  Diese  Feindschaft  ist  berufsständisch,  der  eine 
ist  Offizier,  der  andere  Kaufmann.  Beide  haben  Söhne,  von  denen 
jeder  ohne  Wissen  und  gegen  den  Willen  seines  Vaters  den  Stand 
des  Onkels  ergreift.  Der  Witz  besteht  natürlich  in  dem  kontrastieren- 
den Parallelismus.  Der  Fortschritt  der  Zeitanschauung  offenbart  sich 
darin,  daß  jedem  Stand  seine  Berechtigung  und  seine  Ehre  zuer- 
kannt werden,  woraus  der  künstlerische  Fortschritt  sich  ergibt,  daß 
nicht  mehr  nach  altem  Brauch  mit  Weiß  und  Schwarz  gemalt  wird, 
sondern  die  diskreten  Charaktere  als  gleichberechtigt  sowohl  mit 
Licht  wie  Schatten  getönt  werden.  Weiter  ergibt  sich  als  Folge  des 
impressionistisch -realistischen  Stilwillens,  daß  auch  die  Sprechweise 
durchaus  berufsständisch  behandelt  ist  gemäß  der  Beobachtung,  daß 
jeder  Stand  seine  eigene  Sprache  hat.  In  diesem  Sinne,  und  nicht 
nur  als  Mittel  der  Komik,  ist  auch  der  Judenjargon  des  Gläubigers  zu 
werten,  obwohl  hier  die  Tradition  stark  mitgesprochen  hat,  denn  seit 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  ist  die  im  Humanitätszeitalter  in  die 
Dichtung  eingeführte  Figur  des  sympathischen  Juden  immer  mehr 
parodistisch  ausgewertet  worden  unter  Ausnutzung  des  Idioms  wie 
des  typischen  jüdischen  Wortwitzes. 

5.  „DIE  JOURNALISTEN". 

Diese  realistische  Kunst  wurde  gefördert  durch  das  Beispiel  zeit- 
genössischer englischer  Dichtung,  vor  allem  des  Romans.  Die  große 
Begabung  von  Dickens,  durch  charakteristische  Kleinmalerei  komische 
T37pen  in  blutvoller  Menschlichkeit  zu  verlebendigen,  in  denen  die  wider- 
spruchsvolle Komplexität  menschlicher  Charaktere  durchaus  gewahrt, 
aber  die  Widersprüche  durch  den  Humor  der  Gestaltung  versöhnt 
wurden,  lockte  zur  Nachahmung.  Einzelne  Kunstmittel,  wie  die  Ge- 
sprächsmimen, waren  bereits  durch  den  langgeübten  Brauch  stehender 
Redensarten  vorbereitet.  Jetzt  aber  suchte  und  fand  man  in  dieser 
humorvollen  Wahrheitsschilderung  die  Gesundung  von  der  pessimisti- 


280     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830— 1885). 

sehen  Skepsis,  die  sich  der  denkenden  und  fühlenden  Deutschen  be- 
mächtigt hatte  infolge  der  durch  die  Ereignisse  der  vierziger  Jahre 
begreiflichen  Verzweiflung  an  der  Vernunft  der  Geschichte.  Realisti- 
sche Erfahrung  sollte  die  bankerotte  idealistische  Spekulation  ersetzen. 
Und  dafür  war  Dickens  ein  willkommenes  Vorbild.  Gustav  Freytag 
gestand  dies  für  seine  Person  ausdrücklich.  Die  reife  Frucht  dieses 
Genesungsprozesses  waren  „Die  Journalisten"  —  gleich  eine  der 
ersten  Zeilen  nennt  den  Lieblingsdichter  Boz  — ,  die  am  8.  Dezember 
1852  in  Breslau  ihre  Uraufführung  erlebten. 

Frey  tag  hatte  hier  einen  Berufsstand  als  Objekt  ausgewählt,  den  er 
aus  eigener  Erfahrung  genau  kannte,  und  der  seit  der  jungdeutschen 
Bewegung  im  Gleichschritt  mit  den  politischen  Ereignissen  immer 
mehr  in  den  Vordergrund  öffentlichen  Interesses  gerückt  war.  Bauern- 
felds „Literarischer  Salon"  (1836),  eine  Satire  gegen  die  journa- 
listische Tätigkeit  Bäuerles  (=Dr.  Wendemann)  und  des  berüchtigten 
Saphir  (=  Morgenroth),  ist  nicht  sein  einziger  Vorgänger,  und  andrer- 
seits hat  er  bis  in  die  Gegenwart  —  Knut  Hamsun  „Vor  des  Reiches 
Pforten",  Schnitzler  „Fink  und  Fliederbusch"  —  Nachfolger  gefunden. 

Auch  technisch  bot  der  Verfasser  der  „Technik  des  Dramas"  nichts 
Neues.  Die  Charakteristik  bedient  sich  vielfach  der  bequemen  direk- 
ten Schilderungsmittel;  des  technisch  unbeholfenen  Beiseitesprechens 
kann  Freytag  ebensowenig  wie  Bauernfeld  entraten ;  einige  Reden  sind 
viel  zu  lang  für  einen  flüssigen  Dialog;  selbst  die  Handlungsführung 
weist  Schwächen  auf,  wie  den  lahmen  Schluß  des  ersten  Aktes. 
Auch  Freytag  macht  Gebrauch  von  der  großen  Episodenszene,  die, 
wie  bereits  mehrfach  beobachtet  wurde,  zum  Gemeingut  der  Lust- 
spielliteratur der  Jahre  1830 — 1885  geworden  war,  aber  er  hat  sie, 
die  humorvolle  Piepenbrinkepisode,  glänzend  ins  Handlungsgewebe 
eingeflochten.  In  Einzelheiten,  wie  den  beiden  Frauengestalten  oder 
dem  Programm  der  Ressource,  glauben  wir  Anklänge  an  Bauem- 
felds  „Kategorischen  Imperativ"  zu  finden ;  die  traditionelle  Judenfigur, 
die  in  Schmock  einen  der  köstlichsten  Vertreter  gefunden  hat,  geht 
auf  eine  in  Freytags  Erinnerungen  aufgezeichnete  Anekdote  zurück. 

Und  trotz  aller  Schwächen,  alles  Überkommenen  und  Übernom- 
menen ist  das  Lustspiel  von  einer  Selbständigkeit  und  Frische,  daß 
es  auch  heute  noch  zu  unseren  erfolgreichsten  Bühnenwerken  zählt, 
und  mit  Recht,  wenn  wir  auch  die  dichterische  Wertung,  die  es  zu 
einem  unserer  besten  Lustspiele  überhaupt  stempeln  wollte,  nicht 
anerkennen.  Die  Wirkung  des  Lustspiels  beruht  in  der  aufrechten, 
kernhaften  Gesinnung  des  Dichters,  der  hier  wirklich  nach  Schil- 
lers Rezept  durch  sein  Subjekt  das  Objekt  in  der  ästhetischen 
Höhe  hält,  und  in  der  lebendigen  Kraft,  mit  der  er  die  verschiedenen 
Charaktere  und  Typen  gegeneinander  abtönt  und  sie  doch  alle  von 
höherer  Humorwarte  aus  ihr  Licht  empfangen  läßt.  Gewiß  ist  Olden- 
dorf  ein  etwas  allzu  steifer  Teilheim,  Ida  eine  allzu  tatenlose  rührende 


„Die  Journalisten".  28 1 


Haustochter,  aber  auch  das  an  sich  Unzulängliche  wird  belebt  durch 
die  starke,  klare,  lichte  Persönlichkeit,  die  in  dem  Verfasser  hinter 
dem  Ganzen  steht.  Trotz  aller  Traditionsgebundenheit  scheint  es 
mir  hier  berechtigt  zu  sein,  mit  einer  Beugung  der  Begriffe,  von  Ur- 
erlebnis,  im  Gegensatz  zu  Bildungserlebnis,  zu  reden,  aus  dem  das 
Lustspiel  geboren  ist. 

Vor  unseren  Augen  zieht  eine  ganze  Reihe  von  Genrebildern  vor- 
bei, die  alle  den  Stempel  realistischer  Formung  tragen.  Freytag  ver- 
schmäht alle  extreme  Schilderung  und  sucht  den  Wahrheitseindruck 
vor  allem  durch  die  Mischung  der  Töne  und  ihre  Dämpfung  zu  er- 
zielen. Selbst  der  Idealtypus  des  Journalisten,  der  gewandte,  liebens- 
würdige Konrad  Bolz,  wirkt  nicht  etwa  durch  eine  zu  stark  unter- 
strichene Idealisierung  schal,  sondern  bewahrt  sich  von  Anfang  bis 
zum  Schluß  unsere  Sympathie,  da  Ansätze  zur  Sentimentalität  immer 
wieder  sofort  durch  karikierende  Selbstpersiflage  unterbrochen  werden. 
Es  zeigt  sich  weniger  ein  ursprüngliches  Dichtertum  darin  als  ein 
geschmackvoller  Kulturmensch,  der  genau  die  Bühnenbedürfnisse 
kennt.  Dadurch  gibt  uns  das  Lustspiel  vielleicht  kein  Wahrheitssein, 
aber,  was  für  den  Theatererfolg  durchaus  genügend  ist,  Wahrheits- 
schein. Wir  erhalten  einen  Einblick  in  das  Wahlgetriebe  einer  typi- 
schen Kleinstadt  und  erkennen,  zu  welcher  Bedeutung  die  Presse  im 
öffentlichen  Leben  bereits  gekommen  ist.  Natürlich  steht  Freytag 
durchaus  auf  der  fortschrittlichen  liberalen  Seite,  aber  es  berührt 
überaus  wohltuend,  wie  sympathisch  er  den  politischen  Gegner  im 
Obersten  zeichnet.  Zugleich  ist  der  Oberst  ein  gutes  Beispiel  dafür, 
wie  Freytag  traditionelle  Typen  —  den  Offizier  sowohl  wie  den  Vater  — 
verbürgerlicht  und  vermenschlicht. 

Im  tiefsten  Grund  holt  sich  das  Lustspiel  seine  erquickende  Frische 
aus  der  neuen  Zeitanschauung.  Der  Ruf  zur  Arbeit  ertönt.  Wohl 
hören  wir  noch  stark  resignierende  Töne,  aber  wir  fühlen  doch,  die 
Zeit  pessimistischer  Verzagtheit,  fruchtloser  Skepsis,  quietistischer 
Tatenlosigkeit  ist  vorüber.  Noch  seufzt  die  tatenfreudige  Adelheid 
über  den  „sehr  tugendhaften  und  außerordentlich  vernünftigen" 
Oldendorf:  „Etwas  zu  erobern,  die  Welt,  das  Glück,  oder  gar  eine 
Frau,  dazu  ist  er  doch  nicht  gemacht".  Und  selbst  angesichts  Bolz' 
kommt  sie  zu  dem  Schluß:  ,,Auch  er  ist  resigniert,  sie  sind  alle  krank, 
diese  Männer.  Sie  haben  keine  Courage!  Aus  lauter  Gelehrsamkeit 
und  Nachdenken  über  sich  selbst  haben  sie  das  Vertrauen  zu  sich 
selbst  verloren".  Aber  Adelheid  selbst,  Bolz,  das  ganze  Stück  über- 
zeugen uns:  die  Jugend  siegt.  Wollen  und  Handeln  werden  an  die 
Stelle  von  Denken  und  Dichten  treten.  Wenn  wir  noch  in  Bauern- 
felds gleichzeitigen  „Krisen"  die  leisen  Töne  eines  verwienerten 
Byronismus  hören,  so  spricht  hier  in  Freytags  „Journalisten"  eine 
neue  Zeit  laut  und  deutlich  zu  uns.  Preußen  hat  die  Führung  über- 
nommen. Und  dieses  aktivistische  Programm,  dieses  Bekenntnis  zum 


282      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885). 

Mut,  sich  in  die  Welt  zu  wagen,  verleiht  dem  Stück  ebensosehr 
seinen  kulturgeschichtlichen  Wert  wie  auch  seine  heute  noch  herz- 
erfreuende Frische. 

Wie  abgeblaßt  wirken  dagegen  Adolf  Wilbrandts  (1837  — 191 1) 
„Maler",  die  um  zwei  Jahrzehnte  jünger  sind  und  oft  als  beste  Fort- 
setzung der  , Journalisten"  bezeichnet  werden.  Sicher  versucht  auch 
Wilbrandt  hier  die  Diderotsche  Theorie  vom  Ständischen  im  Lustspiele 
zu  befolgen.  Durch  seinen  langjährigen  Aufenthalt  in  München  war 
dem  Rostocker  dessen  Künstlermilieu  vertraut,  und  nun  gibt  er  uns 
eine  realistische  Schilderung  Münchener  Künstlerromantik,  deren  Be- 
deutung einmal  im  Genrehaften  der  Künstlertypen,  dann  in  der  ein- 
gehenden Charakteristik  der  resoluten,  liebenswürdigen  Else  liegt. 
Doch  gute  Einfälle  entschädigen  nicht  für  den  Mangel  an  starker 
Persönlichkeit  und  echtem  Dichterblut. 

6.  SCHWANKPRODUKTION. 

Neben  diesem  Unterhaltungslustspiel  höherer  Art  ging  in  dem 
ganzen  Zeitraum  ein  solches  niederer  Art  her,  das  wir  am  besten  mit 
Schwank  bezeichnen.  Eine  feste  Grenzbestimmung  zwischen  beiden 
Komödienarten  ist  ebensowenig  festzusetzen  wie  eine  zeitliche  Abgren- 
zung nach  rückwärts  und  vorwärts,  denn  es  gab  von  jeher  und  wird 
immer  Possen  und  Schwanke  im  Bereiche  der  Lustspielliteratur  geben. 
Am  ehesten  traf  noch  Hermann  Schlag  („Das  Drama")  die  Wesens- 
bestimmung des  Schwanks,  die  auch  Ernst  Martin  in  seiner  Über- 
sicht über  die  Schwankliteratur  abdruckt:  „Der  Schwank  ist  der 
Typus  des  Leichthumoristischen;  in  ihm  triumphiert  das  Ulkige  und 
Töricht -Harmlose,  wie  etwa  in  den  Bürgern  des  Shakespeareschen 
„Sommernachtstraums" ;  der  Schwank  gehört  Menschen,  die  sich  und 
der  Welt  ihren  Lauf  lassen  und  in  der  Masse  des  Lebens  harmlos 
mitschwimmen". 

Der  Schwank  ist  der  moderne  Nachfahr  des  antiken  Mimus.  Er 
wird  daher  um  so  eher  seine  Pflege  finden,  wenn  der  Stilwillen  der 
Kunst  realistisch  gerichtet  ist,  denn  sein  eigentliches  Feld  sind  die 
komischen  Zufälle  des  Wirklichkeitslebens.  Er  treibt  sein  Spiel  mit 
Dingen  und  nicht,  wie  das  humorgestaltete  Lustspiel,  mit  Ideen.  Er 
wurzelt  im  Diesseits  und  kennt  nichts  Jenseitiges.  Er  kennt  kein 
Schicksal,  das  die  Diesseitsbegebenheiten  vom  Jenseits  aus  bestimmt 
und  dadurch  einen  idealen  Nexus  schafft.  Sein  Schicksal  ist  dies- 
seitig, ihn  regiert  der  Zufall.  Der  Zufall  schafft  irgendwelche  Vor- 
aussetzungen, die  das  Geschehen  innerhalb  des  Schwanks  bestimmen. 
Sein  pragmatischer  Nexus  ist  daher  nur  ein  scheinbarer,  ad  hoc  er- 
fundener. Gerade  durch  die  Aufhebung  der  Weltgesetze  wird  die 
Eigenwilligkeit  des  Schwanks  bewirkt,  der  er  seine  beste  Komik  ver- 
dankt. Es  ist  als  ob  Naturgesetze  wie  Schwerkraft  plötzlich  auf- 
gehoben seien  und  nun  alle  Dinge  toll  durcheinanderwirbelten.    In- 


Schwankproduktion.  283 


dem  der  Schwankdichter  die  zermürbenden  Kleinigkeiten  des  Lebens 
unerwartet  zu  den  entscheidenden  Größen  macht,  merken  wir,  welchen 
tollen  Unfug  sie  anrichten,  sobald  wir  ihnen  zu  große  Bedeutung  bei- 
messen. Und  darin  besteht  die  Schwankkatharsis,  wobei  aber  aus- 
drücklich betont  sei:  wenn  einer  dramatischen  Gattung  alle  Lehrhaftig- 
keit  absolut  fremd  ist,  so  ist  es  der  Schwank. 

Sein  einziges  Ziel  ist  Lachen,  und  da  schon  der  ernste  Kant  Lachen 
für  gesund  erklärt,  so  mag  der  Schwank  vielleicht  die  gesündeste 
dramatische  Gattung  darstellen.  Vielleicht  gerade  deshalb,  weil  trotz 
aller  tiefgründigen  Gegenerklärungen  Schadenfreude  doch  ein  wirk- 
sames Agens  —  wenn  auch  nicht  das  einzige  —  des  Lachens  ist,  und 
diese  Schadenfreude,  in  ihrer  harmlosesten  Form,  weiß  der  Schwank 
zu  wecken.  Denn,  um  Harlans  witziger  Unterscheidung  in  seiner 
„Schule  des  Lustspiels"  zu  folgen,  der  Schwank  gehört  der  Gattung 
der  blamierenden  Lustspiele  an,  die  Lust  über  Schwäche  erregen. 
Sicher  ist  das  Lustspiel  nicht  dazu  da,  sich  mit  den  Bagatellen  des 
Lebens  zu  beschäftigen,  aber  wohl  der  Schwank.  Er  appelliert  an  die 
groben  Triebkräfte  des  Komischen  und  ist  gerade  dadurch  seiner  Massen- 
wirkung sicher.  Kalauer  und  Situationskomik  sind  seine  Hauptelemente. 

Der  Vater  des  modernen  Schwanks  ist  der  vielgewandte  und  un- 
bedenkliche Kotzebue.  Sein  fruchtbarer  Nachfolger  in  der  Herrschaft 
über  die  Bühne  unserer  Epoche  ist  Roderich  Benedix  (1811 — 1873). 
Seine  überaus  reiche  Produktion  setzt  eigentlich  erst  ein  seit  dem  Er- 
folg, den  sein  „Bemoostes  Haupt  oder  der  lange  Israel"  (1839)  erzielte. 
Schon  hier  zeigt  er  seine  Stärke  und  Schwäche.  Er  ist  ein  behäbiger 
Kleinbürger  von  gutmütigem,  moralisch  einwandfreiem  Charakter  mit 
einem  etwas  leicht  entzündbaren  Herzen.  Ein  Dichter  ist  er  nicht, 
aber  ein  gründlicher  Kenner  der  Bühnenwirkung  und  der  Mittel,  sie 
zu  erzielen.  Derbe  Komik,  gemildert  durch  einen  Zuguß  von  Senti- 
mentalität, wird  in  Ifflandsche  Umgebung  versetzt,  denn  der  aus- 
gesprochene Gegner  von  Shakespeares  Lustspielkunst,  der  „Die  Shake- 
spearomanie.  Zur  Abwehr"  schrieb,  bewundert  als  Vorbilder  Schrö- 
der und  Iffland.  Es  ist  klar,  daß  der  brave  Spießer  um  so  mehr 
versagen  muß,  je  mehr  er  sich  hohe  dichterische  Ziele  steckt,  je 
mehr  er  Lustspiele  schreiben  will. 

Wo  er  dagegen  in  seiner  eigenen  Kleinwelt  bleibt,  wo  er  nur  als 
erfahrener  Theaterkenner  Schwanke  schreibt,  da  ergötzt  noch  heute 
seine  leichte  Erfindungsgabe  und  sein  an  Scribe  geschultes  Talent, 
die  Intrige  zu  komisch  wirksamen  Situationen  zu  führen,  trotz  des 
Dialogs,  dessen  Nüchternheit,  namentlich  im  Vergleich  mit  Bauern- 
feld, an  Unbeholfenheit  grenzt.  Charaktere  kann  und  will  er  nicht 
gestalten.  Statt  Individualitäten  gibt  er  Karikaturen,  statt  Menschen 
Rollentypen  für  die  feststehenden  Schauspielfächer:  jugendlicher  Held 
und  Liebhaber,  Bonvivant,  polternder  Alter,  jugendliche  Naive,  senti- 
mentale Liebhaberin,  schrullige  alte  Jungfer,  die  in  zahlreichen  Wieder- 


284     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Das  Unterhaltungslustspiel  (1830 — 1885). 

holungen  mit  leichten  Abschattungen  die  Bühne  bevölkern.  Noch 
heute  bilden  sie  beliebte  Typen,  wie  die  Schwiegermutter  aus  seinem 
„Störenfried"  (i86l),  die  jeder  Schwankschreiber  auf  der  Bühne  hin- 
und  herbewegt.  Als  gewiegter  Theaterpraktiker  bedient  er  sich  natür- 
lich auch  des  Gegensatzes  sozialer  Stände,  wie  es  bereits  Nestroy 
getan  hat,  indem  er  in  „Oben  wie  Unten"  (1854)  Herrschaft  und 
Dienstboten  einander  gegenüberstellt  in  zwei  aufeinanderfolgenden 
Bildern.  Überall  sind  die  Mittel  der  Handlungsführung  die  gleichen: 
Mißverständnisse,  Briefe,  Verkleidungen  —  Hosenrollen  sind  im 
Schwank  stets  wirkungsvoll  — ,  Verwechslungen  und  zum  Schlüsse 
dann  die  Enthüllung  und  Aufklärung,  wodurch  endlich  die  ersehnte 
Verlobung  ermöglicht  wird.  Damit  führt  er  trotz  aller  anscheinenden 
Hindernisse,  die  im  Publikum  niemand  für  ernst  nimmt,  seine  spieß- 
bürgerliche Glücksmoral  zum  Ziel. 

Es  ist  bezeichnend  für  den  Durchschnittsgeschmack  seiner  Zeit, 
daß  er  mit  der  seelenverwandten  Charlotte  Birch-Pfeiffer  zu  den  be- 
liebtesten und  meist  gespielten  Bühnenautoren  gehörte  und  damit 
Gutzkows  bissiges  Wort  bestätigte:  „Sie  müssen  ja  Glück  haben 
mit  Ihren  Stücken,  denn  fast  alle  fangen  sie  mit  einer  Hotelszene 
an,  mit:  Kellner,  eine  Flasche  Wein !  Wenn  der  Deutsche  das  hört, 
so  ist  er  gleich  gewonnen".  Daß  das  Hotel,  als  Sammelplatz  ver- 
schiedenartigster Menschen:  Gäste,  Wirt,  Bedienung,  die  besten 
Schwankmöglichkeiten  ergibt,  erlebten  wir  in  den  letzten  Jahrzehnten 
wieder  mit  Blumenthal  und  Kadelburgs  „Im  weißen  Rössl"  (1898), 
dessen  Berliner  Glühstrumpffabrikant  Wilhelm  Giesecke  immer  wieder 
versichert:  „Det  Jeschäft  is  richtig". 

Aus  der  Masse  von  Benedix'  gleichwertigen  und  gleichstrebigen 
Zeitgenossen  sei  nur  Gustav  Räder  (1810  — 1868),  der  Dresdener 
Schauspieler  und  Possendichter,  hervorgehoben,  weil  er  in  „Robert 
und  Bertram"  (1850)  uns  eine  überaus  lustige  Gaunerkomödie  be- 
scherte, die  uns  auch  heute  noch  erfreut.  Sie  ist  weiter  nichts  als 
eine  Reihe  selbständiger  Gaunerstreiche  ohne  jeden  Versuch  einer 
durchlaufenden  Handlung,  Eine  Menge  komischer  Situationen,  deren 
Wirkung  namentlich  in  der  ersten  Abteilung  durch  die  geschickte 
vierteilige  Bühnentechnik  ganz  originell  ist,  ist  mit  Gesangseinlagen 
durchsetzt,  die,  wie  in  der  Berliner  Lokalposse,  stellenweise  ganz 
selbständige  Couplets  sind.  Weiter  bezeugt  die  Abstammung  von  der 
Lokalposse,  daß  ebensowenig  zeitgemäße  national-  und  sozialpolitische 
Anspielungen  wie  der  jüdische  Typ  fehlen,  wie  auch  die  Technik  des 
ersten  Aktes  an  Kalischs  ,, Einer  von  unsere  Leut"  erinnert;  nur  fehlt 
der  Dialekt,  der  aber  bei  Aufführungen  von  jeher  trotzdem  ausgiebig 
verwandt  wird  —  und  mit  Recht,  da  gerade  Sächsisch  sich  besonders 
gut  zu  komischer  Wirkung  eignet. 

Gegen  Ende  unserer  Epoche  ist  eine  Entwicklung  der  Schwank- 
technik über  Benedix  hinaus  zu  beobachten  dadurch,  daß  die  Schwank- 


Schwankproduktion.  285 


dichter  ehrlich  und  bewußt  von  aller  Sentimentalität  absehen,  die 
früher  ihr  Werk  zum  Lustspiel  erheben  sollte,  und  nur  auf  drastische 
Situations-  und  Wortkomik  ausgehen.  Das  Rezept  ist  meistens  dies, 
daß  ein  notgedrungener  Schritt  abseits  vom  Weg  der  Tugend,  Sitte 
oder  Konvention  einen  Rattenkönig  von  komischen  Verwicklungen 
nach  sich  zieht.  Darauf  beruht  Rudolf  Kneisels  (1832 — 1899)  „Der 
liebe  Onkel"  und  C.Lauffs  (1858-1900)  „Ein  toller  Einfall".  Den  Höhe- 
punkt zwerchfellerschütternder  Komik  haben  die  Brüder  Franz  und 
Paul  V.  Schönthan  erreicht  mit  dem  „Raub  der  Sabinerinnen"  (1878), 
worin  der  unverwüstliche  Schmierendirektor  Striese  die  behauptete 
Komik  des  sächsischen  Dialekts  erweist,  und  Gustav  v.  Moser  mit 
dem  „Bibliothekar"  (1878). 

Moser  hat  aus  eigener  Kenntnis  des  Milieus  die  Schwanktypen 
um  den  Offizier  vermehrt  und  damit  der  Überspannung  militärischen 
Selbstbewußtseins  einen  kathartischen  Abfluß  gewährt  in  dem  „Veilchen- 
fresser" (1876)  und  gemeinsam  mit  Franz  v.  Schönthan  —  das  Kom- 
paniegeschäft ist  bezeichnend  für  die  Schwankfabrikation  —  in  „Krieg 
im  Frieden"  (1879).  Ernst  Martin  schreibt  über  die  beliebten  Militär- 
schwanke:  „Auch  hier  werden  die  Figuren  bald  stereotyp:  der 
brummige,  aber  gerechte  General,  der  grandige,  nicht  sehr  gescheite 
Oberst,  mit  der  im  wahren  Sinne  des  Worts  das  Regiment  führen- 
den Frau  Oberstin,  die  charmanten,  immer  ebenso  edlen  wie  bedürf- 
tigen Offiziere,  denen  alle  Herzen  zufliegen;  die  für  das  bunte  Tuch 
schwärmenden  Mägdelein,  die  dem  Leutnantsschwiegersohn  erst  ab- 
holden, dann  aber  bekehrten  und  schließlich  die  Schulden  zahlenden 
bürgerlichen  Väter;  die  das  Militär  vom  Feldwebel  abwärts  liebenden 
Köchinnen  und  endlich  die  schimpfenden  Unteroffiziere  und  die 
drolligen  Burschen.  Die  letzteren  mußten  gewöhnlich  aus  Ostpreußen 
oder  Polen  stammen,  anders  tat  man  es  nicht  mehr,  von  wegen  der 
größeren  Originalität.  Die  Handlung  spielt  im  Kasino,  auf  der 
Leutnantsbude,  im  Mannschaftszimmer,  auf  dem  Kasernenhof.  Stoff"- 
lich  sind  alle  diese  Schwanke  wenig  originell,  sie  gleichen  sich  fast 
immer  sehr". 

Solange  Schwanke,  ohne  dichterische  Prätension,  als  Theaterware 
ihr  einziges  Ziel  in  der  Erweckung  harmlosen  Lachens  sehen,  kann 
nur  ein  Pedant  gegen  sie  zetern.  Dichtungen  sind  es  nicht,  und  wir 
haben  den  Begriff  Literatur  weitgespannt,  wenn  wir  hier  ihre  Merk- 
male streiften.  Ihre  Aufführungszahlen  in  unseren  Theatern  sind  aber 
sehr  bezeichnend  und  oft  ein  sehr  unerfreuliches  Zeichen  für  die 
Höhe  unseres  allgemeinen  Kultur-  und  Kunstniveaus,  insbesondere, 
wenn  sie  nach  der  in  diesem  Kapitel  betrachteten  Zeitepoche  immer 
stärker  durch  den  Import  von  Auslandsware  bestimmt  werden.  Wenn 
die  unsterbliche  „Charleys  Tante"  von  Brandon  Thomas  mit  ihrer 
typisch  angelsächsischen  burlesken  Situationskomik  Heimatrecht  auf 
unserer  Schwankbühne  erwirbt,  so  ist  dagegen  wenig  einzuwenden. 


286     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

Schlimmer  ist  es,  wenn  seit  der  Jahrhundertwende  die  französische 
Schlafzimmer-  und  Unterhosendramatik  sich  bei  uns  breit  macht  und 
deutsche  Nachahmungen  hervorruft,  die  ohne  die  romanische  Eleganz 
in  Dialog  und  Szenenführung  gepfefferte  Pikanterie  und  witzige  Zwei- 
deutigkeit in  platte  Lüsternheit  und  eindeutige  Gemeinheit  verkehrt. 

III.  HEBBEL, 
RICHARD  WAGNER,  ANZENGRUBER. 

I.  FRIEDRICH  HEBBEL, 
a)  Theorie. 

In  der  Zeit,  da  ein  Benedix  Erfolg  über  Erfolg  einheimste,  zog 
sich  ein  Grillparzer,  verbittert  über  seine  Mißerfolge,  vom  Theater 
zurück,  rang  auch  ein  Hebbel  unablässig  mit  der  Abneigung,  der  er 
überall  begegnete,  so  daß  er  tatsächlich  Grillparzers  Entschluß  sehr 
nahestand.  Wie  Grillparzer  war  auch  Hebbel  eine  zu  bedeutende 
Persönlichkeit,  um  in  der  Tradition  aufzugehen.  Seine  eigenwillige 
Prägung  ist,  wie  in  seinen  Tragödien,  auch  in  seinen  Lustspielen 
sichtbar. 

Hebbels  Urerlebnis  ist  die  Disharmonie  von  Individuum  wie  Uni- 
versum. Daraus  ist  sein  —  unsystematischer  —  metaphysischer  Dog- 
matismus zu  verstehen,  der  als  Frucht  der  dreißiger  Jahre  ihn  immer 
wieder  mit  den  philosophischen  Gedankenbauten  seiner  Zeit  in  Ver- 
bindung setzt  und  der  all  sein  Schaffen  bestimmt.  Diese  im  Einzelnen 
wie  im  All  vorhandene  Disharmonie  ist  der  Zwiespalt  von  Allge- 
meinem und  Besonderem.  Je  nachdem  jenes  oder  dieses  den  Blick- 
punkt künstlerisch-dramatischer  Gestaltung  beherrscht,  grenzt  Hebbel 
die  Bereiche  von  Tragödie  und  Komödie  gegeneinander  ab.  Da  aber 
beides  —  wenn  auch  unvereinbare  —  Elemente  des  Ganzen  sind,  so 
sind  ,, Komödie  und  Tragödie  im  Grunde  nur  zwei  verschiedene 
Formen  für  die  gleiche  Idee".  Und  nun  fährt  er  in  Ablehnung 
zeitgenössischer  Dramatik  fort:  „Warum  aber  haben  wir  Neuren 
keine  Komödie  im  Sinne  der  Alten?  Weil  sich  uns're  Tragödie 
schon  so  weit  in's  Individuelle  zurückgezogen,  daß  dies  Letztere, 
welches  eigenthcher  Stoff  der  Komödie  seyn  sollte,  für  sie  nicht  mehr 
da  ist"  (Tagebuch  II,  Nr.  2393).  Wenn  tragisches  Leid  aus  dem  er- 
schütternden Erlebnis  folgen  soll,  daß,  in  Übereinstimmung  mit  Hegels 
geschichtsphilosophischem  Begriff  von  der  List  der  Vernunft,  die  über- 
geordnete Macht  des  Weltwillens  alles  Eigenstreben  vernichtet,  sollen 
wir  in  der  Komödie  erleben,  wie  jeder  einzelne  sich  für  souverän  hält; 
das  Individuum  weiß  nicht,  daß  es  nur  ein  Teil  des  Ganzen  ist,  es 
ahnt  nicht  die  Wahrheit  dessen,  was  Hebbel  metaphorisch  ausdrückt: 
,Jede  echte  komische  Figur  muß  dem  Buckligten  gleichen,  der  in 
sich   selbst   verliebt   ist".     Dies   bedeutet   aber,    daß   die   komischen 


Friedrich  Hebbel:    Theorie.  287 


Figuren  nicht  ihre  Komik  erkennen,  sondern  „daß  für  die  dar- 
gestellten Personen  alles  bitterster  Ernst  ist,  was  sich  für  den  Zu- 
schauer, der  von  außen  in  die  künstHche  Welt  hineinblickt,  in  Schein 
auflöst".  Vom  Standpunkt  der  Komödienpersonen  ist  daher  nie  eine 
versöhnende  Harmonie  zu  erwarten,  sie  ersteht  nur  in  dem  Zuschauer; 
dieser  ordnet  das  auf  der  Bühne  geschaute  individuelle  Kleinleben 
seinem  Gesamtweltgefühl  ein  und  erlebt  daher  in  sich  den  Humor 
als  empfundenen  Dualismus  zwischen  den  kleinen  und  eitlen  Sonder- 
wünschen und  den  überindividuellen  Zielen. 

In  Übereinstimmung  damit  legt  Hebbel  in  dem  Hans- Sachs- Goethe- 
schen  Prolog  zu  seinem  Lustspiel  „Der  Diamant"  (1841)  die  Aufgabe 
des  Lustspieldichters  dar;  er 

„Will  Menschen,  die  wie  Fackeln  brennen,  Und  dämmernd  über  den  Gestalten 

Und  ohne  daß   sie's  selbst  erkennen.  Will  ich  ein  wunderbares  Walten, 

Wie  ein  erleuchtet  Alphabet  Drin,  wenn  auch  ganz  von  fern,    der  Geist, 

Dem  sind,  der  die  Natur  versteht,  Der  alle  Welten  lenkt,  sich  weis't". 

Auf  diese  Weise  entfaltet  sich  „die  höchste  Harmonie  in  den  ver- 
zerrtesten Gestalten,  die  Gottesschrift  im  Wurm".  Und  diese  Ent- 
faltung wird  bewirkt  durch  den  Zufall,  nicht  wie  in  der  Tragödie 
durch  das  Schicksal.  Denn  das  Schicksal  kann  sich  nur  offenbaren 
bei  Menschen,  die  sich  ihres  Zusammenhangs  mit  dem  Weltgeschehen 
bewußt  sind.  In  demjenigen  aber,  der  so  verstockt  ist,  daß  er  nicht 
mehr  Ziel  göttlicher  Emanation  ist  —  „wenn  der  Mensch  so  sehr  ver- 
stockt, daß  er  den  Funken  nicht  mehr  lockt"  — ,  kann  doch  der 
Zufallsblitz  noch  schlagen  und  durch  seine  plötzliche  Erhellung  ihn 
in  seiner  Nichtigkeit  offenbaren.  Also  auch  hier  wieder  wird  die 
ideelle  Gleichheit  von  Tragödie  und  Komödie  betont:  „Immer  ist  es 
der  Mensch  in  seinem  Konflikt  mit  den  ewigen  Mächten,  mag  man 
diese  nun  fassen  wie  man  will,  der  dem  Drama  in  beiden  Gestalten 
die  Aufgabe  stellt,  und  der  ganze  Unterschied  liegt  in  der  Art  der 
Lösung". 

b)  Lustspielproduktion. 

aa)  „Der  Diamant". 

Das  Lustspiel,  in  dem  diese  Theorie  betätigt  werden  soll,  ist  „Der 
Diamant"  (vollendet  1841,  gedruckt  1843  und  abermals  1847).  Seine 
Aufgabe  hat  also  nichts  mit  dem  die  Bühne  seiner  Zeit  beherrschenden 
Unterhaltungslustspiel  höherer  oder  niederer  Art  zu  tun.  Ausdrück- 
hch  weist  Hebbel  im  Prolog  die  Aftermuse  zurück,  die  jenes  Unter- 
haltungslustspiel umschreibt: 

,,Was  ist  ein  Lustspiel  nun?     Ein  Spiegel  Man  wiU  nicht  des  Kometenschwenkers 

Der  Zeit,  ein  abgeriss'nes  Siegel  Geheimnis  und  des  Sternenlenkers, 

Des  Lebens,   das,  geschickt  gelös't,  Man  will  erfahren,   was  der  Staat, 

Das  Tiefstversteckte  fein  entblößt.  Die  Kirche  auch,  in  petto  hat. 


288      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengniber. 

Mit  einem  Wort:  die  Gegenwart  Dem  lieben  Sohn  erhalten  wissen, 

Ist,  wie  Narciß,  in  sich  vernarrt,  Sie  hat  sich  ihr  Portrait  bestellt, 

Sie  will  ihr  Bildnis,  zart  umrissen.  Und  Du,   Du  bringst  das  Bild  der  Welt". 

Doch  Hebbel  lehnt  diese  billige  Art  Ruhm  zu  ernten  ab,  selbst 
auf  die  Gefahr  hin,  den  von  Berlin  ausgesetzten  Preis  nicht  zu  erhalten. 
Er  erstrebt  Höheres,  und  sein  Vorbild  dabei  ist  Kleist.  Mit  stolzem 
Selbstbewußtsein  schreibt  er  1843:  „Ich  glaube,  den  Deutschen  in 
meinem  Diamanten  das  zweite  Lustspiel  gegeben  zu  haben.  Kleist 
im  „Zerbrochenen  Krug"  gab  das  erste.  Die  Sache  ist  so,  das  weiß 
ich  gewiß,  es  handelt  sich  nur  darum,  ob  sie  es  morgen  oder  erst 
in  zehn  Jahren  eingestehen".  Später  wird  er  allerdings  selbst  kriti- 
scher gegen  sein  Werk.  Im  Jahre  1861  nennt  er  die  Ausführung  „un- 
erträglich". Er  verlangt  nur  noch  für  die  dem  Lustspiel  zugrunde 
liegende  Idee  Anerkennung,  und  diese  kann  ihm  nicht  versagt  werden. 
Die  Idee  ist  in  dem  Prolog  klar  ausgesprochen: 

„Ich  seh'  an  einem  Edelstein 
Des  ird'schen  Lebens  leeren  Schein 
Und  alle  Nichtigkeit  der  Welt 
Phantastisch-lustig  dargestellt". 

Um  die  Wirkung  des  Diamanten  als  Prüfstein  zur  Erkenntnis  der 
Welt  zu  erweisen,  wählt  er  seinen  Stoff  nicht  wie  das  Durchschnitts- 
lustspiel „so  in  der  Mitt'  von  Land  und  Hof",  sondern  er  nimmt  in 
Übereinstimmung  mit  dem  barocken  Zwei  weiten  System  gerade  diese 
polaren  Gegensätze,  durch  die  die  Gesamtheit  der  Welt  eingegrenzt 
ist,  und  die  daher  in  ihrer  Spannweite  für  sie  repräsentativen  Cha- 
rakter haben.  Der  Hofumgebung,  die  nach  seinem  eigenen  Wort  in 
„Tapeten-Figuren-Styl"  gehalten  ist  und  in  ihrer  schematischen  Zeich- 
nung an  romantische  Märchen  erinnert,  stellt  er  das  Bauernmilieu 
gegenüber,  das  in  Art  und  Lebendigkeit  Kleists  Vorbild  nachgebildet 
ist.  Beide  Gruppen  werden  miteinander  in  Verbindung  gesetzt  da- 
durch, daß  der  Diamant  von  der  höheren  zur  niederen  gelangt,  diese 
durchläuft  und  zum  Schlüsse  wieder  zur  höheren  zurückkehrt. 

Der  Dualismus,  auf  dem  das  ganze  Lustspiel  aufgebaut  ist,  zeigt 
sich  überall  bis  in  die  an  sich  unbedeutende  Einzelheit,  daß  das 
Streben  deutlich  ist,  die  verschiedenen  Personengruppen  innerhalb 
der  niederen  Weltsphäre  immer  aus  zwei  Vertretern  bestehen  zu 
lassen,  von  denen  einer  mehr  aktiven,  der  andere  mehr  passiven 
Charakter  hat.  Am  wirksamsten  zeigt  sich  dieser  Dualismus  an  dem 
Diamanten  selbst.  Als  einfacher  Stein  hat  er  keinen  Wert  —  Bar- 
bara wirft  ihn  zum  Fenster  hinaus  — ,  sein  Sein  übt  keine  Wirkung 
aus,  dagegen  sein  Schein,  die  ihm  beigelegte  Idee,  die  im  Königs- 
schloß den  Fortbestand  des  Königsstamms  und  des  Reiches  bedeutet 
und  in  der  unteren  Sphäre  einen  Geldwert  von  einigen  Talern  bis 
zu  einer  halben  Million,  entsprechend  der  auf  seine  Wiederbringung 


Friedrich  Hebbel:  Lustspielproduktion:   „Der  Diamant".  289 

ausgesetzten  Belohnung,  wobei  die  Wirkung  gemäß  der  Größe  und 
Bedeutung  der  beigelegten  Idee  wächst.  Dadurch  wird  er  das  Agens 
für  den  Humor,  der  in  Hebbels  selbsterlebtem  Leid  wurzelt,  daß  der 
Einzelne  seine  Unabhängigkeit  in  dieser  Welt  nicht  wahren  kann. 
Dies  erhellt  an  den  Personen,  die  alle  erst  durch  den  akzessorischen 
Wert  des  Steins  in  Tätigkeit  gesetzt  werden;  sie  alle  handeln  also 
unter  einem  Druck  von  außen;  es  ist,  mit  einem  Wort  Hebbels,  nicht 
eigene  Krankheit,  es  ist  fremdes  Gift,  was  sie  entstellt.  Denn  darin 
besteht  die  eigentliche  Wirkung  des  Steins,  daß  er  jedermann  in 
dem  ununterdrückbaren  Bestreben,  unter  allen  Umständen  ihn  zu 
erlangen,  sich  in  seinem  Grundcharakter  offenbaren  läßt.  Und  diese 
Selbstentfaltung  gibt  dem  pessimistischen  Ethiker  Hebbel  Gelegen- 
heit zu  zeigen,  daß,  außer  dem  naiven  Jakob,  sie  alle,  die  sich  ein- 
ander den  Stein  abjagen  wollen,  sittlich  minderwertig  sind.  Daß  sie 
alle  kein  Gewissen,  kein  Gefühl  für  das  Recht  des  andern  haben,  daß 
sie  alle  gegen  die  „Pietät",  wie  es  Hebbel  gern  nennt,  verstoßen, 
beläd  sie  mit  sittlicher  Schuld,  für  die  sie  daher  auch  alle  büßen 
müssen;  nur  Jakob,  der  dieses  Gefühl  selbst  Benjamin  gegenüber 
nicht  verliert,  bleibt  schuldlos  und  erhält  daher  die  Belohnung.  Jakob 
ist  in  seiner  Naivität  eine  ungebrochene  Natur,  an  seiner  Realität 
muß  daher  auch  jede  fixe  Idee  sich  zerstoßen. 

Aber  dem  metaphysischen  Dualismus  ist  er  trotzdem  unterworfen, 
ihm  kann  kein  Mensch  entrinnen.  Am  deutlichsten  wird  diese  Ge- 
bundenheit des  Individuums  an  Benjamin:  indem  er  seine  persön- 
lichen Wünsche  verfolgt,  muß  er  das  höhere  unpersönliche  Ziel  der 
Wiederfindung  des  Diamanten  bewirken  und  setzt  sich  gerade  da- 
durch der  äußersten  Lebensgefahr  aus.  Aber  nicht  nur  an  Benjamin: 
jeder  fördert  in  seinem  Sonderstreben,  den  Stein  für  sich  allein  zu 
gewinnen,  das  Gegenteil,  indem  er  die  Gegenkräfte  wachruft  und  da- 
durch wiederum  zur  Erreichung  des  höheren  Ziels  beiträgt.  Wir 
sehen  also,  wie  auch  im  Humor  jener  metaphysische  Begriff  von  der 
List  der  Vernunft  wirksam  ist. 

So  eine  tiefsinnige  Humorauffassung  ist  bei  keinem  der  erfolg- 
reichen Zeitgenossen  des  Dichters  zu  finden.  Aber  allerdings  ist 
ihm  die  komische  Verlebendigung  nur  in  der  Sphäre  des  Rüpelspiels 
gelungen,  und  selbst  hier  erreicht  er  weder  die  lebendige  Beweglich- 
keit des  Kleistschen  Dialogs  noch  die  wuchernde  Fülle  Grillparzers, 
geradesowenig  wie  er  die  selbstaufgestellten  Forderungen  seines 
Prologs  erfüllt. 

Hebbel  ist  so  durch  und  durch  Tragiker,  daß  er  seinen  Monu- 
mentalstil, der  für  seine  Tragödien  die  notwendige  Ausdrucksform  ist, 
auch  für  seine  Komödie  verwendet  und  damit  ihrem  inneren  Form- 
willen Zwang  antut.  Dieser  Monumentalstil  zeigt  sich  in  dem  klaren, 
übersichtlichen  Aufbau  des  ganzen  Stückes,  in  der  parallelen  Ein- 
führung der  einzelnen  Gruppen,   in   der  hintergrundartigen  Behand- 

Holl ,  Lustspiel,  19 


20O     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

lung  der  Obersphäre,  in  der  Linienführung  der  einzelnen  Akte,  von 
denen  etwa  der  erste  ganz  symmetrisch  zwei  Monologszenen  von 
Spieler  und  Gegenspieler  als  Zwischenglieder  in  drei  Dialogszenen 
einschiebt  und  dadurch  den  einfachsten  Rh3^hmus  von  Dialog  und 
Monolog  in  fünffacher  Gliederung  erreicht.  Durch  all  dies  gewinnen 
wir  aber  leicht  den  Eindruck  des  Konstruierten,  wodurch  der  künst- 
lerische Eindruck  ebenso  beeinträchtigt  wird  wie  durch  die  Überzahl 
von  Monologen. 

Andrerseits  ist  aber  die  Rüpelwelt  mit  ihrer  saftigen  Derbheit  von 
einer  Frische,  wie  wir  ihr,  außer  im  „Zerbrochnen  Krug",  in  jener 
Zeit  nur  in  den  Lokalpossen  begegnen,  an  die  auch  einige  Figuren, 
wie  der  Jude,  erinnern.  Ohne  Beeinflussungen  nachspüren  zu  wollen, 
können  wir  Dr.  Pfeffer  mit  Datterich,  das  Paar  Jakob  —  Barbara  mit 
Valentin — Rosel  („Verschwender")  vergleichen,  ebenso  wie  den  listen- 
reichen, stets  neue  Ausflüchte  findenden  Benjamin  mit  Kleists  Dorf- 
richter Adam,  an  den  natürlich  auch  einige  Züge  Kilians  erinnern. 
Diese  Parallelen  bedeuten  aber  nichts  weiter  als  die  realistische  Ge- 
staltungskraft Hebbels,  die  in  seiner  Zeit  erfrischend  ist,  wenn  er 
auch  Kleist  in  der  Geschlossenheit,  Eindrücklichkeit  und  Lebendig- 
keit nicht  erreicht. 

bb)  „Der  Rubin". 

Auf  künstlerisch  höherem  Niveau  steht  die  Ausführung  seines 
nächsten  Lustspiels  „Der  Rubin"  (1849),  wie  schon  aus  A.  M.Wagners 
Beobachtung  erhellt,  „daß  Vorkommen  des  Expositionsmonologs  und 
künstlerischer  Wert  in  umgekehrtem  Verhältnis  zueinander  stehen": 
gegenüber  den  acht  Monologen  des  „Diamant"  gibt  es  im  „Rubin" 
nur  einen,  der  zudem  mit  dem  begleitenden  Handlungsvorgang  eine 
andere  Funktion  hat.  Vor  allem  aber  sind  die  beiden  Sphären  durch 
die  Einheitlichkeit  der  Farbengebung  einander  genähert.  Die  Schärfe 
und  Schroffheit  des  „Diamant"  ist  gemildert  zugunsten  einer  weichen 
Tönung,  die  wienerisch  anmutet.  Sicherlich  hat  zu  dieser  inneren 
Versöhnlichkeit  beigetragen,  daß  das  Revolutionsjahr  dem  Dichter 
Zugang  zu  den  bisher  zögernden  Bühnen  brachte,  wodurch  sein 
Jahresrückblick  eine  ungewohnte  relative  Befriedigung  atmet. 

Der  Stoff,  der  eigene  Erfindung  ist,  hat  insofern  Ähnlichkeit  mit 
dem  des  „Diamant",  als  auch  hier  ein  Edelstein  das  unbesiegliche 
heiße  Verlangen  nach  seinem  Besitz  weckt  und  dadurch  die  Gefahr 
sittlicher  und  metaphysischer  Schuldverstrickung  hervorruft.  Die  erste 
Formung  findet  dieser  Stoff  in  dem  Märchen  von  1837.  Seit  1843 
trägt  sich  Hebbel  mit  Plänen  zu  dessen  Dramatisierung.  Der  innere 
Werdegang  mag  der  sein,  daß  der  Dichter  sich  selbst  immer  mehr 
mit  dem  Helden  Assad  identifiziert.  Er  selbst  ist  wie  Assad  der  Arme, 
der  das  Höchste  träumt  und  kühn  die  Hand  nach  dem  Wertvollsten 
streckt.    Die  Stimmung  steigt  auf,  die  den  an  Leib  und  Seele  banke- 


Friedrich   Hebbel:  Lustspielproduktion:   „Der  Rubin".  29 1 

rotten  Hebbel  Ende  1845  nach  Wien  führt  und  dort  unerwartet 
äußeres  und  inneres  Lebensglück,  bewundernde  Freunde  und  eine 
liebende,  bedeutende  Frau  gewinnen  läßt. 

Erleben  gibt  dem  phantastischen  Einfall  seelischen  Gehalt  und 
schmilzt  ihn  erst  ein  in  die  ganze  Lebens-  und  Weltanschauung  des 
Dichters.  Wieder  ist  die  Komödie  dualistisch  aufgebaut.  Der  gute 
und  der  böse  Geist  wechseln  in  ihrer  Herrschaft  wie  Tag  und  Nacht. 
Neben  Assad  steht  Hakam  wie  Materialismus  neben  Idealismus.  Der 
tiefste  Träger  des  Humors  ist  aber  wieder  jener  metaphysische  Dua- 
lismus, die  Unvereinbarkeit  des  Einzelwillens  mit  dem  Weltwillen. 
Auch  Assad  unterliegt  seiner  menschlichen  Natur,  die  das  Kostbarste 
um  jeden  Preis  behalten  will  und  dafür  kampfbereit  gegen  jeden 
Gegner,  und  sei  er  auch  der  größte  Wohltäter,  der  Lebensretter, 
oder  der  heilige  Gebieter  über  Leben  und  Tod,  der  Kalif,  anrennt. 
Aber  auch  er  muß  das  höhere  Walten  der  Hegeischen  List  der  Ver- 
nunft erfahren,  die  ihn  zwingt,  das  Liebste  wegzuwerfen,  um  es  da- 
durch erst  zu  erringen.  Darin  besteht  der  Humor,  daß  unerwartet 
einmal  im  Menschen  der  Universalwillen  mit  dem  Eigenwillen  in  Ein- 
heit zusammenklingt,  was  sonst  nur  der  Gottheit  beschieden  ist,  aber 
dies  kann  nur  geschehen  durch  Vernichtung  des  Eigenwillens.  Nur 
indem  der  Mensch  auf  sein  Ich  verzichtet,  eint  er  sich  mit  der  Gott- 
heit. Daraus  ist  der  tiefere  Sinn  der  dunklen  Tagebuchaufzeichnung 
zu  verstehen:  „Humor  ist  Zweiheit,  die  sich  selbst  empfindet". 

Diese  Aufhebung  des  Eigenwillens  ist  aber  nicht  etwa  eine  un- 
überlegte Handlung,  Willenlosigkeit ;  in  all  ihrer  Impulsivität  ist  sie 
Ausdruck  sittHcher  Lebensanschauung.  Assad  teilt  mit  Hebbel  den 
idealistischen  Rigorismus  des  Ibsenschen  Brand,  der  ihn  alles  oder 
nichts  fordern  läßt.  Wie  Hebbel  bereits  1836  als  beste  Lebensregel 
aufzeichnet:  „Wirf  weg,  damit  du  nicht  verlierst!",  so  muß  Assad  den 
geliebten  Rubin  wegwerfen,  um  seinen  Inhalt  zu  gewinnen.  Er  be- 
tätigt die  strenge  sittliche  Forderung  von  Ibsens  Brand  und  wird  da- 
durch zu  dessen  Erkenntnis  geführt: 

„Sieger  werden  nur  Verzichter, 
Erst  Verlornes  wird  Erworbnes;  — 
Ewig  lebt  dir  nur  Gestorbnes!" 

Aber  nicht  nur  das  Verhältnis  von  Mensch  und  Gottheit,  auch 
das  von  Individuum  und  Welt  ist  dargestellt,  am  weitesten  gespannt 
in  der  Polarität  Assad— Hakam.  Der  realistische  Lump  stammt  aus 
der  Rüpelsphäre  des  „Diamant"  und  bildet  in  seiner  von  irgend- 
welchen Idealen  nicht  beschwerten  Unbedenklichkeit  und  Anpassungs- 
fähigkeit, seiner  materialistisch-relativistischen  Skepsis  einen  humor- 
voll erleuchtenden  Kontrast  zu  dem  idealen  Schwärmer  Assad.  Die 
sitthche  Wertung  von  beider  Diebstahl  bezeugt  die  Identifikation 
von  Hebbel  mit  Assad.     Assad  tut  dasselbe,  was  Hakam  getan  hat; 

19* 


2Q2      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

die  Welt  muß  ihn  verurteilen,  wie  er  Hakam,  und  hat  nicht  unrecht; 
dennoch  steht  das  sittliche  Recht  auf  seiner  Seite.  In  dieser  Er- 
kenntnis liegt  Hebbels  tiefstes  sittliches  Erlebnis  seiner  genialen  Aus- 
nahmestellung, das  er  am  19.  Dezember  1836  an  EHse  in  die  Worte 
kleidet:  „Ahnst  du,  daß  über  mich  am  Ende  etwas  Höheres  schwebt, 
so  ahne  auch  das  daraus  Folgende,  daß  ich,  ganz  anders  konstruiert  als 
andere,  selbst  da  recht  haben  kann,  wo  die  Welt  nicht  unrecht  hat". 
Bedauerlich  ist,  daß  dies  tief  innerlich  erlebte  Lustspiel  mit  seiner 
dämmrig  ahnungsvollen  Phantastik  einen  Bruch  seiner  humorvollen 
Geschlossenheit  erfährt  durch  Beimischung  satirischer  Anspielungen 
auf  die  absolutistische  Regierungsform.  Diese  mögen  noch  so  sehr 
in  Hebbels  Gesamtlebensanschauung  verankert  sein;  daß  sie  hier 
Platz  fanden,  ist  doch  der  Einfluß  vergänglicher  Zeitverhältnisse, 
und  das  Publikum  hat  sie  daher,  trotz  ihrer  phiUströsen  Verkennung, 
mit  Recht  abgelehnt. 

cc)  „Michel  Angelo". 

Die  günstigen  Perspektiven,  die  sich  Hebbel  im  Revolutionsjahr 
eröffnet  hatten,  waren  bald  wieder  überschattet.  Gerade  bei  Ge- 
legenheit der  Uraufführung  seines  „Rubin"  offenbarte  sich  die  ge- 
hässige, mißgünstige  Kritik.  Daraus  und  aus  den  bitteren  Erfahrungen 
der  Münchener,  ja  der  ganzen  Entwicklungszeit  erwuchs  der  Wunsch, 
durch  künstlerische  Formung  sich  das  Quälende  vom  Hals  zu  schaffen. 
Den  Stoff  gab  ihm  eine  an  eigenes  Verhalten  und  Denken  erinnernde 
Anekdote  Vasaris  aus  dem  Leben  Michel  Angelos.  Diesem  gewaltigen 
schöpferischen  Geist  von  tiefem  sittlichen  Gehalt  und  zeitloser, 
monumentaler  Künstlergebärde  war  Hebbel,  wie  schon  der  Jung- 
deutsche Gustav  Kühne  —  noch  vor  dem  Drama  —  und  heute  wieder 
A.  M.  Wagner  beobachtet  haben,  innerlich  verwandt.  Nur  äußerlich 
zollt  er  mit  „Michel  Angelo"  (1850)  Tribut  der  damals  beliebten 
Künstlerdramatik,  wie  sie  der  grobstrichige  Theatraliker  Deinhardstein 
in  „Boccaccio",  „Garrick",  „Hans  Sachs",  „Salvator  Rosa"  vertrat, 
oder  aber,  weit  anmutiger  und  feiner,  Emanuel  Geibel  in  seinem  auf 
einen  altflorentiner  Schwank  gründenden  Lustspiel  „Meister  Andrea" 
(1841).  Wie  der  mächtige  Einsame  der  Renaissance  aus  seinen  see- 
lischen Bitternissen  heraus  schuf,  so  litt  Hebbel  sein  ganzes  Leben 
unter  dem  Widerspruch  seines  künstlerischen  Selbstbewußtseins  mit 
der  Schätzung  durch  seine  Zeit,  htt  ebensowohl  als  Künstler  wie 
als  Mensch,  denn,  wie  er  einmal  ausspricht:  ,,Wenn  ich  glücklich 
seyn  soll,  so  muß  ich  in  der  Mitte  einer  empfänglichen  Umgebung 
stehen,  auf  die  ich  wirken  kann,  denn  in  mir  ist  Gott  Lob  der 
Mensch  noch  mehr  als  der  Künstler  I" 

Sein  zweiaktiges  Drama  „Michel  Angelo"  ist  daher  nicht  nur 
Abrechnung  des  Künstlers  mit  Kritikern  und  Publikum,  es  ist  eine 
Darstellung   des  Ethos   der  großen  Künstlerpersönlichkeit,   der,   wie 


Fr.  Hebbel:  Lustspielproduktion:   „Michel  Angelo".    R.  Wagner:  „Meistersinger".        293 


wir  schon  aus  dem  Briefe  an  Elise  vom  19.  Dezember  1836  hörten, 
gemäß  ihrer  überragenden  Größe  auch  eine  exzeptionelle  Stellung 
und  Wertung  gebührt.  Es  ist  daher  kein  Verletztsein  kleinhcher  Eitel- 
keit, es  ist  wahres,  in  Kunst-  und  Lebensauffassung  begründetes 
Leid,  dessen  Überwindung  den  Humor  dieses  Lustspiels  erzeugt.  Der 
Dichter  kommt  daher  auch  über  das  isolierte  Persönliche  hinaus,  das 
im  besten  Falle  Satire  hätte  werden  können.  Der  ausgeweitete  Schluß 
erhebt  das  Einzelerlebnis  zur  Allgemeingültigkeit  durch  den  Hinweis  auf 
jene  überindividuelle  sittliche  Ordnung,  die  selbst  den  Teufel  in  der 
Gotteswelt  für  existenznotwendig  erkennt  als  jene  Kraft,  die  stets  das 
Böse  will  und  stets  das  Gute  schafft.  Des  Papstes  Schlußrede,  in 
der  er  diese  Erkenntnis  darlegt,  erinnert  an  die  Schlußworte  von 
Grillparzers  Bischof  Gregor,  der  wie  jener  das  Bild  vom  Weizen 
und  Unkraut  gebraucht.  Doch  während  Grillparzer  bei  einer  pessi- 
mistischen Toleranz,  einer  quietistischen  Lebenshaltung  stehenbleibt, 
hat  sich  Hebbel  hier  aus  seinem  jugendlichen  Pessimismus  zu  einer 
optimistischen  Weltauffassung  durchgerungen,  zu  der  Gewißheit,  daß 
der  eigene  Zwiespalt,  der  Zwiespalt  des  Individuums,  der  immanente 
notwendige  Zwiespalt  des  Kosmos  sei. 

Diese  Gehaltstiefe  deckt  sich  nicht  mit  dem  anekdotischen  Schwank- 
motiv des  Stofflichen,  wodurch  eine  Dissonanz  entsteht,  die  die  reine 
Kunstwirkung  beeinträchtigt:  der  possenhafte  Stoff  und  die  ihm  ent- 
sprechende derb-lockere  Knittelversform  vertragen  sich  nicht  mit  dem 
weltanschaulichen  Gehalt,  der  den  Humor  bestimmt.  Vor  allem  fehlt 
es  aber  auch  hier  wieder  an  heiterer  Lebensfülle.  Gewiß  bekunden 
die  italienischen  Volksszenen,  die  den  zweiten  Akt  einleiten,  eigene 
Erfahrung,  ihre  impressionistische  Schilderung  ist  überaus  lebendig; 
aber  gerade  von  ihnen  heben  sich  dann  wieder  die  Hauptpersonen 
trotz  aller  realistischen  Zeichnung  zu  rhetorisch  ab.  Wir  schauen 
in  weite  Fernen  und  überschauen  dadurch  den  Reichtum  der  Nähe. 

2.  RICHARD  WAGNER:  „DIE  MEISTERSINGER". 

Weite  Fernsicht  und  heitere  Lebensfülle  finden  sich  in  vollendeter 
künstlerischer  Vereinigung  in  Wagners  (1813— 1883)  „Meistersingern". 
Der  erste  Entwurf  unmittelbar  nach  Vollendung  der  Tannhäuser- Partitur 
(1845)  war  gleichsam  das  parodistische  Satirspiel  nach  dem  Sänger- 
streit auf  der  Wartburg.  Wie  Hebbel  im  „Michel  Angelo",  auch 
mit  ähnlichem  Motiv  des  Urhebertauschs,  aber  bitterer,  „frivoler", 
ohne  jede  Versöhnung,  hielt  Wagner  hier  Abrechnung  mit  den 
zünftigen  Kritikern  und  stellte  das  Genie  in  romantischem  Über- 
schwang als  räum-  und  zeitlos  dar.  Wagners  stürmischer  Lebens- 
wille verneinte  die  leidvolle  Gegenwart  und  erhoffte,  was  diese 
ihm  versagte,  von  der  Zukunft.  Sein  Gegenwartspessimismus  heißt 
ihn  alles  niederreißen,  um  es  in  gläubigem  Zukunftsoptimismus  rein 


294      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:   Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

und  schön  neuaufzubauen.  Wagner  war  Revolutionär,  aber  von  jener 
aristokratischen  Prägung,  jenem  Glauben  an  die  starke  Persönlich- 
keit, der  ihn  als  Erben  klassisch-romantischer  Denkrichtung  erweist; 
doch  teilt  er  auch  die  Lebensstimmung  des  Vormärz,  die  ihn  mit  dem 
russischen  Kommunisten  Bakunin  zusammenführte  und  in  die  Revo- 
lutionswirren verwickelte. 

