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TORONTO PRESS
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GESCHICHTE
DES DEUTSCHEN
LUSTSPIELS
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DR. KAR
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PROFESSOR DER LITERATURGESCHICHTE AN DER
TECHNISCHEN HOCHSCHULE IN KARLSRUHE
MIT 100 ABBILDUNGEM
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VERLAGSBUCHHANDLUNG J.J.WEBER •
LEIPZIG
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J.J.WEB ER. LEIPZIG
MAX VON WALDBERG
UND
OSKAR WALZEL
IN DANKBARER VEREHRUNG
VORWORT.
Eine rein ästhetische Betrachtungsweise sämtlicher, in historischer
Reihenfolge nacheinander geordneter Lustspiele kann nie eine
Entwicklungsgeschichte des Lustspiels geben, da ästhetische Wertung
weder mit Vor- noch Nachgeschichte sich befaßt, sondern das Einzel-
kunstwerk als losgelöstes, abgegrenztes, ruhendes Sein betrachtet.
Aber wenn auch geschichtliches Werden unabhängig vom ästhetischen
Werte ist, so würde doch andrerseits die Darstellung einer Entwick-
lungsgeschichte des Lustspiels dessen Charakter als eines Erzeug-
nisses der Kunst ganz verlorengehen lassen, wenn darin auf alle
ästhetische Wertung verzichtet würde. Insbesondere dürfen aner-
kannte Kunstwerke wohl immer eine ästhetische Betrachtung auch
innerhalb einer Entwicklungsdarstellung ihrer Gattung beanspruchen.
Nach solchen Überlegungen ergab sich für meinen Versuch einer
Geschichte des deutschen Lustspiels die Verbindung von historisch-
verknüpfender mit ästhetisch isolierender Betrachtungsweise derart,
daß im Strome allgemeiner Lustspielentwicklung einzelne Lust-
spiele gleich Inseln herausragen, die besondere Aufmerksamkeit er-
fordern.
Weiter muß aber selbst eine Darstellung, die die einzelnen Lust-
spiele nur rein geschichtlich in ihrer Stellung innerhalb der Gattungs-
entwicklung betrachtet, voneinander verschiedene Aufgaben er-
füllen, deren drei wichtigste durch die Begriffe Stoff, Form und
Gehalt bezeichnet sind. Von allen drei Gesichtspunkten aus könnte
getrennt eine Entwicklungsgeschichte geschrieben werden. Wir
haben es aber mit dem Gesamtkomplex der davon berührten Pro-
bleme zu tun, wobei wir, je nach der bei dem Einzellustspiel im
Vordergrunde stehenden Bedeutung, entweder von dem stofflichen
Inhalte oder von der formalen Gestaltung oder von dem gedank-
lichen Gehalte handeln. Daneben ist ferner noch zu beachten, ob
ein Lustspiel Ausdruck einer bestimmten Persönlichkeit oder einer
besonderen Zeitstimmung ist, ob es bodenständig verwurzelt ist oder
internationaler Tradition entspringt; zu der Fülle von Bedingtheiten
YlII Vorwort.
materialer, formaler, technischer, kultureller, individueller, sozialer,
temporärer, lokaler Art und andrer mehr tritt schließlich auch noch
die Frage vom Verhältnis der Lustspielproduktion zur Theorie, wo-
bei sich weitere Fragen nach Absicht, Zweck und Wirkung von
selbst ergeben.
Wenn ich durch den Irrgarten solcher unzähliger Problem-
stellungen einen gangbaren Weg fand, so war dies natürlich ein
Kompromiß, das wohl der Vorwurf des Unsystematischen wenn
nicht Unmethodischen treffen kann. Im allgemeinen wollte ich die
Entwicklung des deutschen Lustspiels in ihrem geschichtlichen Zu-
sammenhang von ihren ersten Anfängen bis zur jüngsten Gegen-
wart darstellen, wobei ich nicht scheute, Einzelerscheinungen, ihrem
ästhetischen Werte entsprechend, eine ausgedehntere isolierende Be-
sprechung zu widmen , oder Nebenzweige wie Lokaldichtung,
Schwank für sich zu betrachten. Einzelprobleme der inneren und
äußeren Form, der theoretischen Auffassung u. a. habe ich jeweils
an besonders geeignet erscheinenden Stellen angeknüpft, ohne nun
diese Nebenprobleme ebenfalls in der Ganzheit ihrer historischen
Kontinuität zu entwickeln.
Aber auch abgesehen von diesen Verknotungen, Seitentrieben,
Zäsuren des Hauptentwicklungsstrangs bietet dieser kein ununter-
brochenes Ganzes, so lange die Betrachtung sich auf die Lustspiele
selbst beschränkt; erst indem diese im Zusammenhang mit der all-
gemeinen Kulturentwicklung betrachtet werden, erst indem ihre
Funktion, die sie mit jedem Kunstwerke teilen, als Niederschlag
flutenden Lebens erkannt wird, kann eine tatsächliche historische
Kontinuität gefunden werden. Indem ich versuchte, diesem Ziele
nachzustreben, glaube ich in meiner Darstellung der Geschichte
des deutschen Lustspiels nicht nur den Entwicklungsgang der
deutschen Literatur überhaupt, sondern den des deutschen Lebens,
deutscher Kultur im Laufe des letzten Jahrtausend — wenn auch
von einseitigem Blickpunkte aus und nur roh skizzierend — ge-
spiegelt zu haben: durch das Monadenfenster des Lustspiels öffnet
sich uns ein Blick auf die Gesamtheit der übrigen Lebens-
monaden.
Dabei bin ich mir wohl bewußt, daß meine Darstellung ein
erster Versuch ist, der als solcher der Kritik leicht Angriffsflächen
bieten dürfte. Ich wäre aber dankbar, 'wenn sie davon Notiz
nehmen wollte, daß ich kein Nachschlagewerk beabsichtigte. Ich
habe keinerlei Vollständigkeit in der Anführung vorhandenen Ma-
terials erstrebt. Ich verzichtete daher auch auf den billigen Ruhm,
Vorwort. IX
mit Massengräbern literarischer Namen und Titel meine Belesenheit
zu bezeugen. Wer aus der Nichterwähnung eines ihm bekannten
Lustspiels schließen will, daß ich es nicht gelesen habe, wird mit
Leichtigkeit zu seiner Genugtuung reiches Material finden; ich weise
ihn insbesondere auf die Weggenossen der Schröder, Iffland, Kotze-
bue hin oder auf die Schriftsteller gleichen Ranges aus der Mitte
des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart.
Mir kam es darauf an, Entwicklungsstadien aufzuzeigen und sie
in ihren charakteristischen Wesenszügen zu kennzeichnen. Diese
Skizzen erheben dann allerdings den Anspruch, auf reiches empi-
risches Material gegründet zu sein, gewissermaßen dessen Extrakt
darzustellen, wenn dieses Material auch nur in einzelnen typischen
Vertretern zur Besprechung sich verdichtete.
Sollte sich aber meine Art der Darstellung dem Leser — und,
ich wiederhole es, mein Buch möchte gelesen, nicht nachgeschlagen
werden — nicht nachträglich in ihrer Gesamtheit, trotz Fehler im
einzelnen, rechtfertigen, dann ist sie verfehlt und kann auch durch
die Darlegung meiner Absichten und Wünsche nicht gerettet werden;
ich aber werde mit Shakespeare seufzen: Strange, how desire does
outrun Performance!
Vorher aber möchte ich noch der Dankespflicht genügen denen
gegenüber, die mich mit Rat und Tat bei meiner Arbeit unter-
stützten. In erster Linie seien dabei Max von Waldberg und
Oskar Walzel genannt. Die Vorarbeiten zu meiner Darstellung
gehen zurück auf die Anregungen, die mir mein verehrter Lehrer
von Waldberg während meiner Heidelberger Studienzeit vor über
fünfzehn Jahren gegeben hat. Er begleitete auch ihren Fortgang
mit nimmermüder Teilnahme. Schon vor dem Kriege, als ich in
England tätig war, hat Oskar Walzel meiner Arbeit großes Inter-
esse zugewandt; ihm verdanke ich es, wenn ich mich nach der
langen Kriegsunterbrechung, innerhalb derer meine bis dahin ge-
sammelten Notizen größtenteils in England verlorengingen, von
neuem an die Arbeit setzte, um mit dem Sammeln von vorne zu
beginnen. Max von Waldberg und Oskar Walzel, deren Ermunte-
rung mich manche Ermüdungsstadien überwinden ließ, haben mich
erfreut und geehrt, indem sie die Patenschaft des vollendeten Werkes
übernommen haben. Möge das Patenkind ihnen keine Unehre
machen !
Ich hätte hier in Karlsruhe die Materialbeschaifung nicht be-
wältigen können, wenn nicht die Beamten der Badischen Landes-
bibliothek mich in vorbildHcher Weise unterstützt hätten, wofür
y^ Vorwort.
ich namentlich den Herren Prof. Dr. Oeftering und Prof. Dr.
Riesser auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aus-
spreche. Weiter bin ich für werktätige Hilfe dankbar verpflichtet
dem Literarhistoriker Dr. von Grolman, der in hebenswürdigster
Weise den größten Teil der ersten Korrektur gelesen hat.
Karlsruhe, November 1923.
KARL HOLL.
INHALTSVERZEICHNIS.
Einleitung. Seite
Lustspiel und Schwank i
A. Mittelalter. 3-59
I. Altertum und Mittelalter • ■ 3
II. Geistliche Komödien 4
1. Die Komik im geistlichen Drama • • 4
2. Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele 7
a) Keimzellen 7
b) Quacksalberspiel lO
c) Ritterspiel 15
d) Teufelsspiel 31
e) Täuferspiel 28
f) Magdalenenspiel 29
g) Teufels- und Sünderspiel 3^
3. Komische Szenen der Weihnachts- und Dreikönigsspiele 34
4. Legendendramen 35
IIL Weltliche Komödien • • 37
1. Heidnisch-kultische Keime 37
2. Ursprung realistischer Satire 39
3. Puppenspiele 4°
4. Neidhartspiele 43
5. Fastnachtspiele 45
a) Episch-lyrische Entstehungsformen: Tänze und Umzüge 45
b) Dramatische Formen 47
aa) Werbespiele 47
bb) Streitspiele 48
cc) Realistische Volkskunst 49
dd) Bildungsstoffe und politische Satire 5°
ee) Hans Rosenplüt und Hans Folz . . . .• 52
c) Innere Form 53
aa) Typischer Stil 53
bb) Bürgerliche Satire 54
cc) Nationaler Charakter 56
IV. Das Komische Theater 57
XJJ Inhaltsverzeichnis.
Seite
B. Sechzehntes Jahrhundert. 60—77
I. Humanistenkomödie 60
1. Antike Quellen 60
2. Johannes Reuchlin 61
3. Reformationskomödien 63
4. Nicodemus Frischlin 64
5. Martin Hayneccius: „Hans Pfriem, oder meister Kecks" 67
6. Studentenkomödien 68
7. Humanistentheater 69
IL Das volkstümliche Drama 70
1. Fastnachtspiel der Reformationszeit 7°
a) Konfessionspolemik 7°
b) Allgemeine Satire 72
c) Hans Sachs 75
2. Theater 77
C Siebzehntes Jahrhundert. 78—116
I. Englische Komödianten 78
1. Charakter der Schauspielertruppen 78
2. Repertoire 79
3. Rationalisierung des Dramas 83
IL Jacob Ayrer und Heinrich Julius von Braunschweig .... 85
1. Jacob Ayrer 85
2. Heinrich Julius 88
III. Zwischenspiele und Puppenspiele 92
1. Zwischenspiele 92
a) Improvisationen 92
b) Johann Rist »3
2. Puppenspiele 95
IV. Andreas Gryphius 96
1. Possenspiele 97
a) ,, Peter Squentz" 97
b) „Horribilicribrifax" 97
2. Lustspiel: „Die geliebte Dornrose" 98
3. Gesamtcharakteristik des Dichters 100
V. Christian Weise und Christian Reuter loi
1. Christian Weise ■ • loi
a) Charakteristik 10 1
b) Komödienproduktion 105
aa) „Komödie von der bösen Catharine" 105
bb) „Tobias und die Schwalbe" 107
cc) „Bäurischer Machiavellus" loS
dd) Weitere Komödien iio
2. Französische Einflüsse iio
3. Christian Reuter 112
VI. Drama und Theater n6
Inhaltsverzeichnis. XJII
Seite
D. Achtzehntes Jahrhundert. 117— 211
I. Die Sächsische Komödie 117
I. Hanswursttheater 117
- 2. Gottsched iio
I
a) Christian Friedrich Henrici gen. Picander 119
b) Theaterreform 120
c) Verbannung des Hanswurst 12 1
d) Komödienvorbilder 122
aa) Französische 122
bb) Englische 123
cc) Destouches 124
e) Gottscheds Komödienreform 125
f) Übersetzungskunst 129
aa) Gottschedin: „Die Pietisterey im Fischbeinrocke" . . . . 129
bb) Bedeutung französischer Vorbilder 130
cc) Bedeutung Holbergs 132
g) Originalkomödien 136
aa) Frau Gottsched 136
bb) Quistorp 138
cc) Hinrich Borkenstein: „Der Bookesbeutel" 139
dd) Johann Christian Krüger 141
V- 3r- Johann Elias Schlegel 145
a) Komödientheorie 145
b) Komödienpraxis 150
c) Fortschritte im Technischen 151
d) Entwicklung des Gefühlsgehalts 154
4. Rührkomödie 156
a) Gefühlsgrundlage 156
b) Vorgänger 157
c) Charakter 158
■— d) Christian Fürchtegott Geliert 158
aa) Persönlichkeit 158
bb) Theoretische Anschauung 159
cc) Praxis 160
dd) Gesamtcharakteristik 164
5. Der junge Lessing und Christian Felix Weiße 167
a) Lessing 167
aa) Leipziger Genossen 167
bb) Jugendkomödien 169
b) Christian Felix Weiße 172
6. Lessings „Minna von Barnhelm" 179
II. Sturm und Drang 185
1. Gesamtcharakteristik 185
2. Dramatische Theorie 187
3. Wesen der Lustspielproduktion 188
4. Reinhold Michael Jacob Lenz 190
5. Friedrich Maximilian Klinger 191
6. Mitläufer 192
7. Goethes Farcen .... 193
XIV Inhaltsverzeichnis.
Seite
III. Klassische Periode 196
1. Goethe 196
2. SchiUer 198
3. Mitläufer 200
a) Friedrich Ludwig Schröder 200
b) August Wilhelm Iffland 202
c) August von Kotzebue 205
E. Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert. 212—342
I. Romantik 212
1. Satiren und Märchenkomödien 212
a) Romantik und dramatischer Humor 212
b) Aristophanes 214
c) Satiren 216
d) Märchenkomödien 221
2. Heinrich von Kleist 226
a) Gesamtcharakteristik 226
b) „Amphitryon" 228
c) „Der zerbrochne Krug" 234
3. Volkskunst 239
a) Oberdeutsche Lokaldichtung 239
aa) Südwestdeutsches Lokalstück 239
bb) Wiener Volksposse 241
«. Entstehung 241
ß. Gleich, Meisl, Bäuerle 246
y. Ferdinand Raimund 248
8. Johann Nepomuk Nestroy 251
b) Norddeutsche Lokaldichtung 253
aa) Berliner Posse 253
bb) Hamburger Lokalstück 258
c) Mitteldeutsche Lokaldichtung 259
aa) Frankfurter Posse: Karl Malß 259
bb) Darmstädter Posse : Ernst Elias Niebergall 260
4. Grillparzer: „Weh dem, der lügt" 262
II. Das Unterhaltungslustspiel des 19. Jahrhunderts (1830 — 1885) 265
1. Bürgerliches Gesellschaftsstück 265
2. Politische Komödie 271
3. Historisches Lustspiel . 274
4. Gesellschaftskritisches Konversationsstück 277
5. „Die Journalisten" 279
6. Schwankproduktion 282
III. Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber 286
I. Friedrich Hebbel 286
a) Theorie 286
b) Lustspielproduktion 287
aa) „Der Diamant" 287
bb) „Der Rubin" 290
cc) „Michel Angelo" 292
Inhaltsverzeichnis. XV
Seite
2. Richard Wagner: „Die Meistersinger" 293
3. Ludwig Anzengruber 297
a) Grundlagen des bäuerlichen Volksstücks 297
b) Einzelwerke 299
c) Gesamturteil 302
IV. Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart 303
1. Litcraturrevolution der achtziger Jahre 303
2. Gerhart Hauptmann 30 ^
a) „Kollege Crampton" und „Peter Brauer" 305
b) „Der Biberpelz" und „Der rote Hahn" 308
c) „Schluck und Jau" und „Die Jungfern vom Bischofsberg" . . . . 310
3. Mitläufer des Naturalismus 313
4. Emil Gott 314
5. Wiener Komödie 31 ^
6. Heimatkunst 318
a) Josef Ruederer und Ludwig Thoma 31 8
b) Fritz Stavenhagen 320
c) Karl Schönherr 321
7. Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire 324
a) Otto Erich Hartleben 324
b) Frank Wedekind 326
c) Neuromantiker 329
d) Carl Sternheim 332
e) Georg Kaiser 337
Schluß.
Ausblicke 343
Bibliographie 345
Register 353
I. Personen- und Sachregister 3cc
II. Dramenregister 35g
Bildteil 377-439
Vorwort
3;
Bilder 378
Bilderklärungen 435
EINLEITUNG.
LUSTSPIEL UND SCHWANK. "^
Unter den Namen der bedeutendsten Lustspieldichter der Welt-
literatur finden wir keinen Deutschen: Wohl aber den Athener Aristo-
phanes, die Römer Plautus und Terenz, den Engländer Shakespeare, den
Franzosen Moliere, den Dänen Holberg. Man hat daher an der Begabung
des Deutschen auf dem Gebiete des Lustspiels verzweifeln wollen.
Kein Geringerer als Goethe hat unserem Volke die Fähigkeit dazu
bestritten. Das Ergebnis des von ihm gemeinschaftlich mit Schiller
ausgeschriebenen Wettbewerbs um ein Lustspiel war für ihn wenig
ermutigend. Und wenn wir heute eine Umfrage nach den Lustspielen
unseres Volkes halten, so hören wir „Minna von Barnhelm", ,,Die
Journalisten" und allenfalls den ,,Zerbrochnen Krug" nennen. Viel mehr
kennt der Durchschnittsbürger vom deutschen Lustspiel nicht, und seine
Lieblinge Kadelburg, Blumenthal, Schönthan, Moser wagt er nicht
zu nennen. Mit Unrecht, denn auch in ihnen ist echte Komik wirk-
sam. Die Schwierigkeit der Urteilsbildung liegt darin, daß wir zwei
Hauptgattungen der komischen Dramatik unterscheiden müssen: um
in das Altertum zurückzugreifen, die Komödie und den Mimus.
Komödie entspricht dem eigentlichen Lustspiel, Mimus dem Schwank.
Das Lustspiel ist eine Weltbetrachtung, der Schwank ein Weltabbild.
Die Weltbetrachtung setzt eine Weltanschauung voraus, ist ideali-
stisch; das Weltabbild ist reahstisch. Das aus Humor geborene Lust-
spiel erzeugt Humor, der aus dem Sinn für Komik entstandene
Schwank erzeugt Lachen. Humor lächelt. Fein und derb, gebildet
und volkstümlich, besinnen und schauen, Literatur und Theater,
Dämpfung und Lösung, innerlich und äußerlich: dies sind charakte-
risierende Gegensatzpaare der beiden Gattungen. Der Schwank hat
natürlich die robustere Natur. Die attische Komödie stirbt, der Mimus lebt
weiter. Die Komödie blüht am schönsten mit der Blüte des Staates, mit
Kulturhöhe; in ihr belächelt gefestigte Weltanschauung die Schwächen
des Menschen. Der Mimus findet stets Stoff zum Lachen, am liebsten
hält er sich an die Urtriebe des Menschen, seine ersten Träger sind
ausgestattet mit dickem Bauch, mächtigem Podex, gewaltigem Phallus.
Die dadurch gekennzeichneten Triebe sind unvergänglich wie die
HoU, Lustspiel. i
Lustspiel und Schwank.
Menschheit selbst, und damit ist es ihre komische Auswirkung im
Schwank. Auch heute noch sehen wir in seinem Hauptvertreter, in
dem französischen Schwank, das geschlechtHche Motiv im Mittel-
punkt stehen.
Der Mimus ist Abbild der sinnlichen Welt, die Komödie ist Er-
lebnis der Kulturwelt. Im Altertum, in der Renaissance sind diese
beiden Welten eins. In der Neuzeit sind sie gespalten. Von der sinn-
lichen Welt hat sich die Bildungswelt losgelöst. Daher die Unzuläng-
lichkeit der modernen Komödie. Denn die Komödie gestaltet humo-
ristisch die Welt als Stoff und leidet deshalb an deren Zwiespalt.
Hält sie sich an die sinnliche Welt, so geht ihr der geistige Gehalt
verloren, sie ist Mimus. Hält sie sich an die Bildungswelt, so fehlt
es ihr an sinnlicher Kraft, sie ist blutleer, wird doktrinär. Nur die
Vereinigung beider Welten ist der Nährboden für das wahrhaft große
Lustspiel wie in Shakespeare, wie in den „Meistersingern". Diese sind
der Höhepunkt deutscher Lustspielleistung. Er ist erreicht wesentlich
durch Mithilfe der sinnlichen Schwester der Poesie, der Musik. Bis
dahin aber ist ein weiter Ablauf in der deutschen Lustspielgeschichte.
A. MITTELALTER.
I. ALTERTUM UND MITTELALTER.
Im Altertum sind Tragödie wie Komödie aus religiösen Feiern 1
erwachsen, aus dem Kult des Eleuthereus und aus den Lenäenfesten.
Das nachchristliche, mittelalterliche Drama hat nichts mit dem griechi-
schen gemein. Die Arten sind durchaus verschieden. Dennoch hat
auch das christliche Drama seinen Ursprung in der religiösen Kult-
handlung, es ist aus der Liturgie entstanden. Und wie die antike
Tragödie nach Aristoteles' Zeugnis ursprünglich komische Elemente
enthielt, die sie erst im Laufe der Entwicklung ausstieß und zum
Satyrspiel zusammenband, so gewahren wir auch im frühen mittel-
alterlichen Drama komische Einsprenglinge, die allmählich immer
größeren Umfang annahmen und sich zum Spiel im Spiel gestalteten.
Hier liegen die Anfänge unseres Lustspiels. J
Auf die Menschen des Mittelalters können wir ein Wort Herders
anwenden: sie haben zu nichts anderem Kraft als zu glauben. Die
Kirche war die Schule des mittelalterlichen Menschen. Außerhalb der
Kirche existierte kein geistiges Leben. Die Welt der Antike war ver-
schollen. Das Mittelalter hatte neu aufzubauen, und erst mit dem Fort-
schritt des Geistesgebäudes wurden allmählich wieder die versunkenen
Schätze der Antike gehoben und nutzbar gemacht, dem Gebäude ein-
gefügt. Eine neue Welt entsteht ; zwischen ihr und der alten klafft
zunächst ein breiter und tiefer Spalt. Das neue Weltalter muß sich
seine Kultur neu schaffen. Daß es diese Aufgabe mit Ernst und Erfolg
in Angriff nahm, bleibt das unvergängliche Verdienst der Kirche.
Im Mittelalter herrscht in allen Lebensfragen nur eine einheitliche
Orientierung, eine geschlossene Autorität : die der Kirche. Der antike
Bildungsstoff wird nur insoweit aufgenommen, als die Kirche ihn für
ihre Zwecke meistern kann. Da können wir kein freies Nachleben des
römischen und griechischen Dramas erwarten. Was etwa an Kennt-
nis alter Dramen vorhanden ist, dient ausschließlich Lehrzwecken.
Der Terenz wird Schullesebuch. Und wenn die schreibgewandte Hrots-
vith (etwa 935 bis 1000) eigene Komödien verfaßt, so geschieht auch
dies wieder nur im Dienste der lehrenden Kirche. Der Unterricht
in der lateinischen Kirchensprache soll an Hand von christlichen Mär-
Mittelalter: Geistliche Komödien.
tyrergeschichten erfolgen, um den sonst üblichen Terenz mit seinem
heidnischen Stoff zu verdrängen.
Keineswegs hat Hrotsvith an eine Aufführung ihrer Lesedramen
gedacht, um Theaterwirkung zu erzielen. Es sind trotz der derb-
komischen Motive, wie sie bei einer Nonne nur in dem durchaus
naiven Mittelalter denkbar sind, keine Theaterdramen im modernen
Sinne. Dramatisch ist nur der an Terenz geschulte, frisch bewegte
Dialog. Den Titel Komödien erhielten sie erst von ihrem huma-
nistischen Wiederentdecker Conrad Celtis (1494), nachdem sie bereits
dreihundert Jahre verschollen gewesen waren. Aber der Titel ist nach
der damaligen Theorie zutreffend, da es sich in allen um etwas Frohes
handelt, um Erlösung von dieser Sündenwelt, um Verklärung des
Nonnenideals, nach dem der leibliche Tod als glücklicher Ausgang
empfunden wurde.
Auch im modernen Sinne Komödie ist „Dulcitius". Die stark auf
dem Gebiete des Geschlechtlichen sich bewegende Komik ist Mimus-
gut: der liebestolle Dulcitius umarmt rußige Kochtöpfe statt der Be-
gehrten, der Rußgeschwärzte wird von seinen Untergebenen für den
Teufel gehalten, der die Entführten verfolgende Sisinnus kommt trotz
aller Anstrengungen nicht vom Fleck. Hier haben wir ein Zeugnis,
wie der Mimus eine Hauptbrücke bildet, um Dramatisches über die
Kluft zwischen Altertum und Mittelalter hinüberzuführen. Die Spiel-
leute, das fahrende Volk des Mittelalters sind die echten Nachkommen
der römischen und griechischen Mimendarsteller, jener realistischen
Schilderer der Lebensverhältnisse und Charaktere der Menschen, jener
— nach ihrem Historiographen Hermann Reich — Biologen und Etho-
logen. Deren Beliebtheit erlitt, wie aus den gegen sie wetternden
Kirchenvätern zu entnehmen ist, keine Unterbrechung. Die naive
Freude an den Mimenspäßen, an dem grotesk-realistischen Abbild
der sinnlichen Welt ist in einer Zeit, wo nur eine ganz dünne Ober-
schicht Anspruch auf Bildungsgrad machen kann, allgemein ver-
breitet, um so mehr als darin ein Gegengewicht zu der durchaus welt-
fremden Tendenz der christlichen Kirche gefunden werden konnte.
IL GEISTLICHE KOMÖDIEN.
I. DIE KOMIK IM GEISTLICHEN DRAMA.
Die Freude an dem komischen Abbild der umgebenden Welt steht
aber nicht etwa im Widerspruch zu der durchaus christlich -kirchlichen
Haltung des Mittelalters. Deren Grundgefühl ist die Ehrfurcht vor
dem Göttlichen mit ihrer korrespondierenden Verwerfung des Irdischen.
„Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses
Todes" ist der Sehnsuchtsschrei des mittelalterlichen Nur -Christen.
Die Sündhaftigkeit, Unzulänglichkeit, UnvoUkommenheit alles Irdischen
Die Komik im geistlichen Drama.
ist dem Mittelalter Glaubensdogma. Die Komik aber stellt Beispiele
dar, die dieses Dogma zu beweisen scheinen, denn sie wählt zu ihrem
Abbildungsstoffe gerade die ungöttlichen, reinmenschlichen, trieb-
hafttierischen Seiten des Lebens mit ihren Schwächen, die Unzuläng-
lichkeiten, Unvollkommenheiten des irdischen Menschen. Insofern
verrichtet die Komik die Dienste der Kirche. Diese ist ihr auch nicht
feindlich gesinnt, wenigstens nicht so lange sie Mittel zum kirchlichen
Zwecke bleibt. Der zürnende Eifer der Kirchenväter wendet sich
lediglich gegen das Übermaß, das die kirchlichen Zwecke verdunkelt,
hintanstellt hinter eine ungemessene Weltfreude. Zur Erkenntnis
und Darstellung des Lugs und Trugs im Weltleben ist die Komik
der Kirche willkommen ; aus dem Zeugen des Weltleids darf sie aber
nicht zum Verkünder der Weltfreude werden. Alles Irdische gibt die
Kirche dem Spiele der Komik preis, selbst die eigenen Einrichtungen,
soweit sie menschlicher Herkunft sind, selbst die eigenen Diener.
Doch das Geistige muß unberührt bleiben. Alle Lehren sind heilig
und unantastbar. Und die Lehre der Kirche ist es, daß uns erst im
Jenseits das Heil und die Freude erwartet, im Diesseits wandeln wir
in einem Jammertal.
Dieses Jammertal liefert der Komik ihren unerschöpflichen und
unsterblichen, weil jederzeit aus dem Vollen der Umwelt zu schöpfen-
den Stoff. Ihr ureigentliches Gebiet ist die Stegreifposse, wie sie
vor Epicharm und nach ihm noch dauernd in dem Mimus blühte,
und wie sie später wieder ihre Heimstätte in der commedia del-
l'arte oder im immer noch zugkräftigen Kasperletheater findet. Der
naive Zuschauer des Mittelalters sah in den komischen Szenen des
geistlichen Schauspiels seine ihm vertrauten Nachbarn aus dem täg-
Hchen Leben auf der Bühne und freute sich an deren derber Aus-
drucksweise, an ihren Prügeleien. Es wird ihnen daher auch immer
weiterer Raum zugebilligt. AllmähHch gewinnen sie Selbständigkeit,
Selbstzweck. Die Darstellung der Wirklichkeit in grober Holzschnitt-
manier lag dem ungebildeten mittelalterlichen Menschen näher als
das geisthche Bestreben, durch die heilige Handlung das Übersinn-
liche zu versinnhchen. Und da mit der Verweltlichung des geisthchen
Dramas auch der weltliche Schauspieler wachsenden Einfluß gewann
(die heimatlosen Fahrenden, gerndiu oder varndiu diet) als Nachfolger
der alten Mimen, so wurde um so mehr deren Repertoire auf der
geistlichen Bühne heimisch.
Diese Entwicklung findet besonders günstigen Boden gegen Ende
des Mittelalters. Im Ablauf vom I4. zum 1 6. Jahrhundert schwellen
die komischen Einsprenglinge des geistlichen Schauspiels an, sprengen
seinen Rahmen, lösen sich los, und analog dem Fastnachtspiel und in
dessen Form ist die Volkskomödie selbständig geworden.
Im 14. Jahrhundert ist das Mittelalter noch ganz im Banne der
Kirche. Das Gemüt ist erschüttert durch Pest und Hungersnot und
Mittelalter : Geistliche Komödien.
beugt sich demütig unter das Unbegreifliche. Aber schon regt sich
in dieser Zerknirschung der Wunsch nach Erheiterung des .Lebens-
dunkels. Die ganz zum Jenseits gewandte Seele klammert sich an die
diesseitige Welt. Gegenüber einem einseitigen Supranaturalismus ent-
steht allmählich eine naturalistische Strömung, die im folgenden Jahr-
hundert immer stärkere Wellen schlägt. In diesen Ablauf stellt sich die
gesamte Kulturentwicklung des Mittelalters ein. In seiner Hauptzeit ist
es bestimmt durch den einheitlichen christlich -kirchlichen Charakter
seiner Kultur. Gegen sein Ende aber zeigt es die Tendenz, diese Ein-
heit zu durchbrechen, indem Adel wie Bürgertum eine eigene Kultur
erstreben. Mit dieser Entwicklung der Entgeistlichung der Mensch-
heit geht Hand in Hand eine allmähliche Verbreitung höherer Laien-
bildung. Diese aber ist wieder innerlich verknüpft mit der größeren
Vorliebe für die Volkssprache gegenüber dem Latein. Jetzt erst wird
die deutsche Muttersprache Kultursprache. So zeigt die ganze Ent-
wicklung ein Emporwachsen des nationalen Elementes. Unabhängig
von nationalem Gedankengehalt, wie etwa im Tegernseer Antichrist-
spiel, ist die deutsche Sprachform an sich national, volkstümlich. Den
komischen Szenen als den Abbildern der täglichen Umwelt muß natur-
gemäß deutsch als Ausdrucksform besonders förderlich sein. Nur
dadurch, daß das Deutsche in das geistliche Schauspiel eindrang und
allmählich das Latein immer mehr verdrängte, war es möglich, daß
diese komischen Einsprengunge sich zu selbständigen Zwischenspielen
ausgestalten konnten, die sich schließlich vollkommen loslösten und
als gleichartig neben das eigentliche Fastnachtspiel traten.
Von dem Wesen des komischen Zwischenspiels als Volkskunst ist
aber zu trennen seine Funktion als Bildungskunst. Es hatte in dem
Ablauf der ernsten Handlung des geistlichen Schauspiels eine ganz
bestimmte Aufgabe zu lösen. Die Darstellung der heiligen Hand-
lung übte auf das naive Gemüt des mittelalterlichen Menschen eine
erschütternde Wirkung aus. Wir müssen uns in dessen Seelenver-
fassung versenken etwa in der ungeheuren Erregung nach dem
schwarzen Tod um die Mitte des 14. Jahrhunderts, um zu ahnen,
welchen Eindruck die Leiden Christi mit allem Raffinement natu-
ralistischer Darstellung, wie wir sie aus Gemälden zu erkennen ver-
mögen, auf die Zuschauer ausüben mußten. Wir haben genug Zeug-
nisse dafür, daß mit vollem Bewußtsein der Zuschauer im Schmerz-
gefühl hingerissen werden sollte. Welche Steigerung die durch die
Darstellung ausgelöste seelische Erregung nehmen konnte, zeigt uns
der Bericht über die Aufführung des Spieles von den klugen und
törichten Jungfrauen zu Eisenach 1321, wobei der Markgraf Friedrich
sich derart über die Fruchtlosigkeit der Fürbitte Mariens und aller
Heiligen erregte, daß er fünf Tage darauf einem Schlaganfall erlag.
Der mittelalterliche Mensch kannte kein losgelöstes Betrachten des
Dargestellten, das Schauspiel war ihm nicht Spiel. Er erlebte das
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Keimzellen. 7
Dargestellte mit, das Schauspiel war ihm angeschautes Leben, das
ihn im Innersten selbst anging, das sein ganzes Wesen umschloß.
Solche gewaltige Spannung konnte aber nicht auf die Dauer ertragen
werden, um so weniger, je länger die geistlichen Schauspiele aus-
gedehnt wurden; in der Darstellung mußten Ruhepunkte gegeben,
es mußten Entspannungsmomente eingeführt werden. Diese Funktion
hatten die komischen Szenen. Sie waren dramaturgisch bestimmt zur
Entspannung der Gemüter, zur Lösung der Erschütterung, zur Ableitung
der Erregung. Diesem Zwecke konnte am besten das Gegenbild des
Dargestellten dienen. Neben Christus trat der Teufel, neben das
Himmlische das Weltliche, neben das Heilige das Menschliche. Inso-
fern entstammt die Komik im geistlichen Schauspiel bewußtem Kunst-
willen; doch ist damit das Volksmäßige ihres Wesens nicht berührt,
um so weniger als das, was wir hier theoretisch ausgeführt haben,
in der Praxis doch meistens auf Nachahmung und Duldung zurück-
zuführen sein wird.
Die Reihenfolge, wie die einzelnen komischen Szenen in das
geistliche Schauspiel eingefügt wurden, läßt sich weder absolut noch
relativ zeitlich bestimmen, weil nur ein außerordentlich geringer Teil
der geistlichen Dramen uns erhalten ist, und weil deren Entstehungs-
zeit selbst wieder nicht genau festgelegt werden kann. Die Chrono-
logie ist hier aber auch unwesentlich, da sie uns in der Kenntnis ihrer
Wesensart nicht fördern kann. Uns genügt es, daß wir diese Ein-
sprengunge selbst betrachten, zunächst im Passion.
2. KOMISCHE ZWISCHENSPIELE
DER OSTER- UND PASSIONSSPIELE.
a) Keimzellen.
Das Osterspiel ist erwachsen aus dem Gange der Marien zum
Grabe, wo ihnen durch Engel die Auferstehung des Herrn kund wird.
Der liturgische Wechselgesang wird dramatisch dargestellt mit ver-
teilten Rollen in voller Absicht der Kirche, die Überlieferung zu ver-
anschaulichen. Durch allerlei, meist dem Ritual entnommene Zusätze
wird diese Szene erweitert, und schließlich wird eine zweite Szene
angefügt, die in sich bereits einen zur komischen Entwicklung geeig-
neten Ansatz barg. Ihr Kern entstammt dem Berichte des Johannes-
Evangeliums 20, 4: Currebant duo simul, et ille alius discipulus prae-
cucurrit cicius Petro et venit prior ad monumentum. Die Frauen sind
mit der Botschaft der Auferstehung des Herrn zurückgekehrt, und die
Jünger, Petrus und Johannes, eilen zum Grabe, um sich zu überzeugen.
Dabei läuft der jüngere Johannes schneller als der ältere Petrus. Diese
Szene wird im Laufe der Zeit komisch ausgebildet. Die Gestalt des
Petrus wird komisch aufgefaßt. Grund dazu bot bereits die Evangelien-
8 Mittelalter: Geistliche Komödien.
Überlieferung. Denn darin erscheint Petrus ja mit deutlichen mensch-
lichen Schwächen. Bei der Gefangennahme des Herrn kann er sein
Temperament nicht zügeln und schlägt dem Knechte Malchus trotz
des christlichen Grundsatzes der Feindesliebe ein Ohr ab, und schHeß-
lich, da der Herr vor dem Gerichtshof steht, verleugnet er ihn in
menschlicher Angst und Sorge um das eigene Leben dreimal. Dazu
tritt der eben zitierte Bericht, daß er es dem Lieblingsjünger an Laufen
nicht gleichtun konnte. In der dramatischen Ausgestaltung strauchelt
er und fällt und wirkt dadurch bewußt komisch. Petrus ist die Jünger-
gestalt, deren sich der Volkshumor am liebsten bemächtigt.
Dieser Humor betätigt sich für unsere heutigen Begriffe ziemlich
derb, wenn etwa Johannes dem hintennachhinkenden Petrus vorwirft,
daß wohl die Vorliebe für die Flasche ihm die Jugendkräfte verkümmert
habe (vgl. „Ein Osterspiel" in den von Pichler 1850 herausgegebenen
Spielen des Mittelalters in Tirol, p. 165/66).
Es herrscht wohl kein Zweifel, daß hier, wie in dem risus pascha-
lis, dem Osterlachen, das der Geistliche von der Kanzel herab mit
derben Spaßen auslöst, bewußter Wille zur Komik arbeitet. Die
ganze Apostelszene ist ja an sich von vornherein nicht aus dem Be-
dürfnis der Liturgie hinzugefügt, da sie inhaltlich nur eine Wieder-
holung der Grabesszene der drei Marien gibt. Sie ist daher einem
Kunstwillen der Ausdehnung entsprungen, der als solcher rein ästhe-
tisch ist. Und bei solchen nicht rituahsch notwendigen Szenen ist es
natürlich leicht, vom Evangelienbericht unabhängige komische Ein-
sprenglinge einzufügen. Weiter liegt aber auch die Versuchung nahe,
solche Szenen noch weiter auszubauen. Und so haben wir auch tat-
sächlich noch größere Ausweitungen dieser Apostelszene, wobei
wiederum die Petrusgestalt komisch ausgewertet ist. Auf die Bot-
schaft der Marien ist Petrus zunächst ungläubig und drückt seinen
Unglauben in komisch-heftigen Worten aus. Dies lesen wir in dem
III. der sogenannten Erlauer Spiele, dem Auferstehungsspiel ,, Visitacio
sepulchri in nocte resurreccionis".
Innig verknüpft mit dieser Apostelszene ist die des ungläubigen
Thomas. Wenn wir eben hörten, daß selbst Petrus die Auferstehungs-
botschaft Marias bezweifelt, so lag es dem Mittelalter natürlich nahe,
die typische Person des Unglaubens im Evangelienbericht, Thomas,
hier ebenfalls einzuschalten. Allerdings tritt Thomas damit früher
auf wie in der Erzählung des Chronisten. Doch der Unglaube des
Thomas wurde so handgreiflich belehrt, daß der Bericht nach einer
schauspielerischen Darstellung dringend zu verlangen schien, und da
konnte es den Darstellern keine große Überwindung kosten, sich der
Überlieferung zu entschlagen zugunsten der Zusammenziehung mit
der Petrusepisode. Dieser Thomasszene begegnen wir also an dieser
Stelle der Auferstehungsbotschaft an die Jünger durch die Frauen
bereits im Innsbrucker und im Wiener Osterspiel. Ich erwähne diese
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Keimzellen. Q
Szene, weil sie wiederum auf komische Wirkung bedacht ist, schon
durch ihren allgemeinen Inhalt des handgreiflich zu überzeugenden Un-
glaubens und auch durch die komisch-groben Schimpfworte Thomas'
der vermeintlichen Lügnerin gegenüber. Doch dürfen wir nicht alles,
was uns heute komisch berührt, auch in mittelalterlicher Zeit für
komisch halten. Gewiß faßte der mittelalterHche Mensch gar vieles
durchaus ernst auf — auch einzelne derbe Ausdrücke — , bei denen
wir uns heute des Lachens nicht erwehren können. Im einzelnen
wird die Frage, ob komisch oder ernst, nicht immer zu entscheiden
sein. Soviel aber steht fest, daß mit fortschreitender Entwicklung das
komische Element immer stärker in die ernste Handlung eindringt.
Wenn wir etwa die Apostelszene in verschiedenen Spielen ver-
gleichen, so finden wir im Innsbrucker Spiel keine Komik, im Wiener
Osterspiel ist die Szene erweitert, beide Jünger laufen mit Beschwerden,
wobei der ältere und schwächere Petrus hinter Johannes nachhinkt, im
Sterzinger Osterspiel endlich wird die Szene schon zum Spiel im
Spiel: Petrus wird als hinkender, dicker, durstfroher Alter geschildert,
der gegenüber dem klügeren und behenderen Lieblingsjünger nur
als komische Figur behandelt ist und als solche sogar die alten
Mimenzüge des Lügners und gefräßigen Diebes trägt.
Die Entwicklung schreitet aber immer weiter, doch stets im An-
schluß an die Evangelienberichte. Johannes erzählt, daß der weinenden
Maria Magdalena der Herr als Gärtner erscheint. Dies benutzt etwa
der Verfasser der Nürnberger Osterfeier, doch in der Reihenfolge des
Markusberichts, so daß die Erscheinungsszene vor die Apostelszene
gelegt wird. Dabei fließt auch wieder leichte Komik ein, die be-
gründet ist in der Verkleidung des Auferstandenen als Gärtner. Maria
Magdalena erkennt ihn nicht, und er gibt vor, den Zweck ihres
frühen Grabbesuches nicht zu wissen und sie im Verdachte zu haben,
als suche sie ein Stelldichein.
„Ist dyt gueter frauwen recht, als frue in dyssemme gartten,
das sy hy geynt scherczen als eyn knecht als ob sy eyn jungelynges were warten?"
heißt es im Trierer Osterspiel. Der Inhalt dieser Rede erscheint in
zahlreichen anderen Spielen, doch Hegt nicht nur darin die Komik,
sondern in der angeschauten Szene in ihrer Gesamtheit, da in ihrer
ganzen Dauer der Zuschauer ständig sich im klaren ist über die
unter der Hülle des Gärtners verborgene Gestalt Jesu, Die Gärtner-
szene löst sich aber auch vom Evangelientexte los und schiebt neue
Füllsel ein, die nur auf komische Wirkung berechnet sind. So be-
richtet Pichler in den Tiroler Passionsspielen, wie der Gärtner ohne
allen biblischen Zusammenhang, nur in Anlehnung an seinen Beruf,
die Kräuter seines Gartens anpreist und dabei zu derber, lasziver
Komik greift. Weiter sehen wir, wie der Gärtner seinem Knechte
gegenüber sich über die augenblickliche Heilkraft seiner Pflanzen
lO Mittelalter: Geistliche Komödien.
ausläßt und dabei „eine spöttische Pharmakologie, wahrscheinlich
als Satire gegen die Ärzte und Marktschreier jener Tage", vorträgt.
Es wird uns klar werden, daß diese Enveiterung der Gärtner-
szene nichts anderes sein kann wie eine Beeinflussung durch die
Salbenkrämerszene. Da sie großen Anklang beim Publikum fand,
so wurde eine ihr ähnliche Szene in die Marienklage eingeschoben.
Es stammt daher auch der Knecht, der servus des ortulanus, der dem
noch zu besprechenden Rubin entspricht. Es ist eine regelrechte
Kontamination, die durch die große Beliebtheit leicht erklärlich ist.
b) Ouacksalberspiel.
Schon diese Anlehnungen und Entlehnungen innerhalb des Spiels
bezeugen, daß eine lange zeitliche Entwicklung vorliegt. In der Oster-
liturgie wird von der beabsichtigten Salbung des Leichnams des Herrn
gesprochen. Dieser Hinweis wurde mimisch ausgewertet. Die Salbung
selbst konnte ja nicht statthaben. Aber bei der Tendenz, alles im latei-
nischen Text Gesprochene durch Darstellung zu verdeutlichen, zu ver-
sinnlichen, liegt es nahe, zunächst die Frauen die Salbe kaufen zu
lassen. Erst nachdem die Osterfeier ins Freie verlegt und in deutscher
Sprache gehalten war, war auch Möglichkeit und Raum gegeben, um
die Lust am Komischen in breiter Erfindung walten zu lassen. Dieser
Entwicklung verdanken wir eines der ältesten komischen Dramen.
Es liegt in der Ausweitung noch der dramaturgische Wert, daß,
je größer die Vorbereitungen sind, die die Frauen zum Besuche des
Leichnams treffen, um so stärker auch die Kunde von der Leere des
Grabes, von der Auferstehung wirkt. So entsteht die Salbenkrämer-
szene, die sich in ihrer Urgestalt in drei lateinischen Strophen ab-
spielt: der Kaufmann sieht die Frauen herannahen und preist den
Weinenden eine Salbe an, die Frauen fragen nach dem Preise, er
verlangt unum auri talentum, und darauf ziehen die Frauen mit der
Salbe zum Grabe weiter. Eine frühe Erweiterung bietet das Wolfen-
büttler Osterspiel, dessen Handschrift allerdings erst dem 15. Jahr-
hundert angehört. Darin folgen den lateinischen Strophen deutsche
Übersetzungen, und auch der Knecht des Krämers tritt bereits darin auf.
Wir sehen darin noch keinerlei Komik, doch immerhin ist der
Gehalt schon durchaus unevangelisch, durchaus weltlich gerichtet.
Die weitere Entwicklung ist nun derart, daß diese Weltlichkeit sich
immer breiter macht und schließlich zum schwankartigen Abbild
sinnlicher Welt wird, zum selbständigen Schwank. Diese Gestalt
finden wir in dem III. Erlauer Spiel, das wir schon bei der Petrus-
szene angeführt haljen. Die Personenzahl hat sich wiederum vermehrt:
neben den Krämer, wobei übrigens aus dem Mercator ein Medicus
geworden ist, tritt ein Knecht Rubin und dazu dessen Unterknecht
Pusterpalk, dazu kommen noch Medica, die Frau des Krämers oder
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Quacksalberspiel. 1 1
des Arztes, sowie die Frau Rubins. Daß aus dem Krämer ein Arzt
geworden ist, darf ohne weiteres auf den Einfluß des Mimus zurück-
geführt werden. Von jeher waren die Ärzte und ihre Kunst ein
dankbares Objekt der Volkskomik, wie auch heute noch der Doktor
Eisenbart sich großer Volksgunst erfreut; und wenn wir Rubin seines
Herrn Kunst rühmen hören:
„dye blinden macht er sprechen,
dye stummen macht er eßen",
SO klingt diese Anpreisung doch sehr nahe verwandt der Dr. Eisen-
barts: Kann machen, daß die Blinden gehn und die Lahmen wieder
sehn! Wenn keine andere, so ist die Salbenkrämerszene ein deut-
liches Beispiel für die Art und Weise, wie sich das mittelalterliche
Schauspiel entwickelte.
Diese Szene, die im III. Erlauer Spiel von 133 1 Versen 885 Verse
umfaßt und schon durch ihre unverhältnismäßige Größe ihre Be-
liebtheit bezeugt, enthält in ihrem Mittelstück, dem eigentlichen
Salbenkauf der heiligen Frauen, immer noch die drei lateinischen Ur-
strophen, davor von Vers 57 — 680 und darnach von Vers 798—942 nur
volkstümliche Schwankkomik. Die meist wörtliche Übereinstimmung
überlieferter Texte zeigt uns, daß die Witze und Spaße allerorts Volks-
gut waren. Das Gerippe war gegeben, und nun behängten die Fah-
renden es mit dem Fleisch ihrer Erfindungskraft. Das lawinenartige
Anwachsen der Salbenkrämerszene ist wohl nur aus ihrem improvi-
satorischen Charakter zu erklären, sie ist Stegreifposse. Die Darsteller
machen Witze, oft sehr bekannte, doch gern gehörte, und je mehr
Beifall sie finden, um so mehr Witze lassen sie folgen. Bleibt der
Beifall an einer oder der anderen Stelle aus, so wird diese wohl ohne
weiteres bei der nächsten Vorstellung ausgemerzt, aber Stellen, die
einschlagen, werden sicher immer wieder wiederholt, gerade wie beim
heutigen Kasperletheater oder den Clownspäßen der wandernden Zir-
kusse. Und diese belachten Stellen bleiben daher und bilden die
Szene, die gelegentlich aufgeschrieben und überliefert wird. Meist
wird der Schreiber nur wenig eigene Erfindung dazu bringen. Inso-
fern kann man auch hier von dichtender Volksseele sprechen. Der
Urheber eines guten Witzes ist selten bekannt, ,,unde de dar speien
myt den docke unde den doren ere ghelt aflocken" (Redentiner Oster-
spiel, V. 1136/37), die Spielleute betrachten alle wirkungskräftigen
Augenblickseingebungen als Allgemeingut. Der Witz kennt kein
Urheberrecht.
Die Reihenfolge der komischen deutschen Ausgestaltung der
Szenen ist nicht identisch mit der Reihenfolge des lateinischen
Szenengerippes, wie es gemäß dem Evangelienbericht aufgebaut
wurde. Ja, es scheint wohl, daß die Salbenkrämerszene am frühesten
der mimischen Erfindungslust Angriffsziel bot, jedenfalls aber bot
sie das dankbarste. Sie war so beliebt, daß sie einerseits konta-
12 Mittelalter: Geistliche Komödien.
miniert wurde mit der Gärtnerszene, andererseits sich teilte in die
Arztszene des Salbenverkaufs an die drei Marien und in die Krämer-
szene des Schminkeverkaufs an die weltlustige Maria Magdalena,
die wir noch kennenlernen werden.
Die Betrachtung der Arztszene des Erlauer Spiels, die wir hier ihrer
Ausführlichkeit wegen als Musterbeispiel wählen wollen, zeigt klar
die mimische Herkunft. Sie ist durchaus derb-komisch gehalten und
enthält das ganze mimische Repertoire an körperlichen, geschlecht-
lichen, Verdauungs-Späßen, an Prügeleien, an Wortwitzen, an Groß-
sprechereien. Ihr Handlungsaufbau ist folgender: Zunächst tritt
Rubin auf und kündigt das Spiel als richtiger Proklamator oder
Präkursor an, obwohl doch der ganze ludus bereits 56 Verse lang
gespielt ist. Schon dadurch wird die Selbständigkeit des Zwischen-
spiels betont, und dessen Charakter kann der Zuhörer schon aus
dem Schlußwort der Ankündigung entnehmen: „Ez misticht ein
muenich auf einer nunnen", v. 74. Darauf kommen Pusterpalk und
der Arzt; Pusterpalk kündigt den Arzt an, wobei er nicht verfehlt,
derbkomische Worte zu gebrauchen und auf den ausgepolsterten
Körperteil des alten Mimen hinzuweisen. Der Arzt preist sich dar-
auf selbst an. Hier heißt er also Medicus, anderswo Ypocras, ur-
sprünglich ist er natürlich der Kaufmann, Mercator, wie er in dem
Osterspiele von Tours in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts
heißt, wo übrigens zum ersten Male das komische Element im Oster-
spiel erscheint; in zwei Prager Texten aus dem 13. Jahrhundert
heißt der Verkäufer Unguentarius, in einer Benediktbeurer Überliefe-
rung vom Anfang des 13. Jahrhunderts Apotecarius. Übrigens kennt
bereits das Osterspiel von Tours neben dem Mercator noch einen
Jüngeren, anscheinend seinen Angestellten, seinen Knecht, Mercator
juvenis benannt, der auch in der kurzen Strophe marktschreierischen
Inhalts an Rubin erinnert. In unserem Erlauer Spiel nun sucht der
Arzt sofort einen Knecht. Doch unterbricht er sich selbst nochmals
mit großsprecherischer Selbstanpreisung in Latein und in Deutsch,
wobei er allerdings die geläufige Formel hinzufügt: ,,Waz ich red, daz
ist nicht war", v. 103. Rubin springt nun aus dem Volk, bietet sich
ihm an und charakterisiert sich selbst, indem er gleich gröbstes
Geschütz in Geschlechtswitzen aufführt. Dieser Rubin, wie bereits
der Mercator juvenis des Wolfenbüttler Osterspiels genannt wird, ist wohl
die beliebteste Spielmannsfigur des mittelalterlichen Dramas. Schon die
lustige Art seiner Anwerbung mit dem begleitenden Lohnschacher ist
stets wiederholtes Allgemeingut. Ich erinnere mich, noch als Knabe in
dem Kasperletheater der Messen derartige Werbeszenen gehört zu
haben, nur daß der Angeworbene nicht mehr Rubin hieß, sondern den
heute komisch wirkungsvolleren Namen Jakob trug. Rubin hält eine
lange, mit Wortwitzen gespickte Rede, worin er seine Welterfahren-
heit und Tüchtigkeit kundtut, und als ihn der Arzt nun in Dienste
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Quacksalberspiel. I3
nimmt, da stellt er die Bedingung, daß auch seine Frau mit ein-
geschlossen sein müsse:
„di ist minniglich als ein wasserlagel (Wasserfaß),
und weis als ein rabenzagel,
und get dunkchel in der vinster her;
der teufel ir den part scherl" v. 224 — 227.
Die Werbeszene war so zugkräftig, daß sie sofort im Spiele selbst
wiederholt wird, indem Rubin nun einen Unterknecht sucht und mit
dem sich anbietenden Pusterpalk unterhandelt. Auch hier wieder tollt
sich die Spielmannslaune in Wortwitzen, womöglich noch eine Stufe
tiefer und derber, aus und betont die Hauptfunktionen des mensch-
lichen Leibes und der menschlichen Triebe. Die gröbsten Ausdrücke
sind gerade recht, um das Lachen des Publikums hervorzurufen. Doch
darf dabei wieder nicht vergessen werden, daß die heutige Zeit gar
manche Dinge und Worte als derb auffaßt, die das robustere und
naivere Mittelalter als durchaus angängig betrachtete. Nachdem nun
Pusterpalk in Dienste genommen ist, erhebt sich eine der beliebten
Prügelszenen zwischen dem Quacksalber und Rubin, weil, als ersterer
seine Frau vermißt, Rubin ihm sehr obszön antwortet. Prüge-
leien waren schon ein Lieblingsstück des alten Mimusrepertoires, das
sich bis ins heutige Kasperletheater erhalten hat. Die Pritsche ist ein
unumgängliches Requisit des Puppenspiels. Die Medica wird nun
wiedergefunden, und nachdem er sie derb ob ihres lasterhaften Lebens-
wandels ausgeschimpft hat, wobei gerade die Häufung grober Schimpf-
worte Mittel der Komik ist, führt sie Rubin seinem Herrn zu unter
Absingen eines lustigen Liedchens im Volkston. Auch das Singen
ist durchaus Spielmannsart. Nach der Aussöhnung von Arzt und Frau
preist nun Rubin auf Befehl seines Herrn dessen Künste dem Publikum
an. Hierin liegt die ganze beliebte Komik des Marktschreiers, der ja
auch heute noch als der wahre Jakob in Dorf und Stadt bekannt ist.
Die Verbindung von Marktschreier und Quacksalber ist ebenfalls bereits
altes Mimusgut, das in seiner Beliebtheit sich stets der Volksgunst er-
freut hat. Einen breiten Raum nimmt es daher auch in der italienischen
commedia dell'arte ein und in allen deren Sprößlingen — ich nenne
etwa moderne Operetten.
Volkskunst liebt stets das Motiv der Wiederholung. Nachdem Rubin
die Kunst des Arztes ausgerufen hat, leiht Pusterpalk zu dem gleichen
Zwecke seine Dienste der Frau. Hier ist natürlich das Hauptgewicht
auf das sexuelle Moment gelegt. Die Szene schreitet in derselben Art
weiter, wobei es wieder zu einer Zankszene kommt zwischen dem Arzt
und Rubin, weil dieser dessen Frau öffentlich schlecht macht. Dann
aber tut Rubin wieder seinen eigentlichen Dienst, indem er den Kram-
laden aufschlägt und die verschiedenen Salben mit ihren angeblichen
Wirkungen anpreist. Dies gibt wieder eine Fülle von komischen
Einzelheiten. Auch hier begegnen wir dem Wiederholungsmotiv durch
14 Mittelalter: Geistliche Komödien.
Pusterpalk. In dieser Spielmanns- oder Mimusart wird die Farce
weitergeführt. Schließlich wirft Rubin die Salben unter die Zuschauer,
und jetzt erst setzt wieder das eigentliche ernste Auferstehungsspiel
ein. Ein größerer Kontrast ist kaum zu denken.
Und selbst in diese durchaus ernste, auf Trauer gestimmte Szene
der drei klagenden Frauen: Maria Magdalena, Maria Jacobi, Maria
Salome ist nun die Komik eingedrungen. Da ist denn wohl das
Eifern streng gesinnter Geistlicher gegen solchen Unfug zu begreifen.
Aber der volkstümliche Spielmann erweist sich stärker. So hören
wir den Rubin:
V. 716 „Meus calvo fier" (Komisch verdrehtes Latein),
„sprach ein ochs zu einem stir.
got grüß euch, ir frauen al virl
oder sint eur drei,
ich sich, sam mir in die äugen geschißen seil"
Der Ernst des heiligen Kerns wird durchaus verdrängt von der
volkstümlichen Schwankkomik. Der Arzt selbst erscheint und preist
den Frauen seine Salben an, worauf ein Handeln um den Kaufpreis
anhebt. Und als er schließlich das Geld der Käuferinnen angenommen,
da prüft er es noch nach altbeliebter Spielmannssitte auf seine
Echtheit, wobei er einen der Pesanden beanstandet:
V. -95 ,,Er chlingt sam ein fuchszagel:
er mag gemacht sein auz einem alten huefnagl".
Die heiligen Frauen ziehen ab, und sofort setzt wieder der Schwank
mit seiner ganzen volkstümlichen Derbheit ein in absoluter Selb-
ständigkeit und Unabhängigkeit vom Kirchlichen. Er beginnt mit
mimisch stärkstem Akzent, mit einer belebten Zank- und Prügelszene
zwischen dem Arzt und seiner Frau. Diese ist verärgert, daß er die
Salbe zu billig verkauft habe. Dabei kommen eheliche Intimitäten
zur Enthüllung, die sinnHche Frau beklagt sich über ihren alten
Mann, doch er antwortet mit Prügeln. Und Rubin freut sich der
Szene in einer Rede, die endet:
V. 835 ,,Er tut ir gar recht:
ich vancz nachten pei meinem chnecht".
Also Situationen, die sicher nur dem Volkswitze entsprechen.
Der alte Mimus schon hat mit Vorliebe das Motiv der ehehchen
Untreue, gleichgültig ob des Mannes oder der Frau, breitgetreten.
Diesem entspricht auch die Weiterführung der Farce. Der Arzt geht
ermüdet schlafen, und sofort macht sich Rubin an die Frau, um mit
ihr eine Entführung zu vereinbaren. Die Frau ist auch schnell bereit,
der junge Knecht lockt sie weit mehr als ihr alter Mann. Dies
erklärt sie auch offen dem Publikum in für uns Heutige scham-
losester Weise. Es ist ja klar, daß hier das GeschlechtHche Trumpf
ist. Nach der Entführung weckt Pusterpalk den Arzt mit der Kunde.
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Ritterspiel. I^
Die Gesinnung des Arztes ist leicht aus seiner Klage zu erkennen,
die die Frau gar leicht verschmerzt und nur um das Geschäft bangt.
Darauf packt er mit Pusterpalk seinen Kram auf und zieht weiter.
Pusterpalk aber richtet das Schlußwort an das Publikum.
Damit ist das Zwischenspiel beendet. Das Silete der Engel ertönt,
und das ernste Auferstehungsspiel schreitet weiter ohne jede Erinne-
rung an diese Salbenkrämerfarce. Nach dem Vorgeführten steht die
Selbständigkeit dieses Schwankes im Osterspiel außer Frage. Sein
Charakter ist uns nun klar, auch ohne daß wir noch andere Er-
weiterungen ausführlich besprechen. So hat etwa das Innsbrucker
Osterspiel eine Szene eingeschoben, in der ein häßlicher, verkrüppelter
Genosse Rubins mit Namen Lasterpalk auftritt und ohne weiteres der
liebebedürftigen Krämersfrau seine obszönen Anträge macht. Ab-
gewiesen, versucht er wenigstens durch öffentliche Bitte seine Freß-
lust zu stillen. Diese Szene hat aber ebensowenig innerlichen Zu-
sammenhang mit dem Schwank wie ein Zusatz eines tschechischen
Osterspiels, worin Abraham seinen toten Sohn Isaak von dem Wunder-
doktor wieder ins Leben rufen lassen möchte. Dieser Beitrag ist durch-
aus der antisemitischen Tendenz des Mittelalters entsprossen und be-
dient sich zu ihrem Zweck, die Juden zu verspotten, der gröbsten und
schmutzigsten Töne. Doch auch sie bietet wieder einen Beweis für den
durchaus volkstümlichen, spielmannsartigen Charakter der im Spiele
wirksamen Kunst. Rubin ist die Urgestalt des Hanswurst.
Die Entstehungsgeschichte des Quacksalberspiels, die Heinzel in
seinen Abhandlungen zum altdeutschen Drama erörtert, dürfte wohl so zu
erklären sein, daß die Salbenkrämerszene der lateinischen Osterfeier von
streng ernstem Charakter durch die Verwandtschaft des Verkäufers mit
beliebten Gestalten des Marktschreiers und Quacksalbers der fahren-
den Spielleute den Haken bot, um die Spielmannsspäße anzuhängen.
Dadurch weitete sich die Szene immer mehr zum komischen Zwischen-
spiel aus, das als solches durch die Salbenkaufszene der drei Frauen
den Zusammenhang mit dem Osterspiel bewahrte, das aber von den
Spielleuten auch losgelöst als selbständiges Fastnachtspiel aufgeführt
wurde, wobei die Kaufszene dann wegfallen konnte. Dieses Salben-
krämerspiel gehört als zweite Szene zu einer siebenszenigen Gruppe
von Osterspielen, wie sie uns in dem Trierer, Wolfenbütteler und
in. Erlauer Spiel überliefert ist, und die als erste Szene den Gang
der drei Marien zum Grabe, als dritte die Grabesszene, als vierte die
Gärtnerszene, als fünfte die Verkündigungsszene, als sechste die
Thomasszene und als siebente die Wettlaufszene enthält.
c) Ritterspiel.
Neben dieser ersten Gruppe der Osterspiele entwickelt sich allmäh-
lich eine zweite Gruppe, die entweder selbständig erscheint, wie das
Redentiner und das Erlauer V. Osterspiel, oder mit der ersten Gruppe
l6 Mittelalter: Geistliche Komödien.
derart verbunden erscheint, daß ihre Szenen vorbereitend der ersten
Gruppe vorangestellt werden. Dazu gehören das Innsbrucker, das
Wiener, das Sterzinger Osterspiel und die Fragmente des Passionsspiels
von Muri. Die Szenen der zweiten Gruppe sind viel unabhängiger
von der biblischen Überlieferung und daher viel geeigneter, weltliche
Zusätze und Darstellungen aufzunehmen. Die zweite Gruppe besteht
ebenfalls aus sieben Auftritten (wobei für beide Gruppen zu bemerken
ist, daß nicht jedes Spiel auch wirklich alle jeweiligen Gruppenszenen
enthält): i. Einzugsszene des Pilatus, 2. Beratungsszene der Juden,
3. Bestellungsszene der Grabwächter, 4. Grab Wächterszene, 5. Aufer-
stehungsszene, 6. Höllenfahrtszene, 7. Grabwächterszene nach der
Auferstehung.
Dabei setzt die Komik hauptsächlich bei der 3., 4., 6. und 7. Szene
ein. Eingeführt wird sie wieder, wie etwa bei der Quacksalberszene,
durch die weltlichen Kleriker, die von dem lockeren, vagabundierenden
Leben der Spielleute angezogen wurden und nun als fahrende Schüler
oder Kleriker, scholares vagantes, clerici vagi, ihre lateinische Halb-
bildung gebrauchten, um die Leitung der aus der Kirche ins Freie
verwiesenen dramatischen Spiele an sich zu reißen, und, um dem
Beifall der Menge zu fröhnen, immer mehr Weltliches ins Geistliche,
Lächerliches ins Ernste hineinbrachten. Ihre komischen Spaße und
Mimenkünste hängten sie vor allem an Pilatus, seine Ritter und die
Juden einerseits und an die Teufelsspiele andererseits.
Pilatus tritt als Fürst des Mittelalters mit reichem Gepränge auf
und stellt sich vor:
,,Ich bin Pilatus genannt
und wil bei ein richte siezen,
daz alle Juden muszen swiczen".
Dies entspricht nur den antisemitischen Gefühlen der Zuhörer, denn
tatsächlich handelt er im Spiel ganz einig mit den Juden. Viel stärker
ist das komische Element aber bei den Rittern, wo es sich vor allem
als Satire betätigt. Die Ritter gehören zu dem Gefolge des Lehens-
fürsten Pilatus, führen aber ihre Dienste nach mittelalterlicher Sitte
nur gegen Belohnung aus, wie es im Redentiner Osterspiele heißt:
„Dat ghelt maket den helt springhen".
Die Satire wendet sich sowohl gegen den Ritterstand als solchen wie
auch gegen ihre Funktion im Spiel, denn dem mittelalterlichen Ver-
fasser wie dem gläubigen Zuschauer muß das fruchtlose Beginnen,
die Auferstehung des Herrn durch Bewachung des Grabes verhindern
zu wollen, ja als durchaus lächerlich erscheinen. Bei der Standes-
satire müssen wir uns bewußt bleiben, daß das Eindringen des
Komischen ins geistliche Schauspiel erst gegen Ende des Mittelalters
stärker wurde, als einerseits der Ritterstand schon viel von seiner
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Ritterspiel. JJ
einstigen Würde und Herrlichkeit verloren hatte, andererseits der
Bürgerstand immer selbstbewußter wurde und naturgemäß in dem
Handel und Wandel lähmenden Raubrittertum seinen Erbfeind er-
bHckte. Insofern gibt uns auch hier, wie an so vielen Stellen, das
Komische ein Spiegelbild mittelalterlicher Sitten und Anschauungen.
Wie die Ritter, so werden vor allem die Juden verspottet, als Klasse
sowohl wie in ihrer Tätigkeit im Spiel. Deren Mißachtung und Ver-
achtung im Mittelalter ist ja bekannt. Da wir wissen, daß auf der
mittelalterlichen Bühne die Komik gerne sich auf körperliche Äußer-
lichkeiten bezog, so darf wohl angenommen werden, daß das Körper-
lich-Lächerliche auch bei den Juden angewandt wurde. Der Zuschauer
mußte doch von vornherein sich im klaren sein, daß eine bestimmte
Gruppe der Schauspieler Juden darstellen sollten. Dies Kennzeichen
kann sich in der Kleidung sowohl wie in der Gesichtsbildung gefunden
haben. Die Darstellungen mittelalterlicher Gemälde betonen stets die
typisch -jüdischen Gesichtsmerkmale, wie Nasenbildung. Dann gaben sich
die Judendarsteller, außer durch ihre Kleidung, wohl durch Bewegungen
zu erkennen, Gebärdenspiel, heftiges Gestikulieren, Sprechen mitHänden.
Schließlich aber, und dies ist uns in den Texten selbst überliefert, be-
dienen sie sich eines eigenartigen Kauderwelschs, das aus hebräischen,
lateinischen, griechischen, deutschen und willkürHch gebildeten Worten
und Wortteilen sinnlos zusammengesetzt ist. So berichtet Pichler im
Drama in Tirol einen Judengesang: „Kados, Kados adonai hoi cupit
in niria hoi kahoi schlami schlami hoi schlamika pachoi rudiens aurum
emere prokahi pkaher armculare kos mica jesse armarma tutabe perca
schun schneia schuur ami. Iste stola jus ranzi, warine hud sulient
sulient islabent labent esto michi widerpe esten lu mina rie esto michi
paupa phaloripa new new nentpe auriculaer. ami". Dieses sinnlose
Kauderwelsch, von heftig gestikulierenden, karikiert jüdischen Ge-
stalten durcheinandergeschrien, konnte wohl das Lachen der naiven
Zuschauer erregen. Wir begegnen ihm daher auch beim Eingang
unseres 2. Auftritts, der Beratungsszene der Juden. Im Innsbrucker
Osterspiel singen die Juden kürzer: „Chodus, chadus, adonay sebados
sissim sossim chochun yochun or uor yochun or uor gun ymbrahel
et ysmahel by ly lancze lare uczerando ate lahu dilando, sicut vir
melior yesse, ceuca ceuca ceu capiasse amel". Daß diesem Kauder-
welsch die lateinische Regiebemerkung: „Judaei cantant Judaicum"
vorausgeht, beweist, daß an ein unverständliches, wildes Durcheinander-
brüllen gedacht ist, wie sich dem Zuschauer das Verhalten der Juden
in der Synagoge darstellte; sprechen wir doch heute noch bei Durch-
einanderlärmen von einer Judenschule. Dieser Judenchor ertönt nun
immer, wenn die Juden zu einem neuen Abschnitt der Handlung ge-
langen. Er ist gleichsam ihr Aushängeschild.
Um ihren Befürchtungen zu entgehen, daß die Auferstehung
des Herrn auf irgendeine Weise erfolgen könne, beschließen sie,
H o 1 1 , Lustspiel. 2
l8 Mittelalter: Geistliche Komödien.
Pilatus um Bewachung des Grabes zu bitten. Der Gegensatz ihres
Wollens und des den gläubigen Zuhörern offenbaren Geschehens
muß auf diese komisch wirken. Doch der mittelalterliche Antisemi-
tismus läßt sich daran nicht genügen, er greift zu drastischeren
Mitteln, um die verachteten Juden der Lächerlichkeit preiszugeben.
Creizenach, dessen Geschichte des Dramas uns ein unerschöpfliches
Material bietet, hat bereits darauf hingewiesen. In den Spielen der
Frankfurter Gruppe tragen die Juden Namen, die noch heute in der
Gegend heimisch sind, wie Seligmann, Liebermann, Süßkind, Bei-
fuß. Die Aufführungen können daher geradezu Verhetzungscharakter
tragen. Es ist somit nicht zu verwundern, daß die Judenschaft
sich dagegen zu schützen sucht, und tatsächlich verspricht der
Rat von Freiburg i. Br. bereits am 12. Oktober 1338 in einem Frei-
briefe den Juden, es abzuwenden, „das ieman kein spil zu Friburg
uffen sü mache, das inen laster oder schände mug gesin" (Schreiber,
Urkundenbuch der Stadt Freiburg i, 339, zitiert von Weinhold, Gosche,
p. 28), und Wild in den Verhandlungen des Historischen Vereins der
Oberpfalz 53, ii berichtet, daß bereits 1281 in Regensburg den Juden
zur besonderen Pflicht gemacht wurde, während der Umzüge und Vor-
stellungen der Passionsspiele sich zu Hause zu halten. Wie drastisch
der Spott auf sie war, zeigt sich in der verbreiteten Sitte, bei den Auf-
führungen am Standorte der Juden ein ausgestopftes Kalb oder Schwein,
in dem sich ein Gefäß mit Wein oder Bier befand, aufzustellen, wobei die
Judendarsteller während der Aufführung das Getränk genossen, das
zum Hinterteile des Kalbes herausfloß. Das Alsfelder Spiel hat v. 3273
die Regieanweisung: „Judaei bibunt ex culo vituli". Diese derben
Spaße wurden natürlich nicht nur in den Auferstehungsspielen los-
gelassen, sondern auch in anderen geisthchen und weltlichen Schau-
spielen, wo eben immer Juden auftraten. Unsere Szene hier ist nicht
nur ihrer ganzen Anlage nach von gewisser Komik, auch die Reden
der beratenden Juden sind öfters in den Spielen komisch gestaltet.
So sagt ein Jude in dem Wiener Osterspiele (Hoffmann, Fundgruben II,
p. 296 ff,):
„Wenn Jesus uns weite entweichen, Daß jm geschehe we alhie,
Ich weite jm nachsleichen, Daß er müste werden lam;
Und weite jn beissen in ein knie, Wer er wilde, ich machte jn zam".
Wenn es dann nach eines anderen Juden Rat heißt: ,, Die Juden tanzen
zu Pilato und singen jüdisch" — ausnahmsweise haben wir hier im
Wiener Osterspiel deutsche Regieanweisungen — , so können wir uns
nach dem bereits Bemerkten die groteske Komik dabei wohl vorstellen.
Damit beginnt nun der 3. Auftritt, die Bestellungsszene der Grab-
wächter. Diese bildet mit den beiden folgenden Szenen, der der Grab-
wache und der der Auferstehung, wieder eine kleinere Einheit, die
plautinisch mit milites gloriosi überschrieben werden könnte: ein ein-
heitlicher Zug der Komik geht hindurch, der sich gründet auf den
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Ritterspiel. IQ
klaffenden Widerspruch von Worten und Taten der Grabwächter. Die
Juden bitten Pilatus, daß er das Grab bewachen lasse, und er weist
sie an seine Ritter, die die Wache für klingenden Lohn übernehmen
wollen. Dabei kommt bereits die Geldgier des Raubritterstandes zur
Darstellung, indem die dargebotenen Münzen ängstlich auf ihre Echt-
heit geprüft werden, wie es auch der Salbenkrämer getan hatte. Das
entspricht übrigens auch der damaligen Zeit, wo zahlreiches Falsch-
geld im Umlauf war. Die angeworbenen Ritter zeigen uns bereits in
der Namengebung die Satire. Wir können dabei drei Klassen unter-
scheiden: Namen, die durch ihren bloßen Klang und ihren Inhalt
komisch wirken, wie Unverzeit, Schuerenprant, Wagendrusel, Helm-
schrat, Wagsring; Namen, die der Blüte der Heldenzeit entstammen
und durch ihren Kontrast mit den damals gegenwärtigen Zuständen
komisch wirken, wie Siegenot, Dietrich, Hillebrant, Laurein ; und schließ-
lich Namen, die jüdischer Herkunft sind und daher bei der damaligen
Verachtung der Juden für die Ritter erst recht komisch klingen, wie
Samson, Boas von Thamar, Salmon, Sadock, Josue, Johel, Samuel.
Mit am besten dargestellt ist die Großsprecherei der Ritter im
V. Erlauer Spiel, worin acht verschiedene Helden ihren Mut und
ihre Stärke in gewaltiger Steigerung anpreisen in einer Art dem
Fastnachtspiel entsprechender Revue. Um nur ein Beispiel hervor-
zuheben, der siebte Ritter sagt:
„Nu merkcht all fleizzleich, nu merkcht, was ich euch wil sagen:
nindert vindet man mein geleich; hundert man an dieser frist,
ich toerst den teufel selb westan, die wag ich als einen nunnenvist,
vnd hiet er halt neun panzir an, ich trau seu all erslahen wol,
ich traut in auz der helle jagen. ich pin aller uppichait vol".
Im Sterzinger Osterspiel ist diese Ruhmrederei noch derart gesteigert,
daß der Wagendrusel sogar mit Jesus selbst anbinden will:
„So du Jesus in dem grab Und ge zu uns aus dem grab herfür,
Bistu uns feint, so sag uns das! (für ab) Und nimm zu hilf all dein kunst.
Wiltu ersten, das tu schier Ich gelaub es sei ein blauer dunst".
Es ist uns aber auch ein Spiel überliefert (von Pichler im Drama
d. Ma.), worin dem ruhmredigen Ritter immer sofort eine Art Wahrheit
sagender Narr Josel als Diener Kaiphas' gegenübergestellt ist, der
auf jedes Preislied des Selbstlobs sofort eine lächerliche Tat berichtet,
die das feige Maulheldentum drastisch offenbart. Schließlich aber
ziehen die Ritter denn insgesamt wagemutig und schwerterklirrend
zum Grabe, indem sie den Spottvers singen:
„Wir wollen czue dem grabe ge,
Jhesus der wil uff ste;
ist daz war, ist daz war,
so sint gülden unse har!" (Mone, Altt., Schsp., p. 113, Innsbr. Osp.)
Am Grabe sind sie kaum eingerichtet, da erscheint ein Engel und
schlägt sie alle in die Flucht oder aber versetzt sie in Schlaf. Am
20 Mittelalter: Geistliche Komödien.
besten ausgebildet ist diese Szene im Redentiner Osterspiel. Pilatus
verteilt die Ritter um das Grab. Doch kaum ist er fort, da vertrauen
sie dem Nachtwächter die Hut des Grabes an und legen sich schlafen,
wodurch ihre Pflichtvergessenheit um so stärker zum Ausdruck kommt.
Die Szene ist vollkommen unabhängig und zeigt die hochentwickelte
Darstellungskunst des Dichters des Redentiner Osterspiels. Zweifellos
ist dies das beste mittelalterliche Schauspiel. Der Wächter versucht
wiederholt die Schlafenden zu wecken, immer näher rückt die Gefahr,
dringender wird sein Mahnen — die Ritter schlafen. Da erfolgt die
Auferstehung, und während all der Zeit schlafen die ruhmredigen
Ritter weiter. Es ist die Auferstehungsnacht, in der nach dem Spiel
Jesus die in der Hölle schmachtenden Seelen befreit. Am Morgen
endlich gelingt es dem Wächter durch wiederholte Hornstöße und
Rufen, die Schlafenden zu wecken, und nun erhebt sich großes Weh-
klagen. Doch sie beschließen, vor den Juden sich zu verantworten.
Nun sind die Maulhelden kleinlaut geworden. Kaiphas und Pilatus
fahren sie derb an ob ihrer Pflichtvergessenheit, ja im V. Erlauer Spiel
will Pilatus sie einkerkern lassen, doch die weitere Fassung ist die,
daß die Juden sie der Lüge zeihen, und darüber kommen ihnen die
großen Worte wieder. Und da die Juden fürchten müssen, daß die
Ritter die Auferstehung Jesu bekanntmachen werden, so lenken sie
ein und bestechen nun die Ritter, wenigstens auszusprengen, daß die
Jünger den Leichnam des Herrn gestohlen hätten, eine Wendung, die
uns bereits aus einem epischen Gedichte in einer Handschrift des
13. Jahrhunderts bekannt ist (Hoffmann, Fundgruben I, p. 180). Die
Ritter lassen sich auch das gefallen, und einer ruft als Schlußwort
den Zuschauern spöttisch zu:
„Glaubt nit, das aus dem grab Wier schlieffen, darumb Sachen wir es wol :
Jesus sein leben wieder hab: Schlaffend zewgen man pillich glauben sol;
Sein junger kamen haimlich Wan si nicht nit liegen
Und stallen in diepplich. Und niemand mit irer kuntschaflft betriegen".
Damit ist das miles-gloriosus- Spiel zu Ende. Von besonderer
Komik ist dabei noch das Verhalten der Juden, die dem Volke so
recht als die geprellten Betrüger dargestellt werden. Zuerst müssen
sie die Grabwächter bezahlen, daß sie das Grab bewachen, und dann
müssen sie, deren ,,gelust", deren Wucher so oft von den mittelalter-
lichen Dichtern gegeißelt wird, die pflichtvergessenen Grabwächter
bezahlen, daß sie ihre Pflichtvergessenheit öffentlich kundmachen.
Das Innsbrucker Osterspiel findet den Schluß anders. Nach der
Auferstehung kommt Pilatus mit einem Boten, um die Grabwache
zu revidieren und findet sie schlafend, er verhöhnt sie, und die Ritter
wälzen nun gegenseitig die Schuld aufeinander. Darüber kommt es
zum beliebten Schwankschluß der derben Prügelei.
Damit sind alle Erweiterungen der kirchlichen Osterfeier be-
trachtet, soweit sie komische Darstellungen weltlicher Geschehnisse
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Teufelsspiel. 21
bieten. Als wichtigste Einschübe sind uns dabei die Salbenkrämer-
szene und die Grabwächterszene begegnet, die beide so stark aus-
gebaut werden, daß sie gut vom ganzen geistlichen Schauspiel los-
gelöst werden können, um als Quacksalberspiel und Ritterspiel in
voller unabhängiger Selbständigkeit aufgeführt zu werden. Diese sind
daher die ersten ausgebildeten Vorläufer des deutschen Lustspiels.
d) Teufelsspiel.
Mit den genannten Vorläufern zusammen ist das Teufelsspiel zu
betrachten. Neben der Komik des Diesseits steht die Komik des Jen-
seits. Das Teufelsspiel gründet sich auf den evangelischen Bericht,
daß der im Grabe liegende Jesus zur Hölle niedergefahren sei.
Bei der Rolle, die der Teufel in der mittelalterlichen Anschauung
spielte, konnten größere Erweiterungen nicht ausbleiben. Hölle und
Himmel sind, amoralisch betrachtet, dem mittelalterlichen Menschen
gleich real. Das Reich des Teufels ist gleich dem Reiche Gottes
mit umgekehrtem Vorzeichen; um so leichter konnte die Phantasie
das Teufelsreich mit ihrer Fülle bevölkern. Wenn der Teufel der
mittelalterlichen Bühne also auch tatsächlich Phantasiegestalt ist, so
ist er doch in den Augen des Zuschauers Wirklichkeitsgestalt. Die
Haltung des neuzeitlichen und mittelalterlichen Menschen zum Teufel
ist grundsätzlich verschieden. Für den neuzeitlichen Menschen hat
der auf der Bühne erscheinende Teufel höchstens symbolische Funktion.
Er bedeutet etwas. Für den mittelalterlichen Menschen ist er Vertreter
einer Welt, deren Existenz niemand in Zweifel zieht, ebensowenig
wie ihren Zusammenhang mit der menschlichen Welt. Die Teufels-
figur der Bühne bedeutet nicht nur etwas, sie ist etwas. Sie hat
Wirklichkeitssein. Infolgedessen ist die Anteilnahme an ihrem Reden
und Tun viel lebendiger, viel unmittelbarer als in der Gegenwart.
Der Teufel ist durchaus menschlich gefaßt in Freude und in Ärger,
in Zuversicht und in Furcht. Denn wenn auch die Teufelswelt von
der Menschenwelt verschieden ist, so kann die naive Vorstellungskraft
des Mittelalters sich doch diese andere Welt nur in Analogie der
umgebenden Naturwelt denken; die Teufel sind schließlich nichts
anderes als eine Menschenart, daher kann es leicht vorkommen, daß
ungewöhnliche menschliche Erscheinungen, wie etwa Neger, dem
naiven Auge als Teufel erscheinen. Dieser unbedingte Glauben an
die Realität des Teufels muß festgehalten werden, um die Wirkung
der Teufelsspiele zu verstehen.
Da der mittelalterliche Mensch durchaus im Banne kirchlicher
Anschauungen lebt, so ist es leicht verständlich, daß, wenn jen-
seitige Dinge dem Auge dargestellt werden, auch frühzeitig das
Verlangen sich einstellt, neben den Vertretern des guten Jenseits
auch die Vertreter des bösen Jenseits zu sehen, neben dem über-
22 Mittelalter: Geistliche Komödien.
irdischen Reich das unterirdische, neben dem Walten des Himmels
das Walten der Hölle, um so mehr als damit alten heidnischen Volks-
überlieferungen entsprochen wurde. So treffen wir tatsächlich bereits
im 12. Jahrhundert in Frankreich die Teufel auf der Bühne in einem
lateinischen Drama der klugen und törichten Jungfrauen. In Deutsch-
land besitzen wir ein derartiges eschatologisches Drama aus dem
14. Jahrhundert. Wenn wir dabei berücksichtigen, daß die aus dem
kirchlichen Rituale, aus der Liturgie erwachsenen szenischen Dar-
stellungen doch sicher den Dramatisierungen von heiligen Legenden
und vom Jüngsten Gericht zeitlich voraufgehen, so darf ohne weiteres
angenommen werden, daß die Einführung von Teufelsszenen ins
geistliche Schauspiel zu den frühesten Erweiterungen der lateinischen
Osterfeier gehört, besonders da mit der Auferstehung des Herrn
nach dem Evangelienbericht, an den sich doch der erste Aufbau
des geistlichen Dramas streng hält, unmittelbar die Niederfahrt zur
Hölle verbunden ist. Allerdings trägt die erste Erweiterung durch
die Szene der Vorhölle durchaus ernsten Charakter. Sie entbehrt
noch jeder Art der Komik. Denn da ja der mittelalterliche Mensch
an die Existenz des Teufels glaubte, so enthielt für ihn dessen Er-
scheinen an und für sich nichts Komisches. Seine Wirklichkeit wurde
nicht in Zweifel gezogen, denn die Überzeugung des Mittelalters,
daß jeder bösen Tat, jedem schädlichen Ereignis das persönliche
Wirken des bösen Prinzips zugrunde liege, forderte direkt die Ver-
körperlichung des Bösen. Auch hier wieder ist die Tendenz des
geistlichen Schauspiels wirksam, alle religiösen Glaubensvorstellungen
sinnlich zu veranschaulichen. Durch die greifbar wirkliche Darstellung
überzeugt, konnten dann erst die mittelalterlichen Menschen mit In-
brunst beten: Erlöse uns von allem Übel. Die Teufelsfigur auf der
mittelalterlichen Bühne ist daher auch nicht einfach als Herübernahme
heidnischer Vorstellungen ins Christliche zu deuten, obwohl unleugbar
heidnische Anklänge in ihr vorhanden sind. Als Ganzes und in ihrem
Wesentlichen ist sie durchaus ein Kind mittelalterlicher Phantasie
und ist als solches auch traditionelle Figur geworden.
Die Forderung Schillers, der Komöde habe ,,die moralische Ten-
denz seines Stoffes durch die Behandlung zu überwinden", hat aber
auch bereits der mittelalterliche Dramatiker erfüllt, indem er Tugend
als Weisheit, Laster als Torheit betrachtete, indem er also sittliche
Werte, ob positive oder negative, intellektualisierte. Darauf führt be-
reits Weinhold in seinem Aufsatze „Das Komische im altdeutschen
Schauspiel" (in Gosches Jahrbuch) die eigentümliche Behandlung des
Teufels als Lustigmacher zurück, obwohl man sich vor ihm fürchtete.
Da auf diese Weise das Mittelalter selbst die Schwierigkeiten, die sich
einer dramatisch -komischen Auswertung des Teufels als des sittlich
bösen Prinzips entgegenstellten, überwunden hatte, so nahmen die ur-
sprünglich durchaus ernst gestalteten Teufelsszenen auch bald komi-
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Teufelsspiel. 23
sehen Charakter an. Die Mimenspäße der Spielleute und Vaganten
machten sich an den dankbaren Stoff und bewirkten bald seine große
Ausweitung durch Zusätze aller Art. Man freut sich an dem Sieg
der Weisheit über die Torheit, wie stets der Kluge das Volk für sich
hat, wenn er den Dummen seine Überlegenheit fühlen läßt. Die
Rolle des Tölpels ist von jeher eine dankbare Rolle, das allgemeine
Lachen zu erregen. Nicht umsonst tragen die komischen Figuren auf
der Bühne, im Kasperletheater oder im Zirkus bis auf heute mit Vor-
liebe die Züge des Dummkopfs. Und der mittelalterliche Zuschauer,
der im täglichen Leben sich doch ganz gewaltig vor dem bösen Teufel
fürchtete, freute sich um so mehr, wenn er ihn nun als komisches Ob-
jekt, als geprellten Betrüger auf der Schaubühne aus Herzenslust aus-
lachen und verlachen konnte. Auch hier ist die Schadenfreude die
reinste Freude.
Die Teufelsszenen nehmen somit immer breiteren Raum ein und
werden nun mit dem ganzen höllischen Apparat ausgestattet, den
die naive mittelalterliche Vorstellungsweise mit dem Worte Teufel
verknüpft. Die Hölle auf der mittelalterlichen Bühne ist ein ab-
geschlossener Raum, in dem stets ein wüstes Lärmen und Schreien
der Teufelsbewohner wie der von ihnen gemarterten Seelen, ver-
bunden mit einem Rasseln von Kesseln und Ketten ertönt, und
aus dem Qualm und Rauch als Höllenschwaden hervordringen. Die
Teufel springen von Zeit zu Zeit aus ihrem Höllenrachen hervor
oder zeigen sich doch an dessen Eingang, um mit ihrer schwarzen
Bemalung und ihren grotesk-fürchterlichen Kostümen die Zuschauer
teils in Schrecken, teils in Heiterkeit zu versetzen. Die grotesken
Teufelsgestalten der mittelalterlichen Bühne sind uns ja durch die Dar-
stellungen mittelalterlicher Gemälde bekannt. Wenn wir uns auf diese
verlassen dürfen, obwohl die Maler bei aller Abhängigkeit von den mit
eigenen Augen gesehenen Teufelsschaustellungen gerade hier auch ihre
eigene Phantasie haben reichlich walten lassen, so sind sogar nackte
Teufel mit obszönsten Attributen aufgetreten. Jedenfalls waren diese
Teufelsgestalten höchst grotesk, wie überhaupt das Groteske in jenen
Zeiten viel stärker entwickelt war als in unseren heutigen rationalistisch-
gesitteten Zeiten. Daß derartige Vorstellungen sich bei dem Volke
großer Beliebtheit erfreuten, kann uns wohl kaum verwundern. Im
Kasperletheater leben sie ja heute noch fort. Und daß sie auch auf
der geistlichen Volksbühne bis in die moderne Zeit hinein fortlebten,
zeigt uns ein von Pichler im „Drama des Mittelalters in Tirol" abge-
druckter Bericht, worin der Dechant in einer Eingabe an das k. k.
Kreisamt zu Schwatz vom i8. September 1816 meint, die leidenschaft-
liche Schauspiellust mancher Gemeinde auf dem Lande könnte von
selbst erlöschen, wenn man die religiösen Theaterstücke von den
Teufelsszenen reinige. König Maximilian hielt es ja auch für nötig,
181 1 den Teufel aus dem Oberammergau er Passionsspiel zu verbannen.
24
Mittelalter: Geistliche Komödien.
Ein stärkerer Beweis für die Beliebtheit der Teufelsszenen bis ins
19. Jahrhundert hinein ist wohl nicht zu geben.
Es ist damit wohl verständlich, daß die Komik sich frühzeitig des
Teufelsstofifes zu ihrer Betätigung bemächtigte. Am frühesten er-
blicken wir die Teufelsszenen in dem Wiener Osterspiel des 13. Jahr-
hunderts. Die vollendetste Gestalt aber in dieser Richtung hat wieder-
um das bereits seiner künstlerischen Form wegen hervorgehobene
Redentiner Osterspiel. Wir besitzen einen Abdruck sowohl in Mones
„Schauspielen des Mittelalters" als auch in der dankenswerten Ausgabe
Fronings „Das Drama des Mittelalters" in Kürschners Deutscher
Nationalliteratur. Nachdem die Altväter in der Vorhölle das Kommen
Jesu begrüßt haben, ruft Luzifer seine Gesellen zusammen. Die
Komik besteht in der Angst Luzifers vor Jesus, den Satanas glaubte
für die Hölle einfangen zu können. Doch ist die Komik nicht ob-
jektiv, sondern nur subjektiv in dem Bewußtsein der wissenden Zu-
schauer, daß diese sich so klug dünkenden Teufel eben doch Toren
sind, denen all ihre Schläue Jesus gegenüber nichts nützen wird.
Auf diese Einleitung folgt dann die Erscheinungsszene Jesu. Mit
Macht werden die Höllenriegel gesprengt, Luzifer in Ketten ge-
legt und die Altväter befreit. Der letzte, der die Hölle verläßt,
ist Johannes der Täufer, der auch der letzte war, der in sie ge-
kommen ist. Dieser Johannesgestalt wird auch ein etwas komischer
Anstrich gegeben, wohl schon auf Grund des biblischen Berichtes,
daß er in der Wüste sich von wildem Honig nährte und sich mit
Kamelhaaren kleidete. Er wird daher auch auf der Bühne mit einem
rauhen Fell dargestellt. Die Teufel Tutevillus und Satanas wollen ihn
festhalten, doch er wehrt sie derb und handgreiflich ab. Damit sind
die Teufel nun allein in der Hölle, und Puck schilt seinen Meister
und Herrn gewaltig ob seiner Schwäche aus, und höhnisch fügt er
hinzu, es sei ja wohl auch recht, daß der Herr aus weichem Erlen-
holz den Knecht aus hartem Eichenholz bezwinge. Wir können
es uns leicht vorstellen, mit welcher Schadenfreude die sich im Innern
doch vor dem Teufel fürchtenden Zuschauer zuhörten, wenn sein
eigener Unterteufel seine Schwäche verhöhnt und ihn ausschmäht, und
wenn der doch sonst so mächtige Luzifer nichts als ohnmächtige
Klagen über den gewalttätigen Jesus zu äußern weiß.
Der letzte Vers in Luzifers Klage ist bereits die Vordeutung auf die
am Schlüsse des Osterspiels angehängten Teufelsszenen, worin Luzifer
der Rächer aller Sündentaten ist. Damit kommen wir erst zum eigent-
lichen Teufelsspiel. Was wir bisher gehört haben, ist nur Beiwerk zu
Christi Höllenfahrt. Durch die Befreiung der Seelen ist aber nun die Hölle
leer geworden, ihre Neufüllung bildet die Grundlage der Handlung vom
eigentlichen Teufelsspiel. Es besteht aus verschiedenen Szenen: Lu-
zifer beruft die Teufel zusammen, Teufelrevue, Aussendung der Teufel,
Gerichtssitzung über die herbeigeführten Seelen. Schon Mone hat in
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Teufelsspiel. 25
diesem Spiele zwei Seiten der Komik gesehen : i . die angemaßte Klug-
heit des Teufels wird zuschanden (Satanas), 2. die Standessatire,
worin die Teufelskomödie wieder Menschenkomödie wird.
Die Verknüpfung dieser Teufelsspiele mit dem Handlungsverlauf
der Oster- und Passionsspiele ist verschiedener Art. In den Oster-
spielen selbst sind sie die Folgen der Höllenfahrt Christi, in den
weit ausgedehnten Passionsspielen, die am liebsten das ganze neue
und alte Testament in tagelangen Aufführungen dramatisch darstellen
möchten, sind sie die Folge des Sündenfalls von Adam und Eva. In
letzteren ist der Teufel das Symbol der dadurch in die Welt gekommenen
Erbsünde und zugleich ihr Rächer. Oder aber die Teufelsspiele stehen
ausschließlich auf dem Boden des neuen Testaments und fügen sich in
das mit Christus begonnene Erlösungswerk ein, indem sie das retar-
dierende Moment der Handlung darstellen. Dementsprechend ist ihre
Stellung innerhalb des Handlungsablaufs ganz verschieden in ver-
schiedenen Spielen. Sie sind nicht nur Zwischenspiele, sondern
können auch, wie etwa im Alsfelder Passionsspiel, Vorspiel oder, wie
im Redentiner Osterspiel, Nachspiel sein. Der äußere Anlaß der
Teufelsspiele ist die Vorliebe des Volkes für Teufeleien und die
Stillung dieser Teufelslust durch die Spielleute und fahrenden Kle-
riker. Es ist ein Vorherrschen des Theaters gegenüber dem Drama,
Schaustellung gegenüber Darstellung. Dies rein theatralische, un-
dramatische Gepräge der Teufelsspiele führt bis zur Überschreitung
der Bühnengrenzen, indem im Verlaufe der Vorstellung gelegentlich
die Teufel unter die Zuschauer springen, um einzelne, die vielleicht
sich als Ruhestörer benommen haben, auf die Bühne zu schleppen
und dort in den Höllenrachen zu werfen.
Die für das Drama lebensnotwendige Illusion ist dadurch unter-
brochen zugunsten von Theaterefifekten. Es ist uns heute schwer, an
die Illusionswirkung der mittelalterhchen Bühne zu glauben, wo wir
weder Nacheinander der Örtlichkeiten im Handlungsablauf durch natu-
ralistischen Bühnenbildwechsel noch Neutralisation der Örtlichkeiten
durch Idealbild erleben. Die mittelalterliche Bühne zeigt sämtliche
im Handlungsablauf vorkommenden Örtlichkeiten von Anfang bis zu
Ende des Spiels nebeneinander auf der Bühne, und in den meisten
Fällen sind auch die Schauspieler von vornherein alle an ihren Plätzen
durch die ganze Vorstellung hindurch. Der Zuschauer ist wirklich '^
Zeuge, wie der einzelne vom Himmel durch die Welt zur Hölle ge- |
langt; Himmel, Welt und HöUe liegen nebeneinander auf der Bühne
vor seinen Augen. Von objektiver Illusionsursache kann dabei keine
Rede sein. Die Illusion des mittelalterlichen Schauspiels ist rein
subjektiv in den Zuschauern selbst begründet, in ihrer gläubigen Über-
zeugung, daß die dargestellten Dinge wirklich so verlaufen sind und
so verlaufen, denn sie sind, wenn auch keine Erfahrungstatsachen,
so doch, was von viel größerer Wahrheit ist: Glaubenstatsachen.
20 Mittelalter: Geistliche Komödien.
Schließlich hat auch hier das Augustinische Wort Geltung: Credo,
quia absurdum est.
Doch der Glaube der Zuschauer an das Dargestellte ist nicht etwa
ein Hinderungsgrund der komischen Wirkung. Die Komik der Teufels-
spiele beruht in dem Kontrast zwischen dem Wollen und Können der
Teufel. Doch wird der Kontrast erst dadurch komisch, daß dem objek-
tiven Streben der Teufel gleichzeitig das subjektive Wissen der Zu-
schauer von dessen Erfolglosigkeit entspricht. Die Komik ist also
verursacht durch den angeschauten Versuch am untauglichen Objekt.
Und deshalb ist der Glaube der Zuschauer an die Wirklichkeits-
existenz der Teufel nicht etwa hindernd für das Komische, sondern
fördernd. Gerade weil die Zuschauer an die Macht des Bösen glauben,
so fassen sie die Worte der Teufel nicht als offenbare Lüge und Unmög-
lichkeit auf, sondern im Augenblick des Sehens und Hörens glauben sie
an deren Möglichkeit, an deren Ausführbarkeit. Aber sofort wird dieser
Bewußtseinsinhalt durch die größere Sicherheit der Heilswahrheit über-
wunden. Die Befürchtung schlägt im Entstehen um in die heitere
Gewißheit des Unbegründeten. Dieser plötzliche Umschlag in statu
nascendi der Furcht in Sicherheit ist die komische Kontrastwirkung
der Teufelsdarstellungen. Da diese Komik aber zu ihrem Entstehen
die Überzeugung von vorausbestimmten göttlichen Werten voraus-
setzt, so ist sie Weltanschauungskomik. Weltanschauungskomik aber
ist Humor. Das Teufelsspiel ist seinem Grundcharakter gemäß also
humorisch.
Darin liegt ein Gegensatz zu dem Quacksalberspiel und dem Ritter-
spiel. Diese beiden Urkomödien sind realistische Abbilder eines Aus-
schnitts aus der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Nach unserer Unter-
scheidung der beiden Hauptkomödienarten in Schwank und Lustspiel
sind sie also Schwanke. Sie beruhen auf objektiver Komik, wobei
auch Wortwitze, die als solche natürlich nur in dem subjektiven Zu-
hörer durch intellektuelle Verknüpfung komisch wirken können, dazu
rechnen, denn sie beruhen ja auf Wahrnehmung. Wir können also
den Schwank weiter bestimmen, daß seine Komik objektiver Art ist.
Das Teufelsspiel rechnet mit Komik subjektiver Art. Die von ihm
bewirkte Komik beruht nicht nur auf Sehen oder Hören, nicht nur
auf Bewußtseinsinhalten, die durch Wahrnehmung des Dargestellten
entstanden sind, sondern auf Bewußtseinsinhalten, die unabhängig
von der Darstellung, ja unabhängig von allem durch die Sinne Wahr-
nehmbaren im Zuschauer vorhanden sind als Glaubenstatsachen,
Subjektive weltanschauliche Komik oder Humor ist also die Grund-
lage des Teufelsspiels und läßt es uns daher nicht zu den Schwänken,
sondern zu den Lustspielen rechnen. Es ist das Urlustspiel.
Damit ist aber nicht gesagt, daß es keine objektive Komik enthalte.
Alles bisher über die Teufelsdarstellungen auf der mittelalterlichen
Bühne Erwähnte beweist gerade das Gegenteil. Es sind starke und
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Teufelsspiel. 27
ausgebreitete Schwankelemente im Teufelsspiel wirksam. Es gibt über-
haupt bis auf die heutige Zeit kaum ein Lustspiel, das sich nicht der
Schwankkomik bedient, um das Lachen zu erregen. Selbst in den
„Meistersingern" finden wir sie wirksam, ich erinnere nur an die nächt-
liche Prügelszene.
Auf Grund dieser allgemeinen Charakteristik des Teufelsspiels als
humorischem Lustspiel mit starken Schwankbeimischungen betrachten
wir zunächst das Vorkommen der Teufelsfigur im Alsfelder Passions-
spiel. Dieses ist die Veranschaulichung des Lebens und Leidens Christi.
Die Darstellung der Leiden Christi erfordert aber den Hinweis auf
den Urheber des Leidens, wie des Leids der Menschheit überhaupt.
Das ist der Teufel. Die höllischen Kräfte sind im Widerstreit mit
der himmlischen Macht und suchen sie zu verderben, suchen das
Elend aller Menschen zu bewirken und deshalb ihre Erlösung durch
den Herrn zu hintertreiben. Die Teufel sind daher in dem vorliegenden
Spiel das retardierende Moment, Ihre Bedeutung wird dadurch betont,
daß der Eingang des Spiels nach dessen Ankündigung sofort die
Teufel in den Mittelpunkt stellt. Wir sehen auf der Bühne die
richtige Teufelsrevue:
„Luciper ascendit doleum et dicit:
Woil her, woil her uß der hellen, (dus uch die ridde muß schiddenl)
Sathanas und alle dyne gesellen 1 und losset mich nit alleyn stan,
kommet zu mer, er hellerodden willet er anders den Ion von mer honn I
Et tunc omnes dyaboli circueunt doleum corisando et cantando :
Lucifer in dem throne, ryngelyn ryss [
der was eyn engel schone, ryngelin ryss 1" v. 133 — 190.
Wir sehen, das Teufelsspiel setzt mit bewußter Heiterkeit ein. Doch
sofort schließt sich die ernste Note an, indem Luzifer die Klage über
seinen durch Hochmut herbeigeführten Fall ertönen läßt. Damit rückt
das Teufelsspiel aus dem Rahmen der Schwankkomik heraus und betont
das Weltanschauungsmotiv, wodurch es zum Lustspiel wird. Doch
die Gemüter der Zuschauer sollen nicht zu ernst gestimmt werden,
deshalb fällt sogleich wieder die groteske objektive Komik ein, indem
die Teufel sich auf den predigenden Höllenfürsten stürzen und ihn
verprügeln. Und nun offenbart er das Motiv des Gegenspiels im
Drama :
,,Nu radet, lieben frunde und knecht, wie mer dit dingk griffen an,
(das thut er als wol mit recht 1) das uns der zeuberer Jhesus nit entga".
V. 175 — 178-
Damit ist die Teufelsrevue eröffnet. Einer nach dem andern der
Unterteufel tritt hervor und bringt seinen Rat an. Der erste und
klügste ist Sathanas. Er ist der eigentliche Stellvertreter Luzifers auf
Erden. Er hat auch bereits einen Plan, wie er mit Hilfe des Judas
Jesus vernichten will, ja er hat bereits große Vorarbeit dazu geleistet.
Alle, wie sie nun hervortreten, erhalten für ihren Eifer den höllischen
28 Mittelalter: Geistliche Komödien.
Lohn. Die Zuschauer sehen so mit Augen das höllische Gegenspiel
zu dem himmlischen Reich. Nach Sathanas treten auf Bone, Milach,
Natyr, Rosenkrancz, Raffenzaun, Binckenbangk. In weiteren Über-
arbeitungen tritt dazu noch eine ganze Reihe anderer Teufel, wie:
Spiegelglantz, Kreutzlyun, Federwysch, Beltzbugk, Astorodt, Berith,
Belial, Schorbrandt, Hehhundt, Schoppenstuch, Machdantz, Zegen-
bart, Leviathan, Hellegruck, des Teufels Großmutter. Nach diesem
Teufelsreigen, dessen allmähliche zahlenmäßige Erweiterung deutlich
die wachsende Freude des Volkes daran offenbart, ziehen alle Teufel
unter Anführung Luzifers mit Gesang in die Hölle.
Damit ist die Teufelsrevue beendet. Der Teufel ist darin nicht
so sehr als Rächer begangener Sünden, als wie als Anstifter der
Sünden, als böses Prinzip dargestellt. Wie dieses im einzelnen wirkt,
zeigt die folgende Spielentwicklung, die eigentlich aus einer Anein-
anderreihung selbständiger Szenengruppen besteht.
, . e) Täuferspiel.
Zunächst das Täuferspiel, worin Johannes der Täufer als Vorläufer
Jesu im Mittelpunkte steht. Diese Szenengruppe ist überaus geschickt
in der dramatischen Entwicklung aufgebaut. Sie verdiente wohl auch
heute noch aufgeführt zu werden.
Wir haben in dem Täuferspiel ein vollendetes kleines Lustspiel
vor uns. Das Gute triumphiert, das Böse wird bestraft. Der Unter-
gang des Täufers, der in der Ausübung seiner heiligen Berufspflicht
stürzt, also in der Befolgung einer göttlichen Idee durch den Wider-
streit mit dem in der Menschheit wirkenden teuflischen Prinzip sein
eigenes Leben zerstört, ist tragisch. Doch mit weisem Bedacht ist
diese tragische Wirkung aufgehoben durch die Versicherung seines
ewigen Lebens. Die Stimmung der Zuschauer wird noch weiter durch
die komischen Schwankelemente in ihrem Heiterkeitscharakter bestärkt;
hierzu rechnen auch die beiden Schergen Quancz und Sreddel, die
wie Urtypen der Polizisten in Shakespeares Falstaffszenen anmuten.
Der sittliche Ernst, der das Stück durchzieht, und der in der gläubigen
Weltanschauung seine Grundlage hat, verhindert aber eine possen-
hafte Wirkung. Es ertönt als Gesamterfolg kein lautes Lachen, sondern
das in der Sicherheit gefestigter Weltanschauung herrschende humo-
rische Lächeln wird geweckt.
Die dramaturgische Funktion der vorausgehenden Teufelsrevue in
bezug auf dieses und die folgenden Spiele ist etwa zu vergleichen
mit der von Wallensteins Lager in der Wallenstein -Trilogie. Es er-
übrigt sich, alle Szenen und Szenengruppen zu betrachten, in denen
der Teufel, das Prinzip des Bösen, eine Rolle spielt. Der innere
dramatische Konflikt ist stets auf den christlichen Dualismus von Gut
und Böse, Himmel und Hölle, Gott und Teufel gestellt. Nur eine
Szenengruppe soll hier noch besprochen werden, weil sie zu großer
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Täuferspiel. Magdalenenspiel. 29
Bedeutung im Mittelalter gelangte, weil in ihr das volkstümliche Ele-
ment besonders stark vordrängte: das Magdalenenspiel.
f) Magdalenenspiel.
Maria Magdalena verkörpert die weltliche Sinnlichkeit. Hinter ihr
steht Luzifer mit seinen Gesellen, der sie durch Lebensgenuß dem
himmlischen Reich abtrünnig machen und für die Hölle gewinnen
will. Auf der anderen Seite steht die warnende Schwester Martha, die
die himmlische Macht vertritt. Wir erleben also den Kampf des guten
und bösen Prinzips um eine Seele, wie es uns allen aus zahlreichen
Beispielen der Dichtung bekannt ist. Dieser Kampf der beiden ent-
gegengesetzten Mächte um die menschliche Seele wird besonders ver-
anschaulicht, wenn Martha ihre Schwester zu belehren versucht und
Luzifer sie auf der anderen Seite zu verführen bestrebt ist. Die
Szenengruppe erhält frische, lebenswarme Farben durch die Einflüsse
der Dorfpoesie, worin die Freude an sinnlicher Realistik sich kund-
gibt. Diese ist vor allem wirksam in dem fest in literarischer Tradition
stehenden Mantellied Magdalenens, einer Art Mädchenbeichte ihrer
Mutter gegenüber über eine Liebesstunde im Felde. Die sinnenfrohe
Lebenslust Magdalenens, ihre Freude am Spiel, Tanz und Liebes-
genuß ist mit derben Farben gemalt. Die Parallele mit der Garten-
szene in Goethes Faust drängt sich dabei auf, wenn wir sehen, wie
in ihrem Schäferstündchen zwei Paare einander gegenübergestellt
sind: Magdalene und ihr Liebhaber auf der einen Seite, ihre Magd
und der Teufel auf der anderen. Um in unserem Spiel das gute
frohe Ende herbeizuführen, wird die Gestalt des Heilands eingeführt,
der die Bekehrung der schönen Sünderin bewirkt. Wiederum haben
wir also ein geschlossenes Spiel im Spiel, das wir ebenfalls wie das
Teufelsspiel ein Lustspiel nennen dürfen; ohne Schwank zu sein be-
dient es sich doch dessen Komikmittel im Dienste seines Hauptziels,
humorische Heiterkeit zu erregen.
Es ist auch wieder lateinischen Ursprungs, sein Thema: „Es wird ihr
viel vergeben, denn sie hat viel geliebt" wird ja auch noch in manchen
Magdalenenszenen lateinisch gesungen. Schon in einem der ältesten
Passionsspiele, dem Benediktbeurer, ist das Magdalenenspiel mit allen
charakteristischen Zügen ausgeführt. Es läßt sich an dieser Form wie
an den später davon abgeleiteten gut zeigen, wie für die weltlichen
Züge der Dichtung vor allem die Volks- und Dorfpoesie herangezogen
wird, für die geistlichen Züge, wie die Klage der Bekehrten über ihre
Sündhaftigkeit, die Bildungspoesie, die geistliche Dichtung, die Marien-
klagen. Am konsequentesten ausgearbeitet ist das Magdalenenspiel
in der Form, wie es in dem IV. Erlauer Spiel vorliegt: ludus Mariae
Magdalenae in gaudio. Gegenüber der im Alsfelder Passionsspiel
überlieferten Form tritt hier eine Erweiterung hinzu, die mir deutlich
auf den Mimus zu weisen scheint. Die Figur der Kupplerin tritt auf,
ßO Mittelalter: Geistliche Komödien.
an welche sich der Liebhaber zunächst um Vermittlung wendet, und
die gegen klingenden Lohn bereit ist, ihn mit dem Ziel seiner Wünsche
zusammenzubringen. Einzelne Züge erinnern uns an die Elegien-
komödie, vor allem an die von Creizenach so benannte „Baucis"; u. a.
der Zug, daß die Magd Magdalena bestimmt, sich zu schmücken, sich
Schminke zu kaufen, wobei diese Stelle die Brücke zur Salbenkrämer-
szene bildet. Im Gegensatz zu den anderen Überlieferungen zeigt sich
Magdalena hier zuerst spröde. Sie begehrt kein Silber und Gold, sie
begehrt wahre Liebe. Auch als der Freier sich ihr selbst nähert, hat
sie zunächst nur Hohn für seine Liebesglut. Ein glücklicher Zug des
Erlauer Spiels, das sonst durch allerlei Wiederholungen an Wert ein-
büßt, ist, daß Magdalena gerade im bewußten Gegensatz zur warnenden
Schwester sich mit dem Liebhaber einläßt. Hierin zeigt sich psycho-
logischesVerständnis des Dichters. Doch wird dieser Zug nicht weiter aus-
geführt. Es bleibt bei neckischem Wechselgesang zwischen Magdalena
und ihrem Liebhaber. Dieser Wechselgesang ist stark an die Minne-
dichtung angelehnt und zeigt wiederum, wie die weltliche Poesie in
die geistliche eindrang. Gelegentlich geht sie ins derb Sexuelle über,
wenigstens scheinen mir die Strophen über die Griffelschreiber nicht
nur auf einen Schreiber als begünstigten Liebhaber hinzuweisen. Der
Wechselgesang endet, indem der Buhler die höhnende Schöne mit
dem Schwerte bestrafen will. Darauf setzt wieder ein Bekehrungs-
versuch Marthas ein, der diesmal von Erfolg gekrönt ist und den
Schluß herbeiführt. Auch hier wieder mag eine psychologische Über-
legung des Dichters zugrunde liegen, daß die durch die Drohung
geängstigte Magdalena in ihrer Furcht nun um so eher geneigt ist,
ihrem weltlichen Treiben, das solche leiblichen Gefahren mit sich
bringt, Valet zu sagen.
Das ganze Spiel ist durch die Gesangsform allerdings eher ein Sing-
spiel als ein Lustspiel. Aber auch hier sehen wir wieder, daß dichterische
Kunst innerhalb des geistlichen Schauspiels sich vor allem in den welt-
lichen, den komisch-humorischen Szenen betätigt. Daß das Wesen alles
dramatischen Geschehens Spannung ist, hat der Dichter der Magda-
lenenspiele rechtzeitig erkannt. Die Spannung ist erregt durch die Zweifel
im Zuschauer: wird Magdalena sich ihrem weltlichen Treiben überlassen,
oder wird sie sich zum Besseren wenden. Die letztere Entscheidung
ist für den gläubigen Zuschauer lusthaltig. Marthas Warnung arbeitet in
dieser Richtung. Ihre Wiederholung steigert daher die erregte Spannung.
Das eben besprochene Erlauer Spiel beschäftigt uns aber noch
weiter durch seine Verknüpfung mit dem Teufelsspiel. Es besteht aus
zwei deutlich getrennten Teilen: dem Teufelsspiel und dem Magda-
lenenspiel. Der Zusammenhang beider ist durch die Tradition ge-
geben, die Tradition selber mag begründet sein in dem Evangelien-
bericht, daß Jesus der Magdalena sieben Teufel ausgetrieben habe,
Marc. i6, 9, „Maria Magdalena de qua eiecerat septem daemonia".
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele : Teufels- und Sünderspiel. 3 1
g) Teufels- und Sünderspiel.
Das Teufelsspiel selbst besteht ebenfalls aus zwei Teilen: einer
Teufelsrevue und einer Sünderrevue. In der Teufelsrevue preisen die
Unterteufel Sathanas, Astaroth, Tutivill, Rosenchranz, Lasterpalkch,
Nothir ihrem Herrn ihre Tätigkeit an, Luzifer endet diesen Teufels-
reigen mit der höllischen Beschwörungsformel:
„Jucafatus pratus, vultus chusultus, hanglangko langko, polfortus stortus,
spentus rimentus, horante corante, schygo ertrigo, räkus protäkus,
mulsus molsus, schibuntus truncus, propdesancus, ein teufel haißt lankusl"
V. 132 — 137.
und er schließt daran die Aufforderung an seine Gesellen, auszufahren
und ihm Seelen herbeizuführen. Die teuflische Beschwörungsformel
ist ein unverständliches Kauderwelsch, wie wir es heutzutage noch
in volkstümlichen Zauberformeln, Hokuspokus usw., beliebt und ver-
breitet finden, und wie wir es in dem parodistischen Judengesang
kennenlernten.
Nach Luzifers Aufforderung schwärmen die Teufel sofort auf den
Seelenfang aus, und ohne weitere Unterbrechung beginnt der Sünder-
reigen. Dies war auf der mittelalterlichen Bühne des Nebeneinanders
ohne weiteres begreiflich. Die Teufel brauchten nur ihren Höllen-
standort zu verlassen und waren damit sofort in der Menschenwelt.
Die örtliche und zeitliche Koexistenz machte weitere Begründung über-
flüssig, wenn wir uns auch vorstellen mögen, daß die Teufel zunächst
mal ihre grotesken Sprünge zur Belustigung des Volkes vorführten,
bevor sie ihr erstes Opfer vor Luzifer schleppten.
Ebenso wie die Teufelsrevue ist der Sünderreigen ohne jede drama-
tische Steigerung, ohne jeden dramaturgischen Aufbau. Am meisten
erinnert er an die im Mittelalter so beliebten Totentänze, wobei eben-
falls das Grundmotiv ist, daß keinerlei Stand vor dem Tode schützt.
Dem inneren Zwecke nach ist damit eine Standessatire verknüpft.
Satire, um Allgemeinwert zu besitzen, muß stets typisch sein. Außer-
dem ist die Kunst mittelalterlicher Dramatik noch nicht so weit ent-
wickelt — sie zielt auch gar nicht dahin — , um Einzelpersönlichkeiten
in frischen Lebensfarben vor uns erstehen zu lassen. Sei es nun
psychologisches Verständnis für das Wesen der Satire, oder sei es
künstlerische Unfähigkeit in der Menschengestaltung, jedenfalls werden
keine Individuen vorgeführt, sondern Standes Vertreter, Standestypen.
Es erklären daher die nacheinander vorgeführten Seelen ganz unindi-
viduell: Herr, ich pin ein sneider, ein schuster, ein rauber, ein pekch,
ein leutgeb, und beichten sodann, wie sie in der Ausübung ihres Hand-
werks die Leute betrogen haben. Luzifer, der Gerichtsherr, verdammt
sie darauf zu entsprechenden HöUenstrafen. Abwechslung kommt in
diese Gleichförmigkeit, wenn die Schüler, Schreiber und die Dirne
auftreten. Letztere läßt Luzifer laufen, weil sie ihr sündliches Treiben
„durch hübscher chnaben willen getan" hat und durch ihren weiteren
32
Mittelalter: Geistliche Komödien.
Lebenswandel in dieser Richtung verspricht, noch mehr Seelen der
Hölle zu überliefern. Schüler und Schreiber kommen frei, weil sie
in ihrer Durchtriebenheit und SinnUchkeit selbst vor des Teufels Mutter
nicht haltmachen würden; „sie würden mir prüeder machen an der
muter mein", deshalb will Luzifer sie nicht in der Hölle haben. Wir
sehen, die Geistlichen und Gelehrten sind selbst dem Teufel zu schlecht.
Diese bittere Satire, in der natürlich wieder sexuelle Komik Gelegen-
heit hat, sich in derbster Weise auszutoben, kann nicht von einem
Mönche oder einem in Amtswürde stehenden Geistlichen stammen;
dagegen wäre sie von den Spielleuten und Vaganten wohl zu erwarten.
Die selbstbewußte Ironie ist einem der fahrenden Geistlichen, der
Scholaren zuzutrauen; er wird auch mit dem Teufel fertig und ruft
ihm spöttisch zu:
„Da mit so lauff ich enwekch,
her teufl, habt euch mein drekchl"
Damit ist das Teufelsspiel beendet, das bereits betrachtete Magda-
lenenspiel beginnt. Weiter ausgestaltet und künstlerisch vollendeter
ist das Teufelsspiel in dem Redentiner Osterspiel, als Nachspiel der
Auferstehung angehängt. Sein Inhalt ist in dem Nachwort des ganzen
Spiels durch den Conclusor gegeben:
„Nu is US up dat leste en bylde gheven,
wo de lüde van allen ammeten werden to ter helle dreven:
dat enthe sik numment to hone,
men malk hebbe syner sunde schone 1
wente des arghen schut leyder mer unde vele,
wemme wol kan unde doer brynghen to speie
edder wemme kan beschryven". v. 2008 — 2014.
Hieraus erkennen wir, daß der Dichter bewußt den Charakter seines
Teufelsspiels auf die Standessatire einstellt, daß er dazu allgemeine
Typen und keinerlei bestimmt gezeichnete Individuen vorführen will.
Außerdem darf vielleicht aus diesen Schlußworten, jedenfalls aber aus
dem vorgeführten Spiele selbst, geschlossen werden, daß es dem Dichter
in erster Linie auf die Darstellung der Sündertypen ankommt und erst
dann auf die dadurch zu bewirkende Besserung der Zuschauer, wie
ja alle Satire ihrem inneren Wesen nach eine moralisch lehrhafte Ten-
denz in sich schließt. Wir dürfen daher in des Dichters Schaffen mehr
ästhetisches denn didaktisches Streben erblicken. Die lehrhafte Ten-
denz des mittelalterlichen Schauspielers im ganzen, die in der Ver-
anschaulichung der theoretischen Glaubensüberzeugungen beruht, wird
dadurch nicht beeinträchtigt. Der Dichter löst diese didaktische Ge-
samtaufgabe im einzelnen mit ästhetischen Mitteln. Im Redentiner
Teufelsspiel hat ein überlegener Geist den mittelalterlichen Teufels-
glauben dramatisch gestaltet, hier waltet echter Humor. Aber einen
eigentlichen dramatischen Aufbau besitzt das Spiel doch nicht. Es
fehlt der eigentliche Konflikt, der erst das Drama macht; es fehlt die
Komische Zwischenspiele der Oster- und Passionsspiele: Teufels- und Sünderspiel. 33
eigentliche Spannung, die auf Lösung wartet. Das Teufelsspiel ist
auch dramatisch nichts anderes als ein Reigen, ein Nacheinander
komischer Wirkungen. Was es aus der Primitivität des verbindungs-
losen Nebeneinander von Gleichwertigem heraushebt, ist die humor-
volle Weltanschauung, die das Ganze geschaffen und durchtränkt. In
Einzelheiten ist es dramaturgisch bedacht, als Ganzes hat es keine
Dramaturgie. Obwohl es wirkungsvoller ist als etwa das Täuferspiel,
so ist dieses doch dramaturgisch von größerer Bedeutung. Wenn wir
trotzdem das Redentiner Teufelsspiel, ästhetisch gewertet, für das
größere Kunstwerk erkennen, so liegt dies in der humorischen Ein-
heit, die geboren ist aus der christlichen Weltanschauung eines für
seine Zeit freien Menschen: Alles Menschliche und alles Teuflische
ist nur relativ gegenüber dem Absoluten des Himmels; ihre Wirklich-
keit ist unbestritten, aber die Wahrheit kommt doch nur dem Gött-
lichen zu.
Aus dieser Weltanschauungssicherheit heraus schafft der Dichter und
erzeugt mit dem Geschaffenen in seinen Zuschauern eben diese Welt-
anschauungssicherheit, diese aber ist eine lustbetonte Empfindung;
somit ist auch das Teufelsspiel ein echtes Lustspiel. Die Einheit des
Täuferspiels liegt in der Person, die Einheit des Teufelsspiels im
Geistigen. Doch um diese Einheit zu finden, um sie zu gestalten,
zur Wirkung zu bringen, brauchte das Teufelsspiel eine lange Ent-
wicklung. Vor dem Redentiner Spiel von 1464 gab es viele Teufels-
spiele. Wir haben gesehen, daß sie, rituellen Ursprungs, mit zu den
frühesten Erweiterungen des geistlichen Schauspiels gehören. Aber
zunächst bleiben sie humorische Posse. Lustspiel sind sie erst durch
den Dichter des Redentiner Spiels geworden, und es hieße sein Ver-
dienst kürzen, wenn wir nicht anerkennen wollten, daß wenigstens
der IL Teil mit der Person des Geistlichen im Mittelpunkt spannungs-
erregende dramaturgische Kunst aufweist. z
Damit haben wir die wichtigsten komischen Vor-, Zwischen- und
Nachspiele des geistlichen Schauspiels im Mittelalter betrachtet. Zu- /
sammenfassend können wir die beiden Grundrichtungen der Komödie
von Anfang an unterscheiden, und zwar auf der einen Seite die Posse : das
Quacksalberspiel und das Ritterspiel, auf der anderen Seite das Lust- ''~~^
spiel: das Täuferspiel und das Teufelsspiel. Das Magdalenenspiel ist /^
eher ein Singspiel zu nennen und steht als solches zwischen Posse ^^
und Lustspiel, wobei es aber deutlich dem letzteren zuneigt. Gerade
am Teufelsspiel haben wir beobachtet, daß der eingangs erwähnte
Unterschied zwischen beiden Komödienarten dem zwischen Volkskunst
und Bildungskunst nahekommt, ohne sich aber damit zu decken. Aus
allen Betrachtungen aber ergibt sich ein Hauptcharakteristikum als
unterscheidend zwischen Posse und Lustspiel: Die Posse zieht ihr
Lustgefühl aus dem Verlachen dargestellter Schwächen, das Lustspiel
ergötzt sich an der Bewährung dargestellter Kraft.
H o 1 1 , Lustspiel. t
:?
^A Mittelalter: Geistliche Komödien.
Außer den besprochenen Szenengruppen, die wir ihres Gesamt-
komödiencharakters wegen auswähhen, wären noch mancherlei andere
komische Einsprengunge zu betrachten, wie etwa die Gestalt des Juden
Rufus, die Schergen bei der Kreuzigung, Jesus vor Herodes. Doch
bleiben dies komische Einzelheiten, die sich nicht zu selbständigen
Komödien zusammenfinden.
3. KOMISCHE SZENEN DER WEIHNACHTS-
UND DREIKÖNIGSSPIELE.
Ähnlich wie die Oster- und Passionsspiele, über die wir Wirth wert-
volle Erhellung verdanken, entwickelten sich auch andere kirchliche
Liturgien zu dramatischen Gebilden. Vor allem trug die Weihnachts-
feier heiteren Charakter; sie ist als Lustspiel oder doch als lustiges
Spiel ausgestaltet worden. Eigentlich dramatischen Kampf Charakter
hat dieses nicht, statt auf Konflikt ist es auf Kontrast gestellt. Idealismus
und Materialismus, Supranaturalismus und Realismus sind in Maria
und Joseph verkörpert; Maria ist durchaus die Auserwählte des Himmels,
die reine Magd, die spätere Himmelskönigin; Joseph ist der Träger
des sogenannten gesunden Menschenverstandes, der irdische Mensch
mit seinen Trieben und Begierden. Dieser Gegensatz von Weltlichem
und Himmlischem durchzieht das ganze Spiel und bestimmt unter
reichlichem Zusatz von Elementen der Spielmannskomik, wie Streit-
und Prügelszenen, seinen Lustcharakter.
Verwandt mit den Weihnachtsspielen sind die Spiele des bethlehe-
mitischen Kindermordes und die Dreikönigsspiele. Deren Zentralgestalt
ist Herodes. Herodes ist der böse Mensch schlechthin, das teuf-
lische, böse Prinzip vermenschHcht. Er ist der Urvater der Bösewichter
in der Entwicklungsgeschichte des Dramas. Die Darstellung des Bösen
wirkt abschreckend, furchtbar, doch erst im Hinblick auf das von ihm
ausgehende Übel. Ist ihm die Möglichkeit des Tuns versagt, dann ist
er gleichsam seiner Kraft beraubt, er ist kastriert, und ein Eunuch,
der zeugen will, ist lächerlich. So bietet auch die Gestalt des Herodes
dem gläubigen Zuschauer des Mittelalters früh dankbare Gelegenheit
zur komischen Ausschmückung, da der gläubige Zuschauer weiß, daß
all die Machtmittel des großen weltlichen Herrn nichts gegen die himm-
Hsche Weisheit vermögen. Hierin kommt wieder die grundverschiedene
Einstellung des mittelalterlichen und neuzeitlichen Menschen auf die
Bühnenvorgänge in Betracht.
Weitere Veranlassung, komische Farben in das Herodesbild zu
mischen, fand der mittelalterliche Dichter durch sein Bestreben,
den Eindruck des Schrecklichen, den der Kindermörder auf die Zu-
schauer machen mußte, zu mildern. Also aus psychologischer Be-
rechnung. Die mittelalterliche Psychologie aber arbeitet ganz naiv mit
Kontrasten. Unmittelbar neben Dunkel wird Licht angesetzt, unmittel-
bar auf Tränen folgt Lachen. Dadurch wird die Entspannung herbei-
Komische Szenen der Weihnachts- und Dreikönigsspiele. Legendendramen. 35
geführt. Der Mörder, um nicht die Zuschauer durch die Wucht des
Schmerzes zu zermalmen, muß sich stellenweise komisch gebärden.
Die Jähe des Wechsels stört nicht, wenn nur der Wechsel selbst vor-
handen ist. Die Komik ist demnach nur Mittel zu dem Zweck, das traurige
Geschehen für die Fassungskraft der Zuschauer aufnehmbar zu ge-
stalten. Sie wird aber nicht Selbstzweck. Dazu ist der Inhalt und
Kern der Dreikönigsspiele mit dem blutigen Kindermord doch zu ernst.
So mag uns denn auch das II. Erlauer Spiel, der ludus trium magorum,
als Beispiel für die Dreikönigsspiele dienen; es ist durchaus ernst ge-
halten, besitzt aber komische Einsprenglinge, wie etwa die Gestalt eines
Narren. Wes Geistes Kind er ist, zeigt uns seine erste Rede:
„Tunc lappa dicit: der mir tat we in meinem magen,
Herr mir smirzt der mag, würd mir ein wurst in meinen chragen,
ez ist ze spat an dem tag, der möcht ich mich getrösten wol;
sam mir der jungist ta^:, und war dar zu süß weins vol,
wann ich nicht lenger gefasten mag; so würd mir di zung zu dem guem pachen,
ich wil den tisch dekchen, und ich wurd alz ein esel lachen.
mich möcht leicht ein hunger wekchen. Et sie imponant mensalia". v. 119 — 130.
Wir erkennen sofort den Narren als direkten Abkommen des Mimen,
der in der Welt seiner sinnlichen Triebe lebt, für den sein Bauch sein
Gott ist. In der Kindermordszene tritt der Narr wieder auf und be-
kennt sich als erbarmungslosen Kindermörder. In seinen Worten finden
wir keine Komik, sondern nur Roheit. Es verhindert dies aber nicht,
daß sein Gebärdenspiel dabei komisch-grotesk wirken sollte. Auch
sonst gewahren wir gerade in der gräßlichen Kindermordszene noch
komische Elemente, die dargestellt werden durch die Henkersknechte.
Es schlüpft dabei gelegentlich noch ein Zug der beliebten Mönchs-
satire ein:
„Wol da zu her, gesellen mein, das ist ains münichs gewesen,
ich han auch ain chindelein, zwar ich laß es nicht genesen", v. 339 — 342.
Im ganzen aber können wir dieses wie die anderen Dreikönigs-
spiele nicht als zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Lustspiels
gehörig betrachten. Ebensowenig brauchen wir die eschatologischen
Dramen unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Das nach dem
„Tegernseer Antichrist" bedeutendste dieser Weltuntergangsspiele, der
ludus von den klugen und törichten Jungfrauen etwa, enthält wohl
komische Beimischungen, die mit den Mitteln derber Realistik arbeiten;
sie verdichten sich aber nicht zur Selbständigkeit und beeinträchtigen
nicht den durchaus ernsten Charakter des Spiels.
4. LEGENDENDRAMEN.
Ergebnisreicher für unsere Zwecke sind die Legendendramen. Das
Märtyrerdrama der hl. Katharina enthält Teufelskomik, die mit den
altbewährten Mitteln der Teufelsdarstellung arbeitet. Nebenbei sei er-
wähnt, daß hier das antike Kreon- Antigonemotiv in christhchem Ge-
•55 Mittelalter: Geistliche Komödien.
wände auflebt, indem die Soldaten, die entgegen des Königs Befehl die
Leiche der verehrten Königin bestatten, zum Tode verurteilt werden. —
Das Drama des hl. Georg stellt komisch dar, wie ein altes Weib, das
dem Drachen geopfert werden soll — auch ein antikes, das Perseus-
motiv, — vorher vom Teufel geholt wird. Neben der Teufelskomik
blieb durchgängig beliebt die Judenkomik. Wir finden sie etwa im
Legendendrama von der Kreuzerfindung und Kreuzerhöhung, dann
in den Weltendespielen, den Antichristspielen. Die ganze Verach-
tung und der Haß, die das ausgehende Mittelalter den Juden gegen-
über zeigt, kommt darin zum Ausdruck. In beiden Fällen, in Teufels-
komik wie in Judenkomik, wirkt das Komische als eine Katharsis, eine
Reinigung von Leidenschaften, in einem Fall eine Befreiung von Furcht,
im anderen von Haß — wenn nicht etwa gerade der Haß noch mehr
aufgepeitscht und dadurch alle komische Lust zerstört wird.
Am künstlerisch wertvollsten ist die Teufels dramatik verwendet in
dem niederdeutschen Theophilusspiel, dem bedeutsamen Vorläufer des
Faustdramas. Unter diese Vorläufer zählt auch Schembergs Spiel von
der Päpstin Jutta, worin ebenfalls Ansätze realistischer Teufelskomik
sich finden. Dieses Spiel scheint mir überhaupt von humorischem
Geiste beseelt und der Lustspieldichtung nahe verwandt zu sein.
Sein Wiederentdecker und erster Herausgeber im 1 8. Jahrhundert ist
Gottsched, der es in seiner Sammlung „Nötiger Vorrath der deutschen
Dichtung" „das älteste tragische gedruckte deutsche Originalstück"
nennt. Keller, der erste große Sammler und Herausgeber deutscher
Fastnachtspiele (Bibliothek des Lit. Vereins in Stuttgart), reiht es aber
unter diese als Nr. iii und meint mit Recht, es stehe in der Mitte
zwischen den Mysterien und den Fastnachtschwänken.
Es ist allerdings im allgemeinen wohl zutreffend, daß, wenn im Laufe
des Spiels der Tod des Helden notwendigerweise herbeigeführt wird,
dann das vom Lustspiel zu bezweckende Lustgefühl an seiner Entstehung
verhindert wird. Doch wieder ist die Einstellung des neuzeitlichen
Menschen durchaus anders als die des mittelalterhchen Zuschauers.
Für diesen hat die jenseitige Welt dieselbe Wirklichkeit wie die dies-
seitige. Der diesseitige Tod — ganz abgesehen davon, daß er dem
Gläubigen eine Erlösung aus dem jammervollen irdischen Sündental
bedeutet — einer Persönlichkeit vernichtet diese daher nicht absolut,
sondern er ist für sie nur die Schwelle zu einem anderen, ebenso
wirklichen Leben. Tatsächlich behandelt unser vorliegendes Stück
auch seine ganze zweite Hälfte hindurch das Ergehen Juttas im Jen-
seits. Darin liegt der Grund, daß der Tod des Helden nicht unbedingt
lustzerstörend für den mittelalterlichen Zuschauer, der des Helden
Geschick mit Sympathiegefühlen begleitet hat, wirken muß. Es hängt
ganz von der Darstellung durch den Dichter ab, ob das humorische,
allerdings nicht possenhaft lachende, sondern ernst lächelnde Heiter-
keitsgefühl dem Zuschauer bewahrt bleibt, und dies ist der Fall in
Weltliche Komödien. Heidnisch-kultische Keime. 37
Schernbergs „Päpstin Jutta" trotz seiner formalen Ungewandtheit und
Schwerfälligkeit. Gleich der Theophiluslegende, auf die übrigens im
Texte selbst angespielt wird, enthält die „Päpstin Jutta" einen faustischen
Kern. Der Drang nach Klugheit und Ehre läßt Jutta im Einverständnis
mit dem Teufel die Welt betrügen. Als Mann verkleidet, erwirbt sie
die höchsten weltlichen Ehren und wird gar Papst. Da erreicht sie
die Strafe: als schwangeres Weib wird sie entlarvt. Ein wahrhaft
grandios grotesker Zug. Ihr Ende ist Höllenpein, woraus sie aber
auf Fürbitte Maria durch Christi Barmherzigkeit erlöst wird. So ist
das Ende durchaus versöhnlich, und das Lustgefühl des mittelalter- >s
liehen Zuschauers wird noch außerdem bestärkt durch die erfreuliche
Tatsache, daß die gefürchteten und gehaßten Teufel wieder einmal
gründlich um ihr Opfer geprellt sind.
III. WELTLICHE KOMÖDIEN.
I. HEIDNISCH-KULTISCHE KEIME.
Auch beim weltlichen Drama steht, wie beim geisdichen, eine Kult-
handlung am Anfang der Entwicklungsbahn, diesmal aber keine christ-
liche, sondern eine heidnische. Die Fastnachtfeier ist die Urquelle des
Fastnachtspiels. Diese Fastnachtfeier geht zurück auf ein heidnisches
Feldbestellungsfest. Um die Frühjahrsarbeit fruchtbar zu machen,
werden bestimmte Kultgebräuche vollzogen, von allem ein Umzug,
in dessen Mittelpunkt die Fruchtbarkeitsgottheit, umringt von anderen
Dämonen, auf einem Wagen thront. Es ist begreiflich, daß in christ-
licher Zeit dieser Wagen, der wohl ursprünglich ein Schiff der Dämonen
war — später dürfte sich daraus das Narrenschiff entwickelt haben — ,
bei dem Schempartlauf als Hölle bezeichnet wurde. Mit dem Umzug
waren heidnische Ritualien als natursymbolische Handlung verbunden,
die die ersehnte Fruchtbarkeit der Erde bewirken sollten: Tod und
Auferstehung des Fruchtbarkeitsgottes, Austragen des Winters, Ein-
bringen des Frühlings. Überbleibsel sind heute noch in Sommertags-
zügen zu erkennen. Eine alte Volkssitte in Deutschland ist es, den, >
Tod durch Lärm auszutreiben. Dieser Tod ist gleichzusetzen dem ^
Fastnachtbutz, einem bösen Geist, der verbrannt wird. i
Das Symbol aber der toten Natur, der widerwärtigen Geister, fordert ein
Gegensymbol. Der Kampf gegen das Todessymbol wird zum Kampf des
Lebens gegen den Tod, des Frühlings gegen den Winter, der Frucht-
barkeit gegen die Unfruchtbarkeit, der guten gegen böse Geister. So
gewinnt der Ritus frühzeitig aus bloßem Umzug dramatischen Kampf-
charakter. Dieses Kampfelement lebt im Fastnachtspiel fort, teils als
beliebte körperliche Prügelei, teils als Redekampf. In beiden Formen
muß das Schwächere besiegt werden, und dieser Sieg findet im Rede-
kampf seinen Ausdruck im Schluß, im Urteil. Diese Verurteilung be-
38 Mittelalter: Weltliche Komödien.
[ günstigt die Prozeßform, Klage und Verteidigung, Wechselrede mit
\ Urteilsziel. Ob nun ein Schwächeres durch ein Stärkeres mit körper-
y liehen oder geistigen Kräften in seiner Anmaßung zunichte gemacht
I wird, stets bietet der Vorgang ein Element der Komik. Diese haftet
/ für naive Zuschauer ebensosehr an der Prügelei wie, auch für ge-
/ bildetere, an der Dialektik. Beide Formen werden und bleiben daher
/ behebtes Requisit des Fastnachtspiels.
^ Das Wesen der frühjährlichen Kulthandlung berührt sich von vorn-
herein mit dem Lustspiel. Denn ihr Stimmungscharakter ist Heiterkeit über
den Abschied, Tod des Winters und den Einzug des Frühlings, Sieges-
freude über das überwundene Böse, Feindliche und fröhliche Hoff-
nung auf ein segenreiches kommendes Jahr. Ja, die Natursymbolik der
Fruchtbarkeitsfeier soll nicht nur Freude erregen, bedeuten, sie ist Freude
und Lust. Lust aber ist Bewegung, Bewegung im Raum, Bewegung in
der Zeit, Zeugung. Tanz und phallische Symbolik sind daher Haupt-
elemente des Fruchtbarkeitskults. Den Tanz mit phallischen Symbolen
können wir von der heidnischen Fruchtbarkeitsfeier nicht trennen. Ihr
Charakter ist mimisch -chorisch, und in der erwähnten Kampfform
verbindet sich mit dem Mimisch-Chorischen bereits das Dramatische.
Wohl alle Tänze naiver Naturvölker tragen solche mimisch-drama-
tische Keimzelle in sich. So berichtet uns bereits Tacitus von einem
, Schwerttanze der Germanen, und ein solcher wird uns in Nürnberg
V für 1350 als konzessierter ludus der Schempartläufer angeführt. Der
innere Zusammenhang der Schwerttänze, Morisgentänze und Frucht-
barkeitstänze ist ja längst festgestellt. Gerade in neuerer Zeit sind wir
uns wieder bewußt geworden, daß der Tanz mimischer Ausdruck ge-
steigerter Gefühlsbewegung ist. Diese Erkenntnis haben schon unsere
Vorväter unbewußt betätigt. Da sie noch in innigerem Zusammen-
hang mit der Natur lebten als wir, so war für sie der Jahreszeiten-
wechsel auch viel bedeutungsvoller. Unsere Frühlingslyrik ist nur
noch ein schwacher Nachhall von der Sehnsucht, mit der sie die
Wiederkehr des Lenzes erwarteten, von der Freude, mit der sie seine
Einkehr begrüßten. Um diesem Gefühl vollentsprechenden Ausdruck
zu verleihen, griffen sie zum Tanz. Die Formen waren verschieden.
Es mochte ein feierlicher Umzug sein, wie er heute noch im Heidel-
berger Sommertagszug am Sonntag Lätare fortlebt, oder ein Rund-
tanz um die Dorflinde und den Maibaum, der gegenwärtig sich be-
sonders in Bayern lebendig erhalten hat, oder aber ein kunstvollerer
Figurentanz wie der schon erwähnte Schwerttanz und der Schempart-
lauf (von mittelhochdeutsch scheme = Larve, im Neudeutschen in
Schönbartlauf verballhornt) — immer und von jeher war dieser Tanz
als Frühlings- und Fruchtbarkeitsfeier volkstümlich.
Die Tänzer selbst waren meistens vermummt in böse und gute
Dämonen, in schwarze und weiße. Der Träger der schwarzen Maske,
der mit fortschreitender Christianisierung ohne Schwierigkeit in die
Ursprung realistischer Satire, 39
Teufelsfigur überging, war wahrscheinlich zugleich der Träger des
Phallussymbols. Der Phallus war ja von einem Fruchtbarkeitskult
nicht zu trennen. Exhibition, ob tatsächlich oder bildlich, hat aber
für unzivilisierte, naive Zuschauer stets etwas Komisches. Diese
komische Wirkung wird noch gesteigert durch groteske Größe des
Glieds. Der Phallus ist daher von jeher das Emblem der Komik. Sein
Träger bleibt aber nicht bei passiver Komik stehen, er übt auch aktive
Komik dadurch, daß er seine mehr oder minder derben Spaße mit
den Zuschauern treibt. Er wirkt nicht nur komisch, er bewirkt auch
Komik. Der phallische Dämon wird der Narr der Kulttänze. Dieser
Narr schlägt die Brücke zum Publikum, das er in seine Spaße ein-
bezieht. Je mehr er für seine Narreteien Raum gewinnt, um so mehr
fällt er aus dem Rahmen der Kulthandlung, um so selbständiger wird
die von ihm getragene Handlung. Wie im geistlichen Drama sich
realistisch-komische Zwischenspiele bildeten, so auch in der heid-
nischen Kulthandlung. Wenn aber das Christentum die geistlichen
Dramen in ihrer Fortentwicklung stützte, so tötete es allmähb'ch die
heidnischen Rituale. Nur das Narrenspiel, das Fastnachtspiel, blieb.
2. URSPRUNG REALISTISCHER SATIRE.
Dieses Narrenspiel ist nicht mehr auf den Tanz gestellt, sondern
auf das Wort. Frühzeitig werden schon die Frühjahrstänze von spruch-
artigen Reden begleitet, seien es Streitreden, Frage und Antwort, Rede
und Gegenrede, Rätsel und Lösung oder auch nur Charakterisierungen
der einzelnen Tänzer. Mit dem begrifflich faßbaren Wort aber dringt
das realistische Moment in die Natursymbolik ein. Ursprünglich fehlt
alles realistisch Individualisierende. Der dargestellte Vorgang ist der
Freudetypus schlechtweg mit religiöser, aber keinerlei rationalistischer
Funktion. Wenn realistische Momente eindringen, wenn der Typus
wenigstens teilweise individualisiert wird, so zeigen sich in diesem
Prozeß Einwirkungen der religiös ungebundenen Volkskunst, wie sie
sich in den Mimen darstellt. Die Kunst des Mimen oder seiner Nach-
fahren rationalisiert die mythische Kultkunst immer mehr, vermensch-
licht die Dämonen, bindet die Natursymbolik an die reale Welt, das
Sein an den Schein. Während ursprünglich die Realität nur Gleichnis
des Ideellen, das Leben nur Behelf zum Ausdruck des inneren Er-
lebens ist, nur Schein des dahinterliegenden Seins, gewinnt allmäh-
lich dieser Schein Eigenwert, das Leben selbst wird abgebildet, die
Kunst ist realistisch, in moderner Schlagwortprägung: die expressio-
nistische Kunst wird Impressionismus.
Damit setzt die Satire ein. Bei dem unmittelbaren Ausdruck des
Ideellen, des inneren Erlebens ist jede Wertung ausgeschlossen, Kunst ist
Formung des tiefsten Seins, Deutung des ursprünglichen Sinns: das Un-
aussprechliche wird hier Ereignis, und alles Vergängliche ist nur ein
Gleichnis. Das Unaussprechliche ist das Göttliche, dem gegenüber jedes
40
Mittelalter: Weltliche Komödien.
Urteil verstummt; das Vergängliche aber ist diesseitig, ist dem mensch-
lichen Darsteller gleichgeordnet, es ist nicht mehr unbegreiflich, son-
dern wird begriffen und in seinem relativen Wert abgeschätzt. Ist es
aber gewogen und zu leicht befunden, dann erhebt sich der Wägende
darüber und verurteilt es in seiner Nichtigkeit. Um diese Nichtigkeit
daher sinnfällig darzustellen, wird es in seiner Kleinheit, Verächtlich-
keit dem Lachen ausgeliefert. Das Lachen ist das Urteil über das An-
maßend-Kleine, über den wesenlosen Schein. Mythische Kultkunst
kennt keine Satire, Satire ist rationalistisch, ist Ausdruck des Auf-
geklärten, im Endlichen Befangenen.
Diese Entwicklung, zu deren Erhellung M. G. Rudwin (The Origin
of the German Carnival Comedy, 1920) Wesenthches beigetragen hat,
ist nur im ganzen zu überschauen, nicht im einzelnen zu verfolgen.
Ein Hauptförderungsgrund dürfte in der Volksfreude an Mimenspäßen
liegen. Diese führte zu einer immer stärker werdenden Betonung des
Textes gegenüber der eigentlichen Tanzbewegung. Allmählich tritt das
Mimisch-Deklamatorische in den Vordergrund und drängt das Mimisch-
Chorische zurück. Das Begleitelement und das Hauptelement wechseln
die Stelle. Darin liegt an sich schon ein bedeutsamer Schritt zur Indi-
viduation. Die Entwicklung von universeller Tanzkunst zu individueller
Wortkunst, vom Tanz zum Tanzdrama setzt schon den Dichter voraus,
mag seine Kunst auch noch so primitiv sein, mag er selbst auch noch
ganz anonym bleiben. Die Entstehung des Volksdramas entspricht der
des Volksliedes. Hier wie dort verschwinden die Dichterpersönlich-
keiten. Aber die Hauptträger der entwickelteren dramatischen Volks-
kunst des Mittelalters sind zweifellos die Spielleute. Sie bestimmen
charakteristische Wesenszüge des weltlichen Fastnachtspiels wie der
komischen Zwischen- und Nachspiele in der geistlichen Dramatik.
Die Geistlichen haben mit diesen weltlichen Possen nichts zu tun.
Nur indirekt dürfte die Kirche eingewirkt haben, vor allem auf die
Zeit ihrer Darstellung. Die freudigen Tanzdramolette gehören anfäng-
lich wohl erst dem heitern Maimonat an, bald aber bewirkte die von
der Kirche gebotene sechswöchige Fastenzeit, daß diese Freudenfeier
auch vorverlegt wurde, um noch einmal vor der strengen Enthaltsam-
keit die Freuden des Lebens symbolisch und realistisch zu genießen.
Je mehr diese Feste ausgestaltet wurden, um so mehr wollte das Volk
sehen und hören, um so mehr wollte es lachen.
3. PUPPENSPIELE.
Hier hatten die Gaukler und Spielleute des Mittelalters weites
Feld zur Betätigung. Sie sind Nachkommen der griechischen und
römischen Mimendarsteller und ziehen als solche auf den Jahrmärkten
und Volksbelustigungen des Mittelalters umher. Im Dorfe wie in der
Stadt oder im Burghofe sind sie gleicherweise gern gesehen. Ihr
Repertoire umfaßt das ganze Programm der heutigen Zirkusse und
Puppenspiele. 4I
Varietes. Sie betreiben auch einen Kunstzweig, der nie und nirgends
ganz ausstirbt, sondern nach einer Periode des anscheinenden Todes
immer wieder frisch belebt wird: das Puppenspiel. Und es scheint
mir möglich, daß die komischen Elemente, die in der Erweiterung
des geistlichen Dramas wie der weltlichen Lenzfeiern die selbständigen
Zwischenspiele und Fastnachtspiele aufbauten, ursprünglich, wenigstens
teilweise, dem Puppenspiele entstammten. Wenn nach dem Verschwinden
der geistlichen Schauspiele die Puppenspiele selbständig weiterlebten, so
ist dies natürlich kein Beweis dagegen, daß sie zu den Urquellen der in
ersteren enthaltenen komischen Zwischenspiele zählen. Zum mindesten
ist es kein Beweis dafür, daß sie erst aus den kirchlichen Veranstaltungen
entstanden seien, wie es Rehm in seinem Buch der Marionetten annimmt,
um so weniger als Rehm für die italienischen Puppenspiele selbst
zugibt, ,,daß deren Ursprung weit über das Mittelalter hinaus zurück-
reicht und sie seit den Zeiten ihres ersten hinreichend bezeugten Auf-
tretens im alten Römerreiche bis auf die Gegenwart im Lande des
Apennin niemals aufgehört haben zu existieren, wie denn auch die in
Italien zu so hoher Entwicklung gelangte Stegreif komödie, die noch
heute nicht ganz verschwundene commedia dell'arte als eine unmittel-
bare Fortsetzung der römischen Atellanenspiele betrachtet werden
kann" (p. 136). Selbst wenn man das unmittelbare, ununterbrochene
Fortleben der Atellanenspiele in dem Puppenspiele bezweifelte, so
steht doch fest, daß in Italien die Puppenspiele schon vor den
geistlichen Dramen bestanden, also sich nicht erst aus diesen ent-
wickelt haben können. Warum sollte ihnen in anderen Ländern
diese Selbständigkeit fehlen? Ihrem Wesen nach sind sie — wir be-
gegnen ihnen bei den verschiedensten Völkern aller Erdteile — un-
bestreitbar Volkskunst, das geistliche Drama aber ist Bildungskunst.
Näher denn die Annahme, daß Bildungskunst Volkskunst erzeugt, liegt
die Vermutung, daß Volkskunst in Bildungskunst eindringt und all-
mählich zur Bildungskunst wird. Das Puppenspiel wäre damit ein
Urahne des Lustspiels.
Seine früheste bildliche Erwähnung stammt bereits aus dem Ende des
12. Jahrhunderts und findet sich in dem hortus deliciarum der Äbtissin
Herrad von Landsberg. Spilman und Spilwip sind darin vereinigt, an
Drahtschnüren zwei Ritterpuppen im Kampfspiel zu bewegen, und Hugo
von Trimberg berichtet uns ja in seinem „Renner" aus dem 13. Jahr-
hundert, daß die vagabundierenden Gaukler stets solche Tattermannen
oder Tokken unter den Kleidern trugen, so daß sie bei jeder Gelegen-
heit, zu jeder Zeit und an jedem Ort das Volk damit unterhalten konn-
ten. Auch in den geistlichen Schauspielen, besonders in den Teufels-
spielen wird auf diese Gaukler Bezug genommen, ,,de dar speien myt
den docke unde den doren ere ghelt aflocken" (Red. Osp., v. 1136/37),
und so kann wohl mit Recht Ulrich von Türheim die allgemeine Be-
liebtheit des Puppenspiels in das Wort fassen: „Der warlde vroude
42
Mittelalter: Weltliche Komödien.
ist tokken-spil". Wo immer die Spielleute mit ihrem Himmelreich-
kasten hinkommen, finden sie dankbares Publikum. Das Repertoire
jener mittelalterlichen Puppenspieler ist natürlich dem Inhalte nach
ebensowenig erhalten, wie etwa das der heute auf den Jahrmärkten
herumziehenden Kasperletheater, sofern sich nicht ein literarhistorisch
Interessierter gefunden hat, der es aufzeichnete. Solche gab es in
dem unhistorischen Mittelalter nicht, und die einzelnen Gaukler hatten
kein Interesse daran, ihre eigenen mehr oder minder wirkungskräftigen
Improvisationen durch Aufzeichnung der Konkurrenz in die Hände zu
spielen. Literarisches Urheberrecht gab es damals nicht.
Der Schritt von der indirekten Aufführung dramatischer Spiele
durch Puppen zur direkten Darstellung in der eigenen Person kann
aber jenen mimisch und deklamatorisch gewandten Spielleuten nicht
schwer gefallen sein, um so weniger als das einzige etwaige Hinder-
nis : die Bühneninszenierung in der damaligen Zeit ganz wegfiel, da
ohne allen Bühnenapparat gespielt wurde und andrerseits Verkleidungen
auch sonst zu dem notwendigen Repertoire der Spielleute gehörten.
Neben und in den Puppenspielen scheint aber auch ständig der
antike Mimus weitergelebt zu haben, wenn uns auch ebensowenig wie
von den Puppenspielen ein vollständiger Text erhalten ist. Gewisse
kompliziertere komische Typen der Possenbühne, wie der Renommist,
der Parvenü, auch wohl der angeblich weitgereiste Quacksalber, dürften
kaum selbständige Neuschöpfungen des Mittelalters sein, während
andere, einfachere Figuren zu ihrer Erklärung nicht der Tradition be-
dürfen, da sie zu jeder Zeit vor Augen liegen, wie der Dummkopf,
der Trunkenbold, das zanksüchtige Weib. Außerdem weisen gewisse
immer wiederkehrende Mittel der Situationskomik in ihrer Übereinstim-
mung mit denen des antiken Mimus auf Überlieferung. Hier muß aber
die Einschränkung gemacht werden, daß diese Tradition nicht nur an
die Mimusbühne gebunden war, sondern auch durch die erzählende
Schwankliteratur übermittelt sein konnte, worin etwa die beliebten
Ehebruchsmotive und die Schwiegermutterränke einen weiten Raum
einnehmen. Doch müßten wir hier dann wenigstens eine indirekte
Tradition annehmen, denn der Mimus hat zweifellos die Erzählungs-
literatur befruchtet, wie die Realistik der überlieferten Typen wohl
auch das beobachtende Auge der Mimusdarsteller, der Spielleute ge-
schärft und sie zu Neuschöpfungen angeregt und befähigt hat. Soviel
scheint festzustehen: ob nun die Spielleute traditionelles Mimusgut
forterben oder ihre Ränke aus der Literatur holen oder neue Figuren
aus der Beobachtung des täglichen Lebens schöpfen — überall wirkt
ein zuerst vom Mimus ausgebildetes und betätigtes biologisches und
ethologisches Interesse, verbunden mit der Vorliebe für realistische
Darstellung. Neben den Puppenspielen und mit ihnen in wechsel-
seitiger Befruchtung lebt so der antike Mimus direkt oder indirekt
im Mittelalter fort und bildet mit den Marionettend£irstellungen die
Neidhart^piele. 43
Grundlage zur Entwicklung der Possenkomödie. Dieser Zusammen-
hang wurde schon frühzeitig geahnt. Bereits 1548 betont Sibilet in
seiner französischen Poetik die Ähnlichkeit von Mimus und Farce.
In beiden Quellen der Possendichtung ist der Träger der Spielmann,
der sich, wie Moliere, rühmen konnte „de prendre son bien partout
oü il le trouvait".
4. NEIDHARTSPIELE.
So hat auch ein fahrender Geselle den Volksbrauch vom Veilchen-
fest aufgegriffen, zu einem kleinen Dramolett verarbeitet und dadurch
aus dem Lenz fest unser erstes weltliches Drama, das erste Neidhart-
drama gestaltet (über die Neidhartspiele unterrichten die Monographie
von Gusinde und die Studien von Singer). Neidhart hat als Dichter die
dörfische Reimpoesie in die deutsche Literatur eingeführt. An seinen
Namen knüpft auch das kleine Drama an, das aus dem Geiste ländlicher
Volksdichtung geschöpft ist, dann aber der Anschauung des auf den
Ritterburgen verkehrenden Spielmanns entsprechend den Gegensatz
des Ritters und des tölpischen Bauern herausarbeitet. Die Grund-
lage aber ist eine jener erwähnten Lenzfeiern. Das Veilchen, der
erste Bote des wiederkehrenden Frühlings soll gesucht werden, und
der Finder erwirbt damit die Huld seiner Herrin. Neidhart ist dies
Glück beschieden, er bedeckt das Veilchen mit seinem Hute und
geht, seinen Fund der Herzogin zu melden. Ein hämischer Bauer
aber hat ihn beobachtet und setzt an Stelle des Frühlingsboten dürres
Laub, das Zeichen des toten Winters, unter den Hut, ja, in späterer,
derberer Fassung, ersetzt er das Veilchen durch Menschenkot. An
dieser Wandlung beobachten wir gut, wie zuerst reine Natursymbolik
im Volksgebrauch zum Ausdruck kommt, während später das satirisch-
komische Motiv des gemeinen, schajdenfrohen Bauernstands überwiegt.
In der ursprünglichen kürzesten Form des St. Pauler Neidhartspiels
ist die Unflätigkeit ganz übergangen, und wir sind nur Zeugen der
Entrüstung der Herzogin, als sie das Veilchen nicht findet. Das Spiel-
mannsdrama, wie es uns in der St. Pauler Fassung aus der Mitte des
14. Jahrhunderts erhalten ist, hat noch durchaus den Charakter des
Tanzdramoletts und ist somit von größter literarhistorischer Bedeutung,
da es uns die Zwischenstufe belegt zwischen den Lenzfeiern und den
Fastnachtspielen. Im St. Pauler Spiel hält sich die Bedeutung des
Tanzelements und des Wortelements die Wage, hier ist der Zu-
sammenhang der Fastnachtspiele mit den Frühlingstanzfesten noch
offenbar. Und wenn Wirth („Die Oster- und Passionsspiele") die Ähn-
lichkeit gewisser Fastnachtspiele, darunter des Neidhartspiels, mit den
Magdalenenszenen erwähnt, so ist uns nun der Grund klar in deren
gemeinsamen Ursprung aus Tanzspielen. Es ist dies ein Entwick-
lungsgang, der der ganzen Welt gemeinsam ist. Aus Frühlingsfeiem
entwickeln sich Tanzspiele, und daraus entsteht das komische Drama.
/|4 Mittelalter: Weltliche Komödien.
Dem St. Pauler Neidhartspiel steht am nächsten das Große
Neidhartspiel vom Anfang des 15. Jahrhunderts, das mit seinen
2268 Versen das umfangreichste komische Drama des Mittelalters
darstellt. Es ist außerordentlich erweitert; die Veilchengeschichte
bildet nur den Auftakt, und in einer Reihe selbständiger Spiele folgen
die Streiche, die Neidhart den Bauern spielt. Den äußeren Zu-
sammenhang bildet die Rache des Ritters Neidhart für den Veilchen-
tausch, den innern die Roheit und die Dummheit der pöbelhaften
Bauern, wodurch die Rache erst die Möglichkeit ihrer Befriedigung
findet. Trotz seiner Größe hat aber dieses Spiel nichts mit der antiken
Komödie gemein. Dort wird ein Ablauf von Ereignissen vorgeführt,
die einen Umschwung im Leben der Hauptpersonen darstellen, und
die einen bestimmten Abschluß, am liebsten eine Heirat, herbeiführen.
Die Possenkomödien des Mittelalters aber, wie die Neidhartspiele und
die Fastnachtspiele, sind, abgesehen von ihrem Ursprung als 'Panz-
dramen, dramatisierte Anekdoten. Und das Große Neidhartspiel ist
nichts anderes als eine Aneinanderreihung solcher dramatisierter Anek-
doten, die beliebig vermehrt werden könnte. TatsächHch fehlt auch
dem Großen Neidhartspiel der endgültige Abschluß; die einzelnen
Streiche, die einzelnen Anekdoten sind wohl zu Ende geführt und
in sich abgeschlossen, aber das Spiel als Ganzes bleibt offen; wir
erwarten im Gegenteil noch weitere Streiche, auf die ausdrücklich
hingewiesen wird, da der Herzog dabei Zeuge sein möchte.
Andererseits ist aber dem Dichter eine große Kunstfertigkeit nicht
abzusprechen, besonders in der Charakterisierung sowohl der einander
gegenübergestellten Stände, Ritter- und Bauernstand, wie der einzel-
nen Vertreter. Glücklich ist der Gegensatz herausgearbeitet in dem
derben Ton des Bauerntanzes um den Maien und dem gezierten
höfischen Ton des Rittertanzes. Hier wirkt bewußte Sprachkunst,
die in der Wortwahl bereits die beiden Klassen unterscheidend cha-
rakterisiert. Die Sprachkunst geht aber noch weiter, insofern dieselben
Menschen unter verschiedenen Umständen, in verschiedener Lage
ihre Ausdrucksweise anpassend verändern. So sprechen die Bauern
bei Hofe in ihrem Bittgesuche anders als in ihrer rohen Selbstbewußt-
heit unter sich, ebenso wie die Ritter im Verkehr mit den Bauern
ihre unter Standesgenossen geübte Kultiviertheit ablegen und ihre
Verachtung schon durch den Sprachton kundgeben.
Wenn aber derart auch ein individueller Kunststil des Verfassers
unverkennbar vorliegt, so steht doch das ganze Spiel durchaus im
Banne der Spielmannsdichtung, stofflich sowohl wie stilistisch. Daß
auch Beeinflussungen durch das geistliche Drama stattfinden, beweist,
ohne alle sonstigen kleineren Übereinstimmungen im Formel- und
Phrasenschatz, vor allem das Teufelsspiel, das emgeschoben ist ohne
jeden innerlich notwendigen Zwang. Der Grund dürfte allein liegen in
der wachsenden Beliebtheit der Teufelsspiele des geistlichen Dramas.
Fastnachtspiele: Episch-lyrische Entstehungsformen: Tänze und Umzüge. 45
Das Volk verlangt sie, und so wurden sie ihm auch im Rahmen
des weltlichen Dramas geboten. Sonstige Anlehnungen an das geist-
liche Drama erblicken wir in Erinnerungen an die Rubingestalt der
Quacksalberszene oder an Züge der Grabwächterszene. Bei dem
Teufelsspiel finden wir Übereinstimmung sogar in einzelnen Worten,
ebenso in Situationen, wie der Teufelsberufung. — Doch findet hier
das Teufelsspiel eine Erweiterung, die dem geistlichen Drama fremd
ist. Es wird ausgestaltet zu einer Satire auf die Kleidermode der
Bauern, wie sie im 13. und 14. Jahrhundert besonders in Süddeutsch-
land beliebt ist. Seit dem 13. Jahrhundert war der Bauernstand zu
großem Wohlstand gelangt und zeigte, wie wir aus dem „Meier Helm-
brecht" ersehen, das eitle Bestreben, seine alten, einfachen Sitten
abzulegen und es den Rittern in Kleidung und Gebräuchen gleich-
zutun. Es gibt aus der Zeit des 15. Jahrhunderts eine ganze Reihe
von Kleiderordnungen, die dem übertriebenen Luxus steuern wollen.
Die Teufelssatire besagt nun, daß mit dieser Hoffart Unfrieden und
Uneinigkeit unter den Bauern selbst und zwischen ihnen und den
Rittern eingekehrt sei. Daraus aber folgt Mord und Totschlag, und
der Teufel hat den Gewinn. Deshalb sendet Luzifer seine Gesellen
zum Seelenfang unter die Bauern, ähnlich wie in den Teufelsspielen
des geistlichen Dramas. — Nicht alle Übereinstimmungen des Sprach-
stils mit dem geistlichen Drama dürfen aber als Entlehnungen und
Angleichungen aufgefaßt werden. Zum großen Teil müssen sie auf
eine gemeinsame Grundlage zurückgeführt werden, auf die höfische
episch-lyrische Dichtung, auf die Spielmannspoesie, aus der sowohl
weltliches wie geistliches Drama schöpfen. Im allgemeinen geht wohl
das weltliche Drama, wie es die Spielleute mimusartig verbreiteten,
dem geistlichen Schauspiel voran. Aber die Spielleute schreiben ihre
improvisatorischen Szenentexte nicht auf, während die kirchlichen,
zum großen Teil didaktischen Zweck verfolgenden Schaustücke früh-
zeitig durch die Geistlichen, die sich an die Evangelien halten konnten,
in Schrift erhalten worden sind.
Weitere Fassungen der Neidhartspiele sind ein Sterzinger Szenar,
das eine Quacksalberszene enthält, und das Kleine Neidhartspiel aus
dem Ende des 15. Jahrhunderts. Dieses ist schon ganz Fastnacht-
spiel in der rohen Derbheit Nürnberger Art, wobei auch wieder die
Anklänge an die komischen Szenen des geistlichen Dramas, spiel-
männischer Herkunft, sich aufdrängen. Das Große Neidhartspiel da-
gegen ist noch ausgedehntes Frühjahrstanzspiel.
5. FASTNACHTSPIELE.
a) Episch-lyrische Entstehungsformen: Tänze und Umzüge.
Wie die Neidhartspiele sind auch die Fastnachtspiele ursprünglich
aus Tanzfeiern entstanden, gewissermaßen die Fortentwicklung jener.
Viele sind noch Tanzspiel benannt, die meisten sind noch Aufzüge,
i
a6 Mittelalter: Weltliche Komödien.
zum Teil tragen sie auch die Benennung Aufzug und entsprechen
damit jener Tanzform des Umzugs. Das Tanzelement ist aber nun
von dem Textelement reinlich getrennt und auf den Schluß verwiesen.
Zum Abschluß der Wechselreden fordert gewöhnlich der letzte Sprecher
oder auch einmal gelegentlich der Herold die Spieler zum Tanz auf.
Diese Aufzugs- oder Umzugsform bedingt die ganze Spielform, indem
in einer gewissen gleichförmigen Regelmäßigkeit einer nach dem
anderen der Mitwirkenden seine Rede vom Stapel läßt, ohne daß ein
lebendiges Hin und Her dramatischer Wechselrede erfolgte. Wir
werden an die Teufels- und Sünderrevuen erinnert, auch an die Werbe-
reden der Bauern und der Ritter im Neidhartspiele. Die Revueform
ist ja seit Heinrich von Melk, dem ältesten deutschen Satiriker, also seit
dem 12. Jahrhundert literarisch bezeugt. Ganz in diesem Stile ist gehalten
das Spiel von den sieben Weibern, das wohl als ältestes, noch aus dem
14. Jahrhundert stammendes Fastnachtspiel gelten kann. Es ist nicht
mehr Tanzspiel wie das Neidhartdrama, sondern reines Aufzugsspiel:
jede der sieben Frauen erhebt Anspruch auf den einen Mann, der
zum Schluß sich für die letzte erklärt. Daran knüpft der Proklamator
die Moral des Jesaias, daß sieben Weiber einem Mann nachjagten.
Grundlage solcher Spiele sind also Umzugstänze, die alther-
gebrachten Volkssitten entsprechen und ihre Träger sind unmittel-
bare Glieder des Volkes selbst. Wie in ältesten Zeiten die waffen-
fähige Mannschaft eines Dorfes sich im Frühjahr zum Schwerttanze
zusammenfand, die Jungmannschaft zum Frühjahrsbeginn in ver-
mummten Umzügen die tod- und gefahrbringenden Winterdämonen
austrieb, so hatte sich in der christlichen Zeit diese Sitte fortgeerbt
und sich unter zeitgemäßer Modifikation zum Vorrecht einzelner Berufs-
klassen, Zunftgenossenschaften ausgebildet. So wurde nach Brauch
und Herkommen 1449 in Nürnberg etwa den Fleischergesellen das
Recht verbrieft, um die Fastnachtzeit den Schempartlauf zu tanzen,
was also an sich schon eine mimische Darstellung in Kostümverklei-
dung war. Diese Aufzüge sind aber ihrem Wesen nach undramatisch.