Damals  hatte  er  sich  allerdings  schon  längst  wieder  von  dem  Meister- 
singerplan abgewandt.  Die  Zeit  seiner  bittersten  Kämpfe  und  Nöte 
beginnt,  die  mit  dem  Zusammenbruch  aller  seiner  Hoffnungen  1861 
ihren  Tiefpunkt  erreicht.  Wie  Kleist  in  ähnlicher  Lage  hätte  ihn 
nun  eine  „ernste,  schwermütige  Dichtung  ruinieren"  müssen,  und  wie 
jener  konnte  er  sich  nur  durch  eine  Humordichtung  Genesung  er- 
hoffen. Da  griff  er  wieder  zu  dem  alten  Entwurf,  und  1862  ist  die 
Dichtung  „Die  Meistersinger"  vollendet.  Die  siebzehnjährige  Zwischen- 
zeit bedeutet  Wagners  künstlerische  und  menschliche  Reifung,  wie  sie 
als  Klärung  seiner  Ziele,  Erfahrungen  und  Stimmungen  durch  die 
Lehre  Schopenhauers  sich  vollzog.  An  Stelle  des  aristokratischen  Re- 
volutionärs beherrscht  nun  die  abgeklärte  Lebens-  und  Kunsterfah- 
rung Hans  Sachsens  das  Stück.  Wir  fühlen:  Richard  Wagner  hat 
die  Revolution  überdauert;  reifer  geworden,  hat  er  Sinn  und  Not- 
wendigkeit des  Bestehenden  erkannt.  Auf  den  Sturm  und  Drang 
folgt  die  Resignation.  Doch  ist  damit  sein  Lebenswille  wohl  gedämpft, 
nicht  ertötet.  Statt  Revolution  wird  Regeneration  sein  Ziel.  Und  dazu 
dient  ihm  die  Kunst  als  „der  freundliche  Lebensheiland,  der  zwar  nicht 
wirklich  und  völlig  aus  dem  Leben  hinausführt,  dafür  aber  innerhalb  des 
Lebens  über  dieses  erhebt  und  es  selbst  uns  als  ein  Spiel  erscheinen 
läßt,  das,  wenn  es  selbst  zwar  auch  ernst  und  schrecklich  erscheint, 
uns  hier  doch  wiederum  nur  als  ein  Wahngebilde  gezeigt  wird,  das  uns 
als  solches  tröstet  und  der  gemeinen  Wahrhaftigkeit  der  Not  entrückt". 

Dieser  Hymnus  deutscher  Kunst,  der  uns  aus  den  „Meistersingern" 
entgegentönt,  ist  tief  ernst  mit  seiner  Mahnung:  „Ehrt  eure  deutschen 
Meister".  Hans  Sachs  ist  durchaus  nicht  nur  der  sympathisch  ge- 
zeichnete Vertreter  der  alten  Zeit,  der  im  Gegensatz  zu  seinen  Ge- 
nossen den  Weg  zu  dem  Genie  in  Walther  Stolzing  ahnt.  Er  ist 
selbst  Genie,  indem  er,  durch  Mitleid  wissend,  eine  reine  objektive 
Lebensanschauung  betätigt.  Die  spontane  überwältigende  Huldigung 
des  Volkes  für  Hans  Sachs  gilt  dem  großen  Führer,  mit  dem  ver- 
bunden nur  das  Volk  sich  gesund  entwickeln  kann.  Diese  Einheit 
der  polaren  Gegensätze  von  Individuum  und  Volk  bedeutet  auch  die 
Einheit  von  Neutöner  und  Tradition,  Genie  und  Regel,  Freiheit  und 
Notwendigkeit:  eine  weisheitsvolle  Erkenntnis,  die  Wagner  selbst  in 
heißem  innerem  Ringen  sich  hatte  erkämpfen  müssen. 

Damit  ist  die  Dichtung  nicht  länger  Satire.  Mag  Wagner  auch 
in  Beckmesser  seine  hämischen  und  mißgünstigen  Kritiker  treffen 
und     unbedenklich     Kotzebues     mimische     Komikmittel     verwenden, 


Richard  Wagner:   „Die  Meistersinger".  295 


das  Werk  ist  Ausdruck  ureigensten  inneren  Erlebens.  Seelisches 
Leid  hat  den  Humor  geboren,  der  in  wehmutsvoller  Melancholie  in 
die  Abgründe  des  Lebens  leuchtet  und  „Wahn,  Wahn!  Überall 
Wahn!"  findet.  Künstlertum  und  Menschtum  sind  aus  einem  Mittel- 
punkt heraus  geschaut,  und  höchste  Kunst  offenbart  sich  uns  als 
Entfaltung  reiner  MenschHchkeit,  wie  sie  sich  in  Hans  Sachs  verkör- 
pert. Auch  er  muß  die  schneidenden  Härten  des  Lebens  erfahren; 
doch  er  bekämpft  die  Disharmonien  und  besiegt  sie. 

„Doch  des  Herzens    süß'  Beschwer 
Galt  es  zu  bezwingen, 
's  war  ein  schöner  Abendtraum: 
Dran  zu   denken  wag'   ich   kaum". 

Der  Kampf  sittlicher  wie  ästhetischer  Schönheit  mit  der  Karikatur 
im  Leben  und  in  der  Kunst  ist  das  Thema  des  Lustspiels,  das  jene 
mit  warmem  Gefühl  den  Sieg  erzwingen  läßt.  Durch  Beckmessers  gro- 
teske Verzerrung  des  Preisliedes  wird  dessen  Reinheit  nicht  vernichtet; 
sie  wird  nur  um  so  eindrucksvoller.  Geradeso  wird  im  Vorspiel  die 
Wucht  und  stolze  Pracht  des  Meistersingerthemas  nicht  durch  das 
Beckmessermotiv  in  der  Verzerrung  dauernd  aufgelöst,  sondern  er- 
hebt sich  daraus  in  um  so  würdevoller  einherschreitender  Schönheit. 
Es  ist  der  aus  dem  Innersten  und  Tiefsten  schöpfende  wahre  Humor, 
der  alle  Dissonanzen  in  reiner  Harmonie  vereint,  der  uns  erschüttert 
und  uns  doch  den  versöhnenden  Halt  des  Lebens  erfühlen  läßt,  wo- 
raus die  heitere  Freiheit  des  Gemüts  geboren  wird. 

Die  Stoffquellen,  insbesondere  Deinhardsteins  „Salvator  Rosa"  und 
„Hans  Sachs"  sind  namentlich  durch  Roethe,  ergänzt  durch  Zademack, 
bekannt;  auf  die  Parallelen  mit  Arnolds  „Pfingstmontag"  habe  ich 
früher  hingewiesen.  Beseelung  des  Stoffes  ergeben  nationales  und 
romantisches  Fühlen:  Stolz  auf  die  Volksgemeinschaft  und  Über- 
zeugung von  der  Natürlichkeit  und  Volkstümlichkeit  höchster  Kunst; 
deshalb  erkennt  auch  das  naive  Volk  den  ursprünglichen  Dichter  in 
Walther  Stolzing  früher  als  die  gelehrten  Meister. 

Auch  hier  machen  sich  wieder  die  Zeitstimmungen  geltend.  Die 
sechziger  Jahre,  in  denen  das  Werk  (1867)  seine  endgültige  dichterisch- 
musikalische Form  fand,  atmen  die  frühbismarcksche  Atmosphäre. 
Wohl  hat  auch  das  Frankfurter  Parlament  das  Heilige  Römische  Reich 
Deutscher  Nation  nicht  wieder  aufrichten  können,  aber  der  nationale 
Gedanke  ist  nicht  gestorben,  er  wächst  und  hofft  immer  zuversicht- 
licher. Sein  Träger  ist  das  liberale  Bürgertum,  dem  hier  ein  Ehren- 
mal gesetzt  ist.  Der  deutsche  bürgerliche  Liberahsmus  aber  ist  vor 
allem  eine  geistige  Kulturgemeinschaft.  Im  stolzen  Bewußtsein  dieser 
einheitlichen  Kultur,  deren  edelste  Blüte  immer  die  Kunst  ist,  erstarkt 
auch  der  Glaube  an  die  nationale  Einheit.  Dieser  Zuversicht  gibt 
Hans  Sachs,  der  natürlich  nicht  identisch  ist  mit  der  historischen  Per- 


2q6      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :   Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

sönlichkeit  des  ehrbaren  Schuster-Dichters,  sondern  der  die  idealisierte 
Inkarnation   dieses  geistig-liberalen   Bürgertums   darstellt,    Ausdruck: 

„Zerging  in  Dunst  das  Heil'ge  Röm'sche  Reich, 
Uns  bliebe  gleich  die  heil'ge  deutsche  Kunst!" 

Dieses  Wort  ist  aber  nicht  nur  Prophezeiung  des  Deutschen  Wagner, 
es  ist  auch  ernste  Mahnung  des  Romantikers,  der  schweren  Herzens 
beobachtet,  wie  dieses  Bürgertum  Gefahr  läuft,  zugunsten  eines 
relativistischen  Materialismus  jene  ideellen  Güter  geringzuachten. 

All  der  Reichtum  des  Gehalts  könnte  aber  diesem  Lustspiele  nicht 
seinen  hohen  Kunstwert  verleihen,  wenn  sich  Wagner  darin  nicht 
gleichermaßen  als  Beherrscher  dramaturgischer,  sprachlicher  und 
musikaUscher  Formen  erwiesen  hätte.  Roethe  hat  in  seiner  eindringen- 
den Untersuchung  über  Quellen  und  Aufbau  (Sitz.-Ber.  Berl.  Akad. 
1919)  gezeigt,  wie  Wagners  dramatische  Kunst,  die  ,,zur  Verein- 
fachung, zu  den  ernsten  großen  Linien"  strebt,  hier  „nach  bunten 
Farben,  heiterm  und  barockem  Ausputz,  literar-  und  kulturhistorischen 
Haupt-  und  Nebenbeziehungen"  verlangt.  Und  dieser  Aufbau  der 
Dichtung  wiederholt  sich  in  der  Partitur,  die,  in  großer  rhythmischer 
Einfachheit  gehalten,  reichste  Kontrapunktik  aufweist.  „Die  Meister- 
singer" sind  von  so  abgerundeter,  geschlossener  innerer  und 
äußerer  Formeinheit,  daß  hier  wenigstens  die  Frage,  ob  ein  großer 
Dichter  zugleich  auch  großer  Musiker  sein  kann,  die  Gundolf  in 
geistvoller  Begründung  verneint,  bejaht  ist,  „Die  Meistersinger"  sind 
unser  bestes  deutsches  Lustspiel. 

Das  Musiklustspiel,  das  frei  ist  von  aller  Ironie  des  ersten  Ent- 
wurfs, erzielt  jene  „erhabene,  alle  Schmerzen  lösende  Heiterkeit", 
die  auf  der  Anschauung  tiefster  Menschlichkeit  sich  gründet.  Sein 
Träger,  Hans  Sachs,  ist  jener  Mensch  reinsten  Herzens,  dem  die 
Gotteskindschaft  auf  Erden  beschieden  ist.  Eine  Fülle  von  Licht 
gießt  die  leben-  und  liebesprühende  Sonne  des  Johannistags  über 
die  Welt  des  Lustspiels  aus.  Tollheit  und  Torheit  neben  erhabenster 
Lebensweisheit;  edelstes  Kunstbekenntnis  neben  verzerrter  Karikatur; 
abgeklärte  Entsagung  und  tollster  Übermut:  alles  wirbelt  durchein- 
ander, und  immer  wieder  strebt  aus  dem  Tanz  der  Erscheinungen 
hervor  alles  irdischen  Wesens  wahrstes  Sein:  reine  Menschlichkeit. 
Hier  verschlingen  sich  Schein  und  Sein,  shakespearische  Lebens- 
freude und  romantische  Verinnerlichung  zu  der  Blüte  deutschen 
Lustspiels,  das  in  seinem  humorvoll-heiteren  Bekenntnis  zu  deutscher 
Art  und  Kunst  die  Vermählung  Shakespeares  und  des  deutschen 
Geistes  verkündet. 

Wagner  schrieb:  ,,Mich  leitete  bei  meiner  Ausführung  und  Auf- 
führung der  ,, Meistersinger"  die  Meinung,  mit  dieser  Arbeit  ein  dem 
deutschen  Publikum  bisher  nur  stümperhaft  noch  vorgeführtes  Ab- 
bild seiner  eigenen  wahren  Natur  darzubieten,  und  ich  gab  mich  der 


R.Wagner:   „Meistersinger".    L.  Anzengruber:   Grundlagen  des  bäuerlichen  Volksstücks.      297 

Hoffnung  hin,  dem  Herzen  des  edleren  und  tüchtigeren  deutschen 
Bürgertums  einen  ernstlich  gemeinten  Gegengruß  abzugewinnen". 
Seit  Bülow  am  21.  Juni  1868  in  München  die  Uraufführung  leitete, 
ist  dieser  Gegengruß  immer  lauter,  stärker  und  allgemeiner  geworden. 
„Die  Meistersinger"  sind  auf  dem  schönsten  Wege,  Gemeingut  des 
deutschen  Volkes  zu  werden. 

Aus  neuerer  Zeit  ist  mit  den  „Meistersingern"  an  ästhetischem 
Lustspielwert  Strauß-Hofmannsthals  „RosenkavaHer"  zu  vergleichen. 
Die  Parallelität  geht  fast  bis  zu  den  Einzelfiguren :  Hans  Sachs,  Walther 
Stolzing,  Evchen,  Beckmesser  —  Feldmarschallin,  Octavian,  Sophie, 
Ochs  von  Lerchenau.  Wie  die  „Meistersinger"  so  atmet  der  „Rosen- 
kavalier" eine  ganz  bestimmte  historische  Luft,  dort  das  16.  Jahrhun- 
dert, hier  das  Rokoko.  Beiderseits  wird  das  Milieu  mit  impressioni- 
stischer Kleinkunst  geschildert,  in  der  Dichtung  und  Musik  zur  Ein- 
heit verschmelzen.  Aus  diesem  lebendigen  malerischen  Kolorit  beider 
Werke  ist  aber  auch  ihr  Unterschied  zu  begreifen,  dort  Darstellung 
des  Nationalen,  hier  des  Internationalen,  dort  der  solide  bürger- 
liche Geist  des  Hans  Sachs,  hier  die  Grazie  des  weltmännischen 
Rokoko,  dort  gläubiger  Protestantismus,  hier  ein  formaler  Katholizis- 
mus, hinter  dem  die  aufgeklärte  Skepsis  steht,  dort  wirkt  das  Sitt- 
liche ergreifender,  hier  das  Ästhetische  erleichternder,  dort  erheben 
sich  aus  der  Resignation  ernste  Forderungen,  hier  bleibt  es  bei 
resignierend-lässiger  Beschaulichkeit.  So  verleiht  verschiedener  Form- 
wille ähnlichem  Ideengehalt  gegeneinander  abschattende  Wirkung; 
die  geschlossene  Folgerichtigkeit  aber  der  Stilkunst  in  beiden  Werken 
läßt  absolute  Kunstwerte  entstehen,  mag  auch  der  eine  mehr  plastisch, 
wuchtend,  klar,  der  andere  mehr  malerisch,  spielerisch  kraus  an- 
muten. Der  verschieden  gerichtete  Stilwillen  verbietet  daher  auch  die 
vergleichende  Bewertung;  doch  dürfte  die  exklusive  Bildungskunst 
des  „Rosenkavalier"  wohl  kaum  jene  breite  Volkstümlichkeit  der 
„Meistersinger"  erringen. 

3.  LUDWIG  ANZENGRUBER. 
a)  Grundlagen  des  bäuerlichen  Volksstücks. 
„Die  Meistersinger"  zeigen  uns,  wie  Bildungskunst  und  Volkskunst 
sich  durchdringen  können.  Immerhin  gehört  Richard  Wagner  wie 
Hebbel  —  wenn  bei  echter  Kunst  überhaupt  solche  Unterscheidung 
einen  Sinn  hat  —  dem  Zweige  der  Bildungskunst  an.  Der  dritte 
Große  dieser  Epoche  zählt  dagegen  unbedingt  zur  Volkskunst:  Lud- 
wig Anzengruber  (1839 — 1889).  Er  bildet  die  Brücke  zwischen  dem 
großen  Realisten  Hebbel  und  dem  naturalistischen  Dramatiker  des 
sozialen  Mitleids  Gerhart  Hauptmann.  Sein  Schaffen  ist  ethnographisch, 
traditionell  und  zeitUch  bestimmt,  aber  seine  eigentümliche  Prägung 
erhält  es  durch  die  Kraft  seiner  menschlichen  und  künstlerischen 
Persönlichkeit. 


2q8      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

Anzengruber  wurzelt  in  dem  oberösterreichischen  Bauemstamm- 
lande,  dessen  kernhafter  Menschenschlag  ein  scharfes  Profil  zeigt  aus 
einer  Mischung  von  selbstbewußter  Kraft  und  natumaher  Sinnen- 
freude. Zu  diesem  bäuerlichen  Elemente  tritt  das  großstädtische  des 
Wieners,  der  als  Angehöriger  der  Kleinbürgerschicht  dem  Bauern- 
feldschen  Großbürgertum  fremd  war  und  die  Leiden  und  Freuden 
des  kleinen  Handwerkers  und  des  sich  mit  diesem  vielfach  mischen- 
den Arbeiters  teilte. 

Diese  Freuden  wurden  zum  großen  Teile  bestritten  durch  die  Volks- 
bühnen, die  in  gröbster  Theatermache  das  Erbe  Raimunds  und  Nestroys 
mit  reporterartiger  Zeitanteilnahme  und  Scribescher  Sensation  zer- 
setzten. Immer  mehr  wurde  das  Volksstück  in  Form  und  Gehalt  seines 
naiven  Kunstcharakters  entkleidet  und  den  brutalen  Theaterinstinkten 
der  Galerie  preisgegeben,  um  so  mehr  als  um  die  Mitte  des  Jahr- 
hunderts etwa  das  alte  Stammpublikum  durch  die  neuen,  von  Industrie 
und  Handel  gezüchteten,  sensationslüsternen  Schichten  verdrängt 
wurde.  Am  sympathischsten  unter  seinen  Autoren  wirkt  noch  Friedrich 
Kaiser  (1814— 1875),  der  als  routinierter  Geschäftsmann  Kassenerfolg 
mit  sozialmoralistischer  Gesinnungspropaganda  zu  vereinigen  suchte. 
Alfred  Kleinberg,  dem  wir  nach  Bettelheim  eine  neue  breit  angelegte, 
aber  in  erstrebter  Gründlichkeit  oft  allzu  spitzfindig  psychologie- 
sierende  Anzengruberbiographie  danken,  rühmt  an  Kaisers  Bauern- 
dramen als  das  Neue,  „daß  sie  das  Dorf  als  Ganzes  und  damit  das 
seelische  Problem  »Landmann«  der  Volksbühne  gewannen".  Es 
spiegelt  sich  darin  der  Aufschwung,  den  das  Bauerntum  wie  Bauern- 
felds Großbürgertum  im  Nachmärz  genommen  hatte. 

Bauemtypen  waren  schon  früher  vorhanden,  meistens  allerdings 
nur  in  Lederhosen  gesteckte  Allegorien  einzelner  Eigenschaften.  Bei 
Raimund  beobachteten  wir  bereits  in  Einzelnem  lebenswahre  Bauern- 
schilderung. Dazu  trat  die  Entwicklung  der  bäuerlichen  Dorfdichtung, 
wie  sie  sich  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  an  die  Namen 
Gotthelf,  Immermann,  Otto  Ludwig  und  vor  allem  Berthold  Auerbach 
mit  seinen  „Schwarzwälder  Dorfgeschichten"  (seit  1843)  knüpft.  Die 
Bauernkomödie  pflegte  auch  der  Münchener  Volksstückdichter  Franz 
Prüller  (1805 — 1879),  den  Anzengruber  mit  Auerbach  und  Kaiser  als 
Paten  seiner  eigenen  Bauernkunst  nennt  und  der  zur  Tradition  der 
früher  besprochenen  süddeutschen  Lokalpossendichter  zählt. 

Erwachsen  aus  dem  Unwillen  über  die  verwaschene  Trivialromantik 
und  die  jungdeutsche  Tendenzdichtung,  näherte  sich  die  Dorfdichtung 
rousseauistischer  Lebensstimmung.  Aber  es  ist  nicht  so  sehr  kultur- 
müder Pessimismus  als  bejahender  Naturoptimismus,  der  aus  der 
Stadt  aufs  Land  treibt.  Gerade  von  Anzengrubers  eindringlichstem 
Dorfphilosophen,  dem  Steinklopferhans  aus  den  „Kreuzelschreibern" 
hören  wir  dies  deutlich.  Aus  seiner  „extraigen  Offenbarung"  spricht 
die  Natureinheit  des    erdnahen   Menschen,  wenn  er  auch   in  seinen 


Ludwig  Anzen^uber:   Grundlagen   des  bäuerlichen  Volksstücks.    Einzelwerke.  200 

letzten  Ursprüngen  auf  jenen  philosophischen  Bauerntyp  des  l8.  Jahr- 
hunderts zurückgeht,  der  sich  als  eine  seltsame  Kreuzung  von  Rous- 
seau und  Voltaire  darstellt.  Gleich  Ludwig  Feuerbach,  mit  dem  der 
Herausgeber  von  Anzengrubers  Werken,  Otto  Rommel,  bereits  den 
Dichter  in  Beziehung  setzt,  ist  auch  der  Steinklopferhans  ein  um- 
gestülpter Hegeling.  Er  hat  erfahren,  wie  alle  Illusionen  des  gei- 
stigen Menschen  uns  nicht  von  unserm  Erdenleid  befreien  können. 
Aus  dem  Einklang  mit  der  ungespaltenen  Natur  holt  er  sich  die  Kraft, 
seinen  Jammer  beiseitezuwerfen  und  hinfort  als  sinnenfroher  Natur- 
mensch dem  niederdrückenden  Pessimismus  des  Geistmenschen  zu 
entsagen  zugunsten  eines  fröhlichen  Lebensoptimismus.  Was  Windel- 
band zur  Charakterisierung  von  Feuerbach  schrieb,  kann  ohne  weiteres 
auf  den  Steinklopferhans  angewandt  werden:  „Während  er  das  Stich- 
wort ausgab:  der  Mensch  ist,  was  er  ißt,  hat  er  aus  seinen  eigenen 
trüben  Lebensverhältnissen  heraus,  mit  dem  unbeirrten  Idealismus 
seiner  frohen  Lebensbejahung  seine  Ethik  der  irdischen  Glückselig- 
keit entwickelt,  seine  Lehre,  daß  man  den  Menschen  gesund  und  zu- 
frieden machen  müsse,  um  ihn  gut  zu  machen". 

Aus  den  letzten  Worten  klingt  bereits  die  sozialistische  Forderung, 
die  der  Steinklopferhans  am  Ende  des  ersten  Aktes  erhebt,  daß  zu- 
gunsten der  „Tagwerker  und  Kleinhäusler"  die  indirekten  Steuern 
abgeschafft  und  durch  direkte  Besteuerung  der  Reichen  ersetzt  werden 
müßten.  Hieraus  spricht  deutlich  die  Zeit  zu  uns,  in  der  die  Not  der  Klein- 
bürger und  Arbeiter  immer  drückender  wurde.  Zu  gleicher  Zeit  mit 
der  Erstarkung  des  SoziaHsmus  reckte  sich  aber  auch  die  katholische 
Kirche  zu  bedeutungsvollstem  Ausbau.  Der  kampffrohe  Papst  Pius  IX. 
setzte  seine  grundlegenden  Reformen  von  dem  Dogma  der  unbefleckten 
Empfängnis  1854  bis  zur  Unfehlbarkeitserklärung  1870  durch  und  ent- 
fachte drob  den  Konkordatsstreit  mit  Österreich  und  die  von  Döllinger 
geführte  Bewegung  des  Altkatholizismus.  Das  Echo  dieser  sozialen  und 
kirchenpolitischen  Entwicklung  hallt  wider  in  Anzengrubers  Dramen. 

b)  Einzelwerke. 

„Die  Kreuzelschreiber"  (1872)  nehmen  unmittelbar  Bezug  auf  den 
Bruch  Döllingers  mit  dem  Papste  und  zeigen,  welche  starke  Erregung 
die  Neuerungen  Roms  in  den  trotzigen  traditionstreuen  Bauernlanden 
auslösten.  Wenn  Anzengruber  auch  keine  Partei  nimmt  für  oder  wider 
Döllinger,  so  geißelt  er  doch  in  aller  Deutlichkeit,  daß  die  Kirche 
durch  den  Beichtstuhl  die  Frauen  gegen  ihre  Männer  aufhetze  und 
ohne  Rücksicht  auf  den  Familienfrieden  härtesten  Gewissenszwang 
treibe.  Aber  indem  er  den  Kampf  der  Männer  und  Frauen  im  Sinne 
der  „Lysistrace"  des  Aristophanes  behandelt,  weiß  er  der  Satire  die 
Schärfe  zu  nehmen  und  durch  den  Sieg  des  Menschlichen,  Allzu- 
menschlichen über  Verstandes-  und  Kirchengebot  wirklichen  Humor 
zu   erzeugen,    der   durch   tragische   Schatten   vertieft   ist.      Da  beide 


300     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Hebbel,  Richard  Wagner,  Anzengruber. 

Lager  nacheinander  aus  dem  gleichen  Grunde  ihrem  Vorsatz  untreu 
werden  —  die  Wiederholung  mit  umgekehrten  Vorzeichen  ist  ein  be- 
sonders wirkungsvolles  Mittel  der  Komik  — ,  werden  sie  auch  wieder  ver- 
einigt, und  trotz  des  traurigen  Geschicks  des  alten  Brenninger  be- 
kennen wir  uns  zu  des  Steinklopferhans' Weisheit:  ,,Mit'm  Traurigsein 
rieht'  mer  nix!     Die  Welt  is  a  lustige  Welt!" 

In  dem  mit  großem  Geschick  aufgebauten  Lustspiel  verspüren  wir 
uns  in  dem  Stammlande  des  Barock;  seine  abgestufte  Gliederung  zeigt 
den  Wölfflinschen  Barockcharakter  der  einheitlichen  Tiefenwirkung 
mit  der  relativen  Klarheit  des  Gegenständlichen:  Im  Vordergrunde 
steht  das  Ehepaar  des  Gelbhofes,  das  die  Hauptmelodie  trägt,  die 
nach  hinten,  über  die  anderen  Männer  und  Frauen  zu  den  Buben  und 
Dirndeln  sich  ausbreitend,  vertönt.  Die  Verbindung  der  Jungen  und 
Alten,  der  Armen  und  Reichen,  Männer  und  Frauen  stellt  der  weiß- 
haarig-jugendfrohe ,,Monbua"  her,  der  bei  all  seiner  Armut  keinen 
Reichen  zu  beneiden  braucht,  der  Steinklopferhans,  der  die  wider- 
streitenden Mächte  nicht  nur  äußerlich  zu  vereinigen  weiß,  sondern 
auch  in  unserem  Innern  ihre  Dissonanz  in  seinem  zufriedenen,  selbst- 
sicheren Naturoptimismus  auflöst.  Diese  Kunst,  die  auch  überlegen 
die  musikalischen  Elemente  des  traditionellen  Volksstücks  sich  zur 
Stimmungsmalerei  einzuschmelzen  versteht,  schenkt  uns  mit  der 
frischen  Derbheit  der  Bauerngestalten,  die,  trotzdem  sie  nicht  etwa 
naturalistisch  sind,  uns  dennoch  die  Illusion  der  Lebenswahrheit  er- 
wecken, eines  unserer  besten  Lustspiele. 

Anzengrubers  nächste  Komödie  „Der  G'wissenswurm"  (1874)  steht 
dahinter  nicht  zurück.  Diesmal  gibt  er  uns  eine  Charakterkomödie 
des  Grillhofers,  dem  nicht  wie  dem  Steinklopferhans  Übersinnliches 
als  Widersinniges,  Übernatürliches  als  Unnatürliches  gilt,  sondern  der 
seine  übersinnlichen  Grillen  für  Wirklichkeit  hält,  so  daß  ihm  selbst 
die  seelischen  Gewissensskrupel  ein  leibhafter  nagender  Wurm  in 
seinem  Innern  sind.  Solche  Materialisierung  rein  geistiger  Ideen  ist 
restlos  nur  in  katholischen  Landen  nachfühlbar.  Seit  dem  Mittelalter 
sucht  der  katholische  Kult  seine  Lehraufgabe  darin,  die  geistig-reli- 
giösen Inhalte  zu  veranschaulichen,  zu  versinnlichen,  zu  verkörper- 
lichen. Kleinberg  hat  sehr  gut  ausgeführt,  wie  dadurch  neben  die 
natürliche  Wirklichkeitswelt  eine  zweite  gesetzt  wird,  die,  obwohl 
religiös-geistigen  Ursprungs,  dennoch  durchaus  analogen  Kausalver- 
knüpfungen unterliegt,  trotz  ihrer  tatsächlichen  Irrealität  doch  in  ihrer 
Wirkung  durchaus  real  empfunden  wird.  Noch  heute  finden  wir  diese 
Spaltung  in  katholischen  Bauern:  gesunder,  unbestechlicher  Wirk- 
lichkeitssinn und  ebenso  unerschütterlicher  Glaube  an  die  Realität 
geistiger  Vorstellungen,  eine  Art  romantischer  Doppelnatur.  Der  Dua- 
lismus, der  häufig  dem  Bauern  als  Heuchelei  ausgelegt  wird  im  Sinne 
etwa  des  Fontaneschen  Wortes,  daß  der  Engländer  Christus  spreche 
und  Baumwolle   meine,   ist  nicht   nur  ein  Widerspruch   von  Worten 


Ludwig  Anzengruber :  Einzelwerke.  301 

und  Taten,  es  ist  das  Vorhandensein  zweier  gleichmäßig  Denken, 
Fühlen  und  Handeln  bestimmender  Sphären. 

Wenn  wir  den  Grillhofer  so  aus  dem  Katholizismus  heraus  ver- 
stehen können  und  darin  bei  der  Einstellung  Anzengrubers  gegen- 
über der  Kirche  wohl  auch  den  zureichenden  Erklärungsgrund  seines 
Zwiespalts  erbhcken  dürfen,  so  mögen  doch  auch  jene  parallelen 
Gedankenströmungen  in  dieser  Gestalt  nachwirken,  die  gleichzeitig 
etwa  den  Hegeischen  Idealismus  ablösten.  Die  eigenartige  gleich- 
zeitige Existenz  von  natürlicher  und  alogischer  Realität  in  Grillhofer 
wirkt,  als  ob  mit  dem  Materialismus  sich  hier  der  Irrationalismus  ver- 
knüpfe. Aber  wir  erleben  hier  auch,  daß  Anzengruber  ebensowohl 
den  platten  Materialismus  wie  den  pessimistischen  Irrationalismus 
überwindet  und  sich  zu  einem  voluntaristischen  Optimismus  be- 
kennt, der  das  Gute  als  erstrebenswert  und  erreichbar  und  zugleich 
als  höchsten  vereinigenden  Ausdruck  sowohl  des  Wahren  wie  des 
Schönen  betrachtet.  Er  hat  damit  als  einer  der  ganz  Wenigen, 
und  obwohl  er  doch  als  Österreicher  ihr  ferner  steht,  den  An- 
schluß gefunden,  wenigstens  der  Idee  nach,  an  die  Großzeit  poli- 
tischen Lebens  Deutschlands,  die  Ausdruck  der  Willenskraft  einer 
überragenden  Persönlichkeit  ist;  er  findet  daher  in  seinem  Heimat- 
lande auch  den  inneren  Anschluß  an  die  die  Zeit  bewegenden  In- 
teressen und  spiegelt  sie  wider  in  seinen  Werken.  Wenn  seine 
Zeitgenossen  noch  durchaus  an  Schopenhauer  festhalten,  teilt  er 
schon  Eduard  v.  Hartmanns  Glauben  an  die  Vernunft  historischer  Ent- 
wicklung. Und  ähnlich  wie  Hartmann  die  Fülle  des  Wirklichkeits- 
geschehens zu  fassen  suchte  und  damit  die  Brücke  fand  zu  dem 
wundervollen  Aufschwung  naturwissenschaftlichen  Forschens  und 
empirischer  Psychologie,  so  verspüren  wir  auch  bei  Anzengruber, 
wie  er  die  Hand  am  Pulsschlag  des  Lebens  seiner  Zeit  hält,  ohne 
sich  in  metaphysische  Grübeleien  zu  verlieren.  Vom  Standpunkte 
des  früheren  Idealismus  aus  stellt  sich  dieser  Wirklichkeitssinn  als 
nüchtern  dar,  er  führt  uns,  wie  schon  Windelband  beobachtete,  ins 
l8.  Jahrhundert  zurück:  ,, Fassen  wir  nämlich  alles  zusammen,  was 
darin  sich  verbunden  hat,  die  Gleichgültigkeit  gegen  metaphysische 
Grübeleien,  der  Sinn  für  das  Tatsächliche  und  Praktische,  die  Vor- 
liebe für  das  empirisch -psychologische  Studium  des  Menschen  im 
Rahmen  naturwissenschaftlicher  Denkweise  überhaupt  —  so  haben 
wir  darin  alle  Züge  der  Aufklärung  vor  uns". 

Dieser  Aufklärung  entspricht  es  auch,  wenn  Anzengruber  dem 
Volksstück,  das  er  pflegte,  die  Aufgabe  zuweist,  „belehren,  aufklären 
und  anregen  zu  wollen",  also  die  alte  lateinisch-französische  poetische 
Theorie  wiederholt:  Instruire  en  amüsant.  Aber  die  Belehrung  ge- 
schieht in  seinen  Komödien  mit  so  viel  echtem  Humor,  daß  wir  die 
Tendenz  nicht  aufdringlich  empfinden,  am  wenigsten  vielleicht  gerade 
hier  im  „G'wissenswurm".    In  den  beiden  Hauptgestalten,  dem  grillen- 


302      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:   Hebbel,   Richard  Wagner,   Anzengruber. 

gläubigen  Grillhofer  wie  dem  äußerlich  und  innerlich  düsteren  Dorf- 
tartuffe Düsterer,  erscheinen  prachtvolle  Bauerntypen  von  greifbarer 
Realität,  die  uns  überzeugen,  daß  Anzengruber  den  früher  beobach- 
teten Dickensschen  Realismus  vollendet  beherrscht  und  in  impres- 
sionistischer Kleinmalerei  mit  Hilfe  von  Gesprächsmimen  und  stereo- 
typen Redensarten  Inneres  und  Äußeres,  Gestalt  und  Charakter  mit- 
einander in  Beziehung  setzt. 

Derbe  Diesseitsfreude  lacht  auch  aus  dem  ,, Doppelselbstmord" 
(1875),  worin  Anzengruber,  ähnlich  wie  Gottfried  Keller,  Shakespeares 
Romeo  und  Julia  ins  Dorf  versetzt  hat,  aber  nicht  in  tragischer  No- 
vellenstimmung, sondern  in  lustigster  Komödienform.  Nur  will  das 
Verwechslungsmotiv,  daß  die  feindlichen  Alten  und  mit  ihnen  das 
Dorf  den  Brief  der  sich  liebenden  Jungen  von  ihrer  ewigen  Ver- 
einigung als  Selbstmordabsicht  auffassen,  während  diese  nur  in  erd- 
naher Sinnenlust  ihre  Heirat,  wenn  auch  ohne  elterlichen  und  kirch- 
lichen Segen,  vollziehen  wollen,  etwas  zu  possenhaft  wirken  gegen- 
über dem  tiefen  Humor,  der  aus  der  Gegenüberstellung  der  köstlich 
naiv-egoistischen  Lebensauffassung  des  reichen  Sentner  und  jener 
selbstlos-hilfsbereiten  des  armen  Hauderer  erwächst.  Es  ist  also  hier 
eine  ähnliche  künstlerische  Dissonanz  zu  verspüren  wie  in  Hebbels 
„Michel  Angelo".  Doch  die  beiden  Alten  sind  aus  so  reifer  Lebens- 
erfahrung, mit  so  allgemeinmenschlicher  Lebenswahrheit  geschaut, 
daß  „Der  Doppelselbstmord'*  gleichwohl  zu  Anzengrubers  Meister- 
komödien zählt. 

Die  beiden  nächsten  Komödien  —  „Die  Trutzige"  (1878),  die  gleich 
Otto  Ludwigs  „Heiterethei"  das  Thema  von  der  Widerspenstigen  Zäh- 
mung vor  die  Ehe  legt  und  verinnerlicht,  und  „'s  Jungferngift"  (1878), 
worin  ein  Schwankmotiv  der  italienischen  Renaissancekomödie  dazu 
dient,  den  reichen  Werber  von  der  angeblich  todbringenden  Braut 
abzubringen    —   zeigen    ein   Nachlassen   von   Anzengrubers   Kunst. 

c)  Gesamturteil. 

Anzengrubers  unversiegliche  Lust  zu  fabulieren  verleitet  ihn  immer 
mehr,  seine  Stücke  in  Seitenschößlingen  wuchern  zu  lassen,  wodurch,  wie 
im  ,  Jungferngift"  durch  die  Episode  des  Foliantenwälzers,  der  ganze 
Rahmen  gesprengt  wird.  Weiter  wird  auch  die  individuelle  Eigen- 
art des  einzelnen  Kunstwerks  gefährdet  durch  die  zunehmende  Ver- 
härtung der  Volksstückmanier,  die  gegenüber  der  Feinheit  impressio- 
nistischer Kleinkunst  in  der  Schilderung  von  Menschen  und  ihrer 
Umgebung  allzu  grob  motiviert  oder  zu  kraß  kontrastiert. 

Doch  darf  bei  solcher  Beurteilung  nicht  vergessen  werden,  daß 
Anzengrubers  Kunstwille,  um  Worringers  polare  Unterscheidung  zu 
verwenden,  nicht  so  sehr  dem  Einfühlungsbedürfnis  als  dem  Ab- 
straktionsbedürfnis dient,  dem  die  Wiedergabe  des  Lebens  nur  Mittel 
zum  Zweck  ist.    Wie  er  den  Vorwurf  Roseggers,  der  in  seinen  Bauern 


Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart:   Literaturrevolution  der  achtziger  Jahre.      303 

realistische  Naturwahrheit  vermißt,  als  seine  Absicht  nicht  treffend 
ablehnt,  weil  er  im  Grunde  stolz  ist  auf  seine  „Anzengruberseelen 
in  Lederhosen",  so  gilt  bei  allem  Realismus  seiner  Kunst  deren  Form- 
wille in  erster  Linie  der  Verdeutlichung  der  Idee,  der  Tendenz.  Diese 
braucht  gewiß  nicht  platt  oberflächHch  zu  sein,  aber  in  dem  von 
Anzengruber  ausdrücklich  geforderten  Lehrcharakter  des  Volksstücks 
ist  sie  von  Anfang  an  begründet,  wenn  sie  auch  auf  die  Erhellung 
tiefster  menschlicher  Beziehungen  zielt. 

Dazu  gehört  auch  das  Sexuelle,  das  aus  der  Komödiendichtung 
überhaupt  nicht  wegzudenken  ist,  und  das  gerade  in  Anzengrubers 
Lustspielen,  vor  allem  in  den  „Kreuzelschreibem",  dem  „Doppelselbst- 
mord" und  dem  ,  Jungferngift",  breiten  Raum  einnimmt.  Darin  bewährt 
sich  der  amoralische  Charakter  der  Komödie.  Sie  kann  ihren  scharfen, 
hellen  Verstand  mit  allen  Fragen  menschlichen  Lebens  spielen  lassen, 
um  sie  in  die  Wurzeln  alles  menschlichen  Seins  zu  verfolgen.  Das 
sittliche  Urteil  wird  im  Augenblicke  des  Spiels  ausgeschaltet;  das 
sexuelle  Problem  wird  in  der  Totalität  ästhetischer  Lebensauffassung 
begriffen  und  führt  so,  ohne  ethische  Unlust  zu  erregen,  zu  dem 
künstlerischen  Endziel  humorischer  Heiterkeit.  Das  Ethos  ist  an  das 
individuelle  Subjekt  gebunden.  Dadurch  daß  das  Geschlechtsproblem 
davon  losgelöst  ist,  ist  es  objektiviert,  und  wir  können  uns  an  seiner 
künstlerischen  Behandlung  harmlos  erfreuen.  Daß  Anzengruber  dieses 
künstlerische  Ziel  erreichte,  macht  ihn  mit  zu  einem  der  großen  Dra- 
matiker des  poetischen  Realismus  im  19.  Jahrhundert,  der  den  Menschen 
seiner  Zeit  mit  scharfem  Auge  ins  Innere  sieht  und  daraus  voll  warmen 
Gefühls  sittliche  Werte  hervorzuzaubern  versteht. 

IV.  VOM  NATURALISMUS 
BIS  ZUR  KUNST  DER  GEGENWART. 

I.  LITERATURREVOLUTION   DER   ACHTZIGER  JAHRE. 

Die  realistische  Kunst,  wie  sie  schon  in  Goethe  ihren  Ahnherrn 
hat  und,  indem  sie  Schritt  hält  mit  der  Entwicklung  des  Materialismus 
und  Positivismus,  seit  der  Romantik  immer  stärker  in  den  Vordergrund 
drängt,  empfängt  in  den  achtziger  Jahren  einen  mächtigen  Impuls  von 
verschiedenen  Seiten  her.    Der  Fortschritt  der  Naturwissenschaften  \ 
hatte  das  alte  ideale  Weltbild  endgültig  zertrümmert  und  suchte  den    ^ 
Menschen  aus  Vergangenheit  und  Umwelt  zu  begreifen,  indem  er  seine 
Entwicklung  durch  die  Gesetze   der  Vererbung  und  Anpassung  be- 
stimmen  ließ.     Diese   naturwissen schaftHchen   Gesetze   wurden   ein-y 
geschmolzen  in  die  soziale  Bewegung,  die,  seit  der  Mitte  des  Jahr-    • 
hunderts  immer  stärker  anschwellend,  in  den  achtziger  Jahren  ihre 
KonsoHdation   und  Organisation    auf   der  Grundlage    des    strengsten 
Marxismus  fand.    Da  der  russische  Osten,  der  skandinavische  Norden, 
der  französische  Westen  diese  Stimmen   früher  als  Deutschland  in 


■^04      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

der  Dichtung  hatten  zu  Wort  kommen  lassen,  so  lauscht  die  von  der 
heimischen  Produktion  angeekelte  Jugend  hingerissen  den  auslän- 
dischen Tönen,  die  sie  allerdings  auch  dem  Instrument  des  eignen 
Realismus  hätte  entlocken  können. 

Besonders  verführerisch  schallten  die  Klänge  aus  Frankreich, 
um  so  mehr  als  die  dortigen  Chorführer  sich  von  der  bildenden 
Schwestemkunst,  vor  allem  der  Malerei,  Unterstützung  ihrer  neuen 
Arbeitsweise  holten.  An  ihr  gewahrte  man  das  Beispiel  einer  sach- 
lichen Hingabe  an  die  Natur,  die,  ohne  irgendwelchen  idealen  Ge- 
dankengehalt, den  Menschen  als  Objekt  innerhalb  des  weiteren  Ob- 
jekts der  ihn  bestimmenden  physischen  Umschicht  betrachtet.  Unter 
Ausschaltung  alles  vom  Subjekt  des  Künstlers  hineingetragenen  Ge- 
danklichen sollen  nur  Sinneseindrücke  wiedergegeben  werden  mit 
dem  einzigen  Ziel  des  Treffens.  Je  größer  die  Treffgenauigkeit  in 
der  Wiedergabe  äußerer  und  innerer  Sinneswahrnehmungen  ist,  um 
so  größer  ist  die  dargestellte  Wahrheit. 

Wieder  gewahren  wir  die  parallele  Entwicklung  von  Kunst  und 
Wissenschaft.  Der  neue  Kunstwille  entspricht  der  wissenschaftlichen 
Demographie,  wie  Windelband  die  Untersuchung  der  gesellschaft- 
lichen Zustände  und  Zustandsbewegungen  nennt.  Und  da  die  für 
die  Jugend  mit  der  Glorie  des  Märtyrertums  umstrahlte  sozialistische 
Bewegung  damals  mächtig  anschwoll,  so  spiegelte  sie  sich  in  der 
künstlerischen  Demographie  durch  die  einseitige  Verlegung  des  Inter- 
esses auf  die  Träger  dieser  Bewegung.  Nietzsches  Wort  bewahrheitet 
sich:  „Es  ist  das  Zeitalter  der  Massen";  .  .  .  ,,die  liegen  vor  allem 
Massenhaften  auf  dem  Bauche".  Dadurch  vermählt  sich  von  vorn- 
herein mit  der  neuen  Kunstrichtung  die  Armeleutdichtung;  um  so 
mehr  als  man  darin  einen  willkommenen  Gegensatz  zu  der  bisherigen 
Kunstübung  fand,  die  diesen  Schichten  behutsam  aus  dem  Wege 
gegangen  war,  um  in  eine  hohle  Scheinwelt  zu  flüchten. 

Die  früher  erwähnten  „Maler"  von  Wilbrandt  aus  den  siebziger 
Jahren  mögen  als  Beispiel  dafür  auf  dem  Lustspielgebiete  dienen, 
denn  auch  ihre  Künstlerromantik  ist  im  Grunde  nur  Flucht  in  eine 
Scheinwelt,  um  der  Wirklichkeit  zu  entgehen,  wie  in  den  Jahren  nach 
dem  Einheitskriege  immer  mehr  die  ganze  Lebenshaltung  und  -an- 
schauung  nur  auf  Schein  eingestellt  wurde.  Gegen  Ende  des  Bismarck- 
schen  und  mit  Beginn  des  Wilhelminischen  Zeitalters  hebt  auch  der 
Wandel  in  der  Kunstauffassung  an.  Angewidert  fühlte  sich  vor  allem 
die  Jugend  von  dem  schalen  Gefühl  innerer  Verlogenheit,  das  jahr- 
aus, jahrein  in  dem  gespreizten  Epigonentum  der  tragischen  wie  in 
der  seichten  Oberflächlichkeit  der  heiteren  Dichtung  sie  überkroch. 
Eine  Literaturrevolution  beginnt,  die  als  geistigen  Führer  Nietzsche 
kürt.  In  ihm  sehen  die  jugendlichen  Revolutionäre  nur  den  Ankläger 
gegen  eine  Scheinkultur,  die  verlogen  ihre  eigene  Minderwertigkeit 
aufputzt. 


Literaturrevolution  d.  achtziger  Jahre.  G.Hauptmann:  „Kollege  Crampton",  „Peter  Brauer".      305 

Die  Kraft  und  der  Elan,  mit  denen  sich  dieser  Sturm  und  Drang 
äußert,  ist  aber  dennoch  der  vorangehenden  Zeit  verpflichtet,  dem 
Vorbild  energischer  Willenstätigkeit,  wie  es  Bismarck  seiner  Nation 
gegeben  hatte.  Auf  Bismarck  ist  auch  diese  Steigerung  des  Lebens- 
gefühls zurückzuführen,  das,  jede  Gedankenbrücke  verschmähend, 
unmittelbar  mit  dem  Leben,  der  Natur  sich  in  Verbindung  setzt. 

Antäusgleich  wollte  man  sich  durch  die  Berührung  der  Erde,  der 
Natur  neue  Kräfte  holen.  Naturalismus  war  das  Schlagwort  der  Zeit. 
Dieser  Naturalismus,  da  er  ein  sozial  einseitig  interessierter  Impressio- 
nismus war,  suchte  sein  Betätigungsfeld  nicht  in  der  Natur  des 
Landes,  sondern  in  der  Großstadt.  Dort  konnte  sich  seine  Entdecker- 
lust betätigen  in  den  Vierteln  des  sozialen  Elends.  Man  hatte  genug 
des  prunkenden  Scheins,  der  graue  Alltag  mit  seinem  Elend  schien 
mehr  Wahrheit  zu  bieten.  Mit  all  der  bohrenden  Konsequenz  des 
theoriebegeisterten  Deutschen  suchte  man  in  naturwissenschaftlicher 
Mikroskopie  nun  Eindrücke  zu  sammeln.  Das  Mikroskopieren  lehrte 
wohl  die  atomistische  Struktur  des  Lebens  kennen,  aber  wenn  früher 
die  hohen  und  fernen  Ideale  dem  Auge  Richtpunkte  geboten  hatten, 
um  sich  ein  geschlossenes  Gesamtweltbild  zu  schaffen,  so  schienen 
jetzt  die  fieberhaft  Beobachtenden  kurzsichtig  geworden  zu  sein  und 
konnten  nur  noch  eine  Reihe  von  Einzelbildern  fassen.  Diese  Ver- 
einzelung lockert  den  Gesamtaufbau  des  Dramas,  aber  die  Lockerung 
ist  auch  in  den  Szenen  und  im  Dialog  zu  verspüren.  Naturalistische 
Sprachbehandlung,  der  bereits  von  den  ersten  Lokalpossen  bis  zu 
Anzengruber  in  jeder  echten  Volkskunst  vorgearbeitet  war,  treibt  die 
Wiedergabe  natürlicher  Sprechweise  bis  zu  den  durch  Gedanken- 
striche und  -punkte  angedeuteten  Sprechpausen  und  den  unarti- 
kulierten Naturlauten. 

2.  GERHART  HAUPTMANN. 

a)  „Kollege  Crampton"  und  „Peter  Brauer". 

Arno  Holz  und  Johannes  Schlaf  haben  als  erste  diesen  Stil  in 
den  Skizzen  „Papa  Hamlet"  (1889)  und  der  „Familie  Selicke"  (1890) 
konsequent  angewandt  und  sofort  den  greisen  Fontane  überzeugt, 
daß  hier  Neuland  erobert  sei.  In  strengster  Einheit  der  Zeit  und 
des  Ortes  —  der  Naturalismus  ist  seiner  wissenschaftlichen  Parallele 
entsprechend  stark  rationalistisch  — ,  ohne  Monologe  und  das  beliebte 
Beiseitesprechen,  werden  Zustände  ausführlich  geschildert,  ohne  daß 
eine  eigentliche,  durch  Willenskonflikt  gestraflte  Handlungsentwicklung 
sich  vollzöge.  Von  ihnen  lernte  Gerhart  Hauptmann  (geb.  15.  No- 
vember 1862),  um  aber  überaus  rasch  die  Lehrer  zu  überflügeln  und 
kraft  seiner  selbständigen  Dichterpersönlichkeit  die  Führung  an  sich  zu 
reißen.  Nachdem  er  seit  1889  jedes  Jahr  neue  Erfolge  mit  Tragödien 
errungen  hatte,  versuchte  er  sich  1892  auch  auf  dem  Komödiengebiet 

Holl,  Lustspiel.  20 


/ 


■^o6      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

und  bewies  damit  wieder  einmal  die  alte  platonische  Weisheit,   daß 
ein  echter  Tragödiendichter  auch  Komödien  schreiben  könne. 

Angeregt  durch  Molieres  „Geizigen"  schreibt  Hauptmann  in 
„Kollege  Crampton"  (1892)  eine  Charakterkomödie  oder  eher  ein 
humorvolles  Charaktergemälde.  Wie  naturalistische  Dramatik  Zu- 
standsschilderung  gibt,  so  auch  Hauptmanns  Komödie,  doch  weniger 
Zustandsschilderung  der  Umschicht  als  solche  der  Seele.  Von  Anfang 
bis  heute  lag  Hauptmanns  Hauptbegabung  in  der  feinfühligen  Seelen- 
ergründung, und  zwar  war  seine  Stärke  die  Schwäche.  Dem  Moll- 
akkord seiner  Künstlerharfe,  die  unerreicht  in  den  Tönen  sozialen 
Mitleids  ist,  liegen  die  robusten  Heldennaturen  nicht;  er  singt  die  ge- 
brochenen Menschen  seiner  Zeit  und  spricht  dadurch  die  Seele  dieser 
Zeit  selbst  aus.  Dafür  ist  auch  Crampton  ein  Zeuge.  Die  ganze 
Komödie  ist  nur  die  Entfaltung  dieses  kindlichen  Grobians,  dieser 
zagenden  Hoffart,  dieses  aus  der  Akademie  geworfenen  Meisters, 
dieses  Trinkers  mit  dem  göttlichen  Funken  des  Genies.  Denn  dieses 
Künstlertum  sollen  wir  ihm  glauben.  Der  Dichter  schöpft  aus  eignen 
Erinnerungen,  ist  er  doch  selbst  in  jener  schlesischen  Provinzhaupt- 
stadt auf  der  Kunstakademie  gewesen,  gleich  Max  Straehler,  dem 
er  den  Mädchennamen  seiner  Mutter  gab,  relegiert  worden  und  dann 
von  einem  verständnisvollen  Professor  als  Privatschüler  aufgenommen 
worden.  Er  kannte  das  Urbild  des  Crampton,  jenen  Professor 
James  Marshall,  persönlich.  Von  damals  stammt  noch  der  Jugend- 
vers :  „Ein  Volk  von  Bäckern  bäckt  den  braunen  Ton",  der  in  Cramp- 
tons  „Kuchenbäckern"  widertönt,  womit  er  seine  Kollegen  belegt. 
Doch  der  Dichter  der  „Weber"  hat  sich  bereits  eine  solche  Meister- 
schaft in  der  Beherrschung  naturalistischer  Stilmittel  angeeignet,  daß 
er  nicht  mehr  an  die  Realitätszüge  Breslauer  Erlebnisse  sklavisch 
gebunden  ist,  und  da  der  Objektivität  des  Naturalismus  ohnedies  die 
Art  der  Einstellung  zum  Objekt  im  Grunde  gleichgültig  ist,  so  lockert 
er  unschwer  die  persönliche  leidvolle  Beteiligung  an  den  Vorgängen 
zum  Darüberlächeln  humorischer  Betrachtungsweise. 

Allerdings  der  Riß,  der  durch  die  Helden  Hauptmannscher  Dramen 
geht,  gehen  muß,  da  sie  zu  den  Zeitgenossen  gehören,  denen  der 
Dichter  sein  Drama  „Einsame  Menschen"  widmete  —  dieser  Riß  klafft 
auch  in  Crampton.  Starkes  Können,  schwaches  Wollen.  Diese  Willens- 
schwäche ist  in  Crampton  schon  so  stark  geworden,  daß  die 
Schwächung  seines  starken  Könnens  uns  skeptisch  macht,  ob  der 
Rettungsversuch  Max  Straehlers,  eines  der  typischen  Freudebringer 
aus  Hauptmanns  Mitleidsdramatik,  gelingen  wird.  Doch  der  Dichter 
will  diese  Frage  auch  gar  nicht  beantworten.  Es  genügt  ihm,  diesen 
trotz  aller  seiner  Fehler  liebenswerten  Crampton,  auf  den  wie  auf 
Datterich  der  dort  angeführte  Vers  Liliencrons  paßt,  in  all  der  Fülle 
seines  Lebens  vor  uns  erstehen  zu  lassen.  Daneben  tritt  alles  andere 
zurück,    wie   schon   Schienther    mit   Recht  Rembrandtsche  Malweise 


Gerhart  Hauptmann:  „Kollege  Crampton"  und  „Peter  Brauer".  307 

zum  Vergleich  mit  Hauptmanns  Stiltechnik  herangezogen  hat.  Dieses 
Helldunkel,  in  dem  tausend  Lichter  spielen  und  doch  alle  ihre  Licht- 
wirkung auf  die  große,  breite  Gestalt  mit  der  rotglänzenden  Nase 
konzentrieren,  diese  tiefen  schwarzen  Schatten,  die  sich  hineinmischen 
und  den  frohen  Humor  mit  schwerer  Tragik  umwittern,  das  Ver- 
schwinden der  Nebenpersonen,  von  denen  der  prachtvolle  Löfifler, 
der  Bardolph  des  Falstaff,  noch  am  stärksten  belichtet  ist,  in  immer 
dunkler  werdenden  Hintergrund,  die  lebendige  Beseeltheit,  die  vom 
Mittelpunkt  ausstrahlt:  „Kollege  Crampton"  ist  ein  vollendetes  Kunst- 
werk. Psychologischer  Naturahsmus  hat  hier  eine  tragisch  getönte 
Seelenstudie  geschaffen,  deren  Beziehungen  zu  einem  konventionellen, 
fast  sentimentalen  Hintergrund,  der  Straehlerfamilie,  alles  Tragische 
in  humorvoller  Komik  untergehen  lassen. 

Zwei  Jahrzehnte  später  hat  der  Dichter  das  Thema  noch  einmal  auf- 
gegriffen in  „Peter  Brauer".  Auch  hier  hat  sich  wieder  Hauptmanns  Kraft 
plastischer  Menschengestaltung  erwiesen,  und  seine  Dialogbehandlung 
zeigt  die  alte  Frische.  Von  Anfang  an  hat  er  die  starre  Konsequenz 
eines  Arno  Holz  abgelehnt,  es  kam  ihm  auf  künstlerische,  nicht  auf 
wissenschaftliche  Wahrheit  an.  Auch  bei  Hauptmann  wie  bei  Holz 
wird  Natur  gesprochen,  aber  nicht  vom  Dichter,  sondern  von  dessen 
dramatischen  Individuen,  deshalb  wirkt  auch  seine  Sprache  nie  typisch, 
sondern  stets  individuell  voll  subtilster  Differenzierung.  Trotzdem 
hinterläßt  „Peter  Brauer"  keinen  einheitlichen  Eindruck.  Dem  Peter 
Brauer  glauben  wir  sein  prätendiertes  Künstlertum  noch  weniger  als 
seinem  Kollegen  Crampton,  nicht  nur  weil  er  bereits  tiefer  gesunken 
und  für  ihn  auch  die  Möglichkeit  der  Rettung  verloren  ist.  Mit  diesem 
Glauben  verschwindet  aber  auch  unser  Interesse  an  diesem  rodo- 
montierenden  Tünch  er,  und  das  Schicksal  eines  Potators  allein,  was 
Hauptmann  zu  fesseln  scheint,  kann  uns  dafür  nicht  entschädigen. 
Der  Dichter  hat  damit  seiner  Tragikomödie  den  Boden  entzogen. 
Dort  im  „Kollege  Crampton"  konnte  die  Frage  nach  des  Titelhelden 
Künstlertum  in  Schwebe  gehalten  werden,  hier  in  der  Tragikomödie 
durfte  sie  nicht  nur  nicht  verneint,  sie  mußte  bejaht  werden. 

Den  einzigen  Grund,  aus  dem  Hauptmann  das  frühere  Thema  wieder 
aufgriff  —  was  er  als  grübelnder  Zeitgenosse  überhaupt  gerne  tut  — , 
kann  ich  darin  erblicken,  daß  er  jetzt  ein  Nebenmotiv  aus  der  ersten 
Komödie  darstellen  wollte.  In  „Kollege  Crampton"  wird  bereits  darauf 
hingewiesen,  daß  die  Frau  die  Schuld  an  dem  Untergange  des  Mannes 
trifft.  Wir  sind  allerdings  darüber  skeptisch,  und  tatsächlich  wird  es 
auch  nur  nebenher  bemerkt.  Immerhin  will  aber  die  Gattin  dem 
Manne  die  Liebe  seiner  Kinder  entziehen  und  verläßt  den  Zugrunde- 
gerichteten kalt.  Dieses  Lieblingsmotiv  Strindbergs  war  bereits  in 
dessen  „Vater"  (1887),  der  um  1890  in  Deutschland  bekannt  wurde, 
bearbeitet  worden.  Das  eigentliche  Interesse  für  solche  Eheprobleme 
ist  aber  erst  ein  bis  zwei  Jahrzehnte  später  erwacht,  und  jetzt  hat  die 


•^o8      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

Zeit  den  sensiblen  Gerhart  Hauptmann  auch  auf  dies  Problem  ge- 
drängt; veröffentlicht  ist  „Peter  Brauer"  allerdings  erst  192 1.  Gerade 
aber  um  die  zerstörende  Macht  des  Weibes  zu  zeigen,  mußte  etwas 
zu  zerstören  sein,  und  dieses  fehlt  Peter  Brauer  mit  seinem  Künstlertum. 
Hauptmann  ist  zu  feinnerviger  Dichter,  um  dies  nicht  selbst  zu  fühlen; 
er  gestaltet  daher  keine  Tragödie,  die  die  notwendige  Folge  sein  müßte, 
sondern  eine  Tragikomödie,  bei  der  aber  die  Tragik  zu  flach  und 
die  Komik  zu  possenhaft  ist.  Die  köstliche  Humorwirkung  „Kollege 
Cramptons"  ist  nicht  erreicht, 

b)  „Der  Biberpelz"  und  „Der  rote  Hahn". 

Dagegen  hatte  Hauptmann  unmittelbar  nach  dieser  Seelenzustands- 
schilderung  eine  Milieukomödie  geschrieben,  die  zu  unseren  besten 
Lustspielen  zählt:  die  Diebeskomödie  „Der  Biberpelz"  (1893).  Dies- 
mal stand  Kleist  Pate.  Doch  wenn  bei  Kleist  das  Milieu  nur  Folie  zur 
beherrschenden  Charakterfigur  des  Dorfrichters  war,  so  ist  hier  echt 
naturalistisch  der  Schwerpunkt  auf  die  Zustandsschilderung  der  Um- 
schicht  gelegt,  und  die  prachtvollen  Charaktere  bestärken  nur  deren 
Wesenheit. 

Die  vier  Akte  sind  symmetrisch  geteilt  nach  dem  bei  Anzen- 
grubers  „Kreuzelschreibern"  bereits  beobachteten  Wirkungsgesetz 
komischer  Wiederholung,  allerdings  nicht  mit  umgekehrtem  Vor- 
zeichen, sondern  potenziert.  Die  beiden  ersten  Akte  behandeln  den 
Holzdiebstahl,  die  beiden  letzten  den  Diebstahl  des  Biberpelzes,  wo- 
bei jeweils  die  ersten  Akte  den  Tatbestand  klären  und  die  folgen- 
den Gerichtsverhandlungen,  in  komischem  Konstrast  zur  vorher  ver- 
mittelten Kenntnis  und  zum  ideellen  Ziel  des  Gerichts,  die  Sache 
wieder  verdunkeln.  Wie  bei  Kleist  vereitelt  der  Richter  die  Rechts- 
findung, aber  nicht  wie  Adam  durch  seine  Schläue,  sondern  durch 
seine  Dummheit.  Mit  Beziehung  auf  den  Amtsvorsteher  Wehrhahn 
nannte  Schienther  daher  den  „Biberpelz"  die  „Komödie  der  streber- 
haften Dummheit".  In  Wehrhahn  hat  Hauptmann  eine  prachtvolle 
Simplizissimusfigur  geschaffen,  um  den  Typus  des  nichts  als  schnei- 
digen Juristen  und  Reserveoffiziers  des  Wilhelminischen  Zeitalters  zu 
treffen.  Es  zeigt  vollendete  Kunst,  daß  er  ihn  dennoch  nacherlebbar 
machte  als  einen  der  Vielzuvielen,  die  gewaltig  stolz  tun  mit  ihrem 
Herrenbewußtsein,  die  aber  durchaus  die  Sklaven  ihrer  Sitten  und 
Anschauungen,  ihrer  Tradition  und  Konvention  sind,  die  dadurch  un- 
fähig sind,  die  Realitäten  des  Lebens  richtig  ein-  und  abzuschätzen. 
Es  ist  jener  Zeitcharakter,  der  Nietzsches  mißverstandene  Herren- 
moral gleich  einer  Löwenhaut  sich  umtut  und  doch  die  Eselstimme 
nicht  verbergen  kann. 