In ihre Gleichförmigkeit kommt ein belebendes Moment, wenn, wie
es natürlich oft in diesen Abkömmlingen ursprünglicher Umzugs- und
Figurentänze geschieht, eine lustige Person, der Narr, mit auftritt.
Dies ist besonders häufig der Fall gegen Ende des Mittelalters. Da-
mals ist der Irrationalismus, der zur Blütezeit der Mystik geführt hatte,
vom zunehmenden Rationalismus abgelöst worden. Entsprechend
wurde auch die Teufelsgestalt, die ja durchaus irrationalen, mysti-
schen Ursprungs ist, rationalisiert. Das böse Prinzip wurde als in-
tellektuelles Negativum aufgefaßt und demgemäß der böse Dämon,
der Teufel, durch den Narren ersetzt. Eine interessante Zwischen-
stufe dieses Übergangs des sittlich Bösen zum logisch Dummen ge-
währt uns die Narrenfigur in dem II. Erlauer, dem Dreikönigsspiel,
die zum Teil schon durchaus als Harlekin sich gebärdet, zum Teil
Fastnachtspiele: Dramatische Formen: Werbespiele. 47
aber ohne jede närrische Beimischung als rein boshafter Höllenkerl
sich zeigt. Erst im 1 6. Jahrhundert, da wieder die irrationalen geistigen
Triebkräfte der Welt und des Menschen größere Anerkennung er-
langten, da religiöse Gedanken den geistigen Horizont beherrschten,
trat auch wieder vielfach der Teufel an die Stelle des Narren. Dieser
Teufelsnarr ist, wie von Anbeginn so bis zu Ende, eine Hauptfigur
der Fastnachtspiele.
b) Dramatische Formen,
aa) Werbespiele.
So wesentlich der Teufelsnarr als erster Träger der Komik ist, kann
er doch dem Umzug nicht dramatischen Charakter verleihen. Keimhaft
war dieser durch das eingangs besprochene Kampfelement gegeben.
Aber wie nur ein Kampfziel den Kampf spannend macht, so ge-
schieht auch bei unseren Fastnachtsmummereien der entscheidende
Schritt zum dramatischen Konflikt erst dadurch, daß dem Umzug oder
Aufzug ein Ziel gesetzt wird, daß der Tanz ein Objekt erhält, das
durch den Tanz erworben werden soll, wie etwa im Großen Neidhart-
spiel die Bauern um Friederuns Spiegel, das Symbol ihres jungfräuHchen
Magdtums, tanzen, der dem besten Tänzer versprochen ist. Darin liegt
uralter Brauch. Der Liebeswerbetanz , wie er heutzutage noch im
Schuhplattler, in der italienischen Tarantella fortlebt, wie er besonders
in slavischen Tänzen erhalten ist, gehört zu den ältesten Tanzformen,
die selbst im Tierreich zu beobachten sind. Ich erinnere daran, wie
der Täuber gurrend das Taubenweibchen umhüpft. — Im Fastnachtspiel,
das das Mimisch-Chorische durch das Mimisch-Deklamatorische ersetzt
hat, entsteht so das Werbespiel, das dem Zweck der Volksbelustigung
entsprechend burleske Gewandung erhält. Hierher ist zu rechnen Stück
Nr. 14 in Kellers Sammlung, worin der größten Narrheit der Frauen-
preis, ein Apfel, versprochen ist, den der Erzähler des 10. Streichs auch
wirklich erhält. Hier ist Spannung erregt durch die sich erhebende
Frage: Wer wird den Apfel erringen?; es ist Steigerung erstrebt in
den verschiedenen Liebesnarrheiten, bis schließlich der Zehnte in
seiner derben Absurdität alle anderen übertrumpft. Daß dies Spiel
„Morischgentanz" benannt ist, weist deutlich auf seinen Ursprung
hin. Eine ähnliche Revue mit darauffolgendem Tanz ist das „Vast-
nachtspiel von Münch Berchtolt" (Nr. 66). Besonders gleicht dem
Morischgentanz das „Vastnachtspiel, der alt Hannentanz", ein rich-
tiges Preistanzspiel um einen Hahn, wie dort um den Apfel, Schon
im Namen zeigt den Charakter des Werbespiels Stück Nr. 70 „Die
Vasnacht vom Werber umb die Junkfrau". Verschiedene Stände
werben um ein Mädchen, das sich schließlich dem Schreiber ergibt.
Es erinnert an die Sünderrevuen und zeigt, wie sehr die Charakte-
ristik der einzelnen Stände und Berufe Traditionsgut war.
48 Mittelalter: Weltliche Komödien.
Das in diesen und ähnlichen Spielen wirksame Motiv der gegen-
seitigen Übertrumpfung weist schon auf die Entwicklung hin von der
bloßen Aneinanderreihung gleichwertiger Reden zu gegenseitig sich
begründender Rede und Gegenrede. Damit ist bereits wirkliches
dramatisches Element mit innewohnendem Spannungscharakter in das
Aufzugsspiel eingezogen. Je mehr diese Rede und Gegenrede aus-
gestaltet wird, um so spannender wird das Spiel, um so dramatischer
wirkt es. Diese Entwicklung setzt aber auch die Befreiung von der
Gebundenheit des Aufzugs der Spieler voraus. Es erfordert Regie,
wenn auch, im Gegensatz zu den Prachtaufführungen der Passions-
darstellungen am Ende des Mittelalters, im Fastnachtspiel ohne jeden
Inszenierungsapparat gespielt wird. Tiefengliederung tritt an die Stelle
der Flächenreihung. Dargestellte Handlungen ersetzen die wie auf
alten Gemälden den Personen angehefteten Spruchbänder.
bb) Streitspiele.
Gern wird dazu das brauchbare Mittel der Streit- und Gerichts-
szenen benutzt. Auch dies Motiv entspricht, wie wir gehört haben,
altem Volksbrauch. Außerdem ist die Gerichtsform an sich, worauf
schon Bergson (Le Rire) hingewiesen hat, durch ihre Starrheit gegen-
über dem vor und in ihr sich abspielenden Leben dem Komischen
zugänglich. Sie ist daher auch von jeher, schon seit Aristophanes
beliebt und bietet in Klage und Gegenklage, Beschuldigung und Ver-
teidigung von vornherein dankbares Feld zur Entfaltung wirkungs-
kräftiger Disputationskomik. Viel beigetragen zur Beliebtheit der Ge-
richtsform haben auch die mit ihr innig verknüpften Prozessualalle-
gorien, die, durch Konrad von Würzburgs „Klage der Kunst" im
13. Jahrhundert in die deutsche Literatur eingeführt, bis tief ins 16. Jahr-
hundert gangbare Ware blieben.
Die einfachste Form solcher Gerichtsszenen als Fastnachtspiel sehen
wir im Stück 40: „Das ist die Eefrau, wie sie ihren Man verklagt
vor Hofgericht". Die Ehefrau erhebt vor Gericht Klage, daß ihr Mann
seinen ehelichen Pflichten nicht nachkomme und die Ehe breche: „Er
trägt mir mein nachtfuoder auss und ich bedörft sein selber wol im
haus". Darauf geben die Schöffen nach des Richters Aufforderung
der Reihe nach ihr Urteil ab. Zum Schlüsse wird der Mann auf Wohl-
verhalten entlassen und zieht mit der Klägerin ab. Für die Sitten-
geschichte der damaligen Zeit ist es bezeichnend, daß wir unver-
gleichlich viel häufiger Klagen über Ehebruch seitens des Mannes
begegnen als seitens der Frau. Die Fastnachtspiele stimmen darin
überein mit den Ergebnissen rechtsgeschichtlicher Forschung und
beweisen dadurch, daß wir sie als Kulturspiegel benutzen dürfen.
Gleicherweise berichtet uns über Zeitumstände Stück 54, worin Ge-
richt gehalten wird über den „Tanawäschel". Dieser ist die Personi-
fikation einer Seuche, wahrscheinlich Grippe oder Influenza, die 1414
Fastnachtspiele: Dramatische Formen: Streitspiele. Realistische Volkskunst. 4g
ganz Deutschland heimgesucht hat. Das Stück erinnert in doppelter
Weise an den Ursprung der Fastnachtspiele. Zunächst ist die Hin-
richtung der typische Schluß der Schwerttänze, worin zugleich eine
Reminiszenz an ihren ursprünglich sakralen Charakter liegt. Solche
Schwerttänze sind uns in urkundlichen Berichten überliefert und
reichen, wie uns Tacitus' Bericht zeigt, in älteste Zeiten hinauf. Einer
dieser Berichte erzählt, daß 155 1 in Ulm vierundzwanzig als Bauern
verkleidete Handwerksburschen einen Narren im Schwerttanze um-
kreisten, wobei jeder sein Schwert auf dessen Schulter liegen ließ.
Dieses Auflegen des Schwerts auf die Schulter oder den Nacken ist
die symbolische Handlung der Hinrichtung. Der Narr aber ist, wie
wir oben ausgeführt haben, nichts anderes als der Teufel, das böse
Prinzip selbst. Und so verquickt sich auch hier der Schwerttanz
mit seiner ursprünglichen heidnischen Ursache der Austreibung der
bösen, schädlichen Dämonen. Nichts anderes ist der Tanawäschel
als einer jener todbringenden Geister, die in der Frühjahrszeit un-
schädlich gemacht werden sollen. Das Tanawäschel-Spiel knüpft an
den ureigentlichen Sinn der Fastnachtsfeiern an und gestaltet sie in
der beliebten Gerichtsform.
Das beste Gerichtsspiel ist aber das Spiel von Rumpolt und Ma-
reth, Nr. 115: „Incipit ludus solatiosus exercendus tempore nuptiarum A
vel carnis brevi in habit, ubi placuerit". Ähnlichen Inhalt hat
Nr. 130: „Hye hebt sich an ein Recht von Rumpolt und Marecht,
dy yn dy ee ansprach". Es scheint, daß Vigil Raber, der bekannte
Tiroler Regisseur geistlicher Dramen, in stark verweltlichter Form, wie
sie uns in der Sterzinger Sammlung erhalten sind, auch das Stück 115
redigiert habe. Die Knappheit und Naivität des Ausdrucks erhöht den
Wert dieser alten Form des Deflorationsprozesses über die spätere Er-
weiterung durch Nikiaus Manuel, der bereits den Typus des Bildungs-
künstlers vertritt.
cc) Realistische Volkskunst,
Das Fastnachtspiel ist aber seiner inneren Natur nach Volkskunst.
Diese Tatsache erhellt auch daraus und ist zugleich der Grund dafür,
daß in den etwa 140 Fastnachtspielen, die uns überliefert sind, so
zahlreiche gleichartige Stücke enthalten sind. Wenn wir auch nicht
immer die kürzeste Form zugleich für die früheste, die älteste Ge-
staltung eines Stoffes annehmen dürfen, so darf doch im allgemeinen
behauptet werden, daß Stücke, die bei ihrer Aufführung Beifall er-
langten, Zugkraft bewiesen, gern am selben und an anderen Orten
wiederholt werden. Bei diesen Wiederholungen werden dann Zu-
sätze, zum Teil von Lokalcharakter, hinzugefügt und derart wird der
improvisatorische Charakter gewahrt.
Dieser Prozeß kann auch beim Arztspiel beobachtet werden. Ur-
sprünglich ist es, wie schon besprochen, im Rahmen der Auferstehungs-
H o 1 1 , Lustspiel, 4
i
j
CQ Mittelalter: Weltliche Komödien.
spiele entstanden. In seiner frühen Selbständigkeit wurde es aber bald
ein beliebtes Fastnachtspiel, von dem verschiedene Überlieferungen
in der Sammlung Kellers enthalten sind. Dabei sind dann wieder be-
liebte Erweiterungen zu bemerken, die sich wesentlich um das Hei-
Mungsmotiv drehen. Ausschlaggebend ist natürlich derbe Komik. Meist
j- handelt es sich um einen an Leibschmerzen erkrankten Bauern. Da
wird denn zunächst die Diagnose mit Hilfe des Harns festgestellt.
iHier liegt bereits eine Quelle zu wirkungskräftiger Unfläterei. Diese
;wird gesteigert, indem dem Kranken eine Salbe oder Arzenei verordnet
Iwird, als deren Erfolg er sich des Darminhalts in ungewöhnlicher
Quantität entledigt. Der Stuhlgang und besonders seine groteske
Menge bildet ja stets ein beliebtes Motiv der Komik des Fastnacht-
spiels. Am weitesten treibt die Groteske dieser Art Stück 23, das schon
den charakteristischen Titel führt: „Ein Vasnachtspil vom Dreck". Der
Ausrufer spricht das Schlußwort, das zugleich eine Entschuldigung,
wie bei den meisten Fastnachtspielen, des etwa allzu derben Inhalts
ist. Darin stehen die bezeichnenden Verse:
„Ob wir das han zu grob gemacht, Dar inn man sich fast ergem kan
So trifft es doch kein unzucht an, Und frauenpild raizen zu schänden".
Die Spieler machen also einen klaren Unterschied zwischen erlaubter
und unerlaubter Derbheit. Unzucht ist die derbe sexuelle Komik.
Doch dürfen wir deshalb nicht etwa denken, daß das Sexuelle ver-
pönt gewesen sei, im Gegenteil, es wird, wie schon der Deflorations-
prozeß zeigt, mit unerschöpflicher Erfindungskraft und unermüdlicher
Wiederholungslust immer wieder breitgetreten. Auch hier sind die
Symbole des attischen Mimus, der gewaltige Podex und der ungeheure
Phallus, durchaus am Platze, zählt doch auch das Fastnachtspiel
den Phallusträger zu seinen deutschen Ahnen. In immer neuen Be-
nennungen geschlechtlicher Dinge betätigt sich die sprachschöpfe-
rische Kraft der Zeit am meisten. Daran nahmen anscheinend auch
die Frauen keinen Anstoß, die, wenn auch nicht als Schauspieler,
so doch als Zuschauer sicher anwesend waren. Die Zeit war derbe
Kost gewöhnt, und gar manches, das heute unmöglich ist, war da-
mals gangbarer Artikel. Es herrschte darin keinerlei Zensur, und so
konnte das Fastnachtspiel nach Herzenslust seinem Ziel fröhnen.
Ausschnitte des täglichen Lebens in realistischer Schilderung zu
geben. In dieser karikierenden Abmalung der Umwelt liegt das
Hauptstoffgebiet der Fastnachtspiele.
dd) Bildungsstoffe und politische Satire.
Das Fastnachtspiel schöpft gelegentlich auch aus andern Quellen,
wobei allerdings trotzdem das mimisch porträtierende Element zur
Hintertüre wieder eindrängt. So gab die epische Überlieferung Stoff her,
wenn ein Zug aus dem Leben Dietrichs von Bern dargestellt wurde
unter dem Titel „Ein Spil von dem Ferner und Wundrer" (Nr. 62),
Fastnachtspiele: Dramatische Formen: Bildungsstoffe und politische Satire. ^I
worin wieder der Ursprung des Schwerttanzes in dem Hinrichtungs-
motiv, wie beim Tanawäschel, zutage tritt. Zwei Spiele berühren den
Sagenkreis des Königs Artus: (Nr. 80) „Das Vasnachtspiel mit der
Krön" und (Nr. 81) „Der Luneten Mantel". Beide Spiele gehören in-
haltlich zusammen, indem sie sich gegenseitig ergänzen; das erste
ist die Prüfung des treuen Ehemanns, dem allein die Krone paßt,
das andere ist die Prüfung der treuen Ehefrau, der allein der Mantel
paßt. Auch die im Mittelalter beliebte Sage von Salman und Morolt
findet Bearbeitung; schon im Großen Neidhartspiel sind manche Züge
daraus entnommen. Aus der Reihe der Spiele, die nicht direkt dem
täglichen Leben der Umwelt abgelauscht sind, seien noch vier hervor-
gehoben. Zunächst das der Schwankliteratur der Anekdotensamm-
lungen entnommene Stück 22: „Ein Spil von einem Keiser und eim
Apt", dessen Inhalt aus Bürgers Ballade bekannt ist. Es kommt
darin noch gut die ursprüngliche Revueform zum Ausdruck, und
ebenso beweist sich die ursprüngliche Tanzfeier in der Aufforderung
am Schlüsse ,,Her apt, erlaubet uns ein tanz, neur piß hinauss die
vasnacht ganz!"
Besonders interessant ist uns noch Stück Nr. 128: „Ayn Spil von
Mayster Aristotiles", worin der Sieg der Frauenlist über Mannesweis-
heit dargestellt wird, indem der gelehrte Aristoteles sich durch die
angeblich in ihn verliebte Königin betören läßt, sie auf allen Vieren
gehend auf dem Rücken im Zimmer herumzutragen, wobei er von /
dem bestellten König überrascht wird. Schließlich haben wir noch
ein Beispiel zu betrachten, in dem das Fastnachtspiel zur poli-
tischen Satire wird. Dies ist der Fall in Nr. 68: „Des Entkrist Vas-
nacht", das eine Resonanz politischer Vorgänge aus der Mitte des
14. Jahrhunderts darstellt. Bedeutender ist die politische Satire aus-
gestaltet in Nr. 39: „Des Türken Vastnachtspil", das, nach seinen zahl-
reichen Abschriften zu urteilen, überaus beliebt und demgemäß ver-
breitet war. „Der Großtürke hat gehört, in welch verkommenem Zu-
stand sich die Christenheit befindet, wie Bürger und Bauer unter der
Straßenräuberei leiden müssen, wie Hoffart, Wucher, Simonie, Bestech-
lichkeit in der Rechtspflege um sich gegriffen haben. Er kommt mit
nürnbergischem Geleit ins Reich, um diese Not abzustellen. Die Boten
des Papstes, des Kaisers und der Kurfürsten, die ihn mit Grobheiten
und Drohungen zurückweisen wollen, müssen sich von den Räten des
Sultans scharfe Wahrheiten sagen lassen, zudem erklären die Bürger
von Nürnberg, daß sie trotz Kaiser, Fürsten und Herrn das freie Geleit
unverbrüchlich halten wollen; wer sich an den Sultan getraut, ,muß
eine saure Suppe mit uns essen'. Dafür dankt ihnen dann der Sultan
und versichert sie eines ehrenvollen Empfanges, wenn sie einmal in
sein Land kommen sollten" (Michels). Deutlich tritt darin des Bürgers
Standpunkt hervor, dem es ankommt auf Ruhe und Sicherheit im
Land, so daß er ohne Gefahr Handel und Wandel treiben kann.
/
C2 Mittelalter: Weltliche Komödien.
ee) Hans Rosenplüt und Hans Folz.
Das Fastnachtspiel vom Türken wird wohl mit Recht Hans Rosen-
plüt zugeschrieben, einem der ganz wenigen dem Namen nach be-
kannten Dichter von Fastnachtspielen. Sein besonderes Kennzeichen,
das gerade in diesem Stücke zum Vorschein kommt, ist das unbedingte
Selbstbewußtsein des Bürgers eines blühenden städtischen Gemein-
wesens, der dreist sein Urteil über Kaiser und Reich äußert. Hans
Rosenplüt, genannt der Schnepperer, lebte um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts in Nürnberg. Sicher von ihm stammend ist nur ein Fastnacht-
spiel überliefert, Nr. 100: „Des Künig von Engellant Hochzeit", ein
formell unbedeutendes Stück, das uns aber immerhin Rosenplüts Vor-
liebe für Behandlung politischer Stoffe bezeugt. Außerdem werden
ihm als dem Schnepperer zugeschrieben noch die Nummern 19, 39,
41, 42, 46, 49, 88, 96, 108, 109. Rosenplüt tritt uns als bürgerlicher
Dichter von stark ausgeprägtem Standesbewußtsein entgegen und als
überzeugter Patriot Nürnbergs. Dieses Selbstgefühl, das sich gründet
auf die Zugehörigkeit zu einem blühenden Stadtwesen, ist Rosenplüts
Vorzug. Im übrigen steht er, mit Ausnahme seiner politischen In-
teressiertheit, ganz im Banne der Tradition des Fastnachtspiels. Seine
dramatische Begabung ist in keiner Weise überragend, ebenso wie
seine moralische Persönlichkeit sich durch nichts von dem gewöhn-
lichen Durchschnittsphilister unterscheidet, der alles verzeiht, solange
es nicht an die Öffentlichkeit tritt, und der auch bei Entdeckungen kein
Aufhebens macht, sobald nur der Täter verspricht, in Zukunft sich zu
bessern: „Die größte puß ist nimmerthun", lautet sein Moralgrundsatz.
Der beste uns dem Namen nach überlieferte Dichter von Fastnacht-
spielen vor Hans Sachs ist Hans Folz. Er arbeitet etwa 30 — 40 Jahre
später als Rosenplüt. Von Geburt ist er Pfälzer, er stammt aus
Worms, hat aber seinen Wohnsitz als Barbier und Chirurg in Nürn-
berg. Mit seinem Namen sind sieben Stücke belegt: i, 7, 38, 43, 44,
60, 112. Wahrscheinlich stammt von ihm noch 120 und vielleicht auch
20, 22, 32, 35, 37, 51, 55, 106. Unstreitig besitzt der temperament-
volle, wortgewandte Pfälzer im Vergleich zu Rosenplüt größere Kunst-
fertigkeit, lebendigere Darstellungskraft, bewußteres Kunstverständnis.
Gegenüber dem philiströsen Moralisten betätigt sich Folz als genuß-
freudiger Humorist. Charakteristisch für seine Künstlerart ist Nr. 60:
„Ein Spil von König Salomon und Markolfo", das der weitverbreiteten
Spielmannsepik den Stoff entlehnt. Am besten bewährt sich seine
Kunst in der naturalistischen Abschilderung täglichen Lebens, wo er
mit erfrischender Lebendigkeit die einzelnen Typen vor uns hinstellt.
Eine ergötzliche Satire über den mit seinem Stande unzufriedenen
Bauern enthält Stück 55: „Ein hübsch Vastnachtspil". „Das ganze
Stück von dem Bauern, der aus seinem Stande hinausdrängt und ein
gutes festes Eigen für ein Phantom hingibt, ist deutlich genug eine
Fastnachtspiele: Dramat. Formen: Hans Rosenplütu. Hans Folz, InnereForm: Typischer Stil. ^3
Satire auf die sozialistische Bewegung, die sich zu regen begann"
(Michels). Politisch ist Folz weniger interessiert als Rosenplüt, da-
gegen betont er mit noch stärkerem Nachdruck seinen Judenhaß.
Das Fastnachtspiel zeigt uns ebenso wie das geistliche Drama,
daß im 15. Jahrhundert eine starke Welle des Antisemitismus durch
Deutschland zog. So beobachten wir überall, daß das Fastnacht-
spiel ein realistisches Abbild der Welt des Mittelalters darstellt. Nur
aus dem Verständnis mittelalterlicher Kulturgeschichte können wir das
Fastnachtspiel verstehen, und seine Kenntnis wiederum gibt uns wich-
tige Bausteine zur mittelalterlichen Kultur- und Geistesgeschichte.
c) Innere Form.
aa) Typischer Stil.
Der Stil des Fastnachtspiels ist durchaus typisch. Selten hören wir
Eigennamen. Die Spieler sind Volksvertreter oder Standes-, Berufs-
typen. Die Typizität des Fastnachtspiels liegt auf derselben Linie wie
Teufels- und Sünderrevuen, wie die beliebten Totentänze. Der antike
und der in der Renaissance wurzelnde neuzeithche Mensch schreitet
in seiner Kunst vom Individuellen zum Typischen. Der naive mittelalter-
liche Mensch geht vom Typischen, vom allgemeine Geltung Habenden
aus. So spiegelt sich der Dualismus mittelalterlicher Weltanschauung
auch in der dramatischen Kunst der Zeit. Die dualistischen Welt-
anschauungsmächte des Mittelalters sind Himmel und Hölle, beide
symbolisiert in Gott und dem Teufel. Entsprechend steht im geist-
lichen Drama Christus, im weltlichen der Teufel oder seine intellek-
tuelle Ersatzgestalt, der Narr — statt des Höllenkerls der Harlekin — ,
im Mittelpunkt: Ernst, Heilswahrheit, Weisheit, Tragik sind die Trieb-
kräfte im geistlichen Spiel; Heiterkeit, Sündhaftigkeit, Torheit, Komik
die im weltlichen. Diese Triebkräfte finden in beiden Spielarten un-
mittelbaren Ausdruck und besitzen gerade in dieser Unmittelbarkeit
ihren ureigenen Kunststil. Es wird nicht dargestellt der Heilsglaube
oder die Torheit des bestimmten Hinz oder Kunz, sondern der Heils-
glaube, die Torheit der mittelalterlichen Menschheit in ihrer Gesamt-
heit spricht unmittelbar sich aus. Die Spieler sind tatsächlich nichts
weiter als jene frühmittelalterlichen Gemäldegestalten, denen Spruch-
bänder aus dem Munde gehen. Individualisierung liegt dem ursprüng-
lichen Fastnachtspiele wie dem geistlichen Drama ferne, ebenso fern
wie sie seinen beiden Quellen, der heidnischen Tanzfeier und dem
Puppenspiel, liegt. Wenn allmählich individuelle Charakterisierung
eindringt, so macht sich darin seine dritte Quelle geltend, der aus
der Antike kommende und im Mittelalter, direkt oder indirekt, fort-
lebende Mimus. Je stärker das Ansehen der Antike mit dem ausgehen-
den Mittelalter und in der Renaissance wuchs, um so mehr nahm
auch die Individualisierung des Fastnachtspiels zu.
54 Mittelalter: Weltliche Komödien.
Entstehungsgeschichte und Wesensart des Fastnachtspiels be-
zeugen, daß es unmöglich nur als Fortsetzung der Linie angesehen
werden kann, die von den Weihnachts- und Osterspielen zu den
Heiligen- und Legendenspielen führt, wobei einfach das Stoffgebiet
zugunsten der volktümlichen Sage erweitert würde. Das Fastnacht-
spiel ist seinem Wesen nach ebenso unabhängig vom geistlichen
Drama, wie dieses von ihm. Beides sind Kunstformen, die Urerleb-
nisse des mittelalterlichen Menschen als Typus darbieten. Und da das
Urerlebnis, das dem geistlichen Drama zugrunde liegt, christlich-reli-
giöser Art ist, das des Fastnachtspiels aber heidnischer Art, so ist die
Grundlage des letzteren die ältere. Indem die Spielmannskunst die
mimisch -chorische Ausdrucksform dieser Grundlage zugunsten des
Mimisch -Deklamatorischen in den Hintergrund gedrängt hat, ist sie
Urheberin der Fastnachtspiele wie der weltlich-komischen Szenen des
Dramas geworden. Ein Beispiel, wie das Quacksalberspiel, zeigt die
parallele Entwicklung des geistlichen und weltlichen Dramas, ihre gegen-
seitige Befruchtung und die Wesenseinheit ihres Kunstcharakters.
Dieses im Rahmen des geistlichen Dramas entstandene Arztspiel
arbeitet wie jedes Fastnachtspiel mit derselben Triebkraft, mit der un-
bestrittenen Annahme der Narrheit aller Menschen. Diese Gewißheit
allgemeiner Torheit ist weltanschauliches Element, da sie nur den
intellektuellen Ausdruck darstellt der im mittelalterlichen Glauben fest-
ig gewurzelten Überzeugung von der allgemeinen menschlichen Sünd-
j haftigkeit. Die Narrheit wird dargestellt als Allgemeingut der Mensch-
I heit überhaupt oder einzelner Stände. Sobald aber die gewissen Stän-
[ den oder Berufsklassen eigentümliche Narrheit zur Darstellung kommt,
I so ist damit ein Standpunkt außerhalb dieser Klasse gegeben, von
I dem aus beobachtet wird. Der Beobachtung folgt Wertung bald nach.
\ Wenn aber der Darstellung beobachteter Narrheit ein Werturteil dar-
I über zugrunde liegt, so ist die Darstellung nicht mehr objektiv. Der
I beobachtende Urteiler wird sich stets der beobachteten Narrheit gegen -
\ über überlegen finden, er wird sich als frei davon fühlen, und dem-
gemäß wird sein Werturteil ein Aburteil, seine Beurteilung eine Ver-
urteilung sein. Eine lusterregende Darstellung beobachteter Narrheit
mit zugrunde liegendem, absprechendem Werturteil ist aber Satire,
die damit frühzeitig ein Element des Fastnachtspiels wird.
t bb) Bürgerliche Satire.
Die Art der Satire ist naturgemäß bestimmt von dem Standpunkt
des Beobachters. Die Fragen, wer ist der Urheber der Fastnachtspiele,
für wen und vor allem vor wem werden sie aufgeführt, geben mit ihrer
Beantwortung auch die Art der Satire kund. Es ist uns bekannt, daß
Fastnachtspiele aufgeführt wurden, so weit die deutsche Zunge klingt:
vom Süden in der Schweiz und Tirol bis zum Norden an Nord- und
Ostsee, bis zum äußersten Nordosten in Reval. Ihre Hauptblüte er-
Fastnachtspiele: Innere Form: Bürgerliche Satire. 55
lebten aber die Fastnachtspiele in Süddeutschland. Unzweifelhaft wur-
den sie von ihren geistigen Urhebern, den fahrenden Schülern und
Klerikern, den Spielleuten, in Dorf, in Stadt und in die Burgen getragen.
Und tatsächlich ist ja ihr heidnischer Ursprung als Tanzfeier dem
ganzen Volke gemeinsam, wie auch ihr zweiter Quell, das Puppen-
spiel, überall beliebt war. Ähnliches darf vom weiterlebenden antiken
Mimus angenommen werden. Doch die Hauptstätte ihres Wirkens
sind die aufblühenden Städte, dort ist die größte geistige Regsam-
keit, der Nährboden alles Fortschritts intellektueller Anschauung und
künstlerischen Geschmacks. Und unter den Städten wiederum ist
Nürnberg, nach Luther Auge und Ohr Deutschlands, der Ort gewesen,
der die Hochburg des Fastnachtspiels darstellt. Das städtische Bürger-
tum ist somit Träger des Fastnachtspiels. Bürgerliche Anschauung,
bürgerliche Werturteile liegen dem Fastnachtspiele zugrunde, durch-
dringen und beherrschen es. Die fahrenden Schüler und Kleriker
haben sich sicherlich wesentlich aus den Städten rekrutiert, und wenn
sie sich einreihen in die weitergreifende Klasse der Spielleute, so sind
wohl auch diese der Hauptsache nach, vom Gesichtspunkt bürger-
licher Ehrbarkeit und gewerblicher Seßhaftigkeit aus gesehen, ver-
krachte Existenzen des Bürgerstandes. Wenn sie also geistige Be-
fruchter des Fastnachtspiels sind, so befruchten sie es in derselben
Richtung, die die zu dem städtischen Gewerb- und Gewerkstande
zählenden Verfasser, gleich Rosenplüt und Folz, in bürgerlichem
Selbstbewußtsein verfolgten. Die im Fastnachtspiele wirkende Satire
ist daher in erster Linie bürgerlicher Art. Ein Beispiel ist zu beob-
achten in der politischen Satire des erwähnten Fastnachtspiels vom
Türken.
Der Bürger urteilt darin über die anderen Stände und urteilt über
sie ab, sowohl über den Ritterstand wie über den Bauernstand. Der
Ritterstand ist im Niedergang begriffen. Zwischen den regierenden
Mächten und den aufstrebenden Städten schwindet seine Bedeutung
dahin. Dem Bürger kommt er dazu meistens als lästiger Störenfried
des Wirtschaftslebens zum Bewußtsein. Der die schützenden Tore der
Stadt verlassende Kaufmann muß gewärtig sein, auf einsamer Straße
von rauflustig-feigen Raubrittern überfallen und im ungleichen Kampf
seiner Barschaft und Waren beraubt zu werden. In manchem sati-
rischen Bilde, wie schon in der Grabwächterszene des geistlichen
Dramas, macht sich daher sein Grimm Luft. Doch immerhin bedeutet
der Ritterstand noch eine Macht, die sich nicht überall dauernd un-
gestraft verspotten ließ. Infolgedessen wendet sich denn die bürger-
liche Satire in der Hauptsache gegen den anderen Stand, gegen den
Bauern.
Die Bauernsatire des Fastnachtspiels ist eine tragische Ironie. Das
Spiel kehrt sich gegen seine Schöpfer, die allerdings unfähig gewesen
wären, es aus seinen Kultkeimen zum selbständigen Kunstwerk zu
c5 Mittelalter : Weltliche Komödien.
entwickeln. Schon das Mittelalter kannte den Gegensatz von Stadt
und Land mit aller Deutlichkeit. Mit dem 13. und 14. Jahrhundert
war der materielle Wohlstand der Bauern beträchtlich gestiegen ; doch
ihm entsprach nicht die kulturelle Entwicklung. Der Bauer war der
Tölpel geblieben. Somit hatte auch die materielle Verbesserung seiner
Lage vom Gesichtspunkt geistiger Bildung aus gesehen nur schäd-
liche Folgen. Seine Dummheit paarte sich mit Hoffart und Dünkel
und derbsten materiellen Genüssen, die bis zur Sittenlosigkeit aus-
/ arteten: Fressen, Saufen und Huren im holden Verein mit unaufhör-
lichen Schimpfereien und Schlägereien sind Tätigkeiten des Bauern,
wie sie uns immer wieder im Fastnachtspiel vorgestellt werden. Die-
ses Kapitel scheint den Fastnachtspieldichtern unerschöpflich, immer
wieder neue Variationen desselben Themas werden vorgetragen. Somit
sind die Fastnachtspiele ihrer Mehrzahl nach eine bewußte bürgerliche
Bauernsatire.
Es darf aber dabei nicht vergessen werden, daß die Vorliebe,
mit der immer wieder der Bauernstand im Fastnachtspiel auftritt,
nicht nur daher rührt, daß der Bürger damit seiner Verachtung
Ausdruck geben möchte. Wir haben gesehen, das Fastnachtspiel ist
aus Lenzfeiern erwachsen. Diese Volkssitten und -gebrauche waren
aber noch am meisten auf dem Lande verbreitet. Von jeher ist der
Bauer der Träger der Volkssitten, er ist das konservative Element des
Staates. Es ist daher großenteils nichts anderes als Atavismus, wenn
in den bürgerlichen Fastnachtspielen immer noch der Bauer Träger der
Handlung ist. Damit ist aber auch sein nationaler Charakter bestimmt.
cc) Nationaler Charakter.
Das Fastnachtspiel ist von ausgesprochener deutscher Eigenart. Die
Fülle seiner bis zu unflätigfem Schmutz gesteigerten Derbheiten wirkt
an sich als krasser Kontrast zur Konvention für die damalige Zeit
komisch. Deren höchste Kulturform ist die ritterliche mäze. Diese
ist aber im Grunde romanischen Ursprungs, da sie die christliche
Askese der Mönchsbestrebungen am Ende des ersten Jahrtausend
voraussetzt. Der Gegensatz zu dieser mäze, der Drang zum Un-
gebundenen, Grenzenlosen, der in den maßlosen Übertreibungen des
Fastnachtspiels sich betätigt, entspricht germanischer Wesensart; eben-
so auch die Vorliebe für das Charakteristische in der Kunst. Dieses
offenbart sich am schnellsten in dem Unvollkommenen, Vereinzelten,
Ungewöhnlichen; sein Stoffgebiet ist eher das Häßliche als das Schöne,
eher die Karikatur als das Idealbild. Auch darin stimmt das Fast-
nachtspiel mit ursprünglich germanischem Kunstwillen überein.
Es läßt sich keinerlei direkter Einfluß gleichzeitiger Dramatik be-
nachbarter Länder nachweisen. Wo Übereinstimmung in einzelnen
Motiven und Zügen zutage tritt, beruht sie nicht auf Entlehnung
sondern auf Gemeingrut. Es läßt sich nicht die astreiche Krone eines
Fastnachtspiele: Innere Form: Nationaler Charakter. Das komische Theater. 57
Baumes stets auf eine einzige Wurzel zurückführen. Das Fastnacht-
spiel ist auf deutschem Boden entsprungen, hat sich als Spiegel deut-
schen Wesens entwickelt und ist somit das früheste selbständige dra-
matische Zeugnis deutscher Art und Kunst.
Selbstverständlich hat dieser deutsche Charakter nichts mit poli-
tischen Grenzen zu tun. Eines unserer besten Fastnachtspiele ist
Schweizer Ursprungs und zeigt demgemäß Schweizer Mundart: das
Luzerner Spiel „Vom klugen Knecht", das ich mit Baechtold noch dem
15. Jahrhundert zuweise und das, wie ich in der Neuausgabe von
Reuchlins „Henno" (1922) nachzuweisen versucht habe, die Grund-
lage von Reuchlins Komödie bildet. Das Luzerner Fastnachtspiel,
das mit der berühmten französischen Farce Maitre Pathelin wohl auf
denselben mimischen Archetypus zurückgeht, ist um die Figur des
betrügerischen Knechtes gruppiert, der in seiner pfiffigen Durchtrieben-
heit an den fahrenden Schüler erinnert. Neben ihm treten der dumm-
schlaue Bauer, der geizige Kaufmann, der Rechtsgelehrte als betro-
gener Betrüger in den Hintergrund. Wenn auch die typischen Züge
noch vorwiegen, so beobachten wir hier doch wie in „Rumpolt und
Mareth" bereits Anfänge individueller Charakteristik. Der frische Ton
naiver Volkskunst ist hier im hochalemannischen Sprachgebiet der-
selbe wie in den Nürnberger Spielen, in den von Vigil Raber in Ster-
zing aufgezeichneten Tiroler Stücken der gleiche wie in den Lübecker
Fastnachtspielen. Da die Fastnachtspiele Eintagsfliegen waren, so sind
sie uns nur in den seltensten Fällen erhalten. Aber auch bei zahl-
reicherer Überlieferung müßten wir unsere Anschauung über das Fast-
nachtspiel wohl kaum ändern.
IV. DAS KOMISCHE THEATER.
Wesentliche Erhellung und grundlegende Ergebnisse dankt die Ge-
schichte der Aufführungen mittelalterlicher Komödien Max Herrmanns
„Forschungen zur Deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und
der Renaissance" (1914).
Im Laufe unserer Betrachtungen haben wir immer wieder Gelegen-
heit genommen, auf die Zusammenhänge des antiken Mimus und der
neuen Volksposse, des Fastnachtspieles hinzuweisen. Der Grund-
charakter beider dramatischen Formen ist nicht sowohl Literatur, als
Theater, körperlich-sinnfällige Darstellung. Das mittelalterliche Drama
ist damit im Grunde genommen mehr der Theatergeschichte als der
Literaturgeschichte angehörig. Wenn wir uns die Aufführungen mittel-
alterlicher Fastnachtspiele vorstellen wollen, und wir können uns
mittelalterliche Fastnachtspiele überhaupt nur aufgeführt vorstellen,
so müssen wir absehen von der heutigen Trennung in Spieler und
Zuschauer. Der Charakter des Fastnachtspiels ist durchaus sozial,
c8 Mittelalter: Das komische Theater.
ob die Spieler, wie in Nürnberg, in Kneipen und Zimmern, an festen
Plätzen spielen, oder ob sie, wie in Lübeck, auf Wagen durch die
Stadt ziehen, um auf diesem Narrenschiff zu spielen, wo immer sie
geeigneten Platz und willige Zuhörer finden.
Das Fastnachtspiel ist eine unmittelbare soziale Funktion. Damit ist
aber schon eine Trennung von Bühne und Zuschauer ausgeschlossen.
Das Spiel entsteht innerhalb des Volkes, aus dem Volke heraus, in-
mitten des Volkes. Die Spielenden sind daher auf allen Seiten vom
Volke umgeben, dessen Symbol sie selbst sind, von dessen Gefühlen
und Stimmungen sie Träger und Ausdruck sind. Diese Art der Auf-
führung ist für die Anfänge des Fastnachtspiels anzunehmen, wie auch
heute noch bei Dorftänzen die Zuschauer rings um die Aufführenden
herumstehen. Wenn im Laufe der Entwicklung nun das gesprochene
Wort größere Bedeutung erlangt, derart daß einzelne Bürgergruppen
mit feststehendem Text oder Textgerippe in den verschiedenen Wirts-
und Bürgerhäusern Umzug halten, dann wird es sich von selbst be-
geben, daß sie eine Zimmerwand, die Türwand, von wo aus sie ein-
treten, sich frei halten. Sie spielen also gleichsam auf einer Bühne,
die in den Zuschauerraum hineinragt, die auf drei Seiten vom Publi-
kum umgeben ist. Anfänglich dürfte dies durchaus Zufall sein, von
keinerlei innerer Notwendigkeit bedingt. Da bei dem revueartigen
Charakter der Fastnachtspiele alle Spieler von Anfang bis zu Ende an-
wesend sind, braucht ja kein Raum vorhanden zu sein, wohin etwaige
Abtretende verschwinden, oder, was wichtiger wäre, wo neue Spieler
vor ihrem Auftritte sich aufhalten könnten. Es liegt aber nahe, die
durch den Zufall freigehaltene Wand auch zu benutzen, sobald in die
Fastnachtspiel -Revue größere Mannigfaltigkeit eindringt. Nicht alle
Spieler treten von Anfang an durch die Türe ein, sondern einige
warten draußen, bis ihr Stichwort fällt, und benutzen dadurch das
von jeher theatralisch wirksame Überraschungsmoment. Damit wäre
schon eine Bühne geschaffen, wenn auch ihre Grenzen nicht fest ge-
zogen sind. Von Inszenierung ist dabei natürlich keine Rede; die um-
ziehenden Gesellen sagen der Reihe nach ihr Sprüchlein auf, und damit
Schluß. Allenfalls kann zu den beliebten Gerichtsszenen Tisch und
Stuhl benutzt werden, die ja ohnedies in dem Raum des Bürgers oder
des Wirtshauses, wo die Gesellen ihr Spiel vortrugen, vorhanden waren.
Auch an Kostümierung braucht nicht gedacht zu werden, es sei denn
für außerweltliche Gestalten, wie Engel und Teufel. Doch liegt die
Vermummung den Ursprüngen des Fastnachtspiels sehr nahe. Bei
den meisten Figuren genügte wohl ein äußerliches Requisit, in dem
Sinne, wie die famosen Handwerker im „Sommernachtstraum" ihre Ver-
körperung bezeichnen. Die Unterscheidung von Alten und Jungen
geschah durch künstliche Barte; die Altersbezeichnung durch Fahnen
mit der Alterszahl dürfte wohl nur in Spielen wie in Gengenbachs
„Die zehn Alter dieser Welt" (15 15) benutzt worden sein, wo eben
Das komische Theater.
59
eine genaue Altersdifferenzierung der einzelnen Sprecher den Sinn
des ganzen Spiels ausmacht.
Über den eigentlichen Darstellungsstil wissen wir nur, daß sein
Grundcharakter naturalistisch war. Allenfalls käme eine Beschränkung
dieses Naturalismus dadurch in Frage, daß die Gesten bei gewöhnlicher
Rede nur durch eine Hand ausgeführt werden. Doch dem Wesen
des Fastnachtspiels als sozialer Funktion ist jede Stilisierung im Sinne
der dem Alltag fremden heroisch -pathetischen Gebärde zuwider. Da-
durch unterscheidet sich das Fastnachtspiel grundsätzlich von dem
geisthchen Schauspiel, das auf dem Boden religiöser Symbolik er-
wachsen war und diesen Charakter des kirchlichen Rituals auch
in seinem Gestus bewahrte. Die volkstümlich -komischen Szenen,
die dem geistlichen Schauspiel beigemengt wurden, fallen aber aus
diesem Rahmen kirchlich-zeremonieller Gebärde heraus, sie bedienen
sich der naturalistischen Alltagsgebärde des Fastnachtspiels. Dieser
Naturalismus des mittelalterlichen Volksspiels, der, wie uns die Ge-
mälde belehren, allmählich auch in die ernsten Szenen des geistlichen
Dramas eindringt, kennt keine seelische Verfeinerung, sondern nur
körperliche Vergröberung. Diese Unterstreichung des Gestus im Sinne
karikierender Übertreibung führt zur Groteske, wie sie etwa der Dar-
stellung der Judenszenen, besonders aber der Teufelsszenen, den
charakteristischen Stempel aufprägt.
Die Entstehung und Entwicklung des geistlichen Schauspiels wie
des Fastnachtspiels zeigt, daß im Mittelalter keine Trennung von Drama
und Theater bestand, daß es keinen Kampf zwischen beiden um die
Vorherrschaft gab.z_Drama und Theater waren eins. Das Drama ver-
deutlichte die Vorgänge des Theaters, das Theater veranschaulichte
den Inhalt des Dramas, sei es, daß es die Versinnlichung religiöser
Erzählungen und Glaubenssätze war wie im geistlichen Schauspiel,
oder daß es Ausdruck sozialer Gefühle war wie im Fastnachtspiel.
■^
B. SECHZEHNTES JAHRHUNDERT.
I. HUMANISTENKOMÖDIE.
I. ANTIKE QUELLEN.
Das Ergebnis der sozialen Entwicklung des Mittelalters ist die
Bewußtheit des Bürgers als Stand, als bedeutsamer Träger des
Staates. Der Humanismus ist dazu die wissenschaftliche Ergänzung,
indem er dem von den kirchlichen Bildungsmächten emanzipierten
Laienelement eine neue Bildungsgrundlage vermittelt, indem er dem
bisherigen geistlichen Bildungsideal das weltliche gegenüberstellt.
Dieses humanistische Bildungsideal ist an der Antike orientiert.
Die Bildungselemente, die der Humanismus der deutschen Nation
aufdrängte, sind von außenher importiert, nicht von innen heraus
entwickelt. Bevor die Entwicklung der Laienkultur, die sich im
Ablaufe des Mittelalters allmählich vorbereitet hatte, ihren Abschluß
erreichte, wurde sie plötzlich von den neu erschlossenen Strömen
der antiken Welt überschwemmt. Noch zu schwach, um diese
überreichliche Zufuhr zu verarbeiten, erlag sie ihr und wurde durch
sie bestimmt. Das Ergebnis war ein Zurückgedrängtwerden bis zur
Gefährdung des nationalen Charakters. An Stelle nationaler Volks-
kultur trat internationale Bildungskultur, an deren restloser Ein-
deutschung wir noch heute zu arbeiten haben. Insofern hat, in
einer Umwandlung eines bekannten Goethewortes, der Humanismus
ruhige Bildung zurückgedrängt.
Dieser Einfluß des Humanismus macht sich schon im 15. Jahr-
hundert auch in der dramatischen Literatur geltend, zunächst in der
Verbreitung der Kenntnis antiker Dramen. Nicht aus dramatischem
oder gar theatralischem Interesse wurden die alten Komödien des
Terenz und Plautus neu herausgegeben und aufgeführt, sondern sie
waren, ebenso wie das Mittelalter den Terenz nur als Schullektüre
wertete, für den Humanismus wichtige Bildungsmittel. Zunächst
wurden den lateinischen Komödien nur deutsche Inhaltsangaben
beigedruckt, aber noch im 15. Jahrhundert wurden Plautus und
Terenz in die Volkssprache übertragen. Die Übersetzungen häufen
sich vom dritten Jahrzehnt des 16, Jahrhunderts ab; so erscheint
1535 die plautinische „Aulularia" von Joachim Greff, worüber Lessing
Antike Quellen. Johannes Reuchlin. 6l
urteilt: „Die Übersetzung ist vor die damaligen Zeiten noch sehr
gut'*. Auch Aristophanes war sehr beliebt; Spangenberg in Straßburg
übersetzt ihn und betreibt seine Aufführung am dortigen Gymnasium,
und schon 153 1 bearbeitet Hans Sachs den „Plutos'',
Die Humanisten betätigten sich aber auch in Originalkomödien.
Aber noch ist ihr dramaturgisches Verständnis sehr dürftig, noch ver-
folgen sie weniger künstlerische als erzieherische Ziele. Die lateini-
schen Dialoge ohne inneren dramatischen Aufbau, die in Schulen
und Universitäten zur Sprachübung aufgeführt wurden, sind Kollo-
quien, keine Dramen. So etwa ist die in einer Tegernseer Hand-
schrift von 1498 erhaltene schwäbische Stammessatire, worin Schwaben
einen Hasen für ein Ungeheuer halten, nichts weiter als ein harm-
loser dialogisierter Schwank, der etwa mit Goethes Labores juveniles
in Dialogform zu vergleichen ist. Es ist eine Schularbeit, wie durch-
weg die lateinischen Humanistenkomödien Übungsstofif darstellen.
Sie haben ebensowenig dramatisch-theatralischen Eigenzweck wie jene
Komödien der Hrotsvith, die gerade jetzt wieder 1501 von Conrad
Celtis neu herausgegeben wurden und immer noch dramatischer sind
als die meisten Humanisten- Dramen. „Stilpho", eine Komödie des
in Heidelberg lehrenden Elsässer Humanisten Jacob Wimpfeling (um
1480) ist ein kurzes Gespräch von sechs Szenen zur Empfehlung
wissenschaftlicher, besonders lateinischer Studien. Nur durch einzelne
realistische Züge in der Charakterisierung eines aufgeblasenen Hohl-
kopfes erhebt es sich über eine trockene Stilübung.
2. JOHANNES REUCHLIN.
Eine strengere Nachahmung antiker Kunstform versucht Johannes
Reuchlin (1455 — 1522) während seines dreijährigen Heidelberger Auf-
enthalts mit den Komödien „Sergius" und „Henno". Über beide Stücke
orientiert mein Nachwort zu der anläßlich Reuchlins 400jährigem
Todestag von Preisendanz besorgten Textausgabe des „Henno",
der auch die gewandte Übertragung von Hans Sachs beigegeben ist.
„Seine Komödie «Sergius», die er im ersten Jahre seines Heidelberger
Aufenthaltes (1496) schrieb und die man gewöhnHch als gegen seinen
Feind Holzinger gerichtet deutet, weist zwar noch nicht die kanonischen
fünf Akte, sondern nur drei auf, zeigt aber in der Versform des Tri-
meters seine große Sprachbeherrschung. Inhaltlich mutet uns die
dramatische Anekdote heute freilich derart langweilig an, daß wir ihre
damalige große Beliebtheit kaum verständlich finden. Auf weit höherem
Rang steht die Komödie «ScaenicaProgymnasmata» oder, wie sie nach
ihrem Helden meist benannt wird, «Henno». Ursprüngliche Volkskunst
ist der Sauerteig, der die steif pedantische Bildungskunst durchdringt,
ihre frische Lebendigkeit und derb humoristische Laune erzeugt und
damit die Komödie auch heute noch erfreulich macht". Anläßlich der
Besprechung des Luzemer Spiels „Vom klugen Knecht" habe ich be-
02 Sechzehntes Jahrhundert: Humanistenkomödie.
reits darauf als Grundlage des „Henno" hingewiesen, wobei allerdings
Reuchlins Kenntnis der französischen Farce ,,Maitre Pathelin" wahr-
scheinlich ist. „Die Fastnachtspielvorlage macht uns verständlich, wie
der Humanist, plötzlich die Tradition seiner gelehrten Bildungskunst
verlassend, uns auf bäuerischen Boden führt. Andererseits hat er aber
die naive Volkskunst in das Gefäß seiner Bildungstradition gegossen.
Der «Henno» ist ein spätmittelalterliches Fastnachtspiel in der Form
der römischen Komödie: am Schlüsse triumphiert der verschmitzte
Sklave, die Verwirrung wird gelöst, und die Heirat ist gesichert. Auch
die äußere Form entspricht der fünfaktigen Einteilung der römischen
Komödie, und der nach terenzischem Vorbild knapp und flüssig ge-
staltete Dialog ist durchweg in Jamben gehalten. Eine von Terenz
abweichende Neuerung besteht allerdings in der Einführung von später
vielfach nachgeahmten Zwischenaktschören. Sie dienen als eine Art
Zwischenaktsmusik der Stimmungsklärung, haben aber insbesondere
nach dem zweiten und dritten Akte, wo sie ganz allgemeine huma-
nistische Themen, wie Preis der Dichtung und Wissenschaft, behandeln
— Preisendanz hat sie mit künstlerischem Sprachgefühl in flüssige
deutsche Verse übertragen — kaum Zusammenhang mit der Komödien-
handlung. Außer dem gelehrten Interesse, griechisches Vorbild nach-
zuahmen, sind sie wohl der Musikliebe des Heidelberger Humanisten-
kreises entsprossen. Die einzelnen Aktschlüsse sind dramaturgisch
oberflächlich und bühnentechnisch unbeholfen.
Andererseits führt Reuchlin in seinen beiden Komödien auch eine
bedeutungsvolle bühnentechnische Neuerung ein. Schon im «Sergius»
wird im Gegensatz zu bisheriger Praxis Auf- und Abtreten der Schau-
spieler verlangt, noch mehr im «Henno». Daran ist der Kenner der
Terenzbühne zu verspüren, die nun die mittelalterliche Bühne ver-
drängt. Diese hatte in einem Nebeneinander der Schauplätze bestan-
den, so daß die Schauspieler, die sämtlich mit Beginn des Stückes
die Bühne betraten, im Verlauf der Handlung sich von einem Ort
zum andern begeben konnten, ohne daß eine Szenenänderung hätte
stattfinden müssen. Die neuzeitliche Bühne hat demgegenüber das
Nacheinander der Schauplätze durch Szenenwechsel eingeführt. Die
humanistische Terenzbühne, wie sie Reuchlin vertritt, bildet ein Mittel-
ding. Sie bewahrt die Einheit des Schauplatzes der klassischen
Bühne, sie lehnt aber das mittelalterliche Nebeneinander ab. Da ihr
andererseits das neuzeitliche Nacheinander durch Dekorationswechsel
hinter geschlossenem Vorhang noch nicht möglich war, so läßt sie
denselben Bühnenschauplatz je nach dem Inhalt der fortlaufenden
Handlung nacheinander bald diesen, bald jenen Ort bedeuten, wenn
sie ihn auch — gleich der mittelalterlichen Fastnachtspielbühne —
nicht mit Requisiten tatsächlich verändert. Damit erleben wir die
Geburt der modernen Bühne wenigstens im Prinzip. Diese Art der
Bühnengestaltung und -auffassung ist vorbildlich für das gesamte
Reformationskomödien. 63
lateinische und deutsche Schuldrama, das in Reuchlins «Henno» recht
eigentlich seinen Anfang findet".
Mit Recht wurde daher der Dichter des am 31. Januar 1497 unter
der Ägide des humanistischen Gönners Johann von Dalberg auf-
geführten „Henno" als Begründer der Komödie in Deutschland ge-
feiert. Aber trotzdem bleibt er ohne direkte Nachfolge. Die Bedeu-
tung des Frühhumanismus für die deutsche Lustspielgeschichte be-
schränkt sich trotz Reuchhns „Henno" im wesentHchen auf die Wieder-
erweckung der antiken, besonders der lateinischen Komödie des
Plautus und Terenz, ohne daß er selbst zur Erkenntnis ihrer Wesens-
art gelangt wäre.
3. REFORMATIONSKOMÖDIEN.
Einen neuen Anlauf nahm die Entwicklung der Komödie erst nach
den Sturmjahren der Reformation. Noch ist das theoretische Ver-
ständnis zu naiv, um eine klare Trennung von Komödie und Tragödie
durchzuführen. Die in beiden Konfessionslagern aufs Ernste ein-
gestellte Dramatik bewegt sich in Bahnen, die die beiden Nieder-
länder Georg Macropedius (1475 — 1558) und Wilhelm Gnapheus
(1493 — 1568) eröffnen mit ihren Gleichnisdramen. In der Dramati-
sierung der Parabel vom verlorenen Sohn ergibt sich Gelegenheit,
die Schilderung des leichtsinnigen Lebens durch drastische Realistik
zu unterstreichen. Dazu entlehnt Macropedius in seinem „Asotus"
(geschrieben 1507, veröffentHcht 1535) der plautinischen Komödie wir-
kungsvolle Züge. Ahnlich realistisch malt er auch den liederlichen
Lebenswandel des „Hecastus" (1538) in seinem allegorischen Jeder-
mannspiel. Noch bewußter folgt Gnapheus lateinischem Vorbild in
seinem „Acolastus sive de filio prodigo" (1529), getreu der Theorie
des Cicero, der die Komödie bestimmt als Nachahmung des täghchen
Lebens, Spiegel der Sitten und Gebräuche, Abbild der Wahrheit. Die
lateinische Praxis des Plautus und Terenz gab die realistisch-komi-
schen Effekte in der Darstellung des Prassens und Untergangs des
leichtlebigen Verschwenders. Sie leiht auch dem ernsten Drama die
lustigen Typen der Dirne, des listigen Betrügers, des habsüchtigen
Wirts mit ihren entsprechenden Szenen, ja selbst das Schema der
Personengruppierung. Neben dem betrübten Vater steht ein alter
treuer Berater, neben dem leichtsinnigen Verschwender der durch-
triebene Verführer, in Parallelschilderung werden die Sitten der Herren
von den Dienern vergröbert. Außer Muster zur realistischen Dar-
stellung entnimmt Gnapheus der terenzischen Komödie noch die
Anregung zur seelischen Vertiefung, indem er in seinem zwischen
Scham und Heimweh schwankenden Verschwender den Entschluß zur
Umkehr reifen läßt. Diese für die Entwicklung heiterer wie ernster
Dramatik bedeutsame psychologische Genesis des Entschlusses ent-
spricht dem terenzischen: nolo-volo, nolo-volo, mallo!
64 Sechzehntes Jahrhundert: Humanistenkomödie.
Dramatisch begabter war noch Thomas Kirchmeyer, genannt Nao-
georg (15 II — 1563), doch stellte der glühende Hasser alles Katho-
lischen, der leidenschaftliche Parteigänger Luthers seine Begabung
durchaus in den Dienst protestantischer Tendenzdramatik. Mit aristo-
phanischer Phantasie sucht er in „Pammachius" (1538) das gewissen-
lose, herrsch- und genußsüchtige Papsttum zu treffen. Noch grotesker
ist die satirische Dialogpolemik in seinem reformatorisch-tendenziösen
Jedermanndrama „Mercator" (1539 — 1540).
4. NICODEMUS FRISCHLIN.
Der bedeutendste deutsche Lustspieldramatiker des Humanismus
jedoch ist der Schwabe Nicodemus Frischlin (1547 — 1590), der bereits
der Nachreformation angehört. Die tief im Stammes- und Volkstüm-
lichen wurzelnde sinnliche Kraftnatur ist durchaus Humanist in ge-
lehrter Wissensbeherrschung, in ausgebreiteter Kenntnis, in satirischer
Begabung, in steter Kampfeslust, in der vielgeschmähten superbia.
Die kampfesfrohe Unabhängigkeit des ruhelosen Geistes ließ den
ursprünglichen Tübinger Professor schließlich auf der Feste Hohen-
Urach enden. Weder die bezwingende Energie des Macropedius noch
die heiße reformatorisch-tendenziöse Leidenschaft Naogeorgs finden
wir in seiner Dramatik, dafür aber eine durchaus eigenpersönliche
vollblütige Menschlichkeit. Grundlagen seines Schaffens sind natio-
naler Humanismus und selbstbewußtes Bürgertum; Ziele: reine klas-
sische Erziehung, soziale Unabhängigkeit und Kampf gegen den ver-
wahrlosten Adel. Doch verfolgt er seine didaktischen und sozial-
moralischen Absichten weniger in direkter Lehre als in indirekter
Satire. Darin bezeugt er sich als Sohn des grobianischen Zeit-
alters; doch wenn ihm auch dessen große Ausdruckskraft eignet, so
ist diese doch frei von der Überfülle eines Fischart, sie ist spar-
samer und einheitlicher. Er paart Geist mit Phantasie und weiß da-
durch seinen Reichtum an Wortwitzen und -spielen auszustatten mit
einer seltenen Verbindung von Klarheit des Ausdrucks und Fülle der
Beziehungen, wodurch er überraschend, erleuchtend, interessant und
nur selten langweilig wirkt. Als Humanist legt Frischlin Wert nur
auf lateinische Dramen; von deutschen Stücken läßt er nur „Frau
Wendeigard" (1579) zu seinen Lebzeiten drucken. Erst in der Kerker-
haft schreibt er ausschheßlich deutsche Dramen, vielleicht aus äußer-
lichen Gründen, weil ihm die fremden Vorlagen fehlten, mit deren
gehäufter Zitation er in seinen lateinischen Werken dem üblichen
Wissensprunk der Humanisten fröhnte. Seine Hauptvorbilder sind
Plautus und Terenz, weiter Aristophanes, den er selbst übersetzt hat.
Eine ausgezeichnete Übersicht über sein dramatisches Schaffen ver-
danken wir Roethe. Zunächst behandelt Frischlin in ernsten Dramen
bibhsche Stoffe wie „Rebecca" (1576) und „Susanna" (1577). „Rebecca"
ist symptomatisch für Frischlins dramatische Baukunst. Neben der
Nicodemus Frischlin. 65
ernsten Haupthandlung läuft eine komische Nebenhandlung, in der sich
des Dichters eigentliches Talent offenbart. Frischlin ist der erste be-
deutende selbständige komische Dramatiker durch die Kraft, komische
Gestalten in voller Anschaulichkeit zu schildern. Er zeigt uns nicht
nur Hanswurstgewänder aus zusammengetragenen Lappen typischer
Züge, sondern lebendig gesehene und lebendig dargestellte Menschen.
Aber allerdings scheint seine Komik noch nachträglich beweisen zu
wollen, daß der Teufel der erste Komiker des Dramas war, indem sie
sich meistens auf dem Gebiet des Moralisch-Negativen hält; dazu tritt
noch die Übertreibung der Charakteristik: beides Züge der satirischen
Zeitneigung. Diese lassen aber noch keine volle Menschengestaltung
mit abgetönten Eigenschaften reifen; wohl zeigt die Einzelpersönlich-
keit bereits Mischung von Licht und Schatten, aber zu ihrer Rundung
fehlen noch die Zwischentöne ; Frischlin zeichnet noch keine typischen
Individuen, aber er individualisiert bereits Typen. So betätigt sich
in „Rebecca" seine Adelssatire in dem klar gesehenen Agrarier Ismael;
eine köstlich groteske Schöpfung ist der Falstaff Gastrodes, dessen
fruchtbare Nachwirkung noch in des Heinrich Julius von Braunschweig
„Vincentius Ladislaus" zu verspüren ist.
In der „Susanna", deren Stoff: eine von zwei lüsternen Alten
verleumdete edle Frau — in Literatur und Malerei schon früher be-
handelt wurde, sind besonders die beiden Alten treffend gezeichnet
in ihrer sinnlichen Stärke und körperlichen Schwäche. Die realistische
Schilderung gewinnt durch die von Frischlin stets beliebte kontra-
stierende Parallelität: neben dem dickwanstigen, durchtriebenen Simeon
steht der klapperdürre, schwerfällige Midian. Wiederum ist eine in
ihrem derb-komischen Realismus sehr lebendige Nebenhandlung mit
der Haupthandlung verknüpft. Die Errungenschaften des volkstüm-
lichen Fastnachtspiels sind mit den komischen Schätzen der antiken
Komödie wirkungsvoll verbunden. Auch in anderen, in biblischen Schul-
komödien wie „Ruth", „Hochzeit zu Cana" bewährt sich diese komisch-
satirische Gestaltungskraft, ohne allerdings „Susanna" zu erreichen.
„Hildegardis magna" (1579) gehört wie die deutsche Komödie aus
demselben Jahre „Frau Wendeigard" zu den Genovevadramen und
arbeitet mit rührseliger Taschentüchertragik. In beiden ist die Bibel
als stoffliche Grundlage verlassen und zum ersten Male die Geschichte
als Stoffquelle für das Drama benutzt. Auch hier wieder liegt Frisch-
lins Stärke in der Komik. Der antike Parasit Benzelo, eine Art bos-
hafter Gastrodes, ist wie dieser mit modernen Augen gesehen und
zeigt nahe Verwandtschaft mit dem Shakespearischen König seines
Geschlechts: Falstaff. Am lebendigsten ist die Nebenhandlung der
„Wendeigard", worin ergötzliche Gaunerszenen in köstlicher Frische
vorgeführt werden. Der unstete Frischlin scheint solche Landstreicher-
kreise gut gekannt und keineswegs stets gemieden zu haben. Solche
Nebenhandlungen bleiben aber im dramatischen Gesamtbau immer
Holl, Lustspiel. 5
66 Sechzehntes Jahrhundert: Humanistenkomödie.
nur Einzelheiten. Trotz antiker Vorbilder hat auch Frischlin noch
keinen reinen theoretischen Begriff von dem Unterschied von Tragödie
und Komödie. Das Vorbild des mittelalterlichen Dramas wirkt nach
und verhindert klaren dramatischen Aufbau, Konzentration und Technik.
Grundsätzlich ist die Mischung tragischer und komischer Elemente
im Drama keineswegs zu verurteilen. Gegenwärtige Dramatik will
gerade dadurch gegenüber der Übung der Klassik und des 19. Jahr-
hunderts eine größere Mannigfaltigkeit dargestellten Lebens erzielen,
und in diesem Streben nach kosmischer Buntheit kann sie sich auf
den größten Dramatiker aller Zeiten, den jüngeren Zeitgenossen
Frischlins, Shakespeare, berufen. Doch ist Frischlins Konzentrations-
kraft zu schwach, um aus dem Nebeneinander ein Ineinander zu schaffen.
Am einheitlichsten im Stimmungsgehalt ist sein , Julius redivivus"
(1585), der tatsächlich ein Lustspiel ist. (Die wirksame moderne
Bühnenbearbeitung durch E. L. Stahl geht auf A}Ters Nachbildung
zurück.) Die aus dem Geiste des nationalen Humanismus, wie er
uns in Ulrich von Hütten symbolisiert erscheint, geborene Komödie
läßt im ersten Akte das moderne Deutschland durch die Vertreter
der Antike, den Kriegsmann Caesar und den Friedensmann Cicero,
bewundem, im zweiten Akte lassen die Vertreter Deutschlands — der
Cherusker-Hermann als Kriegsmann mit der Flinte (!), um die Pulver-
erfindung, und Eobanus Hessus als Friedensmann mit dem Buch,
um die Druckerfindung anzudeuten — die Bewunderung wachsen,
und im dritten Akte enthüllen die Vertreter des Auslands, der savoy-
ardische Kaufmann für Frankreich und der mailändische Kaminfeger
für Italien, die Schwächen ihrer Länder gegenüber den Stärken Ger-
maniens. Soweit sind wir Zeugen einer geschlossenen, lebendig und
interessant durchgeführten Handlung, In den beiden Schlußakten
geben die beiden Romanen eine Extravorstellung, wobei sich der
vierte Akt entsprechend dem grobianischen Zeitalter gegen germa-
nische Trunksucht und der letzte, wie schon Reuchlin und Fischart,
gegen die falsche, angemaßte Gelehrsamkeit der Wahrsager und Prak-
tiker wendet. Diese Ausdehnung des Dramas beweist die Gerechtig-
keit des Humanisten, der neben der Verherrlichung des eigenen
Landes auch seine Schwächen, natürlich mit satirischer Besserungs-
absicht, zeigt. Da darin aber die Hauptpersonen fehlen, so wirkt sie
wie eine selbständige Nebenhandlung mit volkstümlich- realistischen
Motiven. So fehlt auch hier wieder der Sinn für dramatische Durch-
führung und Geschlossenheit.
Frischlin ist Impressionist mit ursprünglich komischer Begabung
und gewandter Dialogbeherrschung. Durch Vorliebe für kontra-
stierenden Parallelismus und Neigung zu witziger Überraschung weiß
er uns in Spannung zu versetzen und unser Interesse lebendig zu
erhalten; seine Freude am Volkstümlichen verleiht seiner Kunst, trotz
deren gelehrter lateinischer Form, deutschen Charakter. So haben
Martin Hayneccius: „Hans Pfriem, oder meister Kecks". 67
denn auch seine Werke einen ungeheuren Erfolg, der sich in Auf-
führungen, Neuauflagen und Übersetzungen kundgibt. Roethe urteilt
über seine Nachwirkung: „Die lateinische Schulkomödie der Prote-
stanten dankt es größtenteils Frischlin, wenn sie nicht an Ent-
kräftung und Langeweile verschied, sondern in den neuen Formen
dramatischer Kunst aufging, wie sie hier Frischlins Schüler Heinrich
JuHus von Braunschweig und Ayrer, dort das Jesuitendrama ver-
traten". Frischlin überbrückt die Spaltung von humanistisch-gelehrtem
Drama und volkstümlich-naivem Schauspiel und legt damit Grund-
steine eines unabhängigen deutschen Lustspiels im Sinne relativistisch -
humorischer Weltanschauung.
5. MARTIN HAYNECCIUS:
„HANS PFRIEM, ODER MEISTER KECKS".
In diese Richtung gehört auch eine köstliche Posse des Grimma-
schen Rektors Martin Hayneccius. Er hat des Plautus „Captivi" über-
setzt und eine lateinische Schulkomödie „Almansor" verfaßt und
gleichfalls ins Deutsche übertragen. Doch bedeutsam für die Ge-
schichte des deutschen Lustspiels ist nur seine Komödie ,,Hanso-
framea", die er 1582 in deutscher Bearbeitung veröffentlicht als ,,Hans
Pfriem, oder meister Kecks". Er behandelt darin einen MärchenstofF,
den zweihundert Jahre später Bürger auf dem Umwege über eine eng-
lische Fassung als „Frau Schnips" im Göttinger Musenalmanach ver-
öffentlichte. Die Handlung von Hayneccius' Komödie ist einfach ge-
nug: Der rechthaberische, jähzornige und grobe Fuhrmann Hans
Pfriem schmuggelt sich unrechtmäßig ins Himmelreich und soll nur
so lange geduldet werden, bis er wieder in seine alten Untugenden
zurückfällt. Die Spannung ist damit gegeben: Wird er sich ruhig
verhalten? Wird er das Paradies wieder verlassen? Der Konflikt ent-
steht durch den Zwiespalt seiner verstandesmäßigen Weltbetrachtung
und der jenseits alles verstandesmäßig Begreiflichen stehenden himm-
lischen Geschehnisse, ein Gegensatz von Rationalismus und Supra-
naturalismus. Wir stehen in einem supranaturalistischen Zeitalter,
dem der Rationalismus des ausgehenden Mittelalters für überlebt gilt.
Hans Pfriem aber ist Rationalist durch und durch, der natürlich auf
die Dauer anscheinende Widersinnigkeiten, besonders wenn sie im
eigenen Handwerk passieren, nicht ungerügt hinnehmen kann. Doch
die zu seiner Entfernung ausgesandten Heiligen müssen unverrichteter-
dinge wieder abziehen, nachdem Hans ihnen derb die Wahrheit ge-
sagt hat über ihr sündiges Erdenleben. Hierin offenbart sich die pro-
testantische Tendenz, die alle Heiligenverehrung und Heiligenvermitt-
lung ablehnt. Nur von den unschuldig gemordeten Kindlein droht
ihm Gefahr. Doch die Gnade des Herrn erleuchtet ihn, daß er sich
seines Wortes erinnert und mit den Kindern selbst Kind wird, um
58 Sechzehntes Jahrhundert : Humanistenkomödie.
damit das Reich Gottes zu erlangen. Die, wenn auch stellenweise
unbeholfene Komödie ist mit dramatischem Geschick aufgebaut und
hebt sich dadurch, daß sie Weltanschauungen selbst im Kampfe zeigt,
über das Niveau harmloser realistischer Possen zur Höhe des humor-
gestalteten Lustspiels, das in dem Typus des räsonierenden Besser-
wissers Pfriem gelungene Ansätze zur Charakterkomödie zeigt.
6. STUDENTENKOMÖDIEN.
Die angenehm auffallende Beschränkung tendenziöser Lehrhaftigkeit
auf ein Mindestmaß konnte schon bei Frischlin beobachtet werden.
Selbst bei den sogenannten Studentenkomödien, obwohl diese pädagogi-
schen Absichten entspringen, tritt das direkt Lehrhafte zurück. Ihre
Grundlage bilden die pädagogischen Tendenzstücke, wie sie von
Gnapheus und Macropedius in ihren Prodigusdramen geschaffen
wurden. Aber ein volkstümlicher Zug verschiebt den Akzent von der
Haupthandlung auf die Teilhandlung: statt reuevoller Umkehr wird
das lasterhafte Leben in der Fremde ausgemalt. Der Humanismus
leiht das Milieu: Der Sohn ist Student, das Leben in der Fremde
ist das derb materialistische Studentenleben der Zeit. Somit ent-
steht eine sittenschildernde Studentenkomödie, die einerseits Typen,
wie Verführer, Parasiten, Kupplerin, Dirne, der antiken Komödie ent-
lehnt, andererseits aber auch reiche selbständige realistische Be-
obachtungen einflicht. Humanismus und Volkskunst verbinden sich
zu einer Komödienart, die durch das ganze 17. Jahrhundert beliebt
ist und selbst dem 18. Jahrhundert, wie Lessing, noch einzelne Züge
vererbt. Der älteste Vertreter dieses Typus sind die „Rebelies" des
Macropedius vom Anfang der dreißiger Jahre. Neigung und Talent
dazu hat er bereits in seinem ,,Asotus" bewiesen. Im Jahre 1536
wiederholt er den Stoff in neuer Bearbeitung: „Petriscus", worin vor
allem die törichten, ihre Söhne verziehenden Mütter schlecht weg-
kommen. Die eigentlichen Studentenkomödien in Deutschland werden
aber eingeführt durch des Stymmelius „Studentes" (1545). Der auf-
fallende Realismus der Darstellung schlug sofort ein, und zahlreiche
Nachdrucke beweisen seine Beliebtheit. Einen ähnlichen Erfolg erzielt
erst wieder am Ende des Jahrhunderts Albert Wichgrev mit seinem
„Cornelius relegatus" (1600).
Das Ergebnis der Humanistenkomödie für unsere Lustspielentwick-
lung ist die Kenntnis antiker Technik und das Verständnis für rea-
listische Beobachtung und Darstellung. Das Fehlen dramaturgischer
Klarheit begünstigt aber immer noch gerne epische Schilderung mit
außerästhetischen Tendenzen und didaktischem Endzwecke. Trotz
aller, teilweise auch gelungener Versuche, Volkskunst in die gelehrte
Form einzuschmelzen, bleibt die Humanistenkomödie, schon ihrer
vorherrschend lateinischen Sprache wegen, Bildungsdrama.
Studentenkomödien. Humanistentheater. 69
7. HUMANISTENTHEATER.
Der Humanismus löste die mittelalterliche Einheit von Theater und
Drama. Seine dramatischen Erzeugnisse, worunter wir kaum seine
prunkhaften allegorischen Festspiele rechnen können, waren nicht
fürs Theater bestimmt; sie verfolgten Zwecke, die mit dem Theater
nichts zu tun hatten. Wenn der Humanismus sich des Theaters
bediente — und er tat dies in der Reformation mit Nachdruck — ,
so war es ihm nur um Erreichung jener ihm höher dünkenden Zwecke
intellektueller oder moralischer Belehrung zu tun. Das Theater
war ihm Propagandamittel. Hier liegen die Wurzeln jenes durch-
aus untheatralischen Wortes des i8. Jahrhunderts, daß die Bühne
zur Kanzel werde. Das Wort beherrscht die Bühne; sie muß Mittel
sein, um den geistigen Gehalt des gesprochenen Worts verständlich zu
machen; sie hat mehr rationalistische, denn sensualistische Bedeu-
tung. Die absolute Neutralität der Fastnachtspielbühne, wenn hier von
einer Bühne, die doch Trennung vom Publikum voraussetzt, über-
haupt gesprochen werden kann, bot keinerlei Hilfe zur Verständlich-
machung des Gesprochenen. Hier macht sich der klaffende Unterschied
zwischen dem Fastnachtspiel als sozialer Funktion und dem Huma-
nistendrama als individuellem Produkt bemerkbar.
Die Häufung der Koexistenz aber, wie auf der mittelalterlichen Bühne
des geistUchen Schauspiels, hätte auf den zu belehrenden Zuschauer
nur verwirrend wirken können. Von beiden mußte sich die Humanisten-
bühne frei halten und konnte dies durch die Anlehnung an die Antike.
Auf ihr wollte ein Individuum zu Wort kommen, das sich bewußt
als Lehrer gegenüber der Allgemeinheit empfand. Es mußte daher
abgegrenzt sein. Aus dem Gesamtkomplex menschlicher Lebens-
probleme wird eines ausgewählt und zur Belehrung dargestellt. Diese
Vereinzelung des Stoffes bedingt eine Vereinzelung des Schauplatzes,
auf dem dieser Stoff dargestellt werden soll. Da aber das Darzustellende
das Wichtige ist, nicht die Darstellung selbst, so muß alles vermieden
werden, was die aufnehmenden Organe von dem Inhalt des Dargestellten
ablenken könnte. Es darf demnach das Auge nicht durch naturaHstische
Ausstattung der Bühne derart in Anspruch genommen werden, daß das
Ohr als das Hauptorgan intellektueller Beeinflußbarkeit in seiner wahr-
nehmenden Tätigkeit beeinträchtigt würde. Andererseits muß aber die
Mitarbeit des Auges herangezogen werden. Alles, was nicht durch
das gehörte Wort selbst gesagt wird und dennoch zum Verständnis
des Gesagten notwendig ist, soll das Auge vermitteln. Die Haupt-
fragen, die es zu beantworten hat, sind: Wer sind die sprechenden
Personen, woher kommen sie, wohin gehen sie? Das Auge gibt all-
gemeine Orientierung über Personen und Situationen.
Um dies zu ermöglichen, arbeitet die Humanistenbühne — auch
darüber hat uns Max Herrmann belehrt — mit Vorhängen, die den
yO Sechzehntes Jahrhundert : Das volkstümliche Drama.
Hintergrund der Bühne abschließen. Diese Vorhänge sind von rechts
nach Hnks abgegrenzt in einzelne Türen, einzelne Häuser der Haupt-
personen, die sichtbar angebracht den Namen ihres Bewohners tragen.
Damit ist erreicht, daß der Zuschauer sofort weiß, wenn jemand aus
einem dieser Vorhänge hervortritt, daß dies der Betreffende ist, dessen
Name über dem Vorhang steht, oder daß er doch mindestens zu
seinem Hausgesinde, seiner Partei gehört. Außerdem ist damit erreicht,
daß die betreffenden Spieler während des Spiels auf- und abtreten
können. Weiter muß die Bühne noch ein Mittel schaffen, um Leute,
die aus der Fremde kommen oder in die Fremde gehen, Leute, die
nicht als in diesen ständigen Häusern wohnhaft zu denken sind, zu
unterscheiden. Dazu wird auf beiden Seiten der Bühne, rechts und
links der Badezellen, eine Straße frei gehalten, die sogenannte Markt-
straße, die via ad forum, also, im Gegensatz zu den Schauplätzen häus-
lichen Lebens, der Schauplatz öffentlichen Lebens. Diese Bühnen-
einrichtung stammt aus Italien. Der Mann, der am meisten zu dieser
Bühnenreform beigetragen hat, ist der niederländisch-französische Hu-
manist Jodocus Badius, der 1493 zu Lyon einen illustrierten Terenz
erscheinen läßt; dessen Bühnenbilder vermitteln uns wichtigste Ma-
terialien zur Kenntnis der Renaissancebühne.
Diese sogenannte Terenzbühne wird übernommen von dem deut-
schen Schuldrama, dem Kind der pädagogischen Welle, die, erregt
vom Humanismus, das ganze 16. Jahrhundert hindurch anhält. Seine
Aufführung dient dem Lehrzweck des gesprochenen Worts. Doch
nicht nur der Inhalt des Dargestellten, die Darstellung selbst soll be-
lehren, und zwar vor allem die darstellenden Schüler selbst. Die Auf-
führung ist Ergänzung des Unterrichts in Sprache, Literatur und
Rhetorik. Dazu bedarf es keiner Augenpracht. Einfachheit und Anti-
naturalismus sind geboten; die Dekoration wird gesprochen, wie über-
haupt der Hauptwert der Aufführung auf dem Sprechen liegt. Die
Bühne ist nur ein Ort für Vortragskunst, die Aufführungen sind mehr
ein Rezitieren als ein Agieren. Damit ergibt sich eine Gehaltenheit
des Sprechers; die große ausladende Geste ist nicht am Platze. Die
körperlicheDarstellungbeschränktsichauf das Notwendige, die mimische
Kunst ist wesentlich Gesichtsmimik. Auch die Aufführung unterstreicht
den Charakter der Humanistenkomödie als Bildungsdrama.
IL DAS VOLKSTÜMLICHE DRAMA.
I. FASTNACHTSPIEL DER REFORMATIONSZEIT.
a) Konfessionspolemik.
Von der Humanistenkomödie hebt sich grundsätzlich ab das aus dem
Mittelalter in die Neuzeit hinübergerettete Fastnachtspiel mit seiner hol-
prigen Knittelversform. Es ist Volksdrama. Aber auch dieses hat seine
Fastnachtspiel der Reformationszeit: Konfessionspolemik. 7I
Naivität verloren. Die gewaltige geistige Bewegung, die nun die ganze
Menschheit, besonders aber die Deutschen erschüttert und zur un-
bedingten Anteilnahme für oder wider zwingt, die Reformation der
ganzen Lebenshaltung und Weltanschauung, deren Einwirkung auf
die Humanistenkomödie wir allenthalben beobachten, schlägt auch
die Volksdichtung in ihren Bann. Das naive Fastnachtspiel wird be-
wußte Tendenzdichtung. Die Entwicklung tendenziöser Sittendar-
stellung läßt an Stelle des lustigen Narrentons die Stimme des Predi-
gers erschallen. Die Bezeichnung Fastnachtspiel erhält jetzt die voni'
der Aufführungszeit losgelöste, rein formale Bedeutung für satirisch-l
lehrhafte Sittenschilderung in dialogisierten Knittelversreden mit;!
heiterem Ausgang. Man kann daher wohl von moralischen Fastnacht-I
spielen sprechen. Sie hängen zusammen mit den mittelalterlichen
Moralitäten und betätigen mit diesen die Vorliebe für allegorische
Gestalten. Mit dem mittelalterlichen Fastnachtspiel haben sie aber,
trotz gelegentlicher Schlußaufforderung zum Tanz, außer der Be
Zeichnung und äußeren Form wenig gemein.
Der mit erwachtem Selbstbewußtsein aus dem Mittelalter entlassene ^
Bürger nimmt leidenschaftlichen Anteil an den aufregenden Zeit- ^^
ereignissen und ist unmittelbarer Träger der ganzen Zeitstimmung.-
Er legt jene deshalb auch den Fastnachtsaufführungen zugrunde, wie
noch heute etwa politische Geschehnisse lokaler, nationaler oder
internationaler Art in Fastnachtsumzügen burlesk dargestellt werden.
Die Reformationsbewegung bedeutet für das Fastnachtspiel seine
Aktualisierung. Das Fastnachtspiel wird reformatorisches Tendenz-
stück, und zwar wesentlich im Dienste der Angreifer des Bestehenden.
Da bei solchen parteipolitischen Umzügen und Aufführungen zu be-
fürchten war, es möchten Unruhen daraus erwachsen, so erscheinen
auch bald Verordnungen vorsichtiger städtischer Behörden, die solche
tendenziösen Spiele verbieten. Auch diese Verordnungen teilen mit
jeder einseitigen Zensur das Schicksal der Erfolg- und Fruchtlosig-
keit. Ein charakteristisches Zeugnis für das Eindringen aktueller,
rehgiös-politisch orientierter Polemik in das Fastnachtspiel bietet das
letzte Stück der Sterzinger Sammlung „Die zwen Steundt"; während
der zweite Teil eine Brautwerbung durchaus im alten drastisch-rea-
listischen Fastnachtspielstil ist, enthält der erste Teil nur Disputationen*
des weltlichen und geistlichen Standes über antiklerikale Tagesklagen. f
Die Reformatoren, voran Luther und seine Umgebung, förderten
angelegentlich sowohl das Schuldrama, wie die protestantischen Schul-
ordnungen mit ihren immer wiederholten Hinweisen auf Plautus und
Terenz bezeugen, als auch das Volksdrama, das die willkommene volks-
tümliche Form für die konfessionelle Satire bot. Darin betätigte sich
zunächst mit großem Erfolge der eifernde Anhänger der neuen Lehre,
der Baseler Buchdrucker, Theologe und klassische Philologe Pam- 1
philus Gengenbach (^1525). Als geborenem Nürnberger war ihm diese!
72
Sechzehntes Jahrhundert: Das volkstümliche Drama.
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Form besonders vertraut. Seine saftige und derbe Satire „Die Gauch-
matt" (15 16), die den vorgeführten Typen bereits individuaUsierende
Züge verleihen möchte, ist gegen Ehebruch und Unkeuschheit ge-
richtet, „Die Totenfresser" C1521) aber sind eine dialogisierte Satire
gegen die katholische Geistlichkeit wegen der Totenmessen.
Ihn weit überragend ist sein Zeitgenosse, der vielgewandte Maler-
dichter Nikiaus Manuel (1484 — 1531). 1522 veröffentlicht er zwei Fast-
nachtspiele: „Vom Papst und seiner Priesterschaft", worin er gleich
Gengenbach das Motiv des Totenfressens behandelt, und „Von
Papstes und Christi Gegensatz", worin er das naive, derbe, unver-
dorbene Bauernvolk dem gleißenden Prunk der gleißnerischen Diener
der Kirche gegenüberstellt, um zu begründen, wie durch deren Ver-
weltlichung die Bauern zur neuen Religion getrieben werden. Ein
sehr wirkungsvolles reformatorisch-tendenziöses Fastnachtspiel „Ab-
laßkrämer" (1525) läßt die Dorfweiber dem Ablaßhändler die er-
schwindelten Reichtümer abnehmen; die Vorgänge sind klar gesehen,
mit überlegenem Humor geschildert in derber, treifender Ausdrucks-
weise. 1528 erscheinen dann wieder zwei Stücke, wovon ,, Krank-
heit der Messe" zu den kräftigsten Satiren der Reformation gehört,
von unwiderstehlicher Wucht der Überzeugung und schneidender
Schärfe des Spotts, während das „Testament der Messe" leichter und
scherzhafter gehalten ist; beide zeigen mit dem Prozeßmotiv und dem
Krankenstuben- oder Operation smotiv Fastnachtspieltradition.
„Elsli Tragdenknaben" (1530) ist keine kirchliche Satire. Wenigstens
ist die Einwirkung der Schweizer Reformationsbewegung, die das welt-
liche Leben auf Grund des Bibeltextes leiten will, nur nebensächlich
gegenüber der Haupthandlung, deren Unterlage das alte Gerichtsspiel
von „Rumpolt und Mareth" bildet. Manuel hat die Vorlage, nicht zu-
gunsten des Werks, stark erweitert, sowohl durch die Geschwätzig-
keit der Personen als dadurch, daß er der Ehe von Rumpolt und
Mareth auch noch die von Rumpolts Vater und Mareths Mutter folgen
läßt und außerdem mit dem Stoff eine Satire gegen die geldhung-
rigen, prozeßfördernden Juristen verknüpft. Doch wenn er auch die
ursprüngliche Knappheit verwässert hat, so bleibt sein Spiel doch
immer noch sehr lustig und ein Zeugnis, daß er ein echter Volks-
dichter ist von scharfer Beobachtung, selbständigem Urteil, Mut der
Überzeugung und großer Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck.
Der Schweizer hat jedenfalls mehr Anspruch auf den Ehrentitel eines
Germanicus Comicus als sein deutscher Zeitgenosse Joachim Greff.
b) Allgemeine Satire.
Erst im Laufe der dreißiger Jahre verebben die hochgehenden
Wogen der Reformationsfehden. Der Zeit des Kampfes folgt die Zeit
der Verständigung. Allgemeinere Interessen suchen wieder nach
Sprachrohren, das Fastnachtspiel als aktuelles Konfessionspolemikspiel
Fastnachtspiel der Reformationszeit: AUgemeine Satire. 73
macht allgemeiner Satire Platz. Auch jetzt wieder ist die Pflegestätte
des Fastnachtspiels der ganze Bereich deutsch sprechender Lande, und
seine Verfasser, die wir im Gegensatz zu früher jetzt meistens kennen,
da sie gerne im Schlußreim selbst ihren Namen angeben, stammen
aus beiden Konfessionslagem, wenn auch die Protestanten überwiegen.
Es findet sich hier in dem Fastnachtspiel wieder ein gemeinsamer
Boden deutschen Volkstums, der sowohl die religiöse Kluft als auch
die durch die humanistische Bildung verursachte kulturelle Spaltung
überbrückt. Darin sehen wir das größte Verdienst des neuen Fast-
nachtspiels. Es bahnt sich darin eine Annäherung beider Kulturlager
an ; das Fastnachtspiel ist der erste Zeuge einer beginnenden neuen
Nationalkultur. Der Unterschied vom ursprünglichen Fastnachtspiel
des Mittelalters besteht wesentlich darin, daß jetzt an Stelle des Selbst-
zwecks unmittelbaren Freudeausdrucks bestimmte kulturelle Absichten
des Verfassers verfolgt werden. Das Fastnachtspiel tritt in den Dienst
intellektueller und ethischer Zwecke, wozu die Bauernsatire des aus-
gehenden Mittelalters und die Konfessionspolemik der Reformation
vorgearbeitet hatten. Dadurch geht viel von der früheren Unmittel-
barkeit und Unbedenklichkeit verloren.
Wohl bearbeitet das Fastnachtspiel des 1 6. Jahrhunderts gern Stoffe
der mittelalterlichen Spiele, wohl sind auch in ihm Typen und nicht
Individualitäten vorherrschend, aber die humanistische Renaissance
macht sich auch bei ihm geltend, indem es sich unter die horazische
Poetiklehre der Mischung vom Angenehmen und Nützlichen beugt.
Der gelehrte, seine Richtlinien aus der Antike holende Humanismus
bestimmt den geistigen Horizont selbst in der Volkskunst. Dadurch
erfährt selbst die äußere Form eine gewisse Veränderung. Im Fast-
nachtspiel des Mittelalters, in dem Dichter und Spieler in ihrer Spon-
taneität als eine Person erschienen, redete diese gleichsam wie ihr
der Schnabel gewachsen war. Was die Zuschauer dalDei hören mußten,
war in seiner zur Unfläterei gehäuften Derbheit wahrhaftig nicht hof-
fähig. Es gab keinerlei konventionelle Bedenken. Konvention und
Unmittelbarkeit des Ausdrucks sind unvereinbar. Im Fastnachtspiel
der Renaissance ist der Dichter vom Spieler getrennt. Nicht Spon-
taneität ist mehr sein Wesen, sondern Überlegung liegt ihm zugrunde,
Überlegung eines mit den Bildungsmitteln der Gesellschaft mehr oder
weniger vertrauten Verfassers, der eingestandenermaßen mit Hilfe
dieser Bildungsmittel im Rahmen dieser Gesellschaft bestimmte kulturelle
Besserungen, intellektuell ethische Besinnungen erzielen will. Für ihn
ist daher die Konvention bindend ; die Folge ist eine Beschränkung der
Derbheit im Ausdruck. Gegenüber der anscheinenden Roheit mittel-
alterlicher Fastnachtspiele wirken die des i6. Jahrhunderts gesittet.
Aus der großen Zahl kürzerer und längerer Stücke, die in ihrem
Umfang weit über die durchschnittliche ursprüngliche Größe hinaus-
schreiten, heben wir zwei Schweizer Spiele heraus, die zu den besten
JA Sechzehntes Jahrhundert : Das volkstümliche Drama.
des Jahrhunderts zählen. Das 1548 von jungen Züricher Bürgern auf-
geführte Weinspiel „Ein holdsäliges Faßnachtspil, darin der edel wyn
X von der Truncknen rott beklagt, vonn Raeblüthen geschirmbt un von
Richtern ledig gesprochen wirt, gantz lieplich zeläsen" stammt von
Hans Rudolf Manuel, dem zweiten Sohne des uns bereits bekannten
Nikiaus Manuel. Das Stück besteht aus zwei Teilen, wovon besonders
der erste in seiner frischen Bewegung und realistischen Darstellung
gut gelungen ist. Es ist eine Frühschoppenszene, die, in ihrer Aus-
gelassenheit an die Szene in Auerbachs Keller erinnernd, bis in die
Nacht ausgedehnt wird, in der zum Schlüsse die Trinker den Wein
seiner schädigenden Wirkung halber beschimpfen. Der zweiteTeil bringt
die Gerichtsszene wegen der Klage des Weins; ihre Form erinnert
an die frühesten Vorbilder des Fastnachtspiels, wie etwa im „Tana-
wäschel" die Ankläger der Reihe nach ihre Beschwerden vorbringen.
Doch es erstehen dem Wein auch Verteidiger, wie das alte Bauern-
weiblein, das mit dem alten Trinklied bekennt: ,,Der ist der liebste
bule min". Mit der Ausführung des drastischen Urteilsspruchs gegen
die Ankläger schließt das Spiel. Ausdrücklich wird noch die Nutz-
anwendung betont:
„Deßhalben nyemand mein noch acht, Das man darinnen suften leer,
Das unser spil darumb syg gmacht, Sunder das man sich darvon keer".
Doch neben dem didaktischen Zweck verfolgt das Fastnachtspiel in
alter Tradition die mimische Absicht, Lachen zu erregen durch rea-
listische Schilderung:
„Wir bkennends leider selber wol. Sunder vollen narry und grillen,
Das wir der witz nit sind gar vol. Doch nämend für die wärck den willen".
Das Spiel ist ein Zeugnis für die in der damaligen Zeit überhand-
nehmende Trunksucht, die mit Lob und Tadel des Weins in der Lite-
ratur, besonders der grobianischen, reichlich vertreten ist. Bei aller
dramatischen Geschicklichkeit, besonders im L Teil, wirkt es doch
durch die endlosen Moralisierungen im IL Teil, die es auf 4238 Verse
anschwellen lassen, ermüdend. Bezeichnend ist, daß auch die Figur
des Teufels, der an der Trunksucht seine helle Freude hat, auftritt.
Die Reformation hatte ja nicht den Teufelsglauben abgeschafft, son-
dern, wie die Lebensgeschichte Luthers und die ausgedehnte protestan-
tische Teufelsliteratur beweisen, eher neu belebt, war doch die Teufels-
figur ein willkommenes Mittel zur moralisierenden Sittenschilderung.
Bedeutender in dramatischer Gestaltung als Manuels Weinspiel,
ja das bedeutendste Lustspiel der Schweizer Literatur des 16. Jahr-
r^ hunderts überhaupt ist des Schaff hausener Malerdichters Tobias Stim-
mer „Spiel von zwei Eheleuten" (1580), das neuerdings Witkowski
geschmackvoll mit Stimmers Illustrationen herausgegeben hat. Der
Schweizer Literarhistoriker Baechtold will in dem lustigen, humorvollen
Fastnachtspiel der Reformationszeit: Hans Sachs. 72
Stück sogar Shakespearisches sehen. Es ist ein Verwechslungsspiel,
eine Komödie der Irrungen : Während der Abwesenheit des Ehemanns
vermeint sein junges Weib in einem biederen Holzhacker den ver-
kleideten Pfafifen als ihren erwarteten Liebhaber zu empfangen, sie
erhält mit der kupplerischen Magd die Strafe für den geplanten Ehe-
bruch. Das Motiv ist nicht neu, schon ein altes Fastnachtspiel (Nr. 19
in Kellers Sammlung) behandelt den Stoff, es klingt auch stark an
boccaccieske Schwanke an; doch die Art der Behandlung macht es
zu einer unserer besten Possenkomödien. Die Gewandtheit der Dar-
stellung, die Kunst der Charakterisierung, die Komik der Situationen,
der Witz des Dialogs: alles verrät die beste Kunst des Lustspiels,
die wir in jener Zeit überhaupt besitzen und die die naive Form
des Fastnachtspiels weit hinter sich läßt. Hier haben wir kein Fast-
nachtspiel mehr, sondern ein echtes Lustspiel, welche Bezeichnung
frühestens für das Jahr 1536 bezeugt ist; 1537 erscheint sie dann
wieder im Titel: „Ein lustspil, der weyber Reichstag genant".
c) Hans Sachs.
Stärker in der Fastnachtspieltradition haftend erweist sich Hans
Sachs (1494 — 1576), der aber in Freiheit des Humorgefühls Tobias
Stimmer mindestens erreicht, in sprudelnder Erfindungskraft, in Viel-
fältigkeit literarischer Interessen und Betätigung ihn weit übertrifft,
Hans Sachs ist in seinen Fastnachtspielen Volksdichter, aber trotz-
dem er stofflich und formell an das mittelalterliche Fastnachtspiel
anknüpft, ist er ihm gegenüber doch Vertreter der neuen Bildung.
Natur ist nicht mehr der Natur wegen dargestellt, sondern der Lite-
ratur wegen. Was Natur war, wird Literatur, Natürlichkeit Grobia-
nismus. Hans Sachs gibt in seinen Fastnachtspielen Zeugnisse für!
diese grobianistische Seite des 16. Jahrhunderts, die die Kehrseite-
bildet zur humanistischen Kultur. Indem er sich aber der alten j
Fastnachtspielform bedient, wenn er sie auch durch seine vertiefte
Einsicht in dramaturgische Notwendigkeiten modifiziert, erlangen
seine Fastnachtspiele jene Beliebtheit und Verbreitung, die sie nach
Scherers Wort wie Volkslieder fortdauern lassen. Die Holprigkeit
ihrer Knittelverse war mindestens kein störender Faktor. Die dar-
gestellten Typen sind altbekanntes und behebtes Erbgut, doch sind
sie mit charakteristischen Zügen bereichert, die Hans Sachsens scharf
beobachtendes Auge an seiner Umwelt entdeckte. Dies ist das
Kennzeichen unseres bürgerlichen Meisters: er wuchert mit über-
kommenem Pfund, demokratisiert den Humanismus, macht dessen
Gut volkstümlich.
Wiederum zeigt sich die Einwirkung des Humanismus auf die
volkstümliche Dramatik. Besonderes Zeugnis dafür bildet die Aus-
schöpfung der beliebten Schwankliteratur. Wie Hans Sachs den Be-
reich des alten Fastnachtspiels erweitert dadurch, daß er neben dem
76 Sechzehntes Jahrhundert: Das volkstümliche Drama.
\ Bauernmilieu in fünfzehn Stücken bürgerliche Kreise spiegelt, so durch
t die Stoffentnahme für vier Stücke aus dem „Eulenspiegel", für acht
I aus Paulis „Schimpf und Ernst", für dreizehn aus dem „Decamerone".
Als Dramatisierung von Schwänken sind die Possenspiele nicht mehr
Mimen im alten Sinne der unmittelbaren realistischen Abbildung des
Lebens, sondern Ergebnisse literarischen Studiums; nicht mehr das
Leben bildet ihre Grundlage, sondern das Buch. Darin liegt der wesent-
liche kulturelle Unterschied, den der Humanismus ins volkstümliche
Drama gebracht hat: am Anfang steht das Wort, nicht mehr die Tat.
Hans Sachsens erstes Fastnachtspiel stammt aus seinem 22. Lebens-
jahre, von 15 17; in der Kampfzeit der Reformation verstummt seine
Fastnachtspielproduktion; erst von 1533 ab fließt sie wieder, und bis
1540 hat er 15 Fastnachtspiele verfaßt. Am stärksten blüht seine
Schaffenskraft von 1550 bis 1560, wo er 65 Spiele schreibt. Der sorg-
fältige Herausgeber der Fastnachtspiele, Goetze, druckt 85 Stücke in
seiner Sammlung ab. Der Vorzug von Hans Sachsens Kunst besteht
in der Klarheit der Beobachtung und der Kraft der Darstellung des
Beobachteten in gedrängter Kürze. Allerdings kann er sich von dem
Zug der Zeit, lehrhaft zu moralisieren, nicht frei halten. Nicht nur
daß er seinen Spielen gern ein Moralschwänzchen anhängt, er dehnt
auch gelegentlich durch die didaktische Absicht den Bau der Posse
unproportioniert aus. Doch im Grunde ist er ein Künstler, der bewußt
den dramaturgischen Bau seiner Stücke überwacht und sich darüber klar
ist, daß in der Kürze des Witzes Würze liegt. Der gewöhnliche Um-
fang beträgt 360 Verse. Gerade daß er im allgemeinen seine Neigung
zur Geschwätzigkeit zügelt, zeigt uns sein bewußtes dramaturgisches
Schaffen und macht um so bewundernswerter, daß er innerhalb dieses
kurzen Ablaufs so treffend realistische Schilderungen zu geben ver-
mag. Auch die Personenzahl, die in dem alten Fastnachtspiel bei-
nahe unbegrenzt war, beschränkt er auf drei bis sechs, ebenfalls zu-
gunsten der Konzentration und damit der dramatischen Wirkung.
Diese gründet aber hauptsächlich in der Kunst der überaus knappen,
witzigen und lebendigen Dialogführung. Allerdings eine innere Be-
ziehung von Stoff und Form war Hans Sachs unbekannt. Jeder Stoff
konnte in jede Form gezwängt werden. Die ergötzliche Erzählung
von den ungleichen Kindern Evas behandelt er 1547 in einem höl-
zernen Meistergesang, im September 1553 in einem Fastnachtspiel, im
November darauf in einer Komödie, und erst 1558 schuf er daraus
einen schlechthin vollkommenen Schwank. Wenn darin auch ein
Suchen nach der gemäßen Form erkannt werden darf, so fehlte ihm
doch trotz aller wirksamen dramatischen Schilderungskunst das in-
stinktiv sichere dichterische Gefühl. Im Grunde war er ein Schreiber
wie andere Schreiber auch — keineswegs die von Goethe und Richard
Wagner verherrlichte Dichtergestalt — , nur daß ihn sympathisches,
mildes und frohes Menschtum, sittliche Charakterstärke und als Künstler
Theater. 77
scharfe Beobachtungsgabe, realistische Darstellungskunst und leicht-
flüssige, volkstümliche Sprachbeherrschung auszeichneten und über
seine Zeitgenossen hinaushoben. 'I
2. THEATER.
Die Aufführungsart des Fastnachtspiels, wie es der Meistersinger
Hans Sachs ausbildet — darüber hat uns wiederum Max Herrmann be-
lehrt — , hat nichts mit der heroisch-pathetischen, dekorativ-stilisierten
Feiertagskunst des Meistersingerdramas gemein. Den grundsätzlichen
Unterschied erkennt auch Albert Kösters Kritik der Herrmannschen
Forschungsergebnisse „Die Meistersingerbühne des sechzehnten
Jahrhunderts" (1921) an. Wenn auch die Grenzen beider Kunstarten
flüssig sind, so daß Köster darauf hinweisen kann, wie der Her-
ausgeber Goetze bisweilen im Zweifel war, ob das einzelne Stück den
Komödien oder den Fastnachtspielen zuzurechnen sei, so entspricht
die Darstellung des Fastnachtspiels in ihrem Verzicht auf die große
getragene Geste doch noch eher der der humanistischen Schulkomödie,
und jene Übergänge beider Kunstarten finden wir auch hier zwischen
Volkskomödie und Humanistenkomödie, so daß Reuchlins „Henno"
etwa für die Fastnachtspielbühne, Stimmers „Eheleute" für die Terenz-
bühne geschaff"en scheinen. Aber die größere Wirklichkeitsnähe des
Fastnachtspiels durchbricht auch die Gehaltenheit der Schulkomödie.
Seine Eigenart beruht in seinem malerisch -genrehaften Kunststil.
Psychologisierung tritt im Fastnachtspiel an Stelle des Dekorativen,
Vertiefung an Stelle des Flächenhaften, naturalistische Auflösung an
Stelle stilisierender Gebundenheit. Die volkstümliche Tradition läßt
das Bewußtsein der Feiertagskunst verschwinden. Alhagswirklichkeit
wird drastisch unterstrichen, wozu alle Mittel naturalistisch -psycho-
logisierender Darstellung, insbesondere Gesichtsmimik, willkommen
sind; allerdings sind auch hier wieder dämpfende Züge zu beobachten,
die den krassen, ungebundenen Naturahsmus einem zahmeren Realis-
mus, die individualisierend-psychologische Darstellung der typischen
annähern. Selbst im Fastnachtspiel macht sich, wenn auch weit
schwächer als im Humanistendrama, die Tendenz des 16. Jahrhunderts
geltend, die Dichtung, das Drama in den Vordergrund zu rücken und
das Theater nur als Diener des Dramas oder aber einer über beiden
stehenden pädagogischen Absicht aufzufassen; trotzdem aber bewahrt
sich das Theater Eigenleben.
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C. SIEBZEHNTES JAHRHUNDERT.
I. ENGLISCHE KOMÖDIANTEN.
I. CHARAKTER DER SCHAUSPIELERTRUPPEN.
Der Übergang des i6. ins 17. Jahrhundert stellt sich uns in deut-
scher Lustspieldramatik an Jacob Ayrer und Heinrich Julius v. Braun-
schweig dar. Sie wurzeln noch fest in vorhergehender Tradition,
zeigen aber auch schon deutlich die Einflüsse einer neuen Bewegung.
Diese Befruchtung kommt vom Ausland, in erster Linie von England.
Zunächst fördert sie das Theater und führt seine Herrschaft über das
Drama herbei. Wir stehen jetzt vor einem Kapitel deutscher Drama-
und Theatergeschichte, das in dem Theatervorspiel zum „Faust" der
Direktor und die lustige Person vertreten: „Die Masse könnt ihr nur
durch Masse zwingen".
In England haben im 16. Jahrhundert Drama und Theater gewaltige
Fortschritte gemacht, so gewaltig, daß sie am Ende des Jahrhunderts
zum Endziel ihrer Bahn kommen durch ihre harmonische Vereinigung
und Durchdringung in Shakespeare. Dramatische Kunst wie Theater-
kunst stehen auf gleicher Höhe, beide arbeiten Hand in Hand. Diesen
Vorteil hat schon um die Wende des 16. Jahrhunderts ein deutscher
Beobachter, Johannes Rhenanus, erkannt und darauf sein günstiges
Urteil über die englischen Schauspieler gegründet in der Vorrede zu
seiner Komödie „Speculum aistheticum" (1613). Die anerkannte Vor-
trefflichkeit englischer Schauspieler wird von diesen frühzeitig auf
Gastspielreisen betätigt und erwerbsmäßig ausgenützt. So kommen
sie auch nach Deutschland — schon 1556 erscheinen sie in Branden-
burg — und bilden seit dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts
ständige Wandertruppen auf deutschem Boden. Es ist die Zeit der
englischen Komödianten. Hohe literarische Prätentionen haben diese
Schauspieler nicht. In der Mehrzahl sind es auch nicht gerade die
besten, die ins Ausland streben. Sie sind mehr Diener des Theaters
als des Dramas, wird doch auch bei ihrer Benennung immer wieder
darauf hingewiesen, daß sie Instrumentisten und Springer sind. Die
Hauptelemente ihrer Darbietungen sind Singewerk, Spielwerk, Feuer-
werk. „In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünk-
chen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut. Der alle Welt er-
Charakter der Schauspielertruppen. Repertoire. 7Q
quiekt und auferbaut". Dies ist das Rezept, nach dem sie das drama-
tische Ragout zusammenbrauen als Rahmen der Schaustellung ihrer
mimischen Künste. Gerade dadurch erlangen sie aber allgemeine
Beliebtheit und sind bald in allen Gegenden und Winkeln Deutsch-
lands, in Nord und Süd, in West und Ost heimisch.
Diese englischen Schauspielertruppen sind in erster Linie für unser
Theater bedeutsam geworden. Sie haben den deutschen Schauspieler-
stand begründet. Alles, was ihnen vorausgeht: die Bürger, die
Schüler, die Studenten, ist Dilettantentum. Für die Auswahl der
aufzuführenden Stücke waren ihnen ebensowenig didaktische Ab-
sichten wie ästhetische Rücksichten bestimmend, maßgebend war nur
der Geschmack des Publikums. Kunsterzieherische Absichten lagen
ihnen fern; und da die Instinkte der Masse entscheidend waren, so
sank das ästhetische Niveau immer tiefer. Nicht der dramatische
Dichtungswert war ausschlaggebend, sondern einzig und allein die
theatralische Bühnenwirkung. Wenn trotzdem dramatisch wertvolle
Stücke oder doch Einzelzüge und Motive in ihrem Repertoire vor-
handen sind, so danken wir dies dem glückhchen Zufall, daß die
Komödianten von einem dramatisch hochentwickelten Lande zu uns
kamen. Von den beiden Richtungen des englischen Lustspiels: dem
humorvoll heiteren Phantasiespiel, wie Shakespeares „Sommernachts-
traum" oder „Wie es euch gefällt", und dem satirischen Sittenstück, wie
etwa die Komödien des Ben Jonson, fand die erstere den größeren
Anklang und ist daher mit zahlreichen Mustern vertreten. In dieser
Vorliebe mag barocker Kunstwille zu erkennen sein. Das bewegte
malerisch-lyrische Stimmungsspiel entsprach dem barocken Zeit-
charakter eher als das ruhig gegHederte, rationalistische Sittenstück.
Je tiefer wir ins 17. Jahrhundert hineinkommen, um so mehr er-
weitert sich auch das Repertoire der Komödianten. Es sind jetzt schon
längst nicht mehr nur englische Schauspieler. Früh haben sich ihnen
deutsche Mitglieder angeschlossen, außerdem befanden sich neben den
englischen auch italienische Schauspielertruppen bereits Ende des
16. Jahrhunderts — ja schon um die Mitte des Jahrhunderts kommen
sie nach München — auf der Wanderschaft, und im Laufe des 17. Jahr-
hunderts erscheinen noch weitere Nationalitäten. Zu den englischen
Einflüssen treten die der anderen Länder: die italienischen der be-
liebten commedia dell'arte und des Schäferspiels, die holländischen
der Renaissancedramatik, der sogenannten Rederjikers, endlich die
französischen der klassischen Epoche, der Corneille, Racine, Moliere.
2. REPERTOIRE.
Ein Teil des Repertoires ist uns in Sammlungen erhalten, die früh-
zeitig im Druck erschienen. Die erste Sammlung wurde 1620 ver-
öffentlicht, anscheinend um Texte für Aufführungen, seien es solcher
von Berufsschauspielern oder von Dilettanten, zu bieten. Jedenfalls
8o Siebzehntes Jahrhundert: Englische Komödianten.
ist es keine sorgfältig vorbereitete Ausgabe, sie gleicht eher den
privaten Ausgaben, die von behebten, zugkräftigen Stücken von jeher
gemacht wurden, solange kein literarisches Urheberrecht den Autor
schützte. Gewöhnlich wird die Sammlung, die bereits 1624 eine zweite
Auflage erlebte, unter dem Titel „Englische Comedien und Tragedien'*
zitiert. Im 17. Jahrhundert hat man die Sammlung unter dem Namen
„Der Pickelhering" gekannt. Der ausführliche Titel lautet: „Englische
Comedien und Tragedien. Das ist: Sehr schöne, herrliche und aus-
erlesene, geist- und weltliche Comedi und Tragedi Spiel, Sampt dem
Pickelhering, welche wegen jhrer artigen Inventionen, kurtzweiligen
auch theils wahrhafftigen Geschieht halber, von den Engelländern in
Deutschland an Königlichen, Chur- und Fürstlichen Höfen, auch in
vornehmen Reichs-, See- und Handel- Städten seynd agiret und ge-
halten worden, und zuvor nie im Druck außgegangen. An jetzo. Allen
der Comedi und Tragedi liebhabern, und Andern zu lieb und gefallen,
der Gestalt in offenen Druck gegeben, daß sie gar leicht darauß Spiel-
weiß wiederumb angerichtet, und zur ErgetzHchkeit und Erquickung
des Gemüths gehalten werden können. Gedruckt im Jahr MDCXX".
1630 wurde eine zweite Sammlung, der sogenannte „Liebeskampf"
veröffentlicht. Der Titel lautet: ,,Liebeskampff oder Ander Theil der
Engelischen Comoedien und Tragoedien, in welchem sehr schöne auß-
erlesene Comoedien und Tragoedien zu befinden, und zuvor nie in
Druck außgegangen. Allen der Comoedi und Tragoedi Liebhabern,
und andern zu liebe und gefallen, dergestalt in offenen Druck ge-
geben, daß sie gar leicht daraus Spielweiß wiederumb angerichtet,
und zur ErgetzHchkeit und Erquickung des Gemüths, gehalten werden
können. Gedruckt im Jahr MDCXXX". Diese zweite Sammlung
steht äußerlich auf demselben Boden mit der ersten ; formell weist sie
eine größere Sorgfalt in der Herausgabe auf, wie sie auch inhaltlich
unleugbar auf einem höheren ästhetischen, durch die Schäferpoesie
bestimmten Niveau sich bewegt.
Die Sammlung von 1620 ist ein Abdruck von Theaterstücken, der
keinerlei literarischen Ehrgeiz verrät. Der „Liebeskampf" gibt sich auch
als eine Repertoiresammlung aus. Werner Richter hat aber in seiner
kenntnisreichen Untersuchung über „Liebeskampf 1630 und Schau-
bühne 1670" (Palaestra Bd. 78) gezeigt, daß dahinter ein, wenn auch
sehr mäßiger Literat steht, der der Zeitmode entgegenkommt. Trotz
des Komödiantenrockes haben wir hier eine Art Literaturdramen, die
kraft ihrer Komödiantenverwandtschaft leicht Zugang zur Komödianten-
bühne erhoffen können. Ob der Verfasser — besser Bearbeiter und
Herausgeber — von den offiziellen Poeten als ihresgleichen wäre be-
grüßt worden, darf füglich bezweifelt werden. Immerhin hat er dazu
beigetragen, den gespannten Gegensatz von Drama und Bühne,
Literatur und Theater abzuschwächen. Und er ging den richtigen
Weg. Vom Theater aus mußte man kommen, um die Massen für
Repertoire. 8l
literarische Stoffe in literarischer Form zu gewinnen. Eine formelle
Wirkung hat er jedenfalls stark befördert: die Prosadiktion der
englischen Komödien geht in das Literaturdrama über. Bedeutende
Lustspieldichter des 17, Jahrhunderts, wie Rist und Weise, wissen
sich der Kunstmittel der Komödiantenprosa bewußt und gewandt zu
bedienen.
Die Sammlungen bestehen aus Tragödien und Komödien und aus
Possenspielen, die als Einlagen in die größeren Schauspiele verwandt
werden können und sollen. In diesen Possenspielen ist natürlich die
lustige Person die Hauptfigur, sie erscheint aber auch immer wieder
in den großen Dramen. Wir begegnen ihr unter den verschiedensten
Namen. Pickelhering ist der gewöhnlichste; daneben erscheint Hans
Knapkäse, Schambitasche, was Jean Potage und Hans Supp entspricht,
Hanswurst, dessen Typus am Ende des Jahrhunderts durch Stranitzky
berühmt werden sollte, weiter Schrämgen, bei dem Creizenach schon
auf die Figur des Schramfritz im „Wiltbad" von Hans Sachs hin-
weist; die komische Figur des Bauern Drewes in der „Comedia und
Prob getrewer Liebe" des „Liebeskampf" scheint mir auf den eng-
lischen Merry Andrew zurückzuführen zu sein. Schon in Rollen-
hagens ,,Amantes amentes" findet sich der niederdeutsche Name
Drewes für den Bauern. Die lustige Person ist von Anfang an die
Hauptperson der englischen Wandertruppen, nach ihr sind häufig die
Truppen genannt. Sie zog die naiven Massen am meisten an. Jeder
Clown -Darsteller hatte seine Besonderheiten, an denen er erkannt
wurde. Aber der Grundcharakter ist altes Mimusgut, wie es noch
heutzutage in den Zirkusclowns lebendig ist und immer wieder dank-
bares Gelächter bei den Zuschauern auslöst.
Es sind die alten Spaße der Ankündigung vor dem Erscheinen,
des Abgehens und unter nichtigen Vorwänden Immerwiederkehrens,
des dauernden Lachens oder Weinens, des Zotenreißens, des Groß-
mäulig-Feigen, des Habgierig- Betrügerischen, des Gefräßig -Faulen:
eine ganze Reihe stehender komischer Motive, die auf Wort- und
Situationskomik berechnet sind. Der breite Raum, den die lustige
Person in allen diesen Schauspielen einnimmt, zeigt am besten, daß
die Ziele nicht dramatische sind, sondern Theaterwirkung. Das Drama
an sich ist Nebensache. Dies hat auch Lessing schon erkannt, wenn
er im „17. Litteraturbrief" über die ganze Gattung den Stab bricht:
„Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster.
Unsere Staats- und Heldenaktionen waren voller Unsinn, Bombast,
Schmutz und Pöbehvitz. Unsere Lustspiele bestanden in Verklei-
dungen und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten Einfälle
derselben".
Erst der literarisch verankerte „Liebeskampf" hat einen besonderen
Pickelheringsstil geschaffen, der weiter wirkte. Bisher bedienten
sich die lustigen Personen feststehender traditioneller Spaße, Mimus-
Holl , Lustspiel. 6
82 Siebzehntes Jahrhundert: Englische Komödianten.
elemente, die wohl ursprünglich auch vom Leben abgezogen, aber längst
erstarrt waren. Auch das Vorbild des bald grotesk-lustigen, bald tief-
sinnig-melancholischen, bald derb-zotigen, bald dialektisch-philosophi-
schen englischen Clowns hat kaum Spuren hinterlassen. Die lustige
Person hat sich in Deutschland aus dem Fastnachtspiel entwickelt,
indem sie internationale Motive auf Grund typischer Allgemeingültig-
keit aufnahm. So hat Ayrer die komische Figur des Fastnachtspiels
sowohl mit eigenen Zugaben als auch mit Übertragungen aus eng-
lischem Beispiel ausgestattet, wie später in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts vor allem die französischen Narren die deutschen
Possen befruchteten. Wir brauchen nur an die Beziehungen Weises
und Reuters zu Moliere zu denken. Gerade deshalb ist es uns wichtig,
im „Liebeskampf" die erste Fixierung der auf deutschen Wander-
bühnen üblichen Pickelheringsspäße zu besitzen, wenn sie ästhetisch
auch ein gar niedriges Niveau haben und, von realistischer Abschil-
derung des Lebens noch weit entfernt, sich in öder Tradition gefallen.
Trotzdem sind in diesen Dramen, auch in den Lustspielen, Ele-
mente zur Weiterentwicklung vorhanden. Vor allem trägt dazu das
neu eindringende Genre des Schäferspiels bei, das wesentlich italieni-
schen Ursprungs ist. Die Hauptvorbilder sind Tassos „Aminta" und
Guarinis „Pastor Fido". Der wertvolle Beitrag, den diese Schäfer-
spiele der deutschen dramatischen Literatur liefern, liegt auf dem
Gebiete psychologischer Vertiefung und Verinnerlichung. Dadurch
daß die Schäferdramen bewußt das Motiv der Liebe in ihren Mittel-
punkt stellen, bedürfen sie zur Gestaltung dieses Hauptereignisses
menschlichen Lebens vertiefter Seelenkunde. Diese aber ist frucht-
tragend für das ganze Gebiet menschlich -seelischer Beziehungen
und Betätigungen. Dadurch wird wieder der veräußerlichten Theater-
kunst der Weg ins Innere gewiesen, das Dramatisch -Poetische er-
fährt eine Neubelebung, die sich vor allem bewährt in der Entwick-
lung des heiteren Phantasiespiels. Dieser Einfluß des italienischen
Schäferspiels der damaligen dramatischen, lyrischen und epischen
Pastoraldichtung macht sich schon im „Liebeskampf" geltend; er
findet um so leichter Eingang, als die Träger der Dramen ja vom
englischen Drama herkommen, a^ls die englischen Komödianten das
phantastische Lustspiel in seiner glänzendsten Höhe durch Shake-
speare von Anfang an kennen.
Der sentimentale Naturalismus, wie er durch die Schäferdichtung
vertreten wird, drang in seinen Anfängen schon im 16. Jahrhundert
ins deutsche Drama. Dies ist vor allem in den Zwischenspielen
der Josephsdramen zu beobachten. Dem deutschen Drama waren ja
von jeher Zwischenspiele nicht fremd. Sie sind also an und für sich
durchaus nicht eine Neuerung der englischen Komödianten. Bereits
im geistlichen Schauspiel des Mittelalters haben wir diese Possenein-
sprenglinge kennengelernt, und durch das ganze 16. Jahrhundert hin-
Rationalisierung des Dramas. 83
durch haben sie sich in den biblischen und humanistischen Dramen
erhalten. Sie bilden ebensowenig eine Neuschöpfung der enghschen
Komödianten wie die komische Figur des Narren. Beide sind nur
frisch belebt. Zwischenspiel und Narr sind kaum voneinander zu
trennen. Beide entsprechen dem alten Mimus als realistischer Spiege-
lung des Alltagslebens und haben ihren Urgrund in der drama-
turgischen Absicht der Spannungserleichterung, der Stimmungsab-
lenkung. Auch die im 17. Jahrhundert blühende Jesuitendramatik
bedient sich ihrer mit großem Erfolg.
Die Realistik findet ihre besten Stoffe in der Derbheit der kul-
turell tiefsten Klasse, im Bauernstand. Realistisch -komische Bauern-
szenen, die von dem Fastnachtspiel her bereits sich so aus-
gedehnter Beliebtheit erfreuten, werden daher auch immer wieder in
den Handlungsablauf ernster Dramen hineingeschoben. Wir beob-
achten sie besonders in den Prodigusspielen der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts. Eine Folge erstrebter Realistik in der Abschilde-
rung bäuerlichen Lebens ist auch die frühzeitige Verwendung des
Mundartlichen. Das Dialektsprechen ist daher keine den Einfluß
der englischen Komödianten verratende Neuerung von Herzog
Heinrich Julius, es ist davon schon viel früher im 16. Jahrhundert
Gebrauch gemacht worden; ich erinnere nur an die verschiedenen
Mundarten in Frischlins „Susanna", die der Herzog ja seiner Be-
arbeitung zugrunde legt. Der erste nachweisbare Einfluß der eng-
lischen Komödianten auf das deutsche Drama dürfte aber frühestens
1591 festzulegen sein, und zwar in Ph. Waimers Stück „Über EHsa,
eine Newe und lustige Comoedia von Eduard dem Dritten dieses
Namens", dessen Zwischenspiel auf einem englischen Singspiel vom
„Dominus Johannes" beruht. Die Schauspiele der englischen Komö-
dianten führen somit den Gebrauch des 16. Jahrhunderts nur weiter,
mit dem einzigen Unterschied, daß sie kaum didaktisch -moralische
Absichten mit ihren Zwischenspielen verknüpfen, ebensowenig wie sie
der komischen Figur des Narren moralisierende Tendenzen unterlegen.
3. RATIONALISIERUNG DES DRAMAS.
Wenn diese moralische Lehrhaftigkeit trotzdem weiterbesteht das
ganze 17. Jahrhundert hindurch, so liegt dies begründet in der herr-
schenden rationalistischen Anschauung vom Wesen des Dramas wie der
Dichtung überhaupt. Die poetische Theorie des 17. Jahrhunderts ist
durchaus übereinstimmend mit der Ansicht, die Opitz in seinem ,,Buch
von der deutschen Poeterey" von 1624 niedergelegt hat, und die sich
strenge an das klassische Vorbild des Horaz hält. Opitz tut ja das
Drama sehr summarisch ab in seiner Poetik. Immerhin zählt er die
Hauptinhalte der Komödie seiner Zeit auf im V. Kapitel: „Die Comedie
besteht in schlechtem wesen und personen; redet von hochzeiten,
6*
84 Siebzehntes Jahrhundert: Englische Komödianten. Rationalisierung des Dramas,
gastgeboten, spielen, betrug und schalckheit der Knechte, ruhmrätigen
Landsknechten, buhlersachen, leichtfertigkeit der Jugend, geitze des
alters, kupplerey und solchen Sachen, die täglich unter gemeinen
Leuten vorlauffen. Haben derowegen die, welche heutiges tages
Comedien geschrieben, weit geirret, die Keyser und potentaten ein-
geführet; weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zue-
wieder laufFt". Und weiter im VL Kapitel: „In den niedrigen Poeti-
schen Sachen werden schlechte und gemeine leute eingeführet ; wie
in Comedien und Hirtengesprechen. Darumb tichtet man jhnen auch
einfaltige und schlechte reden an, die jhnen gemäße sein".
Dem Theoretiker steht die Theorie höher als die Praxis. Die eng-
lischen Komödianten kannten ja die hier geforderte soziale Tiefstufe
für die Komödie nicht. Wir erkennen somit, wie von zwei Seiten
her die Kluft zwischen Theater und Drama erweitert wurde. Die
englischen Komödianten vernachlässigten die Dichtung zugunsten
der Bühne und führten dadurch die Verwilderung des Dramas her-
bei. Die klassisch orientierten Theoretiker berücksichtigten nicht die
Bühnenpraxis, das Volkstümliche, und begünstigten damit eine regel-
haft-autoritative, trockene und theaterfremde Gelehrtenpoesie. Der
Notleidende war in beiden Fällen das Drama.
Der verderbliche, wirklichkeitsfremde Charakter der Renaissance-
poetik geht aus den Lehrsätzen ihres Hauptvertreters Opitz zur Genüge
hervor. Wie schädUch aber der Einfluß der englischen Komödianten
war, erhellt aus der Bearbeitung, die in der Sammlung von 1620
unter dem Titel „Sidonia und Theagenes" die Komödie Rollenhagens
„Amantes amentes" von 1609 gefunden hat. Das humorvolle, von
echt dichterischem Geist getragene Stück ist durchweg vergröbert
und verwässert.
Immerhin zeigt ein Drama aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts,
das vom Einfluß der englischen Komödianten noch ziemlich frei
scheint, wie weit die Entwicklung der deutschen dramatischen Kunst
bereits gediehen war: „Somnium vitae humanae" von Ludwig Hol-
lonius (1605). Die Haupthandlung ist altes Literaturgut. Sie behandelt
das Märchen von dem Bauern, der in besinnungsloser Trunkenheit
in fürstliche Umgebung gebracht wird und beim Erwachen nun ein
erhöhtes Standesleben führt. Wir kennen den Stoff" aus looi Nacht,
aus dem Rahmenspiel von Shakespeares „Zähmung der Widerspen-
stigen", aus Holbergs ,,Jeppe vom Berge" und neuerdings aus Gerhart
Hauptmanns „Schluck und Jau", ohne weitere Bearbeitungen zu nennen,
die A. V. Weilen zusammengetragen hat. Hollonius hat eine sittlich-
lehrhafte Absicht, die er am Schlüsse des Spiels auch ausspricht: er
will die Vergänglichkeit alles Irdischen erweisen. Das Spiel ist eine
Aneinanderreihung komischer Episoden, die untereinander keine Ver-
knüpfung haben. Die Episoden an sich zeigen dichterische Begabung,
Charakterisierungskraft, gute Sprachbehandlung; das Mundartliche ist
Jacob Ayrer und Heinrich Julius von Braunschweig: Jacob Ayrer. 85
zur Verlebendigung mit herangezogen. Wir erkennen, das deutsche
Drama ist auf guter Entwicklungsbahn. Aber das Stück ist durch-
aus Gelehrtenkunst, trotz der treffenden Beobachtungsgabe und der
Fähigkeit realistischer Schilderung. Die Haupthandlung, die von
größter humorvoller Wirksamkeit wäre, ist nur als Anfang und Ende
dargestellt. Jans Leben als Fürst lernen wir nur aus epischem Bericht
kennen. Gerade dies bühnenwirksame Mittel- und Hauptstück der
Handlung ist nicht dramatisch gestaltet. Es fehlt also ganz an dem
Verständnis für die Erfordernisse des Theaters.
Dieses Verständnis weckten erst die englischen Komödianten. Aber
trotz aller szenischen Erkenntnisse, die die englischen Komödianten
brachten, und die für eine gesunde Entwicklung des Dramas nützlich
und notwendig waren, wurde das Dichterische rücksichtslos ausge-
rottet. Derselbe Prozeß ist ja ungleich stärker zu beobachten in den
Verballhornungen Shakespearescher Stücke. Die Einwirkung der
Komödianten auf die deutsche Dramatik war aber um so größer, als
sie überall beliebt waren und in allen Gegenden und Winkeln Deutsch-
lands erschienen.
IL JACOB AYRER UND
HEINRICH JULIUS VON BRAUNSCHWEIG.
I. JACOB AYRER.
So kamen die Engländer auch in die alte Theaterstadt Nürnberg. Dort
lebte um die Wende des 1 6. Jahrhunderts der Notar Jacob Ayrer. Dieser
entfaltete neben seinem Beruf eine fruchtbare Tätigkeit im Stücke-
schreiben. Nach seinem Tode (1605) erschien 1618 eine Sammlung von
30 Tragödien und Komödien nebst 36 „schönen lustigen und kurtz-
weiligen Faßnacht oder Possen Spilen". Ausdrücklich heißt es in dem
Vorwort, daß darin „alles nach dem Leben ausgestellt und dahin
gerichtet, das mans (gleichsam auff die neue Englische manier
vnnd art) alles persönlich Agirn und Spiln kan, auch so lieblich und
begierig den Agenten zuzusehen ist, als hette sich alles erst ferden
oder heuer verloffen und zugetragen". Hier wird also bestimmt auf
das englische Vorbild hingewiesen. Uns berührt dies nur insofern,
als es die Geschichte des Lustspiels beeinflußt. Dabei müssen wir
von vornherein eine Einschränkung machen, was den Titel Komödien
angeht. Man darf dabei nicht an moderne Komödien denken. Hier
ist noch wirksam der Sprachgebrauch mittelalterlicher Theoretiker, die
Tragödie und Komödie nach dem Ausgang unterschieden. Selbst wenn
dem Titel Komödie das Beiwort „lustig" oder gar „sehr lustig" hinzu-
gefügt ist, so ist damit noch nicht Komödie im modernen Sinne ge-
braucht. Lustig heißt einfach unterhaltend. Eine sehr lustige Komödie
86 Siebzehntes Jahrhundert: Jacob Ayrer und Heinrich Julius von Braunschweig.
ist damit nichts anderes als ein durch die Fülle vorgeführter Gescheh-
nisse unterhaltendes Spiel, das einen versöhnlichen Ausgang hat, mögen
während seines Ablaufs auch noch so viele traurige Ereignisse, wie
etwa Entthronungen, Totschlag, Mord, vorkommen.
So berühren uns zunächst nur Ayrers Fastnacht- oder Possenspiele.
Sie sind noch ganz in Form und Haltung den Stücken des Hans Sachs
angeglichen. Das volkstümliche Element ist noch mehr als bei Hans
Sachs dem Bildungselement gewichen. Die Grundlage der Possen
bilden Schwanke aus der überaus reichhaltigen Renaissanceliteratur.
Ayrer ist durchaus Bildungskünstler. Auch die Art der Verarbeitung
vorhandener Anekdoten zeugt von keinem freischaltenden Geist, der
aus seinem Innern heraus die Quellen des Humors sprudeln ließe:
Ayrer schaltet und waltet mit den komischen Elementen, die er vor-
findet, und weiß von Eigenem nichts hinzuzutun.
Dies zeigt sich auch in seinen größeren dramatischen Werken,
den Tragödien und Komödien. Er steht durchaus in der Tradition.
Was er Neues hinzubringt, hat er sich angeeignet aus der Kenntnis
der englischen Komödianten und ihrer Aufführungen. Und dadurch
haben wieder diese englischen Komödianten, obwohl sie durchaus
Vertreter des Theaters sind, mittelbar zur Entwicklung des deutschen
Dramas beigetragen. Ihnen ist es zu danken, wenn jetzt die drama-
tischen Schriftsteller beginnen, Stücke zu schreiben mit der Haupt-
absicht, sie aufgeführt zu sehen, wenn sie infolge dieser Absicht auf
die Bühne Rücksicht nehmen, ja die Erfordernisse der Bühne erst
kennenzulernen sich bemühen. Darin aber ist, trotz der Naivität der
Anfänge, ein bedeutsamer Fortschritt gegen früher zu sehen. Tat-
sächlich steht in der Kenntnis des Theaters und in der Berücksich-
tigung seiner Bedürfnisse Jacob Ayrer weit über Hans Sachs,
Ein weiterer Fortschritt ist zu beobachten in der Stoffwahl. Bisher
war Aktualität aus der Dramatik verbannt oder doch nur im Bereich
der Posse, des Fastnachtspiels zugelassen. Nun kommt von England
her die Erweiterung des Stoffkreises. Ein kulturell hochentwickeltes
Volk schließt die Probleme des täglichen Lebens von der Bühne nicht
aus. Der Stolz der Nation spiegelt sich gern in der dargestellten
nationalen Geschichte. Beide Stoffgebiete werden nun allmählich dem
deutschen Drama erobert. Damit aber ist ein folgenschwerer Streich
getan gegen die starre Bildungskunst. Es werden Möglichkeiten er-
öffnet zur Betätigung national-volkstümlicher Kunst, wie sie dann in
Lessings „Minna" ihre erste Höhe erreichen sollte.
Auch die Ökonomie des Dramas selbst holt sich fruchtbare An-
regungen aus dem durch die Komödianten vermittelten englischen Vor-
bild, darunter allerdings eine Anregung, die erst einmal geil ins Kraut
schießen sollte und daher zu Nutz und Frommen des Ganzen zunächst
wieder im i8. Jahrhundert von Gottsched aufs schärfste bekämpft
werden mußte. Es ist dies die Durchbrechung des Prinzips der Einzig-
Jacob Ayrer. 87
keit der Handlung, die selbst Lessing noch forderte. Die Verwebung
zweier oder auch mehrerer Handlungen zu einem einheitlichen Gan-
zen, in der Shakespeares Kunst Triumphe feierte, war auch in den
Stücken der englischen Komödianten zu beobachten. Jacob Ayrer ver-
suchte dieses Nebeneinander nachzuahmen, aber es blieb allerdings
ein Nebeneinander, die innere geschlossene Zusammengehörigkeit ge-
lang ihm nicht. Die wichtigste Figur als Trägerin der Nebenhandlung
in den großen ernsten Schauspielen ist der Narr. Die Figur des Narren
wird jetzt durch die Engländer als Element dramatischer Ökonomie in
die deutsche Literatur eingeführt.
In der bisherigen Entwicklung des deutschen Dramas ist uns der
Narr nicht unbekannt, wir haben ihn als Intellektualisierung des ethisch-
bösen Prinzips, des Teufels kennengelernt. In den Fastnachtspielen
dann war Narrenfiguren immer wieder zu begegnen in Gestalt dummer
Bauemtölpel. Wir wissen aus Shakespeare, daß im englischen Drama
die Figur des Narren eine andere Funktion hatte. Er war das Symbol
der Nichtigkeit alles Irdischen und wußte in Narrengewand abgrund-
tiefe Weisheit zu geben. Diese Gestalt ist allerdings in der Version
der Komödianten stark vergröbert. Gerade deshalb erleichtert sie sich
aber ihre Aufnahme ins deutsche Schrifttum. So sehen wir sie überall
in Ayrers Stücken ihr Wesen treiben. Ihre englische Herkunft verrät
sie in einigen Possenspielen bereits durch den Titel: „21. Von dem
Engelländischen Jahn Posset, wie er sich in seinem Dienst verhalten,
mit 8 Personen". Dasselbe Spiel ist als „Ein Singets Spiel" gestaltet
„in des Rohlands Ton". Nr. 23 heißt: „Der verlohrn Engelländisch
Jahn Posset, mit 4 Personen". Der Jan ist die Gestalt eines komischen
Dummkopfes, dessen Streiche aneinandergereiht werden. Im ganzen
wirkt die Darstellung mehr episch als dramatisch. Eines der besten
Fastnachtspiele Ayrers ist Nr. 19: „Von Fritz Dölla mit seiner gewünsch-
ten Geigen, mit 10 Personen". Der Stoff ist als Märchen behandelt
in Grimms Sammlung enthalten.
Von den großen Dramen mag die „Comedia von der schönen
Phaenicia" erwähnt sein. Sie behandelt den aus Shakespeares „Viel
Lärm um nichts" bekannten Stoff. Ayrer gestaltet darin eine Doppel-
handlung. Träger der Nebenhandlung ist „Jan, der Kurzweiler". Es
ist zunächst versucht, beide Handlungen miteinander zu verknüpfen,
so daß die Janhandlung das karikierte, ins Derb-Groteske verzerrte
Spiegelbild der Haupthandlung ist, doch reißt diese Verknüpfung schon
im zweiten Akte ab. Im dritten Akt beginnt daher Jan ein ganz selb-
ständiges Spiel im Spiel. Im vierten Akt beteiligt er sich wieder an
der Haupthandlung. Eine ähnliche Parallelhandlung findet sich in
Ayrers „Sidea". Die „Sidea" ist deshalb besonders bedeutsam für die
Literaturgeschichte, weil hier in Ayrers naiver Fassung Shakespeares
„Sturm" auftaucht. Träger der Nebenhandlung ist „Jan Molitor, der
Müller".
88 Siebzehntes Jahrhundert: Jacob Ayrer und Heinrich Julius von Braunschweig.
In der Tragödie „Vom Griegischen Keyser" tritt ebenfalls Jan auf.
Er wird als Bote verwandt und als Henker. In dieser Verwendung
leben Reminiszenzen auf an die Figur des Narren (lappa) im mittel-
alterlichen Drama, wie in den Herodesspielen, beim bethlehemitischen
Kindermord, eine solche Gestalt aus Lächerlichkeit und Grausamkeit
gemischt auftritt. Durch die närrische Kleidung schaut die ursprüng-
liche Teufelsfratze hindurch. Wir erkennen daraus den vielgestaltigen
Ursprung der Hanswurstfigur des 17. Jahrhunderts. Gerade an dieser
Stelle kommt auch der echt Shakespearesche Narr als Verkörperung
tiefster Weisheit zutage: Jan wird gerufen, um den vermeintlichen
Mörder Petrian zu hängen — da nimmt er Maß mit seinem Spieß an
dem tatsächlichen Mörder Lorentz. Hier blitzt wirklich inmitten des
wertlosen Tands ein echter Juwel auf.
2. HEINRICH JULIUS.
Gleichzeitig etwa mit Jacob Ayrer schreibt Herzog Heinrich Julius
von Braunschweig (1564 — 1613) seine Dramen. Er steht schon ganz
im Banne der englischen Komödianten, die an seinem Hofe gern
gesehen waren wie auch in Kassel, das mit Wolfenbüttel freund-
schaftliche Beziehungen verknüpften. In dem persönlichen Ver-
kehr mit den von ihm angestellten Komödianten erwächst seine
eigene Praxis. Die Tradition der Fastnachtspiele ist bei ihm abge-
brochen. Insofern ist er gegenüber Ayrer die moderne Schrift-
stellerpersönlichkeit. Dies beweist sich auch in seinen Schauspielen
selbst, die noch weit mehr als die Ayrers auf die Bühnenerforder-
nisse zugeschnitten sind. Die wichtigste Person der englischen
Schauspielergesellschaften war stets der Clown; er spielt daher auch
die Hauptrolle in den Stücken des Herzogs. Ein Zugeständnis
dem Theater gegenüber ist es auch, wenn der Herzog grundsätzlich
von der Versform absieht und alle Personen seiner Dramen in Prosa
sprechen läßt. Das englische Vorbild macht sich natürlich auch im
Aufbau des Dramas geltend, worin verschiedene Handlungen neben-
einander herlaufen, nicht ohne daß versucht wäre, sie innerlich zu
verknüpfen. Mag diese Verknüpfung auch gelegentlich sehr äußerlicher
Art sein, das Prinzip der Handlungsverschlingung ist doch schon viel
weiter entwickelt als bei A3Ter. Diesem polymythischen Aufbau ist noch
größere Lebendigkeit verliehen dadurch, daß Anfänge von Volksszenen
zu beobachten sind. Gerade bei dem Hauptdrama des Herzogs, das
nach Frischlin den alten, vielfach bearbeiteten Susannenstoff gestaltet,
tritt dies hervor, indem Repräsentanten des Volkes nebeneinander
eingeführt werden, um die Resonanz des Handlungsablaufs dar-
zustellen. Starke Stimmungsmittel werden in Anwendung gebracht.
Dies wirkt besonders in der barocken Ausmalung des Trennungs-
schmerzes beim Abschied der verurteilten Susanna von den Ihren.
Heinrich Julius. 89
Die Wirkung wird noch erhöht durch die Einführung der Kinder
Susannens. Doch neben dieser Kunst theatralischer Stimmungs-
mache gewahren wir auch Ansätze psychologischer Vertiefung, so
bei der Einleitung, worin die beiden lüsternen Alten sich zu ihrem
unsittlichen Vorhaben zusammenfinden, oder in IL, 5, wo mit wenigen
Worten das dem Gatten Susannens drohende Unheil vorgeahnt wird.
Wenn so, trotz aller Veräußerlichung theatralischer Mache, doch auch
Anfänge psychologischer Verfeinerung sichtbar werden, so dürfte
dies Anregungen seitens der hochentwickelten englischen Dramatik
zu danken sein. Die Gestalt des Narren Johan Bouset dient wesent-
lich zur realistischen Stimmungsunterstreichung.
Die unter dem Titel Komödie gehenden Stücke des Herzogs sind
auch im heutigen Sinne Komödien und Possenspiele, ebenso wie die
Fastnachtspiele Ayrers. Er ist darin abhängig von den bekannten
Schwanksammlungen. So die „Comedia von einem Edelmann". Es
ist das alte, von uns bereits in einem mittelalterlichen Fastnachtspiel
beobachtete Motiv des Abtes, dem drei Fragen zur Beantwortung ge-
stellt werden. Der Narr Johan Bouset, der Vertreter des einfachen
klaren Menschenverstands, löst das Rätsel. Das Stück ist deshalb
interessant, weil wir darin einen Stimmungsvorläufer des bürgerlichen
Schauspiels vom 18. Jahrhundert erkennen. Doch ist die Erörterung
des Segens bürgerlicher Arbeit und Tüchtigkeit vollkommen undrama-
tisch weit ausgesponnen. Der Herzog benutzt die Figur eines Köhlers
als Sprachrohr, um seine eigenen Ansichten möglichst ausführlich
von der Bühne herab zu verkünden.
Viel lustiger ist die Posse „Comedia von einem Wirthe". Es ist
allerdings kein durchkomponiertes Drama, sondern eine Aneinander-
reihung loser Streiche. Die Haupthandlung ist eine Zechprellerei
eines habsüchtigen Wirts durch drei durchtriebene Wandergesellen,
die sich dreimal wiederholt. Der Wirt ist dargestellt als der Typus
des Neugierigen, von dem es heißt: „Der Wirth will doch immer
neue Zeitung wissen". Es ist dies eine typische Figur, die vom
antiken Mimus stammt und in der italienischen Stegreifkomödie stets
beliebt war. Wie die englischen Komödianten, so gingen auch be-
reits im 16. Jahrhundert italienische Schauspieler mit der commedia
dell'arte auf die Wanderschaft. Hier haben wir einen Niederschlag
davon. Der Typus bleibt ja immerfort lebendig, ich erinnere an die
Wirtsfigur in Lessings „Minna", in Goethes „Mitschuldigen" und
weiter bis zur gegenwärtigen Zeit. Neben der Haupthandlung läuft
eine Nebenhandlung des Jan Bouset. Wie immer bei Herzog Hein-
rich Julius spricht der Narr niederdeutsch. Darauf gründet sich die
komische Verwicklung. Es ist eine Reihe selbständiger, durch
das ganze Stück in leichter Abwandlung immer wiederholter Markt-
szenen. Ihre Komik beruht auf dem Mißverständnisse, dem Jan Bouset
bei den seine Sprache nicht verstehenden Verkäufern begegnet.
QO Siebzehntes Jahrhundert: Jacob Ayrer und Heinrich Julius von Braunschweig.
Der Verfasser bedient sich gern überlieferter Theaterlazzis, so des
andauernden Lachens oder des übertriebenen Zitterns des Narren.
Außerdem macht er Gebrauch von dem auch in englischen Stücken
beliebten Mittel der Illusionsstörung, indem sich der Narr von der
Bühne aus an das Publikum wendet, so etwa in III., 5. Eine andere
wirkungsvolle Komödie benutzt die altbekannten, auch in Shakespeares
„Lustigen Weibern von Windsor" angewandten Ränke einer schlauen
Ehebrecherin, um ihren eifersüchtigen Mann zu betrügen.
Am interessantesten ist aber die Komödie „Von Vincentio Ladislao
Sacrapa von Mantua, Kämpfern zu Roß und Fuß, weiland des edlen
und ehrenvesten, auch manhaften und streitbaren Barbarossae, Belli-
cosi von Mantua, Rittern zu Malta ehelichen nachgelassenen Sohn. Mit
zwölf Personen. Wolfenbüttel 1594". Der langatmige Titel läßt uns
schon erraten, daß wir es hier mit einem jener ruhmredigen, groß-
sprecherischen Helden zu tun haben, deren aufgeblasene Herrlichkeit
gleich einer Seifenblase beim geringsten Anstoß in nichts zerplatzt.
Tatsächlich gibt hier Herzog Heinrich Julius den Versuch einer Cha-
rakterkomödie um den uralten miles-gloriosus-Typ. Dieser Typus ist
uns aus der antiken Komödie wie dem antiken Mimus bekannt. Wir
erkannten ihn wirksam in den Grab Wächterszenen des mittelalterlichen
Dramas, er ist der berühmte Capitano der italienischen Stegreifposse,
in der englischen Literatur ist die früheste dramatische Gestaltung die
des Ralph Roister Doister, er lebt auf in Ben Jonsons Captain Bobadill,
in Shakespeares Don Adriano de Armado und in vielen anderen Ge-
stalten zeitgenössischer und späterer Dichter, wie Corneilles Matamore,
und in den noch zu besprechenden Maulhelden des Andreas Gryphius.
Wir sehen, es ist eine große, weitverzweigte, über alle Literaturen ver-
breitete Familie, zu deren Gliedern der edle und ehrenfeste Kämpfer
zu Roß und zu Fuß Vincentius Ladislaus zählt. Doch trotz dieser
festgewurzelten Tradition hat Heinrich Julius eine unleugbare Selb-
ständigkeit in der Dramatisierung bewährt. Wenn auch die Aufzählung
aller Rodomontaden auf die Dauer etwas eintönig, langweilig wirkt —
der Herzog schreibt dazu wesentlich die bekannte Schwanksammlung
Wendunmuth aus — , so offenbart sich doch auch treffendes dramatisch-
komisches Geschick. Die Komik wird besonders herausgearbeitet da-
durch, daß dem eitlen Großsprecher der Hofnarr Johan Bouset gegen-
übergestellt wird, der jenes Überstiegenheit, die stilistisch bereits den
Schwulst des 17. Jahrhunderts vorwegnimmt, die nüchterne Tagesver-
nunft entgegenhält oder seine Aufschneidereien noch im Übermaße
karikiert.
In diesem Stück ist die Handlung der Charakterkomödie ent-
sprechend einheitlich, auch die Gestalt des Narren fügt sich vollständig
in sie ein. Sein Ursprung ist, wie wir gesehen haben, nicht so sehr
der Dümmlingstyp als der Hofnarr, dessen großartigste Ausbildung
wir im Narren in „König Lear" erkennen. Vice — der Nachkomme der
Heinrich Julius. ^I
Teufelsgestalt — , Clown — der dummdreiste, gefräßige Dorftölpel — ,
Pool — der realistisch-pessimistische Hofnarrentyp: dies sind die drei
verschiedenen Personifikationen des Narren, wie sie im englischen
Drama des l6. Jahrhunderts dem Namen nach getrennt vorkommen
und im deutschen Schauspiel ebenfalls, wenn auch vermischt —
etwa in Ayrers „Vom Griegischen Keyser" — , erscheinen. Hier ist also
Johan Bouset dem englischen fool entsprechend. Er zeigt aber auch
noch Rückstände des bösen Prinzips ; dies ergibt sich aus seiner tätigen
Rolle, dem eitlen Phantasten, der sich geliebt glaubt, einen derben
Streich zu spielen. Dadurch wird das Stück aus der epischen An-
einanderreihung einzelner Anekdoten zum, wenn auch noch holprigen,
Drama emporgehoben; vor allem aber führt den geschlossenen Ein-
druck herbei der bewußt und einheitlich durchgeführte Charakter
des Helden.
Hier bekundet sich das Interesse der Renaissance am Einzel-
individuum. Das kraftgeschwellte Lebensgefühl der Renaissance be-
gründete eine neue Anthropologie und gestaltet zu diesem Zwecke
die Affektlehre aus. Der Haupttheoretiker der Poetik der Renaissance
im i6. Jahrhundert, Scaliger, bewährt dies in seinen poetischen
Lehrsätzen, worin er sich als ethischer Rationalist erweist. Gerade
mit Rücksicht auf die Affektlehre löst sich Scaliger aus der traditio-
nellen Theorie. Und wenn es auch noch lange dauern sollte, bis
die individuelle Charaktergestaltung in den Mittelpunkt des Dramas
gestellt wurde, Anfänge sind in der Renaissancezeit, wie in der
Theorie so in der Praxis, zu beobachten. Und hierher dürfen wir
auch Heinrich Julius' „Vincentius Ladislaus" zählen.
Vielleicht daß Heinrich Julius bei dessen Abfassung aus der Schar
seiner Hofkomödianten Hilfsdienst geleistet wurde. Das Stück könnte
bestes Vertrauen einflößen auf die Weiterentwicklung des deutschen
Dramas, wesentlich durch die Zeichnung der komischen Figur, die
durchaus frei und selbständig humorvoll wirkt. Gerade an dieser
Charakterkomödie, um von den ernsten Dramen wie der Bearbeitung
der „Susanna" abzusehen, aber auch in den Gaunerszenen der Posse
„Von einem Wirthe" erkennen wir, daß der Verfasser nicht nur eng-
lisches Komödiengut verarbeitet, sondern auch an die von Frischlin
verheißungsvoll begonnene Entwicklung anknüpft. Doch demgegen-
über muß leider beobachtet werden, daß sonst der Herzog in der Ge-
staltung der Narren durchaus im Typischen steckenbleibt. Die reichen
Ansätze zu individueller Charakteristik, die bereits Frischlin und Ayrer
ihren komischen Figuren verliehen, sind hier vertrocknet. Mit Aus-
nahme der gelungenen Komödie des ,, Vincentius Ladislaus'' sind die
Stücke des Herzogs weniger auf beobachtender Erfahrung, als auf er-
lernter Tradition aufgebaut. An dichterischen Qualitäten hat uns die
auf äußerliche, grobschlächtige Theatereffekte eingestellte Kunst der
englischen Komödianten herzlich wenig geliefert.
Q2 Siebzehntes Jahrhundert : Zwischenspiele und Puppenspiele.
III. ZWISCHENSPIELE UND PUPPENSPIELE.
I. ZWISCHENSPIELE.
a) Improvisationen.
Da der Kunststil der englischen Komödianten auf grobe Effekte aus-
ging, so ist ihnen das Gebiet des feinen, zartheiteren, humorvollen
Lustspiels fremd; ihr Gebiet ist die derbe, grobzotige, witzig-komische
Posse, wie sie dem beliebten Zwischenspiel, dem Rüpelspiel entspricht.
Die poesiefremde Art ihrer Stücke erhellt am besten daraus, daß wir mit
dem Fortschreiten des 17. Jahrhunderts immer häufiger den szenischen
Bemerkungen begegnen, die die komischen Figuren zu Improvi-
sationen auffordern. Solche Improvisationen waren dem englischen
Drama nicht fremd. Ihr ureigentliches Betätigungsfeld aber ist die
italienische Stegreifposse. Der Einfluß dieser commedia dell'arte
ist bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu verspüren. Bolte hat
in seinen theatergeschichtlichen Forschungen über das ,,Danziger
Theater" eine Handschrift von 1602 unter dem Titel „Tiberius von
Ferrara" herausgegeben, worin wir den italienischen Narrentypen-
namen Zani und Pantalon begegnen. Diese Namen mögen ja auch
auf indirektem Wege in Deutschland bekannt geworden sein. Da aber
die Italiener nachweisbar schon in den siebziger Jahren des 16. Jahr-
hunderts in England anzutreffen sind, so wäre es ja leicht möglich,
daß sie von da aus auch den Weg zu der Seehandelsstadt Danzig
gefunden hätten, selbst wenn sie nicht direkt von Süddeutschland
aus so frühe schon den Weg zum äußersten Norden eingeschlagen
hätten. Jedenfalls treffen wir 1616 in der Komödie „Turbo" des
Valentin Andreae schon wieder einen Typus der commedia dell'arte,
den Harlekin, auf deutschem Boden. Ob nun direkte oder indirekte
Beeinflussung anzunehmen ist, sie läuft in derselben Richtung äußer-
licher Theaterwirkung wie die englischen Komödianten, sie unter-
streicht deren Nachteile und Vorteile.
Der Nachteil ist die Verwahrlosung des Dichterischen, der Verzicht
auf ein geschlossenes Ganze — worin sich eine nur ganz entfernte
Verwandtschaft mit der atektonischen Stilform des Barock zeigt —
zugunsten einer Auflösung in Einzelepisoden. Der Anschauung vom
Wesen des Dramas als eines trotz aller Handlungsverschlingung einheit-
lichen Kunstwerkes kommt man mit keinem Schritte näher, man kommt
über Hollonius etwa nicht hinaus. Dieser Nachteil wird aber auch
zum Vorteil gewendet. Die episodische Vereinzelung der Dramen
durch Einführung von Zwischenspielen, die mit der Haupthandlung
lose oder überhaupt nicht verknüpft waren, stellte der Gestaltungs-
kraft der Verfasser kleinere Aufgaben, deren sie infolgedessen eher
gewachsen waren. Unter Verzicht auf dichterische Phantasietätigkeit
forderten diese Episoden realistische Beobachtung. Diese bedarf
Zwischenspiele: Improvisationen. Johann Rist. Q3
nicht so sehr angeborener poetischer Begabung, als vor allem
einer sorgfältigen Ausbildung sinnlicher und intellektueller Fähig-
keiten. Wenn das große Kunstwerk nur in einer Epoche bestimmter
Kulturhöhe gedeihen kann, so ist die realistische Beobachtung und
Schilderung auch in Zeiten zerrütteter Kultur möglich, ja um so eher
möglich, als gerade die Zeiten des Verfalls dem satirisch geschärften
Auge die besten Objekte bieten. So finden wir tatsächhch einen
Fortschritt des Dramas des 17. Jahrhunderts in der Ausgestaltung
der Episoden, der Zwischenspiele zu kulturell bedeutsamen Genre-
stücken von köstlich-frischer Wirklichkeitszeichnung. Die nieder-
ländische Kleinmalerei derber Lebensfreude, urwüchsigen Bauern-
tums spiegelt sich in diesen lebendig bewegten Einzelszenen.
b) Johann Rist.
Der begabteste Vertreter dieser possenhaften Zwischenspiele, neben
der unzweifelhaft italienisch beeinflußten süddeutschen Jesuiten-
dramatik, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist der Holsteiner
Johann Rist (1607 — 67). Sein Ziel ist echte VolkstümHchkeit. Zu
diesem Zwecke bedient er sich mit großem Erfolg des niederdeutschen
Dialekts. Auch theoretisch tritt er für den Naturahsmus der Sprach-
behandlung ein. Im Vorbericht seines „Friedejauchtzenden Teutsch-
land" begründet er diesen Naturalismus seiner Bauemgestalten: „Man
muß keine andere Art zu reden führen, als eben die jenige, welche bey
solchen Personen, die auf dem Spielplatz erscheinen, übhch. Zum
Exempel: Wenn ein NiQd ersächsischer Bauer mit der Hochteutschen
Sprache bey uns kähme aufgezogen, würde es fürwar leiden seltzam
klingen, noch viel Närrischer aber würde ein solches Zwischenspiel
den Zuschaueren fürkommen, darinn man einen tollen, vollen Bauren
und fluchenden Dreweß, als einen Andächtigen betenden und recht
Gottseligen Christen aufführete, dann, was ein ruchloser Baur, wenn
er zu Kriegeszeiten für seiner ordentlichen landes Obrigkeit sich
nichts hat zu fürchten, sondern nach seinem eigenen Belieben mag
hausen, dafern er dem Feinde und dessen Kriegesbedienten nur
richtig die Contribution erleget, für eine wilde, Ehre- und Gott-
vergessene Creatur sey, davon können wir, die wir auff dem Lande
wohnen, und die Krieges Beschwerligkeiten selber ziemlich hart
gefühlet haben, zum allerbesten Zeugnisse geben, also, daß der
Bauren Gottlosigkeit in diesen Zwischenspielen noch gar zu gelinde
ist fürgebildet. Ja, solte man ihre Leichtfertigkeit, Morden, Rauben,
und andere grausame Thaten, in welcher Verübung sie, in Zeiten
dess Unfriedens, auch die Kriegsleute selber weit übertroff'en haben,
allhier recht abmahlen, es dörffte mancher darüber für Schrecken
erstaunen. Ja sprichstu: Deine Bauren gebrauchen sich gleichwol
gar unhöflicher Reden, für welchen ehrbare Leute etwas Scham und
Abscheu haben, könte man die nicht hinweg lassen, oder ein weinig
QA Siebzehntes Jahrhundert: Zwischenspiele und Puppenspiele.
subtiler beschneiden? Nein, viel geliebter Leser: Was hat man doch
von einem übelerzogenem, groben Tölpel und Baurflegel, von einer
unflätigen und versoffenen Sau für Höflichkeit zu erwarten? Kan
man auch Trauben lesen von den Dörnern, oder Feigen von den
Disteln? der Vogel singet nicht anders, als wie ihm der Schnabel
gewachsen". Rist bekennt sich also in seinen Bauernpossen zum
Naturalismus der Gestaltung, zum Naturalismus der Sittenschilderung
wie der Sprachbehandlung. Nicht die Komik, sondern die Natur-
wahrheit ist dem glühenden Patrioten, dem eifrigen Sittenprediger
das Hauptziel, aber mit der Naturwahrheit stellt sich die Komik von
selber ein.
Sein erstes, sehr beliebtes Stück ist die „Irenaromachia" von 1630.
Darin ist ein ergötzliches Zwischenspiel enthalten, das in der Leben-
digkeit der dramatischen Gestaltung, in der wirksamen voneinander
abhebenden Charakterisierung der einzelnen Personen zu dem Besten
gehört, was die deutsche Possendramatik hervorgebracht hat. Natür-
lich ist auch Rist ein Kind seines Zeitalters, dessen Grundzug in
literarischer Tätigkeit Anlehnung und Entlehnung ist. Wir können
zahlreiche Züge der Possenhandlung bei früheren Stücken nach-
weisen. Trotzdem wird die künstlerische Selbständigkeit Rists da-
durch nicht beeinträchtigt. Das Milieu der Kriegszeit ist glänzend
getroffen und die Verrohung der Soldaten und Bauern zur eindrück-
lichen Anschaulichkeit gebracht: Ein bramarbasierender Quartier-
m.eister wird von Bauern ausgeplündert; während sie in derbem
Zechgelage die Beute verteilen, überfällt er sie und läßt sie abführen.
Die Gestalt des Narren Jäckel, aus dem Dümmlings- und Teufels-
typ zusammengesetzt, ist wirksam mit der Handlung verknüpft.
Als die Bauern weggebracht werden, läuft Jöstken, der Sohn des
Hauptrohlings unter ihnen, hintennach und ruft halb rührend, halb
groteskkomisch: „O Gott, O Gott, lathet my doch mynen Vaer, ich
hebbe jo men den einen Vaer". Dieser Ausschnitt aus dem Kultur-
bilde des Dreißigjährigen Krieges ist nur mit der Eindringlichkeit der
Schilderungskraft eines Grimmeishausen zu vergleichen. Wenn auch
die Figur des Landsknechts schon im Fastnachtspiel des 16. Jahr-
hunderts beliebt ist, so war er damals doch nur Typus, jetzt hat ihn
die Unmittelbarkeit täglicher Beobachtung zur Individualität gestaltet.
Rist gibt uns typische Sittenmalerei der verrohten Kriegszeit mit
Individualitäten als Handlungsträger.
Diese Kunst dramatischer Schilderung bewährt er auch in den
Zwischenspielen des „Perseus" von 1634. Der Auftakt ist eine köst-
liche Werbeszene , die an Shakespeares Heinrich IV. erinnert. Der
miles-gloriosus-Typ des Narren Hans Knapkäse, der als komische
Figur der englischen Komödianten, als Trommelschläger auftritt,
wirbt den Tölpel Laban, den halbblinden Cocks und den halb-
lahmen Loripes für seine Kompanie. Im Zwischenspiel exerziert er
Zwischenspiele. Puppenspiele. QC
alsdann mit seinen Söldnern, um vor herannahendem Kriegslärm
in höchster Angst schleunigst davonzulaufen. Das beste Zwischen-
spiel ist aber das nach dem zweiten Akte. Eine üble Metze Talsche
läßt ihre verführerischen Künste Hans Knapkäse, Laban und dem
Aufschneider Lurco gegenüber spielen. Ein drastisch - komisches
Idyll dabei ist die Szene, in der sie den Tölpel Laban ausbeutet.
Von bester Situationskomik ist aber der Schluß, wo sie ihren drei
Verehrern, unabhängig voneinander, Liebesproben auferlegt. Hans
Knapkäse soll lautlos in einem Sack die Nacht zubringen. Lurco
muß das angebliche Tier im Sack stillschweigend bewachen, und
Laban endlich soll ihm den Sack stehlen. Das Ende ist natürlich
eine solenne Prügelei unter den dreien. Bewundernswert ist die
Selbständigkeit, mit der Rist Entlehnungen aus Shakespeares Fal-
stafFszenen verarbeitet.
Weitere Zwischenspiele gibt Rist in dem „Friedwünschenden
Teutschland" von 1647 und in dessen Fortsetzung: „Das Friede-
jauchtzende Teutschland" von 1653. Er benutzt darin das Vorbild des
Don Quijote und das französisch-italienische Schäferspiel, dessen über-
triebene Sprechweise er verspottet. Es ist darin auch persönliche
Satire vermengt gegen den bekannten Philipp von Zesen, dessen
bukolische Sentimentalität dem realistisch gesinnten Rist zuwider war.
Wieder beweist er sich in diesen Zwischenspielen als begabt mit
straffer Konzentrationskraft und naturalistischer Schilderungskunst,
die die besten dramatisch-komischen Wirkungen erzielt. Die Kunst
des Holsteiners Rist charakterisiert, was Christian Weise 1690 in „Lust
und Nutz" schreibt: „Die Niedersächsischen Possen-Spiele praesen-
tieren sich besser als die Hochdeutschen. Und wer die Ursache wissen
will, der mag nur dieses bedencken. Die Nieder-Sachsen bleiben bey
ihrer familiären pronunciation, damit ist alles lebendig und naturell:
hingegen die Hochdeutschen reden ofift, als wenn sie Worte aus der
Postille lesen solten, damit werden dem Auetori die besten Inventiones
verdorben. Soll das Sprüchwort wahr bleiben: Comoedia est vitae
humanae speculum, so muß die Rede gewißlich dem Menschlichen
Leben ähnlich seyn".
2. PUPPENSPIELE.
Eine solche Blüte dramatischen Talents, wie wir sie in Johann
Rist erleben, steht aber ganz vereinzelt in der Zeit des trostlosen
Verfalls, den der andauernde Krieg auf allen Kulturgebieten ver-
ursachte. Die Kriegsläufte brachten natürlicherweise allmählich ein
Versiegen des Wandertriebs der Schauspielertruppen mit sich. Die
Theaterkunst sah ihrem Untergang entgegen. Wenn sie trotzdem
bei den breiten Massen, nicht nur an einzelnen Höfen, ihr Leben
weiterfristete, so war dies teilweise das Verdienst des Puppenspiels.
q6 Siebzehntes Jahrhundert : Andreas Gryphius.
Dieses erlebte dank seiner leichten Beweglichkeit und seines ge-
ringen Apparats im Dreißigjährigen Krieg einen schnellen und be-
deutsamen Aufschwung. Es bildete sich eine ganze Zunft der
Puppenspieler aus. Sie sind die Erben der englischen und sonstiger
internationaler Komödianten. Von diesen übernahmen sie das Reper-
toire; sie hatten es ja leicht genug, da ein großer Teil der Komö-
diantenschauspiele bereits gesammelt vorlag. Außerdem wird wohl
gar mancher Schauspieler, dessen Truppe nun aufgelöst wurde, mit
einem Puppenkasten weitergezogen sein. Das Auswendiglernen
ganzer Stücke, wie es der zünftige Puppenspieler übte, war ja dem
Berufsschauspieler keine ungewohnte Arbeit. Wie bei den eng-
lischen Komödianten, so war auch in den Puppenspielen der Narr
die Hauptfigur. Dies blieb auch so, als nach dem Friedensschluß
Marionettenspieler aus allen Ländern — England, Frankreich, Spanien,
Italien — Deutschland überschwemmten. Wie bei den Schauspielen
der englischen Komödianten, war auch ihnen die al-fresco-Manier der
gegebene Kunststil, grobe Veräußerlichung in starken Stimmungs-
affekten, Vermengung des Rührenden und Lustigen. Die komischen
Nebenhandlungen sind meistens ohne Verknüpfung mit der Haupt-
handlung oder doch mit nur sehr loser. Ihr Träger ist der gutmütige,
halb schlaue, halb dumme Hanswurst, der immer noch die alten
Mimuszüge der Faulheit, Gefräßigkeit, Geilheit an sich trägt. Alle
Ansätze individualisierender Charakteristik verschwinden, Hanswurst
ist der Narrentypus, der mit gleichen Witzen und gleichen Streichen
in allen Stücken wiederkehrt. So wenig Dichterisch-Dramatisches
diese Puppenspiele aber auch bieten, sie geben doch der Theater-
kunst eine gewisse Tradition.
IV. ANDREAS GRYPHIUS.
Wie groß die Gefahr war, daß die Erkenntnis von der Notwendig-
keit, im dramatischen Gebilde die Erfordernisse der Bühne zu be-
rücksichtigen, bereits wieder verlorenging, zeigt uns das Beispiel
des größten dramatischen Dichters des 17. Jahrhunderts: Andreas
Gryphius (1616 — 1664). Der zahlreichen Ansätze und Anfänge, die
wir bemerkt haben, ungeachtet, bedeutet Andreas Gryphius den Be-
ginn des modernen deutschen Lustspiels. Nicht als ob er nun durch-
aus selbständig in Erfindung und Gestaltung gewesen wäre. Auch
er fügt sich in den Rahmen seiner Zeit, die das Gute nahm, wo
immer sie es fand. Die Dramatik aller Länder, die der vielbelesene
und -gereiste, sprachgewandte Gryphius kannte, machte ihren Ein-
fluß auf ihn geltend. Aber er weiß das fremde Metall zu deutscher
Münze umzuprägen. Seine Hauptlustspiele sind „Herr Peter Squentz",
„Horribilicribrifax", ,,Die gehebte Dornrose".
Possenspiele: Peter Squentz. Horribilicribrifax. Qy
I. POSSENSPIELE.
a) „Peter Squentz".
Die „Absurda Comica oder Herr Peter Squentz, Schimpfifspiel"
stammt wahrscheinlich von 1648 und ist frühestens 1657 im Druck
erschienen. Der Stoff ist das Rüpelspiel aus Shakespeares „Sommer-
nachtstraum". Doch hat Grj'phius wohl das Shakespearische Stück
nicht direkt gekannt. Auch daß Schwenters auf denVerballhomungen
der Wandertruppen fußende Behandlung des Handwerkerspiels ihm
vorgelegen habe, ist zweifelhaft. Die ganze silbrige Sommernachts-
stimmung, der dichterische Elfenzauber, die phantastische Liebes-
sehnsucht Shakespeares sind verschwunden. Es ist nur das theater-
wirksame Rüpelspiel geblieben. Und dieses hat Gryphius wohl ohne
Zusammenhang mit älteren deutschen Bearbeitungen in ausgelassener
Heiterkeit, in grotesker Verspottung der pritschmeisterlichen Meister-
sänger gestaltet. Wenn auch der Humor der Shakespearischen Dich-
tung ausgeschaltet ist, so ist dafür die Komik zu stärkster Wirkung
gekommen. Peter Squentz zählt zu unseren besten Possenspielen und
ist zugleich Literatursatire gegen das Meistersingerdrama der Hand-
werkerdilettanten.
b) „Horribilicribrifax".
Unter die Kategorie satirischer Possenspiele rechnen wir auch das
Scherzspiel „Horribilicribrifax". Der sonderbare Name, der nicht
Gryphius' Erfindung ist, soll schon äußerlich, wie der Name des
Gegenspielers Daradiridatumtarides, die groteske Gestalt ihres Trägers
kennzeichnen; "weiter ist aber die sprachliche Bedeutung von Horri-
bilicribrifax als schrecklicher Siebmacher zugleich auch ein Schild
seines Charakters: mit mächtigem Getue bringt er doch nie etwas
zuwege. Die beiden Helden sind milites gloriosi. Der eine verbrämt
seine Rede mit italienisch-spanischen, der andere mit französischen
Floskeln. Was sie an Taten nicht leisten können, suchen sie durch
Aufwand von Worten zu ersetzen. — Die Sprachmengerei ist neben
der feigen Großmäulerei das zweite Motiv des Stücks. Sein Vertreter
ist neben den beiden Bramarbassen vor allem der gelehrt-pedantische
Schulmeister Sempronius. Ein Vorbild hat er in der Gestalt des
Pedanten Holofernes in Shakespeares „Verlorener Liebesmüh", wo
uns in Don Adriano de Armado ja auch bereits ein Vertreter des miles
gloriosus -Typus begegnete. Sempronius' Wissen ist ebenso leer
und inhaltlos wie das Heldengetue der beiden Eisenfresser, und er
verfällt infolgedessen trotz seiner angeblichen Gelehrsamkeit den
plumpen Stricken einer kupplerischen Vettel C3a-illa. — Er findet in der
Liebe was ihm gebührt und ist damit Gegenstand des dritten Motivs
des Stücks, des Liebesmotivs, durch das neben der grotesken Satire
auch wärmere Gefühlstöne in das Scherzspiel einlaufen. Immerhin
bleibt es Possenspiel, dessen Vorzüge seine Volkskunst sind, dessen
Holl, Lustspiel. 7
gS Siebzehntes Jahrhundert : Andreas Gryphius.
Nachteile seiner Bildungskunst entspringen. Diese betätigt sich vor
allem in der Sprachmengerei, die bis sieben Sprachen zusammen-
bringt, in einer solchen Häufung, daß kein Bühnenstück mehr spricht,
sondern nur noch ein Lesedrama, und dies auch nur noch zu ge-
lehrten Lesern. In dieser abermaligen Trennung von Theater und
Drama muß die Wirkung des Krieges erblickt werden. Daß die
Quellen der Volkskunst aber noch sprudelten, bezeugen die beiden
Ritter von der traurigen Gestalt ,,Horribilicribrifax" und ,,Daradiri-
datumtarides" und die von diesen getragenen Situationen.
2. LUSTSPIEL: „DIE GELIEBTE DORNROSE".
Das beste Lustspiel unseres Dichters aber ist „Die geliebte Dorn-
rose". Ein so guter Kenner des deutschen Dramas und des Lustspiels
insbesondere wie Gustav Freytag nannte ,,Die geliebte Dornrose" das
beste deutsche Lustspiel vor Lessings „Minna von Barnhelm". Der
Stoff ist uns bekannt aus Gottfried Kellers Novelle: „Romeo und
Julie auf dem Dorfe", doch ist bei Gryphius der tragische Ausgang
in heitere Lust umgebogen. Formell ist das Stück nicht selbständig,
sondern als Spiegelhandlung in ein heiteres Singspiel ,, Verliebtes
Gespenst" zerstreut. Immer nach einem Akte des Versspiels folgt ein
Akt des Prosastücks. Beide Handlungen haben außer der Spiege-
lung einer Liebeshandlung in hohen und niederen Ständen nichts
Gemeinsames. Sie sind voneinander unabhängig, in sich selbständig
und können jede für sich aufgeführt werden.
Das Singspiel ist im steifen Alexandrinerstil der süßlich-unwahren,
rührsamen französischen Schäferspiele gehalten und beruht auf einem
Stücke des Franzosen Quinault (1635 — 1688) mit demselben Titel:
,,Le fantöme amoureux". Im Gesamtschaffen von Gryphius von
einiger Bedeutung, auch durch die heitere Verwendung des Ge-
spenstermotivs, trägt es zur Geschichte des deutschen Lustspiels nichts
anderes bei, als daß seine Aufzüge mit denen der „Geliebten Dorn-
rose" untermischt sind. Es ist so recht ein blutloses Allegorienstück,
um von Bürgern zur Vermählungsfeier des Herzogs Georg III. von
Brieg und Liegnitz mit der Fürstin Elisabeth Marie Charlotte, Pfalz-
gräfin bei Rhein, 1660 zu Glogau aufgeführt zu werden. Das hohe
Standesstück ist längst begraben und vermodert, die Bauernfolie lebt
und findet erst in der Neuzeit gebührende Anerkennung. In den
letzten Jahren wurde sie mit großem Beifall in Berlin, Dresden, Karls-
ruhe und auf anderen großen und kleineren Bühnen aufgeführt.
Auch „Die geliebte Dornrose" beruht, wie „Das verliebte Ge-
spenst", nicht auf eigener Erfindung des Dichters. Der Stoff lag ihm
vor in dem Schäferstück des Holländers Joost van den Vondel: „Die
Leeuwendalers". Die dichterisch-realistische Gestaltung aber ist sein
Eigentum. Wie Rist, so bemüht sich auch Gryphius, das Bauemvolk
Lustspiel: nDie geliebte Dornrose". 99
seiner Heimat in Sitte und Sprache naturwahr zu schildern; aber trotz
aller Derbheit, Saftigkeit, die gelegentlich auch zur Roheit ausarten
kann — Gryphius ist Zeitgenosse des Dreißigjährigen Krieges — ,
hat er doch den krassen Naturalismus durch warme Gemütstöne ge-
mildert und damit zum dichterischen Realismus geformt. Wir wissen,
daß das MundartHche bereits im i6. Jahrhundert im deutschen Drama
verwandt wurde. Wir haben gesehen, zu welcher Wirkung Rist mit
der Verwendung des Dialekts in den Zwischenspielen seiner Stücke
gelangte. Bei Gryphius erleben wir zum ersten Male ein geschlossenes,
selbständiges schlesisches Dialektstück. (Als solches müssen wir es
wenigstens auffassen, trotzdem es zwischenspielartig in das hoch-
deutsche Stück vermengt ist.) Gryphius ist damit Gerhart Haupt-
manns größter Vorläufer. Daß Gryphius die Verwendung des Dialek-
tischen nicht nur ein äußerlich naturalistischer Tic war, erkennen wir
aus dem Stücke selbst, wo er durch ihre häufige Anwesenheit auf
dem Edelhofe begründen läßt, daß Dornrose hochdeutsch spricht. Hier
sehen wir künstlerische Psychologie sich in der Sprachtechnik aus-
wirken. Etwas Ähnliches beobachten wir, wenn der richterliche Guts-
verwalter — ein Ahne von Gerhart Hauptmanns Wehrhahn — sich
bemüht, gehobenes Schriftdeutsch zu sprechen.
Der_Inhalt ist kurz der: Der Onkel des verwaisten Greger Korn-
blume, Barthel Klotzmann, und der Vater der Lise Dornrose, Jockei
Dreyeck, leben seit langem in grimmiger Bauernfehde, deren nichtige
Gegenstände, wie später der zerbrochene Krug bei Kleist, zur Gerichts-
verhandlung stehen. Der Streit der querköpfigen Bauern scheint dem
Glück der beiden Liebenden unüberwindHche Hindernisse in den Weg
zu legen. Der Mitbewerber Kornblumes, der grobschlächtige Matz Asche-
wedel, versucht die ihn abweisende Dornrose mit Gewalt zu zwingen.
Kornblume befreit die Geliebte und gewinnt dadurch Anspruch auf ihre
Hand. Einstweilen erhebt sich aber ein neues Hindernis in der alten
kupplerischen Hexe Salome, die den schmucken Burschen für sich
selbst gewinnen möchte, und die eine Neuschöpfung der Cyrille im
,5Horribilicribrifax" darstellt. Die verschiedenen Knoten werden zum
Schlüsse glücklich durch den Richterspruch des etwas großspreche-
risch angehauchten Wilhelm von hohen Sinnen, Arendator des Dorfs
Vieldünkell, gelöst. Die beiden Streithähne versöhnen sich, Korn-
blume erhält seine geliebte Dornrose, der üble Aschewedel muß die
alte Salome heiraten.
Die Namen der handelnden Personen sind Wesensschilder: die
natürlichen Feldblumen Dornrose und Kornblume, die knorrig-wider-
borstigen Klotzmann und Dreyeck, der widerwärtige Aschewedel, der
stolze Wilhelm von hohen Sinnen. Diese äußerliche Charakteristik
ist für die Bühne im allgemeinen bedeutungslos, sie ist Lesedrama-
effekt. Nur an einer Stelle zieht Greger Kornblume seinen und seiner
Geliebten Namen mit ins Gespräch, als er Jockei um die Hand seiner
lOO Siebzehntes Jahrhundert : Andreas Gryphius: Gesamtcharakteristik des Dichters.
Tochter bittet: „Je bedenkt ich ok recht; saht, ich heeße Kornblume
und sie heest Durnruse. Swürde su en schünen krantz gähn, blow
und fleeschfarbe; swächst och su hübsch zesammen, swürde och . . ."
Jockei: „Wäg, wäg, siß wider gehohn, noch gestochen".
Andreas Grj'phius gab uns in der „Geliebten Dornrose" nicht eine
Posse, sondern ein Lustspiel, das erste selbständige, ausgereifte Lust-
spiel in straffer Konzentration der Handlung, in Kontrastierung der
Charaktere, in psychologischer Sprachbehandlung. Die Quellen der
Wirksamkeit liegen in der Volkstümlichkeit, in dem nationalen Kultur-
gehalt. Der Bildungskünstler tritt ganz hinter sein Werk zurück. In
klarem, gemütsvertieftem Realismus spielt sich das Lustspiel frisch
lebendig vor unseren Augen ab. Die Lebenswahrheit beruht nicht zum
kleinsten Teil in der gefühlswarmen Dorfmädelgestalt der Domrose.
3. GESAMTCHARAKTERISTIK DES DICHTERS.
Die Darstellung des Liebesmotivs war bisher dem deutschen
Drama nicht gelungen. Daß Gryphius hierin eine glückliche Hand
zeigt, ist wohl die erste Folge der Wandlung, die sich um die Mitte
des 17. Jahrhunderts in der Darstellung der Frauenrollen auf der
deutschen Bühne vollzogen hatte. Bisher waren mit wenig Ausnahmen
die Träger der Frauenrollen Männer. Dabei war es schwierig gewesen,
psychologisch verfeinerte Frauencharaktere zu schildern. Tatsächlich
waren bis jetzt die im Drama auftretenden Frauengestalten im besten
Falle geschlechtlich neutrale Wesen. Wenn jetzt Schauspielerinnen
auf der Bühne erscheinen, dann entfaltet sich damit auch eine viel
reichere Möglichkeit, das Gefühlsleben der Frau dramatisch zu ver-
werten. Die nächstliegende Gelegenheit dazu ist aber die Liebes-
beziehung der Geschlechter. Hier setzt Gryphius ein. Vorarbeit war
durch die Schäferdichtung geleistet worden. Die tiefste Grundlage
aber des Wandels der grobianischen Auffassung des 16. Jahrhunderts
zur verinnerlichten Eheauffassung des 17. Jahrhunderts war durch den
Protestantismus gebracht worden. Der Protestantismus hat die soziale
Stellung der Frau gehoben. Die Folge war eine vertiertere Darstellung
in der Literatur. Auch in dieser Hinsicht ist Andreas Gryphius der
erste bedeutende Lustspieldichter der deutschen Literaturgeschichte.
Aber wenn auch seine Hauptbedeutung die des Dichters ist, der
in jener Zeit grassierender Theatromanie wieder das Literarische
in der Dramatik zur Geltung bringt, so schafft er doch auch, so-
wohl durch seine für Berufsschauspieler geschriebenen Freudenspiele
,, Peter Squentz" und ,,Horribilicribrifax" wie durch sein für Dilettanten
berechnetes Mischspiel, „in theatralibus Tradition". Darüber gibt
W. Flemming in „Andreas Gryphius und die Bühne" (192 1) auf-
schlußreiche Belehrung. Er zeigt, wie mit Gryphius, der „den neuen
Typus der Kulissenbühne ausnutzt zu künstlerischer Wirkung seines
Christian Weise und Christian Reuter. Christiaa Weise: Charakteristik. lOI
neuen Barockdramas", „der Weg der protestantischen Schulbühne
in jenen der Oper, also des reinen Theaters mündete. Gerade
durch Gryphius wahrte sie noch ihr Herkommen aus der »reinen«
Literatur, daß sie eben seine Stücke aufführte, die eine Harmonie
zwischen Drama als Kunstwerk und Theater als sozialer Institution dar-
stellen, eine Harmonie, soweit sie eben jener Zeit beschieden war".
V. CHRISTIAN WEISE UND CHRISTIAN REUTER.
I. CHRISTIAN WEISE.
a) Charakteristik.
In diese Tradition stellt sich auch der Zittauer Rektor Christian
Weise (1642 — 1708). Der ausgesprochene Gegner des verstiegenen,
innerlich hohlen Gefühlsüberschwangs, wie er als barocker Schwulst
der II. schlesischen Dichterschule anhaftet, erklärt sich bewußt für
einen unsentimentalen Realismus. Die bisherige Entwicklung des
deutschen Lustspiels zeigt, daß darin die besten Keime zu echter
Lustspielwirkung zu finden sind. Doch kann nicht geleugnet werden,
daß Weise in seinem berechtigten Streben, sich leerer Phantastik
fernzuhalten, allzuhäufig zu platter Trivialität hinabsinkt. Doch wenn
Weise als Haupt der sogenannten Wasserdichter angesehen wird, so
ist diese Beurteilung bei seiner reichen schriftstellerischen Tätigkeit am
wenigsten zutreffend für seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Komödie.
Das Weisesche Lustspiel ist nach Fulda bereits die Antizipation der
sächsischen Komödie dadurch, daß er wieder Plautus und Terenz,
Shakespeare und Moliere zum Vorbilde nimmt, daß er seine Technik
von dem zusammengeflickten Possenschwanke zum Intrigenspiel ver-
feinert, daß er statt der nur typischen auch individuelle Züge auf-
weisende: komplexe Charaktere zeichnet, endlich, daß er bereits das
Familienmilieu zu umgrenzen sucht. Christian Weises dramatische
Tätigkeit ist gegründet auf naturalistischer Volkstümlichkeit und pe-
dantischer Gelehrsamkeit, wodurch sie der einheitlichen Ausreifung
ermangelt. Immerhin gibt er uns ein zwar noch nicht in innerem
Kausalnexus straft" ausgebautes, aber volkstümliches Lustspiel, das
in bühnenwirksamer Kombinationskunst und witziger, der Derbheit
nicht ausweichender Schwankkomik sich stellenweise wenigstens an-
nähernd bis zu Humor zu erheben vermag. Leider beeinträchtigen
die Schulkomödien in ihrem pädagogischen Charakter des Gelegen-
heitsgedichtes seine Volkstümlichkeit, so daß er im ganzen als
Dichterpersönlichkeit unter Gryphius steht, wenn er ihn auch bis-
weilen an vertiefter Charakteristik übertrifft.
In Weises Arbeiten ist deuthch eine Entwicklung zu verfolgen,
die aus der Tradition heraus zur größeren Selbständigkeit führt. Dies
I02 Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
zeigt sich in der Verwendung der komischen Figur. Weise individua-
hsiert den Narrentypus, Daß ihm die komische Figur kein feststehen-
der Typus mehr ist, beweist schon seine Abkehr von der gewöhnhchen
Namengebung. Wir treffen noch einen Potage, die sonstigen Narren-
namen lauten: Allegro, Babel, Buffone, Courage, Flinckfleck, Haso,
Maraveglio, Marcolphus, No, Passetemes, Poncinello, Refaenel, Spa-
vento, Svinekof, Trictract, Uz, Wazek, Zzakzaku, worin wir ebenso viele
französische und italienische Anleihen als eigene Erfindungen er-
kennen. Die komische Figur wird allmählich immer mehr in die
Handlung einbezogen. Wir könnten daher die Namenreihe der komi-
schen Figuren bei Weise beliebig erweitern, da noch zahlreiche Per-
sonen, besonders Dienergestalten, zu nennen wären, deren Verwandt-
schaft mit jenen nicht zweifelhaft ist. Gut offenbart sich der Übergang
vom alten selbständigen Narrentypus zum Glied der dramatischen
Handlung in der Gestalt des Allegro im „Masaniello" von 1683. Zu
Beginn der Tragödie ist er durchaus in die Handlung verflochten
im Sinne der satirisch-weisen Narren Shakespeares. Diese Rolle hat
er auch in der ergötzlichen Szene mit den durch die Revolution nun
obenauf gekommenen und infolgedessen unbändig stolz sich ge-
bärdenden Fischweibern, eine Szene, die heutigen Verhältnissen ein
Spiegelbild sein könnte. Daneben vollführt er eine ganze Reihe von
Narrenstreichen, deren Verbindung mit der Tragödie sehr schwierig
herzustellen ist.
Weise hat dem Allegro individuelle Züge verliehen. Er ist nicht
mehr der alte Typus, sondern mit frischen bunten Lappen auf-
geputzt, aber noch nicht zum individuellen Charakter kristallisiert.
Allegro zeigt uns das Bestreben Weises, das dieser auch theoretisch
ausspricht, den Narren zum Raisonneur des Stückes zu machen, zur
Gestalt, „welche gleichsam die Stelle der allgemeinen Satirischen
Inclination vertreten muß". Dem Sinne dieses Satzes nach, wie er
der in den Dramen geübten Praxis entspricht, ist der Narr daher
nichts anderes als der Vertreter des gesunden Menschenverstandes,
dessen Urteil der Durchschnittsanschauung entnommen ist. Er spricht
in anscheinenden Torheiten Weisheiten aus und off*enbart dadurch
seine Shakespearische Herkunft. Ausgehend von der komischen Figur
der englischen Komödianten hat Weise daraus eine eigenartige Ge-
stalt geschaffen, die in jedem Stücke anders aussieht, im Grunde aber
immer wieder der lustig schmunzelnde Herr Rektor selbst ist. Die
Selbständigkeit in der Formung des Narren beweist die Richtigkeit
des Urteils, das Ludwig Fulda, sein Herausgeber in Kürschners Deut-
scher Nationalliteratur, über den artverwandten Dichter fällt: „Der
poetische Kobold, der ihm im Nacken sitzt, triumphiert über den
würdigen Schulmeister, reißt ihm die steife Perücke ab und offenbart
ihn als das, was er seinem innersten Wesen nach ist, als einen Volks-
dichter im eigentlichen Sinne".
Christian Weise : Charakteristik. IO3
Weises Stärke liegt einerseits auf dem Gebiete der Erfindung,
andererseits auf dem Felde scharfer Beobachtung. Beide Gaben zu-
sammen lassen den Reichtum an Gestalten und Episoden erstehen,
die der Stücke schreibende Rektor für seine bretterruhmbegierigen
Schüler aufbringen mußte. Es wird immer wiederholt, der Schulmeister
Weise habe dem Dichter Weise Zwang angetan. Zweifelsohne. Doch
wenn man behauptet, Weise hätte bessere, motivreichere Stücke ge-
schrieben, wenn er nicht alljährlich drei bis vier Dramen zu Schul-
aufführungen hätte liefern müssen, so verkennt man die Begabungs-
richtung Weises. Sein Erfindungsquell sprudelt immer. Daran fehlt
es ihm nicht, und zudem könnte einem Erfindungsarmen auch die
Zeit wenig helfen. Doch selbst der unbedingte Gegner Weises, der
über seine Formlosigkeit entsetzte Gottsched, muß die Reichhaltigkeit
seiner Erfindung anerkennen. Und Weises Beobachtungsgabe findet das
Jahr über so reiche Gelegenheit zur Betätigung in der nächsten Um-
welt, daß aus ihren Ergebnissen ein reicher Niederschlag in die Dramen
fällt. Auch hier hätte mehr Zeit kaum etwas bessern können.
Die Erfindungskraft gestattet ihm, seinem Bühnenprinzip, das er
in „Lust und Nutz" kundgibt, stets gerecht zu werden: „Allemal
lasse man die Affekten kontrar aufeinanderfolgen, daß die Zuschauer
in immerwährender Veränderung erhalten werden"; und weiter: „Wenn
ein langes Spiel nicht soll verdrießlich werden, so muß alles hurtig
nacheinander fließen, daß ein Affekt gleichsam den andern treibet".
Dazu füllt er die Handlung mit zahlreichen Episoden an, die für seine
praktischpädagogischen Zwecke wohl nützlich sind, aber die Hand-
lungsentwicklung sehr verlangsamen. Eine Fülle von Personen und
Episoden ist ja noch kein Beweis für dichterische Gestaltungskraft.
Auch hier zeigt sich der Meister in der Beschränkung. Wir werden
an die dickleibigen, endlosen Romane des 17. Jahrhunderts er-
innert, deren Unerschöpflichkeit in immer neuen Personen und Epi-
soden nicht reich, sondern arm wirkt. Die künstlerische Spannung
ist äußerlich; die innere Einheit geht durchgängig bei der äußeren
Fülle verloren. Andererseits verleiht diese dem ganzen Stücke doch
einen lebendig bewegten Rhythmus und prägt ihm trotz des klaren
Realismus einen barocken Stilcharakter auf. Außerdem aber ist in
der Durchführung dieses Prinzips, dem Stücke stets neue Lichter auf-
zusetzen, Schlager und Reißer einzuführen, das selbstherrliche Lite-
raturdrama verlassen und bewußt die Rücksicht auf das Publikum für
den dramatischen Aufbau hereinbezogen. Die Zuschauer müssen in
dauernd bewegter Spannung erhalten werden; nicht der Wasser-
dichter, sondern der Volksdichter gibt sich hier zu erkennen.
Durch die Betätigung seiner Beobachtungsgabe verbindet nun
Weise den bewegten Barockstil mit einem klaren Darstellungsrealis-
mus, der ihn immer wieder in den Geruch der Nüchternheit gebracht
hat. Weise aber geht so folgerichtig vor, daß er der erste Vertreter
IQA Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
des deutschen bürgerlichen Schauspiels wird, indem er die tragischen
Probleme des Lebens nicht nur auf den sozialen Höhen sieht, sondern
in der Welt, die ihn umgibt. So ein klares Auge konnte sich natür-
lich auch den kleinen Schwächen menschlichen Lebens nicht ver-
schließen und fand darin unerschöpfliche Quellen der Komik. Da er
aber keineswegs ein eifernder Zelot war, sondern ein kluger Mensch
mit Herzensbildung, so gelingt es ihm immer wieder, statt satirischer
Geißelung humorisch verstehendes Lächeln hervorzurufen.
Diese Wirklichkeitsfreude betätigt Weise auch in seiner Sprach-
behandlung. Grundsätzlich verwendet er Prosa, und er versucht, unter
Benutzung des Mundartlichen, die Sprechweise verschiedener Per-
sonen zu differenzieren, ebenfalls wieder aus grundsätzlichen theoreti-
schen Erwägungen. In der Differenzierung der Sprache aber sind An-
lagen von Charakterdifferenzierung enthalten, die im 1 6. Jahrhundert
bereits angehoben hatte, dann aber wieder durch die veräußerlichende
Theaterkunst der enghschen Komödianten und den Verfall der Kriegs-
jahre verlorengegangen war; Ausnahmen bilden Gryphius und allen-
falls Rist. Der Theaterkunst der enghschen Komödianten verdankt
aber Weise ein anderes Stilmittel der Sprache. Wenigstens scheint
mir die Vermutung nicht allzu weit herbeigeholt, daß der Pickelhering
Pate gestanden habe bei Weises starker Neigung zu Kraftausdrücken
und Zoten. Von Waldberg machte auf dieses Stilmittel schon in Weises
prosaischen Schriften aufmerksam. Es scheint, dail es in die Lust-
spiele vor allem von den Singspielen hereinkam. Doch ist es keines-
wegs nur äußerliche Entlehnung, sondern wir erleben darin bewußte
Wortkomik, die auf Kontrastwirkung beruht. Die Gegensätze sind die
nüchterne Alltagssprache mit ihrem Salz und Pfeffer einerseits, und
der Schwulst der gehobenen Kunstsprache anderseits, und noch weiter
und tiefer können wir diesen Gegensatz spannen, wenn wir den krassen
Derbheiten des Ausdrucks die strenge konventionelle Form der Zeit-
epoche gegenüberstellen: jedenfalls hat Weise damit der Lustspiel-
sprache ein Stilmittel gewonnen, das in den nächsten Jahrzehnten den
weitesten Umfang nehmen sollte.
Die sprachliche Charakterabtönung bei Weise ist aber noch keines-
wegs Individualisierung. Dazu war Weise doch selbst zu wenig künst-
lerische Persönlichkeit. Aus sich heraus vermochte er im Gegensatz
zu der herrschenden Kulturströmung seiner Zeit diese Aufgabe noch
nicht zu lösen. Hierin ist die DichterpersönHchkeit des Andreas
Gryphius ihm bereits voraus. Der deutsche Individualismus ist ein
Erzeugnis des auf mystischer Grundlage sich erhebenden Protestan-
tismus. Seine Vorbedingung ist die bewußte Einkehr nach innen,
wodurch die seelischen Gefühls- und Gemütskräfte gelöst werden.
Neben der Mystik ist aber der Rationalismus die andere Stütze des
Protestantismus. Dieser aber bedeutet Bindung der gelockerten Indi-
vidualitäten durch überindividuelle, allgemeingültige Gesetze. Nun ist
Christian Weise : Komödienproduktion: „Komödie von der bösen Catharine". I05
zweifellos die Not des Krieges im 17. Jahrhundert ein starker Antrieb des
Pietismus. Anderseits aber ist durch den Krieg die Gesamtkultur derart
zerfallen, daß aus der pietistischen Verinnerlichung keine Erneuerung
erblühen konnte. Den matten Geistern war die rationalistische Welt-
auffassung mit ihrem nüchternen Nützlichkeitsziele, ihrem platten
Glückseligkeitsstreben gerade angepaßt. Und so ist auch Weise Ratio-
nahst. Die individuellen Züge seiner Gestalten sind nicht von innen
heraus erwachsen, sondern von außen an typische Gestalten angeklebt.
Dem Dichter sind die Einzelpersonen nicht aus innerem Erleben ent-
sprungen gleich Pallas dem Haupte des Zeus, sondern der kluge Be-
obachter hat die Einzelzüge mit scharfem Auge bei seiner Umwelt
gesammelt und verteilt sie nun auf die einzelnen Figuren seines Stückes.
Wir beobachten: Gryphius stand hinter seinem Werk; Weise steht
vor seinem Werk.
Die warmblütige Menschengestaltung eines Greger Kornblume geht
über Weises Vermögen. Er versagt gegenüber dem Zentralmotiv in
der Geschlechterbeziehung. Die Geschlechtsliebe ist bei Weise weder
psychologisch ergründet noch dargestellt. Hier erweist sich die Wahr-
heit des Wortes, das er selbst in der Vorrede des Zittauischen Theaters,
einer Sammlung seiner Stücke, niederschreibt: „Die Schule ist ein
schattichter Ort, da man dem rechten Lichte gar selten nahe kömt".
Es ist wohl überhaupt nicht denkbar, daß ein Schuldramatiker, der
nur für seine Schüler schreibt und eingestandenermaßen den Schüler-
darstellern die Rolle auf den Leib schreibt, so daß eine Aufführung
von anderen Kräften ihm das eigene Stück unkenntlich macht, das
Liebesproblem zwischen Mann und Frau in seinen Gefühlsqualitäten
erfassen und dramatisch verwerten könnte. Hier wirkt wirklich der
Schatten der Schule erkältend. Damit haben wir auch die Grenzen
von Weises Schaffenskraft gekennzeichnet. Innerhalb dieser Grenzen
aber hat er brauchbare, wirkungsvolle Possen und Lustspiele ge-
schrieben, die in ihrer gesunden Lebensauffassung, ihrem klaren
Realismus, ihrem gemütlichen Behagen an Komik und Humor und,
trotz aller Episoden, technisch in ihrer Handlungsdurchführung nahe
an die sächsische Komödie des 18. Jahrhunderts hinführen.
b) Komödienproduktion,
aa) „Komödie von der bösen Catharine".
Ein Beispiel, woran wir klar Weises Eigenart beobachten können,
ist seine „Komödie von der bösen Catharine", deren Abfassung gegen
Ende des 17. Jahrhunderts fallen dürfte. Der Stoff ist der der Shake-
spearischen Posse von der „Zähmung der Widerspenstigen". Weise hat
allerdings wohl kaum aus direkter Kenntnis Shakespeares geschöpft.
Durch Vermittlung der englischen Komödianten waren ihm deutsche
Bearbeitungen zugänglich. 1658 wurde in Zittau „Die wunderbare
Heurath Petruvio mit der bösen Catharine" aufgeführt, wobei er viel-
I06 Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
leicht selbst als löjähriger Schüler beteiligt war. Aus dem Jahre 1672
existiert ein Weise ebenfalls bekanntes Stück: „Kunst über alle Künste,
ein bös Weib gut zu machen". Leider ist uns der Text der „wunder-
baren Heurath" nicht erhalten. Doch darf aus dem Titel geschlossen
werden im Verein mit der „Kunst über alle Künste" und mit Weises
Stück selbst, wie auch aus der bis in modernste Zeit geübten Bühnen-
praxis, daß alle diese deutschen Bühnenbearbeitungen das Shake-
spearische Vorspiel ausscheiden. Gerade darin aber bewies sich der
Dichter gegenüber dem nur Theaterpraktiker.
Die „Zähmung der Widerspenstigen" ist ein toller Schwank. Er baut
sich als solcher auf äußere Wirkungen von Situationskomik auf. Der
künstlerische Wert erwächst ihm durch den überaus bewegten Rhythmus,
in dem die tollen Streiche vor unserm Auge vorüberziehen. Das Vor-
spiel des betrunkenen Bauern, der sich als Lord wiederfindet, ist erst
die Erklärung, die Grundlage für den Schwank. Der Bauer muß die
Gestalten der Bühne mit den Ausgeburten seiner Alkoholdünste
vermengen. Der Schwank ist nur ein Teil des „over-merry spieen".
Sein Kennzeichen ist das Wort: „Let the world slip: we shall ne'er
be younger". Alle die Unwahrscheinlichkeiten, die Roheiten stören
uns nun gar nicht mehr, sie erheben ja gar keinen Anspruch dar-
auf, ernst genommen zu werden, sie sind ja gar kein Abbild der
tatsächlichen Welt. Das natürliche, vernunftgemäße Weltgeschehen
ist ausgeschaltet. Die Traumwelt, die Alkoholwelt mit ihren grotes-
ken Widersprüchen und Ungereimtheiten herrscht. Jetzt erst erfreuen
wir uns vorbehaltlos an dem tollen Wirbel des Geschehens. Es ist
klar, daß mit dem Ausscheiden des Vorspiels die psychologische
Einstellung auf den Schwank uns verlorengeht. Jetzt muß die
Zähmung der bösen Catharine vernunftmäßig vor sich gehen. Der
Vorgang wird rationalisiert. Dies entspricht allerdings unserm Ratio-
nalisten Weise, es widerspricht aber dem Wesen des Schwanks. Der
poetische Blütenstaub wird abgestreift, und es bleibt ein künstlicher
Bühnenmechanismus, dem Weise allerlei Einzelheiten zur Belebung
und psychologischen Begründung hinzufügt, der aber trotzdem kein
Eigenleben mehr gewinnen kann.
Zunächst verringert Weise seinem reahstischen Darstellungsstil
entsprechend die Distanz zwischen Bühnenspiel und Zuschauer, indem
er den Schwank ganz in deutsches Milieu versetzt. Zur stärkeren
Belebung dieses Milieus macht er Anleihen bei seiner reichen Er-
findungskraft und führt noch komisch wirksame Bauernszenen ein.
Um die Gestalt der bösen Catharine noch deutlicher zu zeichnen,
unterstreicht er ihren sittlich negativen Charakter, indem er ihrer
Boshaftigkeit noch die Heuchelei hinzufügt. Aber gerade durch dies
Plus verliert der Charakter an Menschlichkeit. Sie ist nun nicht mehr
ein übertemperamentvolles Weib, sondern eine Megäre. Damit ist ihm
allerdings die Möglichkeit gegeben, die äußeren Theaterinstinkte noch
Christian Weise : Komödienproduktion: „Tobias und die Schwalbe". I07
besser zu befriedigen, indem er die rohen Zwangsmittel ihrer Zähmung
noch vermehrt, besonders auch durch das grobianische Motiv des
Wiegens und Bürstens. Alles Äußerliche ist derart vergrößert und
vergröbert, das InnerHche verliert dadurch. Während bei Shakespeare
auf beiden Seiten, bei Catharina wie bei Petruchio, schnell die Liebe
aufkeimt und sich nur noch zunächst scheu verbirgt, ist bei Weise
das Liebesmoment ganz ausgeschaltet. Sein Hermen ist kein kraft-
bewußter, intellektuell überlegener Gegner Catharines, sondern ein
roher Tierbändiger. Er vollzieht an Catharine nichts anderes als eine
Tierdressur, auf die wir außerdem, anstatt daß sie aus dem Augen-
blick des Gegenüberstehens, ex tempore erwächst, noch rationalistisch
sorgfältig von Beginn des Stückes an vorbereitet werden. (Schluß
I. Akt, IL, 2, IL, 12, III., 6.) ÄhnHch sind auch die anderen Charaktere
menschHch verflacht. Anderseits ist eine Fülle gut beobachteter rea-
listischer Züge bei den an Zahl, entsprechend dem Bedürfnis der
Schüleraufführung, vermehrten Personen angebracht, die in Verbindung
mit der lebendig fließenden Erfindungsgabe eine Reihe von Situationen
neu schaffen, um zielbewußte komische Wirkungen zu erreichen. Aus
allem geht hervor, Weise ist kein Dichter, aber er ist ein mit Er-
findung begabter kluger Beobachter, der seinen realistischen Kunst-
stil mit rationalistischer Psychologie begründet.
bb) „Tobias und die Schwalbe".
Wie sehr sich Weise von der Dichterpersönlichkeit des Andreas
Gryphius unterscheidet, zeigt seine Schulkomödie von „Tobias und der
Schwalbe", die 1682 aufgeführt wurde. Die Idee der Rüpelszenen von
Shakespeares ,, Sommernachtstraum" liegt wie dem „Peter Squentz"
auch Weises Schwank zugrunde. Doch während Gryphius sich stoff-
lich eng an Shakespeare anschließt, gibt der erfindungsreiche Weise
der Idee eine selbständige Einkleidung. Er selbst beschreibt uns
kurz den Inhalt: „Ein vornehmer Graff begehet seinen Geburts-Tag
so wil dessen Hof-Rath eine Lust machen, und lasset allenthalben den
Befehl ausgehen, wer etwan eine Comoedie fertig hätte, der möchte
sich einstellen. Aber zu allem Unglück kommen jhrer zwölff'e, und
wollen jhre Kunst anbringen. Wiewohl einer, der die Invention
von dem alten Tobias und der Schwalbe ausgearbeitet hat, wird
am meisten beliebt; Und ob er wol seine Comoedie ziemlich schlecht
ausführet, so hat er dennoch so viel darvon, daß ihm die Mühe be-
lohnet wird".
Unstreitig ist der „Peter Squentz" des Gryphius dichterisch wert-
voller. Die Konzentration der Gestaltung, der einheithche Stimmungs-
akzent in allegro zeugen von der Gestaltungskraft eines in unbän-
diger Heiterkeit schaffenden Künstlers, der eine derbe Posse in
einem Zug hinwirft. Weises Stück ist viel ausgedehnter, derart daß
schHeßlich die ursprüngliche Idee überhaupt verlorengeht. Eine ein-
Io8 Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
aktige Posse ist für vier Aufzüge gestreckt. Nicht als ob es an
Erfindung mangelte. Doch die erfundenen Episoden sind an den
Kern der Handlung, die groteske Aufführung eines Dramas, nur
lose vorn und hinten angeheftet, oder aber sie nehmen derart
überhand, daß dieser Handlungskern vollkommen verdunkelt wird.
Die besonders im englischen Drama Shakespeares und seiner Zeit
beliebte Technik des Spiels im Spiel, die später bei unseren Ro-
mantikern wieder so stark aufleben sollte, macht sich hierin geltend.
Allerdings bewährt sich hier aber auch wieder der Witz des Ver-
fassers, indem er uns wirklich komische Bemerkungen und Situa-
tionen vorführt. Aber es ist alles zersplittert und auseinander-
gezogen, es fehlt die gedrängte Schlagkraft. Die witzige Idee wird
zu Tode gehetzt. Wir finden uns daher gelegentlich auch Szenen
gegenüber, die in ihrer Ausdehnung geradezu langweilig wirken, wie
im 1. Akt bei der Prüfung der eingereichten Komödien. Es trägt
auch nicht zur allgemeinen Heiterkeitswirkung bei, wenn sich der
Schulmeister Weise geltend macht, indem er, wahrscheinlich zur
Belehrung seiner Schüler, dem Fabianus eine Menge lateinischer
Zitate in den Mund legt. Dazu sind, bis auf die Zentralfigur des
Bonifacius Lautensack, Kirchschreiber zu Bettelrode, die einzelnen
Personen des Stücks nur schematisch gezeichnet. Eigentlich, inter-
essiert uns nur der vielgeplagte Bonifacius, dessen Charakterisierung
allerdings sehr gut geglückt ist. Er gehört zu den besten Gestalten,
die Weise geschaffen hat,
cc) „Bäurischer Machiavellus".
Das dichterisch wertvollste, wenn auch nicht technisch aus-
gereifteste Lustspiel Weises ist der „Bäurische Machiavellus", der am
15. Februar 1679 aufgeführt wurde. Es ist umrahmt von einem steif-
ledernen allegorischen Spiel, worin nach der Ursache der Verderbtheit
der Menschen gefahndet wird. Machiavellus, der angebliche Anstifter
alles Bösen auf Erden, beruft sich zu seiner Entlastung auf die
Sittenverderbnis der Bauern, die ihr Handeln sicherlich nicht aus
einer Kenntnis seiner Schriften herzuleiten vermöchten. Das Stück
ist somit ein Bekenntnis Weises zu der ethisch -philosophischen
Anschauung, daß Laster wie Tugend den Menschen eingeboren und
nicht erst anerzogen sind. Er glaubt an die ursprünglichen bösen
Triebe.
Diese betätigen sich bei der Besetzung der freien Pickelherings-
stelle in Querlequitsch. Drei Bewerber haben sich eingefunden, und
jeder hat durch Bestechung und sonstige Versprechungen, wobei
insbesondere heiratsfähige Töchter von Gemeindeältesten eine Rolle
spielen, mindestens eines der mehr oder minder gewaltigen Gemeinde-
häupter auf seine Seite gebracht. Es entwickelt sich nun ein köstliches,
kraus verschlungenes Intrigenspiel, in dem schließlich der ver-
Christian Weise: Komödienproduktion: „Bäurischer Machiavellus". IO9
schlagene Schulmeister und Konsulent Scibilis mit seinem Kandidaten
und Schwiegersohnprätendenten Ziribiziribo Sieger bleibt, nicht ohne
daß auch für die Kandidaten der andern Gemeindeväter gesorgt
würde. Es ist ein Beweis für Weises Kunst der Handlungsführung,
daß er uns trotz der verschlungenen Verwicklung das Ziel nicht aus
den Augen verlieren läßt, zugleich aber auch für seine immer wieder
zu beobachtende Erfindungsgabe, wie er es versteht, die Verwicklung
einzufädeln und stets neue Hindernisse und Lösungen einzuschieben
bei absoluter Bewahrung des realistischen Darstellungsstils. Weise
zeigt sich hier als Vorläufer Kotzebues, mit dessen ,, Kleinstädtern"
die Idee seiner Querlequitscher übereinstimmt. Lustig malt er uns
das egoistische, feig brutale Treiben der PhiHster ab und gibt uns
dadurch eine köstlich humorvolle Kultursatire auf eine Philister-
kleinstadt des 17. Jahrhunderts. Der künstlerische Eindruck wird
verstärkt durch die Charakterisierungskraft in der überraschenden
Mannigfaltigkeit der auftretenden Personen. Neben dem Pantoffel-
helden und eingebildeten Dorfschulzen steht eine maulfertige, die
Gemeindeangelegenheiten mitregierende Xantippe als Ehehälfte. Sein
Gegner im Gemeinderat ist der gewalttätige, klingendem Händedruck
sehr zugängHche Landschöppe Durandus. Von diesen heben sich
dann die andern armen und daher schüchternen Gemeindeältesten
wirkungsvoll ab. An Ränken allen überlegen ist aber der durchtriebene
Schulmeister, dessen Gestalt nur leider wieder getrübt wird durch
eine Vermischung seiner Reden mit einer Unmasse von Lateinzitaten.
Der pädagogische Rektor will wieder in platter Auslegung des Horaz
das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und seinen Schülern
dadurch das Latein mundgerecht machen. Dazu treten noch andere
Typen, wie der bramarbassierende Soldat, die schwerfällige Dorftrulle
und vor allem die drei Bewerber um das Pickelheringsamt selbst,
die gut in ihren Charakteren voneinander abgetönt sind. Im einzelnen
läßt es Weise allerdings sehr an Motivierung fehlen. Darin war man
zu seiner Zeit nicht kleinlich. Es ist ein ewiges Hin und Her, ein
Auftreten und Abtreten, eine dauernde Bewegung verbunden mit
dauerndem Wechsel des Schauplatzes, was schon eine entwickeltere,
mehrteiligere Bühne voraussetzt.
Im ganzen bleibt uns der Eindruck eines lebendigen, humorvoll
aufgefaßten und mit reicher Komik durchgeführten Philisterlust-
spiels, das in seinem Realismus wie eine heiterlustige Idylle wirkt.
Zur Technik der komischen Figur im Drama ist vorliegendes Lust-
spiel bedeutsam insofern, als das Bestreben Weises, sie in den
Handlungsverlauf einzubeziehen, hier vollständig durchgeführt ist.
Es ist komische Ironie, daß in einem Stück, dessen Intrige auf der
Idee der Besetzung der Pickelheringsstelle aufgebaut ist, der Pickel-
hering seine Selbständigkeit verloren hat, gerade deshalb, weil er
selbst zum Mittelpunkt der Verwicklung gemacht wird.
j jO Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
dd) Weitere Komödien.
Von den andern Lustspielen, die Weises fleißige Tätigkeit uns
liefert, ist von besonderem literarischen Interesse noch „Der nieder-
ländische Bauer" von 1685. Hier verarbeitet Weise das Thema, das
uns schon aus Hollonius' „Somnium vitae humanae" bekannt ist.
Mit Shakespeares Vorspiel zur „Zähmung der Widerspenstigen" teilt
sich Weise in das französische Vorbild von Goutart „Thresor d'his-
toires admirables et merveilleuses de notre temps". Es ist ja ein
internationales Motiv, wie Calderons „Das Leben ein Traum" und
Holbergs auf J. Biedermanns „Utopia" beruhende Komödie „Jeppe
vom Berge" beweisen. Weises Bearbeitung hat keine besonderen
(lichterischen Qualitäten, ihre Stärke liegt in der Gestaltung des
Helden, des Bauern, der im Mittelpunkte steht.
Wie die meisten seiner Stücke offenbart „Der niederländische Bauer"
Weises Neigung, gangbare Motive literarischer Tradition zu benutzen.
Das antike Motiv vom gestohlenen Schatz und dem geizigen Besitzer,
berühmt durch Molieres geniale Verarbeitung im „Geizigen", uns aber
auch schon im Fastnachtspiel bekannt als ein altes Mimusgut, liegt dem
„Betrogenen Betrug" von 1690 zugrunde. Der bekannte Typus des miles
gloriosus vermengt mit Shakepeares Malvoliotyp steht uns gegenüber
in dem Titelhelden des lächerlichen Schauspiels vom ,, großmäuligen
und wunderthätigen Alfanzo" von 1685. Fastnachtspielartig und an die
Sünderreigen erinnernd mutet „Der politische Quacksalber" von 1684,
eine Art Standes- und Berufsrevue, an. Es macht sich überall der viel-
belesene Polyhistor geltend. Ihm war ja auch bereits Moliere bekannt.
2. FRANZÖSISCHE EINFLÜSSE.
Inder ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde das deutsche Theater
von dem englischen Drama beherrscht. Seit der Mitte des Jahrhunderts
strömten daneben die Einflüsse von den Niederlanden, von Frankreich,
von Italien, ja selbst von Spanien. Frankreich erlebte damals gerade
die Blütezeit seiner klassischen Dramatik. Sein Vorbild sollte nun
bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland unumschränkte
Geltung finden. Die Wandlung der Zeit läßt sich schon äußerlich
in den Sammlungen der wandernden Schauspielertruppen erkennen,
die mit Kriegsende sofort wieder überall auftauchen. Im Jahre 1620
lautete der Titel: „Engelische Comedien und Tragedien". Dieser Titel
ist 1624 wiederholt, und er findet sich auch noch, wie wir gesehen
haben, im „Liebeskampf" von 1630, obwohl hier schon das Ein-
drängen des italienischen Schäferspiels zu beobachten war. Im
Jahre 1670 finden wir eine Reihe der in diesen Sammlungen ent-
haltenen Dramen zusammen mit solchen französischer Herkunft ver-
bunden, aufgelegt unter dem Titel: „Schaubühne Englischer und
Französischer Comödianten, auff welcher werden vorgestellet die
Französische Einflüsse. III
schönsten und neuesten Comödien, so vor wenig Jahren in Franck-
reich, Teutschland und andern Orten bey follkreicher Versammlung
seynd agirt und praesentirt worden. Franckfurt. In Verlegung
Johann Georg Schiele, Buch -Händlers. Im Jahr MDCLXX". Wir
begegnen darin einer verhältnismäßig großen Zahl Übersetzungen
französischer Originalstücke. Außer von Ouinault (3), Thomas
Corneille (2), Donneau de Vise, Abbe Bois-Robert sind allein von
^loliere 5 Stücke vorhanden : Amor der Arzt (L'amour medecin), Die
köstliche Lächerlichkeit (Les Precieuses ridicules), Sganarelle oder
der Hahnrei in der Einbildung (Sganarelle ou le cocu imaginaire),
Der Geitzige (L'Avare), Georg Dandin oder der verwirrete Ehemann;
die beiden letzten Stücke waren schon im ,, Liebeskampf" enthalten.
Daraus ist ersichtlich, wie beliebt das französische Drama, und zwar
besonders die französische Komödie, die gern sich in ihren Stoffen
und Motiven an die Verwechslungs- und Verkleidungsstücke Spaniens
anlehnte, auf der deutschen Wanderbühne war.
Die „Schaubühne" aber hat keineswegs ein Monopol für ein
Wanderbühnenrepertoire, welches diese Sammlung wohl benutzte,
aber daneben auch über andere Übertragungen verfügte. Um so
größer ist die Zahl der Bearbeitungen französischer Komödien.
Rasch nehmen unter ihnen die Stücke Molieres den ersten Rang ein.
Es ist nicht erst Veltens Verdienst, Moliere in Deutschland ein-
geführt zu haben. Auch die Wandertruppen des Paulsen, des Elen-
son spielen ihn. An Stelle der üblichen Singspiele und Kluchten
werden allmählich die lustigen Farcen Molieres als Nachspiele auf-
geführt. 1690 wurden im Laufe von zwei Spielmonaten in Torgau durch
Veltens Dresdner Schauspieler mindestens neun verschiedene Stücke
von ihm aufgeführt; 1694 erschien eine Übersetzung Molierescher
Komödien in Prosa in drei Bänden, die schon 1695 eine verbesserte
und 1700 die dritte Auflage erlebte; 1696 war sie um einen vierten Teil
vermehrt worden. Der Titel lautet: „Histrio GalHcus, Comico-Satyricus,
sine exemplo. Oder die überaus anmuthigen und lustigen Comödien
des fürtreflichen und unvergleichlichen Königlich Frantzösischen Co-
mödiantens Herrn von Moliere". Auf Grund einer unbegründeten Ver-
mutung Ekhofs erscheint in Literaturgeschichten als Name des Über-
setzers Joh. Veiten (oder Veitheim). Dieser bedeutende Schauspiel-
truppenführer konnte seiner Vorliebe für Moliereaufführungen um so
leichter gerecht werden, als er konsequent Frauenrollen durch weib-
liche Schauspieler darstellen ließ und gerade dadurch den Reiz
Molierescher Komödien besser als seine altmodischeren Kollegen aus-
schöpfte. Seine Moliereaufführungen trugen viel dazu bei, daß die
Kenntnis Molieres sich in Deutschland so rasch ausbreitete.
Dadurch ist es auch weiter nicht verwunderlich, daß der drama-
tisch so stark interessierte Weise den genialen französischen Lust-
spieldichter schon frühzeitig kennenlernte. Levinstein hat diese
j j2 Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
Kenntnis im einzelnen nachgewiesen in seiner Berliner Dissertation
von 1899 und damit zugleich die Nachwirkung der „Schaubühne" von
1670 aufweise festgestellt. Besonders auffallend ist die Einwirkung
Molieres auf Weises Lustspiel „Der verfolgte Lateiner", dessen
Vorrede vom 28. Dezember 1695 datiert ist. Es ist fraghch, ob das
Stück, das nicht die ausgedehnte Personenzahl der gewöhnlichen
Schuldramen hat, tatsächlich aufgeführt wurde, obwohl es auf Grund
der Straffheit seiner Handlungsführung, der geschickt eingefädelten
Verwicklung, der Satire auf den sprachmengerischen, hohlköpfigen
Gelehrten eine Aufführung wohl verdient hätte. Es ist darin das
komische Motiv aus Molieres „Precieuses ridicules" verwertet, daß
zwei abgewiesene Freier, um den sozialen Dünkel der eingebildeten
Bürgerschönen lächerlich zu machen, ihre Diener in Adelskleidung
stecken und sie jenen ins Haus senden. Die Damen fühlen sich
sehr geschmeichelt durch die Huldigungen der vermeintlichen Adligen
und nehmen gern teil an einem von diesen arrangierten Tänzchen.
Dabei erscheinen die Spottvögel und entlarven die adligen Schwere-
nöter zur Beschämung der Dämchen. Weise hat die Komik der
Situation gut herausgearbeitet, besonders auch, indem er den einen
der verkleideten Essenkehrer durch seine Derbheit immer wieder aus
der Rolle fallen läßt. Zur Erklärung dieser Entlehnung brauchen wir
keine direkte Kenntnis Weises von Moliere anzunehmen. Alles für
ihn Wesentliche hat er bequem in der deutschen Übersetzung der
„Köstlichen Lächerlichkeit" im L Bande der „Schaubühne Englischer
und Französischer Comödianten" finden können.
3. CHRISTIAN REUTER.
Es wäre aber auch möglich, daß Weise dieses Motiv auf einem
weiteren Umwege kennengelernt hätte. Im Jahre 1695 schrieb Christian
Reuter seine Komödie „L'Honnete Femme Oder die Ehrliche Frau
zu Plißine", die eine persönliche Satire auf seine Leipziger Wirtin
Witwe Müller und deren Kinder darstellt. Darin ist ebenfalls das
Motiv angewandt, und zwar mit stärkerer Anlehnung noch an Moliere
bzw. an dessen Übersetzung. Reuters Komödie erregte sofort nach
Erscheinen das größte Aufsehen in Leipzig und trug ihm und seinem
Verleger He3'^bey eine Beleidigungsklage ein, in deren Verlauf sie
beide verurteilt wurden.
Unstreitig hat Reuter Weises Dramen gekannt. Er ahmt ihn
nach im allgemeinen realistischen Kunststil wie in der ins einzelne
gehenden Technik. Er selbst äußerte seinem Verleger gegenüber,
daß er Redensarten aus Weise entnommen habe. Reuter steht
durchaus auf den Schultern Weises. Trotzdem halte ich es für mög-
lich, daß Weise in diesem Spezialfall aus Reuter geschöpft hat. Die
Erregung, die Reuters Komödie in Leipzig hervorrief, war so stark,
Christian Reuter.
113
daß Weise wohl davon gehört haben mag. Dies scheint um so wahr-
scheinUcher, als er mit dem strebsamen Verleger Heybey auch in
Verbindung stand oder doch kurz darauf in Verbindung kam. Heybey,
der bereits 1700 starb, verlegte Weises „Augustini et Lutheranorum
consensus". Er war auch der Verleger des Joh, Christoph Wenzel,
der 17 13 ein Rektoratsnachfolger Weises in Zittau wurde. Es würde
Weises rascher Schreibweise wohl entsprechen, wenn er, durch das
Aufsehen von Reuters Komödie im Oktober angeregt, deren Idee der
Lächerlichkeit sozialen Dünkels mit eigener Erfindungsgabe in einem
selbständigen Stück bearbeitet hätte, wobei er das Hauptmotiv mit
herübernahm. Im Dezember ist sein Stück fertig, und er schließt am
28. Dezember die Vorrede ab. Diese ganze Entstehungsart würde auch
begreiflich machen, warum er diesmal nicht an eine Schüleraufführung
mit entsprechend großer Personenzahl dachte. Weises dramatische
Praxis und erfindungsreiche Selbständigkeit machten ihn allerdings nicht
zum bloßen Abschreiber, dennoch aber ist Christian Reuters Komödie
künstlerisch wertvoller in der frischen Lebendigkeit des kecken Wurfs.
Weise hat der deutschen Dramatik das bürgerliche Milieu erobert.
Darin bewegt sich natürlich auch Reuters Komödie; als Pasquill ge-
dacht, beruht ihre Stärke in der Schärfe der Beobachtung. Frau Schlam-
pampe, ihre beiden Töchter, der Sohn Schelmuffsky sind durch eine
Reihe von Charakterzügen und ihnen eigentümliche Redensarten, die
in Leipzig stadtbekannt waren, zu lebenden Personen gestaltet. Die
Kunst des Studenten Reuter hat volle Anschaulichkeit erreicht, so daß
statt verzerrter Karikaturen komische Charaktere lebenswahr vor unse-
ren Augen sich bewegen. Das Stück ist daher im Unterschiede zu
dem Weises eher eine Charakter- als eine Intrigenkomödie. Die Cha-
raktere, obwohl auf persönliche Eigenheiten sich gründend, sind zur
typischen Allgemeinheit ausgeweitet, so daß wir nicht mehr nur eine
Satire auf die Familie Müller erleben, sondern eine satirische Komödie
des über seinen Stand in hohler Eitelkeit hinausstrebenden Bürger-
tums. Es ist also eine Bürgersatire, wie etwa neuerdings die Komödien
Carl Sternheims ebenfalls. Die verwerteten persönlichen Züge dienen
nur dazu, die typischen Charaktere individuell zu gestalten. Damit
ist es Reuter gelungen, in dem Zweig der Bürgersatire den Gipfel der
bisherigen deutschen Lustspielentwicklung zu erreichen. Erleichtert
wurde ihm das dadurch, daß er sich an Weise und Moliere anlehnte.
Wie Weise steht er unter der Nachwirkung der ,, Schaubühne" von 1670,
und beide entnehmen dem Volksdrama Motive. „Laux, ein lustiger
Bothe aus Hamburg" als Cursus Germanus, deutscher Postläufer, dem
täglichen Leben entnommen, ist der alte Narrentyp, dessen Boten-
eigenschaft bereits im Mittelalter beliebt war. Reuter überweist ihm
nach dem Schema der Pickelheringsspäße ganze Soloszenen. Aller-
dings ist die scharfe Trennung von Kunst- und Volksdrama zumal auf
dem Gebiete der Komödie längst verwischt. Wir erkannten dies be-
Holl, Lustspiel. 8
jl^ Siebzehntes Jahrhundert: Christian Weise und Christian Reuter.
reits in der Redaktion des „Liebeskampfs", und diese Tendenz, Literar-
gut zu popularisieren, Volksgut zu literarisieren, hatte schließlich aus
der Komödie eine Art Mischgattung entstehen lassen, die weder Kunst-
noch Volksdrama war, und gerade diese Mittelstellung befähigte sie
dann, realistische Lebenskomik zu beobachten und zu gestalten. So
bereitet diese Entwicklung im 17. Jahrhundert bereits die realistische
Komödie des 18. Jahrhunderts vor. Auf dieser Bahn bedeutet Reuter
einen Gipfelpunkt.
In der dramatischen Technik ist Reuter allerdings nicht weit über
Weise hinausgekommen. Auf- und Abtreten der Bühnenfiguren ist
noch wenig oder schlecht motiviert. Epische Berichterstattung statt
dramatischer Handlungsvorführung lähmt unser Interesse, besonders
wenn der Bericht inhaltlich bereits Bekanntes nur wiederholt. Immer-
hin entwickelt sich im ganzen die Handlung der „Ehrlichen Frau
zu Plißine" frisch lebendig vor uns und weiß durch die witzige,
lebenswahre Charakterschilderung unser Interesse immer wieder an-
zuspannen.
Christian Reuter hat diese zielbewußte und wirkungsvolle Cha-
rakterkomödie zu der bekannten Reisebeschreibung des Aufschneiders
Schelmuffsky ausgearbeitet und damit um die Gestalt des ältesten
Sohnes der Gastwirtin Witwe Müller den besten komischen Roman
des 17. Jahrhunderts geschrieben.
Aber auch in seiner dramatischen Tätigkeit fährt Reuter fort und
verfaßt 1696 eine Fortsetzung der „Ehrlichen Frau", die unter dem
Titel „La Maladie et la mort de l'honnete Femme, das ist: „Der
ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod" erscheint. Der
Charakter dieser Komödie gleicht dem der ersten. Doch teilt sie
das allgemeine Schicksal von Fortsetzungen erfolgreicher Literatur-
werke, daß sie dem Vorgänger gegenüber abfällt. Wieder ist deut-
lich der Einfluß Weises und Molieres zu verspüren. Doch lehnt
sich Reuter diesmal weniger an das Kunstdrama an als an das
Volksdrama. Durch die groben und veräußerlichten Spaße des Volks-
dramas sucht er der weiteren dramatischen Ausschlachtung der glück-
lichen Idee Leben einzuhauchen. Besonders scheint die deutsche
Verballhornung von Tassos „Aminta und Silvia" ihm vorzuliegen,
die sowohl im „Liebeskampf" als auch in der „Schaubühne" von
1670 enthalten war. Die Technik des dramatischen Aufbaus ist
schwächer, die epischen Wiederholungen zahlreicher und vor allem
die Zentralfigur des Volksdramas, der Pickelhering, stärker betont.
Allerdings ist Reuter nicht wieder hinter Weise zurückgeschritten.
Die Verknüpfung der komischen Figur mit der Handlung bleibt be-
stehen, doch gegenüber seiner ersten Komödie hat jetzt der Pickel-
hering — er heißt: „Lorentz, Schlampampe lustiger Hauß-Knecht" ^
einen weit größeren Spielraum. Alte Narrenspäße des Volksdramas
werden herangezogen, wie das bereits aus dem Fastnachtspiel be-
Christian Reuter.
115
kannte Motiv, wonach der Hanswurst mit einem Uringlas zum Arzt ge-
schickt wird, das Glas unterwegs zerbricht und nun ein neues Glas
mit eigenem Wasser dem Arzt darbietet zur Feststellung der Krank-
heit von Frau Schlampampe. Besonders der Schluß der Komödie,
wo Lorentz am Sarge der toten Schlampampe seine Narrenpossen
treibt, ist künstlerisch geschmacklos. Immerhin steht auch diese
Komödie weit über dem Durchschnitt der LustspielHteratur der Zeit.
Den beiden Komödien sind noch Singspiele angehängt, wie sie
unter dem Einfluß der englischen Komödianten von Jacob Ayrer in
die deutsche Literatur eingeführt wurden und im Volksdrama des
17. Jahrhunderts, mit dem Harlekin im Mittelpunkt, sich dauernd
lebendig erhielten.
Aus dem Jahre lycx) haben wir noch ein weiteres Lustspiel von
Reuter, der dann im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts sich als
fader Festspieldichter in Berlin selbst degradierte. Dies Lustspiel
,, Graf Ehrenfried" knüpft wiederum an eine lebende Persönlichkeit an.
Friedrich Zarncke, der in sorgfältigster Forscherarbeit uns über alle
Verhältnisse und Beziehungen Reuters und seiner dramatischen Per-
sonen aufgeklärt hat, gibt uns auch über die historische Grundlage
des „Grafen Ehrenfried" Aufhellung. Diesmal schildert Reuter, worauf
schon Zarncke aufmerksam macht, die Kehrseite seiner früheren
Komödien. Er verlachte das Bürgertum, das eitel über seine solide
Grundlage hinausstrebte, jetzt macht er den Adel lächerlich, der seine
hohen Ansprüche nicht ausfüllt. Gespreizte Nichtigkeit, leerer Schein
liegen der Komik zugrunde. Es ist die Komödie des großmäuligen
Zwergs in der Ritterrüstung, des Esels im Löwenfell. Die Satire auf
den bettelstolzen Adligen Graf Ehrenfried ist wohl angeregt durch
die lächerlichen Marquis Molieres. Es lebt in ihm wieder der Typus
des Vincentius Ladislaus auf. Hierin zeigt sich wirksam die Tra-
dition des Volksdramas, das ja immer die eitlen, verliebten, groß-
sprecherischen, feigen Gecken zu seinen Lieblingen zählte, noch von
den Zeiten des Mimus her. Reuter vertieft wieder diese typischen
Züge durch lebenden Personen abgelauschte Eigenheiten und Redens-
arten und schafft dadurch wiederum eine wirksame Charakterkomödie.
Doch ist die Technik noch geringwertiger als in „Frau Schlam-
pampes Tod". Die Handlungsführung ist aufgelöst in komische
Einzelepisoden, die Fickelheringsfigur des Courage ist noch selb-
ständiger geworden. Interesse hat für uns die Komödie nur durch
die gelungene Charakterschilderung des Titelhelden und eines rabu-
listischen Rechtsverdrehers sowie durch die famose Wirtshausszene
in der Weinstube des lustigen Johannes. Hier atmen wir Leben, das
über die typischen Narrenspäße hinaus humorischen Geist verrät.
Die künstlerische Höhe seiner Erstlingskomödie erreichte Reuter nicht
wieder, aber in ihm findet das 17. Jahrhundert auf dem Gebiete der
Lustspieldichtung einen vielverheißenden Abschluß.
I j 5 Siebzehntes Jahrhundert : Drama und Theater.
VI. DRAMA UND THEATER.
Das 17. Jahrhundert ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger ge-
kennzeichnet durch ein Vorherrschen des Volksdramas gegenüber dem
Kunstdrama, einem Vorherrschen des Theaters gegenüber dem Drama.
Aber gerade die frische Unbekümmertheit, mit der sich die Wander-
bühne ausländischer — holländischer, französischer, italienischer,
spanischer — und deutscher Kunstdramen bemächtigt und für ihre
Zwecke herrichtet, zeigt bereits eine Tendenz, die Kluft zwischen
Volks- und Kunstdrama zu überbrücken. Weiter aber haben wir be-
obachtet, wie besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts das
Drama wieder vorrückt und beginnt, die Eigenmächtigkeiten des
Theaters, wie sie etwa in der Selbständigkeit der komischen Figur
zum Ausdruck kommen, einzudämmen. Das ausländische Kunstdrama,
das Schäferspiel und auf dem Gebiete der Komödie Moliere, be-
schneidet durch seinen Einfluß die Auswüchse des Theaters und be-
wirkt einerseits innerlich eine Vertiefung in psychologischer Menschen-
kenntnis und anderseits äußerlich eine stärkere Ausbildung drama-
turgischer Technik.
Die besten Erzeugnisse der Lustspielliteratur verdanken ihre Wirk-
samkeit der Durchdringung beider Kunstarten, des Volks- und des
Kunstdramas. In Weise und Reuter, ja schon in Gryphius, erleben
wir Versuche, beide Kunstrichtungen zu verschmelzen, und sie
haben damit die Entwicklung nahe an das bürgerliche Lustspiel des
18. Jahrhunderts hingeführt. Aber noch ist es nicht erreicht, noch
lebt die Stegreifposse, es bedarf noch sehr wichtiger Reinigungs-
arbeit mit Hilfe des Auslandsdramas, bevor wir die Blüte der sächsi-
schen Komödie und mit ihr das deutsche Nationallustspiel erleben.
D. ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT
I. DIE SÄCHSISCHE KOMÖDIE.
I. HANSWURSTTHEATER.
Trotz einzelner Erfolge, eine Lustspielform zu finden, ist doch das
Kennzeichen der Gesamtlustspielliteratur des 17. Jahrhunderts ihre
Formlosigkeit. Sie ist weniger Lustspielliteratur als Lustspieltheater.
Das Stoffliche hat die Vorherrschaft. In diesem Stofflichen kann sich
der Hanswurst nach Herzenslust und zur Herzensbelustigung des
Publikums tummeln. Solange die komische Figur die Hauptrolle
spielt und nicht durch geschriebenen Text gebunden ist, sondern sich
frei den Launen und Eingebungen des Augenblicks überlassen darf,
kann von dichterischer Form nicht die Rede sein. Formung kann
natürlich auch nicht erreicht werden, wenn der Hanswurst immer
wieder die gleichen Spaße anbringt, wenn sich Überlieferungen aus-
bilden. Im Grunde unterscheidet er sich nicht vom heutigen Zirkus-
clown. Er bewegt sich in ausgefahrenen Gleisen, wenn er auch immer
wieder improvisatorisch Beziehung zu seinem augenblicklichen Publi-
kum nimmt.
Der Grundcharakter ist demnach karikatur artig übertriebener Na-
turahsmus und führt zu stehenden komischen Typen mit bleibenden
Namen. Diese Benennungen wurden schon im 17. Jahrhundert von
ihrem Träger als dem Hauptdarsteller seiner Truppe auf diese Truppe
selbst übertragen. Im 18. Jahrhundert und bis ins 19. Jahrhundert
hinein erhielt sich dieser Brauch mindestens in der Weise, daß der
Darsteller der komischen Figur einer Schauspielertruppe einen bleiben-
den Namen sich beilegte und dadurch zum Repräsentanten eines be-
stimmten komischen Typus wurde, der von ihm nach traditionellen und
eigener Beobachtung entspringenden komischen Einzelzügen aufgebaut
war. Dafür liefert besonders die Wiener Posse zahlreiche Beispiele.
Trotz ihres naturalistischen Grundcharakters aber wurden solche
Stücke, vor allem durch den Schatz der Überheferung, mit Vorliebe
zu Phantastereien ausgestaltet. Diese Neigung zum Wunderbaren,
die ihres Ziels der Massenunterhaltung ja immer sicher ist, wird
schon in der Sammlung des „Theätre de la foire" betont, wie ja
überhaupt die damals so überaus beliebten Operntexte ihr Reich fast
Il8 Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
ausschließlich im Banne phantastischer Abenteuer fanden. Wenn
der als Opernverfasser überaus fruchtbare, berühmte sächsische Hof-
poet Johann Ulrich von Koenig auf dies Stoffgebiet zurückgreift, in-
dem er in der „Verkehrten Welt" (1725) ein französisches Singspiel
bearbeitet, so ist er sich seiner Wirkung ebenso sicher wie der
Bearbeiter von Legrand's „Roi de Cocaigne", der seine Abkunft
aus Gherardis italienischem Theater herleitet. Diese Quelle ist
auch das Vorbild des bedeutenden Wiener Hanswurstdarstellers
Stranitzky und anderer, geringerer Vertreter seines Fachs.
Immer wieder kommt das Element des realistisch beobachtenden
und karikierenden alten Mimus neben dem des Phantastischen zur
gleichmäßigen Geltung. Wenn die Gottsched -Neubersche Reform
diesem Treiben der Harlekinspossen ein Ende setzen will, so wendet
sie sich bewußt gegen beide Zweige ihrer theatralischen Betätigung.
Das „deutsche Vorspiel" der Neuberin von 1734 zeigt uns genügend,
worin die abzuschaffenden Mißbräuche bestehen: die realistische Ab-
bildung der Laster und menschlichen Fehler, die leeren Possen und
,,Zötgen", das Verstandlose (das Wunderbare?), die Wirkung auf die
grobe Lachlust, also das Derb-Komische. Wenn die Neuberin das
Phantastische hier nicht direkt erwähnt, so ist dies, wo sie die Gnade
des Opern begünstigenden Dresdner Hofes nachsucht, ohne weiteres
verständlich; wir vergessen trotzdem nicht die unbedingte Ablehnung
alles Opernhaften, der verstandesmäßigem Geschehen hohnsprechen-
den Zauberwelt durch den strengen Richter Gottsched. Die Harlekins-
possen sollen abgeschafft werden. Von diesen „groben Narrenpossen"
der Wandertruppen trennte ja schon 1682 der gelehrte Daniel Georg Mor-
hof in seinem Unterricht von der deutschen Sprache und Poesie scharf
die, den in Deutschland noch im 18. Jahrhundert beliebten hollän-
dischen Kluchten verwandten, edleren Possenspiele eines Gryphius.
Vorläufig stehen Narrenpossen aber noch auf dem breiten Boden der
Gunst des Publikums. Sie sind die wahren Vertreter des Volksdramas,
wobei allerdings stets zu beachten ist, daß dies Volksdrama mit viel
größerer Berechtigung Volkstheater hieße. Und auch die Silbe „Volk"
muß hinsichtlich des nationalen Ursprungs der aufgeführten Stücke
stark eingeschränkt werden. In ihnen herrscht die komische Inter-
nationale, deren dargestellte realistische Typen und phantastische
Situationen aus allen europäischen Kulturländern der Zeit gespeist
werden. England, Frankreich, Itahen, Holland und darüber hinaus
Spanien bieten uns Quellen des deutschen Komödientheaters am
Anfange des 18. Jahrhunderts, besonders aber ist im Verlaufe des
1 7. Jahrhunderts die italienische commedia dell'arte mit ihren
Maskentypen nach Deutschland gedrungen.
Diese Quellen fließen auch für ausgeschriebene Komödien, deren
Wesen sich von den Stegreifpossen durch nichts anderes als durch
das fixierte Wort unterscheidet. Auch ihr Kennzeichen ist daher die
Hanswursttheater. — Gottsched: Christian Friedrich Henrici gen. Picander. II9
Formlosigkeit. Ob improvisiert oder ausgeschrieben, bedienen sich
die Komödien der Tradition, die sie zugunsten einer schnell vergäng-
lichen Aktualität mit Anspielungen auf ihre Umwelt ausschmücken,
wie etwa heutzutage in Operetten Tageseinlagen billigen Triumph auf
der Bühne feiern. In dieser Richtung wußte der findige Hofpoet
Koenig leicht zu wirken, wie in der erwähnten „Verkehrten Welt" so
auch in dem damals sehr beliebten „Dresdner Schlendrian". Tages-
satire hat ja von jeher das gleiche Schicksal schneller Wirkung und
raschen Erlöschens. Die ganze Produktion in dieser Richtung ist
daher nur noch in den Massengräbern geschichtlicher Grundrisse
aufzufinden. Dichtung enthält sie kaum.
Aber gerade das Moment der Aktualität hat doch weiterreichende
Bedeutung. Es schärft den Sinn für die Wirklichkeit, es ist Vor-
bereitung für die Kunst des Realismus, Wenn das deutsche Lust-
spiel sich, unter Ablehnung der ihm in germanischer Art wesens-
gemäßen phantastischen Traumwelt eines Shakespeare, zur bürger-
lichen Realitätsschilderung entwickelt, so mag dies eine Machtprobe
des mächtig erstarkenden deutschen Bürgerbewußtseins sein. Die
Ursprünge dieser Entwicklungsbahn aber liegen bereits in den scharf
beobachtenden, improvisierenden oder ausgeschriebenen Harlekins-
komödien. Und mit ihnen und sie selbst befruchtend ist es das
französische, das romanische Vorbild, das auf die Gestaltung des
deutschen Lustspiels bestimmenden Einfluß ausübt.
2. GOTTSCHED.
a) Christian Friedrich Henrici gen, Picander.
Am Ende des 17. Jahrhunderts haben wir Christian Reuter als
den bezeichnendsten Vertreter dieser Produktionsart kennengelernt.
Ihm folgt am Anfange des 18. Jahrhunderts Christian Friedrich Henrici,
genannt Picander, und unser Urteil über ihn lautete — falls wir den
braven Bürger nicht besser kennen würden und seine Lebensführung
erst aus seinen Lustspielen erschließen müßten — , daß er sich auch
im Leben jenem „genialen Lumpen" angeglichen, ja ihn übertrumpft
habe. Sein Lustspielton ist so derb, daß er auch für die Ohren der
damaligen Zuhörer zu stark auftrug und daher wohl eine Aufführung
verbot. Die naturalistische Tendenz ist im Geschlechtlichen zum
Äußersten getrieben. Die Neigung der Harlekinaden zum Gepfeffert-
Saftigen triumphiert in Henricis Stücken: „Der Erzsäufer", „Der
akademische Schlendrian", „Die Weiberprobe" (1725), Wenn Henrici
im Vorwort angibt, er habe die Stücke „nach dem Geschmack der
Leipziger Bühne" geschrieben, dann war es allerdings höchste Zeit,
daß hier Wandel geschaffen wurde.
Dennoch bedeutet Henrici einen Fortschritt, indem er in der
derben Nur-Posse schon leichte rührselige Töne anklingen läßt.
I20 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
Wenn wir in der eindringenden Rührseligkeit als solcher auch keinen
Gewinn erblicken können, so bedeuten diese Ansätze doch einen
Schritt weiter in der geschichtlichen Entwicklung dadurch, daß
neben der Beobachtung des äußeren Geschehens Anfänge psycho-
logischer Gefühlsentwicklung auftauchen. Deshalb hält auch Schlen-
ther, wie Gervinus, Henrici für einen Grenzstein. „Er steht auf dem
Wege vom älteren obersächsischen Lustspiel zum Jüngern, von
Weises Schulkomödien zu Gottscheds Komödienschule, von Zittau
nach Leipzig". Auch darin steht ihm Christian Reuter gleich, ist
ihm aber allerdings in dichterischem Können weit überlegen. Ihre
zeitliche Aufeinanderfolge wäre selbstverständlich, wenn die Ironie
der Literaturgeschichte nicht beider Jahreszahlen vertauscht hätte.
b) Theaterreform.
Was diese Entwicklungsmöglichkeit von innen heraus nicht ge-
bracht hat, suchte nun der junge Magister Gottsched (1700 — 1766) von
außen hineinzutragen durch straffe Theorie, durch Mithilfe der Neu-
berschen Schauspieltruppe, durch Übersetzungstätigkeit seiner Frau
und seiner Freunde. Schon seit Jahrzehnten war den Patrioten das
schmutzige Possenwesen zuwider: Morhof, Schottelius, Leibniz haben
sich gelegentlich dagegen ausgesprochen.
Zu Gottscheds Anfängen hatte auch der Schwabe und sächsische
Hofpoet Koenig eine gewisse Reform zur Verfeinerung der zotigen
Harlekinspossen erstrebt, wenn er diese selbst auch nicht von der
Bühne verbannen durfte. Dies hatte Gottsched ihm bereits mit
dem Ehrentitel eines deutschen Molieres gedankt. Die Neuberin
hat diese Reformideen des Possenspiels entschlossen aufgegriffen
und verwertete sie in ihrem Existenzkampfe gegen ihren Rivalen
Müller. In ihrer Bittschrift an den sächsischen Hof vom 21. April
1734 betont sie: „Unsere Bemühung ist überhaupt iederzeit dahin
gegangen, in unsere Vorstellungen die strengste Moral beyzubehalten,
alle leere Possen und unerbare Zweydeutigkeiten zu vermeiden, und
welches der eigentliche und vernünfftige Endzweck des Schau
Plazes seyn soll, die Zuschauer nicht sowohl zum Lachen zu reizen
als solche zu verbeßern". Die gleichen Gedanken haben wir in
ihrem „Deutschen Vorspiele" aus demselben Jahre gefunden. Sie
scheint sich damit deutlich auch an die Adresse des ihr ungün-
stigen, mächtigen Hofpoeten zu wenden, der ebenfalls in der „Ver-
kehrten Welt" Vernunft und Sittsamkeit fordert, der im „Dresdner
Schlendrian" ja nicht nur das Lächerliche an den Pranger stellen, son-
dern auch das Gute an den Leuten anerkennen will. Allerdings ist
seine Reform nicht weit gediehen. Seine Besserungsversuche des
Harlekins blieben im Keime stecken, da er weder das künstlerische
Talent hatte sie auszuführen, noch die menschhche Kraft, sie am
Hofe durchzusetzen. Und da es schließlich 1730 über seine Opern-
Gottsched: Theaterreform. Verbannung des Hanswurst. 121
schriftstellerei mit Gottsched zum Bruch gekommen war, da konnte
dieser und mit ihm seine Verbündete Neuber nicht mehr auf Koenigs
Beistand rechnen bei den Versuchen der Theaterreinigung.
Gottsched fühlte sich aber auch Manns genug, die Arbeit zu
leisten. Ein edler Wille beseelte ihn, er war ausgestattet mit all
dem geistigen Rüstzeug, das ihm die damalige Zeit zu seiner Auf-
gabe geben konnte. Darin lag begründet seine Stärke wie seine
Schwäche. Gottsched war Rationalist. Alle Kräfte einer ausgebildeten
Verstandestätigkeit stellte er in den Dienst seiner literarisch-theatra-
lischen Reform. Aber es blieb Verstandestätigkeit. Auf allen Ge-
bieten seiner ausgebreiteten Reformbestrebungen hat stets der In-
tellekt das entscheidende Wort, so auch auf dem uns hier allein be-
rührenden Gebiete der Komödie. Negatives und Positives sucht er
zu bewirken, niederzureißen und aufzubauen. Beides muß mit Hilfe
unbeugsamer, zwingender Regeln geschehen. Am Anfang seiner
Reform steht ihm nicht künstlerisches Erleben, sondern intellektuelles
Durchdenken, auf Grund dessen er zu festgefügter Theorie kommt,
die ich früher in einer Abhandlung zur Geschichte der Lustspiel-
theorie zusammenfaßte: Die Komödie ist ein sozialer Faktor und dient
daher einem ethisch-didaktischen Endzweck, weshalb sie in reaHstischer
Naturnachahmung mit begründeter und konsequenter Charakterschilde-
rung deforme bürgerliche Typen — Moraltypen — als lächerlich ab-
malt mit Hilfe gemäßigter Sprache und freier Diktion und sie dar-
stellt mit phantasiefeindlicher, naturalistischer Technik in unbedingt
gewahrter Einheit der Handlung, der Zeit und des Ortes.
c) Verbannung des Hanswurst.
Diese Theorie galt es in die Praxis umzusetzen. Dazu konnte
Gottsched sich der willkommenen Hilfe der Neuberin bedienen. In-
dem er die Bühne in den Dienst seiner literarischen Reform stellte,
konnte er diese erst fruchtbar machen. Zunächst mußte, wenn seine
Regel Gültigkeit haben sollte, alles vom Theater vertrieben werden,
was mit ihr nicht übereinstimmte. Es durfte im Sinne seiner autori-
tativen Regel nicht mehr Literatur und Theater geben, sondern nur
noch Literaturtheater. Die Kluft mußte überbrückt, die Seitensprünge
eines ungebundenen Theaters der Stegreifpossen mußten abgestellt
werden. Der Harlekin in seiner Verstand und Moral hohnsprechenden
Schrankenlosigkeit hatte keine Daseinsberechtigung mehr. Um das
Ende seiner buntscheckigen hölzernen Pritschenherrschaft auch äußer-
Uch zu dokumentieren, wurde er von der Neuberin in öffentlicher Vor-
stellung im Oktober 1737 in der Bude vor dem Grimmaischen Tore
zu Leipzig verbannt.
Später haben sich mit guten Gründen beredte Verteidiger des
Harlekins gefunden. 1761 schreibt Justus Moser seine bekannte Schrift
„Harlekin oder Vertheidigung des Groteske-Komischen", von der mir
122 Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
eine neue, verbesserte Auflage aus dem Jahre 1777 vorliegt. Die hier
sprechende Anschauung ist in ihrer moralinfreien Haltung allerdings
bereits Ausdruck einer gewandelten Zeit. Lessing, der schon in der
Verteidigungsschrift des Harlekins angeführt wird als „ein Mann, der
Einsicht genug besitzt, um dermaleinst mein Lobredner zu werden",
bekennt sich am 30. Juni 1767 in der Hamburgischen Dramaturgie
unumwunden dazu: „Seitdem die Neuberin, sub auspiciis Sr. Magni-
ticenz, des Herrn Professors Gottsched, den Harlekin öffentlich von
ihrem Theater verbannte, haben alle deutschen Bühnen, denen daran
gelegen war, regelmäßig zu heißen, dieser Verbannung beizutreten
geschienen. Ich sage geschienen, denn im Grunde hatten sie nur
das bunte Jäckchen und den Namen abgeschafft, aber den Narren
behalten. Die Neuber selbst spielte eine Menge Stücke, in welchem
Harlekin die Hauptperson war. Aber Harlekin hieß bei ihr Hänschen,
und war ganz weiß, anstatt scheckigt gekleidet. Wahrlich ein großer
Triumph für den guten Geschmack". August Wilhelm Schlegel endlich
in seinen Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur meint
unehrerbietig und historisch auch sicherlich ungerecht, der Hanswurst
habe trotz gelegentlicher Plattheiten immer noch mehr Verstand in
seinem kleinen Finger gehabt als Gottsched in seinem ganzen Leibe.
Und Gottsched mußte seines Körpermaßes wegen den Gardewerbern
des preußischen Königs entfliehen! Mit dem dem Romantiker eigenen
Sinn fürs Unsterbhche des Volkstümlichen fällt Schlegel sein Schluß-
urteil: „Hanswurst, als allegorische Person, ist unsterblich, und wenn
man ihn noch so sicher begraben zu haben glaubt, so kommt er
unversehens in irgend einer gravitätischen Amtskleidung wieder zum
Vorschein".
Creizenach hat in die verwickelten Beziehungen Gottscheds und
der Neuberin zu der vielerörterten Verbannung des Harlekins Klarheit
gebracht. Wenn darnach Gottsched auch nicht direkt die Verbannung
— von Lessing als größte Harlekinade bezeichnet — bewirkt hat,
so stimmte sie mit seinen Reformgrundsätzen doch durchaus überein.
Diese aber sind Wahrscheinlichkeit und Moral als Auswirkungen eines
absoluten Verstandes.
d) Komödienvorbilder,
aa) Französische.
Auf Grund dieser Prinzipien mußte Gottsched nun für die be-
fehdeten Harlekinspossen Ersatz bieten, er mußte dem Negativen das
Positive gegenüberstellen. Da er von festgefügter Theorie aus dedu-
ziert und nicht aus Erfahrungen induziert, so konnte ihm seine
Kenntnis deutscher Lustspielentwicklung, auch wenn sie tiefer ge-
wesen wäre als sie trotz ihrer Weite tatsächlich war, kein Vorbild
geben. Er suchte es daher im Auslande und fand es in Frankreich.
Ihm geschah nicht das Wunder, daß er ausging eine Eselin zu suchen
Gottsched: Komödienvorbilder: Französische. Englische. 123
und fand ein Königreich. Er ging mit Scheuklappen bewehrt. Er
fand nicht Moliere, der ja schon längst im deutschen Theater nicht
mehr unbekannt war, der aber seiner Regelhaftigkeit durchaus nicht
ohne Abstriche zusagte. Nie hätte er ihn als unbedingtes Muster
aufgestellt, als solches galten ihm der geistreiche Regnard, der sitten-
schildernde Dufresny, der weiche Destouches, der gefühlskundige
Marivaux.
Diese Namen bedeuten ein Programm, ein Programm wie es dem
unbedingten Rationalisten allein angemessen war. Deren Komödien
sind bis ins einzelne sorgfältigst durchdachte Kunstwerke, die ihren
intellektuellen Mechanismus nur durch die spielerische Leichtig-
keit ihrer Form verdecken. Alles ist bis ins kleinste berechnet;
es ist nicht Gefahr, daß sich plötzliche Seelentiefen auftun wie bei
Moliere, von dem Goethe sagt: „Es ist ein Mann für sich, seine
Stücke grenzen ans Tragische, sie sind apprehensiv, und niemand
hat den Mut, es ihm nachzutun"; es ist auch nicht die Gefahr wie
ebenfalls bei dem unbequemen Moliere, daß die ruhige Heiterkeit
plötzlich in derber Possenlust auflacht. Der ganze Handlungsablauf
hält sich in einem verstandesmäßig zu erfassenden Mittelmaß und
dient trefflich zur Sittenschilderung und damit vermeintlich zur
Sittenbesserung. All die Forderungen seiner rationalistischen Theorie
fand Gottsched in dem französischen Vorbild erfüllt.
Strenggenommen ist allerdings für den Deutschen nur ein Teil
des französischen Vorbilds maßgebend, der intellektuell zu begreifende.
Das ästhetisch-sinnliche Erbe, das die romanischen Völker der Antike
entnommen hatten und das erst ihre stark intellektualisierten Dicht-
werke des 17. Jahrhunderts im pathetischen Schwung des Barock
zur Höhe wahrer Kunst erhob, blieb dem Deutschen unverständlich,
weil er es nicht mit dem Verstände begreifen konnte, sondern es nur
nachlebend hätte erfühlen können. Von dem Aesthetisch-Sinnlichen,
dem Anschaulichen, ist scharf zu trennen das Sexuell-Sinnliche, das
auf die Spitze getrieben wurde in jener unter dem Regime des
Louis XV. dann erst voll erblühenden pikanten Rokokokunst. Dieses
geschlechtliche Element konnte intellektuell begriffen werden und fand
daher auch schnell Herübernahme in die deutsche Produktion, um
nur um so derber und zotiger zu wirken, weil das Spielerisch-
Künstlerische des Aesthetisch-Sinnlichen der französischen Rokoko-
kunst dem Deutschen fremd bheb.
bb) Englische.
Zu dem französischen Vorbild trat dann noch das englische der
Restorationskomödie. Sie ist mit Recht comedy of manners genannt
und hat ihren Vorläufer bereits zu Shakespeares Zeiten noch am Ende
des 16. Jahrhunderts. Aber ihre eigentliche Prägung hat sie doch
erst durch das französische Urbild erhalten. Die Restorationskomödie
124 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist ihrem Wesen nach
durchaus romanisch und baut sich auf spanischer Intrige und fran-
zösischer Dialogführung auf. Ihr Wesen ist Abbild der herrschenden
Sitten der oberen Klassen. Diese waren in England nicht weniger
als in Deutschland das vergröberte Abbild des französischen Hofes
zu Versailles. Die Ironie war, daß die Komödien in der Vergröberung
dieser Vergröberung realistisch zu sein glaubten und nicht etwa kari-
kierende Übertreibung erstrebten. Sie überboten die tatsächliche
Unmoral der Gesellschaftssitten und glaubten das Leben in seiner
Wahrheit abzuschildern.
Ihre Hauptstärke war nicht Charakterwiedergabe — darin ver-
sagten sie, da sie durchaus an der Oberfläche hängen blieben — ,
sondern der witzige Dialog. Nur zum Zwecke, diesen zu gestalten,
werden moralische Charaktertypen ausgewählt. Es erscheinen daher
keine wirklichen Menschen vor uns, sondern Schemen, die nur
im Dialoge Leben erhalten. Nur dadurch, daß wir rein intellektuell
gefesselt werden, ohne daß es uns bewußt wird, daß die Sprecher
der witzigen Unmoralitäten Menschen vorstellen sollen mit sittlichem
Verantwortlichkeitsgefühl, können wir sie erträglich finden und
stimmen mit ein in das lustige Lachen, das den letzten Rest sitt-
lichen Bedenkens hinwegspült. Wenn beim historischen Rückblick
sich die Reflexion wieder einstellt, dann erstaunen wir allerdings
über die moralischen Tiefen und Untiefen, die damals einem sich
gebildet dünkenden Publikum geboten werden durften und des
uneingeschränkten Beifalls gerade deshalb sicher waren, weil sie
ein Abbild der Wirklichkeit zu sein vorgaben. Von Dryden bis
Farquhar mit Wycherley und vor allem Congreve als Häuptern,
Etherege, Shadwell, Vanbrugh als kleineren Geistern sind sie alle
Vertreter desselben Typus der comedy of manners, Sittenkomödie,
die besser Unsittenkomödie hieße.
Mit der Regierung der Königin Anna setzt dann in England eine
Moralisierungsperiode puritanischen Ursprungs ein, die ihren Nieder-
schlag auch in der Komödie findet. Addison und Steele, die Be-
gründer der moralischen Wochenschriften, betätigen ihr prediger-
haftes Sittenlehren auch in der Komödie. Der freie ungebundene
Witz der Restorationskomödie versiegt und macht der Langeweile Platz.
Zur Sittenverderbnis tritt Moralprüderie und läßt die ganze Atmosphäre
noch angefaulter erscheinen; Derbheit wird Lüsternheit, die Zote
triumphiert.
cc) Destouches.
Dies war aber gerade der Geist, der nun in Frankreich willkommen
war. Das offene Eingeständnis der Sittenlosigkeit, wie es allen-
falls absolutistischem Herrenstandpunkt entsprechen konnte, mußte
der tugendhaften Geste Platz machen, wenn damit die Sitten
selbst auch nicht gebessert wurden. Dies lernt Destouches in Eng-
Gottsched: Komödieavorbilder : Destouches. Gottscheds Komödienreform. I25
land und bringt die Frucht seiner englischen Erfahrungen mit nach
Frankreich. Es ist ein Symbol, daß der einstige Verfasser der
,,Triple mariage" und des „Obstacle imprevu" jetzt den „Drummer"
Addisons als „Tambour nocturne" übersetzt und bearbeitet. Die
lehrhafte Nützlichkeitsästhetik im Moralsalbaderton wird der franzö-
sischen wie englischen sittenlosen Sittenkomödie aufgepfropft. Der
Verlust des Witzes soll durch den Gewinn des Rührenden aus-
gegHchen werden, an die Stelle des Komischen tritt das Sym-
pathische. Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß das End-
urteil des alten Grafen in Destouches' „Glorieux": „Mon fils a le
coeur bon, cela repare tout" auf alle Helden dieser Komödiengattung
neuen Stils anzuwenden ist. Wie Addison und Steele in England, so
ist Destouches in Frankreich der Vater der ernsthaften Komödie.
Dieser Destouches ist nun für Gottsched der bedeutendste Ver-
treter der Komödie, die er in Deutschland einbürgern möchte. „Die
edle Art der Lustspiele des Destouches" stellt er höher als die bis-
weilen ,, niedrigen Moliereschen Comödien". Es war ihm aus der
Seele gesprochen, wenn er in der Vorrede zum ,, Glorieux" las, daß
Destouches sich die Aufgabe gestellt habe „ä epurer la scene, la
purger de ces frivoles saillies, de ces debauches d'esprit, de ces faux
brillants, de ces sales equivoques, de ces fades jeux de mots, de
ces moeurs basses et vicieuses dont eile a ete souvent infectee, et
ä la rendre digne de l'estime et de la presence des honnetes hom-
mes". Im Jahre 1740 glaubte er dasselbe von sich sagen zu dürfen
in seiner Ankündigung der „Deutschen Schaubühne", wenn er von
dem neuen deutschen Lustspiel meint: „Wie auch dieses von dem
alten Wust gereinigt und soweit gebracht worden, daß man auf der
Neuberschen Bühne weder den Harlekin, noch Skaramuz, noch die
anderen Narren der Welschen mehr sieht, die doch Moliere in seinen
Komödien nicht gänzlich vermieden". Schon aus dieser Ankündi-
gung, in der er neben Übersetzungen auch Originalarbeiten ein-
fordert, geht aber hervor, daß für Gottsched die Übersetzungen und
Bearbeitungen ausländischer Vorbilder keineswegs Selbstzweck waren,
sondern Mittel zum Zweck. Um überhaupt seine Reform durchführen
zu können, mußte er Muster aufstellen. Die Auswahl dieser Muster
konnte bei ihm nicht zweifelhaft sein.
e) Gottscheds Komödienreform.
Es gibt im Grunde trotz zahlreicher Spielarten nur zwei Richtungen
des Lustspiels, entweder es ist phantastisch im Stile Shakespeares,
oder es ist realistisch im Stile Molieres. Shakespeare kannte Gott-
sched nicht, das Phantastische lehnte der nur die Oberfläche der
Dinge sehende Rationalist als opernhaft ab. Es blieb ihm die rea-
listische Komödie, die er allerdings nicht im Sinne des Menschen-
ergründers Moliere, sondern im Sinne von dessen französischen und
126 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
englischen an der Oberfläche haftenden Epigonen faßte. Die rea-
listische Komödie ist aber eine dichterische Spiegelung der tatsäch-
lichen Welt in ihren menschlichen Vertretern. Die phantastische
Komödie hält sich in erster Linie an die Handlungen, sie sind ihr
ein Ausschnitt des Welttreibens im ganzen und spiegeln daher das
Weltsein unmittelbar. Die realistische Komödie dagegen hält sich in
erster Linie an die Personen, sie sind in ihrer körperlichen Ab-
geschlossenheit am ehesten als Wirklichkeit zu erfassen. Der Sinn
des Weltseins ergibt sich aus deren im Metaphysischen wurzelnden
Charakteren. Die phantastische Komödie geht aus von dem Geschehen,
die realistische Komödie von dem im Menschen verkörperten Geist.
Sie braucht daher mehr als jene ein nationales gesellschaftliches
Milieu, eine Gesamtheit Standes- oder klassenbewußter Vertreter, um
ihrer Abspiegelungsaufgabe Breite und Tiefe verleihen zu können.
Ein solches Milieu mit Nationalcharakter gab es aber zu Beginn
des 1 8. Jahrhunderts in Deutschland schlechterdings nicht. Der Adel
und die Höfe waren durchaus ausländisch gesinnt ohne jedes vater-
ländische Bewußtsein, der Bürgerstand äffte entweder die oberen
Klassen nach, oder er war in Roheit versunken. Nationales Gesell-
schaftsbewußtsein fehlte dem Bürger. Es ist erstaunlich, wie schnell
es sich dann entwickelte. Solange es aber nicht vorhanden war,
mußte auch jeder Versuch, eine deutsche bürgerliche Komödie zu
erzwingen, fruchtlos bleiben, da sie weder Stoff zur Gestaltung
noch Gehalt zur Durchdringung hatte, noch auch Resonanzboden
vorfand. Daran mußte Gottscheds Komödienreform scheitern. Er
wollte ein nationales Lustspiel schaffen und blieb am Internationalen
haften. Mit den Übertreibungen des Harlekins hatte er auch dessen
volkstümlichen Kern vernichtet — soweit er sich vernichten ließ.
Vor allem aber war seine Reform deshalb zum Scheitern verurteilt,
weil er Dichterisches mit undichterischen Mitteln erstrebte. Ihm ordnet
begreifendes Denken die Komödien, sie sind nicht gestaltet durch
inneres Erleben. Die Komödien sind nichts anderes als in Dialog-
form gebrachte Kapitel aus rationalistischen Lehrbüchern der Welt-
weisheit. Die Kunst, Komödien zu schreiben, ist lernbar und lehr-
haft. Daraus ist ihr Wesen zu verstehen und zu beurteilen. Der
Rationalismus gibt ihnen ihr Gepräge. Und wenn der Verbreiter
des Rationalismus, Christian Wolff, als typischer Kopfphilosoph an-
gesprochen wurde, so sind die Komödienschreiber ä la Gottsched die
typischen Kopfdichter. Sie sind vollkommen mit Wolff einverstanden,
daß aus der Erkenntnis direkt das Lustgefühl entspringe: ex cogni-
tione nascitur primum voluptas. Kunst ist Können. Sie hätten den
Satz Hans Thomas: „Das Gefallen ist wichtiger als das Verstehen",
gerade umgekehrt. Die Errungenschaft von Leibniz: „Le goüt distin-
gu^ de l'entendement consiste dans les perceptions confuses, dont
on ne saurait assez rendre raison. C'est quelque chose d'approchant
Gottsched: Gottscheds Komödienreform. 127
de l'instinct", diese Errungenschaft war zum Schaden der deutschen
Aesthetik durch WolfF wieder verlorengegangen.
Die Komödie Gottscheds ist keine Lebensspiegelung, aus dem per-
sönlichen Erleben nationalbewußter Bürger heraus gestaltet; sie ist
ein atomistisches Abmalen der Umgebung mit Hilfe des Intellekts,
wie es etwa auch in der epischen Naturschilderung eines Brockes
geübt wird. Doch ist diese intellektuelle Tätigkeit nicht in sich selbst
beschlossen, sie ist kein künstlerischer Naturalismus, der ein Stück
Natur durch ein künstlerisches Temperament sieht und als Einheit
wiedergibt, sondern sie ist zweckbestimmt. Die moralische Teleo-
logie des Rationalismus gibt der Komödie ihren Charakter. Die ratio-
nalistische Komödie soll Moral lehren. Dazu wird die Umwelt auf
ihre Tugenden und Laster beobachtet und gleichsam ein Zettelkasten
des Beobachteten angelegt. Auf irgendeine besondere moralische
Eigenschaft mit negativem Vorzeichen wird dann eine Fabel, vorhan-
den oder erfunden, angepaßt. Daraus entsteht nach vorgeschrie-
bener Oekonomie, „Einrichtung", die Komödie. Offensichtlich ergibt
dieser Werdegang eher Charakterkomödien als Intrigenkomödien.
Allerdings ist bei dieser Benennung wieder die Auffassung der
Zeit über Charakter zu berücksichtigen. Charaktere im heutigen,
eigentlich erst durch Herder geprägten Sinne, sind es natürlich
nicht. Es sind sogenannte moralische Charaktere, d. h. Träger einer
hervorstechenden moralischen Eigenschaft. Bis Lessing werden ja
im 1 8. Jahrhundert moralische und persönliche Charaktere scharf ge-
schieden. Um ein Beispiel anzuführen, sei die durchaus nicht origi-
nale Definition Bodmers erwähnt, wonach moralische Charaktere „uns
den Menschen in einer einzigen absonderlichen Gemütsbeschaffen-
heit geben, welche ihn zu einer gewissen Tugend oder einem Laster
lenket", während persönliche „viel vermengter und aus mehreren Ge-
mütseigenschaften zusammengesetzt und insgemeine mittelmäßig sind".
Die Richtung dieser Art moralischer Charakterkomödien wurde
noch durch das ausländische Vorbild gestärkt, und wie sehr sie ge-
pflegt wurde, beweisen bereits die Titel der damaligen Komödien:
Destouches' „Verschwender" übersetzt von der Gottschedin, Dufresnys'
„Spielerin" übersetzt von Straube, Dufresnys' ,,Widersprecherin" über-
setzt von der Gottschedin, „Der geschäftige Müßiggänger" von Joh.
Elias Schlegel, „Der Hypochondrist" von Quistorp, „Der Unemp-
findliche" von Uhlich, „Herr Witzling" von der Gottschedin, „Der
Gefällige", „Der Ruhmredige", „Der Neugierige", „Der Undankbare",
„Der Unschlüssige", „Der Verläumder", „Der Ehrgeizige", „Der Ver-
wirrungsstifter", „Der Rachsüchtige" — alle nach Destouches, und
diese Liste könnte nach Belieben in Übersetzungen und Original-
lustspielen erweitert werden. Solche moralische Charakterkomödien
sind aber ihrem Wesen nach international, denn die darin vorgestell-
ten Moraltypen sind an sich international, und da ihnen in Deutsch-
J28 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
land das national- und standesbewußte Milieu als Pflanzgrund fehlte,
so blieben sie es trotz aller künstlichen Eindeutschungen. Mag noch
so viel Beobachtung darin verarbeitet sein, im Grunde sind sie gleich
jenen verpönten Harlekinspossen, ohne deren volkstümlichen Kern
zu besitzen, internationaler Tradition angehörig. Der Unterschied ist
der, daß jene komische Typen, diese moralische darstellen.
Für den Augenblick aber war mit der geforderten und durchgeführten
Regelmäßigkeit des dramatischen Baues Positives erreicht und gerade
deshalb erreicht, weil der Reformator sich im Bereich des Möglichen und
Erreichbaren hielt. Mit den schönsten Regeln konnte kein dichterisches
Erleben geschaffen werden, aber verstandesmäßigem Erlernen waren
die gangbaren Wege gezeigt. Dr3^dens Wort bewahrheitet sich: ,,Now
what, I beseech you, is more easy than to write a regulär French
play, or more diff"icult than to write an irregulär English one, like those
of Fletcher or of Shakespeare?" Und es entstand tatsächlich neben
den Übersetzungen eine ganze Reihe von Originallustspielen, die alle
der langen internationalen dramaturgischen Praxis entsprachen, wo-
nach Tragödien Nachahmungen von Handlungen, Komödien Nach-
ahmungen von Personen sind, wobei dem Grundsatz des herrschen-
den RationaHsmus entsprechend überall der Verstand das ordnende,
regelnde, gliedernde und zusammensetzende Prinzip ist.
Da die Form nicht aus dem Innern heraus entstand, sondern von
dem berechnenden Verstand von außen aufgeprägt ist, so gleichen
sie sich — von der Verschiedenheit der Stoff"e abgesehen — alle wie
ein Ei dem andern. Ein Stück, willkürlich ausgewählt, läßt die Technik
aller erkennen. Fünfzahl der etwa gleichlangen Akte mit unbedingter
Bewahrung der bekannten Einheiten und Höhepunkt im dritten Akt,
der Schauplatz innerhalb der Akte nie leerbleibend, neu auftretende
Personen stets, wenn auch in oberflächlichster Weise: „Da kommt — "
zuvor angekündigt, jeder Aktschluß die Bühne leermachend, der Spiel-
schluß alle Spieler zum Schlußbild vereinigend, Beschränkung der
Personenzahl auf höchstens zwölf, kontrastierende Eltern und Kinder,
guterzogene naive oder schlechterzogene dumme Töchter, ein retten-
der Onkel, das Zimmermädchen als listig schlaue Vertrautin, der Diener
als Träger derber Komik, die Sprache am besten in Prosa, der Um-
gangssprache des gehobenen Mittelstandes entsprechend, mit Neigung
zu Kraftausdrücken als humoristisch aufgesetzten Lichtern, ausnahms-
weisejambische, möglichst reimlose Verse, Beseitigung der Monologe und
Apartes als unnatürlich: dies sind die praktischen Regeln, nach denen
die Gottschedsche Komödie aufgebaut sein muß, soll sie der Theorie
des Lehrmeisters von ihrer „Einrichtung" entsprechen. Doch selbst
dann noch wäre sie verfehlt, wenn der Stoff nicht unter dem vorge-
schriebenen Gesichtspunkt ausgewählt wäre, daß nur die „Nachahmung
einer lasterhaften Handlung" in der Komödie dargestellt werden dürfe.
Wir sehen, die Gottschedjünger gehen eng umgrenzte Marschroute,
Gottsched: Übersetrungskunst: Gottschedin: ,,Die Pietisterey im Fischbeinrocke". I29
die nur öde Gleichartigkeit erzeugen kann, und zwar so, daß die
sogenannten Originallustspiele ebensowenig nationalen Charakter
tragen wie die Übersetzungen.
Die große Zahl von Übersetzungen und Bearbeitungen ausländi-
scher Komödien bedarf hier nur insoweit einer Besprechung, als
dafür besondere Regeln der Eindeutschung vorgeschrieben und be-
achtet wurden. Gottsched hatte bereits 1730 einen Versuch begonnen,
indem er „Les Operas" von St. Evremond bearbeitete. Die Anregung
dazu hatte ihm wohl weniger das Lustspiel als solches gegeben als
das Lustspiel als Satire auf die Opernleidenschaft. Ist doch 1730 in
seiner „Critischen Dichtkunst" zum ersten Male seine öfifentliche aus-
führliche Kampfansage wider die beliebten Opern erschienen. Er
beendete die Arbeit nicht, sie erschien erst 1740 unter dem Titel „Die
Opern" im IL Bande der „Deutschen Schaubühne", nachdem seine
Frau den fehlenden V, Aufzug übertragen hatte. Dem Abdruck geht
eine Vorrede voraus, in der Gottsched die Grundsätze der Über-
setzungskunst festlegt: „In dem ganzen Stücke aber hat man sich
eine Freyheit genommen, die ohne Zweifel allen Comödien, die man
aus fremden Sprachen in die unsrige bringet, zu keinem geringen
Vortheile gereichen wird. Ich habe nämlich alle französischen Namen,
die unsern deutschen Ohren so widerlich klingen, und solchen über-
setzten Lustspielen ein ganz fremdes Ansehen geben, in lauter
deutsche verwandelt. Dadurch hat nun dieß Stück ein ganz ein-
heimisches und deutsches Ansehen bekommen: und ein deutscher
Leser oder Zuschauer nimmt mehr Theil daran, als wenn es in so
fremder Gestalt aufgezogen käme. Aus eben der Ursache nun, und
derselben Regel zu folge, habe ich aus den parisischen Opern,
hamburgische, und aus der Stadt Lion, wo dort die ganze Geschichte
vorgeht, Lübeck gemacht".
f) Übersetzungskunst.
aa) Gottschedin: ,,Die Pietisterey im Fischbeinrocke".
Gottsched erstrebt darnach bewußt die Eindeutschung der zu über-
setzenden Stücke dadurch, daß deutsche Personen- und Ortsnamen
gewählt und deutsche Verhältnisse zugrunde gelegt werden. Viel
deutlicher kommt diese Praxis zur Wirkung in der Bearbeitung, die
seine „geschickte Freundin", die Gottschedin, dem Lustspiel des
französischen Jesuiten Bougeant „La femme docteur" angedeihen
läßt. Bougeant satirisiert darin das Treiben der Jansenisten unter
Zuhilfenahme von Motiven Molierescher Komödien: „Femmes sa-
vantes", „Tartuffe", „Malade imaginaire". Die Gottschedin, die ihr
Lustspiel „Die Pietisterey im Fischbeinrocke" zunächst 1736 in Ro-
stock anonym erscheinen ließ, setzt an die Stelle der Jansenisten die
Halleschen Pietisten, statt des jansenistischen Bücherkatalogs zählt
Ho 11, Lustspiel. 9
j-jQ Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
sie Titel von Büchern deutscher Mystiker und Pietisten auf, ähnlich
wie in den „Opern" Hamburger Titel die französischen ersetzt
hatten, und schließlich läßt sie die ganze Intrige in Königsberg sich
abspielen. Der durch Spener begründete Pietismus, der Ausdruck
eines durch das ganze 17. Jahrhundert schon unter der Oberfläche
fließenden religiösen Gefühlsstroms, wird hier in seiner Ausartung,
dem mystisch -verschwommenen Muckertum, das in eigennützige
Heuchelei nach Art des Tartuffe einläuft, verspottet.
Die deutschen Personennamen sind Eigenschaftsschilder: Frau
Glaubeleichtin , Herr Wackermann, Magister Scheinfromm, Frau
Zanckenheimin, Frau Seuffzerin, Frau Ehrlichin, Frau Bettelsackin
zeigen genügend den moralischen Charakter der Namensträger gemäß
der oben erwähnten Definition Bodmers. Die Einseitigkeit solcher
Namensgebung liegt auf der Hand, sobald mehrere Familienglieder mit
verschiedenen Charaktereigenschaften notgedrungen dasselbe Namens-
schild tragen. Bei der beliebten Technik kontrastierender Ehegatten
wird die Unsinnigkeit dieses Prinzips besonders offenbar. Vor allem
aber wird dadurch schon äußerlich der Entwicklung der Komödienkunst
zur Menschendarstellung ein Riegel vorgeschoben. Das rationalistische
Prinzip solcher Namenswahl wurde in Deutschland um so beHebter —
wir begegnen ihm bereits im 17. Jahrhundert — , als es im Vorbilde der
englischen moralischen Wochenschriften eine Unterstützung fand.
Immerhin muß anerkannt werden, daß gerade die Komödie der Gott-
schedin durch die gelungene Eindeutschungsmethode stofflich wenig-
stens Nationalcharakter aufweist. Die Form ist allerdings durchaus kon-
ventionell-international, entsprechend den vorhergenannten zusammen-
gefaßten Vorschriften der Technik. Doch weiß sich die Verfasserin
gelegentlich von der moralischen Gebundenheit zu freierer komischer
Wirkung zu lösen. Am gelungensten und unleugbares Talent ver-
ratend ist die Dialektszene. Hier taucht in dem engsten Kreise des
Rationalisten Gottsched eine Neigung zum Volkstümlichen auf, dessen
Pflege und Ausbau dem deutschen Lustspiel zum größten Heile
hätte dienen können. Bei aller Abhängigkeit der Gottschedin von
ihrem gestrengen Gemahl darf nicht verkannt werden, daß sie ent-
schieden mehr Sinn für Volkstümliches hatte als er; ja dies geht so
weit, daß in ihren Übersetzungen, wie etwa von Molieres „Menschen-
feind", bereits wieder Harlekinslazzi zugelassen werden.
bb) Bedeutung französischer Vorbilder.
Der Übersetzungskunst der Gottschedin und der anderen Bearbeiter
ausländischer Komödien ins einzelne nachzugehen, verlangt eine Ab-
handlung für sich. Vor allem bedeutet die reiche Übersetzungstätigkeit
eine stoffliche Bereicherung. Darin liegt der Hauptgewinn für die
deutsche Literatur. Die psychologischen Feinheiten, die Charakter-
vertiefung gingen auf dem Wege nach Deutschland verloren. Die tief-
Gottsched: Übersetzungskunst : Bedeutung französischer Vorbilder. I"?!
gründige Menschendarstellung Molieres wurde durch grobe Zeichnung
einzelner moralischer Eigenschaften ersetzt. Deutlich erweist sich dies
an der Bearbeitung von Molieres Meisterschöpfung „Misanthrope".
Aber wenn auch der platte Rationalismus eines Gottsched und seiner
Nachahmer jene Kunst verwässerte und sie ins Lehrhaft-Moralische
umbog, so beschäftigte man sich doch mit dieser Kunst. Es konnte
nicht ausbleiben, daß allmählich der Sinn für psychologische Entwick-
lungen sich vertiefte, wenn auch die Wiedergabe damit noch nicht
Schritt hielt. Nicht zuletzt an der Beobachtung der Menschengestaltung
Molieres erwachte in Deutschland das Verständnis für das Irrationale
im Menschen und damit das Verständnis für den größten Menschen-
gestalter aller Zeiten: Shakespeare. Es ist kein Zufall, daß gerade
das größte Lustspieltalent in der Gottschedschen Zeit auch die ersten
warmen Töne für Shakespeare fand.
Aber auch der Weg zu Moliere — nicht zu seiner äußerlichen
Kenntnis, sondern zu seiner innerlichen Erkenntnis — mußte erst
geebnet werden durch die Beschäftigung mit seinen Nachfolgern.
Dabei ist vor allem auf Marivaux hinzuweisen, der der erste Psycho-
log der Frau genannt wurde. Wie stark gerade Marivaux gewirkt
hat, bezeugt der Nachhall seines eigenartigen Sprachstils in der deut-
schen Komödie. Bewußt will Marivaux seinen Stil dem Inhalte an-
passen. Sein Ziel ist nicht, Leidenschaften auszudrücken, sondern
galante Beziehungen, die spielerisch zwischen den Personen hin-
und herzittern, deren Wesen nicht Kraft, sondern Zierlichkeit ist.
Dementsprechend gestaltet er seine zierliche Sprache, die sich vor
dem entscheidenden Wort verschließt, die graziös trippelt und da-
durch Spannung zu erwecken und erhalten sucht. Aber wie der In-
halt als echtes Kind seines Zeitalters des Rokoko in der Zierlichkeit
haften bleibt, nicht zu starken, nachhaltigen Akzenten sich aufzu-
schwingen vermag, so bleibt auch der Stil an der Oberfläche des
Gedanklich-Flatternden haften und löst statt der erstrebten Wirkung
des Impressionistisch-Lebendigen nur den Eindruck des Geschraubten
aus, der auf die Dauer langweilig wirkt. Die deutsche Nachahmung
dieser sogenannten Marivaudage muß auch hier wieder noch weiter
veräußerlichen und vergröbern, da ihr die impressionistisch-psycho-
logische Begabung Marivaux', die dem Romanen eigentümliche Be-
herrschung der Sprachform versagt blieb.
Deutlich erkennen wir, daß diese ganze Periode Gottscheds die
Lehrzeit der deutschen Komödie darstellt. Das Ausland ist der Lehr-
meister, und es wird das dauernde Verdienst Gottscheds bleiben, der
deutschen Komödie diesen Lehrmeister gewiesen zu haben. Er hat
auch als Erster die moralischen Wochenschriften Englands in Deutsch-
land eingeführt, und es hieße wesentliche Bausteine deutscher Psy-
chologie verkennen, wenn wir uns nicht erinnerten, daß in diesen
wichtigste Materialien zu charakterologischem Verständnis geboten
1-22 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
wurden. Trotz all dieser Lehrstoffe aber blieb die rationalistische
Komödie immer äußerliche Nachahmung, sei es fremder Muster, sei
es eigener Sitten. Es kam nie zum Erleben. Deshalb drang sie nie
in den Kern der Dinge und Menschen, sie blieb immer an der Ober-
fläche haften. Jedoch die Versenkung in die ausländische Literatur
schuf Werkzeuge, die den streng intellektualistischen Bau des Ra-
tionalismus lockerten. Diese Lockerung machte sich in der poetischen
Praxis geltend, wie sie in der Theorie in der Begründung und Aus-
gestaltung einer neuen Disziplin, der Aesthetik, ihre Parallele fand.
Das Bewußtsein erhebt sich und festigt sich allmählich, daß es
Rätsel der Menschennatur gibt, die jenseits stehen der Begreifbarkeit
durch Denkkräfte. Noch geschehen keine Versuche zur Lösung dieser
Rätsel. Noch ist dies Bewußtsein mehr ein Unterbewußtsein als
ein Vollbewußtsein. Doch die Grundlagen zum Erlebnis, das allein
zur Lösung des Menschenrätsels werden kann, werden gelegt. Nicht
in einem bestimmten Individuum, sondern in der allgemeinen Kultur-
lage. Gottsched, der überzeugte Rationalist, wird durch die Anregung
der Übersetzungen zum unbewußten Anreger, den Rationalismus zu
überwinden.
cc) Bedeutung Holbergs.
Gottsched, der erbitterte Kämpfer gegen das im Harlekin sich be-
tätigende volkstümliche Element, führt es selbst wieder in die deutsche
Komödie ein. Wir haben diese Entwicklung bei der Gottschedin schon
beobachten können. Sie ist aber nicht an ihre Person gebunden, sie
ist ein Zeichen der unsterblichen Natur des Volkstümlich-Possenhaften.
Soweit es sich in Molieres Schaffen betätigt hatte, im Scapin etwa,
war es mit dem „gottschädlichen" Bannfluche belegt. Nun regte
aber Gottsched an und beförderte auf alle Weise, den dänischen
Moliere, Holberg, zu übersetzen. Dadurch hat er selbst am meisten
dazu beigetragen, das volkstümliche Possenelement im deutschen
Lustspiel heimisch zu machen. Im zweiten Bande der „Deutschen
Schaubühne" von 1740 druckt er die Übersetzung von Holbergs „Jean
de France" („Der deutsche Franzose") durch den Altonaer Professor
Detharding ab. In der Vorrede dazu schreibt er von Holberg: „Dieser
berühmte und sinnreiche Mann hat in Dänemark dasjenige geleistet,
was Plautus in Rom, oder Moliere in Frankreich getan haben. . . .
Ohngeachtet wir in Deutschland, außer Christian Weißen, einen so
fruchtbaren Dichter, in dieser Art, noch nicht aufzuweisen haben:
so machen wir uns doch eine Ehre daraus, auch diesen unsern
Nachbar aus einem mit uns verschwisterten Volke, den südlichen
und westlichen Völkern Europas zum Beweise darzustellen: daß die
nordischen Geister der Gelehrten eben so träge nicht sind, als sie
zu glauben pflegen". Weiter verteidigt er den dänischen Lustspiel-
dichter gegen den Vorwurf der Unwahrscheinlichkeit seiner Gestalten
Gottsched: Übersetzungskunst: Bedeutung Holbergs. I33
in der Vorrede zum dritten Bande der „Schaubühne" von 1741, worin
er Dethardings Übersetzung des „Jacob von Tyboe" unter dem Titel
„Bramarbas" bringt, und endlich druckt er im ersten Bande der
„Schaubühne" von 1742 Dethardings Übertragung von Holbergs , »Poli-
tischem Kannegießer" ab. Damit ist schon deutlich genug bezeugt,
wie hoch Gottsched Holberg einschätzt. Es kommt dies noch dadurch
zum Ausdruck, daß er die Verdeutschungen weiterer Werke Holbergs
sehr begünstigt, so daß tatsächlich in kurzer Zeit alle Lustspiele des
Dänen bis auf wenige Ausnahmen in deutscher Sprache vorliegen.
Außer Detharding ist vor allem J. G. Laub als Holbergübersetzer tätig.
Die Zahl der Übersetzungen Holbergscher Lustspiele — schon vor
Gottsched haben wandernde Schauspielertruppen solche aufgeführt —
ist so groß, daß sie etwa ein Fünftel der Gesamtzahl von Überset-
zungen ausländischer Komödien aus der Gottschedschen Periode,
etwa 1737 — 68, beträgt. Gleichermaßen spricht für Holbergs Beliebt-
heit, daß in Hamburg, dessen Miheu der Däne allerdings besonders
nahe stand, bei einem Schauspielrepertoire von 190 Vorstellungen im
Jahre 1742/43 auf Holberg allein 44 Vorstellungen fielen.
Es darf wohl als sicher vorausgesetzt werden, daß die Beliebtheit
der dänischen Lustspiele beim Publikum nicht auf denselben Gründen
beruhte, die Gottscheds Lob hervorriefen. Der deutsche Regelrichter
sah in dem Dänen einen Rassevetter, auf den er stolz sein durfte,
da er sich der Einheitsregeln der Zeit und des Orts befleißigte.
Trotzdem Gottsched für seine Reform das französische Muster für
notwendig hielt, war diese Reform doch durchaus national gedacht.
Um so mehr mußte er sich nun zu dem nordgermanischen Vetter
hingezogen fühlen, wenn er sah, daß er seine theoretischen An-
schauungen bei diesem bestätigt fand.
Holberg ist ein echter Lustspieldichter trotz seines unleugbaren
RationaHsmus. Er sieht die Welt vom Standpunkte des Intellekts
an und bewahrheitet dadurch das Bonmot Horace Walpoles: The
World is a comedy for those who think, a tragedy for those who
. feel. Gefühlsleidenschaft hält er sich fern und weiß sie auch nicht
zu gestalten. Seine Komödien sind in klare, harte, nüchterne
Atmosphäre getaucht, die die Fehler und Eigenheiten des Einzelnen
scharf hervortreten läßt, die aber jede Gefühlswärme abkühlt. Ja,
er schreibt bewußt Stücke, in denen er nicht nur jede Liebeshändel
vermeidet, sondern überhaupt jede weibliche Figur ausschaltet. Aller-
dings macht er dann auch den Versuch, in einer einaktigen Komödie
alle Mannspersonen zu verbannen. Wir sehen, die Geschlechter-
beziehung in ihrer Ursächlichkeit menschlich-leidenschaftlicher Ge-
fühle interessiert ihn wenig. Er und mit ihm seine Komödien sind
geschlechtlich frigid, was man fast versucht wäre, trotz aller üblen
Nachrede, auch von Gottsched anzunehmen, der seine Frau nur als
„geschickte Freundin" betrachtet.
l'XA Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
Vor allem aber bekundet sich Holberg dadurch als echter Ratio-
nalist und Gesinnungsgenosse Gottscheds, daß auch ihm das hora-
zische utile cum dulce das Grundprinzip seiner Aesthetik ist. Wie in
seinen Komödien immer wieder die moralische Lehrhaftigkeit sich
geltend macht, so bekennt er sich zu ihr auch in der Theorie: ,,Ich
räume zwar ein, daß eine moralische Handlung oder eine Charakter-
komödie überhaupt noch keine Komödie ist, es sei denn, sie habe
zugleich etwas Lustiges an sich: allein es muß eine sinnreiche Lustig-
keit sein, die zwar ergötzen, aber auch unterrichten kann, und nicht
bloße Narrenspossen, die den Geschmack verderben und Anlaß ge-
ben, das Komödienwesen überhaupt in Verruf zu bringen, ja die an
sich zunichte werden, sowie man ihnen die Maschinen, die Grimassen
und den äußerlichen Prunk entzieht". Dies hätte auch Gottsched
sagen können, ebenso wie Holberg nur dessen Meinung ausspricht,
wenn er schreibt, daß Übersetzungen nur dann zulässig seien, wenn
sie zugleich gänzliche Umarbeitungen seien und die gebührende
Rücksicht auf die Sitten des Landes nähmen, wohin sie verpflanzt
werden sollten. Auch im Urteile über die Sprachform der Komödie
stimmt der dänische Rationahst mit Gottsched oder mit dessen ge-
treuem Schüler Straube überein, der gegen Johann Elias Schlegel
aus Gründen naturalistischer Wahrscheinlichkeit in der Komödie die
Prosa forderte und den Vers verwarf. Straube hätte seine Gründe
dem dänischen Dichter entnehmen können, der es „als ein Zeichen
und einen Beweis von dem guten und natürlichen Geschmack der
dänischen Nation" ansieht, daß ihre Schauspiele in ungebundener
Rede geschrieben seien, „indem nichts Seltsameres und Törichteres
zu erdenken ist, als Reden, die im täglichen Umgange vorkommen,
in Verse und Reime einzukleiden". Ja, wenn Straube in der Hitze
der Diskussion auch für die Tragödie die Möglichkeit der Prosa
wenigstens ventiliert, so hätte er auch dafür auf Holberg als einen
theoretischen Vorläufer hinweisen können. Aus all diesen Überein-
stimmungen mögen wir ersehen, wie wenig bedeutsam die Mei-
nungsäußerungen einzelner historischer Individuen, wie ausgebreitet
andrerseits solche Meinungen als Zeitstrebungen sind. Aus allem
geht klar hervor, Holberg ist in seinen theoretischen Überzeugungen
durchaus Gottschedianer. Als solcher wählt er auch das Milieu seiner
Lustspiele nach dem Prinzip der sozialen Fallhöhe, die von jeher
zwischen der Tragödie und Komödie bestanden hat und von den
Rationalisten der damaligen Zeit in Ehrfurcht vor den herrschenden
Klassen erst recht gefordert wurde.
Doch hier offenbart sich der Dichter in Holberg und drückt den
Rationalisten an die Wand. Er erobert der Komödie eine neue Menschen-
klasse: den Kleinbürger und Bauern. Gelegentlich waren diese auch
früher schon in der Komödie erschienen, abgesehen von ihrer satiri-
schen Verspottung, so in Gryphius' „GeHebter Dornrose". Doch sie
Gottsched: Übersetzungskunst: Bedeutung Holbergs. I3?
als Klasse für den Humor der Komödie gewonnen zu haben, ist das
Verdienst Holbergs. Das ist das Zeichen des wahren Dichters, daß
er neue AusbHcke eröffnet, die uns, sobald sie eröffnet sind, als selbst-
verständlich erscheinen. Darin, daß er uns die Augen öffnet für die
Leiden und Freuden des Kleinbürgerstandes, daß wir diesen in seinen
Eitelkeiten und allem Menschlichen und Allzumenschlichen lachend
beobachten, liegt Holbergs Beliebtheit begründet. Der Dichter Holberg
hatte instinktiv das Milieu gefunden, das dem rationalistischen Denker
Gottsched versagt blieb. Während dieser daher an der Oberfläche
von Sittenschilderung haften blieb, drang jener zum Kerne des Mensch-
lichen vor. Gewaltige Leidenschaften darzustellen, ist ihm nicht ge-
geben, aber ohne Bitterkeit menschlich Lächerliches körperlich uns
vor Augen zu führen, ist seine Kunst.
Allerdings ist er noch weit entfernt von der Menschengestaltung
eines Shakespeare, der das Individuum an den letzten Wurzeln er-
faßt, wo Physisches und Psychisches sich verschlingen wie in Fal-
staff, Percy, Othello, Richard III. Holberg zeichnet uns keine psycho-
logisch komplizierten Charaktere. Doch während der sogenannte
moralische Charakter der Gottschedschen Komödie eine einzelne
Eigenschaft ist, die dem Darzustellenden äußerlich übergeworfen wird
wie ein Maskenkleid, sei es nun Domino oder Pierrot, sind die Cha-
raktere Holbergs aus dem Innern heraus gesehen. Auch bei ihnen
ist eine einzelne Eigenschaft die Grundlage der Darstellung, aber da
sie nicht konventionellen Maschinen äußerlich aufgeklebt ist, sondern
von innen her die ganze Konstruktion bestimmt, so gibt sie uns
den Eindruck der Individualität. Es sind grobschlächtige, primitive
Menschen, aber es sind Menschen und keine farblosen Puppen.
Wenn sie auch auf Grund einer einzelnen Eigenschaft aufgebaut
sind, so sind sie doch von innen heraus aufgebaut. Das ist das
Neue, das Dichterische. Damit aber ergeben sich von selbst neben
der Haupteigenschaft kleinere Züge, die dem dargestellten Charakter
den belebenden Kontur geben. An die Stelle flächiger Zeichnung
tritt körperliche Gestaltung. Ausarbeitung der Figuren, feine Model-
lierung gar, fehlen allerdings. Das allgemeine Urteil des verdienst-
vollen Holbergbiographen Prutz, daß Holbergs Gestalten „leibhaftige
Wesen von Fleisch und Blut, mit ausgeprägtem, individuellem Cha-
rakter" seien, übertreibt. Sie streifen ihre Herkunft aus den komi-
schen Maskentypen doch nicht so völlig ab, daß wir in ihnen voll-
endete charakteristische Individuation zu erkennen vermöchten. Der
Stil erinnert an derbe Holzschnittmanier. Gerade deshalb aber ist er
dem Wesen der dargestellten Kleinbürgertypen entsprechend, er wird
als wahr empfunden und nicht als gekünstelt.
Und dies, trotzdem die Stilmittel zum großen Teil der Possen-
überlieferung entstammen, wie sie ihren Niederschlag in Gherardis
„Theätre itahen" gefunden hat. Ja, gerade daß Holberg zu den Mitteln
j-5^ Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
der Stegreifposse greift, läßt die Aufmachung seiner Kleinbürger-
komödien als stilecht wirken. Die steife Konvention des Rokoko ist
durchbrochen, Naturwahrheit schaut uns entgegen. Seine Hauptstoff-
quelle ist Gherardi, außerdem vor allem der derbkomische Plautus,
der ihm viel artverwandter ist als Terenz. Seine Stärke liegt auf dem
Gebiete des bis zum Grotesken gesteigerten Derbkomischen. Sein wir-
kungsvoller Kunstcharakter ist seine Volkstümlichkeit, die echt genug
sprudelt, um die überlieferten Maskentypen der commedia dell'arte
lebendigen Individuen in ihrer Wirkung anzugleichen. In Holberg
lebt bestes Mimusgut auf. Es gereicht ihm nicht zum Nachteil, daß
er wie Aristophanes der Verfechter guter alter Sitte ist, daß er seine
komische Darstellung auf konservative Gesinnung aufbaut, auf den
Glauben an das Bestehende und Althergebrachte. Und ebensowenig
wie der Grieche verdient er den Vorwurf der Sittenlosigkeit, wenn
er diesem Glauben in kräftigsten Worten Ausdruck verleiht.
Auch seine Sprache ist, fern aller Künstelei, seinem Darstellungs-
stil in ihrer Natürlichkeit durchaus angemessen. Wie Weise, so ver-
wendet auch Holberg bewußt das Stilmittel der Wortkomik, indem
er die Rede mit den saftigsten Ausdrücken pfeffert. Dieses volkstüm-
liche Element der Lustspielsprache liegt ihm natürhch nahe. Aber
bei aller Derbheit des Ausdrucks, bei allen geschlechtHchen Ein-
deutigkeiten befinden wir uns bei ihm doch nie in der stickigen
Atmosphäre der Lüsternheit. Somit führt er in die Gottschedsche
Komödie einen frischen Luftzug derber Volkstümlichkeit. Der gute
Kern der Harlekinspossen kehrt mit ihm auf die deutsche Bühne zu-
rück, gerufen durch Gottsched, nachdem diese eben von dem ge-
strengen Regelsüchtigen verbannt worden waren. Darin liegt die
Mission Holbergs für die Entwicklung des deutschen Lustspiels.
Er öffnet der Volkstümlichkeit wieder die eben verschlossene Türe.
Dadurch durchbricht er auch die engen Grenzen des Stoffkreises,
in den nur Nachahmungen lasterhafter Handlungen zugelassen
waren. Sie werden erweitert, um alles Lächerliche aufzunehmen,
neben dem moralischen Endzweck gewinnt das komische Endziel
größere Bedeutung.
g) Originalkomödien.
aa) Frau Gottsched.
Zunächst ist bei den Originalwerken deutscher Lustspielkunst wenig
von dem Wandel zu bemerken. Wohl werden mit Vorliebe Motive und
Situationen aus Holbergs Komödien entlehnt, doch gerade für das
Dichterische darin hat der Gottschedkreis wenig Verständnis, und
wenn er es schon gehabt hätte, so hatte er nicht die unbekümmerte
Kraft, es in eigener Lustspielkunst wieder aufleben zu lassen. Die
aus Holberg entlehnten Züge sind äußere Intrigen, lächerliche Cha-
Gottsched: Originalkomödien: Frau Gottsched. IT.'J
rakter- und Gebarenseigenheiten und vor allem Lazzi, die an sich
traditionell -typisch auch anderen Quellen, wie etwa dem „theätre
italien", Stranitzkys „Ollapotrida" u. dgl., entstammen könnten. Nur
die Tatsache, daß diese Possenelemente trotz aller theoretischen Ab-
wehr in der Gottschedschen Komödie Eingang fanden, darf mit auf
Holbergs Vorbild zurückgeführt werden, das um so eher anerkannt
wurde, als der Däne sich in der äußeren Form doch durchaus als
gesinnungsverwandter Rationalist bekannte. Die rationalistische For-
derung der Lehrhaftigkeit verhinderte den Durchbruch einer freien,
in sich selbst genügsamen lustigen Posse.
Diese Lehrhaftigkeit wird derart verflacht, daß längst nicht mehr
Charaktereigenschaften in ihrem sittlichen Wert oder Unwert vorge-
führt werden, sondern Umgangs-, Betragenseigenschaften. Nicht Sitt-
lichkeit, sondern Sitten bilden in seichter Aufmachung die Probleme
der Originallustspiele. Dies zeigt sich an den Originalen der Frau
Gottsched. Schon die Benennung „Original" ist zu weitgehend. Im
Grunde sind die Lustspiele der Gottschedin nichts weiter als freie Be-
arbeitungen eines oder mehrerer fremder Vorbilder auf Grund äußer-
licher deutscher Verhältnisse. Ihr erstes „Original": „Die ungleiche
Heirat", im IV. Bande der „Deutschen Schaubühne" abgedruckt, ist im
Stofflichen wesentlich Moliere verpflichtet und illustriert die wichtige
Lehre, daß man nicht über oder unter seinem Stande heiraten solle.
Moliere hatte den uralten Possenstoff" der Hstenreichen Ehebrecherin
vertieft zur Komödie des betrogenen Ehemanns. Heute mutet uns das
Geschick George Dandins tragisch an. Frau Gottsched greift dieses
Thema auf, doch in ihrer Bearbeitung verliert es wohl den Possen-
charakter, gewinnt aber nicht die tragische Vertiefung; ihre Wirkung
ist die Langeweile, Gottsched behauptet in der Vorrede, unter Ver-
leugnung des Moliereschen Vorbildes, seine Frau habe sich „mehr
die edle Art der Lustspiele des Hm, Destouches, als die niedrigen
molierischen Comödien zum Muster genommen", und sicherlich
darf die Moralisierung eher auf Kosten des Vertreters der comedie
serieuse als auf die Molieres gerechnet werden. Daß der Verfasserin
der „George Dandin" wohl bekannt war, zeigt schon die Übernahme
des Herrn v. Sotenville in ihr nächstes Stück „Die Hausfranzösin
oder die Mamsell".
Darin verflacht die Gottschedin die lustige Posse von Holbergs
„Jean de France", Wiederum verschweigt Gottsched in der Vor-
rede das ihm wohlbekannte, in seiner „Schaubühne" sogar schon
abgedruckte dänische Muster, obwohl sogar einzelne Witze daraus
übernommen werden. Einiges ist ja auch anderen Vorlagen ent-
nommen, wie etwa das Däfftle-Motiv aus Christian Reuter. Auch
diesmal ist das Stück nichts weiter als die platte Illustrierung eines
Lehrsatzes: „Man wird vielleicht daraus das große Übel einiger-
maßen einsehen lernen, das die seit fünfzig bis sechzig Jahren in
1-23 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
Deutschland eingerissene französische Kinderzucht gestiftet hat". Man
kann schon aus dieser Absicht auf die grenzenlose Langeweile des
Stückes schließen. Lessing hatte im 26. Stücke seiner Hamburgischen
Dramaturgie über seine Aufführung zu berichten und schreibt: „Die
Hausfranzösin ist ganz und gar nichts. Noch weniger, als nichts: denn
sie ist nicht allein niedrig, und platt, und kalt, sondern noch oben-
drein schmutzig, ekel, und im höchsten Grade beleidigend. Es ist mir
unbegreiflich, wie eine Dame solches Zeug hat schreiben können. Ich
will hoffen, daß man mir den Beweis von diesem allen schenken wird".
Voran stellte Lessing den Satz: „Das Testament, von eben-
derselben Verfasserin, ist noch so etwas". Dies ist das dritte, im
6. Band der „Schaubühne" erschienene Originallustspiel der Frau
Gottsched. Lessings relativ günstigeres Urteil ist wohl die An-
erkennung, daß hier so etwas wie Charakterkomödie versucht wird.
Die Possenelemente, von denen vor allem in der „Hausfranzösin"
nach derbster Harlekinmanier starker Gebrauch gemacht wird, sind
in den Hintergrund gedrängt, die typischen Dienermasken ver-
schwinden, schon sind in der Schilderung der Erbtante Ansätze
zu individuellem, nicht nur moralischem Charakter vorhanden. Den-
noch aber bleibt die Gestaltung an der Oberfläche haften, ein-
gespannt in die Regelmäßigkeit der fünf Akte mit Orts- und Zeit-
einheit und ausgedrückt in einer platten, durchaus unindividuellen,
ins Breite gezogenen, konventionellen Sprache. Mag auch der
Heiratsschluß unerwartet kommen, über dem Ganzen schwebt doch
die gewohnte Langeweile. Was dem Stück geschichtliche Bedeutung
gibt, ist die Neigung zum Rührenden, wie es dann bei Geliert
stärkste Ausbildung finden sollte. Ein frischer Einakter als literarische
Satire pro domo der „Schaubühne" beschließt die Tätigkeit von
Gottscheds geschickter Freundin („Herr WitzHng").
Unstreitig hatte sie mehr Begabung für die Komödie als ihr ge-
strenger Gemahl. Der Anfang in der „Pietisterey" verhieß Besseres,
als sich später entfaltete. Feinheiten der Motive und der Sprache ihrer
Vorbilder vergröbert sie, Charaktere verflacht sie, Ideen verrationali-
siert sie in platte Nützlichkeitslehren. Sie hat Sinn für das Derb-
Possenhafte und darf ihrer Neigung nicht nachgeben. Gerade da-
durch aber wirkt bei ihr viel übernommenes Possengut um so wider-
licher, daß es mit dem Mäntelchen der Moral umhängt wird. Ihre
Komödien sind typisch für die Durchschnittsproduktion ihrer Zeit;
für uns Heutige sind sie sämtlich ungenießbar bis auf die Dialekt-
szene in der „Pietisterey".
bb) Quistorp.
In der „Deutschen Schaubühne" sind außerdem noch vier weitere
Originallustspiele und ein Nachspiel enthalten. Joh. Theodor Quistorp
ist der Verfasser von zwei Komödien: „Der Bock im Processe"
Gottsched: Originalkomödien: Quistorp. Hinrich Borkenstein: „Der Bookesbeutel". I3Q
und „Der Hypochondrist", und von dem Nachspiel „Die Austern".
Quistorp verfügt noch nicht einmal über das bescheidene Maß von
Theaterinstinkt, das die Gottschedin unleugbar besitzt. „Der Bock
im Processe", angeregt durch Racine's „Plaideurs", ist zwar an sich
eine komische Idee, doch so langatmig ausgesponnen, in seiner auf
komische Wirkung berechneten, seitenlangen knifflig-juristischen Ter-
minologie so durchaus untheatralisch, daß wir füglich von einer Be-
sprechung absehen können. Quistorp ist ein Sudler, wie ihn Erich
Schmidt bezeichnet, und ein Pedant dazu, dem es auch nichts hilft,
wenn er gelegentlich seine Zuflucht zu uralten Pickelheringsmotiven
nimmt.
Das Nachspiel hat allenfalls noch historisches Interesse, da es
ein spätes Glied der noch aus dem i6. Jahrhundert stammenden und
im 17. Jahrhundert sehr beliebten Komödien vom Studentenleben ist.
Für die Beliebtheit dieses Genres zeugt, daß noch Lessing komische
Motive J. G. Schochs „Comoedia vom Studentenleben" (Leipzig 1657)
entnommen hat. Sie waren, wie auch Quistorps „Austern" beweisen,
von jeher ein Tummelplatz des Pickelherings, der gewöhnlich in der
Rolle des gefräßigen, dummschlauen, verprügelten Studentendieners
auftritt. Bemerkenswert ist bei Quistorp, als unbedingtem Anhänger
Gottscheds, der breite Raum, den die Hanswurstlazzi in seinen Stücken
einnehmen. Sonst aber hält er sich durchaus an Gottscheds Regeln
flacher rationalistischer Komödien. Dazu ist in der „Schaubühne"
auch das Lustspiel „Der Unempfindliche" von Uhlich zuzählen, der, als
Übersetzer, sich wohl mehr Gewandtheit in sprachlichem Ausdruck
und, als Mitglied der Neuberschen Schauspielergesellschaft, mehr Sinn
für Theaterpraxis hätte aneignen können.
cc) Hinrich Borkenstein: „Der Bookesbeutel".
Gottsched rühmt in der Vorrede von Quistorp besonders, wohl
weil er sonst nichts Rühmenswertes aufzutreiben weiß, daß er Nieder-
sachse sei. In Niedersachsen, vor allem in Hamburg, lebte eine tüchtige
dramatische Tradition. Ich erinnere an Rist, an Rollenhagen. Der
Grundcharakter niedersächsischer Dramatik war von jeher der Rea-
lismus. Deshalb war auch die realistische Harlekinsposse aus Ham-
burg viel weniger zu vertreiben als aus dem französierten Leipzig.
Noch 1740 wurde in zahlreichen Vorstellungen der Müllerschen Truppe
in Hamburg dem niedrigsten Harlekinsgeschmack des Publikums ge-
fröhnt. Und wenn auch Schönemann mit seiner Truppe etwas höhere
Auffassungen von Theaterkultur betätigte, dem Pubhkum war doch
nur dadurch beizukommen, daß an Stelle der traditionellen Posse ein
ebenso wirkungskräftiges Genre, wenn auch von höherer künstle-
rischer Eigenart, geboten wurde. Dies geschah 1741 durch Hinrich
Borkenstein in seinem „Bookesbeutel", der die überaus glückliche
Geburt der Hamburger Lokalposse bedeutet.
I AO Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
„Der Bookesbeutel" ist, wie sein Name andeutet, eines der damals
häufigen Stücke, die einen Schlendrian, althergebrachten Brauch in
seiner blinden Unbelehrbarkeit persiflieren wollen, indem sie sein
verstocktes Hinterwäldlertum in Gegensatz stellen zu den Sitten und
Gebräuchen einer neuen, verfeinerten Zeit und aus diesem Kontrast
die Komik entstehen lassen. „Der Bookesbeutel", der zahlreiche
Nachahmungen erlebte, ist das beste Stück seiner Gattung. Hierin
sehen wir den ersten bedeutsamen Einfluß, den Holbergs Komödien
auf die Entwicklung des deutschen Lustspiels ausübten. Wieder er-
leben wir dasselbe Verhältnis zu Gottsched, wie wir es bei Holberg
gewahrten. In der äußeren Regelhaftigkeit, der Prosadiktion, der
lehrhaften Absicht, der theoretischen Abkehr vom Harlekin stimmt
Borkenstein durchaus mit dem rationalistischen Gesetzgeber überein.
Aber sein Sinn für drastische Komik, für realistische Schilderung
des Bürgerstandes ist so stark ausgeprägt, daß, wo Gottsched und
seinesgleichen nur blutlose Schemen langweilige Witze und Zwei-
deutigkeiten sprechen lassen, im Bookesbeutel urwüchsige Natur in
grober, aber überzeugender Wahrhaftigkeit uns gegenübersteht. Auch
Borkenstein bleibt ein Kind seiner Zeit. So wenig wie Holberg bringt
er es zu vertiefter psychologischer Charakteristik. Ja, seine Personen
sind weit einseitigere, durch ihre Namen bezeichnete ,, moralische"
Charaktere als die des Dänen. Dieser ist ein Dichter, Borkenstein
ein scharfer Beobachter mit angeborenem Sinn für komische Sitten
und Situationen. Sein freier, etwas behäbiger Humor nimmt seiner
Satire den Stachel. Wohl ist seine Ausdrucksweise oft stark gepfeff"ert,
doch einmal entspricht dies dem naturalistischen Darstellungsstil des
Ganzen, zum andern ist die damalige Zeit vom Pickelhering her
ganz anderes gewöhnt als wir heute. Wenn Grobian im Bookesbeutel
die kultivierte Leipzigerin zu deren Entsetzen als „das Mensch" an-
redet, so tut er 1741 nichts anderes, als 1732 noch der König von
Preußen in einem Brief über die Braut des Kronprinzen lobenswert
schreibt: „Sie ist ein gottesfürchtiges Mensch". Für uns Moderne
wirkt natürlich die Technik allzu naiv, als daß wir an eine Wieder-
belebung der Posse denken könnten. Aber für den Literarhistoriker
bietet sie in dem seichten Gewässer Gottschedscher Lustspielkunst
einen frisch sprudelnden, lebendigen Quell. Jedenfalls haben die bis
in die Gegenwart beliebten Hamburger Lokalpossen in Borkensteins
„Bookesbeutel" den würdigsten Urahn. Er arbeitet mit im Volks-
stück stets beliebten Kontrastmitteln, indem er der Kultur ihr Gegen-
stück vorhält, allerdings noch nicht Natur als wertvolle Ursprüng-
lichkeit — die Zeit Rousseaus ist noch nicht gekommen — , sondern
als Unbildung, Natur nicht in positiver, sondern negativer Wertung.
Deshalb ist auch der Naiventypus, den er in Susanna zeichnet,
gegenüber der Kulturvertreterin Carolina durchaus unsjTiipathisch
gehalten.
Gottsched: Originalkomödien : Johann Christian Krüger. lAI
dd) Johann Christian Krüger.
Als Hamburger Stück wirkt auch „Der Bauer mit der Erbschaft",
obwohl es nur eine Übersetzung aus dem Französischen und der Über-
setzer zudem nicht geborener Hamburger, sondern Berliner ist: Johann
Christian Krüger (1722 — 1750). Das Original ist »L'heritier de village«
von Marivaux. Im Gegensatz zu Destouches, der unter dem Einfluß
der englischen Moralisten in Frankreich die comedie serieuse einführte,
ist Marivaux stets der comedie gaie treu geblieben. Ihr Witz, ihre frohe
Heiterkeit bewährt sich auch in diesem Einakter, über den Lessing im
28. Stück der Hamburgischen Dramaturgie Worte lobendster Kritik
findet: „Die drolligste Laune, der schnurrigste Witz, die schalkischste
Satyre, lassen uns vor Lachen kaum zu uns selbst kommen; und die
naive Bauernsprache gibt Allem eine ganz eigene Würze". Diese naive
Bauernsprache ist das Hamburger Platt. Wieder bewährt sich der Rea-
lismus als fördernder Kunststil für die deutsche Komödie. Für die Ent-
wicklung des deutschen Lustspiels ist es sehr zu bedauern, daß die
comedie gaie eines Marivaux auf der deutschen Bühne von der comedie
serieuse des Destouches und schließlich von der comedie larmoyante
des Nivelle de la Chaussee verdrängt wurde.
Diese Entwicklung geht wesentlich auf englischen Einfluß zurück.
Die englischen Moralisten unter ihren Führern Addison und Steele
hatten in ihren Zeitschriften sich die Beobachtung des Moralischen
im Einzelmenschen und in der Gesellschaft als Ziel gesteckt. In der
dem I. Bande des Spectator vorgestellten Dedikation (ich zitiere aus
einer späteren Auflage von 1753) schreiben sie: Das Werk „endeavours
to cultivate and polish human life, by promoting virtue and knowledge,
and by recommending whatsoever may be either useful or ornamental
to Society". Privates und öfi'entliches Leben, vor allem das Familien-
leben des mittleren Bürgerstandes bildet den Gegenstand der Beobach-
tung, Kritik und Belehrung. Dazu wird die Hilfe der Komödie mit
herangezogen oder wenigstens das lehrhafte Nützlichkeitsziel der
Komödie auf die in den moralischen Wochenschriften behandelten
Eigenschaften und Verhältnisse gerichtet. Dieser Anregung folgend
hatte Destouches die ernsthafte Komödie in Frankreich begründet.
Da Gottsched ihn vor allen andern seinen Anhängern als Vor-
bild anpries und zudem die Verbreitung moralischer Wochenschriften
aufs tätigste förderte, so gab er selbst die Veranlassung, daß die
deutsche Komödie von ihrem durch ihn festgesetzten Ziel der
Nachahmung lasterhafter Handlungen abwich und auch die Nach-
ahmung tugendhafter Handlungen mit in ihren Wirkungskreis ein-
bezog. Dies hatte bereits in freundlicher Diskussion mit Gottsched
der Annaberger Rektor Adam Daniel Richter gefordert, indem er
dessen Komödiendefinition seine eigene gegenüberstellte als „eine
Nachahmung einer moralischen Handlung, die durch ihr natürliches
IA2 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
Wesen die Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen soll".
Holberg hatte, wie wir oben bemerkt haben, in umgekehrter Reihen-
folge auf das Lächerliche den Hauptton gelegt und ihm dann erst das
Moralische beigesellt. Der Niederschlag beider Entwicklungsreihen
in dem deutschen Lustspiele bedeutet dementsprechend eine Fort-
entwicklung von Gottsched weg. Die Vertreter der damit erreichten
neuen Lustspielstufe fühlen sich daher mehr und mehr in Gegensatz
zu Gottsched, ihrem Ausgangspunkte, gedrängt.
Ursprünglich sind sie seine Anhänger. Da er sich aber, mit zu-
nehmendem Alter und je mehr sich seit dem Beginn des fünften
Jahrzehnts die Angriffe gegen ihn häuften, immer mehr auf seine
Regeln versteifte, so mußte er gerade die besten seiner Anhänger
mehr und mehr von sich abdrängen. Der erste sichtbare Ausdruck
dieser Sezession war die Gründung der „Bremer Beiträge". Unter den
Teilnehmern daran sind für die Geschichte des deutschen Lustspiels
die wichtigsten: Johann Elias Schlegel und Christian Fürchtegott
Geliert. Den Übergang zu diesen bildet der Übersetzer jenes wir-
kungsvollen Bauernschwanks „Der Bauer mit der Erbschaft": Johann
Christian Krüger.
Der ursprüngliche Theologe ging 1742 zur Schönemannschen
Schauspieltruppe und erwarb sich dort eine beträchtliche Kenntnis
der Theaterpraxis. Diese verwertete er in seinen eigenen Lustspielen,
die er als Theaterdichter verfaßte. Bezeichnend sind die zahlreichen
Bühnenanweisungen für die Schauspieler in seinen Stücken. Eben-
falls als Theaterdichter hatte er die Aufgabe, Übersetzungen aus-
ländischer Stücke anzufertigen. Es ist für seine Neigung charakteri-
stisch, daß er sich dazu den Hauptvertreter der comediegaie aussuchte:
Marivaux. Da er selbständiges Talent mit ausgebreiteter Kenntnis
und Erfahrung verband, so konnte er sich auf die Dauer dem Gott-
schedschen Regelzwange nicht fügen. Er löste sich allmählich von
ihm und suchte das Lager der Bremer Beiträger. Sein Biograph weist
auf seine geschickte Technik logischer Handlungsführung hin, die
ihn nicht nur vorteilhaft von Geliert unterscheidet, sondern ihn selbst
Johann Elias Schlegel überlegen zeigt. Sein erstes Lustspiel „Die
Geistlichen auf dem Lande" (1743) dürfte durch persönliche Erfah-
rungen des Hallenser Theologiebeflissenen befruchtet sein. Ein Vor-
bild satirischer Verspottung des Pietismus lag ihm in der Gottschedin
„Pietisterey" nahe, und weiter stand ihm Pate das unübertreffliche
Meisterstück jeden Muckertums: Molieres „Tartuffe". Im allgemeinen
hält er sich strenge an die Gottschedschen Regeln. Auch ihm ist
die Komödie die Nachahmung einer lasterhaften Handlung. Schon
ist aber die heilige Fünfzahl der Akte verlassen, und es darf wohl
auf das Vorbild seines Lieblings Marivaux zurückgeführt werden, wenn
er zum Heile der Handlungsführung diese in drei Akten sich abwickeln
läßt. Der Einfluß des Marivaux macht sich auch geltend in der Be-
Gottsched: Original komödien: Johann Christian Krüger. IA3
tonung der Liebesintrige, wodurch der Satire entschieden reichere
Färbung verliehen wird. Sicher ist Krüger eine ursprüngHche Lust
am Komischen eigen, die ihn auch die comedie gaie der serieuse vor-
ziehen Heß. Aber es dürfte doch wesentlich ein Zugeständnis an
die Bühne sein, für die er als Theaterdichter verpflichtet war, wenn
er, die derbe Komik Holbergs nutzend, in der Bedientenrolle des
Peter die alte Harlekinsfigur wieder aufleben läßt.
Krügers nächstes Lustspiel „Die Candidaten" (1747) steht äußer-
lich den Forderungen Gottscheds eher noch näher. Der Harlekins-
bediente ist verschwunden, die regelmäßige Aktzahl eingehalten.
Seiner Übertreibungslust in der Satire des ersten Lustspiels legt der
Verfasser hier Zügel an. Aber wiederum bewährt sich sein Talent
zum Niedrig-Komischen, das schon Lessing ihm zuerkennt. Christin-
chen etwa ist die längst in Harlekinspossen traditionelle Figur, die
heiratet, um den reichen Gemahl um so besser schröpfen zu können.
Der Untertitel der Komödie: „Die Mittel zu einem Amt zu gelangen"
zeigt bereits die Richtung der Intrige; es ist ein Intrigenspiel, das
mit Christian Weises „Bäuerischem Machiavell" zu vergleichen ist.
Dadurch aber trennt er sich innerlich von dem Gottschedschen Vor-
bild. Was er an Charakteristik einfügt, ist nicht mehr die einseitig-
moralische Fixierung, sondern sind verheißungsvolle Versuche zur
individuellen Verlebendigung. Wenn auch die dem Theologen ver-
traute Zeitneigung zum Sentimental-Rührsamen seine Ansätze wieder
durchkreuzt, so liegt doch unter dem Firnis des Tugendhaften in der
Gestalt des Hermann lebendig Geschautes, mag sein Selbsterlebtes.
Die romanhafte Verwicklung mit Verwandtenentdeckung, verbunden
mit reichlicher Rührseligkeit, deutet bereits auf den Engländer
Richardson hin, der später die deutschen Gemüter so beherrschen
sollte. Wie ein hellhöriger Journalist scheint der Theaterdichter die
Stimmung der Zeit zu wittern.
Geliert hat bereits seine Wirksamkeit entfaltet. Hermann und Caro-
line erweisen sich beide als typische Figuren der Rührkomödie, Her-
mann schon durch seinen Grundsatz „Weh dem, der lügt", Caroline
sowohl durch ihr romanhaftes Geschick als durch ihre edle Haltung,
mit der sie trotz ihres unerwartet entdeckten Adels und Reichtums
am treuen Verlobten festhält: „Ihr Herz ist mehr als Adel und Reich-
tum". Wir vermeinen Gellerts Frauenideale zu hören, denen auch
ohne weiteres jenes Wort Carolinens in den Mund gelegt werden
könnte: „Was uns an äußerlichem Glücke abgeht, müssen wir uns
durch das Glück einer zärtlichen und tugendhaften Liebe ersetzen".
Bereits der Bearbeiter des Stückes W. C. S. Mylius erkennt 1783, daß
Krüger diese „edlen und ernsthaften Karaktere" hatte ,,warm und
rührend" machen wollen. Element der Rührkomödie ist ja auch das
stark betonte bürgerliche Selbstbewußtsein. In der unbedeutenden
einaktigen, Johann Adolf Schlegel ausschreibenden, im Problem dem
144 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
„Bauer mit der Erbschaft" ähnlichen gereimten Posse „Herzog Michel",
die durch das ganze Jahrhundert hindurch billige Beliebtheit bewahrte,
fehlen diese Rührelemente natürlich.
„Der blinde Ehemann" endlich, wahrscheinlich von 1749, zeigt
eine weitere Stufe der Entwicklung. Der Realismus der Gottsched-
schen Komödie ist durchbrochen; Phantastik dringt in das Reich des
Rationalismus. Das viele Jahrhunderte alte Gesetz von der sozialen
Fallhöhe der Komödie hat seine Geltung verloren, insofern als ein leib-
haftiger Prinz und gar eine leibhaftige Fee in der Komödie auftreten.
Auch hier dürfte das Motiv zur Neuerung bei Krüger die Rücksicht
auf die Bühnenwirkung sein. Aber gerade darin sehen wir nicht zu-
letzt Krügers geschichtliche Wirkung. Gottsched hatte die Herrschaft
des Theaters gebrochen. Aber obwohl er seine Reform in Zusammen-
arbeit mit Fachleuten des Theaters durchführte, bedingte der strenge
Rationalismus seiner dramatischen Regeln doch auch wieder eine Los-
lösung des Literaturdramas von der Bühne, da seine Komödie im
Gedanklichen versandete. Gottsched schlägt sich mit seinen eigenen
Waffen. Krüger eröffnete der Komödie nun wieder neue Gebiete,
worin eine stärkere Beteiligung des Theaters ermöglicht war. Gewiß
ist Krüger nicht durch theoretische Erwägungen dazugekommen,
sondern einerseits, wie erwähnt, durch praktische Theatererfahrungen,
andererseits durch fremdes Vorbild. Unzweifelhaft hat, außer Marivaux'
„Überraschung der Liebe" und „Sklaveninsel", das durch verschiedene
Übersetzungen in Deutschland gut bekannte „Orakel" von Saint -Foix
ihn beeinflußt. Die gedankenblasse Komödie erhielt dadurch leb-
haftere Farbe, wenn es auch vorerst noch Theaterschminke war.
In derselben Richtung wirkt seine Einführung eines neuen Be-
diententypus in die Komödie. Schon vor Romanus, dem Verfasser des
„Crispin als Vater", hat Krüger die Figur des französischen Crispin in
die deutsche Literatur eingeführt. Er verschmilzt den Crispin, wie er
nach Flögel-Ebeling — darin C. H. Schmids Schreiben über die Leip-
ziger Bühne von 1770 folgend — seine Entstehung Raimond Poisson
verdankt, mit dem lustigen Naturburschen des Marivaux und gibt der
deutschen Komödie eine neue Abart des Bedienten -Vertrauten. Auch
dieser ist natürlich ein Abkömmling Harlekins.
Deutlich erkennen wir aus all diesen Neuerungen, daß Krüger
allmählich von Gottsched abgerückt ist. Und nicht nur in seiner
Komödienpraxis, auch theoretisch tritt er für größere Freiheit in
der Regelmäßigkeit des Lustspiels ein, wobei er auch wieder sich
von seinen Theatererfahrungen und von fremden Vorbildern, be-
sonders Marivaux, leiten läßt. Bedeutsam ist, daß Krüger, wie sein
Vorbild, nicht nur gemäß Gottscheds Lustspieltheorie lasterhafte
Handlungen verspottet, sondern die Tugend einer standhaften Frau
triumphieren läßt und dadurch wiederum, wie schon in den „Candi-
daten", ein wesentliches Element der Rührkomödie einbezieht. Der
Johann Elias Schlegel: Komödientheorie. I45
Praxis der Rührkomödie, wie sie von Geliert geübt wurde, ent-
spricht es ja auch, wenn Krüger im Gegensatz zu Gottsched den
Monolog wieder stärker benutzt, vor allem in den „Candidaten".
3. JOHANN ELIAS SCHLEGEL.
a) Komödientheorie.
Krüger erklärt sich nicht ausdrücklich als Gegner Gottscheds.
Er gehört auch nicht offiziell zu dem Lager der Bremer Beiträger,
die von Haus aus ja ebenfalls weniger ausgesprochene Gegner Gott-
scheds sind, als Neutrale in dem Kampf literarischer Meinungen. Ihr
Hauptvertreter des Lustspiels ist Johann Elias Schlegel (1719 — 1752).
Auch er hat sich durch Übersetzungen Kenntnisse erworben; gerade
den von Krüger genutzten Saint-Foix übertrug er ins Deutsche. Doch
weniger seine Lustspielpraxis als seine Lustspieltheorie mußte ihn
zum Gegner Gottscheds machen.
Der grundsätzliche Unterschied zwischen der Theorie beider besteht
darin, daß Gottsched das Drama seinen vorgefaßten Regeln anpaßt,
während Schlegel die Regel aus dem Drama herausholt. Johann Elias | cL^
Schlegel sucht ins Innere, ins Wesen des Dramas einzudringen, er
geht der inneren Form nach, wenn jener an der äußeren haften
bleibt. Gottscheds Werkzeug ist der Verstand, Schlegels das Herz.
Mit vollem Bewußtsein stellt er das Herz als Organ des Fühlens in
den Vordergrund zur Aufnahme von Kunsteindrücken. Bei aller An-
erkennung der historischen Tat, die darin liegt, dürfen wir aber auch
nicht vergessen, daß darin die Zeitstimmung zum Ausdruck kommt,
die allmählich von der nüchtern-rationalistischen Weltbetrachtung zur
Epoche der Empfindsamkeit sich gewandelt hatte. Schlegel ist ihr
Vertreter in seiner Kunstanschauung. Grundlage des Erlebens eines
Dramas ist ihm das Mitleben, das Mitldden und Mitfreuen mit dem
Helden, die Sympathie. „Nichts ist geschickter, die Zuschauer in
der Aufmerksamkeit zu erhalten, nichts thut hierinnen eine so unge-
meine Wirkung, als wenn man in die Handlung eine Person von einem
solchen Charakter einflicht, daß der Zuschauer sie lieb gewinnt, daß
er für sie leidet und wünschet . . . Denn nie kann man zuverlässiger
von der Aufmerksamkeit des Zuschauers versichert seyn, als wenn
sein Herz an der Handlung Antheil nimmt". (Gedanken zur Auf-
nahme des dänischen Theaters 1747.) Darin liegt der Grund, aus dem
Schlegel die Harlekinaden und Possen ablehnt. Es genügt ihm nicht, j
daß die Komödie nur Lachen erre^. So sehr es ihre Absicht und
Bestimmung ist, Lachen zu erwecken, „muß sie doch alle Zeit mit
Erregung einiger Leidenschaften vermischt seyn". Schlegel ist der A
erste deutsche Theoretiker, der die heute so triviale Entdeckung ^
machte, daß in Sachen der Kunst das Fühlen vor dem Denken_
Holl, Lustspiel. lo
jAf) Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
komme. Nicht logische Beweisführung, sondern sinnliche Beein-
druckung fordert er vom Kunstwerk.
Deshalb gibt er auch die äußere Übereinstimmung mit der Natur,
das naturalistische Prinzip der Wahrscheinlichkeit, das Grundgesetz^
Gottschedscher Theorie, gern preis, wenn er nur die innere Wahr-
scheinlichkeit, die ihren eigenen Kausalnexus in sich trägt, dafür ein-
tauscht. Bereits 1741 schreibt er eine „Abhandlung, daß die Nach-
ahmung der Sache, der man nachahmet, zuweilen unähnlich werden
müsse", denn, folgert er, „wie kann man diese Unähnlichkeit tadeln;
da sie allein fähig ist, uns die Neugierigkeit zu belohnen, derent-
wegen wir eine Satyre lesen, oder den Schauplatz besuchen, da
wir, wenn entweder die Comödie dem gemeinen Leben, oder das
gemeine Leben der Comödie vollkommen ähnlich seyn sollte, ent-
weder in der Comödie einschlafen, oder im gemeinen Leben uns
beständig aus dem Athem lachen müßten; kurz da wir das Ver-
gnügen, das wir daraus schöpfen, nicht genießen könnten, wenn der
Comödienschreiber von dem Wahren nicht ein wenig abgewichen
wäre". Er rechtfertigt also die Unähnlichkeit der Nachahmung mit
dem von der Komödie bezweckten Vergnügen.
Darin liegt aber wieder ein grundsätzlicher Gegensatz zu Gottsched.
Seine Kunstanschauung ist nicht mehr von moralischer Teleologie be-
stimmt, sondern von ästhetischer; ni(±it_jnelir._ili£--m-OraIisGhe Lehr-
Imftigkeit-ist der Endzweck der Komödie, sondern „das-Zii-erregende
Vergnügen. In den bemerkenswerten „Gedanken zur Aufnahme des
dänischen Theaters" von 1747 betont er mit aller Entschiedenheit das
Vergnügen als den Hauptzweck des Theaters. [,,In der That hat das
Theater nicht nöthig, eine andere Absicht vorzugeben, als die edle
Absicht, den Verstand des Menschen auf eine vernünftige Art zu er-
getzen.l Wenn es lehrt, so thut es solches nicht wie ein Pedant, welcher
es allernal voraus verkündigt, daß er etwas Kluges sagen will; sondern
wie ein Mensch, der durch seinen Umgang unterrichtet, und der sich
hütet, jemals zu erkennen zu geben, daß dieses seme Absicht sey. Es
ist genug, wenn der Poet weis, daß er in seinem Werke Gelegenheit
hat, der Sittenlehre Dienste zu thun. Und der dramatische Poet hat
diese Gelegenheit, besonders durch eine genaue_und feine Abschilde-
rung der^Gfimüther und Leidenschaften. Die Kenntniß des Menschen
macht einen sehr wichtigen Teil der Sittenlehre aus. Diese Kennt-
niß besteht größtenteils in der Kenntniß der Charaktere und Leiden-
schaften. Das Theater ist ein Bild von beyden".
Wir vermögen aus diesen Worten sogar noch weiter zu folgern,
daß Schlegel überhaupt die teleologische Bestimmung des Kunst-
werkes ablehnt, daß er sich zur ästhetischen Immanenz bekennt.
Diesem Grundsatz hat er schon klaren Ausdruck verliehen in der
„Abhandlung von der Nachahmung", die er 1742 und 1743 in den
„Beyträgen zur critischen Historie" und 1745 im „Neuen Bücher-
Johann Elias Schlegel: Komödientheorie. 147
saal der schönen Wissenschaften und freyen Künste" abdruckt. Dort
lesen wir in §§ 17 und 19: „Alles Vergnügen gehört zu den Sachen,
die man um ihrer selbst willen sucht . . . Alles Vergnügen also, das
aus dem Wesen einer Sache fließt, hat die Vermuthung für sich,
daß es der Endzweck derselben Sache sey . . . Man giebt sonst zum
Endzwecke der Dichtkunst zwey Dinge zugleich an, nämlich Ver-
gnügen und Unterrichten . . . Wenn wir aber fragen, welches von
beyden der Hauptzweck sey: so mögen die strengsten Sittenlehrer
sauer sehen, wie sie wollen, ich muß gestehen, daß das Vergnügen
dem Unterrichten vorgehe, und daß ein Dichter, der vergnügt und
nicht unterrichtet, als ein Dichter, höher zu schätzen sey, als der-
jenige, der unterrichtet und nicht vergnüget ... So daß überhaupt
die Regel der Nachahmung nicht näher als so bestimmt werden
kann: Suche so viel Vergnügen zu erwecken, als dein Vorbild und
die Art der Nachahmung, und diejenigen, für die du nachahmest,
zulassen". Die unmittelbare Wirkung des Vergnügens^ ist. das_ Ge-
setz, dem Schlegel die"^ömodie~ünterordnet.
Demgegenüber fallen natürlich alle die wichtigen Regeln Gott-
scheds in ihrer Kleinlichkeit in sich selbst zusammen. Jetzt gibt es,
nach Comeilles Vorgang in „Don Sanche", keine soziale Fallhöhe
mehr zwischen Tragödie und Komödie. Über Krüger hinausgehend
lehnt Schlegel ausdrücklich diese äußerliche Unterscheidung ab.
Nicht das Was macht die Komödie^^ sondern das Wie. Nur zwei
Gesetze gibt es darin für Schlegel : die,. innere_Wahrheit der _dar-
gestellten Charakter^_und_die_folgerichtige Verknüpfung der Hand-
lung injDrsachen...und Wirkungeji. ob "eine Komödie Intrigen- öder
Charakterstück sei, stets muß dieHandlung im Charakter_der-han^
riplndpn Pprt;nnpn hegrÜn^lft seinnTTärmtist aber aUCh die moralisch-
einseitige Charakteristik überwunden. „Je größer der Meister ist,
desto mehr wird man den Charakter der Person, r|jp ey vorctpllt, fast
ang_jpHPTn \Ä7r.rtp prirrnnm — In ihren Leidenschaften, in ihren Ent- f^
Schlüssen, in ihren vernünftigsten Reden, und so gar in ihren Com-
plimenten wird sie ihre schwachen Seiten verrathen" (G. z. A. d. d. Th.).
Schlegel fordert lebendige Charakteristik, Individuation. Es ist klar,
daß ihm die italienischen Maskentypen nicht genügen können. Aber
er erkennt auch, daß die rohe Natur der Engländer mehr innere
Charakterwahrheit verbürge als die konventionelle Eleganz der Fran-
zosen. In der gerechten Würdigung englischer Charakterisierungs-
kunst steht Schlegel seinen Zeitgenossen weit voraus. Gegenüber der
Praxis der deutschen Lustspieldichter bedeutet der Ruf Schlegels nach
indjvidnpllpn rhaj;^ktei:£n_ einen bedeutenden Schritt vorwärts.
Mit der Forderung eingehender Charakteristik der Haupt- und Neben-
personen verbindet er zugleich den nachdrücklichen Hinweis auf kon-
sequente Handlungsführung. „So bald man diese Hauptregel in Acht
nimmt, daß die Handlung beständig fortgeheii_aQlL und daß man die
SS
1^8 Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
Absichten und Mittel mit ihren Folgen, und die Folgen wiederum mit
ihren neuen Folgen zu verbinden hat; so wird eine Handlung mit
leichter Mühe wahrscheinlich werden. Denn eine Begebenheit ist als-
danji^wahrscheinlich, wenn sie ihre zureichende Ursache hat. Durch
jeden Sprung hingegen, den ich begehe, wenn ich etwas ohne Ursache
geschehen lasse, verursache ich eine Unwahrscheinlichkeit" (a. a. O.).
Diese Forderung könnte identisch sein mit Gottscheds Einheitsregel
der Handlung. Doch Schlegd_Jiom_rnt _ ej_jdel ^mel^ die innere
kausale Verknüpfung an als auf die äußere Einheit. Wenn wir lesen,
daß er gern auch mehrere Handlungen zuläßt, wenn sie nur im dra-
matischen Ablauf schließlich zu einem Knoten verknüpft werden, so
/erkennen wir, daß es_Jhm nicht sx^ sehr nuf diff Kin7igk^it der Hand-
/ lung, als auf die Einheitlichkeit des dramatischen Ablaufs ankommt.
I Weiter weist er darauf hin, daß ihm noch lange nicht das Gesetz
^ dramatischen Aufbaus erfüllt sei, wenn diese einheitliche Handlung
sich begnüge mit endlosen Reden um ein und denselben Gegenstand.
Mit scharfem dramatischen Blick erkennt er, daß_ Geschelien das
Wesen alles Dramatischen sei, heute würden wir es Kampf "nennen .
Darin sieht er gerade das Versagen der meisten deutschen Original-
lustspiele, und obwohl ihm alles Possenhafte zuwider ist, führt er
Holberg als Vorbild an, woran seine Landsgenossen richtige Handlungs-
führung erlernen könnten. „Wie die Holbergischen Komödien auf der
einen Seite die überhäuften Absichten und Verwirrungen vermeiden,
so vermeiden sie auf der andern die Unthätigkeit, da immer eine Szene
nach der andern verplaudert, immer von denselben Dingen geredet,
und gleichwohl nie etwas gethan wird; welchen Fehler insonderheit
die meisten neuen deutschen Originalstücke haben. E^e w_ohlein-
gerichtete Handlung soll in jeder -^r^ne von pinlgpr Erheblichkeit etnen
Schritt weiter gehen; entweder einen neuen Umstand .ejrzählen, oder
ein neues Hinderniß» in^en Weg_ legeiU-eine neue That, oder wenig-
stens einen neuen Entschluß etwas zu thun veranlassen oder vorstellen"
(a. a. O.). Dieses dramatische Verständnis Schlegels steht weit über
den nüchternen Regeln des rationalistisch-absolutistischen Gottsched.