Doch  noch  runder,  saftiger,  lebensvoller  ist  die  Figur  der 
Gegenspielerin:  die  Waschfrau  Wolff.  Wenn  eine  Gestalt  in  der 
deutschen    Lustspielliteratur    Kleists    Adam    nahekommt,   so    ist   es 


Gerhart  Hauptmann :   „Der  Biberpelz"  und  „Der  rote  Hahn".  309 

Mutter  Wolff.  Wie  Adam  ist  auch  sie  die  ungebrochene  Natur,  die 
gar  kein  klares  Bewußtsein  ihres  Unrechts  hat,  die  halb  triebhaft 
und  gerade  deshalb  so  überzeugend  redet  und  handelt.  Haupt- 
mann hat  hier  zu  erschütternder  Komik  den  ewig  wirksamen  Kon- 
trast von  Schein  und  Sein  herausgearbeitet  mit  einer  Fülle  von  Einzel- 
werk, das  aber  nie  diese  strahlende  Wolffin  verdunkelt.  Selbst  welcher 
Pedant  freute  sich  nicht  an  ihr,  ja  man  wird  der  gerissenen,  scham- 
losen Diebin  noch  gut,  denn  sie  sagt  uns  doch  so  ehrlich,  was  für  eine 
brave,  arbeitsame  Frau  sie  ist.  Selten  ist  wirkungsvollere  Komik  ge- 
schrieben worden  als  jene  Szene  im  Amtszimmer,  da  Richter,  Be- 
stohlener.  Falschverdächtigter,  Hehler  und  Dieb  beisammen  sind,  alle 
aufs  höchste  erregt,  alle  gegeneinander  gereizt  und  argwöhnisch, 
nur  Mutter  Wolff,  die  Diebin,  ist  allein  ruhig,  ihr  traut  niemand  etwas 
Böses  zu,  ja  zum  Schluß  attestiert  ihr  der  Richter  noch  öffentlich  vor 
allen  Versammelten:  „Die  Wolffen  ist  eine  ehrliche  Haut",  wozu  sie 
allerdings  bedenkHch  den  Kopf  schüttelt.  Damit  endet  die  Komödie 
als  Komödie  ohne  den  traditionell -philiströsen  Schlußsatz,  daß  Recht 
recht  behält.  Das  intellektuelle  Spiel,  das  alles  Moralische  in  die 
Sphäre  des  Humors  hebt,  ist  bis  zum  letzten  Wort  durchgeführt. 
Hauptmann  ist  Realist,  der  der  Konvention  keinerlei  Zugeständnisse 
macht  und  gerade  dadurch  die  humoristische  Heiterkeit  bis  zum 
Schlüsse  durchhält. 

Auch  dieser  Meisterkomödie  ließ  der  Dichter  eine  Tragikomödie 
als  Fortsetzung  folgen:  „Der  rote  Hahn"  (1901).  Kerr  nannte  sie 
„die  Komödie  der  steigenden  Landproletarier".  Er  hatte  auch  fast 
als  einziger  den  Mut,  für  ihren  künstlerischen  Wert  als  selbständiger 
Dichtung  einzutreten.  Wir  haben  allmählich  gelernt,  den  „Roten 
Hahn"  losgelöst  vom  „Biberpelz"  zu  betrachten,  und  da  erstaunen 
wir  immer  mehr,  mit  welcher  Sicherheit  hier  Hauptmann  ein  ganzes 
Dorf  in  den  verschiedensten  Charakteren  vor  uns  aufleben  läßt.  Doch 
die  Umschicht  ist  nicht  nur  physisch  über  die  Familie  hinaus  ver- 
breitert, sie  ist  auch  seelisch  vertieft.  Diese  ganze  Galerie  brüchiger 
und  angefaulter  Charaktere  lebt  im  Grunde  ganz  gut  zusammen.  Ge- 
wiß, jeder  sucht  seinen  eigenen  Vorteil,  und  dafür  ist  Mutter  Wolff 
das  Vorbild.  Aber  so  lange  keine  Interessenkonflikte  entstehen,  sind 
sie  alle  gut  Freund.  Allerdings,  sie  alle  wollen  hochkommen,  und 
hier  liegt  der  Schwerpunkt  des  Stückes,  der  die  Tragikomödie  zur 
traurigen  Zeitsatire  macht,  ohne  daß  dieser  Satire  aber  irgendwelche 
urteilende  Bitternis  beigemengt  wäre.  Die  sterbende  Mutter  Wolff- 
Fiehtz  „greift  in  eigentümlicher  Weise  mit  beiden  Händen  hoch  über 
sich:  Ma'  langt  .  .  .  Ma'  langt  .  .  .  Ma'  langt  immer  so".  Es  ist  die 
Wilhelminische  Zeit,  als  die  Jagd  nach  Erwerb  alle  in  Anspruch  nahm, 
als  die  wirtschaftlichen  Interessen  alle  anderen  töteten.  Dieser  Auf- 
schwung war  gewaltig,  großartig,  aber  innerlich  war  er  hohl.  So 
spiegelte  er  sich  damals  zu  Beginn  des  neuen  Jahrhunderts  in  dem 


3 1 0     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 


Beobachter  seiner  Zeit,  in  Gerhart  Hauptmann.  Er  zeigt  uns,  wie 
es  sich  für  alle  um  einen  Daseinskampf  handelt,  in  dem  der  Stärkere, 
das  heißt  der  Klügere,  siegt  und  durch  seinen  Sieg  eine  höhere 
soziale  Stufe  erreicht.  Diese  höhere  soziale  Stufe  war  aber  für  jeden 
strebsamen  Deutschen  das  Ziel,  sie  war  der  Fetisch  ganz  Deutsch- 
lands. Diese  Einstellung  auf  einen  wirtschaftlichen  Gesichtspunkt 
zur  Orientierung  des  Handelns  fiel  um  so  leichter,  als  der  Mensch 
sich  ja  von  seiner  natürlichen  und  sozialen  Umgebung  so  bestimmt 
glaubte,  daß  ein  sittliches  Handeln  frei  im  Einklang  mit  absoluten 
Wertvorstellungen  gar  nicht  in  Frage  kommen  konnte. 

Auch  der  edelste  Mensch  ist  überzeugt,  daß,  wie  für  jene  Wolff 
und  Genossen  wirtschaftlicher  Relativismus,  so  für  ihn  sittlicher  Rela- 
tivismus die  einzig  mögliche  Lebensanschauung  bleibt.  Georg  Simmel, 
der  uns  Jungen  damals  als  Führer  galt,  verlieh  dieser  relativistischen 
Sittlichkeit  von  der  Berliner  Lehrkanzel  herab  Ausdruck.  Es  ist  die 
Zeit,  da  Sudermann,  der  Theaterpraktiker  der  Schlagworte,  Moral 
„une  valeur  domesticative"  und  Gott  eine  „soziale  Zweckmäßigkeit" 
nannte.  Daß  aber  Hauptmann  1901  dieses  Thema,  wenn  auch  ent- 
sprechend seinem  Kunstwillen  ohne  jedes  Werturteil,  künstlerisch  ob- 
jektivierte, beweist,  wie  reif  die  Zeit  zur  Einkehr  und  Umkehr  war. 
Zu  jener  Zeit  hat  auch  Edmund  Husserl  wieder  die  Absolutheit  des 
Wahren  entdeckt,  und  der  subtile  Simmel  fand  ebenfalls  Wege,  die 
zu  absolutistischer  Ethik  führen  sollten.  Wenn  wir  dem  „Roten  Hahn" 
damit  auch  eine  hohe  kulturgeschichtliche  Bedeutung  zuweisen,  so 
steht  er  dennoch  künstlerisch  nicht  auf  der  Höhe  des  ,, Biberpelz". 
Der  Tod  der  Wolffen  mag  natürlich  begründet  sein,  ist  es  aber  sicher- 
lich nicht  dramatisch,  trotz  leiser  Vorbereitungen  während  des  Hand- 
lungsablaufs. Selbst  wenn  Hauptmann  den  Akzent  auf  die  Dauer 
des  geschilderten  Zustandes  legen  wollte,  der  durch  den  Zufalls- 
tod der  Wolffen  nicht  geändert  wird,  so  wäre  dies  kein  künstlerisch- 
dramatischer Abschluß,  der  das  Werk  als  geschlossene  Einheit,  trotz 
aller  Formlockerheit,  wirken  ließe. 

Enger  an  den  Charakter  des  „Biberpelz"  hält  sich  des  früh  ver- 
storbenen Emil  Rosenows  (1871  — 1904)  lustige  Komödie  „Kater 
Lampe"  (1902),  worin  meisterhaft  Milieu  und  Charaktere  aus  der 
Hausindustrie  im  sächsischen  Erzgebirge  geschildert  werden.  Es 
zeugt  für  die  dichterische  Stärke  des  „Biberpelz",  daß  sein  Beispiel 
eine  so  vollwertige  Humordichtung  wie  den  ,, Kater  Lampe"  hervor- 
rief, wie  es  für  den  Kunstwert  des  nachgeborenen  Stückes  zeugt,  daß 
seinem  Ruhme  nur  der  Glanz  seines  Vorbildes  im  Wege  steht. 

c)  „Schluck  und  Jau"  und  „Die  Jungfern  vom  Bischofsberg". 

Ein  Jahr  vor  dem  „Roten  Hahn"  folgte  Gerhart  Hauptmann 
Shakespeares  Spuren,  um  ein  Lustspiel  zu  schaffen.  Wenigstens 
setzt    er    die    Schlußworte  des  Vorspiels   von  „Der  Widerspenstigen 


Gerhart  Hauptmann:  „Schluck  und  Jau"  und  „Die  Jungfern  vom  Bischofsberg".      3II 

Zähmung"  seiner  eigenen  Komödie  „Schluck  und  Jau"  (1900)  vor- 
aus. Vielleicht  hatte  der  Dichter  auch  Kenntnis  von  Gustav  zu  Put- 
litz'  (1821  — 1890)  anmutiger  Märchenkomödie  „Der  verwunschene 
Prinz".  Im  Inhalt  folgt  er  einem  vierten  großen  Lustspieldichter,  dem 
Dänen  Ludwig  Holberg,  aber  mit  shakespearischer  Sprachkunst,  Das 
uralte  Thema  der  Weltliteratur  ist  hier  gestaltet:  wie  ein  betrunkener 
Bauer  im  Rausch  in  ein  Schloß  gebracht  wird,  um  den  nächsten 
Tag  dort  in  der  Täuschung,  er  sei  der  Fürst,  gehalten  zu  werden. 
Also  eine  umgekehrte  Welt,  worin  wiederum  die  Komik  von  Sein 
und  Schein  erprobt  wird.  Die  Traumwelt  des  zum  Fürsten  erhobenen 
tölpischen  Bauern  wird  im  Laufe  des  Spiels  selbst  zur  Wirklichkeit, 
so  daß  der  wahre  Fürst  sich  von  seinen  eigenen  Dienern  mißachtet 
und  von  dem  Scheinfürsten  gar  bedroht  fühlt.  Das  Stück  krankt 
allerdings  daran,  daß  Hauptmann  diesen  Konflikt  nur  mit  äußerlichen 
Mitteln  löst,  um  die  zu  mächtig  werdende  Traumwelt  des  Bauern 
wieder  unter  das  Gesetz,   die  Ordnung  der  Wirklichkeit  zu  beugen. 

Der  Dichter  nennt  es  ein  Scherzspiel  in  sechs  Vorgängen,  „einer 
unbesorgten  Laune  Kind".  Trotz  dieser  vorangestellten  autoritativen 
Warnung  will  uns  heute  ein  tieferer  Sinn  daraus  ansprechen.  Wir 
empfinden  es  als  eine  künstlerische  Darstellung  des  Wirklichkeits- 
problemes  im  Sinne  des  Naturwissenschaftlers  Ernst  Mach.  Wie  für 
dessen  relativistische  Erkenntnistheorie,  die  den  Dingbegriff  nur  als 
Hilfskonstruktion  gelten  läßt  zur  Feststellung  der  Eindrucksrelationen, 
das  Wirkliche  nur  Sinnesempfindung  ist,  so  fragt  auch  der  Räsonneur 
bei  Hauptmann:  „Sind  wir  wohl  mehr  als  nackte  Spatzen?  —  Das, 
was  wir  wirklich  sind,  ist  wenig  mehr,  als  was  er  wirklich  ist:  —  und 
unser  bestes  Glück  sind  Seifenblasen".  Wenn  es  kein  Ding- an -sich 
mehr  gibt  und  der  Schein  das  Sein,  die  Erscheinung  das  Wirkliche 
ist,  dann  gibt  es  auch  kein  Ich  und  Du  mehr,  sondern  nur  Empfin- 
dungskomplexe, die  irgendeinem  nackten  Spatz  angeheftet  werden 
können.  Wie  Walzel  in  solchem  Zusammenhang  schreibt:  „Der  Rela- 
tivismus erledigt  den  Glauben  des  naiven  Realisten,  daß  die  Sinne 
ein  restloses  Erfassen  der  Dinge  ermöglichen,  daß  Wahrnehmungs- 
inhalt und  Objekt  schlechtweg  zusammenfallen".  Auch  das  Ergebnis 
von  „Schluck  und  Jau"  ist  ein  Ignorabimus.  „Es  kimmt  alles  uf  eens 
'raus".  Damit  hat  Hauptmann  selbst  den  Trennungsstrich  gezogen 
gegenüber  seiner  naturalistischen  Frühzeit,  die  noch  optimistisch 
genug  alle  Mittel  der  Beobachtung  schärfte,  um  das  Wesen  selbst 
der  Dinge  zu  fassen. 

Die  holdjugendliche  Geliebte  des  Fürsten  mit  dem  noch  holdseli- 
geren Namen  Sidselill  aus  der  altdänischen  Ballade  schwebt  —  etwas 
zu  schemenhaft  —  durch  das  Stück  wie  ein  wunderschöner  Pfau, 
dessen  mißtönender  Schrei  nicht  geglaubt  wird.  Der  ihr  am  nächsten 
steht,  der  Fürst,  kennt  sie  also  nicht  wie  sie  ist,  sondern  nur 
gemäß  seinen  Empfindungen  von  ihr;  ja  sie  selbst  erkennt  ihre  eigene 


312      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

Silhouette  nicht.  Alles  lebt  in  einer  Scheinwelt,  es  ist  im  Grunde 
gleichgültig,  ob  der  Schein  wechselt;  dem  Diener  ist  jetzt  Jau  ebenso 
der  Herr  wie  gestern  Jon. 

.  .  .  „Kleid  bleibt  doch  Kleid! 

Ein  wenig  fadenscheiniger  ist  das  seine, 

doch  ihm  gerecht  und  auf  den  Leib  gepaßt. 

Und  da  es  von  dem  gleichen  Zeuge  ist 

wie  Träume  —  seins  so  gut  wie  unsres,  Jon!  — 

und  wir  den  Dingen,  die  uns  hier  umgeben, 

nicht  näherstehn  als  eben  Träumen,  und 

nicht  näher  also  wie  der  Fremdling  Jau  — 

so  rettet  er  aus  unsrem  Trödler-Himmel 

viel  weniger  nicht  als  wir,  in  sein  Bereich 

der  Niedrigkeit". 

Aus  diesen  Worten  tönt  Shakespearesche  Melancholie  mitten  in 
der  tollen  Posse  der  Rüpel  Jau  und  Schluck.  Gerhart  Hauptmann 
hat  die  Bauernfigur  des  alten  Märchenthemas  verdoppelt,  aus  dem 
Shakespeareschen  Schlau  einen  Schi — uck  und  einen  J — au,  getreu 
den  auf  seiner  geliebten  Ostseeinsel  Hiddensee  vorkommenden 
Familiennamen,  gemacht  und  diese  beiden  Rüpelfiguren  als  harten 
maskulinen  Jau  und  weichen  femininen  Schluck  kontrastiert.  Jau  ist 
ein  brutaler  Prachtkerl,  der  seine  Scheinstellung  sofort  zu  rohen 
Gewalttätigkeiten  braucht  und,  wie  er  das  Roß  bändigt  und  den 
Hirschfänger  handhabt,  den  lachenden  Herren  wohl  auch  das  Zittern 
beibringen  könnte,  aber  seiner  Eß-,  Trunk-  und  Geschlechtslust  rasch 
erliegt.  Ihm  gegenüber  steht  der  gute,  brave  Schluck,  der  in  seiner 
tapsigen  Schlichtheit,  droUig-innigen,  verprügelten  Pudelnatur  zu 
Hauptmanns  Meisterschöpfungen  zählt.  Aber  dadurch,  daß  Haupt- 
manns in  Mitleid  schwingende  Seele  in  der  Gestalt  des  Schluck 
Partei  ergreift  gegen  die  Herrschenden,  wird  der  Humor  ins  Tragische 
gewendet,  so  daß  wir  stellenweise  peinlich  die  Dissonanz  fühlen  und 
damit  die  Einheitlichkeit  des  Scherzspiels  selbst  schmerzlich  als 
gebrochen  empfinden.  Für  die  Erkenntnis  des  Dichters  entnehmen 
wir  daraus,  daß  er  zu  tief  in  der  leidvollen  Welt  verwurzelt  ist,  als 
daß  er  sich  dauernd  in  das  losgelöste  heitere  Reich  phantastischen 
Humors  und  sorgloser  Laune  emporzuschwingen  vermöchte.  Aber 
andrerseits  gibt  doch  auch  diese  erdhafte  Verwurzelung  den  Aus- 
geburten spielerischer  Phantasie  so  viel  des  Menschlichen,  daß  das 
Scherzspiel  eine  Wärme  durchweht,  die  ihm  unsere  Anteilnahme 
dauernd  sichert.  Der  dramatische  Bau  ist  hier  noch  lockerer  als 
in  des  Dichters  anderen  Stücken.  Hier  tritt  Walzeis  Erkenntnis  be- 
sonders offensichtlich  zutage,  daß  Hauptmann  das  Seelische,  sein 
Werden  und  sein  Ergebnis  wichtiger  sind  als  jeder  Versuch,  eine  dra- 
matische Form  von  strengen  Linien  zu  verwirklichen. 

Ein  stimmungsvolles  Erinnerungsspiel  ist  schließlich  Hauptmanns 
letztes  Lustspiel  ,, Die  Jungfern  vom  Bischofsberg"  (1907).  Der  Dichter 


Mitläufer  des  Naturalismus. 


313 


webt  um  die  Stätte  seines  Jugendglücks  eine  halb  lyrische,  halb 
possenhafte  Atmosphäre  und  erkennt  darin  wohl  die  Zeiten  von  ehe- 
mals. Ein  melancholischer  Schleier  liegt  über  dem  Ganzen,  trotz 
aller  Lust  und  heiteren  Ausgelassenheit.  Aber  ob  dem  Dichter  der 
innere  Abstand  vom  eigenen  Erlebnis  gefehlt  hat,  oder  ob  es  nur 
eine  frisch  ausgeputzte  frühere  Gelegenheitsarbeit  war,  künstlerisch 
ist  es  unausgereift.  Für  eine  Posse  hat  es  zu  tiefe  lyrische  Gefühls- 
töne, für  ein  humorvolles  Lustspiel  ist  es  zu  flach  gearbeitet,  mit  zu 
groben  Possenwirkungen  versetzt. 

3.   MITLÄUFER  DES  NATURALISMUS. 

Ein  Vergleich  von  Hauptmanns  , Jungfern  vom  Bischofsberg"  mit 
Sudermanns  (geb.  1857)  bester  Komödie ,, Schmetterlingsschlacht"  (1893) 
erhellt  den  Unterschied  von  dichterischer  Konzeption  und  berechneter 
Theatermache.  Aber  ebenso  wie  wir  dem  einst  viel  gelästerten  Kotzebue 
heute  wieder  gerechter  werden,  indem  wir  anerkennen,  daß  er  einen 
Spiegel  seiner  Zeit  in  geschickter  Bühnentechnik  aufrichtet,  so  ge- 
winnen wir  auch  Sudermann  gegenüber  eine  richtigere  Stellungnahme, 
die  sich  gleich  weit  von  der  zuerst  übertriebenen  Bewunderung  wie 
von  der  darnach  ebenso  übertriebenen  Verurteilung  entfernt  hält.  Hof- 
miller nannte  ihn  einmal  den  ,,Sardou  aus  Matzicken".  Damit  sind  seine 
Stärken  und  Schwächen  bezeichnet.  Victorien  Sardou  hat  am  Ende  des 
19.  Jahrhunderts  Scribe,  der  um  dessen  Mitte  die  Bühnen  beherrschte, 
abgelöst.  Er  gleicht  seinem  älteren  Landsmann  als  Theaterschrift- 
steller wie  ein  Ei  dem  andern,  nur  daß  das  Sardou-Ei  reichlicher 
mit  attischem  Salz  serviert  wird.  Bei  aller  technischen  Virtuosität, 
bei  aller  strömenden  Erfindungsgabe,  bei  aller  Feinhörigkeit  für  alles, 
worüber  man  spricht:  Dichter  sind  Sudermann  wie  Sardou  nicht. 
Schon  heute  muß  der  Regisseur  tiefe  Eingriffe  machen,  um  die 
kitschige  Zeitungssprache  von  Sudermanns  Personen  einigermaßen 
lebendig  zu  gestalten. 

Die  Philistrosität  der  Sprache  ist  Sudermanns  Sünde  wider  den 
heiligen  Geist  der  Kunst.  Sie  ist  so  ledern  und  hölzern,  daß  sie 
heute  schon  als  beabsichtigte  Karikatur,  etwa  mit  der  Sternheims 
zu  vergleichen,  wirkt.  Darin  liegt  auch  die  größte  Schwäche  der 
„SchmetterHngsschlacht".  Dagegen  verschwindet  noch  die  Unbedenk- 
lichkeit, mit  der  er  die  seit  Kotzebue  und  noch  früher  bekannte 
sentimentale  Naive  Wiederaufleben  läßt,  oder  mit  der  er  den  Nietzsche- 
schen  Herrenmenschen,  die  blonde  Bestie  als  großstädtischen  Kon- 
fektionsreisenden auffrisiert,  oder  mit  der  er  gar  plötzlich  im  letzten 
Akte  das  ganze  Ziel  der  Komödie  umsteckt  und  die  übliche  soziale 
Anklagspose  stellt.  Vorher  hat  der  Grundgedanke  der  Komödie  Ähn- 
lichkeit mit  dem  des  „Roten  Hahn".  Eine  kleine  Beamtenwitwe  will 
ihre  hübschen  Töchter  gut  an  den  Mann  bringen  und  dadurch 
wenigstens  der  nächsten  Generation  das  Paradies  der  sozial  höheren 


3 1 4      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

Stufe  Öffnen.  Leider  ist  dieser  hübsche  Lustspielvorwurf  ebenso- 
wenig gestaltet  worden  wie  der  kluge  Ansatz  zu  einer  politischen 
Komödie  der  48  er  Demokraten  in  „Der  Sturmgeselle  Sokrates". 
Es  fehlt  Sudermann  der  künstlerische  Ernst,  seine  innere  Schlapp- 
heit gibt  sich  überall:  in  der  verwaschenen  Charakterisierung,  in 
dem  Mangel  an  gedanklicher  Konsequenz,  in  der  qualligen  Sprach- 
behandlung kund,  darüber  kann  all  sein  raffiniertes  Theaterkönnen 
nicht  hinwegtäuschen. 

Formal  künstlerisch  ist  ihm  überlegen  Ludwig  Fulda  (geb.  1862). 
Seine  Hauptbedeutung  liegt  allerdings  in  der  graziösen  Eindeutschung 
Molieres.  Der  darin  geofifenbarte  Geschmack,  die  flüssige  Ausdrucks- 
beherrschung, der  gewandte  Witz,  der  wie  ein  Franzose  mit  liebens- 
würdigen Zweideutigkeiten  zu  florettieren  versteht,  dazu  noch  die 
sichere,  an  den  Franzosen  und  an  Kotzebue  (an  den  ebensowohl 
sein  „Talisman"  [1892]  wie  sein  jüngstes  Stück  „Des  Esels  Schatten" 
[1922]  erinnern)  erlernte  Bühnentechnik:  alles  zusammen  macht  wohl 
verständlich,  warum  Ludwig  Fulda  auch  in  seinen  Originalstücken  zu 
unseren  beliebten  Unterhaltungsschriftstellern  gehört.  Er  setzt  in  an- 
mutigerer Form  das  Werk  der  französierenden  Paul  Lindau  und  Hugo 
Lubliner  fort.  Seine  Bahnen  wandelte,  wenigstens  in  seiner  Frühzeit, 
auch  Oskar  Blumenthal;  dessen  „Probepfeil"  (1882)  liegt  noch  ganz 
in  der  Linie  des  guten  Unterhaltungslustspiels;  anscheinend  war  aber 
die  Possenfabrikation  im  Gesellschaftsbetrieb  einträglicher. 

Mit  Fulda  und  Blumenthal  sind  die  Grenzpunkte  bezeichnet, 
zwischen  denen  harmloser  Humor  und  Witz,  sei  es  in  Prosa  oder  in 
Versen,  sei  es  in  historischem  Gewand  oder  im  Rock  der  Gegen- 
wart, phantastisch-märchenhaft  oder  realistisch-sittenschildernd,  die 
deutschen  Bühnen  versorgten  und  damit  die  Tradition  des  Unter- 
haltungsstücks, wie  wir  es  in  der  Zeit  von  1830  bis  1885  kennen- 
gelernt haben,  bis  auf  heute  fortsetzten.  Der  breit  aber  flach  fließende 
Strom  ist  überreich  an  Namen,  von  denen  viele  Berühmtheiten  waren 
oder  heute  sind,  die  aber  alle  meteorgleich  wieder  vom  Theaterhimmel 
hinunterschweifen,  ohne  daß  jemand  weiß,  wo  sie  hingekommen  sind. 

4.  EMIL  GOTT. 
Unter  ihnen  ist  nur  eine  Dichterpersönlichkeit  von  Dauer:  Emil 
Gott  (1864 — 1908).  Er  hat  als  einer  der  Frühesten,  ohne  dem  Kreise 
um  Stefan  George  anzugehören,  sich  von  dem  Naturalismus  frei- 
gemacht, wozu  er  sich  die  Kraft  aus  Nietzsche  holte,  nicht  aus  dem 
Nietzsche  des  platten  Blonde-Bestie-Evangeliums,  wie  die  achtziger 
Jahre  noch  durchweg  das  Übermenschenideal  verballhornten,  sondern 
aus  dem  Propheten  und  Eiferer  für  eine  allseitige  Ausbildung  der 
Persönlichkeit  durch  Vergeistigung  des  Lebens.  Aus  diesem  Ideale, 
in  dessen  Lichte  selbst  ein  Bismarck  nur  ein  Starker,  kein  Großer 
war,   wuchs  Gott,   wie  nach  ihm  noch  vielen,    die  stärkste  Kraft  zur 


Emil  Gott.    Wiener  Komödie.  315 


Überwindung  des  einseitigen  Naturalismus,  zur  Betonung  des  Geistigen 
neben  dem  Physischen. 

Gott  ist  gleich  seinem  bewunderten  Vorbild  Dichter  und  Denker, 
und  allzuoft  wird  der  leichte  Flug  seiner  dichterischen  Phantasie 
durch  die  Schwere,  und  sei  sie  selbst  Gold,  seiner  Reflexion  gehemmt. 
Aber  immerhin  hat  er,  nach  einem  harmlosen  Jugendversuch  „Freund 
Heißsporn",  die  deutsche  Lustspielliteratur  um  zwei  wertvolle  Werke 
bereichert.  Sein  „Schwarzkünstler",  der  zuerst  1890  als  „Adept",  dann 
in  einer  freibeuterischen,  aber  gutgemeinten  Freundesbearbeitung 
als  „Verbotene  Früchte"  bekannt  wurde,  ist  ein  leichtflüssiges  Werk, 
das  zunächst  mit  dem  Herodes-Mariamne-Motiv  beginnt  und  darauf 
in  witzigster  Dialogbehandlung  aus  Vers  und  Prosa  den  fahrenden 
Schüler  und  Teufelsbanner  Hans-Sachsischer  Herkunft  das  Abenteuer 
zum  guten  Ende  führen  läßt.  Am  Schluß  vergißt  allerdings  der 
Denker  den  Dramatiker. 

Von  tieferem  Gehalt  ist  die  „Mauserung"  (1907).  Ein  tiefernstes 
Lustspiel,  das  an  Tiefe  wie  an  Ernst  sich  mit  unseren  kostbarsten 
Perlen  messen  kann.  Durch  die  Mauserung,  die  Läuterung  hindurch 
führt  es  uns  das  allseitige  Menschideal  vor,  wie  es  der  Dichter  träumte. 
Aber  der  Dramatiker  versteht  wohl  eine  Intrige  kunstvoll  zu  schlingen, 
der  Dichter  weiß  wohl  in  vollendeter  Sprach  form  Tiefstes  mit  Humor 
darzustellen,  doch  wiederum  verdrängt  zum  Schlüsse  der  Denker  den 
Dramatiker,  um  mit  dem  Dichter  vereint  innerste  Erkenntnisse  und 
Erlebnisse  zu  formen.  Das  ernstheitere  Spiel  ebbt  aus  in  warm- 
empfundene Reflexionen.  So  erhebt  sich  die  „Mauserung"  turmhoch 
über  die  zeitgenössischen  Unterhaltungsstücke  als  gehaltreiche,  be- 
seelte Dichtung,  aber  an  Bühnenblut  könnten  ihr  viele  abgeben. 
Das  Göttsche  Lustspiel  blieb  daher  auch  vereinzelt,  es  hatte  nicht 
die  Kraft,  Nachfolge  zu  zeugen.  ,   , 

5.   WIENER  KOMÖDIE. 

Wichtiger  als  Götts  Schaffen  ist  deshalb  für  die  Lustspielgeschichte 
die  Wandlung,  die  das  Konversationsstück  in  seinem  klassischen  Heimat- 
land, in  Österreich,  in  Wien  vollzog.  Dort  wurde  die  Tradition  Bauern- 
felds weitergepflegt  und  dem  Wandel  gedanklicher  und  ästhetischer 
Strömungen  der  Neuzeit  angepaßt.  Der  Führer  der  aus  dem  Geiste  der 
Wiener  Sprachkultur  geborenen  Konversationsdramatik  ist  Arthur 
Schnitzler  (geb.  1862).  Schnitzler  ist  der  Bauernfeld  der  Gegenwart. 
Mit  dessen  gepflegtem,  witzigen  Dialog,  der  mittlerweile  noch  durch 
die  sprachpsychologische  Schule  des  Naturalismus  gegangen  ist,  be- 
handelt er  in  enger  Fühlungnahme  mit  seiner  Zeit  die  Probleme  der 
Gegenwart,  so  daß  etwa  sein  „Professor  Bernhardi"  (1912)  nicht  nur 
das  Thema  des  Kampfes  zweier  Weltanschauungen  —  auch  der  Ver- 
fasser von  „Bürgerhch  und  Romantisch"  liebte  derartige  Kontraste  — , 
sondern   auch   noch  die  Judenfrage  und  andere  politischer  Art  auf- 


3 1 6      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Nfituralismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

rollen  muß.  Aber  wie  bei  Bauernfeld  ist  auch  bei  Schnitzler  der 
Dialog  die  Hauptsache,  und  den  spricht  er  für  alle  seine  drama- 
tischen Personen  selbst. 

In  ihm  beobachten  wir  jene  Fortentwicklung  über  den  physischen 
Naturalismus,  die  uns  aus  Hauptmanns  „Schluck  und  Jau"  ansprach. 
Die  Bedeutung  der  relativistischen  Erkenntnistheorie  mit  ihrem  Ver- 
zicht auf  allgemeingültige  wissenschaftliche  Objektivität  für  die  Kunst 
ist  deren  entschlossene  Wendung  zur  reizsamen  Subjektivität.  Diese 
Subjektivität  horcht  vor  allem  nach  innen  und  sucht  das  im  eigenen 
Innern  Hörbare  wenigstens  andeutend  wiederzugeben.  Diese  Haltung 
entsprach  vor  allem  dem  Wiener,  dem  Angehörigen  unseres  ältesten 
Kulturkreises,  mit  seiner  Passivität,  seiner  genießerischen  Momen- 
taneität.  Es  ist  die  Verfallsstimmung  eines  Kulturmenschen,  der  aus 
eigener  Seelenzergliederung  sich  Sensationen  holt,  nicht  zu  orgiasti- 
schem  Rausch,  sondern  zu  einem  nachdenklich -ironischen  Dämmern 
mit  stetem  Wechsel  seelischer  Impressionen,  Was  Hermann  Bahrs 
„Dialog  vom  Tragischen"  (1904)  ausspricht,  was  aber  auch  schon  aus 
Hofmannsthals  „Gestern"  (1891)  zu  hören  ist:  die  Tragik  des  hera- 
klitischen  Ichs,  dem  nur  das  Heute  gilt,  —  sagen  uns  auch  Karls 
Worte  in  „Schluck  und  Jau",  daß  er  den  Tag  und  nur  den  Tag  lebe: 
„Gestern  und  morgen  sind  zwei  Schemen".  Es  ist  dies  die  Stim- 
mung des  Fin  de  siecle,  deren  Wiener  Farben  nicht  ohne  französi- 
sche Tönung  sind. 

Das  Wort  Schnitzlers,  daß  Gesundheit  langweilig  sei,  bestätigt 
sich  in  seinen  Dramen,  in  seinen  Lustspielen,  die  in  einem  Dämmer- 
licht melancholischer  Heiterkeit  weben.  Sein  Musterbild  ist  „Anatol" 
(1893),  jener  lässige  Wiener  weltmännische  Genießer  und  Melancho- 
liker. Er  zeigt  bereits  die  Reaktion  gegen  den  Ausgangspunkt  des 
Naturalismus,  indem  ihm  Schein  mehr  ist  als  Sein.  Und  dieser 
Schein  ist  eine  Welt  der  Grazie  und  des  Charme,  die  auch  die 
Sprache  formt.  Ihre  Kunst  besteht  in  dem  Schweigen,  in  dem  An- 
deuten. Der  Einakter  „Literatur"  zeigt  dieselbe  Atmosphäre.  Ana- 
tole  France  leiht  ihr  Worte:  „Was  kommt  es  auf  die  Handlung  an, 
wenn  die  Geste  schön  ist".  Überall  empfangen  wir  den  Eindruck 
des  Spielerischen,  des  Rokokoartigen,  und  auch  dessen  Katzenjammer- 
stimmung bleibt  nicht  aus.  Alle  Charaktere  scheinen  uns  etwas  an- 
gefault mit  ihren  Liebeleien,  nirgends  erleben  wir  die  Kraft  Gesunder 
zu  stürmisch  hinreißender  Liebesleidenschaft.  Wenn  Hermann  Bahr, 
etwa  in  seinem  „Konzert"  (1909),  etwas  kräftigere,  wenn  auch  possen- 
haftere Töne  anschlägt,  so  atmen  wir  befreit  auf.  Aber  im  Grunde 
sind  sie  beide  Vertreter  derselben  Zeitstimmung,  desselben  Milieus, 
die  eine  überaus  reizbare  Empfindsamkeit  zu  einem  seelischen  Witte- 
rungsvermögen ausgebildet  haben,  das  ihnen  gestattet,  soziologische 
Probleme  vorausahnend  zu  gestalten,  das  aber  doch  nicht  zum  Er- 
lebnis durchdringt  und  daher  sich   mit   der   bloßen  Andeutung  ge- 


Wiener  Komödie.  3^7 


nügen  läßt.  Stets  ist  die  klare  Schau  von  Nebelschleiern  umflort, 
und  dieses  Dämmer  verleiht  gerade  Schnitzlers  Kunst  jenes  eigen- 
artige weich  abschattende  Kolorit,  das  an  Corots  Landschaftsstim- 
mungen gemahnt.  Da  aber  die  oft  zur  WeichHchkeit  sich  verzärteln- 
den Empfindungen  nicht  zum  elementaren  Gefühlsdurchbruch  kom- 
men, so  lassen  die  Wiener  Autoren  sich  mit  neurotischen  Reizungen 
genügen  und  machen  aus  der  Not  eine  Tugend,  wenn  sie  nicht  gar, 
wie  etwa  Felix  Saiten  in  „Das  stärkere  Band",  ihren  gepflegten  Dialog 
mit  kitschiger  Rührseligkeit  verwässern. 

Mit  Recht  kann  man  hier,  wie  Adolf  Bartels,  von  Sensationalis- 
mus sprechen,  denn  Sensationen  jagen  diese  zu  ursprünglicher  Akti- 
vität verdorbenen,  passiven  Wiener  nach,  Sensationen  suchen  sie 
zu  erregen.  Gerade  ein  feinfühliger  Könner  wie  Arthur  Schnitzler, 
dessen  ,, Liebelei"  eigentlich  dieser  ganzen  Wiener  Dramatik  den 
kennzeichnenden  Titel  geben  könnte,  offenbart  ihre  Schwächen  am 
besten. 

Wir  fühlen,  hier  ist  das  Ende  jenes  sittlichen  Relativismus,  wir 
fühlen  es  um  so  mehr,  als  Schnitzler  seine  Kunstmittel,  trotz  gelegent- 
licher Neigung  zur  zu  scharf  pointierten  Reflexion,  ja  gar  zur  Senti- 
mentalität, vollendet  beherrscht.  Hier  ist  das  Fin  de  siecle  des  Rela- 
tivismus. Hugo  von  Hofmannsthal,  der  selbst  auch  noch  in  seiner 
letzten  Komödie  „Der  Schwierige"  (192 1)  diesem  seelischen  Milieu 
angehört,  hat  von  Anfang  an  diese  Kunst  in  ihrem  Wesen  erkannt: 

„Eine  Laube  statt  der  Bühne, 
Sommersonne  statt  der  Lampen, 
Also  spielen  wir  Theater, 
Spielen  unsre  eignen  Stücke, 
Früh  gereift  und  zart  und  traurig. 
Die  Komödie  unsrer  Seele, 
Unsres  Fühlens  heut  und  gestern. 
Böser  Dinge  hübsche  Formel, 
Glatte  Worte,  bunte  Bilder, 
Halbes  heimliches  Empfinden, 
Agonien,  Episoden". 

Ob  er  im  „Rosencavalier"  ein  Libretto  zu  selbständig- dichte- 
rischem, innig  beseeltem  Kunstwerk  gestaltet,  ob  er  Molieres  „Bürger 
als  Edelmann"  in  tiefsinniges  Rahmenspiel  von  Liebessymbolik 
rückt,  ob  er  Calderons  „La  Dama  duende"  als  „Dame  Kobold"  in 
graziösester  Spiellaune  wieder  auferstehen  läßt,  immer  zeigt  er  sich 
in  derselben  kultiviert-distinguierten,  erbprinzlichen  Haltung  voll  sen- 
sibelsten Formgefühls,  voll  melancholischen  Stimmungszaubers,  voll 
fein  abgewogener  Ironie  und  zart-müder  Seelendiff"erenzierung.  Seine 
beherrscht-lässige  Vornehmheit  mit  ihrer  abgetönten  Koloristik  und 
ihrer  lächelnden  Freude  am  spielerischen  Formausdruck  alles  Seeli- 
schen zeigt  das  letzte  Abenddämmern  einer  einst  urwüchsigen  Barock- 
kunst seines  Stammlandes.  N> 


3 1 8      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart 

6.  HEIMATKUNST, 
a)  Josef  Ruederer  und  Ludwig  Thoma. 

Diese  weichliche  Großstadtluft,  die  dem  ästhetischen  Epikuräis- 
mus  und  Pessimismus  der  Franzosen  entspricht,  findet  ihr  Gegen- 
stück in  der  kräftigen  Landluft  der  Volkskunst.  Anzengruber  ist 
uns  der  Beweis,  daß  diese  nie  abgerissen  war.  Und  mögen  auch 
die  Landdichter,  wie  Kerr  als  Großstädter  und  Bewunderer  Schnitz- 
lers meint,  ärmer  sein  und  die  schwer  erkannten,  feinsten  Regungen 
nicht  haben  und  malen,  es  bleibt  ihnen  doch  ein  Ruhm:  „primitivere 
Gestalten,  mit  Erdgeruch,  zu  malen  statt  verfeinerter;  etwas  zu  geben, 
was  der  schlichten  Tierheit  näher  kommt  als  den  letzten  uns  be- 
kannten Stufungen,  Winkelregungen,  Gefühlsunterarten". 

Von  dieser  Erdnähe  ist  allerdings  bei  Anzengrubers  nächstem 
Nachfolger,  Ludwig  Ganghofer,  (1855 — 1920)  nichts  zu  verspüren. 
Charakteristisch  für  sein  bewußt  sentimentales  Schaffen  ist  sein  viel- 
bejubelter „Herrgottsschnitzer  von  Ammergau"  (1880),  der,  obwohl 
er  noch  sein  relativ  bestes  Volksstück  ist,  weder  Tiefe  noch  Fülle 
seines  Vorbildes  aufweist.  Den  stärksten  Kontrast  zur  moralsalba- 
dernden Sentimentalität  dieser  Ganghoferschen  Lederhosendramatik 
bietet  die  frische  Schärfe  Josef  Ruederers  (1861  — 19 14),  der  aller- 
dings auch  Ganghofers  weiche,  liebenswürdige  Gefühlstöne  schon 
aus  grundsätzlicher  Abwehr  gegen  alle  Ganghöferei  unterdrückt. 
Darin  liegt  aber  auch  wieder  die  Stärke  seiner  gestrafften,  vielstre- 
bigen  Dramatik.  Weder  lyrische  Gefühlsstimmung  noch  epische  Zu- 
standsschilderung,  einzig  und  allein  dramatische  Handlung  in  kon- 
zentriertester  Form  und  daher  in  intensivster  Spannung  ist  sein  drama- 
turgisches Ziel.  So  verstand  bisher  nur  Ibsen  zu  bauen,  und  mit 
dieser  architektonischen  Konzentration  war  dennoch  jedes  Drama 
von  individueller  Stimmung  erfüllt  und  in  der  Zeichnung  der  Um- 
schicht  unverwechselbar.  Das  Umschichtige  ist  hier  bei  Ruederer 
noch  stärker  betont,  da  er  nicht  Individualpsychologie,  sondern  Land- 
schafts-, Stammespsychologie  treibt.  Insofern  eignet  auch  seiner 
Kunst  der  wissenschaftliche  Grundzug  des  Naturalismus,  der  seine 
Menschen  aus  der  Abhängigkeit  vom  und  Anpassung  ans  Milieu 
begreifen  will.  Ahnlich  wie  uns  Hauptmann  die  Märker  im  „Biber- 
pelz" und  vor  allem  im  „Roten  Hahn",  Rosenow  die  Erzgebirgler 
im  „Kater  Lampe"  vorführt,  so  zeichnet  Ruederer  die  Oberbayern  und 
ihre  Münchener  Stadtverwandten. 

Aber  ebenso  wie  Hauptmann  und  Rosenow  sich  nicht  Heimatkunst 
als  Ziel  setzen,  sondern  soziale  Gattungskomik,  so  auch  Ruederer. 
Seine  Komödie  „Die  Fahnenweihe"  (1895)  ist  bei  aller  dramatischen 
Konzentration  nicht  von  jener  drahtigen  Feinheit  wie  Ibsens  Seelen- 
dramen, sondern  derb  und  grobschlächtig  wie  seine  Oberbayern.  Im 
Gegensatz  zu  Hauptmanns  geistreicher  Laune  und  lächelnder  Heiter- 


Heimatkunst:  Josef  Ruederer  und  Ludwig  Thoma.  3^9 

keit  ist  Ruederers  Lachen  dröhnend,  aber  auch  scharf  und  schneidend. 
Ein  bitterer  Unterton  schwingt  mit.  Sein  Humor  ist  nicht  aus  ver- 
stehender, er  ist  aus  eifernder  Liebe  geboren.  Eine  Liebe,  die  überall 
enttäuscht  ist,  die  überall  Täuschung,  Hohlheit  sieht.  Sein  Humor 
wurzelt  in  dem  Leid,  daß  sein  Stamm  in  dem  materialistischen  Re- 
lativismus versumpft  ist,  daß  der  Fluch  des  Geldes  auch  das  Land 
verseucht  hat.  Die  unerbittliche  Wahrheitsliebe,  die  er  mit  den  Na- 
turalisten teilt,  fordert  sein  J'accuse.  Alle  reiche  Individualkomik  ist 
ihm  nur  Mittel  zum  Zweck,  die  egoistisch-materialistische  Gesamt- 
anschauung der  angeblich  so  treuherzigen  Jodler  aufzuzeigen,  jener 
Bauern,  die  wie  der  schöne  Lorenz  ihre  Mutter  wörtlich  und  tätlich 
mißhandeln  und  dann  vor  den  Fremden  ein  rührseliges  Festspiel  ä  la 
Ganghofer  aufführen,  worin  sie  tränenreichen  Abschied  vom  treuen 
Mutterle  nehmen.  Diese  Satire  trifft  nicht  nur  die  Bauern,  sie  trifft 
auch  die  gangbare  Anschauung  der  Städter  von  den  Bauern,  wie  sie 
auch  Literatursatire  ist.  Ruederers  Stellung  erhellt  aus  den  Worten 
des  Posthalters  gegenüber  dem  Münchener  Salontiroler  und  Volks- 
stückfabrikanten Götzensperger,  bei  dem  wir  nur  indirekt  an  Gang- 
hofer zu  denken  brauchen:  „Du  Schnadahüpflhanswurst!  Du  kennst 
ja  kein'  Bauern,  Du  hast  ja  noch  gar  kein'n  g'seh'n  in  Dei'm  Leben, 
sonst  tatst  kein  solchen  Mist  schreiben.  »Und  geben  schlicht  ohn' 
Falsch  und  Spott,  nur  unser  biederes  Grüß  Gott!«  Jawohl!  Du  mit 
Dei'm  schlichten  Gebirgsvolk  balst  mir  net  gehst!  A  Lumpeng'sindel 
is  de  ganze  G'sellschaft!"  Der  Humor  ist,  daß  der  Posthalter  selbst 
einer  der  schlechtesten  Lumpen  ist. 

Wohl  blickt  des  Dichters  Gesicht  mit  den  strengen  Augen,  den 
düsteren  Stirnfalten,  den  herben  Mundzügen  zwischen  den  Zeilen 
durch,  aber  die  Darstellungsform  ist  objektiv,  gleich  bissig  gegen 
Städter  wie  Bauer,  sie  bemüht  sich  jene  Unpersönhchkeit  zu  zeigen, 
die  von  Frankreich  dem  Naturalismus  kam.  Mit  kühler  Sachlichkeit 
gibt  er  in  echt  naturalistischer  Eindruckskunst  die  Dinge,  wie  er  sie 
sieht,  entschleiert  sie  rückhaltlos,  ohne  irgendwelche  Wertungen  daran 
zu  knüpfen.  Als  Vertreter  der  Stadt  werden  uns  vorgeführt  u.  a.  die 
titelsüchtigen  Kleinbeamtenfrauen,  die  mit  ihren  krähwinkeligen  Eigen- 
schaften uns  längst  von  Kotzebue  her  vertraut  sind;  der  Münchener 
Cafetier,  der  sich  mit  dem  Gelde  Rettingers,  des  Liebhabers  seiner 
Frau,  die  ländhche  Posthalterei  erstanden  hat  und  ohne  Gewissens- 
skrupel weiter  aus  dem  fortbestehenden  Verhältnis  seinen  Gewinn 
zieht,  aber  seinen  „guten  Namen  befleckt"  sieht,  wenn  die  ehrenwerte 
Posthalterin  noch  einen  zweiten,  diesmal  allerdings  zahlungsunfähigen 
Liebhaber  sich  hält;  oder  der  Herr  Großhändler  Rettinger,  dem  seine 
Reserveoffiziersehre  gerade  gut  genug  zu  hochtrabenden  Phrasen  ist 
und  dessen  Moralkodex  den  einzigen  Grundsatz  enthält:  Alles  ist  er- 
laubt, solange  es  nicht  bekannt  wird.  Ruederers  Humor,  den  Hof- 
miller wild  und  eiskalt  nennt,   schheßt  keine  Kompromisse,  ebenso- 


320     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

wenig  wie  wir  am  Schlüsse  vom  „Biberpelz"  die  traditionelle  Tugend- 
geste beobachteten;  hier  wird  das  ganze  Treiben  gekrönt,  indem  das 
tugendreiche  Kleeblatt:  Posthalter,  Frau  und  Rettinger  unter  Sanktion 
des  Pfarrers  zu  Ehrenmitgliedern  des  Findelhausvereins  ernannt  werden. 

Die  Komödie  aus  dem  Revolutionsjahr  1848  „Morgenröte"  (1904) 
ist  Kleinbürgersatire  mit  Münchener  Lokalkolorit.  Mit  ingrimmigem 
Humor  wird  gezeigt,  wie  dem  Münchener  Bierbankpolitiker  im 
Grunde  ein  gefüllter  Maßkrug  wichtiger  ist  als  alle  Revolution  um 
die  berüchtigte  Lola  Montez.  So  wenig  wie  Sudermann  hat  Ruederer 
uns  die  politische  Komödie  des  Jahres  1848  gegeben,  aber  das  Jahr 
1918  hat  bestätigt,  wie  richtig  er  den  Münchener  Spießer  mit  seiner 
schwunglosen  Indolenz  gezeichnet  hat.  Als  eben  zum  Schlüsse  der 
Revoluzzer  Eisenkopf  die  Morgenröte  aus  dem  Osten  ankündigt,  da 
tritt  der  Herr  Pfarrer  mit  dem  Weihrauchwedel  ein  und  die  Mader- 
bräuin,  die  allein  in  all  dem  Geschrei  ihren  Geschäftssinn  nicht  ver- 
loren hat,  ruft  jenem  zu:  „Herr  Eisenkopf,  steigen  S'  runter.  Machen  S', 
daß  S'  weiterkommen,  ja,  ja,  gehen  S'  nur,  's  ist  das  Beste,  was  S'  tun 
können".    Die  Welt  geht  weiter,  ein  neuer  Banzen  wird  angestochen. 

Ein  Vergleich  mit  Ludwig  Thoma  (1867 — 1921)  offenbart  am  besten 
die  ursprüngliche  Dramatikernatur  Ruederers.  Thoma  kommt  höch- 
stens einmal  in  dem  prachtvollen  Bauerneinakter  „Die  Medaille"  über 
den  Episodenstil  des  witzigen  Simplizissimus-Schriftstellers  hinaus. 
Die  vieraktige  Komödie  „Die  Lokalbahn"  kann  sich  nicht  entfernt  mit 
Ruederers  „Fahnenweihe"  messen;  obwohl  sie  voll  von  Witz  und 
wirkungsvoller  Komik  steckt  —  auch  hier  begegnen  wir  im  zweiten 
und  vierten  Akt  dem  Motiv  der  Wiederholung  mit  umgekehrtem  Vor- 
zeichen — ,  fehlt  es  ihr  an  der  zwingenden  dramatischen  Konsequenz. 
Der  Impressionismus  hat  alle  Tektonik  aufgelöst. 

b)  Fritz  Stavenhagen. 

In  dramatischer  Gestaltungskraft  ist  dem  Bayern  Ruederer  der 
Niederdeutsche  Fritz  Stavenhagen  (1876 — 1906)  zu  vergleichen.  Wie 
Hebbel,  dem  er  auch  an  unbeugsamer  Willenskraft  gleichkommt,  ist 
er  Niedersachse.  Gerade  hatte  um  die  Jahrhundertwende  die  stäm- 
mische Heimatskunst  neue  kräftige  Antriebe  erhalten  durch  das  Wirken 
des  Elsässers  Fritz  Lienhard  und  des  Niedersachsen  Adolf  Bartels. 
Mit  Fritz  Stavenhagen  ersteht  ihr  sofort  einer  der  stärksten  Dramatiker. 
Die  Komödie  „De  rüge  Hoff"  (1906)  hat  in  der  Zeichnung  sittlicher 
Verwahrlosung  Ähnlichkeit,  wie  schon  Soergel  bemerkte,  mit  Ruede- 
rers „Fahnenweihe".  Doch  dem  Niederdeutschen  ist  die  Zustands- 
schilderung  nicht  Selbstzweck,  sie  gibt  nur  die  Symptome  von  tiefer 
wirkenden  Naturkräften  in  den  Geschlechterbeziehungen.  Das  Lu- 
strum, das  zwischen  beiden  Komödien  liegt,  hat  den  Blickpunkt  der 
Eindruckskunst  von  der  äußeren  physischen  Wirklichkeit  in  die  Tiefen 
und  Untiefen  der  Seele  verlegt.     Das  für  die  Komik  unerschöpfbare 


Heimatkunst:  Fritz  Stavenhagen.    Karl  Schönherr,  32 1 

Gebiet  des  Sexuellen  gibt  die  Möglichkeit,  aus  dem  Animalischen  das 
Allgemeinmenschliche  humorvoll  erstehen  zu  lassen.  Rauh,  knorrig 
und  hart  sind  die  Bauern  wie  das  Land,  mit  dem  sie  in  harter  Arbeit 
ringen,  derb  ist  auch  das  dramatische  Gefüge,  aber  dennoch  von  einer 
bezwingenden  Kraft  in  der  nervigen  Ballung  von  Handlung  und 
Landschaftscharakter. 

Aber  Stavenhagens  beste  Komödie,  auch  nach  seiner  eigenen 
Schätzung,  ist  „De  dütsche  Michel"  (1905).  Eine  eigentümliche  Mär- 
chenstimmung liegt  über  dieser  realistischen  „niederdeutschen  Bauem- 
komödie".  Der  junge  Graf,  dessen  Umgebung  wie  in  Hebbels  Ko- 
mödien etwas  blaß  geraten  ist,  wird  durch  böse  Gesellschaft  zur 
Bedrückung  seiner  Bauern  verleitet;  ihr  Widerstand  ist  das  Stahlbad 
seines  eigenen  Charakters.  Die  halb  traumvisionäre  Grafenhandlung 
ist  jedoch  nur  das  Mittel,  um  den  niederdeutschen  Bauerncharakter 
zu  entfalten.  Insofern  ist  es  eine  Charakterkomödie,  nur  handelt  es 
sich  nicht  um  einen  Individualcharakter,  sondern  um  einen  Stammes- 
charakter; auch  hier,  wie  in  Hauptmanns  „Webern",  ist  die  Masse  der 
Held.  Dem  vermeintlichen  Toten  geben  die  Bauern  den  verlangten 
Tribut;  vor  dem  Tod  schweigt  aller  Haß,  wie  auch  die  Globsower 
ihrem  verstorbenen  Dubslav  Stechlin  zurufen:  „He  wihr  so  wiet  janz 
good",  aber  den  Lebendigen  schlagen  sie  lieber  tot.  Es  ist  nicht  nur 
das  Gefühl  des  Überlistet-  und  Betrogenseins,  auch  nicht  nur  bäuer- 
licher Geiz  und  Habsucht,  es  ist  die  niedersächsische  storrige  Un- 
beugsamkeit, die  Starrheit  des  Rechtsempfindens,  die  die  Dittmarsen 
lieber  tot  als  Sklaven  sein  läßt.  Hier  ist  nichts  von  weichen  Ge- 
fühlchen, vom  müden  Wiener  Impressionismus  zu  verspüren.  Hier  ist 
Erdgeruch,  Tierheit;  salzige  Seeluft  weht  in  der  Wahrheit  dieser  Komödie. 
Das  Klobige  der  Charaktere  ist  nicht  zierlich  zugeschnitzt;  es  wirkt 
daher  auch  klotzig  und  holperig,  aber  es  wirkt  auch  primitiv,  elementar 
und  wahr,  und  aus  diesem  gesunden  Nährboden  erwächst  der  frische 
derbe  Humor.  Der  Vergleich  mit  Holberg  liegt  nahe,  obwohl  vielleicht 
des  stammverwandten  H.  Boßdorf  (1877— 1921)  urwüchsige  Komödien 
„Kramer  Kray"  und  „De  rode  Uennerrock"  diesem  noch  näher  stehen. 
Stavenhagen  schaute  seine  Bauern,  gestaltete  sie  und  hatte  die  dichte- 
rische Kraft,  diese  plastischen  Einzelgestalten  zum  Symbol  der  Land- 
schaft zu  ballen.  Hier  verspüren  wir  nichts  von  dem  Doppelsein  des 
katholischen  österreichischen  Bauern,  hier  ist  alles  bodenständige 
Einheit,  die  in  derber  Realität  mit  beiden  Füßen  auf  dem  Boden  steht. 

c)  Karl  Schönherr. 

Darin  ist  das  niederdeutsche  Dialektlustspiel  grundverschieden 
von  der  Tiroler  Dialektkomödie  Karl  Schönherrs  (geb.  1868)  „Erde" 
(1907),  die  dem  „Dütschen  Michel"  wenigstens  an  dichterischem, 
wenn  auch  nicht  dramatischem  Wert  gleichsteht.  Hier  hat  die  öster- 
reichische Dramatik,  die  in  der  Großstadt,  in  Wien,  unter  dem  Ein- 

Holl,  Lustspiel.  21 


322      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

fluß  des  Auslands  in  eine  müde  Verfallstimmung  des  Rokoko  geraten 
war,  aus  dem  Volkstum  frische  Kraft  geholt  und  damit  den  Weg 
zur  alten  Tradition  wiedergefunden.  Statt  des  zärtlichen  Rokoko 
schauen  wir  jetzt  wieder  die  wuchtigen  ausladenden  Gebärden  des 
Barock,  statt  der  dekadenten  Seelendifferenzierung  erleben  wir  erd- 
nahe Urgefühle,  statt  der  Spielerei  Leidenschaft.  Daher  konnte 
Walzel  in  Schönherrs  Bauern  Naturen  erkennen,  in  denen  es  glüht, 
deren  inneres  Erleben  den  stürmischen  Rhythmus  des  Barock  hat. 
In  gegenseitiger  Unterstützung  bewirken  die  triebhaften  Naturgefühle 
und  der  drängende  Barockwille  seelische  Spannungen  von  gewaltiger 
Weite  und  Intensität. 

Allerdings  liegt  hier  auch  eine  Gefahr:  das  Barock  ist  die  Kunst 
der  betonten  Pose.  Die  stumme  sinnbildliche  Pantomime,  auf  die 
Nadler  in  Schönherrs  Dramen  hinweist,  nicht  bloß  bei  der  Bewegung 
der  einzelnen  Figur,  sondern  oft  im  Aufbau  ganzer  Szenen,  findet 
in  jener  Barockpose  ihren  Grund.  Schönherr,  der  Sprößling  des 
Landes,  in  dem  das  Barocktheater  seine  Heimat,  Blüte  und  ununter- 
brochene Tradition  hat,  will  Theater  machen.  Er  wäre  sonst  kein 
Barockkünstler.  Jüngste  Literaturentwicklung  hat  uns  gelehrt,  darin 
einen  Vorzug  seines  dramatischen  Schaffens  zu  sehen.  Denn  zweifel- 
los laufen  und  liefen  wir  in  der  Vergangenheit  oft  Gefahr,  unter 
dem  Einfluß  einer  protestantisch-bilderstürmerischen  Orientierung  das 
Drama  als  Wortdichtung  und  nicht  als  Bühnendichtung,  spiritua- 
listisch  und  nicht  sensuaHstisch  aufzufassen,  hat  doch  der  Protestant 
Lessing  das  —  zum  mindesten  für  die  phantasie-  und  illusionsunfähige 
Mehrheit  der  Menschen  —  heillose  Wort  gesprochen,  eine  Tragödie 
müsse  beim  Lesen  ebensogut  wirken  wie  auf  der  Bühne.  Aber 
andrerseits  führt  der  Wille  zur  sinnlichen  Veranschaulichung,  in  dem 
Kunst  des  Barock  und  Kult  des  Katholizismus  zusammenfallen,  leicht 
zur  Veräußerlichung,  zur  Nur-Pose.  Die  innerlich  gemußte  seelische 
Spannung  wird  äußerlich  gewußte  theatralische  Spannung.  Und 
dieser  Gefahr  ist  Schönherr  nicht  immer  entgangen,  am  ehesten 
jedoch  in  „Erde". 

Schönherr  gibt  hier  nicht,  wie  die  Wiener,  Psychologie  in  feinsten 
Schattierungen,  sondern  Seelenbiologie  mit  mächtigen  Akzenten.  Es 
kommt  ihm  weniger  auf  die  Seelentätigkeiten  des  Menschen  an,  als 
auf  die  Aufhellung  der  Verwurzelung  des  Seelenlebens  mit  der  Natur, 
wobei  Natur  nicht  nur  ein  mechanisches  System  ist,  sondern  ein 
vitales  Geschehen,  oder  wenigstens  eine  Verbindung  von  Anorga- 
nischem und  Vitalem,  von  Nur- Räumlichem  und  Lebensvorgängen. 
Der  Mensch  wird  als  abhängig  von  der  Natur,  als  ihr  Glied  betrachtet. 
Hierin  liegt  der  Unterschied  gegenüber  Ruederer.  Dieser  steht  dem 
sozial  interessierten  Naturalismus  nahe  und  sucht  seine  Gestalten 
vom  Gesichtspunkte  des  sozialen  Milieus  aus  zu  fassen.  Schönherr 
dagegen  legt  das  Schwergewicht  auf  die  Bedeutung  der  natürlichen 


Heimatkunst:  Karl  Schönherr.  323 


Umschicht,  also  auf  die  geopsychischen  Erscheinungen,  um  Hellpachs 
Ausdruck  zu  benutzen,  der  damit  die  das  Seelenleben  bestimmenden 
Faktoren  Landschaft,  Klima,  Wetter  zusammenfaßt.  Deutlich  fühlen 
wir  deren  Einwirkung,  wenn  im  ersten  Akte,  an  einem  sonnig-heißen 
Sommertag,  da  alles  in  prangender  Frucht  steht,  der  alte  Grutzhof- 
bauer  trotz  seiner  zweiundsiebzig  Jahre  in  aller  Fülle  strotzender 
Gesundheit  voll  „Schmalz  und  Schmier"  vor  uns  steht;  wenn  im 
zweiten  Akte,  an  einem  sonnenlosen  graufrostigen  Spätherbsttag,  da 
Baum  und  Strauch  kahl  und  verdorrt  stehen  und  die  Berge  bereits 
im  Schnee  liegen,  der  alte  Grutz  sich  seinen  Sarg  bestellt  und  sich 
ins  Sterbebett  legt;  wenn  im  dritten  Akte,  an  einem  brausenden  Vor- 
frühlingstag, da  alle  Säfte  steigen  und  die  Erde  schon  die  Wintersaat 
vortreibt,  der  alte  Grutz  sich  wieder  erhebt  und  seinen  Sarg  zu  Brenn- 
holz zerhackt.  Es  sind  dies  nicht  nur  symbolische  Vergleiche,  wir 
verspüren  das  Wirken  der  Natur  selbst. 

Der  Dichter  will  noch  mehr  zeigen  als  nur  die  Einwirkung  geo- 
psychischer  Faktoren.  Seit  dem  Ende  des  Jahrhunderts  ist  die  Lebens- 
kraftlehre wieder  zu  Ansehen  gekommen,  die  die  Natur  nicht  nur 
als  natura  naturata,  sondern  als  natura  naturans  begreift.  Die  Neu- 
romantik ist  auch  in  der  Naturphilosophie  ihrer  älteren  Schwester 
treu  geblieben.  Der  alte  Grutz  ist  selbst  das  Symbol  der  unver- 
änderlichen, in  ewigem  Rhythmus  gleichbleibenden  Natur.  Alle 
menschliche  Berechnung  zerschellt  an  ihm  wie  an  ihr,  und  die  be- 
rechnenden Menschlein  in  ihrer  nackten  Kleinheit  sind  das  Objekt 
unseres  Humors.  ,, Überall  die  gleiche  Raunzerei!  Und  g'schehen  tut 
ja  doch,  was  die  (Natur)  da  draußen  will!  Man  ist  nur  ihr  Hanswurst!" 
Die  „extraige  Offenbarung"  des  Steinklopferhans  Anzengrubers  ist 
in  Grutz  lebendig,  darin  zeigt  sich  die  Verwandtschaft  echter  Volks- 
kunst; aber  sie  ist  in  ihm  vertieft.  Grutz  ist  selbst  die  Natur. 
„I  stirb  ja  nit!  Bin  meiner  Lebtag  knietief  in  der  Erd  dring'steckt!" 
Mensch,  Tier,  Erde  sind  gleichermaßen  beseelt,  daher  das  Mitgefühl 
des  Grutz  mit  dem  steinbeschwerten  Acker,  mit  dem  leidenden  Pferd. 
Ein  zeitloses  Naturwalten,  das  in  der  Wageszene  des  letzten  Aktes 
zu  grausem  Humor  gesteigert  ist,  weht  uns  an  mit  einem  Hauch  der 
alten  Edda.    Die  Natursymbolik  ist  zum  Naturmythos  geworden. 