Folgerichtig ergibt sich für Schlegel die äußere Form als unab-
hängig von jeder äußeren Regel, bestimmt allein durch die Absicht,
das Dargestellte möglichst eindringlich wirken zu lassen, das Fühlen
des Zuschauers möglichst anzuregen. Deshalb hat er schon 1740 für
die Komödie im Gegensatz zu dem strengen Gottschedgläubigen
Straube das Recht des Verses in der Komödie-yerfprhtrrr Dieselbe
Ansicht spricht er wieder aus in den ausführlichen ,, Gedanken zur
Aufnahme des dänischen Theaters". Aber er fordert nun keineswegs
den Vers als alleingültige Sprachform. Das erste deutsche Lustspiel
in fünffüßigen Jamben stammt 1755 von Cronegk „Der ehrliche Mann,
der sich schämt, es zu sein". Schlegel selbst hat ja nur eines seiner
uns erhaltenen Lustspiele in Versen geschrieben. Er weiß sogar
Johann Elias Schlegel: Komödientheorie. 149
1745 in der Vorrede zur Übersetzung des „Glorieux" von Destouches
den Gegnern der Verskomödie einen gewichtigeren Grund zu ihrer
Rechtfertigung zu liefern, als sie selbst vorgebracht hatten: „Diejenigen
kennen also die Natur der Poesie besser, welche die Comödie in
Versen aus dem Grunde angreifen, daß es allzuschwer, ja gar un-
möglich sey, die dialogische Art zu reden, mit dem Zwange des
Sylbenmaaßes zu verbinden, ohne sie undialogisch zu machen; daß
also die kleinere Anmuth, nämlich die, so das Sylbenmaas dem Werke
ertheilt, der größeren Anmuth, nämlich der, welche die dialogische
Art zu reden, einem Lustspiele giebt, weichen müsse". Es erscheint
allerdings zweifelhaft, ob Schlegel wirklich der Verfasser dieser Vor-
rede sei; gerade gegen den angeführten Satz sprechen seine Theorie
und die Praxis der „Stummen Schönheit".
Immerhin dürfen wir nicht vergessen: ihm ist keine Regel von
außen her an sich wertvoll, sondern Wert findet sie erst, insoweit
sie die Wirkung des Dramas auf den Zuschauer fördert. Immer
wieder hebt er die Rücksicht des Bühnendichters auf den Zuschauer
hervor. Hierin nimmt er einen bedeutsamen Zug der dramatischen
Aesthetik auf, der bereits im i6. Jahrhundert in Castelvetro zur För-
derung der Einheiten einen Vertreter gefunden hatte, aber in Deutsch-
land durch die apodiktische Gesetzgeberei rationalistischer Theorie
in den Hintergrund gedrängt worden war. Die Freiheit und Selb-
ständigkeit seiner Kunstanschauung bekundet sich auch darin, daß
er, der erste Verteidiger Shakespeares, auch immer wieder auf das
Beispiel der Engländer im Gegensatz zu den Franzosen hinweist.
Der Fortschritt über Gottsched hinaus ist offenbar. Und da diese
Neigung zur englischen Literatur nicht auf religiös-epischem Boden
gewachsen ist, sondern in der empirischen Erkenntnis des Wesen-
haften des englischen Dramas, so bedeutet sie auch einen Fortschritt
über Gottscheds unmittelbare Gegner, die Schweizer. Sie rückt
Schlegel in die Nähe Lessings..
Da wäre es wirklich verwunderlich, wenn er sich noch an Gott-
scheds oberflächliche Einheitsregeln der Zeit und des Ortes halten
wollte. Schon in seiner ersten Streitschrift von 1740 hat er sie als
nebensächlich charakterisiert. In den ,, Gedanken zur Aufnahme des
dänischen Theaters" verwahrt er._SLchL_£ntsch^
diese, an sich nicht unbegründeten äußeren Regeln— zum Wesen des
Schauspiels macheT Nachdem er den bissigen Vorschlag gemacht
hat, statt des neutralen Zimmers doch einfach das Theater selbst~als
Schauplatz anzugeben, fährt, er fort; _„es würde weit besser gewesen
seyn, wenn der Verfasser, nach dem Gebrauche der Engländer, die
Scene aus dem Hause des einen m_-^^^ Haus eines andern verlegt
und also den Zuschauer seinem Helden nachgeführt hätte, als daß
er seinem Helden die Mühe macht, den Zuschauern zu gefallen, an
einen Platz zu kommen, wo er_ nichts zu thun hat". Damit trennt
JCQ Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
SrTilpgel scharf äußere Form von innprpr .'srVinnhpit nnH warnt mit
alfer Entschiedenheit davor, diese durch jene bestimmen zu lassen.
Für unsere Zwecke ist es ohne Bedeutung, die ausländischen Theore-
tiker zu nennen, über die Antoniewicz eindringlich belehrt hat, die
Schlegels freie Anschauungen gebildet haben. Das wichtige Moment
für die Entwicklung deutscher Lustspieltheorie ist, daß er als erster
Deutscher sie nachdrücklichst ausspricht.
b) Komödienpraxis.
Unstreitig ist Johann Elias Schlegel in_ seinen ästhetischen - und
dramaturgischen Schriften seirien Zeitgenossen weit voraus und be-
kundet sich damit als unmittelbarer Vorgänger Lessings. Doch ebenso
deutlich muß betont werden,_daß er in der Praxis seiner Theorie nicht
entfernt nahekommt Von ihm gilt: ,,Meliora video, deteriora sequor".
Deshalb konnte Gottsched auch kein Bedenken tragen, im IV. Band
seiner Schaubühne sein Prosalustspiel „Der Geschäfftige Müßiggänger"
von 1741 zu bringen, das, außer in einer gewissen Flüssigkeit der
Di^logführ^ipg^ sich in keiner Weise von den üblfcherLKomödien nach
Gottscheds Rezept unterscheidet. Ihm entspricht auch „Der Geheim-
nisvolle" von 1747. Die X)ialo^ü.hmiig.ist.noch~iebendiger geworden,
stellenweise machen sich Ansätze psychologischer Entwicklung bemerk-
bar — etwa, wie Amalia allmählich" sich~ihrer Liebe bewußt wird — ,
der Handlungsablauf ist im allgemeinen in seiner Verwickeltheit ge-
SChickt durchgeführt und verrät eine sichere Beherrgrhnngr wirksamer
Bühnentechnik. Die Charaktere des Dieners und der Dienerin sind
unter dem Einfluß Holbergs frisch und natürlich angelegt — doch
die Hauptperson wirkt von Anfang an durch~'3reTjbertreibung seiner
unbegründeten Geheimnistuerei eher langweilig als komisch, gerade
in ihm ist, wie üblicTi m derlei sogenannten CEäirakterlustspielen,
keinerlei Entwicklung zu verspüren, ebensowenig wie in seinem Gegen-
bild, dem törichten und schwatzhaften Alleswisser, dessen Urbild der
Molieresche Marquis ist. Wie „Der Geschäfftige Müßiggänger" ist
auch „Der Geheimnißvolle" in Nachahmung französischer Vorbilder
entstan^n. Der Hauptfortschritt liegt m der ^prachbehandlung, in
der Schtegel seinen Vorgängern und Zeitgenossen was Natürlichkeit
des Ausdrucks und Biegsanikeit der Form angehj-_entsrh jeden über-
legen ist. Gegenüber der Komödientheorie Gottscheds ist darin ein
Fortschri"fr~zu sehen, daß es Schlegel mehr um die Darstellung kleiner
Lächerlichkeiten, die allerdings in ihrer Auswirkung bedeutsam genug
werden können, als um Nach^hrrinngpri Ifiste^haftpr Hanrjlnnorpn y^^
-tun ist, wodurch £r.jdie allzii, grobe moralische Lehrhaftigkeit der Gott-
schedianer mit Glück meidet. Trotzdem aber verdienen beide Komö-
dien vollauf das harte UrteilT^as Lessing im 52. Stück der Hamburger
Dramaturgie über sie fällt.
Johann Elias Schlegel: Komödienpraxis. Fortschritte im Technischen. I^I
Auf Destouches und Moliere zurückgehend, angeregt wahrschein-
lich durch Geliert, haben wir aus dem Jahre 1748, wie Schlegels
Biograph Eugen Wolff nachgewiesen hat, dann endlich ein Lustspiel
Schlegels, dag in ripr porm spinpr yprfpir|ignng der VpTSknm^di^ '^n^"-
sprichti_ „Die stumme Schönheit". Es ist ein Einakter und besitzt
gerade deshalb eine Gedrängtheit des T^fipdlnnggahlanfs^ wip Sphlegel
sie weder vorher noch nachher erreicht hat. Dazu sind die Charak-
tere in guteii-KontrastwJrkung lebendig, teilweise individuell gekenn-
zeichnet. Die Gegenüberstellung von Charlotte und Leolfiöre^ entspricht
jener von Susanna und Carolina im „Bookesbeutel". Zwischen kon-
ventioneller SieiHierMjnc^ ist die richtige
Mitte eingehalten. Vor allem aber erstaunen wir, ivie geschickt und
frei Schlegel deiT Dialog in den abwechselnd stumpf und klingend
rei DP en derL_ALgMI3xt ri n erp si cli jiBspiejen^jällAt. Diese~irbeFrascHende
Sicherheit in der Verstechnik ist es wohl noch vor der anschaulichen
Charakteristik und der fesselnden Intrige, dieLessings Lob im 13. Stück
der Hamburger Dramaturgie hervorruft: „Die Sitten darin sind daher jl
auch wirklich dänischer als deutsch. Q^umngeachtet ist es unstreitig 1/
unser bestes komisches Original, das in V^r^pn gpsrVirifihen i.st. Schlegel l
hatte überall eine ebenso fließende wie zierliche Versifikation, und esl
war ein Glück für seine Nachfolger, daß er seine größeren Komödien '
nicht auch in Versen schrieb. Er hätte ihnen leicht das Publikum
verwöhnen können, und so würden sie nicht allein seine Lehre, son-
dern auch sein Beispiel wider sich gehabt haben".
Schlegels letztes Lustspiel „Der Triumph der guten Frauen", das
^XZ4S— gedruckt wurde, ist wieder in Prosa geschrieben. Im allge-
meinen teilt es mit dem „Geheimnißvollen" die Fehler und Vorzüge. /
Die Sprachtechnik ist derart entwickelt, daß sie nur noch selten For-
men des äußerlich erij konventionellen Schemas aufweist ihre Beleb't-
heit wirkt7~wenn auch noch .nicht indiyidueU_ den ein^^ Charak-
teren angepaßt, so doch durchaus natürlich und ungezwungen, die
Spontan eitärtiber wiegt bei weitem die Berechnung. Die Namens-
gebung wendet sich von den bisher üblichen^amensschildern zu
den französischer Tradition entnommenen konventionellen Namen,
wie sie Geliert schon vor Schlegel verwendet. In dramaturgischer
Technik zeigt sich eine Befreiung von der rationalistischen Wahr-
scheinlichkeitsregel Göttscheds~schon dann, daß Schlegel schön wie-
der ohne~BedenEerr^fonologe einführt. Auch darin ist ihm Geliert —
und auch Krüger — vorangegangen.
c) Fortschritte im Technischen.
Diese Monologe sind sowohl innerhalb der Akte als zum wirk-
samen Mittel des Abschlusses verwendet. Schlegel hält durchaus fest
an der Theorie, daß bei jedem Aktende die Bühne frei zu machen
ist, eine Theorie, die bis in modernste Zeit nachwirkt. Aber im Gegen-
ir2 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
satz zu seinen Zeitgenossen genügt es ihm nicht, rein äußerlich die
Personen zum Verlassen der Bühne aufzufordern, wie etwa in der
„Pietisterey im Fischbeinrocke" zu Ende des vierten Aktes Herr
Wackermann sagt: „Ich will aber hier nicht weit weggehen: damit
ich, wenn Scheinfromm kömmt, gleich da bin", oder wie auch noch
Lessing am Ende des ersten Aktes der „Minna von Barnhelm" ganz
äußerlich die Bühne leer macht; wir dürfen auch an die oft zitierten
Aktschlüsse moderner Lustspiele erinnern: „Das Essen ist serviert"
oder „Die Pferde sind gesattelt". Schlegel zeigt das Bestreben, sich
von allzugroßenÄ-ußgrlLchkeit in der Abgangsmotivierung freizuhalten.
Dies beobachten wir schon in deni,,Müßiggänger"~und dem „Ge-
heimnißvollen". Lieber läßt er seine Begründung ganz weg wie im
„Geheimnißvollen", Akt I, als daß er sie an den Haaren herbeizöge.
Gerade der „Triumph der guten Frauen" zeigt uns deutlich Schlegels
entwickelteJTechnik in Hpr Hprbpjführung der Aktschlüsse mit den_^
obligaten Abgängen. Das Ende des ersten Aktes bildet ein Monolog
Julianens, der uns die psychologische Genesis eines Entschlusses aus
Für_ und Wider gibt. Der Entschluß selbst ist dann das Abtreten
Juhanens, um dem geliebten Gatten nachzugehen. Der zweite Akt-
schluß besteht wieder in einer Rede Julianens. Da Kathrine am Schluß
dieser Rede nicht mehr erwähnt wird, darf angenommen werden, daß
der erste Satz: „Bezahlet dem Phiiinte .ineine-Schuld" ihr das Stich-
wort zum Abgange gibt. Dann ist wieder ein Monolog der Abschluß,
wobei das Abtreten, um sich dem Gatten für das angebliche Geschenk
vergnügt zu erweisen, folgerichtig motiviert ist. Der Beginn des
folgenden Aktes zeigt uns die Folge dieses Entschlusses. Ähnlich
sind der dritte und vierte, und der vierte und fünfte Akt verbunden.
Schlegel führt hier in der Praxis aus, v^^as Lessing im 45. Stück der
Hamburger Dramaturgie als Forderung aufstellt, ohne sie allerdings
selbst immer in seinen Stücken zu befolgen: „Esist nicht genug,
daß eine Person sagt, warum sie kömnil;,_jiiail.-m"ß auch aus der Ver-
biiidung: einsehen, daß sie darum kamJBen müssen. Es ist nicht genug,
daß sie sagt, warum sie abgeht, man muß auch in dem folgenden
sehen, daß sie wirklich darum abgegangen ist". Daß Schlegel diese
Forderung bereits durchführt, berechtigt uns um so mehr an seinem
Beispiel die allgemeine Technik des Aktschlusses zu erläutern. Am
En^e des dritten Aktes begründet Philinte ihrenAbgang damit, ihrem
Mann aus einer WechseTscTTUld /ij| jiHir^rr" hip Motivation greift auf
Vorausgegangenes zurück und entbehrt daher des Eindruckes des
ad hoc Erfundenen. Der nächste Akt setzt sofort mit dem Berichte
ein, daß sie ihr Vorhaben ausgeführt hat. Für Kathrinens Abtreten
ist keinerlei Begründung gegeben. Der vierte Aktschluß muß drei
Personen von der Bühne entfernen. Der Abgang Julianens und
Kathrinens ist durch der ersteren ruhe- und hilfsbedürftigen Zustand
motiviert. Nikander geht ab, um unterdessen den angemeldeten Besuch
Johann Elias Schlegel: Fortschritte im Technischen. IC 7
Julianens zu unterhalten, wozu er um so geneigter ist, als dieser Be-
such die ihm schon früher anpy]ciindigi-e Schwester Philintes ist.
Wieder zeigt dann der Beginn des folgenden Aktes die Ausführung
seines Vorhabens. Der Schluß des fünften Aktes und damit der Stück-
schluß vereinigt nach gewohntem Schema die Hauptpersonen zum
Schlußbild und läuft aus in die spruchförmig gefaßte Lehre: „Ihr
Herren Ehemänner, ihr mögt noch so wild oder ausschweifend seyn,
als ihr wollt, eine gute Frau findet schon Mittel, euch wieder zu-
rechte zu bringen".
Daß dieser epigrammatische Schluß üblicher Brauch, zeigen uns
Beispiele, wie der „Bock im Prozesse": „Juristen, böse Christen;
und proceßiren heißt vexiren", oder der „Bookesbeutel": „Gleich und
gleich gesellet sich gerne". Stücke, die mehr auf das Charakterlust-
spiel angelegt sind, in dem Sinne, daß eine vorherrschende tadelns-
werte oder lächerliche Eigenschaft in ihrer Wirkung auf andere
und auf den Träger selbst dargestellt wird, laufen gewöhnlich auf
eine Pointe aus, die das Unverbesserliche des Hauptcharakters aus-
drückt. Schlegels „Geschäfftiger Müssiggänger" hat durch seine eitle
Vielgeschäftigkeit seine eigentlichen Obliegenheiten versäumt und da-
durch sich um Amt, Beruf und Frau gebracht. Er schließt mit den
bezeichnenden Worten: „Ich will meinen Fuchs mit den sauren Trauben
vollends fertig zeichnen". Der „Geheimnißvolle" muß ebenfalls zum
Schlüsse, nachdem er noch durch die Gunst des Schicksals trotz seiner
Geheimnistuerei sein Glück erreicht hat, um Verschwiegenheit bitten
und dadurch seine Unbelehrbarkeit bekunden. Ähnlich, nur poin-
tierter, durch die Darstellung komisch wirkungsvoller ist der Schluß
der ,, Stummen Schönheit", worin für Charlotte, getreu ihrer Rolle, nach
der Schlußfrage des^^oniusLujjyillst du mich?" nur die szenarische
Bemerkung folgt: „Charlotte neiget^ sich^ Um das Lustspiel recht
vergnügt unH~heiter ausklingen zu lassen und ein möglichst heiteres
Schlußtableau herbeizuführen, gehen die meisten Komödien auf Heirats-
sohließung aus. Ihr Schutzpatron scheint der kupplerische Merkur zu
sein. Auch Schlegel huldigt diesem Brauch, wenn er sich theoretisch
auch dagegen wehrt.
Schlegel hält sich also in den Bahnen traditioneller Technik, aher
er vervollkommnet sie, indem er Äußerliches innerlich begründet. Da
der „Triumph der guten Frauen" mit dieser dramaturgischen Technik
eine Forderung Lessings besser als die meisten anderen Werke der
zeitgenössischen Schriftsteller erfüllt, da er zudem mit^ Jebhaftnatür-
lichem Dialog Witz und Gedanken verbindet, da er endlich verschiedene
Hajidlungen zu verwickelter einheitlicher Intrige geschickt verwirrt
und unter Wachhaltung unseres Interesses auflöst, so begreifen wir,
daß der scharfe Kritiker im 52. Stück der Hamburger Dramaturgie
davon urteilt: ,, Dieses Lustspiel ist unstreitig eines der besten deut-
schen Originale". Und Mendelssohn, dem er voll beistimmt, meint:
jc^ Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
„Hier finde ich Leben in den Charakteren, Feuer in den Handlungen,
echten Witz in ihren Gesprächen und den Ton einer feinen Lebensart
in ihrem ganzen Umgange". Wir erkennen gern an, daß Schlegels
Komödie den Werken seiner Zeitgenossen überlegen ist, andererseits
ist das ausgesprochene Lob aber auch nur deshalb möglich, weil diese
zeitgenössischen Werke einen so tiefen ^stlietischen Pegelstand auf-
weisen. Wenn Hinkende um die Wette laufen, so bleibt^derrwelcHer"
von ihnen zuerst an das Ziel kommt, doch noch ein Hinkender. Von
dem Hauptcharakter Agenor, den selbst Mendelssohn tadelt, sind wir
unsicher, ob er ein prößerer Tyrann ist adex^-^in^räßerer Dummkopf,
weil er auf Einreden des_Verführers seiner Frau eben diese treue Frau
in der schmählichsten Weise unbegründet tyrannisiert. Doch gewinnt
seiiie Tyrannei noch ein schärferes Gesicht durch seine eigene Un-
treue. Der junge Goethe wußte dies alles unter Benutzung des
Schlegelschen Tanzmotivs weit liebenswürdiger im Schäferspiel „Die
Laune des Verliebten" zu gestalten. Die wuchtigen Akzente ertöten
den Reiz. Dem schwerblütigen Agenor ist, wie Lamon dem Eridon,
der leichtsinnige Nikander gegenübergestellt, der seine ihn liebende
Frau kurz nach der Hochzeit _gmndlQS_iieiiass£rLhat, zehn Jahre lang
allen möglichen Liebesabenteuern nac wie der Fall
Juliähens beweist, nicht vor Schurkereien zurückschreckt, um sein Ziel
zu erreichen, kurz ein Mensch, dem zur Befriedigung seiner sinnlichen
Lü^tCL auch da.s gemeinste Mittel rechList. Da dies alles seiner be-
trogenen Frau bekannt ist, ihr also nicht das Prädikat eines ahnungs-
losen Engels zukommen kann, und sie ihm dennoch alles im voraus
verzeiht, so zweifeln jyjr wphl mit Rprht P" ihrpm rnpnsrhlirhen Fühlen
und halten sie weniger für eine liebende Fra.u als für eine gefühllose
Puppe des Dichters. Das Motiv der Verkleidung einer Frau, um in
Mannskleidern den Geliebten zu erobern, ist seit Moliere in der franzö-
sischen Komödie heimisch und vQJl-dg:_ans in die deutsdl&-g£drungen.
Doch findet es sich schon in den lateinischen Komödien des Mittel-
alters und dürfte auf Menander zurückzuführen sein. Im Gegensatze
zu Mendelssohn und Lessing zweifeln wir weniger an der Bekehrung
Agenors, dem immerhin die mildernden Umstände des Verführten. zur
Seite stehen, als an der Nikariders. Hier stimmen wir mit den Be-
fürchtungen Kathrinens zum Stückschlusse überein: „Die geschwin-
desten Bekehrungen sind sonst nicht allemal die aufrichtigsten" und
„Das Schlimmste ist, daß man bey dergleichen Sachen sich auf das
bloße Versprechen verlassen muß".
d) Entwicklung des Gefühlsgehalts.
Die gegensätzliche Stellung Lessings und Mendelssohns in ihrem
Urteil zu uns Heutigen ist nur aus ihrer Zeit zu verstehen. Auch sie
sind in der Zeitstimmung der Empfindsamkeit befangen, unter derem
Zwange Schlegel in Philinte — Hilaria wie in Juliane ein Tugendideal
Johann Elias Schlegel: Entwicklung des Gefühlsgehalts. I55
darstellt. Das Prinzip: ^i'^^Tiig^nd si^gt, n^ll "iliVil'^il 'iV'ii'^n Es
ist kein Zufall, daß die romanhaften Beziehungen zwischen Philinte —
Hilaria und Nikander denen der Hauptpersonen von Nivelle de la
ChausseeSj^pausse Antipathie" und „Melanide" entsprechen. Auch
die Forderung Schlegels, der Dichter müsse die Sympathie des Zu-
schauers für die Helden seiner Dramen erregen, rückt die beabsich-
tigte Gefühlswirkung nahe an das Endziel der Rührkomödie. Die zu
erregenden Leidenschaften sind nach Schlegels Sprachgebrauch mehr
als weiche Reaktionsgefühle der Lust oder Unlust zu verstehen als
im heutigen Sinne sinnlich mangelhafter, triebhafter blinder Willens-
ausschließung. Der Zusammenhang von Schlegels geforderter Her-»
zensanteilnahme und der erstrebten Rührung der comedie larmoyante
liegt damit nahe, wie in der Theorie, so auch in der Praxis des vor-
liegenden Lustspiels.
Die Personen selbst scheinen aus Richardsons Romanen zu stammen.
Nikander wäre der Lovelace aus der „Clarissa", Clarissa selbst Juliane,
wenn nicht der Roman erst 1748 erschienen wäre. Aber „Pamela"
erschien 1740. Auch hier ist das Motiv die standhafte Tugend gegen-
über begehrlich er Verführungskunst: Juliane-Nikander, und das Neben-
motiv, die-Standhaftigkeit des Mädchens niederen Standes gegenüber
dejo^sinnlichen Ajiträgen des_Hau^herrn, in Schlegels Lustspiel ent-
sprechen ebenfalls den Verhältnissen der „Pamela". Und schließlich
sind Philinte — Hilaria und Juliane, wenn sie auch nicht mehr moralisch-,
einseitige Charaktere darstellen, doch ni<3ht~-mdividuell gestaltete^,
als vielmehr. im^inne Richardsons vollkommene Charaktere. Als un-*
mittelbares Vorbild des Nikander glauben wir den Verführer Stuckeley
in Moores bürgerlicher Tragödie „The Gamester" zu erkennen. Neben
diesen modernen Motiven benutzt Schlegel aber auch unbekümmert
schon längst durch die Tradition geheiligte. Dajß.eine als Mann ver-
kleidete Frau einen Liebhaber eifersüchtig macht uad„.gar von ihm
zu ernstem Waffengang herausgefordert wirdj_ist StammguLder alteru
spanischen Vervvechslungskomö-dien.jind^-elaii^^ über französische
Rparbpitnng in Gilhprts „Les intrignes amoureuses" bereits in die
Sammlung der Schaubühne englischer und französischer Komödian-
ten von 1670. Aber auch in der Aufwärmung solcher traditioneller Ver-
kleidungsmotive entfernt sich Schlegel nicht etwa von der modernen
Rührkomödie, die mit Vorliebe diese Züge für ihre romanhaften Ver-
wicklungen gebraucht.
Schlegel berichtet uns selbst, daß er die Anregungen zu seinem
Lustspiele von Steeles „Zärtlichem Ehemann" empfangen habe. Der
Gehalt ist auch durchaus der englischen Moralistenliteratur ent-
sprechend. Wir wissen, wie die Addison, Steele und, als Komödien-
schreiber ihnen weit überlegen, Cibber die Bühne zur Kanzel machten,
von der herab Moralpredigten das Bürgertum auf die verklärte Tugend
hinweisen sollten. Richardson verfolgt dieselben Tendenzen in seinen
j r5 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
Romanen und erreicht gerade deshalb so einen ungeheuren Erfolg in
Deutschland. Dem englischen Vorbild ist es in erster Linie zu danken,
wenn in Deutschland ein neues Lebensgefühl emporwächst, das seinen
wesentlichen Inhalt in einem unerschütterHchen, sittlichen Optimis-
mus findet. Daß Gottsched sich gegen das zunehmende Interesse
an englischem Denken und Dichten immer mehr verschloß, gab ihm
den Todesstoß. Gerade daß seine Schweizer Gegner Milton auf ihre
Fahne geschrieben hatten, gewann ihnen die meisten Anhänger.
Aber wir dürfen daneben auch nicht die originalen deutschen Kräfte
vergessen, die auf ihrer Seite standen.
4. RÜHRKOMÖDIE,
a) Gefühlsgrundlage.
Der Kampf der Schweizer gegen Gottsched ist bereits, wieder unter
Anlehnung an die ästhetischen Theorien der Engländer, die Auf-
lehnung der Phantasie gegen die lastende Herrschaft des Verstands,
wenn die Schweizer uns persönlich auch nicht weniger hölzern an-
muten als Gottsched. Die Triebkräfte, die aus der Tiefe nach oben
streben und an den Grundpfeilern des Rationalismus rütteln, sind im
Grunde rehgiöser Art, sie sind die Regung des pietistischen Unter-
stroms deutschen Geisteslebens, der nie ganz versiegt war und stets
den Hort des Gefühls- und Gemütslebens bildete. Je mehr die Ge-
fühlsseite neben dem Verstand im menschlichen und gesellschaft-
lichen Leben nach Anerkennung ringt und sie erringt, um so mehr
findet sie natürlich auch Eingang in die Anschauungen über Kunst
und Erzeugungen der Kunst.
Aber noch ist das Gefühlsleben nicht zum selbständigen Durch-
bruch gekommen. Dazu bedurfte es in Deutschland erst des religiösen
Erlebnisses von Klopstock. Es bleibt bei mehr oder minder starken
Gefühlsregungen, die die in der starren Verstandesherrschaft erkältete
Seele anwärmten und verweichlichten und dadurch befähigten, den
in Frankreich vorausgegangenen Übergang vom großartigen Schwung
des Barock zur gezierten Sentimentafität des Rokoko nachzuleben.
In Deutschland vollzieht sich, vorzüglich unter englischem Einfluß,
ein Wandel des Lebensgefühls, der wie in England und Frankreich
seinen Ausdruck in der Kunst und damit auch im Drama findet.
Mit Recht wurde von Walzel bei der Entwicklung des bürgerlichen
Dramas darauf hingewiesen, daß Rührung dem Rokoko entspricht.
„Dem erhaben schwungvollen Lebensgefühl der Barockzeit war die
beinahe katzenjämmerliche Stimmung des Rokoko gefolgt. Nun war
Rührung zum erwünschten Endziel der Bühnenkunst geworden". Diese
Zeitstimmung, getragen von einem sich bewußt gewordenen, erstarkten
Bürgertum, bewirkt einerseits die Entwicklung der heroischen Tragödie
zur bürgerlichen, andrerseits die Entwicklung der Komödie zur rühren-
Rührkomödie: Gefühlsgrundlage. Vorgänger. I^JT
den. Die beiden einander genäherten Dichtungsarten stehen auf dem
gemeinsamen Boden des empfindsamen Lebensgefühls des Rokoko:
es ist das Genre larmoyant, das beiden zugrunde Hegt. Beide sind
Familiengemälde, stellen dasselbe Bürgermilieu dar, befassen sich mit
Schwächen, nicht mit Verbrechen oder Lastern, legen den Leidenschaften
Zügel an und haben ihre höchste Kunstabsicht erfüllt, wenn die
Tränen der gerührten Zuschauer reichlich fließen. Es ist nur natür-
lich, daß beide Dramenarten leicht und häufig ineinander übergehen,
so daß es bei einzelnen Stücken schwer ist zu entscheiden, ob sie
bürgerliche Tragödie oder weinerliche Komödie benannt werden sollen.
Dies wurde frühzeitig erkannt. Schon der erste Gegner der neuen
Komödienart, Chassiron, weist in seinen von Lessing verdeutschten
,, Reflexions sur le Comique-larmoyant" von 1749 darauf hin, daß
dadurch die Grenzen zwischen Tragik und Komik aufgehoben würden.
Die geschichtliche Entwicklung läßt daraus das bürgerliche Schau-
spiel entstehen, das im 19. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte.
b) Vorgänger.
Die weinerliche Komödie jedoch war von vornherein ein Zwitter-
ding, dem jede Lebenskraft außerhalb der tränenseligen Rokoko-
stimmung fehlte, die daher auch nur vorübergehend, eben in dieser
sentimentalen Epoche Bedeutung gewann. Wieder hatte sie ihr Vor-
bild in Frankreich. Daß dort die Wendung zum Sympathisch-Rühren-
den durch die enghsche Moralgeste mit herbeigeführt wurde, haben
wir schon oben bei Destouches beobachtet. Zum Durchbruch kam
sie aber erst bei Nivelle de la Chaussee, bereits mit seinem ersten
Stück „La fausse Antipathie" von 1733, dem als wichtigste Vertreter
des neuen Genres 1735 „Le Prejuge ä la mode", 1737 „L'Ecole des amis",
1741 „Melanide", 1747 „La Gouvernante" folgten. Wie sehr diese
Tendenzen mit der englischen Literaturrichtung übereinstimmten, er-
hellt daraus, daß Nivelle de la Chaussee 1743 bereits Richardsons
„Pamela" dramatisierte. Louis Riccoboni hatte 1738 in seinen ,, Re-
flexions historiques et critiques sur les diff"erens Theätres de l'Europe"
dazu theoretisch den Weg geebnet, indem er, unter Heranziehung
von Nivelle de la Chaussees „Ecole des amis" als Beispiel, die Be-
rechtigung einer zwischen tragischer Erschütterung und komischer
Belustigung die Mitte haltenden Gefühlserregung erwies. Mit Nivelle
de la Chaussee ist es Voltaire, die zusammen die praktischen Bei-
spiele der neuen aufs Entzückende, Rührende gehenden dramatischen
Kunst liefern, wobei der Marivaux und Destouches als kräftigsten
Vorbereitern nicht vergessen werden darf. Doch während Nivelle
konsequent zu seiner ,, Melanide" fortschreitet, worin er zugunsten
der Alleinherrschaft des Rührenden alle Komik ausmerzt, erkennt
Voltaire die ästhetisch weit wertvollere Art der Mischgattung an und
lehnt die nur Rührung erstrebende Komödie durchaus ab: Si eile
jcg Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
manquait de comique, si eile n'etait que larmoyante, c'est alors
qu'elle serait un genre tres-vicieux et tres-desagreable.
In der deutschen Theorie war der Boden vorbereitet durch die
vorher erwähnte Forderung der tugendhaften Komödie, wie sie von
A. D. Richter gegenüber Gottscheds lasterhafter aufgestellt worden
war. Johann Elias Schlegels den Schweizern sich zuwendende, freie
Kunstanschauungen enthalten dann bereits alle wesentlichen Grund-
lagen der Rührkomödie: Abschaffung des Ständeunterschieds zwischen
Tragödie und Komödie, Betonung der sympathetischen Teilnahme
des Zuschauers an den dargestellten Vorgängen, Erregung der Leiden-
schaften in Verbindung mit der Wirkung des Komischen, Vermeidung
der komischen Charaktertypen. Er selbst aber hat sich in dem neuen
Genre noch kaum versucht, wenn wir nicht den „Triumph der guten
Frauen" hierher rechnen. Dagegen hat er schon frühzeitig sein Auf-
tauchen beobachtet. Das erste rührende Lustspiel, das in Deutsch-
land aufgenommen wurde, ist Voltaires „L'Enfant prodigue", dessen
Aufführung in der Übertragung des versgewandten Schauspielers Koch
von Schlegel bereits in seiner Streitschrift gegen Straube 1740 ge-
rühmt wurde.
c) Charakter.
Durch Nacht zum Licht, die Tugend siegt: dies sind Sinnsprüche,
wie sie für die comedie larmoyante des Nivelle de la Chaussee und
damit für die ganze Gattung bezeichnend sind. Sie entspricht dem ver-
klärenden Tugendideal der Aufklärung, ihrem sittlichen Eudämonis-
mus, der mit seinem vertrauensvollen Optimismus lähmend auf die
Tatkraft wirkt, quietistische Resignation gebiert. Ihre Gefühlsrichtung
ist durch die Vorliebe für das in ihr immer wiederkehrende Wort
„zärtlich" gekennzeichnet. Die Komödie ist in einen Nebel tränen-
seliger Tugendhaftigkeit eingehüllt, der mit seinem grauen Dunst alle
Umrisse ineinander übergehen läßt, der alle Akzente der romanhaft
verwickelten Handlung, der Charaktere und der Sprache zu gleich-
förmiger Verwaschenheit abschwächt. Die Tonstärke der Komposition
ist gedämpft. Dies ist von vornherein günstiger für Entwirrungen
als Verwirrungen, und damit stimmt die Anlage der Rührkomödie
überein. Da die Tugend zum Ziele führen muß, so muß sie zu Be-
ginn der Handlung in Frage gestellt sein, am Schlüsse aber in er-
habener Verklärung strahlen. Mit Recht ist daher auf die analytische
Komposition als Kennzeichen der Rührkomödie hingewiesen worden :
Durch Nacht zum Licht.
d) Christian Fürchtegott Geliert,
aa) Persönlichkeit.
Die von Lessing als weinerliche bezeichnete Komödie fand in Deutsch-
land ihren Hauptvertreter ebenfalls in einem der Bremer Beiträger, in
Christian Fürchtegott Geliert (17 15 — 1769). Mehr als bei allen bis jetzt
Rührkomödie: Charakter. Chr. F. Geliert: Persönlichkeit. Theoretische Anschauung. 159
genannten Komödiendichtern fließt Gellerts Schaffen aus dem Grunde
einer einheitlichen PersönHchkeit. Dichter und Werk sind eins. Aller-
dings ist die Bezeichnung Dichter zu hoch gegriffen. Dazu fehlt
Geliert der göttliche Funke. Er ist Schriftsteller, dessen Schreiben
bestimmt ist von seiner Charakteranlage, von seiner Lebensstellung.
Goethe schildert uns den Leipziger Professor aus der Zeit, da er
ihn selbst noch hörte, nach seinem Äußern und Innern: „Nicht groß
von Gestalt, zierHch, aber nicht hager, sanfte, eher traurige Augen,
eine sehr schöne Stirn, eine nicht übertriebene Habichtsnase, ein
feiner Mund, ein gefälliges Oval des Gesichts: alles machte seine
Gegenwart angenehm und wünschenswert" (,,Dichtung und Wahr-
heit" 11,6). Geliert „glaubte uns mit den kirchhchen Anstalten zu be-
zwingen; deswegen er gewöhnlich, wenn er uns einmal vor sich
ließ, mit gesenktem Köpfchen und der weinerlich-angenehmen Stimme
zu fragen pflegte, ob wir denn auch fleißig in die Kirche gingen,
wer unser Beichtvater sei, und ob wir das heilige Abendmahl ge-
nössen. Wenn wir nun bei diesem Examen schlecht bestanden, so
wurden wir mit Wehklagen entlassen; wir waren mehr verdrießlich
als erbaut, konnten aber doch nicht umhin, den Mann herzlich lieb
zu haben" . . . „Die schöne Seele, der reine Wille, die Teilnahme des
edlen Mannes an unserem Wohl, seine Ermahnungen, Warnungen
und Bitten, in einem etwas hohlen und traurigen Tone vorgebracht,
machten wohl einen augenblicklichen Eindruck; allein er hielt nicht
lange nach, um so weniger, als sich doch manche Spötter fanden,
welche diese weiche und, wie sie glaubten, entnervende Manier uns
verdächtig zu machen wußten" (a. a. O. II, 7). Diese Beschreibung,
der noch das bezeichnende Wort aus dem Schema zu „Dichtung und
Wahrheit" angereiht sei: „Geliert: Wehklage unter den Lebendigen",
möge uns genügen, um uns ein Bild des zart-ängstlichen Charakters
zu geben, dessen Vorname Fürchtegott sehr gut zu seinem Träger paßt.
Bei dem frommen Theologen wundern wir uns nicht, daß er seine
Lustspiele zu moralisch -didaktischen Erbauungstraktätchen gestaltet,
wir wundem uns nicht, daß er immer mehr alles Derbkomische,
Possenhafte als dem erhabenen Zwecke zuwider ausschaltet, wir wun-
dem uns endHch nicht, daß er dies edle Ziel durch zärtliche Rührung
in Anschauung reiner Tugend erstrebt. Er schreibt selbst im Vorwort
zur Ausgabe seiner Lustspiele: „Sollten einige an der Betschwester,
dem Lose in der Lotterie und den zärtlichen Schwestern überhaupt
tadeln, daß sie eher mitleidige Tränen, als freudige Gelächter erregten:
so danke ich ihnen zum voraus für einen so schönen Vorwurf".
bb) Theoretische Anschauung.
Gellerts Vorbilder sind Richardspn und Nivelle de la Chaussee.
Durch Wesensgleichheit Richardson verbunden, den er für noch „un-
sterblicher bei Christen" als Homer preist und dessen „Pamela" er in
l50 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
der „Betschwester" charakterisiert: „Ein sehr guter Roman, der die Un-
schuld und Tugend hebenswürdig zu machen sucht", erklärt er sich
unbedingt für die durch Nivelle de la Chaussee gepflegte comedie
larmoyante, zu deren Verteidigung er beim Antritt seiner Professur
/■1751 eine Abhandlung schreibt: „Pro comoedia commovente". Lessing
übersetzte sie und druckte sie zusammen mit Chassirons Angriffs-
schrift 1754 in der Theatralischen Bibliothek ab.
Geliert unterscheidet zwei Arten von Komödien, eine lustige und
/eine ernste, eine aufs Äußerliche gehende und eine das Innerliche
/ treffende, eine lachende und eine lächelnde, eine das Laster verlachende
/ und eine die Tugend verherrlichende. Dieser letzteren Art erkennt
' er den Preis zu, sie ist mit dem „Schein der Traurigkeit" „ungemein
süße". Die damit gerechtfertigte Rührkomödie verteidigt er gegen den
Vorwurf Chassirons der Verwischung der Grenzen von Komik und
Tragik, indem der Komödie nur die zärtlichen, gedämpften Leiden-
schaften zugewiesen werden. Auf den andern Vorwurf des Wider-
spruchs mit sich selbst durch ernsthafte Erregung der Affekte spricht
er sich für geschickte Mengung komischer und rührender Charaktere
aus. Wenn Geliert auch die Lachen bezweckende Komödie nicht ver-
urteilt, so fordert er doch auch Anerkennung für jene Komödie, die
ernste Gemütsbewegung erregt, und er sieht als moralischer Erzieher
in der Darstellung rührender Tugend die preiswerte moralische Be-
deutung der neuen Lustspielart. Im tiefsten Grunde ist es derart
// wiederum eine außerästhetische Betrachtung, durch die er die Rühr-
komödie rechtfertigt. Darin liegt ein Rückschritt gegenüber Schlegel.
Andrerseits durchbricht Geliert die strenge Regelhaftigkeit rationali-
stischer Kunstanschauung, indem er von dem durch die Schweizer
zuerst vertretenen Prinzip ausgeht, das Kunstwerk schaffe sich die
Regel und dürfe daher auch deren Grenzen erweitern. Und weiter
fördert die geforderte Verschmelzung komischer und ernsthafter Cha-
raktere — der er allerdings in seiner Lustspielpraxis je länger je mehr
entsagte — eine Kunstanschauung, die vom Drama eine erweiterte
und vertiefte Mannigfaltigkeit dargestellten Lebens erwartet, die damit
Vorbedingung war zur Aufnahme Shakespeares in Deutschland. Doch
diese Konsequenzen lagen dem zärtlichen Magister ferne. Er suchte
als empfindsamer Moralist durch Rührung das moralische Endziel
menschlicher Besserung zu erreichen. Darin lagen ihm Grund und
Zweck der Rührkomödie, in der Theorie wie in der Praxis.
cc) Praxis.
Schon Gellerts erstes Lustspiel „Die Betschwester" von 1745 zeigt
dies. Es gehört einerseits noch durchaus in die Tradition typischer
lasterhafter Charakterbilder der sächsischen Komödie. Molieres „Tar-
tuffe" ist der Ahnherr des Geschlechts, dem die Betschwester Richardinn
angehört, ihre ältere Schwester ist die Frau Glaubeleichtin aus der
Rührkomödie: Chr. F. Geliert: Praxis. l6l
Gottschedin „Pietisterey". Mit der Darstellung dieses Charakters eigen-
nütziger heuchlerischer Frömmigkeit ist eine Heiratsintrige verbunden,
die durchaus auf dem Boden der Rührkomödie steht. Die wesent-
lichen Züge sind der französischen Komödie entnommen. Die Heirat
zwischen Christianchen und Simon ist wegen allzu großer, als Blödig-
keit erscheinender Schamhaftigkeit der Braut und des geizigen Cha-
rakters der scheinfrommen Schwiegermutter in Frage gestellt. Durch
den selbstverleugnenden Edelmut Lorchens werden die Hindernisse
überwunden und der Heiratsschluß herbeigeführt und damit die
Freudentränen gerührter Zuschauer ob so viel Tugend.
Der Unterschied in der dichterischen Begabung Gellerts und Johann \
Elias Schlegels wird sofort offenbar, wenn wir die „Betschwester" mit \
der davon angeregten ,, Stummen Schönheit" vergleichen. Schlegel löst
die von der Betschwestersatire durchaus unabhängige Heiratsintrige
los und gestaltet sie allein. Die Parallelität der Personen ist auffallend,
selbst wenn wir in Rechnung stellen, daß der traditionelle schematische
Aufbau der damaligen Komödien solche nicht nur begünstigt, sondern
bedingt: Zwei junge Mädchen, die in schwesterlich vertrautem Ver-
hältnis stehen, offenbaren sich bei der Werbung in ihrem Wertunter-
schiede. Die umworbene Haustochter weiß nichts zu reden, die andere
ist der Typus des Frauenideals der damaligen Zeit und zieht daher
ihres überragenden inneren W^ertes halber, obwohl sie arm ist, den
Bewerber zu sich herüber. W^enn sie ihn auch selbst liebgewinnt, so
will sie doch aus Tugend auf ihn zugunsten der Reichen verzichten
und selbst sich bemühen, diese durch ihre Hilfe und Erziehung der
Liebe des Bewerbers würdig zu machen. Die Mutter der stummen
Schönheit ist in beiden Fällen eine geizige, selbstsüchtige alte Witwe.
Mutter und Tochter sind Vertreter des äußeren Wertes — Geschenke
spielen bei ihnen wie bei der Werbung im ,,Bookesbeutel" eine große
Rolle — , Lorchen (Leonore) ist Vertreterin des inneren Wertes, der
über jenen siegt.
Soweit stimmen beide Intrigen bei Schlegel und Geliert überein.
Es mag ihnen beiden das gleiche Urbild in Destouches' „La fausse
Agnes" vorgelegen haben. Doch Schlegel schaltet im Gegensatz zu
Geliert das Motiv der Rührung aus, er benutzt daher nur die beiden
ersten Aufzüge Gellerts und betont darin um so stärker die Komik,
besonders die Situationskomik, und um sie wirkungsvoll zu gestalten,
drängt er in richtiger Erkenntnis die Handlung in einen Akt zu-
sammen. Der Bewerber ist mit größerer Realistik, individueller ge-
zeichnet, ich erinnere daran, wie ihm der Angstschweiß ausbricht bei
den vergeblichen Anstrengungen, mit seiner Braut eine Unterhaltung
anzuknüpfen; die stumme Schönheit ist in der Motivierung ihrer '
Stummheit natürlicher, indem sie tatsächlich, wie schon Lessing
erkannt hat, aus Unbegabtheit nichts zu reden weiß, von Natur aus
nicht in das ihr aufgedrängte Standesmilieu paßt und infolgedessen
H o 1 1 , Lustspiel. 1 1
1^2 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
gesellschaftlich erst recht scheu ist und daher verstummt. Schlegel
scheidet aus der Handlung alle ihr fremden Elemente aus. Den mit
der UnWahrscheinlichkeit des Hauptmotivs unvereinbaren Naturalis-
mus der äußeren Form meidet er durch Versdiktion, vertieft aber die
Wirksamkeit durch individuelle Zeichnung der Hauptcharaktere.
Geliert demgegenüber verquickt die Komik mit Rührung und dehnt
dadurch die Handlung über ihren inneren Gehalt hinaus aus. Charak-
teristisch für das erstrebte Rührende ist die 5. Szene im II. Aufzug
mit dem Worte Lorchens: „Ich bin über diese unschuldige Aufrich-
/ tigkeit so gerührt, daß ich gehen muß, wenn Sie nicht die Zeichen
meiner Schwachheit in meinen Augen sehen sollen". Die Verquickung
der Rührintrige mit der Betschwestersatire ist innerlich unbegründet
und wohl nur vollzogen, um der später ausgesprochenen theoretischen
Forderung der Mengung komischer und rührender Charaktere zu
entsprechen; die psychologische Erziehung seiner stummen Schön-
heit ist unglaublich rasch, obwohl an sich gut bedacht. Sie vertritt
den sentimentalen Naiventypus auf der deutschen Bühne. Schlegel
dagegen, der seinen Naiventypus ohne sentimentale Beimischung, ja
eher, wie etwa die Gestalt der ungebildeten Naiven im „Bookesbeutel",
ohne Sympathie darstellt, hat erkannt, daß das Motiv der Intrige ein
Possenmotiv ist, das ohne Versuch innerer Psychologie im tempo
presto abgespielt werden muß; er paßt Gehalt und Form einander an,
Geliert gestaltet nach außerästhetischen Überlegungen und Zwecken
und muß daher das Motiv einer ihm fremden Form zuliebe über
seine innere Tragfähigkeit ausdehnen und seiner Wirkung berauben.
Schlegel gestaltet als Dichter, Geliert als berechnender Schriftsteller.
Eine Aufführung von Schlegels Posse wäre auch heute noch mög-
lich, etwa in einem historischen Lustspielabend, während eine solche
von Gellerts „Betschwester" undenkbar ist.
Ebensowenig erreicht Geliert Schlegels Begabung in seiner Ko-
mödie „Das Loos in der Lotterie". Wie die „Betschwester" ist auch
dieses technisch geschicktere Stück in den Bremer Beiträgen erschienen
(1746/47). Wiederum laufen darin zwei Handlungen : eine Heiratsintrige
und die Geschichte eines mit jedem der fünf Akte wandernden, zum
Schluß aber doch in die rechten Hände gelangenden Loses. Doch
das Nebeneinander ist gut zu einem Ineinander verflochten. Das Ende
zeigt uns natürlich das im Glänze belohnter Tugend strahlende zärt-
liche Brautpaar. Zwei Ehepaare, Dämon und Orgon, sind kontrastiert,
in dem Eheverhältnis wie in den einzelnen Ehegatten: der geizige,
stets geschäftige Dämon steht dem uninteressierten, stets schläfrigen
Orgon gegenüber, die tugendhafte, selbstlose Frau Dämon der klatsch-
süchtigen, neidischen Frau Orgon; Dämon beherrscht seine Frau,
Frau Orgon ihren Mann. Dazu treten Carolinchen und Simon. Der
noch im letzten Augenblick als deus ex machina auftretende Anton,
der Verlobte Carolinchens, ist überhaupt ohne jede Zeichnung. Caro-
Rührkomödie : Chr. F. Geliert: Praxis. 163
linchen aber ist wieder das Frauenideal Gellerts, das gleichmäßig
religiöse, ethische und intellektuelle Vollkommenheit verbindet. Geliert
kennt als Geistlicher der Aufklärungszeit überhaupt nur, bei dem männ-
lichen wie dem weiblichen Geschlecht, die Dreieinigkeit der Begriffe
ReHgion, Tugend und Bildung, im positiven wie im negativen Sinne.
Die Seelenkunde ist entschieden vereinfacht, indem die Menschen ent-
weder gut und klug und fromm oder schlecht und dumm und un-
fromm sind. Simon ist das negative Gegenstück zu Carolinchen. Er
ist dementsprechend einer jener dem frommen Geliert verhaßten Frei-
denker, die er im Einklang mit seiner vereinfachten Seelenkunde im
Stücke selbst charakterisiert (111,6): ,,Zur Profeßion eines Freydenkers,
den Sie vermuthlich vorstellen wollen, gehört nichts mehr, als wenig
Verstand, ein wildes Herz, etliche englische oder französische Blätter
voller Galle wider die Schrift, ein gut Glas Wein, ein gesunder Körper,
der Besuch gewisser Häuser, die ich ohne Schamröthe nicht nennen
kann, und wenn man es recht hoch bringen will, eine ohne Vorsich-
tigkeit und Klugheit angestellte Reise in fremde Länder". Bei dieser
Charakteristik ist es natürlich, daß Geliert dem dummen und unmora-
lischen Freidenker Simon auch die Züge der seit Holberg beliebten
Figur des Deutschfranzosen beilegt. Gellerts komische Motive deuten
auf Kenntnis Holbergs; aber größtenteils dürfte er sie dessen Nach-
ahmern in der sächsischen Komödie entlehnt haben, soweit sie nicht
deren französischen Vorbildern entstammen.
Das dritte Lustspiel Gellerts endlich von 1747 zeigt uns die Rühr-
komödie in ihrer ausgebildetsten Form: „Die zärtlichen Schwestern".
Zärtlichkeit bedeutet nach Gellerts Sprachgebrauch tugendhafte Liebe.
Diese bildet das Hauptmotiv des tränenreichen Stückes. Julchen, die
jüngere Tochter Cleons, widerstrebt aus mißverstandenem Freiheits-
begriff dem Eheglücke an der Seite ihres reichen Bewerbers Damis.
Diese Motivierung ist allerdings für die deutsche Literatur eine NeuH
schöpfung, aber von Geliert aus der französischen Komödie entnom-'
men. Die weibliche Ehescheu wird erst viel später durch Immermann
in „Cardenio und Gelinde" dramatisch ausgewertet. Julchen wird durch
eine unschuldige List ihrer älteren Schwester Lottchen, des typischen
Gellertschen Frauenideals, am Stückschlusse ihrem Glücke zugeführt.
Lottchen selbst aber muß zu ihrem und unserem Leidwesen erkennen,
daß ihr eigener Bewerber Siegmund nicht treu genug ist, um sie,
der Versuchung des Geldes erliegend, nicht zu verraten. Überhaupt
spielt in allen Komödien Gellerts trotz ihrer tränenreichen Empfind-
samkeit das Geld eine sehr bedeutsame Rolle zur Herbeiführung der
nach den Worten so unmaterialistischen Glückseligkeit. Die starke
Betonung des Geldpunktes bei allen Eheschließungen läßt die rühren-
den Herzensbündnisse doch auf sehr wohl berechneter materieller
Grundlage aufbauen. Und auch Lottchens Tugend sieht sich, wenn
auch nicht mit einem zärtlichen Ehegatten, so doch mit einem
164 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
Rittergute belohnt. Das Bürgertum hat nicht vergessen, daß der
Grund seiner pohtisch - sozialen Erstarkung wirtschaftlicher Natur
war: Geld.
Die Komik ist in der Komödie bis auf die Figur eines pedantischen
Magisters, der aber weniger komisch als langweilig wirkt, ausge-
schaltet. Die Rührung herrscht unumschränkt, und die Tränen fließen
reichlich, allzu reichlich. Die einzelnen Figuren sind durchaus schemen-
haft gezeichnet, der untreue Liebhaber zudem mit im Laufe des Stückes
vollständig widersprechendem Charakter. Sein Vorbild ist der Damis
aus Destouches' Komödie „Ingrat", auf die schon Erich Schmidt die
ganze Handlung der „Zärtlichen Schwestern" zurückführt. Am besten
geraten innerhalb der quallenhaften Lacrymosen sind noch Julchen und
ihr Liebhaber Damis. Das Schema der Gegenüberstellung eines einigen
und eines uneinigen Liebespaares entstammt dem Schäferspiele, in dem
sich ja Geliert ebenfalls wiederholt versucht hat. Die Doppelhandlung,
die das geeinigte Paar trennt, das uneinige einigt, ist dürftig, voll
breiter, langweiliger Erörterungen und in ihrem Schneckentempo nur
durch Belauschungen und Mißverständnisse schwerfällig zu Ende
geführt, ein im Tränenbade aufgelöstes Gebilde. Der Vorzug der
„Zärtlichen Schwestern" gegenüber den früheren Komödien besteht
höchstens darin, daß sich hier Geliert die zu seiner moralisierenden
Haltung so schlecht stimmenden lüsternen Frivolitäten versagt hat.
dd) Gesamtcharakteristik.
Gallerts Komödien zeigen in ihrer Gesamtheit — • das einaktige
unbedeutende Nachspiel ,,Die kranke Frau" mit dem in der sächsi-
schen Komödie längst verbrauchten französischen Motive des ein-
gebildeten Kranken dürfen wir hier füglich trotz geschickter Technik
aus unserer Betrachtung ausschalten — nur darin einen Fortschritt,
daß das Rührende immer stärker überwuchert und die in den beiden
ersten Komödien noch verhältnismäßig zahlreichen komischen Züge in
der letzten schließlich gänzlich verdrängt. Seine Lustspieltechnik bleibt
im Traditionellen haften; nur beobachten wir, daß er zum Schaden
der Belebtheit der Handlung die listigen, dreisten Bedientenfiguren
entfernt hat; sie, als die üblichen Hauptträger der Komik, müssen
dem Rührelemente weichen. Äußerlich hat er sich von der Gott-
schedschen Fünfaktzahl wenigstens in zwei Stücken, der „Bet-
schwester" und den „Zärtlichen Schwestern", zum italienischen Drei-
akter gewandt. Weiter ist noch zu bemerken, daß er zur Benennung
seiner Figuren französierende Renaissance-Namen den beliebten Namen-
schildern der sächsischen Komödie vorzieht. Auch die Sprache
zeigt uns nichts grundsätzlich Neues. Wohl ist die Dialogführung
belebt und zeigt das Bestreben, sich der Umgangssprache des sächsi-
schen Mittelstands anzupassen; selbst die Höflichkeitsfloskeln sind
Rührkomödie: Chr. F. Geliert: Gesamtcharakteristik. 165
trotz ihrer Steifheit realistisch, da sie nur die damalige zeremonielle
Konvention wiedergeben. Gegenüber der Starrheit Gottschedscher
Prinzipien zeigt die stärkere Verwendung der Monologe in den „Zärt-
lichen Schwestern" eine gewisse psychologisch-dramaturgische Frei-
heit. Aber alle diese kleinen Fortschritte, die zudem wie Gellerts Indi-
vidualisierungsstreben aus Kraftmangel in den Anfängen, im Wollen
stecken bleiben, können nicht die breiige Verwässerung der Sprach-
behandlung verdecken. Auch im Dialog erreicht er Schlegel nicht.
Für die Entwicklung des deutschen Lustspiels im ganzen hätte Geliert
außer durch die Einführung des Rührenden — und dies hat nur
historischen Wert für seine empfindsame Zeitepoche — also kaum
irgendwelche Bedeutung, wenn er nicht bewußter und stärker als
seine Vorgänger das bürgerliche Mittelstandsmilieu betont hätte.
Seine Komödien sind, wenn auch nicht lebenskräftig gestaltete,
so doch realistisch geschaute Familienstücke des sächsischen Bürgers
seiner Zeit und berühren sich dadurch mit denen Johann Elias Schlegels.
Nur in diesem Sinne ist Lessings übertriebenes Lob im 22. Stück der
Hamburger Dramaturgie zu verstehen : ,, Unstreitig ist unter allen unseren
komischen Schriftstellern Herr Geliert derjenige, dessen Stücke das
meiste ursprünglich Deutsche haben. Es sind wahre Familiengemälde,
in denen man sogleich zu Hause ist". Wir müssen dabei allerdings
an Lessings Grundsatz literarischer Kritik denken: „Einen elenden
Dichter tadelt man gar nicht, mit einem mittelmäßigen verfährt
man gelinde, gegen einen großen ist man unerbittlich". Die Natio-
nalisierung der Komödie durch die realistischen Famihenbilder ist
keine originale Leistung Gellerts, da sie auf das von englischer
religiös -moralischer FamilienHteratur bestimmte französische Rühr-
drama zurückgeht.
Dieses bedeutet kulturhistorisch die Spiegelung der bürgerlichen
Mittelstandsbewegung im 18. Jahrhundert. Die mit der Lösung aus
strenger kirchhcher Gebundenheit zu moralisierender Aufklärung ver-
bundene Erstarkung des Bürgertums innerhalb des Staates findet lite-
rarischen Ausdruck im rührenden Lustspiel. Der Bürger ist sich seiner
Bedeutung bewußt geworden und verzichtet darauf, noch länger nur
Objekt der_Komik zu sein, die seine Laster verlacht, er will rivalisieren
mit den der_Tragödie vorbehaltenen höheren Ständen, auch er will
Objekt der Sympathie, der Bewunderung seiner Tugenden sein. In Eng-
land hat diese Entwicklung am frühesten eingesetzt. Dort findet man
zuerst ihren Niederschlag in den moralischen Wochenschriften und
Richardsons Familienromanen. In Frankreich nahm die Literatur
diese Anregungen frühzeitig auf und baute auf ihnen durch Nivelle
de^ la Chaussee die der Tragödie angenäherte comedie larmoyante
auf. Deutschland wurde gleichermaßen von England und Frank-
reich befruchtet. Es läßt sich daher im einzelnen schwer oder über-
haupt nicht entscheiden, wieweit das in die deutsche Komödie ein-
l66 Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
dringende rührende Element direkt von Richardson oder auf dem
Wege über Nivelle de la Chaussee hergekommen ist. Soviel steht
aber fest, daß die Rührkomödie durch das Interesse der moralischen
Wochenschriften angeregt die Motive von Richardsons Familienroman
auf die Bühne bringt. Der neue kulturelle Faktor hat in ihr seine erste
dramatische Veranschaulichung erfahren. Neben ihre sittlich-erbauliche
Tendenz tritt früh die politische, wie sie bei Nivelle de la Chaussees
Zeitgenossen Voltaire bereits zum Durchbruch gelangt und schließlich
über Diderot in Beaumarchais, dessen „Hochzeit des Figaro" Napoleon
„la Revolution en action" nannte, Hauptzweck wird. Mit Recht hat man
bereits in der Vergleichung von de la Chaussees Bearbeitung der
„Pamela" und Voltaires Bearbeitung „Nanine" den Gegensatz der
beiden Schriftsteller erkannt. Doch wenn de la Chaussees und mit ihm
Gellerts Komödie auch keine politische Fanfare ist, sie spiegelt doch
die soziale Entwicklung wider. Diese ist auch in den „Candidaten"
Krügers zu beobachten.
Und vielleicht ist es nur natürlich, daß nun bei dem Hervortreten
eines bislang unterdrückten Standes gerade die Glieder am weitesten
in den Vordergrund geschoben werden, die am tiefsten im Dunkel
gehalten worden waren: die Frauen. Die moralischen Wochenschriften
schreiben über Mädchenerziehung, Frauenbildung, Ehe- und Familien-
leben. Der Familienroman Richardsons zeichnet Frauenideale. Alle
diese Schriften, Romane und ihre Nachahmungen entfachen ein leb-
haftes Interesse an der Stellung der Frau innerhalb der neuen bürger-
lichen Gesellschaft; andrerseits zeigen sie auch, daß die Frau als
literarischer Konsument, die bisher sich auf die reiche Erbauungs-
literatur beschränkte, jetzt für alles Schöngeistige mit empfindsam
moralischer Tendenz in Frage kommt. Es ist daher um so leichter
erklärlich, daß auch das aus der Erbauungsliteratur genährte drama-
tische Schaffen, die Rührkomödie, die Frau in den Mittelpunkt des Inter-
esses stellt, und zwar, entsprechend den Ansprüchen des neuen sozialen
Faktors auf Bewunderung, als Idealgestalt, die Tugend, Religion und
Bildung vereinigt, um standhaft allen Schlägen eines widerwärtigen
Schicksals zu trotzen und endlich, zur Rührung aller Herzen, dank ihrer
Tugend die Wiederherstellung und Erhöhung ihres Glückszustandes
zu erfahren. Märtyrerinnen der Tugend! Dies sind die in Gellerts Ko-
mödien immer wieder zu beobachtenden Frauenideale. Die damit ver-
anschaulichte Frauenemanzipation konnte die Unterdrückung heirats-
fähiger und -lustiger Mädchen durch allzu strenge Eltern nicht länger
zugeben. Die Ehe, nach Geliert „die größte Glückseligkeit des gesell-
schaftlichen Lebens", mußte auf freier Wahl tugendhafter Zärtlichkeit
beruhen. Ausdrücklich sagt Vater Cleon in den „Zärtlichen Schwestern"
zu dem unentschlossenen Julchen: „Ich will dich gar nicht zwingen".
Wenn wir damit die früheren Komödien Gottschedscher Richtung ver-
gleichen, worin stets strenge Väter oder eigensinnige Mütter ihren
Der junge Lessing und Chr. F. Weiße: Lessing: Leipziger Genossen. 167
Kindern wider deren Neigung reiche oder heuchlerische Ehegatten
aufnötigen wollen, so verstehen wir, welchen kulturellen Fortschritt
die soziale Stellung der Frau erfahren hat. Alle diese Betrachtungen
zeigen uns, daß die Rührkomödie zwar kein bedeutendes Lustspiel
innerhalb der deutschen Literatur hervorbringt, daß sie aber als Spiege-
lung einer empfindsamen Zeit voll folgereicher sozialer Entwicklungen
unverlöschlichen kulturhistorischen Wert besitzt.
5. DER JUNGE LESSING
UND CHRISTIAN FELIX WEISSE.
a) Lessing.
aa) Leipziger Genossen.
Die dritte Periode in der Entwicklung der sächsischen Komödie,
die für jene Zeit die deutsche bedeutet, beginnt. Gottsched hat den
Grundstein gelegt, Christian Krüger und Johann Elias Schlegel er-
reichen in jener ersten Entwicklungsphase die Höhe. Die Einführung
des rührenden Elements bildet die zweite Epoche, die in Geliert ihren
konsequentesten Ausdruck findet. Jetzt werden beide Perioden mit-
einander verschmolzen und zeitigen in Lessing die Vollendung. Diese
drei Perioden, deren angeführte Vertreter alle dem deutschen Pfarr-
hause entstammen, sind zeitlich nicht zu trennen. Krüger und Schlegel
sind noch jahrelang tätig, als Geliert bereits sein letztes Lustspiel ge-
schrieben hat. Weiße und der junge Lessing, als Vertreter der dritten
Periode, setzen mit ihrem Schaffen schon ein, als Geliert erst ein
Lustspiel veröffentlicht hat. Die Fäden laufen wirr durcheinander, und
die Trennung der Epochen läßt sich nur dem wesentlichen Gedanken-
inhalt, der bestimmenden Kunstanschauung nach rechtfertigen. Mit
Schlagworten unterscheiden wir die drei sich wechselseitig durch-
dringenden Perioden als satirische Lachkomödie, weinerhche Rühr-
komödie, sinnend-heitere Mischkomödie.
Der Mittelpunkt geistigen Lebens in Deutschland bleibt nach wie vor
Leipzig. ,,Mein Leipzig lob' ich mir, es ist ein klein Paris und bildet seine
Leute", Hier sollte auch Lessing (1729— 1781) die ersten Jahre seines
Schriftstellertums durchmachen. Im Herbst 1746 bezog der Kamenzer
Pastorensohn, der auf der Fürstenschule St. Afra in Meißen im Studium
der alten Sprachen sich schon tief eingelesen hatte in Plautus und
Terenz, die Leipziger Universität. Schnell fand er einen Kreis von
Freunden, die alle mehr oder minder starke literarische Neigungen be-
tätigten. Der älteste unter ihnen war Lessings Vetter Christlob Mjdius,
der als leichtsinniger Freigeist und liederlicher Lohnschreiber aller-
dings schlecht genug zu dem um sieben Jahre jüngeren Theologie-
beflissenen passen mochte. Doch Gotthold Ephraim hatte gar nicht
l68 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
das Bedürfnis, mit Scheuklappen bewehrt, sich hinter sein Brotstudium
zu machen. Ihm galt es, sich auszudehnen. Die Universität war ihm
keine Fachschule, sie war ihm die universitas litterarum. Die viel-
seitigen Kenntnisse, die er bei ihr sich erwarb, verbreiterte und ver-
tiefte er durch eifriges Studium in dem Buche des Lebens, dessen
Erfahrungen auszuschöpfen ihn keinerlei engherzig -prüde Vorurteile
hemmten. Ihn störten daher auch nicht das verkommene Äußere und
der Lebenswandel des Vetters, solange er glaubte, von ihm in irgend-
welcher Beziehung lernen zu können. Allerdings für seine früh ge-
setzte Zielrichtung, ein deutscher Moliere zu werden, fand er in Mylius,
außer daß ihn dieser in Schauspielerkreise einführte, wenig fördernde
Führung.
Der Komödienschreiber Mylius, dessen Feder, außer einem Sing-
spiel „Der Kuß" und einem Schäferspiel „Die Schäferinsel", die Lust-
spiele ,,Die Ärzte" von 1745 und „Der Unerträgliche" von 1746 ent-
stammen, ist kein Dichter. „Die Ärzte", eine die Derbheiten über-
trumpfende Nachahmung von Krügers „Geistlichen auf dem Lande",
ist technisch das geschicktere Stück und zeigt ebensoviel Sinn für
Bühneneffekte und naturalistische Beobachtungsgabe wie Mangel an
dichterischer Eigenart. Daß dieses unflätige Machwerk einer Buch-
händlerspekulation seine Entstehung verdankt, ist eine vielsagende
Erläuterung zu dem Ruhmestitel Leipzigs, ein Zentrum feingesitteter
Kultur zu sein. „Der Unerträgliche", im traditionellen Stil des ein-
seitig-oberflächlichen Charakterlustspiels der sächsischen Komödie, ist
mit seiner unbeholfenen Technik ebenso langweilig wie hundert Vor-
gänger. Mylius zeigt als Komödienschreiber keine eigene dichterische
Note. Er ist mutatis mutandis ein Schriftsteller vom Schlage unserer
modernen Kaff"eehausliteraten. Es eignet ihm Anfühlung, keine Ein-
fühlung, seine Komödien sind Satiren, die durch Übertreibung ihr
Ziel zu erreichen suchen. Er ist ein Nachkomme Picanders mit den
Mitteln einer vervollkommneten Technik, wie sie die sächsische Komödie
allmählich erlangt hatte. Realistik im Sinne derber Schilderungen
des Niedrigen ist sein Kunststil, wenn von Kunst bei ihm die Rede
sein kann. Auch Ossenfelder, der St. Afraner Schulkamerad, mit
dem Lessing nun in Leipzig im seichten Gewässer der Anakreontik
plätschert, konnte diesem für die Entwicklung seines dramatischen
Talents nichts bedeuten. Die satirisch -realistisch gemeinten Lust-
spielversuche des leichtlebigen Ossenfelder sind Wassersuppen, denen
der Myliussche Pfeffer fehlt.
Am nächsten steht dem jungen Dramatiker Lessing Christian Felix
Weiße. Er war der dramatisch Begabteste unter Lessings Genossen.
Wären Lessings Jugendkomödien alle verloren, so könnte uns Weißes
Lustspielproduktion am besten ihre Charakteristik geben. Der Lust-
spieldichter Weiße ist ein typischer Aneigner, der mit Fleiß und Um-
sicht sich der Kunstmittel seiner Zeit bemächtigt und mit ihnen dann
Der junge Lessing und Chr. F. Weiße. Lessing: Jugendkomödien. i6q
ein Vierteljahrhundert lang wirtschaftet, ohne irgendwelche weiteren
bedeutsamen Fortschritte zu machen. Er ist ein Frühreifer, der keine
Entwicklung aufweist, eine jener literarischen Erscheinungen, die mit
dem Erstlingswerke Wechsel auf die Zukunft ausstellen, sie aber nie
einlösen. Mit den fortschreitenden Jahren enttäuschen sie um so mehr,
je mehr Hoffnungen an ihre Anfänge geknüpft werden. Weiße reprä-
sentiert auch mit seinen spätesten Komödien das deutsche Lustspiel
am Ende der vierziger Jahre. Persönliches, wie Lessing schon in
seinen Jugendlustspielen, weiß er nicht zu geben. Sein Gesamtschaffen
ist daher auch am besten geeignet, uns am Schlüsse des Kapitels noch
einmal die wesentlichen Züge der sächsischen Komödie vorzuführen.
bb) Jugendkomödien.
Lessings Jugendproduktion ist zwiespältig. ,, Dämon oder die wahre
Freundschaft" (1747) und ,,Die alte Jungfer" (1749) wurden von ihm
selbst der Aufnahme in seine ,, Schriften" nicht für wert gehalten. Der
Einakter ,, Dämon" wandelt auf Holbergs Spuren, ohne aber auch nur
annähernd dessen bühnensichere Technik und Natürlichkeit der Sprach-
behandlung zu erreichen. „Die alte Jungfer", die ihre Intrige dem
„theätre Italien" entlehnt, ist gewandter im sprachlichen Ausdruck,
unbedenklicher in der moralischen Gebärde. Die größere Lebendigkeit
der Handlungsführung ist der Vorlage zu danken, deren Wahl allein
schon Lessing in Gegensatz zu Gottsched stellt und der er überdies
die verpönte Hanswurstfigur entnimmt. Der ,,Gebackensherumträger"
Peter ist der altbekannte Harlekin der Stegreifposse, wenn er jetzt
auch statt des bunten Wamses einen weißen Kittel trägt; kommt es
doch nicht auf die Farben an, wenn die Kleidung ihn nur von der
gewöhnlichen Umgebung heraushebt. Doch der Gegensatz zu Gott-
sched bedeutet keine Eigenart, er bedeutet nur eine Vertauschung
der Traditionsbahnen. Immerhin ist doch, wie schon Erich Schmidt
andeutet, darin eine Entwicklung des Verfassers zu erblicken, daß
statt der harmlosen, sittlich indifferenten Haltung des „Dämon" jetzt
eine gewisse lebemännische Skepsis sich äußert, wie sie in dem Klein-
paris unter den Literaten und Schauspielern nicht verwunderlich ist.
Zu dieser französierenden, internationalen Komödientradition, deren
Quellen aus griechischer, lateinischer, dänischer, englischer, franzö-
sischer, italienischer Literatur gespeist werden, die in Deutschlandaber
auch schon wieder auf deutsche Vorbilder zurückgreifen kann, gehört
auch der Einakter „Der Misogyne", der 1767 auf drei Akte erweitert
wird, ohne dadurch an ästhetischem Wert zu gewinnen. Auch hier
ist wieder das Beste der Dialog. In allem anderen dramatischer Pro-
duktion, wie Motiven, Aufbau, Handlungsführung, Personengestaltung,
ja selbst in Namengebung, ist Lessing nicht minder wie Weiße ein
Aneigner. Wenn man aus diesen Jugendkomödien bereits Lessings
Physiognomie erkennen will, so scheint mir das eine Konstruktion a
lyo Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
posteriore; bestenfalls kann man darin den gewandten und klaren
Sprachbildner, den schlagfertigen Dialektiker, den witzigen Epigram-
matiker in seinen Anfangsregungen erstehen sehen. Im übrigen
stimmen diese Erstlingswerke nur in dem Negativen mit Lessings
späteren dichterischen Versuchen überein: daß der mit scharfem,
durchdringendem Intellekt begabte Verfasser an Erfindungskraft arm
war, daß seine Phantasie lahme Schwingen hatte.
Drei andere Jugendkomödien: „Der junge Gelehrte", „Der Frei-
geist" und „Die Juden" zeigen formell dieselbe unpersönliche Hand-
schrift, aber gehaltlich offenbaren sie den selbständigen, mutigen
Bekenner, und dieser Gehalt beeinflußt schließlich auch die Form
Schon sein frühestes, in Meißen bereits begonnenes Lustspiel „Der
junge Gelehrte", das 1748 die Neuberin mit großem Erfolg aufführte,
ist ein Bekenntnis. Er wendet sich in der Hauptfigur Damis gegen
die Pedanterie und den Dünkel eines lebensfremden Gelehrtentums;
daß er Damis auch noch zum heuchlerischen Dummkopf macht, ist
ein Übermaß, das der Tradition der lasterhaften Charakterkomödie
entspricht. Der eifrige Bücherleser Lessing war selbst gleich seinem
Helden in Gefahr, über den Büchern das Leben zu vergessen, er
wäre aber nicht jener männlichste Charakter unserer Literatur, wenn
er nicht entschlossen die Bücher beiseitegeworfen hätte, um sich
im Strom der Welt zu bilden. Damis ist die Puppenschale, der der
Schmetterling Lessing entschlüpft, um jenes Gegenspieler Valer
gleich zu werden, von dem der gespreizte Hohlkopf abschätzig be-
richtet: „Er hat seit einigen Jahren die Bücher beiseite gelegt: er
hat sich das Vorurteil in den Kopf setzen lassen, daß man sich
vollends durch den Umgang und durch die Kenntnis der Welt
geschickt machen müsse, dem Staate nützliche Dienste zu leisten".
Bei dem Ekel vor dem toten Bücherwissen und dem Drang, das
Leben zu fassen, das Leben zu leben, drängt sich dem jungen
Lessing bereits der Vergleich mit dem Faust der Volksdichtung auf,
so daß wir wiederholt Anspielungen darauf begegnen. Gegenüber
diesem persönlichen Erlebnisgehalt wirkt die Technik doppelt un-
beholfen. Sie hebt sich aus der international begründeten Tradition
der sächsischen Komödie nur durch die Frische der Situations-
komik und die witzige Dialektik des Dialogs, der schon — allerdings
auch nur — die Klaue des Löwen zeigt. Die Hauptvorbilder der
Komödie sind Holberg und Destouches, deren Vereinigung, gestärkt
durch Beimischungen aus Moliere, Marivaux und Plautus, bereits die
Grundlage zu jener, heitere und ernste Elemente j^aarenden Misch-
komödie andeutet, die später in „Minna von Barnhelm" ihren Gipfel
erreichen sollte. Zwischen den Personen, etwa von Juliane Gellert-
scher Abstammung zu Minna, von dem Holbergischen Anton zu Just,
ist allerdings noch ein weiter Weg, und nur die Lisette steht der
Franziska näher. Aber bedeutsam für den späteren Dichter unseres
iJer junge Lessing und Chr. F. Weiße: Lessing: Jugendkomödien. 171
ersten Lustspiels mit deutschem Nationalgehalt ist, daß er bereits hier
die antinationale, kosmopolitische Neigung des Aftergelehrten geißelt.
Auch der „Freigeist" (1749), ein Lustspiel in fünf Aufzügen, ist
ein Bekenntnis, zugleich aber auch eine captatio benevolentiae des
Vaters. Der alte Kamenzer Pastor konnte es nicht verstehen, daß
sein Sohn unter die Rotte Korah der Komödienschreiber ging, von
denen ihm sein Neffe Mylius allerdings keinen erfreulichen Ein-
druck geben konnte. Da will ihm sein Sohn an einem praktischen
Beispiele zeigen, daß ein Komödienschreiber ein Mensch ist, „der die
Laster auf ihrer lächerlichen Seite schildert"; und in demselben Briefe
(April 1749) kündigt er ihm hypothetisch eine Komödie an „auf die
Freigeister und die Verächter Ihres Standes". Auch bei dieser Ab-
sicht verleugnet Lessing nicht seine Überzeugung. Wohl läßt er den
Freigeist Adrast durch den Theologen Theophan bekehren, aber nicht
etwa von dem Freigeistertum überhaupt, sondern von seiner lächer-
lichen Seite, seiner unduldsamen Selbstüberhebung. Den platten
Rationalismus, der zugunsten nüchterner Verstandeserklärung alles
religiöse Erleben leugnet, lehnt er ab, aber ebenso entfernt er sich
weit von jener bei Geliert beobachteten moralisierenden Auffassung,
daß jeder Freigeist zugleich auch ein törichter, lasterhafter Heuchler
sei. Adrast ist ,, voller tugendhafter Gesinnungen", wie schon der
erste Entwurf ausdrücklich hervorhebt. Aber auch Theophan bringt
ihn von seiner Verachtung und Unduldsamkeit gegenüber den Gläu-
bigen nicht etwa durch dogmatische Beweisgründe ab, sondern durch
eine vorbildlich edle, menschenfreundliche Lebensführung. Nicht die
Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft beweist seine Tugend, son-
dern ihre Betätigung und Bewährung im Leben. In beiden Lagern
gibt es minderwertige Exemplare, die das Urteil der Gegenseite zu
rechtfertigen scheinen: der gläubige Diener Martin des gläubigen
Theophan ist ein Dummkopf und der freigeistige Diener Anton des
freigeistigen Adrast ist ein Spitzbube. Daraus ergibt sich aber nur,
daß nicht das Glaubensbekenntnis den Wert des Menschen ausmacht,
sondern seine aktive sittliche Lebenshaltung.
Aus dieser Forderung des sittlichen Aktivismus spricht das Humani-
tätsideal Lessings, wie es in „Nathan dem Weisen" seine höchste Ver-
klärung findet. Ein weiterer Vorläufer dieser edelsten Toleranzdichtung
ist das Lustspiel ,,Die Juden" (1749). Lessing spricht sich selbst in
der späteren Vorrede über dessen Grundlage aus. „Es war das Re-
sultat einer sehr ernsthaften Betrachtung über die schimpfliche Unter-
drückung, in welcher ein Volk seufzen muß, das ein Christ, sollte
ich meinen, nicht ohne Art von Ehrerbietung betrachten kann. Aus
ihm, dachte ich, sind ehedem so viel Helden und Propheten auf-
gestanden und jetzo zweifelt man, ob ein ehrlicher Mensch unter
ihm anzutreffen sei? Meine Lust zum Theater war damals so groß,
daß sich alles, was mir in den Kopf kam, in eine Komödie ver-
j-72 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
wandelte. Ich bekam also gar bald den Einfall, zu versuchen, was
es für eine Wirkung auf der Bühne haben werde, wenn man dem
Volke die Tugend da zeigte, wo es sie ganz und gar nicht ver-
muthete". Im Mittelpunkt steht ein Reisender, der bei einem, von
schurkischen, als Juden verkleideten Christen ausgeführten Überfall
auf einen Gutsherrn diesen rettet und der sich schließlich, als ihm
der Gerettete zum Dank seine Tochter anverloben will, als Jude zu
erkennen gibt und dadurch den Antisemitismus des Barons, wie später
durch seine Großmut den seines Dieners, ins Wanken bringt. Die
Handlungsdurchführung ist durchaus ungeschickt und unwahrschein-
lich; der künstlerische Wert der Komödie ist gleich Null, und selbst
die Gestalt des jüdischen Reisenden ist in dessen übergroßer Zurück-
haltung, Scheu und Vorsicht im ganzen verfehlt. Dennoch ist das
Lustspiel für die Entwicklung und Darstellung von Lessings Huma-
nitätsideal von großer Bedeutung. Nie war vorher mit solchem Nach-
druck für die Toleranz gegenüber den verachteten Juden in der Lite-
ratur eingetreten worden. Bisher war vom Mittelalter her der Jude
in der komischen Literatur stets nur Karikatur, Objekt verlachen-
der Komik gewesen, die stets einer mehr oder minder starken anti-
semitischen Neigung ihr Dasein verdankte. Schon Erich Schmidt
weist darauf hin, daß Lessings Reisender „der erste gebildete Israelit
unserer Literatur, gleichzeitig mit den ersten gebildeten Israeliten im
deutschen Leben" ist.
b) Christian Felix Weiße.
Der Wert von Lessings Jugendkomödien liegt in ihrem persönlichen
Bekenntnischarakter. Dadurch fallen sie aus der Tradition der säch-
sischen Komödie heraus, deren Eigenart weit besser gewahrt bleibt
durch die Produktion von Lessings Jugendgefährten Christian Felix
Weiße. Die noch heute maßgebende Monographie über ihn hat uns
Jacob Minor gegeben in „Christian Felix Weiße und seine Bezie-
hungen zur deutschen Literatur des 1 8. Jahrhunderts" (1880). Ihr folgen
wir auch, wenn wir hier zum Schlüsse unserer Betrachtung der säch-
sischen Komödie deren wesentliche Züge aus einer Durchmusterung
von Weißes konventionellen Stücken zu erkennen* versuchen.
Weiße, der um drei Jahre ältere Genosse Lessings, beginnt seine
Komödienproduktion noch vor diesem. Der Stoff seiner einaktigen
Alexandrinerkomödie „Die Matrone von Ephesus" (1744) entstammt
dem Erzählungsschatze indischer Literatur. Der junge Weiße be-
kundete darin ein unbestreitbares Talent in der Dramatisierung einer
wirkungsvollen Anekdote und in der Versifizierung der Umgangs-
sprache. Er zeigt Witz und Begabung für dramatische Bühnenwir-
kung, die trotz ihrer mangelnden Übung doch schon so weit durch
seinen steten Besuch der Neuberschen Schaubühne geschärft ist, daß
sie hinter keinem zeitgenössischen Komödienschreiber zurückstehen
Der junge Lessing und Chr. F. Weiße: Christian P>lix Weiße. I73
muß. Andererseits zeigt diese Erstlingsarbeit ebensowenig wie die
ersten Lustspiele Lessings künstlerische Eigenheiten, die auf kommen-
des Neuland vorbereiteten. Der weiche Weiße und spätere brave
Steuereinnehmer war in keiner Weise Revolutionär. Er steht fest ver-
ankert in dem breiten, flachen Strome der Überlieferung.
Interessanter sind die ,, Poeten nach der Mode" (1751), weil hier
die übliche Heiratsintrige, wonach verblendete Eltern der vernünf-
tigen Tochter einen Mann aufnötigen wollen und durch das In-
trigenspiel zur Erkenntnis des Unwerts des eigenen Kandidaten
gebracht werden, mit einer Literatursatire verknüpft ist. Diese
zeigt Weiße als Unparteiischen in dem Kampf der Gottschedianer
und der Schweizer, der reimreichen platten Wasserdichter und der
dunklen seraphischen Feuerdichter. Die Parodie der feindlichen Lager
ist durch Reimreich, den Kandidaten des Vaters, und Dunkel, den
Kandidaten der Mutter, nicht schlecht geglückt, und wir erleben hier
jene Wirkung des theoretischen Literaturgezänks auf die Familie, von
der Goethe in ,, Dichtung und Wahrheit" berichtet. Dadurch erhält
das traditionelle zänkische Ehepaar als Grund der Entzweiung ein
literarisches Motiv. Valer aber ist der Vertreter gesunder ästhetischer
Anschauungen und erhält dadurch in sein typisches Bild des farb-
losen Liebhabers belebende Töne, um so mehr, da die Intrige nicht
wie gewöhnlich durch eine Lisette geführt wird, sondern er selbst
die treibende Kraft zur Verwirklichung seiner Herzenswünsche dar-
stellt. Auch seine Partnerin ist etwas lebhafter gezeichnet als sonst,
dadurch, daß sie die Soubrettentöne der diesmal abwesenden Lisette
erhielt.
Einen lebhaften Erfolg erzielte Weiße mit der „Haushälterin"
(zwischen 1758 und 1760). Das Thema ist der italienischen Spiel-
oper entnommen. Die geldgierige, mannstolle serva padrona und der
von ihr beherrschte trottlige, heiratslustige Pimpinone der opera ber-
nesca sind die Vorbilder der Haushälterin Kleonte und des alten
Geronte. Kleonte will das Vermögen des Geronte an sich reißen
und nimmt dazu den alten Filz mit in Kauf. Der aus der Fremde
zurückkehrende Sohn Valer durchkreuzt ihre Pläne, bringt sie zur
Flucht und erlangt selbst das tugendhafte Mündel Clarissa zur Frau.
Das Motiv des Heimkehrenden konnte Weiße ebensowohl aus den
lateinischen Komödien wie aus den romanhaften Verwicklungen der
Literatur seiner Zeit entnehmen. Ebensowenig originell ist das Motiv
von Valers Intrige, der die Entlarvung der Haushälterin herbeiführt,
indem er sich selbst in sie verliebt stellt. Wir erkennen daraus,
worauf schon Minor hingewiesen hat, die Verwandtschaft der Haus-
hälterin mit Lessings alter Jungfer, die beide den beliebten Typus
der mannstollen alten Jungfern repräsentieren. Die Bedienten Johann
und Christiane haben zwar die Intrigenführung an Valer, wie in den
„Poeten nach der Mode", abgeben müssen, sind aber nicht weniger
lyj. Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
vorlaut und dreist als ihre zahlreichen Vorbilder. Schließlich wird
die Abhängigkeit von der Tradition noch durch den mit Valer sich
in die Intrigenführung teilenden Arist bekundet, der der bekannte
wohlmeinende Onkel ist, wie ihn schon die Gottschedin als Wahr-
mund in der „Pietisterey" eingeführt hat. Wir sehen daraus, daß
Weiße mit dem ganzen Apparat traditioneller Lustspieltechnik arbeitet.
Dennoch darf der Fortschritt nicht zu gering angeschlagen werden,
daß bei ihm nicht länger die Bedienten die Träger der Handlung
sind. Dadurch wird diese von vornherein einheitlicher, indem die
Vorbedingungen gegeben sind, sie aus dem Charakter der Haupt-
personen abzuleiten. Die Handlung wird dramatisch wirksamer. Da
Weiße trotzdem versteht, die in der Intrige steckenden komischen
Motive theatralisch auszuwirken, so bekenne auch ich mich zu jenen
Gegnern Lessings, die entgegen dessen Urteil die ,, Haushälterin" für
Weißes bestes Lustspiel erklärten.
Traditioneller ist wieder „Ehrlich währt am längsten oder der Miß-
trauische gegen sichselbst" (1761). Der Titel schon erinnert uns an zahl-
reiche Vorläufer. Doch wieder beobachten wir bei Weiße eine Ände-
rung, die Verinnerlichung und Vertiefung bedeutet. Die Umbiegung
ist schon im Titel angedeutet. Arist ist nicht gegen andere miß-
trauisch, sondern gegen sich selbst, und wenn er seinen eigenen
Fähigkeiten nur schwer glauben kann, so glaubt er um so leichter
den anderen. Indem Weiße den Arist im Gegensatz zu den bisher
üblichen anmaßenden gelehrten Pedanten als schüchternen Gelehrten
zeichnet, hat er einen neuen Typus eingeführt, der bis zum Ende
des 19. Jahrhunderts eine beliebte Figur der komischen Literatur
bleibt. Da er sich selbst erniedrigt, muß er notwendigerweise die
anderen erhöhen. Der Charakter des Mißtrauischen wird daher mit
dem des Leichtgläubigen verbunden. Dadurch findet Weiße Gelegen-
heit, den Lessingschen Einakter „Dämon" in seine Komödie einzu-
beziehen. Arist-Damon hat seinen Gegenspieler in dem gerissenen
Freunde Kleanth-Leander, dem Weiße noch Züge des sittenlosen
Jean de France beimengt. Beide bewerben sich um die reiche Witwe;
diese ist aber bei Weiße zur Erweiterung der Handlung das Mündel
des Geronte, der, entsprechend dem Grobian des „Bookesbeutel", als
Anhänger des billigen und bequemen Alten mit seiner neuerungs-
süchtigen Frau den bekannten Typus des zänkischen Ehepaars bildet.
Nach dem Grundsatz: Wer sich selbst erniedrigt, soll erhöhet werden,
erhält schließlich Arist doch noch trotz aller Hindernisse die Hand
der begehrten Witwe.
Die Komödie „Die unerwartete Zusammenkunft oder der Natu-
raliensammler" (1764) arbeitet stärker als ihre Vorgängerinnen mit
den in der Rührkomödie beliebten romanhaften Verwicklungen. Im
Mittelpunkt steht ein Frauenideal: Henriette. Als Neuerung gegenüber
Geliert wird hier der Ton auf die Hausfrauentugenden gelegt, die
Der junge Lessing und Chr. F. Weiße: Christian Felix Weiße. I75
Hand in Hand mit unbedingter Moral gehen. Wir werden dadurch
noch mehr als bisher ins Innere der Bürgerhäuser geführt. Bürger-
liche Moral und Sitte geben die Atmosphäre. Da darf denn auch
nicht die Gestalt des groben Wahrheitsverkündigers in dem alten
Wahrmund fehlen. Der Naturaliensammler scheint nur deshalb mit
der Sammelwut behaftet, um ein Objekt für Wahrmunds Derbheiten
zu bilden. Aber dieser grobe Freund hat natürlich trotz seiner rauhen
Schale den bekannten guten Kern und ist daher den moralischen
Lehren der gut bürgerlichen Henriette zugänglich, so daß auch hier die
Tugend belohnt und das Mädchen von ihrem GeHebten heimgeführt wird.
In der äußeren Form ist ein Fortschritt darin zu gewahren, daß alle
Personen des Stückes, nicht nur die Bedienten, deutsche Namen tragen.
Wieder sächsische Lachkomödie ist ,,Der Projektenmacher" (1764).
Der Titelheld ist eine Kreuzung aus Schlegels ,,Geschäfftigem Müssig-
gänger" und Lessings , Jungem Gelehrten". Minor setzt ihn unseren
Sozialdemokraten gleich, heute würde er wahrscheinlich weiter nach
links greifen. Die Verwandtschaft mit Lessings „Jungem Gelehrten"
besteht nicht nur, wie die mit Schlegels Komödie, in dem Charakter
des Titelhelden, sondern in einer ganzen Reihe von Einzelzügen.
Wie der junge Gelehrte Damis in dem lateinische Sentenzen reden-
den Chrysander einen Abklatsch seiner pedantischen Aftergelehrsam-
keit neben sich hat, so bei Weiße der „Projektenmacher" Klean th in
dem Weltverbesserer Geronte. Arist entspricht Valer, Isabella der
gehorsamen, tugend vollen Juliane. Weiße hat die Personenzahl des
Stückes noch vermehrt, indem er an Stelle der typischen beiden Be-
dienten deren vier aufnimmt und außerdem als Intrigenführer einen
Bruder Isabellens, Dämon, nach dem Vorbilde lateinischer Komödien
erfindet. Die angezettelte Intrige gipfelt darin, daß dem Projekten-
macher ein Wäschermädchen als Gräfin vorgeführt wird und er derent-
wegen auf Isabella verzichtet. Dieses Verkleidungsmotiv ist in Hol-
bergs ,,Jean de France" vorgebildet, in männlichem Geschlecht er-
scheint es nach dem Vorgange Molieres bei Christian Weise und
Reuter sowie in Lessings „Alter Jungfer". An Lessings „Juden"
klingt das Motiv der gestohlenen Dose an.
Ein neues dramatisches Genre meldet sich in „Amalia" (1765) an.
Lessing urteilt darüber im 20. Stück der Hamburger Dramaturgie:
,, Amalia wird von Kennern für das beste Lustspiel dieses Dichters ge-
halten. Es hat auch wirklich mehr Interesse, ausgeführte Charaktere
und einen lebhaftem gedankenreichen Dialog als seine übrigen
komischen Stücke". Die „Amalia" ist ein rührendes Lustspiel, wie
es etwa de la Chaussees „Melanide" ist. Die Zugehörigkeit zur Lust-
spielgattung ist wesentlich negativ bestimmt durch die Abwesenheit
tragischer Form und Technik. Die Lustspieltechnik ist hier in den
Dienst eines neuen Genres gestellt, das Lessing mit seiner „Miß Sara
Sampson" zehn Jahre vorher in Deutschland eingeführt hatte: desbürger-
lj() Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
liehen Dramas. Wie Lessing, so führt uns auch Weiße ein englisches
Milieu vor und beweist damit seine Unfähigkeit, seiner fortgeschrittenen
Zeit den Puls zu fühlen. 1755 war das deutsche Bürgertum innerlich und
äußerlich noch nicht so erstarkt, um Träger tragischer Spannung zu
sein. Aber es ging mit Riesenschritten voran. Und Weiße versuchte ja
keine tragische Auswertung, er wollte ja nur rühren. So gut wie Geliert
hätte er daher in Deutschland bleiben können. Weiße ist Nachfühler.
Lessings Engländerstück mit bürgerlicher Familienmoral hatte sich be-
währt, so wagte er es auch nun nach zehn Jahren, dessen Form für
die eingebürgerte Rührkomödie zu verwenden. Den Inhalt gibt die
Lösung eines Pflichtproblems in der Form des Graf- von -Gleichen-
Motivs, das hiermit zum ersten Male in die neue deutsche Literatur
eintritt und dann über Goethes „Stella" das 19. Jahrhundert immer
wieder beschäftigt. Der lebenslustige Freemann hat Amalie verlassen,
um mit Sophien, der Mutter seines Kindes, in Bristol zu leben. Amalie
folgt nach bekanntem Muster in Manneskleidern dem Geliebten und
erprobt als skrupelloser Verführer ihre Nebenbuhlerin. Da diese die
Probe besteht, entsagt die tugendreiche Amalie, und zur eigenen Be-
lohnung reicht ihr der Konfident die Hand. Dieser Vertraute ist an
Stelle des früher üblichen Bedienten das Mundstück des Dichters, um
die Absichten und Pläne, das innere Geschehen, wenn nicht zu ver-
anschaulichen, so doch zu verlautbaren. Entsprechend Lessings ,,Sara"
spielt auch Weißes Stück in einem neutralen Gasthofe, dessen Wirt
Tricks und die kupplerische Wirtin Träger der Komik sein sollen, aber
trotzdem das bürgerliche Drama nicht zum Lustspiel zu gestalten ver-
mögen. Nicht nur der äußere Rahmen, Einzelzüge wie die Moores
„Gamester" entlehnte Spielleidenschaft, die ganze Atmosphäre ist der
englischen Literatur entnommen. Auch hier ist Richardson der Ahn-
herr. Weißes Begabung für natürliche Dialogführung hat in dem
beabsichtigten Moralsalbaderton ihr wirksamstes Hemmnis: ,,Und was
für eine Quelle unaussprechlicher Freuden sind nicht Handlungen,
durch die wir andere auf der Welt glücklich machen". In diesen
Worten des Titelhelden erkennen wir wieder den Zusammenhang des
bürgerlichen Dramas mit der Rührkomödie.
In seinem nächsten Stück „Die Freundschaft auf der Probe" (1767)
hat Weiße einen neuen Typus in das deutsche Lustspiel eingeführt: die
Figur der naiven Wilden. Naive waren, wie uns Schlüchterers Disser-
tation belehrt, auch schon früher aufgetreten. Schon Gryphius' Dorn-
rose trägt diesen Charakter, stärker Weises Ouantitas im ,, Bäuerischen
Macchiavellus". Vor allem aber hat Molieres Agnes aus der „Ecole
des Femmes" auf die deutsche Komödie weiter gewirkt. Die bisherigen
bedeutendsten Vertreterinnen des Typus sind Susanne in Borkensteins
„Bookesbeutel", Gellerts Christinchen und Schlegels Charlotte. Ihr
gemeinsamer Grundzug ist naive Unwissenheit, die sich gerade in
Liebesangelegenheiten kundgibt. Ihnen stehen als Kontrastfiguren
Der junge Lessing und Chr. F. Weiße: Christian Felix Weiße. 177
Frauenideale der Aufklärung gegenüber. Von Borkensteins Susanne
bis Gellerts Christinchen liegt allerdings bereits eine Entwicklung.
Susanne ist streng rationalistisch als negatives Ideal gefaßt, und daher
entspricht ihrer intellektuellen Unwissenheit sittliche Verkommenheit,
Christinchen dagegen ist bereits Tochter der empfindsamen Epoche,
die das gute Herz anerkennt, wenn auch der Verstand infolge mangel-
hafter Erziehung sich nicht voll entfaltet hat. Es macht sich darin
der Wandel sittlicher Anschauungen in der Aufklärung geltend, der
durch Shaftesburys Virtuositätsmoral bedingt ist. Sittliches Handeln
ist nicht länger der Ausfluß entwickelter Verstandestätigkeit, seine
Grundlage ist das Gefühl. Der moral sense ist unabhängig von ver-
standesmäßiger Erkenntnis. Sittlichkeit ist natürliches Gefühl des
Menschen, unabhängig von dem gesellschaftlichen Zusammenhang,
in dem er lebt, unabhängig von Zivilisation. In England nehmen
die moralischen Wochenschriften sofort das Thema auf, und wir lesen
bereits im ii. Stück des Spectator die rührende Geschichte von „Inkle
und Yariko", die bis ins 19. Jahrhundert ihre Nachwirkungen in der
deutschen Literatur zeitigt. Diese Erzählung ist somit eine um zehn
Jahre ältere Vorläuferin von Defoes „Robinson", dessen zahllose Nach-
ahmungen ja ebenfalls Deutschland und die ganze Welt über-
schwemmten. Für unsere Figur der naiven Wilden ist aber die
,, Yariko" der kleinen Erzählung das Vorbild. Sie ist das Muster-
beispiel, wie ein von Zivilisation unbeleckter Wilder rein durch sein
natürliches Gefühl dem Vertreter der Kultur weit überlegen ist. „Wir
Wilden sind doch bessere Menschen".
Im Laufe des 18. Jahrhunderts tritt nun das Gefühl immer mehr
in den Vordergrund und wird schließlich, wie für die Sittlichkeit, auch
für die Erkenntnis der letzte bestimmende Urgrund. Diese Über-
zeugung wird seit der Mitte des Jahrhunderts vor allem von Rousseau
verkündet. Bereits 1751 kündigt ihn Lessing „voll heimlicher Ehr-
furcht" an, nachdem eben erst sein „Discours sur les sciences et les
arts" erschienen war. Wir erkennen daraus nicht nur Lessings scharfes
Witterungsvermögen für bedeutsames Neues, sondern mehr noch die
Bereitschaft des Bodens, die Ideen Rousseaus aufzunehmen. Rousseau
stellt dem gebildeten Menschen den natürlichen gegenüber und zeigt,
wie der von Natur aus gute Mensch durch die Zivilisation degeneriert.
Was spielerisch in der Schäferdichtung angedeutet war, wird jetzt
vollbewußt betont; Natur ist die Vollkommenheit, Kultur ist Barbarei.
Die Entwicklung des Menschen muß nicht durch den Intellekt er-
folgen, sondern ausgehen vom Boden des natürlichen Gefühls. Den
dichterisch reifsten Ausdruck dafür fand Rousseau in seinem stark
durch Richardson beeinflußten Roman der „Nouvelle Heloise" von
1761. In der Kritik der bestehenden Zustände geht er zusammen mit
seinem Antipoden Voltaire, der, ebenfalls den Intellektualismus zurück-
weisend, das sittliche Gefühl als dem Menschen angeboren erklärt.
Holl, Lustspiel. 12
lyS Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
So macht auch er einen Wilden, einen Huronen 1767 zum Helden
seines Romans „L'ingenu", um seine Anklagen gegen Europa zu
schleudern. Auch seine Worte finden, wie die Rousseaus, sofortigen
Widerhall in Deutschland.
Den ersten Niederschlag dieser Überzeugung von einer unbe-
fleckten Natürlichkeit, der eine naive Wilde Ausdruck verleiht, finden
wir in Weißes Lustspiel „Die Freundschaft auf der Probe". Die
Fabel von „Inkle und Yariko" war schon seit 1739, als sie die Gott-
schedin verdeutschte, ein Lieblingsthema geworden: Eine Wilde rettet
einen Europäer aus dem Schiffbruch und muß dann, als sie ihm nach
dem fremden Europa folgt, erfahren, wie dieser Vertreter sogenannter
höherer Kultur ihre Liebe treulos verrät. Im Jahre 1764 hat Chamfort
das Thema zum ersten Male in einer Komödie ,,La jeune Indienne"
behandelt, die Pfefi'el 1766 ins Deutsche überträgt. Chr. F. Weilte
lieferte im folgenden Jahre das erste Originallustspiel darüber, wobei
er allerdings auch wieder den Stoff einem Franzosen entlehnte, den
„Contes moraux" des Marmontel. Die Hauptfigur seines Lustspiels
ist Corally, der Typus der naiven Wilden, von der Minor erklärt:
„Trotz alledem aber bleibt die naive heißblütige Indianerin die beste
Frauengestalt, welche Weiße (allerdings nach fremden, festgezeich-
neten Grundstrichen) dargestellt hat". Wie Rousseaus Julie, deren
Name von Weiße für die Beraterin seiner Heldin übernommen ist, so
wird auch Corally zwischen Pflicht und Neigung hin- und hergerissen.
Die Naivität der Wilden folgt dem ursprünglichen Gefühl; Corally
hängt sich, ungeachtet sie ßlandford verlobt ist, dessen treuem Freund
Nelson an den Hals. Sie kennt nur Natur, nicht Konvention. Das
Problem wird dadurch verwickelt, daß auch Nelson für sie in Leiden-
schaft entbrennt, aber dem Freunde unbedingt die Treue bewahren
möchte. Auch hierin wirkt Rousseaus Vorbild nach. Das komische
Element erwächst hauptsächlich auf dem Boden unkonventioneller
Offenheit Corallys; weiterer Träger der Komik ist die traditionelle
Figur des aufdringlichen Woodbe. Die Lösung findet Weiße trivial
genug, indem er Corally mit Nelson und dessen Schwester Julie mit
Blandford verbindet. So dürfen, wie am Schlüsse der „Amalia",
zwei Paare den gerührten Zuschauern für ihren Beifall danken.
Die Betrachtung anderer Komödien Weißes erübrigt sich, sie führen
weder dem bestehenden Bilde neue Züge zu, noch zeigen sie irgend-
wie deutlicher das Traditionsgut der sächsischen Komödie. Weißes
Lustspielproduktion ist typisch und spiegelt die gesamte Entwicklung
von Gottsched bis Lessings „Minna von Barnhelm". Dichterisch-
schöpferische Eigenart besitzt Weiße nicht. Seine Stärke beruht in
einer flüssigen Handhabung des Dialogs, ohne aber Lessings dialek-
tische Schärfe, noch gefühlsbetonte Innerlichkeit zu erreichen. Im
Grunde gibt er banale Prosa mit witzigen Pointen. Er ist ausgegangen
von Lessings Jugendlustspielen; als er nach langer Unterbrechung
Lessings „Minna von Barnhelm". I79
der Produktion 1783 seine Werke nochmals sammelt und, im Dialoge
umredigiert, neu herausgibt, muß er in der Vorrede gestehen: „Seit
der Zeit — als er 1744 mit Lessing die Leipziger Universität bezog —
haben wir von beiden Seiten unsere Kräfte versucht. Er, der mit
größern ausgerüstet war, ist mir zuvorgekommen".
Wenn auch Weiße in einer Geschichte des Lustspiels stets be-
handelt werden muß, seine Hauptbedeutung liegt auf anderem, aller-
dingsverwandtem Gebiet. Er ist mit „Der Teufel ist los" (nach Coffey's
„The devil to pay") 1752 trotz der Gegnerschaft Gottscheds der Neu-
gründer des deutschen Singspiels, der Operette geworden; noch heute
sind Gesangseinlagen seiner weiteren Singspiele ,,Lottchen am Hofe",
„Die Liebe auf dem Lande", „Walder" lebendig.
6. LESSINGS „MINNA VON BARNHELM".
Die sächsische Komödie macht den Weg von der Posse zum Rühr-
stück. Gerade Chr. F. Weiße zeigt diese Entwicklung deutlich. Der
Gipfel der deutschen Rührkomödie ist in seiner „Amaha" erreicht, die
nicht nur stofflich, sondern vor allem ihrem ganzen Gefühlsgehalte nach
Nivelle de la Chaussees „Melanide" gleicht. Rührung als Endzweck
des Dramas kann aber nie die tiefen, reinen Wirkungen des Humors
erreichen. Sie bedeutet stets eine Schwächung des Dramas in seinem
Wesenhaften. Jedes Drama, ob Trauerspiel oder Lustspiel, sei sein
Träger willensstark oder willensschwach, ist ein Kampf, in dem Kräfte
aufeinanderprallen und Lösung suchen, sei es in tragischem oder
humorischem Sinne. Die Rührung aber duldet kein freies Kräftespiel.
Rührung und Kraft sind unversöhnliche Gegensätze. Die Rührung
entkräftet, sie erstrebt das liebe Mittelmaß. Die dem Drama not-
wendige Spannung erzielt sie nicht durch Stoß und Gegenstoß von
Kraftauswirkungen, sondern durch romanhafte Verwicklungen. Ihr
Wesen ist nicht dramatisch, sondern episch. Alle Rührstücke zielen
daher auf stoffliche Anregung, nicht auf dynamische Erregung. Und
damit die stoffliche Anregung in einer möglichst großen Zahl von
Zuschauern die der Rührung notwendige weiche Gefühlsstimmung
erzeugt, muß sie im Umkreis mittelmäßiger Alltäglichkeit bleiben,
sie darf die Grenzen nach oben und unten nicht überschreiten. Die
Wirkung geht ins Breite, nicht ins Tiefe. Das Rührstück, so sehr
es auch immer wieder bei der großen Masse Anklang findet, ist stets
kleinlich, ja gerade dieser Charakter ist wohl nicht die letzte Ursache
seines Massenerfolges.
Eine andere Ursache aber für seine damalige Beliebtheit liegt
darin, daß die Masse der bürgerlichen Theaterbesucher in seiner senti-
mentalen Aufmachung das vertraute eigene Milieu zu erkennen glaubte.
Obwohl nun die Rührkomödie von erstarktem Bürgerbewußtsein ge-
tragen ist, so ist sie doch noch weit entfernt von ursprünglich bürger-
lich-demokratischem Wesen. Sie ist die Dramatisierung des Wirtschaft-
l3o Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie.
lieh hochgekommenen Bürgerstandes, der, wie Louis Riccoboni in
seinem Brief an Muratori vom 30. Mai 1737 ausführt, sozial zu hoch
steht für den komischen Soccus und zu tief für den tragischen Ko-
thurn. Aber dieser Bürgerstand wird nur seiner äußeren Kleidung
nach dargestellt. Sein Denken, Sprechen und Handeln entstammt
nicht Motiven, die ihm als sozialem Stande eignen, sondern ist dialogi-
sierter Niederschlag der Aufklärung. Die dargestellten Bürger sind
nicht Vertreter ihres Standes, sondern der Aufklärung, deren Bedeu-
tung für die Lebensbezüge der Bürgerfamihe in allgemeingültigen, in
typischen Regeln ausgesprochen wird. Diderot hat wohl den Weg
gewiesen von den üblichen Maskentypen zu Standestypen und dadurch
mehr als andere realistische Darstellungskunst vorbereitet. Niemand
hat dies früher erkannt und anerkannt in Deutschland als Lessing.
Doch eben weil Diderot Standes Vertreter fordert, stellt er alle Mittel
realistischer Beobachtung in den Dienst dieser Forderung und strebt
nicht nach Darstellung individueller Gegenwartsmenschen.
Hier setzt Lessing ein. Schon 1754 hatte er, damals Geliert noch
nahestehend, im Anschluß an dessen Abhandlung über die Rühr-
komödie erklärt: „Ich getraue mir zu behaupten, daß nur dieses allein
wahre Komödien sind, welche sowohl Tugenden als Laster, sowohl
Anständigkeit als Ungereimtheit schildern, weil sie eben durch diese
Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben am nächsten
kommen".^/,, Das Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das
weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beydes"^''
Damit folgt Lessing den Anschauungen Voltaires, der die ästhetischen
Konsequenzen N. de la Chaussees zurückgewiesen und in dem Vor-
worte seiner „Nanine" sich für die Mischgattung erklärt hatte: „La
comedie peut donc se passionner, s'emporter, s'attendrir pourvu qu'en-
suite eile fasse rire les honnetes gens". Diese Mischung war seit den
vierziger Jahren immer wieder gepflegt worden. Doch es war nie zu
einer innerlichen Durchdringung der widerstrebenden Elemente ge-
kommen. Neben komischen, burlesken, possenhaften Zügen und
Szenen standen solche rührender und rührseliger Natur. Es ist Les-
sings Verdienst, in seiner „Minna von Barnhelm" dies bisherige physi-
kalische Gemenge zur chemischen Verbindung überführt zu haben.
Komik und Rührung sind nicht länger wesensverschieden und nur in
berechnender W^irkungsabsicht einander zugesellt, es sind Äußerungen
desselben Wesens, verschiedene Seiten desselben Dings, Blüten der-
selben Wurzel. • Damit aber ist Lessing gelungen, was kein anderer
vor ihm erreicht hat: Gestaltung von Humor, jenes Weltgefühls, von
dem der Aesthetiker Fr. Th. Vischer sagt: „Diese Rührung, die durch
das Lachen selbst hindurchschimmert, ja wohl Tränen und Lächeln
in einem Momente verbindet, ist das Charakteristische des Humors".
Lessing gelang diese humorische Gestaltung, indem er den Ge-
halt seiner eigenen Persönlichkeit seinem Lustspiele zugrunde legte.
Lessings „Minna von Barnhelm". l8l
indem er aus seinem eigenen seelischen Gehalte heraus die Menschen
seines Lustspiels und ihre gegenseitigen Bezüge formte. Was wir
bisher an Lustspielen des i8. Jahrhunderts betrachteten war Mache,
wie es etwa auch die Komödien von Benedix sind. /,Minna von Bam-
helm" ist Schöpfung. Sie ist nicht mehr nur Ergebnis berechnenden
Verstandes, sie ist geboren aus innerem Erlebnis, Ausdruck eines
neuen Lebensgefühls. /Deutscher Kunstanschauung hatte Winckel-
mann, in entschlossener Formulierung unbestimmter Zeitahnungen,
1755 das aller Rührseligkeit absagende herbe Richtwort geprägt:
„Edle Einfalt und stille Größe". Lessing fand damit sein Lebens-
wie sein Kunstideal ausgesprochen. Seine PersönHchkeit ist bestimmt
durch den sittlichen Optimismus, der sich auf dem Boden rationalisti-
scher Weltanschauung entwickelt hat. Dieser Charakter hat sich aber
in dem Strom der Welt gebildet. Leidenschaftliche Anteilnahme am
Geschehen, an den geistigen Strömungen seiner Zeit ist ein hervor-
stechendes Kennzeichen Lessings.
Das wichtigste Ereignis um die Mitte des 18. Jahrhunderts für die
Erweckung und Förderung deutschen Nationalbewußtseins ist der
Siebenjährige Krieg, in dem ein kleiner deutscher Staat sich im Kampf
mit ganz Europa siegreich behauptet./ Dieses Erleben gibt bedeut-
samsten Anstoß zur Entwicklung des Gefühls des Staatsbürgertums,
des Nationalpatriotismus. Klopstock ist der erste gewesen, in dem
das deutsche Nationalgefühl flammend ausbricht. Das Erlebnis seines
Gefühls, aus der Sehnsucht geboren, stößt sich aber hart im Räume
der nüchternen, kläglichen Wirldichkeit. Er flüchtet daher zur Ver-
anschauhchung seines idealen Inhalts in ideale Ferne urchristlicher
und altgermanischer Zeiten. Lessing dagegen läßt im Anschluß an
den Siebenjährigen Krieg das gleiche Erlebnis deutschen Nationalbe-
wußtseins Tat werden, indem er es in der Gegenwart gestaltet, indem
er diese Gegenwart selbst als Schauplatz nationalen Fühlens dar-
stellt. Seine „Minna von Barnhelm" ist die Verkündigung und Ver-
körperung des deutschen Volksbewußtseins, der deutschen Natio-
nalitätsidee der damaligen Zeit. Schon Goethe hat nachdrücklichst
an bekannter Stelle von „Dichtung und Wahrheit" diese große Be-
deutung hervorgehoben.
Lessing ist weit entfernt davon, etwa, wie es in seiner Zeit üblich
war, fritzische Gesinnung mit lauten Ruhmesworten zu betätigen oder
gar den Krieg zu verherrlichen. Sein Stück spielt nach dem Kriege,
im Frieden, und der große König blickt nur von ferne ins heiter-ernste
Spiel. Seine Bewunderung des Preußenkönigs kommt direkt nur in
dem schlichten Worte der sächsischen Gegnerin — darum ist es um
so wirkungsvoller — Minna zum Ausdruck, daß der große Mann auch
ein guter Mann sei. Auch darin bekundet sich Lessings sittlicher
Individualismus, der über das patriotische Gefühl das Humanitätsideal
stellt, der die Ausbildung des sittlichen Menschen sich als oberstes
l82 Achtzehntes Jahrhundert : Die Sächsische Komödie.
Ziel setzt. Er versucht keine Darstellung von sozialen Lebenspro-
blemen, sondern von individuellen Vertretern sittlichen Menschen-
tums. Lessings ethischer Optimismus gibt den Gehalt, seine scharf-
gespitzte Dialektik, wie er sie in seinen Prosaschriften übt, die Form.
Ebensowenig wie daher die Sprache seiner Personen naturalistische
Sprechweise ist, ist der Gehalt aus Leidenschaft, aus reinem Gefühl
geboren; er gründet in sittlichen Überlegungen und Überzeugungen.
Der Untertitel „Soldatenglück" ist weniger treffend als der Titel
einer englischen Übersetzung von 1799: „The School of Honour".
Ethischer Rationalismus gestaltet die Menschen, ihre Handlungen,
ihre Beziehungen. Hier ist der Wandel zu verspüren, den nach
Lessings Überzeugung Diderot herbeigeführt hatte. Selbst Arthur
Böhtlingk, der energische Verfechter der Ansicht, daß Lessing in
erster Linie shakespearisch arbeite, daß ,, Minna von Barnhelm" shake-
spearischen Dramen, wie „Hamlet", „Der Kaufmann von Venedig",
„Othello", nachgearbeitet sei — womit er zweifellos der Deutung von
Tellheims Charakter durch den Hinweis auf den Mohren von Venedig,
von Minnas Ringgeschichte durch die Parallele mit der Porzias
wertvolle Hinweise gegeben hat — , betont mit allem Nachdruck, daß
Lessing, durch Diderots Theorie verleitet, das shakespearische Ideal
verkleinbürgerlicht habe.
Doch darf über der allzu edelmütigen Tugendhaftigkeit von Lessings
Helden nicht außer acht gelassen werden, daß des Dichters starke
Persönlichkeit über Diderots bürgerlich-ständisches Sittenstück weiter-
schreitet zur individuellen Ciiarakterkomödie. Der Mensch der Auf-
klärung wird geleitet von moralischem Gefühl. Er ist in erster Linie
moralisches Individuum. Aber er muß auch der Tatsache Rechnung
tragen, daß er in eine Umwelt hineingestellt ist. Diese zu erkennen
und durch die Erkenntnis sich mit den Lebenswirklichkeiten abzu-
finden, ward ihm der Verstand. Seine Existenz in der Welt der Reali-
-^ täten mit seinem moralischen Wollen in Einklang zu bringen, ist die
Aufgabe seines Verstandes. Tellheim läßt es daran fehlen. Seine
moralische Haltung ist tadellos. Aber er läßt sich in seiner Lebens-
einstellung nicht von der verstandesmäßigen Rücksicht auf die Tat-
sachen des Lebens leiten, sondern mißt auch diese an seinem mora-
lischen Gefühl. Damit verlangt er von der Welt, die auch nach Leibniz
nur unter möglichen die beste ist, rnehr^^als. die Gebrechlichkeit alles
Irdischen zu geben vermag. Sein moralisches Gefühl verdunkelt seinen
Verstand. Er gerät somit in eine schiefe Stellung zur Welt und wird
dadurch Objekt der Komik. Wir erkennen zugleich aber, wie nahe
diese Komik der Tragik verwandt ist, die Dilthey in ihrer typischen
Ausprägung durch Lessing aufgezeigt hat als Gegensatz eines sitt-
lichen Affekts zur umgebenden Welt. Dieser gleiche Kontrast gebiert
Tellheims Komik, die zugleich das Grundgesetz jeder humorischen
Komik aufweist: ein Relatives für ein Absolutes anzusehn.
Lessings „Minna von Barnhelm". I83
Verstandesmäßige Einstellung auf die Lebensnotwendigkeiten
braucht natürlich nicht das sittliche Gefühl zu verleugnen. Doch muß
die richtige Spannung gewahrt werden. Bei Tellheim aber ist der^
sittliche Affekt überspannt. Tellheim ist Soldat, ist Offizier der preu-
ßischen Armee, deren stärkste Stützen der Ehrbegriff des Einzelnen,
die Subordination des Einzelnen unter das Ganze und die diese selbst-
entäußernde Unterordnung allein ermöglichende Überzeugung von
der alles und alle ordnenden Gerechtigkeit sind. Wir erkennen hieraus,
daß das Soldatenmilieu für Lessing nicht Selbstzweck ist. Er hätte
sonst wohl auch besser die dargestellten Soldaten nicht in der ihnen
feindlichen Friedensatmosphäre gezeigt, sondern in waffenklirrendem
Krieg. Der Soldatenstand ist für den Humanitätsgläubigen nur Mittel
zum Zweck. Er zeigt, wie ein an sich berechtigter sittlicher Affekt
in der Ausprägung durch eine bestimmte Standestradition Unrecht
werden kann, da er das menschliche Gefühl verletzt. /Der überspannte
soldatische Ehrbegriff Tellheims gefährdet die aus dem menschlichen
Gefühl der Liebe sich ergebenden Pflichten gegenüber Minna. Da
er aber an sich positiv wertvoll ist und nur seine Maßlosigkeit die
beschränkende, bindende Gewalt alles Irdischen zur Anschauung
bringt, da er also die Ursache einer lustbetonten Erkenntnis der Rela-
tivität aller Erscheinungen ist, so steht sein Träger im Lichte ernst-
heiteren Humors. >/
Darstellung und Erziehung des Tellheimschen Ehrbegriffs ist die A
innere Handlung des Stückes. Tellheims steifes, soldatisch-ständisches
Ehrgefühl, das hart an grillenhaften Eigensinn grenzt, erhält seinen
ersten Stoß in der Szene mit dem treuen Wachtmeister Werner (III, 7),
dessen hilfsbereites Geldangebot er ablehnen will, weshalb er sich
von seinem Wachtmeister belehren lassen muß, was Kameradschaft
bedeutet. Eine weitere Lockerung erfährt die starre Konvention durch
die Erkenntnis (IV, 6), daß er, Othello gleich, wie ein Abenteurer in
fremde Dienste sich vermietet hat, also ohne den sittlichen Beweggrund
der Vaterlandsliebe. (Wir hören aus diesen Worten den weltbürger-
lichen Humanitätsphilosophen der Aufklärung.) Und schließlich stürzt
die Nachricht von Minnas Unglück (IV, 7) alle noch widerstrebenden
Bedenken. Menschlichkeit besiegt alle ständische Konvention. Nun
sind alle Zweifel behoben. Tellheim steht bei Minna. Der Schluß ist
äußere Theaterabwicklung.
Minna, die Gegenspielerin des Majors, ist eine der lieblichsten
Frauengestalten des deutschen Lustspiels. Sie ist eine köstliche Blume
in dem Blütenkranz, den das deutsche Lustspiel der deutschen Frau
geflochten hat: die geliebte Dornrose von Gryphius, Lessings Minna,
Kleists Eve, Grillparzers Edrita, Wagners Evchen sind die Perlen
deutscher Frauenbilder in der deutschen Lustspielproduktion. Ihr aller
Reiz beruht in ihrer Lebenswahrheit, in ihrer ungezwungenen Natürlich-
keit, ihrer wohlabgewogenen Mischung von gesundem Verstand und
184 Achtzehntes Jahrhundert: Die Sächsische Komödie. — Sturm und Drang.
warmem Herzensgefühl. /ihre Hauptstärke aber liegt in dem tiefen
sittlichen Untergrund ihres Wesens. Es ist der stärkste Beweis für
die jeweilige Schöpferkraft, der sie entsprossen, daß diese so gleich-
artig aufgebauten Frauencharaktere doch alle voneinander verschieden
sind, daß jede eine bestimmte, abgerundete Einzelpersönlichkeit ist.
Minnas Eigenart liegt wesentlich in ihrer Grazie, die dem leicht be-
weglichen, spielerischen Charakter des Rokoko entspricht, die die
fesselnde Erscheinungsform eines überaus gewandten Intellekts dar-
stellt. Dramaturgisch bildet sie damit einen lebhaften Kontrast mit
ihrem Partner. ^
Diese Charakterverschiedenheit ist aber zugleich auch ein Stam-
mesgegensatz der beiden Hauptspieler. Tellheim ist Norddeutscher,
sowohl seiner baltischen Abkunft wie seinem preußischen Soldaten-
tum nach, in aller Herbheit und Strenge des Pflicht- und Ehr-
gefühls. Minna ist Sächsin, sie stammt aus dem Lande Augusts
des Starken, wo das leichtherzige, graziöse Rokoko seine besondere
Pflege gefunden hatte. Die Verbindung der Liebenden bedeutet daher
zugleich eine Überwindung und einen Ausgleich partikularistischen
Geistes. Schon Goethe erkannte diese nationaldeutsche, ja allgemein
menschliche Absicht des Stückes: „Die gehässige Spannung, in der
Preußen und Sachsen sich während dieses Krieges gegeneinander
befanden, konnte durch die Beendigung desselben nicht aufgehoben
werden. Der Sachse fühlte nun erst recht schmerzlich die Wunden,
die ihm der überstolz gewordene Preuße geschlagen hatte. Durch den
politischen Frieden konnte der Friede zwischen den Gemütern nicht
sogleich hergestellt werden. Dieses aber sollte gedachtes Schauspiel im
Bilde bewirken. Die Anmut und Liebenswürdigkeit der Sächsinnen
überwindet den Wert, die Würde, den Starrsinn der Preußen, und so-
wohl an den Hauptpersonen als den Subalternen wird eine glückliche
Vereinigung bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäß dar-
gestellt". Der Sachse Lessing war als großer Verehrer des Preußen-
königs und als Humanitätsschwärmer zu solchem Ausgleich beson-
ders berufen. Sein Lustspiel schreitet damit seiner Zeit voraus.
Andrerseits wurzelt es aber auch trotz seiner überragenden Bedeu-
tung in seinerzeit. Daraus erklären sich die sterblichen, ja bereits toten
Teile des Werks: die an Shakespeares gemütvoll-launige, übermütig-
heitere, witzig- sprudelnde Lustspielfrauen erinnernde Minna bietet in
der ausgeklügelten Ringepisode, als Opfer des Rationalismus, Theater-
mache; die Stimmungsszene Tellheim — Rittmeisterin Marloff, als Opfer
der Empfindsamkeitsepoche, läßt einen süßlich-faden Geschmack ab-
gestandener Rührseligkeit zurück; billige Traditionsmittel sind der neu-
trale Hotelboden, um das Zusammentreffen aller Personen zu ermög-
lichen, oder der Brief des Königs, um Tellheims Ehre zu rehabilitieren.
Doch trotz aller Makel historischer Zeitgebundenheit, wozu wir auch
die unwirkliche und unindividuelle Buchsprache rechnen, freuen wir
Gesamtcharakteristik. l8c
uns der Fülle des Gebotenen: neben den Hauptpersonen die Kammer-
zofe Franziska, die den kokett-schnippischen Soubrettenton der fran-
zösischen Lisette mit deutscher Ehrhchkeit und Innigkeit verbindet;
Werner und Just als gegeneinander klug abgeschattete Vertreter sol-
datischer Untergebenentreue und opferwilliger Anhänglichkeit, beson-
ders Just als prachtvoller Typ des hundetreuen, ungeschliffenen Kerls ;
der aus der Tradition selbständig geschaffene und selbst Muster bildende
neugierige Wirt; der französisch -internationales schwadronierendes
Abenteurertum köstlich persiflierende Riccaut — eine reiche Galerie
lebensvoller, humorisch beleuchteter Charaktere, die jeder für sich
einen Beitrag liefern zu unserer Erkenntnis von Lessings tief wurzeln-
der sittlicher Überzeugung, von seinem klaren Urteile, von seinem
reichen und reifen Verständnis für die mannigfaltigen Originale der
Wirklichkeit. Lessing zeigt sich hier auf der Höhe eindringlicher
psychologischer Charakterisierungskunst, die die Fülle von Haupt-,
Neben- und Kontrastfiguren zu beleben weiß.
Ein buntes, arabeskenreiches Geflecht entsteht in der Verwirrung
von verschiedenen, mit Episoden durchsetzten Entwicklungs- und
Zielhandlungen, um zum Schlüsse sich in der Vereinigung der lieben-
den Paare zu lösen. Eine shakespearisierende Reichhaltigkeit des
dramatischen Aufbaus läßt wohl die französisch-klassische Klarheit
und übersichtliche, zwangläufige Folgerichtigkeit vermissen, wirkt
aber gerade deshalb um so lebendiger, reizvoller, bewegter auf der
Bühne. Es ist das zeitgenössische Rokoko, und wie dieses trotz seines
üppig wuchernden Formenreichtums leicht kühl anmutet, so empfin-
den wir auch in Lessings Lustspiel einen allzu reichlichen Zuschuß
an dialektisch-spitzfindiger Intellektualität. Der Rokokocharakter des
Werks findet schönsten Ausdruck in Chodowieckis meisterhaften Illu-
strationen, die bis heute nicht übertroffen werden. Der klassische
Wegbereiter Lessing ist hier für die sächsische Komödie zum Weg-
vollender geworden, sein Lustspiel ist das einzige klassische Werk
der Vorklassik, das in Milieu, Motiven und Charakteren weit über die
von ihm erzeugte Flut der Soldatenstücke bis zur Gegenwart nach-
gewirkt hat und auch heute noch seine Bühnenwirksamkeit bewährt.
IL STURM UND DRANG.
I. GESAMTCHARAKTERISTIK.
Der Sturm und Drang ist längst etikettiert als revolutionäre Lite-
raturepoche. Aber die jugendlichen Stürmer und Dränger bleiben
doch die Kinder ihrer Väter. Der eigentliche Sturm und Drang ist
nur eine kurze Gipfelzeit der jahrzehntelang sich entwickelnden Genie-
bewegung. Die Bausteine, die, aus Frankreich und England, aber
auch aus Italien und der Antike stammend, das deutsche Lustspiel
l85 Achtzehntes Jahrhundert: Sturm und Drang.
im 1 8. Jahrhundert bis zu Lessings „Minna" aufgebaut haben, bilden
auch für die Stürmer und Dränger noch brauchbares und gern be-
nutztes Material. Wie stets verkennen aber die jugendlichen Revo-
lutionäre das angetretene Erbe und begrüßen jubelnd als Neuland,
was bereits ihre Väter entdeckt haben.
Die drei Schlagworte der Zeit sind Natur, Gefühl, Genie, Alle
drei haben sie ihre Vorgeschichte. Einen Beweis für die bekannte
Vorbereitung und Aufnahme von Rousseaus Naturevangelium bietet
der Lustspieltypus der Naiven, woran sich deutlich erkennen läßt,
daß schon vor dem Sturm und Drang die Betonung des Naturreinen
gegenüber dem Kulturverderbten beliebt war. Die kindliche länd-
liche Naive Lise in Lenzens „Hofmeister" oder Klingers Luise im
„Sturm und Drang" haben ihre unmittelbaren Vorgängerinnen in
Stephanies d. J. „Werberin" von 1769 und in Chr. F.Weißes „Walder",
ohne dabei der früheren bis ins 17. Jahrhundert zurückgehenden Ver-
treterinnen des Faches zu gedenken. Daß auch die Gefühlsforderung
vorbereitet war, zeigt die Rührkomödie. Und für den Genieruf hat
uns Walzeis Studie über „Das Prometheussymbol von Shaftesburj'
zu Goethe" die lange Vorgeschichte nachgewiesen.
Dennoch wirken diese Stürmer und Dränger revolutionär, sind
sie Revolutionäre: durch die viel tiefere Ausschöpfung dieser Begriffe,
ihre unbedingte Hingabe an sie. Was neben anderem. Traditionellem,
Konventionellem bisher Geltung hatte, herrscht jetzt absolut. Ein ober-
flächlicher Vergleich von Lessings Soldatenstück und dem von Lenz
zeigt dies sofort. In beiden wird der relative Unwert des Ständischen
gegenüber dem Menschlichen dargetan. Und doch wirkt diese lo-
gische Reduktion auf einen gleichen Kern grotesk gegenüber dem
in die Augen stechenden Unterschiede beider Stücke. Der edle Soldat
Teilheim wird zur Erkenntnis geführt, daß Ehr' und Pflicht reinen
Menschentums höher stehen als Ehr' und Pflicht des Standesbewußtseins.
Der revolutionäre Lenz zeichnet mit satirischem Grimme die Verderbt-
heit des Soldatenstandes schlechtweg. Dort individuelle Charakterent-
wicklung, hier soziale Kritik. Daher auch der Unterschied im Zeitein-
druck. Lenz gibt Satire, die Bestehendes niederreißen will, also zeitlich
Vergängliches behandelt. Sein Stück hat daher für seine Gegenwart
großes Aktualitätsinteresse. Wenn diese Gegenwart sich gewandelt
hat und damit der Satire ihr Objekt genommen ist, so wirkt das Stück
veraltet. Wenn wir heute noch mit Genuß einer Aufführung der
„Soldaten" beiwohnen, so ist die Quelle unseres Genusses ganz
anderer Art als die seiner Zeitgenossen, und die stoffliche Veraltung
bewirkt eine Beeinträchtigung unseres ästhetischen Genusses. Bei
Lessing dagegen vergessen wir heute leicht, daß er uns ebenso wie
Lenz Menschen seiner Gegenwart vorführt. Im Gegensatz zu Lenz
behandelt Lessing zeitlose Probleme und unterliegt daher nicht dem
Wirkungsschwächenden Einfluß des Zeitwandels. Wir können uns
Dramatische Theorie. 187
Lessings ,, Minna" im Gewand der Neuzeit aufgeführt denken, während
dies bei dem zeitlich gebundenen Lenz unmöglich ist.
Damit haben wir auch den sinnfälligsten Unterschied der Sturm-
und-Drang-Komödie von ihren Vorgängerinnen gefunden. Mit über-
raschender Lebendigkeit schildert sie das Leben ihrer Gegenwart,
nicht in objektiver Ruhe, sondern in leidenschaftlicher Anteilnahme.
Hierin liegt ihre Stärke und ihre Schwäche.
2. DRAMATISCHE THEORIE.
Die literarische Revolution des Sturm und Drangs ist die Spiege-
lung der sozial-politischen, die sich in jenen Jahren vorbereitete, ohne
allerdings auf deutschem Boden zum Austrag zu kommen. Die Lite-
raturwerke der Stürmer und Dränger sind daher stark tendenziös ge-
färbt, sie sind Kampfrufe für die neuen sozialen, politischen und
kulturellen Überzeugungen. Darin gleichen sie mehr jenen des Jung-
deutschlands als denen der allzuoft in Parallele gestellten Romantik.
Daher holen sie sich die Stoffe nicht so sehr aus dem Reiche der
Phantasie, wie die Lustspiele des zum unumschränkten theoretischen
Herrscher ausgerufenen Shakespeare, als aus dem des realen Lebens.
Ihr revolutionäres Stürmen gegen jede unwahre Konvention setzt
sich für packende Lebenswirklichkeit ein.
Der theoretisch — in den „Anmerkungen übers Theater" — wie
praktisch — etwa im „Hofmeister" — maßgebende Lenz spricht ihrer
aller Meinung aus, wenn er die Komödie Gemälde der menschlichen
Gesellschaft nennt. Sie wurden daher von ihrem Herausgeber Freye
und anderen mit den Naturalisten am Ende des 19. Jahrhunderts ver-
glichen. Tatsächlich besteht ihre Wirkung großenteils auf der an-
schaulichen Darstellung von wirkhch Beobachtetem. Und dennoch
ist es eine Verkennung, ihre Kunst als NaturaHsmus, und sei es
auch stilisierter Naturalismus, zu bezeichnen. Wie Lenz es ausspricht,
geht der Sturm und Drang nicht nur auf „die treffende Ähnlich-
keit", sondern auf ihre „Verstärkung", „Erhöhung". Der Naturalis-
mus ist nur Mittel, um im Ausdruck die traditionelle Form zu zer-
brechen. Schon Gerstenberg wendet sich von der bloßen Absicht
ab, „das menschliche Leben zu malen". Nicht die äußere, scheinende
Natur soll der Dichter geben, sondern eine Illusionskunst, die den
Zuschauer glauben macht, „er sehe das wahre Werk der Natur". In-
dem die Stürmer und Dränger den Dichter als prometheischen Schöpfer
auffassen, fordern sie keinen impressionistischen Naturalismus, sondern
eigenschöpferische Ausdruckskunst. Auch hier wieder hat Lessing
bereits die Wege gewiesen (34. St. Hamb. Dramat.), wenn er die eigen-
gesetzliche Welt des Künstlergenies der Gotteswelt gegenüberstellt.
Damit hat schon Lessing die Bahnen des Rationalismus verlassen,
und Naturalismus ist stets rationalistisch. Der Sturm und Drang aber
l88 Achtzehntes Jahrhundert: Sturm und Drang.
ist der Höhepunkt jener Bewegung gegen den Rationalismus. Er ist
im Grunde irrational, individualistisch gerichtet. Deshalb kommt er
auch über das Bürgertum als seinen eigentlichen Träger hinaus, dessen
Aufkommen wir in dem vorangehenden Lustspiel beobachten konnten.
Das Bürgertum des Sturm und Drangs ist selbstzufriedenes Philister-
tum. Die literarische Revolution des Sturm und Drangs geht darin über
die politische Revolution des dritten Standes hinaus, sie ist aristo-
kratisch gewillt.
3. WESEN DER LUSTSPIELPRODUKTION.
Von diesem Gesichtspunkte aus ist die Tragödie des Sturm und
Drangs positiv gerichtet, sie zeigt das tragische Schicksal des großen
aristokratischen Einzelmenschen, Übermenschen, Die Komödie des
Sturm und Drangs dagegen ist negativ gerichtet, sie zeigt das eitle
Beginnen der Masse, die in Standeskollektiven dargestellt wird. Des-
halb konnte der Theoretiker des Sturm und Drangs, Lenz, in seinen
„Anmerkungen übers Theater" der Tragödie die großen Charaktere,
der Komödie die Handlung zuweisen. Uns will es heute allerdings
scheinen, daß damit dem Komödientitel unzulässiger Zwang angetan
wurde, widersprach doch der Praktiker Lenz selbst dem Theoretiker.
Die allgemeine theoretische Überzeugung des Sturm und Drangs sucht,
von Shakespeare beeinflußt, Komik und Tragik im Drama zu mischen.
G. A. Bürger spricht dies als Daniel Wunderlich aus und stimmt darin
durchaus mit Führern und Vätern der Bewegung, wie Lenz, Herder,
Hamann, überein. Die jugendlichen Revolutionäre sind zu stark in
ihren sozialethischen Problemen befangen, als daß sie Freiheit des
Humors erlangten. Sie leiden selbst zu sehr, als daß sie sich über
das eigene leidvolle Erleben humorvoll zu erheben vermöchten. Des-
halb schlagen ihre Komödien allzu leicht ins Tragische um, und ihr
Schluß könnte meistens auch tragisch sein. Es ist daher verständlich,
daß Herausgeber Stücke, die der Verfasser als Komödie bezeichnete,
Schauspiel tauften, haben wir doch in Lenz ein Beispiel, daß der Dichter
selbst nachträglich diese Namensänderung vorschlug.
Bei der leidenschaftlichen Anteilnahme an den Problemen des ge-
sellschaftlichen Lebens bringen die Stürmer und Dränger es nur zur
Satire, über die im besten Falle Humorblitze aufleuchten. Hier sind
in erster Linie zu nennen die Komödien von R. J. M. Lenz, dessen
genialisches Talent bei physischer und psychischer gesunder Reifung
ihn wohl zum Lustspieldichter hätte entwickeln können, aber auch
das Drama Fr. M. Klingers, das der Epoche den Namen gegeben
hat: Sturm und Drang.
Bei allem geistigen Zusammenhang mit der vorausgehenden Ent-
wicklung zeigt namentlich die dramaturgische und sprachliche Technik
die grundsätzliche Neuerung. Auch hier wieder finden wir Grund-
linien, die heutiger Ausdruckskunst verwandt sind, die, um Walzels
Wesen der Lustspielproduktion. I89
Formunterscheidungen zu folgen, barockem Stilwillen entwachsen sind.
Wenn der impressionistische Naturalismus zwangläufig zu strenger
Beobachtung der Einheitsforderungen führt, so bemerken wir bei dem
Sturm und Drang eine starke Entsprechung dramatischer Praxis und
Theorie, die Lenz zu dem bekannten Ausfall gegen die jämmerliche
Bulle der drei Einheiten führt. Statt streng geschlossenem, ziel-
bewußtem Aufbau begegnen wir der Technik loser Bildfolgen, die
allein es begreiflich macht, wie willkürHch der Schluß der Dramen
oft gestaltet ist, so daß er gelegentlich ins direkte Gegenteil geändert
werden kann.
Die Sprache gibt allerdings zunächst den Eindruck des Natura-
lismus, namentlich durch Vorliebe für volkstümliche Ausdrücke, durch
fragmentarische Sprechweise, Pausen- und Gebärdensprache. Aber
bald werden wir gewahr, daß hier ein bewußter Stilwille an der
Arbeit ist, der darauf ausgeht, den Gefühlsgehalt des Werks mög-
lichst auszuschöpfen, ihn zu schwellen, bis zum Zerreißen zu spannen.
Daher jenes gesteigerte Tempo, das durch das Weglassen des Präfixes
und anderer Elisionen nicht nur altertümlich wirken möchte, das mit
synkopierten und apokopierten Formen arbeitet, Kraftworte, Wieder-
holungen, Antithesen liebt, das durchaus unnaturalistisch, dafür aber
bewußt barock musikalische Effekte sucht; hierher gehört auch der
beliebte Parallelismus von psychischen und Natur- Vorgängen. Es ist
daher kein Wunder, wenn heute nicht nur Dichter wie Grabbe und
Büchner, sondern vor allem auch die Stürmer und Dränger wieder
aufleben.
Das Irrationale, das die Epoche heutiger Kunst verwandt er-
scheinen läßt, zieht auch die Trennungslinie gegen die vorhergehende
Zeit, auch gegen Lessing. Aber ihr grundsätzlich neuer Stilwille
verleitet die Stürmer und Dränger auch, die überkommenen Errungen-
schaften dramatischer Formkunst allzu leicht zu achten und des-
halb schließlich doch zu scheitern. Große ausgereifte Kunstwerke
haben sie bei allem Talent, das mindestens in Lenz genial genannt
werden muß, nicht hervorbringen können. Sie schenkten uns nicht
das große Lustspiel, das in barocker Kunstform dem klassischen
Lessings sich hätte zur Seite stellen können. Jedoch auf dem Wege
dazu befinden sie sich.
Ihre Lustspiele stehen im Zeichen des Eros. Daran tritt der
Unterschied der Natur fordernden Epoche gegenüber der voran-
gehenden rationalistisch -konventionellen Rokokozeit am sichtbarsten
zutage. Die Liebe, bisher höchstens Schmuck, Dekoration, Arabeske
des bürgerlichen Gemeinschaftslebens, die wie alles unter dem Ge-
setze des Verstandes stand, wird nun beherrschende Leidenschaft,
die unbeherrscht, eigengesetzlich strömt. Von vornherein neigt die
Darstellung dieser Erosleidenschaft daher weit eher zur Tragödie
als zur Komödie.
IQO Achtzehntes Jahrhundert: Sturm und Drang.
4. REINHOLD MICHAEL JACOB LENZ.
Typisch ist der „Hofmeister" von Reinhold Michael Jakob Lenz
(1774). In buntem Szenenwandel rollt eine Handlung vorüber, die
die urmenschliche Verflechtung von Tragik und Komik an dem trieb-
haften Liebesgefühl erhellt. Trotz aller Predigt über den relativen
Wert von Hofmeister- und Schulerziehung öffnet sich in der Ent-
hüllung von Menschlichem und Allzumenschlichem die Blüte echten
Humors. Es bedarf schon einer starken Dosis von Sittlichkeits-
schnüfflertum, um sich in der Szene, in der der selbstentmannte
Läuff"er dennoch nicht seiner triebhaften Menschennatur entrinnen
kann, der Freude am Humorischen zu enthalten. Und selbst der
Räsonneur des Stückes, der allzuweise Rat, ist eine Humorfigur, in-
dem er seiner eigenen vermeintlichen Weisheit zum Opfer fällt und
sich von einer Seifenblase gegen seinen Sohn einnehmen läßt: Humor
des Sturm und Drangs, der den superklugen Verstand an dem Trieb-
gefühl zuschanden werden läßt.
Zur Zeit der Arbeit am „Hofmeister" versuchte sich Lenz in einer
Bearbeitung Plautinischer Komödien. Die Kühnheit seiner Moderni-
sierung offenbart den geborenen Lustspieldichter, aber zugleich lernt
er auch bei seiner Übersetzungstätigkeit, dem alten römischen Prak-
tiker das Geheimnis lustiger Possenwirkung abzufragen.
Mit seiner nächsten Originalkomödie vom „Neuen Menoza" zahlt
der Stürmer und Dränger den Zoll seines Deutschtums, indem er die
Theorie des wechselnden Bühnenbilds zu einem praktischen Irrgarten
übertreibt, in dem jede verstandesmäßige Führung nicht nur versagt,
sondern von vornherein verboten ist. Allerdings wirken gerade durch
die bewußte Abschließung aller intellektuellen Begrifflichkeit einzelne
Szenen überraschend eindringlich in ihrer barocken Erfindungskraft.
Technisch viel geschlossener und daher als Ganzes weit bühnen-
wirksamer ist „Die Freunde machen den Philosophen" (1776). Wie
stets bewährt sich auch hier Lenzens Kunst, Menschen in runder
Körperlichkeit vor uns aufleben zu lassen und an ihnen als Träger
den Sieg des Urmenschlichen, des Triebhaften, des Gefühlslebens
gegenüber Verstandestheorien und -einbildungen zum Durchbruch
kommen zu lassen. Die Zentralfigur der Komödie ist Selbstdarstellung.
Der Philosoph Reinhold Strephon ist der Dichter Reinhold Lenz. Wenn
wir auch nicht alle Einzelheiten für Erlebnis und unmittelbare Über-
tragung halten dürfen, sah sich doch auch Lenz, wenigstens subjektiv,
gleich Strephon hilflos und zur Tat unfähig der rohen Zudringlich-
keit der Welt preisgegeben. Gleich Strephon (IV, 3) fühlte sich Lenz
in Weimar als lahmer Kranich. Aber der versöhnende Schluß der
Komödie, selbst wenn er nach des Dichters eigenem Wort Notdach
ist, gründet auf der echten Sturm-und-Drang-Überzeugung, daß das
Rein-Menschliche schließlich doch alle Konventionen und Irrungen
Reinhold Michael Jacob Lenz. Friedrich Maximilian Klinger. IQI
überwindet. Lenz, in dem das Genial-Dämonische zur Groteske ge-
steigert ist, fehlt der menschliche Schwerpunkt, und so erliegt er der
Fratze seiner Dämonie. Aber in seinem Lustspiel fühlt er sich doch
noch ganz als siegreicher Stürmer und Dränger, dessen aristokratisches
Selbstgefühl deutlich in Erscheinung tritt in der Darstellung der
hämischen, geschwätzigen, ichsüchtigen Philister des ersten Aktes.
Dramaturgisch interessant ist an dieser Komödie, wie der eifernde
Verfechter der Sturm -und -Drang -Theorie einer reinen Handlungs-
komödie in der eigenen Praxis auf die Bahn des Charakterlustspiels
getrieben wird und dadurch zu einer wenigstens relativen Geschlossen-
heit der Technik gelangt. „Die Soldaten" (1776) sind Komödie nur
durch den starken Komikzuschuß, der nach Shakespeares Vorbild
der Tragödie helle Lichter aufsetzen soll.
5. FRIEDRICH MAXIMILIAN KLINGER.
Lustspielartiger ist Friedrich Maximilian Klingers Schauspiel ,, Sturm
und Drang" geraten. Der tolle Wirrwarr der Handlung hat sein Spiegel-
bild in dem ebenso tollen Wirrwarr der Stimmungen. Klinger charakte-
risiert sein Stück am besten selbst mit den Worten: „Ich hab die
tollsten Originalen zusammengeschrieben. Und das tiefste tragische
Gefühl wechselt immer mit Lachen und Wiehern". Es ist eine der
modernsten Gefühlssymphonien. Das Verstandesmäßige ist aus-
geschlossen, oder wenn es vorhanden ist wie in der kalten Schönheit
der Luise, so tötet es den Rest von Gefühlsgehalt, der noch in
dem blasierten Blasius lebt. Während er in ihrer Gegenwart sich nur
gelangweilt fühlt, erweckt ihn wieder die Natur. Neben diesen beiden
Gestalten stehen ihre Gegenbilder in der alternden koketten Katharine
und dem schwärmerisch phantasierenden La Feu. Die in sich selbst
leere Phantasie kann sich auch an der bloßen Maske von Schönheit,
an dem bloß vorgetäuschten Feuer entzünden und zur Flamme werden.
Sie begnügt sich mit dem Scheindasein des Schäferlebens. Die wahren
Gefühle liegen in Karoline und Wild, in Karoline weiblich gedämpft,
in Wild zur männlichen Leidenschaft gesteigert. Der Kapitän Harry
ist dann das Gegenbild von Wild. Er ist die falsche, des inneren
und innigen Gefühls bare Leidenschaft. Aber auch bei ihm kommt
nach des Dichters Willen der gute Kern zum Durchbruch, ist er doch
der Typus des „Löwenblutsäufers", als der sich der Stürmer und
Dränger so gern gebärdet.
Technisch ist allerdings das Stück nicht zu verteidigen. Nicht
nur, daß die gezeichneten Originale, aller plastischen Anschaulich-
keit ledig, Schemen aus verpuffenden Stimmungsexplosionen sind, der
dramatische Aufbau auf Grund einer naiv-unbeholfenen Fabel ist er-
setzt durch ein wirres Neben- und Durcheinander, das den ursprüng-
lich von Klinger erwählten Titel „Wirrwarr" berechtigt erscheinen
IQ2 Achtzehntes Jahrhundert : Sturm und Drang.
läßt. Aber gerade in dieser Auflösung alles Tektonischen hat es den
Formwillen der Sturm-und-Drang-Epoche zum Extrem und damit, un-
gewollt, ad absurdum geführt.
Wir verspüren hier, wie in Klinger das Dämonische weit schwächer
entwickelt ist als in Lenz; es ist mehr Zeitmanier. Klinger ist mit-
gerissen durch seine Umgebung. Seine Dämonie ist daher weniger
Eigentum als Nachahmung und daher im Ausdruck fratzenhaft.
Für dieses Minus aber hat er gegenüber Lenz das stärkere sittliche
Schwergewicht. Sobald er dem Kreis entfernt, der Nachahmung ent-
zogen ist, wirkt das Gesetz und läßt ihn zum Manne, zur Persönlich-
keit von Maß, Zahl und Ordnung reifen.
Diese Entwicklung ist bereits in der phantastischen Komödie „Der
Derwisch" (1780) zu verspüren, die entschieden dramatisch wirksamer
als der „Sturm und Drang" ist. Hier sind die grotesk-wilden Nerven-
zuckungen zu jovialen Menschlichkeitsgefühlen gewandelt, die sich
in einer lustigen erfindungsreichen Handlung offenbaren.
6. MITLÄUFER.
Während Lenz und Klinger als wahre Dichter ihr Gut verschwende-
risch verschleudern, handeln die Mitläufer ihrer Bewegung vorsichtig
mit gangbarer Münze. Die Erlebnisse werden Erkenntnisse, und diese
werden zu Schlagvvorten verflacht, Gefühlstiefe wird zur Rührselig-
keit verwässert, aber statt der chaotischen Technik werden Bühnen-
erfahrungenverwertet, um in möglichst geschlossenem Aufbau wirkungs-
volle Bühnenauftritte zu erzielen. Im Dichterischen versagen sie, im
Technischen überragen sie.
Es unterscheiden sich in der Sturm-und-Drang-Komödie deutlich
wie in jeder literarisch bedeutsamen Epoche zwei Ströme: die Genies
und die Talente, die Dichter und die Schriftsteller, um es mit einem
modernen Beispiele zu belegen: die Hauptmänner und die Suder-
männer. Diese sind im Sturm und Drang: Gemmingen, Großmann,
Karl Gotthelf Lessing, Stephanie d. J., Friedrich Ludwig Schröder u.a.
Auch sie sehen ihre Aufgabe in gesellschaftskritischer Satire, wobei
Motive des Gegensatzes von Alt und Jung dankbar begrüßt werden.
Aber der Essig der Satire wird stark verdünnt mit dem Zuckerwasser
billiger Sentimentalität. Sie sind die Spießbürger, die den Revolu-
tionären die großen Worte nachplappern. Die Nachahmer sind wie
stets der unvermeidliche Schatten des Genies, das sich davon um so
leuchtender abhebt.
Wenn die Führer des Sturm und Drangs Merciers Theorie nach-
eifern, so scheinen die Mitläufer seine Praxis nachzuahmen. Mercier,
der Prophet der Revolution, dessen von den Regeln klassischer Ge-
setzgebung sich entschlossen befreiende theoretische Kunstanschauung
den deutschen Stürmern und Drängern zum Glaubensbekenntnis wurde,
ist in praktischer Kunstübung auf der deutschen Bühne nur durch
Mitläufer. Goethes Farcen. 1^3
spießbürgerliche Rührstücke bekannt. Er vertritt jene französische
Dichtung, die in Diderots FamiHendramatik gipfelt. Doch ist die ganze
Epoche viel zu sehr nach englischen Vorbildern ausschauend, als daß
nicht auch für die satirischen Gesellschaftsstücke englische Muster
gesucht würden. Die englische Restorationskomödie hatte den Vorzug,
Satire mit Frivolität zu mischen; ihre deutschen Nachahmer lernten
an ihr, unter bedeutungsvollem Augenzwinkern sich sittlich zu ent-
rüsten. Im übrigen gehören ihre Komödien trotz erstrebter und teil-
weise auch erreichter komischer Einzelwirkungen nicht so sehr in
die Geschichte des Lustspiels als in die des bürgerlichen Schauspiels.
Im Prolog zur Eröffnung des Berliner Theaters am 26. Mai 1821
gibt Goethe eine knappe Charakteristik dieser Dramatik, wenn auch
mit Hinblick auf Iffland:
Ein Bürger kommt, auch der ist gern gesehn,
Mit Frau und Kindern häuslich eingezwängt.
Von Grillenqual, von Gläubigern gedrängt.
Sonst wackrer Mann, wohltätig und gerecht.
Nach Freiheit lechzend, der Gewohnheit Knecht;
Die Tochter liebt, sie liebt nicht, den sie soll;
Ein muntrer Sohn, gar mancher Schwanke voll.
Und was an Oheim, Tanten, dienstbaren Alten
Sich Charaktere seltsamlich entfalten:
Das alles macht uns heiter, macht uns froh.
Denn ohngefähr geht es zu Hause so.
Und was die Bühne künstlich vorgestellt,
Erträgt man leichter in der Werkelwelt;
Die Toren läßt man durcheinander rennen,
Weil wir sie schon genau im Bilde kennen.
Eine solche generelle Zusammenfassung hat um so mehr Berech-
tigung, als die einzelnen Stücke immer wieder auf denselben Motiven
aufgebaut sind, immer wieder die gleichen Probleme behandeln: wesent-
lich Geschlechts- und Standesunterschiede, woraus nach Richardsons
Programm die Verführung der bürgerhchen Tugend durch das adlige
Laster erfolgt. Diese Gleichartigkeit und Gleichförmigkeit sind min-
destens ebensosehr durch die Schamlosigkeit literarischer Freibeuterei
wie durch die herrschende Zeitströmung begründet.
7. GOETHES FARCEN.
In dieser schematischen Lustspieldramatik des Sturm und Drangs
hat sich dessen Führer Goethe nicht betätigt. Seine Lustspiele „Die
Laune des Verhebten" und „Die Mitschuldigen" gehören noch der
vorhergehenden Epoche an. Im ersteren bewahrt er trotz des zu-
grunde liegenden persönlichen Erlebnisses das konventionelle Gewand
des Schäferspiels aus der Rokokozeit. In den „Mitschuldigen" geht
er kühn auf realistische Schilderung aus, doch ist es ihm nicht ge-
Holl, Lustspiel. 13
IQA Achtzehntes Jahrhundert: Sturm und Drang.
lungen, den dargestellten sittlichen Konflikt restlos in die Humorsphäre
amoralischer Betrachtung zu heben.
Als Humorist bewährt sich Goethe in jenen genialen Farcen, die
symbolisch das ureigenste Wesen des Sturm und Drangs zu spiegeln
scheinen. Diese Farcen bilden ein eigenes Kapitel in der komischen
Dichtung der Sturm-und-Drang-Zeit. Stark satirisch geartet, sind sie
von aristophanischem Geiste belebt. Eine ausdrucksvolle, kraftge-
schwellte Form fanden sie in dem Muster Hans-Sachsischer Fastnachts-
spiele. „Im Possenspiel regt sich die alte Zeit, Gutherzig, doch mit
Ungezogenheit".
Goethe vor allen weiß den holprigen Knittelvers zu blutvoller
Lebendigkeit zu erwecken durch eine geniale Sprachbehandlung, die
das Überkommene im Tiegel inneren Gefühlserlebens umschmilzt und
zu höchster Ausdrucksfähigkeit steigert. Dadurch ist es ihm möglich,
vom Boden leichtverständlicher sinnlicher Wirklichkeit aus, deren
schlicht altertümliche Form ihre Faßbarkeit noch erhöht, unmittelbar
zu symbolkräftigster Rede zu gelangen. So zwanglos und frei auch
die Form anmutet, so derb naturalistisch auch die einzelnen Ausdrücke
sind, stets behält er das höhere, vereinheitlichende künstlerische Ziel
vor Augen und bewährt damit auch hier wieder jene innere Spann-
kraft barocken Stilwillens, den wir als der Sturm-und-Drang-Zeit eignend
erkannt haben. So wirkungsvoll und mitreißend ist seine Kunst, daß
sie wie jede echte Kunst nicht vereinzelt bleibt, sondern vorbildlich
für Freund und Feind wirkt. Denn nicht nur die Lenz, Wagner folgen
seiner Spur, auch die ausgesprochenen Gegner der ganzen Bewegung
finden seine Satirenform die geeignetste, um ihre Spottpfeile zu ver-
senden. Um aus dem Wüste der Gegenschriften nur eine herauszu-
greifen, nenne ich den 1778 anonym von Joh. Friedrich Schink ver-
öff"entlichten „Hanswurst von Salzburg mit dem hölzernen Gat", der
als „Historisch Schauspiel in drei Aufzügen" die Dramen der Stürmer
und Dränger, wie Goethes „Götz", Lenzens „Soldaten", Wagners
„Kindermörderin" u. a., satirisieren will. Aber was bei Goethe Ausdruck
vollsten Lebens ist, das Niederstes wie Höchstes aus einem Mittel-
punkte heraus als wesenseigen erkennt und ausspricht, ist in solch
jämmerlicher Gegenschrift zu einseitigster, plattester Unfläterei ge-
sunken. Es zeigt dies nicht nur, wie tief das Können, sondern auch
das Verstehen der Gegner unter Goethes Kunst stand.
Goethes engere Genossen dagegen, wie Lenz etwa im „Tantalus",
erreichen oft seine eigene Höhe. Der Gehalt dieser Geniefarcen ist
die Auseinandersetzung der Innenwelt mit der Außenwelt. Diese Außen-
welt kann die reale Umwelt sein, sie kann auch, wie meist, nur die
literarische Außenwelt sein. Die Innenwelt ist das innere Erlebnis,
das durch den Gegensatz, die Reibung mit der Außenwelt leid-
voll ist. Gerade dadurch ist es zur Humorerzeugung geeignet. Denn
die Wurzel des Humors ist selbsterlebtes Leid. Dieses Leid ist der
Goethes Farcen. 1^5
Widerspruch des eigenen Wünschens undWollens zu dem der Außen-
welt, die vom Ich erlebte Unvollkommenheit des Nicht-Ich.
Diese Unvollkommenheit, Unzulänglichkeit wi^d aber nicht immer
auch wirklich erlebt, mit allen Fasern des Wesens und Fühlens auf-
genommen. Häufig wird sie nur mit dem Intellekt erkannt oder mit
den äußeren Sinnen wahrgenommen. Solche nicht erlebte, sondern
erkannte Unvollkommenheit, geschautes Leid, ist die Wurzel der Satire,
nicht des Humors. Der Satiriker wird Humorist in dem Maße, wie er ge-
schautes Leid zum selbsterlebten macht; er bleibt Satiriker, solange
er das Maß, an dem er das Leid mißt, durch das er die Unvollkom-
menheit bestimmt, beibehält. Denn Humor ist einheitlich, Satire aber,
aus Vergleich geboren, zweiheitlich. Humorist ist Goethe im ,,Satyros",
allenfalls auch in den aristophanisierenden „Vögeln". Aber bei letzteren
verdrängt schon die Tradition das Erlebnis und dementsprechend der
Satiriker den Humoristen. Die genialen Literatursatiren sind so ur-
sprünglich aus persönlichster Überzeugung geflossen, daß sie durch-
aus humorisch anmuten, ohne es allerdings wie „Das Jahrmarktsfest
zu Plundersweilern" und „Das Neueste von Plundersweilern" infolge
weitgehender Übernahme traditioneller Stil- und Ausdrucksmittel immer
zu sein.
Ähnlich sind das „Pandämonium Germanikum" und der „Tantalus"
von Lenz zu bewerten. Leider ist uns dessen Wielandsatire „Wolken",
jener „Junge, der rasch und frei ist wie sein Vaterland", nicht erhalten.
Lenz hat den stürmenden Prosastil seiner Epoche dem Knittelvers
vorgezogen, wie es auch Goethe gelegentlich tat in „Götter, Helden
und Wieland" oder Klinger in dem angefühlten „Der verbannte Götter-
sohn". Auch Heinrich Leopold Wagner benutzt einmal, in „Prometheus,
Deukahon und seine Rezensenten", den Knittelvers, dann, in „Voltaire
am Abend seiner Apotheose", die Prosaform. Wagner zeigt sich auch
hierin, wenn auch das letzte Stück Anläufe ins Grandiose nimmt, als
Geringster der drei, indem er bei der reinen Satire stehenbleibt. Er
ist, wie Goethe es bereits ausdrückte, ein guter Geselle, der, obgleich
von keinen außerordentlichen Gaben, doch auch mitzählte.
Aber auch die wertvollsten Farcen Goethes sind doch keine Lust-
spiele im engeren Sinne. Der Form nach kommt diesen näher sein
„Triumph der Empfindsamkeit", der aber zu leicht, zu harmlos geraten
ist, als daß wir darin ein Zeugnis von Goethes genialischer Dich-
tung sehen dürften. Das zugrunde liegende ernste Erlebnis ist rein
spielerisch behandelt, so daß es uns eher an das Rokoko mahnt
als an den Sturm und Drang. Das Werk ist nicht dichterisch-
humorische Selbstbefreiung, sondern Befreiung anderer von be-
drängender sentimentalischer Sturzflut, die das Wertherfieber überall,
selbst in des Dichters nächster Nähe gezeitigt hatte. Es ist daher
nicht aus Leid erblühter Humor, sondern aus Überlegenheit skizzierte
Karikatur, die zudem persönliche Satire gegen den in Weimar Eseleien
jq5 Achtzehntes Jahrhundert : Klassische Periode.
verübenden Lenz noch deutlich erkennen läßt. Aber ohne jede Auf-
regung lacht Goethe darüber und weiß das persönliche Objekt zum
Symbol zu weiten und damit die allgemeine empfindsame Narrheit ad ab-
surdum zu führen. Die anmutige Schalkhaftigkeit, der heitere Spott er-
heben die Gelegenheitsdichtung nicht zum großen Kunstwerk, aber
zum witzigen Produkt, das eine leichte Hand in munterer Laune zu
eigener und anderer Ergötzung hingeworfen hat. Die leise Tönung
mit Ernst läßt gerade noch zwischen den Zeilen Goethes eigene Mit-
verantwortung an der Zeitkrankheit verspüren und vertieft einerseits
die Laune fast zum Humor, andrerseits die Satire zur Selbstironie.
Diese Ironie bewirkt in Vorwegnahme romantischer Neigung die
Desillusionierung im fünften Akte. Aber gegenüber dieser bewußten
Ironie beobachten wir eine weit bedeutsamere, unbewußte, die hervor-
gerufen wird durch die ergreifende Nänie Proserpinas. Diese edle,
reife, klassische Kunst zerstört den launisch-satirischen Rahmen, ihr
gehaltvolles und formvollendetes Gewicht wuchtet das harmlose
Rahmenspiel ins Nichts. Daß Goethe so ein edles Angesicht inmitten
toller Fratzen zu enthüllen wagt, kann nicht nur stilwidrige Gewissen-
losigkeit sein; es ist uns Beweis, wie stark er selbst noch im Über-
gang sich fühlt, wie nahe er noch die Gefahr sieht, der er in reinere
Sphären entfliehen möchte. Aber aus der Oberflächlichkeit des
Rahmens und der Tiefe der Einlage ist keine Einheit geworden,
künstlerisch ist das ganze Werk nur Zwitterding.
Im ganzen ist daher das Ergebnis der Sturm- und-Drang-Epoche
für unsere Lustspielgeschichte dürftig, es beschränkt sich auf einige
wenige Dramen von Lenz und Klinger. Die fruchtbare Produktion
der Mitläufer steht qualitativ in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer
Quantität. Sie fließt breit und träge weiter bis ins 19. Jahrhundert,
zeigt daher in der klassischen Blüteperiode unserer Literatur keinen
grundsätzlichen Unterschied gegenüber der genial stürmenden und
drängenden Vorbereitungszeit, mit der einzigen Einschränkung, daß
das in dieser Zeit des Gefühlsüberschwangs unermüdlich abgehan-
delte und abgeleierte Verführungsmotiv mehr in den Hintergrund ge-
drängt wird, da jener Überschwang allmählich nicht nur aus Un-
kraft, sondern auch aus Prinzip gedämpft wird. Diese Produktion
wird daher auch besser im Zusammenhang mit ihren Hauptvertretem
Schröder und Iffland besprochen.
m. KLASSISCHE PERIODE.
I. GOETHE.
Vollzieht sich bei den Mitläufern der Übergang vom Sturm und
Drang unmerklich, so bedeutet er für die Führer eine grundsätzliche
Neueinstellung. Goethe der Klassiker hat an humorischer Produktions-
kraft nicht mehr den jungen Goethe erreicht. Die selbstgewisse
Goethe. I97
Sicherheit des Stürmers und Drängers, dem noch nicht ob seiner
GottähnHchkeit bange wurde, ist verrauscht. In unablässigem Ringen
sucht er die Jakobsleiter des Lebens zu erklimmen ; Ich, Natur, Welt
geben ihm täglich neue Probleme, immer neu erfährt er die Wahr-
heit, daß Mensch sein Kämpfer sein heißt. Er vermag nicht in jugend-
licher Zuversicht Ikarus gleich sich zu erheben, ohne des möglichen
Sturzes zu gedenken.
Doch wenn er aus den Notwendigkeiten der Welt sich auch
nicht zur Freiheit ihrer humorischen Darstellung aufzuschwingen
vermochte, so war doch dem Faust -Mephisto -Dichter humorische
Weltbetrachtung nie fremd. Selbst die bedeutsamsten Weltereignisse
gaben ihm Anlaß zur Lustspielproduktion. Die bekannte Halsband-
geschichte im französischen Königshause hatte Goethe seinem eigenen
Zeugnisse nach aufs tiefste erschüttert. Trotzdem fand er gerade im
Lustspiel die Form, die ihm geeignet erschien, sich von dem Er-
lebnis zu befreien.
Indem er die Intrige der Halsbandgeschichte mit der Aufsehen
erregenden Gestalt des betrügerischen Grafen Caghostro, launige
Darstellung vorrevolutionärer Stimmungen mit Verspottung beliebter
Geheimbündelei verband, ergaben sich ihm die Grundlagen zu seinem
„Groß-Cophta" (1791), der namentlich in den ersten Akten von feinster
Lustspielwirkung ist. Doch kommt gegen den Schluß immer mehr der
Epiker zum Vorschein, der zugunsten psychologischer Erörterungen
die dramatische Gebundenheit auflöst und damit ihre Wirkung ver-
nichtet.
Von dieser undramatischen Erörterungsliebe sucht Goethe sich fern-
zuhalten in dem Lustspiele, worin er die Wirkung der großen revo-
lutionären Bewegung auf kleine Geister in Deutschland schildert:
„Der ßürgergeneral" (1793). Vorbilder sind ihm Anton Walls (Pseu-
donym für Chr. Leberecht Heyne) Possen, die selbst wieder dem
französischen Komödiendichter Florian als Muster verpflichtet sind:
„Die beyden Billets" und „Der Stammbaum". Die gleichen Per-
sonen: Gürge, Rose, Märtens, Schnapps, ein Edelmann treten
darin auf, und ein Richter, mit dem der leichtgläubige Märtens ver-
feindet ist, wirkt auf die Verwicklung ein, obwohl er selbst nicht
persönlich auftritt. Stets handelt es sich darum, daß der durch-
triebene Schnapps dem sich klug dünkenden Märtens in Abwesenheit
seines Schwiegersohnes Lügen aufbindet, um ihn zu prellen, auf die
der alte Bauer auch prompt hereinfällt. Immer aber findet zum Schluß
das Recht seinen Sieg. Der Unterschied liegt außer in der künst-
lerischen Form natürlich darin, daß bei Wall der Revolutionshinter-
grund der Goetheschen Komödie durchaus fehlt. Eine Fortsetzung
der Walischen Possen bildet „Das Bauerngut", nach Goedeke von
G. L. P. Sievers, das mit den gleichen Personen und Motiven arbeitet,
aber die Person des schlichtenden Edelmanns Goethe entnommen hat.
igg Achtzehntes Jahrhundert: Klassische Periode.
Pniower hat in treffender Charakteristik die stilistische Zwiespältig-
keit des „Bürgergenerals" nachgewiesen. Die Dialogführung ver-
läuft durch ihre bis zum Fragmentarischen echte Naturalistik in
Redseligkeit. Aber andrerseits wird dadurch wieder volkstümliche
Wirkhchkeitsluft gewahrt. Aus dem Rahmen heraus fällt, wie schon
Schiller erkannte, nur die Räsonneurfigur des Stückes, der Edelmann,
der in weiser Lebensauffassung das Dogma von der Ruhe als erster
Bürgerpflicht predigt. „Der Bürgergeneral" ist eine auf Situations-
komik eingestellte Posse, bei der das Theater in erster, die Dichtung
nur in zweiter Linie kommt. Tiefer aufgefaßt, dichterischer empfunden
ist das gleiche Problem in dem Stück ,,Die Aufgeregten", die leider
Fragment geblieben sind. Ein gleichlaufender Stilwillen hat sich in
diesen Revolutionskomödien zunehmend verfeinert.
Goethe hat mit dem Problem humorischer Darstellung des Revo-
lutionserlebnisses gerungen, ohne es allerdings endgültig zu meistern.