Die  Kunst  des  Dichters  zeigt  sich  darin,  daß  diese  tiefsinnigen 
Gedanken  uns  unmittelbar  aus  den  derben  Holzschnittfiguren  der 
Bauern  anspringen.  Nur  selten,  wie  etwa  in  den  Gesichten  des 
Knechtl,  oder  daß  in  allzu  grober  Symbolik  dieser  Jüngste  dem  Äl- 
testen im  Tode  vorausgehen  muß,  verspüren  wir  den  berechnenden 
Techniker.  Prachtvoll  sind  die  Kontraste  von  Mann  und  Frau  gesetzt, 
jener  das  Dynamische,  Sehnsucht  nach  Fortpflanzung,  diese  das 
Statische,  Sehnsucht  nach  der  eigenen  Scholle;  beide  wieder  sich 
im  Grutz  vereinigend,  er  ist  das  beherrschende  Zentrum,  er  ist  auch 
der  Hauptträger  jenes  beliebten  Kunstmittels  Schönherr s,  durch  leit- 


•^24     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

motivische  Wiederholung  typischer  Wendungen  das  vielstrebige  Ge- 
bäude zusammenzuhalten.  Die  zwingende  Konzentration  auf  eine 
Hauptperson  bei  einer  reichen  Zahl  an  Bedeutung  abstufender  Neben- 
figuren, die  Kongruenz  dieser  Hauptperson  mit  der  Hauptidee,  die 
das  Lustspiel  der  Schicksalsdramatik  zuweist,  die  von  diesem  natur- 
waltenden Schicksal  beherrschte  schwellende  Rhythmik  voll  reichster 
Spannungen:   alles  zeigt  den  Barockcharakter  der  Dichtung. 

Gleiche  Kunsthöhe  haben  Schönherrs  Lustspiele  nicht  wieder  er- 
reicht. Doch  „Die  Trenkwalder"  (1914),  teilweise  eine  Überarbeitung 
seines  ,, Sonnwendtag",  sind  uns  interessant,  weil  jene  Doppelwelt  der 
katholischen  Bauern,  die  wir  bei  Anzengruber  beobachteten,  hier  die 
Grundlage  des  Lustspiels  bildet.  In  „Erde"  klingt  das  Motiv  nur  vor- 
übergehend an,  in  den  Drohungen  des  Totenweibele  etwa.  Hier  aber 
spinnen  die  Handlungsfäden  wie  die  Reden  ständig  hinüber  und  her- 
über zwischen  der  Welt,  darin  die  Patscheiderin  kräftig  auf  beiden 
Beinen  stehend  regiert  und  auch  gelegentlich  in  heißem  Blutdrang 
liebt,  und  jener  Welt,  darin  sie  ein  Tauschgeschäft  mit  dem  Herrgott 
macht,  um  für  eine  Kirche  nebst  Pfarrer  ihrer  Liebessündenschuld 
ledig  zu  werden;  zwischen  der  Welt,  darin  Metzger,  Wirt  und  Kauf- 
mann die  Wallfahrer  schröpfen,  und  jener,  da  diese  mit  den  Heiligen 
auf  Du  und  Du  stehen;  zwischen  der  Welt,  darin  der  alte  Pfarrer 
von  seiner  Haushälterin  tyrannisiert  wird,  und  jener,  da  das  Jesus- 
kind mit  fröhlichem  Lächeln  sein  Geigenspiel  quittiert. 

Dieses  Zweiweltensystem  ist  in  Barockform  mit  all  den  Kunst- 
mitteln der  „Erde",  wenn  auch  in  weit  gröberer  Bauart,  aufgebaut; 
aber  es  fehlt  der  innere  Zwang.  Wir  erleben  hinreißende  Spannung 
und  enden  in  Theaterspuk;  hellsichtige  Naturwüchsigkeit  wechselt 
mit  toten  Jahrmarktspuppen;  zu  dichterisch  geschautem  Symbolwerk 
gesellt  sich  bengalisches  Feuer  und  rationalistische  Lehrmoral.  Hier 
wurde  die  Barockpose  übermächtig,  so  daß  trotz  Witz  und  ursprüng- 
lichem Humor  ein  Dichtwerk  entartete. 

7.  JÜNGSTE  LITERATUR- 
ENTWICKLUNG IM  SPIEGEL  DER  BÜRGERSATIRE. 

a)  Otto  Erich  Hartleben. 

„Die  Trenkwalder"  schließen  sich,  im  Gegensatz  zu  „Erde",  näher 
an  Ruederer  und  Thoma  an,  weil  sie  die  Profitgier  der  bürgerlichen 
Berufstypen  satirisieren.  An  Hauptmanns  „Rotem  Hahn"  beobach- 
teten wir  bereits  die  humorische  Zeichnung  des  sittlichen  und  wirt- 
schaftlichen Relativismus.  Seine  Grundlage  ist  materialistische  Welt- 
anschauung, deren  künstlerischen  Ausdruck  wir  im  Naturalismus 
erlebten.  Dessen  stark  betonte  sozialistische  Seite  mußte  von  vorn- 
herein eine  Abwehrstellung  begünstigen  gegenüber  der  Bourgeoisie, 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  O.  E.  Hartleben.  325 

der  satten  Klasse  der  Besitzenden.  Folgerichtig  gewahren  wir  Bürger- 
satire bereits  in  der  naturalistischen  Frühzeit. 

Doch  wenn  wir  einen  Otto  Erich  Hartleben  (1864 — 1905)  als  Sati- 
riker des  Bürgertums  kennenlernen,  dann  genügt  die  sozialistische 
Theorie  zur  Erklärung  nicht.  Tatsächlich  ist  auch  seit  der  Romantik, 
die  am  stärksten  mit  Eichendorff  „Krieg  den  Philistern"  ansagte,  im 
ganzen  19.  Jahrhundert  der  Bürger  immer  wieder  die  Zielscheibe  sati- 
rischer Spottpfeile  gewesen.  Und  in  dem  Brauch,  die  Philister  auf 
die  Bühne  zu  bringen,  trafen  sich  bereits  die  beiden  klassischen  Anti- 
poden Aristophanes  und  Menander.  Was  den  Bürger  zu  der  unsterb- 
lichen Figur  der  Komik  macht,  ist  der  Mangel  an  Leben,  die  Starr- 
heit seiner  Konvention,  das  Mechanisch -Maschinelle  seiner  Lebens- 
weise, sein  Marionettencharakter,  seine  Unpersönlichkeit.  Der  Kontrast 
zwischen  seinem  So-Sein  als  Bürger  und  seinem  Soll- Sein  als  Mensch 
ergibt  die  Komik,  da  er  in  gutem  Glauben  Anspruch  erhebt,  als 
lebendiger,  vollbewußter,  selbstentscheidender,  individueller  Mensch 
zu  gelten  und  die  daran  zu  knüpfenden  Erwartungen  nicht  erfüllt. 
Er  will  etwas  scheinen,  was  er  nicht  ist.  Er  ist  als  reales  Kollektiv- 
wesen etwas,  was  seiner  ideellen  Menschbestimmung  widerspricht. 
In  diesen  Kontrasten  wurzelt  seine  Komik. 

Das  Gegenstück  zum  Bürgerphilister  ist  der  Bohemien,  der  in 
anarchischer  SelbstwilHgkeit  alle  Konvention  verachtet  und  nur  seinem 
Ich  lebt.  Daß  auch  diese  Lebenshaltung  bewußte  Pose  und  damit 
maschinelle  Starrheit  werden  kann,  läßt  auch  sie  zum  komischen 
Objekt  werden.  Selbstpersiflage  ist  daher  gerade  bei  Bohemiens  oft 
zu  beobachten.  So  auch  bei  Hartleben.  Er  ist  der  typische  Repräsentant 
seiner  relativistischen  Epoche,  der,  zu  schwach  sich  aus  ihr  herauszu- 
finden, sich  wenigstens  daraus  das  Recht  zu  eigener  Lebensweise  holt  und 
nun  von  seinem  Bohemetum  aus  das  bürgerliche  PhiHstertum  verlacht, 
indem  er  ihm,  wie  Heinrich  Hart  schrieb,  mit  heuchlerischer  Zärt- 
lichkeit eine  Narrenkappe  aufsetzt.  Seine  Komödien  „Angele",  „Hanna 
Jagert",  „Die  Erziehung  zur  Ehe",  „Die  sittliche  Forderung"  sind 
amüsant  und  witzig,  aber  im  besten  Falle  nur  humorvolle  dialogisierte 
Anekdoten;  am  ehesten  kann  noch  „Hannajagert"  als  dramatisches 
Lustspiel  gelten,  aber  auch  hier  fehlt  ihm  die  Kraft  zum  Ganzen,  er 
bleibt  am  Einzelnen  haften.  Hier  kommt  besonders  deutlich  zum 
Ausdruck,  wie  wenig  seine  Bürgersatire  sozialistischen  Ursprungs  ist. 
Ja,  wir  verspüren  eher  Nietzsches  Töne  in  der  Abwehr  der  Massen, 
allerdings  ohne  jedes  Pathos.  Hartlebens  Satire  verdient  diesen  Namen 
im  Grunde  gar  nicht,  da  ihr  jede  Schärfe  fehlt,  da  sie  nicht  der  Aus- 
druck einer  sittlichen  Überzeugung  ist;  jedenfalls  ist  sie,  um  Schillers 
Unterscheidung  anzuwenden,  rein  scherzhaft  und  nicht  pathetisch. 
Als  relativistischer  Impressionist  gibt  er  nur  Eindrücke  wieder,  ohne 
Werturteile  dranzuknüpfen,  und  da  die  Eindrücke  ihm  auf  dem  Wege 
durch  den  karikierenden  Spiegel  seines  Bohemetums  vermittelt  wer- 


^20      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

den,  so  sind  seine  Bilder  komisch  verzerrt,  ulkig.  Diese  harmlose 
Lächerlichkeit  hat  allerdings  noch  keinen  Philister  getötet,  aber  in 
jener  allzu  wissenschaftlich  ernsten  Literaturepoche  hat  er  dem  intellek- 
tuellen Spiel  der  Gedanken  und  Vorstellungen  sowie  der  Anmut  der 
graziösen  Leichtigkeit  ihrer  Formgebung  wieder  zum  Recht  verholfen. 

b)  Frank  Wedekind. 

Hartleben  hat  damit  bereits  die  soziale  Ideendiskussion  des  Natura- 
lismus verlassen.  Schnell  wurde  allenthalben  erkannt,  daß  diese 
engen  Grenzen  nicht  einzuhalten  seien.  An  Nietzsche  erwuchs  die 
Besinnung  auf  das  Menschsein;  der  Dichterphilosoph  gab  die  Kraft, 
die  Schranken  des  Kastenmäßigen,  Klassenartigen  zu  durchbrechen. 
Noch  früher  als  Gott  hat  Frank  Wedekind  (1864— 191 8)  den  Natura- 
lismus überwunden,  er  gehörte  ihm  überhaupt  nie  an.  Seine  Komödie 
„Die  junge  Welt"  (1889)  mag,  nach  Fechter,  die  Antwort  sein  auf 
die  Indiskretion  des  „Friedensfests",  worin  Gerhart  Hauptmann  Be- 
kenntnisse Wedekinds  als  Stoffmaterial  verwendete.  Jedenfalls  zeigt 
diese  Komödie  aus  dem  Jahre,  da  eben  mit  Hauptmanns  „Vor  Sonnen- 
aufgang" die  Sonne  des  Naturalismus  im  Drama  aufgegangen  war, 
bereits  eine  deutliche  Satire  auf  die  naturali!>tischen  Dichter,  die  mit 
ihren  Beobachtungssammlungen,  ihren  „cahiers"  die  Phantasie  er- 
setzen wollen. 

Aber  Wedekind  zielt  darüber  hinaus  auf  das  Menschliche  in 
Reinkultur.  Das  bedeutet  negativ  die  Abwehr  alles  Konventionellen 
und  Traditionellen,  das  ist  die  Kampfstellung  gegen  alles,  was 
Bürgertum  heißt  im  weitesten  Sinne,  so  daß  er  ebenfalls  schon  in 
seinem  Erstlingsstück  sich  auch  gegen  Frauenbewegung  und  Sozia- 
lismus wendet.  Alles,  was  den  Geist,  die  Persönlichkeit,  die  Frei- 
heit irgendwie  einengt,  sei  es  durch  Übereinkommen,  Gesetze,  Moden, 
ist  Bürgertum,  dessen  erklärter  König  Pietro  ist,  und  damit  feindlich 
dem  Menschtum,  dessen  verhöhnter  König  Nicolo  ist  („König  Nicolo"). 
Der  Marquis  von  Keith  aus  der  nach  ihm  benannten  Komödie,  der  Be- 
trüger und  Hochstapler,  ist  ein  Genie,  das  sich  über  alle  Sitten-  und 
Moralgesetze  hinwegsetzt,  aber  auch  er  kann  der  Gewalt,  die  alle 
Wesen  bindet,  nicht  entgehen:  der  zähen,  schleimigen  Masse  des 
Bürgertums,  dem  großen  Krummen  aus  Ibsens  ,,PeerGynt";  sein  geni- 
ales Werk  wird  von  den  triefäugigen  Münchener  Bierphilistern  vollendet, 
der  Gauner  wird  von  Konsul  Casimir  in  aller  Bürgerlichkeit  übergau- 
nert, um  damit  unfreiwillig  den  Beweis  zu  liefern,  dalS  mit  der  Moral 
immer  noch  die  besten  Geschäfte  gemacht  werden.  Sein  Geschäft  ist 
fehlgeschlagen,  daher  ist  er  der  Sünder,  wie  er  ja  selbst  schon  längst 
erkannt  hat,  daß  Sünde  nur  eine  mythologische  Bezeichnung  für 
schlechte  Geschäfte  ist.  Darin  liegt  genug  Komik.  Sie  wird  aber  noch 
vertieft  dadurch,  daß  ja  dieser  internationale  Schwindler,  der  schon 
als   Bastard  außerhalb  der  Gesellschaft  steht,  dennoch  in  ihren  Bann 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  P'rank  Wedekind,         327 

gerissen  wird  durch  den  alles  beherrschenden  Geschäftssinn.  Darin 
zeigt  sich  diese  Macht  des  Materialismus,  die  Nicolo  zum  Hofnarren, 
Hetmann  in  „Hidalla"  zum  Zirkusclown  macht,  und  die  wir  bei  Schön- 
herr und  Ruederer  als  Drang  zum  Kapital,  bei  Hauptmanns  „Rotem 
Hahn"  als  Drang  zum  Emporkommen  sahen.  Marquis  von  Keith  bringt 
diesen  Mammonismus  auf  die  Formel:  „Es  gibt  keine  Ideen,  seien  sie 
sozialer,  wissenschafthcher  oder  künstlerischer  Art,  die  irgend  etwas 
anderes  als  Hab  und  Gut  zum  Gegenstand  hätten".  Marquis  von  Keith 
ist  nicht  nur  der  Exponent  dieses  skrupellosen  materialistischen  Geistes, 
er  ist  auch  sein  Opfer,  und  nichts  zeigt  dessen  Macht  heller,  als 
daß  gerade  dieser  zur  Freiheit  Geborene  ihr  unterliegt. 

Aber  eine  Kraft  gibt  es,  die  sich  mächtiger  erweist  als  die  alles 
PersönHche  vernichtende  Macht  mechanistisch-materialistischer  Zivili- 
sation, eine  Kraft,  der  selbst  der  Konsul  Casimir  unterliegt:  das  ist 
der  Geschlechtstrieb.  In  dessen  Darstellung  sieht  Wedekind  das 
Positive  in  seinem  Ziel,  das  Rein -Menschliche  zu  ergründen.  Die 
Allgewalt  des  Geschlechtstriebs  zerschlägt  das  Gerüst  der  Bürgerlich- 
keit. Er  ist  der  Erdgeist,  dem  Künstler  wie  Wissenschaftler,  Kaufmann 
wie  Muskelmensch,  Gymnasiast  wie  Greis  Untertan  sind  („Erdgeist"). 
In  ihm  glaubt  Wedekind  rousseauistisch  die  Natur  wiederentdeckt  zu 
haben.  Zweifellos  hat  Wedekind  stärker  als  je  einer  vor  ihm  das 
Geschlechtliche  in  seiner  Bedeutung  für  das  Gemeinschaftsleben  er- 
kannt und  damit  der  psychoanalytischen  Forschung  vorgearbeitet. 
Aber  er,  der  stärkste  Ankläger  des  Materialismus,  er,  der  darob  zum 
Satiriker  der  gesamten  Zivilisation,  nicht  nur  des  Bürgertums  ge- 
worden ist,  kann  sich  selbst  nicht  aus  dessen  Bann  befreien.  Wohl 
sucht  er  mit  seinem  Hetmann  ein  drittes  Reich,  in  dem  die  Fleisches- 
lust in  einer  höheren  Welt  der  Schönheit  aufgehen  soll,  aber  sein 
Ende  ist  die  Verzweiflung,  die  zum  Strick  greift.  Wedekind  fehlt 
die  Kraft  eines  optimistischen  Idealismus,  um  sich  aus  dem  Materia- 
lismus, dessen  Gefahr  und  Unwert  er  erkannt  hat,  zu  befreien.  Trotz 
aller  Sehnsucht  bleibt  ihm  alles  nur  eine  Fleischfrage,  er  ist  im  Grunde 
doch  noch  Materialist,  dem  Geist  Kindermärchen  bleibt.  Seine  revo- 
lutionäre Gesinnung  findet  keine  grundsätzlich  neuen  Gesetze,  sondern 
begnügt  sich  mit  der  Umkehrung  der  alten,  so  daß  er  etwa  den  eng- 
herzigen Priestern  des  Überkommenen  höhnisch  entgegenruft:  ein  nack- 
tes Weib  ist  sittlich,  ein  bekleidetes  unsittlich.  Da  er  aber  viel  zu  klug 
ist,  um  diesen  Trug  nicht  einzusehen,  so  wird  der  Zivilisations- 
satiriker zum  Kulturpessimisten.  Der  Geschlechtstrieb  ist  die  Urkraft, 
die  niemals  zum  Ziele  kommen,  niemals  befriedigt  werden  kann.  Wede- 
kind ist  grundsätzlich  ein  Schopenhauer,  der  an  Stelle  des  Willens 
den  Geschlechtstrieb  setzt  und  damit  zur  gleichen  Überzeugung  ge- 
langt, daß  die  Welt  eine  Welt  des  Elends  und  des  Leidens  ist. 

Diese  Erkenntnis  sucht  Wedekind  immer  wieder  erneut  darzustellen. 
Er  hat  nichts  von  der  graziösen  Leichtigkeit  Hartlebens,  von  dessen 


"^28      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

göttlicher  Anmut.  Wie  ein  orthodoxer  Eiferer  stürzt  er  sich  immer 
wieder  voller  Leidenschaft  auf  sein  Thema  und  macht  die  Bühne  zur 
Kanzel.  Daraus  kann  kein  befreiender  Humor  erwachsen.  Es  ist  ihm 
heiliger  Ernst.  Er  ist  durchaus  nicht  amoralisch,  Wohl  ist  er  anti- 
moralisch, soweit  Moral  irgend  etwas  mit  Überlieferung  oder  Konven- 
tion zu  tun  hat.  Ihm  geht  es  um  eine  natürliche  Sittlichkeit.  Diese 
verficht  er  mit  all  der  Unduldsamkeit  eines  engherzigen,  beschränkten 
Sittlichkeitsfanatikers.  Wohl  ist  die  Gewalt  seiner  Leidenschaft  und 
seines  Temperaments  imponierend,  aber  sie  verhindert  jede  künst- 
lerische Bändigung  im  Aufbau  wie  im  Ausdruck.  Er  selbst  bekennt: 
„Wenn  ich  als  Ethiker  die  Arme  frei  haben  wollte,  mußte  ich  als 
Künstler  jedem  Widerspruch  aus  dem  Wege  gehen".  Er  zerschlug 
die  Form  des  naturalistischen  Dramas  und  fand  seine  eigene  Form, 
die  fast  Formlosigkeit  ist,  und  die  ihn  ebensosehr  zum  Begründer 
des  expressionistischen  Dramas  macht,  wie  sie  ihn  in  die  Nähe  der 
Romantiker,  insbesondere  Grabbes,  rückt. 

Aus  der  Welt  der  Schauerromantik,  Moritaten  und  Schundromane 
holt  er  seinen  Stofif  und  kleidet  ihn  in  Gegenwartsgewand.  Ohne 
jede  naturalistische  Absicht  der  Einfühlung  will  er  daraus  seine  Er- 
kenntnis abstrahieren,  um  gerade  durch  die  Trivialität  des  Stoffes 
deren  Zeitlosigkeit  zu  erhärten.  Gegenüber  der  Objektivität  des  im- 
pressionistischen Naturalismus  erstrebt  er  bewußt  unbedingte  Subjek- 
tivität. Aber  ebensowenig  wie  er  als  Gegner  alles  Materialistischen 
sich  vom  Materialismus  freimachen  kann,  kann  er  sich  vom  Impressio- 
nismus vollkommen  befreien.  Er  hat  nicht  die  Kraft  der  Entscheidung. 
Lulu  endet  unter  dem  Messer  des  Aufschlitzers,  und  das  Schlußwort 
des  Marquis  von  Keith:  „Das  Leben  ist  eine  Rutschbahn"  ist  schließ- 
lich auch  nichts  anderes  als  ein  Ignorabimus. 

Wie  immer  wieder,  schon  in  „Fritz  Schwigerling  oder  der  Liebes- 
trank", auf  den  Zirkus  Bezug  genommen  wird  —  Wedekind  zog  selbst 
1888  ein  halbes  Jahr  in  einem  Zirkus  umher  — ,  so  stellt  er  auch  immer 
sich  selbst  dar.  Daher  die  Ähnlichkeit  seiner  Dramen ;  Josef  Hofmiller 
hat  schon  recht:  Wedekind  hat  nur  eine  einzige  Walze.  Der  tiefere 
Grund  aber  der  Ähnlichkeit  ist,  daß  sie  keine  Kunstwerke  sind,  die 
als  solche  selbständige  und  unwiederholbare  Individualitäten  darstellen ; 
es  sind  dialogisierte  Erörterungen  seiner  Idee  vom  Rein-Menschlichen, 
die  er  auf  die  beiden  Grundprobleme  reduziert:  Mann  und  Frau,  Mensch 
und  Gesellschaft.  Es  fehlt  der  eigentliche  dramatische  Lebensnerv. 
Die  vorhandenen  Spannungen  sind  solche  stoftlicher  Art,  wie  sie 
Kolportageromane  mit  sich  bringen,  oder  formaler  Art,  wie  sie  der 
Barockkunst  eignen. 

Die  Form  der  Darstellung  ist  die  der  Inkonsequenz,  der  Willkür, 
der  Unterbrechung  des  Kausalnexus.  Darin  liegt  romantische  Ironie, 
die  immer  wieder  die  Illusion  zerreißt.  Wedekinds  Technik  läßt  uns 
auf  ein  Ziel  lossteuern,  um  im  letzten  Augenblick  daneben  zu  landen. 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  Neuromantiker.  329 

Er  bereitet  tragische  Situationen  vor,  um  zum  Schlüsse  durch  einen 
Seitensprung  ins  Komische  umzuschlagen,  wie  etwa  beim  Schluß 
vom  „Kammersänger".  Die  Ironie  der  Wirkung  geht  sogar  oft  noch 
ungewollt  über  Wedekind  selbst  hinaus,  wenn  aus  erstrebtem  Ernst 
Komik  hervorbricht;  er  will  natürlich  sein  und  wirkt  als  Poseur. 

Dennoch  aber  hegt  in  seinen  Stücken,  vor  allem  in  denen  der 
ersten  fünfzehn  Jahre  seines  Schaffens,  eine  seltsam  bannende  Ge- 
walt. In  die  Schauerromantik  zucken  jähe,  grelle  Blitze,  die  bis  ins 
Tiefste  aufreißend  erhellen,  rationalistische  Schulmeisterei  wird  von 
schlagendem,  wortkargem  Dialog  unterbrochen,  die  Marionettenfigu- 
ren seiner  Menschen  zeigen  plötzlich  in  wenigen  Strichen,  die  an 
Gulbransson  erinnern,  eine  überzeugende  Lebensfülle,  die  die  Fratzen 
gespenstisch  aufleuchten  läßt;  über  alle  Flachheiten,  aber  auch 
über  alle  Abgründe  stürmt  jener  allgewaltige  Trieb,  der  alles  Frag- 
mentarische dennoch  wieder  zur  Einheit  zusammenspannt.  Diese 
drängende  Dynamik  reißt  über  alle  Öden  einer  oft  schauderhaften 
Wortgebung  hinweg  und  überzeugt  trotz  allem  Fratzenhaften  von 
dem  sittlichen  Ernst  des  Dichters.  Ja,  dieses  Fratzenhafte,  Mario- 
nettenhafte ist  wiederum  nur  Mittel  zum  Zweck,  um  sein  sittliches 
Erlebnis  zu  grellem  Ausdruck  zu  bringen.  Hier  haben  wir  keine 
abgeklärten,  humorgestalteten  Lustspiele,  sondern  Grotesken,  die  auf- 
gebaut sind  auf  innerlich  erlebten  Wahrheiten,  die  deshalb  auch 
tiefere  Wahrheit  verkünden  als  die  Eindruckskunst  des  Naturalismus. 
Hier  ist  das  Leben  nicht  fein  säuberlich  in  Tragik  und  Komik  ge- 
schieden, beides  ist  ineinander  verflochten,  bedingt  sich  gegenseitig 
wie  Licht  und  Schatten.  So  mag  der  dramatische  Nerv  fehlen,  dafür 
liegt  hier  in  konvulsivischen  Zuckungen  der  Lebensnerv  bloß. 

c)  Neuromantiker. 

Wedekinds  Abstraktion  des  Lebens  ist  zugleich  dessen  Ballung. 
Er  wird  dadurch  richtunggebend,  und  Freyhan,  der  das  „Drama 
der  Gegenwart"  auf  seine  Wesenskräfte  durchprüfte,  hat  ihn  mit  Recht 
„Bahnbrecher  und  Wegbereiter  des  dynamischen  Dramas"  genannt. 
Die  Komödie  hat  von  seinen  beiden  Grundproblemen  in  erster  Linie 
die  Beziehungen  von  Mensch  und  Gesellschaft  weiter  behandelt. 
Doch  wird  die  Weite  des  Kreises  Wedekindscher  Weltschau  wieder 
in  die  Enge  Hartlebens  zurückgeschraubt.  An  Stelle  von  ethisch 
fundierten  Zivilisationsgrotesken  begegnen  wir  ästhetisch  orientierter 
Bürgersatire.  So  gibt  uns  Paul  Apel  (geb.  1872)  in  „Hans  Sonnen- 
stößers Höllenfahrt"  (191 1)  ein  lustiges  Spiel  von  dem  Alpdruck,  den 
das  grammophonspielende,  sentimentale,  neugierige,  taktlose  Spießer- 
tum einem  Menschen  von  Geschmack  verursacht.  Im  Grunde  ist  dies 
der  Standpunkt  von  Kotzebue.  Neu  wirkt  nur  die  Einkleidung  in 
eine  Traumvorstellung,  die  Erkenntnisse  moderner  Traumpsychologie 
erfolgreich  in  komische  Münze  prägt.     Bühnentechnisch  schwächer, 


330     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

aber  dichterisch  stärker  ist  Hermann  Essig  (1878  — 19 18),  der  aus 
dem  naturalistischen  Impressionismus  zu  einer  romantisch-phanta- 
stischen SymboHk  strebt.  Ein  jeanpaulisierender  Humor  erblüht  in 
seinen  Krähwinkeliaden  ,,Die  Weiber  von  Weinsberg"  (1909)  und 
„Die  Glückskuh"  (1910)  aus  der  Kleinheit  alles  Menschlichen  und 
hebt  trotz  des  Gestaltungsmangels  die  Karikatur  zum  Individuellen. 
Die  menschlichen  Zusammenhänge  und  Beziehungen  in  der  Be- 
schränktheit ihrer  Kirchturminteressen,  ihrer  persönlichsten  Wünsche 
ergeben  eine  mit  Beklemmungen  versetzte  Komik,  deren  Wirkung 
in  der  Selbstverständlichkeit  beruht,  mit  der  in  einer  engen,  derb- 
realistisch gezeichneten  Wirklichkeitswelt  Sitte  und  Sittlichkeit  negiert 
werden  zugunsten  der  Befriedigung  eigensüchtiger  Triebe. 

Weg  von  aller  äußeren  Wirklichkeit  führt  Karl  Hauptmann  (1858 
bis  1920).  Ein  beschaulicher  Lächler  baut  er  in  seinen  Menschen 
eine  Gemütswelt  auf,  die  in  dem  jähen  Umschlag  aus  Realistik  in 
Phantastik  an  E.  Th.  A.  Hoffmann  erinnert.  Seine  „Armseligen  Besen- 
binder" (1913)  sind  trotz  ihres  losen  Aufbaues  ein  Märchendrama  — 
der  Märchencharakter  wird  durch  die  Lockerung  der  Handlung  noch 
gestützt  —  von  so  innig  beseelter,  bannender  Kraft  und  Eigenart, 
daß  der  zu  seinen  Ungunsten  immer  wieder  herangezogene  Vergleich 
mit  seinem  Bruder  Gerhart  müßig  erscheint.  Eher  fordert  seine 
Komödie  „Die  Rebhühner"  (1916)  den  Vergleich  heraus,  da  auch  er 
hier,  wie  Gerhart  in  den  ,, Jungfern  vom  Bischofsberg",  an  die  Stätte 
jugendlicher  Brautwerbung  zurückkehrt.  „Doch  bringen  die  »Reb- 
hühner« in  eine  Idylle,  die  etwas  von  der  Stimmung  Jean  Pauls  hat, 
auch  etwas  von  der  Kunst  Jean  Pauls  und  seiner  Gefolgsleute, 
Sonderlinge  mit  grotesken  Zügen  lebensfähig  zu  machen".  (Walzel.) 
Der  Aufbau  ist  weit  lockerer  als  seines  Bruders  Spiel,  so  daß  die 
einzelnen  Akte  mit  den  jeweils  vorangestellten  Personenverzeichnissen 
fast  wie  selbständige  Bilder  anmuten.  Aber  wieder  gelingt  es  dem 
Künstler,  eine  Einheit  des  Stimmungszaubers  zu  erzielen,  der  in 
seiner  schlichten  Eindringlichkeit,  allerdings  mehr  beim  Lesen  als 
bei  der  Aufführung,  gefangennimmt. 

Mit  dem  Schlesier  ist  der  Rheinländer  Herbert  Eulenberg  (geb. 
1876)  verwandt.  Bei  ihm  ist  nichts  mehr,  wie  noch  bei  Hermann 
Essig,  von  Naturalismus  zu  verspüren.  Auch  hat  er  seinen  Kreis  der 
Komik  wieder  erweitert.  Wenn  Essig  bereits  an  Stelle  von  Satire  und 
Karikatur  Komik  in  ihrer  Allgemeingültigkeit  für  die  Kleinbürgerwelt 
aufzeigt,  so  stellt  Eulenberg,  darin  Karl  Hauptmann  näherkommend, 
die  humorischen  Züge  des  Ewigmenschlichen  dar  ohne  Rücksicht  auf 
Klassenbeschränkung.  Gleich  Wedekind  löst  er  die  Komik  nicht  von 
der  Tragik,  sondern  spürt  sie  als  Komponente  alles  menschlichen 
Seins  auf.  Es  ist  daher  auch  schwer,  Tragödien  und  Komödien  bei  ihm 
zu  scheiden;  sie  gehen  ineinander  über  wie  bei  seinem  Vorfahren 
Achim    von    Arnim.     Er   hat    aber    auch    die    Fülle    reich   fließender 


Jüngste  Literaturentwicklung  im   Spiegel  der  Bürgersatire:  Neuromantiker.  33 1 

Phantastik,  krause  Spielerei,  Melancholie,  Übermut,  spitzen  Witz  wie 
Arnims  Weggenosse  Brentano.  Und  endlich  führt  sein  Dichterstamm- 
baum, wie  bei  Hermann  Essig  und  Karl  Hauptmann,  auf  Jean  Paul 
und  E.  Th.  A.  Hoffmann  zurück  in  der  Kontrastierung  und  Durch- 
flechtung  einer  realistisch-rationalistischen  Spießerwelt  und  einer  Welt 
gütig- froher  Laune,  innig -seelenvoller  Stimmung,  kraus  verzerrter 
Phantastik.  Da  in  diesem  Gegensatz  mit  Recht  der  Ausgangspunkt 
Eulenbergscher  Dramatik  erkannt  wurde,  so  ist  diese  daher  ebenfalls 
in  phiHstros  gerichtet.  Aber  während  der  Bohemien  Hartleben  sie 
harmlos  verulkt,  der  eifernde  Zelot  Wedekind  gegen  sie  anspringt, 
der  Ästhet  Apel  über  sie  die  Nase  rümpft,  der  Schwabe  Essig  sie 
als  unveränderlich  hinnimmt,  zeigt  Eulenberg  gleich  Karl  Hauptmann 
auch  die  Schwäche  der  träumenden  Phantasten  auf  der  Gegenseite  auf. 

„Das  grüne  Haus"  bestätigt  das  Urteil  von  der  Leyens:  „Er  sieht 
dem  Philistertum  tiefer  in  die  Seele,  er  weiß,  daß  es  schon  früher 
da  war  und  im  Grunde  nicht  viel  anders  wurde.  Schließlich  weiß 
er:  ein  Geheimnis  seiner  Kraft  ist  die  Schwäche  und  Zerfahrenheit 
seiner  Feinde".  Die  Handlung  ist,  wie  meist  bei  Eulenberg,  naiv  und 
macht,  wie  ebenfalls  öfter  bei  Eulenberg  zu  beobachten,  unbedenklich 
Anleihen  bei  den  Romantikern,  diesmal  bei  Grabbes  barocker  Gro- 
teske. Ein  Weltverbesserer,  Philander  —  halb  Dr.  Steiner,  halb  Jo- 
hannes Müller  — ,  will  in  seiner  Anstalt  Erwachsene  und  Kinder  durch 
und  in  Freiheit  zum  Glücksdasein  erziehen.  Die  Folge  ist  zunächst, 
daß  seinem  nächsten  Freunde  Wendel  die  Frau  mit  einem  seiner 
Lehrer,  Lucian,  durchgeht,  wozu  Philander  als  Freiheits-  und  Glücks- 
apostel seinen  Segen  gibt.  Als  aber  seine  eigene  Frau  von  ihm  geht 
und  der  Vertreter  des  Staates  im  Interesse  einer  Pflichterziehung  seine 
Glücksanstalt  schließt,  da  lernt  er  in  seiner  Verlassenheit  am  eigenen 
Leid  das  des  Freundes  mitfühlen  und  findet  sein  Glück  erst  wieder, 
als  die  Verlorengeglaubte  zu  ihm  zurückkehrt.  Auch  die  Frau  des 
Freundes  kommt  von  ihrer  Extratour,  die  auf  das  Konto  der  Philan- 
derschwärmerei geschrieben  wird,  zu  ihrem  Gatten  zurück,  wobei  noch 
gegenüber  Lucian  das  Charlotte-Stieglitz-Motiv  anklingt,  das  auch  Kyser 
19 15  wieder  einmal  behandelt  hat.  Im  Drama  spukt  noch  ein  rea- 
listisch-phantastischer Lehrer  Moschus,  der  aus  Grabbes  „Scherz, 
Satire,  Ironie"  entsprungen  ist. 

Eulenbergs  früheres  Lustspiel  „Alles  um  Liebe"  (1910)  spiegelt 
die  romantische  Sehnsucht,  die  in  der  Liebe  ihre  Erfüllung  und 
Lebensausfüllung  erstrebt,  und  erinnert  damit  sowohl  an  Brentanos 
„Ponce  de  Leon"  wie  an  Büchners  „Leonce  und  Lena".  Um  die 
Macht  der  Liebe  zu  erweisen,  muß  Adrian  vor  Sehnsucht  nach  der 
verstorbenen  Frau  fast  vergehen,  seiner  Schwägerin  eine  Liebes- 
erklärung machen  und  schließlich  mit  einer  neuen  Braut  in  Selig- 
keit zerschmelzen,  während  sein  Bruder  seine  Frau  zweimal  wie 
Herodes  Mariamne  unter  das  Schwert  seiner  Liebe  stellt.    „Der  natür- 


'^'^2      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

liehe  Vater"  (1907)  klingt  im  Milieu  an  Kotzebues  „Kleinstädter",  je- 
doch in  Schwindscher  Beleuchtung  an,  im  Gefühlsgehalt  wieder  an 
„Ponce  de  Leon".  In  beiden  Lustspielen  huschen,  schleichen,  poltern 
Dienergestalten  in  merkwürdigem  Helldunkel  von  Realistik  und  Phan- 
tastik,  derber  Wirklichkeit  und  lauerndem  Gespenstertum. 

Krauses  Durcheinander  blühender  Erfindung,  die,  grell  kontra- 
stierend, auf  Abstoßendes  Zartes,  auf  Hartes  und  Schroffes  weiche 
Mondscheinlyrik,  auf  Schmutz  Reinheit  folgen  läßt,  zeigt  ein  echt 
romantisches  Dichtergemüt,  das  die  Harfe  inniger  und  drängender 
Sprachkunst  meistert.  Ohne  naturalistische  Wirklichkeit  zu  erstreben, 
gibt  Eulenberg  innere  Impressionen,  die  das  Seelenleben  seiner  Figuren 
versinnlichen.  Die  Unmittelbarkeit  dieses  Bilderreichtums  löst  jeden 
strengen  dramatischen  Bau  auf  und  knüpft  die  Verbindung  allein 
durch  die  Intensität  der  erregten  Stimmungen.  Aber  durch  diese 
emotionelle  Einheit  wirkt  die  Kontrastik  doch  wieder  gedämpft,  die 
Erregtheit  gelöst,  die  Schroffheit  erweicht.  Die  Dissonanzen  sind 
einer  höheren  Gefühlsharmonie  untergeordnet.  Eulenbergs  impressio- 
nistische Seelenkunst  ist  voll  barocker  .Spannungen,  strebt  aber  immer 
wieder  nach  der  emotionellen  Einheit  des  Kunstwerks,  selbst  im 
„Mückentanz"  (1920),  der  voll  wehmütigen  Humors  die  Sehnsüchte, 
Eitelkeiten,  Irrungen  und  Wirrungen  schrulliger  Kleinbürger  in  lockerem 
Bilderreigen  vorführt.  Wiederholt  wurde  beobachtet,  wie  Eulenberg 
mehr  und  mehr  sich  eine  straffe  Handlungsführung  anzueignen  sucht. 
Gelingt  ihm  dies,  ohne  daß  seine  lyrische  Versonnenheit  und  seine 
üppig  quellende  Phantastik  darunter  leiden,  so  haben  wir  von  ihm 
noch  echt  shakespearische  Lustspiele  zu  erwarten. 

d)  Carl  Sternheim, 

Weniger  Verheißung  bietet  Carl  Sternheim  (geb.  1881).  Er  hat 
allerdings  auch  im  Anlauf  mit  seinen  „Komödien  aus  dem  bürger- 
lichen Heldenleben"  eine  höhere  Stufe  erreicht.  Er  bleibt  der  Wirk- 
lichkeit näher  und  hat  doch  impressionistischer  Seelenkunst  ent- 
schiedener den  Rücken  gekehrt.  Er  fühlt  sich  als  Bürgergeißel,  als 
Totengräber  der  Wilhelminischen  Zeit.  In  deren  Auffassung  stimmt 
er  mit  Wedekind,  mit  der  ganzen  Reihe  der  Bürgersatiren  von 
Hauptmann  bis  Eulenberg  überein:  veräußerlichte,  mechanisierte  und 
mammonisierte  Zivilisation  hat  alle  innerliche,  lebendige  Kultur  ertötet. 
Um  diese  zu  neuem  Leben  zu  erwecken,  will  er  jener  den  Garaus 
machen,  und  nichts  tötet  mehr  als  Lächerlichkeit.  Daher  seine 
bürgerlichen  Komödien,  die  den  Tolstoianhänger  Sternheim  zu  einem 
Umwerter  aller  Werte  gleich  Nietzsche  stempeln.  Er  will  mit  dem 
Wahrheitstrieb  der  Russen,  der  Dostojewski  die  Tugend  der  Dirne 
entdecken  ließ,  seiner  Zeit  die  Maske  vom  Gesicht  reißen.  Darin 
gleicht   er   dem   Iren  Bernard  Shaw,    der   ebenfalls   aus  einer  grund- 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  Carl  Sternheim.  '\'\^ 

sätzlichen  Kampfstellung  gegen  sattes  Bürgertum  die  bestehenden 
Überzeugungen  in  ihr  Gegenteil  verkehrt,  der,  lange  bevor  noch  Gott 
wiederholte:  „Am  Weib  ist  jeder  Mann  ein  Schuft"  („Mauserung"), 
bereits  strindbergisch  das  Weib  als  Verfolger  und  den  Mann  als 
Wild  schildert,  der  die  Kinder  von  ihrer  Pietät  gegen  die  Eltern 
freispricht,  der  in  dem  Heldentum  die  Feigheit,  wenn  nicht  die  Dumm- 
heit nachweist. 

Keinesfalls  ist  also  Sternheim  ein  Entdecker  neuer  Ideen,  ja  noch 
nicht  einmal  der  Entdecker  Shaws,  da  dieser  lange  vor  Sternheim 
auf  deutschen  Bühnen  gespielt  wurde  und  auch,  wie  der  unvergleich- 
liche Anfühler  Hermann  Bahr  beweist,  schon  frühzeitig  deutsche 
Produktion  befruchtet  hat.  Aber  er  beutet  das  Entdeckte  syste- 
matischer als  seine  zahlreichen  Vorgänger  aus,  mit  rücksichts- 
loserer Konsequenz,  ohne  jedes  Mitleid.  Das  Gefühl,  aus  dem  her- 
aus er  gestaltet,  ist  kalter  Hohn  und  Ekel,  nicht  frohe  Laune  und 
warmer  Humor,  auch  nicht  jene  innerliche  Erschütterung  aus  seeli- 
scher Anteilnahme,  die  Wedekinds  leidenschaftliche  Ausbrüche  her- 
vorruft. Diese  heiße  Lohe  muß  ja  wohl  auch  bei  ihm  einmal 
emporgeflammt  sein,  aber  jetzt  spüren  wir  davon  nichts  mehr.  Er 
ist  abgeklärt,  er  hat  die  Distanz  gewonnen,  und  nun  gilt  es  ihm  nur, 
dieses  Otterngezücht  von  zivilisierter  Menschheit  zu  vernichten,  indem 
er  seine  Interessengemeinschaft  zur  Stützung  Gott  Mammons  auf- 
weist. Fern  aller  göttlichen  Trunkenheit,  nicht  in  dionysischem  Rausch 
—  in  kühler  Überlegtheit  schreibt  er  seine  comedie  bourgeoise;  kein 
göttlich -heiterer  Humor  beseelt  sie,  der  teuflisch-bissige  Geist,  der 
stets  verneint,  hat  sie  erzeugt. 

„Die  Hose",  „Die  Kassette",  „Bürger  Schippel",  „Der  Snob", 
„Perleberg",  „19 13",  „Der  Kandidat"  bilden  zusammen  den  Zyklus 
„Aus  dem  bürgerhchen  Heldenleben"  (1908 — 1913).  Sternheim  hat 
selbst  im  Vorwort  der  zweiten  Auflage  der  „Hose"  (1918)  seine  Ab- 
sicht kundgegeben,  nicht  als  Ironie  und  Satire,  sondern  als  die  Lehre, 
daß  der  Mensch,  um  keine  Kraft  zu  verlieren,  nicht  auf  überkom- 
menen Rundgesang,  sondern  auf  seinen  frischen  Einzelton  hören 
müsse,  ganz  unbesorgt  darum,  wie  Bürgersinn  seine  manchmal  brutale 
Nuance  nenne.  Diese  positive  Forderung  können  wir  wohl  aus  seinen 
Verneinungskomödien  ziehen,  aber  dargestellt  hat  er  sie  erst  nach 
der  Revolution  in  der  „Marquise  von  Arcis"  und  in  dem  „Entfesselten 
Zeitgenossen"  (1920). 

„Die  Marquise  von  Arcis",  in  der  Frau  von  Pommeraye  aus 
Rache  der  verschmähten  Geliebten  den  Marquis  von  Arcis  in  Liebe 
zu  Henriette  zu  entflammen  versteht,  um  ihm  nach  vollzogener 
Heirat  sein  angetrautes  Weib  als  frühere  Dirne  zu  enthüüen,  endet 
mit  der  Erkenntnis  des  Marquis,  daß  er  „vierzig  Jahre  für  fremden 
Willen  gelebt".  Dann  findet  er  aber  auch  die  Kraft,  fremden  Willen 
aus    seinem    Schicksal    zu    tilgen    und    der    unschuldig -schuldigen 


334      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

Henriette  zu  vergeben.  Das  Stück  endet  mit  der  Losung:  „Neues 
Leben  nun  und  unsere  wirkliche  Haltung!  .  .  .  Gerade  bricht  neuer 
Tag  an!"  Unter  dem  Gewand  der  Morgendämmerung  der  fran- 
zösischen Revolution  ertönen  die  Hoffnungen,  die  Sternheim  auf 
die  Revolution  des  20.  Jahrhunderts  setzt.  Den  gleichen  Ruf  ver- 
nehmen wir  aus  dem  „Entfesselten  Zeitgenossen".  Diplomat,  Publi- 
zist, Politiker,  Tenor,  Professor,  sie  alle  sind  Zeitgenossen,  keine 
selbständigen  Individualitäten,  sondern  abhängig  von  den  Über- 
zeugungen der  Zeit,  die  unter  dem  Schlagwort  Vernunft  Selbst- 
süchte aller  Art  sind.  Nur  Klette  verzichtet  aus  freiem  Willen  auf 
seine  soziale  Stellung,  er  kennt  keine  Gier  nach  Geld,  er  handelt 
ohne  Überlegung,  rein  triebhaft,  uneigennützig.  Ihm  fällt  daher  von 
selbst  jenes  Glück  zu,  das  alle  anderen  erstreben,  und  das  in  der 
Person  der  reichen  Erbin  symbolisiert  ist.  Er  ist  entfesselt  von  der 
zeitgenössischen  Ideologie,  er  ist  Zeitkind,  weil  er  die  Zukunft  birgt. 
In  ihm  ist  erfüllt,  was  Sternheim  in  jenem  Vorwort  fordert:  „Ein- 
maliger unvergleichlicher  Natur  zu  leben,  riet  ich  jedem  Lebendigen, 
damit  keine  Ziffer,  sondern  Schwung  zu  ihrer  Unabhängigkeit  ent- 
schlossener Individuen  Gemeinschaft  bedeute,  mit  dem  aus  der  Nation 
und  der  Menschheit  ein  Ziel  allein  erreichbar  ist". 

So  hat  tatsächlich  Sternheim  unter  dem  Eindruck  unserer  Revo- 
lutionszeit den  Weg  von  der  Verneinung  zu  der  Bejahung  gefunden. 
Aber  künstlerisch  gestaltet  hat  er  diese  ideale  Zielsetzung  nicht.  In 
der  „Marquise  von  Arcis",  deren  Anekdote  er  Schillers  Übersetzung 
aus  Diderots  ,Jacques  le  Fataliste"  entnahm,  hat  er  wenigstens  ge- 
schicktes Theater  gemacht,  aber  „Der  entfesselte  Zeitgenosse"  ist 
nüchterne,  fast  wissenschaftliche  Erörterung  seiner  Idee,  die  sicher- 
lich nicht  dadurch  gewinnt,  daß  er  sentimentale  Züge  aus  dem  Lust- 
spiele des  18.  Jahrhunderts  aufwärmt,  indem  er  die  reiche  Erbin  im 
geheimen  Wohltaten  erweisen  läßt,  die  sie  öffentlich  ableugnen 
möchte.  Seine  künstlerische  Stärke  liegt  in  den  Bürgersatiren:  vor 
allem  im  „Bürger  Schippel",  in  dem  ein  ehrgeiziger  Proletarierbastard, 
gemäß  der  schon  früher  beobachteten  Lockkraft  der  höheren  sozialen 
Schicht,  Einlass  in  die  konventionsgeheiligten  Kreise  des  Bürgertums 
sucht  und  findet,  ja  sogar  in  einem  stolzen  Augenblick  mit  glück- 
lich getroffenem  Brustton  bürgerlicher  Überzeugung  die  vom  Prin- 
zen, als  dem  Vertreter  der  noch  höheren  Klasse,  ungestraft  deflorierte 
Bürgerstochter  als  Ehefrau  ausschlagen  kann;  im  „Snob",  in  dem  der 
Sohn  des  Kleinbürgers  zum  Großindustriellen  wird  und  seine  Eben- 
bürtigkeit mit  dem  Verrat  seiner  Abkunft  bezahlt;  und  schließlich  in 
der  „Kassette",  worin  an  dem  Oberlehrer  Krull  die  Macht  des  Geldes 
gezeigt  wird,  die  die  Erbtante  mit  Hilfe  ihrer  in  der  Kassette  liegen- 
den Papiere  ausübt.  Daß  die  greuliche  Person  bereits  im  dritten  Akte 
die  Enterbung  ohne  Wissen  der  Betroffenen  vollzieht,  macht  den  Tanz 
um  das  goldene  Kalb  um  so  grotesker,  denn  der  wissende  Zuschauer 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  Carl  Steruheim.  335 

sieht,  daß  der  bloße  Schein  des  Geldes  genügt,  um  die  Menschen 
zu  absoluten  Sklaven  zu  machen. 

Doch  welche  anekdotische  Idee  Sternheim  auch  in  den  Mittelpunkt 
seiner  Komödien  stellt,  die  Behandlungsweise  bleibt  stets  die  gleiche. 
Aus  allen  Ständen  und  Schichten  des  Bürgertums  vom  Rentier  bis 
zum  Großindustriellen,  vom  Handwerker  bis  zum  Kopfarbeiter  und 
Beamten,  vom  nach  dem  Bürger  strebenden  Proletarier  bis  zum  über 
den  Bürger  bereits  hinausgestiegenen  Aristokraten:  immer  sind  es 
seelenlose  Puppen,  die  als  Vertreter  ihrer  mechanisierten  Zeit  selbst 
nur  Mechanismen  sind  mit  Strebegier  als  Triebkraft.  Brombacher, 
der  in  seiner  Schrift  ,,Der  deutsche  Bürger  im  Literaturspiegel  von 
Lessing  bis  Sternheim"  (1920)  nur  in  Dithyramben  über  Sternheim  — 
das  wichtigste  und  unumgängliche  Ereignis  in  der  Geistesgeschichte 
des  deutschen  Idealismus!  —  spricht,  schreibt  ebenfalls:  „Alle  Stern- 
heimschen  Gestalten  sind  nicht  naturaHstisch,  sondern  fiktiv.  Sie  sind 
Gattungs Vertreter,  wie  sie  einzelfällig  in  unserer  Wirklichkeit  nicht 
leben  und  insoweit  Marionetten,  deren  Lebendigkeit  ein  künstlich 
konstruierter  Mechanismus  reguliert".  Um  dies  möglichst  zu  verdeut- 
lichen, führt  uns  Sternheim  in  den  verschiedenen  Komödien  denselben 
Typus  in  verschiedenen  Generationen,  in  den  verschiedenen  sozialen 
Schichten  vor,  ohne  daß  sich  sein  Wesen  verändert  hat.  Denn  dies 
Wesen  ist  seine  Wesenlosigkeit.  Fremder  Wille  bestimmt  sein  Schick- 
sal. Ob  er  sich  romantisch  oder  praktisch  gibt,  stets  ist  es  Nach- 
ahmung, Anpassung,  Bestimmung  von  außen  her. 

Nicht  einmal  seine  eigene  individuelle  Sprache  spricht  dieser 
Seelen-  und  wesenlose  Bürger.  Er  berauscht  sich  an  großen  Worten, 
verkrampft  sich  in  Phrasen  und  Schwulst.  Er  ist  eine  GHederpuppe, 
die  auf  Druck  Formeln  herausquietscht,  und  diese  Formeln  entspre- 
chen seinem  sozialen  oder  beruflichen  MiHeu.  Diebold,  der  in  seiner 
„Anarchie  des  Dramas"  Sternheim  in  aller  Schärfe  charakterisiert,  kommt 
schließhch  zu  dem  Endurteil:  „In  sieben  Komödien  im  Zeitraum  von 
1908— 1913  —  den  im  Schaffen  ermattenden  Wedekind  eben  ablösend 
—  hat  Sternheim  das  bürgerliche  Heldenleben  prostituiert.  Allerdings 
mit  der  Unerbittlichkeit  des  völlig  gleichgültigen  Entlar\'ers  und  mit 
der  Schadenfreude  eines  Karikaturisten  von  Th.  Th.  Heines  Grau- 
samkeit. Die  Übertreibung  der  Karikatur  spricht  dem  deutschen  Michel 
beinahe  auch  die  letzte  Möglichkeit  zum  Besserwerden  ab".  Aber  in 
der  Untersuchung  über  die  Demaskierung  der  Sprache  erkennt  Diebold 
auch,  daß  Stemheim  aus  seinem  Haß  gegen  alle  wesenlose  Bürger- 
lichkeit ihrer  Ausdrucksform  keine  individuell  belebte  Sprachform 
entgegenzusetzen  hat,  sondern  daß  er  den  bourgeoisen  Schwulst  mit 
dem  Literaturjargon  tötet. 

Damit  beraubt  er  sich  seiner  Wirkung,  indem  ein  individuell  wir- 
kungsvolles Kunstmittel,  soweit  er  in  seinen  letzten  Komödien  nicht 
überhaupt    darauf  verzichtet,    in   Manieriertheit  erstarrt.    Andrerseits 


336    Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

beweist  aber  schon  seine  Nachfolge,  daß  er  der  Ausdruckskunst  in 
der  sprachlichen  Ausdrucksform  neue  Wege  gewiesen  hat.  Kerr 
irrt,  wenn  er  meint,  Sternheim  habe  einfach  seinen  Telegrammstil, 
den  impressionistischen  Pointillismus  der  Sprache,  von  der  Kritik  ins 
Drama  übertragen.  Das  Neue  von  Sternheims  Sprachbehandlung 
ist  die  Befreiung  von  den  traditionellen  Gesetzen  der  Grammatik 
zugunsten  des  Ausdrucks.  Ohne  Rücksicht  auf  die  übliche  gram- 
matikalisch-syntaktische Wortfolge  wird  das  in  der  Satzbedeutung 
höchstbetonte  Wort  vor  das  schwächer  betonte  gestellt,  weiter  wer- 
den alle  Nebenwörter,  die  wie  Artikel,  Pronomen,  Konjunktionen 
nur  Hilfskonstruktionen  sind,  möglichst  weggelassen,  um  alle  Auf- 
merksamkeit auf  den  Hauptbedeutungsträger  zu  sammeln;  aus  dem 
gleichen  Grunde  werden  auch  Infinitive  und  Partizipien  vor  flek- 
tierten Verbformen  bevorzugt,  da  Flexionsendungen  an  sich  bedeu- 
tungslos sind. 

Die  Bedeutung  dieser  zerhackten,  zufahrenden  Sprechweise  für 
den  Dialog  ist  Verdichtung,  Präzisierung,  Knappheit  und  Rasch- 
heit. Der  Dialog  wird  dadurch  nicht  nur  überaus  bewegt,  durch  die 
Ausschaltung  alles  Nebensächlichen  und  Zufälligen  in  der  Sprachform 
werden  Akzente  hart  neben  Akzente  gesetzt  und  dadurch  wird  deren 
Gegensätzlichkeit  in  ihrer  Spannung  intensiviert.  Da  Sternheim  zu- 
dem ein  gewiegter  Kenner  der  Bühnentechnik  ist,  so  weiß  er  diese 
Dialogspannungen  mit  kluger  Stoffverteilung  zu  Szenenakzenten  hin- 
aufzuschrauben, und  teilweise  gelingt  es  ihm  sogar,  wenigstens  in 
der  „Kassette"  und  im  „Snob",  vor  allem  aber  im  „Bürger  Schippel", 
diese  Teilspannungen  auch  zur  dramatischen  Generalspannung  zu- 
sammenzuballen. Aber  diese  Generalspannung  bleibt  doch  nur  das 
Ergebnis  eines  geschickten  Jonglierens  mit  dem  Stofflichen.  Die  prag- 
matische Spannung  findet  keine  ideale  Entsprechung,  da  das  Gehalt- 
liche, bis  auf  die  beiden  schwachen  letzten  Komödien,  sich  nur  auf 
das  Negative  beschränkt  und  mit  dem  positiven  Pol  auch  die  Mög- 
lichkeit zu  einer  tieferen,  seelischen  Spannung  fehlt.  Diese  scheint 
er  mit  Hilfe  des  Lehrers  Tack  nur  in  „Perleberg"  zu  erstreben,  wie  er 
hier  auch  am  weitesten  sich  vom  Sprachstil  seiner  ersten  Komödien 
entfernt.  Aber  Tack  selbst  wird  darüber  zur  Goldschnittfigur  und  die 
ganze  Handlung  so  durchaus  unsternheimisch  ins  Sentimentale  ge- 
lenkt, daß  es  Sternheim  zum  Schlüsse  anscheinend  selbst  davon 
übel  wird ,  und  er  mit  dem  einzigen  wirklich  guten  Witz  das  Stück 
schließt.  Auch  „Perleberg",  worin  Sternheim  sich  plötzlich  als  Ab- 
kömmling rührseliger  Familiendramatik  des  18.  Jahrhunderts  erweist, 
gibt  schließlich  dasselbe  Resultat:  im  Grunde  sind  Sternheims  Ko- 
mödien alle  pathetische  Possen,  wobei  eine  unbewußte  Komik  darin 
liegt,  daß  der  Possenschreiber  uns  an  seinen  heiligen  Ernst  glau- 
ben machen  möchte  und  der  Pathetiker  sich  als  Feind  alles  Pathe- 
tischen gebärdet. 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  Georg  Kaiser.  337 

e)  Georg  Kaiser. 

Dies  zeigt  sich  auch  in  der  Nachfolge,  die  Sternheim  nun  allenthalben 
findet,  so  daß  eine  richtige  Sternheim-Mode  aufkommt.  Gerade  einer 
der  besten  dieser  Sternheimjünger,  Hanns  J.  Rehfisch  —  weit  bedeu- 
tender als  der  Sternheimverflacher  Theodor  Tagger  — ,  erweist  sich  in 
seiner  „Erziehung  durch  Kolibri"  (192 1)  als  so  geschickter  Possen- 
techniker, daß  wir  seiner  weiteren  Entwicklung  skeptisch  entgegen- 
sehen, obwohl  er  eine  Verheißung  dadurch  bedeutet,  daß  er  sich 
innerlich  bereits  lächelnd  über  Stil  und  Manier  des  Meisters  erhebt. 

Wenn  Sternheim  hauptsächlich  das  Zivilisationsproblem  Wedekinds 
weiterverfolgt,  so  sind  Georg  Kaisers  (geb.  1878)  Komödien  in  erster 
Linie  auf  das  sexuelle  Problem  aufgebaut.  Diebold  nennt  sie  daher 
Fleischkomödien.  Am  stärksten  tritt  dieser  Charakter  zutage  in  der 
„Jüdischen  Witwe"  und  in  „König  Hahnrei"  (1913).  Es  ist  Mode 
geworden,  traditionelle  Charaktere  der  Geschichte,  der  Sage,  des 
Märchens  oder  aber  auch  deren  charakteristische  Ausprägungen  durch 
die  Dichtung  umzudeuten.  Nur  als  Beispiele  seien  Gerhart  Haupt- 
manns „Bogen  des  Odysseus"  und  Eulenbergs  „Münchhausen"  ge- 
nannt. Der  Grund  mag,  bei  Eindruckskünstlern,  eine  Vertiefung 
individueller  seelischer  Erforschung  sein,  er  mag  aber  auch,  bei  Aus- 
druckskünstlern, der  Wille  sein,  die  traditionellen  Gestalten  dem  kos- 
mischen Erleben  einzuordnen,  sie  als  dessen  Exponenten  vorzustellen. 
Mehr  denn  je  —  und  seit  Euripides  ist  diese  Umwertung  traditioneller 
Gestalten  das  Vorrecht  des  Dichters  —  weigern  sich  die  heutigen 
Künstler  gleich  dem  leidenschaftlichen  Büchner,  „vor  den  Parade- 
gäulen und  Eckstehern  der  Geschichte  sich  zu  bücken".  Darin  macht 
sich  die  neue  Lebens-  und  Kunsteinstellung  geltend. 

Um  die  Jahrhundertwende  schwellen  die  Stimmen  an,  die  aus 
Überfluß  und  Ungenügen  am  Bildungsstoff  eine  Abkehr  von  der 
Geschichte  heischen.  Der  Priapismus  ist  das  letzte  Sensationsmittel 
einer  übersättigten  Kultur,  die  aus  ihrer  Übersättigung  heraus  in 
ihr  Gegenteil  triebhafter  Natur  umschlägt.  Das  vitalistische  Prinzip, 
mit  dem  Driesch  die  Natur  durchdringt,  der  elan  vital,  den  Berg- 
son  als  Schwungkraft  alles  Lebens  erkennt,  sie  finden  in  dem  Sexual- 
trieb Wedekinds  ihre  Entsprechung  und  sind  daher  mit  ihm  die 
Herolde  des  Expressionismus,  der  entschlossen  das  Steuer  herum- 
wirft, um  nun  statt  der  erschlaffenden  Überbildung  im  Primitiven, 
Urhaften  Kraft  zu  suchen.  Eines  der  besten  Beispiele  dafür  ist 
Georg  Kaisers  „Europa"  (1920),  worin  er  den  antiken  Zeus-Europa- 
Mythos  umdeutet  als  die  Ablösung  einer  ins  Feminin-Dekadente  zer- 
fallenen Kultur  durch  das  männliche  Prinzip.  Wie  in  Sternheims 
letzten  Komödien  muß  in  Europa  die  Besinnung  auf  das  freie,  un- 
gebundene, selbstentscheidende  Ich  vorangehen,  sie  muß  die  kon- 
ventionellen Überzeugungen   ablehnen,  um  dann  in   der  Vermählung 

Holl,  Lustspiel.  22 


338      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

mit  dem  Stier,  der  ungebrochenen  männlich-göttlichen  Naturkraft,  ein 
neues  Geschlecht  zu  begründen.  Eine  neue  Zeit  bricht  an:  die  nicht 
vom  Weib  geborenen  Kadmosmänner,  die  Söhne  eines  „drachenstarken 
Willens",  vermählen  sich  mit  den  Töchtern  des  alten  Reichs,  dessen 
feminine  Männer  aber  suchen  Ersatz  ihrer  verlorengegangenen  Männ- 
lichkeit durch  die  Verbindung  mit  den  derben,  urkräftigen  Töchtern 
des  Volkes:  auch  hier  der  in  jüngster  Dichtung  überall  wieder  auf- 
lebende Glaube  an  das  Dritte  Reich,  das  mit  Hülfe  von  Weiningers 
Geschlechtskonstruktionen  errichtet  werden  soll. 

Wenn  Dichter  wie  Gerhart  Hauptmann  Eindruckskunst  immer 
mehr  zu  einer  Kunst  der  Seelenergründung  verinnerlichten,  um  in 
höchst  gesteigerter  Reizsamkeit  innere  Seelenstimmungen  in  ihren 
leisesten  Nuancen  aufzufangen,  wenn  der  Kreis  um  Stefan  George 
in  herber  Strenge  die  Kunst  einem  hieratischen  Schönheitskult  weihte, 
um  dem  Ideal  eines  katholisierenden  Griechentums  nachzustreben, 
wenn  die  Wiener  in  müder  Dekadenz  alles  gelten  lassen,  in  einem 
im  Grunde  trostlosen,  auch  das  eigene  Ich  auflösenden  Relativismus, 
so  faßt  die  neue  Generation,  aus  ihrer  Überreizung  heraus  und  als 
Reaktion  dagegen,  unter  stärkster  Ichbetonung  die  Kunst  nur  noch 
als  Ausdruck  des  Eigenlebens.  An  Stelle  des  psychologistischen  Rela- 
tivismus tritt  phänomenologische  Weltanschauung,  die  in  ihrer  Ich- 
betonung wieder  Fäden  zur  Romantik  schhngt.  Nicht  Einfühlung  in 
die  Natur,  sondern  Abstraktion  der  Natur;  nicht  Hingabe  an  die  Natur 
ist  das  Ziel  der  Jungen,  sondern  sie  heischen  Antwort  auf  die  Frage: 
Was  ist  mir  die  Natur,  der  Kosmos?  Das  Ich  setzt  sich  das  Nicht- 
ich. Alles  Nicht-ich  ist  Vision  des  Ichs,  frei  von  jeder  Bindung  an  die 
Sinneswirklichkeit.  Und  diese  Visionen  des  Ichs  überstürzen  sich 
in  atembeklemmender  Hast.  Da  nur  der  Dichter  selbst  Zeuger,  Ge- 
bärer ist,  so  sind  alle  die  dramatischen  Personen  nur  Ausgeburten 
seiner  Phantasie,  Marionetten,  Symbole  seines  kosmischen  Erlebens. 

Wenn  aber  Dichter  wie  Georg  Kaiser  und  vor  ihm  Frank  Wedekind 
als  primäre  Kraft  alles  kosmischen  und  individuellen  Lebens  den 
sexuellen  Trieb  erkennen,  so  gehen  sie  damit  doch  wieder  von  phäno- 
menologischer Weltanschauung  zu  früheren  psychologischen  Erkennt- 
nissen zurück,  wie  sie  in  Freuds  Psychoanalyse  ihren  Ausdruck  fanden. 
Kaisers  Fleischkomödien  sind  psychoanalytisch  orientiert;  so  geschieht 
auch  die  Umdeutung  der  traditionellen  Charaktere  der  Judith  in  der 
„Jüdischen  Witwe"  und  des  König  Marke  in  „König  Hahnrei"  im 
Sinne  Freudscher  Psychoanalyse, 

Frischer  wirkt  „Die  jüdische  Witwe",  weil  hier  der  Charakter  der 
Heldin  in  einfachster  Weise  auf  das  Weibchen  reduziert  wird,  so 
daß  das  Geschehen  auch  ohne  psychoanalytische  Verkrampfung  ver- 
ständlich wird.  Der  Geschlechtstrieb  macht  Weltgeschichte.  Das 
heiße  Blut  des  Kindes  Judith  wird  dem  impotent-lüsternen  Mummel- 
greis Manasse  vermählt;  ihr  Trieb  erwacht  und  bleibt  ohne  Befrie- 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  Georg  Kaiser.  339 

digung.  In  der  schweren  Zeit  der  Belagerung  der  Stadt  durch  Holo- 
fernes,  in  der  Manasse  stirbt,  ist  ihr  ganzes  Sinnen  und  Trachten 
immer  nur  auf  das  Recht  ihres  Weibtums  gerichtet.  Aus  dem  glei- 
chen unbefriedigten  Trieb,  ohne  jede  schwungvolle  Rettungsabsicht, 
geht  sie  ins  Lager  der  Feinde,  nachdem  sie  gehört  hat,  daß  diese 
ohne  Weiber  sind,  und  daß  ihre  Stärke  nur  dem  Wunsch  nach  dem 
Weibe  entspringt.  Der  Kontrast  der  weiblosen  Krieger  und  der 
femininen  Juden  zeigt  ein  Motiv,  das  wir  in  „Europa"  weiter  aus- 
gestaltet sahen.  Im  Lager  reizt  Judith  der  schöne  weichliche  Nebu- 
kadnezar  mehr  als  der  starke,  als  Naturmensch  abergläubische  Holo- 
fernes,  und  um  jenen  zu  erlangen  schlägt  sie  diesem  das  Haupt  ab. 
Dem  Weibchen  gilt  wirkliche  Größe  nichts.  Ihre  Tat  verscheucht  aber 
auch  den  zitternden  Nebukadnezar,  den  sie  damit  gewinnen  wollte. 
Der  letzte  Akt  bringt  den  komischen  Schluß,  daß  das  Weibchen  zur 
Belohnung  für  seine  Tat,  die  ihm  Befriedigung  seiner  Lüste  bringen 
sollte,  als  gottgesandte  Vaterlandsretterin  —  wir  verspüren  hier  einen 
Zug  von  Shaws  Heldenauffassung,  die  auch  ein  treibendes  Motiv  des 
„Geretteten  Alkibiades"  (192 1)  bildet  —  dem  keuschen  Tempeldienst 
geweiht  wird.  Dort  aber  erwartet  sie  der  muskelstarke,  schön  ge- 
wachsene Hohepriester,  dessen  Fußfall  im  Allerheiligsten  von  beson- 
derer Art  sein  wird. 

Das  Drama  ist  überaus  locker  gefügt,  der  Zusammenhalt  ist  nur 
durch  den  Trieb  Judiths  gewährleistet  und  die  Spannung  durch  den 
steten  Kontrast,  der  die  Erwartungen  des  Weibes  immer  wieder  ins 
Gegenteil  verkehrt.  Als  geschickter  dramatischer  Baukünstler  aber 
erweist  sich  Kaiser  darin,  wie  er  Beginn  und  Schluß  glänzend  kon- 
trastiert im  Sinne  des  schon  öfter  beobachteten  komischen  Motivs  der 
Wiederholung  mit  umgekehrten  Vorzeichen :  im  ersten  und  im  letzten 
Akt  wird  Judith  trotz  heftigen  Widerstrebens  durch  ihre  Verwandt- 
schaft in  den  Tempel  geschleift  zur  höheren  Ehre  Gottes,  dort  um 
in  irdischer  Ehe  ihrem  Manne  und  damit  dem  auserwählten  Volke 
Kinder  zu  zeugen,  hier  um  in  himmlischer  Ehe  als  keusche  Jung- 
frau Gott  zu  dienen,  dort  aber  erwartet  sie  ein  impotenter  Greis,  hier 
ein  lendenkräftiger  Priester. 

Viel  ausgeklügelter  ist  „König  Hahnrei".  Die  Figur  des  König 
Marke  aus  der  Tristansage  ist  unter  romantisch-ironischer  Anspielung 
umgedeutet  als  greiser  Träger  des  sexuellen  Triebs.  Wie  in  Stern- 
heims „Kassette"  schon  der  Schein  des  Goldes  genügt,  um  die  gro- 
tesken Zuckungen  der  darum  flatternden  Motten  auszulösen  —  das 
gleiche  Thema  behandelt  auch  Kaisers  neu  aufgearbeitetes  Jugend- 
werk „David  und  Goliath"  — ,  so  genügt  König  Hahnrei  schon  der 
Liebesgenuß  der  ihn  Betrügenden,  um  den  eigenen  Geschlechts- 
trieb in  Wallung  zu  setzen,  ja  in  beiden  Fällen  ist  es  nicht  nur 
ein  Genügen,  es  ist  die  notwendige  Erregung  zur  Entladung  des 
inneren  Triebes.    Wiederum  gewinnt  dadurch  der  Trieb  eine  über- 


340     Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert :  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

individuelle  Bedeutung.  Aber  Kaiser  steigert  die  Macht  des  Triebes 
noch  ins  Ungeahnte,  ins  grauenhaft  Monomanische,  indem  er  ihn 
zum  Selbstzweck  macht.  Aesthetisch  bewirkt  er  damit  eine  Art  tra- 
gischer Ironie,  die  das  Werk  ebensogut  dem  Gebiete  der  Tragödie 
wie  dem  der  Komödie  zuweist.  Über  das  Animalische  hinaus  wirkt 
der  Trieb  bei  dem  senilen  König  rein  durch  die  Assoziationen,  die 
seine  sexuelle  Phantasie  an  den  Verkehr  der  beiden  Liebenden 
knüpft.  Nicht  der  König  hat  den  Trieb,  der  Trieb  treibt  den  König. 
Er  ist  ihm  nur  Qual,  nie  Lust  der  Erfüllung,  um  so  satanischer  ist 
seine  unentrinnbare  Gewalt. 

Das  Stück  hat  nichts  Dramatisches,  und  die  darin  sich  ergießende 
Redseligkeit  mischt  unbeholfen  neuromantisch  stilisierte  Sprachform 
mit  modern  realistischer  Ausdrucksweise.  Die  Akte  sind  fortlaufende 
Monologe  König  Markes,  in  dem  verdrängte  Sinnenlust  zu  zerstören- 
der Sinnenqual  wird.  Ein  brünstig-impotenter  Hamlet,  zu  jeder  selbst- 
gewollten  Tat  unfähig,  entlad  sich  in  haltloser,  selbsttäuschender  und 
selbstenthüllender  Geschwätzigkeit.  Die  greise  Unkraft,  die  vorm 
eigenen  Wissen  zurückschaudert  und  der  doch  das  Wissen  maso- 
chistisch  innere  Triebe  aufpeitscht  und  daher  unentbehrlich  ist,  der 
Kindesumarmung  neue  Erregung  des  Kitzels  bildet,  ist  hier  in  so 
grotesker  Weise  zu  Dämmerleben  erweckt,  daß  jede  tragische  und 
humorische  Gefühlsauswertung  darüber  verlorengeht.  Eine  Seelen- 
studie, die  nur  auf  einen,  und  dazu  halb  verdrängten  Trieb  ein- 
gestellt ist  und  alle  Abschattungen  impressionistischer  Malerei  aus- 
schaltet. 

Traditioneller  wirkt  Kaisers  erste  Komödie  „Rektor  Kleist"  (1905). 
Sie  gibt  auf  den  ersten  Blick  eine  dürftige  Schülerkomödie  aus  den 
Zeiten  von  Holz -Jerschkes  „Traumulus",  Dreyers  „Probekandidat", 
Otto  Ernsts  „Flachsmann  als  Erzieher".  Doch  im  letzten  Akt  erhebt 
sich  ein  Charakter,  erschütternd  in  seiner  kleinen  Menschlichkeit,  zer- 
malmend in  der  Wucht  seines  Weltleids.  Es  fällt  in  diesem  vierten 
Akte  auch  ein  tiefes  Wort,  das  uns,  da  es  lange  vor  des  Dichters 
krimineller  Verirrung  geschrieben,  zu  denken  geben  kann:  „Was 
nützen  uns  Berge  von  Tatsachen,  wenn  wir  das  Verbrechen  nicht 
aus  der  Veranlagung  herzuleiten  wissen!"  Aus  demselben  Akt  fällt 
auch  erhellendes  Licht  auf  die  vorangehenden.  Nicht  Dreyer  und  Ernst 
sind  die  Paten,  schon  in  dieser  Erstlingskomödie  reiht  sich  Kaiser  an 
Wedekind  an,  an  dessen  „Frühlings  Erwachen"  (1891).  Verdrängte 
Sinnlichkeit  wirkt  sich  körperlich  und  seelisch  aus.  Der  höckerige, 
hämorrhoidalleidende  Rektor  Kleist  rodomontiert  mit  seinem  Griechen- 
tum, seinen  Sportstaten  und  fühlt  sich  doch  immer  von  der  unge- 
brochen natürlichen  Jugend  in  all  ihrer  jugendlichen  Rücksichtslosig- 
keit zurückgestoßen,  während  sie  dem  gesunden  Muskelmenschen, 
dem  Turnlehrer  Kornmüller  anhängt.  Aber  wie  bei  der  Katastrophe 
Gesundheit  und  Krankheit  abgewogen  werden,  wie  psychologisches 


Jüngste  Literaturentwicklung  im  Spiegel  der  Bürgersatire:  Georg  Kaiser.  24 ^ 


Verständnis  gefordert  wird  für  den,  der  nicht  als  gerader  Mensch  mit 
glattem  Rücken  in  den  Lebenskampf  geschickt  worden  ist,  zeigt  noch 
nichts  von  Expressionismus,  ist  noch  durchaus  impressionistische 
Seelenergründung. 

Gegenüber  dieser  unreifen  Tragikomödie,  die  mehr  Tragik  als  Komik 
enthält,  wirkt  „Konstantin  Strobel  oder  Der  Zentaur"  possenhaft  mit 
seinen  groben  Bierbankspäßen,  wie  etwa  daß  der  Vater  des  Brautwerbers 
zu  Margarine  vermanscht  worden  sei.  Doch  es  ist  Bürgersatire,  die  in 
Gehalt  und  Form  Sternheim  voraussetzt.  Der  Vorwurf  ist  von  dank- 
barster Komik.  Der  Bureaukrat,  der  stets  korrekt  gesellschaftlicher 
Moral  entsprochen  hat  und  nie  Mensch  war,  verlobt  sich  und  erfährt 
nun,  daß  man  von  ihm  in  absehbarer  Zeit  die  Zeugung  von  Nach- 
kommen erwarte.  Um  vor  dem  eigenen  zweifelnden  Gewissen  den 
Befähigungsnachweis  zu  erbringen,  wählt  er  sich  das  aus  dem  Hause 
seiner  Brauteltern  wegen  unsoliden  Lebenswandels  hinausgeworfene 
Dienstmädchen  als  Versuchskarnickel.  Daß  diese  Alma  bereits  ein 
Kind  erwartet  und  deshalb  zurzeit  wenigstens  ein  ungeeignetes  Objekt 
für  seinen  Zweck  bildet,  ist  eine  jener  von  Kaiser  beHebten  Über- 
steigerungen der  Komik,  die  nur  noch  in  der  Posse  zulässig  sind. 
Sobald  Alma  ihr  Alibaba  zur  Welt  gebracht  und  Konstantin  zum 
Alimentenpapa  erklärt  hat,  ist  natürlich  Braut,  Amt,  Gesellschafts- 
stellung verloren.  Der  Beischläfer  aus  Pflichtgefühl  wird  als  un- 
moralisch ausgestoßen.  Die  Tatsachen,  nicht  die  Motive  sind  für  das 
Gesellschaftsurteil  maßgebend.  Feinere  Behandlung  hätte  hier  eine 
Quelle  tiefster,  mit  Tragik  verschwisterter  Komik  erschlossen:  Weil 
Konstantin  zu  moralisch  ist,  wird  er  unmoralisch,  weil  er  die  Forde- 
rungen der  Gesellschaft  erfüllen  will,  verstößt  er  gegen  sie.  Hier 
könnten  sich  Einblicke  in  die  Sinnlosigkeit  bürgerlicher  Konventions- 
moral auftun,  da  fällt  am  Schlüsse  Kaiser  wieder  in  grobe  Posse,  in- 
dem er  in  poetischer  Gerechtigkeit  Konstantins  anscheinend  bewiesene 
Zeugungskraft,  deren  Nachweis  ihn  ins  Unglück  gestürzt  hat,  ihn 
auch  wieder  zum  Glück  führen  läßt.  Die  MilHonärsmutter  eines  seiner 
früheren  Schüler,  den  seine  Pedanterie  in  den  Tod  getrieben  hat, 
verlobt  sich  mit  ihm,  um  von  ihm  einen  Ersatz  für  das  verlorene 
Kind  zu  erhalten.  Der  sonst  so  kluge  dramatische  Bauherr  konnte 
hier  possenhafte  Sternheimeinfälle  nicht  unterdrücken  und  zerstörte 
damit  die  Wirkung  des  ganzen  Baues. 

Schon  hier  bedient  sich  Kaiser  sternheimscher  Sprachtechnik. 
Noch  mehr  ist  dies  der  Fall  in  „Kanzlist  Krehler"  (1922).  Die  Komödie 
ist  das  Satyrspiel  zu  der  Tragödie  des  Bankkassierers  in  „Von  Morgens 
bis  Mitternachts"  (1912).  Wie  der  Kassierer  erwacht  Kanzlist  Krehler 
plötzlich  aus  einem  jahrzehntelangen  mechanistischen  Schlaf  dasein 
zum  Leben,  dessen  mächtig  auf  ihn  einstürmenden  Eindrücken  und 
Erlebnissen  er  erliegt.  Indem  er  den  fremden  Willen,  gleich  den 
Helden  von  Sternheims  letzten  Komödien,  aus  seinem  Schicksal  tilgen 


342      Neunzehntes  und  zwanzigstes  Jahrhundert:  Vom  Naturalismus  bis  zur  Kunst  der  Gegenwart. 

will,  sucht  er  sich  auch  strindbergisch  von  der  Frau,  die  von  seinem 
Mark  und  Blut  zehrend  zum  Fettklumpen  geworden  ist,  zu  befreien. 
Der  ausgelaugte  Tintenmensch  fühlt  sich  als  Herrschernatur,  als 
Herrenmensch,  der  im  zweiten  Akt  in  symbolkräftigem  Globusspiel 
die  Welt  neu  entdeckt  und  erobert.  Aber  der  Gesamteindruck  ist 
doch  eine  leidenschaftslose  und  Heblose  Auseinandersetzung,  die  über 
der  klugen  Berechnung  das  Dichterische  erstickt.  Ebenso  zeigt  der 
Dialog  grell  zuckende  Blitze,  die  in  tiefste  Wesenheiten  leuchten,  um 
dann  wieder  in  sternheimscher  Manier  zu  erstarren.  Wir  kommen 
über  den  Zwiespalt  nicht  hinweg,  daß  Kaiser  Tiefmenschliches,  über- 
individuell Wahres  geben  will,  also  Zwangsläufiges,  Notwendiges  — 
und  immer  wieder  Possenhaftes,  Zufälliges,  äußerlich  und  innerlich 
Unwahrscheinliches  vorbringt. 


Schluß:  Ausblicke.  343 


SCHLUSS. 

AUSBLICKE. 

Bis  jetzt  hat  uns  die  Ausdruckskunst  noch  kein  vollendetes  humor- 
gestaltetes Lustspiel  geschenkt.  Ansätze  sind  reichlich  vorhanden. 
Die  neue  Weltanschauung  unseres  20.  Jahrhunderts,  die,  ob  sie  nun 
vitalistisch  oder  phänomenologisch  gerichtet  ist,  zu  einem  neuen  Idea- 
lismus hinführt,  bringt  eine  Lebensauffassung,  die  unter  die  Oberfläche 
der  Dinge  zu  dem  Schöße  der  Mütter  vordringen  möchte.  Dort  aber 
liegen  die  gemeinsamen  Wurzeln  von  Komik  und  Tragik.  Die  Ko- 
mödien wie  Tragödien  jüngster  Kunst  zeigen  daher  auch  immer  wieder, 
wie  einst  Shakespeare,  die  Verflechtung  beider  Grundformen  aller 
Dramatik.  Aber  die  Läuterung  zu  dramatischer  Humorgestaltung 
vermissen  wir  noch.  Die  ekstatische  Leidenschaft  ist  ebensowenig 
wie  die  lieblose  Kritik  eine  Quelle  reinen  und  warmen  Humorgefühls. 
Gemütvoller  Humor  steht  überlegen  der  Welt  und  ihren  Erscheinungen 
gegenüber,  ohne  deshalb  ihre  Realität  verneinen  zu  wollen;  er  umfaßt 
sie  in  liebendem  Verständnis  für  ihre  Naturnotwendigkeit  und  Natur- 
gebundenheit. Sein  Formwille  ist  bestimmt  durch  jene  shakespearische 
allumfassende  Liebe  zur  Natur,  worin  die  Menschen  einbezogen  sind, 
die  auch  dem  Schrullenhaften,  Gewohnheitswidrigen,  Ungesetzlichen 
Daseinsberechtigung  zugesteht,  die  die  Macht  der  natürlichen  Triebe 
und  Leidenschaften  sowohl  in  ihrer  Gefahr  als  auch  ihrer  Unentrinnbar- 
keit versteht.  Diese  Liebe  gibt  das  einigende  Band,  das  alles  zum  Ganzen 
zusammenfaßt  und  nicht  die  Einzelerscheinungen  ironisch  zerpflückt. 

Warum  glückt  es  deutschen  Dichtern  nur  in  seltensten  Fällen, 
kunstvollendete  Lustspiele  zu  gestalten?  Die  Antwort  scheint  mir  in 
dem  Wesen  des  deutschen  Lustspiels  selbst  zu  liegen.  Seine  Ur- 
kraft,  der  gemütvolle  Humor  ist  als  solcher  stark  gefühlsbetont.  Unser 
deutsches  Lustspiel  hat  daher  lyrische  Färbung.  Wo  diese  warme 
Gefühlsstimmung  vermißt  wird,  bleiben  wir  kalt;  das  Werk  spricht 
an  unseren  Intellekt  und  kann  diesen  vollkommen  befriedigen,  aber 
unser  Herz  bleibt  unberührt.  xA.ndrerseits  ist  das  Lyrische  in  seinem 
weichen,  fließenden  Charakter  dem  knappen,  zielsicheren  Wesen  des 
Dramatischen  stets  gefährlich.  Es  löst  dessen  Form  leicht  auf  und 
vernichtet  dadurch  die  zu  erwartende  dramatische  Wirkung.  Gerade 
die  deutschen  Lustspieldichter,  die  nicht  Possen  oder  Satiren  schreiben, 
erreichen  daher  selten  die  überaus  geschickte,  bis  in  jede  Einzelheit 
klug  berechnete  Technik  der  Franzosen.  Und  wiederum  beobachten 
wir,  daß,  wenn  sie  sich  deren  technische  Formkunst  zum  Ziele  setzen, 
sie  allzu  leicht  das  dem  Deutschen  notwendige  Element  gefühls- 
betonten Humors  beeinträchtigen.  Bühnensichere  Lustspiele  sind 
daher  in  Deutschland,  wo  es  ihnen  von  jeher   an  dem   schon  von 


^44  Schluß :  Ausblicke. 


Goethe  als  notwendig  erachteten  gesellschaftUchen  Nährboden  fehlte, 
immer  dann  am  ehesten  entstanden,  wenn  das  französisch -rationali- 
stische Muster  maßgebend  war,  wobei  dieses  Muster  natürlich  auch 
durch  das  französierte  englische  Lustspiel  gegeben  sein  konnte.  Humor- 
kräftige Lustspiele  dagegen  erlebten  wir  dann,  wenn  der  charakteristisch 
deutsche  formdämpfende  und  formlösende  Stilwille  stärker  im  Vorder- 
grund stand.  Zwei  Bahnen  der  Lustspielproduktion  tun  sich  damit 
auf:  die  eine  ist  beherrscht  durch  Moliere,  die  andere  durch  Shakespeare. 

Die  Fülle  poetischer  Phantasiekunst,  die  uns  in  shakespearischen 
Komödien  erwärmt,  ist  lyrischen  Geblüts.  Shakespeare  weiß  solche 
lyrischen  Stimmungsszenen  geschickt  einzuführen,  unsere  Gefühls- 
erregung allmählich  zu  steigern  und  Hochspannungen  wieder  sanft 
abebben  zu  lassen.  Typisch  dafür  ist  nach  der  bis  zu  tragischer 
Wucht  gesteigerten  Leidenschaftlichkeit  der  Urteilsszene  im  „Kauf- 
mann von  Venedig"  der  Eingang  des  fünften  Aktes,  jene  Mondschein- 
sonate lyrischen  Gefühlsausdrucks.  Um  dieses  Stimmungselement 
noch  in  seiner  Wirksamkeit  zu  erhöhen,  ruft  der  Dichter  auch  noch 
die  Schwesterkunst  der  Lyrik  zu  Hilfe:  „the  sweet  power  of  music". 

Diese  Einbeziehung  der  Musik  in  das  Drama  ist  gerade  für  unser 
lyrisch  gefärbtes  Humorlustspiel  von  größter  Bedeutung.  Denn  damit 
ist  ein  Mittel  gegeben,  um  der  lyrischen  Formauflösung  der  dramati- 
schen Struktur  entgegenzuarbeiten.  Das  Musikalische  faßt  die  lyri- 
schen Stimmungselemente  zu  einer  höheren  Einheit  zusammen.  Dadurch 
werden  die  Schwierigkeiten  dramatischer  Humorgestaltung,  die  bereits 
Goethe  in  der  Formlosigkeit  des  Humors  erkannte,  überwunden.  Wir 
dürfen  daraus  den  gleichen  Schluß  ziehen,  zu  dem  Hermann  Hettner 
aus  anderen  Gründen  schon  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts 
kam:  Unser  deutsches  Humorlustspiel  drängt  nach  Musik,  Der  Beweis 
ist  seit  Jahrzehnten  dadurch  gegeben,  daß  unser  größtes  und  tiefstes 
Lustspiel  uns  von  dem  Tondichter  geschenkt  ist:  „Die  Meistersinger". 

Und  doch  ist  auch  diese  Wertung  letzterdings  nur  relativ.  Im 
Wesenhaften  bleiben  Lyrik  und  Musik  Behelfsmittel  des  Dramatischen. 
Die  absolut  große  dramatische  Komödie  muß  auf  sich  selbst  gründen. 
Die  Frage  ist,  ob  wir  Deutsche  nach  unsrer  geistigen  und  seelischen 
Eigenart  eine  solche  schaffen  können.  Bis  jetzt  scheint  unser  wurzel- 
hafter Individualismus  dagegen  zu  sprechen.  Auch  das  Genie,  das  bei 
uns  kraft  seines  Deutschtums  stets  zu  grüblerischer  Vereinsamung 
neigt,  kann  nicht  über  den  Mangel  jener  von  Goethe  geforderten  ge- 
sellschaftlichen Kultur  hinweghelfen.  Ohne  diese  ist  aber  eine  wahr- 
haft große  Komödie  unmöglich.  Viele  Zeichen  deuten  darauf,  daß  unser 
Schwäche  und  Stärke  bergendes  Volkserbe  der  Vereinzelung  einem 
Willen  zur  Gemeinschaft  weichen  möchte.  Finden  wir  den  Weg  dazu, 
dann  mag  auch  uns  ein  Lustspiel  geboren  werden,  das,  weder  Moliere 
noch  Shakespeare  verschuldet,  aus  deutschen  Eigenquellen  Breite  und 
Tiefe,  Kraft  und  Zartheit,  Gesinnung  und  Formung  schöpft. 


I 


BIBLIOGRAPHISCHE  NACHWEISE. 
I.  ALLGEMEINES. 

nnerhalb  des  Darstellungstextes  habe  ich  bereits  Hauptwerke,  durch  die  ich  Förderung  fand, 
, angeführt.  Sie  sind  unter  den  Autorennamen  im  Register  zu  finden.  Hier  soll  noch  auf 
weitere  Werke  hingewiesen  werden,  ohne  daß  ich  es  aber  für  notwendig  hielte,  die  biblio- 
graphischen Nachweise  von  Goedekes,  Bartels'  und  Rieh.  M.  Meyers  Grundrissen,  noch  von 
Vogt  und  Kochs  und  von  Scherer-Walzels  Literaturgeschichten  in  ihrer  breiteren  Ausführlichkeit 
zu  wiederholen.  Eine  unbekanntere  Bibliographie  für  das  komische  Drama  des  Mittelalters, 
die  über  Creizenachs  wertvolle  Angaben  hinausgeht,  ist  enthalten  in  der  im  Texte  erwähnten 
Abhandlung  von  M.  G.Rudwin  „The  Origin  of  the  German  Carnival  Comedy",  G.  E.  Stechert&Co., 
1920.  Im  übrigen  bringt  aber  Creizenachs  bewunderungswürdige  „Geschichte  des  neueren 
Dramas"  gerade  für  das  Mittelalter  alles  Wissenswerte  über  Ausgaben  und  Forschung.  Für 
die  Jahre  seit  1914  geben  Georg  Baesecke,  Deutsche  Philologie,  und  Paul  Merk  er.  Neuere 
deutsche  Literaturgeschichte  (Wissenschaftliche  Forschungsberichte  Bd.  3  und  8,  F.  A.  Perthes) 
zuverlässige  Zusammenstellungen  aller  wichtigen  Neuerscheinungen. 

Eine  ausführliche  Darstellung  der  Geschichte  des  deutschen  Lustspiels  ist  seit  Kneschke 
(Das  deutsche  Lustspiel  in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Kritische  Beiträge  zur  Literatur- 
geschichte unseres  Volkes  von  Dr.  Emil  Kneschke.  Leipzig,  Verlag  von  Veit  &  Comp.,  1861) 
nicht  gegeben  worden.  Kneschke  versagt  für  die  Zeit  vor  Lessing  vollkommen,  von  da  ab, 
namentlich  für  das  19.  Jahrhundert,  ist  er  seines  reichen  Materials  wegen  heute  noch  wertvoll. 
Ein  Jahr  später,  1862,  ließ  Mähly  bei  J.J.Weber  in  Leipzig  Vorlesungen  über  „Wesen  und 
Geschichte  des  Lustspiels"  erscheinen,  die  nach  einer  Einleitung  Abrisse  über  das  Lustspiel 
der  Griechen,  Römer,  Italiener,  Spanier,  Franzosen,  Engländer,  Dänen  und  auf  zwölf  Seiten 
über  das  deutsche  Lustspiel  folgen  lassen,  heute  aber  längst  überholt  sind. 

Für  systematische  Abhandlungen  über  Komik,  Humor  und  Komödie  seien  hervorgehoben : 
Komik  und  Humor.  Eine  psychologisch-ästhetische  Untersuchung  von  Theodor  Lipps.  Beiträge 
zur  Ästhetik,  herausgegeben  von  Theodor  Lipps  und  Richard  Maria  Werner,  VI,  1898,  und 
System  der  Ästhetik  von  Johannes  Volkelt,  3  Bde.,  1914.  Von  älteren  Arbeiten  sei  erwähnt 
A.  W.  Bohtz,  Über  das  Komische  und  die  Komödie,    1844. 

Schließlich  sind  noch  unentbehrlich  für  jede  Orientierung  auf  dem  weiten  Felde  des 
Komischen  die  Darstellungen  Flögeis,  die  teilweise  von  Ebeling  weitergeführt  wurden :  Geschichte 
der  Komischen  Literatur,  Geschichte  des  Grotesk-Komischen,  Geschichte  des  Burlesken.  Für 
Fragen  der  Form  und  des  Stils  sei  auf  die  einschlägigen  Forschungen  Walzels  hingewiesen, 
die  teilweise  gesammelt  vorliegen  in  „Vom  Geistesleben  alter  und  neuer  Zeit",  Leipzig  1922. 

IL  NACHWEISE  ZU  DEN  EINZELNEN  KAPITELN. 

A.  MITTELALTER:  Creizenach  a.a.O.,  Bd.  L 
I.  ALTERTUM  UND  MITTELALTER:  Hermann  Reich,  Der  Mimus.  Ein  literarisch- 
entwicklungsgeschichtlicher  Versuch,  Berlin  1903;  P.  v.  Winterfeld,  Deutsche  Dichter 
des  lateinischen  Mittelalters  in  deutschen  Versen,  hrsg.  von  H.  Reich,  München  1916; 
Hrotsviths  Werke,  hrsg.  von  P.  v.  Winterfeld  1902,  K.Strecker  1906;  Übersetzungen  von 
J.  Bendixen   1850 — 53  und  von  O.  Piltz  (Reclam). 


■7a()  Bibliographische  Nachweise. 


n.  GEISTLICHE  KOMÖDIEN:  R.Froning,  Das  Drama  des  Mittelalters,  Kürschners  D.Nat. 
Lit.  14,  I — III;  K.  F.  Kummer,  Erlauer  Spiele,  Wien  1882;  K.  Lange,  Die  lateinischen 
Osterfeiern,  München  1887;  L.  Wirth,  Die  Oster-  und  Passionsspiele  bis  zum  16.  Jahr- 
hundert, Halle  1889;  F.  J.  Mone,  Altdeutsche  Schauspiele  1841,  Schauspiele  des  Mittel- 
alters 1846;  A.  Pichler,  Über  das  Drama  des  Mittelalters  in  Tirol,  Innsbruck  1850; 
K.  Weinhold,  "Weihnachtsspiele  und  Lieder  aus  Süddeutschland  und  Schlesien  1853; 
J.  E.  Wackernell,  Altdeutsche  Passionsspiele  in  Tirol,  Graz  1897;  für  Einzelausgaben  sei 
auf  die  bibliographischen  Nachweise  in  Pauls  Grundriß,  in  Vogt  und  Kochs  und  in 
Scherers  Literaturgeschichten  hingewiesen;  Fritz  Hammes,  Das  Zwischenspiel  im  deutschen 
Drama  von  seinen  Anfängen  bis  auf  Gottsched,  Lit.-hist.  Forschungen,  hrsg.  von  Schick 
und  von  Waldberg  45,  Berlin  19 12. 

III.  WELTLICHE  KOMÖDIEN:  Adalbert  von  Keller,  Fastnachtspiele  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert, Bibl.  d.  literar.  Vereins  in  Stuttgart  28—30,  1853;  Nachlese  Bd.  46,  1858; 
F.  Schnorr  von  Carolsfeld,  Vier  ungedruckte  Fastnachtspiele  des  15.  Jahrhunderts,  Archiv 
f.  Lit.- Geschichte  III,  1874;  Oswald  Zingerle,  Die  Sterzinger  Spiele.  Nach  Aufzeichnungen 
des  Vigil  Raber,  Wiener  Neudrucke  9  und  11,  1886;  W.  Seelmann,  Mittelniederdeutsche 
Fastnachtspiele,  Drucke  des  Vereins  f.  ndd.  Sprachforschung  I,  1885;  Wehrmann  und 
Walther,  Lübecker  Fastnachtspiele,  Niederdeutsches  Jahrbuch  6,  1880;  Brandstetter, 
Luzerner  Fastnacbtspiele,  Zs.  f.  d.  Philologie,  Bd.  17;  H.  S.  Rehm,  Das  Buch  der 
Marionetten ,  Berlin  o.  J. ;  Rudwin  a.  a.  O. ;  K.  Gusinde,  Neidhart  mit  dem  Veilchen, 
Germ.  Abhdlg.  27,  Breslau  1899;  S.  Singer,  Neidhart-Studien,  Tübingen  1920;  L.  Lier, 
Zur  Geschichte  der  Nürnberger  Fastnachtspiele,  Diss.  Leipzig  1880;  Victor  Michels, 
Studien   über  die   ältesten  deutschen  Fastnachtspiele,  Quellen   und  Forschungen  57,  1896. 

IV.  DAS  KOMISCHE  THEATER:  R.  Heinzel,  Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama, 
Sitz.-Ber.  d.  Wiener  Akademie,  phil.-hist.  Klasse  134,  1896,  und  Beschreibung  des  geist- 
lichen Schauspiels  im  deutschen  Mittelalter,  Beiträge  zur  Ästhetik,  hrsg.  von  Th.  Lipps  und 
R.  M,  Werner  IV,  1898;  Th.  Hampe,  Die  Entwicklung  des  Theaterwesens  in  Nürnberg  von 
der  2.  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  bis  1806,  Nürnberg  1900;  E.  K.  Chambers,  The  mediaeval 
stage,  2  Bde.,  Oxford  1903;  G.  Cohen,  Geschichte  der  Inszenierung  im  geistlichen  Schauspiele 
des  Mittelalters  in  Frankreich,  übers,  von  C.  Bauer,  Leipzig  1907;  Max  Herrmann,  For- 
schungen zur  deutschen  Theatergeschichte  des  Mittelalters  und  der  Renaissance,  Berlin  1914. 

B.  SECHZEHNTES  JAHRHUNDERT:  Creizenach  Bd.  II;  K.  Burdach,  Vom  Mittel- 
alter zur  Reformation.  Forschungen  z.  Gesch.  d.  d.  Bildung,  Berlin  191 2  ff. 

I.  HUMANISTENKOMÖDIE:  M.  Herrmann,  Albrecht  von  Eyb,  BerUn  1893;  Die  Re- 
zeption des  Humanismus  in  Nürnberg,  Berlin  1898;  H.  W.  Mangold,  Die  ältesten  Bühnen- 
verdeutschungen des  Terenz,  Halle  191 2;  H.  Holstein,  Reuchlins  Komödien,  Halle  1888; 
Henno,  lateinisch  von  J.  Reuchlin,  deutsch  von  H.  Sachs,  hrsg.  von  K.  Preisendanz  mit 
Nachwort  von  K.  Holl,  Konstanz  1922;  H.  Holstein,  Die  Reformation  im  Spiegelbilde 
der  dramatischen  Literatur,  Halle  1886;  R.  Froning,  Das  Drama  der  Reformationszeit, 
K.  D.  N.  L.,  Bd.  22 ;  Nicodemus  Frischlins  Deutsche  Dichtungen,  hrsg.  von  D.  F.  Strauß, 
Lit.  Ver.  in  Stuttgart,  Bd.  41,  1857;  Frau  Wendeigard,  hrsg.  von  P.  Rothweiler,  Ell- 
wangen 191 2;  Julius  redivivus,  hrsg.  von  W.  Janell  mit  W.  Hauff  und  G.  Roethe,  Lat. 
Lit.-Denkmäler  d.  15.  u.  16.  Jhs.,  Bd.  19,  Berlin  1914;  J.  Minor,  Einleitung  zu  HoUonius, 
Speculum  vitae  humanae,  Neudr.  d.  Litt.  Werke  d.  16.  u.  17.  Jhs.,  Nr.  79/80,  Halle  1S89; 
Erich  Schmidt,  Comödien  vom  Studentenleben,  Leipzig  1S80;  Expeditus  Schmidt,  Die 
Bühnen  Verhältnisse  des  deutschen  Schuldramas  im  16.  Jahrhundert,  Berlin  1903;  J.  Bolte, 
Die  Bühnenverhältnissc  zur  Zeit  Wickrams,  in  Ausgabe  Wickrams  Lit.  Ver.  in  Stuttgart, 
Bd.  236,  Tübingen  1903. 


Bibliographische  Nachweise.  347 


II.  DAS  VOLKSTÜMLICHE  DRAMA:  Schauspiele  aus  dem  i6.  Jahrhundert,  hrsg.  von 
J.  Tittmann,  Leipzig  1868;  Schweizerische  Schauspiele  des  16.  Jahrhunderts,  hrsg.  voa 
J.  Bächtold,  Zürich  1890 — 93;  Ausgabe  der  Werke  des  Hans  Sachs  von  A.  von  Keller 
und  E.  Goetze  in  Lit.  Ver.  in  Stuttgart,  1870 — 1908;  Sämtliche  Fastnachtspiele,  hrsg. 
von  E.  Goetze  in  Braunes  Ndr.,  Halle  1880 — 87;  M.  Herrmann,  Forschungen  zur 
Theatergeschichte;  A.  Köster,  Die  Meistersingerbühne  des  16.  Jahrhunderts,  Halle  1920; 
Th.  Hampe,  Entwicklung  des  Theaterwesens  in  Nürnberg,  Nürnberg  1900. 

C  SIEBZEHNTES  JAHRHUNDERT:    Gundolf,    Shakespeare   u.  d.   deutsche  Geist. 

I.  ENGLISCHE  KOMÖDIANTEN:  Ausgabe  der  Schauspiele  der  Englischen  Komödianten 
von  J.  Tittmann,  Leipzig  1880,  von  W.  Creizenach,  K.  D.  N.  L.,  Bd.  23;  Carl  H.  Kaulfuß- 
Diesch,  Die  Inszenierung  des  deutschen  Dramas  an  der  Wende  des  16.  u.  17.  Jahrhunderts, 
1905;  Werner  Richter,  Liebeskampf  1630  und  Schaubühne  1670,  Palaestra,  Berlin  1910. 

IL  JACOB  AYRER  UND  HEINRICH  JULIUS  VON  BRAUNSCHWEIG: 
Jacob  Ayrer,  hrsg.  von  A.  v.  Keller,  Lit.  Ver.  in  Stuttgart  76  —  80,  1865;  J.  G.  Robertson, 
Zur  Kritik  Jacob  Ayrers  mit  bes.  Rücksicht  auf  sein  Verhältnis  zu  Hans  Sachs  u.  d. 
englischen  Komödianten,  Diss.  Leipzig  1892;  W.  Wodick,  Jacob  Ayrers  Dramen  in 
ihrem  Verhältnis  z.  einheimischen  Literatur  u.  z.  Schauspiel  der  englischen  Komödianten, 
Halle  191 2;  Die  Schauspiele  des  Herzogs  Heinrich  Julius  von  Braunschweig,  hrsg.  von 
W.  L.  Holland,  Lit.  Ver.  in  Stuttgart  36,  1855;  J.  Tittmann,  Die  Schauspiele  des  Herzogs 
Heinrich  Julius  von  Braunschweig,  in  ,, Deutsche  Dichter  des  16.  Jahrhunderts",  Leipzig  1880; 
H.  Grimm,  Das  Theater  des  Herzogs  Julius  von  Braunschweig,  in  „Fünfzehn  Essays", 
N.  F.,  Hannover  1859. 

IIL  ZWISCHENSPIELE  UND  PUPPENSPIELE:  Hammes  a.  a.  O. ;  Auswahl  der  Werke 
von  Joh.  Rist  in  ,, Deutsche  Dichter  des  17.  Jahrhunderts",  hrsg.  von  Goedeke  und  Tittmann 
und  in  Braunes  Neudrucken;  Th.  Gaedertz  und  Joh.  Bolte,  Rist  als  niederdeutscher 
Dramatiker,  Jahrb.  d.  Ver.  f.  ndd.  Sprachforschung,  Bd.  7  und  1 1 ;   H.  S.  Rehm  a.  a.  O. 

IV.  ANDREAS  GRYPHIUS:  Sämüiche  Werke,  hrsg.  von  H.Palm  in  Lit.  Ver.  in  Stutt- 
gart 138,  162,  171,  1878,  1884;  Auswahl  mit  Biographie  von  O.  Wamatsch,  Glogau  1916; 
W.  Harring,  A.  Gryphius  und  das  Drama  der  Jesuiten,  Halle  1908;  R.  A.  Kollewijn, 
Über  den  Einfluß  d.  holl.  Dramas  auf  Gryphius,  Heilbronn  1887;  A.  Lowack,  Die  Mundart 
im  hochdeutschen  Drama,  Breslau  1905;  W.  Flemming,  A.  Gryphius  und  die  Bühne,  1921. 

V,  CHRISTIAN  WEISE  UND  CHRISTIAN  REUTER:  Bauernkomödie  von  Tobias  und 
der  Schwalbe,  hrsg.  von  R.  Genee,  Bibliothek  deutscher  Kuriosa,  Bd.  5,  Berlin  1882; 
Bäurischer  Machiavell  und  Böse  Katharina,  hrsg.  von  L.  Fulda,  K.  D.  N.  L.  39 ;  Masaniello, 
hrsg.  von  R.  Petsch,  Braunes  Neudr.  216;  W.  Richter  a.  a.  O. ;  K.  Levinstein,  Weise 
und  Moliere,  Diss.  Berlin  1899;  K.  Heine,  Das  Schauspiel  der  deutschen  Wanderbühne 
vor  Gottsched,  HaUe  1889;  A.  Eloesser,  Die  älteste  deutsche  Übersetzung  Moli^rescher 
Lustspiele,  Berlin  1893;  Christian  Reuters  Werke,  hrsg.  von  G.  Witkowski,  Leipzig  1916; 
Ausgabe  der  Lust-  und  Singspiele  von  G.  Ellinger,  Braunes  Neudr.  90/1;  Fr.  Zarncke  über 
Chr.  Reuter   in  Abh.  u.  Bericht  d.  Sachs.  Akademie  1884—89;   Kaulfuß-Diesch  a.  a.  O. 

D.  ACHTZEHNTES  JAHRHUNDERT: 

I.  SÄCHSISCHE  KOMÖDIE:  Creizenach,  Zur  Entstehungsgeschichte  des  neueren  deutschen 
Lustspiels,  Halle  1879;  G. Witkowski,  Geschichte  des  literar.  Lebens  in  Leipzig,  Leipzig  1909. 

I.  Hanswursttheater:  K.  Reuling,  Die  komische  Figur  in  den  wichtigsten  deutschen 
Dramen  bis  zum  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  Stuttgart  1890;  O.  Driesen,  Der  Ursprung 
des  Harlekin,  Forsch,  z.  n.  Lit.-Gesch.,  hrsg.  von  F.  Muncker  25,  1904;  K.  Heine  a.  a.  O. 


-i^g  Bibliographische  Nachweise. 


2.  Gottsched:  P.  Floßmann,  Picander  (Chr.  F.  Henrici),  Diss.  Leipzig,  1899;  F.  J. 
von  Reden-Esbeck,  Karoline  Neuber  und  ihre  Zeitgenossen,  Leipzig  1881;  K.  Holl, 
Zur  Geschichte  der  Lustspieltheorie  von  Aristoteles  bis  Gottsched,  Lit.-hist.  Forsch, 
hrsg.  von  Schick  und  von  Waldberg  44,  191 1;  G.  Waniek,  Gottsched  u.  d.  d.  Literatur 
seiner  Zeit,  Leipzig  1897;  E.  Wolff,  Gottscheds  Stellung  im  deutschen  Bildungsleben, 
Kiel  1895  —  97;  Gottscheds  Gesammelte  Schriften,  hrsg.  von  E.  Rcichel,  Berlin  1910  ff.; 
J.  N.  Beam,  Die  ersten  deutschen  Übersetzungen  englischer  Lustspiele  im  18.  Jahr- 
hundert, Theatergesch.  Forsch.,  hrsg.  von  Litzmann  20,  1906;  V.  Golubew,  Marivaux' 
Lustspiele  in  deutschen  Übersetzungen  d.  18.  Jahrhunderts,  Heidelberg  1904;  Rob. 
Prutz,  Ludwig  Holberg,  sein  Leben  und  seine  Schriften.  1857;  ders.,  Übersetzung  von  H.'s 
Komödien,  2  Bde.,  Bibliogr.  Inst.;  G.  Brandes,  L.  H.  und  seine  Zeitgenossen,  Berlin  1885; 
O.  J.  Campbell,  The  comedies  of  Holberg,  Cambridge  1914;  P.  Schienther,  Frau  Gottsched 
u.  d.bürgerl.  Komödie,  Berlin  1886;  Die  Lustspiele  der  Frau  Gottsched,  hrsg.vonR.  Buchwald 
und  A.  Köster,  2  Bde.,  Leipzig  1908 ;  „Bookesbeutel",  hrsg.  von  Ferd.  Heitmüller,  Deutsche 
Lit.-Denkm.  56';  W.  Wittekindt,  J.  Chr.  Krüger,  sein  Leben  und  seine  Werke,  Berlin  1898. 

3.  Johann  Elias  Schlegel:  J.  E.  Schlegels  Werke,  5  Bde.,  Kopenhagen  und  Leipzig, 
1761 — 70;  E.  Wolff,  J.  E.  Schlegel,  Berlin  1889;  J.  E.  Schlegels  ästhet.  u.  dramaturg. 
Schriften,   hrsg.    von   J.  von  Antoniewicz,    D.  L.  D.   26 ;    Bremer  Beiträger,    hrsg.  von 

F.  Muncker,  K.  D.  N.  L.  43 — 44;  F.  Düsel,  Der  dramat.  Monolog  in  der  Poetik  des 
17.  und   18.  Jahrhunderts,  Theatergesch.  Forsch,  hrsg.  von  Litzmann,   14,   1897. 

4.  Rührkomödie:    Erich  Schmidt,  Richardson,  Rousseau  und  Goethe,  Leipzig  1875; 

G.  Lanson,  Nivelle  de  la  Chaussee  et  la  Comedie  larmoyante,  Paris,  1887;  H.  A.  Korff, 
Voltaire  im  literar.  Deutschland  des  i8.  Jahrhunderts,  Heidelberg,  191 8;  Gellerts 
Werke,  hrsg.  von  J.  L.  Klee,  Berlin  1867;  E.  Michael,  Christian  Fürchtegott  Geliert, 
Leipzig  1917;  W.  C.  Haynel,  Gellerts  Lustspiele,  Diss.  Leipzig,  1896;  J.  Coym, 
Gellerts  Lustspiele,  Diss.  Berlin  1898,  Vollst,  in  Palaestra,  1899;  Th.  Dobmann,  Die 
Technik  der  Gellertschen  Lustspiele,  Programm  Freiburg  1901. 

5.  Der  junge  Lessing  und  Christian  Felix  Weiße:  Danzel  imd  Guhrauer, 
G.  E.  Lessing,  sein  Leben  imd  seine  Werke,  2  Bde.,  Leipzig  1850 — 54;  Erich 
Schmidt,  Lessing,  2  Bde.,  Berlin  1909;  W.  Oehlke,  Lessing  und  seine  Zeit,  2  Bde., 
München  1919;  Lessings  Jugendfreunde,  hrsg.  von  J.  Minor  K.  D.  N.  L.  Bd.  72;  Rieh. 
M.  Meyer,  Lessings  Theater,  Vierteljahrschrift  für  Lit.-  Gesch.,  hrsg.  von  Seuffert  3, 
1891;  Caro,  Lessing  und  die  Engländer,  Euphorion  VI,  1899;  P.  Albrecht,  Lessings 
Plagiate,  Hamburg  1890 — 91;  Erich  Schmidt,  Die  Quellen  der  komischen  Einfälle  und 
Züge  Lessings,  Sitz.-Ber.  d.  Berl.  Akad.  21,  1897;  F.  Tyrol,  Lessings  sprachliche 
Revision  seiner  Jugenddramen,  Berlin  1893;  J-  Minor,  Chr.  F.  Weiße  und  seine  Be- 
ziehungen zur  deutschen  Literatur,  Innsbruck   1880. 

6.  Lessings  ,, Minna  von  Barnhelm":  G.  Kettner,  Lessings  Dramen,  Berlin  1 904 ; 
W.  Dilthey,  Das  Erlebnis  und  die  Dichtung,  Leipzig  1920;  A.  Böhtlingk,  Shakespeare 
und  unsere  Klassiker,  Bd.  i:  Sha.  und  Lessing,  Leipzig  1909;  G.  Fritz,  Der  Spieler 
im  deutschen  Drama  des  18.  Jahrhunderts,  Diss.  Berlin  1896;  O.  Spieß,  Die  dramatische 
Handlung  in  Lessings  Emilia  Galotti  und  Minna  von  Bamhelm,  Bausteine  z.  Gesch. 
d.  n.  d.  Lit,,  hrsg.  von  Saran  VI,  1911;  Rob.  Petsch,  Die  Kunst  der  Charakteristik 
in  Lessings  M.  v.  B.,  Zs.  f.  d.  d.  Unterricht  26,  Jahrgang,  H.  5,  1912;  K.  H.  v.  Stock- 
mayer, D.  d.  Soldatenstück  des  18.  Jahrhunderts  seit  Lessings  M.  v,  B.,  Lit.-hist.  Forsch., 
hrsg.  von  Schick  und  Waldberg   10,   1898. 

II.  STURM  UND  DRANG:  Rob,  Petsch,  Deutsche  Dramaturgie,  l,  Bd.  Von  Lessing  bis 
Hebbel,  Hamburg  1921;  A.  Köster,  Die  allgemeinen  Tendenzen  der  Geniebewegung  im 
18.  Jahrhundert,  Leipziger  Universitätsprogramm,  19 12;   O.  Walzel,  Das  Prometheussymbol 


Bibliographische  Nachweise.  349 


von  Shaftesbury  zu  Goethe,  Ilbergs  N.  Jahrbücher,  i.  Abt.  XXV.  Bd.,  1910;  Gundolf, 
Shakespeare  und  der  deutsche  Geist,  Berlin  191 1;  Erich  Schmidt,  Richardson  und  Goethe, 
Leipzig  1875;  Werke  der  Stürmer  und  Dränger,  hrsg.  von  A.  Sauer  K.  D.  N.  L.  79 — 80; 
hrsg.  von  K.  Freye,  4  Teile,  Bongs  Klassikerbibliothek;  Eugen  Wolff,  Die  Sturm-und- 
Drang-Komödie,  Zs.  f.  vergleich.  Lit.-Geschichte,  N.  F.  Bd.  i;  G,  Keckeis,  Dramaturgische 
Probleme  im  Sturm  und  Drang,  Bern  1907;  H.  Grußendorf,  Der  Monolog  im  Drama 
des  Sturmes  und  Dranges,  Diss.  München  1914;  Neudruck  imd  Erläuterung  der  ,, An- 
merkungen übers  Theater"  von  Th.  Friedrich,  Kösters  Probefahrten  13,  Leipzig,  1908; 
R.  M.  J.  Lenz,  Gesammelte  Schriften,  hrsg.  von  Franz  Blei,  München  1909;  M.  N.  Rosanow, 
Lenz,  der  Dichter  der  Sturm-und-Drang-Periode,  aus  dem  Russ.  übers,  von  K.  v.  Gütschow, 
Leipzig  1909;  Herrn.  Rauch,  Lenz  und  Shakespeare,  Diss.  Berlin  1892;  Erich  Schmidt, 
Lenziana,  Sitz.-Ber.  d.  Berl.  Akad.,  Bd.  41,  1901;  Erich  Schmidt,  Lenz  und  Klinger, 
Berlin,  1878;  F.  M.  Klingers  Werke,  Auswahl,  Stuttgart  1878;  M.  Rieger,  Klinger  in 
der  Sturm-und-Drang-Periode,  Darmstadt  1880;  L.  Jacobowski,  ELlinger  und  Shakespeare, 
Diss.  Dresden  1891;  Rieh.  Philipp,  Beiträge  zur  Kenntnis  von  Klingers  Sprache  und 
Stil  in  seinen  Jugenddramen,  Diss.  Freiburg  1909;  F.  Hedicke,  Die  Technik  der  drama- 
tischen Handlung  in  Klingers  Jugenddramen,  Diss.  Halle  191 1;  E.  Schmidt,  H.  L.Wagner, 
Jena  1879;  Max  Morris,  Der  junge  Goethe,  6  Bde.,  Leipzig  1909;  Cottas  Jubiläums- 
ausgabe von  Goethes  Werken,  Bd.7  „Jugenddramen.  Farcen  und  Satiren",  hrsg.  von  A.  Köster ; 
F.  Hilsenbeck,  Aristopbanes  und  die  deutsche  Literatur  des  18.  Jahrhunderts,  Berlin  1908; 
M.  C.  Burchinal,  Hans  Sachs  und  Goethe,  Göttingen  191 2;  an  Goethebiographien  seien 
Gundolfs  und  Witkowskis  Werke  hervorgehoben. 
III.  KLASSISCHE  PERIODE:  Cottas  Jubiläumsausgabe  von  Goethes  Werken,  Bd.  9  „Zeit- 
dramen, Gelegenheitsdichtungen",  Bd.  15  ,, Dramatische  Fragmente  und  Übersetzungen",  hrsg. 
von  Otto Pnio wer;  Karl  Berger,  Schiller,  München  1905;  Säkularausgabe  von  Schillers  Werken, 
Bd.  9  ,, Übersetzungen",  hrsg.  von  Albert  Köster;  A.  Eloesser,  Das  bürgerliche  Drama,  1898; 
O.  Walzel,  Das  bürgerliche  Drama,  Ilbergs  N.Jahrbücher,  I.Abt.  XXXV. Bd.,  1915,  jetzt  in 
Vom  Geistesleben  alter  und  neuer  Zeit,  Leipzig  1922;  F.L.Schröders  dramatische  Werke, 
hrsg.  von  E.  v.  Bülow  mit  Einleitung  von  L.  Tieck,  Berlin  1831;  B.  Litzmann,  F.  L. 
Schröder,  a  Bde.,  Hamburg  1890 — 94;  Theater  von  Iffland,  Weimar,  1843;  A.  Stiehler,  Das 
IfFlandsche  Rührstück,  Theatergesch.  Forschungen,  hrsg.  von  Litzmann,  Bd.  16,  Hamburg 
1898;  R.  KipfmüUer,  Das  Ifflandsche  Lustspiel,  Diss.  Heidelberg  1899;  August  von 
Kotzebues  Theater,  40  Bde.,  Wien  1840 — 41;  Ch.  Rabany,  Kotzebue,  sa  vie  et  son 
temps,  Nancy  1893;  rec.  J.  Minor  Göttinger  Gel.  Anz.  1894;  E.  Jäckh,  Studien  zu 
Kotzebues  Lustspieltechnik,  Diss.  Heidelberg  1899. 

E.  NEUNZEHNTES  UND  ZWANZIGSTES  JAHRHUNDERT:    R.  M.  Meyer,  Die 
deutsche    Literatur    des    19.  u.   20.  Jahrhunderts,    hrsg.    u.    fortgesetzt   von   Hugo  Bieber, 
Berlin   1921;    O.  Walzel,    Die   deutsche  Dichtung   seit  Goethes  Tod,   Berlin  1920;    Adolf 
Bartels,    Die    deutsche    Dichtung    von   Hebbel    bis    zur   Gegenwart.    Ein  Grundriß.    Neue 
Ausgabe  in  drei  Teilen,  Leipzig  1922. 
I.  ROMANTIK:    R.  Haym,    Die   romantische   Schule,    4.  Auflage,   besorgt  von  O.  Walzel, 
Berlin    1920;    O.  Walzel,    Deutsche    Romantik,    Aus  Natur-  und  Geisteswelt,    232 — 233, 
Leipzig    1918;    K.  G.  Wendriner,    Das    romantische    Drama,    Berlin  1909;    Edgar  Groß, 
Die  ältere  Romantik  und  das  Theater.    Theatergesch.  Forsch.,  Bd.  22,   1910. 
I.Satiren  und  Märchenkomödien:  F.  Hilsenbeck  a.  a.  O. ;  C.  Hille,  Die  deutsche 
Komödie   unter    der   Einwirkung    des   Aristopbanes,    Breslauer   Beiträge    zur   Literatur- 
geschichte  12,  Leipzig   1907;   W,  Süß,  Aristophanes  und  die  Nachwelt,  Leipzig   191 1; 
O.  Walzel,  Aristophanische  Komödien,  Zs.  f.  d.  d.  Unterricht  XXX;    F.  Eichler,  Das 


^ro  Bibliographische  Nachweise. 


Nachleben  des  Hans  Sachs  vom  l6.  bis  ins  19.  Jahrhundert,  Leipzig,  1904;  M.  Pulver, 
Romantische  Ironie  und  romantische  Komödie,  Diss.  Freiburg  1912;  F.  Ernst,  Die 
romantische  Ironie,  Diss.  Zürich  191 7;  H.  Günther,  Romantische  Kritik  und  Satire 
bei  Ludwig  Tieck,  Leipzig  1907;  R.  Schloesser,  August  Graf  von  Platen,  2  Bde., 
München  1910 — 13;  O.  Greulich,  Platens  Literaturkomödien,  Diss.  Bern  1901;  Christian 
Dietrich  Grabbes  Gesammelte  Werke,  hrsg.  und  mit  einem  Nachwort  versehen  von 
Paul  Friedrich,  4  Bde.,  Weimar  1923;  R.  Benz,  Märchendichtung  der  Romantiker, 
Gotha  1908;  Käthe  Brodnitz,  Der  junge  Tieck  und  seine  Märchenkomödien,  Diss,  München 
1912;  G.Roethe,  Brentanos  ,,Ponce  de  Leon",  eine  Säkularstudie,  Abhdlg.  d.  Ges.  d.Wiss. 
zu  Göttingen,  N.  F.  5,  1901 ;  K.  Heinze,  Platens  romantische  Komödien,  Diss.  Mar- 
burg 1897;  O.  Demuth,  Das  romantische  Lustspiel  in  seinen  Beziehungen  zur  dichterischen 
Entwicklung  Eichendorffs,  Diss.  191 2;  Georg  Büchner,  Sämtliche  Werke  und  Briefe, 
hrsg.  von  F.  Bergemann,  Leipzig  1922;  J.  Strucker,  Beiträge  zur  kritischen  Würdigimg 
der  dramatischen  Dichtung  Theodor  Körners,  Diss.  Münster   19 10. 

2.  Heinrich  von  Kleist:  Ausgaben  der  Werke  von  Gg.  Minde-Pouet,  Reinh.  Steig 
und  Erich  Schmidt,  Bibliogr.  Institut  1904;  von  K.  Siegen,  R.  Schlösser  und  O.  Walzel, 
Hesse  &  Becker,  Leipzig  1914;  von  A.  Eloesser,  Tempel -Verlag;  Biographien  von  Otto 
Brahm  191 1,  W.  Herzog  191 1;  H.  Meyer-Benfey  191 1 ;  neuerdings  von  F.  Gundolf  1922, 
Ph.  Witkop  1922;  Walter  Kühn,  Kleist  und  das  deutsche  Theater,  München  1912; 
Hanna  Hellmann,  H.  von  Kleist,  Das  Problem  seines  Lebens  und  seiner  Dichtung,  Heidel- 
berg 1908;  E.  Cassirer,  H.  von  Kleist  und  die  Kantische  Philosophie,  Berlin  1919; 
Der  zerbrochne  Krug,  kritische  Ausgabe  von  Eugen  Wolff,  Minden  1898;  G.  Buchten- 
kirch, Kleists  Lustspiel  „Der  zerbrochne  Krug"  auf  der  Bühne,  Heidelberg  191 5;  K.  von 
Reinhardstöttner,  Plautus,  Spätere  Bearbeitungen  plautinischer  Lustspiele,  Leipzig  1886; 
A.  Sauer,    Zu  EUeists  Amphitryoo,  Euphorien  1920. 

3.  Volksk  uns  t ;  Josef  Nadler,  Literaturgeschichte  der  deutschen  Stämme  und  Land- 
schaften, bis  jetzt  3  Bde.,  seit  191 2;  A.  Sauer,  Literaturgeschichte  und  Volkskunde, 
mit  Bibliographie  der  mundartlichen  Dichtung,  Prag  1907;  G.  Arnold,  Pfingstmontag, 
hrsg.  von  Lefftz  und  Markwald,  Straßburg  1913,  in  Reclam  2154/5;  Sebastian  Sailer, 
Biblische  und  weltliche  Komödien,  hrsg.  von  Dr.  Owlglaß  (H.  E.  Blaich)  München  19 14; 
Moriz  Enzinger,  Die  Entwicklung  des  Wiener  Theaters  vom  16.  zum  19.  Jahrhundert, 
I.  und  IL  Teil,  Schriften  d.  Ges.  f.  Theatergeschichte,  Bd.  28/29,  Berlin  1918 — 19; 
Rudolf  Fürst,  Raimunds  Vorgänger.  Bäuerle,  Meisl,  Gleich.  Schriften  d.  Ges.  f.  Theater- 
geschichte, Bd.  10,  Berlin  1907;  Josef  Nadler,  Das  österreichische  Volksstück,  Dichter 
und  Bühne,  hrsg.  von  Dr.  E.  L.  Stahl,  Augsburg  1921;  Alte  Wiener  Theaterlieder  von 
Hans  Wurst  bis  Nestroy,  hrsg.  von  R.  Smekal,  Wien  1920;  Raimund,  Sämtliche  Werke, 
hrsg.  von  E.  Castle,  Leipzig  1 903 ;  Raimunds  Werke,  hrsg.  von  K.  Glossy  und  A.  Sauer, 
Wien  1891;  K.  Fuhrmann,  Raimunds  Kunst  und  Charakter,  Berlin  1913;  Nestroy, 
Gesammelte  Werke,  hrsg.  von  V.  Chiavacci  und  L.  Ganghofer,  mit  Biographie  von 
M.  Necker,  Stuttgart  1890 — 91;  Auswahl  von  Otto  Rommel,  Berlin  190S;  L.  Langer, 
Nestroy  als  Satiriker,  W^ien  1908;  K.  Kraus,  Nestroy  und  die  Nachwelt,  Wien  191 2; 
P.  Merbach,  Das  deutsche  Volksstück,  Dichter  und  Bühne,  hrsg.  von  E.  L.  Stahl, 
Frankfurt  a.  M.  1922;  Josef  Nadler,  Die  Berliner  Romantik  1800 — 1814,  Berlin  1921; 
Alt-Berliner  Humor,  und  Das  Berliner  Lokalstück,  mit  Einleitung  von  Georg  Hermann, 
in  Die  fünfzig  Bücher,  Bd.  8  und  20,  Ullstein  &  Co.,  Berlin  1920;  Dr.  R.  Doße,  Das 
niederdeutsche  Drama,  Dichter  und  Bühne,  hrsg.  von  E.  L.  Stahl,  Frankfurt  a.  M.  1922; 
K.  Th.  Gaedertz,  Das  niederdeutsche  Schauspiel.  Zum  Kulturleben  Hamburgs,  1894; 
A.  Brand,  Johann  Gottwerth  Müller  von  Itzehoe,  Berlin  1901;  Karl  Malß'  „Bürger- 
kapitän",   hrsg.    von  Gebhardt,  Heidelberg  1920;    Ernst    Elias   Niebergall.    Sein   Leben 


Bibliographische  Nachweise.  35^ 


und  seine  Werke,  von  Karl  Esselbom,  dabei  Bibliographie.  Fünfte  Jahresgabe  der  Gesell- 
schaft Hessischer  Bücherfreunde,  Darmstadt  1922;  Auszug  mit  Ergänzungen  in  Hessische 
Biographien,  Bd,  2 ;    Esselborn  bereitet  auch  eine  Ausgabe  der  Werke  Niebergalls  vor. 