Im Grunde lag es seinem auf organische Entwicklung eingestellten
Wesen zu feindhch, als daß er sich zu gemütvoll-abgeklärter, humo-
rischer Betrachtungsweise hätte erheben können. Er blieb in kari-
kierender, parodierender Satire haften, zu der er gern Anleihen bei
der Volkskomödie, bei Holberg machte. So wirkungsvoll solche derb-
komischen Motive sind, im ganzen ist das erschütternde Weltereignis
doch zu bedeutungsvoll, als daß possenhafte Verulkung unser Emp-
finden nicht abstieße, wenn sie nicht mit leichter Hand geführt ist.
Und hier fehlt eben doch Goethe jene absolute dramatisch-technische
Sicherheit, jener sprühende Witz, der auch das Gefährlichste in
schillernden Schaum aufzulösen vermag — typische Gaben des Ro-
manen.
Goethes ganzes Leben war ein dauernder Klärungsprozeß. Zu leicht
wird übersehen, daß der Olympier, als der er so gern geschildert
wird, sein Leben lang kämpfte, um die ersehnte innere Harmonie zu
erlangen. Die Ruhelage, die humorische Darstellung der Welt- und
Lebensprobleme als Voraussetzung fordert, war ihm versagt, und darin
sehen wir auch den tiefsten Grund in seinem eigenen Versagen auf
dem Gebiete des Lustspiels.
2. SCHILLER.
Ebensowenig war es Schiller vergönnt, sein ersehntes Ziel, ein
gutes Lustspiel zu schreiben, zu erreichen. Er hat selbst die Grund-
sätze dazu aufgestellt, als er in Vereinbarung mit Goethe am 9. No-
vember i8co in den Propyläen ein Preisausschreiben veröffentlichte:
,Jene geistreiche Heiterkeit und Freiheit des Gemüts, welche in uns
hervorzubringen das schöne Ziel der Komödie ist, läßt sich nur durch
eine absolute moralische Gleichgültigkeit erreichen; es sei nun, daß
der Gegenstand selbst schon diese Eigenschaft habe, oder daß der
Schiller. I99
Dichter die Kunst besitze, die moralische Tendenz seines Stoffs durch
die Behandlung zu überwinden".
Das sittliche Pathos Schillers war dazu nicht geeignet. In reifer
Selbsterkenntnis schreibt er am 13. Mai 1801 dem Freunde Körner:
„Ich fühle aber, wie fremd mir dieses Genre ist. Zwar glaube ich mich
derjenigen Comödie, wo es mehr auf eine comische Zusammenfügung
der Begebenheiten als auf comische Charactere und auf Humor an-
kommt, gewachsen, aber meine Natur ist doch zu ernst gestimmt;
und was keine Tiefe hat, kann mich nicht lange anziehen". Das Lust-
spiel, wie wir es als Höchstgattung dramatischer Komik auffassen,
entbehrt allerdings nicht der Tiefe, aber für Schiller bedeutet Tiefe
die Betonung des Sittlichen, und über dessen Stellung im Lustspiel
stimmen wir seiner Forderung in der Preisaufgabe zu.
Am ehesten ist ihm der Versuch zum Lustspiel gelungen in der
Bearbeitung von Gozzis „Turandot" (1802). Und dennoch ist das
Original in seiner losen, widerspruchsvollen Zusammenstellung wir-
kungsvoller als Schillers Werk mit seiner kunstvollen Einheit, die den
tollen Wirbel frechster Ungebundenheit und märchenhafter Phantastik
stilbewußt, aber stilfremd abgedämpft hat. Schiller ist selbst der er-
habene Charakter, dem er die Tragödie, und nicht der schöne Cha-
rakter, dem er das Lustspiel zuweist. Wenn auch nach ihm („Über
naive und sentimentale Dichtung") die höchste Komödie „alle Tra-
gödie überflüssig und unmöglich machen" würde, uns zu absolut freien
Göttern erhöbe, so bleibt dies doch eine uns schicksalbestimmten
Menschen nie erreichbare, rein theoretische Zielsetzung ohne Mög-
lichkeit praktischer Verwirklichung. Der Idealist hatte trotz aller theo-
retischen Erkenntnis so wenig Verständnis für die Geeignetheit des derb
Realistischen, ja Naturalistischen im Lustspiel, daß er einen der besten
Vertreter realistischer Komödie in der Weltliteratur mit den bekannten
Worten abtut: „In welchen Schlamm zieht uns nicht Holberg hinab".
Diese seelische Fremdheit unserer beiden Klassiker gegenüber
dem Lustspiel ist sicherhch keine Feindschaft, spricht doch Schiller
wiederholt den Wunsch aus, auch als Lustspieldichter sich Lorbeer
zu erringen, aber sie bewirkt doch eine relativ geringere Einschätzung
der Gattung. Das Lustspiel ist nicht in das Programm ästhetischer
Menschen- und Menschheitserziehung einbezogen, es wird schlecht-
hin als Unterhaltungsstück gewertet. Diese gegenseitige Abschätzung
von Tragödie und Komödie ist ein altes, immer wiederkehrendes
Problem. Schon Plato hat darüber nachgedacht und es im Sinne
der Gleichwertigkeit gelöst. Doch der modernen Kunstanschauung,
wie sie sich im Laufe der christlichen Jahrhunderte allmählich aus
dem mißverstandenen Aristoteles heraus entwickelte, hat die angeb-
liche soziale Fallhöhe zwischen beiden Gattungen die Grundlage
einer ästhetischen Minderwertung der sozial tiefer stehenden Komödie
geboten. Selbst in der Heimat Molieres hält Lesage das Problem
200 Achtzehntes Jahrhundert : Klassische Periode.
noch für erörterungswürdig. Und wenn noch das ganze 19. Jahr-
hundert hindurch bei uns in Deutschland das Urteil der Allgemein-
heit zuungunsten der Komödie lautete, so war neben der mangelnden
Gesellschaftskultur die Haltung unserer Klassiker dabei mitbestimmend.
3. MITLÄUFER,
a) Friedrich Ludwig Schröder.
Die Praxis der zeitgenössischen Hauptlieferanten des Lustspiels
war allerdings nicht geeignet, unsern Klassikern eine bessere Meinung
beizubringen. Friedrich Ludwig Schröder und August Wilhelm Iffland
waren die erfolgreichen Chorführer in dem lauten Kreis der Mit-
läufer der Klassik. Mit ihren Gefolgsleuten Jünger, Bretzner u. a.
übernahmen sie Stoffe und Probleme der Sturm-und-Drang-Zeit, der
sie, wie Schröder, teilweise selbst angehörten. Adelstand und Bürger-
stand werden gegeneinander ausgespielt, reiches Laster wird der armen
Tugend gegenübergestellt, Naturunschuld in versüßlichtem Rousseau-
ismus von Kulturverderbtheit abgehoben im beliebten Gegensatz von
Stadt und Land. Der Unterschied der klassischen Periode vom Sturm
und Drang zeigt sich an diesen Mitläufern vor allem darin, daß gegen-
über dem Gefühlsüberschwang, worauf wir die Vorliebe für Verfüh-
rungsmotive zurückführten, wieder ein moralischer Rationalismus, der
Aufkläricht, die Vorherrschaft gewinnt. Deutlich ist dies zu beobachten
an Schröders (1744 — 1816) „Stille Wasser sind tief".
Der Sturm und Drang mit seiner Abkehr vom gesetzesklaren ratio-
nalistischen Drama der Franzosen und seiner Liebe zum emotionalen
Drama der Engländer hatte in Christian Heinrich Schmid, dem von
Lenz bitter verhöhnten Gießener Schmid, einen Förderer seiner eng-
lischen Neigung gefunden durch dessen „Englisches Theater", worin
er von 1771 an eine Reihe englischer Dramen übersetzte. Darin ist
Beaumont und Fletchers „Rule a wife and have a wife" als „Der beste
Mann" enthalten. Die mir vorliegende anonyme Ausgabe von 1778
ist überraschend frisch in der Dialogführung, lebendig in der in
spanischem Milieu verlaufenden Possenhandlung, die wirksame Situa-
tionen unbekümmert um Wahrscheinlichkeit aneinanderreiht und unser
Interesse bis zum Schlüsse wachhält. Sie steht, wie schon Lichtenberg
erkannt hat, turmhoch über den zeitgenössischen Originalstücken.
Sechs Jahre darnach bearbeitet Schröder dieselbe Posse, indem er
die Handlung — die Bezähmung einer Widerspenstigen — in deutsche
Umgebung versetzt und die Unwahrscheinlichkeiten durch Motivie-
rungen zu verbessern sucht. Aber gerade seine vermeintlichen Ver-
besserungen werden Verschlechterungen dadurch, daß er glaubt, ver-
standesmäßige Wahrscheinlichkeit sei auch künstlerische. Schmid
steht dem englischen Original so nahe wie Schröder dem Rationalisten
Mitläufer: Friedrich Ludwig Schröder. 201
Christian Weise, bei dem wir ähnliche Wege in der Bearbeitung der
„Zähmung der Widerspenstigen" verfolgen konnten (S. 106/7).
Aber darin ist Schröder typisch für den Aufkläricht. Sein wie
seiner Genossen Grundfehler ist, daß sie künstlerische Illusion durch
platte Vemünftelei zu erreichen glauben. Sie verstehen gar nicht, daß
es sich hier um zwei durchaus verschiedene Erlebniswelten handelt,
deren gegenseitige Distanz allerdings in verschiedenen Zeiten ver-
ringert oder vergrößert werden kann. Durch seine Rationalisierung
macht Schröder einen frischen, lustigen Possenstoff zu einem der Zeit
angepaßten, platt-langweiligen Schauspiel, dessen Komik nur auf den
alten übernommenen Situationen beruht, und das er dadurch zeit-
gemäß gestalten will, daß er fürstenfeindliche Verführungsmotive des
Sturm und Drangs hinzumischt.
Der Theaterpraktiker ist ein Zeugnis dafür, wie tief und breit die
Kluft war, die die Klassiker vom Publikum trennte. Schröder, obwohl
er das Theater als Bildungsinstitut auffaßte, rechnete doch genau
mit dem, was er seinem in rational-moralistischer Aufklärung be-
fangenen Pubhkum zumuten durfte. Dies zeigen seine zahlreichen
Bearbeitungen fremdländischer, wesentlich englischer Stücke, worin
er gern mit den den Zuschauem vertrauten Motiven arbeitet. So gibt er
im „Ring" eine Molieresche Tartuffegestalt, einen Tellheimschen Haupt-
mann und eine Bamhelmsche Ringgeschichte, Typen und Motive, die
auch in der englischen Sittenkomödie vorhanden sind. Dazu werden
in den Handlungsverlauf gelegentlich patriotische und moralische
Phrasen verwoben, die zwar mit dem Stücke selbst nichts zu tun
haben, aber bei den Zuschauem Beifall auslösen, für den Schauspieler
also dankbare Rollen schaffen und überdies zur Befriedigung des
Autors erzieherisch wirken sollen.
Unbedenklich macht also der Übersetzer die Originale seinen
Zwecken durch Veränderungen dienstbar. Immerhin ist sein eigent-
liches Talent am besten in seinen Originalstücken zu erkennen. Wir
nennen den „Fähndrich" (1782) und „Das Portrait der Mutter oder die
Privatkomödie" (1786). „Der Fähndrich" ist das typische rührende
Familiengemälde, das Lustspiel benannt ist, weil einige Personen
komische Eigenschaften haben: Der Vater: eine durch Unglück
erworbene Gedächtnisschwäche; — eine Kontrastfigur des Helden:
lästige Fragewut. Der Stoff ist die seit Nivelle de la Chaussee der
Rührkomödie eignende romantische Verwicklung mit Verwechslungen
— auch die Komödien Shakespeares und der Alten hätten unschwer
Vorbilder liefern können — , bis sich zum Schlüsse alles in Zufrieden-
heit auflöst. Das Stück ist aber auch t3^isch für Schröders Dramatik.
Eine glänzende Technik weiß von Szene zu Szene, von Akt zu Akt
Spannung zu erregen, wobei Abschweifungen von der Handlung nur
gerade so weit zugelassen werden, als sie direkt oder indirekt zur Ent-
hüllung beitragen. Noch heute müßte das Stück bühnenwirksam sein,
202 Achtzehntes Jahrhundert: Klassische Periode.
wenn der Stoff in seiner Rührseligkeit nicht gar zu kindlich-naiv wäre,
wenn die Personen blutvolle Menschen und nicht nur Träger bestimmter
Eigenschaften wären. Es bezeugt den erfahrenen Theaterpraktiker,
wie er durch Kontrastierung der Eigenschaften, etwa des anscheinen-
den Menschenfeindes und heimlichen Wohltäters, auf die Zuschauer
zu wirken versteht — es bezeugt allerdings auch das geistige Niveau
dieser Zuschauer, welche Kraßheit der Kontraste er ihnen bieten darf.
Schröder ist Schauspieler, und er schreibt vor allem Rollen. OfiFen-
sichtlich wird dies, wenn er eine ganze Szene (III, 6) nur durch eine
Regiebemerkung für den Darsteller ausfüllt.
Mit denselben Mitteln arbeitet Schröder im „Portrait der Mutter".
Es ist klar, daß diese Arbeitsweise zu Ähnlichkeiten führt. Motive,
Situationen, Charaktere, deren Wirkung auf das Publikum erprobt
wurde, werden gern, leicht verändert, wieder aufgenommen. So etwa
ist auch hier ein Vater, dem das Unglück das Gedächtnis geraubt hat.
Auch in diesem Stück ist die Komik nur Beiwerk zu der auf Rührung
berechneten romantischen Verwicklung, die mit der Erkennung des
zurückgekehrten, falsch verdächtigten Sohnes ihre glückliche Auf-
lösung findet. Ein Dichter ist Schröder sicherlich nicht, aber als
Handwerker verdient er den Meistertitel.
b) August Wilhelm Iffland.
Tiecks Lob, daß Schröder hoch über Iffland (1759 — 1814) stehe, ist
nur aus seiner Gegnerschaft zu -letzterem erklärlich. Denn Iffland ist
Schröders Spiegelbild. Er, der Dramatiker des Rührstücks, stellt eben-
so wie Schröder das Lustspiel in den Dienst belehrender Rührselig-
keit. Er kennt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden
dramatischen Spielarten. Das Lustspiel ist ein Rührstück mit komi-
schen Elementen. Schon daraus ergibt sich, daß Iffland kein Dichter
ist, der ein Lustspiel nach Eigengesetzen mit Eigenzielen aufbauen
kann. Hierin liegt der tiefste Grund seines Versagens in der Lust-
spielproduktion, soweit sie einem Theaterpraktiker — nicht Dichter —
hätte gelingen können.
Außer acht Übersetzungen hat Iffland dreizehn Lustspiele geliefert,
Devrient in der „Geschichte der Schauspielkunst" urteilt darüber: „Wie
alle unsere Schauspielerarbeiten gehen Schröders und Ififlands Stücke
nur darauf aus, ihre Kunst zu fördern und nicht die Litteratur". Alle
seine Figuren, die er gern zueinander in Kontrast stellt, verkörpern
eine oder mehrere Eigenschaften, ohne daß diese bei diskreten Ab-
schattungen in dem Kerne menschlichen Charakters ihre gemeinsame
Wurzel fänden, ohne daß diese in reicher Mannigfaltigkeit ein be-
sonderes Erfindungstalent ihres Verfassers verrieten. Trotz des aus-
geführten, redseligen Dialogs gleichen sie Figuren der Stegreifposse,
die erst durch die Schauspieler verlebendigt werden. Darin liegt der
Grund, warum einzelne Stücke über ihren Eigenwert hinaus auf der
Mitläufer: August Wilhelm Iffland. 203
deutschen Bühne lange dauerndes Heimatsrecht gefunden haben. Die
Darsteller wußten, unterstützt durch zahlreiche Regiebemerkungen,
die leeren Kleider immer wieder wirkungsvoll zu tragen. Heute be-
dürfte es schon ganz hervorragender darstellerischer Kunst, um uns
die öde Mischung moralsalbadernder Rührseligkeit und unwahrschein-
licher grober Possenmotive erträglich zu gestalten.
Da Haubenstöcke von Eigenschaften und keine Charaktere auf-
treten, so können wir billigerweise auch keine Entwicklung erwarten
und atmen auf, wenn endlich der im V. Akt eintretende Umfall den
nahen Schluß verkündet.
Der Inhalt ist stets eine Heiratsgeschichte, in die mit Vorliebe alte
Junggesellen und Jungfern, womöglich auch eine Schwiegermutter
verwickelt sind, und deren Intrige nach altem Brauch durch die stets
bereiten Bedienten eingeleitet und betrieben wird. Die darin ent-
haltene Komik ist wesentlich Situationskomik, häufig rein mimischer
Art. Bei dieser Betonung des Schauspielerischen ist es nur natürlich,
daß das Beiseitesprechen beliebt ist, lassen sich doch dadurch nicht
nur erhellende, belehrende Aufschlüsse geben, sondern auch mit
leichter Mühe komisch kontrastierende Wirkungen erzielen. Der
Theaterpraktiker weiß, daß sich mit grellen Gegensätzen am leichte-
sten der Beifall der Masse erringen läßt: so bedrängt das Laster die
Tugend, der verderbte hohe Würdenträger kontrastiert mit dem tugend-
samen einfachen Bürger, der Briefadel mit dem Herzensadel, der gute,
treue mit dem schurkischen, habsüchtigen Diener, die ränkesüchtige,
eitle Frau mit dem geraden, tüchtigen Mann, der nichtswürdige Hei-
ratskandidat der Eltern mit dem edelsinnigen Liebhaber der Kinder,
und ebenso wie bei Schröder wird dieses Zweifarbengemälde mit
reichlichen Zutaten von sentimentalem Patriotismus und süßlicher
Moral durchsetzt. Iffland ist der durch die Sturm-und-Drang-Periode
hindurchgegangene Geliert.
Ifflands beliebteste Lustspiele waren „Der Herbsttag" (1790) und
„Die Hagestolzen" (1791). Wie gewöhnlich werden im „Herbsttag"
Adel und Bürger, Stadt und Land als schlecht und gut einander gegen-
übergestellt. Schließlich bewirkt der äußerlich lächerliche, innerlich
um so wertvollere Licentiat Wanner, daß alle Hindernisse überwunden
werden und drei Paare zum Schlüsse glücklich vereint sind. Die Ge-
stalt des Wanner, die in ihrem Widerspruch von Sein und Schein
dem für solche Kontraste besonders empfänglichen E. Th. A. Hoff-
mann sehr zusagte, ist darum um nichts lebenswahrer als die anderen
Figuren des Stückes. Auch die ehemals besonders geschätzten
,, Hagestolzen" verdienen nur insoweit Anerkennung, als Iffland hier
tatsächlich versuchte, die Handlung mit ihren Verwicklungen aus dem
Charakter selbst abzuleiten. Besonders stark arbeitet er hier mit
rousseauistischen Tönen, zu deren Verstärkung er auch die beliebte
Figur einer rührenden Landnaiven einführt. Doch die weiblichen wie
204 Achtzehntes Jahrhundert: Klassische Periode.
männlichen Naiven — Peter im „Herbsttag" — , die Träger billigen,
sittlich einwandfreien Humors sein sollen, sind gleichermaßen un-
erträglich. Wenn Goethe meint, „Die Hagestolzen" seien Ifflands
einziges Stück, das „aus der Prosa ins Ideelle gehe", so ist die
Prosa doch so stark, das Ideelle so sehr mit unwahrer Sentimentalität
umwuchert, daß wir höchstens Triviales, jedenfalls keinen reinen
Genuß verspüren.
Beide Lustspiele offenbaren uns Ififlands dramaturgische Scha-
blone: Zunächst geben Bedienstete — selten wie im „Hausfrieden"
(1796) die Hauptpersonen — die Exposition, dann zeigt die Hand-
lung der ersten vier Akte den wahrscheinlichen Sieg der schwarzen
Partei, um mit dem fünften und Schlußakte den Umschwung und
den Triumph des Guten zu bringen. Dieser Schluß ist meist der
Entschluß zur Umkehr, sei es von einer intellektuellen Torheit —
hauptsächlich in Possen wie „Der Komet" — oder, wie in den meisten
Lustspielen, von einer ethischen Irrung. „Der Poet ist der Wirt, der
letzte Aktus die Zeche, Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die
Tugend zu Tisch".
Dieses Xenion Schillers trifft nicht unverdient den ganzen Kreis,
auch Iffland wie Schröder. Ihrer beider Unterschied besteht im wesent-
lichen nur darin, daß Schröder analytisch eine vor Beginn des Stückes
liegende romantische Verwicklung im Handlungsverlauf langsam auf-
dröselt, bis die Enthüllung den Stückschluß bringt, während Iffland
die Fäden der Verwicklung allmählich spinnt, um im letzten Akte den
Knoten resolut durchzuhauen — daß Schröder also Entwicklungsstücke
liebt und Iffland Verwicklungsstücke. Im übrigen passen die zur
Charakterisierung von Schröders Schaffen angeführten Züge auch
auf Iffland.
So geschickt sich beide auch in ihrer Bühnentechnik erweisen,
sie sind als Dramatiker keine Künstlernaturen. Jedes Kunstwerk hat
als Kunstschöpfung etwas die bürgerlichen Maße und Grenzen
Überschreitendes, Sprengendes. Die Schröder, Iffland und Ge-
nossen waren gerade peinlichst bestrebt, diese Maße und Grenzen
in ihrer Geltung zu erweisen, sich bewußt innerhalb ihrer zu halten.
Sie sind nicht die Träger eines individuellen Weltgefühls oder eines
universalen Persönlichkeitsgefühls, sie repräsentieren nur das Ge-
fühl einer beschränkten Büigerklasse von bestimmter Konvention,
von paragraphierter Moral. Daher die Enge, die Philistrosität ihrer
Stücke. Diese KleinUchkeit und Unfreiheit zeigt sich auch in der
Sprache. Überall nur tote Worte, nirgends ein plattes Sprechen
durchbrechender Ton, stets die brave Mittellage, nirgends ein Jauch-
zen, ein Singen, stets bürgerliche FamiHenkonvention, nie der Auf-
schrei, die Ekstase einer leidenschaftlich erregten Persönlichkeit. In
Sprache wie in Dramatik sind sie Handwerker, Theaterpraktiker, nicht
Schöpfer, Dichter.
Mitläufer: August von Kotzebue. 205
c) August von Kotzebue.
Mit Schröder und Iffland wird immer wieder August von Kotzebue
(1761 — 1819) in eine Linie gestellt. Zu Unrecht. Vergebens hat bereits
Kotzebue selbst dagegen protestiert. Als Mensch steht er unter, als
Künstler ebenso hoch über ihnen.
Schröder und auch Iffland hatten das aufrichtige Bestreben, ihr
Publikum zu belehren, zu bessern. Kotzebue verschmäht nicht die
wirkungsvollen moralischen Tiraden, aber er wendet sie nur des damit
zu erzielenden Beifalls wegen an. Er ist viel zu sehr Skeptiker, als
daß er an die Schaubühne als moralische Anstalt glaubte. Wenn
Schröder und Iffland Schillers hohes ästhetisches Erziehungsideal ins
Philiströse verflacht haben, so steht ihm Kotzebue vollkommen fremd
gegenüber und verfällt daher nicht in die gleiche Philistrosität.
Kotzebues Stärke und Schwäche ist seine Gesinnungslosigkeit. Er
hat nie die reine, auf sittlichem Urgründe sich aufbauende Humorhöhe
von Lessings Meisterlustspiel erreicht. Und doch berechtigt ihn die
Fülle und Art seiner Produktion mehr als Lessing zu dem Titel, den
dieser sich in der Jugend schon setzte: ein deutscher MoHere zu wer-
den. Vielleicht deshalb, weil er im Grunde seines Wesens so un-
deutsch war. Es fehlt ihm die Gefühlswärme, die allzuoft in deutsche
Sentimentalität ausartet. Hierin gleicht er dem modernen Sternheim
oder vielleicht noch mehr dem irisch-englischen Shaw. Wohl mangelt
es bei ihm nicht an sentimentalen Zügen und Szenen, doch sind sie
nicht einem inneren Bedürfnis entsprungen, sondern seiner Kenntnis
der Bedürfnisse des Publikums. Er wirkt international in seiner vor-
herrschenden Intellektualität.
Kotzebue war kein Bürgerphilister wie Iffland, er war auch keine
sittliche Macht wie Schiller oder eine starke Weltpersönlichkeit wie
Goethe, er war ein reicher Gourmet, der weder Diesseits- noch Jen-
seitswerte als unerschütterlich und absolut anerkannte, der daher auch
nicht die Relativität alles Diesseitigen am Jenseitigen maß. Für ihn
gab es überhaupt kein Absolutes, keine ewig gültigen Wertmaßstäbe.
Er bezieht alles in seinen Blickbereich, auf sein kritisches Ich, das aber
selbst keinen dauernden Standort, keine feste Wurzel besitzt. Er ist
ein Geschmäckler, der an allem seine Laune üben kann, seien es Cha-
raktere oder Stände, Gefühle oder Erkenntnisse, Leidenschaften oder
Überzeugungen, individuelle oder soziale Betätigungen. Aber gerade
weil ihm die unbeirrbare Orientierung fehlt, sei es durch den Glauben
an ein Absolutes, sei es durch den gesicherten Besitz eigener Persön-
lichkeit — was beides ja meist zusammenfällt — , so fehlt die Grund-
lage versöhnenden Humors, so fehlt die Kraft überzeugender Klarheit,
natürlicher Größe, Einfachheit und Schlichtheit. Sein Feinschmecker-
tum ergötzt sich an Sittlichem und Unsittlichem, an Pathetischem
und Naivem, an Grobem und Feinem. Es fehlt ihm Liebe und Haß.
206 Achtzehntes Jahrhundert: Klassische Periode.
Diese Entthronung des sittlichen Ideals, dieser Mangel an entschie-
dener Persönlichkeit läßt ihn nie die Tiefe Molieres erreichen. Aber
sie erleichtern ihm andrerseits die Erreichung seines selbstgesteckten
Ziels komischer Darstellung der Welt. Nichts ist davon von vorn-
herein ausgeschlossen, die ganze unerschöpfliche Fülle der Erschei-
nungen ist ihm Objekt, alles tut sich ihm in relativer Nichtigkeit kund.
Überall steht er und kann auch anders. Heute verlacht er die Deutsch-
franzosen, morgen die Deutschtümler.
Nicht nur äußerlich ahmt Kotzebue Moliere nach, indem er ihm
Charaktere, Motive, Situationen entlehnt. Gleich dem genialen Vor-
bild versucht auch der talentierte Nachbildner, seiner Zeit den Spiegel
vorzuhalten, und die erstaunliche Fülle seiner Beobachtungen, die
dank der eigenen Prinzipienlosigkeit kein Gebiet seiner Persiflage
vorenthält, gibt eine ganze Kulturgeschichte seiner Gegenwart.
Kotzebue ist Satiriker, aber er ist kein Eiferer. Dazu fehlt ihm
ja der Ernst. Selbst sein eigenes Schaffen ist ihm nicht wichtig genug,
daß er es nicht seiner Selbstpersiflage preisgäbe. Seine berühmte
Gurli wird von ihm selbst verlacht. Es sollte überhaupt mehr bedacht
werden, daß die Naturnaive eine Figur in einem — überaus sentimen-
talen — Lustspiel, „Die Indianer in England", und daher von vorn-
herein auf komische Wirkung angelegt ist. Deshalb wird ihm die
Verspottung der Gurli-Nachahmungen leicht. Immerhin liegt darin ein
Zug ins Große. Er ist weltmännisch, allem geistig Kleinbürgerlichen
abgewandt. Sein Spott erwächst nicht aus Grundsätzen — das hat
man ihm bis heute nicht verziehen — , sondern aus der Freude am
Spott selbst. Wer das erkannt hat, kann ihm darob nicht mehr
grollen, und so erleben wir, daß, wie Sokrates in der Aufführung der
„Wolken" des Aristophanes über seine eigene Verulkung gelacht
haben soll, auch der Phrenologe Gall bei der Vorstellung der seine
Schädellehre karikierenden Posse „Die Organe des Gehirns" sich
des Lachens nicht enthalten konnte.
Aus der rationalistischen Aufklärung stammend, lehnt Kotzebue
alles skeptisch ab, was den gesicherten realen Boden verstandesmäßig
begreiflicher Erscheinungen verläßt, er ist aber auch so sehr ein
Sohn seiner Zeit, die mit Fichte das Nicht-Ich als ursprünglich irreal
ansieht, daß er selbst die tatsächliche Erscheinungswelt mit seiner
Skepsis durchdringt. Es ist klar, daß eine solche Haltung besonders
diejenigen verletzen mußte, die mit glutvoller Innigkeit sich neuen
Ideen hingaben, seien es nun die Romantiker, die er im „Hyper-
boreischen Esel" verspottete, oder die nationalen Liberalen der
Burschenschafterkreise, die er mit Stücken wie „Hans Max Gies-
brecht von der Humpenburg" (1815) oder „Der deutsche Mann und
die vornehmen Leute" (18 18) traf.
Im Grunde ist dies Schicksal jedes Zeitsatirikers. Jede neue Be-
wegung nimmt ihren Anfang in Geburtskrämpfen. Ihre Träger sind
Mitläufer: August von Kotzebue. 10~J
daher mit zu wehem, stechendem Schmerz erfüllt, als daß nicht ihr
Spott über das Alte, das sie überwinden wollen, tragisch getönt wäre,
als daß nicht ihre Satire zur Tragödie würde. Das zeigten uns die
Stürmer und Dränger. Die Vertreter des Alten, Bewährten fühlen sich
dagegen gesichert genug in dem überkommenen Besitz, als daß sie
nicht über die jugendlichen Neunmalklugen lachen könnten. So tat
es Aristophanes, so tut es Kotzebue. Der Unterschied ist nur der,
daß auch das Alte für Kotzebue kein gesicherter Besitz ist, auch die
Lächerlichkeiten der altmodischen „Deutschen Kleinstädter" enthüllt er.
Allen Gesinnungstüchtigen mußte er infolgedessen natürlich ein
Greuel werden. Doch, wie später Heine, war auch er ein besserer
Musikant als diese braven Leute. Gewiß gebrach es ihm an der
Grundlage jedes echten Dichterberufs: der sittlichen Stärke. Aber
seine Theaterwirksamkeit war nicht zu leugnen. Der Theaterdirektor
Goethe, dem seine ,, Nullität" im Innersten zuwider war, führte ihn
dauernd auf. Und diese Theaterwirksamkeit, der sich auch der Gegner
beugen mußte — man mag noch so hohe Anforderungen an das
Theater stellen, seine Existenz ist doch von dem Gefallen der Masse
abhängig, es ist eine soziale Institution — , beruhte nicht zum wenigsten
auf jenem Charaktermangel. Kotzebues Bedenkenlosigkeit erlaubte
ihm, tiefen Problemen aus dem Wege zu gehen, sie ins Seichte und
damit dem Massenpublikum Faßliche zu verflachen und durch den
nötigen Schuß sentimentalen Zuckerwassers gefällig zu machen.
Ohne jede tiefer gehende Erregung konnte man bei ihm lachen,
ganz im Gegensatz zu den Klassikern, deren hohe ästhetische Kunst
allenfalls Feiertagskost dünkte, bei der sich der Philister aber doch
unbehaglich fühlte. Die ästhetische Erziehung, die sich die Klassiker
zum Programm gesetzt hatten, war der Masse fremd geblieben. Sie
freute sich, wenn sie jetzt bei Kotzebue das Feiertagsgewand ablegen
konnte und sich nach Herzenslust kannibalisch wohlfühlen durfte.
Man fühlte sich unsicher auf jenen lichten Höhen und sehnte sich
nach der bequemen, schwindelfreien Tiefe. Man hatte genug jener
vornehmen Distanz, die die klassische wie jede reine Kunst von der
Gegenwart fern hielt — daß ihr Gehalt dennoch Zeiterlebnis war,
wußte man ja nicht, da man sich nur an das Stoffliche klammerte
— , und sah mit Entzücken, daß Kotzebue die Erscheinungen seiner
Zeit aus nächster Nähe beschaute. Diese Zeit ist dargestellt in einer
überaus fruchtbaren dramatischen Produktion, deren Reichhaltigkeit
mit ihrer Beliebtheit wetteiferte, die die deutsche Literatur zum Welt-
gute machte, wie es bisher nur die ,, Leiden des jungen Werther" ge-
worden waren. Diesen Weltruhm dankte Kotzebue sicherlich nicht
der rein dichterischen Qualität seiner Dramen, sondern eher dem
Undichterischen daran, dem Unpersönlichen.
Der prometheische Dichter bewährt sich dadurch, daß er in seiner
Brust seine Zeit, seine Welt erlebt und daraus die gestalteten Ver-
2o8 Achtzehntes Jahrhundert : KUassische Periode.
dichtungen seines Fühlens hervorzaubert. Solche Schöpfungen sind
wohl zeitbedingt, aber, aus dem Schöße der Mütter, in dem sich in-
dividuelles und kosmisches Erleben trefifen und entzünden, heraus
geboren, im tiefsten Grunde zeitlos, Kotzebues Werk ist nicht zeit-
los und daher im wesentlichen Sinne keine Kunst, es ist zeitgemäß,
Handwerk.
Dagegen scheint die seit Minor immer wieder angeführte Tatsache
zu sprechen, daß allein an der Wiener Hofburg von 1790 bis 1867
Kotzebue 3650 Abende füllte. Die Erklärung dieser langdauemden
Beliebtheit scheint mir aber vor allem darin zu liegen, daß sein klares,
von leidenschaftlicher Parteinahme nicht geblendetes Auge in der
Hauptzielscheibe seines Spottes, dem Bürgertum, Züge erspähte, die
fast unvergänglich scheinen, und daß andrerseits die Kultur- und
Sittenwandlung des Volks- und Bürgertums außerordentlich langsam
vorwärtsschreitet. Gerade der Bürgerstand, dessen satirische Beob-
achtung die Grundlage der meisten Komödien Kotzebues bildet, sollte
mit seiner Entwicklung noch bis ins letzte Drittel des Jahrhunderts
im Brennpunkte allgemeinen Interesses stehen. Weiter ist diese selbe
Zeit, nach der Klassik, an bühnenfähiger dramatischer Produktion
sehr dürftig gesegnet, um so mehr als die großen Dramatiker des
19. Jahrhunderts erst in dessen zweiter Hälfte zu allgemeiner An-
erkennung durchbrachen. Man war daher dankbar für Kotzebues
bühnenkräftige Theaterware in jener Zeit, die nach Gervinus das
Reich der Dichtung und Phantasie mit dem Reich des Handelns und
der Tat vertauscht hatte.
Und schließlich sind jene satirischen Ausfälle kultureller oder
literarischer Art, die gerade seine beliebtesten Dramen füllen, so
wenig aus dem inneren Kerne der handelnden und redenden Cha-
raktere geschöpft, daß sie ohne Schaden durch den Regisseur aus-
gewechselt werden können, um das betreffende Stück stets wieder
zeitgemäß zu machen. Er selbst macht gelegentlich in dem „Weib-
lichen Jacobiner-Clubb" darauf aufmerksam. Diese Sorglosigkeit der
Charakterzeichnung, die, eine Reihe klug berechneter Bühneneffekte
verbindend, den Schauspielern nur Skizzen gab, brachte den Dar-
stellern nur leichte Aufgaben, sich selbst zur Wirkung zu bringen.
Sie fanden in Kotzebues Stücken, ähnlich wie in denen Ifflands, gern
gesuchte Paraderollen, und das Publikum schenkte leicht seinen Dank,
der dem Darsteller galt, der Rolle und damit auch dem Verfasser des
Stückes. Immerhin ist ein Unterschied zwischen der Charakteri-
sierungskunst Kotzebues und der der Schröder und Iffland. Diese
gaben uns Puppen, jener zwar auch, aber er verleiht ihnen doch auf
Grund seiner geschärften realistischen Beobachtungsgabe gelegentlich
individuelle Züge, Wohl fehlt auch seinen Gestalten das innere
Leben, das nur aus dem inneren Erleben, nie aus äußerer Beobachtung
des Künstlers erwachsen kann, aber wenn jene Puppen mit lang-
Mitläufer: August von Kotzebue.
209
weilig-typischen Porzellanköpfen gaben, so schenkt Kotzebue Künstler-
puppen mit modellierten Wachsköpfen.
Überdies hat Kotzebue das alte Schema des Charakterlustspiels
insofern erweitert, als er es mit der vom Sturm und Drang geforder-
ten Handlungskomödie verband, indem er an Stelle des einzigen Zen-
tralhelden gern zwei oder mehrere Parallelfiguren treten Heß und
dadurch eine größere, wenn auch äußerliche Lebendigkeit erreichte.
Ein Beispiel sind „Die beiden KHngsberg" (1801). Dieses vieraktige
Lustspiel ist direkt Schröder, mittelbar dem Engländer Farquhar ver-
pflichtet. Die beste, am ehesten noch mit Humor gesehene Gestalt
in Schröders „Ring" ist der Graf Klingsberg. Kotzebue hat ihn ver-
doppelt als Vater und Sohn und erzielt nun seine Komik dadurch,
daß beide, gleichgeartet in ihrem Rouetum, sich teils bewußt, teils
unbewußt bei den gleichen Objekten ihrer illegitimen Wünsche Kon-
kurrenz machen und sich gar dabei unverhofft begegnen.
Darin ist bereits der Hauptmechanismus von Kotzebues Komödien
erkennbar: Kotzebues Talent, die Komik des Alltags wahrzunehmen, und
zugleich seine ästhetische Bedenkenlosigkeit, zugunsten komischer
Wirkungen alles, was er sieht, zu karikieren, komische Situationen
ohne Rücksicht auf Charakterschilderung oder künstlerischen Aufbau
aneinanderzureihen. Vor allem gilt es, die Langeweile fernzuhalten.
Abgerundete Kunstwerke entstehen dadurch nicht, im besten Falle
eine Folge gelungener Karikaturen der Umwelt, die mit Geschick zu
einem lustigen Ausschnitt aus dem Alltag sich runden, aber doch
eigentlich immer ein willkürliches Theaterende finden. Daher können
auch die gelungensten Stücke beliebig erweitert werden: „Die deut-
schen Kleinstädter" (1803) mit ,,Carolus Magnus" (1806) und „Des
Esels Schatten oder Prozeß in Kraehwinkel" (18 16). Letzteres hat
neuerdings, unter Benutzung der Wielandschen Abderitengeschichte,
der Kotzebue verwandte Ludwig Fulda mit gewohnter Bühnenroutine
und schillerndem Witz aufgewärmt und als „Des Esels Schatten" in
Mannheim zur Uraufführung gebracht. Auch hier findet allerdings
das Erfahrungsgesetz, daß Fortsetzungen eines geglückten Werks
stets enttäuschen, seine Bestätigung. Aber die „Kleinstädter" be-
weisen noch heute ihre W^irkungskraft, Das philisterhafte Kräh-
winklertum, das auch in der Großstadt heimisch ist, mit seiner Titel-
und Rangsucht, seiner Aufgeblasenheit gegen Untergebene und Katz-
buckelei gegen Höherstehende, seinem Cliquenwesen, seiner bösen
Zunge, seinem Aufbauschen von Neuigkeiten: es lebt heute noch.
Wieder hat sich Kotzebue darin durch ein fremdes Vorbild — Picard —
anregen lassen. Weit mehr als Moliere nimmt er das Gute, wo immer
er es findet. Es ist kein Zeichen von Erfindungsarmut, daß Kotzebue
immer bereit ist, bei deutschen und fremdländischen Autoren Anleihen
zu machen. Es sei darunter außer Molieres und Holbergs insbesondere
Goldonis gedacht, von dessen aus der reformierten commedia dell'arte
Holl , Lustspiel. 14
2 I O Achtzehntes Jahrhundert : Klassische Periode.
gestalteten Charakterkomödie seine Situationskomik bereichernde Ele-
mente bezog. Trotzdem ist fließende Erfindung sein eigen. Nicht daß
ihm die Gabe der Phantasie verliehen sei, die über das Reale hinaus frei
gestaltet. Er hebt sich nicht von der Wirklichkeit; diese beobachtet er,
sammelt seine Eindrücke und schaltet mit ihnen souverän, indem er sie
zu den mannigfaltigsten Kombinationen zusammenfügt, immer nur ein
Ziel unbeirrbar im Auge behaltend: Lachen zu erregen. Dadurch sind
seine besten Stücke, wie die „Kleinstädter", die „Pagenstreiche", die
„beiden Klingsberg" und der zu Unrecht als unmoralisch verurteilte
„Rehbock" (1813), so lebendig, daß sie voll von kaleidoskopartiger
Bewegung sind. Deshalb hat er die Helden seiner Stücke vermehrt,
deshalb läßt er kontrastierende Bediententypen auftreten: treue, ehr-
liche Seelen nach Lessings Just und gerissene französische Filous,
deren Stammbaum über Moliere hinaus auf Plautus zurückgeht und
die gleichgesinnte Landsmänninnen treffen in den kokett-gewandten,
schnippischen Soubrettenkammerzofen von Marivaux' Gnaden.
Was der heutigen Wiederaufnahme gelungener Stücke, wie des
verwechslungsreichen „Rehbock", in den Spielplan entgegensteht, ist
vor allem die Sprache, — die ein geschickter Regisseur oder Drama-
turg überdies unschwer modernisieren könnte, besonders im „Rehbock",
der eine Neuaufführung an Stelle französischer Ehebruchsschmarren
sicher lohnen würde. Lortzing hat sicheren Bühnenbhck bewiesen,
daß er den Text seinem „Wildschütz" zugrunde legte. Kotzebue ist
voll von Laune, voll von Witz. Das reiche Kapitel der Wortkomik
beherrscht er unbedingt. Die lebendige Führung des Dialogs macht
seiner Intellektualität keine Schwierigkeit. Dennoch stört uns heute
die Unnatürlichkeit der Sprache. Nur selten erreicht die gekünstelte,
geschwollene Ausdrucksweise die Schlagkraft des unmittelbar Über-
zeugenden. Sie könnte wohl wie bei Sternheim einem bewußten
Stilwillen entspringen, indem die hohle Aufgeblasenheit der Redenden
unmittelbar Wort wird in einem leeren, schulmäßigen rhetorischen
Pathos und dadurch das geschilderte Bürgertum direkt charakterisiert
— bei einer Neuaufführung ließen sich aus dieser Verwandtschaft
Wirkungen herausholen. Doch nur ausnahmsweise versucht Kotzebue
bewußt solche Wortkomik. Im allgemeinen ist es ihm mit der ge-
zwungen-konventionellen Ausdrucksform, die uns heute in ihrer Fad-
heit höchstens unfreiwillig-komisch anmutet, bitterer Ernst. Kotzebue
fehlt der Stil. Er will realistisch sein und hat nicht den Mut, um
diese Realistik konsequent durchzuführen, alle tote Büchersprache über
Bord zu werfen. Er kann nichts an ihre Stelle setzen, da seine Per-
sonen ja innerlich tote Puppen sind. Auch hier wieder erkennen wir
den tiefsten Mangel von Kotzebues Kunst: den Mangel an innerem
Erleben.
Deshalb dürfen wir von Kotzebue kein humorvolles Lustspiel er-
warten. Aber sein Possentalent wird dadurch nicht beeinflußt. Kotzebue
Mitläufer : August von Kotzebue. 211
gehört zu unseren besten Possenkünstlern oder Schwankdichtern, die
mit toller Laune, frischem Witz und souveräner Beherrschung der
Situationskomik bühnentechnisch einwandfreie Stücke liefern. Ein
Publikum, das sich nur unterhalten, nur aus Herzenslust lachen will,
wird bei ihm, vor allem in den „Deutschen Kleinstädtern" und dem
,, Rehbock", stets auf seine Kosten kommen.
In Kotzebues Werk, und darin ist er der Vollender der durch
Schröder und Iffland bezeichneten Linie, hat in dem steten Kampf
zwischen Theater und Drama das erstere gesiegt, gerade in der Zeit,
da Klassik und Romantik das literarische Drama zu einer bisher un-
geahnten Höhe erhoben hatten. Kotzebue gehört daher zu den eigent-
lichen Gegnern der Klassik und Romantik, und Goethe hat, wie die
Romantiker, dies klar erkannt, obwohl er auch wußte, daß solche
Gegner nie zu unterdrücken seien. Die Gegnerschaft geht auf das
tiefste Wesen der Kunst, worin Klassik und Romantik übereinstimmen,
auf jene höchsten Menschheitsziele künstlerischer Erziehung, die mit
Unterhaltungsware nie vereinbar sind. Beide stehen sich feindlich gegen-
über. Was Kotzebue gegen die angesehenen Klassiker nicht, oder
nur versteckt wagte, das tat er sofort gegen die jungen Stürmer und
Dränger der Romantik. Von der Froschperspektive aus suchte er ihr
metaphysisches Streben der Lächerlichkeit preiszugeben in dem
,,HyperboreischenEsel oder die heutige Bildung" (1799). In der reinen
Literatursatire, zu der er witzig das Material sich aus den Schriften
der Angegriffenen selbst holte, mußte der Theaterpraktiker allerdings
die Palme den angegriffenen Romantikern lassen. Jedenfalls ist aber
die Zahl unserer guten Komödiendichter viel zu gering, als daß wir
uns die Mißachtung Kotzebues gestatten könnten.
E. NEUNZEHNTES UND
ZWANZIGSTES JAHRHUNDERT.
I. ROMANTIK.
I. SATIREN UND MÄRCHENKOMÖDIEN.
a) Romantik und dramatischer Humor.
In der Romantik sind Kräfte für und wider das humorgestaltete
Lustspiel wirksam. Humor ist grundsätzlich relativistisch gerichtet.
Er beansprucht weder den idealistischen Standpunkt absoluter Frei-
heit noch den materialistischen absoluter Bedingtheit. Er weiß, das
Reich des Diesseits ist überhaupt kein Reich des Absoluten, und mag
auch der einzelne noch so sehr sich durch das Jenseits bestimmen
lassen, die Masse lebt doch im Diesseits und nur im Diesseits. Er
trauert nicht darüber, da einmal über Unabänderliches zu trauern
zweck- und sinnlos, zum andern da dieses Unabänderliche dennoch
dem Wechsel der Zeiten unterworfen ist, dem nichts Irdisches, Dies-
seitiges entrinnen kann. Im Grunde wird das Diesseitige immer bleiben
was und wie es ist, aber seine Erscheinungsformen wechseln. Dieser
ewige Wandel ist das fließende Leben selbst, und der Humorist freut
sich seiner Geistesfreiheit, durch die als fester Pol in der Erschei-
nungen Flucht allein das Erlebnis des Lebens als Fluß ermöglicht
wird, er freut sich dieses Fließens, dessen Erlebnis ihm erst das Be-
wußtsein seiner Geistesfreiheit bringt.
Der Inhalt des romantischen Erlebnisses ist die Geburt eines um-
fassenden Natur- und Weltgefühls, das, im Laufe des 1 8. Jahrhunderts
langsam vorbereitet und durch Goethe zum Durchbruch gebracht,
Natur und Ich als Einheit faßt. Erst dadurch, daß der Romantiker
die Natur gleichermaßen wie den Menschen als Glieder des Kosmos
beseelt, lebendig empfindet, ist der intellektuellen Einstellungsform
seines Humors der gefühlsbetonte Gehalt gegeben. Der Romantiker
steht damit von vornherein dem Lustspieldichter nahe kraft seines
Suchens nach Verinnerlichung, die nach dem Ausdruck der Verein-
heitlichung von Mensch, Natur und Gott ringt. Der panentheistische
Zug der Romantik, dem alles Irdische von dynamischen, ins Jenseits
Satiren und Märcheakomödien: Romantik und dramatischer Humor. 213
weisenden Kräften bewegt ist, verbunden mit ihrer Ichbetonung, die
im eigenen Innern den ewig waltenden Schöpfergeist erschaut, führt
durch die Naturbeseelung zur Gefühlsvertiefung und Bereicherung
der Phantasie, was sich in einer stimmungsvollen Vielgestaltigkeit des
dargestellten Lebens kundgibt.
Der Gestaltreichtum des Lebens und dessen unerschöpfliche
Zeugungskraft, die sinnliche Freude an den zahllosen, wechselnden
Erscheinungsformen des Lebens ist Voraussetzung des Humors, aber
nur bedingt Wesensart romantischen Erlebens. Dadurch ist die Ver-
wandtschaft des Romantikers mit dem Humoristen begrenzt.
Der Romantiker ist in erster Linie Idealist und nicht Realist, er
legt daher folgerichtig stärkeres Gewicht auf die bewußte Geistes-
freiheit als auf die angeschaute Lebensbewegtheit, auf die subjektive
Bewußtheit als auf deren objektive Inhalte. Da sein primäres Ur-
erlebnis aber, wie schon oft beobachtet, die Schöpfung als Bewegung
ist, so ist ihm diese Bewußtheit kein Zustand, sondern eine Funktion.
Er ordnet seinen Geist der Form seines Erlebnisses ein. Gerade weil
er Romantiker ist, will er den Geist immer in Bewegung, in Tätigkeit
sehen. Daraus ist seine Vorliebe für intellektuelle Regsamkeit zu ver-
stehen, die sich betätigt in romantischem Witz, romantischer Satire,
romantischer Ironie, die diese Formen der Einstellung zur Welt und
ihrer Betrachtimg allzu gern der humorischen vorzieht. In den Ko-
mödien der Romantiker ist daher auch mehr Witz, Satire, Ironie am
Werk als Humor. Sie sind mehr dem Kopf entsprungen als dem
Herzen, sie haben mehr Geist als Seele.
Der Romantiker als bewußter Vertreter extrem idealistischer Welt-
anschauung steht der Grundlage jeden echten Humors, dem Relativis-
mus, gegen den Kant bereits Dämme baute, fremd, ja feindlich gegen-
über. Er sucht ihm durch die zur Ichvergottung gesteigerte Subjek-
tivität zu entgehen. Die absolute Ichgeltung der Romantiker findet
in ihrer Dichtungstheorie dadurch Ausdruck, daß der Willkür des
Dichters kein Gesetz Einhalt gebietet. Diese theoretische Grundlage
sogenannter romantischer Ironie hat ihre praktische Entsprechung in
der unvergleichlichen Fähigkeit des Romantikers, sich in jede, auch die
widersprechendste Stimmung jederzeit freiwillig versetzen zu können.
Für solche Reizbarkeit, überaus leichte Beweglichkeit ist jene Welt
absoluter Geistigkeit, die sich die Romantiker, nicht ohne Originalitäts-
sucht, aufbauen, besonders geeignet, da in ihr die Erdenschwere hem-
mender Wirklichkeiten überwunden ist. Romantischer Phantasie sind
vSchwingen verliehen, die sie schrankenlos schweifen lassen. Auch
darin offenbart sich jener charakteristischste Grundzug der Romantik,
das All als Bewegung aufzufassen.
Aus dieser Wurzel alles Romantischen könnte wohl das bewegte,
lyrisch-musikalische Phantasielustspiel sprossen. Aber daran mußte
auch wieder das eigentliche Dramatische der Romantik scheitern, das
21A Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
nicht wie das Lyrische in einer Bewegungsrichtung fließt, sondern
den Kampf entgegengerichteter Tendenzen spiegelt. Diese Tendenzen
mögen Bewegungen sein, aber ihr Kampf bedingt einen Schnittpunkt,
einen Ruhepunkt, in dem die Bewegungen sich treffen, türmen und die
Entscheidung finden. Das Drama ist daher von einem Knotenpunkte
aus aufgebaut, mag dieser auch nicht in der Mitte liegen, während
das lyrische Gedicht von einem Ausgangspunkt aus strahlenförmig
sich bewegt. Der lyrische Strahl ist daher an sich unbegrenzt, er
entspricht der grenzenlosen Bewegung der Romantik. Der dramatische
Aufbau — oder auch Abbau wie in analytischen Formen — dagegen
ist stets begrenzt, da die Ökonomie des Dramas nicht erlaubt, mehr
Triebkräfte in Bewegung zu setzen als zur Schürzung des Knotens
notwendig sind oder als bei der Aufdröselung zur Entfaltung kommen.
Das romantische Drama sucht das Erlebnis des bewegten Lebens
wiederzugeben und vergißt, daß das Dramatische nur einen begrenz-
ten Ausschnitt des Lebens in Personen, Dingen und Kräften zu geben
vermag. Dem romantischen Drama fehlt daher die Möglichkeit zur
Gestaltwerdung; der Romantiker hat auch gar nicht den Willen dazu,
da er seinem inneren strömenden Gehalt die entsprechende Form zu
geben sucht, die in ihrer Entsprechung keine Formung ist noch sein
kann, sondern nur unbedingter, ungehemmter Ausdruck. Daher jenes
Zerfließen, jene Knochenerweichung, die romantische Dramatik keinen
festen Halt auf der Bühne gewinnen läßt.
Beflügelte Phantasie, Lyrismus, Verleugnung der Gesetze der Wirk-
lichkeit, spielende Ironie: überall liegen Bausteine zu den beliebten
romantischen Märchenkomödien, deren Musterbildner der allzeit be-
wegliche Tieck ist, der als Berliner eine besondere Begabung zu der
darin vorherrschenden parodistischen Schilderung mitbringt. Denn
diese Märchenkomödien sind nicht naiv, sie sind höchst bewußt, sie
dienen intellektuellen Zwecken. Wie stets Neuerer, sind die Roman-
tiker Kämpfer. Auch die Märchenkomödien sind Mittel ihres Kampfes
gegen zu überwindende Anschauungen. Sie sind Satire, die nach
der Romantiker Theorie am Anfang erstrebter Transzendentalpoesie
stehen muß als Ausdruck der absoluten Verschiedenheit des Idealen
und Realen.
b) Aristophanes.
Den praktischen Anstoß aber zur Form der romantischen Komödie
hat ein geschichtliches Vorbild gegeben: Aristophanes. Die so unab-
hängig sich gebärdende Romantik kann der Vergangenheit nicht ent-
raten. Im Laufe ihrer Entwicklung tritt dies stärker als zu Beginn
hervor, so daß allmähHch neben das Reich willkürlicher Geistigkeit
das Reich der Wirklichkeit gesellschaftlicher Gegebenheiten, neben das
Reich zeitloser Natur das Reich geschichtlicher Vergangenheit tritt:
die freie solipsistische Romantik endet in Legitimität und Tradition.
Satiren und Märchenkomödien: Aristophanes. 215
Diese Historisierung der Weltanschauung im Zeitalter des absoluten
Idealismus hat bereits in dem extremsten Subjekt! visten, in dem Theo-
retiker der Frühromantik Friedrich Schlegel eine Vorbereitung gefunden
in dessen starker Betonung des griechischen Vorbilds. Mit ihm sehen
die Romantiker in Aristophanes den glänzendsten Vertreter der echten,
einen Rausch der Fröhlichkeit darstellenden Komödie, die sie den
moralsalbademden, rührseligen Ifflandiaden entgegenstellen.
Bei Aristophanes herrscht freie Phantasie. Ungehemmt durch Dar-
stellungsabsichten verstandesmäßig erkennbarer Realität kann er seine
tolle Possenlaune ein Reich der Fröhlichkeit errichten lassen, das, ob-
wohl nicht von dieser Welt, dennoch und gerade deshalb das Mensch-
liche und Allzumenschliche in nackter Reinheit in Erscheinung treten
läßt. Er scheut nicht die Zote, ist er sich doch des phallischen Ur-
sprungs der Komödie wohl bewußt, er scheut sich auch nicht, die
Komödie als Organ seines Kampfes gegen ihm widerwärtige Formen
der Politik und Literatur seiner Zeit zu gebrauchen. Die Komödie ist
der Tummelplatz seines an witzigen Einfällen, an beißendem Spott,
an lustiger Erfindung überreichen Geistes, der aber selbst in tollster
Ausgelassenheit, in groteskem Übermut, in schärfster Bitterkeit nie
Gesundheit der Gesinnung, Anmut der Form vermissen läßt.
Romantisches, in ungehemmter Spottlaune sich äußerndes Über-
legenheitsgefühl hätte kein besseres Vorbild sich wählen können. Um
so eher fand man den Weg zu ihm, als auch die Farcendichtung
Hans -Sachsischer Manier, die der vom bewunderten jungen Goethe
geführte Sturm und Drang gepflegt hatte, aus aristophanischem Geiste
geboren war. Ähnlich leichtgeschürzte Fastnachtschwänke sind Ludwig
Tiecks „Ein Prolog" und „Der neue Herkules am Scheidewege" (1800),
der in seiner späteren Benennung ,,Der Autor, ein Fastnachtschwank''
diese Verwandtschaft auch direkt ausspricht.
Des Aristophanes noch heute lebendige Wirkung entsprießt dem
Dionysosmythos, der seiner Komödie zugrunde liegt und demgegen-
über die Satire immer nur beigeordneter Bestandteil bleibt. Und
selbst wenn sie in den Vordergrund drängt, empfängt sie ihre Be-
seelung durch jenen Mythos. Da er der Romantik fehlt, so sucht
Tieck einen Ersatz dafür in der Märchenpoesie. Diese ist dem Ber-
liner Tieck aber, um mit Gundolf zu reden, nicht Urerlebnis, sondern
nur Bildungserlebnis, sie bedeutet daher bei ihm nicht wie jener
Mythos bei Aristophanes Zeugung, sondern Ausstattung. Sie beseelt
nicht Tiecks Komödien, sondern verleiht ihnen nur die Kleidung. Aus-
gefüllt wird diese durch die beabsichtigte Satire, die damit Wesens-
kern, Hauptelement ist und mit ihrer intellektuellen Schärfe gar zu
häufig das phantastische Gewand auflöst. Am besten noch gewahrt
ist das Märchenhafte in Tiecks ,, Gestiefeltem Kater".
Weiter war Aristophanes als Bürger Athens Glied eines Staates,
der gerade zu seiner Zeit eine Kulturblüte sondergleichen erlebte
2l6 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
und der durch seine demokratische Verfassung freieste Meinungs-
äußerung gestattete. In Deutschland war das Nationalbewußtsein erst
in der Entstehung, die Teilnahme des Bürgers am Staate beschränkt,
seine Kritik verboten und endlich die Kulturhöhe, die durch die
Klassik bezeichnet wird, so wenig Gemeingut geworden, daß selbst
ein Goethe weichen mußte, wenn sein Fürst einen Pudel auf der Bühne
zu sehen wünschte, daß Iffland und Kotzebue unvergleichlich größeren
Erfolg hatten als Goethe und Schiller. Über diese Literaturzustände
aber war wenigstens freie Meinungsabgabe erlaubt. Des Romantikers
satirisches Bedürfnis fand hier ein Betätigungsfeld ; und doch wie groß
ist der Unterschied auch in den Objekten der Literatursatire eines
Aristophanes und eines Tieck: dort Sokrates, Euripides, hier Iffland,
Kotzebue. Wenn das Objekt einer Satire infolge seiner nur ephemeren
Bedeutung für spätere Zeit tot ist, dann muß auch die Satire selbst
einen großen Teil ihrer Wirkung verlieren. Dieses Schicksal haben
die Romantikersatiren erfahren müssen. Wenn sie gelegentlich in der
Gegenwart neu aufgeführt werden, so bleiben solche Versuche der
Wiederbelebung immer Experimente für literarisch Gebildete.
c) Satiren.
Von Vorstehendem macht Tiecks „Gestiefelter Kater" (1797) keine
Ausnahme, obwohl seine Verbindung naiver Volksmärchenstimmung
mit ursprünglichem Witz noch am ehesten den Zeitwandel über-
dauert. Die Satire richtet sich außer gegen Jünger, Stephanie d. J.,
Schikaneder, Kotzebue in der Hauptsache gegen Iffland und dessen
Lobredner Böttiger sowie gegen das philiströse Publikum, das im
platten Aufkläricht befangen echte Poesie verkennt und rührselige
Familiendramatik preist. Tiecks romantische Ironie betätigt sich
darin, daß Zuschauer und Darsteller gemeinschaftlich Schauspielen.
Durch diese Art des Stückes im Stück, das an sich ein uraltes, auch
von Lenz in „Die Freunde machen den Philosophen" benutztes Motiv
ist, wird das Neue der romantischen Komödie gewonnen, das in einer
jedesmaligen Zerstörung der Illusion beruht, sobald diese gerade zu
wirken beginnt. Diese ironische Desillusionierung bedeutet ein ästhe-
tisches Selbstmordspiel der Komödie, das dieser eine flimmernde Be-
weglichkeit verleiht. Der bunte Wechsel von Parterre und Bühne,
Zuschauer und Darsteller, Spiel und Spiel im Spiel — Pate standen
außer Aristophanes und Shakespeare ebensowohl Holberg wie der
dem improvisatorisch veranlagten Tieck geistesverwandte Gozzi —
hätte wohl ein launiges Phantasielustspiel entstehen lassen können,
wenn nicht der Berliner Tieck durch seinen Intellekt in der Satire
die Phantasie immer wieder zerstört hätte, nicht etwa unbewußt, son-
dern aus der gewollten Willkür des romantischen Dichters heraus.
„Gewissermaßen eine Fortsetzung des « Gestiefelten Katers > " kün-
digte Tieck in „Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Ge-
Satiren und Märchenkomödien: Satiren. 217
schmack" an (1799). Romantische Ironie treibt hier noch tollere Blüten.
Mitten im Stücke fängt plötzlich der Dichter auf der Bühne an, das
Stück umzukehren, so daß wie bei einem rückwärts gekurbelten Film
die bereits gespielten Szenen sich in umgekehrter Reihenfolge wieder-
holen. Mit dieser witzigen Erfindung ist das Bühnendrama natürlich
erledigt; von Dramatik kann hier keine Rede mehr sein. Dazu fehlt
dem ,,Zerbino", der auch im Phantastischen Eigentum des Dichters
ist, jene stimmungsvolle Märchenfabel. Andrerseits bietet aber „Zer-
bino" dem Leser wahrhaft poetische Schönheiten in den lyrischen
Partien, und außerdem schreitet hier die negative Satire gegen Kleine
der Tagesliteratur zur positiven Musteraufstellung Großer der Welt-
literatur. Wie der „Zerbino" zeigt auch die im gleichen Jahre er-
schienene „Verkehrte Welt", die vom Epilog zum Prolog verläuft,
bei absoluter Auflösung alles Dramatisch -Tektonischen emotionell:
lyrisch-musikalische Stimmungspoesie, intellektuell: Verbreiterung der
Grundlage derart, daß darin die Satire sich nicht nur literarische Ziele
setzt, sondern die prosaisch-platte Aufklärung in ihrer Gesamtheit als
kulturelle Verödung verspottet.
Für die romantische kämpferische Jugend war Tiecks parodisti-
sches Schaffen vorbildlich. Als sich nun 1799 Kotzebue mit seinem
„Hyperboreischen Esel" offen als Gegner enthüllt hatte, da folgten
rasch ihre Gegenschläge. Schon 1800 verspottete Clemens Brentano
im „Gustav Wasa" das gleichnamige Stück Kotzebues, wobei er sich
den Witz erlaubte, seine Satire als Fortsetzung des „Hyperboreischen
Esels" auszugeben. Und auch die eigenthchen Angegriffenen, die
Brüder Schlegel, blieben die Antwort nicht schuldig. August Wilhelm
Schlegel errichtete, indem er des Angreifers Methode der Stoffsamm-
lung aus des Angegriffenen Dichtungen verwertete, die „Ehrenpforte
und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von Kotzebue" (1801)
und zahlte darin mit sprühendem Witz und schneidender Satire Kotze-
bue alle Angriffe gedoppelt zurück. Allerdings stehen Brentano wie
Schlegel hinter Tieck zurück, da sie dessen kulturelle Breite vermissen
lassen; dagegen zeigt sich wenigstens Schlegel mit „Ein schön kurz-
weilig Fastnachtspiel vom alten und neuen Jahrhundert. Tragiert am
ersten Januarii im Jahre 1801" Tieck entschieden überlegen in der
historischen Form der Hans-Sachs-Goetheschen Farcen.
Die Romantiker sind stolz darauf, Träger eines neuen Bildungs-
ideals zu sein und lassen ungern Gelegenheiten verstreichen, den zu
überwindenden Anhänger der Aufklärung als Bildungsphilister — eine
von Haym, dem Historiker der Romantik, zuerst gedruckte Prägung —
zu verspotten. Ähnlich erhaben hatten sich die Stürmer und Dränger
ihren Zeitgenossen gegenüber gefühlt. Diese überlegene Einstellung
kommt bereits im Titel zum Ausdruck in Eichendorffs dramatischem
Märchen „Krieg den Philistern" (1824). Hier zeigt sich aber auch
schon die Neigung des Romantikers, selbstbewußt auch das eigene
2l8 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
Lager satirischer Kritik nicht zu entziehen. Er lehnt gleichermaßen
die platten Antiromantiker wie die verstiegenen Romantiker selbst ab.
Ähnlich wendet sich auch Ludwig Robert, der Bruder der Rahel von
Varnhagen, in „Kassius und Phantasus oder der Paradiesvogel" (1825)
ebensowohl gegen die sentimentale Spießbürgerlichkeit Kotzebuescher
Familiengemälde wie gegen romantische Verschrobenheit, zugleich
aber greift er mit seiner Satire, die übrigens ziemlich geist- und witz-
los ist, die Schicksalstragödie an.
Diese Schicksalstragödie ist ein sonderbares Zwitterprodukt roman-
tischer Zeit, das romantische Stimmungen mit einem Epigonentum
Schillers verknüpft. Der Schicksalsbegriff, den Schiller sich aus der
Antike geholt hatte, wird romantisch durchsetzt mit Gefühlen, wie sie
Tiecks Waldeinsamkeitsschauern und E. Th. A. Hoffmanns grausigen
Gespenstergeschichten entsprechen. Schillers Vorbild und das strenge
Gesetz notwendigen Handlungsverlaufs, das durch das bestimmende,
unentrinnbare Schicksal gegeben ist, verleihen diesen Tragödien eine
Geschlossenheit und damit Theaterfähigkeit, wie sie sonst dem roman-
tischen Drama durchaus unbekannt sind. Deshalb ihr Erfolg, dem Mit-
läufer der Bewegung um so eher nachstrebten, als seine Erzielung
keine großen Anforderungen an dichterische Genialität erhob. Da
damit der bereits von Minor und Walzel beobachtete Übergang von
der Schicksalstragödie zum Zufallsdrama beschleunigt, die ganze
Schicksalsdramatik veräußerlicht und verflacht wurde, so konnte die
Reaktion gerade bei den dichterisch Begabteren nicht ausbleiben. Sie
äußerte sich gemäß romantischem Brauch in Satiren.
Selbst Houwald, der 18 19 mit seinem „Leuchtturm" die schlimmste
und schwächste der Schicksalstragödien veröffentlicht, satirisiert bereits
ein Jahr zuvor die Gattung in „Seinem Schicksal kann Niemand ent-
gehen". Im gleichen Jahre verspottet Castellis „Der Schicksalsstrumpf"
die Werner, Müllner und Houwald, und im folgenden Jahre wandelt
Anton Richter ähnliche Bahnen in „Eumenides Düster". Noch 1827
verlacht Eichendorff im Ton Tieckscher Ironie neben sonstigen Mode-
torheiten die Schicksalsdramen in „Meierbeths Glück und Ende".
Der bedeutendste Gegner aber erwuchs der Schicksalstragödie in
Platen. Seine 1826 entstandene „Verhängnisvolle Gabel" zählt zu
den besten dramatischen Literatursatiren, die wir in Deutschland be-
sitzen. Ihr Vorzug liegt nicht so sehr in dem dramatischen Aufbau
als in der vollendeten Sprachform und dem aristophanischen Gehalt.
Seit 1794 Friedrich Schlegel den ästhetischen Wert der griechischen
Komödie dargelegt hatte, war Aristophanes das bewunderte Vorbild
romantischer Komödienkunst geworden. Die Romantik hat erst das
Verständnis erschlossen für die poetische Grundstimmung und den
grotesken Stil des Aristophanes. Sie wuchert darin mit einem vom
Sturm und Drang überkommenen Erbe. Hamann, Lenz, Goethe haben
aristophanische Literatursatiren geschrieben, stammt doch auch die
Satiren und Märchenkomödien: Satiren. 219
treifende Bezeichnung des Aristophanes als „der ungezogene Lieb-,
ling der Grazien" von Goethe. Nachdem nun Romantiker wie Tieck,
A. W. Schlegel, Eichendorff auf Grund theoretischer Einsicht eine
Neubelebung aristophanischer Satire betrieben hatten, erstrebte Graf
August von Platen den Ehrentitel eines deutschen Aristophanes. Um
die Schicksalstragödie zu persiflieren, sucht er die aristophanische Ko-
mödie in Charakter und Form nachzuahmen, wobei er gepfefferte Zoten
einstreut, die ihn als Anhänger von Wilamowitz' Wort erkennen lassen :
,,Wer den Phallus nicht ehrt, ist der Komödie nicht wert". Doch die
Ungeschminktheit des Ausdrucks, die Überlegenheit des Spottes, die
Geschliff"enheit der Form lassen nicht den widerwärtigen Eindruck
des Lüsternen aufkommen. Da Platen außerdem mit vollem Bedacht
und im Gegensatz zu romantischer Praxis Rücksicht auf die Bühnen-
erfordernisse genommen hat, so werden Neuaufführungen der Satire
immer wieder auf Erfolg rechnen können, obwohl das stoffliche Inter-
esse mit der Schicksalstragödie abgestorben ist. Mit den Schicksals-
dramatikern Müllner, Houwald sind noch der süßliche Mimili-Clauren,
der philiströse Kotzebue und der geschwätzige Raupach Zielscheibe
seines Spottes.
Der zwei Jahre später erschienene „Romantische Oedipus" zeigt
die Zahl der Angrififsobjekte noch vermehrt. Jetzt wendet sich Platen
gegen die shakespearisierenden und calderonisierenden Spektakel-
stücke, die im Gefolge der romantischen Shakespeare- und Calderon-
übersetzungen Mode wurden. Als typischer Vertreter dieser spätroman-
tischen Schauerdramatik, die das ganze Leben des dargestellten Hel-
den von der Wiege bis zur Bahre vorführt, wird unter dem durchsich-
tigen Decknamen Nimmermann unverdienterweise Immermann als
der Held des Rahmenspiels, dessen Dramatik im Zwischenstück
parodiert wird, mit blutigem Hohn überschüttet. Die ungehemmt
fließende Erfindung, der Reichtum an Witz, die vollendete Sprach-
beherrschung lassen hier eine Literatursatire entstehen, die, wie die
,, Verhängnisvolle Gabel", ihresgleichen nur noch in der souveränen
Geistesfreiheit der aristophanischen „Frösche" findet. Wohl bricht
immer wieder d,er maßlos eitle Verfasser durch, aber Ausgangspunkt
seiner Satire ist doch eine tief innere, aufrichtige und leidenschaft-
liche Überzeugung von der dichterisch wie sittlich gleichermaßen
verderbten und verderblichen Afterkunst der Spätromantik.
Während die souveräne Beherrschung wechselnder Versmetren
immerhin eine direkte Weiterbildung Tieckschen Formenreichtums
durch eine Fülle antiker Mal^e darstellt, zeigt der Gehalt einen grund-
sätzlichen Unterschied dadurch, daß an Stelle jener spielerischen
Intellektualität, die alles in sich aufhebt, ein tiefer sittlicher Ernst ge-
treten ist. Es off"enbart sich darin jene Sonderstellung Platens zur
Romantik, die ihm, obwohl er in der Romantik wurzelt, ihr untrenn-
bar verbunden ist, doch ein klassizistisches Gepräge verleiht. Er teilt
220 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
mit den Romantikern die Bewußtheit des Schafifens, aber während
deren Subjektivitätsgefühl auch vor dem eigenen Ich nicht hahmacht,
sich selbst vernichtet und damit das Bewußte und als solches Ge-
staltete wieder ins Bewußtlose verflüchtigt, ins Ungestaltete, Chaotische
auflöst, steht ihm dieses Ich unerschütterlich fest als eine begnadete
und darum verantwortliche Künstlerpersönlichkeit. Gewiß sind die
Romantiker in Schillers Sinn sentimentalisch, sind doch romantisch
und sentimentalisch Synonyme, aber ihre Selbstübersteigerung läßt
sie ins Naive umschlagen. Darin zeigt sich ihre Ziel-, Maß- und
Grenzenlosigkeit.
Nur der ungehemmte Spieltrieb vermag jene jauchzende Lust zu
zeugen, die tiefe, tiefe Ewigkeit will. Platen lechzt nicht nach diesem
dionysischen Rausch, er strebt nach der apollinischen Weihe. Er setzt
an Stelle der Vergottung des Spielerischen das Pflichtgebot des Ernstes,
dem brausenden Strome setzt er Dämme in grenzbestimmenden Maßen.
Er begibt sich seiner Bewußtheit nie, er wird nie naiv. Diese ein-
geborene Wesenstendenz kann durch den Bildungsprozeß zurück-
gedrängt werden, zwangsläufig bricht sie aber bei seiner allmählichen
Reifung durch. Seine Literatursatiren bleiben daher nicht im rein
Spielerischen, Auflösenden, Satirisch-Negativen haften, in den Para-
basen schreitet er zur Aufstellung bestimmter, positiver Werte. Vor
allem aber war dem Formkünstler jene romantische Polarität, die Poe-
tisches und Prosaisches nebeneinander häufte, im Innersten zuwider.
Klassizistisch sucht er die Disharmonien zu versöhnen, in einer höheren
Einheit aufzuheben: in der Schönheit der Formgebung.
Wenn Platen, als ein zweiter ungezogener Liebling der Grazien,
in klassischem Bestreben einer Fülle von Derbheiten und Zynismen
die reine Form der Anmut verleiht, so offenbart sich ganz im Gegen-
satz dazu der gleichzeitige Christian Dietrich Grabbe als echter Ro-
mantiker, der in bewußt barockem Stilwillen seine Literatur- und
Zeitsatire „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" (1822, ge-
druckt 1827) zur üppig wuchernden Groteske anschwellen läßt. Die
sittliche Leidenschaftlichkeit eines zerrissenen, mit sich selbst und
der Welt zerfallenen Charakters duldet keine Dämpfung und Klärung.
Sie taucht ihre spontan hervorbrechenden Ein- und Ausfälle in eine
elektrisch geladene Atmosphäre, um die Schwüle immer wieder durch
zuckende Blitze zu zerreißen, in denen sich die Verbitterung des
Autors entladen möchte. Die beißende, ironisch-satirische Groteske,
die sich selbst einbezieht und gegen Pedanterie und erheuchelten
Gefühlsüberschwang, gegen Verwaschenheit des Ausdrucks und Er-
findungsarmut loszieht, gleichermaßen gegen Naturforscher, Dichter,
Journalisten, Philologen — sie verhindert die rein humorische Wir-
kung; Grabbe spricht sich sein Urteil selbst, wenn er den Teufel
sagen läßt: „Die Hölle ist die ironische Partie des Stücks und ist
dem Primaner, wie das so zu gehen pflegt, besser geraten als der
Satiren und Märchenkomödiea : Märchenkomödien. 221
Himmel, welches der rein heitere Teil desselben sein soll" (II, 2).
Wir stehen verwirrt vor diesem vulkanisch-barocken Talent GraV)bes,
das auch heute noch — und heute mehr denn je — seine Wirkung
nicht verfehlt, wir erleben aber nicht die Freiheit eines rein humorisch
gestalteten Lustspiels.
d) Märchenkomödien.
Grabbes Stück teilt damit das Schicksal aller jener bisher be-
trachteten Romantikerkomödien: das satirische Interesse verdrängt in
ihnen das rein menschliche. Dieses findet weit besseren Ausdruck
in dem Lustspiele von Clemens Brentano ,,Ponce de Leon" (1800),
worin uns ein intuitiv geschautes romantisches Lebensbild geboten
wird, das gar manchen charakteristischen Zug seines zwiespältigen
Verfassers trägt. Es steht unter dem Zeichen der Liebe. Ponce, der
sich in romantischer Sehnsucht von innerer Leere bedrückt fühlt, sucht
sie mit Liebschaften auszufüllen, bis ihn die Liebe selbst beseelt, ihm
Inhalt gibt, von ihm Besitz nimmt. Dieser Werdegang eines Roman-
tikers ist mit graziöser Freiheit skizziert. Nur Brentano konnte aus
eigenem Erleben heraus das sinnliche Wunder weiblicher Schönheit
so durchgeistigen. Keine moralischen Bedenken greifen irgendwie
störend ein. Ein Reichtum von Gefühl und Gemüt ist ausgeschüttet,
das Ganze durchdrungen von den tausendfach blitzenden Strahlen
des leichtbeschwingten Intellekts, der sich in hin- und herhuschenden,
sich jagenden und überstürzenden, quecksilbrigen Wortspielen nach
Herzenslust tummelt. Und mitten in diesem tollen Karnevals wirr warr
wieder sanft ausladende Oasen beschaulicher Gefühlsruhe in solchen
Perlen der Lyrik wie die Lieder: „Ich wollt' ein Sträußlein binden"
oder „Nach Sevilla, nach Sevilla". Goethe bereits, der das reizende
Lustspiel nicht für aufführbar hält, muß doch seinen „guten Humor"
rühmen, und Roethe urteilt: „So individuell das Problem gefärbt ist,
es ermangelt nicht des allgemein Menschlichen, des tiefsinnig Typi-
schen", „Eine geistreiche, nie ermattende Spielfreude löst den ernsten
seelischen Gehalt wohl auf, aber so, daß er alles durchdringt".
Auch hier ist der Triebquell der Kunst jene romantische Ironie,
doch nicht so sehr als Ausdruck mutwilliger oder auch pathetisch
gestimmter Geistreichigkeit, sondern mehr als Ausdruck überschäumen-
der Lebensfülle. In orgiastischem Rausch läßt sie Geist und Gefühl,
individuelles Erkennen und kosmisches Erleben ineinanderströmen
und schafft dadurch in uns ein Ahnen jener Sphäre, die wir reine,
freudvolle Lust nennen. Die Freude ist, nach Friedrich Schlegel, der
eigentümliche, natürhche und ursprüngliche Zustand der höheren
Natur des Menschen. Die Erregung dieser Freude in uns bezeugt
das humorische Talent Brentanos. Mehr als der stachlig-satirische
Aristophanes steht ihm der heiter-launige Shakespeare Pate. Und da
Brentano mit seinem Lustspiel den Preis des Propyläen Wettbewerbs
222 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
aus den Händen der Klassiker zu erlangen hofft, so bemüht er
sich auch, die illusionszerstörende romantische Auflösung zurück-
zudämmen zugunsten einer einigermaßen geschlossenen, bühnen-
fähigen Handlung. Wenn ihm dies auch nicht zur vollen Zufrieden-
heit des Klassikers. Goethe gelang, so hat er damit doch dem roman-
tischen Phantasielustspiel Bahnen gewiesen, auf denen allein das
höchste Ziel erreichbar ist.
Auf diesen Bahnen wandelt auch Platen mit seinen Märchen-
komödien. Da ihm blühende, aus dem Innern treibende Phantasie
versagt ist, sein schönheitsdurstendes Auge aber an nüchterner Wirk-
lichkeit kein Genügen findet, so greift er zu Märchen als willkommenen,
phantasiereichen Stoffen, um sie durch seine Formkunst zu gestalten.
Der Zuschuß von Eigenem ist gedanklicher Art, ist kein Erlebnis,
sondern Ergebnis kritischer Auseinandersetzung mit Zeiterscheinungen.
Was in den Literaturkomödien die Grundlage bildet, das ethisch-
intellektuelle Urteil über Zeitmoden, drängt sich auch in den Märchen-
boden seiner Märchenkomödien. Daraus entsteht ein Mißklang von
Gefühl und Verstand, von Symbol und Allegorie, über den wohl
seine Formkunst zeitweise hinwegzutäuschen, den sie aber nicht auf-
zuheben vermag. Aber auch die Wirkung der kunstvollen Form
selber wird zwiespältig. Platens bewundernswerte Gestaltungskraft
bewältigt den entliehenen Märchenstoff derart, daß er ihn zu Eigenem
macht, aus dem die Form mit Notwendigkeit erwächst. Doch wenn
in der gleichen Form verstandesmäßige Erkenntnisse und Entschei-
dungen zu uns sprechen, so wirkt, was dort notwendig erschien, hier
zufällig, was dort natürlich, hier spielerisch. Damit zahlt Platen den
Zoll seiner Zugehörigkeit zu der ihm verhaßten Romantik. Auch er
bedient sich der romantischen Ironie, er kann ihr nicht entgehen.
Auch er, der Gestaltungsmeister, kann nicht im großen gestalten, auch
seine Dramen zerfließen, lösen sich auf in intellektuellen Wortspielen.
„Der gläserne Pantoffel" (1823) hat keine Einheit. Wohl herrscht
darin, nach Platen selbst, eine einheitliche Idee, aber zu deren Durch-
bruch dienen zwei gleichbedeutenden, voneinander unabhängigen
Trägem selbständige, voneinander verschiedene Handlungen. Mit
der gleichen Berechtigung hätte Platen die Idee an noch mehr Trägern
mit weiteren neuen Handlungen zur Darstellung bringen können.
Daß die Heldin der Aschenbrödel- und der Held der Dornröschen-
Fabel, jedes in seiner Sphäre, auf den gleichen Gedanken — Über-
windung des Widerstandes der stumpfen Welt und ihrer prosaischen
Denkweise — deuten, setzt die Einheit der intellektuellen Idee noch
keineswegs in Einheit der künstlerischen um. Daran krankt das
liebenswürdige Märchenspiel, das Tiecks ,,Blaubart"-Spuren folgt, aber
auch unmittelbar bei den Göttern romantischer Dramatik: Calderon,
Gozzi, Shakespeare sich Rat holt. Trotz allem Streben nach Klassik
kann der Dichter seine Zugehörigkeit zur Romantik nicht verleugnen.
Satiren und Märchenkomödien: Märchenkomödien. 22"^
Auch das charakteristische desillusionierende Element romantischer
Ironie ist vertreten durch den shakespearisierenden Narren. Doch
aller Witz und Geist, alle Leichtigkeit und Anmut vermögen selbst
dem günstigsten Beurteiler, wie Platens Biographen Rudolf Schlösser,
nicht die mangelnde Personenplastik und das Fehlen des dramatischen
Lebensnervs zu ersetzen.
Entschieden kräftiger gezeichnet in Handlungsverlauf sowie in
charakteristischer Menschengestaltung ist „Der Schatz des Rhamp-
sinit" (1824). Andererseits sind hier allerdings die nach romantischer
Neigung schon im ,, Gläsernen Pantoffel" vorhandenen literarischen
Anspielungen noch stark erweitert, nicht zugunsten des Märchenspiels.
Doch gibt der rationalistische Don Quijote-Bliomberis mit seinem
Sancho-Pansa- Kasper ein ergötzliches Paar, das einen wirksamen
Kontrast zu Rhampsinits Hof bildet, gerade wie die köstliche Wächter-
szene den weichen Farben des Phantasiespiels überraschend wirkungs-
volle derbrealistische Töne beimengt. Vor allem darf sich ,,Der Schatz
des Rhampsinit", trotz romantischer Wucherungen, im Gegensatz zum
,, Gläsernen Pantoffel", der Einheitlichkeit rühmen, die durch Span-
nungselemente belebt ist. Trotzdem er mit seinen zahlreichen Ver-
wandlungen äußerlich weniger Rücksicht auf die Bühnenerfordernisse
nimmt, übt er daher eine größere Bühnenwirksamkeit aus. Doch die
Schwäche des zugrunde liegenden seelischen Erlebnisses, die der
Dichter vergeblich mit Hilfe seines gebildeten Geistes zu stärken sucht,
verhindert eine restlose ästhetische Befriedigung. Im Grunde läßt
sich das Urteil über Platen nicht besser zusammenfassen als mit den
Worten Goethes nach der Lektüre des „Gläsernen Pantoffels": «Der
Deutsche verlangt einen gewissen Ernst, eine gewisse Größe der Ge-
sinnung, eine gewisse Fülle des Innern. — Ich zweifle nun keines-
wegs an Platens sehr tüchtigem Charakter, allein das kommt, wahr-
scheinlich aus einer abweichenden Kunstansicht, hier nicht zur Er-
scheinung. Er entwickelt eine reiche Bildung, Geist, treffenden Witz
und sehr viel künstlerische Vollendung; allein damit ist es, besonders
bei uns Deutschen, nicht getan".
Eichen dorff sucht mit seinen mutwilligen „Freiern" (1833), deren
Vorlage über Jüngers ,, Maske für Maske" auf Marivaux' „Le jeu de
l'amour et du hasard" zurückgeht, noch bewußter, trotz aller Ver-
kleidungs- und Verwechslungsmotive, den Gesetzen klarer, wirkungs-
voller Bühnenpraxis gerecht zu werden. Doch kommt einerseits der
musikliebende, stimmungszarte Lyriker erst recht nicht aus dem
opakenen Dunst der Romantik zu durchsichtiger, heller Wirklichkeit,
und andrerseits fehlt es ihm doch an dem Erfindungsquell eigentlich
dramatischer Phantasie, obwohl er, über sein direktes Vorbild „Ponce
de Leon" hinausgehend, neben dem englischen Paten sich noch den
Spanier Lope de Vega zur Gevatterschaft suchte. Diesen Mangel
sucht er zu verdecken durch eine Überfrachtung mit Wortwitzen, die
224 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
aber gerade durch ihre Überzahl in der leichten shakespearisierenden
Liebeskomödie fast schwerfällig wirken.
Eine einfache Heiratsintrige im Lustspielstile des i8. Jahrhunderts
ist verbunden mit dem beliebten phantastischen Standestauschmotiv,
woraus sich eine Fülle von Quiproquos ergibt, die Grobheit, Torheit,
Verstand, Laune, Gefühl, Berechnung und Liebe toll durcheinander-
wirbeln. In den verkommenen Vagabunden Flitt und Schlender er-
scheinen, wie aus einer Nestroyschen Posse geschnitten, Ahnen von
Hauptmanns „Schluck und Jau", in Leonard ein Sprößling „Ponce
de Leons", der Malvoliotypus des streberhaften Hofrats Fleder ge-
sellt sich den Typen des simplen Gärtners mit seinem naiv- auf-
geweckten Mühmchen, des Fremdwörter verwechselnden dicken Wirts
und des immer lustigen Jägers; und über dieser Galerie verschieden-
artigster Originale steht die von der graziösen Kammerzofen-Soubrette
begleitete Gräfin Adele, die, gleich Leonard, von brausenden un-
klaren Liebesgefühlen durchloht, sich in traumschwere Sommernachts-
erinnerungen an das romantische Heidelberger Schloß- und Land-
schaftsbild versenkt und in stimmungsvollster Lyrik überströmt.
Dem Brentanoschen Lustspiel am nächsten steht das des allzu
jung verstorbenen Georg Büchner, der in seinem „Leonce und Lena"
(1836), wie schon der Name andeutet, auch äußerlich von dem ersteren
angeregt wurde. Mit erstaunlicher Freiheit behandelt der Dreiund-
zwanzigjährige hier in romantischer Technik das Thema der Ent-
wicklung aus der Realität zur Idealität. Büchner vereinigt in sich Ro-
mantik und Jungdeutschland, die Handlung seines Lustspiels spiegelt
daher die Gegensätzlichkeit zweier Weltanschauungen, um in deren
Vereinigung echt heinesch ein drittes Reich entstehen zu sehen.
Der byronisierende Leonce ist einer jener Menschen, die, wie Lena
meint, „unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind". Sein geistiger
Vater ist jener Melancholiker Jacques in Shakespeares schwermütig-
heiterem Phantasielustspiel ,,As you like it". Er fühlt die bedrängende
Leere der Wirklichkeit und wird verzehrt von der Sehnsucht, dieser
Langeweile, die sich vergebens vor sich selbst in einem Scheinreich
der Geistigkeit verbergen möchte, ein Ziel zu setzen. Valerio ist sein
Gegenstück. Seine Sancho-Pansa-Natur genießt die Welt, wie sie ist,
ohne sich viel um die Narreteien Leonces zu kümmern. Ihm ist das
ganze Weltgebäude nur ein Wirtshaus. Wie Leonce ein Glücksucher
wird, so auch Lena. Denn auch ihre Bücherwelt gebiert die Sehn-
sucht. Auch sie sucht den Weg ins Freie, auch sie ist jungdeutsch
genug, um den Drang des Blutes, das Gebot und das Recht der
Sinnenfreude zu verspüren. Treffen beide zusammen, so fühlt Leonce:
,,Mein ganzes Sein ist in dem einen Augenblick. Jetzt stirb! Mehr
ist unmöglich 1" (zweiter Akt), und am Schlüsse, nach ihrer Verhei-
ratung, kommt es ihnen beiden zum Bewußtsein: ,,Das war die Flucht
in das Paradies" (dritter Akt). Jetzt erst haben sie in der Wirklich-
Satiren und Märchenkomödien: Märchenkomödien. 225
keit die Idealität gefunden; der sehnsüchtige Drang nach außen ist
gestillt; sie sind sich selbst genug.
Shakespeares humorvoll versonnene Innigkeit und Calderons
blühende Phantastik vereinigen sich zu einem Lustspiel, das ohne
Rücksicht auf Kausalität in tollem Wirbel Leben in seiner wider-
spruchsvollen Reichhaltigkeit an uns vorüberziehen läßt. Mit der poli-
tischen Satire des revolutionären Dichters schwingt in „Leonce und
Lena", wie im „Ponce de Leon", etwas von jener Sinnenfreude, die
bereits den Stürmer und Dränger Heinse zum Frühromantiker machte
und die Heine für Jungdeutschland wiederbelebte. Geniale Welt-
betrachtung, intuitive Lebenswahrheit zeigen Menschhches und Allzu-
menschliches in phantastischen Gestalten mit sinnlich fruchtbarer
Bildersprache, die, obwohl reich an sich haschenden Witzen und
Wortspielen, von warmem Gefühl durchtränkt ist. Jean Paul hat für
solche romantische Kunst das glückhche Wort gefunden, das Drama
bestehe aus „lyrischen Blitzen der Worte und Taten".
Die Mitläufer der Bewegung suchen romantische Einzelzüge der
von Iffland und Kotzebue übernommenen Tradition aufzupfropfen.
Im allgemeinen gilt für alle gleichmäßig der Grundsatz, daß sie, je
geringer ihre Kunst ist, um so genauere Regiebemerkungen machen,
um durch des Darstellers Kunst die eigene zu retten. Außerdem
schreiben sie Possen, die als solche auf Elementen der Situations-
und Körperkomik, auf Gesichts- und Gebärdenmimik aufgebaut sind
und damit der genauen Anweisungen durch den Verfasser bedürfen.
Neben der rein literarischen Dramatik der romantischen Führer treffen
wir bei deren Mitläufern nur Theaterware.
Um wenigstens einige Bekanntere zu nennen, erwähnen wir Theodor
Körners lustige Leipziger Studentenposse „Der Nachtwächter" und
seine dem Charakterlustspiel zustrebende „Gouvernante" sowie Gott-
fried Adolf Müllners nach französischem Muster in geschickter Technik
aufgebaute Liebeskomödien, bei denen allerlei Intrigen um den Onkel
als Zentralfigur zur glücklichen Vereinigung der liebenden Jugend
führen, und die der Verfasser selbst parodiert in „Die Onkelei oder
das französische Lustspiel".
An solchen Mitläufern und ihrem Erfolg beim Publikum merken
wir die große Kluft, die die Masse von den Führern trennt. Zweifel-
los wäre es von Reiz, auch einmal Literaturgeschichte vom Stand-
punkte der Masse, von der Froschperspektive aus zu schreiben. Die
Kunst der Führer, deren Darstellung immer wieder Aufgabe des Histo-
rikers bleibt, dringt wenig in die Tiefe, in die Breite. Die Zahl ihrer
Konsumenten ist beschränkt. Wollte man eine Reliefkarte kulturge-
schichtHcher Entwicklung geben, so bildeten jene Führerkreise, die wir
unter den Namen Sturm und Drang, Klassik, Romantik usw. zusam-
menfassend betrachten, die Erhöhungen, die sich über der ausge-
dehnten Fläche erheben. Diese Fläche, das MassenpubHkum mit
HoH, Lustspiel. ' iS
226 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
seinem Geschmack, seiner Neigung, seiner Gedankenwelt bleibt gleich-
artig in Tradition befangen und steht den geistigen Erhebungen in
verständnisloser Rückständigkeit gegenüber. Nur ganz allmählich
und immer zeitlich weit zurückbleibend erfolgt eine langsame allge-
meine Niveauerhöhung. Träger der bestimmenden, Richtung weisen-
den Entwicklung aber sind jene Gipfelerhebungen, innerhalb derer
es natürlich auch wieder Höhenunterschiede gibt, die aber, wenn auch
vom bescheidenen Hügel bis zum himmelragenden Gipfel reichend,
im Verhältnis zu der breiten Durchschnittsfläche im allgemeinen ge-
ring sind.
Um so überraschender ist es, wenn sich in der Darstellung roman-
tischer Dramatik plötzlich ein Koloß auftürmt, der nicht nur die Grund-
fläche, sondern auch die Nebenerhebungen weit überragt: Heinrich
von Kleist.
2. HEINRICH VON KLEIST.
a) Gesamtcharakteristik.
Die Klassiker, Goethe von der Natur und Schiller von der Ver-
nunft ausgehend, hatten die Harmonie von Vernunft und Natur er-
strebt und mindestens in Goethe erlebt. Kant konnte auf Grund seiner
Lehre von der Phänomenalität der sinnlich-empirischen Wirklichkeit
in diese Harmonie einbezogen werden. Wenn Fichte, diese Kantische
Lehre aufgebend, die Welt restlos als System der Vernunft betrachtet,
dann läßt sich die Vereinigung nicht mehr ermöglichen. Es bleibt
nur noch das vorstellungbildende Ich, dem die Natur nur Bewußt-
sein selbsterzeugter Vorstellung bildet. Dieser Fichtesche ,, Solipsismus"
macht schließlich auch vor dem vorstellungbildenden Ich nicht mehr
halt, auch das Ich ist als Individuum stofi"lich und sittlich gebunden.
Allein frei ist nur das Bewußtsein, in dem die Vorstellungen erzeugt
werden. Damit war auch das Ich in die endlose Bewegung des Uni-
versums eingeordnet und der dichterischen Phantasie freies, zweck-
loses Spiel mit Endlichem und Unendlichem gelassen. Die Romantiker
leiteten daraus die Ironie dichterischer Genialität, die allen Stoff" durch
die Form auflöst.
Die letzte kühnste Übersteigerung der Subjektivität, die zur Selbst-
vernichtung des Ichs bedenkenlos schreitet, widerstrebte dem stark aus-
geprägten sittlichen Pflichtbewußtsein Kleists (1777-181 1), des Sprossen
eines alten Soldatengeschlechts, der sich für die Richtigkeit des ein-
geborenen Pflichtgesetzes die theoretische Bestätigung in Kant holte.
Die Romantiker hatten in ihrer Forderung einheitlicher Totalität des
Menschen dem klassischen Harmoniebegriff" etwas Gleichwertiges zur
Seite gestellt. Es ist daher begreiflich, daß der alte Goethe sich
ihnen nähern konnte. Kleists erschütterndes Erlebnis ist die unheil-
bare Disharmonie alles Seins mit dem Ich, zu ihm konnte daher der
Heinrich von Kleist: Gesamtcharakteristik. 227
Klassiker die Brücke nie finden. Die Frage nach Kleists Stellung
zur Romantik und zur Klassik ruft immer wieder Erörterungen her-
vor. Sie ist befriedigend zu beantworten nur aus seiner geistigen
Gesamthaltung heraus. Dafür hat uns Cassirer in feinsinnigen Beob-
achtungen über „Heinrich von Kleist und die Kantische Philosophie"
die leitenden Gesichtspunkte gegeben.
Kleist, dessen tiefstes Wesen auf das Entweder-Oder gestellt ist,
und der gerade deshalb zum Dramatiker widerstreitender Kräfte be-
rufen erscheint, ist antiklassisch. Echt Kantisch, ja den Philosophen
übersteigernd, betont er einzig und allein den Wert der Persönlich-
keit, der in ihrer sittlichen Unbestechlichkeit, selbst transzendenten
Wünschen gegenüber, beruht, und der folgerichtig auch seinen Grund
nicht außerhalb der Persönlichkeit, sondern nur in ihr selbst, in ihrem
unbeirrbaren ethischen Gesetz findet. Er kann keinen harmonischen
Ausgleich finden zwischen persönHchem Wollen, individueller Willens-
freiheit und der Zwangsläufigkeit alles Geschehens, universeller Not-
wendigkeit.
Antiklassiker sein heißt aber noch nicht Romantiker sein. KJeists
Anschauungen und sein Kunstschaffen decken sich durchaus nicht
unbedingt mit romantischer Wesensart. Der grundlegende Philosoph
der Romantik ist Fichte, von dem sich gerade die tiefsten Gedanken
der Romantik, wie sie von Friedrich Schlegel, Novalis und selbst von
Schelling geäußert werden, ableiten lassen. Für die Romantiker ist
es eine unbestreitbare Tatsache, wenn Friedrich Schlegel neben
der französischen Revolution und Goethes „Wilhelm Meister" Fichtes
Wissenschaftslehre als eine der drei Tendenzen des Jahrhunderts
nennt. Kleist ist daher sicherlich insofern Romantiker, als auch seine
Denk- und Anschauungsweise auf Fichte zurückzuführen ist.
Während aber die Romantik Fichtes Lehre von der Irrationalität
des Seins zu einem ästhetisch-ironischen Illusions- oder Desillusionie-
rungsspiel verwertet, erlebt Kleist die Unvereinbarkeit der äußeren
und inneren Welt als tiefste Tragik. Während jene gleichermaßen
Weh und Ich ironisch auflöst, glaubt Kleist an die volle Bestimmt-
heit des Ichs, das an der Unbegreiflichkeit des Weidaufs wohl zer-
schellen kann, aber gerade in diesem Untergang seine Ichheit, seine
Sonderheit erweist. Mit Recht hat daher Erich Schmidt seiner Aus-
gabe von Kleists Werken das Motto vorangestellt: Individuum est
ineffabile.
Kleists Menschen sind keine romantisch verfließende Traumge-
stalten, sie sind geschlossene Persönhchkeiten von fest geprägtem,
eigengesetzlichem Charakter. Sie sind keine Gemälde in- und aus-
einanderfließender Farben, sondern körperlich gesehene, plastische
Figuren. Wenn dem Romantiker in seiner geistreich übersteigerten
Subjektivität alles, auch das Ich, Bewegung ist, so stellt für Kleist
das Ich den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht dar. Der
228 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
Romantiker Schaffen geht vom Erlebnis des Universums aus, das
Kleists vom Erlebnis des Individuums. Es liegt etwas von dem Trotz
des ostpreußischen Junkers darin, daß er das Ich nicht in dem steten
kosmischen Wandel aufgehen läßt und ironisch darüber zu lächeln
versucht, sondern daß er an der Unvereinbarkeit beider zähe festhält
und lieber ihren unüberbrückbaren Gegensatz zur Quelle tiefsten
tragischen Leids, Untergangs für das Ich werden läßt, als daß er
ein Kompromiß zu schließen bereit wäre. Während der Romantiker
das Ich im Zeichen der Willkür sieht, steht es für Kleist unter dem
unentrinnbaren Gesetz der Notwendigkeit.
Wohl gehört er also in Wesentlichem der Romantik an, aber seine
Stellung in dem romantischen Kreis ist eine exzentrische. Seine Welt-
anschauung wie sein sich darauf gründendes und davon durchdrungenes
Künstlertum sind so stark individuell, daß er eine Sonderstellung
gegenüber den eigentlichen Romantikern einnimmt; und gerade das
ihn von den übrigen Romantikern Trennende macht ihn zum ge-
borenen Dramatiker — was die Romantiker nicht sind — , und zwar
wesentlich zum Tragiker, der nach einem treffenden Wort Eloessers
„in dramatischen Situationen denkt, noch bevor er Dramen erfindet".
Wir dürfen aber bei allen Erörterungen seiner Denk- und Anschau-
ungsweise nie vergessen, daß es sich dabei überhaupt nur um an-
nähernde Bestimmungen handeln kann, denn Kleist ist durchaus un-
dogmatisch, bei noch so starkem metaphysischen Bedürfnis ist er doch
kein Metaphysiker im Sinne eines systematischen Theoretikers; er ist
in erster Linie Künstler, seine Dramen sind Form gewordenes künstle-
risches Erlebnis, keine Gleichnisse spekulativen Denkens; wohl sind
sie Symbole seines innersten dichterischen Fühlens, aber sie sind
keine Allegorien.
b) „Amphitryon",
Nach den leidenschaftlichen Stürmen der Guiskardtragödie und
seinem äußeren und inneren Zusammenbruch konnte Kleist nur all-
mählich und langsam den Weg zu eigenem dramatischen Schaffen
zurückfinden. So lag es nahe, daß er sich in der Königsberger Zeit
innerer Sammlung (1806), als er sich viel mit französischer Dichtung
beschäftigte, zunächst an einer Übersetzung versuchte. Wo hätte er,
der vor allem Tragischen noch zurückscheute, in der ihm vorliegenden
französischen Literatur ein besseres Vorbild finden können als in
Moliere! Allerdings liegt darin ein Gegensatz zur romantischen Zeit-
mode, die gegenüber dem bewunderten Lustspielvorbilde Aristophanes
den Franzosen Moliere, wie noch A. W. Schlegel in seinen Wiener
Vorlesungen, eher mißachtete. Während Kleist nun an der Über-
tragung von Molieres „Amphitryon" arbeitete, wuchs aber sein drama-
tischer Appetit. Seiner Phantasie nahen sich wieder schwankende
Gestalten. Äußeres und inneres Erleben, Denken, Fühlen und Wün-
Heinrich von Kleist: „Amphitryon". 229
sehen drängen nach Ausdruck. Aus einer Bearbeitung wird eine Um-
arbeitung. Er eignet sich den Stoff, der bis in die indische Sagen-
welt zurückreicht, inneriich an und prägt ihn in Kleistische Form.
Des Dichters Stärke wird allerdings des Stückes Schwäche.
Das Grundproblem von Kleists Drama erwächst aus seinem Er-
lebnis an der ,, sogenannten Kantischen Philosophie", das in seinem
Bestimmungswert für Kleists Gesamtdichtung längst erkannt ist. Die
menschliche Unzulänglichkeit der Wahrheitserkenntnis über die Grenzen
unserer Erfahrung hinaus muß uns notwendig scheitern lassen, wenn
es gilt, verstandesmäßig intelligible Welt zu fassen und von empi-
rischer zu trennen. Der Gegensatz von Sein und Schein führt zu
Sinnesverwirrung, die für unser menschliches Denken unlösbar ist.
Ihr Erlebnis muß im erlebenden Individuum zur Gefühlsverwirrung
werden, wie Kleist selbst in tragischer Erschütterung erfahren hatte.
Diese Erfahrung sucht Kleist in Alkmene zu gestalten. Sie wird damit
die Hauptperson von Kleists Drama und dieses selbst, ebenso wie
die damals wohl schon konzipierte „Penthesilea", ein Drama des Indi-
vidualismus, des Subjektivismus.
Hierin unterscheidet er sich von Moliere. Diesem sind Amphi-
tryon und Jupiter die Hauptpersonen, Alkmene verschwindet; er be-
handelt die objektiv anschauliche Kontrastkomik des Wirklichen und
Scheinbaren und nicht das subjektive Erlebnis dieses Kontrasts in
der Seele der Frau. Ihn interessiert die Handlung, nicht ihre Wirkung
auf die Persönlichkeit. Diese Handlung unterstreicht er noch, indem
er sie eine Stufe tiefer — in der Komik daher derber und sinn-
fälliger — wiederholt in der Parallelhandlung der beiden Sosien.
Kleist behält diese derbkomische Nebenhandlung bei, ja er fügt noch
wirkungsvolle Einzelstriche hinzu und offenbart damit seine große
Kunst realistisch anschaulicher Komik, die er kurz darauf im „Zer-
brochnen Krug" bewährt. In der Haupthandlung aber hat er sich
von Moliere getrennt, ihn interessieren die beiden Amphitryons nur
insoweit sie auf Alkmene einwirken ; Alkmene ist die Zentralfigur, der
Brennpunkt, in dem sich alle Strahlen sammeln, von dem sie wieder
reflektiert werden; diesem Zwecke dient auch eine vom Vorbild un-
abhängige Hauptszene II, 4. Damit ist die Nebenhandlung nicht länger
das komische Spiegelbild der Haupthandlung. Die beiden Kreise sind
nicht mehr konzentrisch, da die Mittelpunkte verschoben sind. Darin
hegt der Zwiespalt in Kleists Spiel. Die Vertiefung und dadurch Ver-
schiebung des Hauptinteresses, die Kleists Werk im zweiten und dritten
Akte gegenüber dem Vorbilde stark anschwellen läßt, hat den künst-
lerischen Bruch mit der Nebenhandlung zur Folge. Zwei Handlungen
laufen nebeneinander, deren Wesenskern verschieden orientiert ist.
Die Molieresche Harmonie ist gestört, Kleists Stück ist disharmonisch.
Die Disharmonie liegt aber auch noch tiefer begründet. Gerade der
Vergleich mit dem Moliereschen Urbild zeigt uns dies. Der Franzose
2'?0 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
hat, getreu den Anschauungen der Zeit des Sonnenkönigs, die stän-
dische Relativität der Moral dargestellt, und er versteht auch unsere
heutigen gewandelten ethischen Überzeugungen vor dem Verletztsein
zu bewahren, indem er den zugrunde liegenden sittlichen Konflikt des
Ehebruchs in die freie Sphäre intellektueller Betrachtung erhebt. Unser
ethisches Empfinden, Mißfallen wird ausgeschaltet durch die spiele-
rische Form heiterer Grazie, die jenseits von Gut und Böse sich be-
lustigt an der Phantastik intellektueller Verwirrungen.
Kleist sinnt über den Charakter des reinen Weibes, in das er eigenes
Erleben projiziert, und zeigt uns, wie folgerichtig in Alkmene die
Sinnestäuschung zur tiefinnerlichen Gefühlsverwirrung werden muß.
Diese Gefühlsverwirrung bedeutet aber, gerade weil Alkmene der
Typus der reinen liebenden Frau ist, für sie den schwersten seelischen
Konflikt. Sie, die Reflexionslose, hat, wie Hanna Hellmann schön
gezeigt hat, den Schwerpunkt ihres Wesens in der Liebe, die den
Gatten vergottet, den Gott vergattet, vermenschlicht und, wenn ihr
das Idealbild des Geliebten erschienen, nur resignierend zum Real-
bild zurückzukehren vermag. Zweifellos ist diese Alkmene an Seelen-
adel und menschlicher Tiefe der Molieres weit überlegen. Aus einer
Rokokodame ist ein Bild selig-schöner, innig-scheuer, edler Weiblich-
keit geworden. Ihr Erlebnis ist tragisch wie das der Penthesilea, sie
bricht am Schlüsse zusammen in dem einen Empfindungslaut: Ach!
So steht neben der durchgeführten komischen Sosienhandlung eine
Haupthandlung, die anfänglich wohl auch komisch anmutet, aber im
Weiterschreiten immer mehr zur Tragödie des reinen Weibes sich
entwickelt.
Kleist möchte diese tieftragische Wirkung aufheben, indem er
Alkmene, wenn auch nur andeutend, das christlich-heilige Mysterium
unbefleckter Empfängnis erleben läßt. „Es wird sich alles dir zum
Siege lösen" (v. 1575). Dies war der einzige Ausweg, um den Riß
in ihrer Seele zu überbrücken, um sie über den erlebten Konflikt
hinauszuheben in Sphären jenseits von Gut und Böse, wie es Moliere
durch die durchgeführte Intellektualisierung geglückt ist. Darin nähert
sich Kleist der religiösen Anschauung eines Schleiermacher. Die
Romantiker vergotteten sich selbst, indem sie die Identität von Denken
und Sein im Diesseits vollzogen durch Vernichtung des Stoff"lichen
in der Form; Kleist kennt trotz seines titanischen Ringens diese Blas-
phemie nicht. Gerade weil er den Menschen echt spinozistisch die
Unzerstörbarkeit seines Wesens bewahren läßt, steht er dem Schleier-
macherschen Gottesbegriff, der jene Identität im Wissen nie, nur im
Gefühl des Unendlichen erreicht, nahe, und gerade in diesem mystischen
Gefühl liegt wiederum der Grund jenes unablässigen Ringens, das wir
in Kleists eigener Seele wie in der seiner Dramenhelden beobachten.
Aus diesem mystischen Gefühl heraus griff auch Kleist im Gegensatz
zu Moliere jene Vordeutung des Göttersohnes wieder auf, wie sie so-
Heinrich von Kleist: ,,Amphitryon". 23 1
wohl bei Plautus als noch bei Molieres unmittelbarem Vorgänger Rotrou
vorhanden ist. Aber er wandelt den altdorischen Heraklesmythos ins
Christliche, um Alkmene von ihrer seelischen Pein zu erlösen und —
vielleicht auch zugleich als Ausdruck ersehnter Prophezeiung eigenen
künftigen Ruhms. Doch ist diese Umbiegung ins Christlich-Mytho-
logische weder vollbewußt durchgeführt noch auch in ihrer Andeu-
tung restlos geglückt. Sie bleibt in der komisch angelegten, tragisch
vollendeten, rein menschlichen Haupthandlung ein unbefriedigender
deus ex machina.
Wie Alkmene dem Göttlichen genähert wird, so der Gott dem
Menschlichen. Gerade deshalb ist Kleists Jupiter gegenüber dem
galanten Sonnenkönig Molieres seelisch vertiefter, sittlich ernster. Er
ist im Sinne echt deutscher Mystik getragen von der heißen Sehn-
sucht geliebt zu werden; nur in der Liebe wird er erkannt: Tantum
deus intelligitur, quantum diligitur. Er ist nicht mehr der auf galante
Abenteuer ausziehende Grandseigneur Molieres. Kleist, der Sohn des
kühlen preußischen Nordens, der Sproß einer strammen Militäraristo-
kratie, der scharfe Dialektiker hat doch auch schon von Hause aus
so viel des pietistischen Gefühlsstroms in sich aufgenommen, daß er
im innersten Wesenskern metaphysisch verankert ist. Kleist ist Mystiker,
dem alles Vergängliche nur ein Gleichnis ist, dem alle äußere Er-
fahrung zu nichts verblaßt gegenüber der inneren. Andrerseits kann
er aber seinen Ursprung nicht verleugnen, der ihn am Empirischen
festhält, der ihm die Welt der Wirklichkeiten in ihrer ganzen prak-
tischen Bedeutung immer wieder vor Augen rückt. Diesen Zwiespalt,
der wohl noch ein letzter Grund zu seinem Ende gewesen sein mag:
seiner Flucht in ein romantisch gedachtes vervollkommnendes, den
diesseitigen Zwiespalt aufhebendes Jenseits — diesen Zwiespalt hat
Kleist in Amphitryon und Jupiter verkörpert.
Auch Amphitryons ernste Menschlichkeit hat Kleist in tragisch er-
zitternder Leidenschafthchkeit vertieft. Sein höchstes Gut ist seine
Ehre. Er sucht den Ruhm, wie ihn nur Kleist in heißester Leiden-
schaft erstrebt hat. Nach einem Wort Varnhagens vergötterte Kleist
sein eigenes Talent. Wie Amphitryon dem Höheren, Göttlichen weichen
muß, so auch Kleist seinem eigenen Ideal, das er in dem trotz allem
immer vergötterten und darum beneideten Goethe Wirklichkeit geworden
sah. Zur Zeit des „Amphitryon" lebt Kleist in der Stimmung seiner Pen-
thesilea, seinem ergreifenden Klagegesang über seine heroische Guis-
kardniederlage. Kleist resigniert. Amphitryon weicht vor Jupiters Götter-
erscheinung. Er sieht ein, alle seine irdischen Kräfte können nie
leisten, was der Gott ihm zu schenken vermag. Alles, was er auch
im heißesten Kampf erringt, muß dem nachstehen, was der Göttliche
ihm erzeugt: „Es wird an Ruhm kein Heros sich der Vorwelt mit ihm
messen, auch meine ew'gen Dioskuren nicht". Einen strengen Pa-
rallelismus Kleist— Amphitryon, Goethe— Jupiter durchführen zu wollen,
2 "22 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
wäre ödeste Pedanterie. Aus Kleists Briefen, die über den „ Amphitryon"
nur Geschäftliches berichten, haben wir keinerlei Anhaltspunkt. Kleist
selbst dürfte die Parallele auch mehr unbewußt nahe gewesen sein
als in helles Bewußtsein gerückt. Kleist glaubte damals auf seine
,, halben Talente" verzichten zu müssen, und doch war ihm dieser Ver-
zicht höchstens in Augenblicken tiefster Ermattung Wahrheit. Was
ihn wieder aufrichtete, war immer wieder die leise Hoffnung, daß der
Himmel ihn doch noch begnaden werde, daß ihm das eingeborene
Göttliche doch noch ein Ruhmeskind zeuge, daß er selbst Goethe, dem
größeren der beiden Weimarer Dioskuren, den Ruhmeskranz entreiße.
Daß die Umbiegung des Moliereschen Vorbilds Kleists innerem Er-
leben entspricht, leugnet niemand, der diesen persönlichsten und eigen-
willigsten Dichter unserer deutschen Literatur kennt. Schon Goethe
hat dies mit Mißfallen bemerkt: „Der antike Sinn in Behandlung des
Amphitryon ging auf Verwirrung der Sinne, auf den Zwiespalt der
Sinne mit der Überzeugung. Es ist das Motiv der Menächmen mit dem
Bewußtsein des einen Teils. Moliere läßt den Unterschied zwischen
Gemahl und Liebhaber hervortreten; also eigentlich nur ein Gegen-
stand des Geistes, des Witzes und zarter Weltbemerkung .... Der
Gegenwärtige, Kleist, geht in den Hauptpersonen auf Verwirrung des
Gefühls hinaus".
Diese Subjektivität der Behandlung des Stoffes bewährt Kleist
auch in der Auffassung des alle Konflikte tragenden Liebesproblems,
worin er sich durchaus als Romantiker erweist. In Alkmene hat der
Dichter das Wundererlebnis jener mystischen, romantischen Liebe
dargestellt, der Tieck im „Abdallah" Ausdruck verleiht: „Ach nein,
es ist nicht das, es ist nicht jenes Gefühl, das unsere Dichter so
oft beschreiben — kein Mensch hat noch je dieses hohe, heilige, un-
aussprechliche Wesen in seiner Brust beherbergt, Liebe ist es nicht,
es ist das Gefühl der Seligen, mir allein seit Ewigkeiten aufbewahrt,
mich aus dieser Welt hinauszureißen; eine allmächtige Woge hat
mich auf die hohe, jähe Spitze einer Klippe geschleudert, die Welle
sinkt ins Meer zurück und ich stehe schwindelnd über Wolken, von
allen Menschen, die einst waren und sind, auf ewig abgerissen, die
Unendlichkeit um mich her. Die Gottheit hat heute mein Leben von
neuem berührt und durch die leisesten Töne hindurch zittert der all-
mächtige Stoß". Diese ewig sehnsüchtige Liebe lebt wie in Alkmene
auch in Kleists Jupiter. Selbst Amphitryon muß, wenn auch nicht über-
zeugend, der romantischen Liebesauffassung entgegenreifen, die des
Novalis Heinrich von Ofterdingen ausspricht: „O Geliebte, der Himmel
hat dich mir zur Verehrung gegeben. Ich bete dich an. Du bist die
Heilige, die meine Wünsche zu Gott bringt, durch die er sich mir
offenbart, durch die er mir die Fülle seiner Liebe kund tut. Was ist
die Religion als ein unendliches Einverständnis, eine ewige Vereini-
gung liebender Herzen? Wo zwei versammelt sind, ist Er ja unter
Heinrich von Kleist: „Amphitryon". 233
ihnen. Ich habe ewig an dir zu atmen; meine Brust wird nie auf-
hören, dich in sich zu ziehen. Du bist die göttHche Herrlichkeit, das
ewige Leben in der UebHchsten Hülle". Diese Vermischung von
irdischer und himmlischer Liebe und Religion ist durchaus roman-
tisch, und aus dieser romantischen Auffassung führt auch der Weg
zu dem von Kleist angefügten christlichen Mysterium. Doch zuviel
des Persönlichen, des eigenen Erlebens Kleists steckt in Alkmene,
als daß dieser zarte christlich- mythologische Hinweis mehr als der
Ausgang von Goethes Faust für die katholischen Neigungen des
Dichters bewiese.
Man könnte auch versucht sein, Kleists „Amphitryon" als eine —
romantischem Brauch naheliegende — Parodie Fichtescher Wissen-
schaftslehre auszudeuten, wenn nicht schon die Vorbilder Plautus,
Rotrou, Moliere in der Sosienhandlung die Ichverwechslung, den
steten Kampf von Ich und Nichtich zu derbkomischen Wirkungen
hätten gelangen lassen. Immerhin mag doch diese Parallelität mit
Fichtes subjektivem Idealismus, der, wie Cassirer mit guten Gründen
nachzuweisen versucht hat, Kleists erschütterndes und bestimmendes
Seelenerlebnis geworden ist, den Dichter gerade auf den „Amphi-
tryon" unter Molieres Komödien zur Bearbeitung gelenkt haben.
Kleist hat sein Vorbild so stark umgeschaffen, daß bei ihm der Titel
nur noch durch die Stofftradition berechtigt ist; besser hieße er
,, Alkmene". Alkmenens vermeintliches Bewußtsein von Amphitryon
ist, echt fichtesch, nur das Bewußtsein einer selbsterzeugten Vor-
stellung von Amphitryon. Die Möglichkeit ist daher gegeben, daß
von einer anderen Persönlichkeit, von Jupiter, ihr Bewußtsein ebenfalls
eine Vorstellung erzeugt, die mit der ersten identisch ist. Kleist ver-
deutlicht dies noch durch die Parallelität des geistigen Vorgangs bei ihrem
Gebet, bei dem Alkmene ebenfalls zwei Vorstellungen, deren Gegen-
stände nicht identisch sind, identifiziert, indem sie den angebeteten
Gott in der Gestalt des geliebten Gatten sich vorstellt und verehrt.
Wie einst Kleist selbst durch die Entdeckung, daß uns Wissen
keine Wahrheit geben kann, so wird auch Alkmene durch die gleiche
Erfahrung aufs tiefste erschüttert. Da aber für Kleist ,, Wahrheit der
einzige Reichtum, der des Besitzes würdig ist", so suchte und fand
er als neuen Wahrheitsspender für das entwertete Wissen den Glauben
und wird dadurch in den Bereich religiösen Fühlens geführt. Ebenso
Alkmene, wenn ihr dieser Ausweg auch nur ein ,,Ach" entlocken
kann. Wohl will sie im Gebet hinfort des Gottes nicht mehr in der
Vorstellung der Gestalt des vergotteten Geliebten denken, „jedoch
nachher vergeß' ich Jupiter". Auch darin erkennen wir wieder einen
echt Kleistischen Zug, daß Erdensein und Erden wallen, pflichtgemäßes
Handeln, wie er es in dem wichtigen Schreiben an die Braut vom
i6. September 1800 ausdrückt, in dem Herzen des Menschen selbst
ein Gebot finden müssen und nicht erst in dem Gedanken an Gott und
2 "14 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
Unsterblichkeit, welcher höchstens wie ein Träumen nach getaner
Pflicht beseligende Gefühle auslöst.
Alle diese Beziehungen zu den tiefsten philosophischen Ideen der
Zeit, zu Kleists metaphysischen Überzeugungen sind nur unbewußt,
oder doch nur halbbewußt aus der schaffenden Künstlerseele in das
Werk übergegangen; sie haben der Bearbeitung des graziös leichten,
allenfalls augurisch lächelnden Moliereschen Vorbilds jene eigenartige
Tönung verliehen, die uns inmitten der komischen Handlung tragische
Schauer anwehen läßt.
c) „Der zerbrochne Krug".
Fem aller Tragik, auf scheinbar unromantischen Pfaden wandelt
dagegen Kleists nächstes Lustspiel „Der zerbrochne Krug". Die erste
Anregung entstand in jenen lichten Tagen des Bern er Freundeskreises
(1802), als Kleist mit seinen Kameraden Heinrich Zschokke, Lud-
wig Wieland und Heinrich Geßner eine Art dichterischen Wett-
kampfs vereinbarte, um einen auf Debucourt zurückgehenden Stich
Le Veau's „Le juge ou la cruche cassee" literarisch zu gestalten.
1803 hat der Dichter drei Szenen seines Lustspielentwurfs dem Freunde
Pfuel in Dresden aus dem Kopfe diktiert. Doch erst in der Resi-
gnationsstimmung der Königsberger Zeit (1806) brachte er das langsam
innerlich gereifte Lustspiel zur abgeschlossenen Niederschrift, die 1808
in Weimar aufgeführt, im selben Jahre redigiert und fragmentarisch
im „Phöbus" abgedruckt wurde. Erst 181 1 erschien sie in Buchform,
wobei der ursprüngliche, episch ausgedehnte Schluß nur noch als
Variante der zugunsten dramatischer Konzentration gekürzten Fassung
angehängt ist.
Die mißglückte Weimarer Aufführung litt wohl unter dem lang-
weiligen Schluß, der die mit dem Ende des elften Auftritts gelöste
Spannung nicht mehr frisch zu erregen vermag, wie auch unter der
Dreiteilung des Werkes, die Goethe als Regisseur vorgenommen
hatte, und schließlich auch unter dem üblichen Weimarer klassischen
Darstellungsstil. Alles widersprach der Wesensform des Kleistischen
Werkes, das auf Einheit, Lebendigkeit, schnelles Tempo und Realistik
angelegt ist.
Die Einheit ist bewirkt durch die beherrschende Zentralfigur des
Dorfrichters Adam, woraus die von Romantik und Klassik gleicher-
maßen geteilte Begeisterung für das starke Individuum zu fühlen ist.
Die Handlung ist eine Gerichtssitzung zur Ermittlung des Krug-
zerbrechers, die die Entlarvung des Richters wird. Gleich die Ein-
gangsszenen lassen die Täterschaft des Richters vermuten, und diese
Vermutung wird dem Zuschauer schnell zur Gewißheit. Nicht mehr
das Faktum interessiert, sondern die Frage: Wie wird sich der ge-
rissene Adam aus der Schlinge ziehen, wie lange wird er zappeln?
Es ist ein rein intellektuelles Interesse. Damit ist das Eindringen
Heinrich von Kleist: „Der zerbrochne Krug". 235
tragischer Empfindungen verhütet, das bei dem mit dem Susanna-
stoff verwandten Thema nahehegt. Bei dem heiklen Stoffe des An-
griffs eines geilen alten Lüstlings auf ein unschuldiges junges Weib
mußte Kleist sorgfältig alles vermeiden, was sitthche Unlustgefühle
hätte erwecken können.
Der unsittliche Anschlag Adams muß daher zur Seite geschoben
werden; an seine Stelle tritt als Objekt der Verhandlung der zer-
brochene Krug. Diese Substitution ist an sich komisch dadurch, daß
eine lebendige, wertvolle Beziehung durch eine tote, gleichgültige
ersetzt wird, wobei andrerseits das rein Possenhafte humorisch ver-
tieft wird dadurch, daß der Zuschauer durch die Lappalie immer das
Wertvolle hindurchleuchten sieht. Damit aber der äußere Schein nicht
durch das dahinterstehende Sein zerstört und dadurch die komische
Wirkung aufgehoben werde, muß er stark betont werden; dazu dient
die undramatische, epische Krugbeschreibung, die ihrer im Theater
lähmenden Wirkung halber mit Recht von dem Schauspielbearbeiter
F. L. Schmidt gekürzt wurde. Die Substitution ergibt aber auch
den festen Knoten, von dem aus sich die Fäden des dramatischen
Spannungsgeflechtes schlingen. Eine Vielfältigkeit komischer Span-
nungen wird erzeugt und zugleich doch ein fester Aufbau. Der
innere Konflikt Adam— Eve wird durch den äußeren Marthe— Ruprecht
ersetzt. Eine Komplexität spannungsreicher Beziehungen ist damit auf
möglichst einfache Form reduziert: einerseits Adam, Marthe — andrer-
seits Eve, Ruprecht; zu Ruprecht gesellt sich sein Vater Veit wie zu
Marthe ihre Verwandte Brigitte; über den Parteien stehen der persön-
lich interessierte helle Licht und der objektive Rechtswalter Walter.
Doch dieser klare symmetrische Aufbau wird keineswegs festge-
halten. Schon die Eingangsszenen zeigen, daß der Dichter nicht auf
koordinierende Gegenüberstellung zielt, sondern auf die Darstellung
einer Zentralfigur. Der in mihtärischer Familientradition aufge-
wachsene Dichter sieht seinen Helden gleichsam als wetterharten
Soldaten, der jeden Fußbreit Boden verteidigt, nur schrittweise zurück-
weicht, um immer wieder zu neuem Angriffe vorzugehen, der noch
zum Schluß die Flucht der läppischen Pardonbitte und dem damit ver-
bundenen Peccavi vorzieht. Adam ist eine Rembrandtsche Charakter-
figur, kein rührseliger Spießer von Ifflands Gnaden. Alle Fäden gehen
von ihm aus, laufen auf ihn zurück. Es ist ein Kampf: Einer gegen
alle, und gerade deshalb gewinnt dieser Eine unsere Sympathie. Adam
muß sich der Reihe nach gegen jeden verteidigen und ist ebenso
bereit, jeden Augenblick in unbedenklichem Frontwechsel mit einem
anderen zu paktieren. Dazu dient ein Netz von Widersprüchen, die für
den eingeweihten Zuschauer eine ebensolche Fülle von Komik dar-
stellen. Kleists leidenschaftliche, aus allen seinen Werken rufende
Forderung nach Wahrheit, die in ihrem metaphysischen Sein intellek-
tuell unergründbar bleibt, wird hier rein spielerisch behandelt und
/
236 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
auf ihre empirische Erfüllbarkeit geprüft. Alle Widersprüche und
damit alle Komik gehen stets auf das Wahrheitsproblem aus dadurch,
daß der äußere Schein trügend das innere Sein in sein Gegenteil
verkehrt.
Auf Grund dieser Unzulänglichkeit individuellen Wissens werden
dauernd Unschuldige verdächtigt, Ruprecht von Marthe, Eve von
Ruprecht, und nur der allein Schuldige soll Richter sein. Die äußere
Form der Gerichtsszene ist mit ihrer Dialektik am besten geeignet,
alles in die Sphäre intellektueller Betrachtung zu heben und dadurch,
unsere sittliche Urteilskraft ausschaltend, Komik zu erzeugen. Daher
hat auch die Komik von jeher eine unversiegliche Liebe für Gerichts-
szenen. Dadurch daß Kleist den Richter einbezieht in den Prozeß-
gang, dadurch daß der bestallte Rechtsfinder am meisten Anlaß hat,
das Recht zu verbergen, ist von vornherein große Spannung gegeben
zwischen den beiden Tendenzen, den Rechtsfaden zu entwirren und ihn
noch mehr zu verwirren. Der Zuschauer, dem wie dem Schreiber
Licht gleich vom Anfang an ein Licht aufgeht, beobachtet vergnügt,
wie an dem Rechtswagen zu gleicher Zeit vorn und hinten Kräfte
in entgegengesetzter Richtung ziehen. Und gerade daß Kleist ihn
von vornherein Adams Schuld ahnen läßt, macht ihn gespannt, wie
sich dieser nun aus der gelegten Schlinge befreien wird.
Die ganze Gerichtshandlung dient nur dazu, Adams Listen- und
Lebensfülle zu entwickeln. Am Schlüsse kennen wir ihn mit all seinen
körperlichen und sittlichen Schwächen, mit all seiner List und Tücke.
Kleist hat nichts beschönigt. Der Richter Adam ist unwissend und
rechts verletzend, er ist ein häßlicher Dickbauch mit Klumpfuß und
Kahlkopf, unordentlich, schmutzig, gefräßig, trunkliebend , in geiler
Brunst zum Schlimmsten fähig, dabei feig, sobald das eigene Heil
ernstlich bedroht scheint. Und trotzdem macht der Jovialität mit
Brutalität vereinigende Dorfsultan uns lachen, denn Kleist hat ihn
im innersten Menschlichen erfaßt. Er überzeugt uns, daß Adam aus
seiner Natur heraus zwangsläufig handelt. Er offenbart das Triebhafte
aller menschlichen Natur in seiner Nacktheit.
Adam ist der ursprüngliche Triebmensch, auch seine intellektuelle
Gewandtheit entsteht gleichsam triebmäßig aus der Anpassung an die
jeweilige Lage. Daher die Fülle der Erfindungen, die keineswegs
untereinander zusammenhängen oder gar einem logisch aufgebauten
Verteidigungsplan entspringen. Reflektierendes Bewußtsein ist ihm
fremd, seine ganze schillernde, durch nichts zu verblüffende Ver-
teidigung ist ein mechanisch-unbewußtes Tun gleich dem der Mario-
nette, ist naiv. Er stammt noch, um Kleists eigene Worte aus dem be-
rühmten Aufsatze „Über das Marionettentheater" anzuwenden, aus der
Zeit, da das Paradies noch nicht verriegelt war, er hat noch nicht von
dem Baum der Erkenntnis gegessen. Dieser schwerfällige Körper mit
dem Klumpfuße ist gleich den Puppen „antigrav", von der Trägheit
Heinrich von Kleist: „Der zerbrochne Krug". 237
der Materie weiß er nichts. Da ihm das Bewußtsein fehlt, so besitzt
er die natürliche Grazie des ursprünglichen Menschen. Er hat nicht,
wie sein Ältervater nach dem Sündenfall, die Erkenntnis, daß er nackt
sei, er schämt sich daher nicht und hat bei all seiner objektiven Ver-
dorbenheit seine subjektive Unschuld nicht verloren. Das ist die
tiefste Wurzel seiner Komik, der tiefste Grund seiner geschlossenen
Einheitlichkeit, mit der der Dorfrichter wie aus einem Guß vor uns
steht. Er entspricht dem plumpen, unbewußten Bären in jenem Auf-
satze Kleists, der, alle Finten seines menschHchen Gegners nicht
achtend, wie der erste Fechter der Welt alle Stöße pariert.
Ihm steht insofern Eve nahe, als auch sie die unmittelbare Grazie
der Reflexionslosigkeit besitzt. Darin besteht auch ihre Verwandtschaft
mit Alkmene, mit der sie außerdem das Geschick teilt, daß ihre Rein-
heit den Angriffen eines Übermächtigen ausgesetzt ist und ihr wie
jener „sich alles zum Ruhme (Siege) lösen" muß (Amphitryon v. 1575,
Zerbr. Krug v. I172). Die Namenswahl Adam und Eva ist nicht nur
die komische Hindeutung auf den Sündenfall, sie weist auch darauf
hin, daß hier noch zwei ursprüngliche, naive Menschen vor uns
stehen, deren Handeln nicht erkenntnismäßig, sondern triebhaft be-
stimmt ist. Von Natur aus sind beide möglich. Es hat daher keinen
Sinn, den einen zu verurteilen und den andern zu preisen. Der eine
ist die Ergänzung des anderen, wie Licht und Schatten. Eve handelt
instinktiv aus ihrer Liebe heraus, wie Adam aus seinen sinnlichen
Begierden. Der äußere Schein ist ihr gleichgültig. Sie ist daher
auch im Innersten verletzt, daß ihre Mutter und gar ihr Geliebter,
dem äußeren Schein glaubend, sie verdächtigen. Wie Kleist selbst
von seiner Braut unbedingtes Vertrauen ohne alle Überlegung forderte,
so auch Eve, so auch Alkmene. Nichts erschüttert Eves Haltung,
alle Verdächtigungen der ganzen Verhandlung mit ihrem dauernden
Schwanken vermögen ihr nicht den Mund zur Aufklärung zu öffnen,
solange sie dadurch den Geliebten, dessen Rettung ihr einziger Wille
ist, zu gefährden glaubt. Erst als zum Schlüsse trotz ihres Schweigens,
ihrer moralischen Selbstaufopferung der Geliebte von ihr getrennt
werden soll, da zerreißt sie mit einem Schlag das Netz und erklärt
Adam für den Schuldigen. Wieder werden wir an den Bären in
Kleists Marionettenaufsatz erinnert : alle Finten läßt er unbeachtet, nur
den wirklich bedrohenden Stoß lenkt er mit einer Bewegung ab.
Eve entspricht in ihrer inneren Anlage durchaus Adam. Aber dieser
beherrscht die Komödie. Deren Stärke ist die greifbare, bis in kleinste
Einzelheiten gehende und doch den Gesamteindruck nicht auflösende
Schilderung Adams. Der Aufbau dieser bäuerlichen Falstaffgestalt
ist derb realistisch mit allen Mitteln impressionistischer Technik. Adam
steht im Blickpunkte unseres Interesses. Alle anderen Figuren leiten
zu ihm hin, auch die der Eve ist kein gleichwertiges Gegenstück,
sondern dient zu seiner Erhellung, gerade wie alle Handlung, ob
2^8 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
Anklage oder Verteidigung, immer wieder auf ihn zielt. Er gibt die
Bildeinheit, ihm ist alles andere subordiniert. Die reiche Lebensfülle,
die über ihn ausgegossen ist, aus ihm herausdrängt, ihn umspielt
in hundert Lichtern eines sprühenden, urwüchsigen, triebhaften In-
tellekts, läßt diese wuchtige, plastische Gestalt in barocker Bewegung
erscheinen. Kleist hat bewußt barock und nicht klassisch gestaltet,
wie seine Bemerkung bezeugt, daß sein Lustspiel nach Teniers ge-
arbeitet sei, während er sonst lieber Raphael nachstrebe, wobei wir
allerdings die Einschränkung machen müssen, daß diese Barockform
im Sinne Walzels zu jener durchaus individualistischen, unschau-
spielerischen deutschen Form gewandelt ist, die für unsere Romantik
> charakteristisch ist. Weiter dürfen wir nicht vergessen, daß Kleists
y Bemerkung in erster Linie darauf zielt, daß er nicht idealisiere,
sondern derb realistisch bäurisches Leben in seiner Bewegtheit zur
Erscheinung gebracht habe. Dieser Wirklichkeitsschilderung dient
auch seine volkstümliche Sprache, die er allerdings nicht zur Prosa
verflacht, sondern die er trotz ihrer Natürlichkeit rhythmisch bändigt
in mit Anapästen und Trochäen durchsetzten fünffüßigen Jamben.
Auch hier ist sein vereinheitlichender Stilwille tätig, der zum
erstenmal wieder für ein deutsches wirklichkeitfrohes Lustspiel die
Versform anwendet. Gegenüber den rührselig-lehrhaften Machwerken
Ififlands voll erheuchelter Zustandsschilderung, gegenüber der blühen-
den aber zerfließenden Phantastik der Komödien der Romantiker oder
ihren tendenziösen Literatursatiren gibt Kleist in glänzend beherrschter
Technik ein Lustspiel voll saftiger Realistik, ungeschminkter Wahr-
haftigkeit, künstlerischer Einheit ohne jede andere Absicht als lachen
zu machen. Dazu bedient sich der in niederdeutscher Stammesart
wurzelnde Dichter volkstümlich-bäurischen Milieus und entsprechen-
der, dialektisch gefärbter Sprache. Er führt die geistgeborene, blut-
leer gewordene Komödie zurück zu blutvollem Leben und knüpft
damit an die aus mittelalterlichem Fastnachtspiel im i6. Jahrhundert
sich verheißungsvoll entwickelnden Komödien, an die Linie, die
im 17. Jahrhundert Gryphius krönte. Das Paar Ruprecht — Eve er-
innert an Korngold — Dornrose, wie die ganze Prozeßhandlung an
Niklas Manuels „Elsli Tragdenknaben" und darüber hinaus an das
mittelalterliche Fastnachtspiel des Deflorationsprozesses von „Rumpolt
und Mareth".
In dieser unbewußten Fortführung echt volkstümlicher Kunst steht
Kleist den Lokalpossen nahe, die großenteils in der Zeit der Romantik
ihren Ursprung nehmen oder doch neu befruchtet werden. In der
Romantik erwacht aus dem früher schon vorhandenen Interesse an
der Vergangenheit unter dem Druck des politischen Unglücks der
Sinn fürs Nationale, Volkstümliche, Stämmische und damit gleichzeitig
die Liebe zum Kleinen, die Andacht vor dem Unbedeutenden, die
Vorliebe für das Eigenartige. Dieses Streben nach Besonderem, dieser
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Südwestdeutsches Lokalstück, 239
Zug zum Pittoresken, in die die Spätromantik die frühromantische
Sehnsucht nach dem Universalen verblassen läßt, in denen die Spät-
romantik aber auch wieder den von der Frühromantik verlassenen
Wirklichkeitsboden findet: alles dient jenem poetischen Impressionis-
mus, der in Dichtung wie bildender Kunst das schönste künstlerische
Erbe der Romantik bleibt. Die metaphysische Sehnsucht nach Un-
erreichbarem wird zur Sehnsucht nach Entschwundenem, in dem
sentimentalisch das Gute und Gesunde erblickt wird. Hieraus entsteht
in Verbindung mit dem erwachenden Nationalgefühl das Interesse am
Lokalen, die Freude an der Dialektsprache, die zu einer bewußt-naiven
Volkskunst führen. In Kleists „Zerbrochnem Krug" haben wir beides
enthalten; wir sehen das Nationale, das Walter nach Wein von „unserm
Rhein" verlangen läßt, wie das Individuelle, das Volkstümliche. Ein
kleines, aber immerhin bedeutsames Zeichen bildet die Wiederkehr
der im ,,Amphitryon" wie im ,,Zerbrochnen Krug" angewandten
Redensart, daß eine Aussage „nicht gehauen und nicht gestochen"
sei, die sowohl in Gryphius' „Geliebter Dornrose" als auch in Arnolds
Straßburger Dialektposse „Der Pfingstmontag" (1808) gebraucht wird.
In letzter Linie ist es der Ekel vor den konventionellen Daseins-
formen, der aus der Aschermittwochstimmung des Rokoko geborene
Ennui, der einst den Rousseauismus hervorgebracht hat, der auch die
metaphysische Sehnsucht der Romantiker, den Exotismus — diesen
teilweise auch in Nachahmung des englischen Dramas — , wie das Ver-
senken in stämmische, lokale Sonderart zeitigt; die Frucht kehrt sich
wider die Wurzel. Kleists Lustspiel zeigt sich auch hierin als Werk
eines Dichters, das aus der Zeit geboren in die Zukunft weist, und
sein Schöpfer bewährt sich als jener Dichter im Sinne Piatos, dem
es gleichermaßen verliehen ist, Komödien wie Tragödien zu gestalten.
3. VOLKSKUNST.
a) Oberdeutsche Lokaldichtung.
aa) Südwestdeutsches Lokalstück.
Ein Beispiel für die bewußte Pflege des Stämmischen, wie es etwa
der liebenswürdige Alemanne Peter Hebel bietet, gibt uns auf dem
Gebiete des Lustspiels Georg Daniel Arnold. Er veröffentlichte 18 16
in seinem „Pfingstmontag" ein Dialektlustspiel in Elsässer Dütsch,
das an frischer Lebendigkeit weit über den Ifflandiaden steht. Aller-
dings fehlt der Erdgeruch des Ursprünglichen. Wir fühlen deuthch,
ein Gelehrter ist am Werk, um bewußt Stammessitte und Stammes-
sprache wiederzugeben. Aber selbst ein Goethe fand 18 17 viel Be-
hagen daran und rühmte seine „höchst liebenswürdige Erscheinung".
Eine ausführliche Besprechung, die der 1850 erschienenen zweiten
Auflage als Vorwort beigegeben ist, veröffentlichte Goethe in Kunst
240 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
und Altertum IL Darin lesen wir: „Der Dichter führt uns zwölf
Personen aus Straßburg und drei aus der Umgebung vor. Stand,
Alter, Charakter, Gesinnung, Denk- und Sprechweise kontrastieren
durchaus, indem sie sich wieder stufenartig aneinander fügen. Alle
handeln und reden vor uns meist dramatisch lebhaft; weil sie aber
ihre Zustände ausführlich entwickeln sollen, so neigt sich die Be-
handlung ins Epische, und damit uns ja die sämtlichen Formen vor-
geführt werden, weiß der Verfasser den anmutigsten lyrischen Abschluß
herbeizuleiten".
Ein großer Dramatiker ist der Rechtsprofessor an der Straßburger
Universität Arnold sicherlich nicht, aber er weiß mit Geschick und
Witz sein Handlungsschifflein sicher in den Verlobungshafen zu steuern.
Wenn Roethe Richard Wagners „Meistersingern" reiche Lebensfülle
nahen Alltagsdaseins und heitere, genrehafte Zufälligkeit nachrühmt,
so gilt dies in seinen dichterisch bescheidenen Grenzen auch von
Arnolds Lustspiel.
Gerade mit den „Meistersingern" weist „Der Pfingstmontag" über-
raschende Parallelen und selbst wörtliche Anklänge auf, so daß sich
die Vermutung aufdrängen möchte, Wagner habe das elsässische
Stück gekannt. Ein Vergleich beider Werke mutet an, als ob die
Grenzen, die den ,, Pfingstmontag" zu einem engen charakteristischen
Lokalbilde einhegen, in den „Meistersingern" niedergerissen und
erweitert seien zu einem großen Nationalgemälde. Beiderseits dreht
sich die Handlung darum, daß ein von der Ferne kommender Lieb-
haber, ein Dichtergemüt und klarer, aufrichtiger Charakter, trotz seines
höheren Standes und seines weiteren Kultumiveaus eine liebliche,
frische und tatkräftige Mädchenknospe, die Tochter achtbarer und
wohlhabender Bürger, aus reiner Liebe sich erringen möchte und
dabei Widerstand findet durch die Rivalität eines heimtückischen,
aufgeblasenen, einheimischen Pedanten: Reinhold = Walter Stolzing,
Lissel = Evchen, Licentiat = Beckmesser. Wie Beckmesser wird
auch der Licentiat im Stück verprügelt und muß zum Schlüsse trotz
seiner vermeintlichen Gelehrsamkeit seinem Nebenbuhler neben der
Braut auch die Dichterkrone im meisterlichen Wettgesang überlassen.
Die Entscheidung erfolgt an einem allgemeinen Feiertag, hier Pfingst-
montag wie dort Johannistag, draußen auf der Wiese vor der Stadt.
Das Milieu wird gebildet durch ein tüchtiges, stammhaftes Bürgertum,
das stolz auf seine Sitten und Eigenheiten — auch die Straßburger
pflegen wie die Nürnberger ihren Meistersang — sich seiner Vater-
stadt Straßburg oder Nürnberg rühmt und darüber hinaus aber noch
echtes deutsches Nationalgefühl bekundet. Die Mischung von froher
Laune und tüchtiger Gesinnung, die aus Arnolds Stück uns anspricht,
hält es auch heute noch frisch und hat noch in jüngster Zeit eine
Fortsetzung erzeugt, die Schneegans 1899 als „Pfingschtmondäa vun
hitt ze Däa" veröffentlichte.
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Wiener Volksposse : Entstehung. 24!
Arnold gibt uns ein Beispiel, wie die volkstümlichen Tendenzen
der Romantik sich im Lustspiel auswirken. In ähnlicher Weise pflegt
etwa Johann Heinrich de Noel, der Rheinromantiker, aber Gegner
der romantischen Philosophie Fichtes ist, die Kölner Lokalposse, nur
mit derberem, volkstümlicherem Einschlag „Der verlorene Sohn" (l8l i).
Derartige Versuche sind überall zu beobachten. Während sie aber
ihre Entstehung intellektueller Besinnung, gewissermaßen einem Bil-
dungserlebnis danken, entstehen und entstanden bereits im i8. Jahr-
hundert in Süddeutschland: Schwaben, Bayern, Österreich ähnliche
Volkspossen ohne jede Bildungstendenz, gewissermaßen stämmisches
Bodengewächs. Daß darin jedes sittsame Schambedenken der Freude
am volkstümlich Drastischen, Derben und Ungeschminkten wich,
zeigen etwa die „Biblischen und Weltlichen Komödien" des schwäbi-
schen Pfarrers Sebastian Sailer (1714 — 1777; neu herausgegeben von
Dr. Owlglaß 19 14), der seine Nachfolge in den stark ins Gemein-
Sexuelle treibenden Dialektlustspielen von Karl Weitzmann (1767 bis
1828) fand; reiner in Gehalt und künstlerischer in Form, wenn auch
weniger urwüchsig im Ausdruck, erweist sich schließlich Gottlieb Frie-
drich Wagner (1774— 1839), dessen lustige „Schulmeisterwahl zu Blind-
heim" an Weises „Bäurischen Machiavellus" und Kotzebues „Klein-
städter" erinnert. Das eigentliche Feld aber der romantischen Volks-
posse ist Österreich.
bb) Wiener Volksposse,
a. Entstehung.
Ursprünge der Wiener Volksposse, über die Moriz Enzinger uns
eingehend belehrt hat, sind bereits in dem barocken Jesuitendrama
des 17. Jahrhunderts zu beobachten, wenn Johann Adolf in ernsten
Dramen Bauern- oder Marktszenen als Einlagen bringt. Das Jesuiten-
drama nimmt damit Gebräuche des Komödiantenschauspiels auf, aber
auch des Humanistendramas. Ähnliche derbrealistische Hanswurst-
possen werden auch in Operntexte eingeschoben, mit Allegorien ver-
mengt. Auch der französische Klassizismus konnte mit seiner Form-
strenge die Freude an diesen formlosen Spaßen und Possen nicht
ausrotten. Gerade die kathoHschen Geistlichen, deren ganzes Be-
streben der Gegenreformation galt, d. h. der Wiedergewinnung der
breiten Volksmassen, bemühten sich volkstümlich zu wirken. Sie sind
in erster Linie die Träger der Volkskunst, denn sie, aus dem Volk
erwachsen, im Volke lebend, wußten gut genug, daß der Volksruf
neben panem circenses heißt. Gerade wo das stämmische Volkstum
sich am reinsten und lebendigsten erhalten hat, erstehen die wirkungs-
vollen Volksredner, und diese sind in erster Linie katholische Priester.
Ihre Absicht war, ähnlich wie im Mittelalter, dem Volke das Über-
sinnliche der Religion nicht intellektuell begreiflich zu machen, sondern
Hol], Lustspiel. i6
2A2 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
sinnlich zu veranschaulichen. Sie hüllten daher den christlich-katho-
lischen Mythos in ein bekanntes Volksgewand. Derbknorrige Bauern-
gestalten mit grobrealistischer Alltagsmundart repräsentierten die gött-
lichen und heiligen Personen, die biblischen Vorgänge wurden um-
gesetzt ins dörfliche Leben, der Mythos wird travestiert. Dadurch
wird dem Volke eine naive Freude an Travestien und Parodien ein-
gepflanzt, die bis ins 19. Jahrhundert fortlebt und dort eine neue
Anregung durch romantische Ironie empfängt.
In der Travestierung des Mythos wird dem Volke leicht Faßliches
aus seiner nächsten Alltagsumgebung geboten, wobei durch die grobe
Form stets noch der erhabene Kern hindurchleuchtet. Es sind stän-
dige Beziehungen geknüpft vom Diesseits ins Jenseits, vom Naturalen
ins Supranaturale, vom Realen ins Irreale. Diese ins Tiefe strebende,
die Umrisse auflösende, vom Hellen ins Dunkle verschwebende Kunst
entspricht barockem Formwillen. Barock ist der Stil der Jesuiten-
dramatik. Die eigentliche Heimat des Barock ist das stämmische,
katholische Süddeutschland: Schwaben, Bayern, Österreich. Hier ist
auch die Heimat des barocken Volkstheaters: der Stegreifposse. Wie
im mittelalterlichen Schauspiel die komischen Einsprengunge wuchsen,
das Gefüge sprengten, sich selbständig machten, so auch die komi-
schen Szenen der Jesuitendramen.
Die Entwicklung wurde gefördert und größtenteils selbständig be-
gründet durch das Vorbild der Komödiantenschauspiele, insbesondere
durch das Vorbild der italienischen Komödianten, die seit der Mitte
des 16. Jahrhunderts ihre commedia dell'arte nach Bayern und Öster-
reich brachten. Daß von Anfang an Musik darin Raum fand, beweist
uns das Szenarium der ältesten bekannten italienischen Posse, bei deren
Aufführung in München 1568 die bekannten Musiker Massimo Trojano
und Orlando di Lasso mitwirkten. Da die Stegreifposse in ihrem impro-
visatorischen Charakter stets innigste Verbindung mit dem jeweiligen
Publikum erstrebte, so wurde die dürftige, traditionelle Handlung immer
wieder mit neuen Lokalfarben bunt ausgemalt. Gerade Gegenden von
bewußter Stammeseigenart brachten deren typischen Vertretern große
Vorliebe entgegen. Was dem Venetianer der Magnifico Pantalones,
dem Neapolitaner Scaramuccia, das bedeuteten dem Österreicher der
Salzburger Hanswurst Stranitzkys und dessen Wiener Nachfolger.
In Wien fand die Stegreifposse mit ihren stehenden Masken offi-
zielle Anerkennung als gültige Kunstgattung, als Josef Anton Stranitzky
17 12 ins Theater am Kärntnertor einzog. Der Steiermärker hat den
im Mittelpunkte heiterer wie ernster Stücke stehenden internationalen
Typus des gefräßig-geilen, dreist-feigen, dumm-schlauen Dieners, der
seine mit lokalen Anspielungen gewürzten lazzi nach Belieben im-
provisierte, zum Salzburger Kraut- und Sauschneider geformt und
damit den Grund zur Wiener Volksposse gelegt. Eine Sammlung
von Szenarien — sie sind größtenteils Gherardis Theätre italien ent-
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Wiener Volksposse: Entstehung. 243
lehnt — gab er bereits 171 1 unter dem Titel „OUapotrida des durch-
triebenen Fuchsmundi" heraus.
Als im protestantischen Mittel- und Norddeutschland schon der
Rationalismus die Bühne dem Drama Untertan machen wollte, kam
in dem sinnlicheren, katholischen Süddeutschland das Theater zur
unbedingten Herrschaft. Der Hanswurst regiert die Bühne. Die ur-
sprüngliche symbolische Aufgabe des realistischen Spiels als Ver-
sinnlichung des Übersinnlichen ist vergessen über der Freude an der
sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung selbst. Die geistlichen Vor-
stellungen leben weiter in der naiven Volksphilosophie von Gut und
Böse, Recht und Unrecht, Schuld und Strafe, deren Träger der be-
herrschende Hanswurst mit seiner Pritsche ist. In dieser Rolle feierten
Stranitzky und sein Erbe, der Wiener Gottfried Prehauser, ihre Tri-
umphe. Die Hanswursthandlung hat eine ideelle Verwandtschaft mit
ihrem schärfsten Gegner, dem auf Besserung zielenden Sittenstück des
18. Jahrhunderts, aber ohne dessen aufdringliche Lehrhaftigkeit. Indem
beherrschenden Komödientheorem castigat ridendo mores betont das
Regelstück das castigare, die Hanswurstposse das ridere. Sie arbeitet
mit den Mitteln des Fastnachtspiels. Aber im Gegensatz zu diesem
ist sie nicht nur derbe Unterstreichung des typisch Wirklichen, son-
dern sie hat zugleich Kontrastfunktion, wie sie in ihren Ursprüngen
aus dem Komödiantenschauspiel und aus dem Jesuitendrama begrün-
det ist. Durch die Realität soll die Idealität um so anschaulicher
hervorgehoben werden.
Dieses Zweiweltensystem wurde in der stofflichen Handlung betont
durch den dritten großen Pritschenverwalter in Wien, den bayrischen
Abkömmling Johann Josef Felix von Kurz, der den Hanswursttypus zu
dem naiv-drolligen Tölpel Bernardon umschuf. Er hat der realistischen
Handlungstradition das Wunderbare hinzugefügt und vollzog damit
in Wien, was Carlo Gozzi in Italien aus Gegnerschaft zu Goldoni
durch seine Fiabe erreichte, worin er die stehenden Masken der alt-
italienischen commedia dell'arte: Arlecchino, Brighella, Dr. Gratiano,
Pantalone, Capitano Spavento mit Hilfe von feenhaften Märchenstoflfen
neubelebte. Die Verbindung von Wirklichkeit und Traumwelt, von
Prosadialog und Gesangseinlagen ergibt ein den Barockstil des Jesuiten-
dramas übertreibendes Durcheinander, das aber maßgebend werden sollte
für das kommende Wiener Volksstück. Improvisation, schauspielerisches
Talent, Mimik, Prachtausstattung, Maschinentechnik, Musik: alle Ele-
mente theatralischen Effektes werden verwandt im Dienste fröhlicher
Unterhaltung, lauten Lachens und anspielungsreicher satirischer Parodie.
Um 1740 feierte in Wien das Theater unbekümmert um literarische
Gesetze seine Triumphe. „So war durch Stranitzky, Prehauser und
Kurz die Kunst des Barock lebendige Volkskunst geworden. Ganz
Wien, ohne Unterschied der Stände, saß vor dieser Bühne. Es war
ein Rausch der freien Persönlichkeit ohnegleichen, ein göttliches Spiel
2AA Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
mit Menschen und Stimmungen, die große Kunst großer Schauspieler,
die nur an der sächsischen Schule um Ekhof und Schröder eben-
bürtige Miteiferer fand. Hanswurst war hier keine Kunstfigur, sondern
eine Weltanschauung. Ostbayern hatte, wie einst Hellas, den Ring
geschlossen, vom nationalen Volksepos über das Volkslied zum ganz
stammestümlichen, volksgemäßen Theater". (Josef Nadler.)
Doch schon erstand, um die Mitte des Jahrhunderts, auch Wien
ein reinigender Gottsched, Sonnenfels, der das Verbot des Stegreif-
spiels durchsetzte. Das literarische Regeldrama hatte gesiegt. Im Lust-
spiele herrschten die französischen Vorbilder, allenfalls noch Goldoni,
der italienische Reformator seiner heimatlichen commedia dell'arte.
Cornelius Hermann von Ayrenhofif, der Gegner Lessings und dessen
enghscher Orientierung, ist typisch für die neue Richtung. Sein Lust-
spiel „Der Postzug" (1769) genoß die Auszeichnung, von Friedrich dem
Großen gelobt zu werden, ohne aber über das Niveau der Lessing-
schen Jugendlustspiele hinauszukommen. Berühmter, vor allem in
Wien und am Wiener Hof, wurde Paul Weidmanns „Der Bettelstudent"
(1776), der das alte Schwankmotiv vom Studenten als Teufelsbanner,
das auch schon Hans Sachs bearbeitet hat, auf Grund eines Zwischen-
spiels von Cervantes neu behandelt.
Hanswurst war verbannt, um aber ebenso wie in Mittel- oder Nord-
deutschland wieder durch die Hintertüre einzuschlüpfen. Die Grün-
dung des Burgtheaters 1776 schloß ihn zwar von der Stätte der Adels-
unterhaltung aus, dafür fand er aber, begrüßt von dem Volke, eine
Heimat im altvertrauten Kärntnertortheater. Das Extemporieren aller-
dings ist, dank der 1770 eingeführten Theaterzensur, verboten. Um so
mehr suchte Kasperl, wie Marinellis Hanswursttypus sich benannte,
durch Mimik zu wirken; mit großem Erfolg, wie der Beiname „Lach-
theater" beweist, den die zweite Stätte seiner Künste, das 1781 von
Marinelli eröffnete Leopoldstädter Schauspielhaus, sich errang. Hier,
wo auch Perinets ergötzliche Singspiele zuerst die Begeisterung der
Wiener hervorriefen, erweckte der berühmte Thaddädl des Komikers
Hensler, der dann später zu dem dritten Volkstheater, dem Theater
an der Wien, überging, wahre Lachsalven des dankbaren Publikums.
Die Figuren des Thaddädl, Kasperl treten nicht mehr wie ehedem der
Hanswurst, der Bernardon in Stegreifpossen, sondern in ausgeführten
Volkskomödien auf. Der Vater dieser neuen Wiener Volksposse ist
Philipp Hafner, der ebenfalls einen komischen Typus, den Riepel, ge-
schaffen hat, denn ohne solchen sind diese Stücke nicht zu denken.
Er hat, auf Kurz-Bernardon und dessen unmittelbaren Nachfolger
Friedrich Wilhelm Weiskern, dem Dichter von Mozarts graziösem
Schäferspiel „Bastien und Bastienne", weiterbauend, die Elemente der
Stegreifposse benutzt und darauf das literarische Volksstück gegründet.
Schon der gewandte Kurz mit seinem unfehlbaren, genialen Schau-
spielerinstinkt hatte die komische Posse ebensowohl dem Zauber-
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Wiener Volksposse: Entstehung. 245
stück — „Die „Zaubertrommel" — wie der Götterparodie — „Bernar-
don, der aus einem Schmeltz-Degel entsprungene flüchtige Mercuria-
lische Geist" — genähert. Hafner vollzieht diese Entwicklung, indem
er seinem Lustspiele ,,Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte
Odvardo", das bereits den Typus echter Wiener Volksposse dar-
stellt, seine „Megära, die förchterliche Hexe" folgen läßt, womit er
die erfolgreiche Laufbahn Wiener Zauberstücke eröffnet.
Die Literarisierung hat die Masken der früheren Stegreifposse
nicht ertötet, sondern sie eher glücklich verlebendigt, indem sie ihnen
durch die lyrischen Einlagen und den behaglichen Wiener Dialekt
vertrauliche Wärme und anheimelndes Lokalkolorit verlieh. Indem
Hafner nun die Vermählung der realistischen Volksposse mit dem phan-
tastischen Zauberstück vollzog, hat er dem Barock eine neue Blütezeit
im Wiener Theater beschert: Aktion, Dekoration, Orchestration sind
seine Hauptelemente. Gerade im Zauberstück kommt jene Kontrast-
funktion des Hanswurstspiels zu besonderer Wirkung, indem dem
Zuschauer sinnfällig zwei Welten vor Augen gestellt werden, die
ineinander übergreifen, wie im Jesuitendrama: Suprang-turales und
Naturales. Dieser Dualismus bildet den Grundzug des Wiener Volks-
stücks bis zu Grillparzers ,,Weh dem, der lügt" mit seinem Gegen"
satz von Kultur und Unkultur. Die gehaltliche Einheit, deren humor-
volle Verkörperung die irn Vordergrunde stehende Hanswurstfigur
bildet, ist die resignierende Moral, die vom laxen Quietismus zum
bittern Pessimismus alle Stufen durchläuft und ihren Ausdruck vor
allem in den charakteristischen Rollenliedern findet, die oft tiefsten
Ernst in burleskester Form bieten. Gerade diese Theaterlieder reizten
die verschiedensten Komponisten zur Vertonung, von denen aber
keiner an Fruchtbarkeit und Volkstümlichkeit den Wiener Wenzel
Müller übertraf. Wenn dieser aber in seiner naiv-humorvollen Volks-
kunst ein Bänkelsänger im besten Wortsinne blieb, so haben von
Haydn an die Versuche nicht aufgehört, die Wiener Posse zum Sing-
spiel zu formen, und daraus erwuchs schließlich über solche liebens-
würdige und wertvolle Talente wie Karl Ditters von Dittersdorf und
Johann Schenk die große komische Oper, die in Mozarts „Figaros
Hochzeit" ihre reizvollste Blüte erlebte.
„Die Zauberflöte", deren Textdichter Schikaneder zu den frühesten
Vertretern der Wiener Volksposse gehört, ist Beweis genug, wie nahe
Mozart dem Wiener Zauberstück stand. Dessen realistische Darstellung
übersinnlicher Mächte, das Hineinwirken jenseitiger Kräfte ins Dies-
seits leitet naturgemäß zur Allegorie. Die dichterische Kraft des
jeweiligen Verfassers bekundet sich darin, wieweit die tote Allegorie
zum Symbol verlebendigt wird. Der Weg von Hafner über Gleich,
Meisl, Bäuerle zu Raimund bedeutet den Weg von der Allegorie
zum Symbol, wenn auch Raimund noch gelegentlich, wie in seiner
„Gefesselten Phantasie", allegorisch gefesselt ist.
X
246 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhimdert : Romantik.
ß. Gleich, Meisl, Bäuerle.
Wurzbach (Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich)
nennt Gleich, Meisl, Bäuerle das „Dreigestirn der dramatischen Volks-
muse durch vier Jahrzehnte". Wenn es auch nur Sterne minderer
Größenordnung sind, so haben sie doch größte Erfolge erzielt und
das Wiener Volksstück endgültig eingebürgert. In der Zeit ihrer
Hauptwirksamkeit, dem Jahrzehnt von 1813 bis 1823, beherrschten sie
unumstritten die Wiener Volksbühnen. Sie gaben in ihrer schier un-
erschöpflichen Fruchtbarkeit, die Bäuerle etwa 80, Meisl 200, Gleich
300 Theaterstücke zusammenschreiben ließ, der Wiener Lokalposse
den Charakter, der für beide Arten ihrer Erscheinungsformen: Ko-
mödie wie Parodie gleicherweise feststeht. Die Komödie ist das eigent-
hche Lokalstück und erscheint entweder als realistisches Sittenstück,
das die von dem FamiHenlustspiel der Schröder, Iffland und Genossen
übernommene Handlung mit Wiener Lokalgewand bekleidet und mit
Hanswurstideen ausstattet, oder als Zauberstück, das unter roman-
tischem Einfluß die gleiche Umrahmung mit Märchenstoffen von
Geistern, Feen, Prinzen und allerlei Exotismen ausfüllt. Die Parodie
weist ebenfalls zwei Hauptformen auf: entweder ist sie Offen-
bachiade, die ebensosehr antiromantisch — im tiefsten Grunde
wirkt natürhch auch hier die gegen das eigene Selbst sich kehrende
romantische Ironie — wie antiklassisch die antike Götterwelt persifliert,
oder sie ist als getreue Zeitgenossin der Romantik Literatursatire, wie
sie bereits der drollige Perinet in seinem „Hamlet, Prinz von Tandel-
markt" (1807) geübt hatte.
Die drei Hauptlieferanten des österreichischen Volksstücks : Gleich,
Meisl, Bäuerle erweisen sich in ihrer Pflege aller vier Spielarten als
Angehörige der Romantik. Sie wuchern dabei alle drei mit traditio-
nellen Pfunden. Der älteste, Gleich (1772 — 1841), geht dabei am un-
bedenklichsten vor; er weiß am wenigsten Eigenes dazu zu geben
und ist auch am unbeholfensten in der äußeren Technik. Meisl (1775
bis 1853) ist die ausgeprägteste Persönlichkeit, die ihre düstere Welt-
anschauung mit Vorliebe in bissig pessimistischen Sarkasmen sich
entladen läßt und dafür in der Offenbachiade das geeignete Feld findet.
Bäuerle (1786 — 1859) ist die liebenswürdigste Gestalt; er hat auch
die größten Erfolge der Drei errungen durch die joviale Bonhommie,
die seinen realistischen Scharfblick mildert; sein Hauptgebiet ist die
Komödie, sowohl Zauberstück wie realistische Posse. Letzterer ge-
hört sein erfolgreichstes Stück „Die Bürger von Wien" (1813) an, das
mit seinem Hanswursttypus des Parapluiemachers Staberl die zahl-
reichen Staberliaden einleitet, denen selbst Nestroy noch huldigt mit
„Staberl als konfuser Zauberer" und „Staberl im Feendienst". Als
Paradigma Wiener Lokalstücke hat es Rudolf Fürst charakterisiert:
„Der arme und der intelligente Liebhaber, der dem biederen Vater nicht
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Wiener Volksposse: Gleich, Meisl, Bäuerle. 247
paßt, noch minder der eitlen und dummen Mutter; der Schwindler,
der sich als vornehmer Freier ins Haus schleicht und spät, aber doch
entlarvt wird; der biedere Tiroler; gewaltsame Entführung, Sprung ins
Wasser, Rettung und ein Graf ex machina als Lösung; sehr viel
Patriotismus, Wiener Gemüthchkeit, Wiener Lokalkenntnisse, Preis
des Wiener Bürgertums, dessen Schwächen — man schrieb das Jahr
von Leipzig — noch ziemlich schüchtern hervorlugten, all diese Ele-
mente sind in den «Bürgern in Wien» innig gesellt. Und Staberl,
der eben aus dem Ei schlüpfte, in der Mitte".
Er ist der eigentliche Träger der Komik, die, halb Satire halb Humor,
die Wiener Backhänderl-Gemütlichkeit zur Darstellung bringt. Gewiß
liegt darin keine bewundernswerte sittliche Hingabe an absolute Werte,
kein erhabenes Pflichtbewußtsein und hinreißender Idealismus der Welt-
anschauung. In der Zwangsjacke des Metternichschen Systems, der
man höchstens in den Offenbachiaden zeitweise entschlüpfen konnte,
sind solche Dinge nicht zu erwarten, um so weniger als der Josefinis-
mus in Verbindung mit der Stärkung der Staatsautorität eine der-
artige Schwächung der Staatsbürgerpersönlichkeit gebracht hatte, daß
damit wohl eine allgemeine Gleichheit, aber eine Gleichheit in Unter-
ordnung, ja serviler Unterwürfigkeit die Folge war; die josefinische
Liberalität war dadurch die direkte Voraussetzung der Metternichschen
Reaktion.
Aber im Grunde liegt der calvinisch-kantische, auf sittlich ver-
antwortlichem Selbstgefühl gründende idealistische Schwung dem
Wiener, dem österreichischen Charakter überhaupt nicht. Es mag
sich darin die durch Jahrhunderte hindurch ungestörte Herrschaft des
Katholizismus geltend machen. Da hier kein zeitlicher Bruch, keine
räumliche Spaltung durch die Reformation verursacht wurde, so er-
freut sich Bayern-Österreich einer beneidenswerten Einheit des Lebens-
gefühls. Es fehlt darin die zerklüftende Tendenz des ausgesprochen
individualistischen Persönlichkeitskults, wie ihn die starke Betonung
der Selbstverantwortlichkeit im Protestantismus begünstigt. Die Stärke
katholischen Gemeinschaftsgefühls verbindet sich andrerseits leichter
mit einer Lässigkeit in Sachen der praktischen Vernunft. Der Mittler-
glaube, der zwischen Gott und Mensch die Heiligen und den ge-
weihten Priester stellt, ordnet die Feen und Zauberwesen als im Jen-
seits verankerte und im Diesseits wirkende Mächte viel leichter in
seine Gesamtweltanschauung ein. Der dem Gnadenschatz vertrauende
Katholik ist naiver in seinem Bewußtsein, daß letzten Endes doch
für ihn gesorgt wird, als der grüblerische Protestant; er ist auch ge-
duldiger, ergebungsvoller, bereiter zum Sichdreinschicken. Wie die
Heldenhaftigkeit der Märtyrer wesentlich passiver Art ist, so eignet
überhaupt dem katholischen Glauben eher Passivität denn Aktivität.
In dieser metaphysischen Neigung zum Quietismus, und mehr als
ein vergleichsmäßiges Hinüberneigen soll damit nicht angedeutet sein,
2A.S Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
scheint mir die berühmte Wiener Gemütlichkeit zu wurzeln, die auch
in jener stammeseigentümlichen Spielfreude Ausdruck findet, wie sie
Josef Nadler in seiner Literaturgeschichte aus einer Fülle von klima-
tischen, ethnographischen und historischen Quellen ableitet. Gut
schwarzgelb gesinnt, bedeutet für sie Wien den Mittelpunkt der Welt.
Der Wiener und seine Donaustadt stehen in einer Art Kindschafts-
verhältnis. Wien ist Blut vom eignen Blut. Wohl kennt er seine
Fehler, aber er liebt es darob nicht minder, ja oft scheint es, daß
es sich auch hier bewahrheitet, daß Sorgenkinder die liebsten sind. Mag
es ihm noch soviel Anlaß geben, seiner spielerischen Spottlaune die
Zügel schießen zu lassen, schließlich gibt es halt doch „Nur a
Kaiserstadt, nur a Wien" (Bäuerle, Aline oder Wien in einem andern
Weltteil, 1822).
Wiener Persönüchkeiten, Wiener Gesinnungen, Wiener Ereignisse,
Wiener Verhältnisse, Wiener Räumlichkeiten, Straßen und Plätze,
Wiener Dialekt: überall wird Wien gespielt. Ob realistischer Schwank,
ob Zauberstück, ob Götterparodie, ob Literatursatire: Wien leiht die
Farben. Hier ist wirklich eine echte Lokalposse entstanden, die ohne
literarische Ansprüche sich in theatralischer Spiel- und Schaufreude
tummelt, deren Hauptelement das Wiener Frozzeln und Raunzen ist.
y. Ferdinand Raimund.