4.  Grillparzer,  „Weh  dem,  der  lügt":  Werke  hrsg.  von  St.  Hock,  16  Bde., 
Berlin  1911;  die  große  historisch-kritische  Ausgabe  A.  Sauers  ist  bis  auf  den  An- 
merkungsband vollendet,  Wien  igogff. ;  Fr.  Strich,  Grillparzer  Ästhetik,  Forsch,  z.  n. 
Lit." Gesch.,  hrsg.  von  Franz  Muncker,  Bd.  29;  Joh.  Volkelt,  Grillparzer  als  Dichter 
des  Komischen  im  Jahrbuch  d.  Grillparzer-Gesellschaft  XV;  auch  in  Gesammelte  Auf- 
sätze, München  1908;  Minor,  Grillparzer  als  Lustspieldichter,  Jahrbuch  d.  Gr.-Ges.  III;  zu 
„Weh  dem,  der  lügt"  Jacob  Minor,  „Wahrheit  und  Lüge  auf  dem  Theater",  Euphorien  III, 
vgl. W.Jerusalem,  D.Rundschau  IV,  1898;  R.  Smekal,  Grillparzer  u. Raimund, Wien  1920. 
n.  DAS  UNTERHALTUNGSLUSTSPIEL  DES  XIX.  JAHRHUNDERTS  (i  830-1 885): 
G.  Witkowski,  Das  deutsche  Drama  des  19.  Jahrhunderts  in  seiner  Entwicklung  dargestellt, 
Aus  Natur  und  Geistes  weit,  Bd.  51,  Leipzig  1910;  G.  Witkowski,  Die  Entwicklung  der 
deutschen  Literatur  seit  1830,  Leipzig  1912;  O.  Teuber  und  A.  von  Weilen,  Geschichte 
des  Hofburgtheaters,  Wien  1899,  1906;  W.  Zentner,  Studien  zur  Dramaturgie  Eduard 
von  Bauernfelds.  Ein  Beitrag  zur  Erforschung  des  neueren  Lustspiels.  Theatergesch.  Forsch., 
hrsg.  von  B.  Litzmann  33,  Leipzig  1922;  Ausgewählte  Werke  E.  von  Bauernfelds,  hrsg.  von 
E.  Homer,  4  Bde.,  Leipzig  1905;  H.  Prutz,  Zur  Geschichte  der  politischen  Komödie  in  Deutsch- 
land, Münchener  Sitz.-Ber.  1919  ;  dazu  E.  Rose,  Z.  Gesch.  d.  pol.  Kom.  in  D.  in  Germ.  Rom. 
Monatsschrift  H.3/4,  1923;  A.  Kraus,  Rückerts  dramatische  Dichtungen,  Diss.  Gießen  1916; 
H.  Neumann,  Robert  Prutz  und  seine  Komödien,  Diss.  Marburg  191 3;  A.  Kleinberg,  Der 
Vormärz,  Leipzig  1917;  Friedr.  Halms  Werke,  hrsg.,  von  A.  Schlosser,  4  Bde.,  Leipzig  1904 ; 
Walter  Dohn,  Das  Jahr  1848  im  deutschen  Drama  und  Epos,  Breslauer  Beiträge  zur  Lit.- 
Gesch.,  hrsg.  von  Max  Koch,  Bd.  32;  Joh.  Prölß,  Das  junge  Deutschland,  Stuttgart  1892; 
H.  H.  Houben,  Jungdeutscher  Sturm  und  Drang,  Leipzig!  911;  Gutzkows  Ausgewählte 
Werke,  hrsg.  von  H.  H.  Houben,  12  Bde.,  Leipzig  1908;  Eduard  Metis,  Gutzkow  als 
Dramatiker,  Breslauer  Beiträge  48,  Stuttgart  191 5;  P.  Müller,  Gutzkow  als  Lustspieldichter, 
Diss.  Marburg  19 10;  F.  Weiglin,  Gutzkows  und  Laubes  Literaturdramen,  Palaestra  103, 
Berlin  1910;  Heinrich  Laube,  Gesammelte  Werke,  hrsg.  von  H.  H.  Houben,  50  Bde., 
Leipzig  1908;  Maria  Moormann,  Die  Bühnentechnik  Heinrich  Laubes,  Diss.  Münster  191 7; 
Gg.  Droescher,  G.  Freytag  in  seinen  Lustspielen,  Diss.  Berlin  1919;  Carl  Hagemann,  Das 
Gesellschaftsstück,  Dichterund  Bühne,  hrsg.  von  E.L.Stahl,  Frankfurt  a.M.  1922;  A.  Sauer, 
Bauernfeld  und  Saphir,  Beiträge  zur  Literatur-  und  Theatergeschichte,  Ludwig  Geiger  zum 
70.  Geburtstage,  5.Junii9i8,  als  Festgabe  dargebracht,  pag.  284 — 310;  Ernst  Martin, 
Der  Schwank,  Dichter  und  Bühne,  hrsg.  von  E.  L.  Stahl,  Frankfurt  a.  M.  1921; 
W.  Schenkel,  Roderich  Benedix  als  Lustspieldichter,  Diss.  Frankfurt  a.  M.  1916. 
m.  HEBBEL,  RICHARD  WAGNER,  ANZENGRUBER:  Säkularausgabe  der 
Werke  Hebbels  von  R.  M.  Werner,  16  Bde.,  Berlin  19 12 ff.;  von  den  zahlreichen  Bio- 
graphien sei  die  kurze  aber  tiefbohrende  Darstellung  O.  Walzeis  in  Aus  Natur  und 
Geisteswelt,  Bd.  408,  hervorgehoben:  Friedrich  Hebbel  und  seine  Dramen,  Leipzig  191 9; 
A.  M.Wagner,  Das  Drama  Friedrich  Hebbels.  Eine  Stilbetrachtung,  Leipzig  191 1; 
E.  Tannenbaum,  Fr.  Hebbel  und  das  Theater,  Hebbel-Forschungen  7,  Berlin  1915; 
H.  Heinrich,  Hebbels  Anschauungen  über  das  Komische,  Zs.  f.  Ästhetik  u.  allgem. 
Kunstw.  V.  435,  1910;  Paul  Heims,  Die  Entwicklung  des  Komischen  bei  Hebbel,  Diss. 
Leipzig  191 3;  Richard  Wagners  Werke,  hrsg.  von  W.  Golther,  10  Bde.,  Berlin  19 14; 
Max  Koch,  Richard  Wagner,  3  Bde.,  Berlin  19 12— 18;  O.  Walzel,  Wagner  in  seiner  Zeit 
und  nach  seiner  Zeit,  München  1913;  Roman  Wörner,  Eine  deutsche  Komödie,  Wagner- 
Jahrbuch,    hrsg.    von   J.  Kürschner,    Stuttgart  1886;    Gustav    Roethe,    Zum    dramatischen 


■2C2  Bibliographische  Nachweise. 


Aufbau  der  Wagnerschen  Meistersinger,  Sitz.-Ber.  d.  Berl.  Akad.  37,  1919;  Die  Meister- 
singer von  Nürnberg,  Richard  Wagners  Dichtung  und  ihre  Quellen,  hrsg.  von  Franz 
Zademack,  Der  Domschatz  Bd.  5,  Berlin  1921;  Stefan  Hock,  Von  Raimund  bis  Anzen- 
gruber,  Jahrbuch  d.  Grillp.-Ges.  15;  Ludwig  Anzengrubers  sämtliche  Werke,  unter  Mit- 
wirkung von  Karl  Anzengruber  hrsg.  von  Rudolf  Latzke  und  Otto  Rommel,  Kritisch 
durchgesehene  Gesamtausgabe  in  15  Bdn. ,  Wien  1920 — 22;  A.  Bettelheim,  Ludwig 
Anzengruber,  Berlin  1898;  Neue  Gänge  mit  L.  Anzengruber,  Wien  1919;  A.  Kleinberg, 
L.  Anzengruber.  Ein  Lebensbild,  Stuttgart  1921;  A.  Büchner,  Zu  Ludwig  Anzengrubers 
Dramentechnik,  Diss.  Gießen  191 1. 

IV.  VOM  NATURALISMUS  BIS  ZUR  KUNST  DER  GEGENWART:  W.  Windelband, 
Die  Philosophie  im  deutschen  Geistesleben  des  19.  Jahrhunderts,  Tübingen,  1909;  Albert 
Soergel,  Dichtung  und  Dichter  der  Zeit.  Eine  Schilderung  der  deutschen  Literatur  der  letzten 
Jahrzehnte,  Leipzig  191 1  *,  Rob.  F.  Arnold,  Das  moderne  Drama,  Straßburg  191 2 ;  R.  Hamann, 
Der  Impressionismus  in  Leben  und  Kunst,  Köln  1907;  M.  Günther,  Die  soziologischen 
Grundlagen  des  naturalistischen  Dramas,  Diss.  Leipzig  1912;  A.  Kerr,  Gesammelte  Schriften, 
erste  Reihe:  Die  Welt  im  Drama,  5  Bde.,  Berlin  1917;  J.  Hofmiller,  Zeitgenossen,  München 
1910;  O.  Doli,  Die  Entwicklung  der  naturalistischen  Form  im  jüngsten  deutschen  Drama; 
Gerhart  Hauptmanns  Werke,  12  Bde.,  Berlin  1922;  Monographien  von  P.  Schienther,  er- 
weitert von  A.  Eloesser,  Berlin  1922;  von  Paul  Fechter,  Dresden  1922;  Emil  Götts  Ge- 
sammelte Werke,  hrsg.  von  Roman  Wörner,  3  Bde.,  191 1  ff.;  A.  Möller-Bruck,  Das  junge 
Wien,  Berlin  1902;  J.  Kömer,  Arthur  Schnitzlers  Gestalten  und  Probleme,  Wien  1921 ; 
A.  W.  Berendsohn,  Der  Impressionismus  Hugo  von  Hof mannsthals ,  Hamburg  1920; 
A.  Maderno,  Die  deutschösterreichische  Dichtung  der  Gegenwart,  Leipzig  1920;  A.Bartels, 
Heimatkunst,  Berlin  1904;  Willi  Hellpach,  Geopsychische  Erscheinungen,  Jena  1923; 
A.  Bartels,  Fritz  Stavenhagen,  Eine  literarische  Würdigung,  1907;  R.  Sedlmaier,  Karl 
Schönherr  und  das  österreichische  Volksstück,  Würzburg  1920;  H.  Bahr,  Expressionismus, 
München  1918;  M.  Deri,  M.  Martersteig,  O.  Walzel  u.  a.,  Einführung  in  die  Kunst  der 
Gegenwart,  Leipzig  1919;  J.  Geyser,  Neue  und  alte  Wege  der  Philosophie.  Eine  Erörterung 
der  Grundlagen  der  Erkenntnis  im  Hinblick  auf  Edmund  Husserls  Versuch  ihrer  Neu- 
begründung, Münster  1916;  O.  Rank  und  H.  Sachs,  Die  Bedeutung  der  Psychoanalyse 
für  die  Geisteswissenschaften,  Wiesbaden  191 3;  G.  von  Lukacs,  Zur  Soziologie  des  modernen 
Dramas,  Archiv  für  Sozialwissenschaft  und  Sozialpolitik,  38;  Bernhard  Diebold,  Anarchie 
im  Drama,  Frankfurt  a.  M.  1921;  Max  Freyhan,  Das  Drama  der  Gegenwart,  Berlin  1922; 
Fritz  V.  d.  Leyen,  Deutsche  Dichtung  in  neuer  Zeit,  Jena  1922;  Franz  Blei,  Über  Wedekind, 
Sternheim  und  das  Theater,  München  1916;  Paul  Fechter,  Frank  Wedekind,  Leipzig  1920; 
H.  Franck,  Hermann  Essig,  in  Das  deutsche  Drama  Nr.  I ;  H.  H.  Borcherdt,  Carl  Haupt- 
mann, München  1911;  Kurt  Wolff,  Der  Dramatiker  Herbert  Eulenberg,  Mitteilungen  der 
Literar,  Gesellschaft  Bonn,  191 2;  K.  Brombacher,  Der  deutsche  Bürger  im  Literaturspiegel 
von  Lessing  bis  Sternheim,  München  1920;  die  Werke  Carl  Stemheims  sind  wie  die  Carl 
Hauptmanns  und  Hermann  Essigs  im  Kurt- Wolff- Verlag,  München,  erschienen;  H.  Knudsen, 
Georg  Kaiser,  Die  literarische  Gesellschaft  Nr.  4;  die  Dramen  Georg  Kaisers  sind  bei 
Gustav  Kiepenheuer,  Potsdam,  verlegt. 


REGISTER 


«3 


Zur  Orientierung  im  Text  ist  neben  den  beiden  Registern  die 
weitgehende  Gliederung  des  Inhaltsverzeichnisses  zu  Rate  zu 
riehen.  Im  Sach-  und  Personenregister  folgt  den  Autoren- 
namen  das  Verzeichnis  ihrer  im  Text  erwähnten  Werke.  Das 
Dramenregister  enthält  säratl'che  im  Text  vorkommenden  Dra- 
mentitel,  wobei  hinter  dem  Titel  jeweils  der  betreffende  Autor 
genannt  ist,  so  daß  mit  Hilfe  von  Register  I  auch  seine  weiteren 
besprochenen  Werke  im  Texte  aufgefunden  werden  können. 
Die  Dramentitel  sind  grundsätzlich  nach  der  alphabetischen 
Ordnung  ihrer  ersten  Worte  angeordnet,  wobei  aber  Artikel, 
gleichgültig  ob  bestimmte  oder  unbestimmte,  dem  Hauptworte 
nachgestellt  werden;  z.  B. :  ,,Der  böse  Geist  Lumpacivaga- 
bundus  oder  das  liederliche  Kleeblatt"  ist  erstens  zu  finden 
unter:  „böse  Geist  Lumpacivagabundus,  Der",  zweitens 
unter :  , .liederliche  Kleeblatt,  Das". 

Vorivort,  Bibliographie  und  Bilderklärung  sind  nicht  in  den 
Registern  bearbeitet. 

a  und  ä,  o  und  ö,  u  und  ü  werden  innerhalb  der  alphabeti- 
schen Ordnung  als  gleichwertige  einfache  Buchstaben,  Dop- 
pelschreibungen   wie     oe    als    zwei    Buchstaben    behandelt. 


I.   PERSONEN-  UND  SACHREGISTER. 


Addison I24f.,   141,   155 

— ,  ,,The  drummer" 125 

Adelssatire 65 

Adolf,  Johann 241 

Aktschluß 151  ff. 

Aktzahl 164 

Aktualität 85,   119 

Altertum 3  f. 

Altmaan,  George 27S 

Andreae,  Joh.  Valtentin,  „Turbo"     .     .       92 

Angely,  Louis 253,   257 

— ,  „Das  Fest  der  Handwerker"      .     .     253 
Antoniewicz,    „J.  E.  Schlegels  aestheti- 
sche    und    dramaturgische    Schriften". 

DLD.  Nr.  26 150 

Antisemitismus ^Sf-»   53 

Anzengruber,  Ludwig  249,  297  ff.,  305,  308, 
318,  323f- 

„Der  Doppelselbstmord"  ....  302  f. 

„Der  G'wissenswurm"       .      .      .       300  ff. 

„'s  Jungferngift" 302  f. 

„Die  Kreuzelschreiber"   298 ff.,  303,  308 

„Die  Trutzige" 302 

Apel,  Paul 329,   331 

— ,    ,,Hans   Sonnenstößers   Höllenfahrt"     329 

Aristophanes    i,  48,  61,  64,   136,   194,  206, 

2i4ff.,    2i8f.,    221,    228,    258,    271,    273, 

299.  325. 

— ,   ,, Frösche" 219 

— ,  ,,Lysistrate" 299 

— ,   „Plutos" 61 

Aristoteles 3,    199 

Armeleutdichtung 304 

Arnim,  Achim  von  .     253,  255,  276,  330 f. 

— ,  ,,Die  Kronenwächter" 276 

— ,  „Die  Appelmänner" 253 

— ,  ,,Der  Stralauer  Fischzug"  .  .  .  253 
Arnold,  Georg  Daniel  .  .  .  .239  ff.,  262 
— ,  „Der  Pfingstmontag"  239  ff.,  253,  262,  295 
Auerbach,     Berthold,      „Schwarzwälder 

Dorfgeschichten" 298 

Ayrenhoff,  Cornelius  Hermann  von,  „Der 

Postzug" 244 


Ayrer,  Jacob  66 f.,  78,  82,  85  ff.,  88 f.,  91,  115 
— ,  ,,Von  dem  Engelländischen  Jahn 
Posset,  wie  er  sich  in  seinem  Dienst 
verhalten",  ,,Der  verlohrn  Engellän- 
disch  Jahn  Posset",  „Von  Fritz  Dölla 
mit  seiner  gewünschten  Geigen"  .  .  87 
— ,   ,,Vom  griegischen  Keyser"    .      .     88,  91 

— ,  ,, Julius  redivivus" 66 

— ,  ,,ComediavonderschönenPhaenicia"       87 
— ,  „Sidea" 87 

Bacheracht,  Therese  von 274 

Badius,  Jodocus 70 

Bucchtold 74 

Baermann,  Jürgen  Nikiaas, ,, Burenspillen"  259 

— ,   ,,Stadtminschen  und  Burenlüd"  .      .  259 

Bahr,  Hermann 278,  333 

— ,  „Dialog  vom  Tragischen"      .     .     .  316 

— ,   ,,Das  Konzert" 316 

Bakunin 294 

Bartels,  Adolf,  „Die  deutsche  Dichtung 

der  Gegenwart" 3l7i  320 

Bauer,  Der  verwandelte      84,   106,   iio,  311 

Bäuerle      ....       245,  246  ff.,  260,  280 
— ,  ,,Aline  oder  Wien  in  einem  andern 

Weltteil" 248 

— ,  „Die  Bürger  von  Wien"   .     .     .     .246  f. 

Bauerndramatik 298 

Bauernfeld,   Eduard  von         266  ff.,   273,  276, 
277  ff.,  28of.,  2S3,  298,  3i5f. 

,,Die  Bekenntnisse" 267  f. 

„Bürgerlich  und  Romantisch",  „Fata 

Morgana" 270 

„Fortunat" 267,  270 

„Die  Geschwister  von  Nürnberg"  .  270 

„Großjährig" 273 

„Der  kategorische  Imperativ"  277  f.,  280 

„Krisen"  .     .     .      268,   270,   27Sf.,  2S1 

,, Landfrieden" 276 

„Das  letzte  Abenteuer"     ....  268 

,,Das  LiebesprotoküU"       ....  27 1 

„Literarischer  Salon" 2S0 

„Republik  der  Tiere" 273 

23* 


356 


Register. 


Bauernsatire 45i   55^- 

Bauernszenen 83 

Beaumarchais,  „DieHochzeit  des  Figaro"  166 
Beaumont  und  Fletcher,    „Rule    a  wife 

and  have  a  wife" 200 

Bediente 144.   164,   I73f. 

Benedix,  Roderich 283  f.,  286 

— ,  „Die  Shakespearomanie"  ....  283 
— ,  „Bemoostes    Haupt  oder    der   lange 

Israel" 283 

— ,  „Oben  wie  unten" 284 

— ,  „Der  Störenfried" 284 

Bergson,  „Le  rire" 48 

Bernardon 243  f. 

Berolinismus 253,   254 f.,   256 

Bethlehemitischer  Kindermord      ...        34 

Betrüger 63 

Biedermann,  J.,  „Utopia" HO 

Bildungskunst 41 

Birch-Pfeiffer,  Charlotte 284 

Bismarck 305,  314 

Blumenthal,  Oskar  ....  I,  284,  314 
— ,   ,,Der  Probepfeil" 314 

—  u.  Kadelburg,  ,,Im  weißen  Rössl" .     284 

Boccaccio 75 

Bodmer 127,   130 

Böhtlingk,    Arthur,    „Shakespeare    und 

unsere  Klassiker" 182 

Bois-Robert ill 

Bolte,  ,,Das  Danziger  Theater  im  16.  und 

17.  Jahrhundert",  Th.  F.  XII.  .  .  92 
Borkenstein,  Hinrich  .  .  .  I39f.,  I76f. 
— ,  ,,Der  Bookesbeutel"     .     I39f.,   151,   153, 

162,   174,   176,  258. 
Boßdorf,  Hermann,  ,, Kramer  Kr ay",  „De 

rode  Uennerrock" 321 

Böttiger 216 

Bougeant,  ,,La  femme  docteur"   .     .     .      129 

Bremer  Beiträger 142,  145,   158 

Brentano,  Clemens    217.  221  f.,  224,  260,  331 

— ,  ,, Gustav  Wasa" 217 

— ,  ,,Pouce  de  l.eon"    .      221  ff.,  225,  331  f. 

Bretzner 200 

Brockes 127 

Brombacher,  „Der  deutsche  Bürger  im 
Literaturspiegel  von  Lessing  bis  Stern- 
heim"       335 

Bühne,  mittelalterliche 25,   69 

—  des  Fastnachtspiels 69,   77 

—  des  Terenz,  der  Humanisten  62,  69 f.,  77 
Büchner,  Georg  189,  2241.,  26of.,  271,  331,  337 
— ,   ,,Leonce  und  Lena"     .    224  f.,   271,  33 1 

Bülow 297 

Bunsen,  P.  L.,  und  J.  G.  Müller,  „Sieg- 
fried von  Lindenberg" 259 

Bürger,  G.  A 51.  67,   188 

Bürgerliches  Drama    89,  104,  I56f.,  175 f.,  193 

Bürgersatire 113,  325  ff.,  329 

Bürgerstand       .      .      .     .16,    I13,    165,    179  f. 

Burgtheater 244 

Byron 224 

Byronismus 281 


Caesar 66 

Calderon      .     .     .110,  219,  222,  225,  317 

— ,  ,,La  dama  duende" 317 

— ,  ,,Das  Leben  ein  Traum"  ....      1 10 

Capitano 90 

Cassirer,    E.,    ,,H.  von   Kleist   und    die 

Kantische  Philosophie",  1919  .      227,  333 

Castelli 218,  254 

— ,  „Der  Schicksalsstrumpf"  .     .     .     .     218 

Castelvetro 149 

Celtis,   Conrad 4,  61 

Cervantes 244 

Chamfort,  ,,La  jeune  Indienne"  .     .     .      178 

Charakter 127 

Charakterkomödie 68 

Charakterschilderung 104 

Chassiron,  , .Reflexions  sur  le  Comique- 

larmoyant" I57>    160 

Chodowiecki 185 

Cibber 155 

Cicero 63,  66 

Clauren 219 

Coffey,  ,,The  devil  to  pay"     ....     179 
Commedia  dell'arte    5,   13,  41,   79,  89  f.,  92, 
118  f.,   136,  209  f.,  242  ff. 

Comedie  gaie 14I  ff. 

Comedie  larmoyante  141,  155,  158,  160,  165 
Comfedie  serieuse  .     .     .   125,   137,   141,   143 

Comedy  of  manners 123  f. 

Congreve 124 

Corneille,  Pierre 79i  90 

— ,  „Don  Sanche  d'Aragon"  ....      147 

— ,  Thomas HI 

Corot 317 

Creizenach,  „Geschichte  des  neueren 
Dramas",  1911;  „Zur  Entstehungsge- 
schichte des  neueren  deutschen  Lust- 
spiels",   1879    ....    18,  30,  81,   122 

Crispin 144 

Cronegk,  „Der  ehrliche  Mann,  der  sich 

schämt,  es  zu  sein" 148 

Dalberg,  Johann  von 63 

Dämonen 37  ff.,  49 

David,  Jakob  Heinrich,  ,,Eine  Nacht  auf 

Wache" 259 

Debucourt 234 

Decamerone 75 

Defoe,  ,, Robinson" 177 

Deinhardstein,  Ludwig  Franz  276,  292,  295 
— ,  „Boccaccio",  „Garrick",  ....  292 
— ,  ,, Erzherzog  Maximilians  Brautzug"  .  276 
— ,  ,,Hans  Sachs",  ,,Salvator  Rosa"   292,   295 

Dekadenz 316 

Destouches    123,    125,    127,    137,    141,    149, 

151,   157,    161,   164,   170. 

— ,  ,,Le  Giorieux" 125,   149 

— ,  ,,La  fausse  Agn^s" 161 

— ,   ,,L'ingrat" 164 

— ,  ,,L'obstacle    impr6vu",    ,,Le    triple 

mariage" 125 


Personen-  und  Sachregister. 


357 


Destouches,  „Le  tambour  nocturnc"  .  125 
— ,  Bearbeitungen  nach:  „Der  Ehrgei- 
zige", „Der  Gefällige",  „Der  Neugie- 
rige", ,,DerRuhmredige",  „Der  Ruhm- 
süchtige", ,,Dcr  Undankbare",  ,,Der 
Unschlüssige",      „Der    Verläumder", 

„Der  Verwirrungsstifter"     .     .     .     .  127 

Detharding 132  f. 

— ,   , (Bramarbas" 133 

— ,  „Der  deutsche  Franzose"       .     .     .  132 

Derrient 202 

Dialekt  .     .     .83,  93,  99,   130,   141,  258  f. 

Dickens 279  f.,  302 

Diderot  .     .      166,   180,   182,   193,  282,  334 

— ,   „Jacques  le  Fataliste" 334 

Diebold,  Bernhard,   ,, Anarchie   im  Dra- 
ma",  1921 335,  337 

Dilthey,    W.,    „Das    Erlebnis    und    die 

Dichtung" 182 

Dirne 63,  68 

Ditters  von  Dittcrsdorf,  Karl .     .     .     .  245 

Döllinger 299 

Donneau  de  Vis6 1 1 1 

Dorfdichtung 29,  298 

Dostojewsky 332 

Drama,  griechisches 3 

—  des   19.  Jahrhunderts 66 

—  der  Gegenwart 66 

Drama  und  Theater  .     .    84,  98,   100  f.,  322 

Dreikönigsspiel 34  f- 

Dreyer,  ,,Der  Probekandidat".     .     .     .  340 

Driesch 337 

Droescher,  „G.  Freytag  in  seinen  Lust- 
spielen",  1919 276 

Dryden 124,  128 

Dufresny 123,  127 

— ,     ,,Die     Spielerin",      „Die     Wider- 

sprecherin" 127 

Dulk,  Albert,  und  Seemann,  „Die  Wände"  272 

Dummkopf 23,   42 

Ehebruchsmotiv 42 

Eichendorff,  Joseph  von  21 7 ff.,  223 f.,  271,  325 

■  — ,   „Die  Freier" 223  f.,  271 

— ,   „Krieg  den  Philistern"     .     .   2i7f.,  325 

— ,  ,,Meierbeths  Glück  und  Ende".     .  218 

Einheitsregel 149  f-.  1^9 

Eipeldauer 249  f. 

Ekhof III,  258 

Elenson III 

Eloesser,    Arthur,     „Kleists    sämtliche 

Werke" 228 

Engelische  Comedien  und  Tragedien  80,  lio 
Enzinger,     Moriz ,      ,,  Wiener     Theater 

16. — 19.  Jahrhundert",    1919    .     .      .  241 

Epicharm 5 

Episodenszene 275  f.,   278,  302 

Erdmann,  Ludwig,  ,, Alles  was  Recht  ist"  262 
Erlauer  Spiele.     .     .  8,    10  ff.,   15,  29  f.,  35 

Ernst,  Otto,  ,, Flachsmann  als  Erzieher"  340 

Eschatologische  Dramen      .     .           .     .  35 


Essig,  Hermann 33°  f> 

— ,  „Die  Glückskuh",  ,,Die  Weiber  von 

Weinsberg" 330 

Etherege 124 

Eulenberg,  Herbert 33°  ff-.  337 

— ,  ,, Alles  um  Liebe" 331 

— ,  „Das  grüne  Haus" 331 

— ,   ,,Münchhausen" 337 

— ,  „Der    natürliche  Vater",    ,, Mücken- 
tanz"   332 

Eulenspicgel 75 

Euripides 216,   337 

Expressionismus   ....     39,  328,  336  ff. 

Falstaff 65,  95,   135,  276,  307 

Farce 43,    194,    215 

Farquhar 124,   209 

Fastnachtfeier 37 

Fastnachtschwänke 36 

Fastnachtspiel      5  f.,    15,    37  ff.,    43  f.,    45  ff., 

70  f.,    82,    86  ff.,   94,   110,  114,   194,  238, 

243,  258. 

—  und  geistliches  Drama  ...        53  f.,   59 

—  und  Meistersingerdrama  ....  77 
Fechter,   Paul,  ,, Gerhart  Hauptmann"    .      326 

Feuerbach,   Ludwig 299 

Fiabe 243 

Fichte 206,   226  f.,   233 

Fischart 66 

Flemming,    Willi,    ,, Andreas    Gryphius 

und  die  Bühne" 100 

Fletcher 128 

—  und  Beaumont,    ,,RuIe    a  wife    and 
have  a  wife" 200 

Flögel-Ebeling, ,, Geschichte  des  Grotesk- 
Komischen"      144 

Florian 197 

Folz,  Hans,  ,, Ein  hübsch  Vastnachtspil", 
,,Ein  Spil   von   König   Salomon  und 

Markolfo" 5a 

Fontane,  Theodor 300,  305 

France,   Anatole 316 

Frau,  Die,  in  der  Literatur    .     .   100,   166  f. 

Freud,   Max 338 

Freye,  Karl,   ,, Sturm  und  Drang"     .      .      187 
Freyhan,  Max,  ,,Das  Drama  der  Gegen- 
wart",   1922 329 

Freytag,  Gustav  ...  98,  275  f.,  280  ff. 
— ,  „Die  Brautfahrt  oderKunz  von  Rosen"  275 
— ,  „Die  Journalisten"    ....       I,   280  ff. 

Friedrich,   Markgraf 6 

Frischlin,  Nicodemus     64  ff.,   68,   83,   88,   91 

— ,   ,,Frau  Wendeigard" 64  f. 

— ,  ,,Hildegardis  magna",  ,, Hochzeit  zu 

Cana" 65 

— ,   ,, Julius  redivivus" 66 

— ,   ,, Rebecca" 64  f. 

— ,   „Ruth" 65 

— ,   ,, Susanna" 64  f.,   83 

Froning,  ,,Das  Drama  des  Mittelalters", 

KDNL 24 


358 


Register. 


Friihlino:slyTik        3^ 

Fulda,   Ludwig     ....        I02,   209,  314 

— ,  „Des  Esels  Schatten"  .     .     .      209,  314 

— ,   „Der  Talismann" 314 

Fürst,    Rudolf,  ,, Raimunds  Vorgänger", 

Sehr.  d.  Ges.  f.  Th.  G.  10     .     .     .     .  246 


Gaedertz,  Theodor,  „Das  niederdeutsche 

•    Drama",    1894 258 

Gall 206 

Ganghofer,   Ludwig 3lSf. 

— ,  ,,Der  Herrgottsschnitzer  von  Ammer- 
gau"    318 

Gebhardt 259 

Geibel,  Emanuel,    ,, Meister  Andrea"     .     292 

Geistliches   Schauspiel 82 

—  —  und  Fastnachtspiel  ...  53  f.,  59 
Geliert,  Christian  Fürchtegott  138,  142  f.,  145, 
151,  isSff.,  167,  lyof.,  174,  I76f.,  180,  203 
— ,  ,,Pro  comoedia  commovente"  .  .  160 
— ,  ,,Die  Betschwester"      .     .        159  ff-,   164 

— ,   „Die  kranke   Frau" 164 

— ,  ,,Das  Los  in  der  Lotterie"  159,  162  f. 
— ,   „Die  zärtlichen   Schwestern"    159,    163  ff. 

Gemmingen 192 

Gengenbach,  Pamphilus  .  .  .  5^'  7^^- 
— ,  ,, Die  Gauchmatt", ,, Die  Totenfresser"  72 
— ,  „Die  zehn  Alter  dieser  Welt"    .     .        58 

George,   Stefan 314,  338 

Gerstenberg 187 

Gervinus,    „Geschichte  der  deutschen 

Dichtung" 120,   278 

Gesellschaftskritik 277  ff. 

Geßner,   Heinrich 234 

Gherardi,  ,,theätre  Italien"  I18,  135  f.,  242 
Gilbert,   „Les  intrigues  amoureuses" .      .      155 

Gil   Blas  (Lesage) 263 

Glasbrenner,  Adolf 253 

— ,  , .Berlin,  wie  es  ist  und  —  trinkt"  .     253 

Gleich,  J.  A 245  f.,   248 

- — ,  „Die  Musikanten  am  hohen  Markt"  248 
Gnapheus,   Wilhelm,  ,,Acülastus   sive  de 

filio  prodigo" 63,  68 

Goedeke,  „Gss.  z.  Gesch.  d.  d.  Dichtung"     197 

Goethe    i,  6of.,  76,  89,  123,   154,   159,  173, 

176,   181,   184,   193  ff.,   196  ff.,  204  f.,  207, 

211  f.,  215  ff.,    218  f.,    221  ff.,    226,   231  f., 

234,   239  f.,  259,    264,  303,   344. 

— ,   ,, Dichtung  und  Wahrheit"    159,    173,   181 

— ,   ,, Leiden   des  jungen  Werther"    195  f.,    207 

— ,   ,,Die  Aufgeregten" 198 

— ,   ,,Der   Bürgergencral" 197  f- 

— ,  „Faust"  ....  29,  78,  170,  233 
— ,  ,, Götter,  Helden  und  Wieland"        ,     195 

— ,   ,,Der   Groß-Cophta" 197 

— ,  ,,Götz  von  Berlichingen"  ....  194 
— ,   ,,Jalirmarktsfest  zu  Flundersweilern", 

„Neuestes  von  Plundersweilern"  .  .  195 
— ,  ,,Die  Laune  des  Verliebten".  154,  193 
— ,  ,,Die  Mitschuldigen"  ....  89,  193 
— ,   , .Stella" 176 


Goethe,  „Satyros",  „Die  Vögel" ,     .     .     195 
— ,  ,, Triumph  der  Empfindsamkeit"     .     195 

Goetze 76  f. 

Goldoni 209,   243  f. 

Gott,  Emil 314 f->  326,  333 

—  ,, Freund  Heißsporn" 315 

—  „Mauserung" 315,   333 

—  ,,Der  Schwarzkünstler"  (,, Adept", 

,, Verbotene  Früchte") 315 

Götterparodie 245  ff. 

Gotthelf 298 

Gottschall,   Rudolf     .      .      ,        223,   257,   276 

— ,  ,,Pitt  und  Fox" 276 

Gottsched  36,  103,  118,  120  ff.,  130  ff.,  136  f., 

140  ff.,    150,   156,    158,    166  f.,    169,   173, 

178  f.,   244. 

— s  Komödientechnik 128 

— s  Cbersetzungstheorie 129  f. 

— ,   ,,Die  Opern" 129 

Gottschedin        127,   129  f.,    132,    I37f.,   139, 

142,   161,   174,    178. 
— ,  „Die  Hausfranzösin oderdieMamsell"   137  f. 
— ,   „Herr  Witzling"       ....       127,    138 
— ,  „Die  Pietisterey  im  Fischbeinrocke"   129 f., 

138,   142,   152,   161,   174. 

— ,   „Das  Testament" 138 

— ,   „Die  ungleiche   Heirat"     ....      137 
— ,  „Der  Verschwender",  „Die  Wider- 

sprecherin" 127 

Goutart HO 

Gozzi,   Carlo     ....    199,    216,    222,   243 

— ,   ,,Turandot" 199 

Grabbe,    Christian   Dietrich    189,    22of.,  255, 

328,  331. 
— ,   ,, Scherz,  Satire,  Ironie  und  tiefere 

Bedeutung" 220  f.,  331 

— ,   , .Napoleon" 255 

Grabwächterszenen 90 

Graf-von-Gleichen-Motiv 176 

Greff,  Joachim,   ,,Aulularia"     .      .      .      60,   72 
Gnllparzer    183,   249,   262  ff.,   266,   273,   286, 

289,    293. 
— ,  ,, Die  Schreibfeder",  ,,Wer  ist  schuldig"  262 
— ,  „Weh  dem,  der  lügt"  245,  249,  262  ff.,  293 

Grimm 87 

Grimmclshausen 94 

Grobianismus 64,   75 

Großmann 192 

Groteske 329 

Grubbe,   Otto  Friedrich,   „Die  Winde"   .      271 
Gryphius.  Andreas   90,  96(1.,  loi,  104  f.,  107, 

116.    llS.    134.    176,    1S3,   238. 
— ,   ,, Die  geliebte  Dornrose"  97  ff.,   134,   238  f. 
— ,   „Herr  Peter  Squcntz"  .     .    97,    lOO,    107 
— ,   ,,Horrihilicribifax"    .      .     .     .    97  ff.,    lOO 
— ,   ,,Das  verliebte  Gespenst"        ...        98 

Guarini,   ,, Pastor  Fido" 8a 

Gulbransson 329 

Gundolf,   „Goethe",    1916  .      .      .       215,   296 

Gurli 206 

Gusinde,,, Neidhart  mit  dem  Veilchen",  1S99    43 
Gutzkow 274  f.,  284 


Personen-  und  Sachregister. 


359 


Gutzkow,    „Anonym",   Der  Königsleut- 
nant"   275 

— ,  „Die  Schule  der  Reichen"  .  .  .  274 
— ,  „Das  Urbild  des  Tartuffe"  ...  275 
— ,   „Zopf  und  Schwert" 274!. 


Hackländer,  „Der  geheime  Agent"  .     .     275 

Hafner,  Philipp 244  f. 

— ,  „Megära,  die  förchterliche  Hexe", 
„Der  von  dreyen  Schwiegersöhnen  ge- 
plagte Odvardo" 245 

Halm,  Friedrich,  „Verbot  und  Befehl"    273  f. 

Hamann 188,   2l8,   264 

Hampelmanniaden 260 

Hamsun,  Knut,  ,,VordesReichesPforten"     280 
Handlungsverschlingung       .      .      .   81,   88,   92 
Hanswurst,  s.  Narrentypus. 
Harlekin,  s.  Narrentypus. 

Hart,   Heinrich 325 

Hartleben,  Otto  Erich   .     .   325  ff.,  329,  331 

— .   „Angele" 325 

— ,  ,,Die  Erziehung  zur  Ehe"     .     .     .     325 

— ,   ,, Hanna  Jagert" 325 

— ,  „Die  sittliche  Forderung"      .     .     .     325 

Hartmann,   Eduard  von 30 1 

Hauptmann,   Gerhart  84,   99,   224,   249,   297, 

305  ff.,   316,   318  f.,    321,   324,  326  f.,   330, 

332,   337 f. 

— ,  „Der  Biberpelz"      .     .  99,  308  ff.,  318  f. 

— ,  „Der  Bogen  des  Odysseus"  .     .     .     337 

— ,   „Friedensfest" 326 

— ,  „Die  Jungfern  vom  Bischofsberg"  312^,330 
— ,  „Kollege  Crampton"     ....       306  ff. 

— ,  ,, Peter  Brauer" 307  f. 

— ,  ,,Der  rote  Hahn"  309  f.,  313,  318,  324,  327 
— ,  ,, Schluck  und  Jau"    84,  224,  311  f.,  316 

— ,  ,,Die  Weber" 306,  321 

— ,  Karl 330  f. 

— ,  „Die  armseligen  Besenbinder"    .     .     330 

— ,  „Die  Rebhühner" 330 

Haydn 245 

Haym,  „Die   romantische  Schule",  1920     217 

Hayneccius,   Martin 67  f. 

— ,  ,,Almansor",  „Hansoframea"  .  .  67 
— ,  „Hans  Pfriem,  oder  meister  Kecks"  67  f. 
Hebbel,  Fr.  275,  286 ff.,  293,  297,  302,  320 f. 
— ,  ,,Der  Diamant".  .  .  .  287  ff.,  290  f. 
— ,  „Michel  Angelo"     ....   292  f.,  302 

— ,  „Der  Rubin" 290  ff. 

Hebel,  J.  Peter 239 

Hegel 286 

Heidelberger  Sommertagzug     ....        38 

Heine,  H 207,  224  f. 

— ,  Th.  Th 335 

Heinrich  Julius  von  Braunschweig  65,  67,  78, 

83,  88  ff. 
— ,  „Comedia  von  einem  Edelmann"   .       89 
— ,   ,, Comedia  von  einem  Wirth"     .       89,   91 

— ,   ,,SusaQna" 88  f.,  91 

— ,  ,,ViDcentius  Ladislaus"  .  .  .  65,  90  f. 
Heinrich,  Karl  „Kaiserwahl  in  Frankfurt"    272 


Heinse 225 

Heinzel,  R.,  „Abhandlungen  zum  alt- 
deutschen  Drama",    1896     ....        15 
Hellmann,  Hanna,  „H.  von  Kleist,  „Das 

Problems.Lebensu.  S.Dichtung",  1911  230 
Hellpach,  „Geopsychische  Erscheinungen"  323 
Henrici,  Christian  Friedrich  (Picander)  ligi., 

168. 
— ,  „Der  akademische  Schlendrian", 

„Der  Erzsäufer",  „Die  Weiberprobe"     119 

Hensler 244,  254 

Herder 3,   127,  188,  264 

Hermann  der  Cherusker 66 

Herodes 34 

Herodesspiele 88 

Herrad  von  Landsberg 41 

Herrmann,  Max,  „Forschungen  zur 
deutschen  Theatergeschichte  des  Mit- 
telalters und  der  Renaissance",   19 14      57, 
69,  77- 
Hersch,  Hermann,  „Anna-Lise"  .     .     .     277 

Herwegh 373 

Hessus,  Eobanus 66 

Hettner,  Hermann,  „DasmodemeDrama", 

1852        257,  274,  344 

Heybey        112  f. 

Heyne,  Chr.  Leberecht  (Anton  Wall)    .      197 
— ,  ,,Die  beyden  Billets",  „Der  Stamm- 
baum"      197 

Historische  Dramatik 276  f. 

Historisches  Lustspiel 274  f. 

Histrio  Gallicus,  Comico-Satyricus    .     .      Hi 
Hoffmann.  AugustHeinrich,  „Fundgruben 
für  Geschichte  deutscher  Sprache  und 

Literatur",  1830/37 18,  20 

Hoffmann,  E.  Th.  A.  .  .  203,  218,  330  f. 
Hoffmann,  Heinrich,  ,,Die  Mondzügler"  273 
Hofmannsthal,  Hugo  von       278,  297,  316  f. 

— ,  ,, Gestern" 316 

— ,  ,,Dame  Kobold" 317 

— ,  ,,Der  Rosenkavalier"   .     .     .      297,  317 

— ,   ,,Der  Schwierige" 317 

Hofmiller,  Josef,  ,, Zeitgenossen"   1910 .    313, 

319.  328. 
Holberg,  Ludwig       i,  84,   lio,   132  ff.,   137, 
140,    143,    148,   150,   163,    169,   170,   175, 
198,  209,  216,   253,  262,  311,  321. 

— ,   , .Jacob  von  Tyboe" 133 

— ,  „Jean  de  France"  .  .  132,  137,  175 
— ,  ,,Jeppe  vom  Berge"  ....  84,  lio 
— ,  „Der  politische  Kannegießer"  133,  26a 
HoUonius,  Ludwig  .  .  .  .  84f.,  92,  HO 
— ,  ,,Somnium  vitae  humanae"  84  f-,   HO 

Holtei,  Karl  von,  „Die  Wiener  in  Berlin"  253 
Holz,   Arno 305,   307,   340 

—  und    Schlaf,    „Papa   Hamlet",  „Die 
Familie  Selicke" 305 

—  und  Jerschke,  „Traumulus"    .     .     .     340 

Holzinger 6l 

Homer 159 

Horaz 73.  83.   109 

Hortus  deliciarum 41 


36o 


Register. 


Hosemann,  Theodor 253 

Houwald,  E.  von 218  f. 

— ,  „Der  Leuchtturm",  „Seinem  Schick- 
sal kann  niemand  entrinnen"    .     .     .     218 

Hrotsvith 3f.,  61 

— ,  „Dulcitius" 4 

Humanismus 60 

—  und  Theater 68  ff. 

Humanistendrama 241 

Humor   i,  26,  104,  I79f.,   I94f.,  212  f.,  251, 

263,  287,  289,  291,  295,  319,  343  f. 

Husserl,  Edmund 310 

Hütten,  Ulrich  von 66 

Ibsen 265,  291,  318,  326 

— ,  „Brand" 265,  291 

— ,  ,,Peer  Gynt" 326 

Idealismus 34 

Iffland  193,  196,  200,  202  ff.,  205,  208,  215  f. 
225,  235,  238,  246,  262,  266  f.,  274,  283. 
— ,  ,,Die  Hagestolzen",  „Der  Herbsttag"  203  f. 
— ,  ,, Hausfrieden",  ,,Der  Komet"  .  .  204 
Illusion  des  mittelalterlichen  Schauspiels        25 

Impressionismus -  39,  239,  304 

Immermann 163,   219,   298 

— ,  ,,Cardenio  und  Gelinde"   .     .     .     .     163 

Individualismus 104 

,,Inkle  und  Yariko" 177  f> 

Ironie ....     196 

Irrationalismus      ....  .     .  46,  301 

Jean  Paul 225,   251,  330  f. 

Jerschke  und  Holz,  ,, Traumulus"     .     .     340 
Jesuitendrama  ....  83,  93,  241  ff.,  245 

Johannes  der  Täufer 24,  28  f. 

Jonson,  Ben 79,  90 

Jordan,  Wilhelm,    „Durchs  Ohr",  ,,Die 

Liebesleugncr",    „Tausch    enttäuscht"     277 

Josefinismus 247,   266 

Joseph 34 

Josephsdramen 82 

Judenkomik   17  f.,  20,  31,  36,  59,  279  f.,  290 

Judenpossen 262 

Jüdischer  Geist 255  f. 

Jungdeutschland 1S7,   224,   268 

Jünger,  J.  Fr 200,   216,   223 

— ,  ,, Maske  für  Maske" 223 

Kadelburg I,   284 

—  und  Blumenthai,  ,,Im  weißen  Rössl"     284 

Kaiser,  Friedrich 298 

— .  Georg 337  ff. 

— ,   ,, David   und  Goliath" 339 

— ,   ,, Europa" 337  ff. 

— ,   „Der  gerettete  Alkibiades"    .     .     .     339 
— ,  ,,Die  jüdische  Witwe"      .     .     .      337  ff. 

— ,   ,, Kanzlist  Krehler" 341  f. 

— ,   ,, König  Hahnrei" 337  ff. 

— ,   „Konstantin  Strobel  oder  der  Zentaur"    341 


Kaiser,  „Rektor  Kleist" 340  f. 

— ,  „Von  Morgens  bis  Mittemacht"      .     341 

Kaiisch,  David 2565.,  284 

— ,  ,, Berlin  bei  Nacht",  ,, Berlin,  wie  es 

weint  und  lacht",   ,, Berlin  wird  Welt- 
stadt"  256 

— ,  ,,Der  gebildete  Hausknecht"       .     .     257 
—  und  Weirauch,  ,,Die  Mottenburger"     257 

Kant 213,  226  f.,   264,  283 

Kärntnertortheater 242,   244 

Kasperletheater      .     .     .      .  4  f.,    n  f.,   23,  42 

Katholische  Geistliche 241  f. 

Keller,  A.  von  (Fastnachtspiele  aus  dem 

15.  Jahrhundert) 36,   47,   50 

Keller,  Gottfried 98,   257,  302 

— ,  ,, Romeo  und  Julie  auf  dem  Dorfe"        98 
Kerr,    Alfred,    ,,Die  Welt   im   Drama", 

1917 309.  318,  336 

Kirchmeyer,  Thomas  (Naogeorg)  ,,Mer- 

cator",  „Pammachius" 64 

Klassik 66 

Kleinberg,    Alfred,    ,,L.  Anzengruber", 

1921 298,  300 

Kleinbürger 134^- 

Kleist,    Heinrich    von    99,    183,    226  ff.,  255, 

263,   2S8  ff.,   294,  308. 
— ,  ,,Über  das  Marionettentheater"  236  f.,   263 
— ,   ,,Amphitryon"     .      .     .   228  ff.,   237,   23g 

— ,   ,,Guiskard" 228,   231 

— ,   „Penthesilea" 229  ff. 

— ,  „Der    zerbrochne    Krug"     i,    99,    229, 

234  ff.,   288,   290,   308  f. 
Klinger,     Friedrich     Maximilian     186,    188, 

191  f.,   195  f. 

— ,   „Der  Derwisch" 192 

— ,  ,, Sturm  und  Drang"     .    186,  188  f.,  igif, 
— ,  ,,Der  verbannte  Göttersohn"       .     .     195 

Klopstock 156,   181 

klugen  und  törichten  Jungfrauen,    ludus 

von  den 6,   22,  35 

Kneisel,  Rudolf,   „Der  liebe  Onkel"     .     285 

Koch 158 

Koenig,  Johann  Ulrich  von    .     .     .       118  ff. 
— ,  „Dresdner  Schlendrian"     .     .     .     .119  f. 

— ,  „Die  verkehrte  Welt" 118  f. 

Komik  des  Parallelismus 279 

Komische  Figur,  s.  Narrentypus. 
Komödianten,     Englische     78  f.,    81,     83  ff., 

102,   104,    115. 

— ,   Französische 79 

— ,   Holländische 79 

— ,   Italienische 79,   242 

Komödiantenschauspiel 241  ff. 

Komödie,  Antike I|  44 

— ,   Bürgerliche 126 

— ,  Phantastische 125  f. 

— ,   Politische 320 

— ,   Realistische I25f. 

— ,   Sächsische lOI,    105 

Komödie  und  Tragödie    66,  85,   199  f.,  286  f. 

Komödienbezeichnung 85 

Konversationsstück 315  f. 


Personen-  und  Sachregister. 


361 


Körner,  Theodor        .     .     .        199,  225,  262 

— ,   „Die  Gouvernante" 225 

Köster,  Albert,  ,,Die  Meistersingerbühne 

des   16.  Jh.",   1920 77 

Kotzebue,  A.  von      109,  205  ff.,  2i6ff.,  225, 
241,  259,  261,  266  f.,   271,  278,  283,  294, 
3i3f.,   319,  329,  332. 
— ,  „Die  beiden  Klingsberg"       .     .     .  209  f. 

— ,   „Carolus  Magnus" 209 

— ,  ,,Der  deutsche  Mann  und   die   vor- 
nehmen Leute" 206 

— ,  „Die  deutschen  Kleinstädter"     109,  207, 

209  ff.,  241,  261,  332. 
— ,  „Des  Esels  Schatten  oder  Prozeß  in 

Kraehwinkel" 209 

— ,  ,,Hans  Max  Giesbrecht  von  der 

Humpenburg"        206 

— ,  „Der  hyperboreische  Esel  oder  die 

heutige  Bildung"    ....  206,  211,  217 
— ,  ,,Die  Indianer  in  England",  „Die 

Organe  des   Gehirns" 206 

— ,  ,, Pagenstreiche" 2iO 

— ,  ,,Der  Rehbock" 210  f. 

— ,  ,,Der  weibliche  Jacobiner-Clubb"  .  208 
Krüger,  Johann  Christian      141  ff.,    145,    147, 

166  ff.,  258. 
— ,  „Der  Bauer  mit  der  Erbschaft"        141  f., 

144,  258. 
— ,  ,,Der  blinde  Ehemann"     .     .     .     .      144 
— ,   „Die  Candidaten"    .      .      .        143  ff.,    166 
— ,  ,, Die  Geistlichen  auf  dem  Lande"  142,168 

— ,   „Herzog  Michel" 144 

Kühne,   Gustav 292 

Kunstdrama  und  Volksdrama        .     .     .      116 

Künstlerdramatik 292 

Kupplerin 29  f.,  68 

Kurz,  Job.  Josef  Felix  von    .     .     .       243  ff. 
— ,  „Bernardon    .  .  .  .",    ,,Die  Zauber- 
trommel"       245 

Kyser,  ,, Charlotte  Stieglitz"     .     .     .     .     331 

L'Arronge,  Adolph 257 

— ,  „Doktor  Klaus",  ,, Hasemanns  Töch- 
ter",  ,,Mein  Leopold" 257 

Laub,  J.  G 133 

Laube,  Heinrich  .  265,  268  f.,  273  ff.,  277 
— ,  ,, Gottsched  und  Geliert",  , .Rokoko"  275 
Lauffs,  C,  „Ein  toller  EinfaU"   ...     285 

Lebenskraftlehre 323 

Legendendramen 35f. 

Legrand,  „Le  roi  de  Cocaigne''  .     .     .      118 

Leibniz 120,    126,   182,   249 

Lenz,  R.  J.  ÄL      186  ff.,   190  f.,   192,   194  ff., 

200,  216,  2t8. 
— ,  „Anmerkungen  übers  Theater"  .     .  187  f. 
— ,  „Die  Freunde  machen  den  Philoso- 
phen"        190  f.,   216 

— ,  ,,Der  Hofmeister"    ....  186  f.,   190 

— ,   ,,Der  neue  Menoza" 190 

— ,  „Pandämonium  Germanikum"  .  .  195 
— ,  „Die  Soldaten"  .     .     .    186  f.,   191,   194 


Lenz,   jjTantalus" 194  f. 

— ,  „Wolken" 195,  206 

Lenzfeier 56 

Leopoldstädter  Theater 244 

Lesagc,  ,,Le  diable  boiteux",  ,,Gil  Blas"  199,  263 

Lessing,   G.  E.  60,  68,  81,  86  f.,  89,  98,  122, 

127,  138  f.,  141,  143,  149  ff.,  157  f.,  160  f., 

165,    167  ff.,    172  ff.,    175  ff.,    178,    179  ff., 

186  f.,   189,  205,  210,  244,  322. 

— ,  ,, Hamburger  Dramaturgie"  122,  138,  141, 

150  ff.,   165,   175,    187. 
— ,  ,,Die  alte  Jungfer".     .     .169,   173,    175 
— ,  „Dämon    oder    die    wahre  Freundschaft" 

169,  174. 

— ,  „Der  Freigeist" 170  f. 

— ,  ,,Die  Juden" 170  ff.,   175 

— ,  ,,Der  junge  Gelehrte"        .     .       170,   175 
— ,   „Minna  von  Barnhelm"  I,  86,  89,  98,  152, 

170,  178,  I79ff.,  186  f.,  201,  205,  275,  278 

— ,   „Der   Misogyne" 169 

— ,  ,, Nathan  der  Weise" 171 

— ,  „Miss  Sara   Sampson" I75  f- 

— ,  Karl  Gotthelf 192 

Le  Veau 234 

Levinstein,K.,  „WeiseundMoHere",i899      iii 
Leyen,  von  der,  ,, Deutsche  Dichtung  in 

neuer  Zeit",    1922 331 

Liberalismus 295  f. 

Lichtenberg,  G.  Chr 200 

„Liebeskampf"      .     .     .     .Soff.,   iio  f.,   114 
Liebesmotiv      .     .     .     100,   105,   189,  232  f. 

Lienhard,   Fritz 320 

Liliencron,   Detlev  von  ....       261,   306 

Lindau,   Paul 314 

Literaturrevolution 304  f. 

Literatursatire  97,  173,  195,  21 1,  216,  2i8  ff., 

246,   319. 
Lokalpo';se  ....     238  f.,  290,  298,  305 

— ,  Berliner 253  ff.,   262,    284 

— ,  Frankfurter 259  f. 

— ,  Hamburger I39f' 

— ,  Kölner 241 

— ,   Wiener       .      I17,   241,   244  ff.,   262,   270 

Lope  de  Vega 223,  263 

Lortzing,   ,,Der  Wildschütz"    .     .     .     .     210 

Lubliner,   Hugo 314 

Ludwig,   Otto 298 

— ,   ,,Heitheretei" 302 

Lustige  Person,  s.  Narrentypus. 

Lustspiel,   Anfänge  des 3 

— s,   ^'esen   des 1,   26 f.,   33 

—  des   18.  Jahrhunderts      .      .      .       334,   336 

Lustspielbezeichnung 75 

Lustspieltheorie  121, 126  f.,  134,  141  f.,  145  ff-. 

199,    286  f. 
Lustspil,  Ein,  der  weyber  Reichstag  ge- 
nant     75 

Luther 55.  7i 

Mach,  Ernst 311 

Macropedius,  Georg 63  f.,  68 


362 


Register. 


Macropedius,  „Asotus" 63,  68 

— ,  „Hecastus" 63 

— ,  „Peiriscus",  „Rcbelles"     ....        68 

Malß,  Karl 259  ff. 

— ,  „Herr  Hampelmann  oder  die  Land- 
partie nach  Königstein"       ....     260 
— ,  „Die  Entführung  oder  der  alte  Bürger- 

Capitain" 259  f.,   262 

Manuel,  Nikiaus  ....    49,   72,   74,   238 

— ,  „Der  Ablaßkrämer" 72 

— ,  „Elsli  Tragdenknaben"  .  .  .72,  238 
— ,  „Krankheit  der  Messe",  „Testament 

der  Messe" 72 

— ,  „Von  Papstes  und  Christi  Gegensatz", 

,,Vom  Papst  und  seiner  Priesterschaft"        "JZ 
— ,   Hans  Rudolf,    „Ein  holdsäliges  Faß- 
nachtspil,    darin  der  edel  wyn  von  der 
Truncknen  rott  beklagt  ..."...        74 

Märchenkomödien 214,   222  ff. 

Maria 34 

Maria  Magdalene 9,   11,   13 

Marienklage 10,   29 

Marinelli 244 

Marionetten ,      .      .        41 

Marivaudage 131 

Marivaux  123,  131,  I4lf.,  144,  157,  170,  210 
— ,  „Überraschung    der    Liebe",     ,,Die 

Sklaveninsel" 144 

— ,  ,,L'heritier  de  village"  ....  141 
— ,  „Le  jeu  de  l'amour  et  du  hasard"  223 
Marmontel  ,,Contes  moraux"  .  .  .  .  178 
Martin,  Ernst,  ,, Der  Schwank",  1921  282,285 

Märtyrerdramen 35  f- 

Massimo  Trojane 242 

Materialismus  ....      34,   278,  301,  303 

Meier  Helmbrecbt 45 

Meisl 245  f.,   248,   259 

Meistersingerdrama 97 

Melk,   Heinrich  von 46 

Menander 154,   325 

Mendelssohn,  M iSSf- 

Mercier 192  f. 

Meyer,  Rieh,  M.,  ,,Die  deutsche  Literatur 

des   19.  und  20.  Jahrhunderts",   1921      26a 

Michelangelo 292 

Michels,   V.,  „Studien   über  die    ältesten 

deutschen  Fastnachtspiele",   Q.  F.     .        51 
Miles  gloriosus      .    18,   90,   94,   97,    iio,    115 

Militärschwank 285 

Mimus  I  f.,  4  f.,  9,  12  ff.,  29,  39,  42  f., 
50,  53.  55.  57,  76,  81  ff,  89  f.,  96,  HO, 
115,   118,   136,   282,   294. 

Minnedichtung 30 

Minor,  Jacob,  ,, Weiße  und  seine  Bezieh- 
ungen zur  deutschen  Literatur",  18S0  172  ff., 
178,   208,   218. 

Mitlcidsdramatik 306 

Mittelalter 3  ff. 

Moliere  i,  79,  loi,  iioff.,  123,  125,  129  ff. 
137,  142,  151,  154,  160,  168,  170,  175  f., 
199,  201,  205  f.,  209  f.,  228  ff.,  250,  275, 
306,   314,   317,   344. 


Moliere,    ,, L'amour   mddecin",    „George 

Dandin" III 

,,L'avare" 110  f.,  306 

,,Le  bourgeois  gentilhomme"  .  .  317 
,,L'ecole  des  femmes"  .  .  .  .  176 
,,Les  femmes  savantes"  ....  129 
,,Le  malade  imaginaire"    .     .     .     .      129 

,,Le  misanthrope" 131 

,,Les  precieuses  ridicules"  .  .  .111  f. 
,,Sganarelle  ou  le  cocu  imaginaire"  .  Iii 
„Tartuffe"       .      .      .    129,    142,    160,   275 

Mönchssatire 35 

Mone,  ,, Altdeutsche  Schauspiele,  1841  19,  24 
Moore,  „The  Gamester"  .  .  .  155,  176 
Moreto,  „Trotz  wider  Trotz"  (El  desden 

con  el  desden) 267 

Morhof,   Daniel  Georg    .      .      .      .       II 8,    120 

Muser,   Gustav  von I,  285 

— ,  ,,Der  Bibliothekar",  „Der  Veilchen- 

fresser" 285 

Moser,  Justus,  „Harlekin  oder  Vertheidi- 

gung  des  Groteske-Komischen"     .      .  121  f. 
Mozart,  „Figaros Hochzeit",  „Die  Zauber- 
flöte", „Bastien  und  Bastienne"       .     244 f. 

Müller,  Adam 255 

— ,  Johannes 331 

— ,  Johann     Gottwerth,     und     Bunsen, 

„Siegfried  von  Lindenberg"      .     .     .     259 

— ,  Theaterdirektor 120,    139 

— ,   Wenzel 245 

Müllner,  Gottfried  Adolf  .  218  f.,  225,  262 
— ,  „Die  Onkelei  oder  das  französische 

Lustspiel" 225 

Muratori 180 

Musik     .     .       2,   242,   245,  295  f.,  300,  344 

Mylius,  Christlob 167  f.,   171 

— ,  „Die     Ärzte",    „Der    Kuß",     „Die 

Schäferinsel" 168 

— ,  ,,Der  Unerträgliche" 168 

Mylius,  W.  C.  S 143 

Mysterien 36 


Nadler,  Josef,  „Literaturgeschichte  der 
deutschen  Stämme  und  Landschaften", 
1912/13/18;  „Berliner  Romantik", 
1921;  „Das  österreichische  Volks- 
stück", 1921  244,  248,  250,  254  f.,  322 
Naiventypus    140,    162,    176  ff.,    186,    204, 

264,  313. 
Namengebung  ....      99,   151,   164,   175 
Naogeorg  (Thomas  Kirchmeyer),  „Mer- 

cator",  ,,Pammachius" 64 

Napoleon 166 

Narrentypus   35,   39,  46,   49,   53,   81  ff.,   87  f., 
90  f.,    102,    109,    113,    116  ff.,   223,   262. 

— :  Drewes 81 

— :   (jrazioso 263 

— :  Hans  Knapkäse 81 

— :   Hans    Supp 81 

— :   Hanswurst  15,81,   96,  I15,  Il7ff.,   242  f. 
— :  Wiener  Hanswurst 249  ff. 


Personen-  und  Sachr^ster. 


363 


Narrentypus:  Wiener  Hanswurst:    Kas- 

perl,   Riepel,  Thaddadl 244 

— :   Harlekin   53,   92,    120fr.,    130,    132,   136, 

143,    169. 
— ,  Italienischer:  Arlecchino  ....     243 
— ,   ■ — :    Brighella.      ...  ...      243 

— ,  — :   Dr.  Gratiano 243 

— ,   — :   Pantalone 92,   242  f. 