In das Reich wahrer Poesie wird die Lokalposse durch den Wiener
Drechslersohn Ferdinand Raimann (1790 — 1836) gehoben. Unter dem
Bühnennamen Raimund begann er 1815 nach mancherlei mißglückten
Versuchen seine erfolgreiche Laufbahn als Schauspieler mit der Rolle
des Adam Kratzerl in Gleichs ,, Musikanten am hohen Markt". Seine
Dichterlaufbahn trat er 1823 an mit der Umarbeitung eines Zauber-
märchens von Meisl zu seinem ,,Der Barometermacher auf der Zauber-
insel". Dieses parodistische Märchenstück, das noch ganz in den
Bahnen der Tradition verläuft, zeigt, daß der Schauspieldichter alle
Register zu ziehen versteht, um auf das Wiener Volk zu wirken. Selb-
ständiger erweist sich „Der Diamant des Geisterkönigs" (1824). Die
relative Selbständigkeit liegt allerdings nicht in der Form, sondern
im Gehalt, der, gegenüber der üblichen Philistrosität mit realistisch-
pessimistischer Gebärde, ein idealistisch-optimistisches Vertrauen auf
Frauen- und Dienertreue ausspricht und damit an Stelle boshaft ver-
zerrter Karikatur menschliches, sittlich wertvolles Fühlen, Denken und
Handeln den Frauen und Dienern nicht minder zuerkennt als den
Herren der Schöpfung.
Das Mädchen, das der Feenkönig dem tugendhaften jungen Mann
beschert, ,,ist der schönste Diamant", den es geben kann. Es ist
makellos und mit allen fraulichen Reizen und Tugenden geschmückt,
ganz im Gegensatz zu den keifenden, widerborstigen Geschöpfen, die
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Wiener Volksposse: Ferdinand Raimund. 249
bisher im Volksstück beliebt waren. An ihr tritt auch das Wahrheits-
motiv in Erscheinung, das Grillparzers edles Lustspiel mit dem Wiener
Volksstück verknüpft. Der Diener Florian, den Raimund selbst in
der Uraufführung verkörperte, verbindet Dienertreue mit Thaddädl-
einfalt, Schläue mit Dummheit, Mut mit Feigheit, überwindet damit
die grobe Possenkomik des traditionellen Hanswurst und bereitet
hierdurch auf die vollkommeneren Vertreter seiner Art in Habakuk
und Valentin vor. Technisch unterscheidet sich das Werk nicht von
dem eingebürgerten Zauberstück und macht insbesondere Gebrauch
von den behebten Tierverkleidungen. Allerdings darf man die Wiener
Vorliebe für Tierstücke nicht ausdeuten im Sinne romantischer Natur-
philosophie, die, Gedankengänge von Leibniz über die Beseeltheit
der Tiere aufgreifend und erweiternd, zu einer allgemeinen Natur-
beseelung und -vergeistung geschritten ist. Das Wiener Tierstück
steht, getreu thomistisch-aristotelischer Auffassung von der nur trieb-
haften Beseeltheit der Tiere, noch dem cartesianischem Standpunkt
nahe und verwendet die Tiere im Grunde nicht anders als der ratio-
naHstische Fabeldichter, der in ihnen nur willkommene Masken sieht,
um Menschliches zu verallgemeinern.
Das Stück „Das Mädchen aus der Fremde oder: Der Bauer als
MilHonär" (1826) zeigt sich auch in der stoff hohen Erfindung selb-
ständig, wenn es auch der Idee nach der Fabel vom träumenden
Bauern verwandt ist und damit traditionell nicht nur dem Wiener
Volksstück, sondern derWekliteratur überhaupt angehört. Raimund hat
dieses uralte, bis auf die jüngste Gegenwart — Gerhart Hauptmann! —
wirksame Märchenthema verbunden mit der Abneigung gegen die
sozialwirtschafthchen und sozial ethischen Schäden seiner Zeit, wie
sie in den von Eipeldauer geschilderten „Negozianten", die etwa
heutigen Kriegs- und Revolutionsgewinnlern, Schiebern entsprechen,
zutage traten. Grillparzer nennt den „Bauern als MilUonär" ein
natürlich-anmutiges Stück, das der gesunde Sinn der Nation hervor-
gebracht habe.
Raimunds nächste Werke „Die gefesselte Phantasie" (1826) und
„Moisasurs Zauberfluch" (1827) lassen leider diese ursprünghche Volks-
natur vermissen und atmen Stubenluft, Bildungsgeist. Dadurch fehlt
ihnen die Wärme, ihr allegorischer Prunk läßt uns kalt, obwohl auch
hier wieder der Dichter durchdringt in einzelnen reahstisch geschauten
Gestalten wie dem Bänkelsänger Nachtigall in der „Gefesselten Phan-
tasie" oder den derben Bauern in „Moisasurs Zauberfluch", mit denen
er, ebenso wie schon im Millionärbauern, Anzengruber vorbereitet.
Noch wirksamer, lebenswahrer malt er das Bauernmilieu in dem
Meisterwerke seines dichterischen Schaffens, in „Der Alpenkönig und
der Menschenfeind" (1828). Grillparzer hat darüber eine ausführliche
Besprechung geschrieben, die in ihrem begeisterten Lobe auch heute
noch Wort für Wort Geltung hat. Durch den Hinweis ersparen wir
250 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
uns Wiederholungen. Innerstes Selbsterlebnis wird hier zum tragisch
getönten Lustspiel in Zaubergewand; Raimund ist hier Moliere in
Märchenlanden. Im „Alpenkönig und Menschenfeind" wandelt sich
Raimund von dem, im Schillerschen Sinne, naiven Dichter zum senti-
mentalischen und nähert sich dadurch dem vom Barock abgegrenzten
deutschen Formwillen der Romantik, allerdings mit der Einschrän-
kung, daß er das Einmalige, Persönliche wieder verschleiert durch
die Verwendung traditioneller barocker, überindividueller Formen.
Hiermit zahlt er den Tribut seiner Zugehörigkeit zur Wiener Romantik,
der er im tieferen Grunde seines Wesens auch durch sein ursprüng-
liches Schauspielertum verwandt ist, denn sie unterscheidet sich ge-
rade von der allgemeinen Romantik durch die stärkere Betonung des
Theatralischen, Schauspielerischen und neigt damit mehr dem Barock
zu. Hierin decken sich die Ergebnisse der allzuhäufig übersehenen
oder befehdeten Formunterscheidungen Walzels mit den ethno-
graphischen Feststellungen Nadlers.
Nur noch einmal hat Raimund solche Höhe dichterischen Erlebens
und Gestaltens erreicht: im „Verschwender" (1833). Auch hier ist
wieder jener deutsche Formwille der Romantik zu verspüren, der
aus der Betonung des Ichs heraus in Ablehnung allgemeingültiger
Formen zur Formauflösung neigt, weil er den Ausdruck individuellen
Erlebens möglichst unverfälscht gestalten möchte. Schon der ursprüng-
liche Titel „Bilder aus dem Leben eines Verschwenders" weist auf
die Lockerung des dramatischen Aufbaus hin. Die Bildfolge der drei
Akte ist zuerst durch drei, dann durch zwanzig Jahre unterbrochen,
und ihr loser Zusammenhang wird überdies noch angedeutet durch
die vor den jeweiligen Akten frisch aufgeführten Personen Verzeich-
nisse. Die stoffliche Idee entspricht dem Materialismus der in Eipel-
dauers Briefen geschilderten ,, Schieberzeit" Wiens im zweiten und
dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts. Der Verschwender Herr von
Flottwell ist eine jener von der Welle des Glücks auf den Gipfel ge-
tragenen und dann wieder in den Abgrund geschleuderten Existenzen.
Doch mit Recht hat man als die eigentliche Hauptperson Valentin
angesprochen. In diesem Diener und ehrsamen kleinen Handwerks-
meister verherrlicht Raimund die Dankbarkeit, die er so bitter in seiner
Umwelt vermißte. Er stellt damit seiner selbstsüchtigen, materiaUsti-
schen Zeit in dem Vertreter sozialer Stände, die bisher dem Volks-
stück nur erniedrigende Karikaturen geliefert hatten, den uneigen-
nützigen Idealisten als Vorbild vor Augen, von dem wir das schöne
Wort hören: „Mit unglücklichen Leuten muß man subtil umgehen,
die Glücklichen können schon eher einen Puff aushalten". Seine
resignierende, humorvolle Lebensphilosophie spricht das viel ge-
sungene, noch heute bekannte Hobellied aus.
Mit Valentin ist die Entwicklung vom alten Wiener Hanswurst
über Florian und Habakuk zum Gipfelpunkt geführt; statt der Possen-
Volkskunst: Oberdeutsche Lokaldichtung: Wiener Volksposse: Johann Nepomuk Nestroy. 25 I
komik des Vorbilds im Arlecchino der italienischen Stegreifposse
bietet er, durch die Übertragung ins Wienerisch - Gemütliche und
-Gemütvolle und durch die Läuterung der künstlerischen Form, die
Verkörperung reinen Humors. Der Entwicklungslinie des Harlekin
in Florian — Hababuk — Valentin entspricht die seiner Colombine
in Mariandel — Lieschen — Rosel. Gerade Rosel zeigt, wie klug
Raimund versteht, zusammengestellte Kräfte auszubalancieren. Dem
weichen, leicht-sinnigen, unbekümmerten Valentin steht die sorgende
Hausfrau zur Seite, die, fest im Boden der Tatsächlichkeit wurzelnd,
energisch zupackt, ohne in ihrem gesunden, aller Schwärmerei ab-
holden Empfinden sich dauernd zu verhärten.
In solchen Gestalten beweist Raimund, daß es ihm als echtem
Dichter vergönnt ist, mehr als bloße Allegorien zu bilden. Er
schafft lebenswahre, blutvolle Gestalten aus dem Volke für das Volk
und wird dadurch zum klassischen Volksdichter Österreichs. Trotz
seiner unlösbaren Verwurzelung in der Tradition schöpft er doch aus
tiefem, innerem Erleben. Gerade dadurch gewinnen seine Stücke den
eigentümlichen Schmelz von kalt und warm, lachen und weinen,
Freude und Trauer, den wir seit Jean Paul gern als charakteristisch
für deutschen Humor betrachten. Und diese Mischung ist letzterdings
der Ausdruck ureigensten Wesens, das ihn gleichzeitig Philister und
Bohemien sein läßt, ihn mit Weichheit und Jähzorn begabt, das den
Menschenscheuen zum Schauspieler macht und ihn, der nur in der
einsamen Natur sich wohlfühlt, nach dem Beifall der Masse geizen
läßt. Nur ein Jahrzehnt blieb ihm dieser treu, nur zehn Jahre
(1823 — 1833) dichtete er seine zugkräftigen Volksstücke; am Schlüsse
sah er sich bereits aus der Gunst der leichtbeweglichen Wiener
entthront.
(5. Johann Nepomuk Nestroy.
Noch zu seinen Lebzeiten muß Raimund seinen Nachfolger erblicken
in Johann Nepomuk Nestroy (i8oi — 1862). Im selben Jahre, in das die
Entstehung des „Verschwenders" fällt, findet die Aufführung jener
Posse statt, die Nestroys Meisterstück bildet: „Der böse Geist Lum-
pacivagabundus oder das liederliche Kleeblatt" (1833). Sie ist ähnlich
wie „Der Verschwender" aus der sozialen Schwindelatmosphäre ge-
boren, doch die beibehaltene Märcheneinkleidung ist nur Parodie auf
Raimunds Märchendichtung. Ist Raimund sinnig, so ist Nestroy sar-
kastisch; ist jener Idealist, so dieser Realist; pflegt jener von den
verschiedenen Zweigen des Wiener Volksstückes das Zauberstück, so
dieser die Parodie und das realistische Sittenstück. Nestroy gehört be-
reits einer neuen Zeit an und läßt auf die mondbeglänzte Zauber-
nacht der Romantik die Satire folgen. An Stelle von Raimunds Sinnig-
keit setzt er Sinnlichkeit, an Stelle des Idealen das Materielle, an
Stelle des Versöhnenden das Beißende, an Stelle sittlicher Forderung
2C2 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Romantik.
naturalistisches Abbild des Verkommenen. Er kommt dabei, wie in
„Zu ebener Erde und im ersten Stock" (1838) zur Schilderung kon-
trastierender sozialer Rangstufen, wie sie in dieser Prägnanz erst
wieder in der naturalistischen Epoche gegen die Jahrhundertwende
beobachtet wird.
Leicht wird dabei der Ernst der Auffassung in der Darstellung
durch die üppig quellende Flut seines unbedenklichen Witzes zur
Frivolität. Aber die zynische Gemeinheit, die man für seinen Haupt-
charakterzug erklärt hat, liegt mehr in der Zeit als in ihm. Gewiß
gibt das Wahrgenommene ein Mittel, die Art des Wahrnehmenden zu
beurteilen, und Nestroy sieht nur die Verwahrlosung seiner Zeit. Aber
er sieht sie mit so unerbittlicher Schärfe, daß wir auch in diesem essig-
sauren Pessimismus eine sittliche Veranlagung erkennen müssen. Und
indem er aus ihr heraus die Schilderung der beobachteten Zeitverhält-
nisse mit erbittertem Hohn übergießt, erhebt er sie trotz aller Ge-
meinheit und burleskem Unsinn zur Groteske. Durch seine scharfe
Beobachtungsgabe und sein schlagfertiges Stegreiftalent kehrt das
Wiener Volksstück, indem es das Zaubergewand abwirft, wieder zu
seinem Ursprung, der improvisatorischen Hanswurstposse zurück. Wie
diese sind Nestroys Stücke keine Literaturwerke, sondern Theater-
werke, deren Wirkung in der Hauptsache auf der Bühnendarstellung
beruht. Den Theaterapparat beherrscht er aber unbedingt und ver-
mag daher um so leichter auf die Märchenkomparserie zu verzichten.
Doch werden dadurch seine witzigen Parodien und Possen keine
Lustspiele. Dazu fehlen ihm der tiefere, aus Erlebnis quellende Humor
und die Kraft, geschlossene Handlung mit lebensvollen Menschen
aufzubauen. Seine Kenntnis der Schwächen und Fehler seiner Um-
gebung entschädigt dafür nicht, wenn auch im Augenblick der Auf-
führung der Reichtum seiner Situationskomik und die Fülle seines
Wortwitzes darüber hinwegzutäuschen vermögen. Im Grunde bleibt
er im Stofflichen befangen, er schildert das Leben, wie er es wahr-
nimmt; er erlebt das Leben nicht innerlich, wodurch allein der Stoff
erst zum Symbol wird, das als ideeller Gehalt ihn in der dichterischen
Formung, dem künstlerischen Ausdruck seines Erlebens, durchdringt
und sich dem Zuschauer überträgt. Darin liegt einerseits der Grund
der ideellen Beschränkung seiner Stücke, die gegenüber der allgemein-
menschlichen Bedeutung von Raimunds Werken nur zeitlich und ört-
lich begrenzten Charakter tragen. Andrerseits berührt er sich darin
mit dem Volksstück überhaupt, und er, der ebenso geborener Wiener
ist wie Raimund, tritt, ungleich diesem, in nähere Verwandtschaft mit
den volkstümlichen Dialektdichtern Mittel- und Norddeutschlands, die
alle wie er dazu neigen, ihre Umwelt in charakteristischen Zügen
realistisch darzustellen, die wesentlich Stoff-Former und keine Gehalt-
Dichter sind, die Leben beschreiben und nicht Erleben in künstle-
rischer Form verdichten.
Volkskunst: Norddeutsche Lokaldichtung: Berliner Posse. 253
b) Norddeutsche Lokaldichtung,
aa) BerHner Posse.
In Berlin, der Hauptstadt des nordostdeutschen Koloniallandes, hat
der rationalistische Aufklärer Julius von Voss (1768 — 1832) das lokale
Volksstück mit Gesang begründet, ebenso wie er als erster den Ber-
liner Dialekt auf die Bühne gebracht hat. Sein „Stralower Fischzug"
(1821) gibt, wie schon ,, Damenhüte im Theater", einen guten Auftakt
zur Entwicklung des Berliner Lokalstücks. Auch Achim von Arnim,
der bereits in seiner von romantisch tragischer Ironie umwitterten
Puppenkomödie „Die Appelmänner" (18 13) märkisches Milieu ge-
zeichnet hatte, bildete einen „Stralauer Fischzug" (gedruckt 1846) als
ein historisch nationales Lustspiel auf Berliner Heimatboden. Den Ton
des Volksstücks, gleichsam eine Mischung von Holbergs Kleinbürger-
komödie mit dem Singspiel des Rokoko, trifft besser Louis Angely
(1788 — 1835), der gleich den meisten erfolgreichen Volksdichtem die
Beherrschung der Bühnenwirkung aus eigener Schauspielertätigkeit
erlernt hatte. Sein „Fest der Handwerker" zeigt die für das Volksstück
charakteristische Durchsetzung mit Musikeinlagen und weiß die reali-
stische Genrezeichnung mit Farben guter Laune und dem französische
Abkunft verratenden graziösen Witz auszumalen. Wie Arnolds „Pfingst-
montag", wie Nestroy, Voss, wie das Volksstück überhaupt, bringt
Angely den Handwerkerstand, worin das arbeitende — und feiernde —
Volk zusammengefaßt wird, in einzelnen Gewerbevertretern auf die
Bühne; im „Fest der Handwerker" ist der köstliche Maurerpolier Kluck
die wirkungsvolle Inkarnation dieses gewerklichen Volksgemüts.
Angely steht auch der Schlesier Karl v. Holtei (1798 — 1880) nahe,
der nicht nur in seiner heimatlichen Mundart dichtete, sondern auch
seiner realistischen Wirklichkeitsfreude im lokalen Vaudeville voll Ber-
liner Jargon die Zügel schießen ließ und damit großen Erfolg er-
zielte in seinen lustigen „Wienern in Berlin".
Doch der eigentliche Berolinismus zieht erst mit Adolf Glasbrenner
(18 10 — 1876) ein, den man schon zu seinen Lebzeiten den „Erzieher
des Berliner Witzes" genannt hat. Seine unter dem Pseudonym Brenn-
glas veröffentlichten 32 Hefte „Berlin wie es ist und — trinkt" (1832
bis 1850) geben, illustriert von Theodor Hosemann, eine Reihe von
Berliner Berufstypen, die wir in ihrer drolligen Komik, mit ihrer
drastisch-witzigen Ausdrucksweise noch heute auf den Straßen Berlins
zu treffen glauben: den Eckensteher Nante, den Droschkenkutscher,
das Dienstmädchen Juste, wozu auch noch der Philister Buffey zu
zählen ist, dem er 1835 vier Sonderhefte widmete.
So betätigte sich in Berlin auf mannigfaltigste Art realistisch-
witzige Volkskunst, aber in einer Weise, die mit der Wiener Zauber-
posse nichts zu tun hatte, obwohl Wiener Kunst in Berlin nicht un-
bekannt war. Seit Jahrhundertbeginn wurde das Wiener Lustspiel,
254 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
sei es das literarisch -regelmäßige eines Steigentesch, Castelli oder
das volkstümlich-vaudevilleartige eines Hensler, Schikaneder, auf den
Berliner Bühnen aufgeführt. Doch wenn auch daraus erklärliche An-
regungen sich ergeben: ein Volksstück ist bodenständig, und die
Berliner Physiognomie ist von der Wiener durchaus verschieden.
Alle Einflüsse vermögen bei der Volkskunst die Kraft des heimat-
lichen Wurzelbodens nicht aufzuheben.
Berlin und sein Hinterland weisen andere klimatische, ethno-
graphische und historische Bedingungen auf als Wien und dessen
bayrisches Stammland. Nordostdeutschland ist Siedelland, in dem
erst in jüngerer Zeit sich die Vermischung und Durchdringung der
germanischen und slawischen Volksbestandteile vollzogen hat. Es
ist das Verdienst Josef Nadlers, auf die literarhistorische Bedeutung
dieses ostdeutschen Siedellands nachdrücklicher als bisher hin-
gewiesen zu haben, wenn er auch — hoffentlich — seine extremen
Folgerungen daraus für die Romantik in Zukunft noch revidieren wird.
Im Gegensatz zum Süddeutschen, den die Natur weit mehr be-
günstigt hat und der daher weicher, lässiger geartet ist, hatte der
Nordostdeutsche einen härteren Daseinskampf zu führen, der ihn
zwang, zugunsten einer intensiveren Anspannung der Verstandes-
und Willenskräfte, die weicheren Gefühlselemente zurückzudrängen.
Da er als Pionier Neuland mit eingesessenem Fremdvolk erobern
muß, so ist er stolz auf seine Wesensart, liebt deren Betonung, denn
in ihr sieht er Mittel und Berechtigung, sein Siedelwerk zu behaupten
und auszudehnen. Indem er aber dieser Aufgabe lebt, indem er täglich
Freiheit wie das Leben sich erobern muß, bewahrt er sie sich, ver-
fällt er nicht der Gefahr stagnierender Tradition, ist er jung mit all
der unbekümmerten Frische, der besinnungslos zupackenden An-
maßung, die Kennzeichen der Jugend ist. Schon allein die Tat-
sache intensiver Rassenmischung selbst, zwischen Germanentum und
Slawentum, begründet eine Bluterneuerung. Er gehört zu den Neu-
stämmen, denen die verpflichtende Vergangenheit der Altstämme fehlt.
Daß der Protestantismus so rasch überall in diesem Neuland die
Herrschaft gewinnen konnte, scheint mir nicht zuletzt in dieser ich-
betonten Traditionslosigkeit zu liegen, die allein in Selbstprüfung und
Selbstbewährung ihr Ziel erreichen kann. Die spätere Entwicklung
des Protestantismus gerade hier zur Orthodoxie mit ihrer strengen
Bindung spiegelt nur die Behauptung der Kolonialherrschaft, nicht
ihre Eroberung. Aus der Tatsache aber des Protestantismus strömen
gerade Kräfte, die jene jugendfrische Siedleraktivität — im Gegen-
satz zu der im katholischen Süddeutschland beobachteten Passivität —
verstärken. Dadurch und durch die Notwendigkeit, sich praktischer
Arbeit der Siedlung zu widmen, wurde der jedem jugendlichen
Schwung innewohnenden Neigung, sich in phantastischen Gefühls-
wallungen zu verlieren, gesteuert.
Volkskunst: Norddeutsche Lokaldichtung: Berliner Posse. 255
Alle diese Kräfte verdichten sich in dem Kernlande des Siedel-
gebiets, der Mark, zu einem ausgesprochenen intellektualistischen
und voluntaristischen Individualismus, der in der Mark um so stärker
und bewußter ausgebildet wird, als hier die Herrschaft gründet über
das neugewonnene Kolonialland. Durch den begünstigten Zustrom
calvinistisch gerichteter französischer Hugenotten mag hier in der
Mark das rationalistische und individualistische Aktivitätsstreben noch
neue Nahrung erhalten haben, wie insbesondere hier, und vor allem
in der Hauptstadt, diese gallische Blutmischung die Neigung zum
Witz förderte. Ich bin mir bewußt, damit keine zureichende Charakte-
rologie des Märkers und Berliners zu geben, den schon Grabbe in
,, Napoleon" typisch verkörpert als schnoddrigen, selbstischen, überheb-
lichen und doch im entscheidenden Augenblicke ,, klugbraven Kerl";
aber ich hoffe doch, die Hauptzüge der Berliner Lokalposse in ihren
tieferen Wurzelungen verständlich gemacht zu haben. Im Vergleich
mit denen der Wiener Posse bestehen sie, in Schlagworten zusammen-
gefaßt, in der stärkeren Betonung von Realismus und Intellektualismus.
Die Liebe zum Einzelnen, Eigenartigen, Kleinen haben wir bereits als
Grundcharakter aller Romantik betrachtet. Das Nationalgefühl, das,
aus dem nationalen Unglück erwachsend, zum Bestandteil romantischen
Fühlens wurde, mußte in Preußen, das am schmerzlichsten unter napo-
leonischer Gewaltherrschaft seufzte, am stärksten sich entwickeln. In
dem Kernlande und der Hauptstadt äußerte es sich in der Besinnung
auf lokale Eigenart. Schon die 1810 gegründeten „Berliner Abendblätter"
ersehnten im Sinne ihrer Leiter Arnim, Kleist, Adam Müller märkische
Heimatliteratur: „Leider aber begnügen sich unsere Theaterdichter, die
Spaße fremder Städte, besonders Wien, zu wiederholen; was aber bei
uns lustig und erfreuHch, dafür haben sie keine Fassung. So finden sich
manche auf unserer Bühne, die den Wiener oder schwäbischen Dialekt
nachsprechen, aber keiner, der zum Beispiel gut pommerisch-plattdeutsch
redete, was in der Rolle des Rochus Pumpernickel sicher recht eigen-
tümliche Wirkung bei uns täte". (Bereits von Nadler nachgedruckt.)
In dieser Richtung entwickelten sich die besprochenen Anfänge
des märkisch-berliner Volksstücks. Zur eigentlichen Berliner Lokal-
posse wurde dieses aber erst durch den Einschuß eines neuen, des
jüdischen Elements. Wiederum kann es nicht unsere Aufgabe sein,
rassenpsychologisch eine jüdische Charakterologie zu versuchen. Es
genügt uns der Hinweis auf einzelne Züge, die mit dem Eindringen
des Judentums in die Possenkunst in dieser sich ausbilden, wobei
allerdings eine reinliche Scheidung von bodenständigem Berolinismus
und importiertem Judaismus mir unmöglich scheint, um so mehr als
gerade in der Zeit der Possenentwicklung Berlin selbst die Wandlung
von Provinzialhauptstadt zur Reichshauptstadt, von Kleinstadt zur
Großstadt, Weltstadt durchmacht. Dadurch wird seine Physiognomie
stark verändert, es steht unter dem Zeichen wogender Fluktuation
2^6 Neunzehntes and zwanzigstes Jahrbondert : Romantik.
und bietet gerade dadurch dem jüdischen Geiste besonders gute
Gelegenheit, sich zu betätigen. Als dessen hervorstechendes Kenn-
zeichen fällt uns seine Einfühlungs- und Anpassungsfähigkeit auf,
die verbunden ist mit dem festgegründeten Bewußtsein der Eigenart.
Die starke intellektuelle Begabung weiß diese Eigenschaften zu nutzen,
um alles rasch aufzufassen und zu beurteilen, und da der Beurteiler
aus seiner sozialen Unterdrückung sich erst emanzipieren muß, so
erfolgt dies Urteil mit oft verletzender Schärfe, und da er in dem
Urteil selbst ein Mittel zur Emanzipation sieht, so betont er darin
seine Überlegenheit, indem er aburteilt. Daraus verstehen wir jene
Neigung zu zersetzender Kritik, die sich mit scharfem Auge überall,
auch unter den eigenen Stammesgenossen — die Selbstpersiflage ist
gerade in jüdischen Kreisen stark — ihre Opfer sucht und sie mit
einer unvergleichlichen Wortgewandtheit unbedenklich der tötenden
Lächerlichkeit preisgibt. Werden Gemüts- und Gefühlstöne ange-
schlagen, so scheint sich der Verfasser im Innern darüber selbst zu
belustigen oder er benutzt sie in klarer Erkenntnis der Massenpsycho-
logie, zu sentimentalen Wirkungen.
Mit dieser Charakteri.sierung sind die Wesenszüge der Berliner
Posse klargelegt, wie sie sich uns von ihren geistreich -witzigen
Anfängen bis zu ihrer Versumpfung gegen Ende des Jahrhunderts
darstellt. Ihre ganze Entwicklung ist ein fortdauernder Niedergang.
Ihren Höhepunkt hat sie durch ihren Gründer erreicht. David Kaiisch
C 1 820 — 1872 j, ein Breslauer Jude, der seit 1846 in Berlin wirkte und
dort im Revolutionsjahr den „Kladderadatsch" begründete, ist als
,, Vater der Berliner Posse" bekannt. 1847 hat er im Königstädter
Theater mit „Einmal hunderttausend Taler" den Grund zu diesem
Ehrentitel gelegt. Eine ganze Reihe erfolgreicher Possen, die alle den
charakteristischen, skeptisch getönten Berliner Witz aufweisen, folgen
und zeigen in Verwicklungshandlungen, deren einziges Ziel Situations-
komik ist, reali-stisch- genrehaft unvergänghche Berliner Tj^^en wie
„Müller und Schulze". Schon die Titel sind bezeichnend: „Einer
von unsere Leut", „Berlin wie es weint und lacht", „Berlin bei Nacht",
„Berlin wird Weltstadt". Deutlich ersehen wir daraus, welche Wand-
lung mit Berlin vorgegangen ist. Berlin ist die Stadt des Fortschritts,
mit allen Nachteilen für alte Sitte, geworden.
Die Zeit der Romantik, die Biedermeierzeit, mit ihrer beschau-
lichen Ruhe unter der alles und allein ordnenden Staatsgewalt ist
vorüber. Liberalismus und Demokratie sind nicht nur die Schlag-
worte der Zeit geworden, sie prägen die politische Ideenwelt des
Bürgertums, sie erfüllen seine geistige Lebenshaltung, formen seine
Weltanschauung. Berhn wird der Resonanzboden für die neuen
sozialen und politischen Töne. Die Erregung der letzten Jahre des
Vormärzes, der Revolution und ihrer Folgezeit konnte einer Kunst,
deren Wesen und Sinn das unmittelbare realistische Abbild der
Volkskunst: Norddeutsche Lokaldichtung: Berliner Posse. 25?
Stunde war, nicht fremd bleiben. Je mehr die Politik Gegenstand
aktiver Teilnahme des Bürgertums wurde, um so mehr wurde auch
die Posse ihr Sprachrohr. Rudolf Gottschall wollte in der Mischung
von schwankartigem Stoff mit politischer Satire, wie sie in den ein-
gestreuten Couplets sich auswirkte, eine künstlerische Verirrung er-
blicken. Sicher klingen die in den Gesangseinlagen witzig geäußerten
politischen Meinungen des Verfassers nicht immer harmonisch zu-
sammen mit den biederen Handwerkertypen der Handlung. Und
doch gibt der kecke Schmiß dieser Couplets den Possen einen Cha-
rakter, der, wenn auch das Kennwort aristophanisch zuviel sagte,
den frischen Berliner Fortschrittsgeist oft in glänzender Weise zum
Ausdruck bringt, wie etwa in Kalischs ,, Gebildetem Hausknecht".
Diese Entwicklung trägt natürlich andere Züge als ihre romantische
Entstehungszeit, es prägt sich darin der Unterschied des Jahres 1848
von 1813 aus. Zwei weitere Namen führen sie noch näher an die
Gegenwart heran: August Weirauch und Adolph L'Arronge. In ihnen
tritt nicht so sehr die politisch-satirische Posse in Erscheinung — ob-
wohl Weirauch gemeinsam mit Kaiisch durch „Die Mottenburger"
große Erfolge im Wallnertheater einheimste — als die andere Seite
dramatischer Lokaldichtung: das sozial-gemütliche Volksstück. Wei-
rauch bietet in seinen „Maschinenbauern von Berlin" als Echo der
sozialen Bewegung zum Industriestaat, die mit der Gründung des
Zollvereins und den ersten Eisenbahnen einsetzte, das Vorbild, von
dem der Theaterpraktiker L'Arronge (1837 — 1909) sich leiten ließ.
„Mein Leopold" (1873), dem 1877 und 1879 die vielgespielten „Hase-
manns Töchter" und ,, Doktor Klaus" folgten, ist das Werk, das nun
zum Schlüsse noch einmal die von Voss und Angely begründete Tra-
dition aufgriff, um sie in Verwertung der mittlerweile weit fühlbarer
gewordenen sozialen Gegensätze zum Preise des Handwerkerstands
ausklingen zu lassen, und welches damit einen Bühnenerfolg erringt,
der, gegründet auf die geschickte Mischung von Ernst und Heiterkeit,
Laune, Witz, Sentimentalität und sozial-moralistischer Gebärde, auch
heute noch immer wieder sich einstellt.
Zum Schlüsse sei noch Gottfried Kellers Urteil über die Berliner
Posse angeführt, das er als Augenzeuge ihrer Glanzzeit in einem
Briefe an Hermann Hettner ausspricht: ,, Inzwischen ist es schon
immerhin eine bedeutende Sache, die Bevölkerung einer so pfiffigen
Weltstadt, wie Berlin ist, vor der Bühne versammelt und dem muth-
willigen Schauspieler, der ihr seine Anspielungen mit wehmüthiger
Laune vorsingt, eifrigst lauschen und zujubeln zu sehen. Bemerkens-
werth ist auch, daß die Kunst der komischen Darstellung der Dich-
tung unendlich weit vorgeschritten ist. Sie ist bereits schon jetzt
für eine klassische Komödie reif und fertig, während in der Tragödie
umgekehrt die Darstellung fast eben so weit hinter den großen Dich-
tungen, die wir besitzen, zurückgeblieben ist. Besonders beim Vor-
Holl, Lustspiel. i
258 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
trage der Couplets sind diese Komiker ausgezeichnet. Sie machen
wunderliche und höchst ausgelassene Gesten und Sprünge dazu,
meist zwei Komiker zusammen, das Werfen der belebten Beine giebt
der Satire noch Nachdruck, und auch das Orchester erhöht seiner-
seits bei und nach den Refrains den Eindruck durch brummige
Paukenschläge, durch einen schrillen Pfeifentriller oder einen lächer-
lichen Strich auf der Baßgeige. Unermeßliches Gelächter! — Ich
habe es lebhaft mitgefühlt, wie in solchen Augenblicken das arme
Volk und der an sich selbst verzweifelnde Philister Genugthuung findet
für angethane Unbill, ja wie solche leichte Lufthiebe tiefer dringen
und nachhaltiger wirken als manche Kammerrede. Auch Mimik und
Musik also bringen ganz neue und selbständige Lebenskeime. Und
damit wird ganz von selbst das innige Zusammenwirken des Dichters
mit den anderen Bühnenkünsten bewirkt. Der Dichter wird sich vor
unplastischen und unsingbaren Phantasien hüten müssen, während
diese lustigen Schnurren ihm neue Ideen und einen kräftigeren Ton
geben werden. Die Natur dieser Komödie bedingt es ferner, daß
Vieles in Übereinkunft mit dem ganzen Personal der Bühne nach
den momentanen Vorkommnissen und Stimmungen der Öffentlich-
keit eingerichtet werden muß. Und daraus kann wieder nur etwas
Neues und Lebendiges entstehen. Denn es ist eine Lüge, was die
literarischen Schlafmützen behaupten, daß die Angelegenheiten des
Tages keinen bleibend poetischen Werth hätten. Der Großmeister
Aristophanes kann sie hierüber eines Besseren belehren. Kurz, es
ist rührend, zu sehen, wie unverkennbar hier Volk und Kunst zu-
sammen unbewußt nach einem neuen Inhalt und nach der Befreiung
eines allmälig reifenden Ideales ringen".
bb) Hamburger Lokalstück.
Noch weiter gegen Norden bildet das plattdeutsche Sprachgebiet
mit Hamburg als Hauptstadt eine Heimat dramatischer Kunst in volks-
tümlichem Sprachgewand. Nur dem bayrischen Dialektgebiet ist das
niedersächsische, dem oberdeutschen das niederdeutsche in seiner
ungebrochenen stammestümlichen Tradition zu vergleichen. Schon
im Mittelalter betätigte es sich dramatisch, etwa in dem Redentiner
Osterspiel oder in den Lübecker Fastnachtspielen. Auch die im Ge-
folge der Reformation siegreich vordringende hochdeutsche Schrift-
sprache konnte die Neigung zu realistischer Darstellung bodenstän-
diger Typen in heimatlicher Dialektsprache nicht ertöten. Im 17. Jahr-
hundert hat namentlich Johann Rist sich als niederdeutscher Dramatiker
bewährt. Auf die Bedeutung der Opern und Singspiele mit ihren
Dialekteinlagen im 18. Jahrhundert hat nachdrücklich Theodor Gaedertz
hingewiesen. Den „Bookesbeutel" und Krügers „Bauer mit der Erb-
schaft", eine Lieblingsrolle Ekhofs, haben wir bereits früher kennen-
gelernt, und der Nachfolger Ekhofs, der findige Hamburger Schauspiel-
Volkskunst: Mitteldeutsche Lokaldichtung: Frankfurter Posse: Karl Malß. 259
direktor Schröder, hat sich gegen Ende des Jahrhunderts mit nieder-
deutschen Komödien großen Beifall geholt.
In der Franzosenzeit wuchs natürlich das Interesse des stets auf
seine Eigenart stolzen Hamburger Publikums an lokaler Stammeskunst
erst recht und hat sich in Johann Gottwerth Müllers franzosenfresse-
rischem „Siegfried von Lindenberg" eine beliebte Volksfigur geschaffen,
die 1813 in der dramatischen Bearbeitung durch P. L. Bunsen eine
erfolgreiche Verkörperung im Gänsemarkttheater fand. Als Haupt-
vertreter des Hamburger Lokalstücks ist aber Jürgen Nikiaas Baermann
(1785 — 1850) zu nennen. Seine Burenspillen gehören mit zum Besten,
was plattdeutsche Dramatik hervorgebracht hat. Gleichgültig gegen
den Stoff, den er etwa in „Stadtminschen und Burenlüd" von Kotzebue
entlehnt, sorglos in der mit Versen durchsetzten Form, zeigt er doch
so viel ernsten, humorgewürzten Gehalt und urwüchsige Bodenständig-
keit, daß seine derbknorrigen Niedersachsen in ihrer erfrischenden
Lebenswahrheit uns auch heute noch erfreuen. Weit ausgelassener
in drastischer Komik und dialektischem Witz ist Jakob Heinrich David
(181 1 — 1839), dessen Bürgerwehrposse „Eine Nacht auf Wache" un-
verwüstlich in ihrer Lachwirkung ist.
c) Mitteldeutsche Lokaldichtung,
aa) Frankfurter Posse: Karl Malß.
Im Gegenständlichen entspricht dem Hamburger David der Frank-
furter Karl Malß mit seinem „Bürgerkapitän". In Mitteldeutschland
liegen die Voraussetzungen zu einer stammesbewußten Dichtung
wesentlich ungünstiger als in Nieder- und Oberdeutschland. Es ist
Übergangs- und Ausgleichsgebiet, das Einflüssen von allen Himmels-
richtungen her offensteht. Gebhardt, der den „Bürgerkapitän" an-
läßlich des Hundertjahrjubiläums neu herausgegeben hat, konnte
daher mit Recht behaupten, das Frankfurter Lokalstück sei „in merk-
würdiger, fast zufälliger Weise" entstanden. Immerhin besitzt Frank-
furt, die topographisch überaus begünstigte Stadt, die bereits 794 als
,, locus celeber" erwähnt wird, seit 1372 freie Reichsstadt, seit 1562
Krönungsstadt und seit 181 5 Sitz des Deutschen Bundes ist, seit langem
den Lokalstolz, der stets die Grundlage zur Lokaldichtung bildet.
Es ist ein Vetter Goethes, Friedrich Karl Ludwig Textor, der mit
seinem dialektischen Primanerstück „Der Prorektor" (1794) die Reihe
der Frankfurter Lokaldramatiker bescheiden genug anhebt. Der eigent-
liche Vater der Frankfurter Lokalposse aber ist Karl Malß (1792 bis
1848). Er weist Ähnlichkeit mit dem pessimistisch gestimmten Wiener
Meisl auf. Unzufrieden mit seinem Beruf fühlt er sich vom Theater
angezogen, tauscht die Leitung eines solchen gegen jenen ein, lebt trotz-
dem das Leben eines menschenscheuen Einsiedlers und offenbart damit
die widerspruchsvolle Unausgeglichenheit seines Charakters. Daran
200 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
litt er wohl noch mehr als an den politischen Zuständen, deren
niederdrückendes Symbol im Deutschen Bund mit seiner trostlosen
Mischung von tatenloser Ohnmacht und bedrückender Reaktion ihm
täglich vor Augen stand. Wie in Brentanos und Büchners Lust-
spielen die romantische Sehnsucht brennt als pessimistische Weltflucht,
so brannte sie auch in diesem Sonderling, der sich aus der drücken-
den Welt der Wirklichkeit zurückzog und sie durch Spott überwinden
wollte. Doch diese düstere Lebensstimmung trübt sein Auge nicht,
sie macht es nur noch schärfer für die Schwächen seiner Umgebung.
Er beobachtet sie in ihren typischen Vertretern und gibt seine Be-
obachtung wieder mit so erstaunlicher Treffsicherheit und Lebens-
wahrheit, daß sie nicht, was bei seinem Pessimismus verständlich
wäre, verzerrte Karikaturen werden, sondern in all ihrer Absonder-
lichkeit und Schnurrigkeit einen liebenswerten Kern besitzen.
Dies zeigt er gleich in seinem ersten und berühmtesten Stück
„Die Entführung oder der alte Bürger-Capitain" (1820), worin er die
zopfige Bürgerwehr der Reichsstadt mit ihrem komischen Kontrast
von martialischer Gebärde und bravem Kleinbürgertum belacht. Nach
einigen Bearbeitungen Berliner Lokalstücke läßt er darauf „Herr
Hampelmann oder die Landpartie nach Königstein" (1832) folgen.
Im Mittelpunkte steht der philiströse Frankfurter Bürger der Bieder-
meierzeit, der in dem „baumwollenen und wollenen Warenhändler
Hampelmann" eine köstliche Verkörperung findet. Dieser Hampel-
mann entspricht dem Wiener Staberl Bäuerles, er ist aber mit tieferem
sittlichen Ernst geschaut und enthält daher trotz all seiner possen-
haften Komik Würde. Außerdem sprechen sich darin ebensowohl
die zwei Jahrzehnte späterer Abfassung als auch der Unterschied des
ernsteren, geschäftstüchtigeren Frankfurt von dem leichtlebigeren,
unbedenklicheren Wien aus. Aber wie Staberl eine ganze Reihe
Staberliaden zeugte, so Hampelmann die Hampelmanniaden, teils aus
des Urhebers Feder selbst, teils aus der seiner heute, mit Recht, ver-
gessenen Nachahmer.
bb) Darmstädter Posse: Ernst Elias Niebergall.
Seinen eigentlichen Nachfolger fand Malß in dem Darmstädter
Ernst Elias Niebergall (18 15 — 1843). Durch Niebergall wird die Lokal-
posse zum echten humorvollen Lustspiel auf dem Gebiete des rea-
listischen Charakterstücks. Der Unterschied des Possenschreibers
Malß von dem Lustspieldichter Niebergall besteht letzterdings in der
Weltanschauung. Malß haftet am einzelnen, fühlt sich von dessen
Unzulänglichkeit bedrückt und verfällt daher immer mehr einem hoff-
nungslosen Pessimismus, in dessen Nachtumschattung er schließlich
sein Ende findet. Er ist weltflüchtiger Romantiker ohne den befreien-
den Glauben an ein ideelles Ziel. Er bleibt daher auf dem Niveau
der Posse stehen, da er nicht aus einer übergreifenden Gesamt-
Volkskunst: Mitteldeutsche Lokaldichtung : Darmstädter Posse : E. E. Niebergall. 26 1
anschauung heraus das umgebende atomistische Weltbild formt, son-
dern dessen Nichtigkeiten aneinanderreiht, um sie schonungslosem
Lachen preiszugeben. Zweifellos zeigt er darin ein großes Talent,
das ihn unseren besten impressionistischen Genremalem zugesellt,
aber im Grunde bleibt er am Äußerlichen haften.
Niebergall dringt ins Innere. Der daseins- und hoffnungsfreudigeren
jungdeutschen Generation angehörend, ist er erfüllt von ihrem Opti-
mismus und vermag sich deshalb über das Elend der Gegenwart zu
erheben, um von oben her humorvoll zu lachen, nicht ohne sich selbst
in dies Belachenswerte einzubeziehen, da er trotz Hypochondrie und
körperlicher Gebresten seehsch gereift ist. Er erreicht daher den
Lustspielstandpunkt des echten Dichters. „Des Burschen Heimkehr
oder der tolle Hund" (1837) atmet noch Malßschen Possengeist, sein
„Datterich" (1841) jedoch ist das beste realistische Dialektlustspiel,
das bis dahin die deutsche Literatur hervorgebracht hat.
Walzel hat bereits betont, daß Niebergalls Lokalposse trotz der
stofflichen Verwandtschaft mit Karl Malß durch die Nähe Büchners,
der wie Niebergall als Darmstädter in Gießen studierte, erst ihren eigent-
lichen Charakter empfing, den er als einen beachtenswerten Versuch
bezeichnet, „deutschem Formwillen durch eine kühne Mischung von
Wirklichkeitstreue und grotesker Komik gerecht zu werden". Daher
der lockere Aufbau der nur durch den Helden zusammengehaltenen
unbedeutenden Handlung, den der „Datterich" mit allen Volksstücken
gemeinsam hat, und der schon in dem Untertitel „Lustspiel in sechs
Bildern" zum Ausdruck kommt. In diesen aneinandergereihten Bildern
erscheint eine Philisterwelt, wie wir sie in ihrer neugierigen Ge-
schwätzigkeit, ihrer Eitelkeit und gutmütigen Leichtgläubigkeit aus
Kotzebues „Kleinstädtern" kennen, und in der der Lump der einzige
Bedeutende ist. Dessen lebende und literarische Vorbilder hat die
Liebe des Verfassers zu allgemeingültiger menschlicher Bedeutsamkeit
erhöht. Auf „Datterich" paßt Liliencrons launiger Vers:
Gottvater hat es auch gehört
Und denkt: Mein Musikante,
Du bist zwar sehr vom Wein betört
Und torkelst an der Kante,
Du bist ein liederliches Vieh,
Doch bist und bleibst du ein Genie,
Das ist das Amüsante.
In prachtvoller realistischer Plastik steht er als direkter Nachkomme
des gerissenen Maitre Pathelin vor uns. Beide sind Lumpen, die ihre
Umwelt betrügen und mit Hilfe ihrer Suada aus allen Verlegenheiten
sich herauszuziehen wissen. Selbst in Einzelheiten verspüren wir An-
klänge an die französische Farce — die ja gleichfalls Charakterkomödie
ist — , wie in der Szene, da Datterich sich fieberkrank stellt, um dem
unbequemen Gläubiger zu entgehen. Dieser als tüchtiger, aber grober
202 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
Handwerksmeister ist uns aus der Komödie der Mitläufer des Sturm
und Drangs und der klassischen Periode bekannt, etwa aus Ludwig
Erdmanns Lustspiel „Alles was Recht ist" (1782). Ein anderer be-
liebter Komödientypus ist der politisierende Kleinbürger Dummbach,
der über Bürger Eppelmeier in Malß' „Bürgerkapitän" in direkter Linie
von Meister Hermann, Holbergs politischem Kannegießer, abstammt.
Trotzdem sind es keine traditionellen Schemen, sondern lebens-
wahre Gestalten von Fleisch und Blut, die wie naturgetreue kultur-
geschichtliche Porträts aus ihrer zwiespältigen Zeit wirken. Diese
Naturwahrheit gestaltet auch den Dialog mit einer Frische und Leben-
digkeit, daß Rieh. M. Meyer mit Recht darin erreicht sah, was unsere
Naturalisten am Ende des Jahrhunderts erst anstrebten. Mit den
anderen Lokalstücken, insbesondere der Berliner Posse, teilt der
„Datterich" die Neigung, jüdische Ausdrücke einzumengen. Aber
auch hierin hat Niebergall aus eigener Erfahrung geschöpft, wohnen
doch gerade in der Nähe der Fläche Darmstadt-Gießen-Dieburg, auf
der sein Leben sich abspielte, von jeher zahlreiche Juden, was wiederum
gerade dort zahlreiche Judenpossen, meist antisemitischen Charakters,
entstehen läßt. Aber im Vergleich mit diesen zeigt sich auch wieder,
daß Niebergall bei aller derben Naturalistik doch nicht in deren
Schmutz und Unflat verfällt; er bewahrt sich immer die humorvolle
Freude am Menschhchen, als dessen reinste Blüte uns die liebliche
Marie entgegentritt. Einfache Natürlichkeit, gemütvolle Weichheit,
aber auch schlagfertiger Witz und tatkräftige Entschlossenheit ver-
einigen sich in ihr und reihen sie dadurch, wenn auch in schlichtem
Kleide wie Lieschen in Arnolds „Pfingstmontag", den schönsten
Mädchentypen unseres deutschen Lustspiels an. Mit Niebergalls
„Datterich" hat die lokale Dialektdichtung in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts ihren dramatischen Gipfelpunkt erreicht.
4. GRILLPARZER: „WEH DEM, DER LÜGT".
In schrillem Gegensatz zu dieser bewußten Volkskunst steht das
Lustspiel „Weh dem, der lügt" von Grillparzer (1791 — 1871). Und trotz-
dem teilt es mit ihr nicht nur den romantischen Ursprung, sondern
auch, wie wir bereits beobachten konnten, grundlegende Motive. Das
Wahrheits- wie das Zweiweltenproblem, die beiden Pfeiler von Grill-
parzers Dichtung, sind dem Wiener Volksstück ebenso vertraut, wie
der Küchenjunge Leon in der Phäakenstadt heimisch ist, der, ganz
abgesehen von seinem Stand, überhaupt die Edelzucht der Wiener
lustigen Person darstellt. Es ist nicht Grillparzers erster oder einziger
Versuch auf dem Gebiete der Komik. Schon sein Ifflandsches Rühr-
stück „Die Schreibfeder" behandelt das Lüge- oder Wahrheitsproblem,
ein anderes unbedeutendes Lustspielchen ist ,,Wer ist schuldig" im
Stile Körners und Müllners; dazu treten, weit höher an dichterischem
Grillparzer: „Weh dem, der lügt". 263
Wert, Humorfiguren in seinen Tragödien, wie Melitta, Heros Vater,
Bancbanus, Zanga, Zawisch u. a.
Grillparzer bestimmt selbst seine Auffassung des Komischen: „Die
komische Poesie strebt dem Ideal ebenso nach wie die ernsthafte.
Nur spricht letztere das Ideal aus, indes erstere dasjenige angreift
und verspottet, was dem Ideale entgegensteht". Dadurch, daß auch
das Entgegenstehende in seiner naturbedingten Berechtigung erkannt
wird, wandelt sich der verspottende Angriff in lächelnde Duldung, wird
die Komik zum Humor. Grillparzers Humor erwächst aus der schmerz-
lichen Erkenntnis, daß der Mensch seiner triebhaft bestimmten sinn-
lichen Natur nicht entrinnen kann, daß der Glaube an eine auf
Willensfreiheit gründende Sittlichkeit wohl ein hohes theoretisches
Ideal (Gregor), aber ein nie zu verwirklichendes ist. Das Leben
fordert die Annäherung von Idealem und Realem, und diesen Aus-
gleich läßt er uns in der vollsten und reifsten Frucht seiner komischen
Muse erleben: „Weh dem, der lügt" (1837).
Dessen Grundproblem ist daher der Gegensatz von Ideal und
Wirklichkeit, Sein und Schein. Das sittliche Ideal ist die unbedingte
Wahrheitsforderung, wie sie der grübelnde Wahrheitsfanatiker Grill-
parzer gegen sich selbst erhob. Aber Wahrheit ist kein totes Buch-
stabengesetz, das über dem Menschen steht. Wenigstens könnten
wir so ein absolutes Gebot nie entziffern und dementsprechend nie
fehllos handeln. Auch der strengste Richter kann nicht Unmögliches
verlangen. Aber er kann verlangen, daß der Mensch im Einklang
mit seiner inneren, unveränderlichen Natur handelt. Diese innere
Wahrhaftigkeit ist lebendige Wahrheit. Wir reden und handeln wahr,
wenn wir uns selbst, ohne Rücksicht auf irgendwelche Zwecke und
Absichten, zum Ausdruck bringen. Diese individualistische Wahrheits-
form erhält ihren Gehalt gemäß dem in unserem Inneren verankerten
Bewußtsein vom sittlich Guten. Solche Überlegungen lassen Grill-
parzer nahe an Kleist, insbesondere auch an dessen Marionetten auf-
satz herankommen, sie verleihen auch seinem Lustspiel eine solche
tragische Schwere, daß fast dadurch sein dichterischer, aus der Ver-
mählung von Lope de Vega und Shakespeare erblühender Reiz ge-
fährdet wird. Keine andere Nation kann solche tiefernsten Lust-
spiele nachfühlen.
Sein Aufbau ist überaus klar. Der erste Akt stellt die Aufgabe:
Atalus, der Neffe des Bischofs, soll von dessen Küchenjungen Leon
ohne jede Wahrheitsverletzung aus der Geiselhaft bei den ger-
manischen Barbaren befreit werden.
Der Küchenjunge ist nicht nur im Wiener Volksstück beliebt, seit
Gil Blas ist er in der komischen Literatur eingebürgert, ja sein Stamm-
baum läßt sich auf universales Märchengut zurückführen; doch seine
direkten Wesensahnen sind der Lopesche Grazioso und Shakespeares
junger Edelmann. Die ergebene Demut vor dem Herrn und die
264 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Romantik.
energfische Selbständigkeit seiner Handlungsweise, keckes, verwegenes
Abenteurertum und innige, sympathische Gefühlswärme, leichtherzige
Weitläufigkeit und sittlich ernste Lebensauffassung verschmelzen in
ihm zu einem Menschen mit seinem Widerspruch, der in all seiner
schillernden Beweglichkeit von einer greifbaren Körperlichkeit, einer
erstaunlichen, lebensvollen Jugendfrische ist, wie sie Grillparzer nur
als Sehnsuchtsbild gestalten konnte. Ihm, dem leichtblütigen Welt-
menschen, gegenüber steht der dem Dichter viel verwandtere edle,
ernste Bischof, eine durchaus grüblerische Reflexionsnatur, ein schwer-
blütiger Theoretiker, der in einer Idealwelt lebt.
Die nächsten Akte (IL — IV.) zeigen nun die Lösung der gestellten
Aufgabe und führen daher von der Kulturwelt mit ihren strengen
sittlichen Forderungen ins Barbarenland. Dieses Zweiweltensystem
Wiener Barockdichtung dient Grillparzer zur Vertiefung seiner Dar-
stellung des Wahrheitsproblems. Leon, der Kulturvertreter, ist in der
Barbarenwelt der geistig Überlegene. Auch die Lüge, der er den
Schein der Wahrheit gibt, ist den Barbaren gegenüber potenzierte
Intelligenz. Ihm stellt der Dichter Edrita als reines Naturkind gegen-
über und spinnt damit die Fäden der Liebeshandlung. Sie, die ge-
sundeste Nachfahrin des sentimentalen Gurlitypus der wilden Naiven,
repräsentiert das Wahrheitssein gegenüber Leons Wahrheitsschein.
Für sie gibt es keinen Zwiespalt, denn sie ist Natur selbst und „wahr
ist die ganze kreisende Natur". Selbst wenn sie ihre nächsten Ver-
wandten hintergeht, handelt sie wahr, denn sie handelt ihrem Wesen
entsprechend. Leon, der in seinem Kulturübermut Edrita zu bilden
sich vermißt, muß erfahren, daß er durch sie gebildet wird. Dieser
sich vollziehende innere Wandel Leons macht das Intrigenstück zum
Charakterlustspiel, wodurch die Vermählung shakespearischer und
spanischer Dramatik vollzogen ist. Indem sich Leon nun entschließt,
Wahrheitsschein durch Wahrheitssein zu ersetzen, geht im vierten
Akt die Führung der Intrige an Edrita über. Und nun ist, in allem
Humor, ergreifend, wie Grillparzer, der die übermenschliche sittliche
Bindung Kants und Schillers ablehnt, in sittlichem Aristokratismus
Leon wachsen und selbst Gott zur Rechenschaft fordern läßt. Die
innere Läuterung gibt ihm die vollendete Sicherheit: die Aufgabe
ist gelöst.
Der Schluß bringt die Rechenschaftsablage vor Gregor. Auch
dieser, der Wahrheitsfanatiker, muß erkennen, daß unsere Lebensfüh-
rung nicht durch starren Buchstabenglauben sich regeln läßt. Der
Trieb ist göttlicher als der Wahrheitszwang. Die instinktive Sinn-
lichkeit des Menschen ist ebenso göttlich wie die Vernunft, und
damit stimmt Grillparzer, wie schon Strich beobachtet hat, mit Ha-
mann, Herder, Goethe überein. Der Wahrheit letzter Schluß, die
Deutung der buntverworrenen Welt, ist ihm das heiter resignierende:
„Das Unkraut, merk' ich, rottet man nicht aus, Glück auf, wächst
Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885). Bürgerliches Gesellschaftsstück. 265
nur der Weizen etwa drüber". Er hat seine starren Prinzipien an
die Realität der bestehenden Welt angegUchen. Das ganze Thema —
Weh dem, der lügt — ist in seiner Starrheit aufgehoben. Die aske-
tische Wahrheit eines Ibsenschen Brand taucht unter in dem Ge-
webe des „ungekünstelt künstlichen Benehmens" des Leon, und doch
ersteht dafür in ihm die höhere Wahrheit, die die lebendigmachende
Wirkung des nicht an den Buchstaben gebundenen Geistes beweist.
So geht scheinbar die Wahrheit hier in Stücke und wird vernichtet,
nur um desto schöner und reiner sich aus den Trümmern zu erheben.
In diesem Sinne nenne ich Grillparzers „Weh dem, der lügt" das
Lustspiel, in dem sich vielleicht am reinsten wahrer Humor offenbart.
Objektiv komische Elemente, wie Situationskomik und dergleichen,
sind fast nur in den drei ersten Akten zu finden, aber dafür enthält
das Lustspiel mehr des allgemein Menschlichen, über das ein duftiger
Schleier der Märchenstimmung sich breitet. Von diesem stimmungs-
vollen, märchenhaften Hintergrund hebt sich eine ganze Skala leben-
diger, gegeneinander abgetönter Lustspielfiguren ab : neben Leon, Edrita,
Gregor der gefangene Atalus, der als den Naturtrieben entfremdeter
Kastenvertreter nicht instinktmäßig, sondern durch traditionelle Sitten-
anschauungen gebunden handelt, der also, als Typus des herabge-
kommenen Adeligen, zwiefach unfrei ist; die Kalibannatur Galomirs
als unterste Stufe des Triebmenschentums, von dem aber der Dichter
ausdrücklich sagt, daß er tierisch, aber nicht blödsinnig sei; schließ-
lich der mit Humor gesehene Kattwald als originelle Verkörperung
des traditionellen Typus des polternden Vaters.
Gewiß wird das Stück nie Volkstümlichkeit erwerben; dazu ist
sein Gehalt zu ernst, sind die tragischen Dissonanzen zu stark, und
wenn außerdem die dramatische Konzentration stellenweise fast zum
epischen Bericht erschlafft, dann verstehen wir wohl, warum ein
Bühnenkenner wie Heinrich Laube ihm den Lustspielcharakter ab-
erkennen wollte. Und dennoch bedeutet das Fiasko bei der Urauf-
führung am 6. März 1838 eine Verurteilung des banausischen Burg-
theaterpublikums. „Weh dem, der lügt" ist ein Juwel unserer deut-
schen Lustspielliteratur, dessen Wert mit den Jahren immer mehr
wächst und — hoffentlich — immer mehr anerkannt wird.
IL DAS UNTERHALTUNGSLUSTSPIEL DES
19. JAHRHUNDERTS (1830-1885).
I. BÜRGERLICHES GESELLSCHAFTSSTÜCK.
Zweifellos bedeutet der Schluß von „Weh dem, der lügt" eine Ver-
söhnung krasser Gegensätze im Sinne bürgerlich dämpfenden Gemein-
schaftsgefühls. Was Walzel in Unterscheidung zweier MögHchkeiten
deutscher Form als klassizistisch-dampfenden Formwillen dem gotisch-
266 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
übersteigernden gegenüberstellt, wäre also auch für Grillparzer zu-
treffend. Seine Abkehr von dem barock-kontrastierenden Helldunkel
der Wiener Volksbühne ist aber zugleich auch eine Erklärung zu-
gunsten des Burgtheaters, das solche Dämpfung um so lieber pflegte,
als sie dem Josefinismus mit seiner Züchtung einer gleichförmigen
Typizität konventionellen Bürgertums entsprach. Wenn derart selbst
eine geniale Künstlerpersönlichkeit wie Grillparzer, der durchaus in
barocker Tradition wurzelt, der Verbürgerlichung des Dramas unter-
liegt, so kann es um so weniger überraschen, wenn die zahlreichen
kleinen Talente bewußt sich darauf einstellen, diese bürgerliche Ge-
sellschaft in ihrer konventionellen Vereinheitlichung, ihrer sozialen
und sittlichen, ihrer weltanschaulichen Nivellierung zu spiegeln.
Dies ist das Streben des Unterhaltungslustspiels im 19. Jahrhundert,
das damit realistischen Kunstwillen bekundet, aber allerdings einen
Realismus, der, mit Scheuklappen bewehrt, nur die soziale Oberschicht
des besitzenden und gebildeten städtischen Bürgertums sowie des
gleichgeordneten niederen Adels betrachtet. Dieser bourgeoise Rea-
lismus muß in dem Augenblicke überwunden sein, in dem die Scheu-
klappen fallen, die Blicke über die Stadtbezirke hinausschweifen ins
weite Land oder sich innerhalb der Stadt eine neue Unterschicht
derart zur Geltung gebracht hat, daß sie nicht mehr übersehen wer-
den kann, in dem vor allen Dingen eine gründliche naturwissenschaft-
liche und sozialwirtschaftliche Schulung verbunden mit dem Auf-
schwung empirischer Psychologie die Augen geschärft hat für die
vielgestaltige atomistische Struktur der Gesellschaft. Damit beginnt
die Heimatkunst, beginnt der Naturalismus, der Impressionismus.
Da aber auch diese Kunstrichtungen sich bestreben, die über-
kommenen Gesetze innerer Formgebung zu beachten und demgemäß
in ihrem Dienste stoffliche wie gehaltliche Kontraste zu mildern, so
scheint sich doch darin ein gemeinsamer Kunstwille zu betätigen,
der nicht nur Ausdruck sozialer Kräfte ist, sondern jene Möglichkeit
deutscher Form, die der Deutung der Eindruckskunst zugrunde ge-
legt werden kann.
Diese Entwicklung beobachten wir in dem Unterhaltungslustspiel,
dessen Hauptproduktion von der Romantik bis zum Naturalismus ge-
kennzeichnet ist durch Eduard von Bauernfeld (1802 — 1890); ihm
wurde jüngst von Wilhelm Zentner eine eingehende und wertvolle
Monographie gewidmet. Bauemfeld geht aus von jener Lustspiel-
produktion, die ohne große Umwälzung vom Sturm und Drang in
die Klassik und weiter in die Romantik als ewig plätschernder seichter
Bach floß: Als ihre Hauptvertreter haben wir Iffland und Kotzebue
kennengelernt. Einer der liebenswürdigsten der noch geringeren
Geister ihres Chors ist August Freiherr von Steigentesch (1774 bis
1826). Durch ihn, den aristokratischen Wahlwiener, der bereits die
niederen Stände aus dem Lustspiel verbannen und dessen Gesprächs-
Bürgerliches Gcscllschaftsstück. 267
ton verfeinern wollte, steht Bauernfeld mit jenen Theaterdichtern in
Verbindung. Einen weiteren Einschlag erhält sein Schaffen durch
jene Trivialromantik, die nach der weltanschaulichen Frühzeit und
der eigentlichen dichterischen Periode der Spätromantik den Verfall-
ausgang bildet und in ihrem gemütvoll-nationalen, schwärmerisch-
naiven Wesenskern das romantische Biedermeier bedeutet. Schließ-
lich ist für ihn noch bedeutsam das Wirken Josef Schreyvogels, der
als geistiger Burgtheaterleiter (18 14 — 1832) in Wien die „höhere"
Dramatik mit josefinischem Geist imprägnierte, vor allem aber auch
ihre bühnentechnische Gestaltung bestimmte, indem er auf Grund
einfachster Bühnenausstattung des Burgtheaters, im Gegensatz zu
den Volksbühnen, als Wirkungsziel das Ohr und nicht das Auge des
Publikums entscheiden ließ und damit das Schwergewicht auf den
Dialog legte. Außerdem aber hat er sich Verdienste um das Drama
erworben, nicht so sehr durch eigenes Schaffen, wie das oberfläch-
liche Lustspiel „Die Gleichgültigen oder die gefährliche Wette" (1815),
als durch die ganz im Sinne der von ihm befehdeten Romantik
liegende Erschließung spanischer Dramatik für die Bühne: In der Be-
arbeitung von Moretos „Trotz wider Trotz" (El desden con el desden)
hat er unter vielen Motivänderungen als „Donna Diana" (1816) dem
vornehmen Konversationslustspiel in Intrigen- wie Dialogführung ein
noch heute bewundernswertes Muster gegeben.
Fügen wir zu dieser dreifachen Grundlage von Bauernfelds Lust-
spielen noch sein geselliges Wienertum, seine intellektuelle Regsam-
keit, seine sensible Anteilnahme an den Zeitströmungen, so kennen
wir die sein Schaffen bestimmenden Elemente. Sicherlich ist er da-
mit keine in sich gründende, isolierte Dichterpersönlichkeit. Er be-
stimmt nicht, er wird bestimmt. In allen seinen Entwicklungsstadien
schwimmt er daher im Strom zahlreicher Gleichgesinnter, Gleich-
gearteter und Gleichschaffender, allerdings nicht ohne kraft seiner
Sensibilität und seiner geistreichen Sprachgewandtheit über die Durch-
schnittsmasse der Mitströmenden hinauszuragen.
Die Vorbereitungszeit seiner Produktion erhält 1833 ihren Ab-
schluß und ihre Krönung in dem Gesellschaftsstück „Die Bekennt-
nisse" und dem romantischen Spiel „Fortunat". Am besten zeigt
der Vergleich mit einem der bedeutenderen Talente der Durchschnitts-
schriftsteller, Karl Töpfer (1792 — 1871), wie scharf sich schon sein
Profil von diesen abhob. Töpfers bis dahin erschienene beste Lust-
spiele sind „Des Königs Befehl" (1821) und „Der beste Ton" (1828).
Beides sind typische Familienlustspiele, wenn auch das frühere ein
historisches Gewand erhält. Aber man merkt doch, der Verfasser
ist durch die Schule Kotzebues gegangen, er bietet Iffland ohne
Rührseligkeit, namentlich im späteren Stück, und setzt dafür leben-
dige Intrigenknüpfung mit drastischer Situationskomik ein. Auch
Töpfer macht bereits eine Entwicklung durch; „Des Königs Befehl"
268 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
ist noch typisches Vorspiel zur Ehe, „Der beste Ton" aber ist bereits
Erziehung innerhalb der Ehe. Das ist im Grunde auch das Thema
von Bauemfelds „Bekenntnissen".
Darin machen sich jungdeutsche Bestrebungen fühlbar. Die braven
Staatsbürger, wie der Berliner Töpfer und der Wiener Bauernfeld mit
ihrem Chor, bekreuzen sich natürlich vor dem Ruf nach Eheemanzi-
pation, aber immerhin nehmen sie die Ehe zweier Menschen nicht
mehr als bloße Gegebenheit hin, sondern fordern die Abstimmung
beider Individuen aufeinander. Während bisher die Lustspiele mit
der Zustimmung widerstrebender Eltern oder Vormünder zur Heirat
der Liebenden schlössen, wird jetzt die Ehe selbst das Thema. Der
Wandel der Zeiten spiegelt sich in der Literatur. Gerade aus dem
Unterhaltungslustspiel, wie es von Bauernfeld u. a. gepflegt wird,
hören wir das Echo des Jungdeutschland, jenes Sturm und Dranges
im 19. Jahrhundert, der den Realismus in unserer Literatur einleitet,
der Kunst und Leben einander wieder nähert, der als Ausdruck eines
vorwärtsdrängenden, machtstrebenden Bürgertums Politik und Dich-
tung verbündet, der Tatmenschen fordert, der in einer neugegrün-
deten Presse Kritik übt, der aber über allen Anregungen aus dem
Auslande sein Nationalbewußtsein stolz bewahrt. Sein Programm-
buch, Wienbargs „Aesthetische Feldzüge" (1834), schreibt: „National-
gefühl muß dem Gefühl fürs Schöne, politische Bildung der ästhe-
tischen vorangehen". Mit der Julirevolution hebt eine neue Zeit an,
die kulturell den Übergang von Individualbewußtsein, Individualkultur
zu Sozialbewußtsein, Sozialkultur betätigt.
Der Kritik dieser Sozialkultur, wie sie sich in der sogenannten
guten Gesellschaft, d. h. den Kreisen des wohlhabenden Bürgertums
und niederen Adels — nur ausnahmsweise tritt ein Graf oder gar
ein Fürst auf — darstellt, dienen die Hauptlustspiele Bauernfelds.
Die Psychologie seines Schaff'ens erhellt daraus, daß er gern Motive,
die er in einem Lustspiel episodisch berührt, in einem späteren in
den Mittelpunkt stellt, wobei gelegentlich sogar das Wort, das in der
früheren Situation fiel, später den Titel gibt. So ergibt sich im
„Letzten Abenteuer" (1832) eine Situation, in der von „Bekenntnissen
zweier schönen Seelen" gesprochen wird, und sie bildet das Thema
für „Die Bekenntnisse" (1833); darin wiederum wird von den „Krisen"
Juliens gesprochen, und diese Situation wird das Thema für „Krisen"
(1852). Da Bauernfelds Stärke die Erfindungsabe nicht ist, so be-
gnügt er sich mit dem Stoffgebiet des traditionellen bürgerlichen
Schauspiels, das er mit Hilfe eines geistreichen Gesellschaftsdialogs
entwickelt. Die „bestimmte Grundanschauung", die ihm Laube nach-
rühmt, ist die Weltanschauung der liberalen Wiener Bourgeoisie, die
mit einer genießerischen Grundstimmung aufgeweckte Intellektualität,
mit gefühlsmäßig-toleranter Lässigkeit klare Einschätzung der Lebens-
wirklichkeiten verband. Diese Grundanschauung der Gesellschaft, die
Bürgerliches Gesellschaftsstück. 269
in ihrer Bestimmtheit und Fortschrittlichkeit von der des Volkes weit
verschieden war, begründete durch ihre Mischung von Aufklärung
und Gefühlsweichheit eine seltene Urbanität der Verkehrs- und Aus-
drucksformen. Gerade gegenüber dem Aufkommen unsoliden Par-
venütums nach dem Niederbruch in der napoleonischen Zeit be-
sannen sich das gebildete Bürgertum und der niedere Adel mit be-
sonderem Stolze der historischen Tradition der Stadt und des Reiches,
dessen stützendes Beamtentum aus ihren Kreisen sich rekrutierte, zu-
gleich aber wuchs mit dem Bewußtsein ererbter geistiger Güter auch
der Ansporn, sie zu weiterem Besitz neu zu erwerben.
So entstand ein klassenartiges Gemeinschaftsgefühl von nationaler
Tradition und fortschrittlichem Geiste, das jene urbane Gesellschafts-
kultur erst ermöglichte. Bauernfeld gehörte dieser Kulturschicht an,
ihre Ausdrucksformen füllen seine Lustspiele. Der gemeinschaftliche
Boden, wo sich die Angehörigen dieser Kulturschicht treffen, ist das
Gesellschaftszimmer, der Salon. Im Salon konversieren sie in ihren
kulturell gepflegten, witzigen, leichtflüssigen Causerien. Da Bauern-,
felds Lustspiel nichts anderes sein will, als ein verfeinertes Spiegel-
bild davon, so erhebt es sich von dem braven Familienstück zum
Salonstück, zum Konversationsstück. Da in solcher Konversation,
wie etwa im englischen small talk. Reden mehr bedeutet als das
Geredete, so überwiegt in dem Konversationsstück leicht der Dialog
gegenüber der Handlung. Er ist nicht mehr Mittel zum Zweck der \
Handlungsführung, er ist Selbstzweck.
Diese Entwicklung wurde nachdrücklichst gefördert durch die
Franzosen, die, nachdem sie die politische Weltherrschaft verloren
hatten, sie auf der Bühne neu eroberten. Schon von Laube wurden
im Burgtheater die neusten Franzosen aufgeführt, unter seiner Lei-
tung (1849 — 1867), die die Burg zum ersten Theater Deutschlands
machte, wurde das französische Sittenstück herrschend.
Eugene Scribe (1791 — 1861) war sein unbestrittener Meister. Er
ist kein Dichter. Seine Stücke haben keinen ideellen Gehalt, aber
sie sind mit einem unfehlbaren Bühneninstinkt aufgebaut aus allen
möglichen längst erprobten Motiven, in unbedenklichsten Anleihen
bei älteren Autoren und wissen, in der rafi"iniertesten Ausnutzung aller
Bühneneff"ekte die verwickeltsten und unwahrscheinlichsten Intrigen
stets spannend zu erhalten. Scribe, der seine gewerbsmäßige Komö-
dienfabrikation skrupellos im Kompaniegeschäft florieren ließ, war
ebenso unbedenklich in der Stoffwahl. Der Stoff mußte nur das
Publikum interessieren. Mit besonderer Vorliebe schrieb er daher
Sitten- und historische Komödien, in denen allen die gleichen
Bürger unter Louis -Philippe auftreten. Sie alle bedienen sich auch
jener hochentwickelten Sprachkultur, die die Pariser Konversation
überall vorbildüch machte. Es ist die Kunst, ohne Tiefe geistreich
zu sein, mit Armut zu glänzen durch eine Fülle von Aktualitäten,
270 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
von beziehungsreichen Andeutungen, von witzigen Pointen, von
frappierenden Aphorismen.
Daraus konnte die Ausgestaltung des Dialogs im Wiener Salon-
stück wertvolle Kräfte ziehen. Es ist daher verständlich, daß die
autochthone Anlage so schnell reiche Blüten entwickelte wie bei
Bauernfeld. Allerdings teilt dieser die Bedenkenlosigkeit des Fran-
zosen nicht. Er besitzt auch nicht dessen Kraft und Erfindung in
der Intrigenführung. Um so mehr mußte er dem Dialog ideellen Ge-
halt geben, um so mehr mußte er ihn zum ,, Mittel- und Brennpunkt
des Ganzen" machen. Da dieser in der Tat, wie Zentner schreibt, ge-
radezu Stoff und Handlung aufsaugt, so muß er ebensowohl Träger
der Spannung wie der seelischen Vertiefung sein. Dieses psychologi-
sierende Moment, zu dessen Unterstützung gern der französische
Räsonneur herangezogen wird, ist gerade für das Wiener Plauder-
stück charakteristisch geworden; ich erinnere aus der Gegenwart nur
an Arthur Schnitzler und Thaddäus Rittner. Ein Dialog, wie ihn
Bauernfeld zwischen dem Gatten und dem Hausfreund — dem Rä-
sonneur — in „Krisen" IV, 7 führen läßt, zeigt ohne weiteres, wie
stark Bauernfeld der Gegenwart vorgearbeitet hat. Allerdings ist
,, Krisen", worin er das bereits besprochene Eheproblem behandelt,
wohl sein bestes Lustspiel, sowohl im Handlungsaufbau, in der
Charakterisierung, wie im Dialog.
Ähnlich wirkungsvoll, wenn auch nicht so geglückt in der einheit-
lichen Höhe der Durchführung, ist bereits „Bürgerlich und Roman-
tisch" (1835), worin er Kritik an der geistigen Lebenshaltung der eige-
nen Gesellschaftsschicht übt. Es werden die beiden darin herrschenden
Anschauungen einander gegenübergestellt, wobei bürgerlich die haus-
backene Prosa und romantisch die wirklichkeitsfremde Schwärmerei
bedeutet; zwischen beiden steht als Ausgleichsfaktor Baron Ringel-
stern als der weltmännische Räsonneur, der Vertreter aufgeklärter
liberaler Weltanschauung, die durch Bauernfeld für das Lustspiel
des 19. Jahrhunderts erobert wurde. Bürgerlich bedeutet also spieß-
bürgerlich und romantisch romanhaft, die bürgerliche Cäcilie vertritt
den Kochtopf und die Küche, die romantische Katharina den Roman
und den Salon. Wieder begegnen wir hier jenem Zweiweltensystem —
allerdings in viel geringerer, psychologisierter Spannung — des Wiener
Volksstückes, dem Bauernfeld auch sonst, vor allem in seinen roman-
tischen Komödien, verpflichtet ist, sei es für Handlungsmotive wie in
,,Fortunat", oder für Typen wie den sentimentalen Naturburschen mit
Dialektanklang in „Fata Morgana" (1855), den Küchenjungen Leopold
in den „Geschwistern von Nürnberg" (1870). Aber Gegenstand seiner
Behandlung ist stets die Wiener Gesellschaft, die er gern in kontra-
stierenden Typen vorführt; wie Cäcilie und Katharina die Gegensätze
weiblicher Liebhaberinnen darstellen, so werden auch männliche
Liebhaber kontrastiert als Schwadronneur und Sentimentaler, als
Politische Komödie. 27 1
Weltmann und Arbeitstier, wobei jener meistens ein Adliger, dieser
mit Vorliebe ein bürgerlicher Beamter ist. Doch auch den neuen
Elementen der guten Gesellschaft, die durch den Aufschwung von
Finanz und Industrie ihr zugeführt werden, hat er bereits Heimat-
recht in seinem Lustspiel gewährt, zunächst noch in dem Bankier
Müller vom „Liebesprotokoll" (1831) als jüdischem Parvenü mit Komik-
wirkung, dann aber als vollberechtigte, durchaus ernst zu nehmende
Bürger. Auch darin bekundet sich sein offener Blick, sein klares
Verständnis seiner Zeit, sein innerer Kontakt mit ihren Strömungen
und Interessen.
2. POLITISCHE KOMÖDIE.
In den Jahren des Vormärz waren die Interessen großenteils politisch
orientiert und fanden dementsprechend, gemäß dem jungdeutschen
Programm, auch Ausdruck in der Dichtung. Aber auch hier wieder
geht die Entwicklungslinie auf die Romantik zurück. Tiecks „Zerbino"
enthält Ansätze zur politischen Satire. Freimund Raimar (Friedrich
Rückert), der große Anfühler fremder Formen, suchte, in Überein-
stimmung mit romantischer Vorliebe für das griechische Lustspiel, auch
die aristophanische Form der politischen Komödie sich anzueignen, in-
dem er sie aus starkem Nationalgefühl heraus mit dem Haß gegen den
verabscheuten Korsen füllte. Doch da wir gleichsam nur Helenas Schleier
erblicken und nicht sie selbst, so weckt er nur unser Interesse für
Historisch-Kunstgewerbliches, nicht für Lebendig-Dichterisches. Der
grandiose Stoff ist geistlos -giftig vergewaltigt, der nationale Gehalt
engbrüstig verspießbürgerlicht und damit die Form aufgeklebter toter
Stuck. „Napoleon und der Drache" (1815), „Napoleon und seine For-
tuna" (18 18) waren erste Teile einer Trilogie, deren letzten, „Der Leipziger
Jahrmarkt", Georg Schenk 1906 aus dem Nachlaß herausgab. Auch
der vielgewandte Kotzebue hatte in seinem feinhörigen Spürsinn für
Aktualitäten Napoleons -Komödien geschrieben. Weiter hatte der
nationalgesinnte Platen in seine „Verhängnisvolle Gabel" politische
Anspielungen einfließen lassen.
Die jungdeutsche Epoche drängt bewußt das PoHtische in den
Vordergrund. Aus politischen Stimmungen ist ja auch die Romantiker-
komödie des radikalen Büchner geboren, wie schon das launige Ver-
wechslungsspiel des Romantikers Eichendorff „Die Freier" politische
Töne in das lyrische Konzert einklingen läßt. Doch die politische
Betätigung jungdeutscher Führer wurde bekanntlich rasch lahmgelegt.
Trotzdem machte die politische Komödie weitere Fortschritte. Der
Schwabe Fritz Rapp Heß in seinem „Wolkenzug" (1835) weit stärker
als Platen neben Literarischem Politisches zu Wort kommen, wobei
er sich wesentlich gegen das burschenschaftliche Jungdeutschland
wendete. Weiter als er war aber der Danziger Otto Friedrich Gruppe
gegangen in seinem dreiaktigen Zauberspiel „Die Winde oder ganz
272 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
absolute Konstruktion der neueren Weltgeschichte durch Oberons
Hörn, gedichtet von Absolutus von Hegelingen", worin schon das
Pseudonym wie der Nebentitel deutlich die Tendenz zeigen. In ähnlichen
politischen Bahnen bewegt sich „König Kodrus" (1839) von Karl Stahl.
Die stürmischen vierziger Jahre, die die Blütezeit politischer Lyrik
bedeuten, geben auch den Versuchen politischer Komödien neue An-
stöße durch die verstärkte politische Interessiertheit, die einerseits dem
fortdauernden Druck des Metternichschen Systems entsprach, anderer-
seits der allgemeinen Enttäuschung durch Friedrich Wilhelm IV.
Hans Prutz (Zur Geschichte der politischen Komödie in Deutsch-
land, Sitzungsbericht der Bayrischen Akademie 1919) beobachtet, daß
gerade in Ostpreußen, wo von 1840 an politisches Leben sich besonders
rasch entfaltete, auch die politische Komödie neue Antriebe erhielt durch
Otto Seemanns und Albert Dulks „Die Wände" (1848). Aber schon 1842
ließ Karl Heinrich seine „Kaiserwahl in Frankfurt" erscheinen und griff
dabei bereits den politischen Ereignissen voraus. An dichterischem
Talent wie philosophischer Weltbetrachtung überragend war jedoch
Heinrich Hoffmann, dessen Komödie der Gegenwart „Die Mond-
zügler" 1843 ij^ Frankfurt erschien.
An ihn schließt sich unmittelbar an R. E. Prutz, dessen „Politische
Wochenstube" stellenweise direkte Anleihen vermuten läßt. Das Nach-
wort, daß die Komödie „der Hauptsache nach bereits im Herbst 1843
vollendet war und daß nur zufällige Umstände den Druck bis jetzt
(1845) verzögert haben", brauchen wir darum in seiner Richtigkeit
nicht zu bezweifeln, denn sollte Prutz auch von Hoffmann angeregt
worden sein, so ist seine Gesinnung in ihrer Freiheitlichkeit doch so
bekannt, sein Werk so stark persönlich geartet, daß wir von seiner
Selbständigkeit ohne weiteres überzeugt sind. Allerdings ein Bühnen-
werk ist seine Komödie nicht. An ihre Aufführung war bei dem
politischen Inhalt in der damaligen Zeit auch gar nicht zu denken.
Das war dem Verfasser von vornherein bekannt, er hat daher so ein
unerreichbares Ziel auch gar nicht verfolgt, obwohl er die Romantiker
gerade wegen der Theaterfremdheit ihrer Dramen scharf getadelt hatte.
So erkennen wir in dieser Komödie ein Schulbeispiel dafür, daß in
unfreier Zeit keine freie Kunst sich entfalten kann, vor allem nicht auf
dem Gebiete der politischen Komödie. „Die politische Wochenstube"
ist nur Lesedrama, stark in der Überzeugung, von unleugbarem Tempe-
rament. Sie gleicht etwa der politischen Lyrik eines Herwegh, doch
überwiegt bei ihr die Reflexion noch weit mehr die Leidenschaft.
Sie ist Denkwerk, nicht Dichtwerk, eine große Abrechnung mit
Regierungssystem und geistigen Führern des Volkes, die alle als
armselige Verführer dargestellt werden. Auch sie ist der Ausdruck
jenes Rausches der Kritik, der gerade die fortschrittlichsten Geister
in den vierziger Jahren umnebelte. Trotz des positiven Ausklangs
in eine ideologische Hoffnung auf das mündig gewordene Volk ist
Politische Komödie. 273
die Komödie in ihrem ganzen Verlauf rein negativ gerichtet, sie ist
verurteilende Satire.
Auch Bauernfeld, der sich im Einklang mit der Stimmung seiner
Wiener Gesellschaftsschicht in jenen Jahren des Vormärz einem
demokratischen Radikalismus stark näherte, verfolgte in „Großjährig"
(1846), ohne allerdings aristophanische Pfade zu betreten, deuthch
politische Ziele gegen das engherzige Spür- und Verbotsystem Metter-
nichscher Regierungsweise, die den Bürger unentwegt als Minder-
jährigen am straffen Gängelbande der Polizei führte. Während er
hier noch durchaus das Gesellschaftsmilieu seiner üblichen Lustspiel-
produktion beibehalten hat, schlägt er 1848 phantastischere Bahnen
ein, indem er das Wiener Volksbühnen tradition vertraute Tierstück
zu — fast — aristophanischer Satire benutzte in der „Republik der
Tiere". Gemäß seinem skeptischen Liberalismus läßt er ideahstische
Schwärmer wie Radikalinski gleichermaßen verzagen, sie sind nur
Schrittmacher für den Diktator Drache, der allein das Chaos über-
winden kann.
Im gleichen Revolutionsjahr wurde im Burgtheater das Lustspiel
„Verbot und Befehl" von Friedrich Halm (Eligius Franz Josef Frei-
herr von Münch-Bellinghausen 1806 — 1871) aufgeführt, das in der
Form eines Liebesintrigenstücks die Revolutionsstimmung der Zeit
widertönt. Das geknechtete, unmündige Volk, Bürgertum wie Adel,
das lebenentfremdete, im Aktenstaub vertrocknete Beamtentum, die be-
drückende, herzlose Gewaltherrschaft einer aristokratischen Oligarchie,
die in einem „lächerlichen Vize-Herrgottspielen" durch harte Willkür
jede freie Lebensregung erstickt: dies alles wird, in deutlichster Be-
ziehung auf Österreich, auf venetianischem Boden vorgeführt. Der
große Dialog zwischen den Liebenden Stella und Camill IV, 4 ist
Rechtfertigung und Weckruf der Revolution. Die Freiheit regt sich,
in der Regierung selbst erheben sich mahnende Stimmen. Venier,
das Sprachrohr maßvoller liberaler Anschauung, spricht:
„Das eben ist's, das macht das Herz mir schwer,
Daß wir fürs Vaterland nicht leben dürfen,
Nur sterben, wenn es not tut, und nicht mehrl"
Und Morosini, das Haupt der morosen ,, Dunkelwaltenden", Metter-
nich selbst, muß bekennen:
,,Daß rings die Völker wie Sciroccohauch
Ein Drang nach Neurung anweht und Bewegung,
Das ist's, wovor ich bange, was mich schreckt".
Halm, der Rivale Grillparzers und der Verdränger Laubes in der
Burgtheaterleitung, ein Anempfinder ohne ursprüngliches dichterisch-
dramatisches Talent, hat seinem Verslustspiel durch die Unmittelbar-
keit in der Wiedergabe revolutionärer Zeitstimmung und liberaler
Forderung eine lebendige Frische verliehen, die auch heute noch dank
Hol 1, Lustspiel. i8
274 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
seiner geistreichen, kultivierten Wortkunst und seiner geschickten
Bühnentechnik sich erhalten hat. Halm hat die politische Komödie
mit dem Konversationsstück in historischem Gewände vermählt und
ihr damit, wie sein Vorgänger Eugene Scribe, Bühnenwirksamkeit
verschafft.
3. HISTORISCHES LUSTSPIEL.
Auf Scribe geht auch die Pflege des historischen Lustspiels zu-
rück, das Hermann Hettner in seiner geistvollen Schrift über „Das
moderne Drama" (1852) als „ins Dramatische übersetzten Memoiren-
stil" bezeichnet. „Große Wirkungen werden aus kleinen Ursachen
abgeleitet, entscheidende geschichtliche Bewegungen aus Zufällig-
keiten, aus Hofintriguen, aus Verliebtheiten, verletzten Eitelkeiten
und ähnlichen Geringfügigkeiten. Es ist eine Art von parodierender
Behandlung der geschichtlichen Vernunft und Notwendigkeit, und
ein solches Lustspiel ist um so feiner, mit je bewußterer Ironie es
diese parodische Seite herauskehrt". Das historische Lustspiel erhielt
aber ebenfalls einen politischen Einschlag dadurch, daß es, wie auch
die politische Komödie, den nationalen Gedanken der Zeit betonte.
Die Führer der jungdeutschen Bewegung, Gutzkow und Laube,
bedienten sich seiner, um im Gewand der Vergangenheit Fragen der
Gegenwart zu erörtern. Zunächst versuchte sich Gutzkow (181 1— 1878)
allerdings in einem sozialen Lustspiel der Gegenwart „Die Schule der
Reichen", worin er mit der seinem Charakter eignenden Lehrhaftigkeit
dem Gedanken Ausdruck verleiht: „Arbeit ist die Schule der Reichen.
Das ist das Wort, das uns alle fortan gut machen soll und glücklich".
In den Situationen und in der Bühnentechnik erinnert es an Ififland;
aber er erzielte 1841 in Wien damit einen großen Erfolg, während es
in Hamburg durchfiel und dadurch seine folgenschwere Bekannt-
schaft mit Therese von Bacheracht vermittelte.
In seinem nächsten Lustspiel „Zopf und Schwert", das am
I. Januar 1844 in Dresden seine Uraufführung erlebte, dramatisiert
er eine geschichtliche Anekdote aus den Denkwürdigkeiten der Mark-
gräfin von Baireuth. Er führt uns an den spartanischen Hof des preu-
ßischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm, aber die Hofumgebung
ist verbürgerlicht und der könighche Held, dessen Charakter ihm
noch am besten gelungen ist, ein strenger, derber, aber guter
und tüchtiger Hausvater. Seine Natur bestimmt auch die ganze
Atmosphäre des Stückes, die Natürlichkeit, Solidität, Geradheit ist,
ohne jede romantische Verklärung des Königtums. Ein einheitliches
Dichtwerk ist das Lustspiel sicher nicht mit seinem häufigen Szenen-
wechsel, durch den wohl die Entwicklung der Situationen, aber nicht
die der Charaktere gefördert wird; aber als einfach angelegtes
Situationsstück enthält es gute Einzelheiten, wie die beiden Unter-
redungen mit dem englischen Gesandten und das Tabakskollegium.
Historisches Lustspiel, 2 7 "5
Es ist auf Bühneneffekte berechnet, und darin ist Gutzkow ein ge-
lehriger Schüler Scribes. Die gänzlich undramatische und unnötige,
aber bühnenwirksame Ekhofepisode dürfte eher auf das Vorbild des
Franzosen zurückzuführen sein als auf Lessings Riccautszene, wie
wir ja stets gern vom Ausland nehmen, was wir zu Hause besser
besitzen. Von Scribes „Oscar ou le mari qui trompe sa femme"
stammt auch das Lösungsmotiv, das dann später wieder von Hack-
länder in seinem „Geheimen Agenten" aufgegriffen wird.
Im Jahre 1844 läßt Gutzkow sein gelungenstes Lustspiel folgen:
„Das Urbild des Tartuffe". Die Vorgeschichte von Höheres „Tartuffe"
benutzt er, ohne historische Echtheitsansprüche, zur Darstellung der
zur Unterdrückung eines Kunstwerkes angezettelten Kabalen, wobei ihm
willkommene Gelegenheit zu Ausfällen gegen zeitgenössische Zensur
geboten ist, ohne daß aber eine aufdringliche Tendenz störend wirkte.
Der gegen seine Zeitgenossen sehr kritische Hebbel lobt mit noch
heute gültigem Recht die „hohe Rundung und Geschlossenheit in
Erfindung und Ausführung", Aufbau und Behandlung sind diesmal
entsprechend dem Milieu, das „Zopf und Schwert" in Potsdam, das
„Urbild des Tartuffe" in Versailles spielen läßt, viel feiner geraten,
und dementsprechend ergibt auch die besonnen gefeilte Sprache
einen viel geschliffeneren und geistvolleren Dialog. Wenn auch die
Charakteristik, die in Umrißzeichnungen steckenbleibt, wieder ver-
sagt, so sind doch die Verwicklungen mit klarer Übersichtlichkeit ge-
führt und so gehaltvoll vertieft, daß das Intrigenstück mit seiner
Zeitsatire zur zeitlosen Menschensatire erhoben scheint. Diese Höhe
erreicht weder das politische Intrigenspiel „Anonym" (1845) noch das
Goethefestspiel „Der Königsleutnant" (1849), das eine durchaus un-
künstlerische Gelegenheitsmache ist.
In „Rokoko" (1842) hatte bereits Heinrich Laube (1806— 1884)
die Umgebung des Sonnenkönigs und der Pompadour zur Darstel-
lung einer Tartuffegestalt benutzt. Aber wie stets beim Intrigenspiel
bewahrheitet sich auch hier Schopenhauers Wort: Alles Ende ist
schwer. Zum Schlüsse entscheidet nicht List, sondern ein Wettlaufen
der Gegenspieler. Laube findet in deutschem Milieu seine Stärke.
Sein nationales Lustspiel „Gottsched und Geliert" (1845) spielt zur
Zeit von Lessings ,, Minna", am Ende des Siebenjährigen Kriegs, und
verherrlicht den deutschen Einheitsgedanken im Gegensatz zu dem
eigennützigen und beschränkten Partikularismus. Die geschickte und
lebendige Führung der Intrige läßt in Gemeinschaft mit der Lauter-
keit der Gesinnung und der wirkungsvollen Situationskomik die ge-
waltsame Auflösung gern in Kauf nehmen.
Zu diesen national gerichteten historischen Lustspielen zählt auch
Gustav Freytags (18 16 — 1895) „Die Brautfahrt oder Kunz von Rosen"
(1842), Nach dem Vorbilde von Don Quijote und Sancho Pansa oder
Prinz Heinz und Falstaff sind in den Hauptpersonen Maximilian und
270 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
Kunz vermenschlichte IdeaHtät und Realität diskret kontrastiert. Das
Lustspiel bewegt sich am Ende des 15. Jahrhunderts im Egmont-
milieu, mit dessen tragenden Charakteren auch seine Hauptpersonen
deutliche Verwandtschaftszüge aufweisen. Der lose Aufbau der histo-
rischen Liebeswerbung Maximilians geschieht in den einzelnen Szenen
wirkungsvoll, ohne aber künstlerische Einheit des Ganzen zu er-
reichen. Auch hier begegnen wir, wie bei Gutzkow, einer jener
im 19. Jahrhundert beliebten undramatischen, aber an sich reiz-
und humorvollen Episodenszenen: der Montrepasepisode. Doch die
Frische der shakespearisierenden Sprache, die bühnentechnisch ge-
schickten Situationen und der von ursprünglichem deutschen
Nationalgefühl beseelte, stimmungsvolle Gehalt berechtigt das Urteil
Droeschers (Gustav Freytag in seinen Lustspielen, 1919): „In der
Freudigkeit, Innigkeit, man könnte fast sagen: Jungfräulichkeit
der Produktion, liegt ihr Reiz".
Der Stoff ist in der deutschen Literatur vielfach behandelt
worden, seit Arnim in den „Kronenwächtern" Kunz von Rosen
episodisch einführte. In der Reihe dramatisierter Bearbeitungen, die
von Deinhardsteins „Erzherzog Maximilians Brautzug" (1832) bis zur
Gegenwart führt, ist auch Bauernfelds „Landfrieden" (1870) zu nennen,
der aber ein schwächliches Alterswerk ist, obwohl man ihn an die
Seite von Richard Wagners „Meistersingern" hat stellen wollen.
Bauernfeld hat hiermit, v/ie in ernsteren Schauspielen, der histori-
schen Muse, die in jenen Jahrzehnten die deutsche Bühne belebte,
seinen Tribut entrichtet. Auch er bezeugt, wie die historische Dramatik
den Niedergang dramatischer Kunst überhaupt befördert. Die histo-
rischen Lustspiele bleiben am Anekdotischen haften und, indem sie
den Masseninstinkten entgegenkommen, wissen sie durch das Interesse
am Stofiflichen die Mängel künstlerischer Form zu vertuschen, um so
mehr als der geschichtliche Stoff stets Gelegenheit gibt, teils über-
zeugte, teils erheuchelte nationalpatriotische Gefühle zum Ausdruck
zu bringen. Was man in der Gegenwart an ideellem Schwung ver-
mißte — bedeuten doch jene Jahrzehnte von den vierziger Jahren an
eine Zeit pessimistisch gestimmter Weltanschauung, die seit den fünf-
ziger Jahren den abgelebten Idealismus endgültig durch den natur-
wissenschaftlich begründeten Materialismus abgelöst hat — , fand man
in der Schönfärbung historischer Vergangenheit, und man erkannte
es dort um so leichter, als nach dem bereits beobachteten Rezept
der Jungdeutschen die geschichtliche Welt im Geiste der Gegenwart
verbürgerlicht wurde.
Ein überzeugter Liberaler wie Rudolf Gottschall fand dafür
wenigstens einen passenden Stoff in der inneren Geschichte des
damals als Ideal freiheitlicher Regierungsform gepriesenen Eng-
lands. Sein geistreiches Lustspiel „Pitt und Fox" (1854) gibt eine
Kritik des englischen Parlamentarismus, wobei die konträren Haupt-
Historisches Lustspiel. Gesellschaftskritisches Konversationsstück. 277
Charaktere die komischen Situationen herbeiführen. Der Verfasser
bezeichnet selbst als sein Ziel, „Interessen des öffentlichen Lebens
dem Humor der Bühne zugänglich zu machen". Ihm gegenüber
scheint Hermann Hersch in seiner „Anna-Lise" (1859) noch un-
zeitgemäß einen aufgeklärten Despotismus zu preisen, wenn es ihm
überhaupt um mehr als Theaterwirkung zu tun ist. Diese aber hat
er erreicht in seinem Lustspiel, das durchaus auf den ,, resoluten"
Ton des Dessauers eingestellt ist. Das Thema der Überbrückung
sozialer Klassen- und Standesunterschiede durch eine Heirat ist der
Zeitanschauung geläufig, es wird auch bei Bauernfeld in ,,Aus der
Gesellschaft" (1867) im fortschrittlichen Geiste behandelt. Doch Hersch
kommt es weit weniger auf Gesellschaftskritik an als auf die durch
die krassen Kontraste zu erzielende Wirkung, die er durch die klug
berechnete Mischung von Komik und Sentimentalität auch vollauf
erreicht. In der Theatermache steht ,, Anna-Lise" daher entschieden
über dem Durchschnitt geistloser und sentimentaler historischer
Lustspiele und überragt auch noch ihre schwächliche Fortsetzung
in Karl Niemanns „Wie die Alten sungen" (1895). Die Bühnen-
wirkung solcher historischen Lustspiele beruhte nicht so sehr auf
ihrem künstlerischen Eigenwert als auf Assoziationselementen, seien
es solche volkstümlich -nationaler Art, wie Martin Schleichs witziges
Kulturbild „Bürger und Junker" (1855), oder aber solche romantischer
Schwärmerei, wie sie Wilhelm Jordan in formaler Kunstfertigkeit durch
seine Verslustspiele zu erwecken wußte: „Die Liebesleugner" (1855),
„Tausch enttäuscht" (1856), „Durchs Ohr" (1870).
Gegenüber der Verflachung der historischen Dramatik und ihrer
Auflösung aller dichterischen Form, was etwa durch die Tatsache be-
leuchtet wird, daß Hippolyt Schaufferts derbkomische Posse „Schach
dem König" 1869 in der Lustspielkonkurrenz des Wiener Hoftheaters
preisgekrönt werden konnte, stehen die gesellschaftskritischen Kon-
versationsstücke Bauernfelds auf weit höherem künstlerischen Niveau.
In reifer Erkenntnis kehrt er nach den politischen Stürmen der acht-
undvierziger Jahre zu ihnen zurück.
4. GESELLSCHAFTS-
KRITISCHES KONVERSATIONSSTÜCK.
In Bauernfelds Lustspiel „Der kategorische Imperativ", das 1850
in dem Preisausschreiben des Burgtheaterleiters Laube von 103 Kon-
kurrenten gekrönt wurde, bildet der Wiener Kongreß ein Milieu, das noch
stark pohtisch-historisch gefärbt ist. Aber das Problem ist ein soziales,
gesellschaftliches, trotz aller politischen Färbung. Ein baronisierter
Hofbankier, in dem sofort der Frankfurter Rothschild erkannt wurde,
offenbart sich als ebenbürtige Großmacht der Kongreßteilnehmer.
Seine Finanzmacht möchte er koppeln mit der alten Aristokratie durch
278 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1S85).
die eheliche Verbindung mit der Gräfin Flora. Doch mag sein Geld
auch Weltgeschichte machen, Herzensgeschichte wird — wenigstens
in dem galanten Wien, dessen Losung: ,, Freut Euch des Lebens"
heißt — nur durch Liebe gemacht, und diese wendet sich in etwas
allzu sentimentalem Bühnenkontrast dem zum Krüppel geschossenen
preußischen Oberst zu, der selbst seine Ähnlichkeit mit Tellheim aus-
spricht. Mit dieser Verbindung treibt das Herz gegenüber der inter-
nationalen Kongreßpolitik die allen Patrioten wünschenswerte groß-
deutsche Einheitspolitik. Gräfin Flora ist das Idealbild derWien er Salons :
geistreich, witzig, schlagfertig, übermütig, politisierend und dennoch
voll warmen Gefühls, bei aller feschen Kaprizität doch ernst und wahr,
ist sie jener wohlbekannte Typus der Salondame Wiener Geblüts, wie
'" sie seit Bauernfeld die Wiener Gesellschaftsstücke bis zur jüngsten
Gegenwart eines Felix Saiten, Hermann Bahr, Hugo von Hoffmanns-
thal belebt. Wie sehr aber auch im historischen Milieu des Wiener
Kongresses der Geist der nachachtundvierziger Jahre zu uns spricht,
erhellt an der Figur des Lothar, des radikalen, ungestümen Burschen-
schafters und feurigen Kantianers. Er ist dem Dichter Humorgestalt,
wie es zur Zeit der Romantik nur dem amoralischen Kotzebue möglich
gewesen wäre, und bringt durch den Kontrast die Ansicht des Ver-
fassers und damit die der Zeit am deutlichsten zum Ausdruck. Seine
Lehre: „Leben heißt lernen" kehrt das Ergebnis des Stückes um in:
Lernen heißt leben. Die Metaphysik ist in Mißkredit gekommen. Die
heutige Zeit handelt nach dem Grundsatze des Finanzbarons: Ver-
dienen und wieder verdienen. Es ist die Zeit, die nach Gervinus
Schwärmen und Dichten durch die Tat ersetzt. Noch ist es Übergang,
der Baron trägt noch die Züge seiner niederen Abkunft, es haftet
ihm noch ein leichter Hauch des Parvenütums an, aber er ist stolz
auf seinen Aufstieg aus eigener Kraft, er ist ein ernster, tüchtiger
Charakter, eben von jener Prägung, die die Zeit braucht. Sein Wahl-
spruch lautet: „Ich bin gern praktisch". Wie Napoleon der Mann
der Vergangenheit, so ist der Baron der Mann der Zukunft. Mit
allem Nachdruck wird das Recht der Wirklichkeit verfochten, finan-
zielle Spekulation gilt mehr als philosophische, und selbst der rein-
blütige Idealist Lothar findet sein Glück nur in der Diesseitswirklich-
keit. Wir vernehmen auf diese Weise aus dem graziösen Lustspiel,
das George Altmann neuerdings geschickt für die Bühne eingerichtet
hat, bereits die Töne des historischen Materialismus mit seinem Primat
ökonomischer Verhältnisse.
Damit hat Bauernfeld wieder den Weg vom historisch-politischen
Lustspiele zum gesellschaftskritischen Konversationsstück gefunden,
dessen Höhepunkt im Rahmen seines Schaifens das geistreiche, im
Dialog noch heute lebendige, bühnentechnisch überaus wirkungs-
volle — eine auch hier vorhandene Episodenszene ist klug mit dem
Ganzen verknüpft — und doch mit zartester Hand aufgebaute Cha-
Gesellschaftskritisches Konversationsstück. „Die Journalisten". 279
raktergemälde „Krisen" (1852) bildet. So eine elegante, leichtflüssige
Sprachbehandlung war nur in der verfeinerten Gesellschaftsatmo-
sphäre der alten Kulturstadt Wien möglich. In dieser getreuen Spiege-
lung bewährt sich Bauernfeld als Realist.
Immer mehr fallen auch die Schranken, die den Blick auf die be-
stimmte Gesellschaftsschicht gebannt hielten. Je gründUcher das Jahr
1848 mit dem erschütterten Glauben an die Kraft des Idealismus auf-
geräumt hatte, je gründlicher das Reich der Träume versagt hatte, um
so williger verläßt man nun des Herzens heilig stille Räume, um sich
in des Lebens Drang hineinzustürzen. Daher in Roman wie Dramatik
das starke Interesse, das Volk an seinen Arbeitsstätten zu belauschen.
Auch das Lustspiel spiegelt diese Bewegung. Ein Beispiel ist Karl
Töpfers „Rosenmüller und Finke" (1850), worin in komischer Behand-
lung des Romeo -und -Julie -Themas zwei Väter als feindliche Brüder
dargestellt werden. Diese Feindschaft ist berufsständisch, der eine
ist Offizier, der andere Kaufmann. Beide haben Söhne, von denen
jeder ohne Wissen und gegen den Willen seines Vaters den Stand
des Onkels ergreift. Der Witz besteht natürlich in dem kontrastieren-
den Parallelismus. Der Fortschritt der Zeitanschauung offenbart sich
darin, daß jedem Stand seine Berechtigung und seine Ehre zuer-
kannt werden, woraus der künstlerische Fortschritt sich ergibt, daß
nicht mehr nach altem Brauch mit Weiß und Schwarz gemalt wird,
sondern die diskreten Charaktere als gleichberechtigt sowohl mit
Licht wie Schatten getönt werden. Weiter ergibt sich als Folge des
impressionistisch -realistischen Stilwillens, daß auch die Sprechweise
durchaus berufsständisch behandelt ist gemäß der Beobachtung, daß
jeder Stand seine eigene Sprache hat. In diesem Sinne, und nicht
nur als Mittel der Komik, ist auch der Judenjargon des Gläubigers zu
werten, obwohl hier die Tradition stark mitgesprochen hat, denn seit
Anfang des 19. Jahrhunderts ist die im Humanitätszeitalter in die
Dichtung eingeführte Figur des sympathischen Juden immer mehr
parodistisch ausgewertet worden unter Ausnutzung des Idioms wie
des typischen jüdischen Wortwitzes.
5. „DIE JOURNALISTEN".
Diese realistische Kunst wurde gefördert durch das Beispiel zeit-
genössischer englischer Dichtung, vor allem des Romans. Die große
Begabung von Dickens, durch charakteristische Kleinmalerei komische
T37pen in blutvoller Menschlichkeit zu verlebendigen, in denen die wider-
spruchsvolle Komplexität menschlicher Charaktere durchaus gewahrt,
aber die Widersprüche durch den Humor der Gestaltung versöhnt
wurden, lockte zur Nachahmung. Einzelne Kunstmittel, wie die Ge-
sprächsmimen, waren bereits durch den langgeübten Brauch stehender
Redensarten vorbereitet. Jetzt aber suchte und fand man in dieser
humorvollen Wahrheitsschilderung die Gesundung von der pessimisti-
280 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830— 1885).
sehen Skepsis, die sich der denkenden und fühlenden Deutschen be-
mächtigt hatte infolge der durch die Ereignisse der vierziger Jahre
begreiflichen Verzweiflung an der Vernunft der Geschichte. Realisti-
sche Erfahrung sollte die bankerotte idealistische Spekulation ersetzen.
Und dafür war Dickens ein willkommenes Vorbild. Gustav Freytag
gestand dies für seine Person ausdrücklich. Die reife Frucht dieses
Genesungsprozesses waren „Die Journalisten" — gleich eine der
ersten Zeilen nennt den Lieblingsdichter Boz — , die am 8. Dezember
1852 in Breslau ihre Uraufführung erlebten.
Frey tag hatte hier einen Berufsstand als Objekt ausgewählt, den er
aus eigener Erfahrung genau kannte, und der seit der jungdeutschen
Bewegung im Gleichschritt mit den politischen Ereignissen immer
mehr in den Vordergrund öffentlichen Interesses gerückt war. Bauern-
felds „Literarischer Salon" (1836), eine Satire gegen die journa-
listische Tätigkeit Bäuerles (=Dr. Wendemann) und des berüchtigten
Saphir (= Morgenroth), ist nicht sein einziger Vorgänger, und andrer-
seits hat er bis in die Gegenwart — Knut Hamsun „Vor des Reiches
Pforten", Schnitzler „Fink und Fliederbusch" — Nachfolger gefunden.
Auch technisch bot der Verfasser der „Technik des Dramas" nichts
Neues. Die Charakteristik bedient sich vielfach der bequemen direk-
ten Schilderungsmittel; des technisch unbeholfenen Beiseitesprechens
kann Freytag ebensowenig wie Bauernfeld entraten ; einige Reden sind
viel zu lang für einen flüssigen Dialog; selbst die Handlungsführung
weist Schwächen auf, wie den lahmen Schluß des ersten Aktes.
Auch Freytag macht Gebrauch von der großen Episodenszene, die,
wie bereits mehrfach beobachtet wurde, zum Gemeingut der Lust-
spielliteratur der Jahre 1830 — 1885 geworden war, aber er hat sie,
die humorvolle Piepenbrinkepisode, glänzend ins Handlungsgewebe
eingeflochten. In Einzelheiten, wie den beiden Frauengestalten oder
dem Programm der Ressource, glauben wir Anklänge an Bauem-
felds „Kategorischen Imperativ" zu finden ; die traditionelle Judenfigur,
die in Schmock einen der köstlichsten Vertreter gefunden hat, geht
auf eine in Freytags Erinnerungen aufgezeichnete Anekdote zurück.
Und trotz aller Schwächen, alles Überkommenen und Übernom-
menen ist das Lustspiel von einer Selbständigkeit und Frische, daß
es auch heute noch zu unseren erfolgreichsten Bühnenwerken zählt,
und mit Recht, wenn wir auch die dichterische Wertung, die es zu
einem unserer besten Lustspiele überhaupt stempeln wollte, nicht
anerkennen. Die Wirkung des Lustspiels beruht in der aufrechten,
kernhaften Gesinnung des Dichters, der hier wirklich nach Schil-
lers Rezept durch sein Subjekt das Objekt in der ästhetischen
Höhe hält, und in der lebendigen Kraft, mit der er die verschiedenen
Charaktere und Typen gegeneinander abtönt und sie doch alle von
höherer Humorwarte aus ihr Licht empfangen läßt. Gewiß ist Olden-
dorf ein etwas allzu steifer Teilheim, Ida eine allzu tatenlose rührende
„Die Journalisten". 28 1
Haustochter, aber auch das an sich Unzulängliche wird belebt durch
die starke, klare, lichte Persönlichkeit, die in dem Verfasser hinter
dem Ganzen steht. Trotz aller Traditionsgebundenheit scheint es
mir hier berechtigt zu sein, mit einer Beugung der Begriffe, von Ur-
erlebnis, im Gegensatz zu Bildungserlebnis, zu reden, aus dem das
Lustspiel geboren ist.
Vor unseren Augen zieht eine ganze Reihe von Genrebildern vor-
bei, die alle den Stempel realistischer Formung tragen. Freytag ver-
schmäht alle extreme Schilderung und sucht den Wahrheitseindruck
vor allem durch die Mischung der Töne und ihre Dämpfung zu er-
zielen. Selbst der Idealtypus des Journalisten, der gewandte, liebens-
würdige Konrad Bolz, wirkt nicht etwa durch eine zu stark unter-
strichene Idealisierung schal, sondern bewahrt sich von Anfang bis
zum Schluß unsere Sympathie, da Ansätze zur Sentimentalität immer
wieder sofort durch karikierende Selbstpersiflage unterbrochen werden.
Es zeigt sich weniger ein ursprüngliches Dichtertum darin als ein
geschmackvoller Kulturmensch, der genau die Bühnenbedürfnisse
kennt. Dadurch gibt uns das Lustspiel vielleicht kein Wahrheitssein,
aber, was für den Theatererfolg durchaus genügend ist, Wahrheits-
schein. Wir erhalten einen Einblick in das Wahlgetriebe einer typi-
schen Kleinstadt und erkennen, zu welcher Bedeutung die Presse im
öffentlichen Leben bereits gekommen ist. Natürlich steht Freytag
durchaus auf der fortschrittlichen liberalen Seite, aber es berührt
überaus wohltuend, wie sympathisch er den politischen Gegner im
Obersten zeichnet. Zugleich ist der Oberst ein gutes Beispiel dafür,
wie Freytag traditionelle Typen — den Offizier sowohl wie den Vater —
verbürgerlicht und vermenschlicht.
Im tiefsten Grund holt sich das Lustspiel seine erquickende Frische
aus der neuen Zeitanschauung. Der Ruf zur Arbeit ertönt. Wohl
hören wir noch stark resignierende Töne, aber wir fühlen doch, die
Zeit pessimistischer Verzagtheit, fruchtloser Skepsis, quietistischer
Tatenlosigkeit ist vorüber. Noch seufzt die tatenfreudige Adelheid
über den „sehr tugendhaften und außerordentlich vernünftigen"
Oldendorf: „Etwas zu erobern, die Welt, das Glück, oder gar eine
Frau, dazu ist er doch nicht gemacht". Und selbst angesichts Bolz'
kommt sie zu dem Schluß: ,,Auch er ist resigniert, sie sind alle krank,
diese Männer. Sie haben keine Courage! Aus lauter Gelehrsamkeit
und Nachdenken über sich selbst haben sie das Vertrauen zu sich
selbst verloren". Aber Adelheid selbst, Bolz, das ganze Stück über-
zeugen uns: die Jugend siegt. Wollen und Handeln werden an die
Stelle von Denken und Dichten treten. Wenn wir noch in Bauern-
felds gleichzeitigen „Krisen" die leisen Töne eines verwienerten
Byronismus hören, so spricht hier in Freytags „Journalisten" eine
neue Zeit laut und deutlich zu uns. Preußen hat die Führung über-
nommen. Und dieses aktivistische Programm, dieses Bekenntnis zum
282 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
Mut, sich in die Welt zu wagen, verleiht dem Stück ebensosehr
seinen kulturgeschichtlichen Wert wie auch seine heute noch herz-
erfreuende Frische.
Wie abgeblaßt wirken dagegen Adolf Wilbrandts (1837 — 191 1)
„Maler", die um zwei Jahrzehnte jünger sind und oft als beste Fort-
setzung der , Journalisten" bezeichnet werden. Sicher versucht auch
Wilbrandt hier die Diderotsche Theorie vom Ständischen im Lustspiele
zu befolgen. Durch seinen langjährigen Aufenthalt in München war
dem Rostocker dessen Künstlermilieu vertraut, und nun gibt er uns
eine realistische Schilderung Münchener Künstlerromantik, deren Be-
deutung einmal im Genrehaften der Künstlertypen, dann in der ein-
gehenden Charakteristik der resoluten, liebenswürdigen Else liegt.
Doch gute Einfälle entschädigen nicht für den Mangel an starker
Persönlichkeit und echtem Dichterblut.
6. SCHWANKPRODUKTION.
Neben diesem Unterhaltungslustspiel höherer Art ging in dem
ganzen Zeitraum ein solches niederer Art her, das wir am besten mit
Schwank bezeichnen. Eine feste Grenzbestimmung zwischen beiden
Komödienarten ist ebensowenig festzusetzen wie eine zeitliche Abgren-
zung nach rückwärts und vorwärts, denn es gab von jeher und wird
immer Possen und Schwanke im Bereiche der Lustspielliteratur geben.
Am ehesten traf noch Hermann Schlag („Das Drama") die Wesens-
bestimmung des Schwanks, die auch Ernst Martin in seiner Über-
sicht über die Schwankliteratur abdruckt: „Der Schwank ist der
Typus des Leichthumoristischen; in ihm triumphiert das Ulkige und
Töricht -Harmlose, wie etwa in den Bürgern des Shakespeareschen
„Sommernachtstraums" ; der Schwank gehört Menschen, die sich und
der Welt ihren Lauf lassen und in der Masse des Lebens harmlos
mitschwimmen".
Der Schwank ist der moderne Nachfahr des antiken Mimus. Er
wird daher um so eher seine Pflege finden, wenn der Stilwillen der
Kunst realistisch gerichtet ist, denn sein eigentliches Feld sind die
komischen Zufälle des Wirklichkeitslebens. Er treibt sein Spiel mit
Dingen und nicht, wie das humorgestaltete Lustspiel, mit Ideen. Er
wurzelt im Diesseits und kennt nichts Jenseitiges. Er kennt kein
Schicksal, das die Diesseitsbegebenheiten vom Jenseits aus bestimmt
und dadurch einen idealen Nexus schafft. Sein Schicksal ist dies-
seitig, ihn regiert der Zufall. Der Zufall schafft irgendwelche Vor-
aussetzungen, die das Geschehen innerhalb des Schwanks bestimmen.
Sein pragmatischer Nexus ist daher nur ein scheinbarer, ad hoc er-
fundener. Gerade durch die Aufhebung der Weltgesetze wird die
Eigenwilligkeit des Schwanks bewirkt, der er seine beste Komik ver-
dankt. Es ist als ob Naturgesetze wie Schwerkraft plötzlich auf-
gehoben seien und nun alle Dinge toll durcheinanderwirbelten. In-
Schwankproduktion. 283
dem der Schwankdichter die zermürbenden Kleinigkeiten des Lebens
unerwartet zu den entscheidenden Größen macht, merken wir, welchen
tollen Unfug sie anrichten, sobald wir ihnen zu große Bedeutung bei-
messen. Und darin besteht die Schwankkatharsis, wobei aber aus-
drücklich betont sei: wenn einer dramatischen Gattung alle Lehrhaftig-
keit absolut fremd ist, so ist es der Schwank.
Sein einziges Ziel ist Lachen, und da schon der ernste Kant Lachen
für gesund erklärt, so mag der Schwank vielleicht die gesündeste
dramatische Gattung darstellen. Vielleicht gerade deshalb, weil trotz
aller tiefgründigen Gegenerklärungen Schadenfreude doch ein wirk-
sames Agens — wenn auch nicht das einzige — des Lachens ist, und
diese Schadenfreude, in ihrer harmlosesten Form, weiß der Schwank
zu wecken. Denn, um Harlans witziger Unterscheidung in seiner
„Schule des Lustspiels" zu folgen, der Schwank gehört der Gattung
der blamierenden Lustspiele an, die Lust über Schwäche erregen.
Sicher ist das Lustspiel nicht dazu da, sich mit den Bagatellen des
Lebens zu beschäftigen, aber wohl der Schwank. Er appelliert an die
groben Triebkräfte des Komischen und ist gerade dadurch seiner Massen-
wirkung sicher. Kalauer und Situationskomik sind seine Hauptelemente.
Der Vater des modernen Schwanks ist der vielgewandte und un-
bedenkliche Kotzebue. Sein fruchtbarer Nachfolger in der Herrschaft
über die Bühne unserer Epoche ist Roderich Benedix (1811 — 1873).
Seine überaus reiche Produktion setzt eigentlich erst ein seit dem Er-
folg, den sein „Bemoostes Haupt oder der lange Israel" (1839) erzielte.
Schon hier zeigt er seine Stärke und Schwäche. Er ist ein behäbiger
Kleinbürger von gutmütigem, moralisch einwandfreiem Charakter mit
einem etwas leicht entzündbaren Herzen. Ein Dichter ist er nicht,
aber ein gründlicher Kenner der Bühnenwirkung und der Mittel, sie
zu erzielen. Derbe Komik, gemildert durch einen Zuguß von Senti-
mentalität, wird in Ifflandsche Umgebung versetzt, denn der aus-
gesprochene Gegner von Shakespeares Lustspielkunst, der „Die Shake-
spearomanie. Zur Abwehr" schrieb, bewundert als Vorbilder Schrö-
der und Iffland. Es ist klar, daß der brave Spießer um so mehr
versagen muß, je mehr er sich hohe dichterische Ziele steckt, je
mehr er Lustspiele schreiben will.
Wo er dagegen in seiner eigenen Kleinwelt bleibt, wo er nur als
erfahrener Theaterkenner Schwanke schreibt, da ergötzt noch heute
seine leichte Erfindungsgabe und sein an Scribe geschultes Talent,
die Intrige zu komisch wirksamen Situationen zu führen, trotz des
Dialogs, dessen Nüchternheit, namentlich im Vergleich mit Bauern-
feld, an Unbeholfenheit grenzt. Charaktere kann und will er nicht
gestalten. Statt Individualitäten gibt er Karikaturen, statt Menschen
Rollentypen für die feststehenden Schauspielfächer: jugendlicher Held
und Liebhaber, Bonvivant, polternder Alter, jugendliche Naive, senti-
mentale Liebhaberin, schrullige alte Jungfer, die in zahlreichen Wieder-
284 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Das Unterhaltungslustspiel (1830 — 1885).
holungen mit leichten Abschattungen die Bühne bevölkern. Noch
heute bilden sie beliebte Typen, wie die Schwiegermutter aus seinem
„Störenfried" (i86l), die jeder Schwankschreiber auf der Bühne hin-
und herbewegt. Als gewiegter Theaterpraktiker bedient er sich natür-
lich auch des Gegensatzes sozialer Stände, wie es bereits Nestroy
getan hat, indem er in „Oben wie Unten" (1854) Herrschaft und
Dienstboten einander gegenüberstellt in zwei aufeinanderfolgenden
Bildern. Überall sind die Mittel der Handlungsführung die gleichen:
Mißverständnisse, Briefe, Verkleidungen — Hosenrollen sind im
Schwank stets wirkungsvoll — , Verwechslungen und zum Schlüsse
dann die Enthüllung und Aufklärung, wodurch endlich die ersehnte
Verlobung ermöglicht wird. Damit führt er trotz aller anscheinenden
Hindernisse, die im Publikum niemand für ernst nimmt, seine spieß-
bürgerliche Glücksmoral zum Ziel.
Es ist bezeichnend für den Durchschnittsgeschmack seiner Zeit,
daß er mit der seelenverwandten Charlotte Birch-Pfeiffer zu den be-
liebtesten und meist gespielten Bühnenautoren gehörte und damit
Gutzkows bissiges Wort bestätigte: „Sie müssen ja Glück haben
mit Ihren Stücken, denn fast alle fangen sie mit einer Hotelszene
an, mit: Kellner, eine Flasche Wein ! Wenn der Deutsche das hört,
so ist er gleich gewonnen". Daß das Hotel, als Sammelplatz ver-
schiedenartigster Menschen: Gäste, Wirt, Bedienung, die besten
Schwankmöglichkeiten ergibt, erlebten wir in den letzten Jahrzehnten
wieder mit Blumenthal und Kadelburgs „Im weißen Rössl" (1898),
dessen Berliner Glühstrumpffabrikant Wilhelm Giesecke immer wieder
versichert: „Det Jeschäft is richtig".
Aus der Masse von Benedix' gleichwertigen und gleichstrebigen
Zeitgenossen sei nur Gustav Räder (1810 — 1868), der Dresdener
Schauspieler und Possendichter, hervorgehoben, weil er in „Robert
und Bertram" (1850) uns eine überaus lustige Gaunerkomödie be-
scherte, die uns auch heute noch erfreut. Sie ist weiter nichts als
eine Reihe selbständiger Gaunerstreiche ohne jeden Versuch einer
durchlaufenden Handlung, Eine Menge komischer Situationen, deren
Wirkung namentlich in der ersten Abteilung durch die geschickte
vierteilige Bühnentechnik ganz originell ist, ist mit Gesangseinlagen
durchsetzt, die, wie in der Berliner Lokalposse, stellenweise ganz
selbständige Couplets sind. Weiter bezeugt die Abstammung von der
Lokalposse, daß ebensowenig zeitgemäße national- und sozialpolitische
Anspielungen wie der jüdische Typ fehlen, wie auch die Technik des
ersten Aktes an Kalischs ,, Einer von unsere Leut" erinnert; nur fehlt
der Dialekt, der aber bei Aufführungen von jeher trotzdem ausgiebig
verwandt wird — und mit Recht, da gerade Sächsisch sich besonders
gut zu komischer Wirkung eignet.
Gegen Ende unserer Epoche ist eine Entwicklung der Schwank-
technik über Benedix hinaus zu beobachten dadurch, daß die Schwank-
Schwankproduktion. 285
dichter ehrlich und bewußt von aller Sentimentalität absehen, die
früher ihr Werk zum Lustspiel erheben sollte, und nur auf drastische
Situations- und Wortkomik ausgehen. Das Rezept ist meistens dies,
daß ein notgedrungener Schritt abseits vom Weg der Tugend, Sitte
oder Konvention einen Rattenkönig von komischen Verwicklungen
nach sich zieht. Darauf beruht Rudolf Kneisels (1832 — 1899) „Der
liebe Onkel" und C.Lauffs (1858-1900) „Ein toller Einfall". Den Höhe-
punkt zwerchfellerschütternder Komik haben die Brüder Franz und
Paul V. Schönthan erreicht mit dem „Raub der Sabinerinnen" (1878),
worin der unverwüstliche Schmierendirektor Striese die behauptete
Komik des sächsischen Dialekts erweist, und Gustav v. Moser mit
dem „Bibliothekar" (1878).
Moser hat aus eigener Kenntnis des Milieus die Schwanktypen
um den Offizier vermehrt und damit der Überspannung militärischen
Selbstbewußtseins einen kathartischen Abfluß gewährt in dem „Veilchen-
fresser" (1876) und gemeinsam mit Franz v. Schönthan — das Kom-
paniegeschäft ist bezeichnend für die Schwankfabrikation — in „Krieg
im Frieden" (1879). Ernst Martin schreibt über die beliebten Militär-
schwanke: „Auch hier werden die Figuren bald stereotyp: der
brummige, aber gerechte General, der grandige, nicht sehr gescheite
Oberst, mit der im wahren Sinne des Worts das Regiment führen-
den Frau Oberstin, die charmanten, immer ebenso edlen wie bedürf-
tigen Offiziere, denen alle Herzen zufliegen; die für das bunte Tuch
schwärmenden Mägdelein, die dem Leutnantsschwiegersohn erst ab-
holden, dann aber bekehrten und schließlich die Schulden zahlenden
bürgerlichen Väter; die das Militär vom Feldwebel abwärts liebenden
Köchinnen und endlich die schimpfenden Unteroffiziere und die
drolligen Burschen. Die letzteren mußten gewöhnlich aus Ostpreußen
oder Polen stammen, anders tat man es nicht mehr, von wegen der
größeren Originalität. Die Handlung spielt im Kasino, auf der
Leutnantsbude, im Mannschaftszimmer, auf dem Kasernenhof. Stoff"-
lich sind alle diese Schwanke wenig originell, sie gleichen sich fast
immer sehr".
Solange Schwanke, ohne dichterische Prätension, als Theaterware
ihr einziges Ziel in der Erweckung harmlosen Lachens sehen, kann
nur ein Pedant gegen sie zetern. Dichtungen sind es nicht, und wir
haben den Begriff Literatur weitgespannt, wenn wir hier ihre Merk-
male streiften. Ihre Aufführungszahlen in unseren Theatern sind aber
sehr bezeichnend und oft ein sehr unerfreuliches Zeichen für die
Höhe unseres allgemeinen Kultur- und Kunstniveaus, insbesondere,
wenn sie nach der in diesem Kapitel betrachteten Zeitepoche immer
stärker durch den Import von Auslandsware bestimmt werden. Wenn
die unsterbliche „Charleys Tante" von Brandon Thomas mit ihrer
typisch angelsächsischen burlesken Situationskomik Heimatrecht auf
unserer Schwankbühne erwirbt, so ist dagegen wenig einzuwenden.
286 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
Schlimmer ist es, wenn seit der Jahrhundertwende die französische
Schlafzimmer- und Unterhosendramatik sich bei uns breit macht und
deutsche Nachahmungen hervorruft, die ohne die romanische Eleganz
in Dialog und Szenenführung gepfefferte Pikanterie und witzige Zwei-
deutigkeit in platte Lüsternheit und eindeutige Gemeinheit verkehrt.
III. HEBBEL,
RICHARD WAGNER, ANZENGRUBER.
I. FRIEDRICH HEBBEL,
a) Theorie.
In der Zeit, da ein Benedix Erfolg über Erfolg einheimste, zog
sich ein Grillparzer, verbittert über seine Mißerfolge, vom Theater
zurück, rang auch ein Hebbel unablässig mit der Abneigung, der er
überall begegnete, so daß er tatsächlich Grillparzers Entschluß sehr
nahestand. Wie Grillparzer war auch Hebbel eine zu bedeutende
Persönlichkeit, um in der Tradition aufzugehen. Seine eigenwillige
Prägung ist, wie in seinen Tragödien, auch in seinen Lustspielen
sichtbar.
Hebbels Urerlebnis ist die Disharmonie von Individuum wie Uni-
versum. Daraus ist sein — unsystematischer — metaphysischer Dog-
matismus zu verstehen, der als Frucht der dreißiger Jahre ihn immer
wieder mit den philosophischen Gedankenbauten seiner Zeit in Ver-
bindung setzt und der all sein Schaffen bestimmt. Diese im Einzelnen
wie im All vorhandene Disharmonie ist der Zwiespalt von Allge-
meinem und Besonderem. Je nachdem jenes oder dieses den Blick-
punkt künstlerisch-dramatischer Gestaltung beherrscht, grenzt Hebbel
die Bereiche von Tragödie und Komödie gegeneinander ab. Da aber
beides — wenn auch unvereinbare — Elemente des Ganzen sind, so
sind ,, Komödie und Tragödie im Grunde nur zwei verschiedene
Formen für die gleiche Idee". Und nun fährt er in Ablehnung
zeitgenössischer Dramatik fort: „Warum aber haben wir Neuren
keine Komödie im Sinne der Alten? Weil sich uns're Tragödie
schon so weit in's Individuelle zurückgezogen, daß dies Letztere,
welches eigenthcher Stoff der Komödie seyn sollte, für sie nicht mehr
da ist" (Tagebuch II, Nr. 2393). Wenn tragisches Leid aus dem er-
schütternden Erlebnis folgen soll, daß, in Übereinstimmung mit Hegels
geschichtsphilosophischem Begriff von der List der Vernunft, die über-
geordnete Macht des Weltwillens alles Eigenstreben vernichtet, sollen
wir in der Komödie erleben, wie jeder einzelne sich für souverän hält;
das Individuum weiß nicht, daß es nur ein Teil des Ganzen ist, es
ahnt nicht die Wahrheit dessen, was Hebbel metaphorisch ausdrückt:
,Jede echte komische Figur muß dem Buckligten gleichen, der in
sich selbst verliebt ist". Dies bedeutet aber, daß die komischen
Friedrich Hebbel: Theorie. 287
Figuren nicht ihre Komik erkennen, sondern „daß für die dar-
gestellten Personen alles bitterster Ernst ist, was sich für den Zu-
schauer, der von außen in die künstHche Welt hineinblickt, in Schein
auflöst". Vom Standpunkt der Komödienpersonen ist daher nie eine
versöhnende Harmonie zu erwarten, sie ersteht nur in dem Zuschauer;
dieser ordnet das auf der Bühne geschaute individuelle Kleinleben
seinem Gesamtweltgefühl ein und erlebt daher in sich den Humor
als empfundenen Dualismus zwischen den kleinen und eitlen Sonder-
wünschen und den überindividuellen Zielen.
In Übereinstimmung damit legt Hebbel in dem Hans- Sachs- Goethe-
schen Prolog zu seinem Lustspiel „Der Diamant" (1841) die Aufgabe
des Lustspieldichters dar; er
„Will Menschen, die wie Fackeln brennen, Und dämmernd über den Gestalten
Und ohne daß sie's selbst erkennen. Will ich ein wunderbares Walten,
Wie ein erleuchtet Alphabet Drin, wenn auch ganz von fern, der Geist,
Dem sind, der die Natur versteht, Der alle Welten lenkt, sich weis't".
Auf diese Weise entfaltet sich „die höchste Harmonie in den ver-
zerrtesten Gestalten, die Gottesschrift im Wurm". Und diese Ent-
faltung wird bewirkt durch den Zufall, nicht wie in der Tragödie
durch das Schicksal. Denn das Schicksal kann sich nur offenbaren
bei Menschen, die sich ihres Zusammenhangs mit dem Weltgeschehen
bewußt sind. In demjenigen aber, der so verstockt ist, daß er nicht
mehr Ziel göttlicher Emanation ist — „wenn der Mensch so sehr ver-
stockt, daß er den Funken nicht mehr lockt" — , kann doch der
Zufallsblitz noch schlagen und durch seine plötzliche Erhellung ihn
in seiner Nichtigkeit offenbaren. Also auch hier wieder wird die
ideelle Gleichheit von Tragödie und Komödie betont: „Immer ist es
der Mensch in seinem Konflikt mit den ewigen Mächten, mag man
diese nun fassen wie man will, der dem Drama in beiden Gestalten
die Aufgabe stellt, und der ganze Unterschied liegt in der Art der
Lösung".
b) Lustspielproduktion.
aa) „Der Diamant".
Das Lustspiel, in dem diese Theorie betätigt werden soll, ist „Der
Diamant" (vollendet 1841, gedruckt 1843 und abermals 1847). Seine
Aufgabe hat also nichts mit dem die Bühne seiner Zeit beherrschenden
Unterhaltungslustspiel höherer oder niederer Art zu tun. Ausdrück-
hch weist Hebbel im Prolog die Aftermuse zurück, die jenes Unter-
haltungslustspiel umschreibt:
,,Was ist ein Lustspiel nun? Ein Spiegel Man wiU nicht des Kometenschwenkers
Der Zeit, ein abgeriss'nes Siegel Geheimnis und des Sternenlenkers,
Des Lebens, das, geschickt gelös't, Man will erfahren, was der Staat,
Das Tiefstversteckte fein entblößt. Die Kirche auch, in petto hat.
288 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengniber.
Mit einem Wort: die Gegenwart Dem lieben Sohn erhalten wissen,
Ist, wie Narciß, in sich vernarrt, Sie hat sich ihr Portrait bestellt,
Sie will ihr Bildnis, zart umrissen. Und Du, Du bringst das Bild der Welt".
Doch Hebbel lehnt diese billige Art Ruhm zu ernten ab, selbst
auf die Gefahr hin, den von Berlin ausgesetzten Preis nicht zu erhalten.
Er erstrebt Höheres, und sein Vorbild dabei ist Kleist. Mit stolzem
Selbstbewußtsein schreibt er 1843: „Ich glaube, den Deutschen in
meinem Diamanten das zweite Lustspiel gegeben zu haben. Kleist
im „Zerbrochenen Krug" gab das erste. Die Sache ist so, das weiß
ich gewiß, es handelt sich nur darum, ob sie es morgen oder erst
in zehn Jahren eingestehen". Später wird er allerdings selbst kriti-
scher gegen sein Werk. Im Jahre 1861 nennt er die Ausführung „un-
erträglich". Er verlangt nur noch für die dem Lustspiel zugrunde
liegende Idee Anerkennung, und diese kann ihm nicht versagt werden.
Die Idee ist in dem Prolog klar ausgesprochen:
„Ich seh' an einem Edelstein
Des ird'schen Lebens leeren Schein
Und alle Nichtigkeit der Welt
Phantastisch-lustig dargestellt".
Um die Wirkung des Diamanten als Prüfstein zur Erkenntnis der
Welt zu erweisen, wählt er seinen Stoff nicht wie das Durchschnitts-
lustspiel „so in der Mitt' von Land und Hof", sondern er nimmt in
Übereinstimmung mit dem barocken Zwei weiten System gerade diese
polaren Gegensätze, durch die die Gesamtheit der Welt eingegrenzt
ist, und die daher in ihrer Spannweite für sie repräsentativen Cha-
rakter haben. Der Hofumgebung, die nach seinem eigenen Wort in
„Tapeten-Figuren-Styl" gehalten ist und in ihrer schematischen Zeich-
nung an romantische Märchen erinnert, stellt er das Bauernmilieu
gegenüber, das in Art und Lebendigkeit Kleists Vorbild nachgebildet
ist. Beide Gruppen werden miteinander in Verbindung gesetzt da-
durch, daß der Diamant von der höheren zur niederen gelangt, diese
durchläuft und zum Schlüsse wieder zur höheren zurückkehrt.
Der Dualismus, auf dem das ganze Lustspiel aufgebaut ist, zeigt
sich überall bis in die an sich unbedeutende Einzelheit, daß das
Streben deutlich ist, die verschiedenen Personengruppen innerhalb
der niederen Weltsphäre immer aus zwei Vertretern bestehen zu
lassen, von denen einer mehr aktiven, der andere mehr passiven
Charakter hat. Am wirksamsten zeigt sich dieser Dualismus an dem
Diamanten selbst. Als einfacher Stein hat er keinen Wert — Bar-
bara wirft ihn zum Fenster hinaus — , sein Sein übt keine Wirkung
aus, dagegen sein Schein, die ihm beigelegte Idee, die im Königs-
schloß den Fortbestand des Königsstamms und des Reiches bedeutet
und in der unteren Sphäre einen Geldwert von einigen Talern bis
zu einer halben Million, entsprechend der auf seine Wiederbringung
Friedrich Hebbel: Lustspielproduktion: „Der Diamant". 289
ausgesetzten Belohnung, wobei die Wirkung gemäß der Größe und
Bedeutung der beigelegten Idee wächst. Dadurch wird er das Agens
für den Humor, der in Hebbels selbsterlebtem Leid wurzelt, daß der
Einzelne seine Unabhängigkeit in dieser Welt nicht wahren kann.
Dies erhellt an den Personen, die alle erst durch den akzessorischen
Wert des Steins in Tätigkeit gesetzt werden; sie alle handeln also
unter einem Druck von außen; es ist, mit einem Wort Hebbels, nicht
eigene Krankheit, es ist fremdes Gift, was sie entstellt. Denn darin
besteht die eigentliche Wirkung des Steins, daß er jedermann in
dem ununterdrückbaren Bestreben, unter allen Umständen ihn zu
erlangen, sich in seinem Grundcharakter offenbaren läßt. Und diese
Selbstentfaltung gibt dem pessimistischen Ethiker Hebbel Gelegen-
heit zu zeigen, daß, außer dem naiven Jakob, sie alle, die sich ein-
ander den Stein abjagen wollen, sittlich minderwertig sind. Daß sie
alle kein Gewissen, kein Gefühl für das Recht des andern haben, daß
sie alle gegen die „Pietät", wie es Hebbel gern nennt, verstoßen,
beläd sie mit sittlicher Schuld, für die sie daher auch alle büßen
müssen; nur Jakob, der dieses Gefühl selbst Benjamin gegenüber
nicht verliert, bleibt schuldlos und erhält daher die Belohnung. Jakob
ist in seiner Naivität eine ungebrochene Natur, an seiner Realität
muß daher auch jede fixe Idee sich zerstoßen.
Aber dem metaphysischen Dualismus ist er trotzdem unterworfen,
ihm kann kein Mensch entrinnen. Am deutlichsten wird diese Ge-
bundenheit des Individuums an Benjamin: indem er seine persön-
lichen Wünsche verfolgt, muß er das höhere unpersönliche Ziel der
Wiederfindung des Diamanten bewirken und setzt sich gerade da-
durch der äußersten Lebensgefahr aus. Aber nicht nur an Benjamin:
jeder fördert in seinem Sonderstreben, den Stein für sich allein zu
gewinnen, das Gegenteil, indem er die Gegenkräfte wachruft und da-
durch wiederum zur Erreichung des höheren Ziels beiträgt. Wir
sehen also, wie auch im Humor jener metaphysische Begriff von der
List der Vernunft wirksam ist.
So eine tiefsinnige Humorauffassung ist bei keinem der erfolg-
reichen Zeitgenossen des Dichters zu finden. Aber allerdings ist
ihm die komische Verlebendigung nur in der Sphäre des Rüpelspiels
gelungen, und selbst hier erreicht er weder die lebendige Beweglich-
keit des Kleistschen Dialogs noch die wuchernde Fülle Grillparzers,
geradesowenig wie er die selbstaufgestellten Forderungen seines
Prologs erfüllt.
Hebbel ist so durch und durch Tragiker, daß er seinen Monu-
mentalstil, der für seine Tragödien die notwendige Ausdrucksform ist,
auch für seine Komödie verwendet und damit ihrem inneren Form-
willen Zwang antut. Dieser Monumentalstil zeigt sich in dem klaren,
übersichtlichen Aufbau des ganzen Stückes, in der parallelen Ein-
führung der einzelnen Gruppen, in der hintergrundartigen Behand-
Holl , Lustspiel, 19
20O Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
lung der Obersphäre, in der Linienführung der einzelnen Akte, von
denen etwa der erste ganz symmetrisch zwei Monologszenen von
Spieler und Gegenspieler als Zwischenglieder in drei Dialogszenen
einschiebt und dadurch den einfachsten Rh3^hmus von Dialog und
Monolog in fünffacher Gliederung erreicht. Durch all dies gewinnen
wir aber leicht den Eindruck des Konstruierten, wodurch der künst-
lerische Eindruck ebenso beeinträchtigt wird wie durch die Überzahl
von Monologen.
Andrerseits ist aber die Rüpelwelt mit ihrer saftigen Derbheit von
einer Frische, wie wir ihr, außer im „Zerbrochnen Krug", in jener
Zeit nur in den Lokalpossen begegnen, an die auch einige Figuren,
wie der Jude, erinnern. Ohne Beeinflussungen nachspüren zu wollen,
können wir Dr. Pfeffer mit Datterich, das Paar Jakob — Barbara mit
Valentin — Rosel („Verschwender") vergleichen, ebenso wie den listen-
reichen, stets neue Ausflüchte findenden Benjamin mit Kleists Dorf-
richter Adam, an den natürlich auch einige Züge Kilians erinnern.
Diese Parallelen bedeuten aber nichts weiter als die realistische Ge-
staltungskraft Hebbels, die in seiner Zeit erfrischend ist, wenn er
auch Kleist in der Geschlossenheit, Eindrücklichkeit und Lebendig-
keit nicht erreicht.
bb) „Der Rubin".
Auf künstlerisch höherem Niveau steht die Ausführung seines
nächsten Lustspiels „Der Rubin" (1849), wie schon aus A. M.Wagners
Beobachtung erhellt, „daß Vorkommen des Expositionsmonologs und
künstlerischer Wert in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen":
gegenüber den acht Monologen des „Diamant" gibt es im „Rubin"
nur einen, der zudem mit dem begleitenden Handlungsvorgang eine
andere Funktion hat. Vor allem aber sind die beiden Sphären durch
die Einheitlichkeit der Farbengebung einander genähert. Die Schärfe
und Schroffheit des „Diamant" ist gemildert zugunsten einer weichen
Tönung, die wienerisch anmutet. Sicherlich hat zu dieser inneren
Versöhnlichkeit beigetragen, daß das Revolutionsjahr dem Dichter
Zugang zu den bisher zögernden Bühnen brachte, wodurch sein
Jahresrückblick eine ungewohnte relative Befriedigung atmet.
Der Stoff, der eigene Erfindung ist, hat insofern Ähnlichkeit mit
dem des „Diamant", als auch hier ein Edelstein das unbesiegliche
heiße Verlangen nach seinem Besitz weckt und dadurch die Gefahr
sittlicher und metaphysischer Schuldverstrickung hervorruft. Die erste
Formung findet dieser Stoff in dem Märchen von 1837. Seit 1843
trägt sich Hebbel mit Plänen zu dessen Dramatisierung. Der innere
Werdegang mag der sein, daß der Dichter sich selbst immer mehr
mit dem Helden Assad identifiziert. Er selbst ist wie Assad der Arme,
der das Höchste träumt und kühn die Hand nach dem Wertvollsten
streckt. Die Stimmung steigt auf, die den an Leib und Seele banke-
Friedrich Hebbel: Lustspielproduktion: „Der Rubin". 29 1
rotten Hebbel Ende 1845 nach Wien führt und dort unerwartet
äußeres und inneres Lebensglück, bewundernde Freunde und eine
liebende, bedeutende Frau gewinnen läßt.
Erleben gibt dem phantastischen Einfall seelischen Gehalt und
schmilzt ihn erst ein in die ganze Lebens- und Weltanschauung des
Dichters. Wieder ist die Komödie dualistisch aufgebaut. Der gute
und der böse Geist wechseln in ihrer Herrschaft wie Tag und Nacht.
Neben Assad steht Hakam wie Materialismus neben Idealismus. Der
tiefste Träger des Humors ist aber wieder jener metaphysische Dua-
lismus, die Unvereinbarkeit des Einzelwillens mit dem Weltwillen.
Auch Assad unterliegt seiner menschlichen Natur, die das Kostbarste
um jeden Preis behalten will und dafür kampfbereit gegen jeden
Gegner, und sei er auch der größte Wohltäter, der Lebensretter,
oder der heilige Gebieter über Leben und Tod, der Kalif, anrennt.
Aber auch er muß das höhere Walten der Hegeischen List der Ver-
nunft erfahren, die ihn zwingt, das Liebste wegzuwerfen, um es da-
durch erst zu erringen. Darin besteht der Humor, daß unerwartet
einmal im Menschen der Universalwillen mit dem Eigenwillen in Ein-
heit zusammenklingt, was sonst nur der Gottheit beschieden ist, aber
dies kann nur geschehen durch Vernichtung des Eigenwillens. Nur
indem der Mensch auf sein Ich verzichtet, eint er sich mit der Gott-
heit. Daraus ist der tiefere Sinn der dunklen Tagebuchaufzeichnung
zu verstehen: „Humor ist Zweiheit, die sich selbst empfindet".
Diese Aufhebung des Eigenwillens ist aber nicht etwa eine un-
überlegte Handlung, Willenlosigkeit ; in all ihrer Impulsivität ist sie
Ausdruck sittHcher Lebensanschauung. Assad teilt mit Hebbel den
idealistischen Rigorismus des Ibsenschen Brand, der ihn alles oder
nichts fordern läßt. Wie Hebbel bereits 1836 als beste Lebensregel
aufzeichnet: „Wirf weg, damit du nicht verlierst!", so muß Assad den
geliebten Rubin wegwerfen, um seinen Inhalt zu gewinnen. Er be-
tätigt die strenge sittliche Forderung von Ibsens Brand und wird da-
durch zu dessen Erkenntnis geführt:
„Sieger werden nur Verzichter,
Erst Verlornes wird Erworbnes; —
Ewig lebt dir nur Gestorbnes!"
Aber nicht nur das Verhältnis von Mensch und Gottheit, auch
das von Individuum und Welt ist dargestellt, am weitesten gespannt
in der Polarität Assad— Hakam. Der realistische Lump stammt aus
der Rüpelsphäre des „Diamant" und bildet in seiner von irgend-
welchen Idealen nicht beschwerten Unbedenklichkeit und Anpassungs-
fähigkeit, seiner materialistisch-relativistischen Skepsis einen humor-
voll erleuchtenden Kontrast zu dem idealen Schwärmer Assad. Die
sitthche Wertung von beider Diebstahl bezeugt die Identifikation
von Hebbel mit Assad. Assad tut dasselbe, was Hakam getan hat;
19*
2Q2 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
die Welt muß ihn verurteilen, wie er Hakam, und hat nicht unrecht;
dennoch steht das sittliche Recht auf seiner Seite. In dieser Er-
kenntnis liegt Hebbels tiefstes sittliches Erlebnis seiner genialen Aus-
nahmestellung, das er am 19. Dezember 1836 an EHse in die Worte
kleidet: „Ahnst du, daß über mich am Ende etwas Höheres schwebt,
so ahne auch das daraus Folgende, daß ich, ganz anders konstruiert als
andere, selbst da recht haben kann, wo die Welt nicht unrecht hat".
Bedauerlich ist, daß dies tief innerlich erlebte Lustspiel mit seiner
dämmrig ahnungsvollen Phantastik einen Bruch seiner humorvollen
Geschlossenheit erfährt durch Beimischung satirischer Anspielungen
auf die absolutistische Regierungsform. Diese mögen noch so sehr
in Hebbels Gesamtlebensanschauung verankert sein; daß sie hier
Platz fanden, ist doch der Einfluß vergänglicher Zeitverhältnisse,
und das Publikum hat sie daher, trotz ihrer phiUströsen Verkennung,
mit Recht abgelehnt.
cc) „Michel Angelo".
Die günstigen Perspektiven, die sich Hebbel im Revolutionsjahr
eröffnet hatten, waren bald wieder überschattet. Gerade bei Ge-
legenheit der Uraufführung seines „Rubin" offenbarte sich die ge-
hässige, mißgünstige Kritik. Daraus und aus den bitteren Erfahrungen
der Münchener, ja der ganzen Entwicklungszeit erwuchs der Wunsch,
durch künstlerische Formung sich das Quälende vom Hals zu schaffen.
Den Stoff gab ihm eine an eigenes Verhalten und Denken erinnernde
Anekdote Vasaris aus dem Leben Michel Angelos. Diesem gewaltigen
schöpferischen Geist von tiefem sittlichen Gehalt und zeitloser,
monumentaler Künstlergebärde war Hebbel, wie schon der Jung-
deutsche Gustav Kühne — noch vor dem Drama — und heute wieder
A. M. Wagner beobachtet haben, innerlich verwandt. Nur äußerlich
zollt er mit „Michel Angelo" (1850) Tribut der damals beliebten
Künstlerdramatik, wie sie der grobstrichige Theatraliker Deinhardstein
in „Boccaccio", „Garrick", „Hans Sachs", „Salvator Rosa" vertrat,
oder aber, weit anmutiger und feiner, Emanuel Geibel in seinem auf
einen altflorentiner Schwank gründenden Lustspiel „Meister Andrea"
(1841). Wie der mächtige Einsame der Renaissance aus seinen see-
lischen Bitternissen heraus schuf, so litt Hebbel sein ganzes Leben
unter dem Widerspruch seines künstlerischen Selbstbewußtseins mit
der Schätzung durch seine Zeit, htt ebensowohl als Künstler wie
als Mensch, denn, wie er einmal ausspricht: ,,Wenn ich glücklich
seyn soll, so muß ich in der Mitte einer empfänglichen Umgebung
stehen, auf die ich wirken kann, denn in mir ist Gott Lob der
Mensch noch mehr als der Künstler I"
Sein zweiaktiges Drama „Michel Angelo" ist daher nicht nur
Abrechnung des Künstlers mit Kritikern und Publikum, es ist eine
Darstellung des Ethos der großen Künstlerpersönlichkeit, der, wie
Fr. Hebbel: Lustspielproduktion: „Michel Angelo". R. Wagner: „Meistersinger". 293
wir schon aus dem Briefe an Elise vom 19. Dezember 1836 hörten,
gemäß ihrer überragenden Größe auch eine exzeptionelle Stellung
und Wertung gebührt. Es ist daher kein Verletztsein kleinhcher Eitel-
keit, es ist wahres, in Kunst- und Lebensauffassung begründetes
Leid, dessen Überwindung den Humor dieses Lustspiels erzeugt. Der
Dichter kommt daher auch über das isolierte Persönliche hinaus, das
im besten Falle Satire hätte werden können. Der ausgeweitete Schluß
erhebt das Einzelerlebnis zur Allgemeingültigkeit durch den Hinweis auf
jene überindividuelle sittliche Ordnung, die selbst den Teufel in der
Gotteswelt für existenznotwendig erkennt als jene Kraft, die stets das
Böse will und stets das Gute schafft. Des Papstes Schlußrede, in
der er diese Erkenntnis darlegt, erinnert an die Schlußworte von
Grillparzers Bischof Gregor, der wie jener das Bild vom Weizen
und Unkraut gebraucht. Doch während Grillparzer bei einer pessi-
mistischen Toleranz, einer quietistischen Lebenshaltung stehenbleibt,
hat sich Hebbel hier aus seinem jugendlichen Pessimismus zu einer
optimistischen Weltauffassung durchgerungen, zu der Gewißheit, daß
der eigene Zwiespalt, der Zwiespalt des Individuums, der immanente
notwendige Zwiespalt des Kosmos sei.
Diese Gehaltstiefe deckt sich nicht mit dem anekdotischen Schwank-
motiv des Stofflichen, wodurch eine Dissonanz entsteht, die die reine
Kunstwirkung beeinträchtigt: der possenhafte Stoff und die ihm ent-
sprechende derb-lockere Knittelversform vertragen sich nicht mit dem
weltanschaulichen Gehalt, der den Humor bestimmt. Vor allem fehlt
es aber auch hier wieder an heiterer Lebensfülle. Gewiß bekunden
die italienischen Volksszenen, die den zweiten Akt einleiten, eigene
Erfahrung, ihre impressionistische Schilderung ist überaus lebendig;
aber gerade von ihnen heben sich dann wieder die Hauptpersonen
trotz aller realistischen Zeichnung zu rhetorisch ab. Wir schauen
in weite Fernen und überschauen dadurch den Reichtum der Nähe.
2. RICHARD WAGNER: „DIE MEISTERSINGER".
Weite Fernsicht und heitere Lebensfülle finden sich in vollendeter
künstlerischer Vereinigung in Wagners (1813— 1883) „Meistersingern".
Der erste Entwurf unmittelbar nach Vollendung der Tannhäuser- Partitur
(1845) war gleichsam das parodistische Satirspiel nach dem Sänger-
streit auf der Wartburg. Wie Hebbel im „Michel Angelo", auch
mit ähnlichem Motiv des Urhebertauschs, aber bitterer, „frivoler",
ohne jede Versöhnung, hielt Wagner hier Abrechnung mit den
zünftigen Kritikern und stellte das Genie in romantischem Über-
schwang als räum- und zeitlos dar. Wagners stürmischer Lebens-
wille verneinte die leidvolle Gegenwart und erhoffte, was diese
ihm versagte, von der Zukunft. Sein Gegenwartspessimismus heißt
ihn alles niederreißen, um es in gläubigem Zukunftsoptimismus rein
294 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
und schön neuaufzubauen. Wagner war Revolutionär, aber von jener
aristokratischen Prägung, jenem Glauben an die starke Persönlich-
keit, der ihn als Erben klassisch-romantischer Denkrichtung erweist;
doch teilt er auch die Lebensstimmung des Vormärz, die ihn mit dem
russischen Kommunisten Bakunin zusammenführte und in die Revo-
lutionswirren verwickelte.
Damals hatte er sich allerdings schon längst wieder von dem Meister-
singerplan abgewandt. Die Zeit seiner bittersten Kämpfe und Nöte
beginnt, die mit dem Zusammenbruch aller seiner Hoffnungen 1861
ihren Tiefpunkt erreicht. Wie Kleist in ähnlicher Lage hätte ihn
nun eine „ernste, schwermütige Dichtung ruinieren" müssen, und wie
jener konnte er sich nur durch eine Humordichtung Genesung er-
hoffen. Da griff er wieder zu dem alten Entwurf, und 1862 ist die
Dichtung „Die Meistersinger" vollendet. Die siebzehnjährige Zwischen-
zeit bedeutet Wagners künstlerische und menschliche Reifung, wie sie
als Klärung seiner Ziele, Erfahrungen und Stimmungen durch die
Lehre Schopenhauers sich vollzog. An Stelle des aristokratischen Re-
volutionärs beherrscht nun die abgeklärte Lebens- und Kunsterfah-
rung Hans Sachsens das Stück. Wir fühlen: Richard Wagner hat
die Revolution überdauert; reifer geworden, hat er Sinn und Not-
wendigkeit des Bestehenden erkannt. Auf den Sturm und Drang
folgt die Resignation. Doch ist damit sein Lebenswille wohl gedämpft,
nicht ertötet. Statt Revolution wird Regeneration sein Ziel. Und dazu
dient ihm die Kunst als „der freundliche Lebensheiland, der zwar nicht
wirklich und völlig aus dem Leben hinausführt, dafür aber innerhalb des
Lebens über dieses erhebt und es selbst uns als ein Spiel erscheinen
läßt, das, wenn es selbst zwar auch ernst und schrecklich erscheint,
uns hier doch wiederum nur als ein Wahngebilde gezeigt wird, das uns
als solches tröstet und der gemeinen Wahrhaftigkeit der Not entrückt".
Dieser Hymnus deutscher Kunst, der uns aus den „Meistersingern"
entgegentönt, ist tief ernst mit seiner Mahnung: „Ehrt eure deutschen
Meister". Hans Sachs ist durchaus nicht nur der sympathisch ge-
zeichnete Vertreter der alten Zeit, der im Gegensatz zu seinen Ge-
nossen den Weg zu dem Genie in Walther Stolzing ahnt. Er ist
selbst Genie, indem er, durch Mitleid wissend, eine reine objektive
Lebensanschauung betätigt. Die spontane überwältigende Huldigung
des Volkes für Hans Sachs gilt dem großen Führer, mit dem ver-
bunden nur das Volk sich gesund entwickeln kann. Diese Einheit
der polaren Gegensätze von Individuum und Volk bedeutet auch die
Einheit von Neutöner und Tradition, Genie und Regel, Freiheit und
Notwendigkeit: eine weisheitsvolle Erkenntnis, die Wagner selbst in
heißem innerem Ringen sich hatte erkämpfen müssen.
Damit ist die Dichtung nicht länger Satire. Mag Wagner auch
in Beckmesser seine hämischen und mißgünstigen Kritiker treffen
und unbedenklich Kotzebues mimische Komikmittel verwenden,
Richard Wagner: „Die Meistersinger". 295
das Werk ist Ausdruck ureigensten inneren Erlebens. Seelisches
Leid hat den Humor geboren, der in wehmutsvoller Melancholie in
die Abgründe des Lebens leuchtet und „Wahn, Wahn! Überall
Wahn!" findet. Künstlertum und Menschtum sind aus einem Mittel-
punkt heraus geschaut, und höchste Kunst offenbart sich uns als
Entfaltung reiner MenschHchkeit, wie sie sich in Hans Sachs verkör-
pert. Auch er muß die schneidenden Härten des Lebens erfahren;
doch er bekämpft die Disharmonien und besiegt sie.
„Doch des Herzens süß' Beschwer
Galt es zu bezwingen,
's war ein schöner Abendtraum:
Dran zu denken wag' ich kaum".
Der Kampf sittlicher wie ästhetischer Schönheit mit der Karikatur
im Leben und in der Kunst ist das Thema des Lustspiels, das jene
mit warmem Gefühl den Sieg erzwingen läßt. Durch Beckmessers gro-
teske Verzerrung des Preisliedes wird dessen Reinheit nicht vernichtet;
sie wird nur um so eindrucksvoller. Geradeso wird im Vorspiel die
Wucht und stolze Pracht des Meistersingerthemas nicht durch das
Beckmessermotiv in der Verzerrung dauernd aufgelöst, sondern er-
hebt sich daraus in um so würdevoller einherschreitender Schönheit.
Es ist der aus dem Innersten und Tiefsten schöpfende wahre Humor,
der alle Dissonanzen in reiner Harmonie vereint, der uns erschüttert
und uns doch den versöhnenden Halt des Lebens erfühlen läßt, wo-
raus die heitere Freiheit des Gemüts geboren wird.
Die Stoffquellen, insbesondere Deinhardsteins „Salvator Rosa" und
„Hans Sachs" sind namentlich durch Roethe, ergänzt durch Zademack,
bekannt; auf die Parallelen mit Arnolds „Pfingstmontag" habe ich
früher hingewiesen. Beseelung des Stoffes ergeben nationales und
romantisches Fühlen: Stolz auf die Volksgemeinschaft und Über-
zeugung von der Natürlichkeit und Volkstümlichkeit höchster Kunst;
deshalb erkennt auch das naive Volk den ursprünglichen Dichter in
Walther Stolzing früher als die gelehrten Meister.
Auch hier machen sich wieder die Zeitstimmungen geltend. Die
sechziger Jahre, in denen das Werk (1867) seine endgültige dichterisch-
musikalische Form fand, atmen die frühbismarcksche Atmosphäre.
Wohl hat auch das Frankfurter Parlament das Heilige Römische Reich
Deutscher Nation nicht wieder aufrichten können, aber der nationale
Gedanke ist nicht gestorben, er wächst und hofft immer zuversicht-
licher. Sein Träger ist das liberale Bürgertum, dem hier ein Ehren-
mal gesetzt ist. Der deutsche bürgerliche Liberahsmus aber ist vor
allem eine geistige Kulturgemeinschaft. Im stolzen Bewußtsein dieser
einheitlichen Kultur, deren edelste Blüte immer die Kunst ist, erstarkt
auch der Glaube an die nationale Einheit. Dieser Zuversicht gibt
Hans Sachs, der natürlich nicht identisch ist mit der historischen Per-
2q6 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
sönlichkeit des ehrbaren Schuster-Dichters, sondern der die idealisierte
Inkarnation dieses geistig-liberalen Bürgertums darstellt, Ausdruck:
„Zerging in Dunst das Heil'ge Röm'sche Reich,
Uns bliebe gleich die heil'ge deutsche Kunst!"
Dieses Wort ist aber nicht nur Prophezeiung des Deutschen Wagner,
es ist auch ernste Mahnung des Romantikers, der schweren Herzens
beobachtet, wie dieses Bürgertum Gefahr läuft, zugunsten eines
relativistischen Materialismus jene ideellen Güter geringzuachten.
All der Reichtum des Gehalts könnte aber diesem Lustspiele nicht
seinen hohen Kunstwert verleihen, wenn sich Wagner darin nicht
gleichermaßen als Beherrscher dramaturgischer, sprachlicher und
musikaUscher Formen erwiesen hätte. Roethe hat in seiner eindringen-
den Untersuchung über Quellen und Aufbau (Sitz.-Ber. Berl. Akad.
1919) gezeigt, wie Wagners dramatische Kunst, die ,,zur Verein-
fachung, zu den ernsten großen Linien" strebt, hier „nach bunten
Farben, heiterm und barockem Ausputz, literar- und kulturhistorischen
Haupt- und Nebenbeziehungen" verlangt. Und dieser Aufbau der
Dichtung wiederholt sich in der Partitur, die, in großer rhythmischer
Einfachheit gehalten, reichste Kontrapunktik aufweist. „Die Meister-
singer" sind von so abgerundeter, geschlossener innerer und
äußerer Formeinheit, daß hier wenigstens die Frage, ob ein großer
Dichter zugleich auch großer Musiker sein kann, die Gundolf in
geistvoller Begründung verneint, bejaht ist, „Die Meistersinger" sind
unser bestes deutsches Lustspiel.
Das Musiklustspiel, das frei ist von aller Ironie des ersten Ent-
wurfs, erzielt jene „erhabene, alle Schmerzen lösende Heiterkeit",
die auf der Anschauung tiefster Menschlichkeit sich gründet. Sein
Träger, Hans Sachs, ist jener Mensch reinsten Herzens, dem die
Gotteskindschaft auf Erden beschieden ist. Eine Fülle von Licht
gießt die leben- und liebesprühende Sonne des Johannistags über
die Welt des Lustspiels aus. Tollheit und Torheit neben erhabenster
Lebensweisheit; edelstes Kunstbekenntnis neben verzerrter Karikatur;
abgeklärte Entsagung und tollster Übermut: alles wirbelt durchein-
ander, und immer wieder strebt aus dem Tanz der Erscheinungen
hervor alles irdischen Wesens wahrstes Sein: reine Menschlichkeit.
Hier verschlingen sich Schein und Sein, shakespearische Lebens-
freude und romantische Verinnerlichung zu der Blüte deutschen
Lustspiels, das in seinem humorvoll-heiteren Bekenntnis zu deutscher
Art und Kunst die Vermählung Shakespeares und des deutschen
Geistes verkündet.
Wagner schrieb: ,,Mich leitete bei meiner Ausführung und Auf-
führung der ,, Meistersinger" die Meinung, mit dieser Arbeit ein dem
deutschen Publikum bisher nur stümperhaft noch vorgeführtes Ab-
bild seiner eigenen wahren Natur darzubieten, und ich gab mich der
R.Wagner: „Meistersinger". L. Anzengruber: Grundlagen des bäuerlichen Volksstücks. 297
Hoffnung hin, dem Herzen des edleren und tüchtigeren deutschen
Bürgertums einen ernstlich gemeinten Gegengruß abzugewinnen".
Seit Bülow am 21. Juni 1868 in München die Uraufführung leitete,
ist dieser Gegengruß immer lauter, stärker und allgemeiner geworden.
„Die Meistersinger" sind auf dem schönsten Wege, Gemeingut des
deutschen Volkes zu werden.
Aus neuerer Zeit ist mit den „Meistersingern" an ästhetischem
Lustspielwert Strauß-Hofmannsthals „RosenkavaHer" zu vergleichen.
Die Parallelität geht fast bis zu den Einzelfiguren : Hans Sachs, Walther
Stolzing, Evchen, Beckmesser — Feldmarschallin, Octavian, Sophie,
Ochs von Lerchenau. Wie die „Meistersinger" so atmet der „Rosen-
kavalier" eine ganz bestimmte historische Luft, dort das 16. Jahrhun-
dert, hier das Rokoko. Beiderseits wird das Milieu mit impressioni-
stischer Kleinkunst geschildert, in der Dichtung und Musik zur Ein-
heit verschmelzen. Aus diesem lebendigen malerischen Kolorit beider
Werke ist aber auch ihr Unterschied zu begreifen, dort Darstellung
des Nationalen, hier des Internationalen, dort der solide bürger-
liche Geist des Hans Sachs, hier die Grazie des weltmännischen
Rokoko, dort gläubiger Protestantismus, hier ein formaler Katholizis-
mus, hinter dem die aufgeklärte Skepsis steht, dort wirkt das Sitt-
liche ergreifender, hier das Ästhetische erleichternder, dort erheben
sich aus der Resignation ernste Forderungen, hier bleibt es bei
resignierend-lässiger Beschaulichkeit. So verleiht verschiedener Form-
wille ähnlichem Ideengehalt gegeneinander abschattende Wirkung;
die geschlossene Folgerichtigkeit aber der Stilkunst in beiden Werken
läßt absolute Kunstwerte entstehen, mag auch der eine mehr plastisch,
wuchtend, klar, der andere mehr malerisch, spielerisch kraus an-
muten. Der verschieden gerichtete Stilwillen verbietet daher auch die
vergleichende Bewertung; doch dürfte die exklusive Bildungskunst
des „Rosenkavalier" wohl kaum jene breite Volkstümlichkeit der
„Meistersinger" erringen.
3. LUDWIG ANZENGRUBER.
a) Grundlagen des bäuerlichen Volksstücks.
„Die Meistersinger" zeigen uns, wie Bildungskunst und Volkskunst
sich durchdringen können. Immerhin gehört Richard Wagner wie
Hebbel — wenn bei echter Kunst überhaupt solche Unterscheidung
einen Sinn hat — dem Zweige der Bildungskunst an. Der dritte
Große dieser Epoche zählt dagegen unbedingt zur Volkskunst: Lud-
wig Anzengruber (1839 — 1889). Er bildet die Brücke zwischen dem
großen Realisten Hebbel und dem naturalistischen Dramatiker des
sozialen Mitleids Gerhart Hauptmann. Sein Schaffen ist ethnographisch,
traditionell und zeitUch bestimmt, aber seine eigentümliche Prägung
erhält es durch die Kraft seiner menschlichen und künstlerischen
Persönlichkeit.
2q8 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
Anzengruber wurzelt in dem oberösterreichischen Bauemstamm-
lande, dessen kernhafter Menschenschlag ein scharfes Profil zeigt aus
einer Mischung von selbstbewußter Kraft und natumaher Sinnen-
freude. Zu diesem bäuerlichen Elemente tritt das großstädtische des
Wieners, der als Angehöriger der Kleinbürgerschicht dem Bauern-
feldschen Großbürgertum fremd war und die Leiden und Freuden
des kleinen Handwerkers und des sich mit diesem vielfach mischen-
den Arbeiters teilte.
Diese Freuden wurden zum großen Teile bestritten durch die Volks-
bühnen, die in gröbster Theatermache das Erbe Raimunds und Nestroys
mit reporterartiger Zeitanteilnahme und Scribescher Sensation zer-
setzten. Immer mehr wurde das Volksstück in Form und Gehalt seines
naiven Kunstcharakters entkleidet und den brutalen Theaterinstinkten
der Galerie preisgegeben, um so mehr als um die Mitte des Jahr-
hunderts etwa das alte Stammpublikum durch die neuen, von Industrie
und Handel gezüchteten, sensationslüsternen Schichten verdrängt
wurde. Am sympathischsten unter seinen Autoren wirkt noch Friedrich
Kaiser (1814— 1875), der als routinierter Geschäftsmann Kassenerfolg
mit sozialmoralistischer Gesinnungspropaganda zu vereinigen suchte.
Alfred Kleinberg, dem wir nach Bettelheim eine neue breit angelegte,
aber in erstrebter Gründlichkeit oft allzu spitzfindig psychologie-
sierende Anzengruberbiographie danken, rühmt an Kaisers Bauern-
dramen als das Neue, „daß sie das Dorf als Ganzes und damit das
seelische Problem »Landmann« der Volksbühne gewannen". Es
spiegelt sich darin der Aufschwung, den das Bauerntum wie Bauern-
felds Großbürgertum im Nachmärz genommen hatte.
Bauemtypen waren schon früher vorhanden, meistens allerdings
nur in Lederhosen gesteckte Allegorien einzelner Eigenschaften. Bei
Raimund beobachteten wir bereits in Einzelnem lebenswahre Bauern-
schilderung. Dazu trat die Entwicklung der bäuerlichen Dorfdichtung,
wie sie sich noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts an die Namen
Gotthelf, Immermann, Otto Ludwig und vor allem Berthold Auerbach
mit seinen „Schwarzwälder Dorfgeschichten" (seit 1843) knüpft. Die
Bauernkomödie pflegte auch der Münchener Volksstückdichter Franz
Prüller (1805 — 1879), den Anzengruber mit Auerbach und Kaiser als
Paten seiner eigenen Bauernkunst nennt und der zur Tradition der
früher besprochenen süddeutschen Lokalpossendichter zählt.