— ,  — :   Scaramuccia 242 

— ,   — :   Zani 92 

— :   Jean  Potage    , 81 

— :  Merry  Andrew 81 

— :  Pickelhering  8if.,  104,  108  f.,  Il3ff.,  139 

— :   Schambitasche 81 

— :  Schramfritz,  Schrämgen     ....       81 

Nationalgefühl 181 

Nationalkultur 73 

National-volkstümliche  Kunst.      ...        86 
Naturalismus    .       6,    59,   262,   305,   319,   326 

Natursymbolik 37  ff- 

Neidhart .        43 

Neidhartspiele 43  ff- 

Nestroy,  Johann  Nepomuk  224,  246,  251  ff., 

284,   29S. 
— ,   „Der  böse  Geist  Lumpacivagabundus 

oder  das  liederliche  Kleeblatt"       .     .      251 
— ,   ,,Staberl     als     konfuser     Zauberer", 

„Staberl   im   Feendienst"      ....      246 
— ,    „Zu    ebener    Erde    und    im    ersten 

Stock" 252 

Neuber(in),  Caroline  I18,  120  ff.,  139,  170,  172 
— ,   ,,Das  deutsche   Vorspiel"        .       118,    120 

Niebcrgall,   Ernst  Elias 260  ff. 

— ,  ,,Des  Burschen  Heimkehr  oder  der 

tolle   Hund" 261 

— ,  ,,Dattench"  ....  261  f.,  290,  306 
Niemann,  Karl,  ,,\Vie  die  Alten  sungen"  277 
Nietzsche  .  .  304,  308,  313  f.,  3^5  f.  332 
Nivelle  de  la  Chaussee  141,  155,  157  ff., 
165  f.,   175,   179  f.,   201. 

— ,  „L'ecole  des  amis" 157 

— ,  ,,La  fausse  Antipathie"     .      .       155,    157 

— ,   ,,La  gouvernante" 157 

— ,   „Melanide"     .^     .      .    155,    157,    175,    I79 
^,   ,,Le  prejuge   ä  la  mode"        .      .     .      157 
Noel,    Johann    Heinrich   de,    ,,Der  ver- 
lorene Sohn" 241 

Novalis 227,  232 

Offenbachiade 246  f. 

Ökonomie  des   Dramas 86  f. 

„Ollapotrida   des  durchtriebenen  Fuchs- 

mundi" 137,   243 

Operette 13 

Opern 241 

Opitz,    „Buch    von   der   deutschen  Poe- 

terey" 83 

Orlando  di  Lasso 242 

Ossenfelder 168 

Osterspiele 7  ff- 

Owlglaß 241 


Parasit 65,  68 

Parodie 246 

Parvenü 42 

Passionsspiel  .  8  f.,  15,  18,  23,  25,  27,  29 
Pauli,   ,, Schimpf  und  Ernst"   ....        75 

Paulsen III 

Perinet 244,   246 

— ,  ,, Hamlet,  Prinz  von  Tandelmarkt"      246 

Pfeffel 178 

Pfuel 234 

Phallus I,   39,  50,  219 

Phänomenologie 338 

Phantastisches II 7  f. 

Philister 325 

Philistersaliren 217  f. 

Picander  (Henrici) IIQf.,    168 

Picard 209 

Pichler,  A.,  ,,Über  das  Drama  des  Mittel- 
alters  in  Tirol",    1850  8  f.,    17,    19,   23 

,, Pickelhering" 80 

Pickelhering,  s.  Narrentypus. 

Pius  IX 299 

Platen,  August  von  .  .  2iSff.,  222f.,  271 
— ,  ,,Der  gläserne  Pantoffel"  .  .  .  222  f. 
— ,  „Der  romantische  Ödipus"  .  .  .  219 
— ,  „Der  Schatz  des  Rhampsinit"  .  .  223 
— ,  ,,Die  verhängnisvolle  Gabel"    218  f.,  271 

Plato 199.   239 

Plautus      I,   18,   60,   63  f.,   67,   71,   101,    132, 
136,    167,    170,   190,   210,   231,   233. 

— ,   ,,Aulularia" 60 

— ,   ,,Captivi"        67 

— ,   ,,Menächmen" 232 

Pniower,  „Goethes  Zeitdramen"  in  Jub.- 

Ausg.  Bd.  9 198 

Poetik 73 

Poisfon,  Raimond 144 

Politik  und   Posse 257 

Politische  Satire 271  ff. 

Polymythie 87 f.,   92 

Posse 33,   40,  42,  44,    117 

Prehauser,   Gottfried 243 

Preisendanz,  Karl 61  f. 

Piodigusdramen .      68,   83 

Prozessualallegorien         48 

Prügelei 5,    12  ff.,   34 

Prüller,   Franz 298 

Prutz,   Hans,    ,,Zur  Geschichte  der  poli- 
tischen Komödie  in  Deutschland",  1919      272 
— ,  Robert 135.   272 

—  — ,   „Holbergs  Leben  und  Schriften"      135 

—  — ,  „Die  politische  Wochenstube"  .  272 
Psychoanalyse  ....  .  327,  338 
Psychologie,  mittelalterliche  ....  34 
Puppenspiel  ....  13,  40  ff.,  53,  95  f. 
Putlitz,    Gustav   zu,  ,,Der  verwunschene 

Prinz" 311 

Quacksalber 42 

Quijote,   Don 95.  275 

Quinault 98,  lll 


364 


Register. 


Quinault,  „Le  fantome  amoureux"    .     .  98 
Quistorp,  Joh.  Theodor       .     .     .    127,   I38f. 

— ,   „Die   Austern" 139 

— ,  „Der  Bock  im  Prozesse"       .   138  f.,  153 

— ,  „Der  Hypochondrist"  .     .     .       127,  139 

Raber,  Vigil 49 

Racine 79.  I39 

— ,  „Les  Plaideurs" 139 

Räder,  Gustav,    ,, Robert  und  Bertram"  284 

Raimar,   Freimund    (Friedrich  Rückert)  271 
— ,  ,, Napoleon  und  d.  Drache",  Napoleon 
und  seine  Fortuna",   ,,Der  Leipziger 

Jahrmarkt" 271 

Raimund  (Raimann),  Ferdinand   245,   248  ff., 

252,   298. 
— ,  „Der  Alpenkönig  und  der  Menschen- 
feind"  249  f. 

— ,  ,,  Der  Barometermacher  auf  der  Zauber- 
insel"         248 

— ,  „Der  Bauer   als  Millionär"    .     .     .  249 

— ,  ,,Der  Diamant  des  Geisterkönigs"  .  248 

— ,   ,,Die  gefesselte  Phantasie"     .       245,  249 

— ,   ,,Moisasurs   Zauberfluch"  ....  249 

— ,  ,, Der  Verschwender"     .     .     .   250  f.,  290 

Raphael 238 

Rapp,  Fritz,  ,,Der  Wolkenzug"         .     .  271 

Rationalismus.      .      .46,    loi  ff.,    121  ff.,  156 

Raupach 219 

Realismus 34,  303 

Rederjikers 79 

Reformation 63f. 

Regnard 123 

Rehfisch,  Hanns  J.,  ,, Erziehung  durch 

Kolibri" 337 

Rehm.H.S.,  ,,  Das  Buch  der  Marionetten"  41 

Reich,   Hermann,   ,,Der  Mimus",    1903  4 

Relativismus    .      .      .      310  f.,   317,   324,  338 

Rembrandt 235 

Renaissancekomödie 302 

Renommist 42 

Restorationskomödie       .      .      .      .    I23f.,  193 
Reuchlin,  Johannes  .     .     .  57,  61  ff.,  66,   77 

— ,   ,,Henno,  Scaenica  Progymnasmata"  57, 
61,   77. 

— ,  ,,Sergius" 61 

Reuter,  Christian        82,    112  ff.,    116,    Il9f., 

137.   175- 

— ,  „Schelmuffskys  Reisebeschreibung"  114 

— ,  „Graf  Ehrenfried" 115 

— ,  „L'honnete  Femme  oder  die  ehrliche 

Frau  zu  Plißine" 112  ff. 

— ,  „La  maladie  et  la  mort  de  l'honnete 
femme,    das    ist:    der    ehrlichen    Frau 
Schlampampe  Krankheit  und  Tod"      114  f. 
Rhenanus,  Johannes,  „Speculum  aistheti- 

cum" 78 

Riccoboni,  Louis, ,, Reflexions  historiques 
et  critiques  sur  les   diffeiens  Theätres 

de  l'Europe" 157,  180 

Richardson  143,  155 ff.,  159,  i65f.,  I76f.,  193 


Richardson,  „Clarissa" 155 

— ,  „Pamela"  ....  155,  157,  159,  166 
Richter,  Adam  Daniel  ....  141,  158 
— ,  Anton  ,,Eumenides  Düster"  .  .  218 
— ,   Werner,    ,, Liebeskampf    1630    und 

Schaubühne  1670",  1910  ....  80 
Rist,  Johann  .  .  81,  93  ff.,  98,  139,  258 
— ,  ,,Friedejauchtzendes  Teutschland"  93,  95 
— ,  ,, Friedwünschendes  Teutschland"  .  95 
— ,  ,,IreDaromachia",  ,,Perseus"  ...        94 

risus  paschalis 8 

Rittersatire 55 

Ritterstand 16 

Rittner,   Thaddäus 270 

Robert,  Ludwig,  „Kassius  und  Phantasus 

oder  der  Paradiesvogel" 218 

Robinson  (Defoe) 177 

Roethe,     ,,Frischlin     als     Dramatiker", 
1912;  ,, Brentanos   'Ponce   de  Leon'", 
1901 ;  ,,Zum  dramatischen  Aufbau  der 
Wagnerschen   Meistersinger",    1918    64,  67, 
221,   240,   295  f. 

Rollenhagen 81,   84,    139 

— ,   „Amantes  amentes"      ....      81,  84 

Rollenlieder 245 

Rollentypen 283 

Romanus,   ,,Crispin  als  Vater"     .     .     .      144 

Romantik 187,    211  ff.,   338 

— ,   Wiener 250 

— :  Frühromantik  und  Spätromantik     .     239 

Romantisches   Drama 213  f. 

Romantische  Ironie  213,  2i6f.,  221  ff.,  226  f., 

328  f. 
Romantisches  Lebensgefühl     .     .     .     .21 2  f. 

Romantische   Theorie 226  ff. 

Rommel,  Otto,  ,,L.  Anzengrubers  sämt- 
liche  Werke" 299 

Rosegger 3°2 

Rosenblüt,  Hans,  gen.  Schnepperer .  .  52 
— ,  ,, Des  Künig  von  Engellant  Hochzeit"  52 
Rosenow,  Emil,   ,, Kater  Lampe"      .  310,  318 

Rotrou 231,  233 

Rousseau 140,   I77  f.,  299 

— ,  „Discours  sur  les  sciences  et  les  arts"     177 

— ,  ,,Nouvelle  Heloise" I77 

Rückert,   Friedrich    (Freimund  Raimar)      271 
— ,   ,, Napoleon  und  der  Drache", ,, Napo- 
leon und  seine  Fortuna",  ,,Der  Leip- 
ziger Jahrmarkt" 271 

Rudwin,  M.  G.,  ,,The  Origin  of  the  Ger- 

man  Carnival  Comedy",  1920  .  .  40 
Ruederer,  Josef  .  .  318  ff.,  322,  324,  327 
— ,  ,,Die  Fahnenweihe"      .     .     .     .      318  ff. 

— ,   ,, Morgenröte" 3^0 

Rührkomödie    143  ff.,  155  ff.,  176,  179,  201  f. 


Sachs,    Hans     61,    75  f.,    81,    86,    194,    215, 
244,   295  f.,  315. 

—  ,,Spil  von  Adams  Kindern"  ...        76 

—  ,,Der     Fahrendt     Schuler    mit     dem 
Teuffeibannen" 3^5 


Personen-  und  Sachregister. 


36i 


Sachs,  „WUtbad" 8i 

Sailer,    Sebastian,    „Biblische  und  welt- 
liche Komödien" 241 

Saint-Evremond,  ,,Les  Operas"    .     .     .      129 

Saint-Foix,   ,,Das  Orakel" 144  f- 

Salondame 278 

Salonstück 269  f. 

Saiten,   Felis 278,  317 

— ,  ,,Das  stärkere  Band" 317 

Sancho  Pansa 275 

Saphir 280 

Sardou,   Victorien 313 

Satire      .     .  16,  31  f.,  39  f.,   54  ff.,   195,   214 

Satyrspiel 3 

Scaliger gi 

Schäferdichtung 80,    lOO 

Schäferspiel    79,   82,   95,    iio,    I16,    164,    193 
„Schaubühne  Englischer   und   Französi- 
scher Komödianten   1670"  .      .110  ff.,    155 
Schauffert,  Hippolyt,  „Schach  dem  König"     277 
Schauspiel,  Älittelalterliches     ....     242 

Schelling 227 

Schempartlauf 37  f.,  46 

Schenk,  Johann 245 

- — ,  Georg 271 

Scherer,  W.,  ,, Geschichte  der  deutschen 

Literatur" 75 

Schemberg,    Dietrich,    ,, Spiel  von  Frau 

Julien" 36f. 

Schicksalstragödie 218  f. 

Schikaneder,  ,,Die  Zauberflöte"   216,  245,  254 
Schiller    i,   198  ff.,  204  f.,  216,  218,  220,  226, 

250,   264,   280,  325,  334. 
— ,  ,,Übernaiveund  sentimentale  Dichtung"  199 

— ,   ,,Turandot" 199 

Schink,  Joh.  Friedrich,  ,, Hanswurst  von 

Salzburg  mit  dem  hölzernen  Gat"     .      194 
Schlaf,  Johannes 305 

—  und  Holz,  „Die  Familie  Selicke"  .     305 

,  ,,Papa  Hamlet" 305 

Schlag,  Hermann 282 

Schlegel,  August  Wilhelm    122,  217,  219,  228 
— ,  ,, Ehrenpforte  und  Triumphbogen  für 

den  Theaterpräsidenten  von  Kotzebue"     217 
— r,   ,,Ein    schön    kurzweilig    Fastnacht- 
spiel vom  alten  und  neuen  Jahrhundert"     217 
— ,  Friedrich    ....  215,   218,   221,  227 

— ,  Joh.  Adolf 143 

— ,  Joh.  Elias    127,    134,  142,   145  ff., 
158,   160  ff.,   165,   167,   175  f. 

—  —  — ,  „Abhandlung  von  der  Nach- 
ahmung"        146  f. 

—  —  — ,  ,, Gedanken  zur  Aufnahme  des 
dänischen  Theaters" ^45  ff- 

—  —  — ,  ,, Der  Geheimnisvolle"   150  ff.,   153 

—  —  — ,     ,,Der     geschäfftige    Müßig- 
gänger"    ....   127,   150,   152  ff.,   175 

—  —  — ,  ,,Die  stumme  Schönheit"  149,  151, 
153,   161  f. 

,  ,, Triumph  der  guten  Frauen"  151  ff., 

158. 
Schleich,  Martin,   „Bürger  und  Junker"  .     277 


Schleiermacher 230 

Schienther,  Paul,  ,,Frau  Gottsched  und 
die  bürgerliche  Komödie",  18S6 ; ,, Ger- 
hart Hauptmann",    1898       .  120,   306,   308 

Schlösser,   Rudolf 223 

Schlüchterer,  H.,  ,, Der  Typus  der  Naiven 
im  deutschen  Drama  des  18.  Jahr- 
hunderts",  1909 176 

Schmid,   Christian  Heinrich      .      .       144,   200 

— ,  ,,Der  beste  Mann" 200 

Schmidt,  Erich, ,, Lessing",  1909;  „H.  v. 

Kleists   Werke"    139,   164,   169,   172,   227 

--  F.  L 235 

Schneegans,    ,,Pfingschtmondäa  vun  hitt 

ze  Däa" 240 

Schnitzler,  Arthur  .  .  .  270,  280,  315  ff. 
— ,  ,,Anatol",  ,, Liebelei",  „Literatur"  316  f. 
— ,  „Fink  und  Fliederbusch"  .  .  .  280 
— ,  ,, Professor  Bemhardi"  ....  315  f. 
Schoch,  J.  G.,  Comoedia  vom  Studenten- 
leben   139 

Schönemann 139,   142 

Schönherr,    Karl,    ,,Erde"    321  ff.,    324,    327 
— ,  ,, Sonnwendtag",  ,,Die  Trenkwalder"    324 
Schönthan,  Franz  von,   ,,Raub  der  Sabi- 
nerinnen"       I,   285 

— ,  Paul  von,  ,,Raub  der  Sabinerinnen"     285 
Schopenhauer   ....  275,  294,  301,  327 

Schottelius I20 

Schreiber 18 

Schreyvogel,  Josef  (West),,, Donna  Diana", 
,,Die  Gleichgültigen  oder  die  gefähr- 
liche Wette" 267 

Schröder,  Friedrich  Ludwig  192,  196,  200  ff., 
2o8f.,   211,   246,   259,   283. 

— ,  „Der  Fähndrich" 201 

— ,  ,,Das  Portrait  der  Mutter  oder  die 

Privatkomödie" 201  f. 

— ,  „Der  Ring" 201,   209 

— ,  ,, Stille  Wasser  sind  tief"  ....  200  f. 

Schuldrama 63,   71 

Schwank i  f.,   26,   282 

Schwankliteratur 42,75 

Schweizer    .     .     .    149,   156,   158,   160,   173 

Schwenter 97 

Schwiegermutterränke 42 

Schwind 332 

Scribe,  Eugene      269,  274 ff.,   283,  298,  313 
— ,  ,, Oscar   ou   le   mari    qui  trompe  sa 

femme" 275 

Seemann,  Otto,  u.  Dulk,  „Die  Wände"     272 

Sensationalismus 3^7 

Sexuelles 50,  303,   327,  337 f. 

Shadwell 124 

Shaftesbury I77 

Shakespeare  i,  65  f.,  74,  78  f.,  82,  84,  87, 
90,  94f.,  97,  loif.,  105,  io7f.,  HO,  119, 
123,  125,  128,  131,  135,  149,  160,  182, 
i84f.,  i87f.,  201,  216,  219,  221  f.,  224f., 
263,  283,  296,  302,  3ioff,  332,  343  f. 
— ,  „As  you  like  it"  (,,Wie  es  euch  ge- 
fällt")        79.   224 


366 


Register. 


Shakespeare,  „Hamlet"  ....      182,  340 

— ,   „Heinrich  IV." 94 

— ,  „Der  Kaufmann  von  Venedig"  182,  344 
— ,  „König  Lear",  „Die  lustigen  Weiber 

von  Windsor" 9° 

— ,  „Othello" 182 

— ,  ,, Sommernachtstraum"  58,  79,  97,  107,  282 
— ,  ,,Der Sturm",  „Viel  Lärm  um  nichts"  87 
— ,  ,, Verlorene  Liebesmüh"  .  .  .  90,  97 
— ,  „Die  Zähmung  der  Widerspenstigen"      84, 

105  ff.,   110,   200f.,  302,  3iof. 

Shaw,  Bernard 205,  332  f. 

Sibilet 43 

Sievers,  G.  L.  P.,  „Das  Bauerngut"      .      197 

Simmel,  Georg 310 

Singer,  S.,  ,,Neidhart-Studien",  1920  .  43 
Singspiel      .     .     .     .30,  87,   115,   I79>   253 

Sittenkomödie,  Englische 201 

Sittenstück 243 

— ,  Französisches 269 

Situationskomik 42 

Soergel,  ,, Dichtung  und  Dichter  der  Zeit"     320 

Sohn,   Der  verlorene 63 

Sokrates 206,    216 

Soonenfcls 244 

Sozialismus 299,   303  f.,   324 

Spangenberg 61 

Spectator 141,   177 

Spener 130 

Spielleute    4  f.,   13  ff.,    23,   25,    31,  40  ff.,   55 

Spielmannsdichtung 44  f- 

Spielmannskomik 34 

Spielmannskunst 54 

Sprachtechnik  .      .   44,    104,   305,   313,   335  f. 

Staberliaden 246  f. 

Stahl,  E.  L 66 

— ,  Karl,  „König  Kodrus"     ....      272 

Stammespsychologie 318 

Standessatire 16,   31  f. 

Stavenhagen,   Fritz 320  f. 

— ,  ,,De  dütsche  Michel"         .     .     .     .     321 

— ,  „De  rüge  Hoff" 320  f. 

Steele,  ,,Der  zärtliche  Ehemann"  124  f.,   141, 

155- 
Stegreifposse     .      .       5,    II,    169,   202,   242  ff. 
Steigentesch,  August  von    .     .     .    254,   266  f. 

Steiner 331 

Stephanie  d.  J.,    ,,Die    Werberin"    186,   192, 

216. 
Sternheim,    Carl    113,    205,   210,  332  ff.  337, 

339,  341. 
— ,    „Komödien    aus    dem  bürgerlichen 

Heldenleben" 332  ff. 

— ,  „Bürger  Schippel"  .  .  .  .  333  f-  33^ 
— ,  „Die  Hose", ,, Der  Kandidat",  ,,1913"  333 
— ,  „Die  Kassette"  .  .  .  333  f.,  336,  339 
— ,  „Die  Marquise  von  Arcis"    .   333  f.,  336 

— ,   „Perleberg" 333,   336 

— ,  „Der  Snob" 333  f.,  336 

— ,  „Der  entfesselte  Zeitgenosse"     .     .  333 f. 

Sterzinger  Sammlung 49,    71 

— ,  „Die  zwen  Sieundt" 7* 


Stimmer,  Tobias,  ,, Spiel  von  zwei  Ehe- 
leuten"     74  f.,   77 

Stranitzky,  Josef  Anton,  81,  118,  137,  242  f. 
— ,   ,,011apotrida  des    durchtriebenen 

Fuchsmundi" 137,   243 

Straube 127,    134,   158 

— ,  „Die  Spielerin" 127 

Strauß,   Richard 297 

Streitszenen 34 

Strich,Fritz,„Grillparzers  Ästhetik",  1905 
264. 

Strindberg 307,  333,  342 

— ,  ,, Vater" 307 

Stück  im  Stück 108,   216 

Stückschluß 153 

Studentenkomödien 68,   139 

Sturm   und   Drang      .i85ff.,  207,   209,   2i7f. 

Stymmelius,   „Studentes" 68 

Sudermann 310,  313  f.,   320 

— ,  „Die  Schmetterlingsschlacht"  .  .  313 
— ,   „Der  Sturmgeselle  Sokrates"      .     .     314 

Sünderreigen HO 

Supranaturalismus 6,  34 

Tacitus •.     38,  49 

Tagger,  Theodor 337 

Tänze 38  ff,  43  f.,  47 

— :   Fruchtbarkeitstanz 38 

— :  Liebeswerbetanz 47 

— :   Morisgentänze 3^ 

— :   Schwerttanz 38,   49,   51 

— :   Totentanz        31 

Tasso,  „Aminta  und  Silvia"  .     .     .  82,   114 

Tendenz,   lehrhafte 32 

— ,  politische 166 

Teniers 238 

Terenz       I,    3  f.,    60,     62  ff.,    71,     lOI,     136, 
167. 

Teufel 74.  87 

Teufelskomik 36 

Teufelsnarr 467  f- 

Teufelsszenen 59 

Textor,    Friedrich    Karl    Ludwig,  „Der 

Prorektor" 259 

Theater 48 

Theater  an  der  Wien 244 

Theater  und   Drama     82,   84,   98,    lOOf.,   322 

Tijeätre  de  la  foire 117 

Thedtre  Italien       .     118,   135,   137,   169,   242 

Theorie 83  f.,  301 

Thoma,  Hans 126 

— ,  Ludwig 320,  324 

— ,  „Die  Lokalbahn",  „Die  Medaille"  320 
Thomas,  Brandon,  ,,Charieys  Tante"  285 
Tieck,   Ludwig      202,   214  ff.,  222,   232,   271 

— ,   „Abdallah" 232 

— ,  „Der  Autor,  ein  Fastnachtschwank"     215 

— ,   „P.Iaubart" 222 

— ,  „Der  gestiefelte  Kater"     ....  215  f. 
— ,  ,,Der    neue    Herkules    am  Scheide- 
wege", „Ein  Prolog" 215 


Personen-  und  Sachregister. 


367 


Tieck,  „Prinz  Zerbino  oder  die  Reise  nach 

dem  guten  Geschmack".     .     .   216 f.,  271 
— ,  „Die  verkehrte  Welt"       .     .     .     .     217 

Tierstück 249,   273 

Tolstoi 332 

Töpfer,  Karl 2675.,   279 

— ,  „Der  beste  Ton",  „Des  Königs  Be- 
fehl"    267 

— ,  „Rosenmüller  und  Finke"     .     .  279 

Tragödie 3 

Tragödie  und  Komödie  66,  85,   199  f.,   286  f. 

Travestien 242 

Trimberg,   Hugo  von 41 

Trunkenbold 42 

Türheim,  Ulrich  von 41 

Uhlich,  A.  G.,  „Der  Unempfindliche"  127,   139 

Umzug 37  f. 

Unterhaltungsstück     .      .      266  ff.,   2S7  f.,   314 
Ursprung  des  komischen  Dramas       37  ff.,  43 

Vanbrugh 124 

Variete 41 

Varnhagen  von  Ense,  K.  A 231 

— ,   Rahel  von 218 

Vasari 292 

Veilchenfest 43 

Veiten,  Joh iii 

Verführer 68 

Verkleidungsmotiv 154  f.»   175 

Vischer,  Fr.  Th iSo 

Volksdrama 70  ff.,   113  ff. 

—  und  Kunstdrama 116 

Volkskomik 10  ff. 

Volkskomödie 5 

Volkskunst 39)  4ii  49 

Volksposse 57 

Voltaire        .     .    157  f.,   166,   177  f.,   iSo,  299 

— ,  „L'ingenu" 178 

— ,   ,,Nanine" 166,   180 

Vondel,    Joost  van  den,    ,,De  Leeuwen- 

dalers" 98 

Voss,  Julius  von 253,  257 

— ,  „Damenhüte  im  Theater",  „Stralower 

Fischzug" 253 

Wagner,  Albert  Malte,  „Hebbels  Drama", 

1911 290,  292 

— ,  Gottlieb  Friedrich,  „Die  Schul- 
meisterwahl zu  Blindheim"       .     .     .     241 

— ,   Heinrich   Leopold 194  f. 

— ,   ,,Die   Kindermörderin"       ....      194 

— ,  „Prometheus,    Deukalion  und  seine 

Rezensenten" 195 

— ,  „Voltaire  am  Abend  seiner  Apo- 
theose"      195 

— ,   Richard    76,    183,   240,   276,   293  ff.,   297 

— ,  „Die  Meistersinger"   2,   240,  276,   293  ff., 

297.   344- 
Wahrheitsproblem 262,  264 


Waimer,    Ph.,    „Über  Elisa,    eine  Newe 
und  lustige  Comoedia  von  Eduard  dem 

Dritten   dieses  Namens" 83 

Waldberg,  Max  von,  „Chr.  Weise,  , Über- 
flüssige Gedanken'",    1914   ....  104 
Wall,    Anton    (Chr.  Leberecht    Heyne), 
„Die   beyden   Billets",    „Der  Stamm- 
baum"        197 

Walpole,  Horace 133 

Walzel,  Oskar,    „Die  deutsche  Dichtung 
seit    Goethes    Tod",    1920;        „Vom 
Geistesleben  alter    und    neuer    Zeit", 
1922;        ,,Die     deutsche     Romantik".  156, 
186,    188,  218,  238,  250,  261,   265,   311  f., 
322,   330. 
Wedekind,  Frank    326  ff.,  330  ff.,  337  f.,  340 
— ,  ,, Fritz  Schwigerling  oder  der  Liebes- 
trank"         328 

— ,   ,, Frühlings  Erwachen"       ....  340 

— ,   ,,Die  junge   Welt" 326 

— ,  „Hidalla   oder  Karl    Hetmann,    der 

Zwergriese" 327 

— ,   „Der  Kammersänger" 329 

— ,  „König  Nicolo",  „Der  Marquis  von 

Keith" 326  f. 

Weib,   Das  zanksüchtige      .....  42 

Weidmann,  Paul,   „Der  Bettelstudent"  .  244 

Weihnachtsspiel     ........  34 

Weilen,   Alex,  von 84 

Weinhold,    ,,Über  das  Komische  im  alt- 
deutschen Schauspiel",    1865     .      .      18,   22 

Weininger 338 

Weirauch,  August,  „Die  Maschinenbauer 

von  Berlin" 257 

—  und  Kaiisch,  „Die  Mottenburger"    .  257 

Weise,  Christian  81  f.,  95,  loi  ff.,  iii  ff.,  ii6, 
120,   132,    136,   143,   176,  201,   241. 

— ,   ,,Lust  und  Nutz" 95,  103 

— ,  „Bäurischer  Machiavellus"  lo8f.,  143,  176, 
241. 

— ,  „Betrogener  Betrug" Iio 

— ,  „Komödie  von  der  bösen  Catharine"  105 
— ,  ,, Großmäuliger  und    wunderthätiger 

Alfanzo" IIO 

— ,  „Masaniello" 102 

— ,   „Der  niederländische  Bauer"       .      .  IIO 

— ,   ,,Der  politische  Quacksalber"     .      .  Iio 

— ,  ,, Tobias  und  die  Schwalbe"        .     .  107 

— ,   ,,Der  verfolgte  Lateiner"   .      .      .      .  112 
Weiskern,  Friedrich  Wilhelm,  ,,BastieQ 

und   Bastienne" 244 

Weiße,  Christian  Felix        167  f.,   172  ff.,  186 

— ,   „Amalia" 175.    I78f- 

— ,  ,, Die  Freundschaft  auf  der  Probe"   176  ff. 

— ,   „Die  Haushälterin" 173 

— ,   ,, Liebe  auf  dem  Lande"         .      .      .  179 

— ,   „Die  Matrone  von  Ephesus"      .      .  172 
— ,   „Ehrlich  währt  am  längsten  oder  der 

Mißtrauische  gegen  sich  selbst"    .      .  I73 

— ,  „Die  Poeten  nach  der  Mode"    .      .  174 

— ,   „Der  Projektenmacher"     .      .      .      .  175 

— ,  „Der  Teufel  ist  los" 179 


368 


Register. 


Weiße,  „Die  unerwartete  Zusammenkunft 

oder  der  Naturaliensammler"   .  .      179 

— ,  „Walder"        179,   186 

Weitzmann,   Karl 241 

Weltanschauungskomik 26 

Weltuntergangsspiel 35  f. 

Wendunmuth  (Schwanksammlung)    .     .        90 

Wenzel,  Joh.  Christoph 113 

Werner,  Zacharias 218 

Wichgrev,  Albert,   ,, Cornelius  relegatus"       68 
Wiederholungsmotiv  der  Komik  13,  300,  308, 
320,   339. 

Wieland,  Chr.  M 195,   209 

— ,  Ludwig 234 

Wiener  Charakter 247  f. 

Wiener  Gesellschaftskultur  .  .  .  268  f. 
Wienbarg,  L.,  „Ästhetische  Feldzüge"  268 
Wilamowitz,  ,,Die  griechische  Literatur 

des  Altertums",    1907 219 

Wilbrandt,  Adolf,  ,,Die  Maler"  .       282,  304 

Wild 18 

Wilhelminische  Zeit  .  .  304,  308  ff.,  332 
Wimpfeling,  Jacob,  „Stilpho"       ...        61 

Winckelmann 181 

Windelband 299,  301,  304 

Wirklichkeitssinn 301 

Wirth,  L.,  „Die  Oster-  und  Passions- 
spiele bis  zum  16.  Jahrhundert",  1889  34,  43 

Wirtstypus 63,    185 

Witkowski,  G.,  Ausgabe  von  T.  Stim- 
mers „Comedia  von  zweien  jungen 
Eheleuten",   1915 74 


Wochenschriften,  moralische  124,  ißof.,  165  f., 

177- 

Wolff,  Christian 126  f. 

— ,  Eugen,  ,,J.  El.  Schlegel",   1889.     .  151 
Wölfflin,  Heinrich,  ,, Kunstgeschichtliche 

Grundbegriffe",   191 7 300 

Wortkomik 104 

Wortwitz 26 

Worringer,    W.,    „Formprobleme    der 

Gotik",   1912 302 

Wurzbach,  ,, Biographisches  Lexikon  des 

Kaisertums  Österreich" 246 

Wycherley 124 

Zademack,    Franz,    „Die   Meistersinger 

von  Nürnberg" 295 

Zarncke,  Friedrich,  ,, Reuter,  sein  Leben 

und  seine  Werke",   1884 — 89.     .     .      115 

Zauberstück 244  ff. 

Zentner,  Wilhelm,  „Studien  zur  Drama- 
turgie Eduard  von  Bauemfelds",   1922     266, 
270. 

Zesen,  Philipp  von 95 

Zirkus 23,  40 

Zschokke,  Heinrich 234 

Zustandsschilderung 306,  308 

Zweiweltensystem    242,    245,   262,   264,   270, 
288,  300 f.,  324. 

Zwischenaktschöre 62 

Zwischenspiele 6 f.,  82,  92f. 


II.  DRAMENREGISTER. 

(Verfassernamen  sind  in  Klammern  beigefügt.) 


Acolastus  sive  de  filio  prodigo  (Gnapheus)  63, 68 

Adept,  Der  (Gott) 315 

akademische  Schlendrian,  Der  (Henrici)  i  19 
Aline  oder  Wien  in  einem  anderen  Welt- 
teil (Bäuerle) 248 

Alles  um  Liebe  (Eulenberg)    .     .     .     .  331 

Alles  was  Recht  ist  (Erdmann)  .     .     .  262 

Almansor  (Hayneccius) 67 

Alpenkönig  und  der  Menschenfeind,  Der 

(Raimund) 249  f. 

alte  Bürger-Capitain,   Der,  oder  die  Ent- 
führung (Malß) 259 f.,  262 

alte  Jungfer,  Die  (Lessing)      .    169,  173,  175 
Amalia  (Weiße)    ......    175,   178  f. 

Amantes  amentes  (Rollenhagen)  .      .      81,   84 

Aminta  und  Silvia  (Tasso)      .     .           .  114 

Amour  medecin,  L'  (Moliere)       .     .     .  1 1 1 

Amphitryon  (Kleist)       .     .    228  ff.,   237,  239 

Anatol  (Schnitzler) 316 

Angele  (Hartleben) 325 

Anna-Lise  (Hersch) 277 

Anonym  (Gutzkow) 275 

Appelmänner,  Die  (Arnim)      .     .     .     .  253 
armseligen  Besenbinder,  Die  (K.  Haupt- 
mann)        330 

Ärzte,  Die  (Chr.  Mylius) 168 

Asotus  (Macropedius) 63,  68 

As  you  like  it  (Shakespeare)  ....  224 

Aufgeregten,  Die  (Goethe)        .     .     .     .  198 

Aulularia  (Plautus-Greff) 60 

Autor,     ein     Fastnachtsschwank,     Der 

(Tieck) 215 

Austern,  Die  (Quistorp) 139 

Avare,  L'  (Moliere) in 

Barometermacher  auf  der  Zauberinsel,  Der 

(Raimund) 248 

Bastien    und    Bastienne    (Mozart- Weis- 
kern)    244 

Bauer  als  Millionär,  Der  (Raimund)     .  249 
Holl,  Lustspiel. 


Bauer       mit       der       Erbschaft,       Der 

(Krüger) I4if-,  144,  258 

Bauerngut,  Das  (Sievers) 197 

Bäurischer  Machiavellus  (Weise)    108  f.,  143, 

176,   241. 
beiden  Klingsberg,  Die  (Kotzebue)  .     .  209  f. 
Bekenntnisse,  Die  (Bauernfeld)     .     .     .  267  f. 
Bemoostes  Haupt  oder  der  lange  Israel 

(Benedix) 283 

Berlin  bei  Nacht  (Kaiisch)      ....  256 
Berlin  wie  es  ist  und  —  trinkt  (Glas- 
brenner)    253 

Berlin  wie  es  weint  und  lacht  (Kaiisch)  256 

Berlin  wird  Weltstadt  (Kaiisch)   .     .     .  256 

Bernardou  (Kurz) 245 

beste  Mann,  Der  (Schmid)      ....  200 

beste  Ton,  Der  (Töpfer)     ....  267 

Bethlehemitischer  Kindermord      ...  34 

Betrogener  Betrug  (Weise)       .     .     .     .  no 

Betschwester,  Die  (Geliert)      .     .    159  ff"..  164 

Bettelstudent,  Der  (Weidmann)    .           .  244 

beyden  Billets,   Die  (Wall)       ....  197 
Biberpelz,  Der  (G.  Hauptmann)   .   99,  308  ff., 
3l8f. 

Bibliothekar,  Der  (Moser) 285 

Biblische      und      weltliche      Komödien 

(Salier) 241 

Blaubart  (Tieck) 222 

blinde  Ehemann,  Der  (Krüger)    .     .     .  144 

Boccaccio  (Deinhardstein) 292 

Bock  im  Prozesse,  Der  (Quistorp)  .     138  f.,  153 
Bogen    des    Odysseus,    Der   (G.  Haupt- 
mann)        337 

Bookesbeutel,  Der  (Borkenstein)     139  f.,  151, 

153,    162,   174,   176,  258. 
böse  Geist  Lumpacivagabundus,  Der,  oder 

das  liederliche  Kleeblatt  (Nestroy)     .  251 
bösen    Catharine,     Komödie     von    der 

(Weise) 105 

Bramarbas  (Detharding) 133 

Brand  (Ibsen) 265,  291 

24 


370 


Register. 


Brautfahrt,  Die,  oder  Kunz  von  Rosen 

(Freytag) 275 

Burenspillen  (Baermann) 259 

Bürger  als  Edelmann,  Der  (Moli^re)  .  317 
Bürgergeneral,  Der  (Goethe)  .  .  .  .  197^- 
bürgerlichen  Heldenleben,  Komödien  aus 

dem  (Sternheim) 332  fl". 

Bürgerlich     und    Romantisch     (Bauern- 
feld)           270,   315 

Bürger  Schippel  (Stemheim)  .  .  333  f.,  336 
Bürger  und  Junker  (Schleich)  .  .  .  277 
Bürger  von  Wien,  Die  (Bäuerle)  .  .  .  246  f. 
Burschen  Heimkehr,  Des,  oder  der  tolle 

Hund  (Niebergall) 261 

Candidaten,  Die  (Krüger)  .     .      .  143  fr.,  166 

Captivi  (Plautus) 67 

Cardenio  und  Gelinde  (Immermann)      .  163 

Garolus  Magnus  (Kotzebue)     ....  209 

Gharleys  Tante  (Thomas) 285 

Gharlotte  Stieglitz  (Kyser) 331 

Gocu     imaginaire,     Le,     ou     Sganarelle 

(Moli^re) ill 

Cornelius  relegatus  (Wichgrev)     ...  68 

Grispin  als  Vater  (Romanus)  ....  144 


Dama  duende,  La  (Calderon) .  .     .     317 

Dame  Kobold  (Hofmannsthal)  .     .     317 

Damenhüte  im  Theater  (Voss)  .  .  .  253 
Dämon    oder    die    wahre    Freundschaft 

(Lessing) 1 69,    174 

Datterich  (Niebergall)  .  .  261  f.,  290,306 
David  und  Goliath  (Kaiser)    ....     339 

Derwisch,  Der  (Klinger) 192 

deutsche  Franzose,  Der  (Detharding)  132 

deutsche  Mann,  Der,  und  die  vornehmen 

Leute  (Kotzebue) 206 

deutschen  Kleinstädter,    Die  (Kotzebue)     109, 

207,   209  ff.,  241,  261,  332. 
deutsche  Vorspiel,  Das  (Neuberin)    .  118,  120 

Devil  to  pay  (Goffey) 179 

Diamant   des   Geisterkönigs,    Der  (Rai- 
mund)       248 

Diamant,  Der  (Hebbel)  .  .  287  ff.,  290  f. 
Doktor  Klaus  (L'Arronge)       .     .     .      .      257 

Dominus  Johannes 83 

Donna  Diana  (Schreyvogel-West)  .  .  267 
Don  Sanche  d' Aragon  (P.  Corneille)  .  147 
Doppelselbstmord,  Der  (Anzengruber)  .  302  f. 

Dreikönigsspiel 34  f. 

Dresdner  Schlendrian  (Koenig)    .     .     .  Iigf. 

Drummer,  The  (Addison) 125 

Dulcitius  (Hrotsvith) 4 

Durchs  Ohr  (Jordan) 277 

Dütsche  Michel,  Der  (Stavenhagen)       .     321 


Ecole    des    amis,     L'     (Nivelle    de    la 

Chaussee) 157 

Ecole  des  Femmes,  L'  (Moli^re)      .     .      176 


Edelmann,  Comedia  von  einem  (Heinrich 

Julius) 89 

Ehrenpforte  und  Triumphbogen  für  den 
Theaterpräsidenten       von      Kotzebue 

(A.  W.  Schlegel) 217 

Ehrgeizige,  Der  (Destouches)  .     .     .     .      127 
Ehrliche    Frau    zu    Plißine,    Die,    oder 

l'Honnete  Femme  (Reuter)  .  .  1 1 2  ff. 
ehrliche  Mann,  Der,  der  sich  schämt,  es 

zu  sein  (Cronegk) 148 

Ehrlich  währt  am  längsten,  oder  der  Miß- 
trauische gegen  sich  selbst  (Weiße)      .      174 
Einer  von  unsere  I.eut  (Kaiisch)       256,   284 
Einmal  hunderttausend  Thaler  (Kaiisch)     256 
El  desden  con  el  desden  (Moreto)    .     .     267 

Elegienkomödie 30 

Elisa,   Über,  eine  Newe  und  lustige  Co- 
moedia  von  Eduard  dem  Dritten  dieses 

Namens  (Waimer) 83 

Enfant  prodigue,  L'  (Voltaire)     .     .      .      158 
entfesselte     Zeitgenosse,       Der      (Stem- 
heim)        333 f.,  336 

Entführung,    Die,    oder  der  alte  Bürger- 

Capitain  (Malß) 259  f.,  262 

Erde  (Schönherr) 32iff. 

Erdgeist  (Wedekind) 327 

Erlauer  Spiele  (hrsg.  von  Kummer) 

IL  ludus  trium  magorum     ....        35 

III.  Visitacio  sepulchri  in    nocte  re- 
surreccionis 8,   IG  ff.,   15 

IV.  ludus     Mariae     Magdalenae      in 
gaudio 29  f. 

Erzherzog  Maximilians  Brautzug  (Dein- 

hardtstein) 276 

Erziehung  durch  Kolibri  (Rehfisch)      .     337 
Erziehung  zur  Ehe,  Die  (Hartleben)     .     325 

Erzsäufer,   Der  (Henrici) 119 

Esels  Schatten,  Des  (Fulda)    .     .      209,  314 
Esels    Schatten,    Des,    oder    Prozeß    in 

Kraehwinkel  (Kotzebue)  ....  209 
Eumenides  Düster  (Richter)  .  .  .  .  218 
Europa  (Kaiser) 337  ff. 


Fähndrich,  Der  (Schröder)       ....  201  f. 
Fahnenweihe,   Die  (Ruederer)       .     .      318  ff. 
Familie  Selicke,  Die  (Holz  und  Schlaf).     305 
Fantome  amoureux,  Le  (Quinault)    .     .        98 
Fastnachtspiele  aus  dem  15.  Jahrhundert 
(hrsg.  von  A.  v.  Keller) 
Arztspiele  (Nr.  82,  85,  98,  lOl,  120)     49  f. 
Dreck,  Ein  Vasnachtspiel  vom  (Nr.  23)        50 
Ehefrau,  Das  ist  die,  wie  sie  ihren  Man 

verklagt  vor  Hofgericht  (Nr.  40)  .  48 
Entkrist  Vasnacht,  Des  (Nr.  68)  .  .  51 
Hannentanz,    Der    alt,    Vastnachtspiel 

(Nr.  67) 47 

hübsch   Vastnachtspil,     Ein    (Nr.   55, 

Folz) 52 

Hye  hebt  sich  an  ein  Recht  von 
Rumpolt  und  Marecht,  dy  yn  dy 
ce  ansprach  (Nr.  130)     49,   57,   72,   238 


Dramenregister. 


371 


Incipit  ludus  solatiosus  exercendus  tem- 
pore nuptiarum  vel  carnis  brevi  in 
habit,  ubi  placuerit  (Nr.  115)    .     .        49 
klugen  Knecht,  Vom  (Nr.  107)     .   57,  61  f. 
Keiser    und  eim  Apt,    Ein  Spil    von 

einem  (Nr.  22) 51 

König   Salomon    und    Markolfo,    Ein 

Spil  von  (Nr.  60,  Folz)  ...  52 
Krön,  Das  Vasnachtspiel  mit  der  (Nr.8o)  5 1 
Künig   von  Engellant  Hochzeit,    Des 

(Nr.  100,  Rosenplüt) 52 

Luneten  Mantel,  Der  (Nr.  81).  .  .  51 
Mayster    Aristotiles,    Ayn    Spil     von 

(Nr.  128) 51 

Morischgentanz  (Nr.  14)  ....  38,  47 
Münch  Berchtold,  Vastnachtspiel  von 

(Nr.  66) 47 

Ferner  und    Wundrer,    Ein    Spil  von 

dem  (Nr.  62) 50  f. 

Tanawäschel  (Nr.  54)     .     .     .      .  48  f.,   74 
Türken  Vastnachtspil,   Des  (Nr.  39)  .        51 
Werber  umb  die  Junkfrau,   Die  Vas- 
nacht vom  (Nr.  70) 47 

Fastnachtspiele  aus  dem    16.  Jahrhundert. 
Ablaßkrämer,   Der  (N.  Manuel)     .     .        72 
Adams  Kindern,  Spil  von  (H.  Sachs)        76 
Elsli  Tragdenknaben  (N.  Manuel)     72,   238 
Engelländischen  Jahn  Posset,  Von  dem, 
wie  er  sich  in    seinem  Dienst  ver- 
halten (Ayrer) 87 

Farendt  Schuler  mit  dem  Teuffelban- 

nen,   Der  (Sachs) 315 

Fritz   DöUa    mit    seiner    gewünschten 

Geigen,  Von  (Ayrer) 87 

Gauchmatt,  Die  (Gengenbach)  ...  72 
Krankheit  der  Messe  (N.  Manuel)  .  72 
Papstes   und  Christi  Gegensatz,    Von 

(N.  Manuel) 72 

Papst  und  seiner  Priesterschaft,  Vom 

(N.  Manuel) 72 

Testament  der  Messe  (N.  Manuel)  .  72 
Totenfresser,  Die  (Gengenbach)  .  .  72 
verlohrn    Engelländisch    Jahn  Posset, 

Der  (Ayrer) 87 

Wyn  von  der  Truncknen  rott  beklagt. 
Ein  holdsäliges  Faßnachtspil,  darin 
der  edel  (H.  R.  Manuel)       ...        74 
zehn  Alter  dieser  Welt,  Die  (Gengen- 
bach)     58 

zwei  Eheleuten,    Spiel  von  (Stimmer)   74  f. 
zwen  Steundt,  Die  (Sterzinger  Samm- 
lung)            71 

Fastnachtspiel,  Ein  schön  kurzweilig,  vom 
alten  und  neuen  Jahrhundert  (A.  W. 

Schlegel) 217 

Fata  Morgana  (Bauernfeld)  .  .  .  .  270 
fausse  Agnfes,  La  (Destouches)  .  .  .  161 
fausse    Antipathie,    La    (Nivelle    de    la 

Chaussee) 155,   157 

Faust  (Goethe)  .  .  .  29,  78,  170,  233 
femme  docteur,  La  (Bougeant)  .  .  .  129 
Femmes  savantes   (Moliere)     ....      129 


Fest  der  Handwerker,  Das  (Angely)     .     253 

Figaros  Hochzeit  (Mozart) 245 

filio   prodigo,    acolastus    sive    de  (Gna- 

pheus) 63,  68 

Fink  und  Fliederbusch  (Schnitzler)  .  .  280 
Flachsmann  als  Erzieher  (Ernst)  .  .  340 
förchterliche  Hexe  Megära,  Die  (Hafner)  245 
Fortunat  (Bauernfeld)  ....  267,  270 
französische    Lustspiel,    Das,    oder    die 

Onkelei  (Müllner) 225 

Frau  Jutten,  Spiel  von  (Schernberg)  .  36  f. 
Frau  Wendeigard  (Frischlin)  ....  64  f. 
Freier,   Die  (Eichendorfi)    .     .     .   223  f.,  271 

Freigeist,  Der  (Lessing) 1 70  f. 

Freunde,  Die,  machen  den  Philosophen 

12-  (Lenz) 190  f.,  216 

Freund  Heißsporn  (Gott) 315 

Freundschaft,  Die,  auf  der  Probe  (Weiße)  i76ff. 
Friedejauchtzendes  Teutschland  (Rist)  93,  95 
Friedensfest  (G.  Hauptmann)  ....  326 
Friedewünschendes  Teutschland  (Rist).  95 
Fritz  Schwigerling  oder  der  Liebestrank 

(Wedekind) 328 

Frösche  (Aristophanes) 219 

Frühlings  Erwachen  (Wedekind).     .     .     340 


Gamester,  The  (Moore)      .     .     .       155,    1/6 

Garrick  (Deinhardstein) 292 

gebildete  Hausknecht,  Der  (Kaiisch)     .     257 
Gefällige,   Der  (Destouches)      .     .     .     .      127 
gefährliche  Wette,  Die,  oder  die  Gleich- 
gültigen (Schreyvogel) 267 

gefesselte  Phantasie,  Die  (Raimund)  245,  249 
geheime  Agent,  Der  (Hackländer)  .  .  275 
Geheimnisvolle,  Der  (J.  E.  Schlegel)  150 ff.,  153 
Geistlichen      auf      dem      Lande ,      Die 

(Krüger) 142,   168 

Geizige,  Der  (Molifere)  .     .     .     .       iio,  306 
geliebte    Dornrose,    Die  (Gryphius)  .     .  97  ff., 
134,   238  f. 

George  Dandin  (Moliere) 1 1 1 

geschäfftige   Müßiggänger,     Der    (J.  E. 

Schlegel).  .  .  .  127,  150,  152  f.,  175 
gestiefelte  Kater,  Der  (Tieck)  .  .  .  215  f. 
gerettete  Alkibiades,  Der  (Kaiser)  .  .  339 
Geschwister  von  Nürnberg,  Die  (Bauem- 

feld) 270 

gläserne  Pantoffel,  Der  (Platen)  .  .  .  222  f. 
Gleichgültigen,  Die,  oder  die  gefährliche 

Wette  (Schreyvogel) 267 

Glorieux,  Le  (Destouches).     .     .       125,   149 

Glückskuh,  Die  (Essig) 330 

Götter,  Helden  und  Wieland  (Goethe)  .  195 
Gottsched  und  Geliert  (Laube)  .  .  .  275 
Götz  von  Berlichingen  (Goethe)  .  .  .  194 
Gouvernante,  Die  (Körner)  .  .  .  .  225 
Gouvernante,  La  (N.  de  la  Chaussee)    .      157 

Graf  Ehrenfried  (Reuter) 115 

Griegischen  Keyser,  Vom  (Ayrer)  .  88,  91 
Groß-Cophta,  Der  (Goethe)  ....  197 
Großjährig  (Bauernfeld) 273 

24* 


372 


Register. 


Großmäuliger    und    wunderthätiger    Al- 

fanzo  (Weise) Iio 

grüne  Haus,  Das  (Eulenberg)       .     .     .     331 

Guiskard   (Kleist) 228,   231 

Gustav  Wasa  (Brentano) 217 

G'wissenswurm,  Der  (Anzengruber) .      300  ff. 

Hagestolzen,  Die  (Iffland) 203  f. 

Hamlet  (Shakespeare)  .  .  .  .  182,  340 
Hamlet,  Prinz  von  Tandelmarkt  (Perinet)     246 

Hanna  Jagert  (Hartleben) 325 

Hans  Max  Giesbrecht  von  der  Humpen- 
burg (Kotzebue) 206 

Hansoframea  (Hayneccius) 67 

Hans  Pfriem,  oder  meister  Kecks  (Hay- 
neccius)     67  f. 

Hans  Sachs  (Deinhardstein)     .     .       292,   295 
Hans  Sonnenstößers  Höllenfahrt   (Apel)     329 
Hanswurst  von  Salzburg   mit   dem  höl- 
zernen Gat  (Schink) 194 

Hasemanns  Töchter  (L'Arronge)  .  .  257 
Hausfranzösin,    Die,    oder   die  Mamsell 

(Gottschedin) I37f- 

Hausfrieden  (Iffland) 204 

Haushälterin,  Die  (Weiße)      .     .      .     •  I73f- 

Hecastus  (Macropedius) 63 

Heinrich  IV.  (Shakespeare)  ....  94 
Henno,  Scaenica  Progymnasmata  (Reuch- 

lin) 57,  61,  77 

Herbsttag,  Der  (Iffland) 203  f. 

Heritier  de  village,  L'  (Marivaux)  .  .  141 
Herrgottsschnitzer  von  Ammergau,  Der 

(Ganghofer) 318 

Herr  Hampelmann  oder  die  Landpartie 

nach  Königstein  (Malß) 260 

Herr  Peter  Squentz  (Gryphius)  97,  100,  107 
Herr  Witzling  (Gottschedin)    .     .       127,   138 

Herzog  Michel  (Krüger) 144 

heutige  Bildung,    Die,    oder  der  Hyper- 

boreische  Esel  (Kotzebue)  .  206,   211,   217 
Hidalla  oder  Karl  Hetmann,  der  Zwerg- 
riese (Wedekind) 327 

Hildegardis  magna  (Frischlin)  ...  65 
Hochzeit  des  Figaro,  Die  (Beaumarchais)  166 
Hochzeit  zu  Cana  (Frischlin)  ....  65 
Hofmeister,  Der  (Lenz).  .  .  .  186  f.,  190 
Honnete  Femme,  L',  oder  die  Ehrliche 

Frau  zu  Plißine  (Reuter)    .     .     .       1 1 2  ff. 
Horribilicribrifax  (Gryphius)    .     .    97  ff.,    100 

Hose,  Die  (Sternheim) 333 

Hyperboreische    Esel,    Der,    oder    die 

heutige  Bildung  (Kotzebue)  206,   211,  217 
Hypochondrist,  Der  (Quistorp)     .       127,    139 


Im     weißen    Rössl     (Blumenthal     und 

Kadelburg)   .     .     .    ■ 284 

Indianer  in  England,  Die  (Kotzebue)    .  206 

Ingrat,  L'  (Destouches) 164 

Intrigues  amoureuses,  Les  (Gilbert)       .  155 

Ircnaromachia  (Rist) 94 


Das 


133 


Jacob  von  Tyboe  (Holberg)    . 
Jahrmarktsfest  zu  Plundersweilern 

(Goethe) 195 

Jean  de  France  (Holberg)  .  132,  137,  175 
Jeppe  vom  Berge  (Holberg)  .  .  .  84,  iio 
Jeu,    Le,     de    l'amour    et    du    hasard 

(Marivaux)    ....  ....     223 

jeune  Indienne,  La  (Chamfort)  .  .  .  178 
Journalisten,  Die  (Freytag)  .  .  i,  280  ff. 
Juden,  Die  (Lessing)      .  .         170 ff.,    175 

jüdische  Witwe,  Die  (Kaiser)       .     .       337  ff. 

Julius  redivivus  (Ayrer) 66 

Julius  redivivus  (Frischlin)  ....  66 
junge  Gelehrte,  Der  (Lessing)  .  170,  175 
junge  Welt,  Die  (Wedekind)  ....  326 
JuDgferngift,  's  (Anzengruber)  .  .  302  f. 
Jungfern       vom       Bischofsberg,        Die 

(G.Hauptmann) 312  f.,  330 


Kaiserwahl  in  Frankfurt  (Heinrich)  .  272 
Kammersänger,  Der  (Wedekind)  .  .  329 
Kandidat,  Der  (Sternheim)      ....     333 

Kanzlist  Krehler  (Kaiser) 34^  f- 

Karl  Hetmann,  der  Zwergriese  oder  Hi- 
dalla (Wedekind) 327 

Kassette,  Die  (Sternheim)  .     333  f.,  336,   339 
Kassius  undPhantasus  oder  der  Paradies- 
vogel (Robert)        218 

kategorische    Imperativ,     Der     (Bauern- 
feld)     277  f.,  280 

Kater  Lampe  (Rosenow)    .      .     .      310    318 
Kaufmann    von    Venedig,    Der    (Shake- 
speare)      182,  344 

Kindermörderin,  Die  (H.  L.  Wagner)  .  194 
klugen  und  törichten  Jungfrauen,  Ludus 

von  den 6,   22,  35 

Kollege  Crampton  (G.  Hauptmann)  306  f.,  308 

204 

337  ff- 

272 

90 

326  f. 

267 

275 


Komet,  Der  (Ifl'land) 
König  Hahnrei  (Kaiser) 
König  Kodrus  (Stahl)    . 
König  Lear  (Shakespeare) 
König  Nicolo  (Wedekind) 
Königs  Befehl,  Des  (Töpfer 
Königsleutnant,   Der  (Gutzkow) 
Konstantin    Strobel    oder    der    Zentaur 

(Kaiser) 341 

Konzert,   Das  (Bahr) 316 

Kramer  Kray  (Boßdorf) 321 

kranke  Frau,  Die  (Geliert)       .     .     .  164 

Kreuzelschreiber,   Die  (Anzengruber)      398  ff., 

303.  308. 
Kreuzerfindung       und       Kreuzerhöhung 

(Legendendrama) 36 

Krieg  den  Philistern  (Eichendorff)    217  f.,  335 
Krisen  (Bauernfeld)   .     268,  270,  278  f.,  281 

Kuß,  Der  (Mylius) 168 

Kunst  über  alle  Künste,    ein  bös  Weib 

gut  zu  machen 106 

Kunz    von   Rosen    oder    die    Brautfahrt 

(Freytag) 275 


Dramenreo'istcr. 


373 


Landfrieden  (Bauernfeld) 276 

Landpartie  nach  Königstein,    Die,   oder 

Herr  Hampelmann  (Malß)  ....  260 
lange  Israel,  Der,  oder  Bemoostes  Haupt 

(Benedix) 283 

Laune  des  Verliebten,  Die  (Goethe)     154,  193 

Leben  ein  Traum,  Das  (Calderon)    .      .  iio 

Leeuwendalers  (Joost  van  den  Vondel)  98 
Leipziger  Jahrmarkt,   Der  (Rückert-Rai- 

mar) 271 

Leonce  und  Lena  (Büchner)     224  f.,  271,  331 

letzte  Abenteuer,  Das  (Bauernfeld)    .     .  268 

Leuchtturm,  Der  (Houwald)    .     .      .     .  218 

Liebe  auf  dem  Lande  (Weiße)     .     .     .  179 

Liebelei  (Schnitzler) 317 

liebe  Onkel,  Der  (Kneisel)      ....  285 

Liebesleugner,   Die  (Jordan)     .     .     .     .  277 

Liebesprotokoll  (Bauernfeld)  .  .  .  .  271 
Liebestrank,  Der,  oder  Fritz  Schwiger- 

ling  (Wedekind) 328 

liederliche  Kleeblatt,  Das,  oder  der  böse 

Geist  Lumpacivagabundus  (Nestroy).  251 

Literarischer  Salon   (Bauemfeld)   .     .     .  280 

Literatur  (Schnitzler) 316 

Lokalbahn,  Die  (Thoma)    .,     ...  320 
Los  in  der  Lotterie,  Das  (Geliert)    159,   162  f. 
lustigen  Weiber  von  Windsor,  Die  (Shake- 
speare)        90 

Lysistrate  (Aristophanes) 299 

Maitre  Pathelin 57,  62,   261 

Malade  imaginaire,  Le  (Moliere)  .  .  129 
Maladie,  La,  et    la    mort    de    l'honnete 

Femme,  das  ist:   Der  ehrlichen  Frau 

Schlampampe     Krankheit     und    Tod 

(Reuter)        114  f. 

Maler,  Die  (Wilbrandt)  .  .  .  282,  304 
Mamsell,    Die,    oder   die   Hausfranzösin 

(Gottschedin) 137  f. 

Mari,  Le,  qui  trompe  sa  femme  ou  Oscar 

(Scribe) 275 

Marquise  von  Arcis,  Die  (Sternheim)  333  f.,  336 

Marquis  von  Keith,  Der  (Wedekind)    .  326 f. 

■  Märtyrerdrama  des  hl.  Georg        ...        36 

—  der  hl.  Katharine 35 

Masaniello  (Weise) 102 

Maschinenbauer  von  Berlin,  Die  (Weirauch)  257 
Maske  für  Maske  (Jünger)  .  .  .  .  223 
Matrone  von  Ephesus,    Die  (Weiße)     .      172 

Mauserung  (Gott) 31 5.   333 

Medaille,  Die  (Tboma) 320 

Megära,  die  förchterliche  Hexe  (Hafner)  245 
Meierbeths  Glück  und  Ende  (Eichendorff)  218 
Mein  Leopold  (L'Arronge)       ....      257 

Meister  Andrea  (Geibel) 292 

Meister  Kecks  oder  Hans  Pfriem  (Hay- 

neccius) 67  f. 

Meistersinger,  Die  (R.Wagner)     2,   240,   276, 

293 ff.,  297.  344. 
Melanide  (N.  de  la  Chaussee)  155,  157.  i7Si  ^79 
Menächmen    (Plautus) 232 


Mercator  (Kirchmeyer-Naogeorg)  .  .  64 
Michel  Angelo  (Hebbel)  .  .  .  392  f.  302 
Minna  von  Barnhelm  (Lessing)  1,86,89,98,  153, 

170,  178,  I79ff.,  i86f.,  201,  205,  275,  278 
Misanthrope,  Le  (Moliere)       .     .     .     .      131 

Misogyne,  Der  (Lessing) 169 

!Miss  Sara  Sampson  (Lessing)  ,  .  .  I75f. 
Mißtrauische,  Der,  gegen  sich  selbst  oder 

Ehrlich  währt  am  längsten  (Weiße)  .  174 
Mitschuldigen,  Die  (Goethe)  .  .  .  89,  193 
Moisasurs  Zauberfluch  (Raimund)  .  .  249 
Mondzügler,   Die  (Hoffmann)   .      .      .      .      272 

Morgenröte  (Ruederer) 320 

Mottenburger,  Die  (Kaiisch  u.  Weirauch)     257 

Mückentanz  (Eulenberg) 332 

Münchhausen   (Eulenberg) 337 

Musikanten,  Die,  am  hohen  Markt  (Gleich)     248 


Nacht  auf  Wache,  Eine  (David)       .     .  259 

Nachtwächter,  Der  (Körner)    .     .     .     .  225 

Nanine  (Voltaire) 166,  180 

Napoleon  (Grabbe) 255 

Napoleon  und  der  Drache  (Rückert-Rai- 

mar) 271 

Napoleon   und  seine  Fortuna  (Rückert- 

Raimar) 271 

Nathan  der  Weise  (Lessing)    .     .     .     .  171 
Naturaliensammler,  Der,  oder  die  uner- 
wartete Zusammenkunft  (Weiße)    .     .  174 
natürliche  Vater,  Der  (Eulenberg)      .     .  332 

Neidhartspiele        43  ff- 

Großes  Neidhartspiel       .     .      44 f-,  47,   51 

Kleines  Neidhartspiel 45 

St.  Pauler  Neidhartspiel       ....  43 

Sterzinger  Neidhartspiel 45 

neue  Herkules  am  Scheidewege,  Der  (Tieck)  215 

neue  Menoza,  Der  (Lenz)        .     .     .     .  190 

Neueste  von  Plundersweilern,  Das  (Goethe)  195 

Neugierige,  Der  (Destouches)       .     .     .  127 

1913  (Sternheim) 333 

niederländische  Bauer,  Der  (Weise)       .  iio 


Oben  wie  unten  (Benedix)      ....  284 
Obstacle  imprevu,  L'  (Destouches)  .     .  125 
Odvardo,    Der    von    dreyen    Schwieger- 
söhnen geplagte  (Hafner)      ....  245 
Onkelei,     Die,     oder    das    französische 

Lustspiel  (Müllner) 225 

Operas,  Les  (St.  Evremond)    .     .     .     .  129 

Opern,  Die  (Gottsched) 129 

Orakel,   Das  (Saint-Foix) 144 

Organe  des  Gehirns,  Die  (Kotzebue)    .  206 
Oscar  ou  le  mari  qui  trompe  sa  femme 

(Scribe) 275 

Osterspiele        7  ^^- 

—  Benediktbeurer 12,   29 

—  Erlauer loff.,    15,  iQf- 

—  Innsbrucker     .     .     .     .  Sf.,   15,    17.  I9f- 

—  Nürnberger 9 

—  Prager 12 


374 


Register. 


Osterspiele,  Redentiner  .      ii,   I5f.,  20,  24f., 
32f.,  41,    258. 

—  Sterzinger 9i   i5>    ^9 

—  von  Tours 12 

—  Trierer 9i    IS 

—  Tschechisches 15 

—  Wiener 8f.,   15,   18,   24 

—  Wolffenbüttler 10,    12,    15 

Othello  (Shakespeare) 182 


Pagenstreiche  (Kotzebue) 210 

Pammachius  (Kirchmeyer -Naogeorg)  .  64 
Pandämonium  Germanikum  (Lenz)  .  .  195 
Paradiesvogel,    Der,    oder    Kassius  und 

Phantasus  (Robert) 218 

Passionsspiel 

—  Alsfelder 18,  25,  27,  29 

—  von  Muri 15 

—  Obcrammergauer 23 

—  Tiroler 8f. 

Pastor  Fido  (Guarini) 82 

Peer  Gynt  (Ibsen) 326 

Penthesilea  (Kleist) 229 ff. 

Perleberg  (Stemheim)     ....       333,   336 

Perseus  (Rist) 94 

Peter  Brauer  (G.  Hauptmann)  .  .  .  307  f. 
Peter  Squentz  (Gryphius)   .     .    97,    100,   107 

Petriscus  (Macropedius) 68 

Pfingschtmondäa  vun  hitt  zeDäa(Schnee- 

gans)        240 

Pfingstmontag,  Der  (Arnold)  .       239  ff.,   253, 

262,   295. 
Pietisterey ,     Die ,     im     Fischbeinrocke 

(Gottschedin)    129  f.,    138,    142,    152,    161, 

174- 

Pitt  und  Fox  (Gottschall) 276 

Plaideurs,  Les  (Racine) 139 

Plundersweilern,  Das  Jahrmarktsfest   zu 

(Goethe)        195 

Plundersweilern,  Das  Neueste  von  (Goethe)   195 

Plutos  (Aristophanes) 61 

Poeten,  Die,  nach  der  Mode  (Weiße)  173 
politische  Kannegießer,  Der  (Holberg)  1 33,  262 
politische  Quacksalber,  Der  (Weise)  .  iio 
politische  Wochenstube,  Die  (R.  Prutz)  272 
Ponce  de  Leon  (Brentano)  221  ff.,  225,  33if. 
Portrait,     Das,     der    Mutter    oder    die 

Privatkomödie  (Schröder)     ....  201  f. 

Postzug,   Der  (Ayrenhoff) 244 

Pr^cieuses  ridicules,  Les  (Moliere)  .  .  1 1 1  f. 
Prejuge,  Le,  älamode  (N.  de  la  Chaussee)  157 
Prinz  Zerbino  oder  die  Reise  nach  dem 

guten  Geschmack  (Tieck)  .  .  216  f.,  271 
Privatkomödic,    Die,    oder    das    Portrait 

der  Mutter  (Schröder) 201  f. 

340 

3'4 
81 

315*- 

175 
215 


Prometheus,  Deukalion   und    seine    Re- 
zensenten  (H.  L.  Wagner)    .     .     .     .      195 

Prorektor,  Der  (Textor) 259 

Prozeß  in  Kraehwinkel  oder  des  Esels 

Schatten  (Kotzebue) 209 


Rachsüchtige,  Der  (Destouches)  .     .     .      127 

Ralph  Roister  Doister 90 

Raub  der  Sabinerinnen,   Der  (F.  und  P. 

von  Schönthan) 285 

Rebecca  (Frischlin) 64  f. 

Rebelies  (Macropedius) 68 

Rebhühner,  Die  (K.  Hauptmann)      .  330 

Rehbock,  Der  (Kotzebue) 210  f. 

Reise,  Die,  nach  dem  guten  Geschmack 

oder  Prinz  Zerbino  (Tieck)      .    216 f.,  271 

Rektor  Kleist  (Kaiser) 340  f. 

•  .  273 
201,   209 


Republik  der  Tiere  (Bauernfeld) , 

Ring,  Der  (Schröder)     .     .     .     , 

Robert  Guiskard  (Kleist)  .     .     .       228,   231 

Robert  und  Bertram  (Räder)  ....     284 

rode  Uennerrock,  De  (Boßdorf)  .     .     .     321 

Roi  de  Cocaigne  (Legrand)     .     .     .     .      I18 

Rokoko  (Laube) 275 

romantische  Oedipus,  Der  (Platen)  .  .  219 
Rosenkavalier,  Der  (Hofmannsthal)  297,  317 
RosenmüUer  und  Finke  (Töpfer)  .  .  279 
rote  Hahn,  Der  (G.  Hauptmann)       .      309  f., 

313,  318,  324,  327. 

Rubin,  Der  (Hebbel) 290  ff. 

Rüge  Hoff,  De  (Stavenhaven)  .  .  .320  f. 
Ruhmredige,  Der  (Destouches)  .  .  .  127 
Rule  a  wife  and  have  a  wife  (Beaumont 

und  Fletcher) 200 

Ruth  (Frischlin) 65 


292, 


Probekandidat,   Der  (Dreycr)  .     .     . 
Probepfeil,  Der  (Blumenthal)  .      .      . 
Prob  getrewer  Liebe,  Comedia  und 
Professor  Bernhardi  (Schnitzler)    . 
Projektenmacher,  Der  (Weiße) 
Prolog,  Ein  (Tieck) 


Salvator  Rosa  (Deinhardstein) 

Satyros  (Goethe) 

Scaenica  Progymnasmata  (Reuchlin) 
Schach  dem  König  (Schauffert)    . 
Schäferinsel,  Die  (Chr.  Mylius)     . 
Schatz  des  Rhampsinit,  Der  (Platen) 
Scherz,    Satire,    Ironie    und    tiefere   Be 

deutung  (Grabbe) 220  f., 

Schicksalsstrumpf,  Der  (Castelli)  . 
Schluck  und  Jau  (G.  Hauptmann)     .  84, 

310  f.,  316. 
Schmetterlingsschlacht,  Die  (Sudermann) 
schönen    Phaenicia,     Comedia   von    der 

(Ayrer) 

Schreibfeder,   Die  (Grillparzer) 
Schule  der  Reichen,  Die  (Gutzkow) 
Schulmeisterwahl    zu    Blindheim ,     Die 

(G.  F.  Wagner) 

Schwarzkünstler,  Der  (Gott)    .... 
Schwierige,   Der  (Hofmannsthal)  . 
Seinem  Schicksal  kann  niemand  entrinnen 

(Houwald) 

Sergius  (Reuchlin) 

Sganarelle  ou  le  cocu  imaginaire  (Moliere) 


295 
195 
61 
277 
168 
223 

331 
218 
224, 

313 

87 
262 
274 

241 
315 
317 

218 

61 

III 


Dramenregister. 


375 


Sidea  (Ayrer) 87 

Sidonia  und  Theagenes 84 

Siegfried   von   Lindenberg  (J.  G.  Müller 

und  P.  L.  Bunsen) 259 

sittliche  Forderung,  Die  (Hartleben)  .  325 
Sklaveninsel,  Die  (Marivaux)  .  .  .  .  144 
Snob,  Der  (Sternheim)  ....  333  ..,  336 
Soldaten,  Die  (Lenz)  .  .  i86f.,  191,  194 
Sommernachtstraum  (Shakespeare)    58,  79,  97, 

107,   282. 
Somnium  vitae  humanae  (HoUonius)  84  f.,  iio 

Sonnwendtag  (Schönherr) 324 

Speculum  aistheticum  (Rhenanus)  .  .  78 
Spielerin,  Die  (Dufresny-Straube)  .  .  127 
Staberl  als  konfuser  Zauberer  (Nestroy)  246 
Staberl  im  Feendienst  (Nestroy)  .  .  .  246 
Stadtminschen  und  Burenlüd  (Baermann)  259 
Stammbaum,  Der  (Wall-Heyne)  .  .  .  197 
stärkere  Band,  Das  (Saiten)     .     .  .     317 

Stella  (Goethe) 176 

Stille  Wasser  sind  tief  (Schröder)     .     .  200  f. 

Stilpho  (Wimpfeling) 61 

Störenfried,  Der  (Benedix)  ....  284 
Stralauer  Fischzug  (Arnim)  .  .  .  .  253 
Stralower  Fischzug  (Voss)  ....  253 
Studentenleben,  Comoedia  vom  (Schoch)      139 

Studentes  (Stymmelius) 68 

stumme  Schönheit,  Die  (J.  E.  Schlegel)     149, 

151,   153,   l6lf. 

Sturm,  Der  (Shakespeare) 87 

Sturmgeselle  Sokrates,  Der  (Sudermann)  314 
Sturm  und  Drang  (KJinger)   186,  i8Sf.,  191  f. 

Susanna  (Frischlin) 64  f.,  83 

Susanna  (Heinrich  Julius)  .     .     .      .  88f.,  91 


Überraschung  der  Liebe  (Marivaux)      .  144 

Undankbare,   Der  (nach  Destouches)      .  127 

Unempfindliche,  Der  (Uhlich)       .      127,  139 

Unerträgliche,  Der  (Chr.  Mylius)       .     .  168 
unerwartete  Zusammenkunft,    Die,    oder 

der  Naturaliensammler  (Weiße)     .     .  174 

ungleiche  Heirat,  Die  (Gottschedin)       .  137 

Unschlüssige,   Der  (nach  Destouches)     .  127 

Urbild  des  Tartuflfe,  Das  (Gutzkow)     .  275 


Vater  (Strindberg) 
Veilchenfresser,  Der  (Moser) 
verbannte  Göttersohn,  Der  (Klinger 
Verbotene  Früchte  (Gott) 
Verbot  und  Befehl  (Holm 
verfolgte  Lateiner,  Der  (Weise) 


307 

285 

195 

315 

273f- 

112 


verhängnisvolle  Gabel,  Die  (Platen)  21 8f.,  271 
verkehrte  Welt,  Die  (Koenig)  .  .  118  ff. 
verkehrte  Welt,  Die  (Tieck)  .  .  .  .  217 
Verläumder,  Der  (nach  Destouches).  .  127 
verliebte  Gespenst,  Das  (Gryphius)  .  .  98 
Verlorene  Liebesmüh  (Shakespeare)  90,  97 
verlorene  Sohn,  Der  (de  Noel)  .  .  .  241 
Verschwender,  Der  (nach  Destouches)  .  127 
Verschwender,  Der  (Raimund)  .  250 f.,  290 
Verwirrungsstifter,  Der  (nach  Destouches)  127 
verwunschene  Prinz,  Der  (Putlitz)  .  .  311 
Viel  Lärm  um  nichts  (Shakespeare)  ,  87 
Vincentius  Ladislaus  (Heinrich  Julius)  65,  9of. 

Vögel,  Die  (Goethe) 195 

Voltaire    am    Abend    seiner    Apotheose 

(H.  L.  Wagner) 195 

Von  Morgens  bis  Mitternacht  (Kaiser)  .  341 
Vor  des  Reiches  Pforten  (Hamsun)       .     280 


Talismann,  Der  (Fulda)     ... 
Tambour  nocturne,  Le  (Destouches) 

Tantalus  (Lenz) 

Tartuffe  (Moliere)      .     .129,    142, 
Tausch  enttäuscht  (Jordan) 
Tegemseer  Antichristspiel  .... 
Testament,   Das  (Gottschedin)  . 
Testament  der  Messe  (N.  Manuel) 
Teufel  ist  los.  Der  (Weiße)     .     .     . 

Theophilusspiel 

Tiberius  von  Ferrara 

Tobias  und  die  Schwalbe  (Weise)    . 
tolle  Hund,  Der,  oder  des  Burschen  Heim 

kehr  (Niebergall)  .... 
toller  Einfall,  Ein  (Lauffs) 
Traumulus  (Holz  und  Jerschke) 
Trenkwalder,  Die  (Schönherr) 
Triple  mariage,  Le  (Destouches 
Triumph  der  Empfindsamkeit  (Goethe) 
Triumph  der  guten  Frauen  (J.  E.  Schlegel) 

151  ff.,    158. 
Trotz  wider  Trotz  (Moreto) 
Trutzige,  Die  (Anzengruber) 
Turandot  (Gozzi) 
Turandot  (Schiller)     . 
Turbo  (Andreae)  .... 


314 

125 

194  f. 

160,  275 

277 

6,  35 

138 

72 

179 

36 

92 

107 


261 
285 
340 
324 
125 

195 


267 
302 
199 
199 
92 


Wahre  Freundschaft,   Die,  oder  Dämon 

(Lessing) 169,   174 

Walder  (Weiße) 1 79-   186 

Wände,  Die  (Seemann  und  Dulk)  .  .  272 
Weber,  Die  (G.  Hauptmann)  .  .  306,  321 
Weh  dem,  der  lügt  (Grillparzer)       245,   249, 

262  ff.,   293. 
Weiberprobe,  Die  (Henrici)     .     .     .     .     119 
Weiber  von  Weinsberg,  Die   (Essig)     .     330 
weibliche  Jacobiner-Clubb,  Der(Kotzebue)    208 

Weihnachtspiel 34 

Weltuntergangspiel 35  f- 

Werberin,  Die  (Stephanie  d.  J.)  .  .  .  186 
Wer  ist  schuldig  (Grillparzer)       .     .     .     262 

Weyber  Reichstag,  Der 75 

Widersprecherin,     Die    (Dufresny  -  Gott- 
schedin)   127 

Wie  die  Alten  sungen  (Niemann)  .  .  277 
Wie  es  euch  gefällt  (Shakespeare)  .  .  79 
Wiener  in  Berlin,  Die  (Holtei)  .  .  .  253 
Wien   in    einem    anderen  Weltteil    oder 

Aline  (Bäuerle) 248 

Wildschütz,  Der  (Lortzing)      .     .     .     .     210 

Wiltbad  (Sachs) 81 

Winde,  Die  (Gruppe) 271  f. 


376 


Register. 


Wirthe,    Comedia  von  einem    (Heinrich 

Julius) 89,  91 

Wolken  (Lenz) 195,  206 

Wolkenzug,   Der  (Rapp) 271 

wunderbare  Heurath,  Die,  Petruvio  mit 

der  bösen  Catharine 105  f. 


Zähmung    der  Widerspenstigen    (Shake- 
speare)   .    84,  105  ff.,  HO,  200f.  302,  3iof. 


zärtliche  Ehemann,  Der  (Steele) 
zärtlichen   Schwestern,    Die   (Geliert) 

163  ff. 
Zauberflöte,   Die  (Schikaneder) 
Zaubertrommel,  Die  (Kurz) 
Zentaur,    Der,    oder  Konstantin    Strobel 

(Kaiser) 

zerbrochne  Krug,  Der  (Kleist) 

99,   229,   234  ff.,  288,  290,   308 f 
Zopf  und  Schwert  (Gutzkow) 


155 
159. 

245 
245 

341 
I, 

274f. 


Zu    ebener   Erde    und    im    ersten    Stock 

(Nestroy) 252 

zwei  Eheleuten,  Spiel  von  (Stimmer)     74,   77 
Zwischenspiele    des    geistlichen    Dramas 
im  Mittelalter 

—  Apostelszene  (Wettlauf)      .  .    7  ff.,   15 

—  Auferstehungsszene 13,   16 

—  Gärtnerszene 9,   11,   15 

—  Grabesszene  der  drei  Marien ...  8 

—  Grabwächterszene       16,   i8ff.,  45,   55,  90 

—  Höllenfahrtszene        16 

—  Judenszene 16 

—  Magdalenenszene 33 

—  Ritterszene.      ...    16,   19,   21,  26,  33 

—  Salbenkrämerszene     .    10  ff.,   15  f.,    19,   21, 

26,   30,   33,   45,   54. 

—  Sünderszene 46  f. 

—  Täuferszene      , 33 

—  Teufelsszene    .        21  ff.,  28,   33,  41,  44  ff. 

—  Thomasszene 8,   15 


377 


VORWORT    ZUM    BILDTEIL. 

Der  Bildapparat  dient  der  Veranschaulichimg,  Verdeut- 
lichung und  Ergänzung  des  Textes.  Noch  weniger  als  im 
Textteil  konnte  dabei  Vollständigkeit  erstrebt  werden.  Ich 
beschränkte  mich  auf  Auswahl  des  Wesentlichen  und 
Charakteristischen,  wobei  ich  allerdings,  wiederum  dem 
Texte  entsprechend,  dem  Mittelalter  mit  seinen  engen  Be- 
ziehungen zwischen  Literatur,  Theater  und  bildender  Kunst 
einen  verhältnismäßig  großen  Raum  zubilligte. 

Das  Bildmaterial,  das  meist  literar-,  theater-,  kunst-, 
geistesgeschichtlichen  oder  ästhetischen  Eigenwert  besitzt, 
illustriert  im  allgemeinen  unmittelbar,  der  Absicht  des  Bild- 
apparates entsprechend,  bestimmte  durch  die  betreffende 
Seitenzahl  bezeichnete  Textstellen.  Eine  Ausnahme  ge- 
stattete ich  mir  nur  insofern,  als  ich  die  Zahl  der  Abbil- 
dungen der  lustigen  Person,  gemäß  ihrer  Bedeutung  im 
Drama  und  Theater  des  i6.  und  17.  Jahrhunderts,  über  die 
im  Texte   direkt  genannten  Typen   hinaus   vermehrt  habe. 

Ich  muß  mir  versagen,  alle  Helfer  namentlich  anzu- 
führen, die  mich  bei  der  Zusammenstellung  des  Bildapparates 
förderten.  Dadurch,  daß  ich  bei  jedem  Bilde  Quelle  und 
Herkunft  angebe,  möchte  ich  wenigstens  meinem  Dank 
für  diejenigen  Ausdruck  geben,  die  mir  Bildmaterial  zur 
Verfügung  gestellt  haben.  Trotz  reichlicher  Unterstützung 
bin  ich  mir  aber  bewußt,  daß  mich  von  dem  selbstgesteckten 
Ziel  einer  Auswahl  des  Wichtigsten  noch  Lücken  trennen, 
die  auszufüllen  mir  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen 
unmöglich  war.  Es  bleibt  nun  abzuwarten,  ob  auf  die 
Kritiker  meines  Bildapparates  jener  Vers  zutrifft: 

For  wbat   was   there  each  cared  no  jot, 
But  all  were  wroth   with   wbat  was  not. 


Hol  1  ,  Lustspiel. 


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I.  Antike  MimusdarsteJler. 

(Seite  I  —  2.) 

379 


QVI  MALEDICiT  PRINGPI  5VOMORT  EMORIATvR  -EK.xxi 


2.  Conrad  Celtis  überreicht  die  Werke  der  Hrotsvith.    (Seite  3 — 4  u.  61.) 


38o 


Salbenkrämer 

oder 

Apotheker. 

(Seite  lo  — 15  ) 


4- 
Der  Wunder- 
doktor. 
(Seite  10—15.) 


382 


•.  Schlafende  Grabwächter.    (Israel  v.  Meckenem.)     (Seite  15  —  21. 


8.    |u(len\ers[K)ltun<^.    (Seile  18.) 


;83 


g.  Teufelsdarstellung  (Pencz).     (Seite  21 — 28,31 — 34.) 


10.  Teufelsdarstellung.     (Seite  21— 28,  31— 34.) 


} — 1 


384 


12.    Bcthleheniitischcr   Kindermord.     (Seite  34 — 35    u.   SS. 


386 


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390 


392 


23  (oben). 
Xarr  aus  dem 
i6.  Jahrhundert 
(Seite  66—67.) 


24 


24  (unten). 

Narr  um   das 

Jahr  1600. 

(Seite  7 1 .) 


393 


!5.    Terenzbühne.    (Seite  69  —  70.' 


H  oll ,  Lustspiel. 


394 


26 


26. 
Zum    Fastnacht- 
spiel,, Der  Abiali- 
krämer". 
(Seite  72.) 


Weinzecher. 
(Seite  74.) 


27 


396 


xo.   Der  träumende  Bauer.    (Seite  84,   iio,  311; 


31.   I.c  Docteur  Baloüarde.    (Seite  86 — 87.) 


399 


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39.   Monsieur  Balon.   (Seite    117.) 


402 


40.  Bildnis  der  Frau  Schlampampe. 
(Seite   112  — 113.) 


403 


41.  Szenen  aus  Reuters  „La  Maladie  et  la  mort  de  l'honnete 
Femme".     (Seite  114  — 115.) 


404 


42.   Die  herumziehenden  Kom(idianten.    Xach  Chodowiecki. 
(Seite  ii8  — 119.) 


405 


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49.  Weibliche  Bediente.  Nach  Chodowiecki. 
(Seite  138,  164 — 165,  170,  204.) 


50.  Szenenbild  von 
G.  M.  Kraus  zum 
„Bauer  mit  der  Erb- 
schaft". (Seite  141.) 


409 


5  I .   Hanswurst  aus 

demiS.Jahrliundert. 

(Seite  169.) 


ßrh  Sh-ohfachjehe  Jiier^ntKup/eT  "dioeßochen-. 
Cov.-i-aqe  feh'Uj,  -mir  ^atauf  i^il  ich.  ructri  P^ch^rv., 
S)och  d-as  2er Murren  Qu-rtfi  verffnu-aet  ^rrOT.  updJierti^^ 
Och    bleib  Jhr  Ser-utleur^in.^ight<^  uri>Jcherl^      S.ä.aJC., 


51 


Holl,  Lustspiel. 


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Chodowieckis  Illustrationen  zu  „Minna  \on  Barnheim".     (Seite  179  ff.) 


412 


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UI.AUFZUG.X.AUFTRIT. 


lU-AüFZUGMIAUFTRIT.    ^ 


IV.AUFZU(?.II.AUFTRIT.  m<A 


Chodowicclvis  Illustrationen  zu  „Minna  von  Barnhelm".     (Seite  179  ff.) 


413 


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Chodowieckis  Illustrationen  zu  „Minna  von  Barnhelm".     (Seite  179  ff.) 


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Aus  Chodowieckis  Illustrationen  zai  Kotzcbues  „Die  Indianer  in  Kngland".    (Seile  206.) 


417 


'4-    Prinz   Leonce  und  Rosctta,   I.  Akt,  5.  Szene. 


75.   Prinzessin  Lena  und  ihre  Gouvernante,    IL  Akt,   3.  Szene. 
Szenenbilder  aus  Büchners  „Leonce  und  Lena".     (Seite  224  f.) 


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©er  ©efanjene. 

Oper  in  einem  §(ufjuge,  SOIufif  von  J!>ella  9DIarta. 

♦frau  l'Otl   2?olliiau  ,   nnc   junqc  SBiKwe, (Jnqcl^. 

fHcl'inf,   ih"   ©iiffioi-titer , ßpcnqUr. 

I)fr  (JcmmonCaiif,      35iMf''- 

,8tfutcnflnt  ?'mrpall, • grrobe. 

j^aiirtmann  ^"SJarUfd,       Sonp. 

^frrnunn,   fnn   ©tCiicntcc,    •    • Qitnaü. 

gin  Unterofiijict, (?iU.nf}cin. 

.hierauf: 
3  »  m   (?  r  jl  e  n  m  a  t)  1  c : 

iDer  jetfcrocgcne  frag. 

ein  Cuflfpief  in  Irei  Slufjücjen. 

©alter,  ®erl4i«tfltl) ,  Off«. 

llCam,  35crfcid)itr ,      •  •     • 5!>fcfor. 

£i*t,  ®cf)rcibtr,      •    •  •    ■    • Un^lmann. 

grau   Worllje  mutl,  » ffiolff. 


gvc,   ibi-c  ItxtKc, 


Sli'ermannt 


SBcit   lümptl,  cm  ©aua, ©raff. 

Wupndlt,  («m  ©"^n' ^\\^' 

grau   gjng.ftc, ©,  ,e. 

©in  25cbicntct,      ....••...••••  |.lfnac.n. 

SHiigfcc, JQ^^^i^^ 

S5ütfcl. 
S)ie  Jpantlung  fpifir  in  einem  nicberldnbife^en  3)orft  bei  Utredjf. 

~gi(ftc  OgorpcKung  im    ferbgcn  ?<bonnemcnt. 

SJumnirie  «]>ld&e  im    parterre   unD   numerirtc  etüble  ouf    Dem  SSülfcn 
finD  belegt  unD  f6nnen  mit  ton  Slbonnenren  cinqcnümmen  merDcn. 

Valien  »  lö  &t. 

^arfet  «  12  ®r. 

parterre  »  8  ®r. 

©aUcrie  '  4  (9r. 

SInfang  um  ^alb  6  U^r. 

77.  Theaterzettel  der  Weimarer  Uraufführun.u  von  Kleists 
„Zerbrochnem  Krug".  (Seite  234.) 


420 


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84-    S/enenbild  zu  Gutzkows 

,Zopf  und  Schwert",  III.  Akt,  2.  Szene. 

(Seite  2-4.) 


424 


85.    Szenenbild  zu  Gutzkows 

„Zopfund  Schwert",  V.  Akt,  2.  Szene. 

(Seite  274.) 


425 


86.   Szenenbilder  zu  Gutzkows  „Urbild  des  Tartuffe".    (Seite  275. 


87.   Szenenbild  zu  Freytags  ,, Journalisten",  IL  Akt,  2.  Szene.     (Seite  280. 


H  o  1 1 ,  Lustspiel, 


426 


BresUiuer   Theater. 

3RtttiüO(|)  bm  8.  I^f^cmbfr  1852. 
Bei  aiifoohofHMioin  Abonnomeiit. 

3wni  ^fiiefij  kö  gröultin  %\.  ^offmann. 


3  u  m    f  r  f}  c  n   SK  a  l  t  : 


^if  Soiuiialifitciu 


<giiftfpicl  in  t)icr  5(ftfn  t>cn  05uftat>  JJrfitag. 


Sbirfl  a.  r.  ajcTj, 

Std.  fcinf  ;jo(t)t(r, 

Mbelbcib  «unctf, 

3tnbcn,  @ut6bifi6tr, 

Drofiffor  Clbfnborf.  .'Kcbattuir 

jonrab  »oU,  .'Scbafttur  , 

iVUniauj,  sfljitorbnter  I 

.fcinipc,  SRUatbntcr 

.forn.T,  SCKJt.irbciicr  ( 

•Siicbbructa  ^wnning,  Gigciitbumcr  ) 

Wullcr,  Kuctotum 


bt-t 


^itrr  ©örncc.  'als  ßlail. 
Atäul.  aXarif  SchiiciKT 
^rl.  Alümimj  .fvoffnianii 
.V)ftr  ©iiinaiib 

\  .fitcc  3?aunifif5cr. 
I  *ctr  aSultoir. 


„Union,"      I""  *"l'f . 

f  .?iiTr  ßlauliu*. 
ficrr  jlioffniann. 
'  *crc  SSallifct. 
.fvir  3to8. 
Crt  bcr  ifinnMung 


r  f  o  n  «  n  : 

>t)icpcnbtnit,  Stinbänblcr  unb  Saljlmann. 
üotte,  feini'  ^rau,  =  -. 

s5ml)a,  üine  ^locbttr,    • 
Alfinmichcl,  iputgct  uiib  SSablniann, 
Ans,  üin  aobn, 
^ufn^rati)  ithinar,, 
vijiic  frcmbc  3angerlti, 
(Jinc  ormt  gtcu, 

Aorb,  Scftrdber  "om  ®utc  Xbtl^ib'S, 
koA,  Scbicntft  beä  Ebcrücn, 
Sin  ÄcUncr,     ■.■..: 
ein  ©ml,         ,  ,  ,  . 

SJciTouttcn^Säfie.  Icputationm  Nt  »urgerWafr 
£ie  fiauptftabt  tin«  ijjtooini. 


.^ctt  OTefi-r.  • 
Rtju  Saumetfter. 
Arauliin  SSdbcmann. 
.fifrr  «cp. 
5>irr  (Sampc. 
.?)irr  ^^ufdimann. 
Sräultin  a?urfd)i- 
j^jEUu  ÄbrfnS. 
^ccr  Jgwnnuä, 
^i-CT  Srab. 
-■ÖiTT  9Rci(itt. 
5)crr  'J.^urfdid. 


KtgifTeur:    ^err  ®crner. 


■5  I  e  r  c  u  f ,    ä  u  m   f  r  ft  e  n   a)J  a  1 


@tn  Pa§  de  (leiix  tiot  100  ^a^rciu 

@tnrf  =  S8iIb    t>on    £.    !Sc()n£ibcr. 


'id)(l  spoiticr,  aSaUttmciilcr  bcr  italicnifdicn  Epcr 

„  '  a?trlin,      ■■--:-.  Sstxt  TOtntr. 

Siünf^anjtoli',  ÄJniijl.  isolotänitr,  .ßtrr  Su-nricf). 

(im  Stabs. Aapiiam  pom  I.  SalaiUon  Sfibjarbc,  ^err  SSalln'cr. 


CJbciiiian,  Stallet :  ■,'(p,riiinur, 


3>«rfoncn: 

II  SRUe.  GboAoiS,  Sdn^trin  au8  «Paria,      '  Sri.  »Warte  Äöbii'd). 

Ännc  ajJarie  «Scracntbin,  auS  -'Rivborf, ,  5j,riG.ni  >..  Sraulcn  SPnrfctt. 
'  SRictt  Stci.ijclatf,  aii6  Scblenbuif,  in  n.)t|rji  Rrjuli-m  Sautfr 

i  Gacolinc  »IMurife,  au5  bcni  auapptntnii^, '    '"""•      Scaultui  9iu|>ci(tt. 
I,      (rm  aolbar 


SifdiiTeur:    ^crr  SÄtper. 


^  r  *  I  f  c    ^ 

Stn  *pia6  in  bfn  IJoaen  trä  crften  JJJamjes      .    .  25  3jr. 

ein  numtrirler  SiRrluB  im  aialtcii    .  25    ,; 

(Sm  Slchplag  im  Spalten 25    „ 

(im  ^laß  m  tcn  ^farqurt üo^tn    ...!.]  20    „ 

Sm  numfrirttr  ^Pdr>iutt  Siß 20    „ 


(Sin  '«piaB  in  ^cn  J!oacu  tcS  (Wcitm  SJan^c^  .    .  15  Sgr. 

CSin  numcnrttr  2iBr(vi6  im  ^Parterre      ....  15     „ 

(Sin  •'Plaß  im  ''Parterre      10     „ 

(?m  ''Plaß  in  tcn  (i5>iUerif  ÄOflcn Tu  „ 

(Sm  'Pl.iB  auf  ttr  (iJallcrit    ! 8     « 


aKotgen,  SO.  SorRfUung  beä  ri«cn  :ibonncmmi8  pon  70  SorflcUungm :  „aSarim  gutbst."  :giiftenfi^ä  Sctwul)««!  m  5  Jfttni  ccn  "&.  Älmgcmann. 


Theaterzettel  der  Uraufführung  von  Frey  tags  .Journalisten".  (Seite  280.) 


227 


2        ß  £i  c  :5 


428 


SÄunc^ciL 


^(iniöl.  ßof-  m\b 


tlotional-^ljfatrr. 


Spnntafl  ben  21.  3um  1868. 

aJlit  aufgcbobcncm  Slbonncracnt. 

3um  crftcn  '3ta!c: 

5ttei|lcrfinj)cr  wwi  Härnbfrg. 

Cpet  in  ttei  äufjüijcn  ccn  JRic^arb  SBagner. 
«tik:  i>m  Cr.  ^«Httoi^«. 

'g*erfonen: 

{■viiis  eoibe.  S*ul1tt  /|,c-T  -Set. 

^(il  ^Pognci,  ®clli4iiiiEt  l  |$)m  ^'auftwctn. 

Äunj  2?C3el3((aii3,  fförfintt  I  IC>*"  ^etnri^ 

fieniofc  gijitligaL,  Spüngl«  /  Ißm  ©igl- 

gri}  «tlba.t,  «Bäciti  \  ,™,-„,^„„„  '£m  PiMtt. 

»»Ilti.(;i  3ctn,  3inn5ti6ci  ,  •"'"l'"T'"S"       ....       ^^  SB.ijlflt^r 
lllrii  (Sifelinjet,  äBöljhSmti  ipm  ficüpt. 

Susuflir  antfti,  Si^ntibn  I  IJtii  ^ocjl 

Jurmann  Dilti,  Etijtnfirttt  1  [jpm  Htm:. 

|)ana  gof5,  ftupfetfc^ntirt)  \|>en  ^aon. 

fflalHei  Bon  ©Idjinj,  tin  junjtt  iKillti  ci:8  jjianlin              .         .  fm  Sa^faut 

1501.11,  ®o(ti(cn'8  Ctitbube |jtn  3*lii|Tti- 

Sto,  ilrgnti'«  leitet ptäulcin  TOallinga. 

3)ta3b,il(ne,  Gta'fi_2IinTne .  grau  Titj. 

Gin  9In(itlrüd)lei ^en  gttbinwb  Oang. 

aüijn  unb  gijutn  aütr  i(üiitlt.     OtftUtn.     Ccbrtubtn.     SD!5b<ttii  8)dL 

dlüntberg. 

Um  bu  fflciltt  bte  IG.  Oa^iiunb<t«. 

Sefüfli^et  (inb  ju  18  ft.  an  ket  Söffe  )u  ^oben. 
Stent  Sturotitnca: 

3n,  bnllen  STuf,  «  ■    I?*  *"»""«-  Wm  b,.  f.„,  ea*,,  (   »"«"•  ^"»91. »  unb  SM-  3.n!. 

""Il-S'     l3ttitilt  Setotalion:  8"i"  SBitItnplaii    bti  SKnibträ,  »cm  S    ficftbtalmnalti  fitmi  ßrim6 
Slöll. 

'Jltne  «oPme 

na(^  angabt  bt«  l.  Iti^nilc^tn  Dirtllci«  fmni  (Jianj  Scij. 

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90.   Theaterzettel  der  Uraufführung  der  „Meistersinger". 
(Seite  297.) 


429 


gi.   Szenenbild   zu   Gerhart  Hauptmanns   „Schluck  und  Jau".   (Seite  31  off.; 


92.   Szenenbild  zu  Gerhart  Hauptmanns   „Schluck  und  Jau".   (Seite  3  10 tf.i 


430 


93-   Szenenbild   zu   Gerhart  Hauptmanns   „Schluck  und  Jau".   (Seite  3ioft.) 


94.  Szenenbild  zu   Gerhart  Hauptmanns   „Schluck   und  jau".    (Seite  3101t. 


431 


95-   özenenbilcl   zu    l-^ulenbergs   „.Mückentanz".    (Seite  332. 


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96.   Szenenbild  zu   Sternheims   ,,1913".   (Seite  333.) 


432 


97-   Szenenbild  zu   Sternheims  „Der  entfesselte   Zeitgenosse".   (Seite  333 


98.   Szenenbild   zu    Kaisers   „Zentaur".   (Seite  341. 


433 


99-   Szenenbild  zu  Kaisers  „Zentaur".      I.   und   IV.  Akt. 
Zimmer  bei  Vierkant.   (Seite  341.) 


100.    Szenenbild  zu   Kaisers   „Zentaur".      II.,   III.,  V.  Akt. 
Zimmer  von  Strobel.  (Seite  341.) 


BILDER  KLARUNGEN. 

1.  Vasengemälde  in  der  Bibliothek  des  Vatikans.  Nach  Winckelmanns  Zeichnung.  —  Nach 
Floegel-Ebeling,   Geschichte  des  Grotesk-Komischen.    5.  Aufl.  1887. 

2.  Celtis  überreicht  die  Werke  der  Hrotsvith  dem  Kurfürsten  von  Sachsen.  Nach  einem 
Holzschnitt,  vermutlich  von  A.  Dürer,  von  der  Rückseite  des  Titels  der  15  01  in  Nürnberg 
von  Celtis  herausgegebenen  Werke  der  Roswitha.  —  Germanisches  Museum,  Nürnberg. 
Phot.  Christof  Müller,  Nürnberg.  —  Der  Humanist  Conrad  Celtis  hat  am  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts die  verschollenen  Werke  der  Hrotsvith  aufgefunden  und  1501  herausgegeben.  (Vgl.S.61.) 

3.  .Statue  des  Apothekers  oder  Salbenkrämers  im  Konstanzer  Münster  aus  dem  letzten  Drittel 
des  13.  Jahrhunderts.    Phot.  German  Wolf,   Konstanz. 

4.  Der  Wunderdoktor.  Nach  dem  Gemälde  von  Jan  Steen.  Reichsmuseum,  Amsterdam.  — 
Quacksalber,   seine  Frau   und   sein  Knecht,   der  deutlich  Narrenfigur  sein   soll. 

5.  6,  7.  Drei  Darstellungen  der  Auferstehung,  während  die  Grabwächter  schlafen:  M.  Schon- 
gauer  (5),  Meister  Francke  (6),  Israel  von  Meckenem  (7).  —  Auf  dem  Kupferstich  Israels 
von  Meckenem  ist  noch  die  weitere  Szene  der  Befreiung  der  in  der  Hölle  gefangenen  Seelen 
zu  sehen.  —  Schongauer.  Kupferstichkabinett,  Berlin.  —  Kleister  Francke.  Gemälde  in 
der  Kunsthalle,  Hamburg.  Phot.  Franz  Rompel,  Hamburg.  —  Israel  von  Meckenem. 
Kupferstichkabinett,   Berlin. 

8.  Holztafeldruck  aus  der  ]\Iitte  des  15.  Jahrhunderts,  worauf  die  Juden  verspottet  sind,  indem 
sie  aus  einem  Schweine  trinken.  —  Nach  Floegcl-Ebeling,  Geschichte  des  Grotesk-Komischen. 
5.  Aufl.  1887. 

9.  Teufelsdarstcllung,  die  deutlicli  zeigt,  daß  ein  Darsteller  als  Teufel  maskiert  ist.  —  Georg 
Pencz,  Versuchung  Jesu.  —   Kupferstichkabinett,   Berlin. 

10.  Weitere  Teufelsdarstellung,  in  der  der  Teufel  mehr  als  lang  behaarter  Wilder  Mann  auf- 
gefaßt ist.  —  Doctor  Martinus  Luther,  Husz  Postilla,  Witteberch  1582.  Plattdeutsche  Aus- 
gabe  von   Luthers   Hauspostille.    Lutherhalle,  Wittenberg. 

11.  M.  Schongauer,  Jesus  als  Gärtner  und  Magdalene.  Eine  Darstellung  des  Singspiels  mit 
betont  lyrischer   ^^'eichheit.   —   Kupferstichkabinett,   Berlin. 

12.  Darstellung  des  Bethlehemitischen  Kindermordes,  die  den  Kindermörder  mit  der  Gugel  des 
Narren  zeigt  und  damit  die  im  Texte  behauptete  Zwischenstellung  veranschaulicht.  —  Wand- 
gemälde in  der  Galluskapelle  von  ( >ber-Stammheim.  Mitteilungen  der  Antiquar.  Gesell- 
schaft in   Zürich,   Bd.  XXIV,   Heft  b.     Badischc   Landesbibliothek,   Karlsruhe. 

13.  Nürnberger  Schemjiartläufer.  Nach  Flocgel-Ebeling,  Geschichte  des  Grotesk-Komischen. 
5.  Aufl.  1887. 

14.  15.  Zwei  frühe  Puppenspieldarstellungen.  —  Die  älteste  (15)  ist  aus  dem  Hortus  deliciarum 
der  Herrad  von  Landsberg,  Äbtissin  zu  Hohenburg  oder  St.  Odilien  im  Elsaß,  aus  dem 
12.  Jahrhundert.  Rechts  und  links  des  Tisches  stehen  spilman  und  spilwip,  die  an  Seilen 
zwei  Puppen  einen  ritterlichen  Zweikampf  agieren  lassen.  Aus  der  Ausgabe  von  Chr.  M.  Engel- 


Bilderklärungen.  435 


hardt,  gestochen  von  Willemin.  iSiS.  —  Goethe-Xationalmuseum,  Weimar.  —  Die  voran- 
gestellte Darstellung  (14)  ist  eine  Miniatur  aus  dem  Manuskript  des  Alexanderromans  in 
der  Oxforder  Bodleian  Library  aus  der  Zeit  1338  — 1344-  Hierauf  ist  schon  ein  geschlossener 
Puppenspielkasten  zu  sehen.  —  The  Archaeological  Journal.  Nr.  19,  October  1S48. 
Universitätsbibliothek,   Leipzig. 

lö,  17.  Zwei  Darstellungen  des  Veilchenmotivs  der  Neidhartspiele  im  Haus  zur  Zinne  (16)  in 
Diessenhofen  und  im  Haus  zum  Grundstein  (17)  in  Winterthur.  —  Mitteilungen  der  Anti- 
quarischen Gesellschaft  in  Zürich.   Bd.  XXIV,  Heft  6.   Badische  Landesbibliothek,  Karlsruhe. 

iS.  Kirmes.  (La  Kermesse  de  La  Saint-Georges.)  Nach  einem  Stich  von  Peter  van  der  Heyden 
nach   Pieter  Brueghel   d.  A.   —  Kupferstichkabinett,   Berlin. 

19.  Darstellung  des  Inhalts  vom  Fastnachtspiel:  ,,Ayn  Spil  von  Mayster  Aristotiles".  —  Aristoteles 
und  Phyllis.  Vom  Meister  des  Hausbuchs.  —  Aus  ,, Deutsches  Leben  der  Vergangenheit",  Bd.I. 

20.  Drei  charakteristische  Bauernfiguren,  wie  sie  Hauptträger  des  Fastnachtspiels  sind.  —  Kupfer- 
stich  von  Albrecht  Dürer.  —  Phot.  Dr.  F.  Stoedtner,   Berlin. 

21.  Die  Bühne  des  Passionsspiels  von  Valenciennes  aus  dem  Jahre  1547.  —  Die  Darstellung 
trägt,  trotz  ihrer  Renaissancepracht,  noch  durchaus  den  Charakter  der  mittelalterlichen 
Simultanbühne,  wobei  besonders  aufmerksam  gemacht  sei  auf  den  Höllenrachen,  der  vorn 
rechts  sich  befindet.  —  Nach  L.  Petit  De  Julleville,  Histoire  de  la  langue  et  de  la  litte- 
rature  francaise  des  origines  ä   1900.    Tome  II,  1S96.  —  Landesbibliothek,  W^eimar. 

22.  Parabel  vom  verlorenen  Sohn.  Nach  dem  Gemälde  von  F.  Francken  II  d.  J.  Badische 
Kunsthalle,  Karlsruhe.  Phot.  V.-A.  Bruckmann,  München  1900.  —  Die  Darstellung  zeigt 
im  Vordergrund  die  Szene  des  verschwenderischen  Lebens,  außerdem  werden  rechts  und 
links  gegen  den  Hintergrund  zu  noch  weitere  Szenen  aus  dem  Leben  des  verlorenen 
Sohnes  dargestellt.  .    : 


~3 


Narrenfigur.    Nach  einem   Stich   von   Franz  Brun.  —  Kupferstichkabinett,   Berlin. 

24.  Narrenfigur.    Von   H.  Goltzius.     Gestochen  von   H.  Ullrich.   —   Germ.  Museum,  Nürnberg. 

25.  Terenzbühne  nach  der  Grüningerschen  lateinischen  Terenzausgabe,  Straßburg  149O.  Dasselbe 
Titelbild  ist  auch  in  der  deutschen  Ausgabe  von  1499  mit  dem  einzigen  Unterschied,  daß 
die  Unterschrift:   hus   der  comedien,   statt  Theatrum,   lautet.  —  Lutherhalle,  Wittenberg. 

26.  Titelbild  zu  dem  Fastnachtspiel  ,,Der  Ablaßkrämer"  von  Nikiaus  Manuel.  Federzeichnung. — 
Stadtbibliothek   Bern.    Mss.  Hist.  Helv.  XVI  159,   N.  Manuel. 

27.  Titelbild    zu    dem   Weinspiel  von   H.  R.  Manuel.     Bern   1548.   —  Staatsbibliothek,    Berlin. 

28.  Holzschnitt  in  „Ein  Faßnacht  Spil,  Der  Farendt  Schuler  mit  dem  TeutTelbannen  (mit  vier 
personen)  kürtzweylig  zu  hören.  Hanns  Sachs".  Anno  Salutis  1551  am  5.  Nouembris.  — 
Landesbibliothek,  Wolfenbüttel.    Gr.  Sammelband   Nr.  6. 

29.  Hanswurst  im    1 7.  Jahrhundert.    Nach   einem  alten  Kupferstich   im   Landesmuseum   Gotha. 

30.  Darstellung  der  Geschichte  vom  träumenden  Bauern.  Kupfer  aus  Frauenzimmer-Gesprech- 
spiel.    II.  Teil.    Nürnberg  1O57.  —  Landesbibliothek,  Weimar. 

31.  Le  Docteur  Baloüarde.  Nach  einem  Stiche  von  Ch.  Allard  in  der  Badischen  Landes- 
bibliothek, Karlsruhe.  Unterschrift  des  Stiches:  Ouand  le  Docteur  parle  Ton  doute  / 
Si  c'est  latin  ou  bas  breton,  /  Et  souuent  celuy  qui  l'escoutte,  /  L'interrompt  ä  coups  de 
baston. 

32.  Le  Capitan  Matamore.  Nach  G.  Huret  gestochen  von  G.  Rousselet.  Typus  des  Ruhm- 
redigen. Nach  einem  Stiche  in  der  Badischen  Landesbibliothek,  Karlsruhe.  Unterschrift 
des  Stiches:  Ce  Capitan  plein  de  boutades  /  Estalant  en  rodomontades  /  Sagrand  valeur 


436 


Bilderklärungen. 


aus  assistans  /  A  tant  d'artifice  et  de  grace  /  Ouil  nous  fait  en  la  moindre  farce  /  Rire  et 
trembler  en  mesme  temps. 

33.  Polichinelle.  Nach  einem  Stiche  (wahrscheinlich  von  Ch.  Allard)  in  der  Badischen  Landes- 
bibliothek, Karlsruhe.  Unterschrift  des  Stiches:  Si  Polichinelle  ä  grand  mine  /  Arme  de 
Pincette,  et  de  Gril,    /   Son  Coeur  scait  brauet  le  peril  /   Oue  l'on  rencontre  ä  la  Cuisine. 

34.  Pickelhering  und  Jean  Potage.  Nach  einer  Flugschrift  von  1648.  Aus  Curiositäten  der 
physisch-literarisch-artistisch-historischen  Vor-  und  Mitwelt.  I.  Bd.  1811. —  Landesbibliothek, 
Weimar. 

35.  Titelkupfer  einer  Ausgabe  von  Chr.  Weises  ..Neue  Jugendlust",  worauf  unten  in  dem 
Szenenbild  aus  der  ,, Verkehrten  Welt"  eine  der  zahlreichen  komischen  Figuren  des  Dichters 
sichtbar  ist.   —  Staatsbibliothek,   Berlin. 

36.  Titelkupfer  zu  Weises  , »Bäurischem  Macchiavellus",  worauf  das  Rahmenspiel  abgebildet 
ist.  —  Stadtbibliothek,   Zittau. 

37 — 38.  Titelkupfer  und  -blatt  der  Dramensammlung  ,, Schaubühne  englischer  und  französischer 
Comödianten"    1670.   —   Landesbibliothek,   Weimar. 

39.  Monsieur  Balon.  Nach  einem  Stiche  von  J.  Lepautre  in  der  Badischen  Landesbibliothek, 
Karlsruhe. 

40.  Porträt  der  „Ehrlichen  Frau  zu  Plißine"  von  Christian  Reuter.  —  Aus  Christian  Reuters 
Werken.      Herausgegeben  von  Georg   Witkowski.    Bd.  I,    191 6.    Inselverlag,   Leipzig. 

41.  Szenen  aus  Reuters  ,,La  Maladie  et  la  mort  de  l'honnete  Femme,  das  ist:  Der  ehr- 
lichen Frau  Schlampampe  Krankheit  und  Tod".  —  Aus  Christian  Reuters  Werken.  Heraus- 
gegeben von   Georg   Witkowski.     Bd.  I.     191 6.    Inselverlag,   Leipzig. 

42.  ,,Die  herumziehenden  Komödianten".  Gezeichnet  und  gestochen  von  D.  Chodowiecki.  — 
Aus  G.  Chr.  Lichtenbergs  vermischten  Schriften.  IV.  Bd.,  Göttingen  1802.  —  Landesbiblio- 
thek,  Weimar. 

43.  Titelblatt  einer  konfiszierten  Hanswurstschrift.   —   Leipziger  Stadtbibliothek. 

44.  Neuberscher  Theaterzettel.   —   Stadtgeschichtliches  Museum,   Leipzig. 

45.  Franciscus  Schuch,  1716 — 1763.  Berühmter  Hanswurstdarsteller,  seit  1740  Leiter  einer 
erfolgreichen    Schauspielertruppe.   —  Nach    einem  Kupferstich    im    Landesmuseum,    Gotha. 

46.  Darstellung  eines  Arztspieles,  in  dem  die  Moralisch-Kranken  mit  der  ihre  Charakterfehler 
heilenden  Moral-Tinctur  behandelt  werden;  zu  beiden  Seiten  gegen  den  Hintergrund  zu 
stehen  die  Patienten,  die  als  der  Geizige,  der  Wollüstige,  der  Hochmütige,  der  Heuchler, 
der  Zornige,  der  Eifersüchtige,  das  böse  Weib,  der  Pedant  usw.  bekannte  Typen  und 
Titelhelden  der  Charakterkomödie  zu  Gottscheds  Zeit  bilden.  —  Nach  einem  Stich  von 
L.  Zucchi  nach  einer  Zeichnung  von  A.  Werner(in)  in  Gottfried  Benj.  Hanckens  Gedichte. 
2.  Teil.      1731.   —  I^niversitätsbibliothek   Leipzig. 

47.  Männliche   Bediententypen. 

48.  Männliche  Bediententypen.  Nr.  47  —  49  sin^l  Tafeln,  die  von  D.  Chodowiecki  1780  ge- 
zeichnet und  gestochen  sind.  Aus  G.  Chr.  Lichtenbergs  vermischten  Schriften.  IV.  Bd., 
Göttingen  1802.  Landesbibliothek,  Weimar.  —  Die  sächsische  Komödie  und  noch  weiter 
die  Komödie  der  Mitläufer  des  Sturm  und  Drangs  und  selbst  teilweise  der  Klassik  überlassen 
die  Führung  der  Intrige  wesentlich  den  männlichen  und  weiblichen  Bedienten,  von  denen 
uns  Chodowiecki  hier  die  verschiedensten  Typen  nach  Alter,  Stand  und  Charakter  vor- 
führt. Die  beiden  Tafeln  männlicher  Bedienten  bespricht  Lichtenberg  a.  a.  O.  S.  141  ff., 
insbesondere  S.  160/61. 


BilderkUirungen.  437 


49.  Weibliche  Bediententypen. 

50.  Kupfer  aus  dem  Gothaer  Theaterkalender  1776  zu  J.  Chr.  Krügers  „Bauer  mit  der  Erb- 
schaft". Madame  Bock  als  Lise,  Ekhof  als  Jörge,  i.  Sz.:  Lise:  Wato  denn  fief  Schil- 
link,  Hans  Narr?  Jörge:  För  düssen  Jungen,  der  raie  mienen  Bündel  ob  der  Reise  bed 
in  unser  Dörp  dragen  hed.  —  Nach  einer  Zeichnung  von  G.  M.  Kraus,  gestochen  von 
G.  A.  Liebe.   —   Landesbibliothek,    Weimar. 

51.  Hanswurst  aus  dem  18.  Jahrhundert.  Nach  einem  Kupferstich  von  Elias  Back.  —  Ger- 
man.  Museum,   Nürnberg. 

32.  Illustration  zu  Chr.  F.  Weißes  Singspiel  ,, Walder"  aus  dem  Gothaer  Theaterkalender  I777- 
Nach  einer  Zeichnung  von  G.  M.  Kraus,  gestochen  von  G.  A.  Liebe.  —  Landesbibliothek, 
Weimar. 

53.  Illustration  zu  Chr.  F.  Weißes  ,, Ehrlich  währt  am  längsten  oder  Der  Mißtrauische  gegen 
sich  selbst".  Nach  einem  Kupfer  von  Chodowiecki  aus  dem  Briefwechsel  der  Familie  des 
Kinderfreundes.     1784.   —  Universitätsbibliothek,   Leipzig. 

54.  Illustration  aus  dem  Gothaer  Theaterkalender  1776  zu  Akt  III,  Sz.  10,  von  Lessings 
,, Minna  von  Barnhelm".  Francisca:  Alle  zwanzig,  Herr  Wachtmeister.  Werner:  St!  St! 
Frauenzimmerchen  !  — Nach  einer  Zeichnung  von  G.  M.  Kraus,  gestochen  von  G.  A.  Liebe.  — 
Landesbibliothek,   Weimar. 

=;3  — 66.  Kupfer  Chodowieckis  zu  Lessings  ,, Minna  v.  Barnhelm".  Aus  dem  Berliner  genealo- 
gischen Kalender  auf  das  Jahr   1770.  —  Frankfurter  Goethemuseum. 

67.  Das  Neueste  von  Plundersweilern.  Nach  einem  Bild  (Feder,  Tusche  und  Aquarell)  von 
G.  M.  Kraus  von  1781,  das  noch  heute  im  Tiefurter  Schlößchen  hängt,  während  das  ur- 
sprüngliche Bild  des  Malers,  das  in  der  Verhöhnung  der  zum  Jahrmarkt  von  Plunders- 
weilern versammelten  Literaturvertreter  zu  derb  schien,  verloren  ist.  Phot.  K.  Schwier, 
Weimar. 

08.  Titelkupfer  von  T.  V.  Poll  zur  Deutschen  Schaubühne,  XII.  Bd.,  Augsburg  1790.  Szene 
aus  Fr.  L.  Schröders  „Portrait  der  Mutter  oder  die  Privatkomödie".  —  Universitätsbiblio- 
thek,  Leipzig. 

6q.  Titelkupfer  zu  A.  W.  Ifflands  dramatischen  Werken.  Bd.  VI,  Leipzig,  Göschen  1799. 
Gezeichnet  von  H.  Ramberg,  gestochen  von  W.  Jury.  Illustration  zum  ,, Herbsttag", 
III.  Akt,    5.  Auftritt.   —   Landesbibliothek,   Weimar. 

70  —  73.  Vier  Kupfer  aus  den  Illustrationen  Chodowieckis  zu  Kotzebues  ,, Indianer  in  England". 
Aus  dem  Kgl.  Großbritannischen  Historischen  Genealogischen  Calender  für  1791.  — 
Landesbibliothek,   Weimar. 

74—75.  Szenenbilder  zu  Büchners  „Leonce  und  Lena".  Nach  der  Neuaufführung  im  Leipziger 
Schauspielhaus  phot.  von  S.  Genthe,  Leipzig.  Die  Entwürfe  zu  der  die  Bühne  in  einen 
ovalen  Rahmen  fassenden  szenischen  Ausstattung  des  Werkes  wurden  von  dem  Kunstmaler 
Hans  Domizlaff  in  Leipzig  als   Basis  für  neuartige  Beleuchtungswirkungen  geschaffen. 

76.  Reproduktion  des  nach  einem  Gemälde  Debucourts  gefertigten  Stichs  Le  Veau's  „Le 
juge  ou  la  cruche  cassee",  der  die  Berner  Freunde  Heinrich  von  Kleist,  Heinrich 
Zs'chokke,  Ludwig  Wieland  und  Heinrich  Geßner  zu  einem  poetischen  Wettkampf  an- 
regte, woraus  bei  Kleist  das  Lustspiel  „Der  zerbrochne  Krug",  bei  Zschokke  eine  senti- 
mental-naive Erzählung,  bei  Wieland  eine  mit  seinem  Lustspiel  „Ambrosius  Schlinge" 
verwandte  aber  verschoUene  Satire  und  bei  Geßner  die  Übertragung  in  Hexameter  einer 
Idylle  seines  Vaters  Salomon  Geßner  entstanden.  —  Die  Reproduktion  ist  gearbeitet  nach 
einem  Holzschnitte  nach  Le  Veau's  Stich  in  No.  1756  der  Leipziger  „Illustrirten  Zeitung" 
vom  Jahre   1877. 


AT.S  Bilderklärungen. 


77.  Theaterzettel  der  unter  Goethes  Regie  im  Weimarer  Theater  am  2.  März  1S08  stattgehabten 
Uraufführung  von  Kleists  Lustspiel,  worauf  die  verhängnisvolle  Dreiteilung  des  Werkes 
ersichtlich   ist.   —    Landesbibliothek,   Weimar. 

78.  Raimund  als  Valentin  und  Fischer  als  Flottwel  im  ,, Verschwender".  Nach  einem  kolorierten 
Stich   von   And.  Geiger  nach   einer  Zeichnung  von  Schoeller.  —  Sammlung  Köster,   Leipzig. 

79.  Szenenbild  zu  Xestroys  Zauberposse  ,,Der  böse  Geist  Lumpacivagabundus  oder  Das  lieder- 
liche Kleeblatt".  Links  (mit  Zylinderhut)  Nestroy  selbst.  Knieriem:  Ich  trink'  mir  heut 
einen  Rausch  an,  wie  ich  seit  den  letzten  Cometen  kein  g'habt  hab.  —  Leim:  Zuerst  aber 
geh'n  wir  fechten.  —  Zwiern:  Und  wer  nix  hergibt  der  griegt  Schlag  dann  gehts  lustig 
zu.  —  Sammlung  Köster,  Leipzig. 

80.  Schauspieler  Heimerding  als  Nitschke  in  David  Kalischs  Posse  „Ein  gebildeter  Haus- 
knecht".   —    Nach   einer  kolorierten  Lithographie   im   Märkischen  Museum,   Berlin. 

81.  Der  Schauspieler  Beckmann  als  Eckensteher  Nante  in  Adolf  Glaßbrenners  ,,Der  echte 
Eckensteher  Nante"  (IL  Szene:  Verhör  Nantes).  —  Nach  einer  Lithographie  nach  einer 
Zeichnung  von   Schoppe.     Märkisches  Museum,   Berlin. 

82.  Die  Umschlagzeichnung  zu  Xiebergalls  ,,Datterich",  wiedergegeben  nach  einem  Manul- 
druck der  Erstausgabe,  der  für  die  von  Professor  Karl  Esselborn  besorgte  Gesamtausgabe 
von  Xiebergalls  Werken  hergestellt  wurde.  Die  Umschlagzeichnung  zeigt  über  einem 
Ausschnitt   der  hessischen  Landschaft  ein  Szenenbild   der  Komödie. 

83.  Theodor  Döring  in  Bauernfelds  ,, Liebesprotokoll"  als  neugeadelter  Bankier  Miller:  „Ich 
bin  geadelt!"  Nach  einer  bunten  Lithographie  von  G.  Albath,  1842. — Stadtgeschichtliches 
JSIuseum,   Leipzig. 

84.  85.     Zwei    Szenenbilder    zu    Gutzkows    ,,Zopf   und    Schwert"    nach    Holzschnitten    aus    der 

Leipziger  ,,Illustrirten    Zeitung"  vom   12.  Oktober   1S44. 

86.  Zwei  Szenenbilder  zu  Gutzkows  ,,LTrbild  des  Tartuffe".  Nach  einem  Holzschnitt  nach 
einer  Darstellung  einer  Aufführung  auf  dem  Leipziger  Stadttheater  in  der  Leipziger 
,,Illustrirten   Zeitung"   vom    29.  März   1845. 

87.  Szenenbild  der  Piepenbrinkepisode  aus  Freytags  ,, Journalisten",  II,  2.  Nach  einem 
Holzschnitt  in   der    Leipziger  ,,Illustrirten   Zeitung"   vom   21.  Mai    1S53. 

88.  Theaterzettel  der  Uraufführung  von  Freytags  ,, Journalisten"  im  Breslauer  Theater  am 
8.  Dezember  1852,  die  aber  der  Dichter  zugunsten  der  von  Devrient  besser  inszenierten 
Aufführung  im  Karlsruher  Hoftheater  am  2.  Januar  1853  verleugnete.  Der  Breslauer 
Theaterzettel  zeigt  durch  die  Aufzählung,  ,,Eine  arme  Frau  .  .  .  Frau  Ahrens"  im  Personen- 
verzeichnis, daß  das  Lustspiel  nach  der  Uraufführung  einer  Revision  unterzogen  wurde. 
—   Der  Theaterzettel   stammt  aus   der  Stadtbibliothek  Breslau. 

89.  Szenenbild  derj  Uraufführung  (IL  Aufzug)  der  ..Meistersinger".  Nach  einem  Holzschnitt 
nach  einer  Originalzeichnung  von  Th.  Pixis  aus  der  Leipziger  ,.Illustrirten  Zeitung"  vom 
I.  August    1868. 

90.  Theaterzettel  der  Uraufführung  von  Richard  Wagners  ,, Meistersingern  von  Nürnberg" 
unter  der  Leitung  Hans  von  Bülows.  —  Bayrische  Staatsbibliothek,  München. 

91.  92,  93,  94.    Szenenbilder    zu    Gerhart    Hauptmanns    ,, Schluck    und    Jau".      Nach    der  Auf- 

führung im  Hessischen  Landestheater  in  Darmstadt.  Unter  Benutzung  der  im  Orchester 
eingebauten  Vorbühne.  Phot.  Herrn.  Collmann,  Darmstadt.  —  91.  Gittertor  des  Jagd- 
schlosses im  Walde.  Szenerie  des  I.  und  VI.  Vorganges.  92.  Zweiter  Vorgang:  Der 
erwachende  Jau.  93.  Dritter  Vorgang:  Sidselill,  Frau  Adeluz  und  Schluck.  94.  Fünfter 
Vorgang:    In  der  Mitte  Jau. 


Bilderklärungen.  439 


95.  Szenenbild  zu  Eulenbergs  „Mückentanz" :  Cölestin,  Unschlitt  und  IMöbius.  Uraufführung 
im  Rostocker  Stadttheater.     Phot.  Palm,   Rostock. 

96.  Szenenbild  zu  Sternheims  „1913".  Aufführung  im  Hessischen  Landestheater  in  Darm- 
stadt,  inszeniert  von   Gustav  Härtung.     Phot.  Herrn.   CoUmann,   Darmstadt. 

97.  Szenenbild  zu  Sternheims  ,,Der  entfesselte  Zeitgenosse".  Uraufführung  unter  Gustav 
Hartungs  Leitung  im  Hessischen  Landestheater  in  Darmstadt.  Bühnenbild  des  ersten 
Aktes.     Phot.  Nini  und   Carry  Heß,   Frankfurt  a.  M. 

9S.  Szenenbild  zu  Kaisers  ,, Zentaur".  IV.  Aufzug.  Aufführung  im  Schauspielhaus  in  Frank- 
furt a.  M.      Inszenierung  von   Gustav   Härtung.      Ausstattung  von   F.  K.  Dclavilla. 

99.  Szenenbild  zu  Kaisers  ,, Zentaur".  I.  und  IV.  Akt:  Zimmer  bei  Vierj^ant.  Aufführung  im 
Schauspielhaus  in  Frankfurt  a.  M.  Inszenierung  von  Gustav  Härtung.  Ausstattung  von 
F.  K.  Delavilla. 

100.  Szenenbild  zu  Kaisers  ,, Zentaur".  IL,  III.,  ^^  Akt:  Zimmer  von  Strobel.  Aufführung 
im  Schauspielhaus  in  Frankfurt  a.  M.  Inszenierung  von  Gustav  Härtung.  Ausstattung 
von   F.  K.  Delavilla. 


o 


BINDING  SECT.  :;ov  f  5 1966 


PT     Holl,  Karl 

676       Geschichte  des  deutschen 

H65     Lustspiels 


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