Erwachsen aus dem Unwillen über die verwaschene Trivialromantik
und die jungdeutsche Tendenzdichtung, näherte sich die Dorfdichtung
rousseauistischer Lebensstimmung. Aber es ist nicht so sehr kultur-
müder Pessimismus als bejahender Naturoptimismus, der aus der
Stadt aufs Land treibt. Gerade von Anzengrubers eindringlichstem
Dorfphilosophen, dem Steinklopferhans aus den „Kreuzelschreibern"
hören wir dies deutlich. Aus seiner „extraigen Offenbarung" spricht
die Natureinheit des erdnahen Menschen, wenn er auch in seinen
Ludwig Anzen^uber: Grundlagen des bäuerlichen Volksstücks. Einzelwerke. 200
letzten Ursprüngen auf jenen philosophischen Bauerntyp des l8. Jahr-
hunderts zurückgeht, der sich als eine seltsame Kreuzung von Rous-
seau und Voltaire darstellt. Gleich Ludwig Feuerbach, mit dem der
Herausgeber von Anzengrubers Werken, Otto Rommel, bereits den
Dichter in Beziehung setzt, ist auch der Steinklopferhans ein um-
gestülpter Hegeling. Er hat erfahren, wie alle Illusionen des gei-
stigen Menschen uns nicht von unserm Erdenleid befreien können.
Aus dem Einklang mit der ungespaltenen Natur holt er sich die Kraft,
seinen Jammer beiseitezuwerfen und hinfort als sinnenfroher Natur-
mensch dem niederdrückenden Pessimismus des Geistmenschen zu
entsagen zugunsten eines fröhlichen Lebensoptimismus. Was Windel-
band zur Charakterisierung von Feuerbach schrieb, kann ohne weiteres
auf den Steinklopferhans angewandt werden: „Während er das Stich-
wort ausgab: der Mensch ist, was er ißt, hat er aus seinen eigenen
trüben Lebensverhältnissen heraus, mit dem unbeirrten Idealismus
seiner frohen Lebensbejahung seine Ethik der irdischen Glückselig-
keit entwickelt, seine Lehre, daß man den Menschen gesund und zu-
frieden machen müsse, um ihn gut zu machen".
Aus den letzten Worten klingt bereits die sozialistische Forderung,
die der Steinklopferhans am Ende des ersten Aktes erhebt, daß zu-
gunsten der „Tagwerker und Kleinhäusler" die indirekten Steuern
abgeschafft und durch direkte Besteuerung der Reichen ersetzt werden
müßten. Hieraus spricht deutlich die Zeit zu uns, in der die Not der Klein-
bürger und Arbeiter immer drückender wurde. Zu gleicher Zeit mit
der Erstarkung des SoziaHsmus reckte sich aber auch die katholische
Kirche zu bedeutungsvollstem Ausbau. Der kampffrohe Papst Pius IX.
setzte seine grundlegenden Reformen von dem Dogma der unbefleckten
Empfängnis 1854 bis zur Unfehlbarkeitserklärung 1870 durch und ent-
fachte drob den Konkordatsstreit mit Österreich und die von Döllinger
geführte Bewegung des Altkatholizismus. Das Echo dieser sozialen und
kirchenpolitischen Entwicklung hallt wider in Anzengrubers Dramen.
b) Einzelwerke.
„Die Kreuzelschreiber" (1872) nehmen unmittelbar Bezug auf den
Bruch Döllingers mit dem Papste und zeigen, welche starke Erregung
die Neuerungen Roms in den trotzigen traditionstreuen Bauernlanden
auslösten. Wenn Anzengruber auch keine Partei nimmt für oder wider
Döllinger, so geißelt er doch in aller Deutlichkeit, daß die Kirche
durch den Beichtstuhl die Frauen gegen ihre Männer aufhetze und
ohne Rücksicht auf den Familienfrieden härtesten Gewissenszwang
treibe. Aber indem er den Kampf der Männer und Frauen im Sinne
der „Lysistrace" des Aristophanes behandelt, weiß er der Satire die
Schärfe zu nehmen und durch den Sieg des Menschlichen, Allzu-
menschlichen über Verstandes- und Kirchengebot wirklichen Humor
zu erzeugen, der durch tragische Schatten vertieft ist. Da beide
300 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
Lager nacheinander aus dem gleichen Grunde ihrem Vorsatz untreu
werden — die Wiederholung mit umgekehrten Vorzeichen ist ein be-
sonders wirkungsvolles Mittel der Komik — , werden sie auch wieder ver-
einigt, und trotz des traurigen Geschicks des alten Brenninger be-
kennen wir uns zu des Steinklopferhans' Weisheit: ,,Mit'm Traurigsein
rieht' mer nix! Die Welt is a lustige Welt!"
In dem mit großem Geschick aufgebauten Lustspiel verspüren wir
uns in dem Stammlande des Barock; seine abgestufte Gliederung zeigt
den Wölfflinschen Barockcharakter der einheitlichen Tiefenwirkung
mit der relativen Klarheit des Gegenständlichen: Im Vordergrunde
steht das Ehepaar des Gelbhofes, das die Hauptmelodie trägt, die
nach hinten, über die anderen Männer und Frauen zu den Buben und
Dirndeln sich ausbreitend, vertönt. Die Verbindung der Jungen und
Alten, der Armen und Reichen, Männer und Frauen stellt der weiß-
haarig-jugendfrohe ,,Monbua" her, der bei all seiner Armut keinen
Reichen zu beneiden braucht, der Steinklopferhans, der die wider-
streitenden Mächte nicht nur äußerlich zu vereinigen weiß, sondern
auch in unserem Innern ihre Dissonanz in seinem zufriedenen, selbst-
sicheren Naturoptimismus auflöst. Diese Kunst, die auch überlegen
die musikalischen Elemente des traditionellen Volksstücks sich zur
Stimmungsmalerei einzuschmelzen versteht, schenkt uns mit der
frischen Derbheit der Bauerngestalten, die, trotzdem sie nicht etwa
naturalistisch sind, uns dennoch die Illusion der Lebenswahrheit er-
wecken, eines unserer besten Lustspiele.
Anzengrubers nächste Komödie „Der G'wissenswurm" (1874) steht
dahinter nicht zurück. Diesmal gibt er uns eine Charakterkomödie
des Grillhofers, dem nicht wie dem Steinklopferhans Übersinnliches
als Widersinniges, Übernatürliches als Unnatürliches gilt, sondern der
seine übersinnlichen Grillen für Wirklichkeit hält, so daß ihm selbst
die seelischen Gewissensskrupel ein leibhafter nagender Wurm in
seinem Innern sind. Solche Materialisierung rein geistiger Ideen ist
restlos nur in katholischen Landen nachfühlbar. Seit dem Mittelalter
sucht der katholische Kult seine Lehraufgabe darin, die geistig-reli-
giösen Inhalte zu veranschaulichen, zu versinnlichen, zu verkörper-
lichen. Kleinberg hat sehr gut ausgeführt, wie dadurch neben die
natürliche Wirklichkeitswelt eine zweite gesetzt wird, die, obwohl
religiös-geistigen Ursprungs, dennoch durchaus analogen Kausalver-
knüpfungen unterliegt, trotz ihrer tatsächlichen Irrealität doch in ihrer
Wirkung durchaus real empfunden wird. Noch heute finden wir diese
Spaltung in katholischen Bauern: gesunder, unbestechlicher Wirk-
lichkeitssinn und ebenso unerschütterlicher Glaube an die Realität
geistiger Vorstellungen, eine Art romantischer Doppelnatur. Der Dua-
lismus, der häufig dem Bauern als Heuchelei ausgelegt wird im Sinne
etwa des Fontaneschen Wortes, daß der Engländer Christus spreche
und Baumwolle meine, ist nicht nur ein Widerspruch von Worten
Ludwig Anzengruber : Einzelwerke. 301
und Taten, es ist das Vorhandensein zweier gleichmäßig Denken,
Fühlen und Handeln bestimmender Sphären.
Wenn wir den Grillhofer so aus dem Katholizismus heraus ver-
stehen können und darin bei der Einstellung Anzengrubers gegen-
über der Kirche wohl auch den zureichenden Erklärungsgrund seines
Zwiespalts erbhcken dürfen, so mögen doch auch jene parallelen
Gedankenströmungen in dieser Gestalt nachwirken, die gleichzeitig
etwa den Hegeischen Idealismus ablösten. Die eigenartige gleich-
zeitige Existenz von natürlicher und alogischer Realität in Grillhofer
wirkt, als ob mit dem Materialismus sich hier der Irrationalismus ver-
knüpfe. Aber wir erleben hier auch, daß Anzengruber ebensowohl
den platten Materialismus wie den pessimistischen Irrationalismus
überwindet und sich zu einem voluntaristischen Optimismus be-
kennt, der das Gute als erstrebenswert und erreichbar und zugleich
als höchsten vereinigenden Ausdruck sowohl des Wahren wie des
Schönen betrachtet. Er hat damit als einer der ganz Wenigen,
und obwohl er doch als Österreicher ihr ferner steht, den An-
schluß gefunden, wenigstens der Idee nach, an die Großzeit poli-
tischen Lebens Deutschlands, die Ausdruck der Willenskraft einer
überragenden Persönlichkeit ist; er findet daher in seinem Heimat-
lande auch den inneren Anschluß an die die Zeit bewegenden In-
teressen und spiegelt sie wider in seinen Werken. Wenn seine
Zeitgenossen noch durchaus an Schopenhauer festhalten, teilt er
schon Eduard v. Hartmanns Glauben an die Vernunft historischer Ent-
wicklung. Und ähnlich wie Hartmann die Fülle des Wirklichkeits-
geschehens zu fassen suchte und damit die Brücke fand zu dem
wundervollen Aufschwung naturwissenschaftlichen Forschens und
empirischer Psychologie, so verspüren wir auch bei Anzengruber,
wie er die Hand am Pulsschlag des Lebens seiner Zeit hält, ohne
sich in metaphysische Grübeleien zu verlieren. Vom Standpunkte
des früheren Idealismus aus stellt sich dieser Wirklichkeitssinn als
nüchtern dar, er führt uns, wie schon Windelband beobachtete, ins
l8. Jahrhundert zurück: ,, Fassen wir nämlich alles zusammen, was
darin sich verbunden hat, die Gleichgültigkeit gegen metaphysische
Grübeleien, der Sinn für das Tatsächliche und Praktische, die Vor-
liebe für das empirisch -psychologische Studium des Menschen im
Rahmen naturwissenschaftlicher Denkweise überhaupt — so haben
wir darin alle Züge der Aufklärung vor uns".
Dieser Aufklärung entspricht es auch, wenn Anzengruber dem
Volksstück, das er pflegte, die Aufgabe zuweist, „belehren, aufklären
und anregen zu wollen", also die alte lateinisch-französische poetische
Theorie wiederholt: Instruire en amüsant. Aber die Belehrung ge-
schieht in seinen Komödien mit so viel echtem Humor, daß wir die
Tendenz nicht aufdringlich empfinden, am wenigsten vielleicht gerade
hier im „G'wissenswurm". In den beiden Hauptgestalten, dem grillen-
302 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Hebbel, Richard Wagner, Anzengruber.
gläubigen Grillhofer wie dem äußerlich und innerlich düsteren Dorf-
tartuffe Düsterer, erscheinen prachtvolle Bauerntypen von greifbarer
Realität, die uns überzeugen, daß Anzengruber den früher beobach-
teten Dickensschen Realismus vollendet beherrscht und in impres-
sionistischer Kleinmalerei mit Hilfe von Gesprächsmimen und stereo-
typen Redensarten Inneres und Äußeres, Gestalt und Charakter mit-
einander in Beziehung setzt.
Derbe Diesseitsfreude lacht auch aus dem ,, Doppelselbstmord"
(1875), worin Anzengruber, ähnlich wie Gottfried Keller, Shakespeares
Romeo und Julia ins Dorf versetzt hat, aber nicht in tragischer No-
vellenstimmung, sondern in lustigster Komödienform. Nur will das
Verwechslungsmotiv, daß die feindlichen Alten und mit ihnen das
Dorf den Brief der sich liebenden Jungen von ihrer ewigen Ver-
einigung als Selbstmordabsicht auffassen, während diese nur in erd-
naher Sinnenlust ihre Heirat, wenn auch ohne elterlichen und kirch-
lichen Segen, vollziehen wollen, etwas zu possenhaft wirken gegen-
über dem tiefen Humor, der aus der Gegenüberstellung der köstlich
naiv-egoistischen Lebensauffassung des reichen Sentner und jener
selbstlos-hilfsbereiten des armen Hauderer erwächst. Es ist also hier
eine ähnliche künstlerische Dissonanz zu verspüren wie in Hebbels
„Michel Angelo". Doch die beiden Alten sind aus so reifer Lebens-
erfahrung, mit so allgemeinmenschlicher Lebenswahrheit geschaut,
daß „Der Doppelselbstmord'* gleichwohl zu Anzengrubers Meister-
komödien zählt.
Die beiden nächsten Komödien — „Die Trutzige" (1878), die gleich
Otto Ludwigs „Heiterethei" das Thema von der Widerspenstigen Zäh-
mung vor die Ehe legt und verinnerlicht, und „'s Jungferngift" (1878),
worin ein Schwankmotiv der italienischen Renaissancekomödie dazu
dient, den reichen Werber von der angeblich todbringenden Braut
abzubringen — zeigen ein Nachlassen von Anzengrubers Kunst.
c) Gesamturteil.
Anzengrubers unversiegliche Lust zu fabulieren verleitet ihn immer
mehr, seine Stücke in Seitenschößlingen wuchern zu lassen, wodurch, wie
im , Jungferngift" durch die Episode des Foliantenwälzers, der ganze
Rahmen gesprengt wird. Weiter wird auch die individuelle Eigen-
art des einzelnen Kunstwerks gefährdet durch die zunehmende Ver-
härtung der Volksstückmanier, die gegenüber der Feinheit impressio-
nistischer Kleinkunst in der Schilderung von Menschen und ihrer
Umgebung allzu grob motiviert oder zu kraß kontrastiert.
Doch darf bei solcher Beurteilung nicht vergessen werden, daß
Anzengrubers Kunstwille, um Worringers polare Unterscheidung zu
verwenden, nicht so sehr dem Einfühlungsbedürfnis als dem Ab-
straktionsbedürfnis dient, dem die Wiedergabe des Lebens nur Mittel
zum Zweck ist. Wie er den Vorwurf Roseggers, der in seinen Bauern
Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart: Literaturrevolution der achtziger Jahre. 303
realistische Naturwahrheit vermißt, als seine Absicht nicht treffend
ablehnt, weil er im Grunde stolz ist auf seine „Anzengruberseelen
in Lederhosen", so gilt bei allem Realismus seiner Kunst deren Form-
wille in erster Linie der Verdeutlichung der Idee, der Tendenz. Diese
braucht gewiß nicht platt oberflächHch zu sein, aber in dem von
Anzengruber ausdrücklich geforderten Lehrcharakter des Volksstücks
ist sie von Anfang an begründet, wenn sie auch auf die Erhellung
tiefster menschlicher Beziehungen zielt.
Dazu gehört auch das Sexuelle, das aus der Komödiendichtung
überhaupt nicht wegzudenken ist, und das gerade in Anzengrubers
Lustspielen, vor allem in den „Kreuzelschreibem", dem „Doppelselbst-
mord" und dem , Jungferngift", breiten Raum einnimmt. Darin bewährt
sich der amoralische Charakter der Komödie. Sie kann ihren scharfen,
hellen Verstand mit allen Fragen menschlichen Lebens spielen lassen,
um sie in die Wurzeln alles menschlichen Seins zu verfolgen. Das
sittliche Urteil wird im Augenblicke des Spiels ausgeschaltet; das
sexuelle Problem wird in der Totalität ästhetischer Lebensauffassung
begriffen und führt so, ohne ethische Unlust zu erregen, zu dem
künstlerischen Endziel humorischer Heiterkeit. Das Ethos ist an das
individuelle Subjekt gebunden. Dadurch daß das Geschlechtsproblem
davon losgelöst ist, ist es objektiviert, und wir können uns an seiner
künstlerischen Behandlung harmlos erfreuen. Daß Anzengruber dieses
künstlerische Ziel erreichte, macht ihn mit zu einem der großen Dra-
matiker des poetischen Realismus im 19. Jahrhundert, der den Menschen
seiner Zeit mit scharfem Auge ins Innere sieht und daraus voll warmen
Gefühls sittliche Werte hervorzuzaubern versteht.
IV. VOM NATURALISMUS
BIS ZUR KUNST DER GEGENWART.
I. LITERATURREVOLUTION DER ACHTZIGER JAHRE.
Die realistische Kunst, wie sie schon in Goethe ihren Ahnherrn
hat und, indem sie Schritt hält mit der Entwicklung des Materialismus
und Positivismus, seit der Romantik immer stärker in den Vordergrund
drängt, empfängt in den achtziger Jahren einen mächtigen Impuls von
verschiedenen Seiten her. Der Fortschritt der Naturwissenschaften \
hatte das alte ideale Weltbild endgültig zertrümmert und suchte den ^
Menschen aus Vergangenheit und Umwelt zu begreifen, indem er seine
Entwicklung durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung be-
stimmen ließ. Diese naturwissen schaftHchen Gesetze wurden ein-y
geschmolzen in die soziale Bewegung, die, seit der Mitte des Jahr- •
hunderts immer stärker anschwellend, in den achtziger Jahren ihre
KonsoHdation und Organisation auf der Grundlage des strengsten
Marxismus fand. Da der russische Osten, der skandinavische Norden,
der französische Westen diese Stimmen früher als Deutschland in
■^04 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
der Dichtung hatten zu Wort kommen lassen, so lauscht die von der
heimischen Produktion angeekelte Jugend hingerissen den auslän-
dischen Tönen, die sie allerdings auch dem Instrument des eignen
Realismus hätte entlocken können.
Besonders verführerisch schallten die Klänge aus Frankreich,
um so mehr als die dortigen Chorführer sich von der bildenden
Schwestemkunst, vor allem der Malerei, Unterstützung ihrer neuen
Arbeitsweise holten. An ihr gewahrte man das Beispiel einer sach-
lichen Hingabe an die Natur, die, ohne irgendwelchen idealen Ge-
dankengehalt, den Menschen als Objekt innerhalb des weiteren Ob-
jekts der ihn bestimmenden physischen Umschicht betrachtet. Unter
Ausschaltung alles vom Subjekt des Künstlers hineingetragenen Ge-
danklichen sollen nur Sinneseindrücke wiedergegeben werden mit
dem einzigen Ziel des Treffens. Je größer die Treffgenauigkeit in
der Wiedergabe äußerer und innerer Sinneswahrnehmungen ist, um
so größer ist die dargestellte Wahrheit.
Wieder gewahren wir die parallele Entwicklung von Kunst und
Wissenschaft. Der neue Kunstwille entspricht der wissenschaftlichen
Demographie, wie Windelband die Untersuchung der gesellschaft-
lichen Zustände und Zustandsbewegungen nennt. Und da die für
die Jugend mit der Glorie des Märtyrertums umstrahlte sozialistische
Bewegung damals mächtig anschwoll, so spiegelte sie sich in der
künstlerischen Demographie durch die einseitige Verlegung des Inter-
esses auf die Träger dieser Bewegung. Nietzsches Wort bewahrheitet
sich: „Es ist das Zeitalter der Massen"; . . . ,,die liegen vor allem
Massenhaften auf dem Bauche". Dadurch vermählt sich von vorn-
herein mit der neuen Kunstrichtung die Armeleutdichtung; um so
mehr als man darin einen willkommenen Gegensatz zu der bisherigen
Kunstübung fand, die diesen Schichten behutsam aus dem Wege
gegangen war, um in eine hohle Scheinwelt zu flüchten.
Die früher erwähnten „Maler" von Wilbrandt aus den siebziger
Jahren mögen als Beispiel dafür auf dem Lustspielgebiete dienen,
denn auch ihre Künstlerromantik ist im Grunde nur Flucht in eine
Scheinwelt, um der Wirklichkeit zu entgehen, wie in den Jahren nach
dem Einheitskriege immer mehr die ganze Lebenshaltung und -an-
schauung nur auf Schein eingestellt wurde. Gegen Ende des Bismarck-
schen und mit Beginn des Wilhelminischen Zeitalters hebt auch der
Wandel in der Kunstauffassung an. Angewidert fühlte sich vor allem
die Jugend von dem schalen Gefühl innerer Verlogenheit, das jahr-
aus, jahrein in dem gespreizten Epigonentum der tragischen wie in
der seichten Oberflächlichkeit der heiteren Dichtung sie überkroch.
Eine Literaturrevolution beginnt, die als geistigen Führer Nietzsche
kürt. In ihm sehen die jugendlichen Revolutionäre nur den Ankläger
gegen eine Scheinkultur, die verlogen ihre eigene Minderwertigkeit
aufputzt.
Literaturrevolution d. achtziger Jahre. G.Hauptmann: „Kollege Crampton", „Peter Brauer". 305
Die Kraft und der Elan, mit denen sich dieser Sturm und Drang
äußert, ist aber dennoch der vorangehenden Zeit verpflichtet, dem
Vorbild energischer Willenstätigkeit, wie es Bismarck seiner Nation
gegeben hatte. Auf Bismarck ist auch diese Steigerung des Lebens-
gefühls zurückzuführen, das, jede Gedankenbrücke verschmähend,
unmittelbar mit dem Leben, der Natur sich in Verbindung setzt.
Antäusgleich wollte man sich durch die Berührung der Erde, der
Natur neue Kräfte holen. Naturalismus war das Schlagwort der Zeit.
Dieser Naturalismus, da er ein sozial einseitig interessierter Impressio-
nismus war, suchte sein Betätigungsfeld nicht in der Natur des
Landes, sondern in der Großstadt. Dort konnte sich seine Entdecker-
lust betätigen in den Vierteln des sozialen Elends. Man hatte genug
des prunkenden Scheins, der graue Alltag mit seinem Elend schien
mehr Wahrheit zu bieten. Mit all der bohrenden Konsequenz des
theoriebegeisterten Deutschen suchte man in naturwissenschaftlicher
Mikroskopie nun Eindrücke zu sammeln. Das Mikroskopieren lehrte
wohl die atomistische Struktur des Lebens kennen, aber wenn früher
die hohen und fernen Ideale dem Auge Richtpunkte geboten hatten,
um sich ein geschlossenes Gesamtweltbild zu schaffen, so schienen
jetzt die fieberhaft Beobachtenden kurzsichtig geworden zu sein und
konnten nur noch eine Reihe von Einzelbildern fassen. Diese Ver-
einzelung lockert den Gesamtaufbau des Dramas, aber die Lockerung
ist auch in den Szenen und im Dialog zu verspüren. Naturalistische
Sprachbehandlung, der bereits von den ersten Lokalpossen bis zu
Anzengruber in jeder echten Volkskunst vorgearbeitet war, treibt die
Wiedergabe natürlicher Sprechweise bis zu den durch Gedanken-
striche und -punkte angedeuteten Sprechpausen und den unarti-
kulierten Naturlauten.
2. GERHART HAUPTMANN.
a) „Kollege Crampton" und „Peter Brauer".
Arno Holz und Johannes Schlaf haben als erste diesen Stil in
den Skizzen „Papa Hamlet" (1889) und der „Familie Selicke" (1890)
konsequent angewandt und sofort den greisen Fontane überzeugt,
daß hier Neuland erobert sei. In strengster Einheit der Zeit und
des Ortes — der Naturalismus ist seiner wissenschaftlichen Parallele
entsprechend stark rationalistisch — , ohne Monologe und das beliebte
Beiseitesprechen, werden Zustände ausführlich geschildert, ohne daß
eine eigentliche, durch Willenskonflikt gestraflte Handlungsentwicklung
sich vollzöge. Von ihnen lernte Gerhart Hauptmann (geb. 15. No-
vember 1862), um aber überaus rasch die Lehrer zu überflügeln und
kraft seiner selbständigen Dichterpersönlichkeit die Führung an sich zu
reißen. Nachdem er seit 1889 jedes Jahr neue Erfolge mit Tragödien
errungen hatte, versuchte er sich 1892 auch auf dem Komödiengebiet
Holl, Lustspiel. 20
/
■^o6 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
und bewies damit wieder einmal die alte platonische Weisheit, daß
ein echter Tragödiendichter auch Komödien schreiben könne.
Angeregt durch Molieres „Geizigen" schreibt Hauptmann in
„Kollege Crampton" (1892) eine Charakterkomödie oder eher ein
humorvolles Charaktergemälde. Wie naturalistische Dramatik Zu-
standsschilderung gibt, so auch Hauptmanns Komödie, doch weniger
Zustandsschilderung der Umschicht als solche der Seele. Von Anfang
bis heute lag Hauptmanns Hauptbegabung in der feinfühligen Seelen-
ergründung, und zwar war seine Stärke die Schwäche. Dem Moll-
akkord seiner Künstlerharfe, die unerreicht in den Tönen sozialen
Mitleids ist, liegen die robusten Heldennaturen nicht; er singt die ge-
brochenen Menschen seiner Zeit und spricht dadurch die Seele dieser
Zeit selbst aus. Dafür ist auch Crampton ein Zeuge. Die ganze
Komödie ist nur die Entfaltung dieses kindlichen Grobians, dieser
zagenden Hoffart, dieses aus der Akademie geworfenen Meisters,
dieses Trinkers mit dem göttlichen Funken des Genies. Denn dieses
Künstlertum sollen wir ihm glauben. Der Dichter schöpft aus eignen
Erinnerungen, ist er doch selbst in jener schlesischen Provinzhaupt-
stadt auf der Kunstakademie gewesen, gleich Max Straehler, dem
er den Mädchennamen seiner Mutter gab, relegiert worden und dann
von einem verständnisvollen Professor als Privatschüler aufgenommen
worden. Er kannte das Urbild des Crampton, jenen Professor
James Marshall, persönlich. Von damals stammt noch der Jugend-
vers : „Ein Volk von Bäckern bäckt den braunen Ton", der in Cramp-
tons „Kuchenbäckern" widertönt, womit er seine Kollegen belegt.
Doch der Dichter der „Weber" hat sich bereits eine solche Meister-
schaft in der Beherrschung naturalistischer Stilmittel angeeignet, daß
er nicht mehr an die Realitätszüge Breslauer Erlebnisse sklavisch
gebunden ist, und da der Objektivität des Naturalismus ohnedies die
Art der Einstellung zum Objekt im Grunde gleichgültig ist, so lockert
er unschwer die persönliche leidvolle Beteiligung an den Vorgängen
zum Darüberlächeln humorischer Betrachtungsweise.
Allerdings der Riß, der durch die Helden Hauptmannscher Dramen
geht, gehen muß, da sie zu den Zeitgenossen gehören, denen der
Dichter sein Drama „Einsame Menschen" widmete — dieser Riß klafft
auch in Crampton. Starkes Können, schwaches Wollen. Diese Willens-
schwäche ist in Crampton schon so stark geworden, daß die
Schwächung seines starken Könnens uns skeptisch macht, ob der
Rettungsversuch Max Straehlers, eines der typischen Freudebringer
aus Hauptmanns Mitleidsdramatik, gelingen wird. Doch der Dichter
will diese Frage auch gar nicht beantworten. Es genügt ihm, diesen
trotz aller seiner Fehler liebenswerten Crampton, auf den wie auf
Datterich der dort angeführte Vers Liliencrons paßt, in all der Fülle
seines Lebens vor uns erstehen zu lassen. Daneben tritt alles andere
zurück, wie schon Schienther mit Recht Rembrandtsche Malweise
Gerhart Hauptmann: „Kollege Crampton" und „Peter Brauer". 307
zum Vergleich mit Hauptmanns Stiltechnik herangezogen hat. Dieses
Helldunkel, in dem tausend Lichter spielen und doch alle ihre Licht-
wirkung auf die große, breite Gestalt mit der rotglänzenden Nase
konzentrieren, diese tiefen schwarzen Schatten, die sich hineinmischen
und den frohen Humor mit schwerer Tragik umwittern, das Ver-
schwinden der Nebenpersonen, von denen der prachtvolle Löfifler,
der Bardolph des Falstaff, noch am stärksten belichtet ist, in immer
dunkler werdenden Hintergrund, die lebendige Beseeltheit, die vom
Mittelpunkt ausstrahlt: „Kollege Crampton" ist ein vollendetes Kunst-
werk. Psychologischer Naturahsmus hat hier eine tragisch getönte
Seelenstudie geschaffen, deren Beziehungen zu einem konventionellen,
fast sentimentalen Hintergrund, der Straehlerfamilie, alles Tragische
in humorvoller Komik untergehen lassen.
Zwei Jahrzehnte später hat der Dichter das Thema noch einmal auf-
gegriffen in „Peter Brauer". Auch hier hat sich wieder Hauptmanns Kraft
plastischer Menschengestaltung erwiesen, und seine Dialogbehandlung
zeigt die alte Frische. Von Anfang an hat er die starre Konsequenz
eines Arno Holz abgelehnt, es kam ihm auf künstlerische, nicht auf
wissenschaftliche Wahrheit an. Auch bei Hauptmann wie bei Holz
wird Natur gesprochen, aber nicht vom Dichter, sondern von dessen
dramatischen Individuen, deshalb wirkt auch seine Sprache nie typisch,
sondern stets individuell voll subtilster Differenzierung. Trotzdem
hinterläßt „Peter Brauer" keinen einheitlichen Eindruck. Dem Peter
Brauer glauben wir sein prätendiertes Künstlertum noch weniger als
seinem Kollegen Crampton, nicht nur weil er bereits tiefer gesunken
und für ihn auch die Möglichkeit der Rettung verloren ist. Mit diesem
Glauben verschwindet aber auch unser Interesse an diesem rodo-
montierenden Tünch er, und das Schicksal eines Potators allein, was
Hauptmann zu fesseln scheint, kann uns dafür nicht entschädigen.
Der Dichter hat damit seiner Tragikomödie den Boden entzogen.
Dort im „Kollege Crampton" konnte die Frage nach des Titelhelden
Künstlertum in Schwebe gehalten werden, hier in der Tragikomödie
durfte sie nicht nur nicht verneint, sie mußte bejaht werden.
Den einzigen Grund, aus dem Hauptmann das frühere Thema wieder
aufgriff — was er als grübelnder Zeitgenosse überhaupt gerne tut — ,
kann ich darin erblicken, daß er jetzt ein Nebenmotiv aus der ersten
Komödie darstellen wollte. In „Kollege Crampton" wird bereits darauf
hingewiesen, daß die Frau die Schuld an dem Untergange des Mannes
trifft. Wir sind allerdings darüber skeptisch, und tatsächlich wird es
auch nur nebenher bemerkt. Immerhin will aber die Gattin dem
Manne die Liebe seiner Kinder entziehen und verläßt den Zugrunde-
gerichteten kalt. Dieses Lieblingsmotiv Strindbergs war bereits in
dessen „Vater" (1887), der um 1890 in Deutschland bekannt wurde,
bearbeitet worden. Das eigentliche Interesse für solche Eheprobleme
ist aber erst ein bis zwei Jahrzehnte später erwacht, und jetzt hat die
•^o8 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
Zeit den sensiblen Gerhart Hauptmann auch auf dies Problem ge-
drängt; veröffentlicht ist „Peter Brauer" allerdings erst 192 1. Gerade
aber um die zerstörende Macht des Weibes zu zeigen, mußte etwas
zu zerstören sein, und dieses fehlt Peter Brauer mit seinem Künstlertum.
Hauptmann ist zu feinnerviger Dichter, um dies nicht selbst zu fühlen;
er gestaltet daher keine Tragödie, die die notwendige Folge sein müßte,
sondern eine Tragikomödie, bei der aber die Tragik zu flach und
die Komik zu possenhaft ist. Die köstliche Humorwirkung „Kollege
Cramptons" ist nicht erreicht,
b) „Der Biberpelz" und „Der rote Hahn".
Dagegen hatte Hauptmann unmittelbar nach dieser Seelenzustands-
schilderung eine Milieukomödie geschrieben, die zu unseren besten
Lustspielen zählt: die Diebeskomödie „Der Biberpelz" (1893). Dies-
mal stand Kleist Pate. Doch wenn bei Kleist das Milieu nur Folie zur
beherrschenden Charakterfigur des Dorfrichters war, so ist hier echt
naturalistisch der Schwerpunkt auf die Zustandsschilderung der Um-
schicht gelegt, und die prachtvollen Charaktere bestärken nur deren
Wesenheit.
Die vier Akte sind symmetrisch geteilt nach dem bei Anzen-
grubers „Kreuzelschreibern" bereits beobachteten Wirkungsgesetz
komischer Wiederholung, allerdings nicht mit umgekehrtem Vor-
zeichen, sondern potenziert. Die beiden ersten Akte behandeln den
Holzdiebstahl, die beiden letzten den Diebstahl des Biberpelzes, wo-
bei jeweils die ersten Akte den Tatbestand klären und die folgen-
den Gerichtsverhandlungen, in komischem Konstrast zur vorher ver-
mittelten Kenntnis und zum ideellen Ziel des Gerichts, die Sache
wieder verdunkeln. Wie bei Kleist vereitelt der Richter die Rechts-
findung, aber nicht wie Adam durch seine Schläue, sondern durch
seine Dummheit. Mit Beziehung auf den Amtsvorsteher Wehrhahn
nannte Schienther daher den „Biberpelz" die „Komödie der streber-
haften Dummheit". In Wehrhahn hat Hauptmann eine prachtvolle
Simplizissimusfigur geschaffen, um den Typus des nichts als schnei-
digen Juristen und Reserveoffiziers des Wilhelminischen Zeitalters zu
treffen. Es zeigt vollendete Kunst, daß er ihn dennoch nacherlebbar
machte als einen der Vielzuvielen, die gewaltig stolz tun mit ihrem
Herrenbewußtsein, die aber durchaus die Sklaven ihrer Sitten und
Anschauungen, ihrer Tradition und Konvention sind, die dadurch un-
fähig sind, die Realitäten des Lebens richtig ein- und abzuschätzen.
Es ist jener Zeitcharakter, der Nietzsches mißverstandene Herren-
moral gleich einer Löwenhaut sich umtut und doch die Eselstimme
nicht verbergen kann.
Doch noch runder, saftiger, lebensvoller ist die Figur der
Gegenspielerin: die Waschfrau Wolff. Wenn eine Gestalt in der
deutschen Lustspielliteratur Kleists Adam nahekommt, so ist es
Gerhart Hauptmann : „Der Biberpelz" und „Der rote Hahn". 309
Mutter Wolff. Wie Adam ist auch sie die ungebrochene Natur, die
gar kein klares Bewußtsein ihres Unrechts hat, die halb triebhaft
und gerade deshalb so überzeugend redet und handelt. Haupt-
mann hat hier zu erschütternder Komik den ewig wirksamen Kon-
trast von Schein und Sein herausgearbeitet mit einer Fülle von Einzel-
werk, das aber nie diese strahlende Wolffin verdunkelt. Selbst welcher
Pedant freute sich nicht an ihr, ja man wird der gerissenen, scham-
losen Diebin noch gut, denn sie sagt uns doch so ehrlich, was für eine
brave, arbeitsame Frau sie ist. Selten ist wirkungsvollere Komik ge-
schrieben worden als jene Szene im Amtszimmer, da Richter, Be-
stohlener. Falschverdächtigter, Hehler und Dieb beisammen sind, alle
aufs höchste erregt, alle gegeneinander gereizt und argwöhnisch,
nur Mutter Wolff, die Diebin, ist allein ruhig, ihr traut niemand etwas
Böses zu, ja zum Schluß attestiert ihr der Richter noch öffentlich vor
allen Versammelten: „Die Wolffen ist eine ehrliche Haut", wozu sie
allerdings bedenkHch den Kopf schüttelt. Damit endet die Komödie
als Komödie ohne den traditionell -philiströsen Schlußsatz, daß Recht
recht behält. Das intellektuelle Spiel, das alles Moralische in die
Sphäre des Humors hebt, ist bis zum letzten Wort durchgeführt.
Hauptmann ist Realist, der der Konvention keinerlei Zugeständnisse
macht und gerade dadurch die humoristische Heiterkeit bis zum
Schlüsse durchhält.
Auch dieser Meisterkomödie ließ der Dichter eine Tragikomödie
als Fortsetzung folgen: „Der rote Hahn" (1901). Kerr nannte sie
„die Komödie der steigenden Landproletarier". Er hatte auch fast
als einziger den Mut, für ihren künstlerischen Wert als selbständiger
Dichtung einzutreten. Wir haben allmählich gelernt, den „Roten
Hahn" losgelöst vom „Biberpelz" zu betrachten, und da erstaunen
wir immer mehr, mit welcher Sicherheit hier Hauptmann ein ganzes
Dorf in den verschiedensten Charakteren vor uns aufleben läßt. Doch
die Umschicht ist nicht nur physisch über die Familie hinaus ver-
breitert, sie ist auch seelisch vertieft. Diese ganze Galerie brüchiger
und angefaulter Charaktere lebt im Grunde ganz gut zusammen. Ge-
wiß, jeder sucht seinen eigenen Vorteil, und dafür ist Mutter Wolff
das Vorbild. Aber so lange keine Interessenkonflikte entstehen, sind
sie alle gut Freund. Allerdings, sie alle wollen hochkommen, und
hier liegt der Schwerpunkt des Stückes, der die Tragikomödie zur
traurigen Zeitsatire macht, ohne daß dieser Satire aber irgendwelche
urteilende Bitternis beigemengt wäre. Die sterbende Mutter Wolff-
Fiehtz „greift in eigentümlicher Weise mit beiden Händen hoch über
sich: Ma' langt . . . Ma' langt . . . Ma' langt immer so". Es ist die
Wilhelminische Zeit, als die Jagd nach Erwerb alle in Anspruch nahm,
als die wirtschaftlichen Interessen alle anderen töteten. Dieser Auf-
schwung war gewaltig, großartig, aber innerlich war er hohl. So
spiegelte er sich damals zu Beginn des neuen Jahrhunderts in dem
3 1 0 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
Beobachter seiner Zeit, in Gerhart Hauptmann. Er zeigt uns, wie
es sich für alle um einen Daseinskampf handelt, in dem der Stärkere,
das heißt der Klügere, siegt und durch seinen Sieg eine höhere
soziale Stufe erreicht. Diese höhere soziale Stufe war aber für jeden
strebsamen Deutschen das Ziel, sie war der Fetisch ganz Deutsch-
lands. Diese Einstellung auf einen wirtschaftlichen Gesichtspunkt
zur Orientierung des Handelns fiel um so leichter, als der Mensch
sich ja von seiner natürlichen und sozialen Umgebung so bestimmt
glaubte, daß ein sittliches Handeln frei im Einklang mit absoluten
Wertvorstellungen gar nicht in Frage kommen konnte.
Auch der edelste Mensch ist überzeugt, daß, wie für jene Wolff
und Genossen wirtschaftlicher Relativismus, so für ihn sittlicher Rela-
tivismus die einzig mögliche Lebensanschauung bleibt. Georg Simmel,
der uns Jungen damals als Führer galt, verlieh dieser relativistischen
Sittlichkeit von der Berliner Lehrkanzel herab Ausdruck. Es ist die
Zeit, da Sudermann, der Theaterpraktiker der Schlagworte, Moral
„une valeur domesticative" und Gott eine „soziale Zweckmäßigkeit"
nannte. Daß aber Hauptmann 1901 dieses Thema, wenn auch ent-
sprechend seinem Kunstwillen ohne jedes Werturteil, künstlerisch ob-
jektivierte, beweist, wie reif die Zeit zur Einkehr und Umkehr war.
Zu jener Zeit hat auch Edmund Husserl wieder die Absolutheit des
Wahren entdeckt, und der subtile Simmel fand ebenfalls Wege, die
zu absolutistischer Ethik führen sollten. Wenn wir dem „Roten Hahn"
damit auch eine hohe kulturgeschichtliche Bedeutung zuweisen, so
steht er dennoch künstlerisch nicht auf der Höhe des ,, Biberpelz".
Der Tod der Wolffen mag natürlich begründet sein, ist es aber sicher-
lich nicht dramatisch, trotz leiser Vorbereitungen während des Hand-
lungsablaufs. Selbst wenn Hauptmann den Akzent auf die Dauer
des geschilderten Zustandes legen wollte, der durch den Zufalls-
tod der Wolffen nicht geändert wird, so wäre dies kein künstlerisch-
dramatischer Abschluß, der das Werk als geschlossene Einheit, trotz
aller Formlockerheit, wirken ließe.
Enger an den Charakter des „Biberpelz" hält sich des früh ver-
storbenen Emil Rosenows (1871 — 1904) lustige Komödie „Kater
Lampe" (1902), worin meisterhaft Milieu und Charaktere aus der
Hausindustrie im sächsischen Erzgebirge geschildert werden. Es
zeugt für die dichterische Stärke des „Biberpelz", daß sein Beispiel
eine so vollwertige Humordichtung wie den ,, Kater Lampe" hervor-
rief, wie es für den Kunstwert des nachgeborenen Stückes zeugt, daß
seinem Ruhme nur der Glanz seines Vorbildes im Wege steht.
c) „Schluck und Jau" und „Die Jungfern vom Bischofsberg".
Ein Jahr vor dem „Roten Hahn" folgte Gerhart Hauptmann
Shakespeares Spuren, um ein Lustspiel zu schaffen. Wenigstens
setzt er die Schlußworte des Vorspiels von „Der Widerspenstigen
Gerhart Hauptmann: „Schluck und Jau" und „Die Jungfern vom Bischofsberg". 3II
Zähmung" seiner eigenen Komödie „Schluck und Jau" (1900) vor-
aus. Vielleicht hatte der Dichter auch Kenntnis von Gustav zu Put-
litz' (1821 — 1890) anmutiger Märchenkomödie „Der verwunschene
Prinz". Im Inhalt folgt er einem vierten großen Lustspieldichter, dem
Dänen Ludwig Holberg, aber mit shakespearischer Sprachkunst, Das
uralte Thema der Weltliteratur ist hier gestaltet: wie ein betrunkener
Bauer im Rausch in ein Schloß gebracht wird, um den nächsten
Tag dort in der Täuschung, er sei der Fürst, gehalten zu werden.
Also eine umgekehrte Welt, worin wiederum die Komik von Sein
und Schein erprobt wird. Die Traumwelt des zum Fürsten erhobenen
tölpischen Bauern wird im Laufe des Spiels selbst zur Wirklichkeit,
so daß der wahre Fürst sich von seinen eigenen Dienern mißachtet
und von dem Scheinfürsten gar bedroht fühlt. Das Stück krankt
allerdings daran, daß Hauptmann diesen Konflikt nur mit äußerlichen
Mitteln löst, um die zu mächtig werdende Traumwelt des Bauern
wieder unter das Gesetz, die Ordnung der Wirklichkeit zu beugen.
Der Dichter nennt es ein Scherzspiel in sechs Vorgängen, „einer
unbesorgten Laune Kind". Trotz dieser vorangestellten autoritativen
Warnung will uns heute ein tieferer Sinn daraus ansprechen. Wir
empfinden es als eine künstlerische Darstellung des Wirklichkeits-
problemes im Sinne des Naturwissenschaftlers Ernst Mach. Wie für
dessen relativistische Erkenntnistheorie, die den Dingbegriff nur als
Hilfskonstruktion gelten läßt zur Feststellung der Eindrucksrelationen,
das Wirkliche nur Sinnesempfindung ist, so fragt auch der Räsonneur
bei Hauptmann: „Sind wir wohl mehr als nackte Spatzen? — Das,
was wir wirklich sind, ist wenig mehr, als was er wirklich ist: — und
unser bestes Glück sind Seifenblasen". Wenn es kein Ding- an -sich
mehr gibt und der Schein das Sein, die Erscheinung das Wirkliche
ist, dann gibt es auch kein Ich und Du mehr, sondern nur Empfin-
dungskomplexe, die irgendeinem nackten Spatz angeheftet werden
können. Wie Walzel in solchem Zusammenhang schreibt: „Der Rela-
tivismus erledigt den Glauben des naiven Realisten, daß die Sinne
ein restloses Erfassen der Dinge ermöglichen, daß Wahrnehmungs-
inhalt und Objekt schlechtweg zusammenfallen". Auch das Ergebnis
von „Schluck und Jau" ist ein Ignorabimus. „Es kimmt alles uf eens
'raus". Damit hat Hauptmann selbst den Trennungsstrich gezogen
gegenüber seiner naturalistischen Frühzeit, die noch optimistisch
genug alle Mittel der Beobachtung schärfte, um das Wesen selbst
der Dinge zu fassen.
Die holdjugendliche Geliebte des Fürsten mit dem noch holdseli-
geren Namen Sidselill aus der altdänischen Ballade schwebt — etwas
zu schemenhaft — durch das Stück wie ein wunderschöner Pfau,
dessen mißtönender Schrei nicht geglaubt wird. Der ihr am nächsten
steht, der Fürst, kennt sie also nicht wie sie ist, sondern nur
gemäß seinen Empfindungen von ihr; ja sie selbst erkennt ihre eigene
312 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
Silhouette nicht. Alles lebt in einer Scheinwelt, es ist im Grunde
gleichgültig, ob der Schein wechselt; dem Diener ist jetzt Jau ebenso
der Herr wie gestern Jon.
. . . „Kleid bleibt doch Kleid!
Ein wenig fadenscheiniger ist das seine,
doch ihm gerecht und auf den Leib gepaßt.
Und da es von dem gleichen Zeuge ist
wie Träume — seins so gut wie unsres, Jon! —
und wir den Dingen, die uns hier umgeben,
nicht näherstehn als eben Träumen, und
nicht näher also wie der Fremdling Jau —
so rettet er aus unsrem Trödler-Himmel
viel weniger nicht als wir, in sein Bereich
der Niedrigkeit".
Aus diesen Worten tönt Shakespearesche Melancholie mitten in
der tollen Posse der Rüpel Jau und Schluck. Gerhart Hauptmann
hat die Bauernfigur des alten Märchenthemas verdoppelt, aus dem
Shakespeareschen Schlau einen Schi — uck und einen J — au, getreu
den auf seiner geliebten Ostseeinsel Hiddensee vorkommenden
Familiennamen, gemacht und diese beiden Rüpelfiguren als harten
maskulinen Jau und weichen femininen Schluck kontrastiert. Jau ist
ein brutaler Prachtkerl, der seine Scheinstellung sofort zu rohen
Gewalttätigkeiten braucht und, wie er das Roß bändigt und den
Hirschfänger handhabt, den lachenden Herren wohl auch das Zittern
beibringen könnte, aber seiner Eß-, Trunk- und Geschlechtslust rasch
erliegt. Ihm gegenüber steht der gute, brave Schluck, der in seiner
tapsigen Schlichtheit, droUig-innigen, verprügelten Pudelnatur zu
Hauptmanns Meisterschöpfungen zählt. Aber dadurch, daß Haupt-
manns in Mitleid schwingende Seele in der Gestalt des Schluck
Partei ergreift gegen die Herrschenden, wird der Humor ins Tragische
gewendet, so daß wir stellenweise peinlich die Dissonanz fühlen und
damit die Einheitlichkeit des Scherzspiels selbst schmerzlich als
gebrochen empfinden. Für die Erkenntnis des Dichters entnehmen
wir daraus, daß er zu tief in der leidvollen Welt verwurzelt ist, als
daß er sich dauernd in das losgelöste heitere Reich phantastischen
Humors und sorgloser Laune emporzuschwingen vermöchte. Aber
andrerseits gibt doch auch diese erdhafte Verwurzelung den Aus-
geburten spielerischer Phantasie so viel des Menschlichen, daß das
Scherzspiel eine Wärme durchweht, die ihm unsere Anteilnahme
dauernd sichert. Der dramatische Bau ist hier noch lockerer als
in des Dichters anderen Stücken. Hier tritt Walzeis Erkenntnis be-
sonders offensichtlich zutage, daß Hauptmann das Seelische, sein
Werden und sein Ergebnis wichtiger sind als jeder Versuch, eine dra-
matische Form von strengen Linien zu verwirklichen.
Ein stimmungsvolles Erinnerungsspiel ist schließlich Hauptmanns
letztes Lustspiel ,, Die Jungfern vom Bischofsberg" (1907). Der Dichter
Mitläufer des Naturalismus.
313
webt um die Stätte seines Jugendglücks eine halb lyrische, halb
possenhafte Atmosphäre und erkennt darin wohl die Zeiten von ehe-
mals. Ein melancholischer Schleier liegt über dem Ganzen, trotz
aller Lust und heiteren Ausgelassenheit. Aber ob dem Dichter der
innere Abstand vom eigenen Erlebnis gefehlt hat, oder ob es nur
eine frisch ausgeputzte frühere Gelegenheitsarbeit war, künstlerisch
ist es unausgereift. Für eine Posse hat es zu tiefe lyrische Gefühls-
töne, für ein humorvolles Lustspiel ist es zu flach gearbeitet, mit zu
groben Possenwirkungen versetzt.
3. MITLÄUFER DES NATURALISMUS.
Ein Vergleich von Hauptmanns , Jungfern vom Bischofsberg" mit
Sudermanns (geb. 1857) bester Komödie ,, Schmetterlingsschlacht" (1893)
erhellt den Unterschied von dichterischer Konzeption und berechneter
Theatermache. Aber ebenso wie wir dem einst viel gelästerten Kotzebue
heute wieder gerechter werden, indem wir anerkennen, daß er einen
Spiegel seiner Zeit in geschickter Bühnentechnik aufrichtet, so ge-
winnen wir auch Sudermann gegenüber eine richtigere Stellungnahme,
die sich gleich weit von der zuerst übertriebenen Bewunderung wie
von der darnach ebenso übertriebenen Verurteilung entfernt hält. Hof-
miller nannte ihn einmal den ,,Sardou aus Matzicken". Damit sind seine
Stärken und Schwächen bezeichnet. Victorien Sardou hat am Ende des
19. Jahrhunderts Scribe, der um dessen Mitte die Bühnen beherrschte,
abgelöst. Er gleicht seinem älteren Landsmann als Theaterschrift-
steller wie ein Ei dem andern, nur daß das Sardou-Ei reichlicher
mit attischem Salz serviert wird. Bei aller technischen Virtuosität,
bei aller strömenden Erfindungsgabe, bei aller Feinhörigkeit für alles,
worüber man spricht: Dichter sind Sudermann wie Sardou nicht.
Schon heute muß der Regisseur tiefe Eingriffe machen, um die
kitschige Zeitungssprache von Sudermanns Personen einigermaßen
lebendig zu gestalten.
Die Philistrosität der Sprache ist Sudermanns Sünde wider den
heiligen Geist der Kunst. Sie ist so ledern und hölzern, daß sie
heute schon als beabsichtigte Karikatur, etwa mit der Sternheims
zu vergleichen, wirkt. Darin liegt auch die größte Schwäche der
„SchmetterHngsschlacht". Dagegen verschwindet noch die Unbedenk-
lichkeit, mit der er die seit Kotzebue und noch früher bekannte
sentimentale Naive Wiederaufleben läßt, oder mit der er den Nietzsche-
schen Herrenmenschen, die blonde Bestie als großstädtischen Kon-
fektionsreisenden auffrisiert, oder mit der er gar plötzlich im letzten
Akte das ganze Ziel der Komödie umsteckt und die übliche soziale
Anklagspose stellt. Vorher hat der Grundgedanke der Komödie Ähn-
lichkeit mit dem des „Roten Hahn". Eine kleine Beamtenwitwe will
ihre hübschen Töchter gut an den Mann bringen und dadurch
wenigstens der nächsten Generation das Paradies der sozial höheren
3 1 4 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
Stufe Öffnen. Leider ist dieser hübsche Lustspielvorwurf ebenso-
wenig gestaltet worden wie der kluge Ansatz zu einer politischen
Komödie der 48 er Demokraten in „Der Sturmgeselle Sokrates".
Es fehlt Sudermann der künstlerische Ernst, seine innere Schlapp-
heit gibt sich überall: in der verwaschenen Charakterisierung, in
dem Mangel an gedanklicher Konsequenz, in der qualligen Sprach-
behandlung kund, darüber kann all sein raffiniertes Theaterkönnen
nicht hinwegtäuschen.
Formal künstlerisch ist ihm überlegen Ludwig Fulda (geb. 1862).
Seine Hauptbedeutung liegt allerdings in der graziösen Eindeutschung
Molieres. Der darin geofifenbarte Geschmack, die flüssige Ausdrucks-
beherrschung, der gewandte Witz, der wie ein Franzose mit liebens-
würdigen Zweideutigkeiten zu florettieren versteht, dazu noch die
sichere, an den Franzosen und an Kotzebue (an den ebensowohl
sein „Talisman" [1892] wie sein jüngstes Stück „Des Esels Schatten"
[1922] erinnern) erlernte Bühnentechnik: alles zusammen macht wohl
verständlich, warum Ludwig Fulda auch in seinen Originalstücken zu
unseren beliebten Unterhaltungsschriftstellern gehört. Er setzt in an-
mutigerer Form das Werk der französierenden Paul Lindau und Hugo
Lubliner fort. Seine Bahnen wandelte, wenigstens in seiner Frühzeit,
auch Oskar Blumenthal; dessen „Probepfeil" (1882) liegt noch ganz
in der Linie des guten Unterhaltungslustspiels; anscheinend war aber
die Possenfabrikation im Gesellschaftsbetrieb einträglicher.
Mit Fulda und Blumenthal sind die Grenzpunkte bezeichnet,
zwischen denen harmloser Humor und Witz, sei es in Prosa oder in
Versen, sei es in historischem Gewand oder im Rock der Gegen-
wart, phantastisch-märchenhaft oder realistisch-sittenschildernd, die
deutschen Bühnen versorgten und damit die Tradition des Unter-
haltungsstücks, wie wir es in der Zeit von 1830 bis 1885 kennen-
gelernt haben, bis auf heute fortsetzten. Der breit aber flach fließende
Strom ist überreich an Namen, von denen viele Berühmtheiten waren
oder heute sind, die aber alle meteorgleich wieder vom Theaterhimmel
hinunterschweifen, ohne daß jemand weiß, wo sie hingekommen sind.
4. EMIL GOTT.
Unter ihnen ist nur eine Dichterpersönlichkeit von Dauer: Emil
Gott (1864 — 1908). Er hat als einer der Frühesten, ohne dem Kreise
um Stefan George anzugehören, sich von dem Naturalismus frei-
gemacht, wozu er sich die Kraft aus Nietzsche holte, nicht aus dem
Nietzsche des platten Blonde-Bestie-Evangeliums, wie die achtziger
Jahre noch durchweg das Übermenschenideal verballhornten, sondern
aus dem Propheten und Eiferer für eine allseitige Ausbildung der
Persönlichkeit durch Vergeistigung des Lebens. Aus diesem Ideale,
in dessen Lichte selbst ein Bismarck nur ein Starker, kein Großer
war, wuchs Gott, wie nach ihm noch vielen, die stärkste Kraft zur
Emil Gott. Wiener Komödie. 315
Überwindung des einseitigen Naturalismus, zur Betonung des Geistigen
neben dem Physischen.
Gott ist gleich seinem bewunderten Vorbild Dichter und Denker,
und allzuoft wird der leichte Flug seiner dichterischen Phantasie
durch die Schwere, und sei sie selbst Gold, seiner Reflexion gehemmt.
Aber immerhin hat er, nach einem harmlosen Jugendversuch „Freund
Heißsporn", die deutsche Lustspielliteratur um zwei wertvolle Werke
bereichert. Sein „Schwarzkünstler", der zuerst 1890 als „Adept", dann
in einer freibeuterischen, aber gutgemeinten Freundesbearbeitung
als „Verbotene Früchte" bekannt wurde, ist ein leichtflüssiges Werk,
das zunächst mit dem Herodes-Mariamne-Motiv beginnt und darauf
in witzigster Dialogbehandlung aus Vers und Prosa den fahrenden
Schüler und Teufelsbanner Hans-Sachsischer Herkunft das Abenteuer
zum guten Ende führen läßt. Am Schluß vergißt allerdings der
Denker den Dramatiker.
Von tieferem Gehalt ist die „Mauserung" (1907). Ein tiefernstes
Lustspiel, das an Tiefe wie an Ernst sich mit unseren kostbarsten
Perlen messen kann. Durch die Mauserung, die Läuterung hindurch
führt es uns das allseitige Menschideal vor, wie es der Dichter träumte.
Aber der Dramatiker versteht wohl eine Intrige kunstvoll zu schlingen,
der Dichter weiß wohl in vollendeter Sprach form Tiefstes mit Humor
darzustellen, doch wiederum verdrängt zum Schlüsse der Denker den
Dramatiker, um mit dem Dichter vereint innerste Erkenntnisse und
Erlebnisse zu formen. Das ernstheitere Spiel ebbt aus in warm-
empfundene Reflexionen. So erhebt sich die „Mauserung" turmhoch
über die zeitgenössischen Unterhaltungsstücke als gehaltreiche, be-
seelte Dichtung, aber an Bühnenblut könnten ihr viele abgeben.
Das Göttsche Lustspiel blieb daher auch vereinzelt, es hatte nicht
die Kraft, Nachfolge zu zeugen. , ,
5. WIENER KOMÖDIE.
Wichtiger als Götts Schaffen ist deshalb für die Lustspielgeschichte
die Wandlung, die das Konversationsstück in seinem klassischen Heimat-
land, in Österreich, in Wien vollzog. Dort wurde die Tradition Bauern-
felds weitergepflegt und dem Wandel gedanklicher und ästhetischer
Strömungen der Neuzeit angepaßt. Der Führer der aus dem Geiste der
Wiener Sprachkultur geborenen Konversationsdramatik ist Arthur
Schnitzler (geb. 1862). Schnitzler ist der Bauernfeld der Gegenwart.
Mit dessen gepflegtem, witzigen Dialog, der mittlerweile noch durch
die sprachpsychologische Schule des Naturalismus gegangen ist, be-
handelt er in enger Fühlungnahme mit seiner Zeit die Probleme der
Gegenwart, so daß etwa sein „Professor Bernhardi" (1912) nicht nur
das Thema des Kampfes zweier Weltanschauungen — auch der Ver-
fasser von „Bürgerhch und Romantisch" liebte derartige Kontraste — ,
sondern auch noch die Judenfrage und andere politischer Art auf-
3 1 6 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Nfituralismus bis zur Kunst der Gegenwart.
rollen muß. Aber wie bei Bauernfeld ist auch bei Schnitzler der
Dialog die Hauptsache, und den spricht er für alle seine drama-
tischen Personen selbst.
In ihm beobachten wir jene Fortentwicklung über den physischen
Naturalismus, die uns aus Hauptmanns „Schluck und Jau" ansprach.
Die Bedeutung der relativistischen Erkenntnistheorie mit ihrem Ver-
zicht auf allgemeingültige wissenschaftliche Objektivität für die Kunst
ist deren entschlossene Wendung zur reizsamen Subjektivität. Diese
Subjektivität horcht vor allem nach innen und sucht das im eigenen
Innern Hörbare wenigstens andeutend wiederzugeben. Diese Haltung
entsprach vor allem dem Wiener, dem Angehörigen unseres ältesten
Kulturkreises, mit seiner Passivität, seiner genießerischen Momen-
taneität. Es ist die Verfallsstimmung eines Kulturmenschen, der aus
eigener Seelenzergliederung sich Sensationen holt, nicht zu orgiasti-
schem Rausch, sondern zu einem nachdenklich -ironischen Dämmern
mit stetem Wechsel seelischer Impressionen, Was Hermann Bahrs
„Dialog vom Tragischen" (1904) ausspricht, was aber auch schon aus
Hofmannsthals „Gestern" (1891) zu hören ist: die Tragik des hera-
klitischen Ichs, dem nur das Heute gilt, — sagen uns auch Karls
Worte in „Schluck und Jau", daß er den Tag und nur den Tag lebe:
„Gestern und morgen sind zwei Schemen". Es ist dies die Stim-
mung des Fin de siecle, deren Wiener Farben nicht ohne französi-
sche Tönung sind.
Das Wort Schnitzlers, daß Gesundheit langweilig sei, bestätigt
sich in seinen Dramen, in seinen Lustspielen, die in einem Dämmer-
licht melancholischer Heiterkeit weben. Sein Musterbild ist „Anatol"
(1893), jener lässige Wiener weltmännische Genießer und Melancho-
liker. Er zeigt bereits die Reaktion gegen den Ausgangspunkt des
Naturalismus, indem ihm Schein mehr ist als Sein. Und dieser
Schein ist eine Welt der Grazie und des Charme, die auch die
Sprache formt. Ihre Kunst besteht in dem Schweigen, in dem An-
deuten. Der Einakter „Literatur" zeigt dieselbe Atmosphäre. Ana-
tole France leiht ihr Worte: „Was kommt es auf die Handlung an,
wenn die Geste schön ist". Überall empfangen wir den Eindruck
des Spielerischen, des Rokokoartigen, und auch dessen Katzenjammer-
stimmung bleibt nicht aus. Alle Charaktere scheinen uns etwas an-
gefault mit ihren Liebeleien, nirgends erleben wir die Kraft Gesunder
zu stürmisch hinreißender Liebesleidenschaft. Wenn Hermann Bahr,
etwa in seinem „Konzert" (1909), etwas kräftigere, wenn auch possen-
haftere Töne anschlägt, so atmen wir befreit auf. Aber im Grunde
sind sie beide Vertreter derselben Zeitstimmung, desselben Milieus,
die eine überaus reizbare Empfindsamkeit zu einem seelischen Witte-
rungsvermögen ausgebildet haben, das ihnen gestattet, soziologische
Probleme vorausahnend zu gestalten, das aber doch nicht zum Er-
lebnis durchdringt und daher sich mit der bloßen Andeutung ge-
Wiener Komödie. 3^7
nügen läßt. Stets ist die klare Schau von Nebelschleiern umflort,
und dieses Dämmer verleiht gerade Schnitzlers Kunst jenes eigen-
artige weich abschattende Kolorit, das an Corots Landschaftsstim-
mungen gemahnt. Da aber die oft zur WeichHchkeit sich verzärteln-
den Empfindungen nicht zum elementaren Gefühlsdurchbruch kom-
men, so lassen die Wiener Autoren sich mit neurotischen Reizungen
genügen und machen aus der Not eine Tugend, wenn sie nicht gar,
wie etwa Felix Saiten in „Das stärkere Band", ihren gepflegten Dialog
mit kitschiger Rührseligkeit verwässern.
Mit Recht kann man hier, wie Adolf Bartels, von Sensationalis-
mus sprechen, denn Sensationen jagen diese zu ursprünglicher Akti-
vität verdorbenen, passiven Wiener nach, Sensationen suchen sie
zu erregen. Gerade ein feinfühliger Könner wie Arthur Schnitzler,
dessen ,, Liebelei" eigentlich dieser ganzen Wiener Dramatik den
kennzeichnenden Titel geben könnte, offenbart ihre Schwächen am
besten.
Wir fühlen, hier ist das Ende jenes sittlichen Relativismus, wir
fühlen es um so mehr, als Schnitzler seine Kunstmittel, trotz gelegent-
licher Neigung zur zu scharf pointierten Reflexion, ja gar zur Senti-
mentalität, vollendet beherrscht. Hier ist das Fin de siecle des Rela-
tivismus. Hugo von Hofmannsthal, der selbst auch noch in seiner
letzten Komödie „Der Schwierige" (192 1) diesem seelischen Milieu
angehört, hat von Anfang an diese Kunst in ihrem Wesen erkannt:
„Eine Laube statt der Bühne,
Sommersonne statt der Lampen,
Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eignen Stücke,
Früh gereift und zart und traurig.
Die Komödie unsrer Seele,
Unsres Fühlens heut und gestern.
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes heimliches Empfinden,
Agonien, Episoden".
Ob er im „Rosencavalier" ein Libretto zu selbständig- dichte-
rischem, innig beseeltem Kunstwerk gestaltet, ob er Molieres „Bürger
als Edelmann" in tiefsinniges Rahmenspiel von Liebessymbolik
rückt, ob er Calderons „La Dama duende" als „Dame Kobold" in
graziösester Spiellaune wieder auferstehen läßt, immer zeigt er sich
in derselben kultiviert-distinguierten, erbprinzlichen Haltung voll sen-
sibelsten Formgefühls, voll melancholischen Stimmungszaubers, voll
fein abgewogener Ironie und zart-müder Seelendiff"erenzierung. Seine
beherrscht-lässige Vornehmheit mit ihrer abgetönten Koloristik und
ihrer lächelnden Freude am spielerischen Formausdruck alles Seeli-
schen zeigt das letzte Abenddämmern einer einst urwüchsigen Barock-
kunst seines Stammlandes. N>
3 1 8 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart
6. HEIMATKUNST,
a) Josef Ruederer und Ludwig Thoma.
Diese weichliche Großstadtluft, die dem ästhetischen Epikuräis-
mus und Pessimismus der Franzosen entspricht, findet ihr Gegen-
stück in der kräftigen Landluft der Volkskunst. Anzengruber ist
uns der Beweis, daß diese nie abgerissen war. Und mögen auch
die Landdichter, wie Kerr als Großstädter und Bewunderer Schnitz-
lers meint, ärmer sein und die schwer erkannten, feinsten Regungen
nicht haben und malen, es bleibt ihnen doch ein Ruhm: „primitivere
Gestalten, mit Erdgeruch, zu malen statt verfeinerter; etwas zu geben,
was der schlichten Tierheit näher kommt als den letzten uns be-
kannten Stufungen, Winkelregungen, Gefühlsunterarten".
Von dieser Erdnähe ist allerdings bei Anzengrubers nächstem
Nachfolger, Ludwig Ganghofer, (1855 — 1920) nichts zu verspüren.
Charakteristisch für sein bewußt sentimentales Schaffen ist sein viel-
bejubelter „Herrgottsschnitzer von Ammergau" (1880), der, obwohl
er noch sein relativ bestes Volksstück ist, weder Tiefe noch Fülle
seines Vorbildes aufweist. Den stärksten Kontrast zur moralsalba-
dernden Sentimentalität dieser Ganghoferschen Lederhosendramatik
bietet die frische Schärfe Josef Ruederers (1861 — 19 14), der aller-
dings auch Ganghofers weiche, liebenswürdige Gefühlstöne schon
aus grundsätzlicher Abwehr gegen alle Ganghöferei unterdrückt.
Darin liegt aber auch wieder die Stärke seiner gestrafften, vielstre-
bigen Dramatik. Weder lyrische Gefühlsstimmung noch epische Zu-
standsschilderung, einzig und allein dramatische Handlung in kon-
zentriertester Form und daher in intensivster Spannung ist sein drama-
turgisches Ziel. So verstand bisher nur Ibsen zu bauen, und mit
dieser architektonischen Konzentration war dennoch jedes Drama
von individueller Stimmung erfüllt und in der Zeichnung der Um-
schicht unverwechselbar. Das Umschichtige ist hier bei Ruederer
noch stärker betont, da er nicht Individualpsychologie, sondern Land-
schafts-, Stammespsychologie treibt. Insofern eignet auch seiner
Kunst der wissenschaftliche Grundzug des Naturalismus, der seine
Menschen aus der Abhängigkeit vom und Anpassung ans Milieu
begreifen will. Ahnlich wie uns Hauptmann die Märker im „Biber-
pelz" und vor allem im „Roten Hahn", Rosenow die Erzgebirgler
im „Kater Lampe" vorführt, so zeichnet Ruederer die Oberbayern und
ihre Münchener Stadtverwandten.
Aber ebenso wie Hauptmann und Rosenow sich nicht Heimatkunst
als Ziel setzen, sondern soziale Gattungskomik, so auch Ruederer.
Seine Komödie „Die Fahnenweihe" (1895) ist bei aller dramatischen
Konzentration nicht von jener drahtigen Feinheit wie Ibsens Seelen-
dramen, sondern derb und grobschlächtig wie seine Oberbayern. Im
Gegensatz zu Hauptmanns geistreicher Laune und lächelnder Heiter-
Heimatkunst: Josef Ruederer und Ludwig Thoma. 3^9
keit ist Ruederers Lachen dröhnend, aber auch scharf und schneidend.
Ein bitterer Unterton schwingt mit. Sein Humor ist nicht aus ver-
stehender, er ist aus eifernder Liebe geboren. Eine Liebe, die überall
enttäuscht ist, die überall Täuschung, Hohlheit sieht. Sein Humor
wurzelt in dem Leid, daß sein Stamm in dem materialistischen Re-
lativismus versumpft ist, daß der Fluch des Geldes auch das Land
verseucht hat. Die unerbittliche Wahrheitsliebe, die er mit den Na-
turalisten teilt, fordert sein J'accuse. Alle reiche Individualkomik ist
ihm nur Mittel zum Zweck, die egoistisch-materialistische Gesamt-
anschauung der angeblich so treuherzigen Jodler aufzuzeigen, jener
Bauern, die wie der schöne Lorenz ihre Mutter wörtlich und tätlich
mißhandeln und dann vor den Fremden ein rührseliges Festspiel ä la
Ganghofer aufführen, worin sie tränenreichen Abschied vom treuen
Mutterle nehmen. Diese Satire trifft nicht nur die Bauern, sie trifft
auch die gangbare Anschauung der Städter von den Bauern, wie sie
auch Literatursatire ist. Ruederers Stellung erhellt aus den Worten
des Posthalters gegenüber dem Münchener Salontiroler und Volks-
stückfabrikanten Götzensperger, bei dem wir nur indirekt an Gang-
hofer zu denken brauchen: „Du Schnadahüpflhanswurst! Du kennst
ja kein' Bauern, Du hast ja noch gar kein'n g'seh'n in Dei'm Leben,
sonst tatst kein solchen Mist schreiben. »Und geben schlicht ohn'
Falsch und Spott, nur unser biederes Grüß Gott!« Jawohl! Du mit
Dei'm schlichten Gebirgsvolk balst mir net gehst! A Lumpeng'sindel
is de ganze G'sellschaft!" Der Humor ist, daß der Posthalter selbst
einer der schlechtesten Lumpen ist.
Wohl blickt des Dichters Gesicht mit den strengen Augen, den
düsteren Stirnfalten, den herben Mundzügen zwischen den Zeilen
durch, aber die Darstellungsform ist objektiv, gleich bissig gegen
Städter wie Bauer, sie bemüht sich jene Unpersönhchkeit zu zeigen,
die von Frankreich dem Naturalismus kam. Mit kühler Sachlichkeit
gibt er in echt naturalistischer Eindruckskunst die Dinge, wie er sie
sieht, entschleiert sie rückhaltlos, ohne irgendwelche Wertungen daran
zu knüpfen. Als Vertreter der Stadt werden uns vorgeführt u. a. die
titelsüchtigen Kleinbeamtenfrauen, die mit ihren krähwinkeligen Eigen-
schaften uns längst von Kotzebue her vertraut sind; der Münchener
Cafetier, der sich mit dem Gelde Rettingers, des Liebhabers seiner
Frau, die ländhche Posthalterei erstanden hat und ohne Gewissens-
skrupel weiter aus dem fortbestehenden Verhältnis seinen Gewinn
zieht, aber seinen „guten Namen befleckt" sieht, wenn die ehrenwerte
Posthalterin noch einen zweiten, diesmal allerdings zahlungsunfähigen
Liebhaber sich hält; oder der Herr Großhändler Rettinger, dem seine
Reserveoffiziersehre gerade gut genug zu hochtrabenden Phrasen ist
und dessen Moralkodex den einzigen Grundsatz enthält: Alles ist er-
laubt, solange es nicht bekannt wird. Ruederers Humor, den Hof-
miller wild und eiskalt nennt, schheßt keine Kompromisse, ebenso-
320 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
wenig wie wir am Schlüsse vom „Biberpelz" die traditionelle Tugend-
geste beobachteten; hier wird das ganze Treiben gekrönt, indem das
tugendreiche Kleeblatt: Posthalter, Frau und Rettinger unter Sanktion
des Pfarrers zu Ehrenmitgliedern des Findelhausvereins ernannt werden.
Die Komödie aus dem Revolutionsjahr 1848 „Morgenröte" (1904)
ist Kleinbürgersatire mit Münchener Lokalkolorit. Mit ingrimmigem
Humor wird gezeigt, wie dem Münchener Bierbankpolitiker im
Grunde ein gefüllter Maßkrug wichtiger ist als alle Revolution um
die berüchtigte Lola Montez. So wenig wie Sudermann hat Ruederer
uns die politische Komödie des Jahres 1848 gegeben, aber das Jahr
1918 hat bestätigt, wie richtig er den Münchener Spießer mit seiner
schwunglosen Indolenz gezeichnet hat. Als eben zum Schlüsse der
Revoluzzer Eisenkopf die Morgenröte aus dem Osten ankündigt, da
tritt der Herr Pfarrer mit dem Weihrauchwedel ein und die Mader-
bräuin, die allein in all dem Geschrei ihren Geschäftssinn nicht ver-
loren hat, ruft jenem zu: „Herr Eisenkopf, steigen S' runter. Machen S',
daß S' weiterkommen, ja, ja, gehen S' nur, 's ist das Beste, was S' tun
können". Die Welt geht weiter, ein neuer Banzen wird angestochen.
Ein Vergleich mit Ludwig Thoma (1867 — 1921) offenbart am besten
die ursprüngliche Dramatikernatur Ruederers. Thoma kommt höch-
stens einmal in dem prachtvollen Bauerneinakter „Die Medaille" über
den Episodenstil des witzigen Simplizissimus-Schriftstellers hinaus.
Die vieraktige Komödie „Die Lokalbahn" kann sich nicht entfernt mit
Ruederers „Fahnenweihe" messen; obwohl sie voll von Witz und
wirkungsvoller Komik steckt — auch hier begegnen wir im zweiten
und vierten Akt dem Motiv der Wiederholung mit umgekehrtem Vor-
zeichen — , fehlt es ihr an der zwingenden dramatischen Konsequenz.
Der Impressionismus hat alle Tektonik aufgelöst.
b) Fritz Stavenhagen.
In dramatischer Gestaltungskraft ist dem Bayern Ruederer der
Niederdeutsche Fritz Stavenhagen (1876 — 1906) zu vergleichen. Wie
Hebbel, dem er auch an unbeugsamer Willenskraft gleichkommt, ist
er Niedersachse. Gerade hatte um die Jahrhundertwende die stäm-
mische Heimatskunst neue kräftige Antriebe erhalten durch das Wirken
des Elsässers Fritz Lienhard und des Niedersachsen Adolf Bartels.
Mit Fritz Stavenhagen ersteht ihr sofort einer der stärksten Dramatiker.
Die Komödie „De rüge Hoff" (1906) hat in der Zeichnung sittlicher
Verwahrlosung Ähnlichkeit, wie schon Soergel bemerkte, mit Ruede-
rers „Fahnenweihe". Doch dem Niederdeutschen ist die Zustands-
schilderung nicht Selbstzweck, sie gibt nur die Symptome von tiefer
wirkenden Naturkräften in den Geschlechterbeziehungen. Das Lu-
strum, das zwischen beiden Komödien liegt, hat den Blickpunkt der
Eindruckskunst von der äußeren physischen Wirklichkeit in die Tiefen
und Untiefen der Seele verlegt. Das für die Komik unerschöpfbare
Heimatkunst: Fritz Stavenhagen. Karl Schönherr, 32 1
Gebiet des Sexuellen gibt die Möglichkeit, aus dem Animalischen das
Allgemeinmenschliche humorvoll erstehen zu lassen. Rauh, knorrig
und hart sind die Bauern wie das Land, mit dem sie in harter Arbeit
ringen, derb ist auch das dramatische Gefüge, aber dennoch von einer
bezwingenden Kraft in der nervigen Ballung von Handlung und
Landschaftscharakter.
Aber Stavenhagens beste Komödie, auch nach seiner eigenen
Schätzung, ist „De dütsche Michel" (1905). Eine eigentümliche Mär-
chenstimmung liegt über dieser realistischen „niederdeutschen Bauem-
komödie". Der junge Graf, dessen Umgebung wie in Hebbels Ko-
mödien etwas blaß geraten ist, wird durch böse Gesellschaft zur
Bedrückung seiner Bauern verleitet; ihr Widerstand ist das Stahlbad
seines eigenen Charakters. Die halb traumvisionäre Grafenhandlung
ist jedoch nur das Mittel, um den niederdeutschen Bauerncharakter
zu entfalten. Insofern ist es eine Charakterkomödie, nur handelt es
sich nicht um einen Individualcharakter, sondern um einen Stammes-
charakter; auch hier, wie in Hauptmanns „Webern", ist die Masse der
Held. Dem vermeintlichen Toten geben die Bauern den verlangten
Tribut; vor dem Tod schweigt aller Haß, wie auch die Globsower
ihrem verstorbenen Dubslav Stechlin zurufen: „He wihr so wiet janz
good", aber den Lebendigen schlagen sie lieber tot. Es ist nicht nur
das Gefühl des Überlistet- und Betrogenseins, auch nicht nur bäuer-
licher Geiz und Habsucht, es ist die niedersächsische storrige Un-
beugsamkeit, die Starrheit des Rechtsempfindens, die die Dittmarsen
lieber tot als Sklaven sein läßt. Hier ist nichts von weichen Ge-
fühlchen, vom müden Wiener Impressionismus zu verspüren. Hier ist
Erdgeruch, Tierheit; salzige Seeluft weht in der Wahrheit dieser Komödie.
Das Klobige der Charaktere ist nicht zierlich zugeschnitzt; es wirkt
daher auch klotzig und holperig, aber es wirkt auch primitiv, elementar
und wahr, und aus diesem gesunden Nährboden erwächst der frische
derbe Humor. Der Vergleich mit Holberg liegt nahe, obwohl vielleicht
des stammverwandten H. Boßdorf (1877— 1921) urwüchsige Komödien
„Kramer Kray" und „De rode Uennerrock" diesem noch näher stehen.
Stavenhagen schaute seine Bauern, gestaltete sie und hatte die dichte-
rische Kraft, diese plastischen Einzelgestalten zum Symbol der Land-
schaft zu ballen. Hier verspüren wir nichts von dem Doppelsein des
katholischen österreichischen Bauern, hier ist alles bodenständige
Einheit, die in derber Realität mit beiden Füßen auf dem Boden steht.
c) Karl Schönherr.
Darin ist das niederdeutsche Dialektlustspiel grundverschieden
von der Tiroler Dialektkomödie Karl Schönherrs (geb. 1868) „Erde"
(1907), die dem „Dütschen Michel" wenigstens an dichterischem,
wenn auch nicht dramatischem Wert gleichsteht. Hier hat die öster-
reichische Dramatik, die in der Großstadt, in Wien, unter dem Ein-
Holl, Lustspiel. 21
322 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
fluß des Auslands in eine müde Verfallstimmung des Rokoko geraten
war, aus dem Volkstum frische Kraft geholt und damit den Weg
zur alten Tradition wiedergefunden. Statt des zärtlichen Rokoko
schauen wir jetzt wieder die wuchtigen ausladenden Gebärden des
Barock, statt der dekadenten Seelendifferenzierung erleben wir erd-
nahe Urgefühle, statt der Spielerei Leidenschaft. Daher konnte
Walzel in Schönherrs Bauern Naturen erkennen, in denen es glüht,
deren inneres Erleben den stürmischen Rhythmus des Barock hat.
In gegenseitiger Unterstützung bewirken die triebhaften Naturgefühle
und der drängende Barockwille seelische Spannungen von gewaltiger
Weite und Intensität.
Allerdings liegt hier auch eine Gefahr: das Barock ist die Kunst
der betonten Pose. Die stumme sinnbildliche Pantomime, auf die
Nadler in Schönherrs Dramen hinweist, nicht bloß bei der Bewegung
der einzelnen Figur, sondern oft im Aufbau ganzer Szenen, findet
in jener Barockpose ihren Grund. Schönherr, der Sprößling des
Landes, in dem das Barocktheater seine Heimat, Blüte und ununter-
brochene Tradition hat, will Theater machen. Er wäre sonst kein
Barockkünstler. Jüngste Literaturentwicklung hat uns gelehrt, darin
einen Vorzug seines dramatischen Schaffens zu sehen. Denn zweifel-
los laufen und liefen wir in der Vergangenheit oft Gefahr, unter
dem Einfluß einer protestantisch-bilderstürmerischen Orientierung das
Drama als Wortdichtung und nicht als Bühnendichtung, spiritua-
listisch und nicht sensuaHstisch aufzufassen, hat doch der Protestant
Lessing das — zum mindesten für die phantasie- und illusionsunfähige
Mehrheit der Menschen — heillose Wort gesprochen, eine Tragödie
müsse beim Lesen ebensogut wirken wie auf der Bühne. Aber
andrerseits führt der Wille zur sinnlichen Veranschaulichung, in dem
Kunst des Barock und Kult des Katholizismus zusammenfallen, leicht
zur Veräußerlichung, zur Nur-Pose. Die innerlich gemußte seelische
Spannung wird äußerlich gewußte theatralische Spannung. Und
dieser Gefahr ist Schönherr nicht immer entgangen, am ehesten
jedoch in „Erde".
Schönherr gibt hier nicht, wie die Wiener, Psychologie in feinsten
Schattierungen, sondern Seelenbiologie mit mächtigen Akzenten. Es
kommt ihm weniger auf die Seelentätigkeiten des Menschen an, als
auf die Aufhellung der Verwurzelung des Seelenlebens mit der Natur,
wobei Natur nicht nur ein mechanisches System ist, sondern ein
vitales Geschehen, oder wenigstens eine Verbindung von Anorga-
nischem und Vitalem, von Nur- Räumlichem und Lebensvorgängen.
Der Mensch wird als abhängig von der Natur, als ihr Glied betrachtet.
Hierin liegt der Unterschied gegenüber Ruederer. Dieser steht dem
sozial interessierten Naturalismus nahe und sucht seine Gestalten
vom Gesichtspunkte des sozialen Milieus aus zu fassen. Schönherr
dagegen legt das Schwergewicht auf die Bedeutung der natürlichen
Heimatkunst: Karl Schönherr. 323
Umschicht, also auf die geopsychischen Erscheinungen, um Hellpachs
Ausdruck zu benutzen, der damit die das Seelenleben bestimmenden
Faktoren Landschaft, Klima, Wetter zusammenfaßt. Deutlich fühlen
wir deren Einwirkung, wenn im ersten Akte, an einem sonnig-heißen
Sommertag, da alles in prangender Frucht steht, der alte Grutzhof-
bauer trotz seiner zweiundsiebzig Jahre in aller Fülle strotzender
Gesundheit voll „Schmalz und Schmier" vor uns steht; wenn im
zweiten Akte, an einem sonnenlosen graufrostigen Spätherbsttag, da
Baum und Strauch kahl und verdorrt stehen und die Berge bereits
im Schnee liegen, der alte Grutz sich seinen Sarg bestellt und sich
ins Sterbebett legt; wenn im dritten Akte, an einem brausenden Vor-
frühlingstag, da alle Säfte steigen und die Erde schon die Wintersaat
vortreibt, der alte Grutz sich wieder erhebt und seinen Sarg zu Brenn-
holz zerhackt. Es sind dies nicht nur symbolische Vergleiche, wir
verspüren das Wirken der Natur selbst.
Der Dichter will noch mehr zeigen als nur die Einwirkung geo-
psychischer Faktoren. Seit dem Ende des Jahrhunderts ist die Lebens-
kraftlehre wieder zu Ansehen gekommen, die die Natur nicht nur
als natura naturata, sondern als natura naturans begreift. Die Neu-
romantik ist auch in der Naturphilosophie ihrer älteren Schwester
treu geblieben. Der alte Grutz ist selbst das Symbol der unver-
änderlichen, in ewigem Rhythmus gleichbleibenden Natur. Alle
menschliche Berechnung zerschellt an ihm wie an ihr, und die be-
rechnenden Menschlein in ihrer nackten Kleinheit sind das Objekt
unseres Humors. ,, Überall die gleiche Raunzerei! Und g'schehen tut
ja doch, was die (Natur) da draußen will! Man ist nur ihr Hanswurst!"
Die „extraige Offenbarung" des Steinklopferhans Anzengrubers ist
in Grutz lebendig, darin zeigt sich die Verwandtschaft echter Volks-
kunst; aber sie ist in ihm vertieft. Grutz ist selbst die Natur.
„I stirb ja nit! Bin meiner Lebtag knietief in der Erd dring'steckt!"
Mensch, Tier, Erde sind gleichermaßen beseelt, daher das Mitgefühl
des Grutz mit dem steinbeschwerten Acker, mit dem leidenden Pferd.
Ein zeitloses Naturwalten, das in der Wageszene des letzten Aktes
zu grausem Humor gesteigert ist, weht uns an mit einem Hauch der
alten Edda. Die Natursymbolik ist zum Naturmythos geworden.
Die Kunst des Dichters zeigt sich darin, daß diese tiefsinnigen
Gedanken uns unmittelbar aus den derben Holzschnittfiguren der
Bauern anspringen. Nur selten, wie etwa in den Gesichten des
Knechtl, oder daß in allzu grober Symbolik dieser Jüngste dem Äl-
testen im Tode vorausgehen muß, verspüren wir den berechnenden
Techniker. Prachtvoll sind die Kontraste von Mann und Frau gesetzt,
jener das Dynamische, Sehnsucht nach Fortpflanzung, diese das
Statische, Sehnsucht nach der eigenen Scholle; beide wieder sich
im Grutz vereinigend, er ist das beherrschende Zentrum, er ist auch
der Hauptträger jenes beliebten Kunstmittels Schönherr s, durch leit-
•^24 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
motivische Wiederholung typischer Wendungen das vielstrebige Ge-
bäude zusammenzuhalten. Die zwingende Konzentration auf eine
Hauptperson bei einer reichen Zahl an Bedeutung abstufender Neben-
figuren, die Kongruenz dieser Hauptperson mit der Hauptidee, die
das Lustspiel der Schicksalsdramatik zuweist, die von diesem natur-
waltenden Schicksal beherrschte schwellende Rhythmik voll reichster
Spannungen: alles zeigt den Barockcharakter der Dichtung.
Gleiche Kunsthöhe haben Schönherrs Lustspiele nicht wieder er-
reicht. Doch „Die Trenkwalder" (1914), teilweise eine Überarbeitung
seines ,, Sonnwendtag", sind uns interessant, weil jene Doppelwelt der
katholischen Bauern, die wir bei Anzengruber beobachteten, hier die
Grundlage des Lustspiels bildet. In „Erde" klingt das Motiv nur vor-
übergehend an, in den Drohungen des Totenweibele etwa. Hier aber
spinnen die Handlungsfäden wie die Reden ständig hinüber und her-
über zwischen der Welt, darin die Patscheiderin kräftig auf beiden
Beinen stehend regiert und auch gelegentlich in heißem Blutdrang
liebt, und jener Welt, darin sie ein Tauschgeschäft mit dem Herrgott
macht, um für eine Kirche nebst Pfarrer ihrer Liebessündenschuld
ledig zu werden; zwischen der Welt, darin Metzger, Wirt und Kauf-
mann die Wallfahrer schröpfen, und jener, da diese mit den Heiligen
auf Du und Du stehen; zwischen der Welt, darin der alte Pfarrer
von seiner Haushälterin tyrannisiert wird, und jener, da das Jesus-
kind mit fröhlichem Lächeln sein Geigenspiel quittiert.
Dieses Zweiweltensystem ist in Barockform mit all den Kunst-
mitteln der „Erde", wenn auch in weit gröberer Bauart, aufgebaut;
aber es fehlt der innere Zwang. Wir erleben hinreißende Spannung
und enden in Theaterspuk; hellsichtige Naturwüchsigkeit wechselt
mit toten Jahrmarktspuppen; zu dichterisch geschautem Symbolwerk
gesellt sich bengalisches Feuer und rationalistische Lehrmoral. Hier
wurde die Barockpose übermächtig, so daß trotz Witz und ursprüng-
lichem Humor ein Dichtwerk entartete.
7. JÜNGSTE LITERATUR-
ENTWICKLUNG IM SPIEGEL DER BÜRGERSATIRE.
a) Otto Erich Hartleben.
„Die Trenkwalder" schließen sich, im Gegensatz zu „Erde", näher
an Ruederer und Thoma an, weil sie die Profitgier der bürgerlichen
Berufstypen satirisieren. An Hauptmanns „Rotem Hahn" beobach-
teten wir bereits die humorische Zeichnung des sittlichen und wirt-
schaftlichen Relativismus. Seine Grundlage ist materialistische Welt-
anschauung, deren künstlerischen Ausdruck wir im Naturalismus
erlebten. Dessen stark betonte sozialistische Seite mußte von vorn-
herein eine Abwehrstellung begünstigen gegenüber der Bourgeoisie,
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: O. E. Hartleben. 325
der satten Klasse der Besitzenden. Folgerichtig gewahren wir Bürger-
satire bereits in der naturalistischen Frühzeit.
Doch wenn wir einen Otto Erich Hartleben (1864 — 1905) als Sati-
riker des Bürgertums kennenlernen, dann genügt die sozialistische
Theorie zur Erklärung nicht. Tatsächlich ist auch seit der Romantik,
die am stärksten mit Eichendorff „Krieg den Philistern" ansagte, im
ganzen 19. Jahrhundert der Bürger immer wieder die Zielscheibe sati-
rischer Spottpfeile gewesen. Und in dem Brauch, die Philister auf
die Bühne zu bringen, trafen sich bereits die beiden klassischen Anti-
poden Aristophanes und Menander. Was den Bürger zu der unsterb-
lichen Figur der Komik macht, ist der Mangel an Leben, die Starr-
heit seiner Konvention, das Mechanisch -Maschinelle seiner Lebens-
weise, sein Marionettencharakter, seine Unpersönlichkeit. Der Kontrast
zwischen seinem So-Sein als Bürger und seinem Soll- Sein als Mensch
ergibt die Komik, da er in gutem Glauben Anspruch erhebt, als
lebendiger, vollbewußter, selbstentscheidender, individueller Mensch
zu gelten und die daran zu knüpfenden Erwartungen nicht erfüllt.
Er will etwas scheinen, was er nicht ist. Er ist als reales Kollektiv-
wesen etwas, was seiner ideellen Menschbestimmung widerspricht.
In diesen Kontrasten wurzelt seine Komik.
Das Gegenstück zum Bürgerphilister ist der Bohemien, der in
anarchischer SelbstwilHgkeit alle Konvention verachtet und nur seinem
Ich lebt. Daß auch diese Lebenshaltung bewußte Pose und damit
maschinelle Starrheit werden kann, läßt auch sie zum komischen
Objekt werden. Selbstpersiflage ist daher gerade bei Bohemiens oft
zu beobachten. So auch bei Hartleben. Er ist der typische Repräsentant
seiner relativistischen Epoche, der, zu schwach sich aus ihr herauszu-
finden, sich wenigstens daraus das Recht zu eigener Lebensweise holt und
nun von seinem Bohemetum aus das bürgerliche PhiHstertum verlacht,
indem er ihm, wie Heinrich Hart schrieb, mit heuchlerischer Zärt-
lichkeit eine Narrenkappe aufsetzt. Seine Komödien „Angele", „Hanna
Jagert", „Die Erziehung zur Ehe", „Die sittliche Forderung" sind
amüsant und witzig, aber im besten Falle nur humorvolle dialogisierte
Anekdoten; am ehesten kann noch „Hannajagert" als dramatisches
Lustspiel gelten, aber auch hier fehlt ihm die Kraft zum Ganzen, er
bleibt am Einzelnen haften. Hier kommt besonders deutlich zum
Ausdruck, wie wenig seine Bürgersatire sozialistischen Ursprungs ist.
Ja, wir verspüren eher Nietzsches Töne in der Abwehr der Massen,
allerdings ohne jedes Pathos. Hartlebens Satire verdient diesen Namen
im Grunde gar nicht, da ihr jede Schärfe fehlt, da sie nicht der Aus-
druck einer sittlichen Überzeugung ist; jedenfalls ist sie, um Schillers
Unterscheidung anzuwenden, rein scherzhaft und nicht pathetisch.
Als relativistischer Impressionist gibt er nur Eindrücke wieder, ohne
Werturteile dranzuknüpfen, und da die Eindrücke ihm auf dem Wege
durch den karikierenden Spiegel seines Bohemetums vermittelt wer-
^20 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
den, so sind seine Bilder komisch verzerrt, ulkig. Diese harmlose
Lächerlichkeit hat allerdings noch keinen Philister getötet, aber in
jener allzu wissenschaftlich ernsten Literaturepoche hat er dem intellek-
tuellen Spiel der Gedanken und Vorstellungen sowie der Anmut der
graziösen Leichtigkeit ihrer Formgebung wieder zum Recht verholfen.
b) Frank Wedekind.
Hartleben hat damit bereits die soziale Ideendiskussion des Natura-
lismus verlassen. Schnell wurde allenthalben erkannt, daß diese
engen Grenzen nicht einzuhalten seien. An Nietzsche erwuchs die
Besinnung auf das Menschsein; der Dichterphilosoph gab die Kraft,
die Schranken des Kastenmäßigen, Klassenartigen zu durchbrechen.
Noch früher als Gott hat Frank Wedekind (1864— 191 8) den Natura-
lismus überwunden, er gehörte ihm überhaupt nie an. Seine Komödie
„Die junge Welt" (1889) mag, nach Fechter, die Antwort sein auf
die Indiskretion des „Friedensfests", worin Gerhart Hauptmann Be-
kenntnisse Wedekinds als Stoffmaterial verwendete. Jedenfalls zeigt
diese Komödie aus dem Jahre, da eben mit Hauptmanns „Vor Sonnen-
aufgang" die Sonne des Naturalismus im Drama aufgegangen war,
bereits eine deutliche Satire auf die naturali!>tischen Dichter, die mit
ihren Beobachtungssammlungen, ihren „cahiers" die Phantasie er-
setzen wollen.
Aber Wedekind zielt darüber hinaus auf das Menschliche in
Reinkultur. Das bedeutet negativ die Abwehr alles Konventionellen
und Traditionellen, das ist die Kampfstellung gegen alles, was
Bürgertum heißt im weitesten Sinne, so daß er ebenfalls schon in
seinem Erstlingsstück sich auch gegen Frauenbewegung und Sozia-
lismus wendet. Alles, was den Geist, die Persönlichkeit, die Frei-
heit irgendwie einengt, sei es durch Übereinkommen, Gesetze, Moden,
ist Bürgertum, dessen erklärter König Pietro ist, und damit feindlich
dem Menschtum, dessen verhöhnter König Nicolo ist („König Nicolo").
Der Marquis von Keith aus der nach ihm benannten Komödie, der Be-
trüger und Hochstapler, ist ein Genie, das sich über alle Sitten- und
Moralgesetze hinwegsetzt, aber auch er kann der Gewalt, die alle
Wesen bindet, nicht entgehen: der zähen, schleimigen Masse des
Bürgertums, dem großen Krummen aus Ibsens ,,PeerGynt"; sein geni-
ales Werk wird von den triefäugigen Münchener Bierphilistern vollendet,
der Gauner wird von Konsul Casimir in aller Bürgerlichkeit übergau-
nert, um damit unfreiwillig den Beweis zu liefern, dalS mit der Moral
immer noch die besten Geschäfte gemacht werden. Sein Geschäft ist
fehlgeschlagen, daher ist er der Sünder, wie er ja selbst schon längst
erkannt hat, daß Sünde nur eine mythologische Bezeichnung für
schlechte Geschäfte ist. Darin liegt genug Komik. Sie wird aber noch
vertieft dadurch, daß ja dieser internationale Schwindler, der schon
als Bastard außerhalb der Gesellschaft steht, dennoch in ihren Bann
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: P'rank Wedekind, 327
gerissen wird durch den alles beherrschenden Geschäftssinn. Darin
zeigt sich diese Macht des Materialismus, die Nicolo zum Hofnarren,
Hetmann in „Hidalla" zum Zirkusclown macht, und die wir bei Schön-
herr und Ruederer als Drang zum Kapital, bei Hauptmanns „Rotem
Hahn" als Drang zum Emporkommen sahen. Marquis von Keith bringt
diesen Mammonismus auf die Formel: „Es gibt keine Ideen, seien sie
sozialer, wissenschafthcher oder künstlerischer Art, die irgend etwas
anderes als Hab und Gut zum Gegenstand hätten". Marquis von Keith
ist nicht nur der Exponent dieses skrupellosen materialistischen Geistes,
er ist auch sein Opfer, und nichts zeigt dessen Macht heller, als
daß gerade dieser zur Freiheit Geborene ihr unterliegt.
Aber eine Kraft gibt es, die sich mächtiger erweist als die alles
PersönHche vernichtende Macht mechanistisch-materialistischer Zivili-
sation, eine Kraft, der selbst der Konsul Casimir unterliegt: das ist
der Geschlechtstrieb. In dessen Darstellung sieht Wedekind das
Positive in seinem Ziel, das Rein -Menschliche zu ergründen. Die
Allgewalt des Geschlechtstriebs zerschlägt das Gerüst der Bürgerlich-
keit. Er ist der Erdgeist, dem Künstler wie Wissenschaftler, Kaufmann
wie Muskelmensch, Gymnasiast wie Greis Untertan sind („Erdgeist").
In ihm glaubt Wedekind rousseauistisch die Natur wiederentdeckt zu
haben. Zweifellos hat Wedekind stärker als je einer vor ihm das
Geschlechtliche in seiner Bedeutung für das Gemeinschaftsleben er-
kannt und damit der psychoanalytischen Forschung vorgearbeitet.
Aber er, der stärkste Ankläger des Materialismus, er, der darob zum
Satiriker der gesamten Zivilisation, nicht nur des Bürgertums ge-
worden ist, kann sich selbst nicht aus dessen Bann befreien. Wohl
sucht er mit seinem Hetmann ein drittes Reich, in dem die Fleisches-
lust in einer höheren Welt der Schönheit aufgehen soll, aber sein
Ende ist die Verzweiflung, die zum Strick greift. Wedekind fehlt
die Kraft eines optimistischen Idealismus, um sich aus dem Materia-
lismus, dessen Gefahr und Unwert er erkannt hat, zu befreien. Trotz
aller Sehnsucht bleibt ihm alles nur eine Fleischfrage, er ist im Grunde
doch noch Materialist, dem Geist Kindermärchen bleibt. Seine revo-
lutionäre Gesinnung findet keine grundsätzlich neuen Gesetze, sondern
begnügt sich mit der Umkehrung der alten, so daß er etwa den eng-
herzigen Priestern des Überkommenen höhnisch entgegenruft: ein nack-
tes Weib ist sittlich, ein bekleidetes unsittlich. Da er aber viel zu klug
ist, um diesen Trug nicht einzusehen, so wird der Zivilisations-
satiriker zum Kulturpessimisten. Der Geschlechtstrieb ist die Urkraft,
die niemals zum Ziele kommen, niemals befriedigt werden kann. Wede-
kind ist grundsätzlich ein Schopenhauer, der an Stelle des Willens
den Geschlechtstrieb setzt und damit zur gleichen Überzeugung ge-
langt, daß die Welt eine Welt des Elends und des Leidens ist.
Diese Erkenntnis sucht Wedekind immer wieder erneut darzustellen.
Er hat nichts von der graziösen Leichtigkeit Hartlebens, von dessen
"^28 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
göttlicher Anmut. Wie ein orthodoxer Eiferer stürzt er sich immer
wieder voller Leidenschaft auf sein Thema und macht die Bühne zur
Kanzel. Daraus kann kein befreiender Humor erwachsen. Es ist ihm
heiliger Ernst. Er ist durchaus nicht amoralisch, Wohl ist er anti-
moralisch, soweit Moral irgend etwas mit Überlieferung oder Konven-
tion zu tun hat. Ihm geht es um eine natürliche Sittlichkeit. Diese
verficht er mit all der Unduldsamkeit eines engherzigen, beschränkten
Sittlichkeitsfanatikers. Wohl ist die Gewalt seiner Leidenschaft und
seines Temperaments imponierend, aber sie verhindert jede künst-
lerische Bändigung im Aufbau wie im Ausdruck. Er selbst bekennt:
„Wenn ich als Ethiker die Arme frei haben wollte, mußte ich als
Künstler jedem Widerspruch aus dem Wege gehen". Er zerschlug
die Form des naturalistischen Dramas und fand seine eigene Form,
die fast Formlosigkeit ist, und die ihn ebensosehr zum Begründer
des expressionistischen Dramas macht, wie sie ihn in die Nähe der
Romantiker, insbesondere Grabbes, rückt.
Aus der Welt der Schauerromantik, Moritaten und Schundromane
holt er seinen Stofif und kleidet ihn in Gegenwartsgewand. Ohne
jede naturalistische Absicht der Einfühlung will er daraus seine Er-
kenntnis abstrahieren, um gerade durch die Trivialität des Stoffes
deren Zeitlosigkeit zu erhärten. Gegenüber der Objektivität des im-
pressionistischen Naturalismus erstrebt er bewußt unbedingte Subjek-
tivität. Aber ebensowenig wie er als Gegner alles Materialistischen
sich vom Materialismus freimachen kann, kann er sich vom Impressio-
nismus vollkommen befreien. Er hat nicht die Kraft der Entscheidung.
Lulu endet unter dem Messer des Aufschlitzers, und das Schlußwort
des Marquis von Keith: „Das Leben ist eine Rutschbahn" ist schließ-
lich auch nichts anderes als ein Ignorabimus.
Wie immer wieder, schon in „Fritz Schwigerling oder der Liebes-
trank", auf den Zirkus Bezug genommen wird — Wedekind zog selbst
1888 ein halbes Jahr in einem Zirkus umher — , so stellt er auch immer
sich selbst dar. Daher die Ähnlichkeit seiner Dramen ; Josef Hofmiller
hat schon recht: Wedekind hat nur eine einzige Walze. Der tiefere
Grund aber der Ähnlichkeit ist, daß sie keine Kunstwerke sind, die
als solche selbständige und unwiederholbare Individualitäten darstellen ;
es sind dialogisierte Erörterungen seiner Idee vom Rein-Menschlichen,
die er auf die beiden Grundprobleme reduziert: Mann und Frau, Mensch
und Gesellschaft. Es fehlt der eigentliche dramatische Lebensnerv.
Die vorhandenen Spannungen sind solche stoftlicher Art, wie sie
Kolportageromane mit sich bringen, oder formaler Art, wie sie der
Barockkunst eignen.
Die Form der Darstellung ist die der Inkonsequenz, der Willkür,
der Unterbrechung des Kausalnexus. Darin liegt romantische Ironie,
die immer wieder die Illusion zerreißt. Wedekinds Technik läßt uns
auf ein Ziel lossteuern, um im letzten Augenblick daneben zu landen.
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Neuromantiker. 329
Er bereitet tragische Situationen vor, um zum Schlüsse durch einen
Seitensprung ins Komische umzuschlagen, wie etwa beim Schluß
vom „Kammersänger". Die Ironie der Wirkung geht sogar oft noch
ungewollt über Wedekind selbst hinaus, wenn aus erstrebtem Ernst
Komik hervorbricht; er will natürlich sein und wirkt als Poseur.
Dennoch aber hegt in seinen Stücken, vor allem in denen der
ersten fünfzehn Jahre seines Schaffens, eine seltsam bannende Ge-
walt. In die Schauerromantik zucken jähe, grelle Blitze, die bis ins
Tiefste aufreißend erhellen, rationalistische Schulmeisterei wird von
schlagendem, wortkargem Dialog unterbrochen, die Marionettenfigu-
ren seiner Menschen zeigen plötzlich in wenigen Strichen, die an
Gulbransson erinnern, eine überzeugende Lebensfülle, die die Fratzen
gespenstisch aufleuchten läßt; über alle Flachheiten, aber auch
über alle Abgründe stürmt jener allgewaltige Trieb, der alles Frag-
mentarische dennoch wieder zur Einheit zusammenspannt. Diese
drängende Dynamik reißt über alle Öden einer oft schauderhaften
Wortgebung hinweg und überzeugt trotz allem Fratzenhaften von
dem sittlichen Ernst des Dichters. Ja, dieses Fratzenhafte, Mario-
nettenhafte ist wiederum nur Mittel zum Zweck, um sein sittliches
Erlebnis zu grellem Ausdruck zu bringen. Hier haben wir keine
abgeklärten, humorgestalteten Lustspiele, sondern Grotesken, die auf-
gebaut sind auf innerlich erlebten Wahrheiten, die deshalb auch
tiefere Wahrheit verkünden als die Eindruckskunst des Naturalismus.
Hier ist das Leben nicht fein säuberlich in Tragik und Komik ge-
schieden, beides ist ineinander verflochten, bedingt sich gegenseitig
wie Licht und Schatten. So mag der dramatische Nerv fehlen, dafür
liegt hier in konvulsivischen Zuckungen der Lebensnerv bloß.
c) Neuromantiker.
Wedekinds Abstraktion des Lebens ist zugleich dessen Ballung.
Er wird dadurch richtunggebend, und Freyhan, der das „Drama
der Gegenwart" auf seine Wesenskräfte durchprüfte, hat ihn mit Recht
„Bahnbrecher und Wegbereiter des dynamischen Dramas" genannt.
Die Komödie hat von seinen beiden Grundproblemen in erster Linie
die Beziehungen von Mensch und Gesellschaft weiter behandelt.
Doch wird die Weite des Kreises Wedekindscher Weltschau wieder
in die Enge Hartlebens zurückgeschraubt. An Stelle von ethisch
fundierten Zivilisationsgrotesken begegnen wir ästhetisch orientierter
Bürgersatire. So gibt uns Paul Apel (geb. 1872) in „Hans Sonnen-
stößers Höllenfahrt" (191 1) ein lustiges Spiel von dem Alpdruck, den
das grammophonspielende, sentimentale, neugierige, taktlose Spießer-
tum einem Menschen von Geschmack verursacht. Im Grunde ist dies
der Standpunkt von Kotzebue. Neu wirkt nur die Einkleidung in
eine Traumvorstellung, die Erkenntnisse moderner Traumpsychologie
erfolgreich in komische Münze prägt. Bühnentechnisch schwächer,
330 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
aber dichterisch stärker ist Hermann Essig (1878 — 19 18), der aus
dem naturalistischen Impressionismus zu einer romantisch-phanta-
stischen SymboHk strebt. Ein jeanpaulisierender Humor erblüht in
seinen Krähwinkeliaden ,,Die Weiber von Weinsberg" (1909) und
„Die Glückskuh" (1910) aus der Kleinheit alles Menschlichen und
hebt trotz des Gestaltungsmangels die Karikatur zum Individuellen.
Die menschlichen Zusammenhänge und Beziehungen in der Be-
schränktheit ihrer Kirchturminteressen, ihrer persönlichsten Wünsche
ergeben eine mit Beklemmungen versetzte Komik, deren Wirkung
in der Selbstverständlichkeit beruht, mit der in einer engen, derb-
realistisch gezeichneten Wirklichkeitswelt Sitte und Sittlichkeit negiert
werden zugunsten der Befriedigung eigensüchtiger Triebe.
Weg von aller äußeren Wirklichkeit führt Karl Hauptmann (1858
bis 1920). Ein beschaulicher Lächler baut er in seinen Menschen
eine Gemütswelt auf, die in dem jähen Umschlag aus Realistik in
Phantastik an E. Th. A. Hoffmann erinnert. Seine „Armseligen Besen-
binder" (1913) sind trotz ihres losen Aufbaues ein Märchendrama —
der Märchencharakter wird durch die Lockerung der Handlung noch
gestützt — von so innig beseelter, bannender Kraft und Eigenart,
daß der zu seinen Ungunsten immer wieder herangezogene Vergleich
mit seinem Bruder Gerhart müßig erscheint. Eher fordert seine
Komödie „Die Rebhühner" (1916) den Vergleich heraus, da auch er
hier, wie Gerhart in den ,, Jungfern vom Bischofsberg", an die Stätte
jugendlicher Brautwerbung zurückkehrt. „Doch bringen die »Reb-
hühner« in eine Idylle, die etwas von der Stimmung Jean Pauls hat,
auch etwas von der Kunst Jean Pauls und seiner Gefolgsleute,
Sonderlinge mit grotesken Zügen lebensfähig zu machen". (Walzel.)
Der Aufbau ist weit lockerer als seines Bruders Spiel, so daß die
einzelnen Akte mit den jeweils vorangestellten Personenverzeichnissen
fast wie selbständige Bilder anmuten. Aber wieder gelingt es dem
Künstler, eine Einheit des Stimmungszaubers zu erzielen, der in
seiner schlichten Eindringlichkeit, allerdings mehr beim Lesen als
bei der Aufführung, gefangennimmt.
Mit dem Schlesier ist der Rheinländer Herbert Eulenberg (geb.
1876) verwandt. Bei ihm ist nichts mehr, wie noch bei Hermann
Essig, von Naturalismus zu verspüren. Auch hat er seinen Kreis der
Komik wieder erweitert. Wenn Essig bereits an Stelle von Satire und
Karikatur Komik in ihrer Allgemeingültigkeit für die Kleinbürgerwelt
aufzeigt, so stellt Eulenberg, darin Karl Hauptmann näherkommend,
die humorischen Züge des Ewigmenschlichen dar ohne Rücksicht auf
Klassenbeschränkung. Gleich Wedekind löst er die Komik nicht von
der Tragik, sondern spürt sie als Komponente alles menschlichen
Seins auf. Es ist daher auch schwer, Tragödien und Komödien bei ihm
zu scheiden; sie gehen ineinander über wie bei seinem Vorfahren
Achim von Arnim. Er hat aber auch die Fülle reich fließender
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Neuromantiker. 33 1
Phantastik, krause Spielerei, Melancholie, Übermut, spitzen Witz wie
Arnims Weggenosse Brentano. Und endlich führt sein Dichterstamm-
baum, wie bei Hermann Essig und Karl Hauptmann, auf Jean Paul
und E. Th. A. Hoffmann zurück in der Kontrastierung und Durch-
flechtung einer realistisch-rationalistischen Spießerwelt und einer Welt
gütig- froher Laune, innig -seelenvoller Stimmung, kraus verzerrter
Phantastik. Da in diesem Gegensatz mit Recht der Ausgangspunkt
Eulenbergscher Dramatik erkannt wurde, so ist diese daher ebenfalls
in phiHstros gerichtet. Aber während der Bohemien Hartleben sie
harmlos verulkt, der eifernde Zelot Wedekind gegen sie anspringt,
der Ästhet Apel über sie die Nase rümpft, der Schwabe Essig sie
als unveränderlich hinnimmt, zeigt Eulenberg gleich Karl Hauptmann
auch die Schwäche der träumenden Phantasten auf der Gegenseite auf.
„Das grüne Haus" bestätigt das Urteil von der Leyens: „Er sieht
dem Philistertum tiefer in die Seele, er weiß, daß es schon früher
da war und im Grunde nicht viel anders wurde. Schließlich weiß
er: ein Geheimnis seiner Kraft ist die Schwäche und Zerfahrenheit
seiner Feinde". Die Handlung ist, wie meist bei Eulenberg, naiv und
macht, wie ebenfalls öfter bei Eulenberg zu beobachten, unbedenklich
Anleihen bei den Romantikern, diesmal bei Grabbes barocker Gro-
teske. Ein Weltverbesserer, Philander — halb Dr. Steiner, halb Jo-
hannes Müller — , will in seiner Anstalt Erwachsene und Kinder durch
und in Freiheit zum Glücksdasein erziehen. Die Folge ist zunächst,
daß seinem nächsten Freunde Wendel die Frau mit einem seiner
Lehrer, Lucian, durchgeht, wozu Philander als Freiheits- und Glücks-
apostel seinen Segen gibt. Als aber seine eigene Frau von ihm geht
und der Vertreter des Staates im Interesse einer Pflichterziehung seine
Glücksanstalt schließt, da lernt er in seiner Verlassenheit am eigenen
Leid das des Freundes mitfühlen und findet sein Glück erst wieder,
als die Verlorengeglaubte zu ihm zurückkehrt. Auch die Frau des
Freundes kommt von ihrer Extratour, die auf das Konto der Philan-
derschwärmerei geschrieben wird, zu ihrem Gatten zurück, wobei noch
gegenüber Lucian das Charlotte-Stieglitz-Motiv anklingt, das auch Kyser
19 15 wieder einmal behandelt hat. Im Drama spukt noch ein rea-
listisch-phantastischer Lehrer Moschus, der aus Grabbes „Scherz,
Satire, Ironie" entsprungen ist.
Eulenbergs früheres Lustspiel „Alles um Liebe" (1910) spiegelt
die romantische Sehnsucht, die in der Liebe ihre Erfüllung und
Lebensausfüllung erstrebt, und erinnert damit sowohl an Brentanos
„Ponce de Leon" wie an Büchners „Leonce und Lena". Um die
Macht der Liebe zu erweisen, muß Adrian vor Sehnsucht nach der
verstorbenen Frau fast vergehen, seiner Schwägerin eine Liebes-
erklärung machen und schließlich mit einer neuen Braut in Selig-
keit zerschmelzen, während sein Bruder seine Frau zweimal wie
Herodes Mariamne unter das Schwert seiner Liebe stellt. „Der natür-
'^'^2 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
liehe Vater" (1907) klingt im Milieu an Kotzebues „Kleinstädter", je-
doch in Schwindscher Beleuchtung an, im Gefühlsgehalt wieder an
„Ponce de Leon". In beiden Lustspielen huschen, schleichen, poltern
Dienergestalten in merkwürdigem Helldunkel von Realistik und Phan-
tastik, derber Wirklichkeit und lauerndem Gespenstertum.
Krauses Durcheinander blühender Erfindung, die, grell kontra-
stierend, auf Abstoßendes Zartes, auf Hartes und Schroffes weiche
Mondscheinlyrik, auf Schmutz Reinheit folgen läßt, zeigt ein echt
romantisches Dichtergemüt, das die Harfe inniger und drängender
Sprachkunst meistert. Ohne naturalistische Wirklichkeit zu erstreben,
gibt Eulenberg innere Impressionen, die das Seelenleben seiner Figuren
versinnlichen. Die Unmittelbarkeit dieses Bilderreichtums löst jeden
strengen dramatischen Bau auf und knüpft die Verbindung allein
durch die Intensität der erregten Stimmungen. Aber durch diese
emotionelle Einheit wirkt die Kontrastik doch wieder gedämpft, die
Erregtheit gelöst, die Schroffheit erweicht. Die Dissonanzen sind
einer höheren Gefühlsharmonie untergeordnet. Eulenbergs impressio-
nistische Seelenkunst ist voll barocker .Spannungen, strebt aber immer
wieder nach der emotionellen Einheit des Kunstwerks, selbst im
„Mückentanz" (1920), der voll wehmütigen Humors die Sehnsüchte,
Eitelkeiten, Irrungen und Wirrungen schrulliger Kleinbürger in lockerem
Bilderreigen vorführt. Wiederholt wurde beobachtet, wie Eulenberg
mehr und mehr sich eine straffe Handlungsführung anzueignen sucht.
Gelingt ihm dies, ohne daß seine lyrische Versonnenheit und seine
üppig quellende Phantastik darunter leiden, so haben wir von ihm
noch echt shakespearische Lustspiele zu erwarten.
d) Carl Sternheim,
Weniger Verheißung bietet Carl Sternheim (geb. 1881). Er hat
allerdings auch im Anlauf mit seinen „Komödien aus dem bürger-
lichen Heldenleben" eine höhere Stufe erreicht. Er bleibt der Wirk-
lichkeit näher und hat doch impressionistischer Seelenkunst ent-
schiedener den Rücken gekehrt. Er fühlt sich als Bürgergeißel, als
Totengräber der Wilhelminischen Zeit. In deren Auffassung stimmt
er mit Wedekind, mit der ganzen Reihe der Bürgersatiren von
Hauptmann bis Eulenberg überein: veräußerlichte, mechanisierte und
mammonisierte Zivilisation hat alle innerliche, lebendige Kultur ertötet.
Um diese zu neuem Leben zu erwecken, will er jener den Garaus
machen, und nichts tötet mehr als Lächerlichkeit. Daher seine
bürgerlichen Komödien, die den Tolstoianhänger Sternheim zu einem
Umwerter aller Werte gleich Nietzsche stempeln. Er will mit dem
Wahrheitstrieb der Russen, der Dostojewski die Tugend der Dirne
entdecken ließ, seiner Zeit die Maske vom Gesicht reißen. Darin
gleicht er dem Iren Bernard Shaw, der ebenfalls aus einer grund-
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Carl Sternheim. '\'\^
sätzlichen Kampfstellung gegen sattes Bürgertum die bestehenden
Überzeugungen in ihr Gegenteil verkehrt, der, lange bevor noch Gott
wiederholte: „Am Weib ist jeder Mann ein Schuft" („Mauserung"),
bereits strindbergisch das Weib als Verfolger und den Mann als
Wild schildert, der die Kinder von ihrer Pietät gegen die Eltern
freispricht, der in dem Heldentum die Feigheit, wenn nicht die Dumm-
heit nachweist.
Keinesfalls ist also Sternheim ein Entdecker neuer Ideen, ja noch
nicht einmal der Entdecker Shaws, da dieser lange vor Sternheim
auf deutschen Bühnen gespielt wurde und auch, wie der unvergleich-
liche Anfühler Hermann Bahr beweist, schon frühzeitig deutsche
Produktion befruchtet hat. Aber er beutet das Entdeckte syste-
matischer als seine zahlreichen Vorgänger aus, mit rücksichts-
loserer Konsequenz, ohne jedes Mitleid. Das Gefühl, aus dem her-
aus er gestaltet, ist kalter Hohn und Ekel, nicht frohe Laune und
warmer Humor, auch nicht jene innerliche Erschütterung aus seeli-
scher Anteilnahme, die Wedekinds leidenschaftliche Ausbrüche her-
vorruft. Diese heiße Lohe muß ja wohl auch bei ihm einmal
emporgeflammt sein, aber jetzt spüren wir davon nichts mehr. Er
ist abgeklärt, er hat die Distanz gewonnen, und nun gilt es ihm nur,
dieses Otterngezücht von zivilisierter Menschheit zu vernichten, indem
er seine Interessengemeinschaft zur Stützung Gott Mammons auf-
weist. Fern aller göttlichen Trunkenheit, nicht in dionysischem Rausch
— in kühler Überlegtheit schreibt er seine comedie bourgeoise; kein
göttlich -heiterer Humor beseelt sie, der teuflisch-bissige Geist, der
stets verneint, hat sie erzeugt.
„Die Hose", „Die Kassette", „Bürger Schippel", „Der Snob",
„Perleberg", „19 13", „Der Kandidat" bilden zusammen den Zyklus
„Aus dem bürgerhchen Heldenleben" (1908 — 1913). Sternheim hat
selbst im Vorwort der zweiten Auflage der „Hose" (1918) seine Ab-
sicht kundgegeben, nicht als Ironie und Satire, sondern als die Lehre,
daß der Mensch, um keine Kraft zu verlieren, nicht auf überkom-
menen Rundgesang, sondern auf seinen frischen Einzelton hören
müsse, ganz unbesorgt darum, wie Bürgersinn seine manchmal brutale
Nuance nenne. Diese positive Forderung können wir wohl aus seinen
Verneinungskomödien ziehen, aber dargestellt hat er sie erst nach
der Revolution in der „Marquise von Arcis" und in dem „Entfesselten
Zeitgenossen" (1920).
„Die Marquise von Arcis", in der Frau von Pommeraye aus
Rache der verschmähten Geliebten den Marquis von Arcis in Liebe
zu Henriette zu entflammen versteht, um ihm nach vollzogener
Heirat sein angetrautes Weib als frühere Dirne zu enthüüen, endet
mit der Erkenntnis des Marquis, daß er „vierzig Jahre für fremden
Willen gelebt". Dann findet er aber auch die Kraft, fremden Willen
aus seinem Schicksal zu tilgen und der unschuldig -schuldigen
334 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
Henriette zu vergeben. Das Stück endet mit der Losung: „Neues
Leben nun und unsere wirkliche Haltung! . . . Gerade bricht neuer
Tag an!" Unter dem Gewand der Morgendämmerung der fran-
zösischen Revolution ertönen die Hoffnungen, die Sternheim auf
die Revolution des 20. Jahrhunderts setzt. Den gleichen Ruf ver-
nehmen wir aus dem „Entfesselten Zeitgenossen". Diplomat, Publi-
zist, Politiker, Tenor, Professor, sie alle sind Zeitgenossen, keine
selbständigen Individualitäten, sondern abhängig von den Über-
zeugungen der Zeit, die unter dem Schlagwort Vernunft Selbst-
süchte aller Art sind. Nur Klette verzichtet aus freiem Willen auf
seine soziale Stellung, er kennt keine Gier nach Geld, er handelt
ohne Überlegung, rein triebhaft, uneigennützig. Ihm fällt daher von
selbst jenes Glück zu, das alle anderen erstreben, und das in der
Person der reichen Erbin symbolisiert ist. Er ist entfesselt von der
zeitgenössischen Ideologie, er ist Zeitkind, weil er die Zukunft birgt.
In ihm ist erfüllt, was Sternheim in jenem Vorwort fordert: „Ein-
maliger unvergleichlicher Natur zu leben, riet ich jedem Lebendigen,
damit keine Ziffer, sondern Schwung zu ihrer Unabhängigkeit ent-
schlossener Individuen Gemeinschaft bedeute, mit dem aus der Nation
und der Menschheit ein Ziel allein erreichbar ist".
So hat tatsächlich Sternheim unter dem Eindruck unserer Revo-
lutionszeit den Weg von der Verneinung zu der Bejahung gefunden.
Aber künstlerisch gestaltet hat er diese ideale Zielsetzung nicht. In
der „Marquise von Arcis", deren Anekdote er Schillers Übersetzung
aus Diderots ,Jacques le Fataliste" entnahm, hat er wenigstens ge-
schicktes Theater gemacht, aber „Der entfesselte Zeitgenosse" ist
nüchterne, fast wissenschaftliche Erörterung seiner Idee, die sicher-
lich nicht dadurch gewinnt, daß er sentimentale Züge aus dem Lust-
spiele des 18. Jahrhunderts aufwärmt, indem er die reiche Erbin im
geheimen Wohltaten erweisen läßt, die sie öffentlich ableugnen
möchte. Seine künstlerische Stärke liegt in den Bürgersatiren: vor
allem im „Bürger Schippel", in dem ein ehrgeiziger Proletarierbastard,
gemäß der schon früher beobachteten Lockkraft der höheren sozialen
Schicht, Einlass in die konventionsgeheiligten Kreise des Bürgertums
sucht und findet, ja sogar in einem stolzen Augenblick mit glück-
lich getroffenem Brustton bürgerlicher Überzeugung die vom Prin-
zen, als dem Vertreter der noch höheren Klasse, ungestraft deflorierte
Bürgerstochter als Ehefrau ausschlagen kann; im „Snob", in dem der
Sohn des Kleinbürgers zum Großindustriellen wird und seine Eben-
bürtigkeit mit dem Verrat seiner Abkunft bezahlt; und schließlich in
der „Kassette", worin an dem Oberlehrer Krull die Macht des Geldes
gezeigt wird, die die Erbtante mit Hilfe ihrer in der Kassette liegen-
den Papiere ausübt. Daß die greuliche Person bereits im dritten Akte
die Enterbung ohne Wissen der Betroffenen vollzieht, macht den Tanz
um das goldene Kalb um so grotesker, denn der wissende Zuschauer
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Carl Steruheim. 335
sieht, daß der bloße Schein des Geldes genügt, um die Menschen
zu absoluten Sklaven zu machen.
Doch welche anekdotische Idee Sternheim auch in den Mittelpunkt
seiner Komödien stellt, die Behandlungsweise bleibt stets die gleiche.
Aus allen Ständen und Schichten des Bürgertums vom Rentier bis
zum Großindustriellen, vom Handwerker bis zum Kopfarbeiter und
Beamten, vom nach dem Bürger strebenden Proletarier bis zum über
den Bürger bereits hinausgestiegenen Aristokraten: immer sind es
seelenlose Puppen, die als Vertreter ihrer mechanisierten Zeit selbst
nur Mechanismen sind mit Strebegier als Triebkraft. Brombacher,
der in seiner Schrift ,,Der deutsche Bürger im Literaturspiegel von
Lessing bis Sternheim" (1920) nur in Dithyramben über Sternheim —
das wichtigste und unumgängliche Ereignis in der Geistesgeschichte
des deutschen Idealismus! — spricht, schreibt ebenfalls: „Alle Stern-
heimschen Gestalten sind nicht naturaHstisch, sondern fiktiv. Sie sind
Gattungs Vertreter, wie sie einzelfällig in unserer Wirklichkeit nicht
leben und insoweit Marionetten, deren Lebendigkeit ein künstlich
konstruierter Mechanismus reguliert". Um dies möglichst zu verdeut-
lichen, führt uns Sternheim in den verschiedenen Komödien denselben
Typus in verschiedenen Generationen, in den verschiedenen sozialen
Schichten vor, ohne daß sich sein Wesen verändert hat. Denn dies
Wesen ist seine Wesenlosigkeit. Fremder Wille bestimmt sein Schick-
sal. Ob er sich romantisch oder praktisch gibt, stets ist es Nach-
ahmung, Anpassung, Bestimmung von außen her.
Nicht einmal seine eigene individuelle Sprache spricht dieser
Seelen- und wesenlose Bürger. Er berauscht sich an großen Worten,
verkrampft sich in Phrasen und Schwulst. Er ist eine GHederpuppe,
die auf Druck Formeln herausquietscht, und diese Formeln entspre-
chen seinem sozialen oder beruflichen MiHeu. Diebold, der in seiner
„Anarchie des Dramas" Sternheim in aller Schärfe charakterisiert, kommt
schließhch zu dem Endurteil: „In sieben Komödien im Zeitraum von
1908— 1913 — den im Schaffen ermattenden Wedekind eben ablösend
— hat Sternheim das bürgerliche Heldenleben prostituiert. Allerdings
mit der Unerbittlichkeit des völlig gleichgültigen Entlar\'ers und mit
der Schadenfreude eines Karikaturisten von Th. Th. Heines Grau-
samkeit. Die Übertreibung der Karikatur spricht dem deutschen Michel
beinahe auch die letzte Möglichkeit zum Besserwerden ab". Aber in
der Untersuchung über die Demaskierung der Sprache erkennt Diebold
auch, daß Stemheim aus seinem Haß gegen alle wesenlose Bürger-
lichkeit ihrer Ausdrucksform keine individuell belebte Sprachform
entgegenzusetzen hat, sondern daß er den bourgeoisen Schwulst mit
dem Literaturjargon tötet.
Damit beraubt er sich seiner Wirkung, indem ein individuell wir-
kungsvolles Kunstmittel, soweit er in seinen letzten Komödien nicht
überhaupt darauf verzichtet, in Manieriertheit erstarrt. Andrerseits
336 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
beweist aber schon seine Nachfolge, daß er der Ausdruckskunst in
der sprachlichen Ausdrucksform neue Wege gewiesen hat. Kerr
irrt, wenn er meint, Sternheim habe einfach seinen Telegrammstil,
den impressionistischen Pointillismus der Sprache, von der Kritik ins
Drama übertragen. Das Neue von Sternheims Sprachbehandlung
ist die Befreiung von den traditionellen Gesetzen der Grammatik
zugunsten des Ausdrucks. Ohne Rücksicht auf die übliche gram-
matikalisch-syntaktische Wortfolge wird das in der Satzbedeutung
höchstbetonte Wort vor das schwächer betonte gestellt, weiter wer-
den alle Nebenwörter, die wie Artikel, Pronomen, Konjunktionen
nur Hilfskonstruktionen sind, möglichst weggelassen, um alle Auf-
merksamkeit auf den Hauptbedeutungsträger zu sammeln; aus dem
gleichen Grunde werden auch Infinitive und Partizipien vor flek-
tierten Verbformen bevorzugt, da Flexionsendungen an sich bedeu-
tungslos sind.
Die Bedeutung dieser zerhackten, zufahrenden Sprechweise für
den Dialog ist Verdichtung, Präzisierung, Knappheit und Rasch-
heit. Der Dialog wird dadurch nicht nur überaus bewegt, durch die
Ausschaltung alles Nebensächlichen und Zufälligen in der Sprachform
werden Akzente hart neben Akzente gesetzt und dadurch wird deren
Gegensätzlichkeit in ihrer Spannung intensiviert. Da Sternheim zu-
dem ein gewiegter Kenner der Bühnentechnik ist, so weiß er diese
Dialogspannungen mit kluger Stoffverteilung zu Szenenakzenten hin-
aufzuschrauben, und teilweise gelingt es ihm sogar, wenigstens in
der „Kassette" und im „Snob", vor allem aber im „Bürger Schippel",
diese Teilspannungen auch zur dramatischen Generalspannung zu-
sammenzuballen. Aber diese Generalspannung bleibt doch nur das
Ergebnis eines geschickten Jonglierens mit dem Stofflichen. Die prag-
matische Spannung findet keine ideale Entsprechung, da das Gehalt-
liche, bis auf die beiden schwachen letzten Komödien, sich nur auf
das Negative beschränkt und mit dem positiven Pol auch die Mög-
lichkeit zu einer tieferen, seelischen Spannung fehlt. Diese scheint
er mit Hilfe des Lehrers Tack nur in „Perleberg" zu erstreben, wie er
hier auch am weitesten sich vom Sprachstil seiner ersten Komödien
entfernt. Aber Tack selbst wird darüber zur Goldschnittfigur und die
ganze Handlung so durchaus unsternheimisch ins Sentimentale ge-
lenkt, daß es Sternheim zum Schlüsse anscheinend selbst davon
übel wird , und er mit dem einzigen wirklich guten Witz das Stück
schließt. Auch „Perleberg", worin Sternheim sich plötzlich als Ab-
kömmling rührseliger Familiendramatik des 18. Jahrhunderts erweist,
gibt schließlich dasselbe Resultat: im Grunde sind Sternheims Ko-
mödien alle pathetische Possen, wobei eine unbewußte Komik darin
liegt, daß der Possenschreiber uns an seinen heiligen Ernst glau-
ben machen möchte und der Pathetiker sich als Feind alles Pathe-
tischen gebärdet.
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Georg Kaiser. 337
e) Georg Kaiser.
Dies zeigt sich auch in der Nachfolge, die Sternheim nun allenthalben
findet, so daß eine richtige Sternheim-Mode aufkommt. Gerade einer
der besten dieser Sternheimjünger, Hanns J. Rehfisch — weit bedeu-
tender als der Sternheimverflacher Theodor Tagger — , erweist sich in
seiner „Erziehung durch Kolibri" (192 1) als so geschickter Possen-
techniker, daß wir seiner weiteren Entwicklung skeptisch entgegen-
sehen, obwohl er eine Verheißung dadurch bedeutet, daß er sich
innerlich bereits lächelnd über Stil und Manier des Meisters erhebt.
Wenn Sternheim hauptsächlich das Zivilisationsproblem Wedekinds
weiterverfolgt, so sind Georg Kaisers (geb. 1878) Komödien in erster
Linie auf das sexuelle Problem aufgebaut. Diebold nennt sie daher
Fleischkomödien. Am stärksten tritt dieser Charakter zutage in der
„Jüdischen Witwe" und in „König Hahnrei" (1913). Es ist Mode
geworden, traditionelle Charaktere der Geschichte, der Sage, des
Märchens oder aber auch deren charakteristische Ausprägungen durch
die Dichtung umzudeuten. Nur als Beispiele seien Gerhart Haupt-
manns „Bogen des Odysseus" und Eulenbergs „Münchhausen" ge-
nannt. Der Grund mag, bei Eindruckskünstlern, eine Vertiefung
individueller seelischer Erforschung sein, er mag aber auch, bei Aus-
druckskünstlern, der Wille sein, die traditionellen Gestalten dem kos-
mischen Erleben einzuordnen, sie als dessen Exponenten vorzustellen.
Mehr denn je — und seit Euripides ist diese Umwertung traditioneller
Gestalten das Vorrecht des Dichters — weigern sich die heutigen
Künstler gleich dem leidenschaftlichen Büchner, „vor den Parade-
gäulen und Eckstehern der Geschichte sich zu bücken". Darin macht
sich die neue Lebens- und Kunsteinstellung geltend.
Um die Jahrhundertwende schwellen die Stimmen an, die aus
Überfluß und Ungenügen am Bildungsstoff eine Abkehr von der
Geschichte heischen. Der Priapismus ist das letzte Sensationsmittel
einer übersättigten Kultur, die aus ihrer Übersättigung heraus in
ihr Gegenteil triebhafter Natur umschlägt. Das vitalistische Prinzip,
mit dem Driesch die Natur durchdringt, der elan vital, den Berg-
son als Schwungkraft alles Lebens erkennt, sie finden in dem Sexual-
trieb Wedekinds ihre Entsprechung und sind daher mit ihm die
Herolde des Expressionismus, der entschlossen das Steuer herum-
wirft, um nun statt der erschlaffenden Überbildung im Primitiven,
Urhaften Kraft zu suchen. Eines der besten Beispiele dafür ist
Georg Kaisers „Europa" (1920), worin er den antiken Zeus-Europa-
Mythos umdeutet als die Ablösung einer ins Feminin-Dekadente zer-
fallenen Kultur durch das männliche Prinzip. Wie in Sternheims
letzten Komödien muß in Europa die Besinnung auf das freie, un-
gebundene, selbstentscheidende Ich vorangehen, sie muß die kon-
ventionellen Überzeugungen ablehnen, um dann in der Vermählung
Holl, Lustspiel. 22
338 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
mit dem Stier, der ungebrochenen männlich-göttlichen Naturkraft, ein
neues Geschlecht zu begründen. Eine neue Zeit bricht an: die nicht
vom Weib geborenen Kadmosmänner, die Söhne eines „drachenstarken
Willens", vermählen sich mit den Töchtern des alten Reichs, dessen
feminine Männer aber suchen Ersatz ihrer verlorengegangenen Männ-
lichkeit durch die Verbindung mit den derben, urkräftigen Töchtern
des Volkes: auch hier der in jüngster Dichtung überall wieder auf-
lebende Glaube an das Dritte Reich, das mit Hülfe von Weiningers
Geschlechtskonstruktionen errichtet werden soll.
Wenn Dichter wie Gerhart Hauptmann Eindruckskunst immer
mehr zu einer Kunst der Seelenergründung verinnerlichten, um in
höchst gesteigerter Reizsamkeit innere Seelenstimmungen in ihren
leisesten Nuancen aufzufangen, wenn der Kreis um Stefan George
in herber Strenge die Kunst einem hieratischen Schönheitskult weihte,
um dem Ideal eines katholisierenden Griechentums nachzustreben,
wenn die Wiener in müder Dekadenz alles gelten lassen, in einem
im Grunde trostlosen, auch das eigene Ich auflösenden Relativismus,
so faßt die neue Generation, aus ihrer Überreizung heraus und als
Reaktion dagegen, unter stärkster Ichbetonung die Kunst nur noch
als Ausdruck des Eigenlebens. An Stelle des psychologistischen Rela-
tivismus tritt phänomenologische Weltanschauung, die in ihrer Ich-
betonung wieder Fäden zur Romantik schhngt. Nicht Einfühlung in
die Natur, sondern Abstraktion der Natur; nicht Hingabe an die Natur
ist das Ziel der Jungen, sondern sie heischen Antwort auf die Frage:
Was ist mir die Natur, der Kosmos? Das Ich setzt sich das Nicht-
ich. Alles Nicht-ich ist Vision des Ichs, frei von jeder Bindung an die
Sinneswirklichkeit. Und diese Visionen des Ichs überstürzen sich
in atembeklemmender Hast. Da nur der Dichter selbst Zeuger, Ge-
bärer ist, so sind alle die dramatischen Personen nur Ausgeburten
seiner Phantasie, Marionetten, Symbole seines kosmischen Erlebens.
Wenn aber Dichter wie Georg Kaiser und vor ihm Frank Wedekind
als primäre Kraft alles kosmischen und individuellen Lebens den
sexuellen Trieb erkennen, so gehen sie damit doch wieder von phäno-
menologischer Weltanschauung zu früheren psychologischen Erkennt-
nissen zurück, wie sie in Freuds Psychoanalyse ihren Ausdruck fanden.
Kaisers Fleischkomödien sind psychoanalytisch orientiert; so geschieht
auch die Umdeutung der traditionellen Charaktere der Judith in der
„Jüdischen Witwe" und des König Marke in „König Hahnrei" im
Sinne Freudscher Psychoanalyse,
Frischer wirkt „Die jüdische Witwe", weil hier der Charakter der
Heldin in einfachster Weise auf das Weibchen reduziert wird, so
daß das Geschehen auch ohne psychoanalytische Verkrampfung ver-
ständlich wird. Der Geschlechtstrieb macht Weltgeschichte. Das
heiße Blut des Kindes Judith wird dem impotent-lüsternen Mummel-
greis Manasse vermählt; ihr Trieb erwacht und bleibt ohne Befrie-
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Georg Kaiser. 339
digung. In der schweren Zeit der Belagerung der Stadt durch Holo-
fernes, in der Manasse stirbt, ist ihr ganzes Sinnen und Trachten
immer nur auf das Recht ihres Weibtums gerichtet. Aus dem glei-
chen unbefriedigten Trieb, ohne jede schwungvolle Rettungsabsicht,
geht sie ins Lager der Feinde, nachdem sie gehört hat, daß diese
ohne Weiber sind, und daß ihre Stärke nur dem Wunsch nach dem
Weibe entspringt. Der Kontrast der weiblosen Krieger und der
femininen Juden zeigt ein Motiv, das wir in „Europa" weiter aus-
gestaltet sahen. Im Lager reizt Judith der schöne weichliche Nebu-
kadnezar mehr als der starke, als Naturmensch abergläubische Holo-
fernes, und um jenen zu erlangen schlägt sie diesem das Haupt ab.
Dem Weibchen gilt wirkliche Größe nichts. Ihre Tat verscheucht aber
auch den zitternden Nebukadnezar, den sie damit gewinnen wollte.
Der letzte Akt bringt den komischen Schluß, daß das Weibchen zur
Belohnung für seine Tat, die ihm Befriedigung seiner Lüste bringen
sollte, als gottgesandte Vaterlandsretterin — wir verspüren hier einen
Zug von Shaws Heldenauffassung, die auch ein treibendes Motiv des
„Geretteten Alkibiades" (192 1) bildet — dem keuschen Tempeldienst
geweiht wird. Dort aber erwartet sie der muskelstarke, schön ge-
wachsene Hohepriester, dessen Fußfall im Allerheiligsten von beson-
derer Art sein wird.
Das Drama ist überaus locker gefügt, der Zusammenhalt ist nur
durch den Trieb Judiths gewährleistet und die Spannung durch den
steten Kontrast, der die Erwartungen des Weibes immer wieder ins
Gegenteil verkehrt. Als geschickter dramatischer Baukünstler aber
erweist sich Kaiser darin, wie er Beginn und Schluß glänzend kon-
trastiert im Sinne des schon öfter beobachteten komischen Motivs der
Wiederholung mit umgekehrten Vorzeichen : im ersten und im letzten
Akt wird Judith trotz heftigen Widerstrebens durch ihre Verwandt-
schaft in den Tempel geschleift zur höheren Ehre Gottes, dort um
in irdischer Ehe ihrem Manne und damit dem auserwählten Volke
Kinder zu zeugen, hier um in himmlischer Ehe als keusche Jung-
frau Gott zu dienen, dort aber erwartet sie ein impotenter Greis, hier
ein lendenkräftiger Priester.
Viel ausgeklügelter ist „König Hahnrei". Die Figur des König
Marke aus der Tristansage ist unter romantisch-ironischer Anspielung
umgedeutet als greiser Träger des sexuellen Triebs. Wie in Stern-
heims „Kassette" schon der Schein des Goldes genügt, um die gro-
tesken Zuckungen der darum flatternden Motten auszulösen — das
gleiche Thema behandelt auch Kaisers neu aufgearbeitetes Jugend-
werk „David und Goliath" — , so genügt König Hahnrei schon der
Liebesgenuß der ihn Betrügenden, um den eigenen Geschlechts-
trieb in Wallung zu setzen, ja in beiden Fällen ist es nicht nur
ein Genügen, es ist die notwendige Erregung zur Entladung des
inneren Triebes. Wiederum gewinnt dadurch der Trieb eine über-
340 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert : Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
individuelle Bedeutung. Aber Kaiser steigert die Macht des Triebes
noch ins Ungeahnte, ins grauenhaft Monomanische, indem er ihn
zum Selbstzweck macht. Aesthetisch bewirkt er damit eine Art tra-
gischer Ironie, die das Werk ebensogut dem Gebiete der Tragödie
wie dem der Komödie zuweist. Über das Animalische hinaus wirkt
der Trieb bei dem senilen König rein durch die Assoziationen, die
seine sexuelle Phantasie an den Verkehr der beiden Liebenden
knüpft. Nicht der König hat den Trieb, der Trieb treibt den König.
Er ist ihm nur Qual, nie Lust der Erfüllung, um so satanischer ist
seine unentrinnbare Gewalt.
Das Stück hat nichts Dramatisches, und die darin sich ergießende
Redseligkeit mischt unbeholfen neuromantisch stilisierte Sprachform
mit modern realistischer Ausdrucksweise. Die Akte sind fortlaufende
Monologe König Markes, in dem verdrängte Sinnenlust zu zerstören-
der Sinnenqual wird. Ein brünstig-impotenter Hamlet, zu jeder selbst-
gewollten Tat unfähig, entlad sich in haltloser, selbsttäuschender und
selbstenthüllender Geschwätzigkeit. Die greise Unkraft, die vorm
eigenen Wissen zurückschaudert und der doch das Wissen maso-
chistisch innere Triebe aufpeitscht und daher unentbehrlich ist, der
Kindesumarmung neue Erregung des Kitzels bildet, ist hier in so
grotesker Weise zu Dämmerleben erweckt, daß jede tragische und
humorische Gefühlsauswertung darüber verlorengeht. Eine Seelen-
studie, die nur auf einen, und dazu halb verdrängten Trieb ein-
gestellt ist und alle Abschattungen impressionistischer Malerei aus-
schaltet.
Traditioneller wirkt Kaisers erste Komödie „Rektor Kleist" (1905).
Sie gibt auf den ersten Blick eine dürftige Schülerkomödie aus den
Zeiten von Holz -Jerschkes „Traumulus", Dreyers „Probekandidat",
Otto Ernsts „Flachsmann als Erzieher". Doch im letzten Akt erhebt
sich ein Charakter, erschütternd in seiner kleinen Menschlichkeit, zer-
malmend in der Wucht seines Weltleids. Es fällt in diesem vierten
Akte auch ein tiefes Wort, das uns, da es lange vor des Dichters
krimineller Verirrung geschrieben, zu denken geben kann: „Was
nützen uns Berge von Tatsachen, wenn wir das Verbrechen nicht
aus der Veranlagung herzuleiten wissen!" Aus demselben Akt fällt
auch erhellendes Licht auf die vorangehenden. Nicht Dreyer und Ernst
sind die Paten, schon in dieser Erstlingskomödie reiht sich Kaiser an
Wedekind an, an dessen „Frühlings Erwachen" (1891). Verdrängte
Sinnlichkeit wirkt sich körperlich und seelisch aus. Der höckerige,
hämorrhoidalleidende Rektor Kleist rodomontiert mit seinem Griechen-
tum, seinen Sportstaten und fühlt sich doch immer von der unge-
brochen natürlichen Jugend in all ihrer jugendlichen Rücksichtslosig-
keit zurückgestoßen, während sie dem gesunden Muskelmenschen,
dem Turnlehrer Kornmüller anhängt. Aber wie bei der Katastrophe
Gesundheit und Krankheit abgewogen werden, wie psychologisches
Jüngste Literaturentwicklung im Spiegel der Bürgersatire: Georg Kaiser. 24 ^
Verständnis gefordert wird für den, der nicht als gerader Mensch mit
glattem Rücken in den Lebenskampf geschickt worden ist, zeigt noch
nichts von Expressionismus, ist noch durchaus impressionistische
Seelenergründung.
Gegenüber dieser unreifen Tragikomödie, die mehr Tragik als Komik
enthält, wirkt „Konstantin Strobel oder Der Zentaur" possenhaft mit
seinen groben Bierbankspäßen, wie etwa daß der Vater des Brautwerbers
zu Margarine vermanscht worden sei. Doch es ist Bürgersatire, die in
Gehalt und Form Sternheim voraussetzt. Der Vorwurf ist von dank-
barster Komik. Der Bureaukrat, der stets korrekt gesellschaftlicher
Moral entsprochen hat und nie Mensch war, verlobt sich und erfährt
nun, daß man von ihm in absehbarer Zeit die Zeugung von Nach-
kommen erwarte. Um vor dem eigenen zweifelnden Gewissen den
Befähigungsnachweis zu erbringen, wählt er sich das aus dem Hause
seiner Brauteltern wegen unsoliden Lebenswandels hinausgeworfene
Dienstmädchen als Versuchskarnickel. Daß diese Alma bereits ein
Kind erwartet und deshalb zurzeit wenigstens ein ungeeignetes Objekt
für seinen Zweck bildet, ist eine jener von Kaiser beHebten Über-
steigerungen der Komik, die nur noch in der Posse zulässig sind.
Sobald Alma ihr Alibaba zur Welt gebracht und Konstantin zum
Alimentenpapa erklärt hat, ist natürlich Braut, Amt, Gesellschafts-
stellung verloren. Der Beischläfer aus Pflichtgefühl wird als un-
moralisch ausgestoßen. Die Tatsachen, nicht die Motive sind für das
Gesellschaftsurteil maßgebend. Feinere Behandlung hätte hier eine
Quelle tiefster, mit Tragik verschwisterter Komik erschlossen: Weil
Konstantin zu moralisch ist, wird er unmoralisch, weil er die Forde-
rungen der Gesellschaft erfüllen will, verstößt er gegen sie. Hier
könnten sich Einblicke in die Sinnlosigkeit bürgerlicher Konventions-
moral auftun, da fällt am Schlüsse Kaiser wieder in grobe Posse, in-
dem er in poetischer Gerechtigkeit Konstantins anscheinend bewiesene
Zeugungskraft, deren Nachweis ihn ins Unglück gestürzt hat, ihn
auch wieder zum Glück führen läßt. Die MilHonärsmutter eines seiner
früheren Schüler, den seine Pedanterie in den Tod getrieben hat,
verlobt sich mit ihm, um von ihm einen Ersatz für das verlorene
Kind zu erhalten. Der sonst so kluge dramatische Bauherr konnte
hier possenhafte Sternheimeinfälle nicht unterdrücken und zerstörte
damit die Wirkung des ganzen Baues.
Schon hier bedient sich Kaiser sternheimscher Sprachtechnik.
Noch mehr ist dies der Fall in „Kanzlist Krehler" (1922). Die Komödie
ist das Satyrspiel zu der Tragödie des Bankkassierers in „Von Morgens
bis Mitternachts" (1912). Wie der Kassierer erwacht Kanzlist Krehler
plötzlich aus einem jahrzehntelangen mechanistischen Schlaf dasein
zum Leben, dessen mächtig auf ihn einstürmenden Eindrücken und
Erlebnissen er erliegt. Indem er den fremden Willen, gleich den
Helden von Sternheims letzten Komödien, aus seinem Schicksal tilgen
342 Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Vom Naturalismus bis zur Kunst der Gegenwart.
will, sucht er sich auch strindbergisch von der Frau, die von seinem
Mark und Blut zehrend zum Fettklumpen geworden ist, zu befreien.
Der ausgelaugte Tintenmensch fühlt sich als Herrschernatur, als
Herrenmensch, der im zweiten Akt in symbolkräftigem Globusspiel
die Welt neu entdeckt und erobert. Aber der Gesamteindruck ist
doch eine leidenschaftslose und Heblose Auseinandersetzung, die über
der klugen Berechnung das Dichterische erstickt. Ebenso zeigt der
Dialog grell zuckende Blitze, die in tiefste Wesenheiten leuchten, um
dann wieder in sternheimscher Manier zu erstarren. Wir kommen
über den Zwiespalt nicht hinweg, daß Kaiser Tiefmenschliches, über-
individuell Wahres geben will, also Zwangsläufiges, Notwendiges —
und immer wieder Possenhaftes, Zufälliges, äußerlich und innerlich
Unwahrscheinliches vorbringt.
Schluß: Ausblicke. 343
SCHLUSS.
AUSBLICKE.
Bis jetzt hat uns die Ausdruckskunst noch kein vollendetes humor-
gestaltetes Lustspiel geschenkt. Ansätze sind reichlich vorhanden.
Die neue Weltanschauung unseres 20. Jahrhunderts, die, ob sie nun
vitalistisch oder phänomenologisch gerichtet ist, zu einem neuen Idea-
lismus hinführt, bringt eine Lebensauffassung, die unter die Oberfläche
der Dinge zu dem Schöße der Mütter vordringen möchte. Dort aber
liegen die gemeinsamen Wurzeln von Komik und Tragik. Die Ko-
mödien wie Tragödien jüngster Kunst zeigen daher auch immer wieder,
wie einst Shakespeare, die Verflechtung beider Grundformen aller
Dramatik. Aber die Läuterung zu dramatischer Humorgestaltung
vermissen wir noch. Die ekstatische Leidenschaft ist ebensowenig
wie die lieblose Kritik eine Quelle reinen und warmen Humorgefühls.
Gemütvoller Humor steht überlegen der Welt und ihren Erscheinungen
gegenüber, ohne deshalb ihre Realität verneinen zu wollen; er umfaßt
sie in liebendem Verständnis für ihre Naturnotwendigkeit und Natur-
gebundenheit. Sein Formwille ist bestimmt durch jene shakespearische
allumfassende Liebe zur Natur, worin die Menschen einbezogen sind,
die auch dem Schrullenhaften, Gewohnheitswidrigen, Ungesetzlichen
Daseinsberechtigung zugesteht, die die Macht der natürlichen Triebe
und Leidenschaften sowohl in ihrer Gefahr als auch ihrer Unentrinnbar-
keit versteht. Diese Liebe gibt das einigende Band, das alles zum Ganzen
zusammenfaßt und nicht die Einzelerscheinungen ironisch zerpflückt.
Warum glückt es deutschen Dichtern nur in seltensten Fällen,
kunstvollendete Lustspiele zu gestalten? Die Antwort scheint mir in
dem Wesen des deutschen Lustspiels selbst zu liegen. Seine Ur-
kraft, der gemütvolle Humor ist als solcher stark gefühlsbetont. Unser
deutsches Lustspiel hat daher lyrische Färbung. Wo diese warme
Gefühlsstimmung vermißt wird, bleiben wir kalt; das Werk spricht
an unseren Intellekt und kann diesen vollkommen befriedigen, aber
unser Herz bleibt unberührt. xA.ndrerseits ist das Lyrische in seinem
weichen, fließenden Charakter dem knappen, zielsicheren Wesen des
Dramatischen stets gefährlich. Es löst dessen Form leicht auf und
vernichtet dadurch die zu erwartende dramatische Wirkung. Gerade
die deutschen Lustspieldichter, die nicht Possen oder Satiren schreiben,
erreichen daher selten die überaus geschickte, bis in jede Einzelheit
klug berechnete Technik der Franzosen. Und wiederum beobachten
wir, daß, wenn sie sich deren technische Formkunst zum Ziele setzen,
sie allzu leicht das dem Deutschen notwendige Element gefühls-
betonten Humors beeinträchtigen. Bühnensichere Lustspiele sind
daher in Deutschland, wo es ihnen von jeher an dem schon von
^44 Schluß : Ausblicke.
Goethe als notwendig erachteten gesellschaftUchen Nährboden fehlte,
immer dann am ehesten entstanden, wenn das französisch -rationali-
stische Muster maßgebend war, wobei dieses Muster natürlich auch
durch das französierte englische Lustspiel gegeben sein konnte. Humor-
kräftige Lustspiele dagegen erlebten wir dann, wenn der charakteristisch
deutsche formdämpfende und formlösende Stilwille stärker im Vorder-
grund stand. Zwei Bahnen der Lustspielproduktion tun sich damit
auf: die eine ist beherrscht durch Moliere, die andere durch Shakespeare.
Die Fülle poetischer Phantasiekunst, die uns in shakespearischen
Komödien erwärmt, ist lyrischen Geblüts. Shakespeare weiß solche
lyrischen Stimmungsszenen geschickt einzuführen, unsere Gefühls-
erregung allmählich zu steigern und Hochspannungen wieder sanft
abebben zu lassen. Typisch dafür ist nach der bis zu tragischer
Wucht gesteigerten Leidenschaftlichkeit der Urteilsszene im „Kauf-
mann von Venedig" der Eingang des fünften Aktes, jene Mondschein-
sonate lyrischen Gefühlsausdrucks. Um dieses Stimmungselement
noch in seiner Wirksamkeit zu erhöhen, ruft der Dichter auch noch
die Schwesterkunst der Lyrik zu Hilfe: „the sweet power of music".
Diese Einbeziehung der Musik in das Drama ist gerade für unser
lyrisch gefärbtes Humorlustspiel von größter Bedeutung. Denn damit
ist ein Mittel gegeben, um der lyrischen Formauflösung der dramati-
schen Struktur entgegenzuarbeiten. Das Musikalische faßt die lyri-
schen Stimmungselemente zu einer höheren Einheit zusammen. Dadurch
werden die Schwierigkeiten dramatischer Humorgestaltung, die bereits
Goethe in der Formlosigkeit des Humors erkannte, überwunden. Wir
dürfen daraus den gleichen Schluß ziehen, zu dem Hermann Hettner
aus anderen Gründen schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts
kam: Unser deutsches Humorlustspiel drängt nach Musik, Der Beweis
ist seit Jahrzehnten dadurch gegeben, daß unser größtes und tiefstes
Lustspiel uns von dem Tondichter geschenkt ist: „Die Meistersinger".
Und doch ist auch diese Wertung letzterdings nur relativ. Im
Wesenhaften bleiben Lyrik und Musik Behelfsmittel des Dramatischen.
Die absolut große dramatische Komödie muß auf sich selbst gründen.
Die Frage ist, ob wir Deutsche nach unsrer geistigen und seelischen
Eigenart eine solche schaffen können. Bis jetzt scheint unser wurzel-
hafter Individualismus dagegen zu sprechen. Auch das Genie, das bei
uns kraft seines Deutschtums stets zu grüblerischer Vereinsamung
neigt, kann nicht über den Mangel jener von Goethe geforderten ge-
sellschaftlichen Kultur hinweghelfen. Ohne diese ist aber eine wahr-
haft große Komödie unmöglich. Viele Zeichen deuten darauf, daß unser
Schwäche und Stärke bergendes Volkserbe der Vereinzelung einem
Willen zur Gemeinschaft weichen möchte. Finden wir den Weg dazu,
dann mag auch uns ein Lustspiel geboren werden, das, weder Moliere
noch Shakespeare verschuldet, aus deutschen Eigenquellen Breite und
Tiefe, Kraft und Zartheit, Gesinnung und Formung schöpft.
I
BIBLIOGRAPHISCHE NACHWEISE.
I. ALLGEMEINES.
nnerhalb des Darstellungstextes habe ich bereits Hauptwerke, durch die ich Förderung fand,
, angeführt. Sie sind unter den Autorennamen im Register zu finden. Hier soll noch auf
weitere Werke hingewiesen werden, ohne daß ich es aber für notwendig hielte, die biblio-
graphischen Nachweise von Goedekes, Bartels' und Rieh. M. Meyers Grundrissen, noch von
Vogt und Kochs und von Scherer-Walzels Literaturgeschichten in ihrer breiteren Ausführlichkeit
zu wiederholen. Eine unbekanntere Bibliographie für das komische Drama des Mittelalters,
die über Creizenachs wertvolle Angaben hinausgeht, ist enthalten in der im Texte erwähnten
Abhandlung von M. G.Rudwin „The Origin of the German Carnival Comedy", G. E. Stechert&Co.,
1920. Im übrigen bringt aber Creizenachs bewunderungswürdige „Geschichte des neueren
Dramas" gerade für das Mittelalter alles Wissenswerte über Ausgaben und Forschung. Für
die Jahre seit 1914 geben Georg Baesecke, Deutsche Philologie, und Paul Merk er. Neuere
deutsche Literaturgeschichte (Wissenschaftliche Forschungsberichte Bd. 3 und 8, F. A. Perthes)
zuverlässige Zusammenstellungen aller wichtigen Neuerscheinungen.
Eine ausführliche Darstellung der Geschichte des deutschen Lustspiels ist seit Kneschke
(Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart. Kritische Beiträge zur Literatur-
geschichte unseres Volkes von Dr. Emil Kneschke. Leipzig, Verlag von Veit & Comp., 1861)
nicht gegeben worden. Kneschke versagt für die Zeit vor Lessing vollkommen, von da ab,
namentlich für das 19. Jahrhundert, ist er seines reichen Materials wegen heute noch wertvoll.
Ein Jahr später, 1862, ließ Mähly bei J.J.Weber in Leipzig Vorlesungen über „Wesen und
Geschichte des Lustspiels" erscheinen, die nach einer Einleitung Abrisse über das Lustspiel
der Griechen, Römer, Italiener, Spanier, Franzosen, Engländer, Dänen und auf zwölf Seiten
über das deutsche Lustspiel folgen lassen, heute aber längst überholt sind.
Für systematische Abhandlungen über Komik, Humor und Komödie seien hervorgehoben :
Komik und Humor. Eine psychologisch-ästhetische Untersuchung von Theodor Lipps. Beiträge
zur Ästhetik, herausgegeben von Theodor Lipps und Richard Maria Werner, VI, 1898, und
System der Ästhetik von Johannes Volkelt, 3 Bde., 1914. Von älteren Arbeiten sei erwähnt
A. W. Bohtz, Über das Komische und die Komödie, 1844.
Schließlich sind noch unentbehrlich für jede Orientierung auf dem weiten Felde des
Komischen die Darstellungen Flögeis, die teilweise von Ebeling weitergeführt wurden : Geschichte
der Komischen Literatur, Geschichte des Grotesk-Komischen, Geschichte des Burlesken. Für
Fragen der Form und des Stils sei auf die einschlägigen Forschungen Walzels hingewiesen,
die teilweise gesammelt vorliegen in „Vom Geistesleben alter und neuer Zeit", Leipzig 1922.
IL NACHWEISE ZU DEN EINZELNEN KAPITELN.
A. MITTELALTER: Creizenach a.a.O., Bd. L
I. ALTERTUM UND MITTELALTER: Hermann Reich, Der Mimus. Ein literarisch-
entwicklungsgeschichtlicher Versuch, Berlin 1903; P. v. Winterfeld, Deutsche Dichter
des lateinischen Mittelalters in deutschen Versen, hrsg. von H. Reich, München 1916;
Hrotsviths Werke, hrsg. von P. v. Winterfeld 1902, K.Strecker 1906; Übersetzungen von
J. Bendixen 1850 — 53 und von O. Piltz (Reclam).
■7a() Bibliographische Nachweise.
n. GEISTLICHE KOMÖDIEN: R.Froning, Das Drama des Mittelalters, Kürschners D.Nat.
Lit. 14, I — III; K. F. Kummer, Erlauer Spiele, Wien 1882; K. Lange, Die lateinischen
Osterfeiern, München 1887; L. Wirth, Die Oster- und Passionsspiele bis zum 16. Jahr-
hundert, Halle 1889; F. J. Mone, Altdeutsche Schauspiele 1841, Schauspiele des Mittel-
alters 1846; A. Pichler, Über das Drama des Mittelalters in Tirol, Innsbruck 1850;
K. Weinhold, "Weihnachtsspiele und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien 1853;
J. E. Wackernell, Altdeutsche Passionsspiele in Tirol, Graz 1897; für Einzelausgaben sei
auf die bibliographischen Nachweise in Pauls Grundriß, in Vogt und Kochs und in
Scherers Literaturgeschichten hingewiesen; Fritz Hammes, Das Zwischenspiel im deutschen
Drama von seinen Anfängen bis auf Gottsched, Lit.-hist. Forschungen, hrsg. von Schick
und von Waldberg 45, Berlin 19 12.
III. WELTLICHE KOMÖDIEN: Adalbert von Keller, Fastnachtspiele aus dem 15. Jahr-
hundert, Bibl. d. literar. Vereins in Stuttgart 28—30, 1853; Nachlese Bd. 46, 1858;
F. Schnorr von Carolsfeld, Vier ungedruckte Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts, Archiv
f. Lit.- Geschichte III, 1874; Oswald Zingerle, Die Sterzinger Spiele. Nach Aufzeichnungen
des Vigil Raber, Wiener Neudrucke 9 und 11, 1886; W. Seelmann, Mittelniederdeutsche
Fastnachtspiele, Drucke des Vereins f. ndd. Sprachforschung I, 1885; Wehrmann und
Walther, Lübecker Fastnachtspiele, Niederdeutsches Jahrbuch 6, 1880; Brandstetter,
Luzerner Fastnacbtspiele, Zs. f. d. Philologie, Bd. 17; H. S. Rehm, Das Buch der
Marionetten , Berlin o. J. ; Rudwin a. a. O. ; K. Gusinde, Neidhart mit dem Veilchen,
Germ. Abhdlg. 27, Breslau 1899; S. Singer, Neidhart-Studien, Tübingen 1920; L. Lier,
Zur Geschichte der Nürnberger Fastnachtspiele, Diss. Leipzig 1880; Victor Michels,
Studien über die ältesten deutschen Fastnachtspiele, Quellen und Forschungen 57, 1896.
IV. DAS KOMISCHE THEATER: R. Heinzel, Abhandlungen zum altdeutschen Drama,
Sitz.-Ber. d. Wiener Akademie, phil.-hist. Klasse 134, 1896, und Beschreibung des geist-
lichen Schauspiels im deutschen Mittelalter, Beiträge zur Ästhetik, hrsg. von Th. Lipps und
R. M, Werner IV, 1898; Th. Hampe, Die Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg von
der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts bis 1806, Nürnberg 1900; E. K. Chambers, The mediaeval
stage, 2 Bde., Oxford 1903; G. Cohen, Geschichte der Inszenierung im geistlichen Schauspiele
des Mittelalters in Frankreich, übers, von C. Bauer, Leipzig 1907; Max Herrmann, For-
schungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Berlin 1914.
B. SECHZEHNTES JAHRHUNDERT: Creizenach Bd. II; K. Burdach, Vom Mittel-
alter zur Reformation. Forschungen z. Gesch. d. d. Bildung, Berlin 191 2 ff.
I. HUMANISTENKOMÖDIE: M. Herrmann, Albrecht von Eyb, BerUn 1893; Die Re-
zeption des Humanismus in Nürnberg, Berlin 1898; H. W. Mangold, Die ältesten Bühnen-
verdeutschungen des Terenz, Halle 191 2; H. Holstein, Reuchlins Komödien, Halle 1888;
Henno, lateinisch von J. Reuchlin, deutsch von H. Sachs, hrsg. von K. Preisendanz mit
Nachwort von K. Holl, Konstanz 1922; H. Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde
der dramatischen Literatur, Halle 1886; R. Froning, Das Drama der Reformationszeit,
K. D. N. L., Bd. 22 ; Nicodemus Frischlins Deutsche Dichtungen, hrsg. von D. F. Strauß,
Lit. Ver. in Stuttgart, Bd. 41, 1857; Frau Wendeigard, hrsg. von P. Rothweiler, Ell-
wangen 191 2; Julius redivivus, hrsg. von W. Janell mit W. Hauff und G. Roethe, Lat.
Lit.-Denkmäler d. 15. u. 16. Jhs., Bd. 19, Berlin 1914; J. Minor, Einleitung zu HoUonius,
Speculum vitae humanae, Neudr. d. Litt. Werke d. 16. u. 17. Jhs., Nr. 79/80, Halle 1S89;
Erich Schmidt, Comödien vom Studentenleben, Leipzig 1S80; Expeditus Schmidt, Die
Bühnen Verhältnisse des deutschen Schuldramas im 16. Jahrhundert, Berlin 1903; J. Bolte,
Die Bühnenverhältnissc zur Zeit Wickrams, in Ausgabe Wickrams Lit. Ver. in Stuttgart,
Bd. 236, Tübingen 1903.
Bibliographische Nachweise. 347
II. DAS VOLKSTÜMLICHE DRAMA: Schauspiele aus dem i6. Jahrhundert, hrsg. von
J. Tittmann, Leipzig 1868; Schweizerische Schauspiele des 16. Jahrhunderts, hrsg. voa
J. Bächtold, Zürich 1890 — 93; Ausgabe der Werke des Hans Sachs von A. von Keller
und E. Goetze in Lit. Ver. in Stuttgart, 1870 — 1908; Sämtliche Fastnachtspiele, hrsg.
von E. Goetze in Braunes Ndr., Halle 1880 — 87; M. Herrmann, Forschungen zur
Theatergeschichte; A. Köster, Die Meistersingerbühne des 16. Jahrhunderts, Halle 1920;
Th. Hampe, Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg, Nürnberg 1900.
C SIEBZEHNTES JAHRHUNDERT: Gundolf, Shakespeare u. d. deutsche Geist.
I. ENGLISCHE KOMÖDIANTEN: Ausgabe der Schauspiele der Englischen Komödianten
von J. Tittmann, Leipzig 1880, von W. Creizenach, K. D. N. L., Bd. 23; Carl H. Kaulfuß-
Diesch, Die Inszenierung des deutschen Dramas an der Wende des 16. u. 17. Jahrhunderts,
1905; Werner Richter, Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670, Palaestra, Berlin 1910.
IL JACOB AYRER UND HEINRICH JULIUS VON BRAUNSCHWEIG:
Jacob Ayrer, hrsg. von A. v. Keller, Lit. Ver. in Stuttgart 76 — 80, 1865; J. G. Robertson,
Zur Kritik Jacob Ayrers mit bes. Rücksicht auf sein Verhältnis zu Hans Sachs u. d.
englischen Komödianten, Diss. Leipzig 1892; W. Wodick, Jacob Ayrers Dramen in
ihrem Verhältnis z. einheimischen Literatur u. z. Schauspiel der englischen Komödianten,
Halle 191 2; Die Schauspiele des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig, hrsg. von
W. L. Holland, Lit. Ver. in Stuttgart 36, 1855; J. Tittmann, Die Schauspiele des Herzogs
Heinrich Julius von Braunschweig, in ,, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts", Leipzig 1880;
H. Grimm, Das Theater des Herzogs Julius von Braunschweig, in „Fünfzehn Essays",
N. F., Hannover 1859.
IIL ZWISCHENSPIELE UND PUPPENSPIELE: Hammes a. a. O. ; Auswahl der Werke
von Joh. Rist in ,, Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts", hrsg. von Goedeke und Tittmann
und in Braunes Neudrucken; Th. Gaedertz und Joh. Bolte, Rist als niederdeutscher
Dramatiker, Jahrb. d. Ver. f. ndd. Sprachforschung, Bd. 7 und 1 1 ; H. S. Rehm a. a. O.
IV. ANDREAS GRYPHIUS: Sämüiche Werke, hrsg. von H.Palm in Lit. Ver. in Stutt-
gart 138, 162, 171, 1878, 1884; Auswahl mit Biographie von O. Wamatsch, Glogau 1916;
W. Harring, A. Gryphius und das Drama der Jesuiten, Halle 1908; R. A. Kollewijn,
Über den Einfluß d. holl. Dramas auf Gryphius, Heilbronn 1887; A. Lowack, Die Mundart
im hochdeutschen Drama, Breslau 1905; W. Flemming, A. Gryphius und die Bühne, 1921.
V, CHRISTIAN WEISE UND CHRISTIAN REUTER: Bauernkomödie von Tobias und
der Schwalbe, hrsg. von R. Genee, Bibliothek deutscher Kuriosa, Bd. 5, Berlin 1882;
Bäurischer Machiavell und Böse Katharina, hrsg. von L. Fulda, K. D. N. L. 39 ; Masaniello,
hrsg. von R. Petsch, Braunes Neudr. 216; W. Richter a. a. O. ; K. Levinstein, Weise
und Moliere, Diss. Berlin 1899; K. Heine, Das Schauspiel der deutschen Wanderbühne
vor Gottsched, HaUe 1889; A. Eloesser, Die älteste deutsche Übersetzung Moli^rescher
Lustspiele, Berlin 1893; Christian Reuters Werke, hrsg. von G. Witkowski, Leipzig 1916;
Ausgabe der Lust- und Singspiele von G. Ellinger, Braunes Neudr. 90/1; Fr. Zarncke über
Chr. Reuter in Abh. u. Bericht d. Sachs. Akademie 1884—89; Kaulfuß-Diesch a. a. O.
D. ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT:
I. SÄCHSISCHE KOMÖDIE: Creizenach, Zur Entstehungsgeschichte des neueren deutschen
Lustspiels, Halle 1879; G. Witkowski, Geschichte des literar. Lebens in Leipzig, Leipzig 1909.
I. Hanswursttheater: K. Reuling, Die komische Figur in den wichtigsten deutschen
Dramen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1890; O. Driesen, Der Ursprung
des Harlekin, Forsch, z. n. Lit.-Gesch., hrsg. von F. Muncker 25, 1904; K. Heine a. a. O.
-i^g Bibliographische Nachweise.
2. Gottsched: P. Floßmann, Picander (Chr. F. Henrici), Diss. Leipzig, 1899; F. J.
von Reden-Esbeck, Karoline Neuber und ihre Zeitgenossen, Leipzig 1881; K. Holl,
Zur Geschichte der Lustspieltheorie von Aristoteles bis Gottsched, Lit.-hist. Forsch,
hrsg. von Schick und von Waldberg 44, 191 1; G. Waniek, Gottsched u. d. d. Literatur
seiner Zeit, Leipzig 1897; E. Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben,
Kiel 1895 — 97; Gottscheds Gesammelte Schriften, hrsg. von E. Rcichel, Berlin 1910 ff.;
J. N. Beam, Die ersten deutschen Übersetzungen englischer Lustspiele im 18. Jahr-
hundert, Theatergesch. Forsch., hrsg. von Litzmann 20, 1906; V. Golubew, Marivaux'
Lustspiele in deutschen Übersetzungen d. 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1904; Rob.
Prutz, Ludwig Holberg, sein Leben und seine Schriften. 1857; ders., Übersetzung von H.'s
Komödien, 2 Bde., Bibliogr. Inst.; G. Brandes, L. H. und seine Zeitgenossen, Berlin 1885;
O. J. Campbell, The comedies of Holberg, Cambridge 1914; P. Schienther, Frau Gottsched
u. d.bürgerl. Komödie, Berlin 1886; Die Lustspiele der Frau Gottsched, hrsg.vonR. Buchwald
und A. Köster, 2 Bde., Leipzig 1908 ; „Bookesbeutel", hrsg. von Ferd. Heitmüller, Deutsche
Lit.-Denkm. 56'; W. Wittekindt, J. Chr. Krüger, sein Leben und seine Werke, Berlin 1898.
3. Johann Elias Schlegel: J. E. Schlegels Werke, 5 Bde., Kopenhagen und Leipzig,
1761 — 70; E. Wolff, J. E. Schlegel, Berlin 1889; J. E. Schlegels ästhet. u. dramaturg.
Schriften, hrsg. von J. von Antoniewicz, D. L. D. 26 ; Bremer Beiträger, hrsg. von
F. Muncker, K. D. N. L. 43 — 44; F. Düsel, Der dramat. Monolog in der Poetik des
17. und 18. Jahrhunderts, Theatergesch. Forsch, hrsg. von Litzmann, 14, 1897.
4. Rührkomödie: Erich Schmidt, Richardson, Rousseau und Goethe, Leipzig 1875;
G. Lanson, Nivelle de la Chaussee et la Comedie larmoyante, Paris, 1887; H. A. Korff,
Voltaire im literar. Deutschland des i8. Jahrhunderts, Heidelberg, 191 8; Gellerts
Werke, hrsg. von J. L. Klee, Berlin 1867; E. Michael, Christian Fürchtegott Geliert,
Leipzig 1917; W. C. Haynel, Gellerts Lustspiele, Diss. Leipzig, 1896; J. Coym,
Gellerts Lustspiele, Diss. Berlin 1898, Vollst, in Palaestra, 1899; Th. Dobmann, Die
Technik der Gellertschen Lustspiele, Programm Freiburg 1901.
5. Der junge Lessing und Christian Felix Weiße: Danzel imd Guhrauer,
G. E. Lessing, sein Leben imd seine Werke, 2 Bde., Leipzig 1850 — 54; Erich
Schmidt, Lessing, 2 Bde., Berlin 1909; W. Oehlke, Lessing und seine Zeit, 2 Bde.,
München 1919; Lessings Jugendfreunde, hrsg. von J. Minor K. D. N. L. Bd. 72; Rieh.
M. Meyer, Lessings Theater, Vierteljahrschrift für Lit.- Gesch., hrsg. von Seuffert 3,
1891; Caro, Lessing und die Engländer, Euphorion VI, 1899; P. Albrecht, Lessings
Plagiate, Hamburg 1890 — 91; Erich Schmidt, Die Quellen der komischen Einfälle und
Züge Lessings, Sitz.-Ber. d. Berl. Akad. 21, 1897; F. Tyrol, Lessings sprachliche
Revision seiner Jugenddramen, Berlin 1893; J- Minor, Chr. F. Weiße und seine Be-
ziehungen zur deutschen Literatur, Innsbruck 1880.
6. Lessings ,, Minna von Barnhelm": G. Kettner, Lessings Dramen, Berlin 1 904 ;
W. Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung, Leipzig 1920; A. Böhtlingk, Shakespeare
und unsere Klassiker, Bd. i: Sha. und Lessing, Leipzig 1909; G. Fritz, Der Spieler
im deutschen Drama des 18. Jahrhunderts, Diss. Berlin 1896; O. Spieß, Die dramatische
Handlung in Lessings Emilia Galotti und Minna von Bamhelm, Bausteine z. Gesch.
d. n. d. Lit,, hrsg. von Saran VI, 1911; Rob. Petsch, Die Kunst der Charakteristik
in Lessings M. v. B., Zs. f. d. d. Unterricht 26, Jahrgang, H. 5, 1912; K. H. v. Stock-
mayer, D. d. Soldatenstück des 18. Jahrhunderts seit Lessings M. v, B., Lit.-hist. Forsch.,
hrsg. von Schick und Waldberg 10, 1898.
II. STURM UND DRANG: Rob, Petsch, Deutsche Dramaturgie, l, Bd. Von Lessing bis
Hebbel, Hamburg 1921; A. Köster, Die allgemeinen Tendenzen der Geniebewegung im
18. Jahrhundert, Leipziger Universitätsprogramm, 19 12; O. Walzel, Das Prometheussymbol
Bibliographische Nachweise. 349
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Shakespeare und der deutsche Geist, Berlin 191 1; Erich Schmidt, Richardson und Goethe,
Leipzig 1875; Werke der Stürmer und Dränger, hrsg. von A. Sauer K. D. N. L. 79 — 80;
hrsg. von K. Freye, 4 Teile, Bongs Klassikerbibliothek; Eugen Wolff, Die Sturm-und-
Drang-Komödie, Zs. f. vergleich. Lit.-Geschichte, N. F. Bd. i; G, Keckeis, Dramaturgische
Probleme im Sturm und Drang, Bern 1907; H. Grußendorf, Der Monolog im Drama
des Sturmes und Dranges, Diss. München 1914; Neudruck imd Erläuterung der ,, An-
merkungen übers Theater" von Th. Friedrich, Kösters Probefahrten 13, Leipzig, 1908;
R. M. J. Lenz, Gesammelte Schriften, hrsg. von Franz Blei, München 1909; M. N. Rosanow,
Lenz, der Dichter der Sturm-und-Drang-Periode, aus dem Russ. übers, von K. v. Gütschow,
Leipzig 1909; Herrn. Rauch, Lenz und Shakespeare, Diss. Berlin 1892; Erich Schmidt,
Lenziana, Sitz.-Ber. d. Berl. Akad., Bd. 41, 1901; Erich Schmidt, Lenz und Klinger,
Berlin, 1878; F. M. Klingers Werke, Auswahl, Stuttgart 1878; M. Rieger, Klinger in
der Sturm-und-Drang-Periode, Darmstadt 1880; L. Jacobowski, ELlinger und Shakespeare,
Diss. Dresden 1891; Rieh. Philipp, Beiträge zur Kenntnis von Klingers Sprache und
Stil in seinen Jugenddramen, Diss. Freiburg 1909; F. Hedicke, Die Technik der drama-
tischen Handlung in Klingers Jugenddramen, Diss. Halle 191 1; E. Schmidt, H. L.Wagner,
Jena 1879; Max Morris, Der junge Goethe, 6 Bde., Leipzig 1909; Cottas Jubiläums-
ausgabe von Goethes Werken, Bd.7 „Jugenddramen. Farcen und Satiren", hrsg. von A. Köster ;
F. Hilsenbeck, Aristopbanes und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts, Berlin 1908;
M. C. Burchinal, Hans Sachs und Goethe, Göttingen 191 2; an Goethebiographien seien
Gundolfs und Witkowskis Werke hervorgehoben.
III. KLASSISCHE PERIODE: Cottas Jubiläumsausgabe von Goethes Werken, Bd. 9 „Zeit-
dramen, Gelegenheitsdichtungen", Bd. 15 ,, Dramatische Fragmente und Übersetzungen", hrsg.
von Otto Pnio wer; Karl Berger, Schiller, München 1905; Säkularausgabe von Schillers Werken,
Bd. 9 ,, Übersetzungen", hrsg. von Albert Köster; A. Eloesser, Das bürgerliche Drama, 1898;
O. Walzel, Das bürgerliche Drama, Ilbergs N.Jahrbücher, I.Abt. XXXV. Bd., 1915, jetzt in
Vom Geistesleben alter und neuer Zeit, Leipzig 1922; F.L.Schröders dramatische Werke,
hrsg. von E. v. Bülow mit Einleitung von L. Tieck, Berlin 1831; B. Litzmann, F. L.
Schröder, a Bde., Hamburg 1890 — 94; Theater von Iffland, Weimar, 1843; A. Stiehler, Das
IfFlandsche Rührstück, Theatergesch. Forschungen, hrsg. von Litzmann, Bd. 16, Hamburg
1898; R. KipfmüUer, Das Ifflandsche Lustspiel, Diss. Heidelberg 1899; August von
Kotzebues Theater, 40 Bde., Wien 1840 — 41; Ch. Rabany, Kotzebue, sa vie et son
temps, Nancy 1893; rec. J. Minor Göttinger Gel. Anz. 1894; E. Jäckh, Studien zu
Kotzebues Lustspieltechnik, Diss. Heidelberg 1899.
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deutsche Literatur des 19. u. 20. Jahrhunderts, hrsg. u. fortgesetzt von Hugo Bieber,
Berlin 1921; O. Walzel, Die deutsche Dichtung seit Goethes Tod, Berlin 1920; Adolf
Bartels, Die deutsche Dichtung von Hebbel bis zur Gegenwart. Ein Grundriß. Neue
Ausgabe in drei Teilen, Leipzig 1922.
I. ROMANTIK: R. Haym, Die romantische Schule, 4. Auflage, besorgt von O. Walzel,
Berlin 1920; O. Walzel, Deutsche Romantik, Aus Natur- und Geisteswelt, 232 — 233,
Leipzig 1918; K. G. Wendriner, Das romantische Drama, Berlin 1909; Edgar Groß,
Die ältere Romantik und das Theater. Theatergesch. Forsch., Bd. 22, 1910.
I.Satiren und Märchenkomödien: F. Hilsenbeck a. a. O. ; C. Hille, Die deutsche
Komödie unter der Einwirkung des Aristopbanes, Breslauer Beiträge zur Literatur-
geschichte 12, Leipzig 1907; W, Süß, Aristophanes und die Nachwelt, Leipzig 191 1;
O. Walzel, Aristophanische Komödien, Zs. f. d. d. Unterricht XXX; F. Eichler, Das
^ro Bibliographische Nachweise.
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Romantische Ironie und romantische Komödie, Diss. Freiburg 1912; F. Ernst, Die
romantische Ironie, Diss. Zürich 191 7; H. Günther, Romantische Kritik und Satire
bei Ludwig Tieck, Leipzig 1907; R. Schloesser, August Graf von Platen, 2 Bde.,
München 1910 — 13; O. Greulich, Platens Literaturkomödien, Diss. Bern 1901; Christian
Dietrich Grabbes Gesammelte Werke, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von
Paul Friedrich, 4 Bde., Weimar 1923; R. Benz, Märchendichtung der Romantiker,
Gotha 1908; Käthe Brodnitz, Der junge Tieck und seine Märchenkomödien, Diss, München
1912; G.Roethe, Brentanos ,,Ponce de Leon", eine Säkularstudie, Abhdlg. d. Ges. d.Wiss.
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hrsg. von F. Bergemann, Leipzig 1922; J. Strucker, Beiträge zur kritischen Würdigimg
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Hesse & Becker, Leipzig 1914; von A. Eloesser, Tempel -Verlag; Biographien von Otto
Brahm 191 1, W. Herzog 191 1; H. Meyer-Benfey 191 1 ; neuerdings von F. Gundolf 1922,
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Reinhardstöttner, Plautus, Spätere Bearbeitungen plautinischer Lustspiele, Leipzig 1886;
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mit Bibliographie der mundartlichen Dichtung, Prag 1907; G. Arnold, Pfingstmontag,
hrsg. von Lefftz und Markwald, Straßburg 1913, in Reclam 2154/5; Sebastian Sailer,
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Moriz Enzinger, Die Entwicklung des Wiener Theaters vom 16. zum 19. Jahrhundert,
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Rudolf Fürst, Raimunds Vorgänger. Bäuerle, Meisl, Gleich. Schriften d. Ges. f. Theater-
geschichte, Bd. 10, Berlin 1907; Josef Nadler, Das österreichische Volksstück, Dichter
und Bühne, hrsg. von Dr. E. L. Stahl, Augsburg 1921; Alte Wiener Theaterlieder von
Hans Wurst bis Nestroy, hrsg. von R. Smekal, Wien 1920; Raimund, Sämtliche Werke,
hrsg. von E. Castle, Leipzig 1 903 ; Raimunds Werke, hrsg. von K. Glossy und A. Sauer,
Wien 1891; K. Fuhrmann, Raimunds Kunst und Charakter, Berlin 1913; Nestroy,
Gesammelte Werke, hrsg. von V. Chiavacci und L. Ganghofer, mit Biographie von
M. Necker, Stuttgart 1890 — 91; Auswahl von Otto Rommel, Berlin 190S; L. Langer,
Nestroy als Satiriker, W^ien 1908; K. Kraus, Nestroy und die Nachwelt, Wien 191 2;
P. Merbach, Das deutsche Volksstück, Dichter und Bühne, hrsg. von E. L. Stahl,
Frankfurt a. M. 1922; Josef Nadler, Die Berliner Romantik 1800 — 1814, Berlin 1921;
Alt-Berliner Humor, und Das Berliner Lokalstück, mit Einleitung von Georg Hermann,
in Die fünfzig Bücher, Bd. 8 und 20, Ullstein & Co., Berlin 1920; Dr. R. Doße, Das
niederdeutsche Drama, Dichter und Bühne, hrsg. von E. L. Stahl, Frankfurt a. M. 1922;
K. Th. Gaedertz, Das niederdeutsche Schauspiel. Zum Kulturleben Hamburgs, 1894;
A. Brand, Johann Gottwerth Müller von Itzehoe, Berlin 1901; Karl Malß' „Bürger-
kapitän", hrsg. von Gebhardt, Heidelberg 1920; Ernst Elias Niebergall. Sein Leben
Bibliographische Nachweise. 35^
und seine Werke, von Karl Esselbom, dabei Bibliographie. Fünfte Jahresgabe der Gesell-
schaft Hessischer Bücherfreunde, Darmstadt 1922; Auszug mit Ergänzungen in Hessische
Biographien, Bd, 2 ; Esselborn bereitet auch eine Ausgabe der Werke Niebergalls vor.
4. Grillparzer, „Weh dem, der lügt": Werke hrsg. von St. Hock, 16 Bde.,
Berlin 1911; die große historisch-kritische Ausgabe A. Sauers ist bis auf den An-
merkungsband vollendet, Wien igogff. ; Fr. Strich, Grillparzer Ästhetik, Forsch, z. n.
Lit." Gesch., hrsg. von Franz Muncker, Bd. 29; Joh. Volkelt, Grillparzer als Dichter
des Komischen im Jahrbuch d. Grillparzer-Gesellschaft XV; auch in Gesammelte Auf-
sätze, München 1908; Minor, Grillparzer als Lustspieldichter, Jahrbuch d. Gr.-Ges. III; zu
„Weh dem, der lügt" Jacob Minor, „Wahrheit und Lüge auf dem Theater", Euphorien III,
vgl. W.Jerusalem, D.Rundschau IV, 1898; R. Smekal, Grillparzer u. Raimund, Wien 1920.
n. DAS UNTERHALTUNGSLUSTSPIEL DES XIX. JAHRHUNDERTS (i 830-1 885):
G. Witkowski, Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts in seiner Entwicklung dargestellt,
Aus Natur und Geistes weit, Bd. 51, Leipzig 1910; G. Witkowski, Die Entwicklung der
deutschen Literatur seit 1830, Leipzig 1912; O. Teuber und A. von Weilen, Geschichte
des Hofburgtheaters, Wien 1899, 1906; W. Zentner, Studien zur Dramaturgie Eduard
von Bauernfelds. Ein Beitrag zur Erforschung des neueren Lustspiels. Theatergesch. Forsch.,
hrsg. von B. Litzmann 33, Leipzig 1922; Ausgewählte Werke E. von Bauernfelds, hrsg. von
E. Homer, 4 Bde., Leipzig 1905; H. Prutz, Zur Geschichte der politischen Komödie in Deutsch-
land, Münchener Sitz.-Ber. 1919 ; dazu E. Rose, Z. Gesch. d. pol. Kom. in D. in Germ. Rom.
Monatsschrift H.3/4, 1923; A. Kraus, Rückerts dramatische Dichtungen, Diss. Gießen 1916;
H. Neumann, Robert Prutz und seine Komödien, Diss. Marburg 191 3; A. Kleinberg, Der
Vormärz, Leipzig 1917; Friedr. Halms Werke, hrsg., von A. Schlosser, 4 Bde., Leipzig 1904 ;
Walter Dohn, Das Jahr 1848 im deutschen Drama und Epos, Breslauer Beiträge zur Lit.-
Gesch., hrsg. von Max Koch, Bd. 32; Joh. Prölß, Das junge Deutschland, Stuttgart 1892;
H. H. Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, Leipzig! 911; Gutzkows Ausgewählte
Werke, hrsg. von H. H. Houben, 12 Bde., Leipzig 1908; Eduard Metis, Gutzkow als
Dramatiker, Breslauer Beiträge 48, Stuttgart 191 5; P. Müller, Gutzkow als Lustspieldichter,
Diss. Marburg 19 10; F. Weiglin, Gutzkows und Laubes Literaturdramen, Palaestra 103,
Berlin 1910; Heinrich Laube, Gesammelte Werke, hrsg. von H. H. Houben, 50 Bde.,
Leipzig 1908; Maria Moormann, Die Bühnentechnik Heinrich Laubes, Diss. Münster 191 7;
Gg. Droescher, G. Freytag in seinen Lustspielen, Diss. Berlin 1919; Carl Hagemann, Das
Gesellschaftsstück, Dichterund Bühne, hrsg. von E.L.Stahl, Frankfurt a.M. 1922; A. Sauer,
Bauernfeld und Saphir, Beiträge zur Literatur- und Theatergeschichte, Ludwig Geiger zum
70. Geburtstage, 5.Junii9i8, als Festgabe dargebracht, pag. 284 — 310; Ernst Martin,
Der Schwank, Dichter und Bühne, hrsg. von E. L. Stahl, Frankfurt a. M. 1921;
W. Schenkel, Roderich Benedix als Lustspieldichter, Diss. Frankfurt a. M. 1916.
m. HEBBEL, RICHARD WAGNER, ANZENGRUBER: Säkularausgabe der
Werke Hebbels von R. M. Werner, 16 Bde., Berlin 19 12 ff.; von den zahlreichen Bio-
graphien sei die kurze aber tiefbohrende Darstellung O. Walzeis in Aus Natur und
Geisteswelt, Bd. 408, hervorgehoben: Friedrich Hebbel und seine Dramen, Leipzig 191 9;
A. M.Wagner, Das Drama Friedrich Hebbels. Eine Stilbetrachtung, Leipzig 191 1;
E. Tannenbaum, Fr. Hebbel und das Theater, Hebbel-Forschungen 7, Berlin 1915;
H. Heinrich, Hebbels Anschauungen über das Komische, Zs. f. Ästhetik u. allgem.
Kunstw. V. 435, 1910; Paul Heims, Die Entwicklung des Komischen bei Hebbel, Diss.
Leipzig 191 3; Richard Wagners Werke, hrsg. von W. Golther, 10 Bde., Berlin 19 14;
Max Koch, Richard Wagner, 3 Bde., Berlin 19 12— 18; O. Walzel, Wagner in seiner Zeit
und nach seiner Zeit, München 1913; Roman Wörner, Eine deutsche Komödie, Wagner-
Jahrbuch, hrsg. von J. Kürschner, Stuttgart 1886; Gustav Roethe, Zum dramatischen
■2C2 Bibliographische Nachweise.
Aufbau der Wagnerschen Meistersinger, Sitz.-Ber. d. Berl. Akad. 37, 1919; Die Meister-
singer von Nürnberg, Richard Wagners Dichtung und ihre Quellen, hrsg. von Franz
Zademack, Der Domschatz Bd. 5, Berlin 1921; Stefan Hock, Von Raimund bis Anzen-
gruber, Jahrbuch d. Grillp.-Ges. 15; Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke, unter Mit-
wirkung von Karl Anzengruber hrsg. von Rudolf Latzke und Otto Rommel, Kritisch
durchgesehene Gesamtausgabe in 15 Bdn. , Wien 1920 — 22; A. Bettelheim, Ludwig
Anzengruber, Berlin 1898; Neue Gänge mit L. Anzengruber, Wien 1919; A. Kleinberg,
L. Anzengruber. Ein Lebensbild, Stuttgart 1921; A. Büchner, Zu Ludwig Anzengrubers
Dramentechnik, Diss. Gießen 191 1.
IV. VOM NATURALISMUS BIS ZUR KUNST DER GEGENWART: W. Windelband,
Die Philosophie im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts, Tübingen, 1909; Albert
Soergel, Dichtung und Dichter der Zeit. Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten
Jahrzehnte, Leipzig 191 1 *, Rob. F. Arnold, Das moderne Drama, Straßburg 191 2 ; R. Hamann,
Der Impressionismus in Leben und Kunst, Köln 1907; M. Günther, Die soziologischen
Grundlagen des naturalistischen Dramas, Diss. Leipzig 1912; A. Kerr, Gesammelte Schriften,
erste Reihe: Die Welt im Drama, 5 Bde., Berlin 1917; J. Hofmiller, Zeitgenossen, München
1910; O. Doli, Die Entwicklung der naturalistischen Form im jüngsten deutschen Drama;
Gerhart Hauptmanns Werke, 12 Bde., Berlin 1922; Monographien von P. Schienther, er-
weitert von A. Eloesser, Berlin 1922; von Paul Fechter, Dresden 1922; Emil Götts Ge-
sammelte Werke, hrsg. von Roman Wörner, 3 Bde., 191 1 ff.; A. Möller-Bruck, Das junge
Wien, Berlin 1902; J. Kömer, Arthur Schnitzlers Gestalten und Probleme, Wien 1921 ;
A. W. Berendsohn, Der Impressionismus Hugo von Hof mannsthals , Hamburg 1920;
A. Maderno, Die deutschösterreichische Dichtung der Gegenwart, Leipzig 1920; A.Bartels,
Heimatkunst, Berlin 1904; Willi Hellpach, Geopsychische Erscheinungen, Jena 1923;
A. Bartels, Fritz Stavenhagen, Eine literarische Würdigung, 1907; R. Sedlmaier, Karl
Schönherr und das österreichische Volksstück, Würzburg 1920; H. Bahr, Expressionismus,
München 1918; M. Deri, M. Martersteig, O. Walzel u. a., Einführung in die Kunst der
Gegenwart, Leipzig 1919; J. Geyser, Neue und alte Wege der Philosophie. Eine Erörterung
der Grundlagen der Erkenntnis im Hinblick auf Edmund Husserls Versuch ihrer Neu-
begründung, Münster 1916; O. Rank und H. Sachs, Die Bedeutung der Psychoanalyse
für die Geisteswissenschaften, Wiesbaden 191 3; G. von Lukacs, Zur Soziologie des modernen
Dramas, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 38; Bernhard Diebold, Anarchie
im Drama, Frankfurt a. M. 1921; Max Freyhan, Das Drama der Gegenwart, Berlin 1922;
Fritz V. d. Leyen, Deutsche Dichtung in neuer Zeit, Jena 1922; Franz Blei, Über Wedekind,
Sternheim und das Theater, München 1916; Paul Fechter, Frank Wedekind, Leipzig 1920;
H. Franck, Hermann Essig, in Das deutsche Drama Nr. I ; H. H. Borcherdt, Carl Haupt-
mann, München 1911; Kurt Wolff, Der Dramatiker Herbert Eulenberg, Mitteilungen der
Literar, Gesellschaft Bonn, 191 2; K. Brombacher, Der deutsche Bürger im Literaturspiegel
von Lessing bis Sternheim, München 1920; die Werke Carl Stemheims sind wie die Carl
Hauptmanns und Hermann Essigs im Kurt- Wolff- Verlag, München, erschienen; H. Knudsen,
Georg Kaiser, Die literarische Gesellschaft Nr. 4; die Dramen Georg Kaisers sind bei
Gustav Kiepenheuer, Potsdam, verlegt.
REGISTER
«3
Zur Orientierung im Text ist neben den beiden Registern die
weitgehende Gliederung des Inhaltsverzeichnisses zu Rate zu
riehen. Im Sach- und Personenregister folgt den Autoren-
namen das Verzeichnis ihrer im Text erwähnten Werke. Das
Dramenregister enthält säratl'che im Text vorkommenden Dra-
mentitel, wobei hinter dem Titel jeweils der betreffende Autor
genannt ist, so daß mit Hilfe von Register I auch seine weiteren
besprochenen Werke im Texte aufgefunden werden können.
Die Dramentitel sind grundsätzlich nach der alphabetischen
Ordnung ihrer ersten Worte angeordnet, wobei aber Artikel,
gleichgültig ob bestimmte oder unbestimmte, dem Hauptworte
nachgestellt werden; z. B. : ,,Der böse Geist Lumpacivaga-
bundus oder das liederliche Kleeblatt" ist erstens zu finden
unter: „böse Geist Lumpacivagabundus, Der", zweitens
unter : , .liederliche Kleeblatt, Das".
Vorivort, Bibliographie und Bilderklärung sind nicht in den
Registern bearbeitet.
a und ä, o und ö, u und ü werden innerhalb der alphabeti-
schen Ordnung als gleichwertige einfache Buchstaben, Dop-
pelschreibungen wie oe als zwei Buchstaben behandelt.
I. PERSONEN- UND SACHREGISTER.
Addison I24f., 141, 155
— , ,,The drummer" 125
Adelssatire 65
Adolf, Johann 241
Aktschluß 151 ff.
Aktzahl 164
Aktualität 85, 119
Altertum 3 f.
Altmaan, George 27S
Andreae, Joh. Valtentin, „Turbo" . . 92
Angely, Louis 253, 257
— , „Das Fest der Handwerker" . . 253
Antoniewicz, „J. E. Schlegels aestheti-
sche und dramaturgische Schriften".
DLD. Nr. 26 150
Antisemitismus ^Sf-» 53
Anzengruber, Ludwig 249, 297 ff., 305, 308,
318, 323f-
„Der Doppelselbstmord" .... 302 f.
„Der G'wissenswurm" . . . 300 ff.
„'s Jungferngift" 302 f.
„Die Kreuzelschreiber" 298 ff., 303, 308
„Die Trutzige" 302
Apel, Paul 329, 331
— , ,,Hans Sonnenstößers Höllenfahrt" 329
Aristophanes i, 48, 61, 64, 136, 194, 206,
2i4ff., 2i8f., 221, 228, 258, 271, 273,
299. 325.
— , ,, Frösche" 219
— , ,,Lysistrate" 299
— , „Plutos" 61
Aristoteles 3, 199
Armeleutdichtung 304
Arnim, Achim von . 253, 255, 276, 330 f.
— , ,,Die Kronenwächter" 276
— , „Die Appelmänner" 253
— , ,,Der Stralauer Fischzug" . . . 253
Arnold, Georg Daniel . . . .239 ff., 262
— , „Der Pfingstmontag" 239 ff., 253, 262, 295
Auerbach, Berthold, „Schwarzwälder
Dorfgeschichten" 298
Ayrenhoff, Cornelius Hermann von, „Der
Postzug" 244
Ayrer, Jacob 66 f., 78, 82, 85 ff., 88 f., 91, 115
— , ,,Von dem Engelländischen Jahn
Posset, wie er sich in seinem Dienst
verhalten", ,,Der verlohrn Engellän-
disch Jahn Posset", „Von Fritz Dölla
mit seiner gewünschten Geigen" . . 87
— , ,,Vom griegischen Keyser" . . 88, 91
— , ,, Julius redivivus" 66
— , ,,ComediavonderschönenPhaenicia" 87
— , „Sidea" 87
Bacheracht, Therese von 274
Badius, Jodocus 70
Bucchtold 74
Baermann, Jürgen Nikiaas, ,, Burenspillen" 259
— , ,,Stadtminschen und Burenlüd" . . 259
Bahr, Hermann 278, 333
— , „Dialog vom Tragischen" . . . 316
— , ,,Das Konzert" 316
Bakunin 294
Bartels, Adolf, „Die deutsche Dichtung
der Gegenwart" 3l7i 320
Bauer, Der verwandelte 84, 106, iio, 311
Bäuerle .... 245, 246 ff., 260, 280
— , ,,Aline oder Wien in einem andern
Weltteil" 248
— , „Die Bürger von Wien" . . . .246 f.
Bauerndramatik 298
Bauernfeld, Eduard von 266 ff., 273, 276,
277 ff., 28of., 2S3, 298, 3i5f.
,,Die Bekenntnisse" 267 f.
„Bürgerlich und Romantisch", „Fata
Morgana" 270
„Fortunat" 267, 270
„Die Geschwister von Nürnberg" . 270
„Großjährig" 273
„Der kategorische Imperativ" 277 f., 280
„Krisen" . . . 268, 270, 27Sf., 2S1
,, Landfrieden" 276
„Das letzte Abenteuer" .... 268
,,Das LiebesprotoküU" .... 27 1
„Literarischer Salon" 2S0
„Republik der Tiere" 273
23*
356
Register.
Bauernsatire 45i 55^-
Bauernszenen 83
Beaumarchais, „DieHochzeit des Figaro" 166
Beaumont und Fletcher, „Rule a wife
and have a wife" 200
Bediente 144. 164, I73f.
Benedix, Roderich 283 f., 286
— , „Die Shakespearomanie" .... 283
— , „Bemoostes Haupt oder der lange
Israel" 283
— , „Oben wie unten" 284
— , „Der Störenfried" 284
Bergson, „Le rire" 48
Bernardon 243 f.
Berolinismus 253, 254 f., 256
Bethlehemitischer Kindermord ... 34
Betrüger 63
Biedermann, J., „Utopia" HO
Bildungskunst 41
Birch-Pfeiffer, Charlotte 284
Bismarck 305, 314
Blumenthal, Oskar .... I, 284, 314
— , ,,Der Probepfeil" 314
— u. Kadelburg, ,,Im weißen Rössl" . 284
Boccaccio 75
Bodmer 127, 130
Böhtlingk, Arthur, „Shakespeare und
unsere Klassiker" 182
Bois-Robert ill
Bolte, ,,Das Danziger Theater im 16. und
17. Jahrhundert", Th. F. XII. . . 92
Borkenstein, Hinrich . . . I39f., I76f.
— , ,,Der Bookesbeutel" . I39f., 151, 153,
162, 174, 176, 258.
Boßdorf, Hermann, ,, Kramer Kr ay", „De
rode Uennerrock" 321
Böttiger 216
Bougeant, ,,La femme docteur" . . . 129
Bremer Beiträger 142, 145, 158
Brentano, Clemens 217. 221 f., 224, 260, 331
— , ,, Gustav Wasa" 217
— , ,,Pouce de l.eon" . 221 ff., 225, 331 f.
Bretzner 200
Brockes 127
Brombacher, „Der deutsche Bürger im
Literaturspiegel von Lessing bis Stern-
heim" 335
Bühne, mittelalterliche 25, 69
— des Fastnachtspiels 69, 77
— des Terenz, der Humanisten 62, 69 f., 77
Büchner, Georg 189, 2241., 26of., 271, 331, 337
— , ,,Leonce und Lena" . 224 f., 271, 33 1
Bülow 297
Bunsen, P. L., und J. G. Müller, „Sieg-
fried von Lindenberg" 259
Bürger, G. A 51. 67, 188
Bürgerliches Drama 89, 104, I56f., 175 f., 193
Bürgersatire 113, 325 ff., 329
Bürgerstand . . . .16, I13, 165, 179 f.
Burgtheater 244
Byron 224
Byronismus 281
Caesar 66
Calderon . . .110, 219, 222, 225, 317
— , ,,La dama duende" 317
— , ,,Das Leben ein Traum" .... 1 10
Capitano 90
Cassirer, E., ,,H. von Kleist und die
Kantische Philosophie", 1919 . 227, 333
Castelli 218, 254
— , „Der Schicksalsstrumpf" . . . . 218
Castelvetro 149
Celtis, Conrad 4, 61
Cervantes 244
Chamfort, ,,La jeune Indienne" . . . 178
Charakter 127
Charakterkomödie 68
Charakterschilderung 104
Chassiron, , .Reflexions sur le Comique-
larmoyant" I57> 160
Chodowiecki 185
Cibber 155
Cicero 63, 66
Clauren 219
Coffey, ,,The devil to pay" .... 179
Commedia dell'arte 5, 13, 41, 79, 89 f., 92,
118 f., 136, 209 f., 242 ff.
Comedie gaie 14I ff.
Comedie larmoyante 141, 155, 158, 160, 165
Comfedie serieuse . . . 125, 137, 141, 143
Comedy of manners 123 f.
Congreve 124
Corneille, Pierre 79i 90
— , „Don Sanche d'Aragon" .... 147
— , Thomas HI
Corot 317
Creizenach, „Geschichte des neueren
Dramas", 1911; „Zur Entstehungsge-
schichte des neueren deutschen Lust-
spiels", 1879 .... 18, 30, 81, 122
Crispin 144
Cronegk, „Der ehrliche Mann, der sich
schämt, es zu sein" 148
Dalberg, Johann von 63
Dämonen 37 ff., 49
David, Jakob Heinrich, ,,Eine Nacht auf
Wache" 259
Debucourt 234
Decamerone 75
Defoe, ,, Robinson" 177
Deinhardstein, Ludwig Franz 276, 292, 295
— , „Boccaccio", „Garrick", .... 292
— , ,, Erzherzog Maximilians Brautzug" . 276
— , ,,Hans Sachs", ,,Salvator Rosa" 292, 295
Dekadenz 316
Destouches 123, 125, 127, 137, 141, 149,
151, 157, 161, 164, 170.
— , ,,Le Giorieux" 125, 149
— , ,,La fausse Agn^s" 161
— , ,,L'ingrat" 164
— , ,,L'obstacle impr6vu", ,,Le triple
mariage" 125
Personen- und Sachregister.
357
Destouches, „Le tambour nocturnc" . 125
— , Bearbeitungen nach: „Der Ehrgei-
zige", „Der Gefällige", „Der Neugie-
rige", ,,DerRuhmredige", „Der Ruhm-
süchtige", ,,Dcr Undankbare", ,,Der
Unschlüssige", „Der Verläumder",
„Der Verwirrungsstifter" . . . . 127
Detharding 132 f.
— , , (Bramarbas" 133
— , „Der deutsche Franzose" . . . 132
Derrient 202
Dialekt . . .83, 93, 99, 130, 141, 258 f.
Dickens 279 f., 302
Diderot . . 166, 180, 182, 193, 282, 334
— , „Jacques le Fataliste" 334
Diebold, Bernhard, ,, Anarchie im Dra-
ma", 1921 335, 337
Dilthey, W., „Das Erlebnis und die
Dichtung" 182
Dirne 63, 68
Ditters von Dittcrsdorf, Karl . . . . 245
Döllinger 299
Donneau de Vis6 1 1 1
Dorfdichtung 29, 298
Dostojewsky 332
Drama, griechisches 3
— des 19. Jahrhunderts 66
— der Gegenwart 66
Drama und Theater . . 84, 98, 100 f., 322
Dreikönigsspiel 34 f-
Dreyer, ,,Der Probekandidat". . . . 340
Driesch 337
Droescher, „G. Freytag in seinen Lust-
spielen", 1919 276
Dryden 124, 128
Dufresny 123, 127
— , ,,Die Spielerin", „Die Wider-
sprecherin" 127
Dulk, Albert, und Seemann, „Die Wände" 272
Dummkopf 23, 42
Ehebruchsmotiv 42
Eichendorff, Joseph von 21 7 ff., 223 f., 271, 325
■ — , „Die Freier" 223 f., 271
— , „Krieg den Philistern" . . 2i7f., 325
— , ,,Meierbeths Glück und Ende". . 218
Einheitsregel 149 f-. 1^9
Eipeldauer 249 f.
Ekhof III, 258
Elenson III
Eloesser, Arthur, „Kleists sämtliche
Werke" 228
Engelische Comedien und Tragedien 80, lio
Enzinger, Moriz , ,, Wiener Theater
16. — 19. Jahrhundert", 1919 . . . 241
Epicharm 5
Episodenszene 275 f., 278, 302
Erdmann, Ludwig, ,, Alles was Recht ist" 262
Erlauer Spiele. . . 8, 10 ff., 15, 29 f., 35
Ernst, Otto, ,, Flachsmann als Erzieher" 340
Eschatologische Dramen . . . . 35
Essig, Hermann 33° f>
— , „Die Glückskuh", ,,Die Weiber von
Weinsberg" 330
Etherege 124
Eulenberg, Herbert 33° ff-. 337
— , ,, Alles um Liebe" 331
— , „Das grüne Haus" 331
— , ,,Münchhausen" 337
— , „Der natürliche Vater", ,, Mücken-
tanz" 332
Eulenspicgel 75
Euripides 216, 337
Expressionismus .... 39, 328, 336 ff.
Falstaff 65, 95, 135, 276, 307
Farce 43, 194, 215
Farquhar 124, 209
Fastnachtfeier 37
Fastnachtschwänke 36
Fastnachtspiel 5 f., 15, 37 ff., 43 f., 45 ff.,
70 f., 82, 86 ff., 94, 110, 114, 194, 238,
243, 258.
— und geistliches Drama ... 53 f., 59
— und Meistersingerdrama .... 77
Fechter, Paul, ,, Gerhart Hauptmann" . 326
Feuerbach, Ludwig 299
Fiabe 243
Fichte 206, 226 f., 233
Fischart 66
Flemming, Willi, ,, Andreas Gryphius
und die Bühne" 100
Fletcher 128
— und Beaumont, ,,RuIe a wife and
have a wife" 200
Flögel-Ebeling, ,, Geschichte des Grotesk-
Komischen" 144
Florian 197
Folz, Hans, ,, Ein hübsch Vastnachtspil",
,,Ein Spil von König Salomon und
Markolfo" 5a
Fontane, Theodor 300, 305
France, Anatole 316
Frau, Die, in der Literatur . . 100, 166 f.
Freud, Max 338
Freye, Karl, ,, Sturm und Drang" . . 187
Freyhan, Max, ,,Das Drama der Gegen-
wart", 1922 329
Freytag, Gustav ... 98, 275 f., 280 ff.
— , „Die Brautfahrt oderKunz von Rosen" 275
— , „Die Journalisten" .... I, 280 ff.
Friedrich, Markgraf 6
Frischlin, Nicodemus 64 ff., 68, 83, 88, 91
— , ,,Frau Wendeigard" 64 f.
— , ,,Hildegardis magna", ,, Hochzeit zu
Cana" 65
— , ,, Julius redivivus" 66
— , ,, Rebecca" 64 f.
— , „Ruth" 65
— , ,, Susanna" 64 f., 83
Froning, ,,Das Drama des Mittelalters",
KDNL 24
358
Register.
Friihlino:slyTik 3^
Fulda, Ludwig .... I02, 209, 314
— , „Des Esels Schatten" . . . 209, 314
— , „Der Talismann" 314
Fürst, Rudolf, ,, Raimunds Vorgänger",
Sehr. d. Ges. f. Th. G. 10 . . . . 246
Gaedertz, Theodor, „Das niederdeutsche
• Drama", 1894 258
Gall 206
Ganghofer, Ludwig 3lSf.
— , ,,Der Herrgottsschnitzer von Ammer-
gau" 318
Gebhardt 259
Geibel, Emanuel, ,, Meister Andrea" . 292
Geistliches Schauspiel 82
— — und Fastnachtspiel ... 53 f., 59
Geliert, Christian Fürchtegott 138, 142 f., 145,
151, isSff., 167, lyof., 174, I76f., 180, 203
— , ,,Pro comoedia commovente" . . 160
— , ,,Die Betschwester" . . 159 ff-, 164
— , „Die kranke Frau" 164
— , ,,Das Los in der Lotterie" 159, 162 f.
— , „Die zärtlichen Schwestern" 159, 163 ff.
Gemmingen 192
Gengenbach, Pamphilus . . . 5^' 7^^-
— , ,, Die Gauchmatt", ,, Die Totenfresser" 72
— , „Die zehn Alter dieser Welt" . . 58
George, Stefan 314, 338
Gerstenberg 187
Gervinus, „Geschichte der deutschen
Dichtung" 120, 278
Gesellschaftskritik 277 ff.
Geßner, Heinrich 234
Gherardi, ,,theätre Italien" I18, 135 f., 242
Gilbert, „Les intrigues amoureuses" . . 155
Gil Blas (Lesage) 263
Glasbrenner, Adolf 253
— , , .Berlin, wie es ist und — trinkt" . 253
Gleich, J. A 245 f., 248
- — , „Die Musikanten am hohen Markt" 248
Gnapheus, Wilhelm, ,,Acülastus sive de
filio prodigo" 63, 68
Goedeke, „Gss. z. Gesch. d. d. Dichtung" 197
Goethe i, 6of., 76, 89, 123, 154, 159, 173,
176, 181, 184, 193 ff., 196 ff., 204 f., 207,
211 f., 215 ff., 218 f., 221 ff., 226, 231 f.,
234, 239 f., 259, 264, 303, 344.
— , ,, Dichtung und Wahrheit" 159, 173, 181
— , ,, Leiden des jungen Werther" 195 f., 207
— , ,,Die Aufgeregten" 198
— , ,,Der Bürgergencral" 197 f-
— , „Faust" .... 29, 78, 170, 233
— , ,, Götter, Helden und Wieland" , 195
— , ,,Der Groß-Cophta" 197
— , ,,Götz von Berlichingen" .... 194
— , ,,Jalirmarktsfest zu Flundersweilern",
„Neuestes von Plundersweilern" . . 195
— , ,,Die Laune des Verliebten". 154, 193
— , ,,Die Mitschuldigen" .... 89, 193
— , , .Stella" 176
Goethe, „Satyros", „Die Vögel" , . . 195
— , ,, Triumph der Empfindsamkeit" . 195
Goetze 76 f.
Goldoni 209, 243 f.
Gott, Emil 314 f-> 326, 333
— ,, Freund Heißsporn" 315
— „Mauserung" 315, 333
— ,,Der Schwarzkünstler" (,, Adept",
,, Verbotene Früchte") 315
Götterparodie 245 ff.
Gotthelf 298
Gottschall, Rudolf . . , 223, 257, 276
— , ,,Pitt und Fox" 276
Gottsched 36, 103, 118, 120 ff., 130 ff., 136 f.,
140 ff., 150, 156, 158, 166 f., 169, 173,
178 f., 244.
— s Komödientechnik 128
— s Cbersetzungstheorie 129 f.
— , ,,Die Opern" 129
Gottschedin 127, 129 f., 132, I37f., 139,
142, 161, 174, 178.
— , „Die Hausfranzösin oderdieMamsell" 137 f.
— , „Herr Witzling" .... 127, 138
— , „Die Pietisterey im Fischbeinrocke" 129 f.,
138, 142, 152, 161, 174.
— , „Das Testament" 138
— , „Die ungleiche Heirat" .... 137
— , „Der Verschwender", „Die Wider-
sprecherin" 127
Goutart HO
Gozzi, Carlo .... 199, 216, 222, 243
— , ,,Turandot" 199
Grabbe, Christian Dietrich 189, 22of., 255,
328, 331.
— , ,, Scherz, Satire, Ironie und tiefere
Bedeutung" 220 f., 331
— , , .Napoleon" 255
Grabwächterszenen 90
Graf-von-Gleichen-Motiv 176
Greff, Joachim, ,,Aulularia" . . . 60, 72
Gnllparzer 183, 249, 262 ff., 266, 273, 286,
289, 293.
— , ,, Die Schreibfeder", ,,Wer ist schuldig" 262
— , „Weh dem, der lügt" 245, 249, 262 ff., 293
Grimm 87
Grimmclshausen 94
Grobianismus 64, 75
Großmann 192
Groteske 329
Grubbe, Otto Friedrich, „Die Winde" . 271
Gryphius. Andreas 90, 96(1., loi, 104 f., 107,
116. llS. 134. 176, 1S3, 238.
— , ,, Die geliebte Dornrose" 97 ff., 134, 238 f.
— , „Herr Peter Squcntz" . . 97, lOO, 107
— , ,,Horrihilicribifax" . . . . 97 ff., lOO
— , ,,Das verliebte Gespenst" ... 98
Guarini, ,, Pastor Fido" 8a
Gulbransson 329
Gundolf, „Goethe", 1916 . . . 215, 296
Gurli 206
Gusinde,,, Neidhart mit dem Veilchen", 1S99 43
Gutzkow 274 f., 284
Personen- und Sachregister.
359
Gutzkow, „Anonym", Der Königsleut-
nant" 275
— , „Die Schule der Reichen" . . . 274
— , „Das Urbild des Tartuffe" ... 275
— , „Zopf und Schwert" 274!.
Hackländer, „Der geheime Agent" . . 275
Hafner, Philipp 244 f.
— , „Megära, die förchterliche Hexe",
„Der von dreyen Schwiegersöhnen ge-
plagte Odvardo" 245
Halm, Friedrich, „Verbot und Befehl" 273 f.
Hamann 188, 2l8, 264
Hampelmanniaden 260
Hamsun, Knut, ,,VordesReichesPforten" 280
Handlungsverschlingung . . . 81, 88, 92
Hanswurst, s. Narrentypus.
Harlekin, s. Narrentypus.
Hart, Heinrich 325
Hartleben, Otto Erich . . 325 ff., 329, 331
— . „Angele" 325
— , ,,Die Erziehung zur Ehe" . . . 325
— , ,, Hanna Jagert" 325
— , „Die sittliche Forderung" . . . 325
Hartmann, Eduard von 30 1
Hauptmann, Gerhart 84, 99, 224, 249, 297,
305 ff., 316, 318 f., 321, 324, 326 f., 330,
332, 337 f.
— , „Der Biberpelz" . . 99, 308 ff., 318 f.
— , „Der Bogen des Odysseus" . . . 337
— , „Friedensfest" 326
— , „Die Jungfern vom Bischofsberg" 312^,330
— , „Kollege Crampton" .... 306 ff.
— , ,, Peter Brauer" 307 f.
— , ,,Der rote Hahn" 309 f., 313, 318, 324, 327
— , ,, Schluck und Jau" 84, 224, 311 f., 316
— , ,,Die Weber" 306, 321
— , Karl 330 f.
— , „Die armseligen Besenbinder" . . 330
— , „Die Rebhühner" 330
Haydn 245
Haym, „Die romantische Schule", 1920 217
Hayneccius, Martin 67 f.
— , ,,Almansor", „Hansoframea" . . 67
— , „Hans Pfriem, oder meister Kecks" 67 f.
Hebbel, Fr. 275, 286 ff., 293, 297, 302, 320 f.
— , ,,Der Diamant". . . . 287 ff., 290 f.
— , „Michel Angelo" .... 292 f., 302
— , „Der Rubin" 290 ff.
Hebel, J. Peter 239
Hegel 286
Heidelberger Sommertagzug .... 38
Heine, H 207, 224 f.
— , Th. Th 335
Heinrich Julius von Braunschweig 65, 67, 78,
83, 88 ff.
— , „Comedia von einem Edelmann" . 89
— , ,, Comedia von einem Wirth" . 89, 91
— , ,,SusaQna" 88 f., 91
— , ,,ViDcentius Ladislaus" . . . 65, 90 f.
Heinrich, Karl „Kaiserwahl in Frankfurt" 272
Heinse 225
Heinzel, R., „Abhandlungen zum alt-
deutschen Drama", 1896 .... 15
Hellmann, Hanna, „H. von Kleist, „Das
Problems.Lebensu. S.Dichtung", 1911 230
Hellpach, „Geopsychische Erscheinungen" 323
Henrici, Christian Friedrich (Picander) ligi.,
168.
— , „Der akademische Schlendrian",
„Der Erzsäufer", „Die Weiberprobe" 119
Hensler 244, 254
Herder 3, 127, 188, 264
Hermann der Cherusker 66
Herodes 34
Herodesspiele 88
Herrad von Landsberg 41
Herrmann, Max, „Forschungen zur
deutschen Theatergeschichte des Mit-
telalters und der Renaissance", 19 14 57,
69, 77-
Hersch, Hermann, „Anna-Lise" . . . 277
Herwegh 373
Hessus, Eobanus 66
Hettner, Hermann, „DasmodemeDrama",
1852 257, 274, 344
Heybey 112 f.
Heyne, Chr. Leberecht (Anton Wall) . 197
— , ,,Die beyden Billets", „Der Stamm-
baum" 197
Historische Dramatik 276 f.
Historisches Lustspiel 274 f.
Histrio Gallicus, Comico-Satyricus . . Hi
Hoffmann. AugustHeinrich, „Fundgruben
für Geschichte deutscher Sprache und
Literatur", 1830/37 18, 20
Hoffmann, E. Th. A. . . 203, 218, 330 f.
Hoffmann, Heinrich, ,,Die Mondzügler" 273
Hofmannsthal, Hugo von 278, 297, 316 f.
— , ,, Gestern" 316
— , ,,Dame Kobold" 317
— , ,,Der Rosenkavalier" . . . 297, 317
— , ,,Der Schwierige" 317
Hofmiller, Josef, ,, Zeitgenossen" 1910 . 313,
319. 328.
Holberg, Ludwig i, 84, lio, 132 ff., 137,
140, 143, 148, 150, 163, 169, 170, 175,
198, 209, 216, 253, 262, 311, 321.
— , , .Jacob von Tyboe" 133
— , „Jean de France" . . 132, 137, 175
— , ,,Jeppe vom Berge" .... 84, lio
— , „Der politische Kannegießer" 133, 26a
HoUonius, Ludwig . . . . 84f., 92, HO
— , ,,Somnium vitae humanae" 84 f-, HO
Holtei, Karl von, „Die Wiener in Berlin" 253
Holz, Arno 305, 307, 340
— und Schlaf, „Papa Hamlet", „Die
Familie Selicke" 305
— und Jerschke, „Traumulus" . . . 340
Holzinger 6l
Homer 159
Horaz 73. 83. 109
Hortus deliciarum 41
36o
Register.
Hosemann, Theodor 253
Houwald, E. von 218 f.
— , „Der Leuchtturm", „Seinem Schick-
sal kann niemand entrinnen" . . . 218
Hrotsvith 3f., 61
— , „Dulcitius" 4
Humanismus 60
— und Theater 68 ff.
Humanistendrama 241
Humor i, 26, 104, I79f., I94f., 212 f., 251,
263, 287, 289, 291, 295, 319, 343 f.
Husserl, Edmund 310
Hütten, Ulrich von 66
Ibsen 265, 291, 318, 326
— , „Brand" 265, 291
— , ,,Peer Gynt" 326
Idealismus 34
Iffland 193, 196, 200, 202 ff., 205, 208, 215 f.
225, 235, 238, 246, 262, 266 f., 274, 283.
— , ,,Die Hagestolzen", „Der Herbsttag" 203 f.
— , ,, Hausfrieden", ,,Der Komet" . . 204
Illusion des mittelalterlichen Schauspiels 25
Impressionismus - 39, 239, 304
Immermann 163, 219, 298
— , ,,Cardenio und Gelinde" . . . . 163
Individualismus 104
,,Inkle und Yariko" 177 f>
Ironie .... 196
Irrationalismus .... . . 46, 301
Jean Paul 225, 251, 330 f.
Jerschke und Holz, ,, Traumulus" . . 340
Jesuitendrama .... 83, 93, 241 ff., 245
Johannes der Täufer 24, 28 f.
Jonson, Ben 79, 90
Jordan, Wilhelm, „Durchs Ohr", ,,Die
Liebesleugncr", „Tausch enttäuscht" 277
Josefinismus 247, 266
Joseph 34
Josephsdramen 82
Judenkomik 17 f., 20, 31, 36, 59, 279 f., 290
Judenpossen 262
Jüdischer Geist 255 f.
Jungdeutschland 1S7, 224, 268
Jünger, J. Fr 200, 216, 223
— , ,, Maske für Maske" 223
Kadelburg I, 284
— und Blumenthai, ,,Im weißen Rössl" 284
Kaiser, Friedrich 298
— . Georg 337 ff.
— , ,, David und Goliath" 339
— , ,, Europa" 337 ff.
— , „Der gerettete Alkibiades" . . . 339
— , ,,Die jüdische Witwe" . . . 337 ff.
— , ,, Kanzlist Krehler" 341 f.
— , ,, König Hahnrei" 337 ff.
— , „Konstantin Strobel oder der Zentaur" 341
Kaiser, „Rektor Kleist" 340 f.
— , „Von Morgens bis Mittemacht" . 341
Kaiisch, David 2565., 284
— , ,, Berlin bei Nacht", ,, Berlin, wie es
weint und lacht", ,, Berlin wird Welt-
stadt" 256
— , ,,Der gebildete Hausknecht" . . 257
— und Weirauch, ,,Die Mottenburger" 257
Kant 213, 226 f., 264, 283
Kärntnertortheater 242, 244
Kasperletheater . . . . 4 f., n f., 23, 42
Katholische Geistliche 241 f.
Keller, A. von (Fastnachtspiele aus dem
15. Jahrhundert) 36, 47, 50
Keller, Gottfried 98, 257, 302
— , ,, Romeo und Julie auf dem Dorfe" 98
Kerr, Alfred, ,,Die Welt im Drama",
1917 309. 318, 336
Kirchmeyer, Thomas (Naogeorg) ,,Mer-
cator", „Pammachius" 64
Klassik 66
Kleinberg, Alfred, ,,L. Anzengruber",
1921 298, 300
Kleinbürger 134^-
Kleist, Heinrich von 99, 183, 226 ff., 255,
263, 2S8 ff., 294, 308.
— , ,,Über das Marionettentheater" 236 f., 263
— , ,,Amphitryon" . . . 228 ff., 237, 23g
— , ,,Guiskard" 228, 231
— , „Penthesilea" 229 ff.
— , „Der zerbrochne Krug" i, 99, 229,
234 ff., 288, 290, 308 f.
Klinger, Friedrich Maximilian 186, 188,
191 f., 195 f.
— , „Der Derwisch" 192
— , ,, Sturm und Drang" . 186, 188 f., igif,
— , ,,Der verbannte Göttersohn" . . 195
Klopstock 156, 181
klugen und törichten Jungfrauen, ludus
von den 6, 22, 35
Kneisel, Rudolf, „Der liebe Onkel" . 285
Koch 158
Koenig, Johann Ulrich von . . . 118 ff.
— , „Dresdner Schlendrian" . . . .119 f.
— , „Die verkehrte Welt" 118 f.
Komik des Parallelismus 279
Komische Figur, s. Narrentypus.
Komödianten, Englische 78 f., 81, 83 ff.,
102, 104, 115.
— , Französische 79
— , Holländische 79
— , Italienische 79, 242
Komödiantenschauspiel 241 ff.
Komödie, Antike I| 44
— , Bürgerliche 126
— , Phantastische 125 f.
— , Politische 320
— , Realistische I25f.
— , Sächsische lOI, 105
Komödie und Tragödie 66, 85, 199 f., 286 f.
Komödienbezeichnung 85
Konversationsstück 315 f.
Personen- und Sachregister.
361
Körner, Theodor . . . 199, 225, 262
— , „Die Gouvernante" 225
Köster, Albert, ,,Die Meistersingerbühne
des 16. Jh.", 1920 77
Kotzebue, A. von 109, 205 ff., 2i6ff., 225,
241, 259, 261, 266 f., 271, 278, 283, 294,
3i3f., 319, 329, 332.
— , „Die beiden Klingsberg" . . . 209 f.
— , „Carolus Magnus" 209
— , ,,Der deutsche Mann und die vor-
nehmen Leute" 206
— , „Die deutschen Kleinstädter" 109, 207,
209 ff., 241, 261, 332.
— , „Des Esels Schatten oder Prozeß in
Kraehwinkel" 209
— , ,,Hans Max Giesbrecht von der
Humpenburg" 206
— , „Der hyperboreische Esel oder die
heutige Bildung" .... 206, 211, 217
— , ,,Die Indianer in England", „Die
Organe des Gehirns" 206
— , ,, Pagenstreiche" 2iO
— , ,,Der Rehbock" 210 f.
— , ,,Der weibliche Jacobiner-Clubb" . 208
Krüger, Johann Christian 141 ff., 145, 147,
166 ff., 258.
— , „Der Bauer mit der Erbschaft" 141 f.,
144, 258.
— , ,,Der blinde Ehemann" . . . . 144
— , „Die Candidaten" . . . 143 ff., 166
— , ,, Die Geistlichen auf dem Lande" 142,168
— , „Herzog Michel" 144
Kühne, Gustav 292
Kunstdrama und Volksdrama . . . 116
Künstlerdramatik 292
Kupplerin 29 f., 68
Kurz, Job. Josef Felix von . . . 243 ff.
— , „Bernardon . . . .", ,,Die Zauber-
trommel" 245
Kyser, ,, Charlotte Stieglitz" . . . . 331
L'Arronge, Adolph 257
— , „Doktor Klaus", ,, Hasemanns Töch-
ter", ,,Mein Leopold" 257
Laub, J. G 133
Laube, Heinrich . 265, 268 f., 273 ff., 277
— , ,, Gottsched und Geliert", , .Rokoko" 275
Lauffs, C, „Ein toller EinfaU" ... 285
Lebenskraftlehre 323
Legendendramen 35f.
Legrand, „Le roi de Cocaigne'' . . . 118
Leibniz 120, 126, 182, 249
Lenz, R. J. ÄL 186 ff., 190 f., 192, 194 ff.,
200, 216, 2t8.
— , „Anmerkungen übers Theater" . . 187 f.
— , „Die Freunde machen den Philoso-
phen" 190 f., 216
— , ,,Der Hofmeister" .... 186 f., 190
— , ,,Der neue Menoza" 190
— , „Pandämonium Germanikum" . . 195
— , „Die Soldaten" . . . 186 f., 191, 194
Lenz, jjTantalus" 194 f.
— , „Wolken" 195, 206
Lenzfeier 56
Leopoldstädter Theater 244
Lesagc, ,,Le diable boiteux", ,,Gil Blas" 199, 263
Lessing, G. E. 60, 68, 81, 86 f., 89, 98, 122,
127, 138 f., 141, 143, 149 ff., 157 f., 160 f.,
165, 167 ff., 172 ff., 175 ff., 178, 179 ff.,
186 f., 189, 205, 210, 244, 322.
— , ,, Hamburger Dramaturgie" 122, 138, 141,
150 ff., 165, 175, 187.
— , ,,Die alte Jungfer". . .169, 173, 175
— , „Dämon oder die wahre Freundschaft"
169, 174.
— , „Der Freigeist" 170 f.
— , ,,Die Juden" 170 ff., 175
— , ,,Der junge Gelehrte" . . 170, 175
— , „Minna von Barnhelm" I, 86, 89, 98, 152,
170, 178, I79ff., 186 f., 201, 205, 275, 278
— , „Der Misogyne" 169
— , ,, Nathan der Weise" 171
— , „Miss Sara Sampson" I75 f-
— , Karl Gotthelf 192
Le Veau 234
Levinstein,K., „WeiseundMoHere",i899 iii
Leyen, von der, ,, Deutsche Dichtung in
neuer Zeit", 1922 331
Liberalismus 295 f.
Lichtenberg, G. Chr 200
„Liebeskampf" . . . .Soff., iio f., 114
Liebesmotiv . . . 100, 105, 189, 232 f.
Lienhard, Fritz 320
Liliencron, Detlev von .... 261, 306
Lindau, Paul 314
Literaturrevolution 304 f.
Literatursatire 97, 173, 195, 21 1, 216, 2i8 ff.,
246, 319.
Lokalpo';se .... 238 f., 290, 298, 305
— , Berliner 253 ff., 262, 284
— , Frankfurter 259 f.
— , Hamburger I39f'
— , Kölner 241
— , Wiener . I17, 241, 244 ff., 262, 270
Lope de Vega 223, 263
Lortzing, ,,Der Wildschütz" . . . . 210
Lubliner, Hugo 314
Ludwig, Otto 298
— , ,,Heitheretei" 302
Lustige Person, s. Narrentypus.
Lustspiel, Anfänge des 3
— s, ^'esen des 1, 26 f., 33
— des 18. Jahrhunderts . . . 334, 336
Lustspielbezeichnung 75
Lustspieltheorie 121, 126 f., 134, 141 f., 145 ff-.
199, 286 f.
Lustspil, Ein, der weyber Reichstag ge-
nant 75
Luther 55. 7i
Mach, Ernst 311
Macropedius, Georg 63 f., 68
362
Register.
Macropedius, „Asotus" 63, 68
— , „Hecastus" 63
— , „Peiriscus", „Rcbelles" .... 68
Malß, Karl 259 ff.
— , „Herr Hampelmann oder die Land-
partie nach Königstein" .... 260
— , „Die Entführung oder der alte Bürger-
Capitain" 259 f., 262
Manuel, Nikiaus .... 49, 72, 74, 238
— , „Der Ablaßkrämer" 72
— , „Elsli Tragdenknaben" . . .72, 238
— , „Krankheit der Messe", „Testament
der Messe" 72
— , „Von Papstes und Christi Gegensatz",
,,Vom Papst und seiner Priesterschaft" "JZ
— , Hans Rudolf, „Ein holdsäliges Faß-
nachtspil, darin der edel wyn von der
Truncknen rott beklagt ..."... 74
Märchenkomödien 214, 222 ff.
Maria 34
Maria Magdalene 9, 11, 13
Marienklage 10, 29
Marinelli 244
Marionetten , . . 41
Marivaudage 131
Marivaux 123, 131, I4lf., 144, 157, 170, 210
— , „Überraschung der Liebe", ,,Die
Sklaveninsel" 144
— , ,,L'heritier de village" .... 141
— , „Le jeu de l'amour et du hasard" 223
Marmontel ,,Contes moraux" . . . . 178
Martin, Ernst, ,, Der Schwank", 1921 282,285
Märtyrerdramen 35 f-
Massimo Trojane 242
Materialismus .... 34, 278, 301, 303
Meier Helmbrecbt 45
Meisl 245 f., 248, 259
Meistersingerdrama 97
Melk, Heinrich von 46
Menander 154, 325
Mendelssohn, M iSSf-
Mercier 192 f.
Meyer, Rieh, M., ,,Die deutsche Literatur
des 19. und 20. Jahrhunderts", 1921 26a
Michelangelo 292
Michels, V., „Studien über die ältesten
deutschen Fastnachtspiele", Q. F. . 51
Miles gloriosus . 18, 90, 94, 97, iio, 115
Militärschwank 285
Mimus I f., 4 f., 9, 12 ff., 29, 39, 42 f.,
50, 53. 55. 57, 76, 81 ff, 89 f., 96, HO,
115, 118, 136, 282, 294.
Minnedichtung 30
Minor, Jacob, ,, Weiße und seine Bezieh-
ungen zur deutschen Literatur", 18S0 172 ff.,
178, 208, 218.
Mitlcidsdramatik 306
Mittelalter 3 ff.
Moliere i, 79, loi, iioff., 123, 125, 129 ff.
137, 142, 151, 154, 160, 168, 170, 175 f.,
199, 201, 205 f., 209 f., 228 ff., 250, 275,
306, 314, 317, 344.
Moliere, ,, L'amour mddecin", „George
Dandin" III
,,L'avare" 110 f., 306
,,Le bourgeois gentilhomme" . . 317
,,L'ecole des femmes" . . . . 176
,,Les femmes savantes" .... 129
,,Le malade imaginaire" . . . . 129
,,Le misanthrope" 131
,,Les precieuses ridicules" . . .111 f.
,,Sganarelle ou le cocu imaginaire" . Iii
„Tartuffe" . . . 129, 142, 160, 275
Mönchssatire 35
Mone, ,, Altdeutsche Schauspiele, 1841 19, 24
Moore, „The Gamester" . . . 155, 176
Moreto, „Trotz wider Trotz" (El desden
con el desden) 267
Morhof, Daniel Georg . . . . II 8, 120
Muser, Gustav von I, 285
— , ,,Der Bibliothekar", „Der Veilchen-
fresser" 285
Moser, Justus, „Harlekin oder Vertheidi-
gung des Groteske-Komischen" . . 121 f.
Mozart, „Figaros Hochzeit", „Die Zauber-
flöte", „Bastien und Bastienne" . 244 f.
Müller, Adam 255
— , Johannes 331
— , Johann Gottwerth, und Bunsen,
„Siegfried von Lindenberg" . . . 259
— , Theaterdirektor 120, 139
— , Wenzel 245
Müllner, Gottfried Adolf . 218 f., 225, 262
— , „Die Onkelei oder das französische
Lustspiel" 225
Muratori 180
Musik . . 2, 242, 245, 295 f., 300, 344
Mylius, Christlob 167 f., 171
— , „Die Ärzte", „Der Kuß", „Die
Schäferinsel" 168
— , ,,Der Unerträgliche" 168
Mylius, W. C. S 143
Mysterien 36
Nadler, Josef, „Literaturgeschichte der
deutschen Stämme und Landschaften",
1912/13/18; „Berliner Romantik",
1921; „Das österreichische Volks-
stück", 1921 244, 248, 250, 254 f., 322
Naiventypus 140, 162, 176 ff., 186, 204,
264, 313.
Namengebung .... 99, 151, 164, 175
Naogeorg (Thomas Kirchmeyer), „Mer-
cator", ,,Pammachius" 64
Napoleon 166
Narrentypus 35, 39, 46, 49, 53, 81 ff., 87 f.,
90 f., 102, 109, 113, 116 ff., 223, 262.
— : Drewes 81
— : (jrazioso 263
— : Hans Knapkäse 81
— : Hans Supp 81
— : Hanswurst 15,81, 96, I15, Il7ff., 242 f.
— : Wiener Hanswurst 249 ff.
Personen- und Sachr^ster.
363
Narrentypus: Wiener Hanswurst: Kas-
perl, Riepel, Thaddadl 244
— : Harlekin 53, 92, 120fr., 130, 132, 136,
143, 169.
— , Italienischer: Arlecchino .... 243
— , ■ — : Brighella. ... ... 243
— , — : Dr. Gratiano 243
— , — : Pantalone 92, 242 f.
— , — : Scaramuccia 242
— , — : Zani 92
— : Jean Potage , 81
— : Merry Andrew 81
— : Pickelhering 8if., 104, 108 f., Il3ff., 139
— : Schambitasche 81
— : Schramfritz, Schrämgen .... 81
Nationalgefühl 181
Nationalkultur 73
National-volkstümliche Kunst. ... 86
Naturalismus . 6, 59, 262, 305, 319, 326
Natursymbolik 37 ff-
Neidhart . 43
Neidhartspiele 43 ff-
Nestroy, Johann Nepomuk 224, 246, 251 ff.,
284, 29S.
— , „Der böse Geist Lumpacivagabundus
oder das liederliche Kleeblatt" . . 251
— , ,,Staberl als konfuser Zauberer",
„Staberl im Feendienst" .... 246
— , „Zu ebener Erde und im ersten
Stock" 252
Neuber(in), Caroline I18, 120 ff., 139, 170, 172
— , ,,Das deutsche Vorspiel" . 118, 120
Niebcrgall, Ernst Elias 260 ff.
— , ,,Des Burschen Heimkehr oder der
tolle Hund" 261
— , ,,Dattench" .... 261 f., 290, 306
Niemann, Karl, ,,\Vie die Alten sungen" 277
Nietzsche . . 304, 308, 313 f., 3^5 f. 332
Nivelle de la Chaussee 141, 155, 157 ff.,
165 f., 175, 179 f., 201.
— , „L'ecole des amis" 157
— , ,,La fausse Antipathie" . . 155, 157
— , ,,La gouvernante" 157
— , „Melanide" .^ . . 155, 157, 175, I79
^, ,,Le prejuge ä la mode" . . . 157
Noel, Johann Heinrich de, ,,Der ver-
lorene Sohn" 241
Novalis 227, 232
Offenbachiade 246 f.
Ökonomie des Dramas 86 f.
„Ollapotrida des durchtriebenen Fuchs-
mundi" 137, 243
Operette 13
Opern 241
Opitz, „Buch von der deutschen Poe-
terey" 83
Orlando di Lasso 242
Ossenfelder 168
Osterspiele 7 ff-
Owlglaß 241
Parasit 65, 68
Parodie 246
Parvenü 42
Passionsspiel . 8 f., 15, 18, 23, 25, 27, 29
Pauli, ,, Schimpf und Ernst" .... 75
Paulsen III
Perinet 244, 246
— , ,, Hamlet, Prinz von Tandelmarkt" 246
Pfeffel 178
Pfuel 234
Phallus I, 39, 50, 219
Phänomenologie 338
Phantastisches II 7 f.
Philister 325
Philistersaliren 217 f.
Picander (Henrici) IIQf., 168
Picard 209
Pichler, A., ,,Über das Drama des Mittel-
alters in Tirol", 1850 8 f., 17, 19, 23
,, Pickelhering" 80
Pickelhering, s. Narrentypus.
Pius IX 299
Platen, August von . . 2iSff., 222f., 271
— , ,,Der gläserne Pantoffel" . . . 222 f.
— , „Der romantische Ödipus" . . . 219
— , „Der Schatz des Rhampsinit" . . 223
— , ,,Die verhängnisvolle Gabel" 218 f., 271
Plato 199. 239
Plautus I, 18, 60, 63 f., 67, 71, 101, 132,
136, 167, 170, 190, 210, 231, 233.
— , ,,Aulularia" 60
— , ,,Captivi" 67
— , ,,Menächmen" 232
Pniower, „Goethes Zeitdramen" in Jub.-
Ausg. Bd. 9 198
Poetik 73
Poisfon, Raimond 144
Politik und Posse 257
Politische Satire 271 ff.
Polymythie 87 f., 92
Posse 33, 40, 42, 44, 117
Prehauser, Gottfried 243
Preisendanz, Karl 61 f.
Piodigusdramen . 68, 83
Prozessualallegorien 48
Prügelei 5, 12 ff., 34
Prüller, Franz 298
Prutz, Hans, ,,Zur Geschichte der poli-
tischen Komödie in Deutschland", 1919 272
— , Robert 135. 272
— — , „Holbergs Leben und Schriften" 135
— — , „Die politische Wochenstube" . 272
Psychoanalyse .... . 327, 338
Psychologie, mittelalterliche .... 34
Puppenspiel .... 13, 40 ff., 53, 95 f.
Putlitz, Gustav zu, ,,Der verwunschene
Prinz" 311
Quacksalber 42
Quijote, Don 95. 275
Quinault 98, lll
364
Register.
Quinault, „Le fantome amoureux" . . 98
Quistorp, Joh. Theodor . . . 127, I38f.
— , „Die Austern" 139
— , „Der Bock im Prozesse" . 138 f., 153
— , „Der Hypochondrist" . . . 127, 139
Raber, Vigil 49
Racine 79. I39
— , „Les Plaideurs" 139
Räder, Gustav, ,, Robert und Bertram" 284
Raimar, Freimund (Friedrich Rückert) 271
— , ,, Napoleon und d. Drache", Napoleon
und seine Fortuna", ,,Der Leipziger
Jahrmarkt" 271
Raimund (Raimann), Ferdinand 245, 248 ff.,
252, 298.
— , „Der Alpenkönig und der Menschen-
feind" 249 f.
— , ,, Der Barometermacher auf der Zauber-
insel" 248
— , „Der Bauer als Millionär" . . . 249
— , ,,Der Diamant des Geisterkönigs" . 248
— , ,,Die gefesselte Phantasie" . 245, 249
— , ,,Moisasurs Zauberfluch" .... 249
— , ,, Der Verschwender" . . . 250 f., 290
Raphael 238
Rapp, Fritz, ,,Der Wolkenzug" . . 271
Rationalismus. . .46, loi ff., 121 ff., 156
Raupach 219
Realismus 34, 303
Rederjikers 79
Reformation 63f.
Regnard 123
Rehfisch, Hanns J., ,, Erziehung durch
Kolibri" 337
Rehm.H.S., ,, Das Buch der Marionetten" 41
Reich, Hermann, ,,Der Mimus", 1903 4
Relativismus . . . 310 f., 317, 324, 338
Rembrandt 235
Renaissancekomödie 302
Renommist 42
Restorationskomödie . . . . I23f., 193
Reuchlin, Johannes . . . 57, 61 ff., 66, 77
— , ,,Henno, Scaenica Progymnasmata" 57,
61, 77.
— , ,,Sergius" 61
Reuter, Christian 82, 112 ff., 116, Il9f.,
137. 175-
— , „Schelmuffskys Reisebeschreibung" 114
— , „Graf Ehrenfried" 115
— , „L'honnete Femme oder die ehrliche
Frau zu Plißine" 112 ff.
— , „La maladie et la mort de l'honnete
femme, das ist: der ehrlichen Frau
Schlampampe Krankheit und Tod" 114 f.
Rhenanus, Johannes, „Speculum aistheti-
cum" 78
Riccoboni, Louis, ,, Reflexions historiques
et critiques sur les diffeiens Theätres
de l'Europe" 157, 180
Richardson 143, 155 ff., 159, i65f., I76f., 193
Richardson, „Clarissa" 155
— , „Pamela" .... 155, 157, 159, 166
Richter, Adam Daniel .... 141, 158
— , Anton ,,Eumenides Düster" . . 218
— , Werner, ,, Liebeskampf 1630 und
Schaubühne 1670", 1910 .... 80
Rist, Johann . . 81, 93 ff., 98, 139, 258
— , ,,Friedejauchtzendes Teutschland" 93, 95
— , ,, Friedwünschendes Teutschland" . 95
— , ,,IreDaromachia", ,,Perseus" ... 94
risus paschalis 8
Rittersatire 55
Ritterstand 16
Rittner, Thaddäus 270
Robert, Ludwig, „Kassius und Phantasus
oder der Paradiesvogel" 218
Robinson (Defoe) 177
Roethe, ,,Frischlin als Dramatiker",
1912; ,, Brentanos 'Ponce de Leon'",
1901 ; ,,Zum dramatischen Aufbau der
Wagnerschen Meistersinger", 1918 64, 67,
221, 240, 295 f.
Rollenhagen 81, 84, 139
— , „Amantes amentes" .... 81, 84
Rollenlieder 245
Rollentypen 283
Romanus, ,,Crispin als Vater" . . . 144
Romantik 187, 211 ff., 338
— , Wiener 250
— : Frühromantik und Spätromantik . 239
Romantisches Drama 213 f.
Romantische Ironie 213, 2i6f., 221 ff., 226 f.,
328 f.
Romantisches Lebensgefühl . . . .21 2 f.
Romantische Theorie 226 ff.
Rommel, Otto, ,,L. Anzengrubers sämt-
liche Werke" 299
Rosegger 3°2
Rosenblüt, Hans, gen. Schnepperer . . 52
— , ,, Des Künig von Engellant Hochzeit" 52
Rosenow, Emil, ,, Kater Lampe" . 310, 318
Rotrou 231, 233
Rousseau 140, I77 f., 299
— , „Discours sur les sciences et les arts" 177
— , ,,Nouvelle Heloise" I77
Rückert, Friedrich (Freimund Raimar) 271
— , ,, Napoleon und der Drache", ,, Napo-
leon und seine Fortuna", ,,Der Leip-
ziger Jahrmarkt" 271
Rudwin, M. G., ,,The Origin of the Ger-
man Carnival Comedy", 1920 . . 40
Ruederer, Josef . . 318 ff., 322, 324, 327
— , ,,Die Fahnenweihe" . . . . 318 ff.
— , ,, Morgenröte" 3^0
Rührkomödie 143 ff., 155 ff., 176, 179, 201 f.
Sachs, Hans 61, 75 f., 81, 86, 194, 215,
244, 295 f., 315.
— ,,Spil von Adams Kindern" ... 76
— ,,Der Fahrendt Schuler mit dem
Teuffeibannen" 3^5
Personen- und Sachregister.
36i
Sachs, „WUtbad" 8i
Sailer, Sebastian, „Biblische und welt-
liche Komödien" 241
Saint-Evremond, ,,Les Operas" . . . 129
Saint-Foix, ,,Das Orakel" 144 f-
Salondame 278
Salonstück 269 f.
Saiten, Felis 278, 317
— , ,,Das stärkere Band" 317
Sancho Pansa 275
Saphir 280
Sardou, Victorien 313
Satire . . 16, 31 f., 39 f., 54 ff., 195, 214
Satyrspiel 3
Scaliger gi
Schäferdichtung 80, lOO
Schäferspiel 79, 82, 95, iio, I16, 164, 193
„Schaubühne Englischer und Französi-
scher Komödianten 1670" . .110 ff., 155
Schauffert, Hippolyt, „Schach dem König" 277
Schauspiel, Älittelalterliches .... 242
Schelling 227
Schempartlauf 37 f., 46
Schenk, Johann 245
- — , Georg 271
Scherer, W., ,, Geschichte der deutschen
Literatur" 75
Schemberg, Dietrich, ,, Spiel von Frau
Julien" 36f.
Schicksalstragödie 218 f.
Schikaneder, ,,Die Zauberflöte" 216, 245, 254
Schiller i, 198 ff., 204 f., 216, 218, 220, 226,
250, 264, 280, 325, 334.
— , ,,Übernaiveund sentimentale Dichtung" 199
— , ,,Turandot" 199
Schink, Joh. Friedrich, ,, Hanswurst von
Salzburg mit dem hölzernen Gat" . 194
Schlaf, Johannes 305
— und Holz, „Die Familie Selicke" . 305
, ,,Papa Hamlet" 305
Schlag, Hermann 282
Schlegel, August Wilhelm 122, 217, 219, 228
— , ,, Ehrenpforte und Triumphbogen für
den Theaterpräsidenten von Kotzebue" 217
— r, ,,Ein schön kurzweilig Fastnacht-
spiel vom alten und neuen Jahrhundert" 217
— , Friedrich .... 215, 218, 221, 227
— , Joh. Adolf 143
— , Joh. Elias 127, 134, 142, 145 ff.,
158, 160 ff., 165, 167, 175 f.
— — — , „Abhandlung von der Nach-
ahmung" 146 f.
— — — , ,, Gedanken zur Aufnahme des
dänischen Theaters" ^45 ff-
— — — , ,, Der Geheimnisvolle" 150 ff., 153
— — — , ,,Der geschäfftige Müßig-
gänger" .... 127, 150, 152 ff., 175
— — — , ,,Die stumme Schönheit" 149, 151,
153, 161 f.
, ,, Triumph der guten Frauen" 151 ff.,
158.
Schleich, Martin, „Bürger und Junker" . 277
Schleiermacher 230
Schienther, Paul, ,,Frau Gottsched und
die bürgerliche Komödie", 18S6 ; ,, Ger-
hart Hauptmann", 1898 . 120, 306, 308
Schlösser, Rudolf 223
Schlüchterer, H., ,, Der Typus der Naiven
im deutschen Drama des 18. Jahr-
hunderts", 1909 176
Schmid, Christian Heinrich . . 144, 200
— , ,,Der beste Mann" 200
Schmidt, Erich, ,, Lessing", 1909; „H. v.
Kleists Werke" 139, 164, 169, 172, 227
-- F. L 235
Schneegans, ,,Pfingschtmondäa vun hitt
ze Däa" 240
Schnitzler, Arthur . . . 270, 280, 315 ff.
— , ,,Anatol", ,, Liebelei", „Literatur" 316 f.
— , „Fink und Fliederbusch" . . . 280
— , ,, Professor Bemhardi" .... 315 f.
Schoch, J. G., Comoedia vom Studenten-
leben 139
Schönemann 139, 142
Schönherr, Karl, ,,Erde" 321 ff., 324, 327
— , ,, Sonnwendtag", ,,Die Trenkwalder" 324
Schönthan, Franz von, ,,Raub der Sabi-
nerinnen" I, 285
— , Paul von, ,,Raub der Sabinerinnen" 285
Schopenhauer .... 275, 294, 301, 327
Schottelius I20
Schreiber 18
Schreyvogel, Josef (West),,, Donna Diana",
,,Die Gleichgültigen oder die gefähr-
liche Wette" 267
Schröder, Friedrich Ludwig 192, 196, 200 ff.,
2o8f., 211, 246, 259, 283.
— , „Der Fähndrich" 201
— , ,,Das Portrait der Mutter oder die
Privatkomödie" 201 f.
— , „Der Ring" 201, 209
— , ,, Stille Wasser sind tief" .... 200 f.
Schuldrama 63, 71
Schwank i f., 26, 282
Schwankliteratur 42,75
Schweizer . . . 149, 156, 158, 160, 173
Schwenter 97
Schwiegermutterränke 42
Schwind 332
Scribe, Eugene 269, 274 ff., 283, 298, 313
— , ,, Oscar ou le mari qui trompe sa
femme" 275
Seemann, Otto, u. Dulk, „Die Wände" 272
Sensationalismus 3^7
Sexuelles 50, 303, 327, 337 f.
Shadwell 124
Shaftesbury I77
Shakespeare i, 65 f., 74, 78 f., 82, 84, 87,
90, 94f., 97, loif., 105, io7f., HO, 119,
123, 125, 128, 131, 135, 149, 160, 182,
i84f., i87f., 201, 216, 219, 221 f., 224f.,
263, 283, 296, 302, 3ioff, 332, 343 f.
— , „As you like it" (,,Wie es euch ge-
fällt") 79. 224
366
Register.
Shakespeare, „Hamlet" .... 182, 340
— , „Heinrich IV." 94
— , „Der Kaufmann von Venedig" 182, 344
— , „König Lear", „Die lustigen Weiber
von Windsor" 9°
— , „Othello" 182
— , ,, Sommernachtstraum" 58, 79, 97, 107, 282
— , ,,Der Sturm", „Viel Lärm um nichts" 87
— , ,, Verlorene Liebesmüh" . . . 90, 97
— , „Die Zähmung der Widerspenstigen" 84,
105 ff., 110, 200f., 302, 3iof.
Shaw, Bernard 205, 332 f.
Sibilet 43
Sievers, G. L. P., „Das Bauerngut" . 197
Simmel, Georg 310
Singer, S., ,,Neidhart-Studien", 1920 . 43
Singspiel . . . .30, 87, 115, I79> 253
Sittenkomödie, Englische 201
Sittenstück 243
— , Französisches 269
Situationskomik 42
Soergel, ,, Dichtung und Dichter der Zeit" 320
Sohn, Der verlorene 63
Sokrates 206, 216
Soonenfcls 244
Sozialismus 299, 303 f., 324
Spangenberg 61
Spectator 141, 177
Spener 130
Spielleute 4 f., 13 ff., 23, 25, 31, 40 ff., 55
Spielmannsdichtung 44 f-
Spielmannskomik 34
Spielmannskunst 54
Sprachtechnik . . 44, 104, 305, 313, 335 f.
Staberliaden 246 f.
Stahl, E. L 66
— , Karl, „König Kodrus" .... 272
Stammespsychologie 318
Standessatire 16, 31 f.
Stavenhagen, Fritz 320 f.
— , ,,De dütsche Michel" . . . . 321
— , „De rüge Hoff" 320 f.
Steele, ,,Der zärtliche Ehemann" 124 f., 141,
155-
Stegreifposse . . 5, II, 169, 202, 242 ff.
Steigentesch, August von . . . 254, 266 f.
Steiner 331
Stephanie d. J., ,,Die Werberin" 186, 192,
216.
Sternheim, Carl 113, 205, 210, 332 ff. 337,
339, 341.
— , „Komödien aus dem bürgerlichen
Heldenleben" 332 ff.
— , „Bürger Schippel" . . . . 333 f- 33^
— , „Die Hose", ,, Der Kandidat", ,,1913" 333
— , „Die Kassette" . . . 333 f., 336, 339
— , „Die Marquise von Arcis" . 333 f., 336
— , „Perleberg" 333, 336
— , „Der Snob" 333 f., 336
— , „Der entfesselte Zeitgenosse" . . 333 f.
Sterzinger Sammlung 49, 71
— , „Die zwen Sieundt" 7*
Stimmer, Tobias, ,, Spiel von zwei Ehe-
leuten" 74 f., 77
Stranitzky, Josef Anton, 81, 118, 137, 242 f.
— , ,,011apotrida des durchtriebenen
Fuchsmundi" 137, 243
Straube 127, 134, 158
— , „Die Spielerin" 127
Strauß, Richard 297
Streitszenen 34
Strich,Fritz,„Grillparzers Ästhetik", 1905
264.
Strindberg 307, 333, 342
— , ,, Vater" 307
Stück im Stück 108, 216
Stückschluß 153
Studentenkomödien 68, 139
Sturm und Drang .i85ff., 207, 209, 2i7f.
Stymmelius, „Studentes" 68
Sudermann 310, 313 f., 320
— , „Die Schmetterlingsschlacht" . . 313
— , „Der Sturmgeselle Sokrates" . . 314
Sünderreigen HO
Supranaturalismus 6, 34
Tacitus •. 38, 49
Tagger, Theodor 337
Tänze 38 ff, 43 f., 47
— : Fruchtbarkeitstanz 38
— : Liebeswerbetanz 47
— : Morisgentänze 3^
— : Schwerttanz 38, 49, 51
— : Totentanz 31
Tasso, „Aminta und Silvia" . . . 82, 114
Tendenz, lehrhafte 32
— , politische 166
Teniers 238
Terenz I, 3 f., 60, 62 ff., 71, lOI, 136,
167.
Teufel 74. 87
Teufelskomik 36
Teufelsnarr 467 f-
Teufelsszenen 59
Textor, Friedrich Karl Ludwig, „Der
Prorektor" 259
Theater 48
Theater an der Wien 244
Theater und Drama 82, 84, 98, lOOf., 322
Tijeätre de la foire 117
Thedtre Italien . 118, 135, 137, 169, 242
Theorie 83 f., 301
Thoma, Hans 126
— , Ludwig 320, 324
— , „Die Lokalbahn", „Die Medaille" 320
Thomas, Brandon, ,,Charieys Tante" 285
Tieck, Ludwig 202, 214 ff., 222, 232, 271
— , „Abdallah" 232
— , „Der Autor, ein Fastnachtschwank" 215
— , „P.Iaubart" 222
— , „Der gestiefelte Kater" .... 215 f.
— , ,,Der neue Herkules am Scheide-
wege", „Ein Prolog" 215
Personen- und Sachregister.
367
Tieck, „Prinz Zerbino oder die Reise nach
dem guten Geschmack". . . 216 f., 271
— , „Die verkehrte Welt" . . . . 217
Tierstück 249, 273
Tolstoi 332
Töpfer, Karl 2675., 279
— , „Der beste Ton", „Des Königs Be-
fehl" 267
— , „Rosenmüller und Finke" . . 279
Tragödie 3
Tragödie und Komödie 66, 85, 199 f., 286 f.
Travestien 242
Trimberg, Hugo von 41
Trunkenbold 42
Türheim, Ulrich von 41
Uhlich, A. G., „Der Unempfindliche" 127, 139
Umzug 37 f.
Unterhaltungsstück . . 266 ff., 2S7 f., 314
Ursprung des komischen Dramas 37 ff., 43
Vanbrugh 124
Variete 41
Varnhagen von Ense, K. A 231
— , Rahel von 218
Vasari 292
Veilchenfest 43
Veiten, Joh iii
Verführer 68
Verkleidungsmotiv 154 f.» 175
Vischer, Fr. Th iSo
Volksdrama 70 ff., 113 ff.
— und Kunstdrama 116
Volkskomik 10 ff.
Volkskomödie 5
Volkskunst 39) 4ii 49
Volksposse 57
Voltaire . . 157 f., 166, 177 f., iSo, 299
— , „L'ingenu" 178
— , ,,Nanine" 166, 180
Vondel, Joost van den, ,,De Leeuwen-
dalers" 98
Voss, Julius von 253, 257
— , „Damenhüte im Theater", „Stralower
Fischzug" 253
Wagner, Albert Malte, „Hebbels Drama",
1911 290, 292
— , Gottlieb Friedrich, „Die Schul-
meisterwahl zu Blindheim" . . . 241
— , Heinrich Leopold 194 f.
— , ,,Die Kindermörderin" .... 194
— , „Prometheus, Deukalion und seine
Rezensenten" 195
— , „Voltaire am Abend seiner Apo-
theose" 195
— , Richard 76, 183, 240, 276, 293 ff., 297
— , „Die Meistersinger" 2, 240, 276, 293 ff.,
297. 344-
Wahrheitsproblem 262, 264
Waimer, Ph., „Über Elisa, eine Newe
und lustige Comoedia von Eduard dem
Dritten dieses Namens" 83
Waldberg, Max von, „Chr. Weise, , Über-
flüssige Gedanken'", 1914 .... 104
Wall, Anton (Chr. Leberecht Heyne),
„Die beyden Billets", „Der Stamm-
baum" 197
Walpole, Horace 133
Walzel, Oskar, „Die deutsche Dichtung
seit Goethes Tod", 1920; „Vom
Geistesleben alter und neuer Zeit",
1922; ,,Die deutsche Romantik". 156,
186, 188, 218, 238, 250, 261, 265, 311 f.,
322, 330.
Wedekind, Frank 326 ff., 330 ff., 337 f., 340
— , ,, Fritz Schwigerling oder der Liebes-
trank" 328
— , ,, Frühlings Erwachen" .... 340
— , ,,Die junge Welt" 326
— , „Hidalla oder Karl Hetmann, der
Zwergriese" 327
— , „Der Kammersänger" 329
— , „König Nicolo", „Der Marquis von
Keith" 326 f.
Weib, Das zanksüchtige ..... 42
Weidmann, Paul, „Der Bettelstudent" . 244
Weihnachtsspiel ........ 34
Weilen, Alex, von 84
Weinhold, ,,Über das Komische im alt-
deutschen Schauspiel", 1865 . . 18, 22
Weininger 338
Weirauch, August, „Die Maschinenbauer
von Berlin" 257
— und Kaiisch, „Die Mottenburger" . 257
Weise, Christian 81 f., 95, loi ff., iii ff., ii6,
120, 132, 136, 143, 176, 201, 241.
— , ,,Lust und Nutz" 95, 103
— , „Bäurischer Machiavellus" lo8f., 143, 176,
241.
— , „Betrogener Betrug" Iio
— , „Komödie von der bösen Catharine" 105
— , ,, Großmäuliger und wunderthätiger
Alfanzo" IIO
— , „Masaniello" 102
— , „Der niederländische Bauer" . . IIO
— , ,,Der politische Quacksalber" . . Iio
— , ,, Tobias und die Schwalbe" . . 107
— , ,,Der verfolgte Lateiner" . . . . 112
Weiskern, Friedrich Wilhelm, ,,BastieQ
und Bastienne" 244
Weiße, Christian Felix 167 f., 172 ff., 186
— , „Amalia" 175. I78f-
— , ,, Die Freundschaft auf der Probe" 176 ff.
— , „Die Haushälterin" 173
— , ,, Liebe auf dem Lande" . . . 179
— , „Die Matrone von Ephesus" . . 172
— , „Ehrlich währt am längsten oder der
Mißtrauische gegen sich selbst" . . I73
— , „Die Poeten nach der Mode" . . 174
— , „Der Projektenmacher" . . . . 175
— , „Der Teufel ist los" 179
368
Register.
Weiße, „Die unerwartete Zusammenkunft
oder der Naturaliensammler" . . 179
— , „Walder" 179, 186
Weitzmann, Karl 241
Weltanschauungskomik 26
Weltuntergangsspiel 35 f.
Wendunmuth (Schwanksammlung) . . 90
Wenzel, Joh. Christoph 113
Werner, Zacharias 218
Wichgrev, Albert, ,, Cornelius relegatus" 68
Wiederholungsmotiv der Komik 13, 300, 308,
320, 339.
Wieland, Chr. M 195, 209
— , Ludwig 234
Wiener Charakter 247 f.
Wiener Gesellschaftskultur . . . 268 f.
Wienbarg, L., „Ästhetische Feldzüge" 268
Wilamowitz, ,,Die griechische Literatur
des Altertums", 1907 219
Wilbrandt, Adolf, ,,Die Maler" . 282, 304
Wild 18
Wilhelminische Zeit . . 304, 308 ff., 332
Wimpfeling, Jacob, „Stilpho" ... 61
Winckelmann 181
Windelband 299, 301, 304
Wirklichkeitssinn 301
Wirth, L., „Die Oster- und Passions-
spiele bis zum 16. Jahrhundert", 1889 34, 43
Wirtstypus 63, 185
Witkowski, G., Ausgabe von T. Stim-
mers „Comedia von zweien jungen
Eheleuten", 1915 74
Wochenschriften, moralische 124, ißof., 165 f.,
177-
Wolff, Christian 126 f.
— , Eugen, ,,J. El. Schlegel", 1889. . 151
Wölfflin, Heinrich, ,, Kunstgeschichtliche
Grundbegriffe", 191 7 300
Wortkomik 104
Wortwitz 26
Worringer, W., „Formprobleme der
Gotik", 1912 302
Wurzbach, ,, Biographisches Lexikon des
Kaisertums Österreich" 246
Wycherley 124
Zademack, Franz, „Die Meistersinger
von Nürnberg" 295
Zarncke, Friedrich, ,, Reuter, sein Leben
und seine Werke", 1884 — 89. . . 115
Zauberstück 244 ff.
Zentner, Wilhelm, „Studien zur Drama-
turgie Eduard von Bauemfelds", 1922 266,
270.
Zesen, Philipp von 95
Zirkus 23, 40
Zschokke, Heinrich 234
Zustandsschilderung 306, 308
Zweiweltensystem 242, 245, 262, 264, 270,
288, 300 f., 324.
Zwischenaktschöre 62
Zwischenspiele 6 f., 82, 92f.
II. DRAMENREGISTER.
(Verfassernamen sind in Klammern beigefügt.)
Acolastus sive de filio prodigo (Gnapheus) 63, 68
Adept, Der (Gott) 315
akademische Schlendrian, Der (Henrici) i 19
Aline oder Wien in einem anderen Welt-
teil (Bäuerle) 248
Alles um Liebe (Eulenberg) . . . . 331
Alles was Recht ist (Erdmann) . . . 262
Almansor (Hayneccius) 67
Alpenkönig und der Menschenfeind, Der
(Raimund) 249 f.
alte Bürger-Capitain, Der, oder die Ent-
führung (Malß) 259 f., 262
alte Jungfer, Die (Lessing) . 169, 173, 175
Amalia (Weiße) ...... 175, 178 f.
Amantes amentes (Rollenhagen) . . 81, 84
Aminta und Silvia (Tasso) . . . 114
Amour medecin, L' (Moliere) . . . 1 1 1
Amphitryon (Kleist) . . 228 ff., 237, 239
Anatol (Schnitzler) 316
Angele (Hartleben) 325
Anna-Lise (Hersch) 277
Anonym (Gutzkow) 275
Appelmänner, Die (Arnim) . . . . 253
armseligen Besenbinder, Die (K. Haupt-
mann) 330
Ärzte, Die (Chr. Mylius) 168
Asotus (Macropedius) 63, 68
As you like it (Shakespeare) .... 224
Aufgeregten, Die (Goethe) . . . . 198
Aulularia (Plautus-Greff) 60
Autor, ein Fastnachtsschwank, Der
(Tieck) 215
Austern, Die (Quistorp) 139
Avare, L' (Moliere) in
Barometermacher auf der Zauberinsel, Der
(Raimund) 248
Bastien und Bastienne (Mozart- Weis-
kern) 244
Bauer als Millionär, Der (Raimund) . 249
Holl, Lustspiel.
Bauer mit der Erbschaft, Der
(Krüger) I4if-, 144, 258
Bauerngut, Das (Sievers) 197
Bäurischer Machiavellus (Weise) 108 f., 143,
176, 241.
beiden Klingsberg, Die (Kotzebue) . . 209 f.
Bekenntnisse, Die (Bauernfeld) . . . 267 f.
Bemoostes Haupt oder der lange Israel
(Benedix) 283
Berlin bei Nacht (Kaiisch) .... 256
Berlin wie es ist und — trinkt (Glas-
brenner) 253
Berlin wie es weint und lacht (Kaiisch) 256
Berlin wird Weltstadt (Kaiisch) . . . 256
Bernardou (Kurz) 245
beste Mann, Der (Schmid) .... 200
beste Ton, Der (Töpfer) .... 267
Bethlehemitischer Kindermord ... 34
Betrogener Betrug (Weise) . . . . no
Betschwester, Die (Geliert) . . 159 ff".. 164
Bettelstudent, Der (Weidmann) . . 244
beyden Billets, Die (Wall) .... 197
Biberpelz, Der (G. Hauptmann) . 99, 308 ff.,
3l8f.
Bibliothekar, Der (Moser) 285
Biblische und weltliche Komödien
(Salier) 241
Blaubart (Tieck) 222
blinde Ehemann, Der (Krüger) . . . 144
Boccaccio (Deinhardstein) 292
Bock im Prozesse, Der (Quistorp) . 138 f., 153
Bogen des Odysseus, Der (G. Haupt-
mann) 337
Bookesbeutel, Der (Borkenstein) 139 f., 151,
153, 162, 174, 176, 258.
böse Geist Lumpacivagabundus, Der, oder
das liederliche Kleeblatt (Nestroy) . 251
bösen Catharine, Komödie von der
(Weise) 105
Bramarbas (Detharding) 133
Brand (Ibsen) 265, 291
24
370
Register.
Brautfahrt, Die, oder Kunz von Rosen
(Freytag) 275
Burenspillen (Baermann) 259
Bürger als Edelmann, Der (Moli^re) . 317
Bürgergeneral, Der (Goethe) . . . . 197^-
bürgerlichen Heldenleben, Komödien aus
dem (Sternheim) 332 fl".
Bürgerlich und Romantisch (Bauern-
feld) 270, 315
Bürger Schippel (Stemheim) . . 333 f., 336
Bürger und Junker (Schleich) . . . 277
Bürger von Wien, Die (Bäuerle) . . . 246 f.
Burschen Heimkehr, Des, oder der tolle
Hund (Niebergall) 261
Candidaten, Die (Krüger) . . . 143 fr., 166
Captivi (Plautus) 67
Cardenio und Gelinde (Immermann) . 163
Garolus Magnus (Kotzebue) .... 209
Gharleys Tante (Thomas) 285
Gharlotte Stieglitz (Kyser) 331
Gocu imaginaire, Le, ou Sganarelle
(Moli^re) ill
Cornelius relegatus (Wichgrev) ... 68
Grispin als Vater (Romanus) .... 144
Dama duende, La (Calderon) . . . 317
Dame Kobold (Hofmannsthal) . . 317
Damenhüte im Theater (Voss) . . . 253
Dämon oder die wahre Freundschaft
(Lessing) 1 69, 174
Datterich (Niebergall) . . 261 f., 290,306
David und Goliath (Kaiser) .... 339
Derwisch, Der (Klinger) 192
deutsche Franzose, Der (Detharding) 132
deutsche Mann, Der, und die vornehmen
Leute (Kotzebue) 206
deutschen Kleinstädter, Die (Kotzebue) 109,
207, 209 ff., 241, 261, 332.
deutsche Vorspiel, Das (Neuberin) . 118, 120
Devil to pay (Goffey) 179
Diamant des Geisterkönigs, Der (Rai-
mund) 248
Diamant, Der (Hebbel) . . 287 ff., 290 f.
Doktor Klaus (L'Arronge) . . . . 257
Dominus Johannes 83
Donna Diana (Schreyvogel-West) . . 267
Don Sanche d' Aragon (P. Corneille) . 147
Doppelselbstmord, Der (Anzengruber) . 302 f.
Dreikönigsspiel 34 f.
Dresdner Schlendrian (Koenig) . . . Iigf.
Drummer, The (Addison) 125
Dulcitius (Hrotsvith) 4
Durchs Ohr (Jordan) 277
Dütsche Michel, Der (Stavenhagen) . 321
Ecole des amis, L' (Nivelle de la
Chaussee) 157
Ecole des Femmes, L' (Moli^re) . . 176
Edelmann, Comedia von einem (Heinrich
Julius) 89
Ehrenpforte und Triumphbogen für den
Theaterpräsidenten von Kotzebue
(A. W. Schlegel) 217
Ehrgeizige, Der (Destouches) . . . . 127
Ehrliche Frau zu Plißine, Die, oder
l'Honnete Femme (Reuter) . . 1 1 2 ff.
ehrliche Mann, Der, der sich schämt, es
zu sein (Cronegk) 148
Ehrlich währt am längsten, oder der Miß-
trauische gegen sich selbst (Weiße) . 174
Einer von unsere I.eut (Kaiisch) 256, 284
Einmal hunderttausend Thaler (Kaiisch) 256
El desden con el desden (Moreto) . . 267
Elegienkomödie 30
Elisa, Über, eine Newe und lustige Co-
moedia von Eduard dem Dritten dieses
Namens (Waimer) 83
Enfant prodigue, L' (Voltaire) . . . 158
entfesselte Zeitgenosse, Der (Stem-
heim) 333 f., 336
Entführung, Die, oder der alte Bürger-
Capitain (Malß) 259 f., 262
Erde (Schönherr) 32iff.
Erdgeist (Wedekind) 327
Erlauer Spiele (hrsg. von Kummer)
IL ludus trium magorum .... 35
III. Visitacio sepulchri in nocte re-
surreccionis 8, IG ff., 15
IV. ludus Mariae Magdalenae in
gaudio 29 f.
Erzherzog Maximilians Brautzug (Dein-
hardtstein) 276
Erziehung durch Kolibri (Rehfisch) . 337
Erziehung zur Ehe, Die (Hartleben) . 325
Erzsäufer, Der (Henrici) 119
Esels Schatten, Des (Fulda) . . 209, 314
Esels Schatten, Des, oder Prozeß in
Kraehwinkel (Kotzebue) .... 209
Eumenides Düster (Richter) . . . . 218
Europa (Kaiser) 337 ff.
Fähndrich, Der (Schröder) .... 201 f.
Fahnenweihe, Die (Ruederer) . . 318 ff.
Familie Selicke, Die (Holz und Schlaf). 305
Fantome amoureux, Le (Quinault) . . 98
Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert
(hrsg. von A. v. Keller)
Arztspiele (Nr. 82, 85, 98, lOl, 120) 49 f.
Dreck, Ein Vasnachtspiel vom (Nr. 23) 50
Ehefrau, Das ist die, wie sie ihren Man
verklagt vor Hofgericht (Nr. 40) . 48
Entkrist Vasnacht, Des (Nr. 68) . . 51
Hannentanz, Der alt, Vastnachtspiel
(Nr. 67) 47
hübsch Vastnachtspil, Ein (Nr. 55,
Folz) 52
Hye hebt sich an ein Recht von
Rumpolt und Marecht, dy yn dy
ce ansprach (Nr. 130) 49, 57, 72, 238
Dramenregister.
371
Incipit ludus solatiosus exercendus tem-
pore nuptiarum vel carnis brevi in
habit, ubi placuerit (Nr. 115) . . 49
klugen Knecht, Vom (Nr. 107) . 57, 61 f.
Keiser und eim Apt, Ein Spil von
einem (Nr. 22) 51
König Salomon und Markolfo, Ein
Spil von (Nr. 60, Folz) ... 52
Krön, Das Vasnachtspiel mit der (Nr.8o) 5 1
Künig von Engellant Hochzeit, Des
(Nr. 100, Rosenplüt) 52
Luneten Mantel, Der (Nr. 81). . . 51
Mayster Aristotiles, Ayn Spil von
(Nr. 128) 51
Morischgentanz (Nr. 14) .... 38, 47
Münch Berchtold, Vastnachtspiel von
(Nr. 66) 47
Ferner und Wundrer, Ein Spil von
dem (Nr. 62) 50 f.
Tanawäschel (Nr. 54) . . . . 48 f., 74
Türken Vastnachtspil, Des (Nr. 39) . 51
Werber umb die Junkfrau, Die Vas-
nacht vom (Nr. 70) 47
Fastnachtspiele aus dem 16. Jahrhundert.
Ablaßkrämer, Der (N. Manuel) . . 72
Adams Kindern, Spil von (H. Sachs) 76
Elsli Tragdenknaben (N. Manuel) 72, 238
Engelländischen Jahn Posset, Von dem,
wie er sich in seinem Dienst ver-
halten (Ayrer) 87
Farendt Schuler mit dem Teuffelban-
nen, Der (Sachs) 315
Fritz DöUa mit seiner gewünschten
Geigen, Von (Ayrer) 87
Gauchmatt, Die (Gengenbach) ... 72
Krankheit der Messe (N. Manuel) . 72
Papstes und Christi Gegensatz, Von
(N. Manuel) 72
Papst und seiner Priesterschaft, Vom
(N. Manuel) 72
Testament der Messe (N. Manuel) . 72
Totenfresser, Die (Gengenbach) . . 72
verlohrn Engelländisch Jahn Posset,
Der (Ayrer) 87
Wyn von der Truncknen rott beklagt.
Ein holdsäliges Faßnachtspil, darin
der edel (H. R. Manuel) ... 74
zehn Alter dieser Welt, Die (Gengen-
bach) 58
zwei Eheleuten, Spiel von (Stimmer) 74 f.
zwen Steundt, Die (Sterzinger Samm-
lung) 71
Fastnachtspiel, Ein schön kurzweilig, vom
alten und neuen Jahrhundert (A. W.
Schlegel) 217
Fata Morgana (Bauernfeld) . . . . 270
fausse Agnfes, La (Destouches) . . . 161
fausse Antipathie, La (Nivelle de la
Chaussee) 155, 157
Faust (Goethe) . . . 29, 78, 170, 233
femme docteur, La (Bougeant) . . . 129
Femmes savantes (Moliere) .... 129
Fest der Handwerker, Das (Angely) . 253
Figaros Hochzeit (Mozart) 245
filio prodigo, acolastus sive de (Gna-
pheus) 63, 68
Fink und Fliederbusch (Schnitzler) . . 280
Flachsmann als Erzieher (Ernst) . . 340
förchterliche Hexe Megära, Die (Hafner) 245
Fortunat (Bauernfeld) .... 267, 270
französische Lustspiel, Das, oder die
Onkelei (Müllner) 225
Frau Jutten, Spiel von (Schernberg) . 36 f.
Frau Wendeigard (Frischlin) .... 64 f.
Freier, Die (Eichendorfi) . . . 223 f., 271
Freigeist, Der (Lessing) 1 70 f.
Freunde, Die, machen den Philosophen
12- (Lenz) 190 f., 216
Freund Heißsporn (Gott) 315
Freundschaft, Die, auf der Probe (Weiße) i76ff.
Friedejauchtzendes Teutschland (Rist) 93, 95
Friedensfest (G. Hauptmann) .... 326
Friedewünschendes Teutschland (Rist). 95
Fritz Schwigerling oder der Liebestrank
(Wedekind) 328
Frösche (Aristophanes) 219
Frühlings Erwachen (Wedekind). . . 340
Gamester, The (Moore) . . . 155, 1/6
Garrick (Deinhardstein) 292
gebildete Hausknecht, Der (Kaiisch) . 257
Gefällige, Der (Destouches) . . . . 127
gefährliche Wette, Die, oder die Gleich-
gültigen (Schreyvogel) 267
gefesselte Phantasie, Die (Raimund) 245, 249
geheime Agent, Der (Hackländer) . . 275
Geheimnisvolle, Der (J. E. Schlegel) 150 ff., 153
Geistlichen auf dem Lande , Die
(Krüger) 142, 168
Geizige, Der (Molifere) . . . . iio, 306
geliebte Dornrose, Die (Gryphius) . . 97 ff.,
134, 238 f.
George Dandin (Moliere) 1 1 1
geschäfftige Müßiggänger, Der (J. E.
Schlegel). . . . 127, 150, 152 f., 175
gestiefelte Kater, Der (Tieck) . . . 215 f.
gerettete Alkibiades, Der (Kaiser) . . 339
Geschwister von Nürnberg, Die (Bauem-
feld) 270
gläserne Pantoffel, Der (Platen) . . . 222 f.
Gleichgültigen, Die, oder die gefährliche
Wette (Schreyvogel) 267
Glorieux, Le (Destouches). . . 125, 149
Glückskuh, Die (Essig) 330
Götter, Helden und Wieland (Goethe) . 195
Gottsched und Geliert (Laube) . . . 275
Götz von Berlichingen (Goethe) . . . 194
Gouvernante, Die (Körner) . . . . 225
Gouvernante, La (N. de la Chaussee) . 157
Graf Ehrenfried (Reuter) 115
Griegischen Keyser, Vom (Ayrer) . 88, 91
Groß-Cophta, Der (Goethe) .... 197
Großjährig (Bauernfeld) 273
24*
372
Register.
Großmäuliger und wunderthätiger Al-
fanzo (Weise) Iio
grüne Haus, Das (Eulenberg) . . . 331
Guiskard (Kleist) 228, 231
Gustav Wasa (Brentano) 217
G'wissenswurm, Der (Anzengruber) . 300 ff.
Hagestolzen, Die (Iffland) 203 f.
Hamlet (Shakespeare) . . . . 182, 340
Hamlet, Prinz von Tandelmarkt (Perinet) 246
Hanna Jagert (Hartleben) 325
Hans Max Giesbrecht von der Humpen-
burg (Kotzebue) 206
Hansoframea (Hayneccius) 67
Hans Pfriem, oder meister Kecks (Hay-
neccius) 67 f.
Hans Sachs (Deinhardstein) . . 292, 295
Hans Sonnenstößers Höllenfahrt (Apel) 329
Hanswurst von Salzburg mit dem höl-
zernen Gat (Schink) 194
Hasemanns Töchter (L'Arronge) . . 257
Hausfranzösin, Die, oder die Mamsell
(Gottschedin) I37f-
Hausfrieden (Iffland) 204
Haushälterin, Die (Weiße) . . . • I73f-
Hecastus (Macropedius) 63
Heinrich IV. (Shakespeare) .... 94
Henno, Scaenica Progymnasmata (Reuch-
lin) 57, 61, 77
Herbsttag, Der (Iffland) 203 f.
Heritier de village, L' (Marivaux) . . 141
Herrgottsschnitzer von Ammergau, Der
(Ganghofer) 318
Herr Hampelmann oder die Landpartie
nach Königstein (Malß) 260
Herr Peter Squentz (Gryphius) 97, 100, 107
Herr Witzling (Gottschedin) . . 127, 138
Herzog Michel (Krüger) 144
heutige Bildung, Die, oder der Hyper-
boreische Esel (Kotzebue) . 206, 211, 217
Hidalla oder Karl Hetmann, der Zwerg-
riese (Wedekind) 327
Hildegardis magna (Frischlin) ... 65
Hochzeit des Figaro, Die (Beaumarchais) 166
Hochzeit zu Cana (Frischlin) .... 65
Hofmeister, Der (Lenz). . . . 186 f., 190
Honnete Femme, L', oder die Ehrliche
Frau zu Plißine (Reuter) . . . 1 1 2 ff.
Horribilicribrifax (Gryphius) . . 97 ff., 100
Hose, Die (Sternheim) 333
Hyperboreische Esel, Der, oder die
heutige Bildung (Kotzebue) 206, 211, 217
Hypochondrist, Der (Quistorp) . 127, 139
Im weißen Rössl (Blumenthal und
Kadelburg) . . . ■ 284
Indianer in England, Die (Kotzebue) . 206
Ingrat, L' (Destouches) 164
Intrigues amoureuses, Les (Gilbert) . 155
Ircnaromachia (Rist) 94
Das
133
Jacob von Tyboe (Holberg) .
Jahrmarktsfest zu Plundersweilern
(Goethe) 195
Jean de France (Holberg) . 132, 137, 175
Jeppe vom Berge (Holberg) . . . 84, iio
Jeu, Le, de l'amour et du hasard
(Marivaux) .... .... 223
jeune Indienne, La (Chamfort) . . . 178
Journalisten, Die (Freytag) . . i, 280 ff.
Juden, Die (Lessing) . . 170 ff., 175
jüdische Witwe, Die (Kaiser) . . 337 ff.
Julius redivivus (Ayrer) 66
Julius redivivus (Frischlin) .... 66
junge Gelehrte, Der (Lessing) . 170, 175
junge Welt, Die (Wedekind) .... 326
JuDgferngift, 's (Anzengruber) . . 302 f.
Jungfern vom Bischofsberg, Die
(G.Hauptmann) 312 f., 330
Kaiserwahl in Frankfurt (Heinrich) . 272
Kammersänger, Der (Wedekind) . . 329
Kandidat, Der (Sternheim) .... 333
Kanzlist Krehler (Kaiser) 34^ f-
Karl Hetmann, der Zwergriese oder Hi-
dalla (Wedekind) 327
Kassette, Die (Sternheim) . 333 f., 336, 339
Kassius undPhantasus oder der Paradies-
vogel (Robert) 218
kategorische Imperativ, Der (Bauern-
feld) 277 f., 280
Kater Lampe (Rosenow) . . . 310 318
Kaufmann von Venedig, Der (Shake-
speare) 182, 344
Kindermörderin, Die (H. L. Wagner) . 194
klugen und törichten Jungfrauen, Ludus
von den 6, 22, 35
Kollege Crampton (G. Hauptmann) 306 f., 308
204
337 ff-
272
90
326 f.
267
275
Komet, Der (Ifl'land)
König Hahnrei (Kaiser)
König Kodrus (Stahl) .
König Lear (Shakespeare)
König Nicolo (Wedekind)
Königs Befehl, Des (Töpfer
Königsleutnant, Der (Gutzkow)
Konstantin Strobel oder der Zentaur
(Kaiser) 341
Konzert, Das (Bahr) 316
Kramer Kray (Boßdorf) 321
kranke Frau, Die (Geliert) . . . 164
Kreuzelschreiber, Die (Anzengruber) 398 ff.,
303. 308.
Kreuzerfindung und Kreuzerhöhung
(Legendendrama) 36
Krieg den Philistern (Eichendorff) 217 f., 335
Krisen (Bauernfeld) . 268, 270, 278 f., 281
Kuß, Der (Mylius) 168
Kunst über alle Künste, ein bös Weib
gut zu machen 106
Kunz von Rosen oder die Brautfahrt
(Freytag) 275
Dramenreo'istcr.
373
Landfrieden (Bauernfeld) 276
Landpartie nach Königstein, Die, oder
Herr Hampelmann (Malß) .... 260
lange Israel, Der, oder Bemoostes Haupt
(Benedix) 283
Laune des Verliebten, Die (Goethe) 154, 193
Leben ein Traum, Das (Calderon) . . iio
Leeuwendalers (Joost van den Vondel) 98
Leipziger Jahrmarkt, Der (Rückert-Rai-
mar) 271
Leonce und Lena (Büchner) 224 f., 271, 331
letzte Abenteuer, Das (Bauernfeld) . . 268
Leuchtturm, Der (Houwald) . . . . 218
Liebe auf dem Lande (Weiße) . . . 179
Liebelei (Schnitzler) 317
liebe Onkel, Der (Kneisel) .... 285
Liebesleugner, Die (Jordan) . . . . 277
Liebesprotokoll (Bauernfeld) . . . . 271
Liebestrank, Der, oder Fritz Schwiger-
ling (Wedekind) 328
liederliche Kleeblatt, Das, oder der böse
Geist Lumpacivagabundus (Nestroy). 251
Literarischer Salon (Bauemfeld) . . . 280
Literatur (Schnitzler) 316
Lokalbahn, Die (Thoma) ., ... 320
Los in der Lotterie, Das (Geliert) 159, 162 f.
lustigen Weiber von Windsor, Die (Shake-
speare) 90
Lysistrate (Aristophanes) 299
Maitre Pathelin 57, 62, 261
Malade imaginaire, Le (Moliere) . . 129
Maladie, La, et la mort de l'honnete
Femme, das ist: Der ehrlichen Frau
Schlampampe Krankheit und Tod
(Reuter) 114 f.
Maler, Die (Wilbrandt) . . . 282, 304
Mamsell, Die, oder die Hausfranzösin
(Gottschedin) 137 f.
Mari, Le, qui trompe sa femme ou Oscar
(Scribe) 275
Marquise von Arcis, Die (Sternheim) 333 f., 336
Marquis von Keith, Der (Wedekind) . 326 f.
■ Märtyrerdrama des hl. Georg ... 36
— der hl. Katharine 35
Masaniello (Weise) 102
Maschinenbauer von Berlin, Die (Weirauch) 257
Maske für Maske (Jünger) . . . . 223
Matrone von Ephesus, Die (Weiße) . 172
Mauserung (Gott) 31 5. 333
Medaille, Die (Tboma) 320
Megära, die förchterliche Hexe (Hafner) 245
Meierbeths Glück und Ende (Eichendorff) 218
Mein Leopold (L'Arronge) .... 257
Meister Andrea (Geibel) 292
Meister Kecks oder Hans Pfriem (Hay-
neccius) 67 f.
Meistersinger, Die (R.Wagner) 2, 240, 276,
293 ff., 297. 344.
Melanide (N. de la Chaussee) 155, 157. i7Si ^79
Menächmen (Plautus) 232
Mercator (Kirchmeyer-Naogeorg) . . 64
Michel Angelo (Hebbel) . . . 392 f. 302
Minna von Barnhelm (Lessing) 1,86,89,98, 153,
170, 178, I79ff., i86f., 201, 205, 275, 278
Misanthrope, Le (Moliere) . . . . 131
Misogyne, Der (Lessing) 169
!Miss Sara Sampson (Lessing) , . . I75f.
Mißtrauische, Der, gegen sich selbst oder
Ehrlich währt am längsten (Weiße) . 174
Mitschuldigen, Die (Goethe) . . . 89, 193
Moisasurs Zauberfluch (Raimund) . . 249
Mondzügler, Die (Hoffmann) . . . . 272
Morgenröte (Ruederer) 320
Mottenburger, Die (Kaiisch u. Weirauch) 257
Mückentanz (Eulenberg) 332
Münchhausen (Eulenberg) 337
Musikanten, Die, am hohen Markt (Gleich) 248
Nacht auf Wache, Eine (David) . . 259
Nachtwächter, Der (Körner) . . . . 225
Nanine (Voltaire) 166, 180
Napoleon (Grabbe) 255
Napoleon und der Drache (Rückert-Rai-
mar) 271
Napoleon und seine Fortuna (Rückert-
Raimar) 271
Nathan der Weise (Lessing) . . . . 171
Naturaliensammler, Der, oder die uner-
wartete Zusammenkunft (Weiße) . . 174
natürliche Vater, Der (Eulenberg) . . 332
Neidhartspiele 43 ff-
Großes Neidhartspiel . . 44 f-, 47, 51
Kleines Neidhartspiel 45
St. Pauler Neidhartspiel .... 43
Sterzinger Neidhartspiel 45
neue Herkules am Scheidewege, Der (Tieck) 215
neue Menoza, Der (Lenz) . . . . 190
Neueste von Plundersweilern, Das (Goethe) 195
Neugierige, Der (Destouches) . . . 127
1913 (Sternheim) 333
niederländische Bauer, Der (Weise) . iio
Oben wie unten (Benedix) .... 284
Obstacle imprevu, L' (Destouches) . . 125
Odvardo, Der von dreyen Schwieger-
söhnen geplagte (Hafner) .... 245
Onkelei, Die, oder das französische
Lustspiel (Müllner) 225
Operas, Les (St. Evremond) . . . . 129
Opern, Die (Gottsched) 129
Orakel, Das (Saint-Foix) 144
Organe des Gehirns, Die (Kotzebue) . 206
Oscar ou le mari qui trompe sa femme
(Scribe) 275
Osterspiele 7 ^^-
— Benediktbeurer 12, 29
— Erlauer loff., 15, iQf-
— Innsbrucker . . . . Sf., 15, 17. I9f-
— Nürnberger 9
— Prager 12
374
Register.
Osterspiele, Redentiner . ii, I5f., 20, 24f.,
32f., 41, 258.
— Sterzinger 9i i5> ^9
— von Tours 12
— Trierer 9i IS
— Tschechisches 15
— Wiener 8f., 15, 18, 24
— Wolffenbüttler 10, 12, 15
Othello (Shakespeare) 182
Pagenstreiche (Kotzebue) 210
Pammachius (Kirchmeyer -Naogeorg) . 64
Pandämonium Germanikum (Lenz) . . 195
Paradiesvogel, Der, oder Kassius und
Phantasus (Robert) 218
Passionsspiel
— Alsfelder 18, 25, 27, 29
— von Muri 15
— Obcrammergauer 23
— Tiroler 8f.
Pastor Fido (Guarini) 82
Peer Gynt (Ibsen) 326
Penthesilea (Kleist) 229 ff.
Perleberg (Stemheim) .... 333, 336
Perseus (Rist) 94
Peter Brauer (G. Hauptmann) . . . 307 f.
Peter Squentz (Gryphius) . . 97, 100, 107
Petriscus (Macropedius) 68
Pfingschtmondäa vun hitt zeDäa(Schnee-
gans) 240
Pfingstmontag, Der (Arnold) . 239 ff., 253,
262, 295.
Pietisterey , Die , im Fischbeinrocke
(Gottschedin) 129 f., 138, 142, 152, 161,
174-
Pitt und Fox (Gottschall) 276
Plaideurs, Les (Racine) 139
Plundersweilern, Das Jahrmarktsfest zu
(Goethe) 195
Plundersweilern, Das Neueste von (Goethe) 195
Plutos (Aristophanes) 61
Poeten, Die, nach der Mode (Weiße) 173
politische Kannegießer, Der (Holberg) 1 33, 262
politische Quacksalber, Der (Weise) . iio
politische Wochenstube, Die (R. Prutz) 272
Ponce de Leon (Brentano) 221 ff., 225, 33if.
Portrait, Das, der Mutter oder die
Privatkomödie (Schröder) .... 201 f.
Postzug, Der (Ayrenhoff) 244
Pr^cieuses ridicules, Les (Moliere) . . 1 1 1 f.
Prejuge, Le, älamode (N. de la Chaussee) 157
Prinz Zerbino oder die Reise nach dem
guten Geschmack (Tieck) . . 216 f., 271
Privatkomödic, Die, oder das Portrait
der Mutter (Schröder) 201 f.
340
3'4
81
315*-
175
215
Prometheus, Deukalion und seine Re-
zensenten (H. L. Wagner) . . . . 195
Prorektor, Der (Textor) 259
Prozeß in Kraehwinkel oder des Esels
Schatten (Kotzebue) 209
Rachsüchtige, Der (Destouches) . . . 127
Ralph Roister Doister 90
Raub der Sabinerinnen, Der (F. und P.
von Schönthan) 285
Rebecca (Frischlin) 64 f.
Rebelies (Macropedius) 68
Rebhühner, Die (K. Hauptmann) . 330
Rehbock, Der (Kotzebue) 210 f.
Reise, Die, nach dem guten Geschmack
oder Prinz Zerbino (Tieck) . 216 f., 271
Rektor Kleist (Kaiser) 340 f.
• . 273
201, 209
Republik der Tiere (Bauernfeld) ,
Ring, Der (Schröder) . . . ,
Robert Guiskard (Kleist) . . . 228, 231
Robert und Bertram (Räder) .... 284
rode Uennerrock, De (Boßdorf) . . . 321
Roi de Cocaigne (Legrand) . . . . I18
Rokoko (Laube) 275
romantische Oedipus, Der (Platen) . . 219
Rosenkavalier, Der (Hofmannsthal) 297, 317
RosenmüUer und Finke (Töpfer) . . 279
rote Hahn, Der (G. Hauptmann) . 309 f.,
313, 318, 324, 327.
Rubin, Der (Hebbel) 290 ff.
Rüge Hoff, De (Stavenhaven) . . .320 f.
Ruhmredige, Der (Destouches) . . . 127
Rule a wife and have a wife (Beaumont
und Fletcher) 200
Ruth (Frischlin) 65
292,
Probekandidat, Der (Dreycr) . . .
Probepfeil, Der (Blumenthal) . . .
Prob getrewer Liebe, Comedia und
Professor Bernhardi (Schnitzler) .
Projektenmacher, Der (Weiße)
Prolog, Ein (Tieck)
Salvator Rosa (Deinhardstein)
Satyros (Goethe)
Scaenica Progymnasmata (Reuchlin)
Schach dem König (Schauffert) .
Schäferinsel, Die (Chr. Mylius) .
Schatz des Rhampsinit, Der (Platen)
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Be
deutung (Grabbe) 220 f.,
Schicksalsstrumpf, Der (Castelli) .
Schluck und Jau (G. Hauptmann) . 84,
310 f., 316.
Schmetterlingsschlacht, Die (Sudermann)
schönen Phaenicia, Comedia von der
(Ayrer)
Schreibfeder, Die (Grillparzer)
Schule der Reichen, Die (Gutzkow)
Schulmeisterwahl zu Blindheim , Die
(G. F. Wagner)
Schwarzkünstler, Der (Gott) ....
Schwierige, Der (Hofmannsthal) .
Seinem Schicksal kann niemand entrinnen
(Houwald)
Sergius (Reuchlin)
Sganarelle ou le cocu imaginaire (Moliere)
295
195
61
277
168
223
331
218
224,
313
87
262
274
241
315
317
218
61
III
Dramenregister.
375
Sidea (Ayrer) 87
Sidonia und Theagenes 84
Siegfried von Lindenberg (J. G. Müller
und P. L. Bunsen) 259
sittliche Forderung, Die (Hartleben) . 325
Sklaveninsel, Die (Marivaux) . . . . 144
Snob, Der (Sternheim) .... 333 .., 336
Soldaten, Die (Lenz) . . i86f., 191, 194
Sommernachtstraum (Shakespeare) 58, 79, 97,
107, 282.
Somnium vitae humanae (HoUonius) 84 f., iio
Sonnwendtag (Schönherr) 324
Speculum aistheticum (Rhenanus) . . 78
Spielerin, Die (Dufresny-Straube) . . 127
Staberl als konfuser Zauberer (Nestroy) 246
Staberl im Feendienst (Nestroy) . . . 246
Stadtminschen und Burenlüd (Baermann) 259
Stammbaum, Der (Wall-Heyne) . . . 197
stärkere Band, Das (Saiten) . . . 317
Stella (Goethe) 176
Stille Wasser sind tief (Schröder) . . 200 f.
Stilpho (Wimpfeling) 61
Störenfried, Der (Benedix) .... 284
Stralauer Fischzug (Arnim) . . . . 253
Stralower Fischzug (Voss) .... 253
Studentenleben, Comoedia vom (Schoch) 139
Studentes (Stymmelius) 68
stumme Schönheit, Die (J. E. Schlegel) 149,
151, 153, l6lf.
Sturm, Der (Shakespeare) 87
Sturmgeselle Sokrates, Der (Sudermann) 314
Sturm und Drang (KJinger) 186, i8Sf., 191 f.
Susanna (Frischlin) 64 f., 83
Susanna (Heinrich Julius) . . . . 88f., 91
Überraschung der Liebe (Marivaux) . 144
Undankbare, Der (nach Destouches) . 127
Unempfindliche, Der (Uhlich) . 127, 139
Unerträgliche, Der (Chr. Mylius) . . 168
unerwartete Zusammenkunft, Die, oder
der Naturaliensammler (Weiße) . . 174
ungleiche Heirat, Die (Gottschedin) . 137
Unschlüssige, Der (nach Destouches) . 127
Urbild des Tartuflfe, Das (Gutzkow) . 275
Vater (Strindberg)
Veilchenfresser, Der (Moser)
verbannte Göttersohn, Der (Klinger
Verbotene Früchte (Gott)
Verbot und Befehl (Holm
verfolgte Lateiner, Der (Weise)
307
285
195
315
273f-
112
verhängnisvolle Gabel, Die (Platen) 21 8f., 271
verkehrte Welt, Die (Koenig) . . 118 ff.
verkehrte Welt, Die (Tieck) . . . . 217
Verläumder, Der (nach Destouches). . 127
verliebte Gespenst, Das (Gryphius) . . 98
Verlorene Liebesmüh (Shakespeare) 90, 97
verlorene Sohn, Der (de Noel) . . . 241
Verschwender, Der (nach Destouches) . 127
Verschwender, Der (Raimund) . 250 f., 290
Verwirrungsstifter, Der (nach Destouches) 127
verwunschene Prinz, Der (Putlitz) . . 311
Viel Lärm um nichts (Shakespeare) , 87
Vincentius Ladislaus (Heinrich Julius) 65, 9of.
Vögel, Die (Goethe) 195
Voltaire am Abend seiner Apotheose
(H. L. Wagner) 195
Von Morgens bis Mitternacht (Kaiser) . 341
Vor des Reiches Pforten (Hamsun) . 280
Talismann, Der (Fulda) ...
Tambour nocturne, Le (Destouches)
Tantalus (Lenz)
Tartuffe (Moliere) . .129, 142,
Tausch enttäuscht (Jordan)
Tegemseer Antichristspiel ....
Testament, Das (Gottschedin) .
Testament der Messe (N. Manuel)
Teufel ist los. Der (Weiße) . . .
Theophilusspiel
Tiberius von Ferrara
Tobias und die Schwalbe (Weise) .
tolle Hund, Der, oder des Burschen Heim
kehr (Niebergall) ....
toller Einfall, Ein (Lauffs)
Traumulus (Holz und Jerschke)
Trenkwalder, Die (Schönherr)
Triple mariage, Le (Destouches
Triumph der Empfindsamkeit (Goethe)
Triumph der guten Frauen (J. E. Schlegel)
151 ff., 158.
Trotz wider Trotz (Moreto)
Trutzige, Die (Anzengruber)
Turandot (Gozzi)
Turandot (Schiller) .
Turbo (Andreae) ....
314
125
194 f.
160, 275
277
6, 35
138
72
179
36
92
107
261
285
340
324
125
195
267
302
199
199
92
Wahre Freundschaft, Die, oder Dämon
(Lessing) 169, 174
Walder (Weiße) 1 79- 186
Wände, Die (Seemann und Dulk) . . 272
Weber, Die (G. Hauptmann) . . 306, 321
Weh dem, der lügt (Grillparzer) 245, 249,
262 ff., 293.
Weiberprobe, Die (Henrici) . . . . 119
Weiber von Weinsberg, Die (Essig) . 330
weibliche Jacobiner-Clubb, Der(Kotzebue) 208
Weihnachtspiel 34
Weltuntergangspiel 35 f-
Werberin, Die (Stephanie d. J.) . . . 186
Wer ist schuldig (Grillparzer) . . . 262
Weyber Reichstag, Der 75
Widersprecherin, Die (Dufresny - Gott-
schedin) 127
Wie die Alten sungen (Niemann) . . 277
Wie es euch gefällt (Shakespeare) . . 79
Wiener in Berlin, Die (Holtei) . . . 253
Wien in einem anderen Weltteil oder
Aline (Bäuerle) 248
Wildschütz, Der (Lortzing) . . . . 210
Wiltbad (Sachs) 81
Winde, Die (Gruppe) 271 f.
376
Register.
Wirthe, Comedia von einem (Heinrich
Julius) 89, 91
Wolken (Lenz) 195, 206
Wolkenzug, Der (Rapp) 271
wunderbare Heurath, Die, Petruvio mit
der bösen Catharine 105 f.
Zähmung der Widerspenstigen (Shake-
speare) . 84, 105 ff., HO, 200f. 302, 3iof.
zärtliche Ehemann, Der (Steele)
zärtlichen Schwestern, Die (Geliert)
163 ff.
Zauberflöte, Die (Schikaneder)
Zaubertrommel, Die (Kurz)
Zentaur, Der, oder Konstantin Strobel
(Kaiser)
zerbrochne Krug, Der (Kleist)
99, 229, 234 ff., 288, 290, 308 f
Zopf und Schwert (Gutzkow)
155
159.
245
245
341
I,
274f.
Zu ebener Erde und im ersten Stock
(Nestroy) 252
zwei Eheleuten, Spiel von (Stimmer) 74, 77
Zwischenspiele des geistlichen Dramas
im Mittelalter
— Apostelszene (Wettlauf) . . 7 ff., 15
— Auferstehungsszene 13, 16
— Gärtnerszene 9, 11, 15
— Grabesszene der drei Marien ... 8
— Grabwächterszene 16, i8ff., 45, 55, 90
— Höllenfahrtszene 16
— Judenszene 16
— Magdalenenszene 33
— Ritterszene. ... 16, 19, 21, 26, 33
— Salbenkrämerszene . 10 ff., 15 f., 19, 21,
26, 30, 33, 45, 54.
— Sünderszene 46 f.
— Täuferszene , 33
— Teufelsszene . 21 ff., 28, 33, 41, 44 ff.
— Thomasszene 8, 15
377
VORWORT ZUM BILDTEIL.
Der Bildapparat dient der Veranschaulichimg, Verdeut-
lichung und Ergänzung des Textes. Noch weniger als im
Textteil konnte dabei Vollständigkeit erstrebt werden. Ich
beschränkte mich auf Auswahl des Wesentlichen und
Charakteristischen, wobei ich allerdings, wiederum dem
Texte entsprechend, dem Mittelalter mit seinen engen Be-
ziehungen zwischen Literatur, Theater und bildender Kunst
einen verhältnismäßig großen Raum zubilligte.
Das Bildmaterial, das meist literar-, theater-, kunst-,
geistesgeschichtlichen oder ästhetischen Eigenwert besitzt,
illustriert im allgemeinen unmittelbar, der Absicht des Bild-
apparates entsprechend, bestimmte durch die betreffende
Seitenzahl bezeichnete Textstellen. Eine Ausnahme ge-
stattete ich mir nur insofern, als ich die Zahl der Abbil-
dungen der lustigen Person, gemäß ihrer Bedeutung im
Drama und Theater des i6. und 17. Jahrhunderts, über die
im Texte direkt genannten Typen hinaus vermehrt habe.
Ich muß mir versagen, alle Helfer namentlich anzu-
führen, die mich bei der Zusammenstellung des Bildapparates
förderten. Dadurch, daß ich bei jedem Bilde Quelle und
Herkunft angebe, möchte ich wenigstens meinem Dank
für diejenigen Ausdruck geben, die mir Bildmaterial zur
Verfügung gestellt haben. Trotz reichlicher Unterstützung
bin ich mir aber bewußt, daß mich von dem selbstgesteckten
Ziel einer Auswahl des Wichtigsten noch Lücken trennen,
die auszufüllen mir unter den gegenwärtigen Verhältnissen
unmöglich war. Es bleibt nun abzuwarten, ob auf die
Kritiker meines Bildapparates jener Vers zutrifft:
For wbat was there each cared no jot,
But all were wroth with wbat was not.
Hol 1 , Lustspiel.
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I. Antike MimusdarsteJler.
(Seite I — 2.)
379
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2. Conrad Celtis überreicht die Werke der Hrotsvith. (Seite 3 — 4 u. 61.)
38o
Salbenkrämer
oder
Apotheker.
(Seite lo — 15 )
4-
Der Wunder-
doktor.
(Seite 10—15.)
382
•. Schlafende Grabwächter. (Israel v. Meckenem.) (Seite 15 — 21.
8. |u(len\ers[K)ltun<^. (Seile 18.)
;83
g. Teufelsdarstellung (Pencz). (Seite 21 — 28,31 — 34.)
10. Teufelsdarstellung. (Seite 21— 28, 31— 34.)
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384
12. Bcthleheniitischcr Kindermord. (Seite 34 — 35 u. SS.
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390
392
23 (oben).
Xarr aus dem
i6. Jahrhundert
(Seite 66—67.)
24
24 (unten).
Narr um das
Jahr 1600.
(Seite 7 1 .)
393
!5. Terenzbühne. (Seite 69 — 70.'
H oll , Lustspiel.
394
26
26.
Zum Fastnacht-
spiel,, Der Abiali-
krämer".
(Seite 72.)
Weinzecher.
(Seite 74.)
27
396
xo. Der träumende Bauer. (Seite 84, iio, 311;
31. I.c Docteur Baloüarde. (Seite 86 — 87.)
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39. Monsieur Balon. (Seite 117.)
402
40. Bildnis der Frau Schlampampe.
(Seite 112 — 113.)
403
41. Szenen aus Reuters „La Maladie et la mort de l'honnete
Femme". (Seite 114 — 115.)
404
42. Die herumziehenden Kom(idianten. Xach Chodowiecki.
(Seite ii8 — 119.)
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49. Weibliche Bediente. Nach Chodowiecki.
(Seite 138, 164 — 165, 170, 204.)
50. Szenenbild von
G. M. Kraus zum
„Bauer mit der Erb-
schaft". (Seite 141.)
409
5 I . Hanswurst aus
demiS.Jahrliundert.
(Seite 169.)
ßrh Sh-ohfachjehe Jiier^ntKup/eT "dioeßochen-.
Cov.-i-aqe feh'Uj, -mir ^atauf i^il ich. ructri P^ch^rv.,
S)och d-as 2er Murren Qu-rtfi verffnu-aet ^rrOT. updJierti^^
Och bleib Jhr Ser-utleur^in.^ight<^ uri>Jcherl^ S.ä.aJC.,
51
Holl, Lustspiel.
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Chodowieckis Illustrationen zu „Minna \on Barnheim". (Seite 179 ff.)
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Chodowicclvis Illustrationen zu „Minna von Barnhelm". (Seite 179 ff.)
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Chodowieckis Illustrationen zu „Minna von Barnhelm". (Seite 179 ff.)
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Aus Chodowieckis Illustrationen zai Kotzcbues „Die Indianer in Kngland". (Seile 206.)
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'4- Prinz Leonce und Rosctta, I. Akt, 5. Szene.
75. Prinzessin Lena und ihre Gouvernante, IL Akt, 3. Szene.
Szenenbilder aus Büchners „Leonce und Lena". (Seite 224 f.)
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Oper in einem §(ufjuge, SOIufif von J!>ella 9DIarta.
♦frau l'Otl 2?olliiau , nnc junqc SBiKwe, (Jnqcl^.
fHcl'inf, ih" ©iiffioi-titer , ßpcnqUr.
I)fr (JcmmonCaiif, 35iMf''-
,8tfutcnflnt ?'mrpall, • grrobe.
j^aiirtmann ^"SJarUfd, Sonp.
^frrnunn, fnn ©tCiicntcc, • • Qitnaü.
gin Unterofiijict, (?iU.nf}cin.
.hierauf:
3 » m (? r jl e n m a t) 1 c :
iDer jetfcrocgcne frag.
ein Cuflfpief in Irei Slufjücjen.
©alter, ®erl4i«tfltl) , Off«.
llCam, 35crfcid)itr , • • • 5!>fcfor.
£i*t, ®cf)rcibtr, • • • ■ • Un^lmann.
grau Worllje mutl, » ffiolff.
gvc, ibi-c ItxtKc,
Sli'ermannt
SBcit lümptl, cm ©aua, ©raff.
Wupndlt, («m ©"^n' ^\\^'
grau gjng.ftc, ©, ,e.
©in 25cbicntct, ....••...•••• |.lfnac.n.
SHiigfcc, JQ^^^i^^
S5ütfcl.
S)ie Jpantlung fpifir in einem nicberldnbife^en 3)orft bei Utredjf.
~gi(ftc OgorpcKung im ferbgcn ?<bonnemcnt.
SJumnirie «]>ld&e im parterre unD numerirtc etüble ouf Dem SSülfcn
finD belegt unD f6nnen mit ton Slbonnenren cinqcnümmen merDcn.
Valien » lö &t.
^arfet « 12 ®r.
parterre » 8 ®r.
©aUcrie ' 4 (9r.
SInfang um ^alb 6 U^r.
77. Theaterzettel der Weimarer Uraufführun.u von Kleists
„Zerbrochnem Krug". (Seite 234.)
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84- S/enenbild zu Gutzkows
,Zopf und Schwert", III. Akt, 2. Szene.
(Seite 2-4.)
424
85. Szenenbild zu Gutzkows
„Zopfund Schwert", V. Akt, 2. Szene.
(Seite 274.)
425
86. Szenenbilder zu Gutzkows „Urbild des Tartuffe". (Seite 275.
87. Szenenbild zu Freytags ,, Journalisten", IL Akt, 2. Szene. (Seite 280.
H o 1 1 , Lustspiel,
426
BresUiuer Theater.
3RtttiüO(|) bm 8. I^f^cmbfr 1852.
Bei aiifoohofHMioin Abonnomeiit.
3wni ^fiiefij kö gröultin %\. ^offmann.
3 u m f r f} c n SK a l t :
^if Soiuiialifitciu
<giiftfpicl in t)icr 5(ftfn t>cn 05uftat> JJrfitag.
Sbirfl a. r. ajcTj,
Std. fcinf ;jo(t)t(r,
Mbelbcib «unctf,
3tnbcn, @ut6bifi6tr,
Drofiffor Clbfnborf. .'Kcbattuir
jonrab »oU, .'Scbafttur ,
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ficrr jlioffniann.
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vijiic frcmbc 3angerlti,
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Siünf^anjtoli', ÄJniijl. isolotänitr, .ßtrr Su-nricf).
(im Stabs. Aapiiam pom I. SalaiUon Sfibjarbc, ^err SSalln'cr.
CJbciiiian, Stallet : ■,'(p,riiinur,
3>«rfoncn:
II SRUe. GboAoiS, Sdn^trin au8 «Paria, ' Sri. »Warte Äöbii'd).
Ännc ajJarie «Scracntbin, auS -'Rivborf, , 5j,riG.ni >.. Sraulcn SPnrfctt.
' SRictt Stci.ijclatf, aii6 Scblenbuif, in n.)t|rji Rrjuli-m Sautfr
i Gacolinc »IMurife, au5 bcni auapptntnii^, ' '"""• Scaultui 9iu|>ci(tt.
I, (rm aolbar
SifdiiTeur: ^crr SÄtper.
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Sm numfrirttr ^Pdr>iutt Siß 20 „
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CSin numcnrttr 2iBr(vi6 im ^Parterre .... 15 „
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Theaterzettel der Uraufführung von Frey tags .Journalisten". (Seite 280.)
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SÄunc^ciL
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tlotional-^ljfatrr.
Spnntafl ben 21. 3um 1868.
aJlit aufgcbobcncm Slbonncracnt.
3um crftcn '3ta!c:
5ttei|lcrfinj)cr wwi Härnbfrg.
Cpet in ttei äufjüijcn ccn JRic^arb SBagner.
«tik: i>m Cr. ^«Httoi^«.
'g*erfonen:
{■viiis eoibe. S*ul1tt /|,c-T -Set.
^(il ^Pognci, ®clli4iiiiEt l |$)m ^'auftwctn.
Äunj 2?C3el3((aii3, fförfintt I IC>*" ^etnri^
fieniofc gijitligaL, Spüngl« / Ißm ©igl-
gri} «tlba.t, «Bäciti \ ,™,-„,^„„„ '£m PiMtt.
»»Ilti.(;i 3ctn, 3inn5ti6ci , •"'"l'"T'"S" .... ^^ SB.ijlflt^r
lllrii (Sifelinjet, äBöljhSmti ipm ficüpt.
Susuflir antfti, Si^ntibn I IJtii ^ocjl
Jurmann Dilti, Etijtnfirttt 1 [jpm Htm:.
|)ana gof5, ftupfetfc^ntirt) \|>en ^aon.
fflalHei Bon ©Idjinj, tin junjtt iKillti ci:8 jjianlin . . fm Sa^faut
1501.11, ®o(ti(cn'8 Ctitbube |jtn 3*lii|Tti-
Sto, ilrgnti'« leitet ptäulcin TOallinga.
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Gin 9In(itlrüd)lei ^en gttbinwb Oang.
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Sefüfli^et (inb ju 18 ft. an ket Söffe )u ^oben.
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Cm Uofltnplao 2 fl. 30 It. Patient 1 R _ |r
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in Hamburg alt Ir^lt l^afUcUt
Timflaa bin 23. ., : C3ni Ä. Wibcnj-Htaittj Wlnno »an »oinitlm. l'ufiitlil tt" l'iiinii
Mlllw* bin 24. „ : CS» S $o|. unb 3!alioiiol.tbiatti) i"m "fm Kalt mtbnbtll. Sit »ieilltrfiliatr,
Cp« ton Silbarb äSaanit.
Jionncrflag bin 25. „ ; um X. *of. unb KolionaMbioltt) Situ iiiiimoirt SU Sinfalt Dam Unnbl, t'uWpiil »n lopftt,
Srtilag bin 56, „ : (Jm X. .Jof. unb Slolional.tbiakij Rdiila{iticrKl| IV , jimm f M, i*aii|nil o™ ijallptait.
ttnniag ttn 2t). „ : Qm R. ^of. unb gialicnal-t^talitj $it Wltiftcrfinjct, Cpti ccn :.lid|dto ü'aflnn.
eil tinjtlnt gettil loflil 2 ft. Sgl. ^ofbuiijbtailirii oon Lr. S- fflolf i Se^n.
90. Theaterzettel der Uraufführung der „Meistersinger".
(Seite 297.)
429
gi. Szenenbild zu Gerhart Hauptmanns „Schluck und Jau". (Seite 31 off.;
92. Szenenbild zu Gerhart Hauptmanns „Schluck und Jau". (Seite 3 10 tf.i
430
93- Szenenbild zu Gerhart Hauptmanns „Schluck und Jau". (Seite 3ioft.)
94. Szenenbild zu Gerhart Hauptmanns „Schluck und jau". (Seite 3101t.
431
95- özenenbilcl zu l-^ulenbergs „.Mückentanz". (Seite 332.
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96. Szenenbild zu Sternheims ,,1913". (Seite 333.)
432
97- Szenenbild zu Sternheims „Der entfesselte Zeitgenosse". (Seite 333
98. Szenenbild zu Kaisers „Zentaur". (Seite 341.
433
99- Szenenbild zu Kaisers „Zentaur". I. und IV. Akt.
Zimmer bei Vierkant. (Seite 341.)
100. Szenenbild zu Kaisers „Zentaur". II., III., V. Akt.
Zimmer von Strobel. (Seite 341.)
BILDER KLARUNGEN.
1. Vasengemälde in der Bibliothek des Vatikans. Nach Winckelmanns Zeichnung. — Nach
Floegel-Ebeling, Geschichte des Grotesk-Komischen. 5. Aufl. 1887.
2. Celtis überreicht die Werke der Hrotsvith dem Kurfürsten von Sachsen. Nach einem
Holzschnitt, vermutlich von A. Dürer, von der Rückseite des Titels der 15 01 in Nürnberg
von Celtis herausgegebenen Werke der Roswitha. — Germanisches Museum, Nürnberg.
Phot. Christof Müller, Nürnberg. — Der Humanist Conrad Celtis hat am Ende des 15. Jahr-
hunderts die verschollenen Werke der Hrotsvith aufgefunden und 1501 herausgegeben. (Vgl.S.61.)
3. .Statue des Apothekers oder Salbenkrämers im Konstanzer Münster aus dem letzten Drittel
des 13. Jahrhunderts. Phot. German Wolf, Konstanz.
4. Der Wunderdoktor. Nach dem Gemälde von Jan Steen. Reichsmuseum, Amsterdam. —
Quacksalber, seine Frau und sein Knecht, der deutlich Narrenfigur sein soll.
5. 6, 7. Drei Darstellungen der Auferstehung, während die Grabwächter schlafen: M. Schon-
gauer (5), Meister Francke (6), Israel von Meckenem (7). — Auf dem Kupferstich Israels
von Meckenem ist noch die weitere Szene der Befreiung der in der Hölle gefangenen Seelen
zu sehen. — Schongauer. Kupferstichkabinett, Berlin. — Kleister Francke. Gemälde in
der Kunsthalle, Hamburg. Phot. Franz Rompel, Hamburg. — Israel von Meckenem.
Kupferstichkabinett, Berlin.
8. Holztafeldruck aus der ]\Iitte des 15. Jahrhunderts, worauf die Juden verspottet sind, indem
sie aus einem Schweine trinken. — Nach Floegcl-Ebeling, Geschichte des Grotesk-Komischen.
5. Aufl. 1887.
9. Teufelsdarstcllung, die deutlicli zeigt, daß ein Darsteller als Teufel maskiert ist. — Georg
Pencz, Versuchung Jesu. — Kupferstichkabinett, Berlin.
10. Weitere Teufelsdarstellung, in der der Teufel mehr als lang behaarter Wilder Mann auf-
gefaßt ist. — Doctor Martinus Luther, Husz Postilla, Witteberch 1582. Plattdeutsche Aus-
gabe von Luthers Hauspostille. Lutherhalle, Wittenberg.
11. M. Schongauer, Jesus als Gärtner und Magdalene. Eine Darstellung des Singspiels mit
betont lyrischer ^^'eichheit. — Kupferstichkabinett, Berlin.
12. Darstellung des Bethlehemitischen Kindermordes, die den Kindermörder mit der Gugel des
Narren zeigt und damit die im Texte behauptete Zwischenstellung veranschaulicht. — Wand-
gemälde in der Galluskapelle von ( >ber-Stammheim. Mitteilungen der Antiquar. Gesell-
schaft in Zürich, Bd. XXIV, Heft b. Badischc Landesbibliothek, Karlsruhe.
13. Nürnberger Schemjiartläufer. Nach Flocgel-Ebeling, Geschichte des Grotesk-Komischen.
5. Aufl. 1887.
14. 15. Zwei frühe Puppenspieldarstellungen. — Die älteste (15) ist aus dem Hortus deliciarum
der Herrad von Landsberg, Äbtissin zu Hohenburg oder St. Odilien im Elsaß, aus dem
12. Jahrhundert. Rechts und links des Tisches stehen spilman und spilwip, die an Seilen
zwei Puppen einen ritterlichen Zweikampf agieren lassen. Aus der Ausgabe von Chr. M. Engel-
Bilderklärungen. 435
hardt, gestochen von Willemin. iSiS. — Goethe-Xationalmuseum, Weimar. — Die voran-
gestellte Darstellung (14) ist eine Miniatur aus dem Manuskript des Alexanderromans in
der Oxforder Bodleian Library aus der Zeit 1338 — 1344- Hierauf ist schon ein geschlossener
Puppenspielkasten zu sehen. — The Archaeological Journal. Nr. 19, October 1S48.
Universitätsbibliothek, Leipzig.
lö, 17. Zwei Darstellungen des Veilchenmotivs der Neidhartspiele im Haus zur Zinne (16) in
Diessenhofen und im Haus zum Grundstein (17) in Winterthur. — Mitteilungen der Anti-
quarischen Gesellschaft in Zürich. Bd. XXIV, Heft 6. Badische Landesbibliothek, Karlsruhe.
iS. Kirmes. (La Kermesse de La Saint-Georges.) Nach einem Stich von Peter van der Heyden
nach Pieter Brueghel d. A. — Kupferstichkabinett, Berlin.
19. Darstellung des Inhalts vom Fastnachtspiel: ,,Ayn Spil von Mayster Aristotiles". — Aristoteles
und Phyllis. Vom Meister des Hausbuchs. — Aus ,, Deutsches Leben der Vergangenheit", Bd.I.
20. Drei charakteristische Bauernfiguren, wie sie Hauptträger des Fastnachtspiels sind. — Kupfer-
stich von Albrecht Dürer. — Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.
21. Die Bühne des Passionsspiels von Valenciennes aus dem Jahre 1547. — Die Darstellung
trägt, trotz ihrer Renaissancepracht, noch durchaus den Charakter der mittelalterlichen
Simultanbühne, wobei besonders aufmerksam gemacht sei auf den Höllenrachen, der vorn
rechts sich befindet. — Nach L. Petit De Julleville, Histoire de la langue et de la litte-
rature francaise des origines ä 1900. Tome II, 1S96. — Landesbibliothek, W^eimar.
22. Parabel vom verlorenen Sohn. Nach dem Gemälde von F. Francken II d. J. Badische
Kunsthalle, Karlsruhe. Phot. V.-A. Bruckmann, München 1900. — Die Darstellung zeigt
im Vordergrund die Szene des verschwenderischen Lebens, außerdem werden rechts und
links gegen den Hintergrund zu noch weitere Szenen aus dem Leben des verlorenen
Sohnes dargestellt. . :
~3
Narrenfigur. Nach einem Stich von Franz Brun. — Kupferstichkabinett, Berlin.
24. Narrenfigur. Von H. Goltzius. Gestochen von H. Ullrich. — Germ. Museum, Nürnberg.
25. Terenzbühne nach der Grüningerschen lateinischen Terenzausgabe, Straßburg 149O. Dasselbe
Titelbild ist auch in der deutschen Ausgabe von 1499 mit dem einzigen Unterschied, daß
die Unterschrift: hus der comedien, statt Theatrum, lautet. — Lutherhalle, Wittenberg.
26. Titelbild zu dem Fastnachtspiel ,,Der Ablaßkrämer" von Nikiaus Manuel. Federzeichnung. —
Stadtbibliothek Bern. Mss. Hist. Helv. XVI 159, N. Manuel.
27. Titelbild zu dem Weinspiel von H. R. Manuel. Bern 1548. — Staatsbibliothek, Berlin.
28. Holzschnitt in „Ein Faßnacht Spil, Der Farendt Schuler mit dem TeutTelbannen (mit vier
personen) kürtzweylig zu hören. Hanns Sachs". Anno Salutis 1551 am 5. Nouembris. —
Landesbibliothek, Wolfenbüttel. Gr. Sammelband Nr. 6.
29. Hanswurst im 1 7. Jahrhundert. Nach einem alten Kupferstich im Landesmuseum Gotha.
30. Darstellung der Geschichte vom träumenden Bauern. Kupfer aus Frauenzimmer-Gesprech-
spiel. II. Teil. Nürnberg 1O57. — Landesbibliothek, Weimar.
31. Le Docteur Baloüarde. Nach einem Stiche von Ch. Allard in der Badischen Landes-
bibliothek, Karlsruhe. Unterschrift des Stiches: Ouand le Docteur parle Ton doute /
Si c'est latin ou bas breton, / Et souuent celuy qui l'escoutte, / L'interrompt ä coups de
baston.
32. Le Capitan Matamore. Nach G. Huret gestochen von G. Rousselet. Typus des Ruhm-
redigen. Nach einem Stiche in der Badischen Landesbibliothek, Karlsruhe. Unterschrift
des Stiches: Ce Capitan plein de boutades / Estalant en rodomontades / Sagrand valeur
436
Bilderklärungen.
aus assistans / A tant d'artifice et de grace / Ouil nous fait en la moindre farce / Rire et
trembler en mesme temps.
33. Polichinelle. Nach einem Stiche (wahrscheinlich von Ch. Allard) in der Badischen Landes-
bibliothek, Karlsruhe. Unterschrift des Stiches: Si Polichinelle ä grand mine / Arme de
Pincette, et de Gril, / Son Coeur scait brauet le peril / Oue l'on rencontre ä la Cuisine.
34. Pickelhering und Jean Potage. Nach einer Flugschrift von 1648. Aus Curiositäten der
physisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt. I. Bd. 1811. — Landesbibliothek,
Weimar.
35. Titelkupfer einer Ausgabe von Chr. Weises ..Neue Jugendlust", worauf unten in dem
Szenenbild aus der ,, Verkehrten Welt" eine der zahlreichen komischen Figuren des Dichters
sichtbar ist. — Staatsbibliothek, Berlin.
36. Titelkupfer zu Weises , »Bäurischem Macchiavellus", worauf das Rahmenspiel abgebildet
ist. — Stadtbibliothek, Zittau.
37 — 38. Titelkupfer und -blatt der Dramensammlung ,, Schaubühne englischer und französischer
Comödianten" 1670. — Landesbibliothek, Weimar.
39. Monsieur Balon. Nach einem Stiche von J. Lepautre in der Badischen Landesbibliothek,
Karlsruhe.
40. Porträt der „Ehrlichen Frau zu Plißine" von Christian Reuter. — Aus Christian Reuters
Werken. Herausgegeben von Georg Witkowski. Bd. I, 191 6. Inselverlag, Leipzig.
41. Szenen aus Reuters ,,La Maladie et la mort de l'honnete Femme, das ist: Der ehr-
lichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod". — Aus Christian Reuters Werken. Heraus-
gegeben von Georg Witkowski. Bd. I. 191 6. Inselverlag, Leipzig.
42. ,,Die herumziehenden Komödianten". Gezeichnet und gestochen von D. Chodowiecki. —
Aus G. Chr. Lichtenbergs vermischten Schriften. IV. Bd., Göttingen 1802. — Landesbiblio-
thek, Weimar.
43. Titelblatt einer konfiszierten Hanswurstschrift. — Leipziger Stadtbibliothek.
44. Neuberscher Theaterzettel. — Stadtgeschichtliches Museum, Leipzig.
45. Franciscus Schuch, 1716 — 1763. Berühmter Hanswurstdarsteller, seit 1740 Leiter einer
erfolgreichen Schauspielertruppe. — Nach einem Kupferstich im Landesmuseum, Gotha.
46. Darstellung eines Arztspieles, in dem die Moralisch-Kranken mit der ihre Charakterfehler
heilenden Moral-Tinctur behandelt werden; zu beiden Seiten gegen den Hintergrund zu
stehen die Patienten, die als der Geizige, der Wollüstige, der Hochmütige, der Heuchler,
der Zornige, der Eifersüchtige, das böse Weib, der Pedant usw. bekannte Typen und
Titelhelden der Charakterkomödie zu Gottscheds Zeit bilden. — Nach einem Stich von
L. Zucchi nach einer Zeichnung von A. Werner(in) in Gottfried Benj. Hanckens Gedichte.
2. Teil. 1731. — I^niversitätsbibliothek Leipzig.
47. Männliche Bediententypen.
48. Männliche Bediententypen. Nr. 47 — 49 sin^l Tafeln, die von D. Chodowiecki 1780 ge-
zeichnet und gestochen sind. Aus G. Chr. Lichtenbergs vermischten Schriften. IV. Bd.,
Göttingen 1802. Landesbibliothek, Weimar. — Die sächsische Komödie und noch weiter
die Komödie der Mitläufer des Sturm und Drangs und selbst teilweise der Klassik überlassen
die Führung der Intrige wesentlich den männlichen und weiblichen Bedienten, von denen
uns Chodowiecki hier die verschiedensten Typen nach Alter, Stand und Charakter vor-
führt. Die beiden Tafeln männlicher Bedienten bespricht Lichtenberg a. a. O. S. 141 ff.,
insbesondere S. 160/61.
BilderkUirungen. 437
49. Weibliche Bediententypen.
50. Kupfer aus dem Gothaer Theaterkalender 1776 zu J. Chr. Krügers „Bauer mit der Erb-
schaft". Madame Bock als Lise, Ekhof als Jörge, i. Sz.: Lise: Wato denn fief Schil-
link, Hans Narr? Jörge: För düssen Jungen, der raie mienen Bündel ob der Reise bed
in unser Dörp dragen hed. — Nach einer Zeichnung von G. M. Kraus, gestochen von
G. A. Liebe. — Landesbibliothek, Weimar.
51. Hanswurst aus dem 18. Jahrhundert. Nach einem Kupferstich von Elias Back. — Ger-
man. Museum, Nürnberg.
32. Illustration zu Chr. F. Weißes Singspiel ,, Walder" aus dem Gothaer Theaterkalender I777-
Nach einer Zeichnung von G. M. Kraus, gestochen von G. A. Liebe. — Landesbibliothek,
Weimar.
53. Illustration zu Chr. F. Weißes ,, Ehrlich währt am längsten oder Der Mißtrauische gegen
sich selbst". Nach einem Kupfer von Chodowiecki aus dem Briefwechsel der Familie des
Kinderfreundes. 1784. — Universitätsbibliothek, Leipzig.
54. Illustration aus dem Gothaer Theaterkalender 1776 zu Akt III, Sz. 10, von Lessings
,, Minna von Barnhelm". Francisca: Alle zwanzig, Herr Wachtmeister. Werner: St! St!
Frauenzimmerchen ! — Nach einer Zeichnung von G. M. Kraus, gestochen von G. A. Liebe. —
Landesbibliothek, Weimar.
=;3 — 66. Kupfer Chodowieckis zu Lessings ,, Minna v. Barnhelm". Aus dem Berliner genealo-
gischen Kalender auf das Jahr 1770. — Frankfurter Goethemuseum.
67. Das Neueste von Plundersweilern. Nach einem Bild (Feder, Tusche und Aquarell) von
G. M. Kraus von 1781, das noch heute im Tiefurter Schlößchen hängt, während das ur-
sprüngliche Bild des Malers, das in der Verhöhnung der zum Jahrmarkt von Plunders-
weilern versammelten Literaturvertreter zu derb schien, verloren ist. Phot. K. Schwier,
Weimar.
08. Titelkupfer von T. V. Poll zur Deutschen Schaubühne, XII. Bd., Augsburg 1790. Szene
aus Fr. L. Schröders „Portrait der Mutter oder die Privatkomödie". — Universitätsbiblio-
thek, Leipzig.
6q. Titelkupfer zu A. W. Ifflands dramatischen Werken. Bd. VI, Leipzig, Göschen 1799.
Gezeichnet von H. Ramberg, gestochen von W. Jury. Illustration zum ,, Herbsttag",
III. Akt, 5. Auftritt. — Landesbibliothek, Weimar.
70 — 73. Vier Kupfer aus den Illustrationen Chodowieckis zu Kotzebues ,, Indianer in England".
Aus dem Kgl. Großbritannischen Historischen Genealogischen Calender für 1791. —
Landesbibliothek, Weimar.
74—75. Szenenbilder zu Büchners „Leonce und Lena". Nach der Neuaufführung im Leipziger
Schauspielhaus phot. von S. Genthe, Leipzig. Die Entwürfe zu der die Bühne in einen
ovalen Rahmen fassenden szenischen Ausstattung des Werkes wurden von dem Kunstmaler
Hans Domizlaff in Leipzig als Basis für neuartige Beleuchtungswirkungen geschaffen.
76. Reproduktion des nach einem Gemälde Debucourts gefertigten Stichs Le Veau's „Le
juge ou la cruche cassee", der die Berner Freunde Heinrich von Kleist, Heinrich
Zs'chokke, Ludwig Wieland und Heinrich Geßner zu einem poetischen Wettkampf an-
regte, woraus bei Kleist das Lustspiel „Der zerbrochne Krug", bei Zschokke eine senti-
mental-naive Erzählung, bei Wieland eine mit seinem Lustspiel „Ambrosius Schlinge"
verwandte aber verschoUene Satire und bei Geßner die Übertragung in Hexameter einer
Idylle seines Vaters Salomon Geßner entstanden. — Die Reproduktion ist gearbeitet nach
einem Holzschnitte nach Le Veau's Stich in No. 1756 der Leipziger „Illustrirten Zeitung"
vom Jahre 1877.
AT.S Bilderklärungen.
77. Theaterzettel der unter Goethes Regie im Weimarer Theater am 2. März 1S08 stattgehabten
Uraufführung von Kleists Lustspiel, worauf die verhängnisvolle Dreiteilung des Werkes
ersichtlich ist. — Landesbibliothek, Weimar.
78. Raimund als Valentin und Fischer als Flottwel im ,, Verschwender". Nach einem kolorierten
Stich von And. Geiger nach einer Zeichnung von Schoeller. — Sammlung Köster, Leipzig.
79. Szenenbild zu Xestroys Zauberposse ,,Der böse Geist Lumpacivagabundus oder Das lieder-
liche Kleeblatt". Links (mit Zylinderhut) Nestroy selbst. Knieriem: Ich trink' mir heut
einen Rausch an, wie ich seit den letzten Cometen kein g'habt hab. — Leim: Zuerst aber
geh'n wir fechten. — Zwiern: Und wer nix hergibt der griegt Schlag dann gehts lustig
zu. — Sammlung Köster, Leipzig.
80. Schauspieler Heimerding als Nitschke in David Kalischs Posse „Ein gebildeter Haus-
knecht". — Nach einer kolorierten Lithographie im Märkischen Museum, Berlin.
81. Der Schauspieler Beckmann als Eckensteher Nante in Adolf Glaßbrenners ,,Der echte
Eckensteher Nante" (IL Szene: Verhör Nantes). — Nach einer Lithographie nach einer
Zeichnung von Schoppe. Märkisches Museum, Berlin.
82. Die Umschlagzeichnung zu Xiebergalls ,,Datterich", wiedergegeben nach einem Manul-
druck der Erstausgabe, der für die von Professor Karl Esselborn besorgte Gesamtausgabe
von Xiebergalls Werken hergestellt wurde. Die Umschlagzeichnung zeigt über einem
Ausschnitt der hessischen Landschaft ein Szenenbild der Komödie.
83. Theodor Döring in Bauernfelds ,, Liebesprotokoll" als neugeadelter Bankier Miller: „Ich
bin geadelt!" Nach einer bunten Lithographie von G. Albath, 1842. — Stadtgeschichtliches
JSIuseum, Leipzig.
84. 85. Zwei Szenenbilder zu Gutzkows ,,Zopf und Schwert" nach Holzschnitten aus der
Leipziger ,,Illustrirten Zeitung" vom 12. Oktober 1S44.
86. Zwei Szenenbilder zu Gutzkows ,,LTrbild des Tartuffe". Nach einem Holzschnitt nach
einer Darstellung einer Aufführung auf dem Leipziger Stadttheater in der Leipziger
,,Illustrirten Zeitung" vom 29. März 1845.
87. Szenenbild der Piepenbrinkepisode aus Freytags ,, Journalisten", II, 2. Nach einem
Holzschnitt in der Leipziger ,,Illustrirten Zeitung" vom 21. Mai 1S53.
88. Theaterzettel der Uraufführung von Freytags ,, Journalisten" im Breslauer Theater am
8. Dezember 1852, die aber der Dichter zugunsten der von Devrient besser inszenierten
Aufführung im Karlsruher Hoftheater am 2. Januar 1853 verleugnete. Der Breslauer
Theaterzettel zeigt durch die Aufzählung, ,,Eine arme Frau . . . Frau Ahrens" im Personen-
verzeichnis, daß das Lustspiel nach der Uraufführung einer Revision unterzogen wurde.
— Der Theaterzettel stammt aus der Stadtbibliothek Breslau.
89. Szenenbild derj Uraufführung (IL Aufzug) der ..Meistersinger". Nach einem Holzschnitt
nach einer Originalzeichnung von Th. Pixis aus der Leipziger ,.Illustrirten Zeitung" vom
I. August 1868.
90. Theaterzettel der Uraufführung von Richard Wagners ,, Meistersingern von Nürnberg"
unter der Leitung Hans von Bülows. — Bayrische Staatsbibliothek, München.
91. 92, 93, 94. Szenenbilder zu Gerhart Hauptmanns ,, Schluck und Jau". Nach der Auf-
führung im Hessischen Landestheater in Darmstadt. Unter Benutzung der im Orchester
eingebauten Vorbühne. Phot. Herrn. Collmann, Darmstadt. — 91. Gittertor des Jagd-
schlosses im Walde. Szenerie des I. und VI. Vorganges. 92. Zweiter Vorgang: Der
erwachende Jau. 93. Dritter Vorgang: Sidselill, Frau Adeluz und Schluck. 94. Fünfter
Vorgang: In der Mitte Jau.
Bilderklärungen. 439
95. Szenenbild zu Eulenbergs „Mückentanz" : Cölestin, Unschlitt und IMöbius. Uraufführung
im Rostocker Stadttheater. Phot. Palm, Rostock.
96. Szenenbild zu Sternheims „1913". Aufführung im Hessischen Landestheater in Darm-
stadt, inszeniert von Gustav Härtung. Phot. Herrn. CoUmann, Darmstadt.
97. Szenenbild zu Sternheims ,,Der entfesselte Zeitgenosse". Uraufführung unter Gustav
Hartungs Leitung im Hessischen Landestheater in Darmstadt. Bühnenbild des ersten
Aktes. Phot. Nini und Carry Heß, Frankfurt a. M.
9S. Szenenbild zu Kaisers ,, Zentaur". IV. Aufzug. Aufführung im Schauspielhaus in Frank-
furt a. M. Inszenierung von Gustav Härtung. Ausstattung von F. K. Dclavilla.
99. Szenenbild zu Kaisers ,, Zentaur". I. und IV. Akt: Zimmer bei Vierj^ant. Aufführung im
Schauspielhaus in Frankfurt a. M. Inszenierung von Gustav Härtung. Ausstattung von
F. K. Delavilla.
100. Szenenbild zu Kaisers ,, Zentaur". IL, III., ^^ Akt: Zimmer von Strobel. Aufführung
im Schauspielhaus in Frankfurt a. M. Inszenierung von Gustav Härtung. Ausstattung
von F. K. Delavilla.
o
BINDING SECT. :;ov f 5 1966
PT Holl, Karl
676 Geschichte des deutschen
H65 Lustspiels
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